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Full text of "Himmel und Erde"

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WHITNEY  LIBRARY, 
IIARVARD  UNIVERSITY. 


THE  GIFT  OF 

J.  I).  WHITNEY, 

Stuvgit  ffooptr  Pnifruor 
IX  THE 

MUSEUM  01  OOMPAEATIVE  ZOÖLOGY 

SCIENCES  LIBRARY 

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Himmel  und  Erde. 

Illustrirte 

naturwissenschaftliche  Monatsschrift 


Herausgegeben 

von  der 

GESELLSCHAFT  URANIA. 


Redacteur:  Dr.  M.  Wilhelm  Meyer. 


I.  Jahrgang. 


BERLIN. 

Verlag  von  Hermann  Paetel. 
1881). 


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Unberechtigter  Nachdruck  aus  dom  Iuhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt, 
Uebcrsetzungsrecht  Vorbehalten. 


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Verzeichnifs  der  Mitarbeiter 

am  L Bando  der  illustrirten  naturwissenschaftlichen  Monatsschrift 
„Himmel  und  Erde“. 


Archenhold,  F.  S.,  in  Berlin  Iftl. 
•233.  1H1I  üiL.  662* 

Beck,  Dr.  R.,  Scctionsgeologe  in  Leip- 
zig 347. 

Bergbaus,  Major  a.  D.  70(1. 

Brauns,  Prof.  Dr.  D.,  in  Halle  6 2. 

Coyp,  A.  J.,  in  Wien  .308. 

Förster,  Prof.  Dr.  Wilhelm,  Director 
der  Kgl.  Sternwarte  zu  Berlin  18» 
228.  826,  631* 

Ginzel,  F.  K.,  Astronom  am  Rechen- 
institut zu  Berlin  60.  130.  131.  133. 
•200.  2 58.  488. 

Holden,  Prof.  Edw'ard,  S.,  Director 
der  Lick-Sternwarto  auf  Mount-Ha- 
milton 437.  501. 

Josse,  O.,  in  Steglitz  263.  428. 

Kleiber,  Joseph,  in  St  Petersburg 
53*  117. 

Lehmann-Filhds,  Dr.  M.,  in  Berlin 
421* 

Meyer,  Dr.  Max  Wilhelm,  in  Berlin 
3L  103.  162*  216*  235*  333*  IRL  415. 
532.  646*  634. 

Mohn,  Prof.  Dr.  IL,  Director  des  nor- 
wegischen meteorolog.  Instituts  in 
Christiania  383.  437.  300.  3,84.  638.  676. 


Rottok,  Admiralitätsrath  E.,  in  Berlin 

356*  524. 

Samter,  Dr.  Heinrich,  in  Wolfenbüttel 
46*  282* 

Schoinor,  Dr.  J.,  Astronom  am  Astro- 
physikal.  Observatorium  zu  Potsdam 
107.  Gl 2.  667. 

Schiaparelli,  Prof.  J.  V.,  Director 
der  Kgl.  Sternwarte  in  Mailand  L 
85.  UI. 

Schwahn,  Dr.  P.,  in  Berlin  110.  121. 

633.  7 13. 

Seeliger,  Prof.  H..  Director  der  Kgl. 

Sternwarte  bei  München  323.  304. 
Sherman,  O.  T.,  Baltimore  377. 
Sohncke,  Prof.  L.,  in  München  445. 

313.  372. 

Stolzner,  Prof.  A.W.,  in  Freiberg  160. 
Wagner,  Dr.  Ernst,  Assistent  des  Kgl. 
meteorolog.  Institus  zu  Berlin  64* 
3RL  313*  402*  463*  432*  603. 
Weinek,  Prof.  Dr.  L.,  Director  der 
K.  K.  Sternwarte  in  Prag  337.  625. 
Weinstein,  Dr.  B.,  Privatdozent  in 
Berlin  234.  360. 

Zittel,  Prof.  R.  v.,  Director  der  paläon- 
tologischen  Staats  - Sammlung  in 
München  413. 


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Inhalt  des  ersten  Bandes. 


Essais. 

•Ueber  die  beobachteten  Erscheinungen  auf  der  Oberfläche  des  Planeten  Mars. 

Seit« 

Von  Prof.  J.  V.  Schi aparelli,  Direktor  der  Künigl.  Sternwarte  zu 

Mailand 1.  85. 

147 

l’eber  die  Ziele  der  l’oiiularisirung  der  Naturwissenschaften  im  Hinblick  auf 

die  Zeitschrift  ..Himmel  nnd  Erde“.  Von  Prof.  Dr.  Wilhelm  Foerster. 

Direktor  der  Kgl.  Sternwarte  zu  Berlin 

18 

•Der  Strand  von  Pozznoli  nnd  der  Serapis-Tempel  im  nenen  Lichte  dargestellt. 

Von  Prof.  Dr.  D.  Brauns  in  Halle 

fi7 

•Ueber  historische  Sonnenfinsternisse.  Von  K.  K.  Uinzel.  Astronom  am 

Recheninstitut  der  Kgl.  Sternwarte  in  Berlin 133. 

206 

Die  Stenographische  Bestimmung  der  Bewegung  der  Himmelskörper  in  der 

Gesichtslinie.  Von  Dr.  .1.  Sc  ho  in  er,  Astronom  am  astrophysikalischen 

Observatorium  zu  Potsdam 

137 

"Die  leuchtenden  Nachtwolken.  Von  O.  Jesse  in  Steglitz 

263 

Ueber  einige  Aufgaben  der  l’hotometrie  des  Himmels.  Von  Prof.  H.  Seeligor, 

Direktor  der  Kgl.  Sternwarte  hei  München 323. 

* Pit1  norwegische  Nord  in  ecr-f,  Spedition.  Von  Prof.  Dr.  H.  Mohn,  Direktor 
des  norwegischen  metoorologisclion  Institut»  in  Christiania.  385.  437. 


■riUi>.  584.  638.  676 

* Die  ungewöhnlichen  atmosphärischen  Erscheinungen  nach  dem  Ansbrnehe  des 

Krakalan.  Yon  Dr.  Ernst  Wagner,  Assistent  des  Kgl,  meteorologischen 

Instituts  in  Berlin 402.  463 

*Die  Lick- Sternwarte,  Vom  Direktor  derselben.  Professor  Edward 

S.  Holden 437.  501 

Neuere  Theorieen  der  Lnlt-  uiul  tiewillcr-Kleklricität-  Von  Prof.  I.,  Sohnchc 

in  München  . I l.'i.  313.  372 

“Der  Fortschritt  in  der  Selcnographie.  Von  Professor  Dr,  I..  Weineck, 

Direktor  der  lc  1< . Sternwarte  in  Prag 557.  625 

•Unser  Wissen  über  das  Zodiakallieht.  V»n  O.  T.  Sherman  in  Baltimore  577 

•Das  fünfzigjährige  Jubiläum  der  Sternwarte  zn  1‘nlkowa tili 

•l'eber  die  Bedeutung  der  photographischen  Methoden  in  der  Astronomie.  Von 
Dr.  J.  Soli  einer,  Astronom  am  aslrojthysikalischen  Observatorium 

bei  Potsdam  .....  . 612.  667 

Das  Wissen  über  das  Thierhreislicht.  Von  Prof,  Dr.  Willi.  Foerster,  Di- 
rektor der  Kgl.  Sternwarte  zu  Berlin 631 


Feuilleton. 

"Die  Veranstaltungen  der  Urania.  Von  Dr.  M.  Wilhelm  Meyer  in  Berlin  31 

•Astronomische  Neuigkeiten.  Von  Dr.  Heinrich  Samter 40 

Versuch  einer  beweisfuhrendrn  Darstellnng  des  Weitgehendes  in  elementarer 
Form.  Von  Dr.  M.  Wilhelm  Moyer  in  Berlin: 

I.  Einleitung- 103 

II.  Die  Gestalt  und  Gröfse  der  Erde 107 

•III.  Die  Sphären 216 


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VIII 


Inhalt 


Seit« 

•IV.  Die  scheinbaren  Bahnen  der  Himmelskörper *295 

•V.  Der  excentrische  Kreis  und  die  Epicykeln 333 

•VI.  Das  System  des  Copernikus 419 

VII.  Die  heliocentrische  Bewegung 475 

* VIII.  Die  himmlische  Feldmefskunst 53*2 

•IX.  Die  Schwerkraft  und  das  dritte  Keplerache  Gesetz  ....  646 

X.  Schlüte 694 

•Der  Werkotseh  bei  Aussig 160 

Wissenschaftliche  Lnternehmangen  in  Amerika.  Von  Dr.  Heinrich  Samter 

in  Wolfenbüttel 287 

•Der  Yellowstone  Park.  Von  Prof.  R.  v,  Zittel.  Direktor  der  palaeonto- 

logischen  Staats-Sammlung  in  München 413 

Die  Fundstätte  des  isländischen  Kalkspates.  Aus  dem  Isländischen  des  Thor- 
valdur Thoroddsen  (Heise  im  Ostlande  im  Sommer  188*2).  Uebersetzt 

von  AL  Lehmann -Filhäa . . . . . . . . . . . . . . . 471 

Pro  |>  ho  teilt  hum  und  Hierarchie  in  der  Wissenschaft.  Eine  zeitgeschichtliche 
Skizze  von  Prof.  Wilhelm  Koerster.  Direktor  der  _KgL_  Stern  warte 
zu  Berlin 326 


Mittheilungen. 

•Ufr  Komet  Sawerlhal  . . , . . . . . , . . . . . . . . . : ; 5ä 

Die  Sonnenflnglernifg  vom  19.  Anglist  1887.  Von  Joseph  Kleiber  in 

St.  Petersburg 53 

•Erscheinungen  am  Slernenliim mel  im  Monat  Ortober 54 

Welche  Vcränilernngen  erführt  noch  jetzt  die  läge  der  Drehungs-Axe  drr  Erde? 

Von  Dr.  P.  Schwalm  in  Berlin HO 

•Die  Sonnentinsternifg  vom  10,  Anglist  und  die  Sonneneoron».  Von  Joseph 

Kleiber  in  St.  Petersburg • 117 

•Erscheinungen  am  Slernenhimnifl  im  Monat  November  12  Ihr  Nachts  , . , 12i 
•Ueber  die  Verschiedenheiten  der  Wahrnehmung  nnd  llarstellnngvon Nebeldecken  179 

Heber  das  Stcrnschwanken- Von  K.  S.  ArchonhoUl  in  Berlin. . , . . 1S1 

•Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  .Monat  Dezember IM 

•Pits  Zodiakal-  oder  Thierkreisliclit.  Von  Prof,  Willi.  Koerster.  Direktor 

der  Kgl,  Sternwarte  zu  Berlin 228 

•Das  Polarlicht. Von  [)r.  II  Weinstein , , . 360 

Allgemeine  l'ehersicht  der  beobachte  ii-.wcrthcn  llimme  isersclieinnngen  iin 

■fahre  1889 34S 

lieber  eine  neue  Messung  der  Drehnngsgeschwindigkeit  der  Sonne  anf  spetlro- 

metrischem  Wege 253 

Die  Säcniarversehiehnng  der  Strandlinien  an  den  schwedischen  Küsten . . . 307 
Verzeiehnifs  der  bekannten  Doppelsternbalinen  nml  berechneten  Parallaxen 

von  Fixsternen  . . . . . 310 

Ergcheitmngen  am  Sternenhimmel  im  Monat  Februar ’ü-t 

•Die  Ausbrüche  des  Krakntan  im  Jahre  1S83.  Von  Dr.  R.  Beck,  Sections- 

geolnif  in  Leipzig 347 

Flnthwellen  in  der  Ostsee  nnd  an  den  Rügten  dentscher  Kaloniaigebiete.  Von 

Admiralitaterath  Koltok  in  Berlin  . „ . , . . , . , . , , = , , 356 

•Zur  Theorie  der  tiebirgskcttcn-Dildnng  infolge  der  Särnlar-Ahknhlnng  der  Erde  370 

Erscheinungen  um  Sternenhimmel  im  Monat  März 37-1 

Von  den  lenchtenden  Naclitwolken.  Von  O.  Jesse  in  Steglitz  .....  428 
Ergänzung  zn  dem  Verzeiehnifs  der  Doppelatcrnhnhnen 121» 


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Inhalt. 


IX 


Seit« 

Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Monat  April 430 

Sternwarte  in  Tokio.  — Wilhelm  Tempel  f 432 

•Wilhelm  Ernst  Tempel  f 486 

Die  tägliche  Xntation  oiier  Erdagen-Schwanknng 489 

Grönlands  erste  Durchquerung 490 

Spectroskopisrhe  Expedition  anf  den  Mont  Blanc 492 

Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Monat  Hai 493 

J.  1».  Saret,  Winkelmessendes  Fernrohr 497 

“Die  Photogrammetrie  oder  Bildmefsknnst 546 

Ansriistnng  der  Sternwarte  in  Nizza 550 

Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Monat  Jnni-Jnü 551 

Duplicilät  von  * l'rsae  majoris  . . , . 553 

Die  Mundliililer . . . . 553 

Ueher  das  Eindringen  des  Lichts  in  die  Tiefen  lies  Meeres  Von  Admiralitats- 

rath  Huttok . . . . . . . . . . . . . . , . . , . Ö34 

Klimatische  Eigentümlichkeiten  Persiens.  Von  A.  J.  Ceyp 5t)8 

Die  Lebensdauer  des  Deuter  Sees  . . . . . . . . . . . . . , , , . G£B 

Znr  Frage  der  Teinperatnrverliiiltnisse  lies  Erdinnern 601 

Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Monat  Juli-Angnst 005 

•Die  Eick-Sternwarte  anf  Wt.  Hamilton , , . . . £07 

Der  achte  deutsche  Geographcntag 655 

Mittlere  Hiihc  der  Kontinente  und  mittlere  Tiefe  der  Meere.  Von  F.  S. 

Archonhnld 602 

Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Monat  Angnst-Septemher 663 

Astronomisch-photographischer  l'ongrefs 606 

•Das  Okularende  des  greisen  Refraktors  der  Sternwarte  zu  Pulkuwa  . . . 702 

Die  submarinen  Tiefehenen  in  ihrer  Beziehung  zur  vnlkanischen  Thiitigkeit  . '03 

Spectroskapische  Beubaehtungen  am  Eiflelthurui 706 

Entstehung  der  elliptischen  Bewegung  der  Kumeten 707 

Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Monat  September- Oktober 709 

Bibliographisches. 

Stanbfiille 56 

Dichtigkeitsmessnngen  des  Meereswassers 57 

Periodicität  der  Gewitter 53 

Analogieen  in  den  Gestaltungsverhältnissen  der  l'ontinente 50 

Xeumaver.  Anleitung  zu  wissenschaftlichen  Beohachtnngen  anf  Reisen,  Be- 
sprochen von  F.  K.  Ginzel 60 

Woeikof,  Die  Klimate  der  Erde.  Besprochen  von  Dr.  Ernst  Wagner  . . 64 

Ans  der  Spectralanalyse 124 

Der  Ausbruch  des  Bandai-San  aul'  Japan 127 

Beobachtung  der  Höhe,  Länge  und  (iesrhwindigkeit  der  Ocranwellen ....  128 
H.  C.  E.  Martus,  Astronomische  Geographie.  Zweite  Auflage.  Besprochen 

von  F.  K.  Ginzel 180 

D.  0.  Dziobek,  Die  mathematischen  Theorieen  der  Planctenbewegnngen.  Be- 
sprochen von  F.  K.  Ginzel  181 

Luftschifffahrt  und  Meteorologie 186 

Warme  Winde  in  Grönland 189 

lieber  den  muthmafsliehen  Zusammenhang  der  mikroseismisrhen  Erderschütte- 
rungen mit  dem  Luftdruck  und  Winde 189 

Modelle  der  Oceanbetten 191 


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X 


Inhalt. 


Seil« 

Alfred  Ritter  v.  Irljanitzky,  Die  Elektricilat  des  Himmeln  und  der  Erde.  Be- 
rn »rochen  von  Dr.  P.  Sr li wahn 191 

Schnrig,  „Tahnlae  Caclestes“  Himmelsatlas l'.>3 

Messer,  Sternatlas  fiir  Himinelsbeobachtungen 193 

Verzeichnis  der  bis  zum  16.  Xaveaiber  der  Redaktion  rar  Besprechung  ein- 

gesandten  Micher 135 

•Das  Spiegelbild  der  Sonne  am  Meereshurizonl.  Von  V.  S.  Archonhold  ■ 223 
A.  M.  Clerke,  (ieschiehte  der  Astronomie  während  des  nennzehnten  Jahr- 
hnnderts.  Dcntsrhe  Ausgabe  von  II.  Maser.  Besprochen  von  F.  K.  Qi nzel  258 

(Inifse  Meerestiefen 318 

Helgaland 318 

X.  Ekliolm  et  K.  L.  Hagström.  Mensuren  des  hantenrs  et  des  monvements  des 

nnages.  Besprochen  von  Ur.  Ernst  Wagner 319 

Amerikanische  Krfalge  und  Bestrebungen  bei  der  Beobachtung  neuerer  totaler 

Sonnenfinsternisse  . . . . . . A , . , . . , . . . . , , . , ■ 377 

K.  Marchand,  Relations  des  pheuoinrnes  solaires  et  des  pertnrhalions  du 

magnetisme  terrestre.  Besprochen  von  Dr.  Wagner 379 

Verzeietmifs  der  vom  16.  November  1888  bis  1.  Februar  1889  der  Itedakliun 

znr  Besprechung  eingesandten  Bücher 380 

Zwei  liemerkenswertlie  Bearlieitnngen  von  Kometenerselieinuiigen  ....  433 
K.  raspary,  Oonrs  d'Astrnnomie  practiqne.  2.  vol.  Paris.  Ganthier-Villars,  1889  498 

v.  Xiessl,  lieber  das  Meteor  vom  22.  April  1888  G08 

P.  Tacchini,  Eelissi  totali  disole  del  deeemhre  1870,  del  inaggio  I8S2  e 1883. 

e delP  agoslo  1886  e 1887.  Relazioni  e note 609 

II  Wild,  Noimaler  Hang  nnd  Störungen  der  erdmagnetisehen  Deklination  . , 609 
A.  Illvtt.  Tlic  probable  ranse  of  displarenient  of  hcachlines.  Von  Dr.P.  Hell  wahn  713 

Jahrbuch  der  Naturwissenschaften  1888/89  714 

Verzeichnis  der  vom  I.  Februar  bis  zum  1.  August  188!)  der  Kcdaktion  zur 

Besprechung  eingesandten  Bücher "15 

SprerlMHMl GG.  132.  196.  261.  321.  382.  433.  300.  353 

Den  mit  einem  • versehenen  Artikeln  sind  erläuternde  Abbildungen 
beigegeben. 


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Namen-  und  Sachregister 

zum  ersten  Bande. 


a Ursae  majoris,  Duplicität  von  553. 

Amerika,  wissenschaftliche  Unter- 
nehmungen in.  Von  Dr.  Heinrich 
Sarater  in  Wolfenbüttel  287. 

Astronomische  Neuigkeiten.  Von 
Dr.  Heinrich  Samter  40. 

Astronomisch  - photographisch. 
Congrefs  666. 

Bandai-San  auf  Japan,  der  Ausbruch 
des  127. 

Blytt,  A..  The  probable  cause  of  dis- 
placement  of  beachlines.  Von  Dr. 
P.  Schwahn  713. 

Bücher,  Verzeichnifs  der  bis  zum 
15.  November  der  Redaktion  zur  Be- 
sprechung eingesandten  195. 

Bücher,  Verzeichnifs  der  vom  16.  No- 
vember 1888  bis  1.  Februar  1889  der 
Redaktion  zur  Besprechung  einge- 
sandten 380. 

Bücher,  Verzeichnifs  der  vom  1.  Fe- 
bruar bis  zum  1.  August  1889  der 
Redaktion  zur  Besprechung  einge- 
sandten 715. 

Caspary,  E.,  Cours  d’Astronomie 
practique.  2.  vol.  Paris,  Gauthier- 
Villars  1889,  498. 

Clerke,  A.  M.,  Geschichte  der  Astro- 
nomie während  des  neunzehnten 
Jahrhunderts.  Deutsche  Ausgabe  von 
H.  Maser.  Besprochen  von  F.  K. 
Ginzel  258. 

Doppelsternbahnen,  Ergänzung  zu 
dem  Verzeichnifs  der  429. 

Doppelstornbahnonund  berechnete 
Parallaxen  von  Fixsternen,  Ver- 
zeichnifs der  bekannten  310. 

Drehungs-Axe  der  Erde,  welche 
Veränderungen  erfährt  noch  jetzt 
die  Lage  der.  Von  Dr.  P.  Schwalm 
in  Berlin  110. 

Drehungsgeschwindigkoit  der 
Sonne  auf  spektrometrischem  Wege, 
über  eine  neue  Messung  der  253. 


Dziobek.  D.  O.,  die  mathematischen 
Theorieen  der  Planetenbewegungon. 
Besprochen  von  F.  K.  Ginzel  131. 

Eiffelthurm,  spectroskopische  Beob- 
achtungen am  706. 

N.  Ekholm  et  K.  L.  Hagström,  Mes- 
sures  des  hauteurs  et  desmouvements 
des  nuages.  Besprochen  von  Dr.  Ernst 
Wagner  319. 

Elliptischen  Bewegung  der  Ko- 
meten, Entstehung  der  707. 

Erdinnern,  zur  Frage  der  Tempo* 
raturverhältnisso  des  604. 

Fl uth wellen  in  der  Ostsee  und  an 
den  Küsten  deutscher  Kolonialge- 
biete. Von  Admiralitätsrath  Rottok 
in  Berlin  356. 

Gebirgsketten-Bildu  ng,  zur  Theo- 
rie der,  infolge  der  Säcular-Ahktih- 
lung  der  Erde  370. 

Genfer  Sees,  die  Lebensdauer  des 
602. 

Geographentag,  der  achte  deutsche 
655. 

Gewitter,  Periodieität  der  58. 

Ge  witter  - Elektricität,  neuere 
Theorieen  der  Luft-  und.  Von  Prof. 
L.  Sohncke  in  München  445.  515.  572. 

Grönland,  warme  Winde  in  189. 

Grönlands  erste  Durchquerung  480. 

Helgoland  318. 

Himmelserscheinungen,  allge- 
meine Uebersicht  der  beobachtens- 
werthon,  im  Jahre  1889,  248. 

K alk spates,  die  Fundstätte  des  islän- 
dischen. Aus  dem  Isländischen  des 
Thorvaldur  Thoroddsen  (Reise  im 
Ostlande  im  Sommer  1882).  Uebcr- 
setzt  von  M.  Lchmann-Filhös  471. 

Kometenerscheinungen,  zwei  be- 
merkenswerthe  Bearbeitungen  von 
433 

Kontinente,  Analogieen  in  den  Ge- 
staltungsverhältnissen der  59. 


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xir 


Inhalt. 


Kontinente,  mittlere  Höhe  der,  und 
mittlere  Tiefe  der  Meere.  Von  F.  S. 
Archenhold  C62. 

Krakatau,  die  Ausbrüche  des,  im 
Jahre  1883.  Von  Dr.R.  Beck, Sections- 
geolog  in  Leipzig  347. 

Krakatau,  die  ungewöhnlichen  atmo- 
sphärischen Erscheinungen  nach  dein 
Ausbruche  des.  Von  Dr.  Ernst 
Wagner,  Assistent  des  Kgl.  metoro- 
logischen  Instituts  in  Berlin  40*2.  463. 
Lick-Sternwarte,  die.  Vom  Direk- 
tor derselben  Edward  8.  Holden 
437.  501. 

Lick-Sternwarte  auf  Mt  Hamilton, 
die  607. 

Luftschifffahrt  und  Meteorologie  186. 
March  and,  E.,  Relations  des  phftio- 
menes  solaires  et  des  perturbations 
du  magngtisme  terrestre.  Besprochen 
von  Dr.  Wagner  379. 

Mars,  über  die  beobachteten  Erschei- 
nungen auf  der  Oberfläche  des  Pla- 
neten. Von  Prof.  J.  V.  Schiaparelli, 
Direktor  der  Königl.  Sternwarte  zu 
Mailand  1.  85.  147. 

Mart us,  H.  C.  E.,  astronomische  Geo- 
graphie. Zweite  Auflage.  Besprochen 
von  F.  K.  Ginzel  130. 

Meere s tiefen,  grofse  318. 

Meeres  Wassers,  Dichtigkeitsmes- 
sungen dos  57. 

Messer,  Stematlas  für  Himmelsboob- 
achtungen  193. 

M i k r o so  ismisch  e n Erdorschüt- 
terungen,  über  den  muthmafs- 
lichen  Zusammenhang  der,  mit  dem 
Luftdruck  und  Winde  189. 
Mondbilder,  die  555. 

Mont  Blanc,  spektroskopische  Expe- 
dition auf  den  492. 

Nachtwolken,  die  leuchtenden.  V on 
O.  Jesso  in  Steglitz  263. 
Nachtwolken,  von  den  leuchtenden. 

Von  O.  Jesse  in  Steglitz  428. 

Natur  wisse  n schäften,  Jahrbuch 
der,  1888,  89,  713. 

Nebelflecken,  über  die  Verschieden- 
heit der  Wahrnehmung  und  Darstel- 
lung von  179. 

Neumayer,  Anleitung  zu  wissen- 


schaftlichen Beobachtungen  auf  Rei- 
sen. Besprochen  von  F.  K.  Ginzel  60. 
Niessl,  v„  über  das  Meteor  vom 
22.  April  1888,  6)8. 

Nizza,  Ausrüstung  der  Sternwarte 
in  550. 

Nordmoer-Expoditon,  die  norwe- 
gische. Von  Prof.  Dr.  H.  Mohn,  Di- 
rektor des  norwegischen  meteoro- 
logischen Instituts  in  Christiania  385. 
457.  509.  58».  638.  676. 

Nutation,  die  tägliche,  oder  Erd- 
azen-Schwankung 489. 
Oceanbetten,  Modelle  der  191. 

O c e a n w e 1 1 e n , Beobachtung  der  Höhe, 
Länge  und  Geschwindigkeit  der  128. 
Persiens,  klimatische  Eigentümlich- 
keit. Von  A.  J.  Ceyp  598. 
Photogrammetrie,  die,  oder  Bild- 
mefskunst  546. 

Photographischen  Methoden, 
über  die  Bedeutung  der,  in  der  Astro- 
nomie. Von  Dr.  J.  Sch  einer,  Astro- 
nom am  astrophysikalischen  Obser- 
vatorium bei  Potsdam  612.  667. 
Photometrie  des  Himmels,  über 
einige  Aufgaben  der.  Von  Prof.  H. 
Soeliger,  Direktor  der  Kgl.  Stern- 
warte bei  München  323.  394. 
Polarlicht,  das.  Von  Dr.  B.  Wein- 
stein 234.  360. 

Populariairung  der  Naturwis- 
senschaften, über  die  Ziele  der, 
im  Hinblick  auf  die  Zeitschrift  „Him- 
mel und  Erde**.  Von  Prof.  Dr.  Wilhelm 
Foerster,  Direktor  der  Kgl.  Stern- 
warte zu  Berlin  18. 

Pozzuoli,  der  Strand  von,  und  der 
Serapis-Tempel  im  neuen  Lichte  dar- 
gestellt. Von  Prof.  Dr.  D.  Brauns  in 
Halle  67. 

Prophetenthum  und  Hierarchie  in 
der  Wissenschaft.  Eine  zeitgeschicht- 
liche Skizze  von  Prof.  Wilhelm 
Foerster,  Direktor  der  Kgl.  Stern- 
warte zu  Berlin  526. 

P u 1 k o w a , das  fünfzigjährige  Jubiläum 
der  Sternwarte  zu  611. 

Pulkowa,  das  Okularende  desgrofsen 
Refraktors  der  Sternwarte  zu  702. 
Sa werth al,  der  Komet  52. 


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Inhalt. 


XIII 


Schurig,  „Tabulae  Caelestes“  Hirn- 
mclsatlas  193. 

Selenographi e,  der  Fortschritt  in 
der.  Von  Prof.  Dr.  B.  Weineck, 
Direktorder  k.  k. Sternwarte  in  Prag 
557.  625. 

Sonn  o nfiuste  rnifs,  die,  vom  19. 
August  1887.  Von  Joseph  Kleiber 
in  St.  Petersburg  53. 

S onnenfinsternifs,  die,  vom  19. 
August  und  die  Sonnencorona.  Von 
Joseph  Kleiber  in  St.  Petersburg  117. 

Sonnenfinste  r n is  so,  amerikanische 
Erfolge  und  Bestrebungen  bei  der 
Beobachtung  neuerer  totaler  377. 

Sonnenfinsternisse,  über  histori- 
sche. Von  F.  K.  Ginzel,  Astronom 
am  Rccheninstitut  der  Kgl.  Stern- 
warte in  Berlin  133.  206. 

Soret,  J.  L.,  Winkelmessendes  Fern- 
rohr 497. 

Spektralanalyse,  aus  der  124. 

Spcktograp  bische  Bcsti  in  in  nng, 
die,  der  Bewegung  der  Himmels- 
körper in  der  Gesichtslinie.  Von 
I)r.  J.  Scheiner,  Astronom  am  astro- 
physikalischen  Observatorium  zu 
Potsdam  197. 

Spiegelbild,  das,  der  Sonne  am 

MeereahQrizQnh Von  F.  S.  Arriien- 

huld  225, 

Sprechsaal  66.  132.  196.  261.321.382. 
431  500,  555, 

Staubfälle  56. 

Sternenhimmel,  Erscheinungen  am, 
im  Monat  Oktober  54. 

Sternenhimmel,  Erscheinungen  am, 
im  Monat  November  122. 

Sternenhimmel,  Erscheinungen  am, 
im  Monat  Dezember  1S4. 

Sternenhimmel,  Erscheinungen  am, 
im  Munal  Februar  314, 

Sternenhimmel,  Erscheinungen  am, 
im.  -M.unaL.M.ärz..  37.1 

Ste  rncnli  im  mol,  Erscheinungen  am, 
im  Monat  April  430. 

Sternen  himmel,  Erscheinungen  am, 
im  Monat  Mai  493. 

Sternenhimmel,  Erscheinungen  am, 
im  Monat  Juni-Juli  551. 

Sternen  himmel,  Erscheinungen  am, 
im  Monat  Juli-August  605. 


Sternenhimmel,  Erscheinungen  am, 
im  Monat  August-September  663. 
Sternenhimmel,  Erscheinungen  am, 
im  Monat  September-Oktober  709. 
Sterilschwanken,  über  das.  Von  F. 

S,  Archcnhgld  in  .Berlin  13h 
Strandliuien,  die  Säcularverschie- 
bung  der,  an  den  schwedischen 
Küsten  307. 

Tacchini,  P.,  Eclissi  totali  disole  dol 
deccrabrc  1870,  del  maggio  1882  c 
1883,  o doll’  agosto  1886  e 1887. 
Rclazioni  e note  609. 

Tempel  f,  Wilhelm  432. 

Tempel  f,  Wilhelm  Ernst  486. 
Thierkroislicht,  das  Wissen  über 
das.  Von  Prof.  Dr.  Willi.  Foerster, 
Direktor  der  Kgl.  Sternwarte  zu  Ber- 
lin; siehe  auch  Zodiakallicht  691. 
Tiefebenen,  die  submarinen,  in  ihrer 
Beziehung  zur  vulkanischen  Thätig- 
kejt  7Q3. 

Tiefen  des  Moores,  über  das  Ein- 
dringen des  Lichts  in  die.  Von 
Admiralitätsrath  Bottok  594. 
Tokio,  Sternwarte  in  432. 

Urania,  die  Veranstaltungen  der.  Von 
Dr.  M.  Wilhelm  Meyer  in  Berlin  31. 
Urbanitzky,  Alfred  Bitter  v.,  die 
Elektricität  des  Himmels  und  der 
Erde.  Besprochen  von  Dr.P.  Sch  wahn 
191 

We  1 1 ge  b ä u d e 8,  Versuch  einer  be weis- 
fii h re nden  Darstel  1 ung  d es,  in  elemen- 
tarer Form.  Von  Dr.  M.  Wilhelm 
Meyer  in  Berlin: 

I.  Einleitung  103. 

II.  Die  Gestalt  und  Grüfse  der 
Erde  167. 

III.  Die  Sphären  216. 

VI.  Die  scheinbaren  Bahnen  der 

Himmelskörper  295. 

V,  per  excentrische  Kreis  und  die 
Epicykeln  333. 

IV.  Das  System  des  Copornikus  419. 

VII.  Die  heliocentriseho  Bewegung 

iÜL 

VIII.  Die  himmlische  Fcldmcfskunst 

532. 

IX.  Die  Schwerkraft  und  das  dritte 
Keplersche  Gesetz  646. 

X.  Schlufs  694. 


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XIV 


Inhalt. 


Wer  kotseh,  der,  bei  Aussig  160. 

Wild,  H.,  normaler  Gang  und  Störun- 
gen der  erdmagnetisehen  Deklina- 
tion 609. 

Woeikof,  die  Klimale  der  Erde.  Be- 
sprochen von  Dr.  Ernst  Wagner  64. 

Yellowstone  Park,  der.  Von  Prot 
R.  v.  Zittel,  Direktor  der  pulaeonto- 


1 ogisehen  Staats-Sammlung  in  Mün- 
chen 413. 

Zodiakal-  oder  Thierkreislicht, 
das.  Von  Prot  Wilh.  Foerster,  Direk- 
tor der  Kgl.  Sternwarte  zu  Berlin; 
siehe  auch  ThierkreisLicht  22s. 

Zodiakal  licht,  unser  Wissen  über 
das.  Von  O.  T.  Sherman  in  Balti- 
more ; siehe  auch  Thierkreislicht  577. 


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Ueber  die  beobachteten  Erscheinungen  auf  der 
Oberfläche  des  Planeten  Mars. 

Von 

Prof.  J.  V.  Srhiaparelli, 

Direktor  der  königl.  Sternwarte  an  Mailand.*) 

c'&oschon  seit  mehr  als  zwei  Jahrhunderten  ist  die  Oberfläche  des  Mars 
ji.U,  der  Gegenstand  teleskopischer  Beobachtungen  gewesen,  und  die 
ersten  Zeichnungen  seiner  Flecke  stammen  bereits  von  Huygens 
und  Hooke.  Diese  Flecke  wurden  anfänglich  zur  Bestimmung  der  Um- 
drehungsgeschwindigkeit des  Planeten  um  seine  Achse  oder  seiner 
Tageslänge  verwendet;  aber  sie  scheinen  seitdem  nicht  mehr  der 
Gegenstand  fleissigen  Studiums  gewesen  zu  sein,  obschon  Cassini, 
Maraldi  und  Bianchini  sehr  bemerkenswerthe  Beobachtungen  über  sie 
angestellt  haben.  Die  ersten,  welche  don  Planeten  einer  einigermassen 
fortgesetzten  und  sorgfältigen  Durchforschung  unterzogen,  waren 
W.  Herschel  und  Schröter.  W.  Herschel  hat  sich  jedoch  hauptsächlich 
darauf  beschränkt,  die  Richtung  der  Achse,  die  Dauer  der  Umdrehung 
und  die  Erscheinungen  der  weissen  Polargebiete  zu  studiren,  scheint 
aber  nicht  beabsichtigt  zu  haben,  in  ein  Spezialstudium  der  Flecken 
und  ihrer  Eigenthümlichkeiten  einzugehen.  Ein  solches  Spezialstudium 
ist  dagegen  der  Hauptzweck  von  Schröters  ausgedehnten  Arbeiten 
gewesen,  welche  sicherlich  eine  epochemachende  Wichtigkeit  in  der  Mars- 
beschreibung oder  Areographie  hätten  erlangen  können,  wenn  sie  mit  einer 
besseren  Methode  ausgeführt  und  von  weniger  vorgefassten  Ideen  geleitet 
worden  wären.  Ueberzeugt,  in  den  Mars  fl  ecken  nichts  Anderes  als  fort- 
während veränderliche  Bildungen  von  meteorologischem  Charakter  zu 

')  Aus  dem  italienischen  Texte  des  Manuskriptes  übersetzt  durch  die 
Redaktion  und  revidirt  vom  Vorfasser. 

Himmel  UDd  Krde.  1S8&  I.  1 


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sehen,  mass  der  Beobachter  von  Lilienthal  der  topographischen  Er- 
forschung der  verschiedenen  Regionen  des  Planeten  keinen  so  hohen 
Grad  von  Wichtigkeit  hei,  wie  erwünscht  gewesen  wäre;  die  Art,  wie 
er  seine  Zeichnungen  auslegte,  war  oft  irrig,  und  wir  können  wohl 
behaupten,  dass  wir  diese  Zeichnungen  weit  besser  verstehen,  als  es 
ihm  unter  solchen  Umständen  möglich  war. 

Als  wahren  Begründer  der  Marsbeschreibung  müssen  wir 
dagegen  J.  H.  Mädler  ansehen,  der  mit  einem  kleinen  Fraunhofer- 
sehen Fernrohre  von  3 '/a  Zoll  Oeffnung  die  Hauptflecken  des  Mars 
weit  besser  als  alle  seine  Vorgänger  sah  und  beschrieb.  Mädler  war  der 
erste,  der  durch  geeignete  Beobachtungen  die  Lage  einiger  Hauptpunkte 
des  Planeten  bestimmte  und  im  Jahre  1830  eine  Karte  derselben  ver- 
öffentlichte, die,  obwohl  noch  sehr  unvollständig  und  nothwendiger- 
weise  auf  wenige  Hauptflecken  beschränkt,  als  ein  beachtenswerthes 
Denkmal  von  Fleiss  und  Sorgfalt  angesehen  werden  muss  und  für  die 
Topographie  des  Mars  das  vorstellt,  was  die  Karte  des  Eratosthenes 
für  die  irdische  Geographie  war.  Diese  Karte  blieb  mehr  als  30  Jahre 
lang  nicht  allein  die  beste,  sondern  sogar  die  einzige:  erst  um  das  Jahr 
1860  fing  man  an  neue  Fortschritte  von  einiger  Wichtigkeit  in  der 
Erforschung  des  Planeten  zu  machen,  und  zwar  hauptsächlich  durch  die 
Arbeiten  von  Secchi,  Dawes,  Kaiser  und  Lockyer.  Seit  jener  Zeit, 
und  speciell  wohl  seit  der  so  gut  beobachteten  und  so  günstigen 
Opposition  des  Jahres  1862,  begann  ein  sehr  emsiges  Studium,  welches 
noch  jetzt  fortdauert,  und,  wie  wir  hoffen  wollen,  erst  dann  aufhören 
soll,  wenn  die  vielfachen  sonderbaren  Mysterien  dieses  Planeten  völlig 
entschleiert  sein  werden.-’) 

Aus  der  Vergleichung  aller  alten  und  neuen  Beobachtungen 
hat  sich  als  erstes  wichtiges  Resultat  ergeben,  dass  man  die  dunklen 
Flecken  des  Mars  als  fest  in  ihrer  relativen  Lage  und  als  unveränderlich 
in  ihren  allgemeinen  Umrissen  betrachten  kann.  Wir  können  z.  B.  noch 
sehr  wohl  die  „Syrtis  Magna"  in  den  Zeichnungen  von  Iluygens  (1659), 
das  .Mare  Cimmerium“  und  das  .Mare  Sirenum"  in  denen  Maraldis  (1704) 
und  die  als  „Hesperia“  bezeichnete  Gegend  in  denen  Bianchinis  (1719) 
wiedererkennen;  die  im  Vergleich  zu  dem,  was  man  jetzt  sieht,  ge- 
fundenen Unterschiede,  kann  man  gänzlich  der  Unvollkommenheit  der 

*)  Eine  vollständige  Auseinandersetzung  der  sreographischcn  Arbeiten 
bis  zum  Jahre  1873,  begleitet  von  einer  kritischen  und  vergleichenden  Erörte- 
rung aller  bis  zu  jener  Epoche  erlangten  Resultate,  findet  man  in  dem  wichtigen 
Werk  von  Tcrb.v:  Aröographie  ou  etuile  comparative  des  observations  faites  sur 
l’aspect  physique  de  la  planötc  Mars  depuis  Kontana  (1636)  jus  ju  ii  nos  jours 
(1873)  (M4m.  Acad.  Belg.  Sav.  Etrang.  vol.  XXXIX  1875). 


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8 


Fernrohre  jener  Zeit  zuschreiben.  Auch  die  Lage  der  Hauptpunkte, 
welche  in  drei  verschiedenen  Kpochen  von  Miidler  (1830),  von  Kaiser 
(1862)  und  von  mir  (1877)  bestimmt  wurden,  ist  völlig'  übereinstimmend, 
und  die  kleinen  Unterschiede  überschreiten  nicht  die  wahrscheinliche 
Wirkung  der  Irrthümer,  die  man  bei  solchen  Beobachtungen  er- 
warten kann. 

Aber  die  Unveränderlichkeit  der  Marsflecken  darf  nicht  absolut 
und  etwa  in  so  strengem  Sinne  verstanden  werden,  wie  sie  z.  B.  für 
den  Mond  stattfindet.  Die  fortgesetzte  Beobachtung  hat  gezeigt,  dass 
viele  Theile  der  Oberfläche  des  Planeten  ihre  Farbe  innerhalb  gewisser 
Grenzen  ändern  und  die  Sonnenstrahlen  je  nach  der  Zeit  mit  verschie- 
dener Intensität  zurückwerfen  können.  Die  Umrisse  der  dunklen 
Flecke  können  Verschiebungen  erleiden,  die  freilich  sehr  gering  im 
Vergleich  mit  den  Dimensionen  des  Planeten  und  der  Flecke  selbst, 
aber  gleichwohl  unzweifelhaft  sind,  und  dieselben  Umrisse  können 
auch  manchmal  mit  grösserer  und  manchmal  mit  geringerer  Schärfe 
begrenzt  sein.  Viele  feine  Einzelheiten  sind  in  gewissen  Epochen 
mehr  sichtbar  als  in  gewissen  anderen,  auch  wenn  man  von  dem 
unvermeidlichen  Einfluss  der  verschiedenen  Umstünde  der  Beob- 
achtungen absieht,  und  können  auch  relativ  bemerkenswertho  Aende- 
rungen  in  ihrem  Aussehen  erleiden,  die  jedoch  nicht  genügen,  um  die 
Identität  des  betrachteten  Gegenstandes  zweifelhaft  zu  machen.  End- 
lich hat  Mars  eine  Atmosphäre  und  über  seiner  Oberfläche  spielt  sich 
eine  Gesammtheit  von  Erscheinungen  ab,  die  man  nach  Analogie  mit 
irdischen  Verhältnissen  als  meteorologische  bezeichnen  kann,  obwohl 
sie  allem  Anschein  nach  sehr  verschieden  von  allen  derartigen  Phä- 
nomenen, die  wir  auf  der  Erde  beobachten,  angeordnet  sind.  Die  Ge- 
sammtheit aller  dieser  Abwechselungen  verleiht  dem  Studium  des  Pla- 
neten ein  viel  grösseres  Interesse,  als  wenn  alles  auf  ihm  unveränderlich 
und  unbeweglich  wäre.  Der  Planet  ist  keine  Wüste  trockenen  Gesteins, 
er  lebt,  und  die  Entwiokelung  seines  Lebens  offenbart  sich  in  einem  sehr 
complicirten  System  von  Erscheinungen,  und  ein  Theil  dieser  Erschei- 
nungen umfasst  Gebiete  von  genügender  Ausdehnung,  um  sie  den 
Erdbewohnern  sichtbar  zu  machen.  Da  giebt  cs  eine  ganze  Welt  von 
neuen  Dingen  zu  erforschen,  die  in  hervorragendem  Masse  geeignet 
sind,  die  Wissbegierde  der  Forscher  herauszul'ordern,  und  in  der  Arbeits- 
stoff  für  viele  Fernrohre  und  viele  Jahre  im  Ueberfluss  vorhanden 
sein  wird.  In  der  That  sind  diese  Erscheinungen  so  verschieden  und 
mit  unendlich  vielen  Kleinigkeiten  derart  vorwickelt,  dass  nur  ein  ge- 
naues und  vollständiges  Studium  derselben  wird  in  denselben  das 
Gesetzmüssige  erkennen  lassen  und  das  Mittel  geben,  mit  einiger 

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Wahrscheinlichkeit  bestimmte  Schlüsse  über  die  Ursachen  der 
Phänomene  und  die  physische  Beschaffenheit  des  Planeten  zu 
ziehen. 

Man  darf  sich  jedoch  nicht  verheimlichen,  dass  einem  solchen 
genauen  und  vollständigen  Studium  Schwierigkeiten  mannigfacher  Art 
in  den  Weg  treten.  Von  den  Veränderungen  an  der  Marsoberfläche 
sind  einige  langsamen  Charakters  (wie  z%  B.  die  periodischen  Zu-  und 
Abnahmen  der  weissen  Polarflecken)  und  die  Phasen  derselben  lassen 
sich  relativ  leicht  verfolgen.  Aber  es  giebt  noch  andere  raschere 
Veränderungen,  die  sich  im  Zeitraum  weniger  Tage  vollziehen,  und 
wieder  andere  gewissermassen  plötzliche,  deren  Wirkung  von  einem 
Tage  zum  andern  sehr  sichtbar  ist:  derartig  ist  z.  B.  das  räthselhafte 
Phänomen  der  Verdoppelungen.  Und  endlich  kommen  Erscheinungen 
vor,  deren  Periode  sich  augenscheinlich  nach  der  täglichen  Umdrehung 
des  Planeten  richtet.  Um  den  Mechanismus  aller  dieser  Veränderungen 
gut  zu  verstehen,  würde  es  nöthig  sein,  auf  dem  Mars  eine  Reihe 
ununterbrochener  Beobachtungen  anzustellen,  wenigstens  während  eines 
Zeitraums,  der  genügt,  um  den  Planeten  in  allen  Theilen  seines  tro- 
pischen Umlaufs  um  die  Sonne  prüfen  zu  können.  Diese  Bedin- 
gung wird  nicht  allein  durch  die  Nothwendigkeit  auferlegt,  die  nörd- 
lichen und  südlichen  Polarflecke  in  den  Epochen  zu  erforschen,  in 
denen  die  Neigung  der  Achse  am  günstigsten  ist,  sondern  auch  noch 
durch  die  wohl  nicht  mehr  zweifelhafte  Thatsache,  dass  ein  Theil  der 
in  Frage  stehendeu  Phänomene  sich  nach  der  Periode  der  Jahreszeiten 
des  Planeten  richtet. 

Nun  ist  freilich  eine  derartige  erschöpfende  Prüfung  überhaupt 
gar  nicht  möglich,  nicht  nur  für  einen  isolirten  Beobachter,  sondern 
auch  für  mehrere,  wenn  sich  dieselben  in  einer  enge  begrenzten  Region 
der  Erdoberfläche,  wie  in  Europa,  vereinigen  sollten.  Ich  werde  in 
Bezug  hierauf  dasjenige  sagen,  was  sich  aus  meiner  eigenen  Erfahrung 
ergiebt  An  den  so  spärlichen  Tagen,  an  denen  diese  höchst  schwie- 
rigen Beobachtungen  möglich  sind,  dauert  die  Periode  guter  Fernrohr- 
bilder im  allgemeinen  nicht  mehr  als  zwei  oder  drei  Stunden  in  der 
Abenddämmerung  und  im  Anfang  der  Nacht  Hieraus  folgt,  dass  es 
an  einem  gegebenen  Tage  selten  glücken  wird,  mit  genügender  Ix'ichtig- 
keit  mehr  als  ein  Viertel  der  Oberfläche  des  Planeten  beobachten  zu 
können.  Und  da  sich  ja  die  Rotation  dos  Mars  sehr  wenig  von  der 
der  Erde  unterscheidet,  so  vollzieht  sich  die  Veränderung  der  Gegenden, 
die  der  Beobachtung  zugänglich  sind,  langsam  von  einem  Abend  zum 
andern,  so  dass  ein  und  derselbe  Punkt  des  Planeten  acht  oder  zehn 
Abende  hinter  einander  beobachtet  werden  kann.  Dieser  Vortheil  wird 


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jedoch  durch  den  höchst  schwer  wiegenden  Nachtheil  aufgewogen, 
dass  die  Rückkehr  desselben  Anblicks  der  Flecke  zu  denselben 
Stunden  mittlerer  Sonnenzeit  sich  in  der  sehr  langen  Periode  von  un- 
gefähr 38  Tagen  vollzieht.  Folglich  wird  jenes  Gebiet,  das  man  8 
oder  10  Tage  lang  hinter  einander  hat  studiren  können,  (wenn  die 
irdische  Atmosphäre  es  gestattet  hat,)  nach  diesen  einen  ganzen  Monat 
lang  der  Beobachtung  unzugänglich  bleiben;  und  nach  seinem  Vor- 
übergang wird  eine  sorgfältige  Forschung  manchmal  sehr  bedeutende 
Veränderungen  zur  Gewissheit  machen,  deren  Epoche  anzugebeu  und 
deren  Gang  zu  studiren  nicht  möglich  gewesen  sein  wird.  Wenn 
dann  (wie  es  oft  geschieht)  in  den  acht  oder  zehn  Tagen,  die  zur  Er- 
forschung jenes  Gebiets  hätten  dienen  können,  das  Wetter  schlecht 
war,  so  werden  vielleicht  mehr  als  zwei  Monate  vergehen,  bevor  man 
dasselbe  von  neuem  prüfen  kann;  und  so  wird  es  sich  sogar  manchmal 
ereignen,  dass  eine  ganze  Opposition  vorübergeht,  ohne  dass  man 
günstige  Gelegenheit  gehabt  hat,  ein  gegebenes  Gebiet  ausreichend  zu 
erforschen.  Um  allen  diesen  Schwierigkeiten  zu  begegnen,  giebt  es 
nur  ein  einziges  Hilfsmittel,  nämlich  über  verschiedene  Stellen  der 
Erde  eine  gewisse  Zahl  von  Beobachtern  so  zu  vertheilen,  dass 
in  jedem  gegebenen  Augenblick  wenigstens  einer  von  ihnen  den 
Planeten  in  genügender  Höhe  und  zu  einer  Ortszeit  über  dem 
Horizonte  hat,  die  für  die  Erlangung  eines  guten  Bildes  desselben 
günstig  ist 

Dies  ist  indessen  noch  nicht  alles.  Man  kann  auf  dem  Mars  zweck- 
dienliche Beobachtungen  nur  dann  anstellen,  wenn  er  der  Erde  ge- 
nügend nahe  steht,  und  für  die  Erforschung  der  schwierigsten  Einzel- 
heiten (die  zugleich  die  interessantesten  sind)  muss  sein  scheinbarer 
Durchmesser  mindestens  10"  bis  12*  betragen.  Diese  Bedingung  ist 
nur  wenige  (drei  oder  vier)  Monate  hindurch  um  die  Oppositionszeiten 
herum  (d.  h.  wenn  Mars  der  Sonne  gerade  gegenübersteht)  erfüllt, 
welche  sich  nachher  nur  in  Zwischenräumen  von  ungefähr  26  Monaten 
wieder  darbieten.  Jede  Opposition  kann  uns  also  nur  über  den  Zustand 
des  Planeten  während  eines  geringen  Bruchtheils  seines  periodischen 
Umlaufs  in  Kenntniss  setzen.  Glücklicherweise  ist  dieser  Bogen  der 
Bahn  nicht  immer  derselbe,  weil,  wenn  eine  gegebene  Opposition  in 
einen  gewissen  Punkt  der  Marsbahn  fällt,  die  folgende  Opposition  in 
einem  um  ungefähr  48 0 heliocentrischer  Länge  weiter  vor  uns 
liegenden  Punkte  erfolgt.  Hieraus  ist  leicht  zu  ersehen,  dass,  um  den 
Planeten  unter  allen  möglichen  Neigungen  der  Achse  und  in  allen 
seinen  Jahreszeiten  zu  verfolgen,  ein  Cjclus  von  sieben  bis  acht 
Oppositionen  hinter  einander  nöthig  ist,  welcher  C.vclus  einmal  ums 


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andere  16  Jahre  datiert.3)  Wenn  nun  die  Erscheinungen  des  Mars 
alle  genau  periodisch  wären  und  sich  nach  der  tropischen  Umlaufszeit 
richteten,  so  Hesse  sich  hoffen,  eine  Geschichte  derselben  mit  ge- 
nügender Vollständigkeit  und  Genauigkeit  mit  den  über  einen  oder 
einige  jener  Cyclcn  ausgedehnten  Beobachtungen  zu  erlangen.  Wenn 
man  aber  nach  alle  dom  urtheilen  soll,  was  man  bisher  gesehen  hat, 
so  scheint  e6,  dass  die  angeführte  Periodizität  nur  im  grossen  und 
ganzen  stattfmde  und  in  Bezug  auf  die  kleinsten  Einzelheiten  nicht 
strenge  constaut  sei,  ungefähr  wie  es  mit  den  meteorologischen  Er- 
scheinungen auf  der  Erde  geschieht,  wo  die  Veränderungen  des 
Wetters  von  einem  Jahre  zum  andern  sich  nur  im  allgemeinen  gleichen. 
Und  auf  diese  Art  ist  es  möglich,  dass  die  Aufgabe,  eine  fortgesetzte 
und  zusammenhängende  Geschichte  der  Marsphänomene  zu  erlangen, 
nur  auf  unvollkommene  Weise  zu  lösen  sei. 

Dies  sind  Hindernisse  rein  astronomischen  Charakters.  Viel  schwer- 
wiegender noch  sind  diejenigen,  welche  von  der  schlechten  Beschaffen- 
heit des  Wetters  und  der  Ruhelosigkeit  der  irdischen  Lufthülle  abhiingen. 
Die  von  mir  hier  in  Mailand  gemachte  Erfahrung  zeigt,  dass  man  kaum 
alle  8 oder  10  Abende  hoffen  darf,  einmal  eine  hinreichend  gute  Atmos- 
phäre zu  haben,  und  manchmal  vergehen  volle  Monate,  ohne  dass  mau 
eine  genügende  Beobachtung  erlangen  kann.  Viel  seltener  noch  sind  die 
Abende  mit  vollkommen  guten  Bildern,  in  denen  man  die  ganze  Kraft 
eines  Instrumentes,  wie  es  unser  Merzscher  Achtzehnzöller  ist,  ausnutzen 
kunu.  Gleichwohl  steht  zu  erwarten,  dass,  wenn  man  etwas  besser,  als  es 
bisher  geschehen  ist,  die  Beschaffenheit  der  Klimate  in  Beziehung  auf 
die  Bestimmtheit  der  Femrohrbilder  studirl,  man  mit  der  Zeit  dahin 
gelangen  wird,  derartige  Hindernisse  auf  ein  Minimum  zu  reduciren. 
Schliesslich  hat  die  Erfahrung  gelehrt,  dass  die  Schwierigkeit,  die 
von  verschiedenen  Beobachtern  mit  verschiedenen  Instrumenten  er- 
langten Resultate  zusammen  zu  ordnen  und  unter  einander  vergleichbar 
zu  machen,  an  sich  ein  sehr  schwer  wiegendes  Hinderniss  bildet,  welches 
vielleicht  wird  verschwunden  können,  wenn  die  Himmelsphotographie 
bis  dahin  fortgeschritten  sein  wird,  dass  sie  sich  auf  so  feine  Einzel- 
heiten anwenden  lässt,  wie  jene,  die  wir  auf  dem  Mars  mit  unseren 
heutigen  guten  Fernrohren  enthüllen  können. 

Ich  habe  mir  erlaubt,  die  Schwierigkeiten,  welche  ein  sorgfältiges 
und  erschöpfendes  Studium  der  Marsphänomene  bietet,  so  weitläufig 
auseinanderzusetzen,  in  der  Absicht,  zum  Verständnis»  zu  bringen,  wie 
unvollständig  und  fragmentarisch  die  Resultate  eines  einzigen  Beobachters 

3)  Die  Periode,  welche  die  Opposition  des  Mars  zum  selben  Punkte  seiner 
Bahn  zurüekfiihrt,  beträgt  15,92  Jahre. 


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7 


sein  müssen,  selbst  wenn  er  mit  einem  ausgezeichneten  Instrumente 
versehen  und  entschlossen  ist,  alles  zu  opfern,  um  sich  keine  gute 
Gelegenheit  entgehen  zu  lassen.  Das  lässt  sich  in  erster  Linie  auf 
die  Resultate  anwenden,  von  denen  ich  auf  den  folgenden  Seiten  eine 
Zusammenstellung  zu  geben  wage,  und  über  welche  man  zum  grossen 
Theil  unglücklicherweise  keine  bestätigenden  oder  wenigstens  vergleich- 
baren Forschungen  von  anderen  Beobachtern  besitzt. 

II. 

Betrachtet  man  die  Regionen  des  Planeten  im  allgemeinen,  so 
kann  man  sie  in  zwei  Klassen  eintheilen.  Die  erste  ist  diejenige,  deren 
Theile  in  einer  hell  leuchtenden  Farbe  erscheinen,  welche  für  ge- 
wöhnlich dunkelgelb  oder  orange,  jedoch  zeitweilig  und  je  nach  der 
Oertlichkeit,  einerseits  wechseln  kann  zwischen  allen  Nuancen  von 
Gelb  bis  zum  reinen  Weiss,  andererseits  zwischen  allen  Tönen,  die 
zwischen  Rothorange  und  einem  tiefen  Roth  denkbar  sind,  das  man 
mit  dem  des  stark  gebrannten  Ziegelsteins  oder  vielleicht  besser  mit 
der  Farbe  von  stark  abgenutztem  Leder  vergleichen  kann.  Die 
zweite  Klasse  ist  diejenige  der  dunklen  Regionen,  welche  die  Flecken 
im  eigentlichen  Sinn  bilden,  und  deren  Grundfarbe  als  eine  Art 
Eisengrau  erscheint,  in  allen  irgend  möglichen  Abstufungen  von 
tief  Schwarz  bis  zu  einer  Farbe,  welche  sich  wenig  von  Aschgrau  unter- 
scheidet. Im  allgemeinen  machen  die  Regionen  der  zweiten  Klasse 
den  Eindruck  grösserer  Dunkelheit  als  die  ersteren,  aber  es  kommt 
auch  vor,  dass  in  dem  Farbenwechsel,  welohem  viele  Theile  des  Pla- 
neten unterworfen  sind,  die  Regionen  der  ersten  Kategorie  eine  ebenso 
tief  rothe  Färbung  und  jene  der  zweiten  Kategorie  einen  ebenso  hellen 
Ton  annehmen,  dass  man  nicht  sagen  kann,  ob  die  einen  oder  die 
andern  dunkler  sind:  mit  einem  Worte,  es  ist  dann  weniger  die  Rede 
von  verschiedener  Lichtintensität,  als  vielmehr  von  verschiedenen  Far- 
ben. Demungeachtet  bleibt  der  Unterschied  zwischen  beiden  Arten  von 
Regionen  ziemlich  permanent,  mit  einigen  Ausnahmen,  auf  welche 
wir  später  zurückkommen  werden.  Und  auf  diese  Unterscheidungen 
stützen  sich  die  Benennungen  .Länder"  oder  .Continente“,  welche  in 
den  Mars-Karten  den  Gebieten  der  ersten  Art  gewöhnlich  beigelegt 
werden,  und  „Meere",  welche  den  Gebieten  der  zweiten  Art  gegeben 
sind.  Bei  dem  gegenwärtigen  Stande  unserer  Kenntniss  von  der  phy- 
sischen Beschaffenheit  des  Planeten  dürfen  solche  Benennungen  nur 
als  Hilfsmittel  für  unser  Gedäehtniss  betrachtet  werden,  und  als  eine 
Art,  den  Vortrag  klarer  und  priiciser  zu  machen,  gerade  wie  es  mit 
den  sogenannten  Meeren  des  Mondes  der  Fall  ist  Es  genügt,  einen 


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Blick  auf  die  diesem  Artikel  beigefüg^ten  Karten  zu  werfen,  um  zu 
begreifen,  welche  Leichtigkeit  und  Genauigkeit  des  Verständnisses  man 
erlangt,  indem  man  zum  Beispiel  eine  kleine  gelbe  Stelle,  welche  rings 
von  dunklen  Stellen  umgeben  ist,  „Insel“,  oder  eine  kleine  dunkle 
Stelle,  welche  rings  von  hellen  Stellen  umgeben  ist,  „See“  nennt;  oder 
„Meerenge“  eine  schmale  und  lange  Zone  zwischen  zwei  gelben 
Gebieten;  oder  „Landenge“  eine  enge  gelbe  Zone  zwischen  zwei 
dunklen  Theilen.  Ebenso  ' schnell  werden  sich  unserer  Einbildungs- 
kraft die  entsprechenden  Begriffe  für  „Meerbusen“,  „Vorgebirge“, 
„Halbinsel“,  „Canal“  etc.  einprägen,  deren  Bezeichnung  sich  sonst 
nur  auf  sehr  unbequeme  und  ungenaue  Weise  durch  Umschreibungen 
geben  liesse.  Für  jetzt  ist  es  also  zweckmässig,  für  den  Mars  Bezeich- 
nungen geographischer  Begriffe  in  derselben  Weiso  zu  adoptiren,  wie 
dieses  bei  dem  Monde  geschehen,  indem  wir  es  dabei  einem  genaueren 
und  vollständigeren  Studium  des  Thatsächlichen  überlassen,  zu  ent- 
scheiden, ob  und  bis  zu  welchem  Punkte  und  unter  welchen  Bedin- 
gungen jene  Namen  für  den  Mars  der  Wirklichkeit  oder  einer  An- 
näherung an  die  Wirklichkeit  entsprechen.4) 

Der  Complex  der  Oberflächentheile  der  beiden  Klassen,  welche 
wir  unter  der  angeführten  Reserve  Meere  und  Continente  nennen 
werdon,  nimmt  den  grössten  Theil  des  Planeten  ein.  Eis  giebt 
aber  verschiedene  Regionen,  die,  so  viel  wir  bis  jetzt  wissen  kön- 
nen, wenig  ausgedehnt  sind,  deren  Natur  wechselt,  weil  sie  zu- 
weilen den  Charakter  von  Meeresflächen,  zuweilen  von  Continenten, 
zuweilen  selbst  von  beiden  zu  gleicher  Zeit  repräsentiren.  Solche 
sind  unter  anderen  im  „Mare  Erythraeum“  die  beiden  mit  „Deu- 
calionis  regio“  und  „Pyrrhae  regio“  bezeichneten  Zonen  und  die 
„Hellas“  und  „Noachis“  genannten  Inseln.  Von  dieser  Natur  sind 
auch  in  der  „Syrtis  magna“  die  Inseln  „Japygia“  und  „Oenotria“  und  im 
allgemeinen  alle  jene  Meerestheile,  welche  auf  der  Karte  eine  hellere 
Farbe  als  der  übrige  Theil  haben.  Das  „Mare  Cimmerium“  und  das 
„Mare  Acidalium“  haben  jedes  in  ihrer  Mitte  eine  derartige  Fläche. 
Solche  Regionen  können  je  nach  den  verschiedenen  Stellungen  und 
Gesichtswinkeln  ganz  oder  zum  grossen  Theil  die  verschiedenen 
Farbennüancen  zeigen,  welche  auf  den  Continenten  so  wie  auf  den 
Meeren  des  Mars  zu  beobachten  sind,  indem  sie  derart  eine  Reihe  von 

*)  Die  auf  unsere  beiden  Planigloben  eingezeichneten  Namen  sind  die- 
selben, von  welchen  ich  in  meinen  Abhandlungen  über  Mars,  veröffentlicht  in 
den  Atti  deH’Academia  dei  Lincei,  Gebrauch  gemacht  habe.  Sie  müssen  als 
provisorisch  betrachtet  werden.  Hoffen  wir,  dass  mit  der  Zeit,  wenn  der  Planet 
besser  bekannt  sein  wird,  alle  Areographen  eine  übereinstimmende  passende 
und  besser  erwogene  Nomenklatur  festzustellen  im  stände  sein  werden. 


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Uebergängen  von  erstereu  zu  den  letzteren  bilden.  Ihr  Charakter 
scheint,  so  weit  ich  bis  jetzt  beobachten  konnte,  nicht  unter  einander 
gleich  zu  sein.  Einige  scheinen  sich  mehr  der  Natur  der  Meere 
andere  hingegen  jener  der  Continente  zu  nähern.  Die  Begrenzung 
zwischen  solchen  Regionen  und  den  Continenten  und  umgebenden 
Meeren  ist  nicht  immer  bestimmt,  sondern  oft  gehen  dieselben  durch 
unmerkliche  Abstufungen  von  Licht  und  Farbe  in  einander  über,  so 
wie  es  in  unseren  Karten  an  verschiedenen  Beispielen  zu  sehen  ist. 

Eine  der  hervorragendsten  ist  „Deucalionis  regio“,  welche  in 
einer  zu  einem  rechten  Winkel  umgebogenen  Halbinsel  sich  im  „Mare 
Erythraeum“  ausbreitet.  Sie  ist  scharf  begrenzt  auf  der  an  den  Con- 
tinent  stossenden  Seite,  während  sie  sich  auf  allen  andern  Seiten  allmählich 
in  Schatten  verliert  Ihre  Farbe  hält  die  Mitte  zwischen  derjenigen 
der  Continente  und  jener  der  Meere  und  ist  bald  gelblicher,  bald  mehr 
ins  Graue  spielend.  In  der  Nähe  des  Randes  sah  man  sie  bisweilen  eine 
weissgraue  Färbung  annehmen.  Immerhin  jedoch  schien  sie  mir  hell 
genug,  um  sie  auf  dem  umgebenden  dunklen  Grunde  deutlich  zu  er- 
kennen. Ein  Gleiches  kann  man  von  der  „Pyrrhao  Regio“  nicht  sagen, 
welche  so  dunkel  werden  kann  (besonders  in  dem  nahe  dem  Continent 
gelegenen  Theile),  dass  man  sie  zu  Zeiten  nicht  vom  Grunde  des  „Mare 
Erythraeum“  unterscheiden  kann.  Mehr  als  alle  andern  in  dieser  Hin- 
sicht bemerkenswert!!  ist  die  „Insula  Cimmeria“,  ein  langer  Streifen, 
welcher  auf  Tafel  II  einen  bedeutenden  Theil  des  „Mare  Cimmerium“ 
der  Länge  nach  einnimmt  Im  Jahre  1877 s)  erschien  dieses  ganze 

h)  Ea  dürfte  den  Leser  interesairen  zu  erfahren,  welche  Stellung  des 
Mars  mit  jeder  der  verschiedenen  Beobachtungen,  von  denen  in  diesem  Artikel 
die  Rede  ist,  correspondirt  Man  kann  das  leicht  aus  nachfolgender  Tafel  ersehen, 
welche  die  Epochen  der  Solstitien  und  der  Aequinocticn  des  Mars  für  den 
ganzen  Zeitraum  meiner  Beobachtungen  von  1877 — 88  angiebt. 

1877  27.  Sept.  Süd  Solsliz.  1883  19.  Mai  Süd  Solstiz. 

1878  6.  März  Aequinoct.  j 1883  26.  Octob.  Aequinoct 

1878  21.  Sept.  Nord  Solatiz.  1884  13.  Mai  Nord  Solstiz. 

1879  22.  März  Aequinoct.  1884  10.  Nov.  Aequinoct. 

1879  14.  Aug.  Süd  Solstiz.  • 1886  5.  April  Süd  Solstiz. 

1880  22.  Jan.  Aequinoct.  j 1885  12.  Septb.  Aequinoct. 

1880  8.  Aug.  Nord  Solstiz.  1886  31.  März  Nord  Solstiz. 

1881  6.  Febr.  Aequinoct  1886  28.  Sept.  Aequinoct. 

1881  2.  Juli  Süd  Solstiz.  1887  21.  Febr.  Süd  Solstiz. 

1881  9.  Decbr.  Aequinoct.  1887  31.  Juli  Aequinoct. 

1882  26.  Juni  Nord  Solstiz.  1888  16.  Febr.  Nord  Solstiz. 

1882  25.  Decbr.  Aequinoct.  1888  15.  Aug.  Aequinoct. 

In  den  sechs  von  mir  angeführten  Oppositionen  sind  die  Perioden  der 
wirklich  brauchbaren  Beobachtungen  folgende: 

Opp.  1877  Sept  u.  Octob.  Opp.  1884  Jan.,  Febr.  u.  März. 

* 1879  Octob*.,  Nov.  u.  Decbr.  „ 1886  März  u.  April. 

* 1881  — 82  Docb.,  Jan.  u.  Febr.  , 1888  Mai  u.  Juni. 


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Meer  von  sehr  dunkler  Farbe  und  wurde  sogar  damals  als  eine  der 
dunkelsten  Stellen  auf  der  ganzen  Marsoberfläche  bezeichnet  Im 
Jahre  1879  war  dort  keinerlei  Veränderung  wahrzunehmen,  und  es 
wurde  nur  bemerkt,  dass  die  Farbe,  obgleich  immer  noch  sehr  dunkel, 
es  jedoch  weniger  war,  als  im  Jahre  1877.  Noch  gegen  Ende  des 
Jahres  1881  machte  dieser  Fleck  mit  dem  sie  umschliessenden  Selb 
den  lebhaftesten  Contrast.  Am  3.  Februar  1882  aber,  als  jener  Theil 
des  Planeten  sichtbar  wurde,  sah  man  zum  ersten  Male  einen  langen 
Streifen  von  gelbbrauner  Farbe  wie  ein  Komet  geformt,  welcher  sich 
zwischen  dem  205°  und  235°  Länge  über  mehr  als  30°  ausdehnte. 
Diese  Beobachtung  wurde  an  den  aufeinander  folgenden  Tagen  des 
4.,  5.,  6.  und  7.  Februar  deutlich  wahrgenomtncn,  während  später 
sich  keine  Gelegenheit  bot,  jene  Oertlichkeit  gut  zu  beobachten. 
Während  der  Opposition  von  1884  findet  man  über  die  „Insula  Cira- 
moria“  in  meinen  Tagebüchern  gar  keine  Erwähnung  mehr.  In  den 
Jahren  1886  und  1888  war  jene  Gegend  unter  sehr  schiefem  Winkel 
zu  sehen,  weshalb  die  Beobachtungen  keine  grosse  Genauigkeit  boten; 
der  erhaltene  Eindruck  war  der,  dass  die  „Insula  Cimmeria“  sicht- 
bar war. 

Verwickelter,  aber  nicht  weniger  bemerkenswert!! , sind  die 
Veränderungen  der  grossen  „Hellas“  benannten  Insel.  Im  Jahre  1877, 
gegen  die  Zeit  des  Südsolstitiums  des  Mars  bildete  diese  Gegend 
eine  runde  oder  sehr  wenig  längliche  Insel  von  ganz  regelmässiger 
Rundung,  deren  Durchmesser  nicht  w'eniger  als  30°  des  grössten 
Kreises  auf  dem  Mars  betrug.  Ihre  Farbe  war  für  gewöhnlich 
gelb  und  glänzender,  wenn  sie  sich  mehr  am  Rande  der  Scheibe 
als  gegen  den  mittleren  Meridian  hin  befand.  Einmal  (am  16.  Docem- 
ber  1877)  habe  ich  sie  fast  so  weiss  und  leuchtend  gesehen  wie  die 
Polargegend;  am  21.  December  jedoch  war  die  ursprüngliche  Farbe 
bereits  wieder  hergestellt.  Während  der  Opposition  1879  — 1880 
hatte  sie  noch  eine  annähernd  runde  Form,  aber  statt  einer  glänzenden 
Oberfläche  zeigte  sich  ein  getrübter  und  ungleichmässiger  Glanz,  der 
nach  dem  oberen  linken  Theile  zu  (im  umgekehrten  teleskopischen 
Bilde)  matter  wurde.  Sie  war  von  zwei  deutlich  sichtbaren  Canälen  oder 
dunklen  Streifen  durchkreuzt,  deren  einer  etwa  dem  Meridian,  deren 
anderer  dem  Parallelkreise  parallel  lief.  (Von  diesen  Canälen  wurde 
im  Jahre  1877  nur  der  erstere  schwach  gesehen.)  So  erschien  die  Insel 
in  vier  Quadranten  getheilt,  von  denen  im  Januar  1880  nur  die  unteren 
zwei  gelb  waren,  während  die  anderen  eine  sehr  viel  dunklere  Färbung 
hatten;  von  letzteren  wiederum  war  der  linke  dunkler  als  der  rechte. 
Auch  in  dieser  Opposition  (1879 — 1880)  zeigte  sich  „Hellas“  glänzen- 


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der  (zuweilen  weiss)  gegen  den  Rand  als  gegen  die  Mitte  der  Scheibe 
hin.  — Nach  dem  Augenmass  erschien  sie  1879—80  ein  wenig  kleiner 
als  1877.  — Während  der  Opposition  1881 — 1882  zeigte  es  sich,  dass 
sie  bedeutend  an  Glanz  verloren  hatte;  ihre  Farbo  war  hellaschgrau,  die 
Umrisse  unbestimmt,  und  zuw'eilen  erschien  sie  nur  als  eine  ver- 
schwommene Wolke.  Nur  in  wenigen  Fällen  und  gegen  den  mittleren 
Meridian  hin  nahm  sie  eine  gelbbraune  Farbe  an,  wie  die  „Regio 
Deucalionis“.  Noch  wurde  sie  von  den  beiden  gekreuzten  Canälen 
getheilt,  aber  ihre  Dimensionen  waren  sehr  vermindert,  and  das  Meer 
hatte  ihre  Grenzen  an  verschiedenen  Stellen  mehr  oder  weniger  ein- 
genommen, so  dass  sie  in  eine  trapezoide  Form  umgewandelt  erschien, 
deren  Ecken  abgerundet  waren,  wie  in  Tafol  I und  II  zu  sehen  ist.  — 
ln  den  folgenden  Oppositionen  zeigte  sich  „Hellas“  in  immer  schieferer 
I^age  zur  Gesichtslinie;  sie  erschien  gewöhnlich  als  ein  weisslicher 
Fleck  von  nebligem  Aussehen  und  wenig  bestimmter  Form.  Ihr  Durch- 
messer betrug  gewiss  nicht  mehr  als  12 — 15°.  Zuweilen  weisser  und 
glänzender  als  gewöhnlich,  hätte  inan  sie  mit  dem  südlichen  Polar- 
Ueck  vertauschen  können. 

Auch  die  „Libya"  benannte  Gegend  scheint  in  gewisser  Hinsicht 
zur  Gattung  der  zuvor  beschriebenen  Regionen  zu  gehören;  sie  befindet 
sich  unter  dem  Aequator  und  kann  deshalb  mit  Leichtigkeit  bei  allen 
Oppositionen  beobachtet  werden,  welches  auch  immer  die  Neigung  der 
Achse  dos  Plauoten  sein  mag.  Diese  Gegend  hatte  im  Jahre  1877  gegen 
das  „Mare  Tyrrhenum“  und  die  „Syrtis  magna"  hin  eine  von  einem 
eleganten  und  regelmässigen  Bogen  gebildete  Begrenzung,  die  gegen 
Nonien  in  einer  langen  und  dünnen  Spitze  ihren  Abschluss  fand  (Osi- 
ridis  promontorium).  Die  Oberfläche  dieser  Spitze  war  von  einem 
Schatten  bedeckt,  welcher  um  so  stärker  wurde,  jemehr  er  sich  dem 
äussersten  Ende  näherte.  Gegen  Norden  war  die  „Libya“  von  einem 
beinahe  halbkreisförmigen  Canal  begrenzt  (Nepenthes),  auf  dessen  Mitte 
oder  Scheitelpunkt  etwas  wie  ein  grosser  dunkler  Punkt  sichtbar  wurde, 
welchem  ich  den  Namen  „Lacus  Moeris“  gab.  (Siehe  Abbildung  auf 
Seite  12.)  Im  Jahre  1879  fand  ich,  dass  ein  Theil  der  „Libya“  von  der 
„Syrtis  Magna“  eingenommen  war,  so  dass  letztere  bis  an  die  Linie 
A B reichte;  die  Strecke  der  „Libya“  rechts  der  Linie  A B ursprüng- 
lich von  gelber  Farbe,  war  völlig  schwarz  geworden  und  in  der 
grossen  Dunkelheit  des  benachbarten  Golfes  verschwunden:  das  „Pro- 
montorium Osiridis“  also  abgeschnitten  und  gleichsam  in  nichts  ver- 
sunken, der  Lauf  des  „Nepenthes“  war  ubgekürzt  und  seine  Mündung 
nach  B verlegt,  das  Ufer  an  der  „Syrtis  Magna“  zu  einer  anderen 
Krümmung  reducirt  und  dem  „Lacus  Moeris“  bedeutend  näher  ge- 


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rückt  Endlich  war  der  verwaschene  Schatten,  welcher  1877  das  „Osiridis 
promontorium“  bedeckte,  bis  zur  Mitte  der  „Libya“  vorgeschritten, 
indem  er  zugleich  den  „Lacus  Moeris“  einhüllte,  der  vorher  ganz 
ausserhalb  desselben  lag.  Der  übrige  Theil  der  „Libya“  (d.  h.  die 
linke  Hälfte)  hatte  eine  viel  dunklere  rothe  Farbe  als  während  der  vor- 
hergehenden Opposition.  In  den  Jahren  1881 — 82  schienen  mir  die  Dinge 

ungefähr  auf  demsel- 
ben Punkte  zu  stehen; 
ich  bemerkte,  dass  die 
Oberfläche  der  „Libya“, 
immer  ins  Rothe  gehend, 
etwa  aussah  wie  ein  rau- 
hes Gewebe,  welches  den 
Eindruck  machte,  als  ob 
es  voller  ganz  kleiner 
Flecke  wäre,  die  jedoch 
nicht  deutlich  von  ein- 
ander zu  trennen  waren. 
Bei  der  Opposition  von 
1884  war  das  Ueber- 
treten  der  „Syrtis“  weiter 
fortgeschritten  bis  zur 
Linie  C D F,  wie  aus  der 
Zeichnung  zu  ersehen  ist, 
sodass  sie  die  „Libya“  um 
ein  grosses  Gebiet,  wie 
auch  die  „Regio  Isidis“ 
um  ein  geringes  verkleinert  hatte.  Der  „Lacus  Moeris“,  welcher 
sich  im  Jahre  1877  in  der  Mitte  des  „Nepenthes“  befand,  lag  nunmehr 
fast  unmittelbar  an  dessen  Mündung.  Statt  eines  schön  gekrümmten 
Bogens  bildete  die  „Libya“  zwischen  der  „Syrtis  Magna“  und  dem 
„Mare  Tyrrhenum“  einen  Vorsprung,  welcher  nunmehr  einem  Winkel 
mit  abgestumpfter  Ecke  glich.  Auch  im  Jahre  1884  behielt  sie,  ab- 
gesehen von  der  dunkleren  Farbe,  welche  sie  vor  den  uraschliessen- 
den  Continenten  auszeichnete,  das  gewebeartigo  oder  flockige  Aussehen, 
gerade  als  ob  jenes  Gebiet  von  unzähligen  kleinen  Flecken  bedeckt 
wäre,  welche  in  einander  verschwammen.  — Während  der  Opposition 
von  1886  erschien  mir  die  Sachlage  iin  allgemeinen  von  der  1884  be- 
obachteten nicht  verschieden;  ich  muss  jedoch  bemerken,  dass  die 
Beobachtungen  dieses  Theiles  vom  Wetter  nicht  sehr  begünstigt  waren. 
Im  Mai  1888  endlich  erschien  die  „Libya“  nahe  dem  mittleren 


Die  Landschaft  Libya  auf  dem  Planeten  Mars. 

Beobachtet  von  J.  V.  8chiaparelli. 


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Meridian  sehr  verdunkelt,  wie  solches  auch  bei  den  von  Herrn  Perrottin 
in  Nizza  gemachten  Beobachtungen  zu  sehen  ist6)  In  der  Nähe 
des  rechten  Randes  der  Marsscheibe  jedoch  war  sie  in  den  Tagen 
des  6.,  7.  und  8.  Mai  von  schmutzig  weisslicher  Farbe,  welche  Er- 
scheinung die  Uebereinstimmung  dieser  Region  mit  anderen  kurz  zu- 
vor besprochenen  vervollständigt  Der  „Lacus  Moeris“  blieb,  wenn- 
gleich nur  sehr  schwer,  sichtbar;  er  befand  sich  ganz  nahe  an  der 
rechten  unteren  Ecke  der  „Libya“,  nahe  bei  der  Mündung  des„Nepenthes“ 
in  der  „Syrtis  Magna“.  Zu  verschiedenen  Malen  zeigte  sich  die  „Isidis 
Regio“  (unterhalb  des  „Nepenthes“)  sehr  hell,  und  der  Contrast 
mit  der  bräunlichen  Farbe  der  „Libya“  wurde  dadurch  um  so  auf- 
fälliger. Während  dieser  selben  Opposition  war  die  Farbe  der  „Syrtis 
Magna“  nicht  so  schwarz  wie  bei  den  vorangegangenen  Oppositionen 
von  1877—1884,  sondern  von  einem  mehr  hellen  Grau  (ausser  in 
einigen  kleinen  Streifen,  auf  welche  näher  einzugehen  jetzt  nicht  an- 
gezeigt ist),  so  dass  zwischen  der  „Libya“  und  der  „Syrtis  Magna“ 
wohl  eigentlich  kein  grosser  Unterschied  in  Bezug  auf  Helligkeit  be- 
stand, wenn  auch  die  Färbung  nicht  dieselbe,  und  die  Grenzlinie 
zwischen  beiden  immer  ziemlich  deutlich  war. 

Ich  könnte  aus  meinen  Tagebüchern  mehrere  andere  Berichte 
von  analogen  Fällen  ausziehen;  aber  die  beiden  angeführten  Bei- 
spiele von  „Hellas“  und  „Libya“  ^dürften  einen  hinreichenden  Be- 
griff von  dieser  Art  von  Veränderungen  geben.  Die  Reihenfolge  der 
berichteten  Ereignisse  ist  in  beiden  Fällen  in  der  Zeit  zwischen  den 
sechs  Oppositionen,  welche  elf  Jahre  umfassen,  beobachtet  worden. 
Man  möge  jedoch  hieraus  nicht  den  Schluss  ziehen,  dass  diese  Um- 
wälzungen langsame  und  von  säcularer  Natur  d.  h.  von  langen  Perioden 
seien.  Vielmehr  ist  es  möglich,  ja,  in  einzelnen  Fällen  sehr  wahr- 
scheinlich, dass  die  angeführten  Thatsachcn  sich  bei  jeder  Umdrehung 
des  Mars  periodisch  wiederholen.  Da  aber  jede  Opposition  des 
Mars  diesen  an  einem  um  48°  der  Länge  gegen  die  vorhergehende 
Opposition  vorgeschrittenen  Punkte  der  Bahn  finden  lässt,  (wie  man 
oben  gesehen  hat.)  so  sind  von  einer  Opposition  zur  anderen  die 
Jahreszeiten  des  Planeten  um  circa  ein  Achtel  der  ganzen  Periode  fort: 
geschritten;  und  dadurch  ist  uns  die  Möglichkeit  geboten,  die  Er* 
scheinungen  auf  dem  Mars  Schritt  für  Schritt  zu  verfolgen,  obgleich 
ja  allerdings  ein  Theil  der  beobachteten  Erscheinungen  einer  Um- 
drehung, und  der  folgende  der  nächsten  Umdrehung  angehört.  Auf 
gleiche  Weise  könnte  ein  Meteorologe  die  jährliche  Bewegung  des 

•)  Comptes  Rendus  de  l'Acad&nie  des  Sciences  14.  Mai,  18.  Juni  und 
16.  Juli  1888. 


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14 


Klimas  einer  Region  studiren,  indem  er  die  Beobachtungen  der  ein- 
zelnen Monate  auf  verschiedene  Jahre  vertheilt  und  zum  Beispiel  seine 
Notirungen  im  Januar  1888,  im  Februar  1889,  im  März  1890  u.  s.  w. 
und  die  letzten  im  December  1899  macht. 

UI. 

Die  in  den  Gebieten  zweifelhaften  Charakters  bemerkte  Eigentüm- 
lichkeit, dass  sie  manchmal  in  den  schiefen  I^agen  in  der  Nähe  der 
Ränder  des  Planeten  heller  sind  als  im  Centralmeridian,  erstreckt  sich 
auch  auf  einige  Gebiete  von  rein  continentalem  Charakter.  In 
dieser  Hinsicht  sind  die  beiden  polygonalen  oder  fast  runden  Gebiete, 
welche  auf  der  Karle  mit  den  Namen  „ Elysium“  und  „Tempe“  be- 
zeichnet sind,  einer  besonderen  Hervorhebung  würdig.  Viel  häufiger 
werden  diese  Gebiete  weiss  mit  einem  mehr  oder  weniger  leuchtenden 
Glanze,  wenn  sie  auch  immer  viel  weniger  als  die  weissen  Polargebiete 
glänzen.  Aber  ein  derartiges  Weiss  ist  häufiger,  wenn  diese  Regionen 
in  der  Nähe  des  Randes  der  Marsscheibe  sich  befinden,  und  oft  habe 
ich  es  selbst  dann  beobachtet,  wenn  wenige  Stunden  vorher  oder  nach- 
her dieselben  Gebiete  bei  ihrem  Durchgänge  durch  den  Centralmeridian 
nichts  Ungewöhnliches  gezeigt  hatten.  Ganz  besonders  interessant  sind 
die  analogen  Veränderungen  der  Insel  - Argvre”,  die  zu  gewissen 
Gelegenheiten  am  Rande  so  glänzend  geworden  ist,  dass  sie  die  Be- 
obachter täuschte,  welche  oft  geglaubt  haben,  in  ihr  einen  Polarfleck 
wahrzunehmen.  Diese  Insel  und  ihr  starker  Glanz  war  bereits  von 
Dawes  im  Jahre  1862  bemerkt  worden  und  sie  wird  von  den  eng- 
lischen Marsforschern  mit  dem  Namen  „Dawes’  Snow  Island“  be- 
zeichnet. In  der  Nähe  des  Centralmeridians  habe  ich  sie  dagegen 
oft  von  gelber  und  auch  von  dunkelrother  Farbe  gesehen.  Für 
ähnlich  halte  ich  die  Natur  der  anderen  kleineren  und  südlicheren 
Nachbarinsel,  die  auf  der  Karte  mit  dem  Namen  „Argvre  II“  be- 
zeichnet ist,  deren  Dasein  sich  mir  am  8.  November  1879  offenbarte, 
als  sie  am  linken  Marsrande  nur  wenig  schwächer  als  das  Polargebiet 
erglänzte,  während  sie  sich  beim  Durchgang  durch  den  Centralmeridian 
von  trüber  rother  Farbe  und  von  sehr  geringer  Helligkeit  zeigte. 

Ausser  diesen  Farbenänderungen,  die  von  der  täglichen  Um- 
drehung abhüngen,  bemerkt  man  in  den  continentalen  Gebieten  noch 
andere  ähnliche  Aenderungen  von  langsamerem  Charakter,  welche 
manchmal  sehr  ausgedehnte  Regionen  umfassen.  So  z.  B.  leuchtete 
in  den  Jahren  1877  — 79  die  ganze  grosse  Region,  die  unter  dem  „Mare 
Sirenum“  zwischen  den  Meridianen  von  120°  und  170°  sich  bis  40° 
nördlicher  Breite  erstreckt,  weit  mehr  als  die  anderen  continentalen 


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15 


Gebiete,  besonders  in  dem  oberen  dem  eben  genannten  Meere  benach- 
barten Theile.  Spuren  von  dunkleren  Streifen  waren  ausserordentlich 
unbestimmt  und  schwer  erkennbar.  Im  Jahre  1882  erschien  dieser 
Theil  mehr  gelb,  und  es  war  möglich,  darin  (obschon  mit  grosser  Mühe) 
ein  verwickeltes  System  dunkler  Linien  zu  erkennen,  wie  auch  (obwohl 
weniger  vollkommen)  in  den  Jahren  1884  und  1886.  Dagegen  war 
dieselbe  Region  im  Jahre  1888  von  neuem  heller  und  weisser,  und 
nicht  ohne  Mühe  war  es  möglich,  eine  Spur  der  in  den  vorhergehen- 
den Oppositionen  beobachteten  Linien  zu  erkennen. 

Zu  dieser  Klasse  gehören  auch  die  von  mir  in  den  Jahren 
1877 — 82  über  einen  kleinen  hellweissen  Fleck  angeslellten  Beobach- 
tungen, welcher  an  dem  linken  Ende  des  „Xepenthes“  unter  einer 
Länge  von  269°  und  unter  einer  nördlichen  Breite  von  17°  lag.  Ich 
sah  diesen  Fleck  zum  ersten  Mal  am  14.  September  1877  unter  einem 
Durchmesser  von  ungefähr  8"  und  in  beinahe  quadratischer  Gestalt;  er 
war  glänzender,  als  irgend  ein  anderer  Theil  des  Planeten,  dabei  wohl 
begrenzt,  und  ich  habe  kein  Bedenken  getragen,  ihn  an  Weisse  mit 
den  südlichen  Polarflecken  zu  vergleichen;  er  war  noch  am  darauf- 
folgenden 14.  October  sichtbar.  Genau  dasselbe  an  derselben  Stelle 
wurde  während  der  folgenden  Opposition  vom  November  1879  bis  zum 
Januar  1880  beobachtet:  die  Grösse  war  ungefähr  dieselbe,  nur  erschien 
mir  seine  Figur  beinahe  rund.  Erstaunt  über  seine  Beständigkeit 
gab  ich  ihm  den  Namen  „Nix  Atlantiea“.  In  der  Opposition  1881 — 82 
wurde  er  von  neuem  gesehen,  vom  November  bis  zum  Marz  jedoch 
nicht  immer  mit  gleicher  Leichtigkeit;  er  zeigte  Unterschiede  im  Aus- 
sehen und  Schwankungen  im  Glanz,  die  vielleicht  nicht  immor  dem 
verschiedenen  Zustande  des  Femrohrbildes  zuzuschreiben  waren.  Aber 
in  den  folgenden  Oppositionen  habe  ich  ihn  vergeblich  aufgesucht,  und 
er  war  auch  im  gegenwärtigen  Jahre  wieder  unsichtbar.  Wenn  sein  Er- 
scheinen sich  nach  derPeriode  der  Jahreszeiten  des  Mars  richtet,  so  sollten 
wir  erwarten,  ihn  in  den  Oppositionen  1892 — 97  wieder  zu  sehen, 
und  es  lässt  sich  leicht  beurtheilen,  von  welcher  Wichtigkeit  sein 
Wiedererscheinen  für  die  Erforschung  der  physischen  Konstitution 
des  Planeten  würde  worden  können.  — Es  zeigte  sich  auch  noch  ein 
ähnlicher,  wiewohl  viel  kleinerer  und  schwieriger  zu  sehender  Fleck 
(„Nix  Olympica“)  mit  grosser  Dauerhaftigkeit  während  der  Opposition 
von  1879  an  der  mit  129°  Länge  und  21°  nördlicher  Breite  bezeich- 
neten  Stelle;  sein  Durchmesser  konnte  4"  oder  nicht  viel  mehr  be- 
tragen. Er  ward  in  anderen  Oppositionen  nicht  gesehen,  weder  vorher 
noch  später.  Andere  Flecke  von  mehr  oder  weniger  lebhafterem  und 
mehr  oder  weniger  reinerein  Weiss  pflegen  sich  bald  hier,  bald  dort  in 


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verschiedenen  Theilen  der  continentalen  Gebiete  zu  zeigen,  im  allge- 
meinen wenige  Tage  lang  und  ohne  irgend  welches  in  die  Augen 
fallende  Gesetz.  Das  hat  sich  wälirend  der  letzten  Oppositionen 
öfters  längs  des  rechten  Ufers  der  „Syrtis  Magna“  ereignet,  und  an  der 
Küste,  die  von  diesem  zum  „Sinus  Sabaeus“  geht,  sowie  an  mehreren 
anderen  Stellen.  Manchmal  zeigt  sich  ein  bemerkenswerther  Theil 
der  Planetenscheibe  mit  weissen  Flecken  gesprenkelt,  wie  es  z.  B. 
am  18.  und  19.  Januar  1882  in  den  Ländern  zwischen  dem  „Ganges“ 
und  der  „Iris-  und  am  31.  Januar  desselben  Jahres  in  dem  zwischen 
„Nilosyrtis“  und  „Indus“  enthaltenen  Raume  sich  ereignet  hat;  auch 
ist  es  vorgekommen,  dass  weisse  Streifen  sich  in  der  Gestalt  von 
regelmässigen  Gürteln  mit  gleichförmiger  Breite,  die  etwas  schief  von 
Nordost  nach  Südwest  unter  geringer  Neigung  gegen  die  Meridiane 
gerichtet  waren,  ausbreiteten:  Erscheinungen,  über  welche  mehr  ins 
Einzelne  gehende  Bemerkungen  in  meiner  dritten  Denkschrift  nach- 
zulesen sind.5) 

Auch  die  Meere  bieten  sehr  merkliche  Aenderungen  in  der 
Färbung,  aber  langsamer  und  regelmässiger.  Soweit  die  von  mir 
angestellten  Studien  gelangt  sind,  wage  ich  zu  behaupten,  dass  sie 
beim  Uebergang  vom  Centralmeridian  zu  den  schiefen  Stellungen  unter 
dem  Einfluss  der  täglichen  Bewegung  ihre  Farbe  nicht  wechseln. 
Wieder  und  wieder  habe  ich  die  Farbenänderungen  der  Insel  „Argyre“ 
verfolgt,  die  mit  zunehmender  Schiefe  der  Gesichtslinie  von  dunkel- 
roth  zum  glänzendsten  Weiss  überging,  ohne  dass  irgend  welcher 
Wechsel  in  der  Farbe  und  der  Dunkelheit  der  umliegenden  Meere 
sich  bemerkbar  gemacht  hätte.  Dasselbe  habe  ich  auch  mehr  als  ein- 
mal beim  Inselchen  „Oenotria“  in  der  „Syrtis  Magna“  beobachtet.  Diese 
Thatsache  beweist,  dass  die  Oberflächen  der  sogenannten  Meere  in 
gewissem  Sinne  verschiedenartig  von  den  anderen  bisher  betrach- 
teten Regionen  sind,  und  jedenfalls  muss  man  dieselbe  als  eine 
fundamentale  bei  der  Erforschung  der  physischen  Natur  des  Mars 
ansehen.  Aber  es  ist  nicht  weniger  gewiss,  dass  man  von  einer 
Opposition  zur  andern  in  den  Meeren  sehr  merkliche  Farbenverände- 
rungen wahrnimmt.  So  sind  das  „Mare  Cimmerium“,  das  „Mare  Sirenum“ 
und  der  „Lacus  Solis“,  dio  man  in  den  Jahren  1877 — 1879  unter  die 
dunkelsten  Räume  des  Planeten  rechnen  konnte,  in  den  späteren  Oppo- 
sitionen fortschreitend  immer  weniger  schwarz  geworden,  und  neulich 
(1888)  waren  sie  von  einem  Hellgrau,  das  kaum  genügte,  um  sie  bei 
der  in  weit  höherem  Grade  schiefen  Stellung,  in  der  sich  alle  drei  be- 
fanden, zur  Sichtbarkeit  zu  bringen.  In  den  vorgenannten  Jahren 

’)  Atti  Acad.  Lincei  Serie  IV.  Vol.  III;  §§  556,  557,  563,  567. 


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Beilage  zu  , Himmel  und  Erde!  lJahr^ang.  l.Hefl, Tafel  I. 


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Uebersichts-Kartc  des  Planeten  Mars 

mit  seinen  dunkeln  Limen  im  einfachen  (nicht verdoppelten)  Zustande, 
beobachtet  wahrend  der  sechs  pposi'ionen  von  1877-1888 

von  J V'  Schiaparelll.  C*o^rhtklnilu3t«rdivVH5rmKj;Hinii)iBfT,.ir 


Beil «gr  zu  .Himmel  und  Krdr'  1. Jahrgang  1 HeJl, Tafel  U 


hth  Instu  £t*i»dr  vVfi.' iwe.KjR  Hofli'Jj  B«lin 


17 


1877 — 1879  waren  die  „Syrtis  Magna“  und  die  „Nilosyrtis“  sehr  schwarz, 
aber  im  Jahre  1888  war  die  „Nilosyrtis“  unverändert,  während  die 
„Syrtis  Magna“  (bis  auf  einen  kleinen  Strich  unterhalb  der  Mündung 
des  „Nepenthes“  und  einige  andere  sehr  eng  begrenzte  Zonen)  so  hell 
geworden  war,  da6s  sie  sehr  wenig  gegen  die  umliegenden  Gebiete, 
namentlich  gegen  „Libya“  abstach.  Sehr  hell  war  auch  das  „Mare 
Erylhraeum“  geworden,  mit  Ausnahme  seiner  drei  Meerbusen  „Sinus 
Sabaeus“,  „Margaritifer  Sinus“  und  „Aurorae  Sinus“,  welche  daher  nicht 
als  drei  Meerbusen  desselben,  sondern  vielmehr  als  drei  grosse  iso- 
lirte  Seen  hätten  bezeichnet  werden  können.  Zu  demselben  Zeitpunkte 
waren  dagegen  das  „Mare  Acidalium“  und  der  „Lacus  Hyperboreus“ 
sehr  dunkel;  dieser  letztere  schien  in  der  That  ganz  schwarz,  obwohl 
er  unter  einer  nicht  geringeren  Schiefe  wie  die  „Syrtis  Magna“  und  die 
obenerwähnten  südliohen  Meere  erschien.  Es  ist  also  unzweifelhaft, 
dass  der  Zustand  derjenigen  Gebiete,  welche  man  „Meere“  nennt, 
nicht  constant  ist,  und  vielleicht  findet  auch  hier  eine  Veränderung 
statt,  welche  mit  den  Jahreszeiten  des  Planeten  im  Zusammenhänge  steht. 

('Schluss  folgt.) 


Himmel  und  Erde.  1. 


s 


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Ueber 

die  Ziele  der  Popularisirung  der  Naturwissenschaften 
im  Hinblick  auf  die  Zeitschrift  „Himmel  und  Erde.“ 

Von 

Prof.  Dr.  Wilhelm  Foerster, 

Director  der  königlichen  Stern  wart*  su  Berlin. 

■<  ine  neue  Zeitschrift  auf  populär-naturwissenschaftlichem  Gebiete! 

Giebt  es  nicht  deren  in  Deutschland  schon  so  viele,  dass  sie  sich 

gegenseitig'  die  Existenz  verkümmern?  Und  nun  gar  auf  dem 
litterarisohen  Weltmärkte?  Sind  nicht  die  trefllichen  Weltblätter, 
welcho  in  England,  Frankreich,  Nordamerika  die  Fahne  der  Natur- 
wissenschaften hoch  halten,  auch  in  Deutschland  so  beliebt  und  so 
verbreitet,  dass  für  alle  Richtungen  naturwissenschaftlichen  Interesses 
in  der  Laienwelt  und  für  alle  Bedürfnisse  nach  bequemer  und  stetiger 
Orientimng,  weiche  auch  der  naturwissenschaftliche  Fachmann  ausser- 
halb seines  eigentlichen  Arbeitsgebietes  hat,  ausreichend  gesorgt  zu 
sein  scheint? 

Es  würde  einer  neuen  Zeitschrift  übel  anstehen,  auf  Bemerkungen 
und  Fragen  obiger  Art  mit  einer  Kritik  der  vorhandenen  Organe 
populär-naturwissenschaftlicher  Darstellung  zu  antworten.  Gewiss  sind 
unter  allen  diesen  Organen  viele  ganz  ausgezeichnet  geleitete,  welche 
in  ihrer  Weise  zu  erreichen,  geschweige  denn  zu  übertreflen,  sehr 
schwer  sein  würde. 

Und  ob  unsere  Ansichten  über  die  Lücken  und  Mängel  der  in 
Deutschland  bestehenden  periodischen  Litteratuf  auf  populär-natur- 
wissenschaftlichem Gebiete  und  unsere  eigenen  Absichten  hinsichtlich 
dessen,  was  auf  diesem  Gebiete  noth  thut,  berechtigte  und  gesunde 
sind,  wird  an  erster  Stelle  der  Erfolg  zu  beweisen  haben. 

Ich  will  mich  daher  aller  ins  Einzelne  gehenden  Seitenblicke  auf 
die  litterarisohen  Erscheinungen,  in  deren  Kreis  unsere  Zeitschrift  ein- 
tritt,  enthalten  und  mich  darauf  beschränken,  im  allgemeinen  die  Ge- 
sichtspunkte darzulogen,  welche  bei  ihrer  Begründung  massgebend 
gewesen  sind. 

Die  am  3.  März  1888  zu  Berlin  ins  Lehen  getretene  Gesellschaft 
Urania  hat  sich  laut  Statut  die  Verbreitung  der  Freude  an  der  Natur- 
Erkenntniss  zur  Aufgabe  gestellt. 


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19 


Diesem  Zwecke  soll  auch  die  vorliegende  von  der  Gesellschaft 
herausgegebene  Zeitschrift  dienen  und  zwar  in  einer  nach  manchen 
vorliegenden  Erfahrungen  zweckmässig  erschienenen  Einschränkung 
auf  die  Gebiete  der  Astronomie,  der  Geodäsie,  Geophysik,  Geographie 
und  Geologie,  sowie  auf  diejenigen  physikalischen  und  chemischen 
Forschungen,  welche  mit  jenen  Zweigen  der  Naturwissenschaft  oder 
mit  den  experimentellen  Veranstaltungen  der  Gesellschaft  in  näherer 
Beziehung  stehen. 

Die  besondere  Fassung  der  Ziele  der  Gesellschaft,  durch  welche 
die  Haltung  der  Zeitschrift  bestimmt  sein  wird,  beruht  auf  Erwägungen 
folgender  Art 

Zur  Erkenntniss  gehört  Denk-Arbei  t,  und  der  Verbreitung  der 
Erkenntniss  selber  können  daher  nur  solche  Veranstaltungen  un- 
mittelbar dienen,  welche  mehr  oder  minder  systematisch  in  pädago- 
gischem Sinne  zu  der  bezüglichen  geistigen  Arbeit  anleiten,  sei  es 
der  organisirte  Unterricht  von  seinen  Anfängen  bis  in  seine  höchsten 
idealsten  Zweige,  sei  es  der  freie  Selbstunterricht  mit  Hülfe  der  Litte- 
ratur  von  den  strengston  Lehrbüchern  bis  zu  den  populärsten  Lehr- 
darstollungen. 

Aber  dazu,  dass  diese  Arbeit  wirklich  vor  sich  gehe  und  als  ihr 
Ergebniss  wachsende  Erkenntniss,  d.  h.  sowohl  das  Verständniss  des 
bereits  von  der  Menschheit  Erworbenen,  als  die  Fähigkeit  zur  Mit- 
wirkung an  weiteren  Erwerbungen  sich  verbreite,  genügt  es  nicht, 
dass  die  vorerwähnten  pädagogischen  Veranstaltungen  vorhanden  sind 
und  die  ihnen  zugewiesenen  Verrichtungen  ausführen,  sondern  es 
muss  auch  bei  denjenigen,  denen  man  mittelst  der  Anregung  zu  an- 
haltender und  strenger  eigener  Arbeit  Erkenntniss  zuführen  will,  ein 
gewisser  Grad  von  anhaltender  Neigung  zu  der  Leistung  dieser  Ar- 
beit, ein  gewisser,  die  natürlichen  Hindernisse  überwindender  Zug  zu 
derselben  vorhanden  sein  oder  hervorgerufen  werden. 

Mit  anderen  Worten,  die  aus  der  Erkenntniss  gewinnbare  Glückes- 
Empfindung,  die  Freude  an  derselben,  muss  die  zur  Erwerbung  und 
Erweiterung  der  Erkenntniss  unerlässliche  Arbeit  auf  allen  ihren 
Stufen  wecken  und  beleben  helfen.  In  den  Anfängen  kann  diese 
Anregung  nur  durch  solche  Arten  von  Freude  an  der  Natur-Erkenntniss, 
welche  einen  entsprechend  geringen  Grad  von  Kenntnissen  voraus- 
setzen, oder  in  der  Pädagogik  durch  Zuhiilfenahme  anderer  Wohl- 
gefühle und  innerer  Belohnungen,  insbesondere  durch  die  Anrufung 
des  Pflichtgefühls,  geschehen;  aber  eine  Pädagogik,  welche  unablässig 
mit  blossen  Anforderungen  an  letztere  Quelle  inneren  Glückes,  d.  h. 
mit  Autorität  und  Zwang  zur  Erkenntniss-Arbcit  anspornt  und  es  ver- 

2* 


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20 


säumt  oder  verschmäht,  den  „umwölkten  Blick“  des  Lernenden  zu 
öffnen  „über  die  tausend  Quellen  neben  dem  Durstenden  in  der 
Wüste“,  wie  sie  auf  jeder  neu  erstiegenen  Stufe  der  Erkenntniss  rinnen, 
eine  solche  Pädagogik  wäre  eine  Thorheit  und  eine  Versündigung 
gegen  die  Menschen-Natur. 

Möge  es  uns  gestattet  sein,  letztere  Betrachtung  durch  die  Ein- 
schaltung eines  der  Praxis  entnommenen  Beispiels  etwas  näher  zu 
erläutern. 

Es  giebt  nicht  viele  allgemeinere  Klagen  in  der  Kulturwelt  als 
diejenige  über  die  „entsetzliche  Dürre“  und  die  entsprechende  Erfolg- 
losigkeit des  Mathematik-Unterrichtes  in  den  Schulen. 

Unzweifelhaft  ist  diese  Klage  im  ganzen  und  grossen  berechtigt. 
Es  giebt  zwar  eine  nicht  geringe  Anzahl  von  Lehrern,  welche  ihren 
begabteren  Schülern  echte  Freude  an  der  Entwickelung  mathematischer 
Denk-Arbeit  zu  bereiten  vermögen,  und  es  giebt  auch  eine  kleine 
Anzahl  von  Schülern,  welche  sogar  bei  der  durchschnittlichen  Art  des 
gegenwärtigen  — an  sich  tüchtigen  und  sachverständigen  — Mathe- 
matik-Unterrichtes Freude  an  dieser  Denk-Arbeit  gewinnen;  aber  die 
ausserordentliche  Kleinheit  dieser  Minoritäten  von  Lehrern  und  von 
Schülern  ist  das  sicherste  Zeichen,  dass  ein  ernster  Uebelstand  auf 
diesem  Gebiete  wirklich  besteht. 

Für  alle  Ztveige  menschlicher  Thätigkeit  ist  dies  zu  beklagen, 
aber  am  meisten  für  die  Natur-Erkenntniss,  für  deren  volles  Verständ- 
niss  und  für  deren  Weiter-Entwickelung  die  Einführung  in  mathema- 
tische Denk-Arbeit  die  wesentlichste  Voraussetzung  bildet. 

Gerade  hier  wird  aber  eine  gesteigerte  Verbreitung  und  Verwer- 
thung  der  Freude  an  der  Natur-Erkenntniss  bei  den  Lehrern  und  bei 
den  Schülern  entscheidende  Hülfe  bringen. 

Der  Mathematik  ist  es  eigen,  dass  sie  ihren  Jüngern,  mit  Aus- 
nahme der  in  besonderem  Sinne  mathematisch  begabten,  erst  auf 
ziemlich  hohen  Stufen  des  Lernens  aus  eigener  Fülle  heraus  dasjenige 
Wohl-  und  Kraft-Gefühl  gewährt,  welches  in  anderen  geistigen  Dis- 
ciplinen,  insbesondere  in  den  Naturwissenschaften,  schon  viel  früher 
die  Arbeit  belohnt. 

Grosse  Mathematiker  haben  es  deshalb  schon  längst  für  rathsam 
erachtet,  beim  mathematischen  Lernen  möglichst  schnell  von  den  Ele- 
menten zu  höheren  Stufen  emporzusteigen  uud  lieber  von  dort  aus 
späterhin  durch  Rückschau  und  Wiederholung  die  Kenntniss  der  Ele- 
mente zu  vervollständigen,  als  bei  diesen  gleich  im  Anfänge  zu  lange 
zu  verweilen  und  dadurch  bei  vielen  Lernenden  den  unverwischbaren 
Eindruck  der  Oede  uud  Willkür  hervorzurufen. 


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21 

Es  steht  dahin,  wie  weit  jenes  schnelle  Emporsteigen  beim  Massen- 
llnterricht  durchführbar  ist.  Dagegen  ist  es  erfahrungsraiissig  schon 
bei  den  Elementen  der  Mathematik  durchführbar,  durch  Anwendungen 
derselben  auf  praktisches  Leben  und  Technik,  ganz  besonders  aber 
auf  die  Natur-Erkenntniss  in  den  Gebieten  der  Astronomie  und  Erd- 
messung, aber  auch  im  allgemeinen  in  Physik  und  Chemie,  das  Lernen 
im  hohen  Grade  zu  beleben  und  zu  belohnen,  sobald  der  Lehrer  selber 
von  einer  freudigen  Anschauung  der  naturwissenschaftlichen  Erfolge 
durchdrungen  und  in  der  I^age  ist,  einige  ihrer  eindrucksvollsten 
Ergebnisse  auch  bei  den  Lernenden  unmittelbar  zur  Anschauung  zu 
bringen. 

Die  mathematische  Denk-  und  Forschungs-Arbeit  selber  hat  sich 
zur  Zeit  im  grossen  und  ganzen  von  der  Anwendung  auf  die  Natur- 
Erkenntniss  entfernt  und  wenigstens  in  ihren  Höhen  eine  Zeitlang 
solchen  Gebieten  mit  Vorliebe  zugewendet,  welche  man  in  besonderem 
Sinne  als  die  „reine  Mathematik“  bezeichnen  kann,  weil  sie  sich  in 
entzückender  Folgerichtigkeit  des  Gedankens  mit  der  Hervorbildung 
und  Anordnung  einer  aus  den  Tiefen  des  Geistes  an  das  Licht  des 
Bewusstseins  empordringenden  unerschöpflichen  Fülle  von  Gebilden 
und  Formen  beschäftigt,  von  denen  viele  zur  Zeit  für  die  Anordnung 
und  Bemeisterung  entsprechender  Erscheinungen  der  Aussenwelt, 
also  für  die  Natur-Erkenntniss,  noch  keine  unmittelbare  Bedeutung 
haben,  wenngleich  man  auch  bei  diesen  Forschungen,  wie  bei  allen 
Ergebnissen  konsequenten  Denkens,  auf  künftige  hohe  Productivität 
selbst  im  unmittelbar  praktischen  Sinne  vertrauen  darf. 

Die  ganz  eigenartigen  Wohlgefühle  jenes  inneren  mathematischen 
Schaffens  haben  aber  jedenfalls  aus  naheliegenden  Gründen  für  den 
Schulunterricht  nur  eine  äusserst  geringe  Bedeutung,  und  man  darf  es 
daher  als  eine  der  wesentlichsten  Ursachen  der  trotz  aller  Fortschritte 
der  Mathematik  noch  immer  so  unbefriedigenden  Erfolge  des  mathe- 
matischen Schulunterrichts  betrachten,  dass  eine  grosse  Zahl  der  ma- 
thematischen Lehrer  in  den  letzten  Jahrzehnten  von  der  reichen  und 
geistvollen  Entwickelung  jener  mathematischen  Forschung,  die  ihnen 
im  Universitäts-Unterricht  mit  besonderem  Glanze  entgegentrat,  vor- 
zugsweise ergriffen  worden  ist.  Es  wurde  ihnen  dadurch  nicht  blos 
das  Interesse  für  die  Anwendungen  und  die  Erfolge  der  Mathematik 
in  der  Natur-Erkenntniss,  sondern  häufig  sogar  die  Kenntniss  der 
naturwissenschaftlichen  Methoden  und  Ergebnisse  und  damit  auch  die 
Fähigkeit,  ihren  Unterricht  in  obigem  Sinne  zu  beleben,  verkümmert. 

Dies  sind  oben  Entwickelungs-Erscheinungen,  die  man  von  höheren 
Gesichtspunkten  ruhig  verstehen  kann,  deren  Uebel  man  indessen 


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nicht  mit  blosser  Resignation  betrachten  darf,  sondern  mit  Offenheit 
bekämpfen  und  zu  heilen  versuchen  muss. 

Und  zu  dieser  Heilung  werden  eben  solche  Veranstaltungen  bei- 
tragen, welche  es  auch  den  Unterrichts-Anstalten  und  der  Lehrerwelt 
näher  legen  und  erleichtern,  auch  die  mathematische  Heranbildung 
ihrer  Schüler  zur  Erkenntniss-Arbeit  durch  die  Freude  an  der  Natur- 
Erkenntniss  zu  fördern. 

Bevor  ich  dus  Wesen  solcher  Veranstaltungen  näher  erörtere, 
bitte  ich  mir  noch  für  eine  andere  Nebenbetrachtung  kurze  Aufmerk- 
samkeit zu  schenken,  welche  mir  an  dieser  Stelle  nothwendig  er- 
scheint, um  gewisse  Einwürfe  zu  entkräften,  welche  schon  bei  den 
vorangehenden  Darlegungen  hinsichtlich  der  Freude  an  der  Erkennt- 
niss  manchem  Leser  vor  die  Seelo  getreten  sein  werden. 

„Freude“  im  Sinne  von  Schillers  Hymne  gilt  auch  hei  dem 
strengsten  Moralisten  als  der  Ausdruck  für  eine  etwas  höhere  Ord- 
nung von  Antrieben  und  Wirkungen  verglichen  mit  den  für  ganz 
niedrig  erachteten  Gebieten  von  Lust  und  Unlust;  aber  immer  noch 
haftet  auch  der  Freude  etwas  von  dem  Makel  au,  welcher  in  den 
Anschauungen  der  Ethik  seit  den  Tagen  der  Epikuräer  auf  allen  in 
Lust  oder  Unlust  wurzelnden  Beweggründen  menschlichen  Handelns 
lastet. 

Nicht  um  der  Freude,  des  Wohlgefühls,  des  Glückes  willen, 
welches  das  gesetzmiissige  Erkonnen  der  Menschenseele  bereitet,  soll 
man  die  zur  Erkenntniss  unerlässliche  Arbeit  auf  sich  nehmen,  son- 
dern, so  lehrt  man,  wie  das  Guto  lediglich  um  des  Guten  willen  oder, 
in  der  Sprache  der  Religion,  aus  Liebe  zu  Gott  gethan  werden  soll, 
ist  auch  die  Wahrheit  lediglich  aus  Liebe  zur  Wahrheit  zu  suchen. 

Wenn  mau  näher  zusieht,  ist  in  diesen  weihevollen  und  durch 
ihr  Alter  ehrwürdigen  Worten,  welche  aber  mit  den  Gefahren  der  in 
allen  absoluten  Fassungen  liegenden  Intoleranz  behaftet  sind,  kein 
anderer  Gedanke  enthalten,  als  dass  es  in  der  menschlichen  Seele 
Wohlgefühle  und  Schmerzgefühle  von  sehr  verschiedenem  Grade  der 
Vornehmheit  und  Würde  je  nach  ihrer  Reinheit,  ihrer  Stärke  und 
besonders  nach  ihrer  Dauer  giebt,  und  dass  die  allervornehmsten  die- 
jenigen sind,  welche  sich  aus  der  Harmonie  der  umfassendsten  und 
dauerndsten  Gestaltungen  unseres  Gedankenlebens,  mit  anderen  Worten 
aus  den  höchsten  Idealgebilden  desselben  auferbauen. 

In  die  Fähigkeit  und  in  die  offenbare  Bestimmung  des  Menschen, 
sich  unter  den  Schutz  dieser  erhabenen  Mächte  des  Seelenlebens  vor 
dem  niederen  Zwange  veränderlicher  Lust  und  Unlust  zu  flüchten  und 
dort  höheren  Frieden  zu  linden,  setzt  auch  der  Naturforscher  den 


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höchsten  Adel  der  Menschennatur,  und  zu  jenen  Mächten  gehört  mit 
einer  unbeschreiblichen  sättigenden  Kraft  die  Freude  an  der  Erkenntniss, 
im  besondern  auch  diejenige  an  der  Natur-Erkenntniss. 

Es  ist  also  jedenfalls  ein  tief  sittliches  Ziel,  die  Freude  an  der 
Natur-Erkenntniss  in  obigem  Sinne  zu  pflegen  und  zu  verbreiten.  Ich 
denke  sogar,  um  mich  jetzt  nicht  allzulange  bei  so  schwer  wipgenden 
Betrachtungen  aufzuhalten,  später  einmal  in  diesen  Blättern  zu  zeigen, 
dass  diese  Fassung  der  Popularisirungs -Aufgabe  überhaupt  für  die 
Beurtheilung  der  pädagogischen  Bedeutung  und  des  Kulturwerthes  der 
Naturwissenschaften  von  Bedeutung  ist. 

Welches  sind  nun  die  oben  erwähnten  Arten  jener  Freude,  welche 
auch  den  ersten  Stufen  jener  Erkenntniss  schon  zugänglich  sind? 

Die  voraussetzungsloseste  Freude  geniesst  der  Mensch  auf  dem 
Gebiete  des  Schönen.  Wie  aus  einem  gemeinsamen  Glückesquell  der 
Menschheit  entspringend,  geht  diese  Freude  fast  ohne  bewusste  Arbeit 
des  Geniessenden  aus  dem  blossen  Eindruck  auf  die  Sinne  hervor. 

Aber  auch  die  Natur-Betrachtung  bietet  den  Sinnen  und  der  Ein- 
bildungskraft unmittelbar  beglückende  Eindrücke  dar,  welche  zwar  von 
denjenigen  des  vom  Menschen  geschaffenen  Sohönen  sehr  verschieden, 
oftmals  viel  mächtiger  und  grösser  als  diese,  aber  ihnen  jedenfalls 
darin  verwandt  sind,  dass  die  vorausgegangene  und  die  gleichzeitige 
Denk-Arbeit,  die  ihr  voller  Genuss  voraussetzt,  nur  sehr  gering  und 
einfach  zu  sein  braucht 

Man  kann  sogar  die  Behauptung  hören,  dass  die  mit  ernster 
Arbeit  erworbene  Natur-Erkenntniss  das  Glück  des  Naturgonusses 
vermindere,  und  dass  demgemäss  auch  in  rückwirkendem  Sinne  ein 
belebender  Einfluss  dieses  Genusses  auf  jene  Arbeit  nicht  stattfinde. 

Bei  näherer  Erwägung  der  in  dieser  Beziehung  leicht  zu  machen- 
den Erfahrungen  werden  aber  beide  Behauptungen  als  gänzlich  hin- 
fällig befunden. 

Sehr  schwere  und  anstrengende  Erkenntniss- Arbeit  kamt  aller- 
dings die  körperlichen  Voraussetzungen  einfachen  Naturgenusses  trüben 
oder  schwächen;  aber  die  geistigen  Voraussetzungen  desselben  werden 
durch  jene  Arbeit  so  gesteigert  und  bereichert,  dass  auch  die  Macht 
und  Innigkeit  reiner  und  einfacher  Natur-Eindrücke  dadurch  in  einem 
Grade  wächst,  welcher  unzweifelhaft  auch  die  belebenden  Rückwir- 
kungen der  letzteren  auf  die  Erkenntniss-Arbeit  verbürgt. 

Wirkungen  dieser  Art  auf  den  Kulturmenschen  werden  noch  da- 
durch erhöht,  dass  ihm  solche  Genüsse  im  allgemeinen  seltener  zu 
theil  werden. 

Es  wird  daher  schon  als  eine  in  hohem  Grade  erhebende  und 


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anregende  Veranstaltung  zu  betrachten  sein,  wenn  z.  B.  dem  Gross- 
städter, welcher  den  gestirnten  Himmel  sonst  fast  gar  nicht  mehr  zu 
sehen  bekommt,  zum  Anblick  desselben  unter  günstigen  oder  wenigstens 
unter  solchen  Verhältnissen  und  Umgebungen,  welche  die  Ungunst 
gewisser  natürlicher  Bedingungen  durch  sonstige  begleitende  An- 
regungen aufwiegen,  Anlass  und  Gelegenheit  geboten  wird.  Schon 
hierdurch  wird  ihm  eine  Erhebung  und  Erquickung  bereitet,  welche 
erfahrungsmässig  weitreichende  Anregungen  zu  ernsterer  Beschäftigung 
mit  den  diesen  Eindrücken  verwandten  Gegenständen  zur  Folge  hat. 

Natur-Eindrücke  von  nicht  so  unmittelbarer  und  voraussetzungs- 
loser aber  wohl  noch  nachhaltigerer,  dem  Genüsse  des  menschlich 
Schönen  näher  kommender  Wirkung  vermag  die  Naturforschung  mit 
ihren  durch  jahrhundertlange  Arbeit  errungenen  mächtigen  Hülfsmitteln 
der  Verfeinerung  und  Bereicherung  der  Wahrnehmung  sowie  der  experi- 
mentellen Nachbildung  von  Natur-Erscheinungen,  ja  der  Hervorrufung 
von  Erscheinungen,  die  in  der  Natur  in  solcher  Eigenart  und  Vollen- 
dung noch  gar  nicht  wahrgenommen  wurden,  schon  jetzt  immer  weiteren 
Kreisen  der  Menschen  zu  bieten. 

In  der  Gewährung  aller  dieser  edlen  Genüsse,  fiir  welche  die 
Gesellschaft  Urania  ihre  Sternwarte,  ihre  mikroskopischen  und  experi- 
mentellen Veranstaltungen  und  ihr  naturwissenschaftliches  Theater  oin- 
richtet,  über  welche  Einrichtungen  Herr  Dr.  Meyer  weiter  unten  näher  be- 
richtet, lässt  sich  nun  eine  Vielartigkeit  und  eine  gewisse  Stufenfolge 
von  Wirkungen  erzielen,  welche  dem  Zwecke  des  Ganzen,  durch  die 
Pflege  der  Freude  an  solchen  Eindrücken  zur  Erkenntniss-Arbeit  anzu- 
regen, für  die  allerverschiedensten  Vorbildungsstufen  und  Geistesbe- 
dürfnisse Erfüllung  zu  verheissen  gestattet.  Und  zwar  gilt  dies  von 
dem  grossen  oder  sogenannten  Sonntags-Publikum  beginnend,  welches 
blossen  Lehr-Vorträgen  naturwissenschaftlicher  Art  notorisch  so  abgeneigt 
ist,  und  welches  nun  in  dem  wissenschaftlichen  Theater  zunächst  mit 
Bild-  und  Licht- Wirkungen  ergreifender  oder  anmuthiger  Art,  bald  unter 
diskretester,  bald  unter  spannendster  rednerischer  Erläuterung  unver- 
merkt in  den  Reichthum  der  Natur-Erkenntnisse  eingeführt  wird,  bis 
hinauf  zu  den  Schülern  der  höheren  Schulen  sowie  zu  der  Lehrerschaft 
derselben,  welcher  letzteren  in  unsorn  Einrichtungen  der  Jungbrunnen 
zur  zwanglosesten  Erfrischung  und  Fortbildung  ihrer  naturwissenschaft- 
lichen Orientirung  geboten  werden  kann,  und  bis  zu  den  vielen  einsam 
arbeitenden  Freunden  der  Natur-Erkenntniss,  denen  bisher  die  Mittel  und 
Wege  fehlten,  zu  allen  den  Veranschaulichungen  zu  gelangen,  nach 
denen  ihre  eifrigen  Studien  hindrängten,  und  aus  denen  sie  die  entschei- 
dendsten Förderungen  ihres  Selbstunterrichtes  schöpfen  werden. 


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Was  unsere  Zeitschrift  in  dieser  Richtung  zur  Förderung  des 
Zweckes  der  Gesellschaft  zu  thun  hat,  wird  wesentlich  darin  bestehen, 
dass  sie  von  den  bezüglichen  Veranstaltungen,  von  ihren  Leistungen 
und  ihrer  Weiterentwickelung  fortlaufend  auch  einem  weiteren  Kreise 
Kunde  giebt  und  hierdurch  zugleich  eine  grössere  Anzahl  von 
Forschem  und  Fachgenossen  auf  die  dabei  zur  Sprache  kommenden 
Erfolge  und  Aufgaben  der  Experimentir-Kunst  im  grossen  aufmerksam 
macht  und  zur  Mitarbeit  anregt.  Ausserdem  wird  die  Zeitschrift  auch 
an  der  unmittelbar  genussreichen  Veranschaulichung  der  Ergebnisse 
verfeinerter  Wahrnehmungen  und  tieferer  Forschungen  durch  Dar- 
stellung in  Wort  und  Bild  Antheil  zu  nehmen  haben. 

Selbstständigere  Aufgaben  aber  werden  der  Zeitschrift  in  der 
Richtung  des  Gesellschafts-Zweckes  im  Sinne  folgender  Erwägungen 
zufallen. 

So  oft  es  gelingt,  in  den  Ergebnissen  sorgfältiger  und  aus- 
dauernder Wahrnehmungen,  Zählungen  und  Messungen  gewisser  noch 
räthselvoller  Erscheinungen  deutliche  Beziehungen  zu  bekannteren 
und  verständlicheren  Erscheinungen  oder  auch  nur  eine  Spur  von 
Ordnung  nach  Folge  oder  Wiederkehr  in  Anknüpfung  an  bestimmte 
Punkte  der  Zeit  oder  des  Raumes  zu  entdecken,  und  nun  gar,  sobald  auf 
Grund  aller  solcher  Beziehungen  dio  Voraussagung  des  weiteren  Ver- 
laufes oder  die  Hervorrufung  der  Erscheinung  gewagt  wird  und  die 
Natur  dann  hält,  was  der  Geist  verspricht,  wird  die  Seele  von  einem 
Wohlgefühl  ergriffen,  dessen  Reinheit  und  Tiefe  der  sicherste  Beweis 
dafür  ist,  dass  hier  eine  höhere  Bestimmung  des  Menschengeistes 
vorliegt 

Dies  ist  der  schlichte  unendlich  fruchtbare  Kern  des  sogenannten 
himmelstürmenden  Wesens  der  Naturforschung. 

Auf  dem  Wege,  auf  den  die  Leuchte  jenes  Wohlgefühls  den 
Menschen  seit  Jahrtausonden  gewiesen  hat,  wurden  allmählich  immer 
grössere  Erfolge  in  der  gedanklichen  Nachgestaltung  und  der  that- 
sächlichen  Bemeisterung  der  Aussonwelt  gewonnen,  auf  diesem  Wege 
wurde  eine  umfassende  Natur  - Erkenntniss  [angestrebt,  deren  Grösse 
und  deren  Segen  nicht  den  mindesten  Abbruch  dadurch  erfahrt,  dass 
ihr  in  weitester  Ferne  des  Denkens  Grenzen  gesetzt  sind,  Grenzen, 
innerhalb  deren  aber  noch  eino  namenlose  Fülle  des  Zugänglichen 
und  sicher  Erfassbaren  jener  sogensvollon,  ordnenden  Arbeit  des 
Menschengeistes  harrt. 

Die  Ziele  dieser  unbestimmt  begrenzten,  aber  sich  stetig  er- 
weiternden Arbeit  benennen  wir  mit  dem  hohen  Namen  „Wissen“  und 
„Erkennen“,  und  nicht  etwa  das  Streben  ins  Absolute,  wolches  die 


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Kindheitsstufen  der  Erkenntniss  erfüllt,  eben  weil  sie  an  Wohlgefühlen 
jener  wahrhaft  erquicklichen,  fruchtbaren  Art  noch  arm  sind. 

Was  kann  nun  eine  populäre  Zeitschrift  zu  der  Pflege  und  Ver- 
breitung dieser  Freude  an  methodischem  Natur  - Erkennen  beitragen, 
welche  anscheinend  nur  der  strengen,  hochentwickelten  Forschung 
selbst  zu  theil  wird  und  daher  viel  grössere  Voraussetzungen  hin- 
sichtlich vorangegangencr  Denk-Arbeit  macht  als  die  vorher  erörterten, 
den  Eindrücken  des  Schönen  nahestehenden  Freuden. 

Zunächst  ist  hier  zu  bemerken,  dass  lebenswarme  Darstellungen  des 
Entwickelungsganges  bedeutsamer  Forschungsergebnisse  — und  zwar 
nicht  blos  immer  der  neuesten,  sondern  aus  allen  Zeiten  entnommener 
bis  zu  manchen  in  der  Ferne  der  Zeiten  fast  entschwundenen  hin  — 
mit  der  Schilderung  der  bei  allen  Nöthen  und  Enttäuschungen  doch 
so  beseligenden  Mühen  bis  zum  endlichen  Erfolge,  sehr  wohl  geeignet 
sind,  wahrhaft  beglückend  und  anregeud  zu  wirken.  Um  so  stärker 
und  nachhaltiger  werden  die  sympathischen  Wirkungen  solcher  Dar- 
stellungen sein,  je  besser  es  gelingt,  geschichtliche  und  lebensgeschicht- 
liche Blicke  damit  zu  verbinden. 

Aber  auch  ein  grosses  Gebiet  von  unmittelbaren  Frohgefühlen 
obiger  Art,  reich  an  Anregungen  zu  förderlichster  Arbeit,  von  eifriger 
Verständniss-Erwerbung  bis  zu  nützlicher  Mitarbeiterschaft  an  der 
Forschung  selber,  kann  die  Zeitschrift  kultiviren  helfen,  indem  sie  un- 
ablässig darauf  hinweist,  dass  es  nicht  blos  die  hohen  Probleme,  nicht 
blos  die  besonders  gelehrter  Vorstudien  und  schwieriger  Veranstaltungen 
bedürftigen  Erkenntniss  - Arbeiten  sind,  welche  jene  wunderbar  er- 
greifenden Forscher-Freuden  gewähren. 

In  den  verschiedensten  Forschungszweigen  werden,  wie  man 
leicht  zeigen  kann,  stets  zahllose  Aufgaben  vorliegen,  bei  deren  Lösung 
man  sich  auch  nach  geringster  Vorbereitung  lediglich  durch  geordnete  Auf- 
zeichnung gewissenhafter  Wahrnehmungen  oder  durch  blosse  Zählungen 
und  sonstige  einfachste  Massbestimmungen  in  der  nützlichsten  Weise 
bethätigen  kann.  Und  man  kann  dadurch  ganz  derselben  Art  von 
Glück,  derselben  Art  von  Körperlosigkeit  und  von  Durchgeistigung 
ohne  Leidenschaft  theilhaftig  werden,  wie  bei  der  tiefsten  Forscher- 
Arbeit,  bei  welcher  nur  die  Intensität  dieser  Wirkungen  eine  ge- 
steigerte ist. 

Das  litterarische  Organ  der  Gesellschaft  Urania,  welche  übrigens 
in  ihren  eigenen  Veranstaltungen  auch  Gelegenheit  zur  Erwerbung 
einer  gewissen  Kenntniss  und  Uebung  in  naturwissenschaftlicher 
Technik  darzubieten  beabsichtigt,  wird  im  Sinne  vorstehender  Hin- 
weisungen gern  Hath  ertheilen  und  Anschlüsse  vermitteln,  wenn  Jemand 


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den  Wunsch  hegt,  sich  innerhalb  des  von  dieser  Zeitschrift  umfassten 
naturwissenschaftlichen  Gebietes  an  irgend  einer  Forschungs-Arbeit 
entweder  mit  voller  Kraft  oder  auch  nur  in  Mussestunden  zu  bethei- 
ligen und  sich  dadurch  in  die  edle  Gemeinschaft  der  eigentlichen 
Forscher-Freude  einzufiigen. 

Ein  noch  am  wenigsten  angebautes  grosses  Gebiet  der  Thätig- 
keit  für  eine  Zeitschrift,  welche  die  Freude  an  der  Natur-Erkenntniss 
verbreiten  helfen  will,  besteht  endlich  in  einer  massvollen  Gegen- 
wirkung gegen  alles  dasjenige,  was  sowohl  innerhalb  der  Wissen- 
schaft als  innerhalb  der  weiten  Kreise,  die  an  ihren  Ergebnissen 
theilnehmen,  dem  Gedeihen  und  der  Wirksamkeit  jener  vorerwähnten 
echten  und  reinen  Frohgefühle  hinderlich  ist. 

Der  gegenwärtige  Zustand  ist  in  dieser  Beziehung  nicht  gerade 
erfreulich.  Der  mächtige  Eindruck  des  Glanzes,  von  welchem  die 
Vorausbestimmungen  der  Astronomie  und  die  grossen  technischen 
Leistungen  der  gesammten  Naturforsohung  umflossen  werden,  dauert 
zwar  fort;  aber  die  in  allen  Grenzgebieten  dieser  Forschung  unver- 
meidlich obwaltenden  Unklarheiten,  Widersprüche  und  Unsicherheiten 
haben  infolge  des  bedeutend  gestiegenen  Interesses  an  allen  diesen 
Dingen  in  weiteren  Kreisen  eine  Art  von  Ueberdruss  erzeugt,  welche 
in  mannigfachen  Zeichen  zu  Tage  tritt,  unter  anderm  in  dem  Anklange, 
welchen  beim  grossen  Publikum  gerade  solche  Stimmen  finden,  die 
sich  mit  einem  gewissen  Muthe  von  der  Fachgenossenschaft  loslösen 
und  gegen  dieselbe  ankämpfen. 

Im  allgemeinen  sind  dies  wohl  Erscheinungen,  die  in  dem  grossen 
Drama  der  menschlichen  Entwickelung  niemals  ganz  fehlen  dürfen; 
aber  wenn  dieselben  eine  unverhältnissmässige  Geltung  finden,  kann 
man  daraus  stets  auf  das  wirkliche  Bestehen  gewisser  Uebelstände, 
wenn  auch  vielleicht  ganz  anderer,  als  der  vorzugsweise  bekämpften, 
schliessen.  — Die  Laienwelt  nimmt  den  eifrigsten  Antheil  gerade  an 
solchen  Problemen  dor  Erkenntniss,  welche  die  schwierigsten  und 
höchsten  sind.  Wäre  die  strenge  Naturforschung  nicht  ganz  andere 
Wege  gegangen  als  dieses  Laien-Intercsse,  und  hätte  sie  nicht  schritt- 
weise zuerst  die  einfachsten  und  unscheinbarsten  Aufgaben  zu  lösen 
gesucht,  so  gäbe  es  überhaupt  noch  keine  solide  Grundlage  des  Natur- 
Erkennens.  Andererseits  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  jener  allgemein 
menschliche  Drang  nach  den  höchsten  Dingen  noch  öfter  und  stärker 
fördernd  als  hemmend  und  trübend  in  die  schlichte  Arbeit  der  Wissen- 
schaft eingegrifTen  hat. 

Wie  hat  sich  nun  die  Wissenschaft  in  solchen  Grenzgebieten  zu 
verhalten,  in  welchen  sie  zwar  ebenfalls  unablässig  klärend  arbeitet, 


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aber  diejenigen  Antworten,  um  welche  sie  unaufhörlich  angegangen 
wird,  unmöglich  mit  einiger  Zuverlässigkeit  und  Uebereinstimmung 
ertheilen  kann?  Blosses  Achselzucken  hilft  da  nicht.  Auch  würde 
es  nicht  das  Richtige  sein,  wenn  innerhalb  einer  gewissen  Fachge- 
nossenschaft eine  Art  von  Uebereinkommen  über  die  Art  und  Weise 
geschlossen  würde,  in  welcher  solche  Fragen  zu  beantworten  wären; 
denn  ein  solches  Uebereinkommen,  obwohl  dasselbe  einen  Theil  der 
Uebelstände,  nämlich  die  Widersprüche  der  Aeusserungen  verschie- 
dener Fachmänner  über  jene  unsicheren  Grenzgebiete  vermindern  könnte, 
würde  andererseits  bedenkliche  Elemente  der  Unwahrhaftigkeit  und 
Unfreiheit  in  sich  bergen. 

Das  Beste  wird  es  immer  sein,  wenn  bei  dieser  unvermeidlichen 
I-age  der  Dinge  gerade  in  einer  populären  Zeitschrift  die  verschiedenen 
Ansichten  offen  und  eingehend  zur  Sprache  gebracht  und  sorgfältig 
abgewogen  werden,  ohne  dass  man  sich  zu  einer  vorzeitigen  Entschei- 
dung hinreissen  lässt,  und  wenn  bei  solchen  Erörterungen  vorzugs- 
weise darauf  Bedacht  genommen  wird,  dass  der  Leser  gleichzeitig  mit 
der  Unbefriedigung  über  eine  solche  Sachlage  sich  auch  des  schönen 
und  frohen  Besitzes  gemeinsam  errungener  fester  Grundlagen  des 
Wissens  bewusst  wird,  von  welchem  festen  Boden  aus  selbst  aben- 
teuerliche Flüge  in  das  Unbekannte  gewagt  werden  dürfen. 

Zu  den  wirklich  vorhandenen  und  vermeidbaren  Uebelständen, 
uuf  welche  zeitweise  ein  übermässiges  Anschwellen  des  Verdrusses 
über  die  unvermeidlichen  Unsicherheiten  hinw’eist,  gehören,  wie  mir 
scheint,  in  erster  Linie  Mängel  der  Ausdrucksweise  der  Wissenschaft 
selber,  welche  in  den  weiten  Kreisen  des  Lebens  erschwerend  und 
verstimmend  wirken. 

Jede  Wissenschaft  und  jede  Technik  hat  ein  unabweisbares  Be- 
dürfniss  nach  einer  grossen  Anzahl  schärfster  und  womöglich  kürzester 
Bezeichnungen,  welche  am  allerzweckmässigsten  aus  dem  gemein- 
samsten Wort-  und  Zeichen- Vorrath  der  Kulturvölker  entnommen 
werden. 

Wer  an  einer  Wissenschaft  als  Mitarbeiter  theil  haben  will, 
muss  sich  wenigstens  innerhalb  des  besonderen  Gebietes,  in  welchem 
er  thätig  sein  möchte,  diesem  Bezeichnungswesen  fügen. 

Ganz  anders  steht  es  in  dieser  Hinsicht  mit  der  Formulirung 
wissenschaftlicher  Ergebnisse  für  das  nichtfachmännische  Interesse  der 
Mitlebenden.  Hier  ist  der  wissenschaftliche  Jargon  so  weit  als  irgend 
thunlich  in  seine  logischen  und  sprachlichen  Elemente  aufzulösen,  und 
wo  dies  ohne  übermässige  Umständlichkeit  oder  ohne  Undeutlich- 
werden des  Sachverhalts  nicht  angeht,  thut  man  besser,  mit  einer 


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gemeinfasslichen  Darstellung  noch  zu  warten,  bis  die  Dinge  sich 
weiter  geklärt  haben,  oder  die  Grösse  der  Sache  und  die  Zweckmässig- 
keit ihrer  wissenschaftlichen  Terminologie  ein  näheres  und  strengeres 
Eingehen  auf  dieselbe  rechtfertigt. 

In  dieser  Beziehung  wird  von  der  populären  Litteratur  sehr 
häufig  gefehlt,  indem  sie  sich  in  dem  Konkurrenzbestreben,  von  allem 
und  jedem  Neuesten  der  Forschung  mitzureden,  häufig  sogar  damit  abgiebt, 
sehr  unvollkommene  und  in  der  Entwickelung  begriffene  technische  Aus- 
drücke der  bezüglichen  Forschungsgebiete,  welche  nur  für  die  Technik, 
nicht  für  die  Logik  der  Sache  förderlich  sind,  mühsam  zu  erklären 
und  dann  unter  Einführung  derselben  in  einer  höchst  unerquicklichen 
Sprache  zu  reden,  wie  es  z.  B.  nicht  selten  bei  meteorologischen  Dar- 
stellungen der  Fall  ist 

Es  kommt  hinzu,  dass  die  Terminologie  der  Wissenschaften  selber 
keineswegs  immer  etwas  sehr  vollkommenes  ist.  Die  Technik  der 
Forscher  gewöhnt  sich  allmählich  auch  an  sehr  ungeeignete,  im  engsten 
Arbeitsgebiete  ungefährliche,  aber  für  weitere  Kreise  mit  vielen  Er- 
schwernissen und  Missverständnissen  beladene  Bezeichnungen.  Die  be- 
treffenden Uebelstände  innerhalb  der  Technik  der  Forschung  sind  in 
der  Regel  so  gering,  und  die  Organe  zur  erfolgreichen  gemeinsamen 
Durchführung  von  Abänderungen  althergebrachter  Bezeichnungen  noch 
so  unentwickelt,  dass  Niemand  an  dieselben  zu  rühren  wagt  Gerade 
hier  können  populäre  Darstellungen  auch  für  die  Wissenschaft  selber 
förderlich  werden,  indem  sie  bei  Erörterungen,  die  für  weitere  Kreise 
bestimmt  sind,  die  logischen  und  sprachlichen  Unvollkommenheiten  der 
wissenschaftlichen  Bezeichnungsweise  mittelbar  oder  unmittelbar  ans 
Licht  bringen. 

Es  ist  nach  allen  vorstehenden  Erörterungen  kaum  nöthig  hinzu- 
zufügen, dass  die  Nothwendigkeit,  bei  populären  Darstellungen  nicht 
blos  im  sprachlichen  Ausdrucke,  sondern  auch  in  der  gedanklichen 
Durchbildung  den  wissenschaftlichen  Methoden  und  Ergebnissen  den 
staubigen  Arbeitsrock  auszuziehen  und  eine  gewisse  Reinigung  ihres 
Gewandes  vorzunehmen,  auch  für  das  wissenschaftliche  Denken  selber 
nicht  anders  als  höchst  förderlich  sein  kann. 

Indem  ich  Erörterungen  dieser  Art,  denen  sich  noch  vieles  hinzu- 
fügen liesse,  deren  wesentliche  Ziele  aber  wohl  hinreichend  zum  Aus- 
druck gelangt  sind,  hiermit  abbreche,  darf  ich  wohl  noch  die  Bemerkung 
hinzufügen,  dass  es  nach  allen  menschlichen  Erfahrungen  sicherlich  nicht 
gelingen  wird,  in  der  Zeitschrift  „Himmel  und  Erde"  alle  vorstehend 
erläuterten  Absichten  und  Verheissungen  sofort  und  ausnahmslos  zur 


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Erfüllung  zu  bringen.  Sehr  oft  wird  selbst  der  wohlgeneigte  Leser 
unserer  Zeitschrift  den  Eindruck  haben,  dass  Absicht  und  Aus- 
führung weit  auseinander  liegen,  aber  wir  hoffen,  dass  Erfahrung  und 
Uebung  und  der  Beistand  eines  reichen  und  erleuchteten  Kreises  von 
Mitarbeitern  allmählich  dazu  verhelfen  werden,  wenigstens  einen  Theil 
der  Absichten,  die  uns  vorschweben,  zu  verwirklichen. 


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Die  Veranstaltungen  der  Urania. 

/Q-n.  Von  Dr.  M.  Wilhelm  Mever-Berlin. 

(OnlRjie  mit  gegenwärtigem  Hefte  ins  Leben  tretende  Zeitschrift  bildet 
. y bekanntlich  nur  einen  Theil  des  Programmes  der  Gesellschaft 
Urania,  welche  zum  Zwecke  der  „Verbreitung  der  Freude  an 
der  Naturerkenntniss“  am  3.  März  laufenden  Jahres  orduungsmässig  als 
Aktien-Gesellschaft  conslituirt  worden  ist.  Es  erscheint  deshalb  nach 
den  vorangegangenen  allgemeinen  Betrachtungen  des  Herrn  Prof. 
Foerster  über  die  pädagogische  Nothwendigkeit  einer  solchen 
Schöpfung  hier  wohl  am  Platze,  unseren  Losem  einen  kurzen  Ueber- 
blick  über  die  concrete  Ausgestaltung  jener  Ideen  zu  geben,  wie  sie 
sich  in  den  Veranstaltungen  der  Urania  bereits  im  kommenden  Früh- 
jahr darstellen  wird. 


Das  Schaugebäude  der  Gesellschaft,  welches  gegenwärtig  im 
Landes -Ausstellungspark  am  Lehrter  Bahnhof  errichtet  wird,  zeigt 
nach  dem  Park  hin  die  auf  der  umstehenden  Seite  abgebildete 
Fa^ade.  Der  hier  nächst  folgende  Grundriss  vom  ersten  Stockwerke 
(das  Erdgeschoss  enthält  ausschliesslich  Verwaltungs-  und  Dienst- 
räume) zergliedert  sich  deutlich  in  drei  wesentlich  verschiedene 
Abtheilungen,  von  denen  die  erste,  vordere,  als  schwer  massiver  Bau, 
gekrönt  von  der  grossen  Kuppel,  die  eigentliche  Sternwarte  darstellt. 
Der  zweite,  in  Eisenconstruktion  ausgeführte  Theil,  welcher  seine 
einfacher  gestaltete  aber  grössere  Front  längs  der  Fluchtlinie  der 
Invalidenstrasse  hinerstrockt,  enthält  im  wesentlichen  einen  grossen 
Saal,  in  welchem  die  Ausstellung  von  physikalischen  Instrumenten 
und  die  Vorführung  eindrucksvoller  Experimente,  schliesslich  eine 
Reihe  von  Mikroskopen  Platz  finden  soll;  endlich  der  dritte  Abschnitt 
des  etwa  1050  qm  umfassenden  Gebäudes  bildet  das  „wissenschaftliche 
Theater“  und  wird  gleichfalls  aus  Eisenconstruktion  hcrgestellt. 

Entsprechend  dem  Programm  unserer  Gesellschaft,  möglichst  ver- 
schiedenen Kreisen  der  Bevölkerung  die  Freude  an  der  Natur  und  das 
Verständniss  für  die  tausendfältigen  Vorgänge  in  derselben,  von  denen 


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32 


unser  Wohl  und  Wehe  so  unmittelbar  und  doch  in  den  bei  weitem 
meisten  Fällen  so  wenig  bewussterweise  abhängt,  zu  erschliessen, 
wird  dieses  Theater  die  unterste  Stufe  bezeichnen,  auf  welcher  die  Er- 
rungenschaften strenger  Forschung  in  möglichst  reizvollem  Rahmen  zum 
Zwecke  der  ersten  Anregung  zur  Naturbetrachtung  geboten  werden 
sollen.  Sonnen-  und  Mondfinsternisse,  Sternschnuppenschauer,  riesige 
Kometen,  von  deren  Erscheinen  uns  die  Annalen  der  Sternkunde 
wunderbaren  Aufschluss  geben,  ziehen  hier,  in  ihren  wechselnden 
Phasen  lebendig  dargestellt,  inmitten  malerischer  Landschaften  des 


/ ««4 


Erdballs  am  Auge  des  Beschauers  vorüber  und  erwecken  die  Begier, 
diese  angestaunten  Erscheinungen,  die  vor  wenigen  Jahrhunderten 
noch  als  unmittelbare  Eingriffe  göttlicher  Gewalt  in  das  Naturgeschehen 
gefürchtet  wurden,  in  ihrer  natürlichen  Entstehung  begreifen  zu  lernen. 
Begleitende  Vorträge,  denen  diese  deeorativen  Darstellungen  als  glanz- 
volle Illustrationen  von  plastisch  natürlichster  Wirkung  beigesellt 
werden,  geben  eine  erste  noch  völlig  skizzenhafte  Andeutung  zur  Er- 
klärung der  mit  dem  Auge  des  wissenschaftlich  durchgebildeten 
Künstlers  gesehenen  Naturereignisse.  Wir  wollen  uns  hier  damit  be- 
gnügen aus  dem  reichen  bereits  der  speziellen  Bearbeitung  vorgelegten 


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Schaugebäude  der  Urania. 


34 


Programm  dieser  Abtheilung  des  Urania-Unternehmens  nur  auf  den 
astronomischen  Bildercyklus  hinzuweisen,  dem  meteorologische  und 
geologische  Cyklen  folgen  werden. 

Zu  Beginn  des  Vortrages  versetzt  uns  die  Scene  in  eine  Land- 
schaft der  Umgebung  Berlins  während  des  Eintritts  jener  denkwürdigen 
Sonnenfinstemiss  vom  19.  August  1887,  welche  unser  Land  in  ihre 
Schatten  hüllte,  ohne  jedoch  der  zahlreich  harrenden  Menge  alle  die 
seltsamen  Erscheinungen  zu  offenbaren,  auf  welche  die  astronomischen 
Schriftsteller  vorher  in  lebendigen  Schilderungen  aufmerksam  gemacht 
hatten.  Enttäuscht,  entmuthigt,  erschlafft  von  der  durchwachten  Nacht 
mussten  die  llunderttausende  wieder  heimkehren.  Solcher  Ent- 
täuschung wird  man  sich  in  unserem  „wissenschaftlichen  Theater“ 
nicht  aussetzen  und  dieselben  Erscheinungen  unabhängig  von  den 
Launen  des  Wetters  in  ihrer  natürlichen  Reihenfolge  an  sich  vor- 
überziehen sehen.  Eiteret  wird  die  Landschaft  in  dem  dämmernden 
Lichte  des  nahen  Sonnenaufgangs  erscheinen;  die  Sonne  wird  dann 
in  ihrer  damalig’«!  sichelförmigen  Gestalt  langsam  zwischen  dunkel- 
rothen  Wolken  über  den  Horizont  emporsteigen;  die  Sichel  wird 
immer  kleiner  werden,  bis  endlich  die  schweren  Gewitterschatten  der 
Finsterniss  über  uns  hereinbrechen.  Nach  kaum  mehr  als  zwei 
Minuten,  der  damaligen  Wirklichkeit  entsprechend,  verändert  sich  da- 
gegen bereits  wieder  die  Beleuchtung  der  Soenerie  und  bald  darauf 
sehen  wir  diese  selbe  Landschaft  im  sonnigsten  Lichte  erglänzen. 
Was  hier  an  uns  vorüberzog,  bildete  aber  nur  eine  einzelne  Scene 
des  astronomischen  Schauspiels,  das  dem  Besucher  hier  geboten  wird. 
Während  der  Vortragende  sich  noch  weiter  über  das  seltene  Ereigniss 
verbreitet,  von  welchem  man  soeben  Zeuge  gewesen  zu  sein  glaubt, 
verwandelt  sich  die  Scene,  und  der  Beschauer  wähnt  sich  auf  einen 
Punkt  im  freien  Raume  versetzt.  Die  ungeheuere  Erdkugel  schwebt 
rotirend  empor  vor  den  strahlenden  Thierkreis-Sternbildern  des  Hinter- 
grundes. Der  Mond,  durch  das  Sonnenlicht  vorüberziehend,  wirft 
seinen  Schatten  auf  unseren  Planeten  und  lässt  ihn  über  den  euro- 
päischen Continent  hinstreichen:  Wir  begreifen  sofort,  wie  die  Finster- 
niss zu  stände  kommen  musste.  Dann  setzen  wir  unsere  Reise  fort 
und  gelangen  in  die  Nähe  des  Mondes;  seine  öden  Gebirgsketten 
starren  uns  an.  Das  hierneben  wiedergegebene  Bild  versetzt  uns 
dorthin  zu  derselben  Zeit,  als  wir  auf  der  Erde  die  Sonnenfinstemiss 
sahen.  Die  Mondlandschaft  liegt  zum  grössten  Theil  in  tiefer 
Dunkelheit.  Nur  die  höchsten  Bergspitzen  des  Vordergrundes  sind 
bereits  grell  von  der  Sonne  beschienen.  Am  sternbesäeten  Himmel 
leuchtet  die  Erde  und  wirft  ihr  Licht  zurück  auf  den  umnachteten 


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Mond.  Der  kleine  schwarze  Punkt  auf  der  leuchtenden  Scheibe  der 
Erde  bezeichnet  die  Stelle,  wohin  soeben  die  Spitze  des  Mondschattens 
fällt,  wo  also  die  vorhin  beobachtete  Sonnenflnsterniss  herrscht.  Unsere 
Reise  geht  inzwischen  weiter  zur  Sonne  selbst  und  zu  den  Planeten, 
deren  Oberflächen  nach  den  Ergebnissen  der  wunderbaren  Forschungen 
unserer  neuen  Zeit  dargestellt,  an  uns  kreisend  vorü  bersch  weben; 
doch  wollen  wir  die  flüchtige  Schilderung  hier  abbroehen. 

Den  nach  dem  Theater  grössten  Raum  nimmt  der  „Ausstellungs- 
saal“ ein.  Hier  sollen  Instrumente,  Apparate,  Einrichtungen  ver- 
schiedenster Art  aufgestellt  werden,  welche  die  physikalischen  Er- 
scheinungen möglichst  unmittelbar  verständlich  darlegen.  Ganz  be- 
sonders soll  hier  Rücksicht  genommen  werden  auf  diejenigen  Vorgänge, 
durch  welche  die  Naturkräfte  dem  Getriebe  des  täglichen  Lebens 
dienen.  Wir  erkonnen  hier  an  geistvoll  zusammengesetzten  Apparaten, 
wie  sich  durch  vielfältige  Kreuzung  der  Schallwellen  die  Laute  unserer 
menschlichen  Sprache  zusammensetzen.  Alle  die  wunderbaren  Erschei- 
nungen des  Lichts,  seine  unausdenkbar  grosse  Geschwindigkeit,  seine 
Zerlegbarkeit  in  die  tausend  Farbenniiancen,  welche  uns  die  umgebende 
Natur  in  so  überaus  reizvollem  Gewände  erscheinen  lässt,  die  spektro- 
skopischen Wunder,  w'elche  uns  die  chemische  Zusammensetzung  der 
Himmelskörper  verriethen  und  andererseits  heute  schon  längst  für  viele 
gewerbliche  Thätigkeitsgebiete , wie  im  Bessemerprozess  (Stahlfabri- 
kation), bei  der  Untersuchung  der  Weine  und  anderer  Flüssigkeiten  auf 
ihre  chemische  Reinheit,  eine  immer  wichtiger  werdende  Rolle  spielen, 
und  nicht  minder  die  so  herrlich  farbenreichen  Polarisationserschei- 
nungen, die  ebenfalls,  beispielsweise  bei  der  Zuckerfabrikation,  in- 
dustriell verwerthe!  werden,  alle  diese  leuchtenden  Dinge  sollen  in 
reizvoll  durchsichtigem  Gewände  hier  vor  den  Augen  der  Beschauer  ein- 
dringlich von  der  Schönheit  und  Kraft  der  grossen  Natur  erzählen.  Dann 
folgen  die  allüberall  im  Leben  angewandten  Erscheinungen  der  Wärme, 
welche  in  einem  anderen  Theile  des  grossen  Ausstellungssaales  ihre 
Wunder  entfalten.  Auseinanderlegbare  Modelle  von  Wärmemaschinen 
erklären  deren  rastlos  schaflende  Thätigkeit;  Eismaschinen  ihre  selt- 
same Wirkung.  Und  nun  weiter  die  magnetische  und  elektrische 
Abtheilung,  wo  riesige  Elektro-Magnete  ihre  mysteriöse  Kraft  über 
den  Raum  ausbreiten  und  die  Elektrizität,  die  geschmeidige,  ätherisch- 
glanzerfüllte Fee  herrscht,  die  unsichtbar  alles  mit  der  unüberwind- 
lichen Macht  ihres  Feuergeistes  durchdringt  und  die  Gedanken 
der  Menschen  verbrüdernd  über  alle  Lande  'und  den  brausenden 
Ocean  hin  zum  grossen  Weltconcerte  zusammenklingen  lässt!  Das 
elektrische  Licht,  welches  ohnedies  alle  Räume  des  Urania-Gebäudes 


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erhellt,  wird  hier  über  seine  Entstehung  das  eigene  Licht  verbreiten. 
Die  chemischen  Wirkungen  des  elektrischen  Stromes,  die  Elektrolyse, 
Galvanoplastik,  deren  Produkten  wir  überall  im  täglichen  Leben  be- 
gegnen, werden  hier  Jedem  verständlich  erklärt. 

Aber  damit  sind  die  Sehenswürdigkeiten  dieses  Ausstellungs- 
saales noch  hei  weitem  nicht  erschöpft.  Eine  ganze  Welt  von 
Wundern  eröffnet  sich  uns  hier  durch  die  Vermittelung  einiger 
fünfzig  Mikroskope,  welche  den  staunenden  Blick  in  den  ganz  uner- 
schöpflichen Reichthum  an  zierlichsten  Formen,  sinnreichen  und  zweck- 
mässigen Organisationen  oder  abenteuerlich  bizarren  Einfällen  aller 
Art  dringen  lässt,  womit  hier  im  unsichtbar  kleinsten  Raume  die  Natur 
wie  spielerisch  schafft  und  doch  gerade  hier  das  Grossartigste  aufbaut 
und  die  furchtbarsten  Geissein  webt,  welche  über  ganze  Nationen 
Krankheit  und  Tod  verbreiten.  Auch  das  wichtige  Gebiet  der  mikro- 
skopischen Untersuchung  gefälschter  Nahrungsmittel  wird  hier  dem 
allgemeinen  Verständniss  näher  gerückt  w'erden. 

Endlich  soll  der  grosse  Saal,  welcher  nach  der  Seite  der  Inva- 
lidenstrasse hin  eine  Frontlänge  von  33  Metern  bei  einer  theilweisen 
Tiefe  von  15  Metern  aufweist,  eine  permanente  Ausstellung  der  Pro- 
dukte unserer  aufblühenden  Präcisions- Mechanik  beherbergen.  Eine 
solche  Ausstellung  tliat  längst  noth,  da  die  grossen  Welt-  oder  Landes- 
ausstellungen diesen  Industriezweig,  dessen  Ausbildung  von  fundamen- 
talster Wichtigkeit  für  die  Entwickelung  der  gesammten  Naturforschung 
ist,  der  die  praktische  Mechanik  ja  das  unentbehrlichste  Handwerks- 
zeug liefert,  doch  immer  nur  allzu  nebensächlich  behandeln  konnten; 
denn  es  stellt  sich  für  diese  Produkte  mehr  als  für  alle  übrigen  die 
Nothwendigkeit  der  sachgemiissen  Erklärung  ihres  Gebrauchs  heraus, 
für  die  im  Rahmen  der  übrigen  Einrichtungen  des  Urania-Unternehmens 
gebührend  gesorgt  werden  kann.  Die  deutsche  Präcisions-Mechanik, 
welche  in  den  letzten  Jahrzehnten  die  allerwichtigsten  Fortschritte  zu 
verzeichnen  hat,  bedarf  durchaus  einer  solchen  Heimstätte,  in  welcher 
der  weite  Umfang  ihrer  sinnreichen  Erfindungen  und  minutiösen  Aus- 
führungen im  Ueberblicke  dargestellt  werden  kann.  Diese  Ausstellung 
und  die  damit  zu  verbindende  Prüfungsstation  für  die  ausgestellten 
Instrumente  wird  unstreitig  von  segenbringeuder  Rückwirkung  auf 
diesen  Industriezweig  sein,  in  dessen  Gebieten  menschlicher  Scharfsinn 
und  Erfindungsgeist  bereits  so  grosse  Triumphe  gefeiert  haben. 

Aus  dem  grossen  Ausstellungssaale  führt  der  Weg  zur  Stern- 
warte, welche  auf  der  Plattform  des  Gebäudes  errichtet  ist,  nicht  ohne 
bestimmte  Absicht  am  sogenannten  „ Projektionssaale“  vorüber.  Den 
Besuchern  werden  hier  durch  die  erstaunlichen  Hülfsmittel  der  neuen 


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Projektionskunst  noch  einmal  im  allergrössten  Massstabo  die  mikro- 
skopischen Wunder  und  die  des  gebrochenen  Lichtes,  durch  fort- 
laufende Vorträge  erläutert,  vorgeführt,  ganz  besonders  aber  getreue 
photographische  Nachbildungen  der  himmlischen  Objekte  dargestellt, 
an  denen  man  vorweg  auf  alle  diejenigen  subtilen  Details  aufmerksam 
machen  kann,  die  man  oben  auf  der  Sternwarte  in  natura,  jedoch  oft 
nur  unter  seltenen  atmosphärischen  Bedingungen  nach  nötliiger  Schu- 
lung des  Auges  zum  astronomischen  Sehen  zu  beobachten  im  stände 
ist.  Die  Darstellungen  des  Projektionssaales  halten  deshalb  alle  die- 
jenigen schadlos,  welche  vielleicht  früher  schon  einmal  eine  Stern- 
warte enttäuschten  Muthes  verlassen  haben,  da  es  eben  immerhin  eine 
Glückssache  mit  der  direkten  Beobachtung  des  Himmels  bleibt  Diese 
Vorsicht,  die  Wunder  des  Weltraums  auf  alle  Fälle  wenigstens  in  Pro- 
jektionen den  Schaulustigen  vorführen  zu  können,  wird  unser  Unter- 
nehmen über  die  gefährliche  Klippe  hinwegbringen,  an  welcher  alle 
bereits  vorher  unternommenen  Versuche,  eine  populäre  Sternwarte  zu 
begründen,  scheitern  mussten,  und  wird  desshalb  bereits  die  Abtheilung 
der  Sternwarte  mit  den  Projektionseinrichtungen  auch  allein,  ohne  die 
übrigen  vielverzweigten  Anlagen  des  Urania-Unternehmens,  zu  einem 
finanziell  bestandfähigen  gestalten. 

Jene  ersten  Versuche  zur  Begründung  einer  , Volksstern  warte“, 
welche  verschiedentlich  in  Berlin  unternommen  und  bald  wieder  uuf- 
gegeben  worden  sind,  waren,  abgesehen  von  den  Calamitäten,  welche 
das  Wetter  allen  Sternwarten  bereitet,  auch  namentlich  aus  dem 
Grunde  nicht  bestandfähig,  weil  diese  Anstalten  mit  unbedeutenden 
In  strumenten  ausgerüstet  und  nicht  immer  mit  voller  Sachkenntniss 
bedient  worden  sind. 

Die  Sternwarte  der  Urania  dagegen  wird  neben  geringeren  das 
grösste  und  vollkommenste  Instrument  seiner  Art  besitzen,  welches 
Berlin  überhaupt  aufzuweisen  hat,  und  zu  dessen  Gebrauch  bewährte 
Astronomen  vom  Fach  anstellen.  Die  Linse  des  grossen  Refraktors 
wird  einen  Durchmesser  von  12  pariser  Zollen  haben  und  die 
Länge  des  Fernrohres  5 Meter  betragen.  Letzteres  wird  durch  ein 
feines  Uhrwerk  dem  täglichen  Laufe  der  Sterne  nachgeführt  Ein 
Mikrometer,  nach  allen  Regeln  der  modernen  Präcisions- Mechanik 
zu  den  subtilsten  Messungen  eingerichtet,  fehlt  selbstverständlich  so 
wenig,  wie  alle  Vorrichtungen  zu  spektroskopischen  und  photo- 
graphischen Ilimmelsuntcrsuchungen.  Ueber  diesem  Kunstwerke 
wölbt  sich  ein  Kuppelbau  von  8 Metern  Durchmesser,  der  durch 
einen  Druck  gegen  einen  elektrischen  Knopf  seine  Spalten  selbst- 
thätig  öffnet  und  in  diejenige  Richtung  dirigirt,  nach  welcher  man 


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mit  dem  Uiesenfernrohr  ausblicken  will.  Ferner  werden  gegenwärtig' 
Studien  gemacht,  um  den  ganzen  Fussboden,  auf  welchem  der 
Beobachter  steht,  zugleich  mit  allen  auf  ersterem  befindlichen  Neben- 
apparaten in  die  betreffende  Augenhöhe  emporzuheben,  auf  welche 
das  Instrument  jeweilig  eingestellt  ist,  um  auf  diese  Art  den  für  den 
Ungeübten  recht  unbequemen  sogenannten  Beobach t u ngsstuh  1 “ ver- 
meiden zu  können.  So  wird  dieser  Kuppelraum  mit  seinem  grossen 
weltdurchdringenden  Glasauge  ein  mechanisches  Kunstwerk  eindrucks- 
vollster und  überraschendster  Art  werden. 

Neben  diesem  grössten  Instrumente  soll  noch  ein  zweites  von 
6 Zoll  Oeffnung  gleichfalls  unter  einer  drehbaren  Kuppel  von  4 Metern 
Durchmesser  aufgestcllt  werden,  und  auch  dieses  immerhin  noch  zu 
den  Fernrohren  mit  bedeutender  Kraft  zählende  Instrument  wird  mit 
allen  Feinheiten  des  Mechanik,  Uhrwerk,  Mikrometer  ausgestattet  sein. 
Dann  folgt  in  der  Stufenfolge  der  Priicision  ein  gleichfalls  parallaktisch 
aufgestellter  und  mit  Uhrwerk  versehener  Refraktor  von  4 Zoll  Oeff- 
nung, ferner  ein  nach  ganz  eigenartigen,  von  Gauss  zuerst  angegebenen 
optischen  Principien  gebauter  sogenannter  .Kometensucher"  von  5 Zoll 
Oeffnung,  endlich  noch  ein  (izölliges  Spiegelteleskop,  ein  Passagen- 
instrument  und  mehrere  kleinere  Fernrohre,  welche  letztere  auch 
eventuell  als  Austeilungsobjekte  gelten  können. 

Man  sieht,  dass  die  Anstalt  sich  darauf  vorbereitet,  auch  den  An- 
forderungen der  strengen  Wissenschaft  zu  genügen,  damit  die  reichen 
Mittel,  welche  hier  verwendet  werden,  auch  der  letzteren  direkt  zu 
statten  kommen  können.  Indirekt  wird  aber  der  Nutzen  unserer  hier 
flüchtig  skizzirten  Institutionen  für  die  Wissenschaft  unstreitig  ein 
ganz  wesentlicher  werden  müssen  durch  die  lebendige,  befruchtende 
Anregung,  welche  sie  in  jene  weiten  Schichten  eines  grossen  Laien- 
publikums streuen  werden,  aus  dem  oft  genug  grosse  Männer  er- 
wachsen sind,  deren  glühendes  Interesse  für  die  Naturforschung  und 
deren  durchdringender  Erfindungsgeist  ihre  Keime  und  erste  Nahrung 
keineswegs  auf  hohen  Akademien  gefunden  haben.  Man  denke  nur 
an  die  Herschel,  Bessel,  Faraday,  Edison  u.  s.  w.  Wenn  es  neben 
der  vielseitigen  Freude  an  der  Naturbetrachtung  und  der  hohen  Er- 
quickung, welche  die  Befriedigung  der  Wissbegierde  auch  in  den  ein- 
fachsten Gemüthern  erweckt,  den  Institutionen  der  Urania  gelingen  wird, 
im  Laufe  der  kommenden  Jahrzehnte  Viele  zu  erwärmen  und  zu  erfreuen 
und  auch  einige  Samenkörner  auf  fruchtbaren  Boden  auszustreuen, 
dass  sie  in  selbsständiger  Schaffenskraft  segenbringend  aufkeimen, 
so  ist  unsere  schönste  Aufgabe  erfüllt. 


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Astronomische  Neuigkeiten. 

Von  Ur.  Heinrich  Samter  in  Berlin. 

ist  eine  der  grossen  Fragen,  welche  die  Geister  in  den  letzten 
Jahrzehnten  bewegt  haben,  wo  die  Sonne  wohl  den  Ersatz  her- 
nimmt für  die  grossen  Verluste,  die  ihre  Energie  durch  ihre 
enorme  Ausstrahlung  fortwährend  erleidet.  Pouillets  Messungen 
ergeben,  dass  unsere  Erde  von  dem  Tagesgestim  alljährlich  nicht 
weniger  Wärme  empfängt,  als  zur  Erzeugung  von  300  Billionen 
Pferdekräften  nüthig  sind,  dass  die  im  laufe  eines  Jahres  ver- 
ausgabte Sonnen  wärme  genügt,  um  einen  30  Meter  dicken  Eishimmel 
in  der  Entfernung  der  Erde  zu  schmelzen.  Und  Eanglcys  Messungen 
mit  dem  Bolometer  haben  vor  wenigen  Jahren  zu  Angaben  geführt, 
welche  diejenigen  l’ouillets  noch  weit  übertreffen,  indem  sie  den 
grossen  Bedarf  zeigten,  welchen  die  Atmosphäre  bei  der  Aufnahme  der 
Strahlungen  aus  dem  Ilimmelsraume  absorbirt.  Noch  wunderbarer  als 
die  ungeheure  Wärmeabgabe  ist  aber  die  Thatsache,  dass  sich  dieselbe, 
soweit  sich  unsere  Studien  in  dieser  Beziehung  erstrecken,  nicht 
merklich  geändert  hat  Zu  den  Zeiten  der  Pharaonen  waren  die  Kultur 
der  Dattelpalme  und  des  Weinstocks  in  Aegypten  und  Palästina  zu 
Hause,  und  sie  sind  es  heute  noch,  obgleich  nach  Aragos  berühmten 
Beweise,  hinter  welchen  zwar  jüngst  durch  Woeikof  ein  starkes  Frage- 
zeichen gemacht  worden  ist  (siehe  auch  S.  64),  1 * weniger  im  jährlichen 
Durchschnitte  der  Temperatur  die  Datteln  nicht  zur  Reife  kommen  liesse 
und  1°  mehr  die  Früchte  des  Weinstocks  ausdörren  würde.  Auch  Herr 
Aitkeu  in  Ediuburg  hat  neuerdings  gezeigt,  dass  man  bei  der  Erörterung 
dieser  Fragen  einige  Voraussetzungen  gemacht  bat,  welche  nicht  durchaus 
nothwendig  sind.  Um  nämlich  jene  merkwürdige  Beständigkeit  der 
Sonnenstrahlung  während  langer  Zeiträume  zu  erklären,  hat  man  bisher 
angenommen,  dass  dieTemperatnr  der  Sonne  selbst  im  Verlaufe  derselben 
ziemlich  dieselbe  geblieben  sei.  Und  nun  hat  man  nicht  ganz  mit  Recht 
sich  nach  den  Ursachen  umgesehen,  die  eine  solche  Constanz  der  Sonnen- 
hitze ermöglichen  könnten,  indem  sie  gegenüber  den  Verlusten  durch 
Ausstrahlung  fortwährend  auf  eine  Vermehrung  derselben  hinarbeiten. 
Robert  Maver  hat  aus  dem  Fall  von  Meteormassen  in  die  Sonne  und  llelrn- 
holtz  aus  der  allmählichen  Contraction  desSunnenballs  diese  Gegenwirkung 


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hergeleitet;  Sir  William  Thomson  aber  hat  unter  der  letzteren  Annahme 
kürzlich  bewiesen,  dass,  wenn  Pouillets  Messungen  richtig  sind,  eine 
jährliche  Zusammenziehung  der  Sonne  um  35  Meter  stattfinden  müsse, 
falls  hierdurch  die  ausgestrahlte  Energie  ersetzt  werden  soll;  und  die 
Langleyschen  Arbeiten  würden  eine  noch  viel  stärkere  Oontraction  ver- 
langen. Indess  die  Beständigkeit  der  Strahlung  erfordert  keineswegs,  dass 
auch  die  Temperatur  des  Sonnenkörpers  dieselbe  bleibe.  Diese  kann  nach 
Aitkens  Ansicht  sinken,  während  der  Betrag  der  ausgestrahlten  Energie 
sich  nicht  zu  ändern  braucht,  ja  sogar  zunehmen  kann.  Die  physi- 
kalische Beobachtung  lehrt,  dass  bei  derselben  Temperatur  die  che- 
mischen Elemente  weniger  Wärme  als  ihre  Verbindungen  ausstrahlen, 
und  dass  der  Betrag  der  Strahlung  zu  wachsen  scheint,  wenn  die  Ver- 
bindungen beständiger  werden.  Wie  aber  haben  wir  uns  die  chemischen 
Zustände  der  Sonne  zu  denken?  Soviel  wissen  wir,  dass  die  innere 
Hitze  des  Sonnenkörpers  viel  zu  hoch  ist,  als  dass  chemische  Ver- 
bindungen sich  bilden  und  bestehen  könnten;  nur  in  den  äusseren 
Schichten  des  Sonnenballs  ist  diese  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen, 
aber  bei  der  immerhin  kolossalen  Ilitze,  die  dort  herrscht,  werden  die 
Verbindungen  von  keinem  innigen  Bestände,  sondern  locker  genug 
sein,  um  sich  bei  geringen  Erhöhungen  der  Temperatur  wieder  in 
Elemente  zu  spalten,  sie  werden  sich  — wie  die  Physiker  sagen  — 
im  Zustande  der  Dissociation  befinden.  Auf  der  Sonne  sind  also 
sämmtliche  Substanzen  wegen  der  ungeheuren  Temperatur  in  einer 
weniger  innigen  Verbindung  ihrer  kleinsten  Theilchen  vorhanden,  als 
auf  Erden.  Je  heisser  die  einzelnen  Theile  des  Sonnenkörpers  sind,  desto 
lockerer  werden  ihre  chemischen  Verbindungen  sein,  und  damit  wird  auch 
ihre  Ausstrahlung  geringer  werden.  Und  so  fällt  die  bisher  gemachte 
Annahme,  dass  die  uns  von  der  Sonne  zugesandte  Wärmemenge  im 
Verhältniss  zu  ihrer  Temperatur  stehen  müsse.  Die  Temperatur  kann 
sehr  wohl  im  Abnehmen  begriffen  sein,  und  doch  kann  der  Betrag 
ihrer  Ausstrahlung  wachsen,  weil  ja  mit  der  Aenderung  in  der  Temperatur 
eine  Aenderung  in  der  chemischen  Zusammensetzung  der  Sonne 
nebenher  geht.  Man  braucht  also  nicht  mehr  nach  Erscheinungen  zu 
suchen,  welche  die  Temperatur  der  Sonne  vermehren;  ein  Anwachsen 
ihrer  Energie  trotz  der  Abkühlung  kann  aber  auch  auf  anderem 
Wege  stattfinden.  So  gestattet  die  sinkende  Temporatur  der  Sonne 
die  Bildung  immer  innigerer  Verbindungen,  es  können  Verbrennungen 
stattfinden,  und  diese  erzeugen  wieder  eine  vermehrte  Hitze.  Herrn 
Aitkens  Spekulationen,  wiewohl  sie  nicht  zwingender  Natur  sind, 
zeigen  also,  dass  die  strahlende  Energie  der  Sonne  sich  sehr  wohl 
von  Zeit  zu  Zeit  — etwa  in  geologischen  Zeitepochen  — geändert 


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haben  kann,  dass  ihr  Betrag  sich  aber  nicht  nolhwendig  direkt  mit 
der  Temperatur  zu  ändern  braucht,  und  dass  wir  die  Resultate  unserer 
Laboratoriumsversuche  über  die  Strahlung  nicht  ohne  weiteres  auf 
die  in  ihrem  Wesen  allen  irdischen  Experimenten  so  unzugängliche 
Natur  der  Sonne  übertragen  dürfen. 

Auch  der  Begriff  der  Verbrennung,  den  ich  oben  brauchte,  kann 
nicht  unmittelbar  von  der  Erde  auf  die  Sonne  übertragen  werden.  Wir 
verstehen  darunter  im  allgemeinen  die  Verbindung  eines  Körpers  mit 
dem  Sauerstoff.  Hier  wollte  ich  jede  chemische  Verbindung  überhaupt 
darunter  verstehen,  denn  ob  es  Sauerstoff  auf  der  Sonne  giebt,  das 
ist  bis  vor  kurzem  eine  offene  Frage  gewesen.  Heute  dürfen  wir  sie 
mit  Ja  beantworten.  Bereits  1877  glaubte  freilich  der  Astrophysiker 
Henry  Draper  in  New-York  im  Sonnenspektrum  die  Spuren  des 
Sauerstoffs  gefunden  zu  haben.  18  helle  Linien,  welche  die  um- 
gebenden Theile  des  Spektrums  besonders  überstrahlten,  sollten  die 
Zeugen  seiner  Existenz  sein.  Helle  Linien  im  Sonnenspektrum?  Das 
wäre  ja  etwas  ganz  Ausserordentliches.  Zwar  zeigt  die  Sonne  bei 
totalen  Finsternissen,  in  dem  Momente,  wo  ihre  Sichel  verschwindet 
und  die  Corona  sichtbar  wird,  ein  Spektrum,  das  aus  lauter  hellen 
Linien  besteht,  aber  sonst  sieht  man  nur  jenes  farbige  Band,  das  von 
den  dunkeln  Fraunhoferschen  Linien  durchzogon  ist.  Draper  meinte, 
dass  der  Sauerstoff  in  der  leuchtenden  Hülle  der  Sonne  sich  in  einem 
derartig  erhöhten  Stadium  des  Glanzes  befinde,  dass  er  alle  anderen 
Theile  der  Photosphäre  überstrahlte  und  seine  „Emission1-  stärker 
wäre  als  die  des  Hintergrundes;  daher  musste  er  statt  der  dunkeln 
Absorptions-Linien  die  hellen  Emissions-Linien  liefern.  Aber  seit 
Drapers  Entdeckung  hat  man  das  Sonnenlicht  immer  genauer  ana- 
lysirt,  indem  man  es  über  immer  breitere  Flächen  zertreute.  So  haben 
jüngst  die  Herren  Trowbridge,  Ilutchins  und  Holden  in  Amerika 
eine  grosse  Photographie  des  Sonnenspektrums  mit  Hülfe  eines  vorzüg- 
lichen concavcn  Gitters  von  Rowland  erhalten,  und  diese  enthielt 
nicht  das  geringste  Zeichen  einer  Wirkung  des  Sauerstoffs,  weder 
helle  noch  dunkle  Linien.  Drapers  heile  Linien  waren  als  solche 
nur  erschienen  durch  die  Contrastwirkung,  welche  schmale  Theile  des 
farbigen  Hildes  zwischen  dunklen  Linien  ganz  besonders  hell  hervor- 
hebt; sie  waren  eine  optische  Täuschung.  Vor  einigen  Jahren  hat  in- 
dessen Herr  Dr.  Schuster  eine  Reihe  von  dunklen  Linien  des  Sauerstoffs, 
die  einem  kälteren  Zustande  desselben  entsprechen,  in  dem  Spektrum 
der  Sonne  aufgefunden,  und  seine  Beobachtung  ist  bisher  unwiderlegt 
geblieben.  Es  ist  eben  schwer,  die  interessante  Frage,  ob  dieses 
für  unser  Leben  so  wichtige  Element  dort  oben  vorkommt,  in  bün- 


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diger  Weise  zu  entscheiden,  weil  der  Sauerstoff  bei  verschiedenen  Zu- 
ständen die  verschiedensten  Spektra  liefert,  und  bislang  nicht  weniger 
als  vier  solche  als  ihm  zugehörig  erkannt  waren;  wenn  also  eine 
Reihe  der  charakteristischen  Linien  im  Sonnenspektrum  fehlt,  so  kann 
sehr  wohl  eine  andere  entdeckt  werden,  und  der  Existenzbeweis  wird 
immer  ein  schwieriger  sein.  Eins  steht  fest,  dass  nämlich  noch  keine 
von  diesen  vier  Reihen  in  dem  Spektrum  jener  glühenden  Gase  und 
Dämpfe,  welche  die  Protuberanzen  bilden,  entdeckt  wurde,  und  man 
hatte  schliesslich  angenommen,  dass  der  Sauerstoff  vielleicht  gar  kein 
Element  sei,  sondern  bei  der  grossen  Hitze  der  Sonne  dort  in  einer 
Reihe  von  Destandtheilen  vorkomme , deren  besondere  Spektra 
sämmtlich  von  denen  des  irdischen  Sauerstoffs  verschieden  seien. 
So  hat  Professor  Grünwald  in  Prag  vor  Jahresfrist  den  Nachweis  zu 
führen  versucht,  dass  der  Wasserstoff  auf  der  Sonne  zwar  als  solcher 
vorhanden  sei,  abor  auch  in  zwei  besondere  Bestandtheile  zerlegt 
vorkomme,  die  beide  ihre  besonderen  Spektrallinien  besitzen,  deren  eine 
— die  des  Coroniums  — im  Spektrum  der  Corona  vorkomme,  während  die 
andere  — diejenige  des  Heliums  — in  dem  der  Chromosphäre  erscheine. 
Neuerdings  hat  aber  Janssen  in  Meudon  bei  Paris  ein  gewisses 
Spektrum  des  Sauerstoffs,  das  aus  einer  Reihe  von  Banden  besteht, 
als  Bestandtheil  des  Sonnenspektrums  nachweisen  können,  womit 
die  Frage  nach  der  Existenz  dieses  Elements  als  entschieden  anzu- 
sehen ist  Die  bereits  genannten  amerikanischen  Forscher  glauben 
ferner  im  Sonnenspektrum  Spuren  von  Linien  gefunden  zu  haben, 
welche  für  das  Vorhandensein  gasförmigen  Kohlenstoffs  in  der  Sonnen- 
photosphäre zeugen  würden;  sie  haben  ferner  die  Anwesenheit  des 
Platins  in  der  Sonne  zur  Evidenz  gebracht,  eines  der  wenigen  irdischen 
Elemente,  die  man  bisher  noch  nie  in  einem  kosmischen  Körper  ge- 
funden hatte;  auch  Wismuth,  Cadmium  und  Cerium  bilden  nach  ihnen 
Bestandtheile  der  Sonne,  während  sich  die  Anwesenheit  von  Blei, 
Molybdän,  l'ran  und  Vanadium  dort  oben  noch  nicht  nachweisen  liess. 

Auch  über  die  Bewegungen  innerhalb  des  Sonnenkörpers  haben 
wir  neuerdings  genauere  Aufschlüsse  erlangt,  welche  für  die  Kritik 
jeder  Theorie  dieses  räthselhaften  Körpers  eine  wesentliche  Handhabe 
bieten  werden.  So  meint  der  bekannte  Pariser  Astronom  Herr  Faye,  dass 
jene  besonders  hellen  Stellen  der  Photosphäre,  welche  man  die  Fackeln 
nennt,  und  die  in  der  Nähe  des  Sonnenrandes  sich  als  Erhöhungen 
der  Lichthülle  erweisen,  ein  Erzeugniss  benachbarter  Flecken  sind. 
Diese  sollen  den  Wasserstoff  der  Chromosphäre  herabreissen,  der 
wieder  einporsteigend  die  Flocken  der  Photosphäre  in  die  Höhe  hebt 
und  so  die  Fackeln  bildet.  Die  nettesten  Forschungen  auf  dem  astro- 


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physikalischen  Observatorium  zu  Potsdam  zeigen  umgekehrt,  dass  die 
Flecken  von  den  Fackeln  abhängen,  dass  diese  bei  der  Entstehung 
der  Flecken  schon  vorhanden  und  auf  deren  Bildung  von  wesent- 
lichem Einflüsse  sind. 

Die  grosse  Ausdauer  der  Fackeln,  welche  die  Beobachtungen  von 
Herrn  Wilsing  in  Potsdam  lehrten,  lässt  schliessen,  dass  sie  nur  „die  sicht- 
bar hervortretenden  Merkmale  von  Vorgängen  sind,  die  vermuthlich  in 
tiefer  liegenden  Schichten  des  Sonnenkörpers  ihren  Ursprung  haben.“  Es 
scheint  sogar,  als  ob  die  sonderbare  Erscheinung  der  Fackeln  an  ganz  be- 
stimmte Punkte  der  Photosphäre  gebunden  sei,  und  dass  sie  sich  da- 
selbst nach  gewissen  Zeiträumen  periodisch  oder  intermittirend  wieder- 
hole. Dass  es  wirklich  die  Fackeln  sind,  von  denen  der  Ursprung 
der  Flecken  sich  herleilet,  hat  Herr  Professor  Spürer  in  Potsdam  durch 
eingehende  Untersuchungen  dargethan.  Stets  bildet  sich  ein  Fleck  in 
der  Niihe  einer  Fackel  aus,  und  bleibt  nachher  wegen  seiner  Eigen- 
bewegung gegen  die  Fackel  zurück.  Oft  entsteht  dann  zwischen  ihm 
und  der  erzeugenden  Fackel  eine  ganze  Reihe  von  neuen  Flecken, 
die  sämmtlich  auf  einem  Parallelkreise  angeordnet  sind,  und  so  schreitet 
die  Ausbildung  der  Flecke  von  Osten  nach  Westen  fort.  Ferner  zeigte 
sich,  worauf  auch  Secchi  bereits  hingewiesen  hatte,  dass  ein  Fleck  bei 
seiner  Ausbildung  weit  weniger  hinter  seiner  Umgebung  zurückbleibt, 
als  wenn  er  bereits  in  das  höchste  Stadium  der  Entwickelung  gelangt 
ist,  und  auch  das  findet  seine  einfache  Erklärung  darin,  dass  der  Fleck 
in  der  Richtung  wächst,  nach  welcher  die  Ursache  seiner  Ausbildung 
liegt,  also  — um  mich  kurz  auszudrücken  — auf  der  Fackelseite.  So 
wird  er  scheinbar  weniger  stark  gegen  die  Umgebung  zurück  bleiben, 
weil  sein  Wachsthum  auf  der  Rückseite  seiner  Eigenbewegung  statt- 
findet. „Keinen  Aufschluss  freilich  geben  die  neuen  Arbeiten  über 
die  eigenartigen  Bewegungsgesetze  der  Flecke,“  sowie  über  deren 
räthselhafte  innere  Natur.  Und  ungelöste  Räthsel  birgt  auch  die  Art, 
wie  sie  auf  tellurische  und  kosmische  Erscheinungen  einwirken.  Von 
beiden  je  ein  neueres  Beispiel.  Herr  Andre  in  Lyon  hat  die  Beobachtung 
gemacht,  dass  diejenigen  magnetischen  Störungen,  von  denen  man  längst 
weiss,  dass  sie  sich  gleichzeitig  auf  dem  ganzen  Erdball  vollziehen 
und  in  der  Sonne  ihre  Ursache  haben,  stets  dann  eintreten,  wenn  ein 
Herd  erregter  Thiitigkeit  die  scheinbare  Mitte  der  Sonnensoheibe 
passirt.  Die  Thätigkeitsherde  können  von  Flecken  und  Fackeln,  aber 
auch  von  Fackeln  allein  gebildet  sein.  Man  findet,  dass  diejenigen 
dieser  Regionen,  welche  mehrere  Rotationen  der  Sonne,  also  mehrere 
Monate  hindurch  denselben  Platz  auf  der  Sonne  behalten,  in  unseren 
automatisch  registrirten  magnetischen  Curven  gerade  in  dem  Augen- 


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blick  ihres  Durchgangs  durch  den  Mittelpunkt  der  Sonnenscheibe 
eine  Störung  erzeugen,  und  dass  im  allgemeinen  die  Magnetstäbe  ihre 
regelmässigen  täglichen  und  jährlichen  Schwankungen  nur  dann  un- 
gestört vollziehen,  wenn  in  der  Nähe  des  bezeichneten  Punktes  sich 
kein  derartiger  Herd  bemerken  lässt.  Dieses  Zusammentreffen  ist  ein 
so  regelmässiges,  dass  man,  sobald  eine  Region  mit  Fackeln  am  Ost- 
rande der  Sonne  heraufkommt,  für  den  Tag,  wo  sie  sich  auf  der 
Sonnenscheibe  genau  der  Erde  gegenüberstellen  wird,  eine  magnetische 
Störung  Voraussagen  kann. 

Das  andere  Beispiel  hat  Herr  Berberich  angegeben.  Es  betrifft 
den  Enckeschen  Kometen,  der  bei  seiner  diesjährigen  Erscheinung  am 
3.  August  von  Finlay  auf  der  Cap-Sternwarte  entdeckt  wurde.*)  Dieser 
in  vieler  Beziehung  so  merkwürdige  Weltkörpor  war  bisher  seit  mehr 
als  hundert  Jahren  in  24  Erscheinungen  sichtbar  gewesen.  Es  zeigte 
sich,  dass  dabei  seine  Helligkeit  in  seiner  grössten  Sonnennähe  von 
einem  Male  zum  anderen  merkwürdige  Aenderungen  durchgemacht  hatte. 
Sie  ist  keineswoges  seit  früheren  Erscheinungen  bis  heute  in  einer  Ab- 
nahme begriffen,  die  auf  einen  allmählichen  Verfall  des  Kometen  schliessen 
lassen  sollte,  sondern  sie  bewegt  sich  auf-  und  abwärts  und  scheint 
ihren  höchsten  Grad  zu  den  Zeiten  einer  besonders  hohen  Sonnen- 
thätigkeit  zu  erreichen,  in  den  Jahren  also,  auf  welche  die  Maxima  der 
Sonnenflecke  fallen.  So  zeigt  die  Helligkeit  des  Kometen  vielleicht  das- 
selbe periodische  Verhalten,  wie  u.  a.  die  Polarlichter  der  Erde.  Und  das 
wird  begreiflich,  wenn  man  das  Leuchten  des  Schweifsterns  als  eine 
elektrische  Erscheinung  auffasst,  wie  es  das  der  Polarlichter  sicher  ist 
Die  Sonne  mit  ihren  ungeheuren  elektrischen  Gewalten  wird  jenes 
Phänomen  beeinflussen,  wenn  nicht  hervorrufen,  und  cs  nimmt  dann 
nicht  wunder,  dass  in  den  Zeiten  einer  hohen  Erregung  des  Central- 
körpers, wenn  die  Elektrizität  desselben  vielleicht  eine  höhere  Span- 
nung erreicht,  die  Lichterscheinungen  der  Kometen  besonders  glänzende 
werden.  Die  Vermuthung  des  Herrn  Berberich,  dass  darum  zu  diesen 
Zeiten  die  Entdeckungen  von  Kometen  wegen  ihrer  gesteigerten  Hellig- 
keit sich  häufen  müssten,  ist  zwar  nicht  unwahrscheinlich,  aber  wegen 
der  vielen  anderen  Umstände,  welche  diese  Zahlen  beeinflussen,  schwer 
statistisch  zu  belegen. 

Die  Sonne  verlassend  wenden  wir  unsern  Blick  dem  Chor  ihrer 
Begleiter  zu,  und  zwar  vorerst  dem  grössten  unter  ihnen,  dem  mäch- 
tigen Jupiter.  Der  bekannte  rothe  Fleck  auf  seiner  Oberfläche  hat  vor 
einigen  Jahren  auch  Herrn  Lohse  in  Potsdam  dazu  gedient,  die  Rotation 

*)  Nach  spiitcren  Nachrichten  hat  Herr  Tebbutt  zu  Windsor  in  Neusiid- 
wales  den  Kometen  bereits  am  8.  Juli  beobachtet 


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des  Planeten  aufs  neue  abzuleiten.  Neuerdings  hat  Herr  Denning  in 
Bristol  analoge  Bestimmungen  auf  eine  sehr  grosse  Anzahl  von  Beob- 
achtungen des  rothen  Fleckes  gegründet,  und  es  hat  sich  dabei  gezeigt, 
dass  die  hieraus  abgeleitete  Rotationszeit  des  Planeten  in  verschiedenen 
Jahren  verschieden  war.  So  betrug  sie  im  Jahre  1885  bis  86  nach  der 
Berechnung  aus  659  Rotationen  9 Stunden  55  Minuten  41,1  Sekunden, 
und  sie  hatte  sich  seit  dem  Jahre  1879  um  7 Sekunden  vermehrt; 
augenblicklich  scheint  sie  wieder  in  der  Abnahme  begriffen  zu  sein. 
Sollen  wir  daraus  schliessen,  dass  Jupiter  wirklich  mit  ungleichförmiger 
Geschwindigkeit  um  seine  Axe  schwinge?  Das  wäre  etwas  ganz  Abnormes, 
denn  bisher  hat  man  die  Rotationsperiode  der  Planten,  besonders  die- 
jenige der  Erde,  welche  einem  Sterntage  gleich  ist,  für  die  constantesten 
Grössen  gehalten,  die  sich  der  Beobachtung  darbieten.  Vielmehr  scheint 
aus  jenen  Beobachtungen  zu  folgen,  dass  der  rothe  Fleck  gegen  seine 
Umgebung  nicht  ruht,  sondern  sich  im  Laufe  der  Zeit  langsam  dagegen 
verschiebt,  und  zwar  nicht  fortwährend  in  derselben  Richtung,  sondern 
bald  in  der  einen,  bald  in  der  entgegengesetzten.  Vielleicht  ergeben 
fernere  Beobachtungen  des  interessanten  Gebildes  Näheres  über  diese 
Bewegungen,  sowie  auch  Aufschlüsse  über  sein  eigentliches  Wesen. 
Jupiter  wird  freilich  bald  eine  zu  südliche  Lage  annehmen,  als  dass 
inan  ihn  mit  Vortheil  auf  den  Sternwarten  unserer  Halbkugel  beob- 
achten könnte. 

Ueber  merkwürdige  bisher  nirgends  bemerkte  Lichterscheinungen 
in  der  Nähe  des  zweitgrössten  Wandelsterns,  des  mit  dreifachem  Ringe 
umgürteten  Saturn,  berichtet  Dom  Lamey.  Derselbe  hat  bereits  im 
Jahre  1868  zu  Strassburg  mittelst  eines  vierzölligen  Refraktors  jenseits 
dieser  unmittelbaren  Umgebung  etwa  zwischen  den  Bahnen  des  ersten 
und  sechsten  Trubanten,  Mimas  und  Titan,  gewisse  ringförmige  Licht- 
(iguren  bemerkt,  und  seit  1884  auf  dem  Gipfel  des  Grignon,  begün- 
stigt von  einer  besonders  klaren  Atmosphäre  und  einem  kräftigeren 
Instrumente,  ihro  ganz  bestimmten  Formen  öfters  wahrzunehmen  ge- 
glaubt. Diese  Lichtringe  sind  nach  seiner  Angabe  in  der  Zahl  von 
vier  vorhanden,  aber  man  kann  sio  nur  selten  in  ihrer  vollen  Ausdehnung 
erkennen.  Da  ihr  Glanz  gerade  dort  am  stärksten  ist,  wo  sie  Tra- 
banten benachbart  sind,  so  lässt  sich  die  Erscheinung  nicht  durch  eine 
Contrastwirkung  erklären,  kommt  es  doch  vor,  dass  sie  an  Glanz  den 
nächsten  Trabanten  iibertreffen.  Bisher  ist  diese  interessante  Wahr- 
nehmung allerdings  von  keiner  Seite  bestätigt  worden.  Vielleicht 
wenden  die  Besitzer  grösserer  Fernrohre  diesen  zweifelhaften  Objekten 
nach  diesem  Hinweis  eingehender  ihre  Aufmerksamkeit  zu. 

Mit  dem  Planeten  Mars  beschäftigen  sich  viele  neuere  Beob- 


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achtungeu.  Da  dieselben  in  der  vorliegenden  Nummer  dieser  Zeit- 
schrift eine  eingehende  Betrachtung  durch  Herrn  Schiaparelli  erfahren, 
der  wie  kein  anderer  dazu  berufen  erscheint,  so  kann  ich  sie  füglich 
übergehen  und  wende  mich  desshalb  ohne  weiteres  zu  unserm 
Monde,  der  nach  Langleyschen  Messungen  zwar  nicht  ganz  so  ent- 
setzlich kalt  zu  sein  scheint,  wie  man  bisher  glaubte,  aber  trotz- 
dem wegen  des  Mangels  einer  unserer  Atmosphäre  entsprechenden 
Umhüllung  immer  noch,  ganz  entgegen  unserm  lieben  Nachbar  Mars, 
höchst  unwohnlich  erscheint.  Aber  warum  hat  der  Mond  keine  der 
unsrigen  an  Dichtigkeit  auch  nur  entfernt  gleichende  Atmosphäre?  Dies 
erklärt  Herr  Grenstedt  aus  der  geringen  Dichtigkeit  des  Mondkörpers. 
Sowohl  die  Erde,  wio  der  Mond  verhalten  sich  wie  meteorische 
Massen,  die  der  Luft  ausgesetzt,  sich  oxydiren,  aber  wegen  der  ge- 
ringeren Dichtigkeit  des  Mondes  verbreitete  sich  die  Oxydation  in 
seinem  Innern  leichter  als  in  der  Erde,  und  noch  als  sein  jugendliches 
Feuer  nicht  erloschen  war,  werden  das  Wasser  und  die  Luft  seiner 
Oberfläche  an  die  Gesteine  chemisch  gebunden  worden  sein. 

Eine  interessante  Arbeit  über  diejenigen  zur  Erde  herabgekommenen 
Meteorsteine,  deren  Erscheinen  am  Himmel  man  vorher  beobachtet 
hatte,  ist  von  Herrn  Newton  in  Newhaven  veröffentlicht  worden.  Aller- 
dings lauteten  die  Nachrichten  Uber  diese  Körper  zum  Theil  recht  dürftig. 
Ein  für  ihre  Bahnbestimmung  sehr  wesentliches  Stück,  die  Geschwindig- 
keit, ist  für  keinen  der  von  Herrn  Newton  untersuchten  durch  die 
Beobachtung  bekannt  gewesen,  und  liess  sich  nur  beiläufig  durch  die 
Annahme  bestimmen,  dass  sie  derjenigen  der  Kometen  in  der  Nähe 
der  Erde  gleich  sein  müsse,  und  diese  variirt  nur  zwischen  42  und 
07  Kilometer  in  der  Sekunde.  Auch  die  Richtung  des  Falls  war 
bei  den  meisten  Meteoriten  nicht  genau  zu  erfahren,  und  vielfach 
musste  es  genügen,  einen  beliebigen  Punkt,  der  zur  Beobachtungszeit 
über  dem  Horizonte  lag,  als  die  Stelle  ihres  Ausgangs  anzusehen. 
Herr  Newton  gelangt  trotzdem  zu  folgenden  Ergebnissen: 

Mit  nur  sieben  Ausnahmen  bewegten  sich  die  in  Betracht  gezo- 
genen — also  die  in  Museen  aufbewahrten  und  bei  ihrem  Fall  beob- 
achteten — Meteoriten  in  rechtläuflgen  Bahnen  um  die  Sonne.  Der 
Grund  hiervon  könnte  ein  dreifacher  sein.  Einmal  könnten  die  Me- 
teorsteine im  Sonnensystem  überhaupt  mit  wenigen  Ausnahmen  recht- 
läufige Bahnen  durchmessen.  Oder  die  rückläufigen  Meteore  können 
aus  irgend  welchem  Grunde  nur  selten  in  fester  Form  auf  den  Erd- 
boden gelangen,  etwa  weil  ihre  Geschwindigkeit  gegen  die  Erde  eine 
so  ungeheure  ist,  dass  sie  sich  bereits  in  der  Luft  aufzehren  müssten. 
Und  schliesslich  wäre  es  möglich,  dass  die  rückläufigen  Meteore. 


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welche  die  irdische  Lufthülle  durchschneiden,  gerade  zu  derZeit  fallen, 
wo  die  Menschen  in  stiller  Kammer  Nachtruhe  pflegen,  und  dass  sie 
deshalb  unbeobachtet  bleiben.  Kurz  gesagt,  der  Grund  kann  über,  in 
oder  unter  der  Luft  liegen.  Indess  liess  sich  statistisch  nachweisen,  dass 
von  diesen  drei  Gründen  der  letzte  der  allein  massgebende  nicht  sein 
kann,  der  wahre  Grund  muss  hauptsächlich  entweder  über  oder  in 
der  Luft  liegon.  Aber  die  Luft  wird  selbst  Steinen,  die  nachweisbar 
mit  den  kolossalen  Geschwindigkeiten  von  40  bis  72  Kilometern  in 
die  Atmosphäre  eintreten,  nicht  so  verhängnissvoll,  dass  sie  dieselben 
völlig  aufzehrte,  und  somit  hält  Herr  Newton  es  für  wahrscheinlich, 
dass  die  Meteoriten  überhaupt  als  Klasse  in  rechtläuiigen  Bahnen  um 
die  Sonne  laufen,  also  wohl  einst  gemeinsam  mit  den  Körpern  unseres 
Systems  aus  demselben  Urmaterial  entstanden  sind.  Eis  zeigt  sich  ferner, 
dass  die  geringste  Entfernung,  in  welcher  diese  Körper  an  der  Sonne 
hätten  vorübergehen  müssen,  wenn  sie  nicht  in  die  Wirkungssphäre 
der  Erde  gelangt  wären,  nicht  grösser  als  unser  mittlerer  Abstand  vom 
Tagesgestirn  und  nicht  kleiner  als  dessen  Hälfte  war.  Nach  alledem 
hätten  die  Meteoriten  viel  mehr  Aehnlichkeit  mit  der  Gruppe  der  Ko- 
meten mit  kurzen  Umlaufszeiten,  als  mit  denjenigen,  deren  Bahnen 
parabolisch  sind.  Denn  alle  bekannten  Kometen,  die  in  weniger  als 
33  Jahren  ihren  Umlauf  vollenden,  bewegen  sich  in  rechtläufigen 
Bahnen  mit  geringen  Neigungen  um  die  Sonne,  während  unter  den 
übrigen  Kometen  allo  Neigungen  ziemlich  gleichmässig  vertreten  sind 
und  auch  rückläufige  nicht  seltener  als  rechlläufige  Vorkommen.  Zu 
der  ganzen  immerhin  werthvollen  Untersuchung  des  Herrn  Newton 
ist  aber  zu  bemerken,  dass  sie  ein  wahres  Muster  von  Einseitigkeit 
ist;  denn  was  können  selbst  116  solcher  Bahnbestimmungen,  bei  denen 
in  keinem  einzigen  E'all  ausreichende  Daten  für  Geschwindigkeits- 
bestimmungen vorhanden  waren,  aussagen  gegen  die  sämmtlichen  be- 
reits vorhandenen  vollständigen  und  sicheren  Bahnbestimmungen  von 
Meteorsteinen,  bei  denen  man  Bewegungsrichtungen  und  Geschwindig- 
keiten gefunden  hat,  welche  sich  mit  irgend  welcher  Zugehörigkeit  zu 
unserm  Sonnensystem  gar  nicht  vertragen,  sondern  in  Verbindung 
mit  sehr  wichtigen  Untersuchungen  des  Herrn  von  Niessl  in  Brünn 
auf  die  mit  sehr  grossen  Anfangsgeschwindigkeiten  erfolgte  Aus- 
schleuderung jener  Massen  aus  grossen  fernen  Welten  sicher  liinweisen. 

Zu  den  grossen  Rüthsein,  welche  die  Natur  dieser  Weltkörper 
noch  in  sich  birgt,  hat  sich  neuerdings  noch  eins  gesellt  Man  hat 
nämlich  in  einem  Meteorstein,  der  vor  zwei  Jahren  zu  Nowo  Urei  im  Gou- 
vernement Pensa  niedcrgefallen  war,  eine  Menge  heller  grauer  Körper 
gefunden,  welche  Korund  ritzten  und  aus  reinem  Kohlenstoff  bestanden, 


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also  nichts  Anderes  sein  können,  als  Diamanten.  Sie  machten  etwa 
1 Procent  des  ganzen  Steines  aus.  Das  ist  eine  durchaus  neue  Thatsache, 
die  mit  den  Funden  von  Graphit  und  einem  anderen  graphitähnlichen 
Minerale,  wie  es  bereits  Haidinger  im  Arva-Eisen  und  Fletcher  in  dem 
Meteoriten  von  Youngdogin  in  Australien  gefunden  hatten,  nichts  zu 
thun  hat  Diamanten  in  Meteorsteinen!  Was  hält  uns  noch  ab,  von 
einem  wirklichen  diamantenen  Regen  zu  träumen,  der  uns  vom  Himmel 
herab  in  den  Schooss  lallt!  Dieses  Vorkommen  des  Diamanten  weicht  von 
den  irdischen  Lagerungen  des  kostbaren  Minerals  so  vollständig  ab, 
dass  dadurch  auch  auf  dessen  noch  unergründetes  Wesen  Licht  fallen 
könnte.*)  Der  bekannte  Geologe  Herr  Daubree  macht  die  Bemerkung, 
dass  die  Temperatur  des  Meteoriten,  seitdem  die  Diamanten  sich  darin 
entwickelt  haben,  nicht  sehr  hoch  gewesen  sein  kann,  weil  sie  sonst 
wohl  verbrannt  wären. 

Mit  den  Sternschnuppen  beschäftigt  sich  eine  Arbeit  des  Generals 
Tillo  in  St.  Petersburg,  welche  von  der  Vertheilung  der  Radiations- 
punkte  am  Himmel  handelt.  Dieses  Problem  ist  bereits  von  Herrn 
Schiaparelli  der  Theorie  nach  vollständig  gelöst  worden;  leider 
genügten  aber  die  Beobachtungen  von  Zezioli,  die  er  allein  seiner 
Statistik  zu  Grunde  legte,  nicht,  um  die  Gesetzo  zahlenmässig  zu 
erkennen.  Tillo  verfügte  über  ein  viel  grösseres  Material,  das  vor 
vier  Jahren  von  Kleiber  in  St  Petersburg  publizirt  worden  und  von 
nicht  weniger  als  1490  Radiationspunkten  gebildet  ist,  die  an  26049 
Tagen  beobachtet  wurden.  Zunächst  ist  es  interessant  gewesen,  zu 
erfahren,  ob  die  Sternschnuppen  vielleicht  auch  Zougniss  ablegen  für 
jene  Bewegung,  die  unser  ganzes  Sonnensystem  in  der  Richtung  nach 
dem  Stembilde  des  Herkules  ausführt.  Gehören  die  Sternschnuppen 
nicht  mit  zu  unserem  System,  so  müssen  uns  natürlich  bei  dieser 
Reise  durchs  Weltall  vorn  mehr  als  auf  der  Rückseite  erscheinen. 
Aber  da  sich  jene  Gegend  um  das  genannto  Sternbild  nicht  durch 
besonderen  Reichthum  an  fallenden  Sternchen  ausgezeichnet  erwies, 
so  dürfen  wir  auch  hieraus  schliessen,  dass  die  Sternschnuppen  mit 
zu  unserem  Systeme  gehören.  Merkwürdig  aber  war  der  besondere 
Reichthum  jener  Gegenden  des  Himmels,  welche  die  Milchstrasse 
durchzieht.  Wir  dürfen  hieraus  freilich  noch  keinen  Schluss  auf  den 
Einfluss  dieses  sternenreichen  Gürtels  ziehen.  Es  zeigt  sich  nämlich, 

•)  Nachträglich  entnehme  ich  einem  Sitzungsbericht  der  Ac.  of  Nat.  Sc. 
Philad.,  dass  Prof.  Lewis  bereits  vor  Jahren  auf  die  Aehnlichkeit  des  Diamanten 
führenden  Kimberlits  in  Südafrika  mit  Meteoriten,  sowohl  im  Kau  als  in  der 
Zusammensetzung,  hingewiesen  und  angesichts  dieser  Thatsache  die  Suche  naeh 
Diamanten  in  Meteoriten  empfohlen  hat.  I).  V. 

Himmel  und  Erde.  ISH&  I.  4 


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50 

dass  jener  Punkt,  auf  den  die  Knie  in  ihrem  l imlauf  um  die  Sonne 
hinzielt,  im  Laufe  eines  halben  Jahres  eben  jene  besonders  reichen 
Gegenden  des  Himmels  durchwandert.  L’111  diesen  Punkt  aber  müssten 
nach  Schiaparelli  die  Ausgangspunkte  unserer  Sternschnuppen  sich 
häufen.  Das  hat  freilich  die  neue  Arbeit  nicht  ganz  bestätigt,  sie 
zeigte  vielmehr,  dass  jene  Regionen,  die  dem  Stande  der  Sonne  genau 
entgegengesetzt  liegen,  sich  durch  einen  weit  grösseren  Reichthum 
auszeichnen;  aber  das  ist  wohl  auf  die  überwiegend  ungünstige  Lage 
jenes  Punktes  zurückzuführen,  der  nur  in  den  Morgenstunden  über 
dem  Horizonte  liegt. 

Befreien  wir  uns  aus  den  engen  Schranken  unseres  Sonnen- 
systems, und  erheben  wir  uns  in  die  Sphäre  der  Fixsterne!  Dieselben 
erfreuen  sich  rücksichtlich  ihrer  physikalischen  Natur  bei  dem  stetigen 
Fortschritte  der  Beobachtungsmittel  eines  immer  genaueren  Studiums. 
Spektralanalyse  und  Photographie  haben  in  der  Spektralpliotographio 
sich  zusammen  gethan  und  Wunder  vollbracht  in  der  Fixirung  jener 
Geheimschrift,  welche,  längst  entziffert,  die  chemische  Natur  und  den 
physikalischen  Zustand  der  fernsten  Welten  sofort  ablesen  lässt.  In 
Potsdam  hat  man  zuerst  diese  Methode  angewendet,  um  aus  den  geringen 
Abweichungen  der  Spektrallinien  von  denen,  die  einem  unbewegten 
Körper  angchören,  die  Geschwindigkeit  einiger  besonders  hellen 
Sonnen  zu  bestimmen,  und  die  jetzt  bereits  erreichte  Genauigkeit  von 
einer  geographischen  Meile  lässt  hoffen,  dass  diese  Beobachtungen  uns 
einst  auch  die  sichere  Kenntniss  unserer  Bewegung  mit  dem  Sonnen- 
system nach  Richtung  und  Geschwindigkeit  ergeben  werden,  deren 
bisherige  Bestimmung  aus  englischen  Messungen  vorläufig  nur  den 
Werth  einer  ersten  Näherung  an  die  Wahrheit  besitzt.  Aeusserst 
thätig  auf  diesem  Gebiete  ist  auch  der  Direktor  des  mit  der  Har- 
vard-Universität verbundenen  astrophysikalischen  Instituts  zu  Cam- 
bridge in  Nord-Amerika,  Herr  Pickering,  auf  dessen  grosse  Leistungen 
ich  wohl  bei  einer  anderen  Gelegenheit  zurückkomme.  Er  hat  dem  ver- 
änderlichen Sterne  Algol  im  Perseus  seine  besondere  Aufmerksamkeit 
zugewendet  und  sein  Spektrum  sowohl  zur  Zeit  des  höchsten,  wie  des 
geringsten  Glanzes  photographirt.  Dieser  Stern  und  alle,  die  seine  sonder- 
bare physikalische  Natur  tlieilen,  — die  Veränderlichen  vom  Algoltypus  — 
besitzen  Wasserstoff- Absorptionsbanden  im  Spektrum.  Aber  zwischen 
den  beiden  Bildern  ist  kein  anderer  Unterschied  als  einer  in  der  all- 
gemeinen Helligkeit  des  Spektrums,  und  so  bietet  die  Spektralanalyse 
in  diesem  Falle  noch  kein  Mittel,  um  die  Frage  nach  der  inneren  Natur 
des  Lichtwechsels  zu  entscheiden.  Diesen  selbst  hat  Herr  Chandler  zum 
Gegenstände  einer  Abhandlung  gemacht,  in  der  er  ein  Gesetz  für  die 


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51 


merkwürdigen  Sohwankungen  ableitet,  denen  die  Periode  des  Licht- 
wechsels unterliegt.  Dieses  Gesetz  schliesst  sich  an  die  säramtlichen 
Beobachtungen  der  Lichtstärke  an,  die,  seit  Goodricke  vor  mehr  als 
einem  Jahrhundert  die  Eigentümlichkeiten  dieses  Sterns  entdeckte, 
von  mehr  als  fünfzig  Astronomen  bisher  notirt  sind.  Bekanntlich 
meint  man  bis  jetzt  nach  Gylden,  dass  die  Veränderlichkeit  der  Periode 
in  Schwankungen  der  Rotationsachsen  dieser  Gestirne  ihre  Er- 
klärung findet 

Die  bekannte  Ilimmelsforscherin  Fräulein  Clerke  hat  sich  mit  den 
veränderlichen  Doppelsternen  beschäftigt,  von  denen  der  Stern  f in 
der  Jungfrau  wohl  der  bekannteste  ist;  sie  findet  das  Spektrum  dieser 
Sterne  zumeist  von  dem  Typus,  den  auch  das  Siriusspektrum  zeigt. 
Es  sind  siimmtlich  Doppelsterne,  die  in  sehr  excentrischen  Bahnen 
laufen,  und  speciell  bei  dem  genannten  Sterne  sind  die  raschesten 
Aenderungen  im  Glanze  erfolgt,  als  er  seinem  Begleiter  am  nächsten 
stand.  Vielleicht  lassen  sich  die  Schwankungen  des  Algol  auch  ein- 
mal so  erklären,  wenn  man  ihm  erst  einen  Begleiter  gefunden  hat.*) 
Dass  bei  dem  eifrigen  Studium  der  Sterne  auch  fortwährend  neue 
Veränderliche  und  neue  Sterne  entdeckt  werden,  die  sich  dann  meist 
als  variabel  erweisen,  kann  uns  nicht  wunder  nehmen,  ist  es 
doch  wahrscheinlich,  dass  kein  Stern  wirklich  stets  genau  seinen 
Glanz  beibehält.  Vorläufig  kennen  wir  zwar  schon  die  Veränder- 
lichkeit sehr  vieler  Sterne,  aber  bei  den  meisten  wird  erst  die  Zukunft 
das  Mass  dieser  Aenderungen  zu  konstatiren  haben,  wenn  die  genügenden 
Instrumente  vorhanden  sein  werden.  Hier  ist  dankbare  einfache  Arbeit 
für  noch  viele  Geschlechter. 

*)  Nicht  als  ob  dieser  — wie  einige  meinen  — vor  den  Algol  tretend,  uns 
zeitweise  einen  Theil  seines  Lichtes  entzieht,  soudorn  die  Veränderlichkeiten  in 
der  Bahngeschwindigkeit  können  vielleicht  in  Verbindung  mit  einer  Rotation 
den  merkwürdigen  Lichtwechsel  und  seine  Unregelmässigkeit  zur  Folge  haben. 


4* 


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Der  Komet  Sawerthal.  Besondere  Räthsel  für  den  Witz  der  Astronomen 
stellte  in  diesem  Jahre  der  Komet,  den  Herr  Sawerthal  am  16.  Februar  mit 
blossem  Auge  wahrnahm,  als  er  früh  am  Morgen  die  photographische  Abthei- 
lung der  Cap-Sternwarte  verliess.  Vom  12.  März  an  ist  dieser  Weltkörper 
auch  in  Kuropa  zu  beobachten  gewesen,  als  er  seine  ursprünglich  stark  süd- 
liche Stellung  verlassend  in  raschem  Laufe  nördlichen  Regionen  zustrebte.  An 
diesem  Tage  wurde  er  zuerst  in  Palermo  gesehen ; später  ward  er  auch  in  den 
höheren  Breiten  unseres  Krdtheils  der  Beobachtung  zugänglich,  und  wurde 
allenthalben  ein  willkommenes  Objekt  für  die  verschiedensten  astronomischen 
Studien.  Seine  Bahn  wurde  durch  dio  Beobachtungen  als  eine  Ellipse  be- 
stimmt, freilich  als  eine  sehr  lang  gestreckte,  zu  deren  Durchmessung  der 
Komet  nicht  weniger  als  *2370  Jahre  gebrauchen  wird.  Sein  Aussehen  war 
durchaus  kein  auffallendes,  selbst  der  Besitz  von  zwei  Schweifen,  deren  einer 
schwächer  war  und  nur  wenig  bemerkt  wurde,  ist  nichts  Ungewöhnliches,  man 
hat  sogar  unter  diesen  Himmelsgästen  solche  gesehen,  die  nicht  weniger  als 
drei  Schweife  zur  Schau  trugen.  Der  Kern  des  Kometen  freilich  zeigte,  dass 
in  seiner  Masse  nicht  alles  in  so  schöner  Ruhe  und  Ordnung  war,  wie  wir  sie 
in  den  ziemlich  starren  und  wenig  veränderlichen  Massen  der  Planeten  zu  finden 
gewöhnt  sind.  Derselbe  brach  nämlich  im  Laufe  der  Beobachtungen  in  drei 
Stücke,  die  sämmtlich  etwa  in  gerader  Linie  nach  der  Sonne  hin  gereiht  lagen. 
Auch  das  ist  kein  neues  Ereigniss.  Zelin  Jahre  nach  der  Erfindung  des  Fernrohrs 
hat  man  bereits  in  dem  Kometen  von  1018  einen  allmählichen  Zerfall  des  Kerns 


!SM  litt.  Mai  Bi 

Der  Komet  Sawerthal. 

(iezclchnet  von  L.  Watscbichowski.  t Astronomische*  Nachrichten  Bd.  11J.) 


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— 


53 


erst  in  drei  und  dann  in  sehr  viele  Theile  wahrnohmen  können,  und  in  un- 
serem Jahrhundert  hat  z.  B.  der  Bielasche  Komet  vor  aller  Augen  eine  Zwei- 
theilung durchgeinacht.  Man  meint,  dass  die  Sonne  durch  ihre  Wärmestrahlung 
und  vielleicht  auch  durch  elektrische  Wirkungen  an  diesem  Zerreissen  der 
Kometenmaterie  die  Schuld  trage.  Das  Ansehen,  wie  der  Komet  es  bis  zum 

20.  Mai  gehabt  hat,  zeigt  dio  erste  Figur.  Aber  zwischen  diesem  Tage  und  dem 

21.  war  eine  Veränderung  mit  ihm  vorgegangen,  die  ihn  kaum  mehr  wieder- 
erkennen liess.  Der  Komet  hatte  bereits  am  17.  März  seine  grösste  Nähe  zur 
Sonne  erreicht,  und  entfernte  sich  mit  grosser  Geschwindigkeit;  dabei  nahm 
seine  Helligkeit  bedeutend  ab.  Bereits  war  der  Korn,  den  man  zur  Zeit  der 
Sonnennähe  mit  blossem  Auge  wahrnehmen  konnte,  zu  einem  Sternchen  von 
der  8.  bis  9.  Grösse  geworden.  Da  auf  einmal  leuchtete  er  in  vermehrtem 
Glanze  auf  und  machte  dio  HimmelBforscher  zweifelhaft,  ob  sie  es  überhaupt 
noch  mit  demselben  Kometen  zu  thun  hätten.  Herr  Dr.  Franz  in  Königsberg 
glaubte  anfänglich  einen  hellgelben  Fixstern  an  Stelle  des  Kometen  zu  sehen, 
den  die  Beobachter  bisher  als  blassrotli  geschildert  hatten,  und  der  nun  ganz 
verschwunden  schien;  aber  die  Bonner  Sternkarten  zeigten,  dass  die  betreffende 
Gegend  des  Himmels  keinen  helleren  Stern  enthielt,  und  die  Beobachtungen 
ergaben,  dass  der  helle  Himmelskörper  seiner  Stellung  und  seinem  Laufe  nach 
nur  der  Komet  sein  konnte.  Der  Kern  war  nach  der  Schätzung  des  Herrn 
Franz  zu  einem  Sterne  fünfter  Grösse  geworden,  also  erschien  das  Licht  um 
3'/a  GrÖssenklassc  vermehrt.  Nun  strahlen  dio  Sterne  jeder  Grössenklasse 
das  2Vjfacho  von  dem  Glanzo  der  nach  der  Nuraerirung  nächstfolgenden  oder 
nächst  licht  schwächeren  aus.  Demnach  zeigt  eine  einfache  Rechnung,  dass 
das  Licht  des  Kometen  etwa  auf  2l/a  zur  Potenz  3*/j,  also  auf  das  25  fache 
des  vorherigen  gestiegen  war.  Zudem  waren  die  Schweife  sehr  schwach  ge- 
worden, es  war  kaum  eine  Andeutung  mehr  davon  vorhanden,  aber  aus  dem 
Kerne  gingen  zwei  sichelförmige  Lichtausströra ungen  hervor,  die  ziemlich 
senkrecht  gegen  den  Hauptschweif  standen;  ihre  Richtung,  vom  Kerne  aus 
der  Sonne  zugekehrt,  wand  sich  allmählich  rückwärts  dem  Schweife  zu,  und 
dessen  Glanz  wurde  von  demjenigen  der  Lichtausfliisso  bedeutend  überstrahlt. 
Diesen  neuen  Anblick  des  Kometen  zeigt  die  zweite  Figur.  Mail  hat  diese  Ver- 
änderung ausserdem  in  Schlesien,  in  Russland,  in  der  Schweiz  und  zuerst 
wohl  in  Ungarn  wahrgenommen,  und  überall  stimmen  die  Schilderungen  mit 
einander  überein. 

Ganz  neu  ist  freilich  auch  ein  solcher  Lichtausbruch  bei  einem  Ko- 
meten nicht.  Bereits  vor  fünf  Jahren  Bah  man  an  dem  periodischen  Kometen 
Pons-Brooks  zwischen  dem  22.  und  23.  September  einen  ähnlichen  Vorgang 
sich  abspielen:  auch  liier  war  die  Helligkeit  des  Kometen  eine  stark  vermehrte, 
auch  hier  zeigten  sich  fächerförmige  Lichtbögen,  die  der  Koineteninatorie  ent- 
strömten. 

Zur  Erklärung  solcher  Vorgänge  wird  es  noch  vollständigerer  Beob- 
achtungen, insbesondere  auch  spektrometrischer  Art,  bedürfen,  als  bis  jetzt 
vorliegen.  Wir  kommen  später  einmal  darauf  zurück,  indem  wir  uns  für  heut 
mit  einer  Darstellung  des  Sacliverlaufes  begnügen.  Sm. 

* 


Die  Sonnenfinsternis«  vom  19.  August  1887.  Die  Vorbereitungen  für 
die  Beobachtung  der  totalen  Sonnenfinsternis  vom  19.  August  1887  sind,  wie 
bekannt,  alle  durch  schlechtes  Wetter  vereitelt  worden.  Eine  grosse  Zahl  von 
Stationen  war  in  Russland  längs  der  Linie  der  Contralität  sowohl  von 


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54 


russischen,  wie  auch  ausländischen  Astronomen  besetzt  worden,  aber  alle  sind 
wegen  ungünstiger  Witterungsverhültnisse  mehr  oder  weniger  verhindert  worden, 
die  projektirten  Beobachtungen  auszuführen. 

Um  so  mehr  Interesse  bieten  die  Beobachtungen  von  Laien,  welche  in 
vielen  Orten  des  europäischen  und  besonders  asiatischen  Russland  sich  eines 
günstigen  Wetters  erfreuen  konnten.  Die  physikalische  Abtheilung  der 
russischen  physico-  chemischen  Gesellschaft  in  St.  Petersburg  hatte  eine  In- 
struktion für  Beobachtungen  erscheinen  lassen,  welche  von  Laien  ohne  In- 
strumente oder  mit  Hilfe  der  einfachsten  Vorrichtungen  ausgeführt  werden 
können:  mehr  als  100  Mittheilungen  sind  an  die  Gesellschaft  aus  der  Totalitäts- 
zone allein  eingelaufon,  in  welchen  eine  grosse  Zahl  von  Zeichnungen  der 
Sonnencorona  enthalten  ist  Die  Beobachter  sind  auf  der  ganzen  Strecke 
der  Totalität  von  der  westlichen  Grenze  Russlands  bis  an  die  östliche  Küste 
von  Sibirien  vertheilt,  und  ihre  Berichte  geben  daher  ein  continuirliches  Bild 
von  dem  ganzen  Verlaufe  der  Finsterniss  während  mehrerer  Stunden. 

Ein  Theil  der  cingelaufenen  Mittheilungen  wird  gegenwärtig  im  Journal 
der  phyaico-che mischen  Gesellschaft  (in  russischer  Sprache)  publicirt  Dieselben 
werden  samt  Auszügen  aus  den  übrigen  Mittheilungen  und  einer  Bearbeitung 
des  gesamten  erhaltenen  Materials  in  dem  detuillirten  Berichte  erscheinen, 
welchen  Professor  Egerof  von  der  Universität  zu  St  Petersburg  gegenwärtig 
vorbereitet  und  bald  der  OefTentlichkeit  übergeben  wird.  Wir  werden  seiner 
Zeit  darüber  Näheres  mitzutheilen  haben.*) 

Aus  den  Resultaten  der  Expeditionen,  welche  von  der  physico-che- 
mischon  Gesellschaft  selbst  ausgerüstet  und  nach  verschiedenen  Ortschaften 
im  europäischen  und  asiatischen  Russland  ausgesandt  wurden,  sind  besonders 
die  10  ausgezeichneten  photographischen  Aufnahmen  hervorzuheben,  welche  es 
Herrn  Chamantof  gelang  in  Krasnojarzk  (Gouv.  Jenisseisk,  Ostsibirien)  von 
der  Sonnencorona  während  der  kurzen  Dauer  der  Totalität  zu  erhalten.  Die- 
selben gewinnen  noch  viel  an  Wichtigkeit  und  Interesse  durch  Vergleich  mit 
einigen  anderen  einzelnen  Aufnahmen,  welche  an  anderen  Orten,  in  Mohilew, 
Petrorsk,  Kuschwa,  Possjet  etc.  erhalten  und  der  Gesellschaft  zugesandt  worden 
sind,  denn  sie  erlauben  es,  die  oft  bestrittene  Frage  über  die  Stabilität  der 
Form  der  Sonnencorona  zu  beantworten. 

Joseph  Kleiber,  St.  Petersburg. 


£ 


Erscheinungen  am  Sternenhimmel  iin  Monat  öetober. 

In  der  vorliegenden  Rubrik,  welche  in  jedem  folgenden  Hefte  unserer 
Zeitschrift  wiederkehren  wird,  gedenken  wir  nur  auf  alle  diejenigen  Erschei- 
nungen am  gestirnten  Himmel  aufmerksam  zu  machen,  welche  an  sich  neu  und 
deshalb  in  den  astronomischen  Jahrbüchern  nicht  aufgeführt  sind.  Höchstens 
sollen  seltenere  Erscheinungen  an  den  permanenten  Himmelskörpern,  welche 
das  besondere  Interesse  eines  grösseren  Publikums  in  Anspruch  zu  nehmen  be- 
rechtigt sind,  in  besonderer  Weise  hier  behandelt  werden.  — Dementsprechend 
haben  wir  für  den  Monat  October  nur  über  eine  Anzahl  noch  sichtbarer  Kometen 
zu  berichten: 

1.  Der  periodische  Fayesche  Komet  (entdeckt  am  22.  Nov.  1843;  Um- 
laufszeit etwa  2700  Tage),  dessen  Rückkehr  für  den  Herbst  dieses  Jahres  er- 

•j  Bereits  im  nächsten  Jleflo  werden  wir  unsern  Lesern  einige  jener  Zeichnungen  der 
Ooron*  vorfuhren  können. 


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ÜU 


wartet  wurde,  ist  am  9.  August  von  Perrotin  in  Nizza  aufgefunden  worden. 
Der  Komet  steht  Anfang  Octobcr  nahe  der  südlichen  Fackel  der  „Zwillinge“  und 
geht  für  Berlin  etwa  s/«  Stunden  vor  Mitternacht  auf;  im  Laufe  des  Monats 
nimmt  er  seinen  Weg  durch  den  nördlichen  Theil  des  „kleinen  Hund“  und 
tritt  im  November,  an  Helligkeit  zunehmend,  in  die  „Wasserschlange“.  Seine 
Lichtstärke  erreicht  dann  etwa  das  Doppelte  von  jener,  die  er  bei  seiner  Auf- 
findung im  Jahre  1873  gezeigt  hat.  Das  folgende  Bild  veranschaulicht  seine  Lage 
zum  Horizont  für  unsere  Breiten  während  der  für  den  Kometen  günstigen 
Beobachtungszeit  im  October. 


io"  70*  **"  so*  +o 

O'tCUA. 

Ort  und  Lauf  des  Kometen  Faye  im  October  um  3 Uhr  Morgens  Berliner  Zeit 


2.  Der  allbekannte  periodische  Enokesche  Komet,  der  während  der 
Zeit  seiner  Entdeckung  (178(1)  bis  zu  der  für  dieses  Jahr  erwarteten  Rückkehr 
den  31sten  Umlauf  um  die  Sonne  vollführt  hat,  ist  am  3.  August  auf  der 
Sternwarte  der  Capstadt  aufgefunden  worden.*)  Er  verbleibt  bei  seiner  dies- 
jährigen Erscheinung  auf  der  südlichen  Hemisphäre  des  Sternhimmels. 

3.  Der  Komet  Sawerthal,  der  uns  durch  seine  plötzliche  Helligkeits- 
änderung sehr  merkwürdig  geworden  ist,  von  dessen  plötzlichen  Licht- 
ausbrüchen weiter  oben  die  Rede  war  (S.  5*2),  steht  im  October  im  nördlichen 
Theile  des  Pegasus,  ist  aber  nunmehr  nur  sehr  kräftigen  Fernrohren  zugänglich. 

4.  Ein  telescopischer  von  W.  R.  Brooks  in  Nordamerika  am  7.  August 
entdeckter  Komet  durchläuft  im  October  das  Sternbild  „Bootes“  mit  abnehmender 
Helligkeit. 

5.  Ein  anderer,  noch  schwächerer  teleskopischer  Komet  ist  am  2.  Sept. 
von  Barnard  auf  dem  neuen  Lick-Observatorv  in  Califomien  entdeckt  worden. 
Er  wird  in  dem  vorliegenden  Kabeltelegramm  11.  Grösse  angegeben,  mit  leid- 
lich gut  sichtbarem  Kern,  ohne  Schweif.  Während  der  Entdeckung  befand  sich 
der  Komet  ungefähr  an  der  Grenze  der  Sternbilder  der  Zwillinge  und  des  Kleinen 
Hund.  Er  ist  seitdem  in  Strassburg  wieder  gesehen  und  bewegt  sich  gegen- 
wärtig sehr  langsam  südlich.  Ueber  seinen  zukünftigen  Lauf  liess  sich  bei 
Abschluss  des  gegenwärtigen  Heftes  noch  nichts  ermitteln. 


* Siehe  hierüber  auch  unseren  Artikel  „Astronomische  Neuigkeiten“  S.  4T>. 


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Staubfälle.  Ueber  die  am  h.  und  0>.  Februar  1888  in  einzelnen  Thoilen 
Schlesiens.  Mährens  und  Ungarns  mit  Schnee  nicdcrgofallenen  Staubmassen 
giebt  Freiherr  v.  Camerlan  in  dem  gegenwärtig  vorliegenden  Jahresberichte 
der  k.  k.  geologischen  Reichsanstalt  zu  Wien  interessante  Mittheilungen,  aus 
denen  wir  Folgendes  entnehmen.  Seit  einigen  Jahren  ist  in  wissenschaftlichen 
Kroisen  vielfach  die  Frage  nach  der  Möglichkeit  einer  Massenbereicherung 
unseres  Erdballs  durch  die  Aufnahme  kosmischer  Staubteilchen  erörtert 
worden.  Angeregt  wurde  diese  Frage,  wie  es  scheint,  durch  NordenskiÜld, 
der  zu  der  Annahme  einer  ausserirdischcn  Zufuhr  solcher  kosmischen  Be- 
standteile durch  Untersuchungen  gebracht  wurde,  die  er  mit  Schnee  grön- 
ländischen und  Bcandinavisclien  Ursprungs  anstellte,  indem  er  nach  dem 
Schmelzen  desselben  einen  besonderen  Rückstand,  namentlich  aber  ein  eigen- 
artiges, anderweitig  nicht  bekanntes  Silicat,  das  sogenannte  „Kryokonit“,  als 
hauptsächlichsten  Bestandteil  jenes  Staubes  nachweiaen  konnte.  Die  Ergeb- 
nisse des  nordischen  Forschers  haben  zu  weiteren  Untersuchungen  Veranlassung 
gegeben;  so  bat  Silvestri  auf  Sicilien  den  Regen,  v.  Lasaaulx  in  Norddeutsch- 
land niedergegangenen  Schnee  einer  eingehenden  Prüfung  unterworfen,  ohne 
dass  sich  dabei  mit  Bestimmtheit  Anzeichen  ergeben  hätten,  die  auf  eine 
meteorische  Abstammung  der  darin  enthaltenen  festen  Stofftheilo  Hinweisen; 
denn  die  von  Letzterem  gefundenen  spärlichen  Mengen  von  Eisen,  Kobalt  und 
Nickel  können  wohl  kaum  als  ein  genügender  Beweis  hierfür  gelten. 

Der  in  den  bezeichneten  Gebieten  gefallene  Sclinco  war  dadurch  be- 
sonders bemerkenswert,  dass  ihn  eine  Staubschicht  von  stellenweise  3 bis 
4 Centimeter  Höhe  bedeckte,  deren  auffällig  gelbe  Färbung  das  Vorliegen  eines 
ausserordentlich  seltenen  Phänomens  auf  den  ersten  Blick  andeutete  und 
eine  nähere  Untersuchung  wünschenswert  erscheinen  liess.  Eine  solcho 
wurde  nun  von  Herrn  v.  Camerlan  auf  dem  doppelten  Wege  der  Mikroskopie 
und  der  chemischen  Analyse  mit  aller  Sorgfalt  durch  geführt,  wobei  die  erster© 
Methode  das  Vorhandensein  von  besonders  vielen,  stark  lichtbrechenden  Quarz- 
krystallen  feststellte,  daneben  fanden  sicli  auch  teils  organische  Reste  vor, 
wie  Diatomeen,  teils  vegetabilische  wie  Trigonien,  und  ausserdem  eino  grosse 
Anzahl  farbiger  Mineralsubs  tanzen  als  Thonthoilcbcn , Hornblende,  Turmalin, 
Epidot,  Rutil,  Granat,  Calcit  u.  s.  w.  Die  chemische  Prüfung  dagegen  ergab, 
dass  metallische  Bestandteile  in  dem  Staube  gar  nicht  vertreten  sind.  Ueber 
die  wichtige  und  interessante  Frage  nach  der  Heiinath  dieser  Stoffmengen 
glaubt  nun  v.  Camerlan  — freilich  mit  aller  Reserve  — einige  Vermutungen 
aussprechen  zu  können.  An  einen  kosmischen  Ursprung  zu  denken  hält  er 
von  vornherein  für  ausgeschlossen;  aber  auch  die  am  nächsten  liegende  Er- 
klärung, dass  es  sich  hier  um  Löstheilcben  handelt,  welche  aus  den  benach- 
barten Ebenen  aufgcwirbelt  sind,  muss  zurückgewiesen  werden,  weil  einmal 
die  Masscnhaftigkoit  und  Ausdehnung  der  Erscheinung  ihr  das  Kennzeichen 
des  Lokalen  benimmt  — eine  Schätzung  ergiebt,  dass  auf  die  140  Quadrat- 
raeilen  umfassende  Schneedecke  1401  Cubikklafter  Staub  kommen -- dann  aber 


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auch,  weil  vom  geologisch-petrographischen  Standpunkte  aus  die  Abstammung 
der  Staubmassen  aus  dem  norddeutschen  Flachlande  nicht  zulässig  erscheint. 
Nach  einer  Mittheilung  von  Herrn  Prof.  Hann  in  Wien  bewegte  sich  nun  an 
den  betreffenden  Tagen  ein  Barometerminimum  von  der  scandinavischon  Halb- 
insel in  südöstlicher  Richtung,  welches  sich  am  schwarzon  Meere  auflöste  und 
zu  dem  Entstehen  eines  orkanartigen  Sturmes  in  der  bezeichneten  Richtung 
Veranlassung  gab.  Mit  Rücksicht  hierauf  glaubt  Herr  v.  Camerlan,  die  Hei- 
math  der  Staubmassen  in  den  krystallinischen  Hochgebirgen  von  Schweden 
und  Norwegen  suchen  zu  müssen.  Der  in  den  bedeutenden  Höhen  jener 
Berge  aufgowirbelte  Staub  kann  über  die  preussische  Tiefebene  in  höheren 
Luftschichten  dahin  geflogen  sein,  bis  das  schlesische  Gebirge  sich  ihm  gegen- 
über stellte  und  ihn  zum  Fall  brachte.  Schw. 


Dichtigkeitsinessungen  des  Meereswassers.  Ueber  lokale  Ungleich- 
heiten in  der  Dichtigkeit  des  Meereswassers  berichtet  A.  Th o ulet,  Prof,  an 
der  Facultät  der  Wissenschaften  zu  Nancy  in  den  Annales  de  Chimie  et  de 
Physique,  6 Sörie,  torae  XIV,  Juli  1888. 

Die  Oberfläche  der  Wasserhülle  unserer  Erde  hat  bekanntlich  keine  regel- 
mässige geometrische  Gestalt,  d.  h.  sie  entspricht  nicht  genau  einem  sogenannten 
Rotationsellipsoide.  Abgesehen  von  den  dauerdon  Unregelmässigkeiten  an  den 
Küsten,  welche  durch  die  Anziehung  der  Continentalmassen  hervorgerufen 
werden,  finden  auf  offenem  Meere  auch  solche  statt,  die  in  einer  zeitweisen 
Störung  der  Niveauflächen  der  Oceanbecken  bestehen  und  ihren  Ursprung  in 
lokalen  Dichtigkeitsverschiedenheiten  des  Wassers  haben*  Letztere  sind  aber 
wiederum  bedingt  durch  örtliche  Ungleich mässigkeiten  in  der  Temperatur  und 
durch  den  wechselnden  Stand  des  Salzgehaltes,  indem  mit  zunehmender 
Temperatur  oine  Ausdehnung  des  Wassers  und  mit  gesteigertem  Salzgehalte 
eine  Vermehrung  der  Dichte  verbunden  ist.  Wo  aber  örtliche  Defecte  in  der 
Dichte  eintreten,  da  muss  nach  der  Theorie  des  Gleichgewichtes  an  solchen 
Punkten  eine  Hebung  des  Meeresniveaus  und  sodann  ein  Abströmon  der 
speeiflsch  leichteren  Wassermengen  nach  den  dichteren  und  daher  niedri- 
geren Stellen  erfolgen,  so  dass  Meeresströmungen  hervorgerufen  werden  können. 
Für  die  Kenntniss  dieser  Strömungen  ist  es  also  von  Wichtigkeit,  das  speci- 
flscho  Gewicht  des  Wassers  an  verschiedenen  Punkten  der  Meeresbecken  fest- 
zustellen, und  dies  wird  wenigstens  in  erster  Näherung  dadurch  erreicht 
werden  können,  dass  man  für  Monate  und  Jahreszeiten  dio  Resultate  der 
Messungen  gruppirt  und  vergleicht,  die  an  denselben  Orten  erzielt  worden  sind. 

Die  Untersuchung  dieser  Verhältnisse  hat  sich  Thoulet  zur  Aufgabe 
gemacht,  indem  er  während  des  Sommers  1886  am  Bord  der  französischen 
Fregatte  »La  Clorinde“  auf  einer  Reise  von  Brest  nach  Cap  Breton  (auf  Neu- 
fundland) Dichtigkeitsmessungen  des  Meereswassers  mit  Hülfe  des  Aräometers 
angestellt  hat  Aus  dem  hierbei  gesammelten  Erfahrungsmaterial  und  dein 
schon  früher  am  Bord  des  .Challenger“  durch  ßuehanan  erzielten  lassen  sich 
nun  einige  wichtige  Folgerungen  über  die  Entstehung  des  Golfstromes  ableiten. 
Es  wurde  nämlich  sowohl  auf  der  Hin-  als  auf  der  Rückreise  festgcstcllt,  dass 
der  nördliche  atlantische  Ocean  eine  Abschrägung  des  Niveaus  von  Westen 
nach  Osten  aufweist,  w'eleho  ein  Abfliesscn  des  Wassers  in  dieser  Richtung 
erwarten  lässt.  Dio  Beobachtungen  haben  in  der  That  gezeigt,  dass  die  Meeres- 
strömungen in  diesen  Gegenden  vorherrschend  in  der  Richtung  von  Westen 
uach  Osten  erfolgen;  kurz  die  Niveauverhältnisse  des  Oceans,  wie  sie  durch 


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verschiedene  Dichtigkeit  mit  Rücksicht  auf  den  Salzgehalt  und  die  Temperatur 
bedingt  werden,  lassen  sich  leicht  in  Uebereinstiinmung  mit  dem  setzen,  was 
bisher  über  die  Meeresströmungen  bekannt  ist,  und  rechtfertigen  durchaus  die 
Anschauung,  welche  die  letzteren  den  lokalen  Unterschieden  im  specifischen 
Gewichte  des  Meeres  wassere,  als  den  hauptsächlich  beeinflussenden  Faktoren, 
zuschreibt,  während  eine  Reihe  anderer  Erscheinungen,  wie  die  Erdrotation, 
die  Gestaltung  der  Küsten,  die  Gezeiten,  das  Wehen  der  Winde,  die  Wasser- 
zufuhr durch  Flüsse  und  dergleichen  wohl  nur  in  geringerem  Masse  mitbe- 
stiinmend  wirken. 

Wir  erhalten  hierdurch  ein  ganz  ähnliches  Bild  von  den  Strömungen  in 
dem  flüssigen  Mantel  der  Erde,  wie  wir  es  von  dem  luftigen  besitzen,  nur 
dass  die  ersteren  sich  als  constanter  erweisen.  Auch  die  grossen  Strömungen 
der  Atmosphäre  werden  durch  die  Aenderungen  des  specifischen  Gewichtes 
in  Folge  von  Erwärmung  oder  wechselndem  Feuchtigkeitsgehalte  hauptsächlich 
bedingt.  Im  Meere  wird  die  Feuchtigkeit  durch  den  Salzgehalt  vertreten. 

Schw. 

* 


Periodicität  der  Gewitter.  Ueber  Beziehungen,  welche  zwischen  den 
elektrischen  Vorgängen  in  der  Erdatmosphäre  und  der  2fitägigen  Rotations- 
dauer der  Sonne  statt  Anden,  hat  Herr  v.  Bezold  in  dem  Julihefte  1888  der  k. 
prcussischen  Akademieberichte  interessante  Aufschlüsse  gegeben.  Bekanntlich 
ist  eine  Beeinflussung  der  erdmagnelischen  und  erdelektrischen  Erscheinungen 
durch  die  Rotation  unseres  Centralkörpers  fast  in  einer  jeden  Zweifel  aus- 
schliessenden  Weise  festgcstellt  worden.  Es  lag  daher  der  Gedanke  nicht  all- 
zufem,  dass  sich  eine  gleiche  periodische  Abhängigkeit  der  Gewitter  bezüglich 
ihror  Häufigkeit  und  Heftigkeit  feststellen  lassen  werde.  Wie  v.  Rczold  be- 
richtet, ist  denn  auch  schon  vor  geraumer  Zeit  von  ihm  der  Versuch  gemacht 
worden,  das  ausserordentlich  reiche  Material  der  Gewitterbeobachtungen,  welches 
seit  1879  auf  der  meteorologischen  Centralstation  zu  München  gesammelt  worden 
ist,  für  die  Untersuchung  der  Periodicität  in  diesen  Erscheinungen  unter  dem 
angegebenen  Gesichtspunkte  auszu  wertli en.  Aber  trotz  der  nicht  ungünstigen 
Resultate  wurde  damals  von  einer  Veröffentlichung  Abstand  genommen;  die 
Vorstellung  eines  Einflusses  der  Sonnenrotation  auf  unsere  atmosphärischen 
Vorgänge  war  oben  noch  zu  fremd,  besonders  da  man  sich  noch  gar  keine 
Erklärung  über  die  Art  und  Weise  solcher  Einwirkungen  hatte  geben  können. 
Neuerdings  sind  nun  aber  einige  Thatsachen  fcstgestollt  worden,  die  wohl  ge- 
eignet erscheinen,  in  das  Dunkel  der  Beziehungen  zwischen  den  anscheinend  so 
wenig  zusammenhängenden  Phänomenen  einige  Klärung  zu  bringen.  Versuche 
der  Physiker  Herz,  Wiedemann,  Ebert  und  Arrhenius  haben  nämlich 
gezeigt,  dass  das  Leitungsvermögen  der  Luft  durch  Bestrahlung  mit  ultra- 
violettem Lichte  eine  wesentliche  Aenderung  erfährt.  Hiermit  ist  wenigstens 
eine  Aussicht  zur  Erklärung  eines  durch  Strahlung  vermittelten,  indirekten 
Einflusses  der  Sonnenrotation  auf  die  elektrischen  Zustände  in  der  Atmosphäre 
eröffnet  worden. 

Mit  Rücksicht  auf  diese  Verhältnisse  hat  nun  Herr  v.  Bezold  das  vor- 
liegende Er Tahrungsniaterittl  von  Gewitterbeobachtuugen  aus  Bayern  und  Würt- 
temberg, welches  sich  über  die  Jahre  1880  bis  1887  erstreckt,  daraufhin  einer 
Prüfung  unterzogen,  ob  eine  nahezu  regelmässige  Periode  in  diesen  Erschei- 
nungen sich  auflinden  lässt  Er  gelangte  zu  dem  überraschenden  Resultat 
dass  in  der  Thal  eine  Periode  vorhanden  ist,  deren  wahrscheinlichste  Dauer 


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25,85  Tage  beträgt,  und  die  folglich  mit  der  .Sonnenrotation  in  Beziehung 
stehen  muss. 

Man  kann  also  jetzt  annehmen,  dass  auch  die  elektrischen  Erscheinungen 
in  der  Atmosphäre  in  engem  Zusammenhänge  mit  solaren  Vorgängen  stehon, 
ohne  freilich  ausschliesslich  durch  diese  bedingt  zu  werden.  Denn  für  dio 
Gewitterbildung  bleiben  an  erster  Stelle  die  hohen  Temperaturen  massgebend ; 
wohl  aber  kann  dio  Rotation  der  Sonne  bei  der  Erzeugung  solcher  Phänomen o 
in  untergeordnetem  Grade  mitbcstimmend  sein.  Nun  ist  die  Coincidenz  der 
Perioden  zwar  eine  rein  äussere  Beziehung,  aber  der  Nachweis  einer  solchen 
ist  bei  allen  diesen  Erscheinungen  das  Wichtigste;  ein  Eingehen  in  Einzel- 
heiten oder  Ergehen  in  Hypothesen  dürfto  gegenwärtigen  Augenblicks,  wie 
v.  Bezold  bemerkt,  mindestens  als  verfrüht  zu  bezeichnen  sein. 


Schw. 


Analogien  in  den  Gestaltungsverhältnissen  der  Contiueute.  lieber 
gewisse  gesetzliche  Analogien  in  den  Umrissen  und  dem  geologischen  Bau  der 
Continente  berichtet  A.  Karp  insky  in  dem  Bull,  de  l’Acad.  imp.  des  Sciences 
de  St.  P6tersbourg,  tome  XXXII,  Juni  1888. 

Dieser  Gegenstand  gehört  in  das  Gebiet  derjenigen  geographisch  - geolo- 
gischen Betrachtungen  construktiv-spekulativer  Natur,  die  in  der  Neuzeit  immer 
häufiger  angestellt  werden,  und  die  auch  in  den  Lehrbüchern  — z.  B.  in  Suess 
klassischem  Werke  „das  Antlitz  der  Erde“  — mehr  und  mehr  Eingang  gefunden 
haben. 

Die  Aehnlichkeit  der  verschiedenen  Continente  und  ihrer  Theile  hat  be- 
kanntlich schon  längst  die  Aufmerksamkeit  der  Gelehrten  erweckt.  Be- 
merkungen hierüber  finden  sich  zuerst  bei  Bacon;  seine  Ideen  sind  dann 
weiter  entwickelt  worden  von  Buffon,  Förster,  Steffens,  Humboldt, 
Carl  Ritter,  Arnold  Guyot,  und  in  der  Neuzeit  habon  sich  hiermit  dio 
Geologen  Dorr,  Th.  Fuchs  und  Zieglor  beschäftigt,  während  die  Frage  nach 
den  Ursachen  einer  gewissen  Regelmässigkeit  in  der  Vertheilung  und  Form 
der  Festlandsmassen  den  Gegenstand  der  Untersuchungen  von  Green,  de 
Lapparent,  v.  Habenicht  und  des  Grafen  0.  v.  Reichenbach  bildet. 

Nach  einem  Hinweise  auf  den  Umstand,  dass  auf  der  Erdoberfläche  eine 
durch  gleichmässige  geologische  Anordnung  bedingte  Richtung  darum  noch 
nicht  an  allen  Theilen  die  gleiche  Lage  zu  den  Himmelsgegenden  zu  bewahren 
braucht  — es  könnten  ja  die  Faltungon  der  Erdschichten  z.  B.  in  der  Richtung 
eines  Kreises  parallel  oder  schräg  zu  irgend  einem  Meridian  stattgefundeu 
haben,  ohne  dass  der  Kreis  ein  grösster  zu  sein  braucht  — hobt  Karpinsky 
die  Aehnlichkeit  in  den  Umrissen  der  Continente  hervor,  die  aber  zum  Theil 
dadurch  getrübt  sein  kann,  dass  sich  gegenwärtig  gesunkene  Fesllandsmassen 
unter  dem  Meeresspiegel  befinden,  wie  dies  zwischen  Asien  und  Australien  in 
Hinblick  auf  dio  sie  verbindende  Inselgruppe  wohl  anzunehmen  ist.  Er  be- 
trachtet in  der  Hauptsache  dio  etwas  schräg  zum  Meridian  gerichtete  Fest- 
landszone, welche  mit  Nord-  und  Südamerika  beginnend,  auf  der  östlichen 
Halbkugel  durch  die  Massen  von  Austral-Eurasien  — worunter  hier  Australien, 
Asien  und  Europa  verstanden  wird  — fortgesetzt  und  durch  die  freilich  etwas 
hypothetische  Antarktis  vervollständigt  wird.  Indem  nun  Karpinsky  den 
bezeiclineten  Landgürtel  durch  ein  Polarschema  darstcllt  und  die  Umrisse 
des  europäisch  - asiatischen  Continentes  dadurch  erweitert,  dass  er  Australien 
durch  hypothetische  Grenzlinien  in  den  Bereich  desselben  hineinzieht,  werden 


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die  vier  Hauptcontinentc:  Austral-Eurasien,  Nordamerika,  Südamerika  und  die 
Antarktis  mit  einander  verglichen  und  hierbei  oft  recht  merkwürdige  geogra- 
phische Analogien  entdeckt.  Es  sollen  zum  Beispiel  nach  dem  Verfasser  ent- 
sprechen Corea-Japan  und  Californien,  ferner  Arabien  und  Labrador,  sowie  die 
Ostecko  Südamerikas;  unter  den  Nebenfestländern  sollen  sich  Ähnlich- 
keiten zeigen  zwischen  Afrika,  Grönland  und  den  Antillen.  Auch  in 
orogenetiseher  Beziehung  und  geologischem  Zusammenhänge  sucht  der  Ver- 
fasser Analogien  in  den  llauptcontinenten  nachzuweisen,  obwohl,  wie  er  be- 
merkt, die  GebirgssjBteme  desto  kompliziiter  auftreten,  je  grösser  der  Con- 
tinent  ist.  Die  längste  Gebirgskette  von  vorwiegend  vulkanischem  Charakter 
zieht  sich  an  der  Küste  des  stillen  Oceans  über  den  gesamten,  bezoichneten 
Landgürtel  hin  und  ist  mithin  allen  vier  Hauptcontinenten  gemeinsam.  Von 
den  Innengebirgen  sollen  etwa  die  brasilianischen  Gebirge,  die  Alleghanies  und 
diejenigen  Scandinaviens  einander  entsprechen.  Die  Abhandlung  beschränkt 
sich  auf  den  Nachweis  einer  Reihe  von  geographischen  Analogien,  wie  denn 
der  Verfasser  überhaupt  die  Regelmässigkeit  der  Continente  für  eine  normale 
Erscheinung  hält,  die  erst  allmählich  mit  dem  Alter  unseres  Planeten  verloren 
gegangen  ist.  Die  Ursachen  einer  derartigen  Aehnlichkeit  in  der  Struktur 
der  einzelnen  Erdtheile  werden  nicht  näher  berührt. 


G.  Neuniayer:  Anleitung  zu  wisfvenschaftl ichen  Beobachtungen  auf 

Reisen  in  Einzelabhandlungen  verfasst  von  Tie tjen,  Jordan,  v.  Richt- 
hofen, Wild,  Hann,  Weiss  u.  a.  Zweite  unbearbeitete  und  vermehrte 
Auflage  in  i Bänden.  Berlin,  R.  Oppenheim  1888. 

Das  Erscheinen  dieses  für  die  moderne  Forschung  so  wichtigen  Werkes 
ist  schon  im  Jahre  187.')  von  wissenschaftlichen  Kreisen  überall  mit  hoher  Be- 
friedigung be grösst  worden.  Bildet  doch  das  Buch  mit  seiner  Fülle  von  An- 
leitungen, Winken,  Krfahrungsätzen  und  Anregungen  zur  Beobachtung  alles 
dessen,  was  den  Reisenden  in  unerforschten  Gebieten  umgiebt,  eine  uner- 
schöpfliche Fundgrube  und  zugleich  den  verlässlichsten  Führer.  Der  vier- 
zehnjährige Zeitraum,  der  seit  dem  Erscheinen  des  Buches  verflossen  ist, 
hat  unendlich  viel  Neues  gebracht.  Nicht  nur  hat  die  continentale  Forschung 
im  Innern  von  Asien  und  Afrika  eine  Menge  von  Anregungen  auf  allen  Gebieten 
des  Wissens  erzeugt,  sondern  auch  die  Expeditionen  des  „Challenger“,  der 
„Gazelle“  und  «1er  „Vega"  haben  ein  ausserordentlich  grosses  Material  natur- 
wissenschaftlicher Erkenntniss  zu  Tage  gefördert;  ausserdem  sind  so  mannig- 
fache Verbesserungen  an  den  Hilfsmitteln  der  Forschung,  an  Apparaten  und 
Instrumenten  erfolgt,  sowie  neue  Hinweise  theoretischer  Art  gefunden  worden, 
dass  eine  Neubearbeitung  des  Stoffes  der  in  den  28  Kapiteln  des  Buches  ver- 
tretenen Wissenschaften  von  selbst  zur  Xothwendigkoit  werden  musste.  Das 
Ergebniss  dieser  von  den  einzelnen  Autoritäten  der  Abhandlungen  sorgfältig 
und  gloichmässig  durchgeführten  Neugestaltung  des  Buches  liegt  uns  nunmehr 
als  zw'oite  Auflage  vor. 

Bei  der  Ueberfülle  des  Inhaltes  eines  jeden  der  einzelnen  Kapitel  kann 
rs  nicht  unsere  Sache  sein,  das  Gesamtwerk  durch  Beschreibung  seiner  Theile 
zu  zergliedern,  was  auf  beschränktem  Raum  unmöglich  wäre,  noch  bestimmte 
Abschnitte  besonders  hervorzuheben,  da  das  Hervorheben  des  einen  eine  Unge- 
rechtigkeit gegen  die  Vortrefflichkeit  des  andern  sein  würde.  Wir  dürfen  bei 
dem  grossen  Beifallc,  den  sich  das  Buch  gleich  bei  seinem  ersten  Erscheinen 


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erworben  hatte,  den  Gesamtinhalt  und  die  Methode  der  Behandlungsart  viel- 
mehr beim  wissenschaftlichen  Publikum  als  bekannt  voraussetzen  und  glauben 
bei  der  Besprechung  unser  Augenmerk  wesentlich  auf  dieV e riindcrunge  n und 
Verbesserungen  richten  zu  sollen,  die  in  der  Neubearbeitung  zu  Tage  treten. 

Einen  sehr  wünschenswerten  Beitrag  hat  die  neue  Auflage  zunächst 
durch  die  Abhandlung  Jordans.Topographischo  und  geographische  Aufnahme" 
erhalten.  Während  der  früher  an  dieser  Stelle  gestandene  Aufsatz  Kieperts 
sich  nicht  wesentlich  über  das  topographische  Zeichnen  hinaus  erstreckte  und 
also  dem  Reisenden  namentlich  in  Bezug  auf  jene  Beobachtungen  an^  die  Iland 
ging,  die  dieser  während  der  Märsche  an  den  terrestrischen  Objecten  machen 
und  zum  Entwurf  topographischer  Karten  benutzen  soll , instruirt  der  gegen- 
wärtige über  grössere  Aufgaben  der  Vermessungskunst.  Die  Darlegungen  be- 
troffen die  genaue  Aufnahme  der  vom  Reisenden  zurückgelegten  Route:  den 
Gebrauch  des  Schrittzählers,  der  Zeit,  des  Stahlbandes  zur  Bestimmung  der 
Längen,  die  Verwendung  des  Compass  (samt  Ermittelung  der  Abweichung) 
für  die  Winkeli'ichtungen,  die  Berechnung  der  Route  hieraus,  deren  Anschluss 
an  astronomisch  festgestellte  Punkte  und  die  Verbindung  mit  topographischen 
Details.  Ferner  die  Aufnahme  von  Landestheilcu  durch  Triangulirung  mittelst 
des  Theodolit-Compasses  und  die  trigonometrische  Höhenmessung.  Hieran  reihen 
sich  noch  sorgfältige  Anweisungen  über  barometrische  Bestimmung  der  Höhen  : 
die  Behandlung  der  Barometer,  Kochtherniomoter,  der  Aneroide  (samt  Be- 
stimmung ihrer  Stand-,  Temperatur-  und  Theilungs-Correctionen),  die  Ermitte- 
lung der  Lufttemperatur,  die  Verwendung  der  Höhen-Formel  an  der  Hand  der 
die  Rechnung  ausserordentlich  abkürzenden  Tafeln,  schliesslich  die  Beziehung 
ermittelter  Höhendifferenzen  auf  «las  Meeresniveau  nebst  Bemerkungen  über 
barometrische  Hypsometrie  im  allgemeinen. 

Gewissermassen  eine  Ergänzung  zu  dieser  Abhandlung  ist  der  Artikel 
, Nautische  Vermessungen-  von  Hoffmann,  der  speziell  jene  Vorfahrungsarten 
zum  Gegenstände  hat,  die  bei  Küsten-Vermessungen  und  dem  Entwerfen  von 
Seekarten  brauchbar  sind.  Den  Anfang  macht  die  Auswahl  und  Markirung  der 
Stationen  an  der  zu  bestimmenden  Küstenlinie,  die  Triangulirung  derselben 
mittelst  des  Theodoliten  oder  Heliotropen.  Dann  folgen  die  Beslimmungsarten 
des  Azimutes  der  Hauptstationen  mittelst  Sonnenbeobachtungen  am  Theodoliten, 
woran  sich  die  Besprechung  der  Methoden  zur  Messung  einer  gewählten  Basis 
schliessen.  Da  bei  Küstenvermessungen  die  Verhältnisse  zu  einer  genauen 
Basismessung  meist  ungünstig  sind,  so  werden  nur  empfohlen:  Messung  mittelst 
Stahlband,  oder  Berechnung  der  Basis  aus  gemessenen  kleinen  Winkeln  und 
kleinen  gegenüberliegenden  Katheten,  oder  die  Ermittelung  der  Zeit  (durch 
Chronometer  oder  Terzienzähler),  welche  der  Schall  braucht,  um  von  einem 
Endpunkte  der  Basis  zum  andern  zu  gelangen.  Nach  der  Feststellung  des  Drei- 
ecksnetzes durch  Zeichnung  beginnen  die  Begehungen  der  Kiistenliuie  mit  dem 
Theodoliten  und  die  Eintragungen  topographischer  Details.  Für  die  Wasser- 
standsheohachtungen  an  der  Küste  empfiehlt  der  Verfasser  eine  einfache  Latte 
mit  metrischer  Theilung  als  Regel,  für  die  Strömungsbeobachtungen  ein 
grösseres  Schiffslog  mit  Mctertheilung.  Die  Bestimmung  von  Berghohen  er- 
folgt durch  Messung  von  Höhenwinkeln  vom  Schiffe  oder  Strande  aus.  Schliess- 
lich wird  die  zweck  massigste  Eintheilung  der  Arbeit  bei  den  Lothungen  des 
Küstenwassers  besprochen. 

Als  eine  neue  Eiuschiebung  in  dem  Buche  repräsentiren  sich  .Einige 
ocea nographische  Aufgaben-  von  Krümmel.  Die  darin  gegebenen  Hinweise 
betreffen  Beobachtungen,  die  sich  von  dem  Reisenden  während  der  Seereisen 
vom  Schiffe  aus  machen  lassen.  Sie  leiten  die  Aufmerksamkeit  des  Beobachters 
auf  die  im  Meere  treibenden  Gegenstände,  Eisberge  und  Seetangfelder,  auf  das 


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Vorhalten  der  Meeresströmungen,  deren  Grenzen,  Richtung,  Geschwindigkeit 
und  Temperatur  und  heben  eine  Anzahl  jener  Strömungen  als  Untersuchungs- 
objecte hervor,  über  welche  unsere  derzeitigen  Kenntnisse  noch  lückenhaft  sind 
(die  problematische  Renne llsche  Strömung,  die  westlichen  Grenzen  des  Guinea- 
stroms, die  Strömungen  im  südlichen  Theile  des  indischen  Oceans  u.  m.  a.). 
Die  Ausrührungen  des  Aufsatzes  erstrecken  sich  weiter  auf  die  Messung  der 
Wellenlängen  durch  das  Log  oder  durch  Zeitnotirungen,  der  Wellenhöhen 
mittelst  sehr  empfindlicher  Aneroide,  der  Tiefe  der  Wellenbewegung,  ihrer 
Geschwindigkeit,  und  auf  eine  Reihe  Fragen  über  die  Einwirkung  des  Windes 
auf  Wellen.  Auch  Untersuchungen  in  Golfen  und  Baien  über  die  dort  bisweilen 
auftretenden  als  „stehende“  Wellen  bekannten  regelmässigen  geringen  Niveau- 
schwankungen des  Meeres  werden  der  Beobachtung  empfohlen.  Der  Verfasser 
schliesst  mit  Beispielen  über  die  Wichtigkeit  der  Notirungen  über  Farbe  und 
Durchsichtigkeit  des  Seewassers. 

Neumayers  frühere  Abhandlung  „Hydrographie  und  Oceanographie“ 
erscheint  in  der  neuen  Auflage  des  Buches  in  wesentlich  veränderter  Gestalt. 
Durch  die  Aufsätze  „Nautische  Vermessungen“  und  „Einige  oceanographische 
Aufgaben“  ist  ein  Theil  dieser  Abhandlung  in  schon  erweiterter  Form  gegeben. 
Der  Verfasser  beschränkt  sich  deshalb  im  ersten  Abschnitte  auf  die  hydro- 
graphische Meteorologie  und  hat  beim  Entwürfe  des  überaus  reichhaltigen  Frage- 
bogens namentlich  die  durch  die  Expeditionen  und  Forschungen  seit  1874  zu 
Tage  geförderten  Resultate  über  maritime  Meteorologie,  Meeresströmungen, 
Treibproducte  u.  s.  w.  berücksichtigt;  hieran  schliesst  sich,  wie  früher,  als 
zweiter  Abschnitt  die  magnetische  Beobachtung  am  Bord. 

Eine  sehr  willkommene  neue  Boigabe  des  Buches,  namentlich  für  jene 
Reisende,  die  auf  sehr  wenig  erforschten  Flüssen  in  das  Innere  von  Ländern 
Vordringen,  bildet  die  Untersuchung  Lorcnz-Liburnuus  „Beurtheilung  des 
Fahrwassers  in  ungeregelten  Flüssen.“  Der  Verfasser  sucht  darin  aus  einer 
allgemeinen  Betrachtung  des  Baues  grösserer  Ströme  die  Erfahrungssätze  ab- 
zuleiten, wo  mau  in  den  Flussbetten  das  Fahrwasser,  die  Untiefen  und  Bänke 
zu  suchen  hat;  er  findet,  dass  diese  Factoren  von  dom  Gefälle  des  Wassers 
und  von  der  Gestaltung  der  Ufer  (ob  parallel,  auseinanderlaufcnd,  durch  Vor- 
sprünge des  einen  Ufers  unterbrochen,  geraden  Laufs,  eine  starke  Krümmung 
beschreibend  u.  s.  w.)  abhängen,  welche  Bedingungen  wesentlich  den  Ort  der 
sich  ablagcrndcn  Stoffe  bestimmen.  — Eine  sehr  anregende  vortreffliche  Studie 
ist  Lindemanns  Aufsatz  .Andeutungen  für  die  Beobachtung  des  Verkehrs- 
lebens der  Völker.“  Sie  verfolgt  den  Zweck,  die  Aufmerksamkeit  des  Reisenden 
auf  die  Beobachtung  des  Verkehrswesens  zu  lenken,  ein  Gebiet,  das  wir 
in  Heisebüchern  bisher  nur  selten  vertreten  Anden.  Der  Aufsatz  beschäftigt 
sich  zunächst  mit  einer  Darlegung  der  Entwickelung  unserer  modernen  Ver- 
kehrsmittel, des  Post-,  Eisenbahn-  und  Telcgraphcnwesens  und  des  Dampfschiff- 
verkehrs. Der  Verfasser  giebt  eine  auf  zahlreiche  statistische  Daten  gegründete 
Uebersieht  namentlich  des  Weltpostvereins,  einen  Bericht  über  die  grossen 
Ueberland bahnen  in  Amerika,  eine  Zusammenstellung  der  wichtigsten  Dainpf- 
schifTverbindungen  zwischen  europäischen  Häfen  und  den  überseeischen  Ländern, 
endlich  eine  Darlegung  der  gegenwärtigen  Ausdehnung  der  Telegraphenlinien 
und  unterseeischen  Kabel  und  der  Eisenbahnlinien  auf  der  Erde  überhaupt. 
Weiter  erläutert  er  die  Art  und  Weise  des  Reisen»  und  des  Postdienstes  in 
aussereuropäischen  Ländern  durch  charakteristische  Beispiele  (in  Island,  Grön- 
land, China,  Persien,  Südamerika  u.  s.  w. ),  und  indem  er  hiervon  Schilderungen 
giebt,  erwartet  er  von  dem  Reisenden  die  Verfolgung  ähnlicher  Beobachtungen 
und  Sammlung  statistischen  Materials  aus  den  durchreisten  Gebieten. 

Ferner  bringt  die  neue  Auflago  drei  Aufsätze,  die  als  Ergänzungen  zu 


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03 


den  Kapiteln  „Landwirtschaft“,  „Linguistik4  und  „Säugetiere“  zu  betrachten 
sind.  Dererste  derselben  „Land  wirtschaftliche  CuUurpflanzen“  (von Wittmack) 
giebt  Anleitung  zum  Sammeln  der  Getreide-  und  Futterpflanzen,  Obst-  und 
Gemüsearten  u.  s.  w.  mit  den  nötigsten  Details  über  deren  Varietäten  und 
Sorten.  Der  zweite  «Das  Zählen“  (von  Schubert)  lenkt  die  Aufmerksamkeit 
des  Reisenden  auf  die  Zahlen  begriffe  und  die  Bildungsweise  der  Zahlwörter 
bei  den  Naturvölkern.  Der  dritte  „Waltiere“  (von  Bohl  au)  ist  namentlich  in 
Bezug  auf  die  in  mancher  Hinsicht  noch  sehr  mangelhafte  Naturgeschichte  der 
Wale  verfasst;  der  Verfasser  giebt  Anleitung  zur  Vornahme  von  Messungen 
an  Thierkörpern,  dem  Conscrviren  der  Häute,  dem  Präparircn  der  Wal-Skelete 
und  fordert  namentlich  auch  zur  Beobachtung  der  Lebensweise  der  Wale  auf. 

Der  Artikel  „Erdbebenkunde4  der  ersten  Auflage  ist  in  das  umfang- 
reichste Kapitel  des  Buches  „Geologie“  (von  Rieht  hofen)  aufgenommen,  dieses 
Kapitel  selbst  zweckmässiger  angeordnet  und  auf  die  Höhe  modernen  Wissens 
gestellt  worden. 

Ganz  entfallen  sind  in  der  zweiten  Auflage  der  seinerzeit  namentlich  mit 
Rücksicht  auf  den  Venusdurchgang  von  1874  abgefasste  Artikel  „Ueber  die  Be- 
stimmung der  Abstände  der  Himmelskörper  von  der  Erde“  von  Förster, 
ferner  der  für  Forschungsreisende  entfernt  liegendere  Aufsatz  „Ueber  Samm- 
lung und  Aufbewahrung  chemisch  wichtiger  Naturproductc“  von  Oppenheim, 
und  der  für  Anweisungen  zu  richtiger  geographischer  Definition  geschriebene 
Beitrag  «Allgemeine  Rückblicke  auf  die  Erforsehungsgebiete  der  Continente“ 
von  Koner. 

Selbstverständlich  sind  auch  die  Autoren  der  übrigen  hier  nicht  weiter 
hervorgehobenen  und  der  Materie  nach  unverändert  gebliebenen  Artikel  durch- 
aus bemüht  gewesen,  dem  seit  der  ersten  Auflage  nun  14jährigen  Fortschritte 
des  Wissens  zu  entsprechen  und  durch  Berücksichtigung  modernster  Fragen 
jede  einzelne  Disciplin  der  Gegenwart  anzupassen.  Beispielweiso  finden  wir 
in  verschiedenen  Kapiteln  die  vielfältigen  Fortschritte  der  Photographie  zur 
Unterstützung  von  Forschungszwecken  empfohlen.  Nicht  minder  werden  an- 
regende Fragen  aus  bedeutsamen  Naturerscheinungen  der  letzten  Jahre  ge- 
zogen: Die  Erschütterungen  durch  die  Krakatau-Eruption  finden  in  der  „Geologie“ 
ebenso  so  sehr  ihre  Würdigung,  wie  dio  durch  das  gleiche  vulkanische  Er- 
eigniss hervorgerufenen  Dämmmerungserschein ungen  und  der  rostbraune  Ring 
um  die  Sonne  im  Kapitel  „Anweisung  zur  Beobachtung  allgemeiner  Phänomene 
ain  Himmel.“ 

Wenn  es  dem  Referenten  gestattet  ist,  schliesslich  den  Hunderten  von 
Fragen  und  Anregungen  des  Werkes  auch  eine  aus  eigener  Initiative  anzu- 
fügen, so  wäre  dies  folgende:  Seit  Nordens kjölds  kühner  Umseglung  Asiens 
auf  der  „Vega“  ist  durch  seine  Wahrnehmung  von  ausserirdischen  Staub- 
Niederschlägen  auch  das  Vorhandensein  von  Staubmassen  kosmischer  Art 
augenscheinlich  geworden.  Wenn  nun  auch  Nordenskjöld  in  seinen  Schluss- 
folgerungen über  die  Wichtigkeit  dieses  Stoffes  an  der  Bildung  der  Erd- 
rinde wohl  zu  weit  geht,  so  scheint  es  doch  namentlich  für  den  Polar- 
reisenden geboten,  auf  den  jeder  Cultur  weit  entrückten  Schneefeldern  Be- 
obachtungen unter  gehörigen  VorsichLsinassregeln  über  die  Menge  des  in  einer 
bestimmten  Zeit  niederfallenden  Staubes  und  dessen  mineralogische  Beschaffen- 
heit anzustellen,  um  diese  noch  problematische  Frage  der  Entscheidung  näher 
bringen  zu  können.  Die  so  nachgewiesene  Thatsache  kann  ausserdem  einige 
Wichtigkeit  für  die  theilweise  Erklärung  der  säeularen  Acceleration  der  Mond- 
bewegung erlangen,  wie  Oppolzer  vor  mehreren  Jahren  durch  Rechnung  an- 
gedeutet hat.  F.  K.  Ginzel. 


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04 


A.  Woeikof,  Die  Klimate  der  Erde.  Nach  dem  Russischen.  Mit  10  Karten, 

13  Diagrammen  nebst  Tabellen,  2 Vol.  XXIII.  u.  336,  und  XXIV.  u. 

424  Seiten.  Jena  1887,  Hermann  Costenoble. 

Durch  die  vom  Verfasser  selbst  besorgte,  bedeutend  vermehrte  und  ver- 
änderte deutsche  Bearbeitung  des  zuerst  1884  erschienenen  Werkes  hat  die 
meteorologische  Literatur  eine  Bereicherung  erfahren,  die  um  so  höher  anzu- 
schlagen ist,  wenn  inan  erwägt,  dass  dieses  Handbuch  der  Klimatologie  neben 
dem  etwas  früher  erschienenen  von  Julius  Hann  durchaus  gleichwertig 
und  selbständig  dasteht,  so  dass  das  eine  durch  das  andere  in  glücklichster 
Weise  seine  Ergänzung  findet,  denn  die  Behandlung  des  Stoffes  ist  bei  beiden 
Forschern  eine  durchaus  verschiedene.  Einerseits  finden  wir  bei  Woeikof, 
mit  Ausnahme  weniger  Zeilen,  keinerlei  klimatische  Schilderungen  von  Reisen- 
den, welche  zwar  durch  ihre  unmittelbare  Anschaulichkeit  stets  das  Interesse 
zu  fesseln  vermögen,  aber  doch  von  dem  systematischen  Fortschritte  der  Dar- 
stellung abzulenken  geeignet  sind,  andererseits  behandelt  er  eine  ganze  Reihe 
von  Gegenständen  mit  besonderer  Sorgfalt,  welche  meist  der  physikalischen 
Geographie  zugerechnet  werden,  aber  wie  aus  seiner  Darstellung  hervorgeht, 
für  dio  Klimatologie  von  besonderem  Interesse  sind,  namentlich  in  Band  I., 
Kap.  3 — 7.  Da  der  Inhalt  dieses  ersten  Bandes  ursprünglich  meist  in  Form 
einzelner  Abhandlungen  erschien,  welche  erst  später  zu  einem  Ganzen  ver- 
bunden wurden,  ist  der  Zusammenhang  der  einzelnen  Kapitel  oft  ein  ziemlich 
loser;  jedoch  hat  das  Verfahren,  das  weitschichtige  Material  in  geeigneter  Weise 
in  kleineren  Abtheilungen  erschöpfend  zu  behandeln,  den  grossen  Vorzug,  dass 
man  bei  dem  Studium  specieller  Fragen  alles  Wesentliche  beisammen  findet, 
und  nicht  aus  vielen  Kapiteln  sich  zusammenzusuchen  gezwungen  ist 

Der  erste  Band  behandelt  den  Einfluss  der  verschiedenen  meteorologischen 
Elemente  auf  das  Klima;  er  beginnt  mit  den  allgemeinen  Begriffen  von 
Luftdruck  und  Wind,  und  betrachtet  sodann  das  Wasser  in  der  Atmosphäre. 
Die  Specialstudien  des  Verfassers  finden  wir  in  den  folgenden  Kapiteln;  Flüsse 
und  Seen  als  Produkte  des  Klimas  veranlassen  ihn  zur  Aufstellung  von  7 Fluss- 
typen, um  die  Wirkung  von  Menge,  Form  und  Periodicität  der  Niederschläge 
auf  die  Flussläufe  auszudrücken. 

Bei  der  Untersuchung  des  Einflusses  einer  Schneeober fläche  auf  das  Klima, 
welcher  Woeikof  besondere  Aufmerksamkeit  zuwandte,  zeigt  sich  die  Wichtig- 
keit einer  systematischen  Beobachtung  der  Erstreckung  und  Veränderung  der 
Schneedecke  für  Russland,  um  die  Wahrscheinlichkeit  von  Ueberschwemmungen 
zeitig  feststellen  zu  können.  Sehr  interessant  sind  die  sich  hieran  anschliessen- 
den Betrachtungen  über  die  klimatischen  Verhältnisse  des  beständigen  Schnees 
und  der  Gletscher. 

Nicht  minder  interessant  und  für  die  vergleichende  Klimatologie  von 
fundamentaler  Bedeutung  ist  der  grosse  Einfluss  des  Bodeureliefs  auf  die 
tägliche  Periode  und  Amplitude  der  Temperatur,  welchen  wir  in  folgendem 
Satze  zusammenfa.ssend  so  formuliren  können:  „Wenn  die  Verhältnisse  der 
täglichen  Amplitude  bei  einer  vollkommen  ebenen  Oberfläche  als  normale  an- 
gesehen werden,  so  verkleinert  eine  konvexe  Oberfläche  (Hügel,  Berg)  dieselbe 
entsprechend  der  Zunahme  der  vertikalen  Dimensionen  im  Verhältnis  zur 
horizontalen,  eine  konkave  Oberfläche  (Thal,  Mulde)  vergrössert  sie,  aber  nur 
bis  zu  einem  bestimmten  Verhältnis  der  vertikalen  und  horizontalen  Dimen- 
sionen.- Weiterhin  ergieht  sich,  dass  die  Luft  über  einer  konvexen  Oberfläche 
in  der  Nacht  und  iin  Winter  wärmer,  am  Tage  und  im  Sommer  kälter  ist, 
also  auch  die  jährliche  Amplitude  kleiner  ist,  als  bei  einer  konkavon  Oberfläche. 
Diese  Sätze  belegt  Woeikof  durch  zahlreiche  Beispiele,  welche  nalurgeinäss 
vielfach  von  den  Gipfelstationen  geliefert  werden,  daher  er  auch  für  diesen 


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65 


Theil  der  Klimatologie  von  der  Vermehrung  der  Bergobservatorien  besonders 
grosse  Fortschritte  erhofft. 

ln  zwei  Kapiteln  wird  der  Einfluss  des  Klimas  auf  die  Vegetation  und 
umgekehrt  der  Vegetation  auf  das  Klima  besprochen,  welche  allgemeine  Auf- 
merksamkeit verdienen.  Woeikof  zeigt  hier,  dass  äusserste  Vorsicht  um  Platze 
ist,  wenn  man  aus  Veränderungen  in  der  Vegetation  Schlüsse  auf  etwaigen 
Klimawechsel  begründen  will,  sei  es  aus  historischen  Zeugnissen,  sei  es  aus 
paläontologischen  Untersuchungen.  Wie  wenig  auch  aus  dem  Verhalten  von 
Kulturpflanzen  geschlossen  werden  kann,  lehrt  Woeikofs  Widerlegung  des 
bekannten  Beweises  von  Arago  betreffs  des  Klimas  von  Palästina,  das  sich 
nach  dem  damaligen  Vorkommen  von  Dattelpalme  und  Weinrebe  zu  schliessen, 
innerhalb  3000  Jahren  nicht  geändert  haben  könnte.  Eine  genauere  Betrach- 
tung der  Mitteltemperaturen  jener  Gegenden  lässt  jedoch  leicht  die  Hinfälligkeit 
der  Aragoschen  Beweisführung  erkennen.  Der  Einfluss  der  Wälder  auf  das 
Klima  findet  in  Woeikof  einen  eifrigen  Verfechter;  der  Beweis,  dass  ausge- 
dehnte Waldkomplexe  nicht  nur  in  der  tropischen,  sondern  auch  in  den  ge- 
mässigten Zonen  oine  merkliche  Erniedrigung  der  Temperatur  der  wärmsten 
Monate  bewirken  können,  gelang  ihm  vollständig,  der  Einfluss  der  Wälder  auf 
die  Vermehrung  der  Niederschlagsmenge,  den  er  ebenfalls  für  gut  konstatirt 
und  durchaus  annehmbar  ansieht,  wird  jedoch  mit  seltenen  Ausnahmen  immer 
weniger  wahrscheinlich,  je  mehr  das  hierauf  bezügliche  Boobachtungsraaterial 
anwächst 

Der  zweite  Band  ist  der  speciellen  Darstellung  der  Klimate  der  Länder 
und  Meere  gewidmet,  und  gerade  in  der  eingehenden  Beschreibung  der 
klimatischen  Provinzen  des  Erdballes  ist  es  dem  Verfasser  besonders  geglückt 
aus  der  Menge  des  Materials  überall  das  Wesentliche  und  Charakteristische 
auszusondern,  und  in  20  Kapiteln  eine  vollständige  Darstellung  des  Typischen 
eines  jeden  Theiles  der  Erdoberfläche  mit  Vermeidung  alles  Ueberfliissigen  zu 
geben.  Während  West-  und  Centraleuropa  in  einom  Kapitel  knapp  behandelt 
sind,  theils  wegen  dos  geringen  Raumes,  den  sio  auf  dor  Erdoberfläche  ein- 
nehmen, thcils  weil  sie  so  genügend  und  oft  geschildert  sind,  dass  man  nur 
Bekanntes  wiederholen  könnte,  umfasst  das  europäische  und  asiatische  Russ- 
land Kapitel  2G— 35,  allein  fast  ein  Drittel  des  ganzen  zweiten  Theiles. 

Dies  kann  jedoch  nicht  wunder  nehmen,  da  das  Werk  ursprünglich  für 
russische  Leser  und  die  Bedürfnisse  russischer  Universitäten  geschrieben  war, 
ausserdem  das  nöthige  Material  dem  Verfasser  am  reichlichsten  zuströmte, 
und  von  ihm  der  schärfsten  kritischen  Sichtung  unterworfen  werden  konnte 
umsomehr,  da  er  aus  persönlicher  Anschauung  Ostasien  und  Sibirien  kennen 
gelernt  hat.  Dio  ausführliche  Behandlung  eines  so  ausgedehnten  Gebietes  wie 
das  russische  Reich,  das  fast  für  alle  klimatischen  Typen  Beispiele  liefern  kann, 
hat  für  den  deutschen  Leser  den  Vortheil,  klimatologischo  Untersuchungen 
auf  ein  Beispiel  allergrösster  Dimension  angewendet  zu  sehen,  wobei  er  sich 
auf  einen  umfassenderen  Standpunkt  zu  erheben  genöthigt  ist,  als  er  ihn  bei 
der  Betrachtung  engerer  Komplexe  sonst  gewohnt  ist.  Wir  lernen  Ostsibirion 
als  die  kälteste  Gegend  des  Erdballes  kennen,  in  den  Thälern  bildet  dort  die 
wegen  ihres  grösseren  spezifischen  Gewichts  sich  in  der  Thalsohle  ansammelnde, 
durch  beständige  Ausstrahlung  immer  mehr  erkaltende,  wenig  bewegte  Luft  voll- 
ständige Seen.  Nach  den  neuesten  Untersuchungen  hat  Werchojansk  im  Thale 
der  Jana  den  zweifelhaften  Ruhm,  dio  grösste  Winterkälte  der  Erde  aufzu- 
weisen, und  ist  daher  dem  Meteorologen  eine  klassische  Stätte  — aber  welche 
Vorstellung  können  wir  Bewohner  gemässigter  Zone  uns  von  einem  Januar 
machen,  dessen  Mitteltcmperatur  nach  4jährigen  Beobachtungen  — 53°  C.  be- 
trägt! Im  December  und  Januar  stieg  bisher  das  Minimumthermometer  nicht 
Himmel  und  Erde,  1898.  I.  5 


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66 

über  — 60 °,  und  doch  kann  in  dem  kurzen  Sommer  das  Maximum  30°  C. 
überschreiten,  wonach  die  jährliche  Amplitude  der  Extreme  fast  100°  erreicht. 

Das  letzte  Kapitel  ist  den  Meeren  der  südlichen  Hemisphäre  gewidmet, 
und  die  mangelhafte  Kenntnis»  des  antarktischen  Oceans  veranlasst  Woeikof, 
die  Erforschung  der  höheren  südlichen  Breiten  auch  seinerseits  für  eine  der 
wichtigsten  Aufgaben  unserer  Zeit  zu  orklären.  „Viele  Probleme  der  Wissen- 
schaft können  nicht  gelöst  werden,  so  lange  wir  diese  Breiten  nicht  kennen; 
bei  den  jetzigen  Mitteln  der  Wissenschaft  und  Technik  ist  es  wirklich  be- 
schämend, wie  wenig  wir  über  die  südlichen  Breiten  jenseits  des  44°  8.  Br. 
wissen.  Man  bedenke  nur,  dass  wir  keine  Beobachtungen  im  Winter  südlich 
vom  55 Vs 9 8*  haben,  und  dass  die  höchsten  südlichen  Breiten  mehr  als 
40  Jahre  vor  unserer  Zeit  erreicht  wurden,  und  zwar  in  Segelschiffen!- 

Die  boigegehonen  Curventafeln  sind  klar  ausgeführt,  ein  Inhalts- 
verzeichniss  nebst  Index  erleichtern  die  Benutzung  des  Werkes  wesentlich. 

Dr.  Ernst  Wagner. 


Sprechsaal. 

Diese  Rubrik  muss  in  unserer  ersten  Nummer  naturgemäss  offen 
bleiben.  Wir  können  uns  seihst  in  der  Auseinandersetzung  der  hier  zu 
vorfolgenden  Ziele  sehr  kurz  fassen,  indem  wir  auf  die  bezügliche  Stelle  in 
unserem  zweiten  Artikel  (S.  18)  hinweisen  und  nur  allgemein  wiederholen,  dass 
wir  gern  jede  Auskunft  auf  Fragen  aus  unserem  Leserkreise  von  fachmännisch 
competenter  Seite  geben  werden.  Es  sei  jedoch  die  aus  praktischen  Gründen 
nothwendige  Einschränkung  gestattet,  Fragen,  welche  durch  den  blossen  Hin- 
weis auf  allbekannte  populäre  Werke  erledigt  werden  können,  eben  durch 
diesen  Hinweis  zu  beantworten,  während  andere,  die  von  zu  speciellem  In- 
teresse sein  würden,  um  einem  grösseren  Leserkreise  nützlich  werden  zu 
können,  auf  direktem  PoBtwego  zu  erledigen  sind. 


Verlag  von  Hermann  Paetel  ln  Berlin.  — Druck  von  Wilhelm  Qronau's  Bucbdruckeroi  ln  Berlin. 
Für  die  Redaction  verantwortlich : ür.  M.  Wilhelm  Meyer  ln  Berlin. 
Unberechtigter  Nachdruck  aua  dem  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt. 
Ucbersetzungsrecht  Vorbehalten. 


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Der  Strand  von  Pozzuoli  und  der  Serapis-Tempel 
in  neuem  Lichte  dargestellt. 


ctV  Von  Professor  !>r.  !).  Brauns  in  Halle. 

cA/m,  den  wichtigsten  Erscheinungen  auf  dem  Qebiete  der  Geologie 
gehören  ohne  Frage  die  Schwankungen  des  Niveaus  der  Meere, 
ein  oft  erörterter  Gegenstand,  dessen  Tragweite  sich  Jedermann 
leicht  vergegenwärtigen  kann,  sobald  er  das  Vorkommen  vorweltlicher 
Seemnscheln  und  anderer  versteinerter  Reste  von  Seethieren  auf  hohen 
Bergen  ins  Auge  lässt.  Infolge  der  hohen  Bedeutung  dieser  Er- 
scheinung hat  man  auch  mit  vollem  Recht  ein  grosses  Gewicht  auf  die- 
jenigen allgemeiner  verbreiteten  Schwankungen  des  Spiegels  der  Ozeane 
— oder  sogenannten  siicularen  Landsenk ungen  und  -Hebungen  — gelegt, 
welche  gegenwärtig  zti  beobachten  sind  und  uns  deshalb  das  Zustande- 
kommen vorweltlicher  Vorgänge  dieser  Art  zu  veranschaulichen  ver- 
mögen. Da  viele  solcher  Veränderungen  des  Meeresniveaus  sich  aus 
vergangenen  Epochen  der  Erdgeschichte  bis  in  tlie  Gegenwart  fort- 
gesetzt haben,  so  zeigen  sie  trotz  der  ausserordentlichen  Langsamkeit, 
mit  dpi-  sie  sich  vollziehen,  oft  sehr  augenfällige  Resultate  und  sind 
daher  auch  meistens  im  grossen  und  ganzen  ohne  Schwierigkeit  fest- 
zustellen. obgleich  über  die  Einzelheiten  bei  diesen  Vorgängen  immer 
noch  mancherlei  Widersprüche  herrschen.  Hinsichtlieb  des  Masses 
aber,  welches  dieselben  in  einer  gegebenen  Zeit  erreichen  können, 
möchte  insoweit  kein  Zweifel  herrschen,  als  dasselbe  für  kürzere 
Zeiträume  immer  nur  äusserst  gering,  für  historische  Zeiten  meist 
ein  kaum  in  die  Augen  fallender  Betrag  sein  kann.  Alle  raschen 
Bewegungen  des  Landes  unter  oder  über  das  Meeresniveau  oder  gar 
in  abwechselnder,  bald  aufwärts,  bald  abwärts  sich  bewegender  Richtung, 
welche  in  einen  historisch  begrenzten  Zeitraum  eingeengt  werden  sollen, 
halien  sich  bei  genauerer  Untersuchung  stets  als  irrthümlich  heraus- 
gestellt So  war  es  mir  z.  B.  während  eines  längeren  Aufenthaltes  in 
der  Hauptstadt  Japans  vergönnt,  das  äusserst  rasche  Mass  des  „An- 


Himmel  und  Erde.  1888.  II. 


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68 


Wachsens  der  Ebene  von  Tokio",  welches  man  aus  gewissen  Ver- 
änderungen an  der  Küste  daselbst  folgern  wollte,  als  irrthümlich 
nachzuweisen  und  jene  Veränderungen  zum  grössten  Theil  auf  soge- 
nannte „Verlandung"  zurückzuführen,  d.  h.  auf  den  Transport  von 
Schuttmassen  in  die  See  und  auf  das  dadurch  hervorgebrachte  Ein- 
engen des  flachen  Strandes,  also  auf  Vorgänge,  welche  an  allen  Berg- 
abhängen namentlich  in  und  neben  grösseren  Ortschaften  eine  be- 
deutende Rolle  spielen.  Aehnliche  Beispiele  Hessen  sich  leicht  in 
Menge  herbeischnffen  und  finden  sich  in  grösserer  Zahl  namentlich 
in  dem  umfassenden,  noch  im  Erscheinen  begriffenen  Werke  von 
Eduard  Suess,  „Das  Antlitz  der  Erde“ ; manche  davon  habe  ich  selbst 
in  meiner  „Einleitung  in  das  Studium  der  Geologie“  hervorgehoben. 
Wichtiger  als  der  Nachweis  einzelner  Fälle  ist  aber  unbedingt  die 
Feststellung  gewisser  Gesichtspunkte  für  die  Beurtheilung  der  Frage 
von  den  säcularen  Landhebungen  und  -Senkungen,  und  in  dieser  Be- 
ziehung möchte  namentlich  ein  Satz,  der  in  beiden  Schriften  gebührend 
hervorgehoben  ist,  besondere  Beachtung  verdienen,  der  nämlich,  dass 
das  Einsinken  von  allerhand  Bauwerken  an  der  Meeresküste  niemals 
als  Beweis  für  eine  allgemeine  Senkung  des  Landes  angesehen  werden 
darf.  Gerade  in  der  Gegend,  welche  hier  in  Betracht  kommt,  finden 
sich  infolgo  des  häufigen  Vorkommens  von  Ruinen  antiker  Bau- 
anlagen sehr  viele  Belege  für  diese  Erscheinung,  und  ich  werde  in 
der  Folge  noch  mehrfach  auf  dieselbe  zurückkommen.  Zu  bestreiten 
möchte  es  unbedingt  nicht  sein,  dass  die  antiken  Bauten  gerade  so 
wie  jedes  moderne  Gobäude  sich  „setzen“,  d.  h.  in  den  Boden  ein- 
sinken mussten,  sobald  dieser  ihnen  keinen  genügenden  Widerstand 
entgegensetzte,  und  da  in  und  um  Pozzuoli  die  vorherrschende  Ge- 
steinsart ein  etwas  mürber,  thonhaltiger  und  durch  das  Wasser  er- 
weichender vulkanischer  Tuff  ist,  so  kann  uns  das  häufige  Vorkommen 
von  Bauresten  unter  dem  Meeresspiegel  hier  weder  überraschen  noch 
zu  dem  Schlüsse  veranlassen,  als  sei  seit  der  Römerzeit  eine  Land- 
senkung  vor  sich  gegangen.  Aber  auch  umgekehrt  hat  man  infolge 
einer  falschen  Auffassung  von  Nachrichten  aus  dem  Alterthum  ohne 
genügenden  Grund  Hebungen  des  Bodens  folgern  wollen,  wovon  das 
beste  Beispiel  wohl  die  voreilige  Annahme  ist,  als  ob  ehedem  sich 
das  Meer  bis  hart  an  die  Mauern  von  Pompeji  erstreckt  hätte,  während 
die  unter  vulkanischer  Asche  verschütteten  Reste  dieser  Stadt  in  einer 
direkten  Entfernung  von  3 Kilometern  vom  Meere  aufgefunden  sind. 
Jene  Annahme,  welche  im  übrigen  mit  zahlreichen  antiken  Funden 
aus  der  Umgebung  Pompejis  im  Widerspruch  steht,  stützt  sich  lediglich 
auf  eine  in  den  Schriften  der  Alten  enthaltene  Nachricht,  dass  jene 


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69 


Ortschaft  einen  Hafen  besessen  habe.  Nun  wird  aber  gewiss  Niomand 
in  Abrede  stellen  wollen,  dass  ein  Hafen  auch  in  einiger  Entfernung 
von  der  Stadt,  zu  der  er  gehört,  sich  befinden  kann,  und  obendrein 
wird  ausdrücklich  berichtet,  dass  dieser  Hafen  den  beiden  Städten 
Stabiae  und  Pompeji  gemeinsam  diente.  Da  nun  die  erste  Ortschaft 
ohne  Frage  hart  am  Meere  sich  befand,  so  liegt  sicherlich  nicht  die 
mindeste  Unwahrscheinlichkeit  darin,  wenn  man  diesen  gemeinschaft- 
lichen Hafen  in  die  Nähe  von  Stabiae  versetzt,  wo  er  auch  von 
Pompeji  nur  eine  Entfernung  von  5 Kilometern  hatte. 

Neben  dem  Interesse,  welches  die  zahlreichen  Reste  des  Alter- 
thums den  Gestaden  Campaniens  verleihen,  beanspruchen  dieselben 
aber  auch  noch  in  anderer  Ueziehung  unsere  Aufmerksamkeit,  indem 
sie  eines  der  lehrreichsten  Beispiele  vulkanischer  Thätigkeit  darstellen. 
Die  Gegend  nördlich  von  Bajae  und  Pozzuoli,  von  welcher  Figur  1 
den  für  die  folgenden  Untersuchungen  wichtigsten  Thoil  in  einer 
Kartenskizze  darstellt,  ist  mit  einer  Gruppe  von  Kraterringen  bedeckt 


Fig.  1.  Karte  der  Umgegend  Pozzuolis 

nach  offiziellen  Aufnahmen  und  dem  Atlas  zu  Beiochs  Campanien  im  Massstabe 
von  1 : 75000  entworfen,  mit  Höhenangaben  in  Metern. 


und  zoigt  nicht  nur  fortwährend  — wenn  auch  in  geringem  Masse  — 
Spuren  vulkanischer  Thätigkeit,  sondern  es  sind  auch  Beispiele  heftigerer 
Ausbrüche  vorgekommen,  namentlich  im  Jahre  1538,  wo  innerhalb 
weniger  Tage,  vom  29.  September  an,  vor  den  Augen  glaubwürdiger 
Berichterstatter  ein  Berg  von  etwa  130  m maximaler  Höhe,  allerdings 
mit  einer  beträchtlichen  Vertiefung  innerhalb  eines  Kraterwallcs,  der 
Monte  nuovo  (vgl.  Karte)  aus  losen,  mit  Wasser  gemengten  vulka- 
nischen Aschen  und  Steinen  aufgethürmt  wurde.  Es  geschah  dies  an 

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einer  Stelle,  wo  bis  zu  genanntem  Tage  in  völlig  ebener  Gegend  ein 
Schwefelbad,  Tripergole,  gelegen  hatte.  Nehmen  wir  zu  diesem  wohl- 
verbürgten Falle  noch  den  — wohl  ohne  genügenden  Grund  ange- 
zweifelten  — Ausbruch  der  östlich  von  Pozzuoli  befindlichen  berühmten 
„Solfatara“  (s.  Karte)  hinzu,  welcher  im  Jahre  1198  n.  Chr.  stattfand, 
so  ergiebt  sich,  dass  auch  heftigere  vulkanische  Erscheinungen  hier 
zu  verschiedenen  Zeiten  vorgekommen  sind,  während  in  den  Ruhe- 
pausen das  Ausstossen  von  Schwefeldämpfeu  der  Solfatara,  das  Aus- 
strömen heisser  Dämpfe  an  verschiedenen  Punkten  der  Gegend  von 
Bajae  und  Kumae,  sowie  in  dem  (östlich  von  dem  Bereiche  unserer 
Karte  belegenen)  kleinen  Krater  von  Agnano  — in  dem  sich  auch 
die  bekannte  Hundsgrotte  mit  ihren  Ausdünstungen  von  Kohlensäure 
befindet  — ununterbrochen  andauert 

Es  ist  keiner  Frage  unterworfen,  dass  eben  diese  vulkanische 
Thätigkeit  für  viele  Geologen  einen  Grund  dafür  abgegeben  bat,  hier 
ausnahmsweise  mancherlei  Vorgänge  lind  namentlich  Schwankungen 
des  Bodens  für  möglich  zu  erklären,  welche  man  anderswo  durchaus 
für  unstatthaft  halten  würde,  und  es  ist  nicht  zu  verkennen,  dass  auch 
E.  Suess,  welcher  dem  .Serapis-Tempel  von  Pozzuoli“  ein  eigenes 
Kapitel  widmet,  sich  diesem  Standpunkt  bedenklich  nähert.  Indessen 
lässt  sich  doch  diese  ganze  Anschauungsweise,  nach  welcher  der 
Boden  vulkanischer  Gebiete  gewissermassen  als  hohl  hingestellt  und 
die  Möglichkeit  angenommen  wird,  als  könne  sich  bei  Gelegenheit 
vulkanischer  Ausbrüche  die  Erdoberfläche  wie  eine  Blase  ausdehnen 
und  emporheben,  als  durchaus  veraltet  bezeichnen.  So  gewichtige 
Autoritäten  sich  auch  zu  Anfang  unseres  Jahrhunderts  für  diese  Ideen 
ausspracben  und  Beispiele  für  solche  „Blasenhebungen"  beizubringen 
suchten  — Autoritäten,  unter  denen  Hutton,  Leopold  von  Buch,  Elie 
de  Beaumont,  Dufrönoy  zu  nennen  — , so  hat  man  doch  immer  klarer 
erkannt,  dass  kein  Vulkan  durch  solche  innere  Aufblähung  des  Erd- 
reichs entstanden  oder  gewachsen  ist,  sondern  dass  es  immer  nur  eine 
Art  des  Entstehens  und  des  Wachsthums  der  Vulkane  gegeben  hat, 
nämlich  das  Ueberlagern  von  Massen,  die  aus  dem  Schlunde  des 
feuerspeienden  Kraters  emporstiegen  und  dann  — als  Aschenregen 
oder  I-avastrom  — über  den  in  seiner  alten  Lage  verbleibenden  Erd- 
boden aufgelagert  wurden. 

Dass  übrigens  auf  diesem  Wege  nicht  unbedeutende  Berge  ge- 
bildet werden  können,  davon  giebt  nicht  nur  der  Vesuv  mit  seinen 
seit  dem  Jahre  79  n.  Chr.  und  namentlich  seit  1631  oft  wiederholten 
Ausbrüchen  ein  naheliegendes  Beispiel,  sondern  auch  der  schon  er- 
wähnte Monte  nuovo,  welcher  von  Pozzuoli  nur  etwa  3 Kilometer  in 


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westnordwestlicher  Richtung  entfernt  ist,  ein  vulkanischer  Berg,  der 
so,  wie  er  vor  uns  liegt,  durch  eine  einzige  Eruption  gebildet  ist. 
Es  sind  gerade  hier  die  Behauptungen,  als  ob  eine  innere  Auf- 
treibung des  Bodens  vor  der  Eruption  stattgofunden  habe,  aufs  bündigste 
widerlegt,  so  dass  auch  die  Gründe,  welche  Suess  neuerdings  für  die- 
selbe geltend  machen  will,  den  Auseinandersetzungen  von  Poulet 
Scrope,  Roth,  Lyell,  Fuchs  und  vielen  anderen  gewichtigen  Autoritäten 
gegenüber  als  durchaus  unzureichend  erscheinen. ') 

Fragt  man  nun  aber  nach  dem  eigentlichen  Grunde,  weshalb  manche 
Geologen  so  sehr  darauf  bedacht  waren,  für  den  Strand  von  Pozzuoli 
die  Möglichkeit  einer  ungewöhnlich  starken,  in  historischer  Zeit  vor 
sich  gegangenen  Bodenbewegung  zu  begründen,  so  ist  es  im  wesent- 
lichen immer  nur  ein  Gegenstand,  dem  zu  Liebe  man  eine  Abweichung 
von  allen  sonst  festgestelltun  Gesetzen  zulassen  wollte,  nämlich  das 
eigenthiimliche  Verhalten  eben  der  Ruinen,  welche  gewöhnlich  als  die 
des  Serapis-Tempels  von  Pozzuoli  bezeichnet  werden  und  unter  diesem 
Namen  in  fast  alle,  auch  in  die  elementarsten  Lehrbücher  der  Geologie 
übergegangen  sind. 

Es  ist  allerdings  richtig,  dass  man  neben  diesem  Serapeum  noch 
verschiedene  andere  Belege  für  eine  schwankende  Beschaffenheit  des 
Grundes  und  Bodens  der  Umgebung  Pozzuolis  berbeizusehaffen  ver- 
sucht hat;  augenscheinlich  aber  hat  man  sie  nur  zur  Unterstützung 
der  weitgehenden  Folgerungen  künstlich  zusammen  gesucht,  welche 
man  durch  jenen  Gegenstand  allein  zu  begründen  doch  eine  gewisse 
Scheu  trug.  Wie  wir  sofort  sehen  werden,  sind  sie  nichts  weniger 
als  stichhaltig. 

Zunächst  möchten  unter  ihnen  die  eisernen  Ringe  zum  Befestigen 
der  Schiffe  an  den  antiken  Kaimauern  von  Nisida,  von  Pozzuoli  selber 
und  von  Miseno  zu  erwähnen  sein,  welche  an  ersterem  Orte  etwa  3 m, 


')  Das  von  Suess  (II,  S.  4*2)  reproduzirte  rohe  Bild  in  Vogelperapectivo 
und  sehr  kleinem  Massstabe  mit  üliertricbenen  Höhen,  welches  einem  Abdrucke 
des  Berichtes  von  Falconi,  eines  der  Zeitgenossen,  welche  (len  Ausbruch  des 
Monte  nuovo  beschrieben,  boigegeben  war,  beruht  auf  phantastischer  Com- 
hinalion  und  hat  deshalb  selbstverständlicher  Weise  nicht  die  mindeste  Be- 
weiskraft. Die  Angabe,  dass  die  „Trockenlegung  des  .Strandes“  auf  200  Schritt, 
von  welcher  mehrere  Augenzeugen  reden,  schon  vor  der  Eruption  erfolgt  sei, 
ist  so  zu  verstehen,  dass  sie  allerdings  vor  dem  Aufsteigen  des  Berges  statt- 
fand,  aber  doch  erst  nach  Beginn  des  Aschenregens,  der  ihre  wahre  Ursache 
war;  der  Beginn  der  Katastrophe  wird  übereinstimmend  in  allen  Berichten  als 
ein  „Bersten-  des  Bodens  bezeichnet,  dem  sofort  der  heftige  und  vom  nördlich 
wellenden  Winde  bis  in  das  benachbarte  seichte  Meer  getriebene  Aschen- 
ausbnich  folgte.  Auch  ist  zu  beachten,  dass  die  Trockenlegung  des  Strandos 
nur  von  sehr  kurzer  Dauer  war.  — 


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bei  Pozzuoli  2 m und  bei  Miseno  1 m unter  dem  Meeresspiegel  liegen, 
während  sie  zur  Zeit  der  Erbauung  dieser  Kais  sich  ohne  Frage  etwa 
1 m über  dem  Wasser  befunden  haben  müssen.  Dieser  Umstand  ist 
aber  einfach  die  Folge  des  Einsinkens  des  ganzen  Gemäuers  in  den 
nachgiebigen  Untergrund  und  erledigt  sich  daher  ohne  Schwierigkeit 
in  der  oben  ausgesprochenen  Weise,  und  ganz  das  Nämliche  gilt  von 
den  Pfeilern  des  gewöhnlich  als  Ponte  di  Caligola  bezeichnelen  alten 
Molo  von  Pozzuoli,  der  von  der  Stadt  aus  in  westsüdwestlicher  Richtung 
weit  in  die  See  vorsprang.  Diese  Pfeiler,  deren  Reste  noch  zum  Theil 
erhalten  sind,  haben  ebenfalls  Schiffsringe  in  einer  Tiefe  von  2 in  unter 
Wasser,  sind  also  seit  dein  Alterthum  um  ungefähr  3 m gesunken, 
was  auch  mit  der  niedrigen  Lage  der  Bogenanfänge,  die  theilweise 
noch  an  ihnen  zu  sehen,  vollkommen  übereinstimmt.  Nichtsdesto- 
weniger hat  man  gerade  diese  Pfeiler  als  Belege  für  eine  Bodenhebung 
benutzen  wollen,  welche  seit  der  Römerzeit  hier  vorgegangen  sein 
sollte,  weil  nämlich  an  zweien  derselben  — auffallender  Weise  nur 
an  zweien  und  noch  dazu  in  ungleicher  Höhe,  nämlich  bei  dem  einen 
1,3  m über  dem  Meeresniveau,  bei  dem  andern  3 m darüber  — sich 
Steinschichten  finden,  an  welchen  Bohrmuschellöcher,  Wurmröhren 
und  andere  Spuren  von  Seethierresten  zu  sehen  sind.  Offenbar  be- 
fanden sich  also  diese  Steinlagen  früher  einmal  unter  Wasser:  bedenkt 
man  aber,  dass  — nach  ausdrücklichen  Angaben  der  Alten  — gerade 
dieser  Molo  in  den  Zeiten  der  römischen  Kaiser  wiederholten  Repara- 
turen unterworfen  werden  musste,  so  kann  dem  Umstande  un- 
möglich irgend  welche  Bedeutung  beigelegt  werden.  Es  versteht  sich 
ja  von  selbst,  dass  bei  jedem  derartigen  Reparaturbaue  Steinschichten, 
die  zuvor  sich  unter  Wasser  befanden,  von  den  Arbeitern  in  einem 
beliebigen  höheren  Niveau  angebracht  werden  konnten,  und  daher 
darf  man  unmöglich  dem  englischen  Geologen  Babbage  beipflichten, 
der  gerade  aus  diesem  Vorkommen  sehr  weitgehende  Schlüsse  auf 
ein  Auf-  und  Abwärtssteigen  des  Bodens  hat  ziehen  wollen.  — Der 
zweite  hier  zu  erörternde  Punkt  ist  das  Verhalten  der  flachen  Ufer- 
strecke im  Nordwesten  von  Pozzuoli  und  insbesondere  des  Thoiles 
derselben,  welcher  unter  dem  Namen  la  Starza  bekannt  und  so  auch 
auf  der  Karte  bezeichnet  ist.  Die  hier  reichlich  vorhandenen  unter 
das  Meeresniveau  gesunkenen  antiken  Mauer-  und  Säulenreste  können 
selbstverständlich  nach  allem,  was  über  diesen  Gegenstand  bemerkt 
wurde,  keineswegs  als  ein  Beweis  für  ein  Steigen  des  Meeres  seit 
den  Römerzeiten  angesehen  werden;  ebensowenig  aber  darf  man  aus 
dem  Umstande,  dass  hier  zu  verschiedenen  Malen  schmale  Ufer- 
strecken dem  Meere  abgewonnen  wurden,  ohne  weiteres  auf  eine 


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eigentliche  Landhehung  oder  gar  auf  ein  hohes  Mass  derselben 
schliessen.  Sehen  wir  die  Verhältnisse,  welche  hier  vorliegen,  mit  un- 
befangenen Augen  an,  so  ergiebt  sich,  dass  bei  Pozzuoli  ebensowenig 
wie  bei  Bajae  und  Neapel  seit  dem  grauen  Alterthum  irgend  welche 
bedeutende  Veränderung  vorgegangen  ist.  Und  dennoch  finden  wir 
in  manchen  Schriften  — geologischen  und  archäologischen  Inhalts  — 
die  wahrhaft  ungeheuerliche  Behauptung,  dass  etwa  seit  dem  Beginne 
der  Völkerwanderung  die  ganze  untere  Sladt  Puteoli  „unter  das  Meer 
gesunken  sei-*,  um  erst  nach  dem  Jahre  1500  wieder  emporzutauchen. 
Diese  phantastische  und  offenbar  auf  sehr  unklare  geologische  Vor- 
stellungen begründete  Annahme  findet  sich  zum  ersten  Mal  in  einer 
Schrift  aus  dem  Jahre  1580,  Antichitä  di  Pozzuoli  betitelt,  welche  von 
einem  gewissen  Loffredo  herrührt;  er  stellt  die  Vermuthung  auf,  dass 
50  Jahre  früher  das  Meer  bis  an  den  Steilhang  gereicht  hätte,  welcher 
landeinwärts  von  der  flachen  Uferstrecke  liegt,  und  dass  man  von  den 
Höhen  dieses  Abhanges  habe  -in  der  See  fischen  können“.  Die  Un- 
möglichkeit dieser  Behauptung  liegt  im  Grunde  schon  an  und  für  sich 
klar  auf  der  Hand;  zu  allem  Ueberfluss  aber  existiren  gerade  aus  den 
ersten  Decennien  des  16.  Jahrhunderts  bündige  Urkunden,  aus  denen 
sich  mit  völliger  Bestimmtheit  das  Gegentheil  erweisen  lässt  Diese 
Urkunden  sind  Schenkungen  des  Königs  Ferdinand  von  Aragonien 
aus  den  Jahren  1503  und  1511,  durch  welche  einmal  der  Stadt 
Pozzuoli,  das  andere  Mal  der  Universität  Uferstrecken,  die  kürzlich 
dem  Meere  abgewonnen,  überlassen  werden.  Die  Beweiskraft  dieser 
Aktenstücke  ist  in  der  That  so  gross,  dass  sich  Suess  dagegen  mit 
der  Ausflucht  zu  behelfen  sucht  „das  Gebiet  von  Pozzuoli  habe  sich 
damals  viel  weiter  nach  Westen  erstreckt  als  jetzt  es  hätten  also 
andere  Uferstrecken  gemeint  sein  können,  als  die  Starza“.  Da  nun 
aber  nirgend  anders  als  au  eben  dieser  .Starza  oder  in  ihrer  nächsten 
Nähe  — namentlich  nicht  an  dein  westlich  von  Punta  Caruso  bc- 
legenen  Ufer  — irgend  nennenswerthe  Verlandungen  beobachtet  sind, 
so  möchte  dieser  Einwand  von  selber  fortlällen.  — Der  dritte  Punkt, 
auf  welchen  insbesondere  Suess  hinweist,  ist  eine  kleine  warme  Quelle, 
le  Cantarelle  genannt,  welche  ganz  nahe  bei  deif  Ruinen  selbst  etwas 
landeinwärts,  aber  in  gleichem  Niveau  mit  ihnen  liegt.  Wie  wir  sehen 
werden,  ist  die  Höhe  des  Pflasterbodens  jener  Ruinen  ungefähr  die 
des  Meeres,  so  dass  bei  einem  Ansteigen  desselben  — wie  es  infolge 
anhaltender  Süd-  und  Südwestwinde  oft  in  nicht  ganz  unbedeutendem 
Masse  stattfindet  — der  Meeresspiegel  höher  steigt.  Ganz  dasselbe 
gilt  nun  auch  von  der  Therme,  so  dass  in  früheren  Zeiten  bei  unvoll- 
kommenem Schutze  nicht  selten  eine  Ueberfluthung  derselben  statt- 


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finden  musste.  Genau  dieses  Verhalten  schildern  nun  einige  lateinische 
Verse,  welche  Suess  einem  vermuthlich  von  einem  gewissen  Petrus 
de  Ebulo  im  Beginne  des  13.  Jahrhunderts  verfassten  Gedicht  ent- 
nimmt, und  auf  welche  er  sich  sonderbarer  Weise  beruft,  um  einen 
wesentlich  höheren  Meeresstand  zu  jener  Zeit  daraus  zu  folgern. 
.Wenn  das  Meer  aufbraust-,  so  heisst  es  in  jenen  Versen,  „so  wird 
die  Quelle  von  den  Wogen  umstürmt" 2);  ein  Ausspruch,  der  gewiss 
nicht  gerechtfertigt  gewesen  wäre,  wenn  zu  jener  Zeit  das  Meer  be- 
ständig ein  höheres  Niveau  gehabt  hätte,  als  heutigen  Tages.  Ueber- 
haupt  hätten  dann  die  Verse  des  Petrus  de  Ebulo  keinen  rechten  Sinn 
gehabt,  und  so  dürfen  wir  gerade  aus  ihnen  den  Schluss  ziehen,  dass 
zu  der  Zeit,  wo  sie  verfasst  wurden,  eine  auffallende  Uebereinstimmung 
mit  den  jetzigen  Verhältnissen  geherrscht  hat.  Diese  Zeit  aber  fällt, 
wie  wir  sehen  werden,  gerade  in  die  Jahrhunderte,  während  deren 
inan  aus  dem  Verhalten  der  Ruinen  des  Serapeums  eine  sehr  intensive 
Landversenkung  hat  folgern  wollen. 

Diese  Ruinen  und  besonders  die  noch  aufrecht  stehenden  drei 
Säulen  derselben  sind  es  also,  auf  welche  im  wesentlichen  unser 
Augenmerk  zu  richten  ist.  Sie  liegen,  wie  aus  der  Karte  Fig.  1 zu 
sehen,  im  tieferen  Theile  Pozzuolis  nahe  dem  Meere  und  nach  Norden 
zu;  den  gegenwärtigen  Zustand  der  Ueberreste  dieses  vielbesprochenen 
Baues  stellt  Fig.  2 nach  einer  neuen  photographischen  Aufnahme 
dar.3)  Die  Gestalt  ist  nahezu  ein  Quadrat  von  etwa  40  m Seitenlänge, 
das  von  einem  Systeme  von  gemauerten  Zellen  umgeben  ist,  welche  sich 
abwechselnd  nach  aussen  und  innen  mit  gewölbten  Thoren  öffnen.  In 
dem  Innenraume,  parallel  den  Seiten  desselben,  befanden  sich  ehedem 
28  monolithische  Säulen  aus  Cipollin  von  korinthischer  Ordnung,  ohne 
Cannelirung,  deren  Schäfte  mit  Basis  — die  Kapitiile  sind  herunter- 
gestürzt — nahezu  1 2 '/2  m hoch  waren.  Nur  drei  dieser  Säulen  — 
dieselben,  welche  schon  der  oben  genannte  laiffredo  erwähnt  — stehen 
noch;  sie  befinden  sich  an  der  nördlichen  Seite,  links  von  dem  Ein- 
gänge, der  an  der  westlichon  Seile,  nach  dem  Meere  zu  liegt.  Das 
Gemäuer  der  Zellen  enthält,  wie  es  in  allen  Beschreibungen  hervor- 
gehoben wird,  Reste  eines  künstlichen  Köhrensystems,  das  offenbar 
die  Zuleitung  grösserer  Wassermengen  ermöglichen  sollte,  und  slcssen 
Bedeutung  noch  zu  erörtern  sein  wird.  Die  drei  Säulen  stehen  auf 

5)  Cum  marc  Iremescit,  locus  oppugnatur  ab  undis.  Vgl.  Suess,  II,  S.  477. 

3)  Die  im  Innern  [zusammengcstollten  Werkstücke  gehören  säramtlich 
nicht  zu  den  Ruinen  des  Baues  selbst,  sondern  sind  willkürlich  zusammen- 
gelesen.  Der  Mittelbau  selbst,  ein  hoher  Rundbau,  der  oben  IG  Säulen  und 
darüber  eine  Kuppel  trug,  ist  gänzlieh  zerstört. 


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Figur  2.  Ruinen  des  sogenannten  Tempio  di  Giove  Serapide  von  Pozzuoli  von  NW.  her  gesehen,  nach  einer  photographim-hen  Aufnahme. 


7<i 


einem  Boden  mit  Mosaikpflaster  und  weisen  in  der  Höhe  von  etwa 
3 •/j  bis  6 m über  demselben  sehr  zahlreiche,  aber  streng  auf  diese  Zone 
beschränkte  Bohrlöcher  auf  (vgl.  Abb.  Fig.  2),  welche  von  Bohr- 
musclieln  herrühren.  Das  Thier,  welches  sie  hervorbrachte,  war 
Lithodomus  lithophagus  L.,  eine  im  Mittelmeer  häufige,  etwa  10  cm 
Länge  erreichende  und  bei  gehöriger  Grösse  als  Speise  geschätzte 
Muschel,  welche  ausschliesslich  in  ganz  geringer  Tiefe  nahe  der  Ober- 
fläche des  Meeres  und  mit  Vorliebe  in  der  Nähe  des  Strandes  auftritt. 
Fig.  3 stellt  die  Schale  dieser  unseren  gemeinen  Miesmuscheln 
(Mytilus  edulis  L.)  nahe  verwandten  Art  dar.  Das  Thier  unter- 
scheidet sich  von  der  Miesmuschel  nur 
dadurch,  dass  der  am  vordem  Theile  der 
Schale  belegene  Fuss  nicht,  wie  bei 
dieser,  feste  Stränge  oder  Fäden  (Byssus) 
hervorbringt,  an  denen  das  Thier  sich 
befestigt,  sondern  zum  Drehen  der  Schale 
benutzt  wird  und  auf  diese  Weise,  wenn 

Fig  Die  Schalen  von  Lithodo- 

mu.  lithophagus  L.  Sp.  1,1,1  nicht  zu  har,es  Matenal  vorhegt,  eine 
In  v,  der  natürlichen  drüsse,  die  Bohrung  hervorbringt  Die  gewundenen 
obere  von  aussen,  die  untere  von  Bohrkanäle  erstrecken  sich  von  der 
innen  gesehen.  stark  nngefressenen  Oberfläche  ziemlich 


weit  nach  innen,  wie  Bruchstücke  einiger  Säulen,  die  beim  Zerstören 
des  Gebäudes  umgestürzt  wurden,  deutlich  ersehen  lassen.  Indessen 
ist  wohl  zu  bemerken,  dass  nie  eine  Bruchfläche  angebohrt  wurde, 
sondern  dass  alle  Bohrgäuge  von  der  ursprünglichen  Oberfläche 
ausgehen.  Bin  solches  angebohrtes  Säulenfragment  zeigt  unsere  Ab- 
bildung rechts  von  den  drei  aufrechten  Säulen. 

Es  ist  allerdings  einzuräumen,  dass  dieses  Auftreten  lebender 
Seethiere  in  so  beträchtlicher  Höhe  über  dem  Meere,  das  offenbar 
erst  nach  der  Erbauung  des  sogenannten  Serapistempels  stattgefunden 
haben  kann,  etwas  Auffallendes  und  Räthselhaftes  an  sich  hat.  Eis 
ist  auch  sehr  wohl  erklärlich,  wenn  man  dabei  zunächst  an  eine  allge- 
meine Landhebung  gedacht  und  diu  Bohrmuschelgiinge  der  drei  Säulen 
mit  ganz  ähnlichen  — und  auoh  in  ähnlichem  Niveau  auftretenden  — 
Anbohrungeu  gewisser  fester  Schichten  in  den  natürlichen  oder  „ge- 
wachsenen“ Gesteinen  des  öfter  erwähnten,  das  Ufer  in  einiger  Ent- 
fernung begleitenden  Steilhanges  in  Verbindung  gebracht  hat.  Eine 
sehr  einfache  Betrachtung  muss  aber  alsbald  diese  Idee  als  völlig  un- 
zulässig hinstellen,  denn  die  Anbohrungen  in  jenen  Felspartien  können 
unbedingt  in  eine  viel  ältere  als  die  historische  Zeit  versetzt  werden 
— sie  können  hunderttausend  Jahr  alt  und  noch  älter  sein,  ja  man 


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darf  sagen,  dass  für  sie  die  Zeitbestimmung  kaum  mit  der  Dauer  der 
gegenwärtigen  geologischen  Epoche  abgeschlossen  ist.  In  der  That 
sind  solche  alte  Strandlinien  an  den  Küsten  Italiens,  welche  man  in 
verschiedenen  Gegenden  bis  zur  Höhe  von  mindestens  25  in  über 
dem  Meere  gefunden  hat,  für  den  Geologen  von  grösster  Wichtigkeit; 
sie  beweisen,  dass  seit  unvordenklichen  Zeiten,  weit  vor  dem  ersten 
Aufdämmem  der  Geschichte  des  Menschengeschlechtes,  ein  äusserst 
langsames  Emporsteigen  der  apenninischen  Halbinsel  und  Siciliens 
über  das  Meer  stattfand,  und  wir  dürfen  aus  manchen  Anzeichen 
schliessen,  dass  diese  Bewegung  heutzutage  noch  nicht  ihr  Ende  er- 
reicht hat.  Sie  ist  indessen  so  wenig  intensiv,  so  unmerklich,  dass 
seit  der  Römerzeit,  ja  seit  der  ersten  Besiedelung  des  Gestades  von 
Cumae  durch  griechische  Colonisten  vor  nahezu  3000  Jahren  kaum 
eine  mit  Sicherheit  messbare  Spur  derselben  zu  ersehen  ist  Wie 
lange  Zeit  nun  vergangen  sein  mag,  seit  die  Bohrmuschelgänge  und 
anderen  Seethierspuren  an  dem  Felshange  bei  Pozzuoli,  welcho  man 
jetz  in  etwa  6 in  Höhe  wahrnimmt,  sich  im  damaligen  Meere  bildeten, 
darüber  möchte  es  sehr  schwer  halten  irgend  welche  Angaben  zu 
machen;  allein  im  Hinblick  auf  den  augenfällig  niedrigen  Betrag  der 
Landhebung  in  den  letztverflossenen  Jahrtausenden  und  der  an 
manchen  anderen  Orten  gemachten  Beobachtung,  dass  für  solche  Ver- 
änderungen des  Meeresniveaus  ein  Bruchtheil  eines  Centimeters  in 
einem  Jahrhundert  schon  ein  ganz  namhaftes  Mass  darstellt,  kann 
ein  Zeitraum  von  reichlich  100  000  Jahren  dafür  kaum  als  zu  hoch 
gegriffen  erscheinen.  Hieraus  aber  ergiebt  sich  mit  Entschiedenheit 
dass  die  Bohrmuschelzone  der  drei  Säulen  von  Pozzuoli,  deren  Er- 
richtung mit  Sicherheit  in  das  erste  oder  zweite  Jahrhundert  nach 
Christo  zu  setzen  ist  unmöglich  mit  jenen  Muschelbohrungen  an  den 
gewachsenen  Felsen  unter  einen  Gesichtspunkt  gebracht  werden  kann. 
Die  Säulen  hätten  vielmehr  erst  gegen  Ende  der  Römerherrschaft  all- 
mählich unter  das  Meer  sinken  müssen,  um  sich  dann  entweder,  etwa 
um  das  Jahr  1000  n.  Chr.,  in  ähnlicher  Weise  nach  und  nach  wieder 
zu  heben,  oder  es  müsste  jene  allmähliche  Senkung  bis  etwa  1500 
n.  Chr.  angedauert  haben,  um  dann  einer  sehr  raschen  Hebung  Platz 
zu  machen.  Da  aber  der  letzteren  Annahme,  obwohl  sie  von  Autori- 
täten wie  Charles  Lyell  vertreten  wird,  selbst  abgesehen  von  allen 
bereits  angeführten  Gründen  auch  noch  der  Umstand  widerspricht, 
dass  die  drei  noch  vorhandenen  Säulen  ruhig  in  vertikaler  Lage  ver- 
blieben sind,  was  bei  einer  raschen  und  gewaltsamen  Bewegung  rein 
unmöglich  gewesen  wäre,  so  würde  nichts  übrig  bleiben,  als  — in 
der  Weise,  wie  es  Roth  thut  — eine  allmähliche  Bewegung  erst 


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nacli  abwärts,  dann  wieder  nach  oben  anzunehmen.  Bei  dieser  Art 
der  Bodenschwankung',  deren  Beginn  man  überdies,  wie  noch  zu  er- 
wähnen sein  wird,  infolge  einer  falschen  Auffassung  des  Charakters 
des  Gebäudes  schon  in  die  Römerzeit  verlegen  zu  müssen  glaubte, 
würde  nun  das  Mass  derselben  sich  auf  mehr  als  1 m in  einem 
Jahrhundert  stellen  — also  auf  einen  Betrag,  welcher  der  Beobachtung 


Kig.  4.  Bewegungen  des  Landes  bei  Pozzuoli 


in  Bezug  auf  des  jetzige  Meeresniveau  seit  2000  Jahren, 
<uiunifM  nach  don  Annahmen  von  Koth. 

— — • — • — — nach  Lyell,  Nircollni,  Sucws  u»  A. 

ungefähr«**  Mas.«  der  höchstens  zulässigen  Annahme. 

(Hohen  in  Metern.» 


Fig.  5.  Veränderungen  des  Meeresspiegels  gegen  das  Land  bei  Pozzuoli 

seit  2000  .Jahren, 


mmiiooi.  nach  der  Annahme  von  Roth. 

— — — • — nach  Lyell,  Xiecolini,  Suess  u.  A. 

ungefähres  Mass  dor  zulässigen  Annahme. 

(Mit  vorachiedenon  auf  diesen  Gegenstand  bezüglichen  IlöheuanfrAben  in  Metern.» 

der  Zeitgenossen  unmöglich  hiilte  entgehen  können.  Um  die  Ver- 
änderungen, welche  dabei  hätten  stattflnden  müssen,  noch  deutlicher 
zur  Anschauung  zu  bringen,  habe  ich  zwei  graphische  Darstellungen 
derselben  beigefugt4),  welche  die  dir  jedes  Jahrhundert  entfallende 

4)  In  beiden  Figuren  erscheinen  die  Zeiten  auf  der  Abscissenlinie,  die 
wahrend  derselben  statlgehabten  Höhenunterschiede  als  Ordinatcn. 


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79 


Differenz  sowohl  hei  Zugrundelegung  der  ersteren,  wie  der  letzteren 
Annahme  erkennen  lassen,  lind  zwar  die  erste  so,  dass  das  Meer 
als  unveränderlich,  das  laind  als  fallend  und  steigend  gedacht 
wird,  die  zweite  — in  welcher  zugleich  die  flöhe  der  Bohrmuschel- 
zone  der  Säulen,  die  der  Schilfsringe  von  Pozzuoli,  Nisida  und  Miseno 
u,  s,  w.  eingetragen  ist  — in  der  Weise,  dass  das  I<and  als  fest- 
stehend, das  Meer  als  auf-  und  absteigend  angenommen  ist.  Es  geht 
aus  denselben  ferner  noch  hervor,  wie  wenig  die  ganze  Theorie  von 
einer  ausgiebigen  Landesversenkung  jener  Gegenden  mit  verschiedenen 
Nachrichten  über  die  Erbauung  mittelalterlicher  Kirchen  in  Neapel 
u.  s.  w.  in  Einklang  zu  bringen  ist,  unter  denen  die  Kirche  San 
Giovanni  a mare,  nur  etwa  2'/,  in  über  dem  Meere  und  aus  dem 
Jahre  1270  herrührend,  wohl  die  wichtigste  sein  dürfte. 

Ueberhaupt  möchte  in  dem  Mangel  an  Uebereinstimmung  mit 
allen  vorhandenen  Nachrichten  und  Ueberlieferungen  unstreitig 
der  schwächste  Punkt  aller  jener  Annahmen  liegen,  nach  welchen 
eine  volkreiche,  seit  dem  Altertlium  ununterbrochen  mit  grösseren 
Niederlassungen  verschiedenster  Art  bedeckte  Küste  auf  Jahrhunderte 
spurlos  aus  der  Welt  verschwunden  sein  soll.  Diesen  Punkt  hebt 
Niemand  treffender  hervor,  als  Goethe,  welcher  bereits  im  Jahre  18211 

— zur  Zeit,  als  die  Versenkungstheorie  Verbreitung  zu  finden  begann 

— in  einem  besonderen  Aufsatze,  „ein  architektonisch-naturhistorisches 
Problem“.5)  die  Unmöglichkeit  dargelegt  hat,  dass  Veränderungen  von 
solcher  Intensität,  wie  sie  mit  einem  Steigen  des  tyrrhenischen  Meeres 
um  20  Fuss  hätten  verknüpft  sein  müssen,  selbst  während  der 
dunkelsten  Pfaffen-  und  Ititterzeit  hätten  unbeachtet  bleiben  können. 
Man  darf  unbedingt  hiuzufügen,  dass  diese  Worte  auch  dann  noch 
ihre  volle  Berechtigung  behalten,  wenn  man  — wie  dies  Suess  ver- 
sucht — an  Stelle  eines  allgemeinen  Steigens  des  Meeresspiegels 
eine  Landsenkung  setzen  wollte,  welche  sich  auf  die  nähere  Umgebung 
der  Stadt  Pozzuoli  beschränkt  hätte,  da  nächst  Neapel  gerade  dieser 
Ort  der  bedeutendste  der  ganzen  Gegend  ist  und  sein  Verschwinden 
selbst  unter  den  Wirren  der  Völkerwanderung  keinenfalls  mit  Schweigen 
übergangen  sein  würde. 

Wenn  diese  Auseinandersetzungen  Goethes  bei  den  damaligen 
Geologen  nicht  die  gebührende  Beaohtung  und  Anerkennung  fanden, 
so  liegt  der  Grund  davon  ohne  Zweifel  zu  einem  grossen  Theil  in  der 
mangelhaften  Art  und  Weise,  wie  er  das  Vorkommen  der  Bohr- 
muscheln (die  er,  wie  dies  früher  oft  geschah,  irriger  Weise  als 

*)  Im  40.  (letzten)  Bande  der  Pottaschen  Ausgabe  von  1840,  S.  114  ff. 


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80 


Pholaden  bezeichnet)  nun  seinerseits  zu  erklären  versucht.  Er  meint, 
die  Ruinen  seien  durch  vulkanische  Asche  verschüttet,  inmitten  dieses 
Aschenhaufens  habe  sich  eine  Stagnation  süssen  Wassers  gebildet, 
und  diese  sei  die  Veranlassung  geworden,  dass  Meeresmuscheln  sich 
in  so  hohem  Niveau  ansiedeln  konnten,  denn  der  Salzgehalt  des  See- 
wassers habe  durch  die  Auslaugung  von  allerhand  Salzen  aus  jenen 
vulkanischen  Aschen  ersetzt  werden  können.  Es  liegt  auf  der  Hand, 
dass  diese  Erklärung,  so  scharfsinnig  sie  auf  den  ersten  Blick  zu  sein 
scheint,  doch  gekünstelt  ist  und  Unmögliches  voraussetzt;  namentlich 
möchte  der  Umstand  gegen  sie  geltend  gemacht  werden  können,  dass 
eine  derartige  Ansammlung  angesalzenen  Wassers,  wenn  sie  längere 
Zeit  hindurch  Zufluss  erhielt,  sehr  bald  ausgesiisst  und  für  die  Existenz 
von  Seemuscheln  ungeeignet  hätte  worden  müssen,  während  sie  bei 
mangelndem  Zustrom  frischen  Wassers  in  ganz  kurzer  Zeit  ausge- 
trocknet sein  müsste. 

Ebensowenig  befriedigend,  wie  diese  Erklärung,  darf  unbedingt 
wohl  auch  die  Vermuthung  genannt  werden,  dass  die  Säulen  des 
Serapeums  früher  schon  einmal,  und  zwar  im  Meere,  Verwendung  ge- 
funden hätten,  bevor  sie  ihre  jetzige  Stelle  erhielten.  Ein  solches 
Vorfahren  steht  mit  den  sonstigen  Gewohnheiten  der  Alten  und  mit  dem 
Luxus,  den  sie  bei  ihren  grösseren  Bauten  zu  entfalten  liebten,  in  zu 
schroffem  Widerspruch,  als  dass  man  jene  Annahme  ernsthaft  befür- 
worten könnte. 

Es  bleibt  also  nichts  Anderes  übrig,  als  eine  neue  Antwort  auf 
die  Krage  zu  suchen,  wie  denn  ein  solches  Auftreten  lebender  Litho- 
domen in  einer  Höhe  von  6 m über  dem  Meeresspiegel  während  der 
Römerzeit  möglich  war.  Bei  dieser  Untersuchung  aber  springt  uns 
vor  allen  Dingen  eine  Thatsache  in  die  Augen,  welche  sonderbarer 
Weise  noch  fortwährend  von  sehr  vielen  — namentlich  geologischen 

— Schriftstellern  unbeachtet  gelassen  wird,  wiewohl  sie  archäologisch 
über  allem  Zweifel  feststeht,  nämlich  die,  dass  das  sogenannte  Serapeum 
durchaus  kein  Tempel,  weder  des  Jupiter  Serapis  noch  irgend  eines 
anderen  Gottes,  gewesen  sein  kann. 

Die  Gründe,  weshalb  man  überhaupt  diese  Bezeichnung  für  die 
in  Frage  kommenden  Ruinen  wählte,  sind  entschieden  der  allerleicht- 
fertigsten Art.  Es  ist  nämlich  in  einem  Dokument  aus  der  Römerzeit 

— aus  dem  Jahr  105  vor  Christo  — , in  der  viel  genannten,  auch 
von  E.  Suess  1.  c.  S.  476  horangezogenen  lex  parieti  faciundo,  von 
einem  Serapis-Tempel  die  Rede,  welcher  im  unteren  Theile  von  Puteoli, 
dem  alten  Pozzuoli,  nahe  am  Meoresstrande  lag.  Als  man  nun  um 
die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  die  Ruinen  bioslegte,  von  denen 


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81 


bis  dahin  nur  die  drei  Säulen  aus  Schutt  und  Buschwerk  emporgeragt 
hatten,  und  in  ihnen  oder  in  der  Nähe  eine  Büste  des  Jupiter  Serapis 
fand,  da  glaubte  man  — wie  das  in  solchen  Fällen  zu  geschehen 
pflegt  — sofort  mit  Sicherheit  das  in  jenem  alten  Aktenstücke  genannte 
Bauwerk  aufgefuuden  zu  haben.  Es  bedarf  indessen  nicht  einmal 
eines  Hinweises  auf  den  immerhin  nicht  unbeträchtlichen  Zeitunterschied 
— die  Erbauung  des  hier  in  Frage  kommenden  Gebäudes  ist  etwa 
zwei  Jahrhunderte  später  zu  setzen  als  jenes  Dokument  — , um  darzu- 
thun,  wie  voreilig  ein  solcher  Schluss  war,  denn  das  Aussehen  und 
die  Bauart  der  Ruinen  lässt  mit  Bestimmtheit  erkennen,  dass  hier  ein 
antiker  Profanbau  vorliegt.  Was  in  dieser  Beziehung  namentlich 
Beloch  in  einem  archäologischen  Werk  über  „Campanien“  (Berlin 
1879)  bemerkt,  ist  völlig  überzeugend.  Beloch  legt  dabei  in  ganz 
richtiger  Weise  einen  grossen  Werth  auf  die  Aehnlichkeit  des  so- 
genannten Serapeums  von  Pozzuoli6)  mit  dem  antiken  Schlachthause, 
dem  Maccllum  in  Rom,  dessen  Bauart  aus  alten  Münzen  und  Ab- 
bildungen ziemlich  vollständig  bekannt  ist.  Hier  wie  dort  findet  sich  ein 
viereckiger  Bau  aus  Zellen  mit  einem  Iunenraum,  dessen  Seiten  mit 
einer  Reihe  von  Säulen  besetzt  waren,  hier  wie  dort  ein  nicht  sehr 
umfangreicher  aber  hoher,  kuppeltragender  Mittelbau.  Was  letzteren 
anlangt,  so  muss  er  bei  dem  Gebäude  in  Pozzuoli  mit  besonderer 
Sorgfalt  hergestellt  sein,  da  man  bei  der  Ausgrabung  um  die  Mitte 
vorigen  Jahrhunderts  sechzehn  unversehrte  Säulenschäfte  aus  gelbem 
Marmor  im  Schutte  fand,  die  bei  dem  Bau  einer  Kapelle  für  das 
Schloss  von  Caserta  Verwendung  fanden.  Sie  standen  ohne  Frage 
auf  einem  gemauerten  Rundbau  in  ziemlicher  Höhe  und  stützten  in 
ähnlicher  Weise,  wie  dies  durch  Abbildungen  und  Münzen  für  das 
römische  Macello  nachgewiesen,  eine  Kuppel.  Indessen  geht  dooh 
Beloch  augenscheinlich  zu  weit,  wenn  er  aus  solchen  Aelmliclikeiten 
mit  Bestimmtheit  folgern  will,  dass  das  sogenannte  Serapeum  von 
Pozzuoli  auch  ein  Maceilum  gewesen  sein  müsse.  Ein  ähnlicher 
Zweck  genügte  offenbar,  um  eine  derartige  Uebereinstimmung  im  all- 
gemeinen Charakter  der  Bauwerke  zu  bedingen,  und  deshalb  dürfen 
wir  aus  letzterem  zunächst  nur  die  profane  Natur  des  angeblichen 
Serapis-Tempels  folgern. 

Um  die  eigentliche  Bestimmung  desselben  genauer  festzustellon, 
müssen  wir  jedenfalls  auf  verschiedene  Nebenumstände  Rücksicht 
nehmen,  unter  denen  zuvörderst  das  bereits  erwähnte  Röhrensystem 


6)  Auch  des  sogenannten  Serapeums  von  Pompeji,  das  man  nur  wegen 
seiner  Aehnlichkeit  mit  unseren  Ruinen  mit  diesem  Namen  belegt  hat. 


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so 

in  «lein  umgebenden  üemiiuer  in  Betracht  kommt.  Unbedingt  muss 
dasselbe  die  Idee  berrorrufen,  dass  es  sich  hier  um  die  Füllung  eines 
grösseren  Wasserbassins  handelte,  und  dieser  Umstand  hat  denn  auch 

— wohl  in  Verbindung  mit  der  Nachbarschaft  einer  warmen  Quelle 

— die  Verniuthung  veranlasst,  dass  die  Ruinen  einer  Badeanlage  an- 
gehört hätten.  Indessen  ist  der  Grundriss  des  Gebäudes  hiermit  durch- 
aus nicht  in  Einklang  zu  bringen,  und  es  möchte  schwerlich  eine 
andere  Annahme  übrig  bleiben,  als  die,  dass  es  sich  um  einen  Wasser- 
behälter zu  Tafelzwecken,  für  Austern  oder  Fische,  um  eine  der  bei 
«len  Römern  so  häufigen  Piscinen  handelt.  Für  diese  Vermuthung 
spricht  denn  auch  in  hohem  Grade  ein  zweites  Moment,  nämlich  die 
Höhe,  welche  man  für  das  Mosaikpflaster  wählte.  Wie  schon  bemerkt, 
befindet  sich  dasselbe  ungefähr  im  Niveau  des  Meeres,  und  das  wat- 
offenbar  für  einen  Wasserbehälter,  der  zu  Zeiten  gereinigt  werden 
musste,  eine  sehr  zweckmässige  Einrichtung;  man  konnte  stets  ohne 
Schwierigkeit  nicht  nur  das  Wasser  aus  dem  Behälter,  sondern  auch  einen 
zum  Ausspülen  erforderlichen  Wasstirstrom  ins  Meer  abfliessen  lassen. 
Keine  andere  Bestimmung  des  Gebäudes  giebt  eine  so  einfache  Er- 
klärung für  diese  Lage  des  gepflasterten  Bodens;  die  Annahme,  als 
ob  ein  Tempel  vorläge,  hat.  wie  ich  schon  oben  andeutete,  die  merk- 
würdigsten Folgerungen  hinsichtlich  einer  Höhenveränderung  schon 
zur  Römerzeit  veranlasst,  welche  ebenso  unhaltbar  sind,  wie  die  Hypo- 
these von  dem  Versinken  der  ganzen  Gegend  während  des  Mittel- 
alters. Wenn  wir  dagegen  die  Deutung  unserer  Ruinen  als  die  einer 
Piscina  festhalten,  so  erklärt  sich  auf  ebenso  einfache  Weise  auch 
noch  ein  amlerer  Umstand,  welcher  sonst  immerhin  befremdlich  er- 
scheinen könnte,  obgleich  man  auch  ihn  mit  Hülfe  der  Hypothese  einer 
Laudsenkung  in  alten  Zeiten  hat  beseitigen  wollen,  nämlich  das  Vor- 
handensein eines  älteren  Mosaikpflasters  etwa  1 1 /,  m unter  dem  jetzigen. 
Nimmt  man  an,  dass  die  Anlage  dieses  tieferen  Pflasters,  welche 
offenbar  eine  leichtere  Füllung,  aber  eine  um  so  schwierigere  Ent- 
leerung und  Reinigung  des  Behälters  zur  Folge  haben  musste,  sich 
eben  aus  letzterem  Grunde  nicht  bewährte,  und  dass  mim  sie  deshalb 
durch  das  Anbringen  eines  neuen  Bodens  in  der  ungefähren  Höhe 
des  Meeresspiegels  ersetzte,  so  ist  jede  Schwierigkeit  gehoben.  Vor 
allen  Dingen  aber  sind  nun  die  Bohrungen  der  Lithodomen  an  den 
Säulen  so  einfach  wie  nur  möglich  erklärt;  denn  eine  Füllung  «les 
Innenraumes  dieser  Piscina  mit  Seewasser,  welche  man  selbstverständ- 
licher Weise  für  gewöhnlich  auf  einer  nicht  unbeträchtlichen  Höhe 
halten  musste,  gab  von  selbst  alle  Be«lingungen  für  die  Existenz  von 
Seethieren  in  den  ihnen  zukommenden  Höhenschichten  der  Piscina. 


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83 


So  konnte  denn  auch  die  Ansiedelung  der  Bohrmuscheln  an  den 
Säulen  ganz  von  selbst  in  dem  ihnen  naturgemiissen  Niveau  zu  stände 
kommen,  obwohl  man  sie  an  dieser  Stelle  gewiss  nicht  wünschte  oder 
gar  absichtlich  herbeiführte ; es  ist  sogar  für  das  Zustandekommen  jener 
Bohrungen  gleichgültig,  ob  man  die  Lithodomen  überhaupt  in  dem 
Bassin  zu  haben  wünschte,  oder  ob  sie  oder  ihre  Larven  nur  zufällig 
mit  dem  Seewasser  hineingeriethen.  Da  diese  Thiere  sich  ausschliess- 
lich nahe  der  Oberfläche  des  Meeres  aufhalten,  so  wird  es  auch  ganz 
von  selbst  verständlich,  weshalb  nur  eine  gewisse  Zone  der  Säulen 
angebohrt  wurde,  denn  der  Wasserstand  in  dem  Behälter  muss  doch 
in  der  Regel  in  einem  bestimmten  Niveau  gehalten  und  nach  jeder 
Reinigung  und  vorübergehenden  Kntleerung  möglichst  rasch  wieder 
hergestellt  sein.  So  blieb  nothwendiger  Weise  der  untere  Theil  der 
Säulen  frei  von  Bohrlöchern,  denn  in  grösserer  Tiefe  fanden  diese 
Thiere  ihre  Lebensbedingungen  nicht  mehr.  Gerade  dieser  L’mstand 
aber  würde  bei  der  Annahme  einer  allmählichen  Versenkung  des 
Gebäudes  unter  den  Meeresspiegel  völlig  unerklärt  bleiben,  denn  wie 
wäre  es  möglich  gewesen,  dass  alsdann  die  Lithodomen  von  Anfang 
an  nicht  schon  die  Säulenschäfte  angebohrt  haben  sollten,  welche 
unter  den  obwaltenden  Umständen  weder  von  Schlamm  hätten  bedeckt 
sein  können,  noch  auch  so  rasch  unterzusinken  vermochten,  um  eine 
Ansiedelung  der  Bohrmuschel  auszuschliessen? 

Das  Vorhandensein  eines  solchen  antiken  Seewasserbehälters  im 
unteren  Theile  von  Pozzuoli  hat  nun  aber  ohne  Frage  nichts  Be- 
fremdendes. Dass  solohe  Piscinen  überhaupt  für  die  Römer  etwas 
Alltägliches  waren,  erhellt  aus  den  zahlreichen  Ruinen  derselben,  die 
man  in  der  ganzen  Umgegend  findet,  und  nimmt  man  dazu  die 
Ostrearien  oder  Austernbehälter  an  der  Küste,  deren  Vorhandensein 
durch  antike  Abbildungen  verbürgt  ist,  so  möchte  nicht  zu  bezweifeln 
sein,  dass  die  Bedingungen  für  eine  derartige  Anlage  hier  in  besonders 
hohem  Masse  vorhanden  waren.  Die  Römer  machten  freilich  von 
allen  diesen  Dingen  nicht  viel  Aufhebens,  so  dass  weder  die  gross- 
artigen  Piscinen,  die  sogenannten  Labyrinthe,  im  oberen  Theile  von 
Pozzuoli,  in  der  Nachbarschaft  des  Amphitheaters,  noch  auch  die  be- 
rühmte Piscine  von  Miseno  in  ihren  Schriften,  so  weit  sie  uns  er- 
halten sind,  erwähnt  werden.  Andererseits  aber  kann  uns  ein  grösseres 
Seewasserbassin  fiir  Fische  und  Muschelthiere  gerade  an  der  Stelle, 
wo  die  Ruinen  des  sogenannten  Scrapeums  liegen,  nicht  im  mindesten 
überraschen;  wenn  man  berücksichtigt,  dass  die  in  der  oberen  Stadl, 
in  der  Nähe  des  Circus  belegenen  Piscinen  ohne  allen  Zweifel  für 
Süsswasserfische  bestimmt  waren,  so  bildet  das  Reservoir  für  Seethiore 

Himmel  und  Erde.  HÖR.  II.  7 


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84 


in  der  Nähe  des  Meeresstrandes  ganz  naturgeinäss  eine  Ergänzung 
dieser  Anlagen,  welche  hei  der  Lebensweise  der  alten  Römer  geradezu 
als  geboten  erscheint. 

So  gelangen  wir,  wenn  wir  nur  den  Irrthum  abgostreift  haben, 
als  müsse  hier  ein  Tempel  vorliegen,  ganz  von  selbst  zu  einer  ein- 
fachen und  sachgemnssen  Erklärung  des  Vorkommens  der  Lithodomen 
an  den  drei  alten  Säulen  von  Pozzuoli,  zu  deren  Rechtfertigung  kaum 
noch  ein  Wort  hinzuzufügen  sein  möchte,  während  jede  andere  Deutung 
dieses  Vorkommens  die  unnatürlichsten  Annahmen  zur  Folge  hatte. 
Der  wesentlichste  Gewinn  jener  neuen  Erklärung  möchte  jedenfalls 
der  sein,  dass  sie  die  Geologie  von  einer  unnatürlichen  Behauptung 
befreit,  welche  zu  allen  wohlbegründeten  Thatsachen  und  Gesetzen 
in  offenbarem  Gegensätze  steht,  deren  grosse  Verbreitung  in  den  Lehr- 
büchern daher  als  ein  empfindlicher  Schaden  für  diese  Wissenschaft 
bezeichnet  werden  muss. 


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Ueber  die  beobachteten  Erscheinungen  auf  der 
Oberfläche  des  Planeten  Mars. 

Von 

Prof.  J.  V.  Schiaparelli, 

Direktor  der  kdnigt.  Sternwarte  xu  Mailand.*) 

(Fortsetzung.) 

1V' 

•*.  ZY.iif  der  dem  ersten  Hefte  beigelegten  Tafel  I erkennt  man,  dass  der 
1 ' ; grosse  Meerbusen,  welcher  unter  dem  Aequator  des  Planeten  in  der 
Umgebung  des  290.  Längengrades  gelegen  ist,  sich  gegen  Norden 
hin  bis  über  den  45.  Parallelkreis  hinweg  durch  ein  langes  Anhängsel, 
die  Nilosyrtis,  verlängert.  Es  isl  ein  gewöhnlich  sehr  dunkler  Streifen, 
der  sogar  (möglicherweise  infolge  einer  Contrastwirkung,  welche  die 
umgebenden  leuchtenden  Gebiete  hervorrufen)  zuweilen  ganz  schwarz 
erscheint.  Seine  Breite  beträgt  etwa  4*  bis  5°  (1°  = 60  km.)  und  scheint 
in  seinem  nördlichen  Theile  vom  20.  Grade  nördlicher  Breite  beginnend, 
völlig  die  gleiche  zu  bleiben.  Seine  Ränder  sind  scharf  begrenzt  und  in 
ganz  regelmässiger  Weise  gekrümmt.  Sie  haben  zwar  den  Anschein, 
als  ob  sie  sehr  fein  ausgezackt  seien,  aber  es  ist  mir  doch  niemals 
gelungen,  diese  vermutheten  Zacken  wirklich  einzeln  zu  sehen.  Wenn 
inan  nun  die  dunklen  Flecke  auf  dem  Planeten  Meere  nennt,  so  muss 
man  füglich  eine  wie  oben  beschriebene  Gestaltung  als  einen  Kanal 
bezeichnen;  wir  wählen  diesen  Namen  unter  der  in  unsertn  voran- 
gegangenen Artikel  ausgesprochenen  Reserve,  ohne  uns  über  die 
wahre  Natur  dieser  Gegenstände  auszusprechen.  Die  Nilosyrtis  ist 
nicht  der  einzige  Kanal  auf  dem  Mars,  aber  der  bei  weitem  grösste 
und  am  leichtesten  sichtbare  unter  ihnen.  Man  findet  ihn  deshalb 
bereits  in  den  Zeichnungen  von  Schröter®)  verzeichnet,  während  er 


*)  Aus  dom  Originaltext«  übersetzt  durch  die  Redaktion  und  revidirt 
vom  Verfasser. 

"I  Areographische  Beiträge,  herausgegeben  von  H.  G.  van  de 
Sande  Hakhuyzen,  Leipzig  188t.  Man  betracht«  beispielsweise  die  Zeichnung 
No.  10Ö  (20.  November  1 TOS). 

7* 


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86 


iu  den  letzten  dreissig  Jahren  von  einer  grossen  Zahl  von  Beobachtern 
gesehen  worden  ist.  Im  Jahre  1858  erkannten  Secchi  und  Dawes 
das  Vorhandensein  anderer  ähnlicher  Bildungen  mit  mehr  oder  weniger 
Sicherheit,  während  deren  Zahl  sich  in  letzter  Zeit  in  unerwarteter 
Weise  vermehrt  hat.  Heute  kann  man  nicht  mehr  daran  zweifeln,  dass 
diese  Kanäle  alle  contiuentalen  Regionen  des  Planeten  mit  einem  sehr 
complicirten  Netzgewebe  überziehen. 

Der  Planiglobus  I.  im  ersten  Hefte  dieser  Zeitschrift  stellt  eine 
schematische  Uebersichtskarte  dieses  Netzes  dar  und  enthält  nahezu 
alle  Kanäle,  deren  Existenz  ich  mit  Sicherheit  durch  die  Beobachtungen 
während  der  sechs  Oppositionen  des  Planeten  zwischen  1877  und  1888 
nachweisen  konnte.  Durch  das  Wort  .schematisch“  will  ich  andeuten, 
dass  die  Linien  oder  Streifen  des  Netzes  auf  der  Karte  so  gezogen 
sind,  dass  sie  ungefähre  Iiinge  und  Richtung  aller  dieser  Kanäle,  ihre 
Lagenverhältnisse  zu  einander  und  die  Formen  der  vieleckigen  Ge- 
bilde angeben,  welche  durch  diese  Linien  begrenzt  sind,  ohne  jedoch 
auf  die  Niiancirung  der  Karbe  oder  der  Helligkeit,  ihre  Breite  (mit 
Ausnahme  der  ungewöhnlich  breiten  Nilosyrtis)  oder  endlich  ihre 
mehr  oder  weniger  bestimmte  Begrenzung  an  den  beiden  Rändern 
und  ihre  Verdoppelung  Rücksicht  zu  nehmen,  welche  letztere  bei  vielen 
derselben  zu  bestimmten  Epochen  stattfindet.  In  Wirklichkeit  sind 
diese  Sichlbarkeitsumstünde,  die  Breite  und  die  Form  der  Kanäle  von 
einer  Opposition  zur  andern,  und  selbst  von  einer  Woche  zur  andern 
während  derselben  Opposition,  mehr  oder  weniger  veränderlich.  Und 
zwar  sind  diese  Veränderungen  nicht  gleichzeitig  für  alle  Kanäle, 
sondern  können  in  derselben  Region  und  zu  derselben  Epoche  von 
einem  zum  benachbarten  Kanal  sehr  verschieden  auftreten.  Daraus 
folgt,  dass  man  wohl  eine  Darstellung  dieser  Kanäle  für  einen  be- 
stimmten Zeitpunkt,  aber  unmöglicherweise  eine  Karte  derselben  geben 
kann,  welche  für  alle  Zeiten  gilt  Man  darf  deshalb  nicht  erwarten, 
dass  der  wirkliche  Anblick  der  Kanäle  des  Mars  der  Wiedergabe  auf 
unserer  Tafel  I.  genau  oder  auch  nur  ungefähr  gleiche;  denn  solche 
Aehulichkeit  ist  weder  in  absoluter  Weise  noch  für  eine  etwas  längere 
Zeitspanne  möglich.  Jeder  Kanal  bezeichnet  deshalb  auf  unserer 
Karte  nur  eine  Linie  oder  vielmehr  einen  schmalen  Streifen,  auf 
welchem  sich  zu  gewissen  Zeiten  jene  verschiedenen  Erscheinungen 
entwickeln  können,  welche  sich  auf  einen  bestimmten  Kanal  des 
Planeten  beziehen.  Man  sieht  also,  dass  diese  Karte,  soweit  sie  sich 
auf  die  Kanäle  bezieht,  nur  eine  Art  von  topographischem  Index  ab- 
geben soll,  welcher  für  das  Verständnis»  und  die  Hinweisung  auf  die 
sehr  zahlreichen  und  sehr  veränderlichen  Details  nöthig  ist,  die  man 


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87 


jeden  Augenblick  in  den  verschiedensten  Gebieten  wahrnimmt.  Eine 
solche  Darstellung  kann  deshalb  nicht  zur  Beschreibung  des  physischen 
Anblicks  der  Kanäle  dienen,  aber  sie  genügt  vollständig,  uns  die  geo- 
metrischen und  topographischen  Eigenthümlichkeiten  dieses  Netzes 
und  der  Elemente,  welche  es  zusammensetzen,  zu  zeigen. 

Mau  erkennt  zunächst,  dass  die  meisten  Kanäle  ungefähr  in  Thei- 
len  grösster  Kreise  auf  der  Oberfläche  des  Planeten  verlaufen,  von 
welcher  Hegel  es  jedoch  Ausnahmen  giebt,  wie  bei  dem  Phasis,  dem 
Simois,  Gehon,  Indus,  dor  Boreosyrtis  und  ganz  besonders  bei 
der  Nilosvrtis  hervortritt 

Ferner  bemerkt  man  noch  eine  andere  Eigenthümlichkeit,  die 
völlig  allgemein  auftritt:  Jeder  Kanal  mündet  an  seinen  beiden  Enden 
entweder  in  ein  Meer  oder  in  einen  See,  oder  auch  in  einen  anderen 
Kanal  oder  schliesslich  in  eine  Kreuzung  mehrerer  derselben.  Ich 
erinnere  mich  nicht,  jemals  eine  dieser  Linien  plötzlich  inmitten  eines 
continentalen  Gebietes  abgebrochen  beobachtet  zu  haben,  so  dass  sie 
einen  isolirten  Zweig  ohne  weitere  Verbindung  bildete.  Diese  That- 
sache  ist  von  der  grössten  Wichtigkeit  für  die  Erkenntniss  der 
Natur  dieser  Gebilde. 

Die  Kanäle  können  einander  unter  allen  möglichen  Winkeln 
schneiden.  Es  giebt  auf  dem  Planeten  mehrere  Stellen,  wo  sich  drei, 
vier,  selbst  sechs  und  sieben  derselben  auf  einem  engen  Raume  treffen; 
dieser  letztere  ist  dann  gewöhnlich  durch  eine  dunklere  Stelle  ausge- 
zeichnet, durch  einen  See,  dessen  Ausdehnung  und  Aussehen  zwischen 
gewissen  Grenzen  variiren  können.  Ein  besonders  ausgezeichneter 
Knotenpunkt  dieser  Art  ist  der  Laous  Phoeniois  (Länge  108°,  süd- 
liche Breite  16°),  welcher  durch  das  Zusammentreffen  von  sieben 
Kanälen,  dem  Agathodaemon,  Eosphoros,  Phasis,  Araxes, 
Eumenides,  Pyri phlegethon  und  Iris,  gebildet  wird,  so  dass 
dieselben  von  jenem  See  in  ziemlich  regelmässiger  Sternform  aus- 
strahlen. Ein  anderer  etwas  weniger  regelmässiger  Knotenpunkt, 
Trivium  Charontis  genannt  (unter  195°  Länge  und  17°  nördlicher 
Breite  gelegen),  entsteht  durch  die  mehr  oder  weniger  centrale  Be- 
gegnung des  Cerberus,  Laestrygon,  Tartarus,  Orcus,  Erebus, 
Hades  und  Styx.  In  den  Laous  Ismenius  (335°  Länge  und  40° 
nördlicher  Breite)  münden  der  Euphrates  und  seine  nördliche  Ver- 
längerung, ferner  der  Protonilus,  der  Deuteronilus,  Astaboras, 
Hiddekel  und  Jordanis.  Man  kann  endlich  noch  mehrere  andere 
ähnliche  Beispiele  auf  der  Karte  bezeichnen,  wie  die  Propontis,  den 
Lacus  Niliacus,  den  Lacus  Tithonius,  den  Lacus  Luna«  und 


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88 


den  Nodus  Gordii,  welcher  letztere  der  ausgedehnteste  aber  zugleich 
der  am  wenigsten  deutliche  unter  diesen  Knotenpunkten  ist. 

Weiter  zeigt  das  Studium  der  Karte,  dass  die  Länge  der  Kanäle 
sehr  verschieden  sein  kann;  einige  derselben  sind  kaum  mehr  als 
10°  bis  15°  lang  (Xanthus,  Scamander,  Eosphoros,  Nectar, 
Ambrosia,  Issedon).  Andere  hingegen  dehnen  sich  ohne  jede  Un- 
regelmässigkeit längs  einer  Linie  aus,  die  oft  den  vierten  Theil  des 
ganzen  Planetenumfanges  einnimmt;  zu  diesen  gehört  der  Euphrates, 
der  sich  mit  seiner  nördlichen  Verlängerung  vom  Aequator  bis  bei- 
nahe zum  Nordpol  erstreckt,  und  der  Erebus- Acheron,  welcher 
mindestens  90°  umfasst:  ja,  wenn  man  einerseits  den  Dardanus, 
andererseits  den  Cerberus  als  dessen  Verlängerungen  ansieht,  welche 
sich  in  der  That  ohne  merkliche  Unstetigkeit  ihm  anschliessen,  so 
bilden  diese  zusammen  eine  Linie  von  mehr  als  IGO"  Ausdehnung, 
vom  Lacus  Niliacus  bis  zum  Mare  Cimmerium. 

Die  grosse  Gleichförmigkeit  und  die  Zusammensetzung  dioses 
Kanalsystems  ist  so  seltsam  und  überraschend,  dass  man  unwillkürlich 
dazu  gedrängt  wird,  in  der  Vertheilung  dieser  Linien  irgend  ein  ein- 
faches Gesetz  zu  suchen,  ähnlich  so  wie  Elie  de  Beaumont  ehemals 
den  Verlauf  der  grossen  Gebirgszüge  der  Erde  seinem  berühmten 
pentagonalen  Liniensysteme  glaubte  unterordnen  zu  können.  Ich  bin 
jedoch  der  Meinung,  dass  eine  solche  Untersuchung  gegenwärtig  noch 
wenig  Aussicht  auf  Erfolg  haben  würde,  um  so  mehr  als  man  nicht 
vergessen  darf,  dass  unsere  zu  Grunde  liegende  Skizze  zu  solchem 
Zwecke  durchaus  noch  nicht  genau  und  vollständig  genug  sein  würde. 

Ich  will  es  im  Folgenden  versuchen  die  verschiedenen  physischen 
Zustände,  unter  welchen  ein  beliebiger  Kanal  auf  dem  Planeten  er- 
scheinen kann,  ganz  allgemein  zu  charakterisiren. 

a)  Ein  Kanal  kann  längere  oder  kürzere  Zeit  unsichtbar  sein; 
w'ozu  bemerkt  werden  muss,  dass  es  sich  dabei  nioht  um  die  Un- 
sichtbarkeit wegen  ungünstiger  Beobachtungsumstände,  sondern  um 
eine  wirkliche  L’nsichtbarkeit  handelt,  welche  auch  bei  solchen  Fern- 
rohrbildern bestehen  bleibt,  die  denselben  Kanal  zu  anderen  Zeiten 
genügend  gut  gezeigt  haben  würden.  Ferner  sind  bei  dieser  Frage 
des  Unsichtbarwerdens  die  optischen  Mittel  in  Betracht  zu  ziehen, 
über  die  ich  bei  diesen  Untersuchungen  verfügen  konnte;9)  die  Mög- 

ft)  Während  der  Oppositionen  von  1877,  1879 — 80,  1881 — 8*2  und  1884 
wurde  ein  Merzscher  Refraktor  von  8 Zoll  Oeffnung,  während  der  Opposition 
von  1888  ein  solcher  von  18  Zoll  von  demselben  Verfertiger  angewendot.  Die 
Opposition  von  1880  wurde  thcils  mit  dem  einen  theils  mit  dem  andern  In- 
strumente beobachtet,  welche  beide  wohl  zu  den  vorzüglichsten  unter  den 
existirenden  Instrumenten  von  gleichen  Dimensionen  zu  zählen  sind. 


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89 


lichkeit  ist  deshalb  nicht  ausgeschlossen,  dass  man  diese  selben  Ob- 
jekte [trotzdem  noch  mit  kräftigeren  Instrumenten  sehen  kann.  Hier 
ein  besonders  auffälliges  Beispiel  einer  solchen  Unsichtbarkeit.  Während 
der  beiden  Abende  des  2.  und  4.  Oktober  1877  bei  ganz  vorzüglicher 
Luft  und  einem  Durchmesser  des  Planeten  von  21"  war  das  Land- 
gebiet zwischen  dem  Margaritifer  Sinus  und  dem  Aurorae  Sinus 
völlig  hellleuchtend  und  durch  keinen  Kanal  oder  irgend  eine  Spur 
von  Flecken  unterbrochen.  Von  Indus,  Hydaspes,  Jamuna,  Hy- 
draotes  war  keine  Spur  zu  sehen.  Dieser  selbe  Zustand  blieb  noch  bis 
zum  7.  November  bei  einem  Durchmesser  des  Planeten  von  15"  bestehen. 
Vier  Monate  später,  am  24. — 26.  Februar  1878,  war  der  Indus  leicht 
sichtbar,  nachdem  sich  die  scheinbare  Planetenscheibe  bis  auf  5".7 
verkleinert  hatte.10)  Während  der  Opposition  von  1879  blieb  der 
Indus  immer  zweifellos  sichtbar;  am  21.  Oktober  (bei  19"  scheinbarem 
Durchmesser)  erschien  der  Hydaspes  zum  ersten  Male,  und  am  27.  No- 
vember (17".ö  Durchmesser)  bemerkte  ich  zuerst  die  Jamuna,  immer  in 
derselben  Region.  Am  28.  November  waren  alle  drei,  Indus,  Hy- 
daspes und  Jamuna  breit,  schwarz  und  auf  den  ersten  Blick  zu  er- 
kennen. DerHydraotes  wurde  1882  entdeckt,  bei  einem  scheinbaren 
Durchmesser  von  14".  Alle  diese  Kanäle  sind  mehr  oder  weniger 
während  aller  folgenden  Oppositionen  des  Planeten  sichtbar  geblieben; 
doch  sind  letzthin  (1888)  der  Indus  und  Hydaspes  wieder  sehr 
schwierig  geworden.  — Um  den  Leser  nicht  durch  Aufzählung  weiterer 
Beispiele  zu  ermüden,  mag  es  hier  als  bewiesen  gelten,  dass  die  Kanäle 
des  Mars  zu  bestimmten  Epochen  unsichtbar  werden  können,  und  ich 
will  dem  noch  mit  aller  Reserve  hinzufügen,  dass  nach  meinen  Be- 
obachtungen diese  Epoche  des  leichtesten  Unsichtbarwerdens  die  des 
südlichen  Solstizes  des  Planeten11)  zu  sein  scheint:  eine  Meinung, 
welche  durch  künftige  unter  günstigeren  Umständen  und  mit  kräftigeren 
Instrumenten  anzustellende  Beobachtungen  zu  bestätigen  sein  wird. 

b)  In  vielen  Fällen  machte  sich  die  Gegenwart  eines  Kanals 
dem  Auge  in  sehr  unbestimmter  Weise  durch  einen  leichten  Schatten 

,0)  Für  unsere  weniger  ein  geweihten  Leser  erlauben  wir  uns  hier  einzu- 
schalten,  dass  durch  die  wechselnde  Entfernung  des  Mars  von  uns  sein  schein- 
barer Durchmesser  solchen  Schwankungen  unterworfen  ist,  wie  hier  namentlich 
deswegen  angegeben  wurde,  um  ‘zu  zeigen,  dass  gerade  während  alles  Detail 
auf  dem  Planeten  durch  seine  wachsende  Entfernung  sich  allmählich  verkleinerte 
und  folglich  schwerer  sichtbar  wurde,  dagegen  jene  neuen  interessanten  Details 
ganz  unerwartet  erschienen,  die  ehedem  unter  weit  günstigeren  Verhältnissen 
unsichtbar  geblieben  waren.  Anm.  d.  Red. 

'*)  Wenn  also  die  Sonne  am  höchsten  über  der  südlichen  Halbkugel 
des  Mars,  unserm  Wintersanfang  entsprechend,  Bteht  Anm.  d.  Red. 


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«0 


bemorklicli,  welcher  eich  unregelmässig  längs  desselben  hinerstreck tc. 
Dieser  Zustand  ist  schwer  genau  zu  beschreiben;  er  bildet  in  gewissem 
Sinne  die  Grenze  zwischen  der  Sichtbarkeit  und  der  Unsichtbarkeit 
des  betreffenden  Objektes.  Manchmal  habe  ich  wahrzunehmen  ge- 
glaubt, dass  diese  Schatten  eigentlich  nur  infolge  einer  Verdunkelung 
der  riithlichen  Farbe  der  umgebenden  I-anddistrikte  entstehen,  welche 
Verdunkelung  zuerst  nur  gering  ist  und  sich  deshalb  nur  wegen  ihrer 
ziemlich  bedeutenden  Breitonausdehnung  bemerkbar  macht,  deren 
Grösse  oder  Grenzen  man  jedoch  nicht  angeben  könnte.  Bei  anderen 
Gelegenheiten  erschien  dagegen  ein  grauer,  verwaschener  Streifen, 
wie  eine  leichte,  langgestreckte  Wolke.  Durch  die  eine  oder  die 
andere  dieser  unbestimmten  Formen  habe  ich  im  Jahre  1877  zuerst 
die  Existenz  des  Fhison  (4.  Oktober),  Ambrosia  (22.  September), 
Cyclo ps  (15.  September),  Eunostos  (20.  Oktober)  und  vieler  anderer 
Kanäle  erkannt  und  ähnliche  Beispiele  wären  auch  aus  den  folgenden 
Oppositionen  aufzuweisen. 

c)  Sehr  oft  haben  die  Kanäle  das  Aussehen  eines  grauen  an 
beiden  Seiten  verwaschenen  Streifens,  welcher  in  der  Mitte  ein 
mehr  oder  weniger  scharf  ausgesprochenes  Maximum  der  Dunkelheit 
darbietet.  Dieser  Zustand  kann  variiren,  je  nachdem  dieses  centrale 
Maximum  vorherrscht  oder  die  nebelhafte  Umgebung  zu  beiden 
Seiten,  und  zwar  sowohl  in  Bezug  auf  die  Breite  wie  die  In- 
tensität. Die  so  geformten  Streifen  sind  gewöhnlich  ziemlich  regel- 
mässig, ohne  dass  jedoch  gewisse  Anomalien  in  der  Breite  und  der 
Tiefe  dos  Schattens  ausgeschlossen  wären,  welche  die  Kraft  des  ange- 
wandten Fernrohrs  gewöhnlich  wohl  muthmassen,  selten  aber  mit 
Sicherheit  nachweisen  kann.  Eine  zu  beiden  Seiten  verschiedene 
Struktur  ist  sehr  selten;  dieser  Fall  ist  unzweifelhaft  nur  am  JO.  Ja- 
nuar 1882  beim  Gehon  konstatirt,  dessen  linke  Seite15)  allein  nur 
verwaschen  war,  während  die  andere  scharf  begrenzt  erschien; 
fomer  auch  noch  beim  Euphrates  am  19.  desselben  Monats,  der 
sich  nebelhaft  links  und  scharf  begrenzt  rechts  zeigte.  Im  Jahre 
1879  besassen  mehrere  Kanäle  ihrer  Länge  nach  eine  ungleiche 
Struktur,  welche  nach  und  nach  von  einem  Ende  zum  andern 
wechselte;  Laestrygon,  Tartarus,  Titan,  Gigas,  Gorgon, 
Sirenius  waren  schmal,  schwarz  und  scharf  begrenzt  an  ihrem  süd- 
lichen Endo,  welches  in  das  Mare  Ciminerium  oder  in  das  Mare 
Sirenum  mündet;  indem  sie  dagegen  weiter  nach  Norden  in  das 


,a)  Das  Bild  ist  immer  umgekehrt  zu  denken,  wie  man  cs  im  astrono- 
mischen Fernrohr  sicht  und  wie  es  auch  die  Karte  zeigt. 


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Landgebiet  cindringen,  erweiterten  sie  sich  zu  einer  Art  von  Kometen- 
schweif und  endeten  auf  ihrem  nördlichen  Endpunkte  als  breiter,  schlecht 
begrenzter  Schatten.  Im  selben  Jahre  verliess  der  Astapus  die  Nilo- 
syrtis  sehr  schmal  und  scharf  begrenzt.  Er  verbreiterte  sich  darauf 
bedeutend  und  verlor  sich  dann  in  der  Nähe  des  Alcyonius  als 
ausgedehnter  und  sehr  leichter  Schatten.  Namentlich  infolge  solcher 
Ungleichheiten  in  den  umgebenden  Kanälen  nimmt  das  helle  Gebiet, 
welches  Elysium  benannt  wurde,  oft  eine  kreisförmige  Gestalt  an, 
obgleich  diese  Kanäle,  als  geometrische  Linien  betrachtet,  einen  pen- 
tagonalen  Kaum  einschliessen. 

d)  Der  vollkommene  Typus  der  Kanäle,  wie  ich  ihn  als  Ausdruck 
ihres  normalen  Zustandes  betrachte,  ist  eine  dunkle,  manchmal  völlig 
schwarze,  scharf  begrenzte  Linie,  welche  wie  mit  der  Feder  auf 
die  gelbe  Oberfläche  des  Planeten  gezogen  zu  sein  scheint.  Das 
Aussehen  der  Kanäle  in  dieser  Phase  ihrer  Existenz  ist  mit  sehr 
wenig  Ausnahmen  völlig  gleichförmig  auf  ihrer  ganzen  Länge;  ihr  all- 
gemeiner Lauf  ist  regelmässig  und  während  seltener  Gelegenheiten, 
welche  mir  gestatteten  die  beiden  Ränder  doutlich  getrennt  wahrzu- 
nehmen, habe  ich  daran  sehr  kleine  Krümmungen  oder  Zacken  be- 
merkt. Dieser  Fall  zeigte  sich  1879  bei  Euphrates  und  Triton 
und  beim  Ganges  1888.  Jeder  Rand  ist  im  übrigen  scharf  gezogen, 
ebenso  scharf  wie  die  Ränder  der  Continente  gegen  die  Meere. I3)  Die 
Breite  der  Kanäle  untereinander  ist  sehr  verschieden.  Die  Nilosyrtis 
erreicht  oder  übersteigt  selbst  5°  (300  Kilometer),  während  andere 
Kanäle  wie  der  Galaxias,  Issedon,  Anubis  und  Erinnys  im 
Jahre  1882,  der  Aethiops  im  Jahre  1888  zu  blossen  Linien  ohne 
bemerkliche  Breite  zusammenschrumpften,  demnach  also  wahrschein- 
lich kaum  mehr  als  1°  (60  Kilometer)  breit  sind.  Diese  Breite  ist  mit 
sehr  wenigen  Ausnahmen  gleichförmig,  doch  waren  Jamuna  und 
Iris  im  Jahre  1879,  Hades  und  Athyr  1882  und  endlich  Nilokeras 
1886  sichere  Beispiele  von  Kanälen,  welche  an  einem  Ende  breiter 
waren  als  am  andern. 

Die  Breite  desselben  Kanals  kann  mit  der  Zeit  zwischen  sehr 
verschiedenen  Grenzen  wechseln;  von  einem  kaum  bei  den  besten 
atmosphärischen  Umständen  sichtbaren  Faden  bis  zum  breiten  schwar- 

,s)  Diese  scharfe  Begrenzung  zwischen  den  Continenten  und  den  Meeren 
des  Mare  wird  von  einigen  Beobachtern  völlig  geleugnet.  Ein  Blick  auf  den 
Planeten,  so  wie  ihn  unsere  beiden  Refractoren  in  Mailand  zeigen,  würde  ge- 
nügen, um  ihre  Zweifel  zu  vertreiben.  Jedoch  sind  hiervon  jene  Regionen, 
deren  Natur  zwischen  denen  der  Meere  und  Continente  schwankt , ausge- 
nommen. Man  sehe  deswegen  unsern  Artikel  II. 


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92 


zen,  auf  den  ersten  Blick  sichtbaren  Streifen.  Hierfür  liefert  die 
Entwickelungsgeschichte  des  Simois  ein  merkwürdiges  Beispiel.  Im 
September  1877  war  derselbe  unsichtbar,  stellte  sich  im  Oktober  als 
eine  ungemein  feine  Linie  dar,  während  er  dagegen  1879  schwarz  und 
breit  genug  erschien,  um  zu  den  bedeutenderen  Kanälen  gezählt  zu 
werden.  Zu  Anfang  Januar  1879  war  der  Simois  fast  ebenso  breit 
und  schwarz  wie  die  Nilosyrtis  (geschätzte  Breite  4°).  Zu  gleicher 
Zeit  erschien  zur  Hechten  des  Simois  der  mit  Askanius  bezeichnete 
Kanal,  und  der  Abschnitt  des  continentalen  Gebietes,  welcher  zwischen 
Askanius  und  Simois  liegt  (siehe  die  Karte),  nahm  zugleich  eine 
viel  dunklere  Färbung  an  als  die  benachbarten  Kegionen.  Unglück- 
licherweise konnte  dieser  Theil  des  Planeten  während  der  folgenden 
Oppositionen  nicht  mehr  gut  beobachtet  werden,  da  seine  Lage  zu 
südlich  wurde  und  er  dem  Planetenrande  zu  nahe  rückte. 

Einen  ganz  ähnlichen  Fall  bot  der  Triton  dar,  von  dem  ich 
1877  nur  die  rechte  Hälfte  zwischen  dem  Lethes  und  dem  Nepenthes 
sehen  konnte.  In  den  folgenden  Oppositionen  konnte  man  ihn  mehr 
oder  weniger  leicht  auf  seinem  ganzen  Verlaufe  vom  Nepenthes  bis 
zum  Mare  Cimmerium  verfolgen.  Letzthin,  im  Mai  1888,  wurde  er 
dagegen  ausserge  wohnlich  breit  und  bildete  eine  ausgedehnte  Meerenge. 
Sehr  bemerkenswert!!  war  es  ferner,  wie  zugleich  die  Syrtis  Parva 
sich  erheblich  verbreiterte  auf  Kosten  der  Libya,  während  diese 
letztere  sich  stark  verdunkelte,  wie  ich  bereits  weiter  oben  ausein- 
andergesetzt habe.  Diese  Gleichzeitigkeit  der  Verbreiterung  des  Simois 
und  Triton  mit  der  Verdunkelung  einer  ausgedehnten  benachbarten 
Region  ist  wahrscheinlich  kein  blosser  Zufall.  Es  ist  überhaupt  an- 
zunehmen, dass  alle  Kanäle  des  Planeten  ähnlichen  Veränderungen 
unterworfen  sind.  Die  N ilosyrtis  selbst  schien  mir  1882  ein  Maximum 
ihrer  Breite,  1886  ein  Minimum  derselben  zu  besitzen;  aber  der  LTnter- 
schied  zwischen  beiden  war  in  diesem  Falle  nicht  sehr  bedeutend.  Wir 
wissen  auch  durch  Beobachtungen  von  Dawes  und  Secchi,  dass  in 
den  Jahron  1864  und  1858  der  Ilydaspes  einer  der  sichtbarsten 
Kanäle  war,  was  während  der  Zeit  meiner  Beobachtungen  von  1877  bis 
1888  nicht  mehr  der  Fall  gewesen  ist.  Auch  Herr  van  de  Sande 
Backhuyzen  erkannte  in  den  Zeichnungen  Schröters  das  Vorhanden- 
sein grosser  dunkler  Flecke,  welche  in  unseren  Tagen  nicht  wieder- 
gesehen und  wahrscheinlich  durch  Phänomene  derselben  Art  hervor- 
gerufen worden  sind. 

Eine  ähnliche  Thatsache  ist  auch  in  grossem  Massstabe  in  der 
Umgebung  des  Nordpols  während  der  Oppositionen  von  1884 — 1886 
hervorgetreten.  Rings  um  die  weisse  Polarcalotte  herum  waren  die 


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Kanäle  sehr  schwarz  und  breit  geworden,  während  gleichzeitig  die 
zwischenliegenden  Strecken  sich  verdunkelt  hatten.  Wenn  dann  das 
teleskopische  Bild  nicht  genügend  deutlich  war,  so  entstand  durch  die 
Vermischung  all  dieser  Details  eine  graue,  die  weisse  Polarcalotte  um- 
schliessende  Zone  und  es  ist  wahrscheinlich,  dass  eine  ähnliche  Be- 
obachtung zu  der  Voraussetzung  eines  nördlichen  Polarmeores  Anlass 
gegeben  hat,  welches  nicht  existirt. 

Die  Breiten-  und  Dunkelheits-Aenderungen  eines  scharf  gezogenen 
Kanals  umfassen  gleichzeitig  seine  ganze  Länge.  Wenn  derselbe  je- 
doch durch  die  Kreuzung  mit  anderen  Kanälen  in  mehrere  Theile  zer- 
fällt, so  kann  es  sich  ereignen,  dass  die  für  jede  Abtheilung  gleiche 
Breite  und  Intensität  von  einer  zur  andern  Abtheilung  verschieden  ist. 
Wir  haben  schon  mitgetheilt,  dass  der  Triton  im  Jahre  1877  nur  zur 
rechten  des  Lethes  sichtbar,  dagegen  unsichtbar  war  in  der  Abtheilung 
zwischen  dem  Lethes  und  dem  Mare  Ciminerium.  Im  Jahre  1879  war 
der  Phison  sehr  schwarz  innerhalb  seines  nördlichen  Theiles  zwischen 
der  Nilosyrtis  und  dem  Astaboras,  während  er  in  seinem  süd- 
lichen Theile  zwischen  Astaboras  und  dem  Sinus  Sabaeus  viel 
weniger  deutlich  war.  Im  Jahre  1882  erschien  der  Hydraotes  sehr 
fein  in  seiner  Abtheilung  links  von  der  Jamuna,  dagegen  breit  und 
gut  sichtbar  (sogar  doppelt)  auf  der  rechten  Seite  desselben  Kanals.  In 
solchem  Falle  findet  der  Wechsel  der  Breite  und  der  Intensität  von  einer 
Abtheilungzur  andern  sprungweise  statt  ohne  merklichen  Uebergang,und 
jede  Abtheilung  bleibt  dann  gleichförmig  auf  ihrer  ganzen  Ausdehnung. 

V. 

Wir  wollen  nun  die  letzte  und  merkwürdigste  Veränderung  der 
Kanäle  des  Mars  betrachten,  durch  welche  die  Verdoppelungen  entstehen. 
Diese  Erscheinungen  sind  wahrlich  geeignet  dem  Aufschwünge  unserer 
Einbildungskraft  Zügel  anzulegen,  wenn  dieselbe  es  versuchen  will  beim 
Studium  der  physischen  Natur  des  Mais  nach  Vergleichen  mit  That- 
sachen  zu  suchen,  die  wir  auf  der  Erde  wahrnehmen.  Ein  beliebiger 
Kanal  wurde  unter  einer  der  vorhin  beschriebenen  Formen  oder  auch 
nach  einander  unter  verschiedenen  derselben  beobachtet;  wenige  Tage 
(oder  vielleicht  Stunden)  darauf  zeigt  er  sich  nach  einem  Umformungs- 
prozesse, dessen  Details  uns  bis  jetzt  nicht  aufgedeckt  wurden,  plötzlich 
doppelt,  also  aus  zwei  sehr  nahe  beieinander  befindlichen  Streifen  zu- 
sammengesetzt, die  gewöhnlich  gleichförmig  und  parallel  laufen; 
leichte  Divergenzen  oder  Verschiedenheiten  der  Dicke  sind  ziemlich 
selten.  In  vielen  Fällen  konnte  man  durch  eine  genaue  Ver- 
gleichung mit  den  umgebenden  Details  nach  weisen,  dass  einer  der 


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beiden  Streifen  genau  oder  doch  ungefähr  die  Stelle  des  früheren 
einfachen  Kanals  behauptet  hat.  Doch  habe  ich  mich  letzthin  (1H88) 
überzeugen  können,  dass  diese  Hegel  nicht  allgemein  ist,  dass  also 
in  einzelnen  Fällen  weder  die  eine  noch  die  andere  der  neuen 
Bildungen  mit  dem  alten  Kanäle  coineidirt.  Die  Uebereinstimmung  der 
Ilauptrichtung  und  der  Lage  ist  dann  nur  eine  beiläufige:  jede  Spur 
des  alten  Kanals  verschwindet,  um  den  beiden  neuen  Linien  Platz  zu 
machen. 

Die  Entfernung  zwischen  den  beiden  parallelen  Linien  ist  von 
einer  zur  andern  Verdoppelung  sehr  verschieden;  die  obere  Grenze 
kann  auf  10"  oder  12°,  bei  gewissen,  sehr  langen  und  unbestimmten 
Verdoppelungen  selbst  auf  15*  geschätzt  werden,  wie  es  beispielsweise 
beim  Titan  1882  und  beim  Gigas  1884  geschah.  Was  die  untere 
Grenze  betrifft,  so  kann  dieselbe  natürlich  nur  mit  Bezug  auf  die 
Kraft  des  angewandten  Fernrohrs  und  die  Beobaehtungsumstiinde 
bestimmt  werden.  1888  waren  Protonilus  und  Callirrhöe,  mit 
einem  Zwischenraum  von  höchstens  3°,  trennbar.  Oft  kann  man  jedoch 
nur  aus  dem  eigenthümlichen  Aussehen  einer  Linie  muthmassen.  dass 
sie  doppelt  ist,  ohne  jedoch  die  beiden  sie  zusammensetzenden  Linien 
wegen  ihrer  sehr  geringen  Entfernung  von  einander  trennen  zu  können. 
Die  Verdoppelung  einer  Linie  kann  deshalb  selbst  einem  aufmerk- 
samen Beobachter  leicht  entgehen,  wenn  die  beiden  Linien  zu  schwach 
und  einander  zu  nahe  sind. 

Die  gewöhnlich  gleichförmige  und  gleiche  Breite  der  beiden 
Streifen  ist  jedoch  von  einer  Verdoppelung  zur  andern  sehr  verschieden 
und  variirt  von  einer  kaum  wahrnehmbaren  Linie  bis  zu  einer  Aus- 
dehnung von  ungefähr  3°;  das  Verhültniss  dieser  Breite  der  Streifen 
zu  dem  leuchtenden  Zwischenräume,  weloher  sie  trennt,  ist  aus  diesem 
Grunde  sehr  verschieden.  Gewöhnlich  ist  der  Zwischenraum  breiter 
als  jeder  der  Streifen;  manchmal  war  er  denselben  gleich  und  selbst 
schmäler,  hauptsächlich  wenn  die  Streifen  sehr  breit  waren. 

Die  Farbe  beider  Streifen  ist  immer  die  gleiche,  sowohl  was 
ihre  Art,  als  ihre  Intensität  betrifft;  doch  zeigt  sie  erhebliche  Ver- 
schiedenheiten von  einer  zur  andern  Verdoppelung.  Bei  den  aus 
sehr  schmalen  Linien  gebildeten  Verdoppelungen  ist  sie  gewöhnlich 
schwarz  oder  doch  dunkel:  die  breiteren  Streifen  sind  dagegen  selten 
schwarz  oder  braun  (einen  bemerkenswerthen  Fall  bot  die  Ver- 
doppelung des  Cyclops  von  1882  dar,  die  so  kräftig  und  bestimmt 
hervortrat,  dass  sie  sonst  auf  der  Plauetenscheibe  beispiellos  dastand), 
sondern  vielmehr  von  einem  mehr  oder  weniger  dunklen  Ziegelroth. 
Einige  Streifen  waren  so  blass,  dass  man  ihre  Gegenwart  kaum  auf 


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95 


dem  gelben  Grunde  des  Planeten  nach  weisen  konnte,  trotzdem  sie  die 
beträchtliche  Breite  von  mehreren  Graden  besassen.  ln  mehreren 
Fällen  habe  ich  gesehen,  dass  an  der  Stelle,  wo  solch  ein  blasser 
Streifen  von  einem  andern  Kanäle  durchschnitten  wurde,  eine  merk- 
liche Verstärkung  der  Färbung  entstand.  Es  scheint  mir,  dass  bei 
allen  doppelten  Kanälen  die  Art  der  Farbe  dieselbe  ist  und  dass  die 
beobachteten  Verschiedenheiten  nur  der  Intensität  der  Färbung  zuzu- 
schreiben sind. 

Wenn  ein  doppelter  Kanal  durch  einen  andern  in  zwei  Ab- 
theilungen geschnitten  wird  und  einer  der  Streifen  breiter  und  heller 
auf  einer  Seite  des  Schnittpunktes  ist  als  auf  der  andern,  so  ist  es 
der  andere  verdoppelnde  Streifen  auch,  wie  es  die  folgende  Figur 
zeigt.  Dies  zeigte  der  Antaeus-Eunostos 
im  Jahre  1882  und  Euphrates  1888. 

Wenn  einerderseiben  sehr  dünn  und  schwer 
sichtbar  auf  einer  Seite  des  Schnittpunktes 
ist,  so  wird  der  andere  auch  sehr  dünn 
und  schwer  sichtbar  sein  und  in  diesem 
Falle  kann  es  sich  ereignen,  dass  einer 
derselben  völlig  fehlt  oder  unsichtbar  bleibt. 

Dann  tritt  das  Beispiel  eines  Kanales  auf,  welcher  in  der  einen  Ab- 
teilung seines  Laufes  doppelt,  in  der  andern  einfach  ist.  Cerberus, 
Hydraotes  und  Acheron  befanden  sich  1882  in  diesem  Falle. 

Oft  sind  die  beiden  Linien,  die  sich  sonst  regolmässig  und  mit 
völlig  parallelen  Axen  darstellen,  von  einer  Art  Halbschatten  einge- 
hüllt, wie  1882  der  Cerberus  und  1888  der  Ilebrus.  Aber  in  den 
bei  weitem  meisten  Fällen  sind  die  beiden  Linien  mit  absoluter,  völlig 
geometrischer  Regelmässigkeit  gezogen;  die  Gleichförmigkeit  der  Breite, 
der  Farbe  und  des  Zwischenraumes  ist  vollkommen.  Ihr  Studium  bei 
ausgezeichneten  Umständen  mit  322  bis  650fachor  Vorgrösserung  hat 
nicht  die  kleinste  Unregelmässigkeit,  selbst  keine  Spur  derselben  auf- 
gedeckt: alles  scheint  mit  Lineal  und  Zirkel  gezogen.  So  zeigten  sich 
u.  A.  1882  Cyclops,  Euphrates,  Phison,  Jamuua,  Hephaestus; 
1886  Ilydraotes;  1888  Euphrates,  Phison,  Astaboras,  Proto- 
nilus,  Callirrhüe.  Wenn  einige  Unregelmässigkeit  in  dem  einfachen 
Kanäle  vorhanden  war,  so  verschwindet  sie  vollständig  nach  der  Ver- 
doppelung. Deutlich  gekrümmte  Kanäle  haben  sogar  völlig  gerade 
Verdoppelungen  hervorgerufen,  wie  die  Jamuna  im  Jahre  1882  und 
die  Boreo-Syrtis  1888.  Es  ist  mit  einem  Worte  eine  ausgesprochene 
Neigung  zur  vollkommensten  Gleichförmigkeit  und  zur  Unterdrückung 
jedes  unregelmässigen  Elementes  vorhanden. 


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96 


Das  Aussehen  einer  Verdoppelung  kann  mit  der  Zeit  wechseln. 
Im  Jahre  1882  zeigten  die  beiden  Streifen  des  Euphrates  nach  Norden 
hin  eine  deutliche  Convergenz.  Einer  derselben  verlief  nahezu  in  der 
Richtung  eines  Meridians  des  Planeten;  1888  jedoch  waren  beide 
Streifen  völlig  gleich  weit  von  einander  entfernt  auf  ihrer  ganzen 
Ausdehnung  zwischen  dem  Sinus  Sabaeus  und  dem  Lacus  Isme- 
nius;  sie  bildeten  in  ihrer  Mitte  ungefähr  einen  Winkel  von  8°  oder 
10°  mit  dem  Meridian.  Sie  waren  1882  schmal  und  scharf  begrenzt, 
während  1888  die  beiden  Ränder  jetles  derselben  verwischt  erschienen 
und  ihre  Farbe  heller,  auch  ihr  Zwischenraum  merklich  geringer  war 
als  1882.  — Ebenso  waren  die  1882  beobachteten  beiden  breiten  röth- 
lichen  Streifen  des  Hephaestus  1888  feiner  und  von  dunklerer  Farbe 
geworden  und  der  mittlere  Zwischenraum  hatte  sich  auf  die  Hälfte 
vermindert.  Eine  ähnliche  Verengung  scheint  auch  bei  dem  Proton ilus 
stattgefunden  zu  haben. 

Die  Verdoppelung  der  Kanäle  findet  in  verhältnissmiissig  kurzer 
Zeit  und  in  schnellem  Wechsel  statt.  Oft  ist  es  durch  sichere  Be- 
obachtungen möglich  gewesen,  die  Grenze  dieser  Dauer  auf  wenig 
Tage  festzusetzen.  Einige  Male  hat  sich  die  Verwandlung  in  der  Zeit 
von  24  Stunden  zwischen  zwei  auf  einander  folgenden  Beobachtungen 
vollzogen.  So  viel  ich  beurtheilen  konnte,  fand  diese  Erscheinung 
zugleich  auf  der  ganzen  IAnge  des  verdoppelten  Kanales  statt. 

In  seltenen  Fällen  ist  es  möglich  gewesen,  einige  Phasen  dieses 
Verdoppelungsprozesses  zu  verfolgen.  Im  Januar  1882  war  der 
Euphrates  bis  zum  18.  d.  M.  sichtbar,  ohne  etwas  Merkwürdiges  zu 
zeigen.  Am  19.  erschien  er  bedeutend  breiter  und  etwas  nebelhaft 
auf  der  linken  Seite.  Am  20.  machte  ein  dichter  Nebel  mir  die  Be- 
obachtung unmöglich.  Am  21.  war  die  Verdoppelung  völlig  un- 
zweifelhaft und  vollständig.  — In  demselben  Monat  Januar  1882  war 
der  Ganges  einfach  bis  zum  12.  Am  13.  schien  er  rechts  von  einem 
leichten  nebelhaften  Streifen  begleitet,  welcher  sich  ihm  in  ungefähr 
5°  Entfernung  auf  seiner  ganzen  Länge  zwischen  dem  Lacus  Lunae 
und  dem  Fons  Juventae  anschloss.  Dieser  Streifen  wurde  am  18. 
und  19.  unsichtbar;  das  ganze  umgebende  Gebiet  war  mit  weissen 
Flecken  übersiit.  Diese  Flecke  waren  am  20.  nicht  mehr  vorhanden, 
aber  der  neue  Streifen  war  wieder  erschienen  und  zeigte  sich  dieses- 
mal  noch  schwärzer,  schmäler  und  besser  begrenzt.  Er  war  dem 
Ganges  ähnlich,  obgleich  etwas  schwächer.  Nunmehr  war  also  der 
Ganges  verdoppelt  und  veränderte  sich  nicht  mehr  bis  zum  Schluss 
meiner  Beobachtungen  i.  J.  1882. 


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«J7 


Das  Auftreten  einer  weissen  oder  weisslichen  Färbung  um  einen 
Kanal  zur  Zeit  seiner  Verdoppelung  ist  wiederholt  zu  verzeichnen,  so 
1882  beim  Thoth,  1888  beim  Protonilus  und  dem  N'epenthes. 
Diese  weisse  Färbung  zeigte  sich  sehr  deutlich  zwischen  den  beiden 
Linien  der  Verdoppelung. 

Ziemlich  häufig  habe  ich  gesehen,  wie  sich  die  beiden  Linien 
aus  einer  grauen,  mehr  oder  weniger  dichten  in  der  Richtung  des 
Kanales  sich  ausbreitenden  Nebelmasse  gleichzeitig  loslösten  und  mir 
scheint  es  fast,  dass  dieser  nebelhafte  Zustand  eine  hauptsächliche  Er- 
scheinung bei  der  Bildung  der  Verdoppelungen  ist.  Aber  man  darf 
daraus  nicht  schliessen,  das  cs  sich  hier  um  Objekte  handelt,  welche 
hinter  einer  Art  von  Nebel  verborgen  bleiben  und  dann  nach  desson 
Verschwinden  sichtbar  werden.  So  weit  ich  die  Sache  beurtheilen 
konnte,  ist  das,  was  hier  als  Nebel  erscheint,  keineswegs  ein  Hinder- 
niss, vorher  vorhandene  Objekte  zu  sehen,  sondern  vielmehr  eine 
Materie,  in  welcher  sich  die  vorher  nicht  vorhandenen  Formen  nach  und 
nach  abzeichnen.  Um  meinen  Gedanken  deutlicher  auszudrücken,  möchte 
ich  sagen,  dass  der  Prozess  nicht  zu  vergleichen  ist  mit  dem  deut- 
licher werdenden  Hervortreten  von  Objekten  aus  einem  sich  auf- 
lösenden Nebel,  sondern  vielmehr  mit  einer  Menge  unregelmässig 
vertheilter  Soldaten,  welche  sich  nach  und  nach  in  Reihen  und  Ko- 
lonnen ordnen.  Ich  muss  hier  hinzufügen,  dass  dieses  nur  als  ein 
Eindruck  zu  betrachten  ist,  und  nicht  etwa  als  durchdachtes  Resultat 
eigentlicher  Beobachtungen. 

Da  es  für  die  Verdoppelungen  eine  Zeit  des  Erscheinens  giebt, 
so  muss  auch  eine  Epoche  existiren,  zu  welcher  sie  verschwinden 
oder  auf  irgend  eine  Weise  vergehen.  Unglücklicherweise  habe  ich 
noch  nichts  Sicheres  in  Bezug  auf  diese  Phase  der  Erscheinung  be- 
obachten können;  ich  kann  nur  sagen,  dass  einige  Verdoppelungen 
von  1882  in  den  folgenden  Oppositionen  nicht  mehr  sichtbar  waren. 
Der  Kanal  war  einfach  oder  selbst  völlig  unsichtbar  geworden.  In 
vielen  Fällen  konnte  die  grössere  Entfernung  des  Planeten,  oder  der 
ungenügende  Zustand  der  irdischen  Atmosphäre  eine  annehmbare  oder 
doch  mögliche  Erklärung  für  diese  verschwundenen  Verdoppelungen 
abgeben.  — Ich  glaube,  dass  diese  Erscheinungen  einen  periodischen 
Charakter  besitzen,  doch  kann  man  eine  solche  Periodicitiit  erst  ohne 
Zögern  behaupten,  nachdem  man  diese  Verdoppelungen  mehrere  Male 
nach  einander  erscheinen  und  wieder  verschwinden  gesehen  haben 
wird,  während  allerdings  die  bis  jetzt  angestellten  Beobachtungen  sie 
genügend  wahrscheinlich  machen.  Im  Jahre  1877  konnte  keine 
Spur  der  Verdoppelungen  während  der  Wochen  nachgewiesen  werden, 


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98 


welche  dein  südlichen  Solstiz  voran  gingen  oder  folgten.  Ein  ver- 
einzelter Fall  wurde  1879  bemerkt.  Am  26.  Dezember  habe  ich  den 
doppelten  Zustand  des  Xilus  zwischen  dem  Lacus  Lunae  und  dem 
breiten,  Ceraunius  genannten  Streifen  nachgewiesen  und  zwar 
einen  Monat  vor  der  Frühlingsnachtgleiche.  M)  Diese  Wahrnehmung 
überraschte  mich  ein  wenig,  aber  ich  nahm  sie  für  etwas  Zu- 
fälliges. Während  der  Opposition  von  1881  — 82  habe  ich  die 
Wiederholung  dieser  Wahrnehmung  erwartet.  Sie  fand  in  der  That 
statt,  aber  einen  Monat  nach  der  Frühlingsnachtgleiohe,  am  12. 
.Januar  1882.  Zu  dieser  Zeit  waren  schon  mehrere  andere  Verdoppe- 
lungen sichtbar  geworden  und  bald  darauf  war  der  Planet  davon  er- 
füllt: im  Laufe  zweier- Monate,  vom  19.  Dezember  bis  zum  22.  Februar 
habe  ich  etwa  dreissig  Verdoppelungen  nachweisen  können.  Während 
der  Opposition  von  1884  habe  ich  deren  nur  einige  deutlich  sehen 
können:  mehrere  andere  schienen  vorhanden  zu  sein,  aber  sie  waren 
nicht  deutlich  genug.  Das  war  zwei  bis  drei  Monate  vor  dem  nörd- 
lichen Solstiz.  Im  Jahre  1886  (zur  Zeit  des  nördlichen  Solstizes,  einen 
Monat  vorher  und  einen  Monat  nachher)  war  die  grösste  Zahl  der 
Verdoppelungen  nicht  mehr  vorhanden.  Viele  Kanäle  waren  einfach 
geworden,  andere  verschwunden,  doch  waren  mehrere  noch  deutlich 
doppelt,  u.  a.  auch  der  H.vdraotes  mit  seltener  Bestimmtheit.  Einige 
dieser  Verdoppelungen  wurden  zur  gleichen  Zeit  auf  der  Sternwarte 
zu  Nizza  von  Herrn  Perrotin  und  seinen  Mitarbeitern  nachgewiesen. 
Endlich  begannen  im  Mai  bis  Juni  1888  (zwei  und  drei  Monate  nach 
dem  nördlichen  Solstiz)  die  Kanäle  sich  von  neuem  zu  verdoppeln, 
darunter  einige,  welche  bis  dahin  einfach  geblieben  waren,  während 
andere  einfach  blieben,  welche  1882  doppelt  waren.  Die  Gesamtheit 
der  Beobachtungen  giebt  der  Meinung  einiges  Gewicht,  dass  die  Er- 
scheinung sich  nach  der  Periode  der  Jahreszeiten  des  Mars  richtet, 
und  das  ihre  grösste  Fülle  ein  wenig  nach  der  Frühlingsnachtgleiohe 
und  ein  wenig  vor  der  Herbstnachtgleiche  stattfindet,  und  dass  endlich 
die  Verdoppelungen,  nachdem  sie  einige  Monate  gedauert  haben, 
grösstemheils  zur  Zeit  des  nördlichen  Solstizes  vergehen  und  zum 
südlichen  Solstiz  sämtlich  verschwinden.  Die  Bestätigung  dieser 
Ansicht  wird  nicht  lange  auf  sich  warten  lassen.  Die  erste  Gelegen- 
heit dazu  wird  sich  im  Jahre  1892  darbieten.  Die  Opposition  dieses 
Jahres  findet  ungefähr  unter  den  gleichen  Bedingungen  wie  die  von 
1877  statt.  Man  hat  also  eine  völlige  Abwesenheit  der  Verdoppe- 
lungen zu  erwarten. 

>*)  Ich  nenne  hier  Friihlingsnnchtgleiche  den  Uebergang  der  Sonne  von 
der  südlichen  zur  nördlichen  Halbkugel  des  Planeten. 


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99 


Die  Tafel  II  im  ersten  Hefte  dieser  Zeitschrift  giebt  einen  Ueber- 
blick  über  die  allgemeine  Vertheilung  der  1882  und  1888  beobachteten 
Verdoppelungen.  Es  ist  kaum  nöthig,  den  I/eser  darauf  aufmerksam 
zu  machen,  dass  diese  Karte  den  Zustand  des  Planeten  zu  keiner  be- 
stimmten Epoche  darstellt;  denn  die  Verdoppelungen  geschehen  nicht 
alle  zugleich.  Wir  geben  auch  hier  nur  einen  geographischen  Index 
dieser  Bildungen,  welcher  nahezu  alle  enthält,  die  ich  bisher  wahr- 
nehmen konnte.  Die  doppelten  Streifen  sind  auf  dieser  Karte,  in- 
folge der  oben  gemachten  Bemerkungen,  mit  mehr  Gleichförmigkeit 
und  mehr  geometrischer  Genauigkeit  gezogen,  als  die  andern.  Es  wäre 
über  das  Mass  des  Möglichen  gegangen,  die  verschiedenen  Formen 
und  Färbungen  genau  darzustellen,  uin  so  mehr,  als  Form,  Breite, 
Farbe,  Richtung  und  Zwischenraum  nicht  völlig  konstant  bleiben.1') 

Wir  haben  schon  oben  erfahren,  dass  auf  dem  Planeten  eine  ge- 
wisse Anzahl  von  Knotenpunkten  existirt,  d.  h.  Stellen,  gegen  welche, 
mehr  oder  weniger  genau,  mehrere  Kanäle  convergiren.  Das  Aus- 
sehen dieser  Knotenpunkte  verändert  sich  in  ähnlicher  Weise  wie  das 
der  Kanäle.  Wenn  die  Kanäle,  welche  in  diesem  Knotenpunkte 
endigen,  unsichtbar  sind,  so  ist  es  der  Knotenpunkt  auch,  oder  kündigt 
sich  höchstens  durch  einen  leichten  diffusen  Schatten  an.  Das  Er- 
scheinen der  Kanäle  als  einfache  oder  doppelte  Linien  von  bestimmter 
Richtung  bringt  in  dem  Knotenpunkte  ein  Liniennetz  hervor,  dessen 
Beschaffenheit  gewöhnlich  wegen  der  grossen  Menge  von  Einzelheiten, 
die  sich  dann  auf  einen  relativ  kleinen  Raum  zusammendrängen,  un- 
möglich festzustellen  ist.  Die  Verwirrung  vermehrt  sich  in  den  meisten 
Fällen  noch  durch  eine  Art  von  ziemlich  starkem  und  verschwommenem 
Schatten,  welcher  den  Knotenpunkt  umgiebt  und  ihn  wie  einen  mehr 
oder  weniger  deutlichen  Fleck  erscheinen  lässt,  der  sich  manch- 
mal in  einen  eigentlichen  See  von  schwarzer  Farbe  und  deutlicher 
Umgrenzung  verwandelt  (Lacus  Niliacus  1879  — 1886,  Trivium 
Charontis  1882  u.  A.).  Von  diesem  Schatten  löst  sich  endlich  zu  ge- 
wissen Zeiten  ein  doppelter,  langgestreckter  Fleck,  der  eine  Art  von  Ver- 
doppelung aus  zwei  kurzen  und  breiten  Streifen  bildet,  welche  letztere 

lä)  Hier  ist  noch  hinzuzufügen,  dass  man,  um  die  Verdoppelungen  in 
ihren  wahren  Verhältnissen  zu  zeigen,  einen  Planiglobus  ohne  Verzerrung  be- 
sitzen müsste,  was  nicht  möglich  ist,  wio  man  weiss.  Alle  bekannten  Pro- 
jektionen verändern  den  Parallelmmus  der  Linien.  Die  von  mir  gewählte 
(welche  wenig  von  der  homolographisch  genannten  Projektion  des  Professors 
Moll  weide  abweicht)  ist  in  dieser  Beziehung  vielleicht  weniger  unvollkommen 
wie  die  andern.  Um  jedoch  den  Charakter  der  Verdoppelungen  nicht  zu 
stören,  habe  ich  den  Parallelismus  der  Linien  trotz  der  Projektion  beibe- 
halten. 

Himmel  und  Erde.  1HRR.  II.  $ 


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100 


ungefähr  die  Ausdehnung  des  fraglichen  Schaltens  oder  Sees  einnimmt. 
Man  sehe  deswegen  auf  Tafel  II  das  Trivium  Charontis  und  den 
Lacus  Lunae  in  dieser  Form.  So  viel  ich  bis  jetzt  sehen  konnte, 
(doch  sind  diese  Beobachtungen  von  der  grössten  Schwierigkeit) 
verändert  sich  die  Richtung  dieser  Verdoppelungen  von  einer  Epoche 
zur  andern  wesentlich,  und  stimmt  oft  mit  der  einen,  oft  mit  der 
andern  der  doppelten  Kanäle,  welche  in  der  fraglichen  Gegend  endi- 
gen, zusammen.  Da  diese  Thatsache  von  der  grössten  Wichtigkeit 
für  die  Entwickelungsgeschichte  der  Verdoppelungen  ist,  werde  ich 
einige  der  beobachteten  Beispiele  detailirt  mittheilen. 

Der  Lacus  Ismenius  besteht  in  seinem  gewöhnlichen  Zustande 
aus  einem  dunklen  Fleck  von  ovaler  in  der  Richtung  des  Parallele 
verlängerter  Gestalt.  Am  23.  Dezember  1881  fand  ich  ihn  in  zwei 
Striche  getrennt,  welche  eine  kurze  in  der  Richtung  des  ebenfalls 
verdoppelten  Protonilus  verlaufende  Verdoppelung  bildeten.  Pro- 
tonilus  und  Ismenius  hätten  wohl  als  eine  einzige  Verdoppelung 
gelten  können,  wenn  die  Streifen  des  Ismenius  nicht  viel  breiter  gewesen 
wären,  so  wie  es  die  folgende  Figur  a angiebL  Am  27.  Mai  1888  fand  eine 
ähnliche  Erscheinung  statt,  aber  die  Theilung  in  zwei  Streifen  folgte 
dieses  Mal  der  Richtung  des  verdoppelten  Euphrates;  man  sehe 
deswegen  die  hier  folgende  Figur  b. 

b 

Pro  f o 
nitus 


Da  die  Ausdehnung  des  Ismenius  in  der  Richtung  des  Euphrates 
unbedeutend  war,  so  erschienen  die  Streifen  nicht  länger  als  breit,  d.  h. 
die  Verdoppelung  nahm  die  Gestalt  zweier  beinahe  runder  Flecke  an, 
die  in  der  Richtung  des  Protonilus  gleiclunässig  neben  einander 
gereiht  waren.  Später,  als  sowohl  ProtoniluB  wie  Euphrates 
verdoppelt  waren,  erwartete  ich  den  Ismenius  in  vier  Theile  getrennt 
zu  sehen,  doch  ist  dies  keineswegs  eingetroffen.  Am  4.  Juni  hatte 
der  See  seine  frühere  ovale  Gestalt  mit  seinen  verwaschenen  Umrissen 
wieder  angenommen. 

Das  Trivium  Charontis  war  im  Jahre  1879  nur  als  Knoten- 
punkt der  Kanäle  Laestrygon,  Styx,  Cerberus  und  Tartarus 


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101 


vorhanden,  die  einzigen  in  dieser  Gegend  damals  sichtbaren  Kanäle. 
Im  Jahre  1881 — 82  vermehrten  sich  die  Schnittpunkte  der  Kanäle  an 
diesem  Orte  und  das  Ganze  war  in  einen  verworrenen,  ziemlich  ausge- 
dehnten, doch  schlecht  begrenzten  Schatten  eingeschlossen.  1884  theilte 
sich  dieser  Schatten  in  zwei  sehr  starke  und  genau  in  der  Richtung  des 
Orcus  verlängerte  Streifen.  1886  war  es  nicht  möglich,  diese  Gegend 
gut  zu  beobachten.  1888  (13.  bis  16.  Juni)  existirte  die  Theilung  in 
zwei  Streifen  noch,  aber  ihre  Lage  folgte  dor  Richtung  des  Erebus. 
Beide  Streifensysteme  sind  auf  unserer  Tafel  II  eines  über  dem  andern 
wiedergegeben,  doch  ist.  eine  solche  Uebereinanderlagerung  nicht 
beobachtet 

Eine  gleiche  Erscheinung  hat  der  Lacus  Lunae  dargeboten, 
welcher  1879  und  1882  in  zwei  starke  Streifen,  dem  doppelten  Nilus 
folgend,  getrennt  war,  während  diese  1884  in  der  Richtung  des 
Uranius  orientirt  waren.  Beide  Gestaltungen  befinden  sich  in  unserer 
Tafel  II  übereinander.  Der  Nodus  Gordii  hat  ähnliche,  doch 
schwieriger  zu  beobachtende  Erscheinungen  gezeigt. 

Es  scheint  aus  allem  diesem  zu  folgen,  dass  das  hervorbringende 
Prinzip  der  Verdoppelungen  nioht  nur  längs  der  Richtung  der  Kanäle  des 
Mars  angreift,  sondern  auch  auf  den  dunklen  Oberflächen  beliebiger 
Form,  falls  diese  nicht  zu  ausgedehnt  sind,  und  dass  in  diesem  letzteren 
Falle  die  Richtung  derselben  Verdoppelung  von  einer  zur  andern 
Epoche  sehr  verschieden  sein  kann,  während  sie  bei  den  Kanälen 
nur  zwischen  engen  Grenzen  schwankt.  Dieses  Prinzip  scheint  sich 
sogar  noch  auf  die  permanenten  Meere  auszudehnen ; denn  das  Auf- 
treten der  Insula  Cimmeria  inmitten  des  Mare  Cimmerium  ist 
am  Ende  nichts  Anderes  als  eine  Verwandelung  dieses  Meeres  in  eine 
grosse  Verdoppelung,  die  sich  aus  zwei,  zu  beiden  Seiten  der  ge- 
nannten Insel  übrig  bleibenden,  dunkeln  Streifen  zusammensetzt.  Eine 
ähnliche  Erscheinung  scheint  auch  im  Mare  Acidalium,  wenn  auch 
weniger  evident  und  regelmässig,  aufzutreten. 

Dieses  Bestreben,  einen  dunkeln  Raum  durch  einen  gelben 
Streifen  zu  theilen,  scheint  sich  auch  in  der  Ilervorbringung  gewisser 
Diafraginen  oder  leuchtenden  Landengen  von  erstaunlicher  Regel- 
mässigkeit zu  bekunden,  welche  sich  an  gewissen  Stellen  der  nörd- 
lichen Halbkugel  des  Planeten  bilden:  Derart  ist  der  Achillis  Pons, 
welcher  1882 — 84  den  Lacus  Niliacus  vorn  Mare  Acidalium 
trennte  und  1888  theilweise  unsichtbar  wurde;  ferner  auch  die  Unter- 
brechung, welche  bisweilen  die  Nilosyrtis  von  der  Boreo- 
Syrtis  trennt,  eine  Unterbrechung,  die  auftritt,  wenn  der  Pro- 
tonilus  doppelt  und  eine  Art  Fortsetzung  des  hellen  Streifens  ist, 

8* 


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102 


welcher  die  beiden,  den  Proton  ilus  zusammensetzenden  Linien,  trennt. 
Eine  andere  ähnliche  1882  vorhanden  gewesene  Unterbrechung  im 
Verlaufe  der  Boreo-Syrtis,  ist  später  nicht  wieder  gesehen.  Endlich 
scheint  das  doppelte  Horn  des  Sinus  Sabaeus  und  die  doppelte 
Halbinsel  Atlantis,  welche  das  Mare  Cimmerium  von  dem  Mare 
Sirenum  trennt,  von  Erscheinungen  derselben  Art  abzuhängen. 

(Ein  Schlussartikel  folgt.) 


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Versuch  einer  beweisführenden  Darstellung  des  Welt- 
gebäudes in  elementarer  Form. 

Von 

Dr.  M.  Wilhelm  Meyer-Berlin. 

"j..  I.  Einleitung. 

cf  -ibgleich  unsere  neue  Zeitschrift  dem  allgemein  Gebildeten  und 

i)&  keineswegs  nur  dem  Fachgelehrten  unmittelbar  verständliche 

r-' “ 

Darstellungen  aus  den  von  ihr  cultivirten  Wissenszweigen  zu 
geben  beabsichtigt,  so  wird  es  doch  begreiflicherweise  oft  genug  ge- 
schehen, dass  gewisse  Vorkenntnisse  vorausgesetzt  werden  müssen, 
deren  besondere  populäre  Darlegung  im  Rahmen  der  betreffenden  Be- 
trachtung auf  zu  ausgedehnte  Seitenwege  abführen  und  dadurch  den 
Faden  der  Entwicklung  des  Hauptgegenstandes  nothwendig  verwirren 
müsste.  Um  jedoch  auch  das  volle  Verständniss  dieser  Betrachtungen 
so  viel  als  möglich  zu  fördern,  wird  die  Redaktion  bemüht  sein,  in 
längeren  Serien  von  Artikeln  nach  und  nach  ein  logisch  sich  aus  den 
ersten  Anfängen  naiver  Naturbetrachtung  aufbauendes  Weltbild  dar- 
zustellcn,  in  welches  sich  eben  jene  besonderen,  gelegentlich  auch 
einmal  schwieriger  verständlichen  Betrachtungen  tiefer  vordringender 
Forscher,  die  sich  in  unserer  Zeitschrift  direkt  einem  grösseren  Publikum 
zuwenden  wollen,  einordnen  lassen. 

In  diesem  Geiste  will  ich  eB  versuchen,  in  einer  Reihe  von 
Artikeln  eine  Art  von  populärer  Astronomie  vorzutragen.  Doch  soll 
diese  populäre  Astronomie  nicht  in  der  gewöhnlichen  Weise  be- 
schreiben, was  die  Astronomen  von  den  Vorgängen  am  gestirnten 
Himmelsgewölbe  gesehen,  was  sie  darüber  erdacht  und  mit  krausem, 
allen  Laien  tief  geheimnissvollen  Formelkram  berechnet  haben,  sondern 
wir  wollen  das  Bild  des  grossen  Kosmos  in  seiner  wundervoll  har- 
monischen, ewigen  Ordnung  und  Schönheit,  Element  an  Element  ge- 
reiht, vor  uns  sich  logisch  entwickeln  sehen  und  den  Weg  noch  einmal 
miteinander  durohwandern,  den  die  denkende  Menschheit  seit  den  Jahr- 


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tausenden  langsam  Schritt  vor  Schritt  weiter  dringend  durchmass,  um 
das  strahlende  Geheimniss  der  still  über  uns  hinwandelnden  Gestirne 
zu  entziffern. 

Ist  in  der  That  nicht  dieses  gewaltige,  eherne  Gebäude  über 
unsern  Häuptern,  in  dessen  über  alles  imposantem  Kuppelbau  wir 
wohnen,  den  Meisten  unter  uns  ein  Geheimniss  geblieben?  Nicht 
auch  denen,  welche  sich  Gebildete  nennen  und  die  in  ihrem  wohl  ab- 
solvirten  Schulkursus  über  die  hauptsächliche  Einrichtung  des  Weltge- 
bäudes unterrichtet  worden  sind,  oder  selbst  jener  nicht  geringen 
Zahl  von  wirklichen  Gelehrten,  welche  wohl  wissen,  was  alles  sich 
in  diesen  unermesslichen  Räumen,  soweit  wir  sie  übersehen,  befindet 
und  wie  es  sich  bewegt  und  Eines  sich  zum  Andorn  drängt,  aber  in 
dem  Gewirr  tausendfältiger  Details  längst  wieder  den  Faden  verloren 
haben,  welcher  die  Schlüsse  folgerichtig  miteinander  verbindet,  aus 
denen  sich  die  imzweifelhafte  Gewissheit  darüber,  dass  diese  unerreich- 
baren Dinge  wirklich  so  sein  oder  sich  bewegen  müssen,  wie  man  es 
uns  sagt,  allein  ergiebt?  Geht  es  uns  nicht  auch  mit  vielen  ganz  nahe- 
liegenden Dingen  oder  täglich  angewandten  Kenntnissen  ganz  ebenso, 
die  wir  genau  -auswendig“  wissen  und  über  die  wir  uns  dennoch  vor- 
geblich den  Kopf  zerbrechen  würden,  wenn  wir  Schluss  auf  Schluss  den 
Beweis  für  ihre  Richtigkeit  liefern  sollten?  Ich  wette,  dass  es  nicht 
viele  Astronomen  vom  Fach  giebt,  welche  sogleich  den  Weg  angeben 
könnten,  auf  welchem  die  logische  Kette  der  stufenwoisen  Erkennt- 
niss  bis  zur  Gewissheit  über  die  Gesetze  der  Bewegungen  am  Himmel 
verläuft,  wenn  man  ihnen,  dem  Laien  gegenüber,  das  meistens  und 
nothwendigerweise  handwerksmässig  angewandte  Werkzeug  mathe- 
matischer Formeln  nimmt. 

Ohne  solche,  meinen  die  Meisten,  sei  diese  Beweisführung  nicht 
möglich,  und  doch  ist  die  mathematische  Formel  nur  die  Uebersetzung 
logisch  absolut  richtiger  Scldüsse,  welcher  wir  uns  nicht  mehr  bewusst 
werden.  Die  Rückübersetzung  in  die  Sprache  des  Laien  muss  also 
in  allen  Fällen  möglich  sein,  wenngleich  allerdings  diese  letztere 
Sprache  sicher  sehr  viel  weitläufiger,  schwerfälliger  und  unklarer  ist 
als  die  mathematische  und  eine  Menge  von  Umschreibungen  nöthig 
macht,  welche  den  Gedankengang  leicht  verwirren.  Es  verhält  sich 
deshalb  mit  der  Mathematik  ganz  umgekehrt,  als  es  der  Laie  glaubt, 
welcher  ihre  Sprache  überhaupt  für  schwer  verständlich  hält,  während 
sie  im  Gegentheil  unserer  Denkarbeit  eine  unberechenbare  Erleichterung 
schafft.  Die  mathematische  Formel  ist  ein  wahrer  Faullenzer  für 
unsern  Geist,  und  indem  ich  mich  hier  anheischig  machen  möchte, 
dem  Leser  die  Nothwendigkeit  der  kosmischen  Ordnung  ohne  jenes 


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Hülfsmittel  auseinander  zu  setzen,  muss  ich  vorweg  sagen,  dass  ich 
dadurch  viel  schwieriger  zu  genügende  Anforderungen  an  die  Fassungs- 
kraft des  Lesers  stelle,  als  wenn  ich  demselben,  nach  einem  kurzen 
Vorkursus  im  mathematischen  Unterricht,  die  Sache  durch  Formel- 
entwicklungen darstellen  würde.  Es  scheint  mir  aber,  dass  die  Ueber- 
zeugung  von  jener  Nothwendigkeit,  eben  wegen  jenes  Nichtmehrbewusst- 
werdens der  logischen  Schlüsse  durch  Vermittlung  der  Formel  in  dem 
nicht  völlig  mathematisch  geschulten  Geiste  — der  ja  selbstverständlich 
trotzdem  völlig  scharf  zu  denken  im  stände  sein  kann  — nicht  un- 
erschütterlich befestigt  werden  könnte.  Aus  diesem  Grunde  will  ich 
also  in  der  Folge  Formeln  nur  dann  anwenden,  wenn  die  darin  ent- 
haltenen Schlüsse  durch  anderweitige  Mittel  im  Geiste  völlig  befestigt 
sind.  Dann  dient  eben  diese  Zeichensprache  nur  noch  als  wohlbe- 
kannte Abkürzung  der  Rede,  als  eine  Art  Stenographie  der  Logik. 
Nur  allein  den  Lehrsatz  des  Pythagoras  von  der  Gleichheit  der 
Summe  der  Quadrate  über  den  kürzeren  beiden  Seiten  eines  recht- 
winkligen Dreiecks  mit  dem  Quadrat  über  der  dritten  Seite  will  ich 
als  erwiesen  annehmen.  Es  sind  mehr  als  zwei  Jahrtausende,  dass 
die  Menschheit  von  dessen  Richtigkeit  überzeugt  ist.  Sollten  trotzdem 
— was  ich  in  Bezug  auf  die  grössere  Ueberzeugungskraft  der  späteren 
Folgerungen  für  sehr  rathsam  erachten  würde  — meine  Leser  daran 
zweifeln,  so  mögen  sie  ihren  Elementarleitfaden  der  Geometrie  noch 
einmal  auf  ein  paar  Minuten  aus  dem  staubigen  Winkel  bervorholen, 
wo  er  als  Andenken  an  qualvolle  Stunden  der  Jugendzeit  vielleicht 
noch  aufzufinden  ist,  und  sich  den  Beweis  dieses  fundamentalsten 
Satzes,  mit  welchem  die  ganze  Mathematik  steht  und  fallt,  aus  jenen 
ersten  unbeweisbaren  Axiomen  herstellen,  welche  au  beiden  Enden 
all  unserer  logischen  Schlussketten  stets  übrig  bleiben,  hier  unten  bei 
den  unfassbar  einfachen  Elementen  des  Denkens  oder  der  Gestaltung, 
und  dort  oben  in  der  unausdenkbaren  Unendlichkeit.  Für  uns  gilt 
eben  ein  für  allemal  nur  die  greifbare  Mitte. 

Das  vorgesteckte  Programm  wird  es  unumgänglich  machen  von 
Dingen  zu  reden,  die  jedem  Kinde  geläufig  sind,  weil  eben  kein  Glied 
in  der  Schlusskette  fehlen  soll.  Während  ich  mich  dabei  nach  Kräften 
bemühen  will,  von  flacher  Trivialität  fern  zu  bleiben,  wolle  man  mich 
auf  der  anderen  Seite  nicht  missverstehen  oder  sich  gar  wegen  des 
geringen  Masses  vorausgesetzten  Wissens  in  gewissem  Sinne  be- 
leidigt fühlen.' 

Wir  wollen  in  allen  Dingen  zunächst  dem  Augenschein  glauben, 
der  uns  zwar,  wie  wir  Alle  wissen,  schon  recht  oft  bitter  getäuscht 
hat,  aber  doch  immer  die  Grundlage  bildet,  auf  welcher  sich  all  unser 


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Wissen  aufbaut  Am  Ende  stellt  auch  der  Augenschein,  wenn  wir 
mit  diesem  Worte  verallgemeinernd  das  Urtheil  unserer  wahrnehmenden 
Sinnesorgane  bezeichnen  wollen,  das  einzig  von  uns  erkennbare  Bild 
der  Welt  dar,  wenn  wir  ihn  nur  genügend  verschärfen,  sei  es  durch 
langjährige  Erfahrung  und  Verfeinerung  unserer  Sinne  selbst  oder 
durch  ihre  künstliche  Verschärfung  mit  Hülfe  von  Werkzeugen,  welche 
den  vorhandenen  Effekt  scheinbar  vergrössern  oder  die  genaue  Messung 
in  anderer  Weise  erleichtern.  Was  wir  über  diesen  Augenschein  hinaus 
von  dem  Aufbau  der  Welt  glauben  in  Erfahrung  bringen  zu  können, 
bleibt  immer  und  ewig  Speculation,  welche  der  Bestätigung  eben  durch 
den  Augenschein  bedarf,  ehe  man  mit  völliger  Ueberzeugnng  daran 
glauben  wird. 

Ausgenommen  sind  allein  hiervon  die  Wahrheiten  der  mathe- 
matischen Wissenschaft,  so  lange  sie  sich  auf  völlig  abstrakte  Dinge 
beziehen.  Sobald  aber  in  ihre  Schlussfolgerungen  Concretes  einge- 
führt wird,  das  noch  der  Bestätigung  durch  den  Augenschein  bedarf, 
so  werden  auch  sie  wiederum  schwankend,  unsicher,  ja  oft  nach- 
weisbar völlig  falsch.  Die  angewandte  Mathematik  bildet  zwar  eine 
Art  Brücke,  welche  von  der  sichtbaren  Welt  des  Augenscheins  in  die 
des  Gedankens,  oder  auch  in  die  „Welt  an  sich"  hinüberzuführen  scheint. 
In  der  That  gelingt  es  ihr  oft,  ganz  besonders  auf  dem  Gebiete  der 
Himmelsforschung,  wo  sie  ihre  grössten  Triumphe  gefeiert  hat,  von 
Gegebenem  ausgehend  unsem  Geist  in  Gebiete  zu  führen,  von  Dingen 
in  Kenntniss  zu  setzen,  welche  unserer  Sinneswahrnehmung  völlig 
entgegen,  also  nicht  mehr  der  Welt  des  Augenscheins  angehören,  aber 
nichtsdestoweniger  so  sicher  existiren,  als  die  in  unsere  mathematische 
Scblusskette  vorn  eingesetzten  concreten  Grössen  augenscheinlich  vor- 
handen sind.  Dann  befinden  sich  aber  doch  immerhin  beide  Enden 
der  Brücke,  welche  durch  die  mathematische  Formel  dargestellt  wird, 
auf  festem  Boden,  von  welchem  der  eine  Theil  nur  zufällig  un- 
sichtbar bleibt,  sich  dagegen  irgendwann  einmal  dem  Augenschein 
wirklich  darzubieten  vermögen  wird.  Führt  man  dagegen  zur  einen 
Seite  übersinnliche  Betrachtungen  ein.  welche  niemals  duroh  den 
Augenschein  controllirt  worden  Bind,  wie  die  Unendlichkeit  oder  das 
Absolute  in  irgend  einer  Form  (denn  dieses  kommt  in  der  sinnlichen 
Welt  nicht  vor),  so  darf  man  sich  nicht  darüber  wundern,  wenn  man 
am  andern  Ende  der  Brücke  in  einer  Welt  ankommt,  welche,  wie  die 
der  vierten  Dimension,  all  unseren  Erfahrungen  Hohn  spricht  und 
unserer  Phantasie  Spielraum  zu  den  abenteuerlichsten  Träumen  bei 
offenen  Augen  lässt.  Beide  Enden  der  Brücke  befinden  sich  dann 
eben  im  Leeren,  das  der  Geist  nicht  minder  fürchtet  wie  die  Natur 


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und  mit  Gestalten  seiner  Einbildung  ausfüllt,  wenn  es  den  Sinnen 
nichts  Greifbares  bietet. 

Mit  dieser  Abschweifung  wollte  ich  hauptsächlich  betonen,  wie 
gut  es  in  allen  Stücken  ist,  von  dem  Augenscheine  stets  auszugehen 
und  dessen  Angaben  immer  als  festen  Grund  unter  den  Füssen  zu 
behalten,  von  welcher  Regel  abzuwoichen  nur  zu  viel  Gelegenheit  ge- 
boten ist,  sobald  wir,  wie  es  in  unsern  folgenden  Betrachtungen  ge- 
schehen soll,  unsern  Gedanken  von  dem  festen  Boden  unseres  mütter- 
lichen Planeten  weit  empor  zu  den  Welten  erheben,  welche  über 
unsern  Häuptern,  von  unsichtbaren  Gewalten  getrieben,  den  Raum 
durchmessen. 

Freilich  müssen  wir  dagegen  alles  thun,  was  uns  über  die 
falschen  Eindrücke  hinweghelfen  kann,  welche  der  oberflächliche 
augenblickliche,  von  Vorurtheilen  getrübte,  Augenschein  über 
die  Ansichten  der  Natur  verbreitet.  Wir  dürfen  nicht  dem  ersten 
Eindrücke  Glauben  schenken,  sondern  müssen  die  uns  interessirenden 
Dinge  aufmerksam  unter  den  verschiedensten  Gesichtspunkten  ver- 
folgen, die  Vorgänge  immer  wieder  unter  veränderten  Bedingungen 
beobachten,  damit  wir  in  der  Erscheinungen  Flucht  den  ruhenden  Pol, 
das  ewige  Gesetz  des  Geschehens,  erkennen.  Denn  der  erste  Augen- 
schein trügt  allerdings  gewöhnlich  wegen  unseres  sehr  langsamen  und 
unvollkommenen  Auffassungsvermögens  und  der  eigenthümlichen  Zu- 
sammensetzung unseres  Geistes  aus  Logik  und  Phantasie,  welche 
letztere  sofort  einspringt,  wo  die  eretere  nicht  sogleich  die  Erklärung 
geben  kann,  und  unter  solchen  Umständen  den  Sinneseindruck  direkt 
zu  fälschen  im  stände  ist. 

Sehr  frappant  ist  in  dieser  Hinsicht  das  Beispiel  der  sich  schein- 
bar bei  ihrer  Annäherung  an  den  Horizont  vergrösseruden  Mond- 
scheibe, wenngleich  dabei  ausser  den  angedeuteten  psychologischen 
Momenten  auch  unzweifelhaft  noch  physiologische  treten,  welche  uns 
in  die  Irre  führen.  Sobald  wir  das  unerreichbare  Gestirn  hoch  oben 
am  Firmamente  sehen,  und  kein  Vergleichsgegenstand  gleichzeitig 
mit  ihm  in  unserem  Auge  sich  abspiegelt,  erscheint  er  uns  unbedeutender, 
kleiner,  als  wenn  wir  ihn  mit  der  uns  gross  bedünkenden  Ausdehnung 
eines  hohen  Gebäudes,  hinter  welchem  8eine  rothe  Scheibe  eben 
hervorlugt,  direct  vergleichen  können.  Freilich  hat  es  sich  gezeigt, 
dass  auch  in  einem  völlig  dunklen  Raume  zwei  leuchtende  Punkte 
viel  weiter  von  einander  entfernt  zu  sein  scheinen,  wenn  sie 
in  horizontaler  Richtung  vor  uns  stehen,  als  wenn  man  sie  aus  der 
gleichen  Entfernung  über  unserem  Haupte  sieht.  Dass  hier  also  unser 
Augenmass  uns  stets  in  ganz  bestimmter  Weise  täuscht,  lässt  sich 


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durch  den  unveränderlich  festen  Massstab,  mit  welchem  wir  in  beiden 
Lagen,  einmal  die  gleichgebliebone  Entfernung  der  leuchtenden  Punkto 
unter  einander  und  dann  von  unserm  Auge,  kontroliren  können,  beweisen. 
Diese  Messung  giebt  dann  offenbar  einen  augenscheinlicheren  Beweis  von 
der  gleich  gebliebenen  Entfernung,  als  der  Eindruck  unseres  Auges 
zu  liefern  im  stände  ist,  welcher  dementgegen  völlig  grundlos  behauptet, 
die  beiden  Punkto  müssten,  da  sie  einander  näher  zu  stehen  scheinen, 
wenn  sie  sich  über  uns  befinden,  dann  entsprechend  weiter  von  unserem 
Auge  entfernt  sein,  als  im  anderen  Falle. 

Wie  hier  die  direkte  Messung  ohne  weiteres  für  unsere  l'eber- 
zeugung  den  Ausschlag  giebt,  so  muss  sie  es  auch  in  allen  astro- 
nomischen Dingen  thun.  In  unserer  Frage  von  der  scheinbaren  Ver- 
grösserung  der  Mondscheibe  zeigte  die  genaue  Messung,  dass  die 
Sache  sich  in  Wirklichkeit  gerade  umgekehrt  verhält,  als  es  der 
oberflächliche  Augenschein  angiebt:  Der  Mond  ist  immer  kleiner  am 
Horizonte  als  im  Scheitelpunkte  oder  Zenith  und  zwar  um  ein  so  Be- 
trächtliches, wie  unsere  heutigen  Messungsmittel  mit ! .Dichtigkeit  nach- 
weisen  können.  Der  Unterschied  beträgt  etwa  den  sechzigsten  Theil 
des  Monddurchmessers  selbst.  Das  heisst,  wenn  man  eine  völlig 
kreisförmige  Scheibe  an  ihrem  Rande  in  eine  bestimmte  Zahl  gleicher 
Theiie  zerlegt  hat,  in  unserem  Falle  in  360  Grad  und  die  bekannten 
Unterabtheilungen,  und  nun  mit  einem  Fernrohr,  das  über  der  Mitte 
dieses  Kreises  sich  dreht,  einmal  auf  den  einen  Rand  des  Mondes 
hinvisirt,  die  Kreistheilung  abliest  und  dann  mit  dem  anderen  Rande 
dieselbe  Operation  vornimmt,  so  bekommt  man  als  Zwischenraum 
beider  Kreisablesungen  eine  kleinere  Zahl  von  Bogen-Minuten  und 
Sekunden,  wenn  die  Messung  mit  dem  Monde  am  Horizonte  vorge- 
nommen war,  gegen  eine  Messung  im  Zenith.  Man  kann  nun,  um  sich 
völlig  von  jeder  Täuschung  auszuschliessen,  wie  es  in  der  That  im 
Prinzip  auch  geschieht,  das  Instrument  selbst  auf  etwaige  Fehler  (die 
das  Auge  ja,  wie  wir  sehen,  besitzt)  zu  prüfen,  untersuchen,  ob  ein 
irdischer  Gegenstand  von  bestimmter  Ausdehnung  in  allen  Lagen  zur 
Horizontalen  bei  gleichbleibender  Entfernung  die  gleiche  scheinbare 
Winkelgrösse  auf  unserem  getheiltcn  Kreise  ergiebt,  was  natürlich 
stattfinden  wird,  wenn  das  Instrument  mit  genügender  Perfection  her- 
gestellt  ist.  Es  bleibt  uns  darnach  nichts  weiter  übrig,  als  augen- 
scheinlich für  bewiesen  zu  betrachten,  dass  der  rohe  Eindruck  des 
Auges  uns  über  die  scheinbare  Grösse  des  Mondes  völlig  täuscht  und 
dass  dieser  sich  in  der  That,  wenn  er  am  Horizonte  steht,  weiter  von 
uns  entfernt  befindet,  als  wenn  er  über  unsorn  Häuptern  schwebt 
Später  werden  wir  erkennen,  dass  auch  andere  Betrachtungen  diese 


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Thatsache  (obgleich  sie  keines  weiteren  Beweises  bedürfte,  als  welchen 
ich  hier  gegeben  habe)  bestätigen.  Zwischen  dem  Monde  am  Horizonte 
und  unserm  Standpunkte  auf  der  Erdoberfläche  liegt  nahezu  ein  Erd- 
halbmesser mehr,  als  wenn  das  Gestirn  sich  gerade  über  uns  befindet. 
Dieses  wohlerwogen  und  hinzugefügt,  dass  die  Messung  jene  Differenz 
gleich  einem  Sechzigstel  der  ganzen  Ausdehnung  ergiebt,  genügt  dann 
zum  strengen  Beweise,  dass  der  Mond  sich  von  uns  otwa  sechzig  Erd- 
halbmesser entfernt  befindet. 

Obgleich  dieses  Beispiel,  um  es  in  diesen  einleitenden  Be- 
trachtungen vorführen  zu  können,  aus  der  Mitte  einer  Kette  von  Be- 
weisen herausgegriffen  werden  musste  und  wegen  hier  unbewiesen 
gebliebener  Praemissen  noch  nicht  völlig  überzeugend  zu  wirken  im 
stände  ist,  so  wird  man  doch  durch  dasselbe  auf  die  Mittel  und  Wege 
hingewiesen  worden  sein,  welche  uns  später  zu  unsern  Zwecken  dienen 
sollen. 

Ganz  besonders  oft  wird  dabei  der  Resultate  unserer  Messungen 
mit  den  erstaunlich  feinen  Präcisions-Inslrumenten  der  Gegenwart  ge- 
dacht werden,  die  überall  als  unanfechtbare  Voraussetzungen  zu  den 
folgenden  Schlussentwicklungen  dienen  müssen.  Dass  diese  Resultate 
direkter  Messung  von  Winkeln  und  scheinbaren  Grössen  wirklich  und 
mit  Ausschluss  jedes  möglichen  Fehlers  erhalten  wurden,  muss  der 
Leser  mir  allerdings  aufs  Wort  allein  glauben,  wenn  er  sich  nicht 
etwa  entschliessen  will,  auf  unserer  nun  bald  ins  Leben  tretenden 
öffentlichen  Sternwarte  der  Urania  einem  Kursus  über  die  Messkunst 
der  praktischen  Astronomie  beizuwohnen,  zu  welchem  die  feinen 
Instrumente  dieses  Institutes  uns  in  den  Stand  setzen  und  von  Seiten 
unserer  Beamten  alle  Bereitwilligkeit  vorhanden  sein  wird. 


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Welche  Veränderungen  erfährt  noch  jetzt  die  Lage  der  Drehung«- Axe 

der  Erde? 

Von  Dr.  P.  Sch  wahn  in  Berlin. 

Die  Drehungsgeschwindigkeit  der  Erde  und  die  Lage  ihrer  Axe  ist  für 
das  ganze  Erdenleben,  für  seine  Vergangenheit  und  Zukunft,  für  Tag  und 
Nacht,  Jahreszeiten.  Klima,  Strömungen  in  Luft  und  Meer,  und  für  die 
unablässigen  kleinen  Gestaltänderungen  der  Erde,  deren  Wirkungen  von  Zeit 
zu  Zeit  in  Krd-Erschütterungen  zu  Tage  treten,  von  so  hoher  Bedeutung,  dass 
es  gewiss  in  weiteren  Kreisen  willkommen  sein  wird.  Einiges  von  den  Ergeb- 
nissen neuerer  Forschungen  Uber  obige  Frage  zu  hören. 

Insbesondere  ist  auch  die  gesamte  Messkunst,  nicht  blos  die  Astronomie 
und  die  Erdmessung,  dabei  sehr  nahe  interessirt,  denn  der  Beständigkeits-Grad 
des  Winkels  zwischen  der  Richtung  der  Erd-Axe  und  der  Lothrichtung  am 
Beobachtungsort  ist  eine  der  wichtigsten  Angelegenheiten  alles  Messens  auf 
Erden. 

Wenn  unsere  Leser  von  den  überaus  bedeutungsreichen  Ergebnissen 
der  neueren  astronomischen  Arbeiten  über  diesen  Gegenstand  eine  deutliche 
Vorstellung  gewinnen  wollen,  dürfen  sie  es  allerdings  nicht  scheuen,  einige 
kurze  Strecken  hindurch  einem  etwas  lehrhaften  Gedankengange  zu  folgen, 
der  indessen  von  schulmässiger  Strenge  und  Trockenheit  möglichst  fern 
bleiben  soll. 

Bei  den  meisten  Drehungs-Erscheinungen,  welche  die  gewöhnliche  Erfah- 
rung vor  Augen  hat,  ist  die  Lage  der  Drehung«- Axe  sowohl  an  dem  sich 
drehenden  Körper  als  zu  der  Umgebung  desselben  durch  besondere  Einrich- 
tungen möglichst  unveränderlich  gemacht,  und  zwar  am  Körper  durch  fest 
mit  ihm  verbundene  sogenannte  Drehungs-Zapfen  und  zu  der  Umgebung  durch 
sogenannte  Zapfenlager  oder  dergleichen. 

Anders  verhält  es  sich  mit  der  sogenannten  freien  Drehung.  Wird  ein 
Körper  z.  B.  durch  einen  Stoss,  dessen  Richtung  nicht  durch  den  Schwerpunkt 
desselben  geht,  in  Bewegung  gesetzt,  oder  erfährt  ein  in  ursprünglich  drehungs- 
loser  Bewegung  befindlicher  Körper  eine  Hemmung,  deren  Richtung  ebenfalls 
nicht  durch  den  Schwerpunkt  des  Körpers  geht,  oder  sind  überhaupt  die  Be- 
wegungs-Bedingungen des  Körpers  derartige,  dass  auf  die  verschiedenen 
Massentheile,  die  ihn  zusammensetzen,  Kräfte  von  verschiedener  Stärke  und 
Richtung  wirken,  so  tritt  im  allgemeinen  eine  Art  der  Bewegung  ein,  welche 
sich  am  einfachsten  darstellt  als  das  gleichzeitige  Bestehen  einer  gemeinsamen 
Fortbewegung  aller  Theile  des  Körpers  und  einer  Folge  von  freien  Drehungen 
desselben  um  eine  durch  den  Schwerpunkt  gehende  Axe. 

Ist  die  Gestalt  und  Zusammensetzung  des  Körpers  eine  sehr  regelmässige, 
z.  B.  die  einer  gleichmässig  dichten  Kugel,  so  ist  eine  unter  den  vorerwähnten 
Bedingungen  entstehende  freie  Drehung  um  eine  durch  den  Schwerpunkt 


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gehende  Axe,  während  sich  gleichzeitig  die  ganze  Kugel  fortbewegt,  eine  Er- 
scheinung von  entsprechender  Regelmässigkeit  und  Dauer,  solange  die  äusseren 
und  inneren  Bewegungs-Bedingungen  sich  nicht  ändern.  Die  freie  Drehungs- 
Axe  bewahrt  in  solchem  Falle  sowohl  im  Körper  als  im  Raume  eine  ebenso 
unveränderliche  Lage,  als  wenn  der  Körper  gezwungen  wäre,  sich  um  feste 
Zapfen  in  festen  Lagern  zu  drehen. 

Die  Voraussetzungen  einer  solchen  freien,  aber  äusserst  beständigen 
Drehungs-Bewegung  sind  beim  Erdkörper  sehr  nahe,  aber  doch  keineswegs 
mit  voller  Strenge  erfüllt. 

Wenn  nun  im  Verlaufe  einer  mit  freier  Drehung  verbundenen  Bewegung, 
wie  diejenige  der  Erde  ist,  die  äusseren  Bewegungs-Bedingungen  sich  ver- 
ändern, aber,  wie  es  bei  der  Erde  der  Fall  ist,  im  Vergleich  zu  den  vorhan- 
denen mittleren  Bewogungs-Bedingungen  nur  um  sehr  kleine  Beträge,  so  treten 
zwar,  wie  sich  leicht  erweisen  lässt,  Lagen-Aenderungcn  der  durch  den  Schwer- 
punkt gehenden  Drehungs-Axe  sowohl  gegen  feste  Richtungen  im  Körper 
als  im  umgebenden  Raume  ein,  aber  es  sind  unter  obigen  Voraussetzungen  die 
Lagen- Aenderungen  der  Drehungs-Axe  im  Körper  verschwindend  klein  gegen 
diejenigen,  welche  diese  Axe  zugleich  mit  dem  Körper  selbst  gegen  feste  Rich- 
tungen im  umgebenden  Raume  erleidet. 

Wenn  dagegen  im  Verlaufe  der  Bewegung  dio  inneren  Bedingungen 
derselben,  nämlich  dio  Massenvertheilung  und  die  Gestalt  des  bewegten 
Körpers,  sich  verändern,  aber  ebenfalls  nur  um  Beträge,  welche  im  Vergleich 
zu  den  obwaltenden  mittleren  Bedingungen  dieser  Art  sehr  geringfügig  sind, 
so  tritt  das  Entgegengesetzte  ein,  d.  h.  die  Lagen- Aenderungen  der  Drehungs- 
Axe  gegen  feste  Richtungen  im  Raume  sind  dann  verschwindend  klein,  und 
es  überwiegen  ihre  Lagen- Aenderungen  gegen  feste  Richtungen  im  Körper. 

Bisher  hatte  man  mit  Sicherheit  nur  solche  Lagen-Aenderungen  der 
Drehungs-Axo  der  Erde  erkannt,  welcho  dio  Folge  äusserer  Störungen  der 
Erd-Drehung  sind. 

Diese  äusseren  Störungen,  bestehend  in  den  Anziehungen  seitens  der  be- 
nachbarten Himmelskörper,  insbesondere  des  Mondes  und  der  Sonne,  wirken 
auf  die  verschiedenen  Massentheile,  welche  den  Erdkörper  zusarnmensetzen,  je 
nach  ihrer  Lage  zum  Monde  und  zur  Sonne  in  etwas  verschiedener  Stärke  und 
Richtung. 

Und  infolge  der  Abweichungen  der  Erdgestalt  von  der  Kugel,  sowie 
der  Abweichungen  der  Massenvertheilung  im  Erdkörper  von  einer  gleich- 
mässigen  Dichtigkeit  entsteht  aus  diesen  Störungen  ein  unablässiges,  zu  der 
schon  vorhandenen  Drehung  hinzukommendes  Drehungs-Bestreben  des  ganzen 
Erdkörpers  um  eine  durah  don  Schwerpunkt  gehende,  aber  nicht  mit  der  Axe 
der  vorhandenen  Drehung  zusammenfallcnde  Axe. 

Hierdurch  aber,  und  zugleich  durch  die  mit  den  veränderlichen  Stellungen 
des  Mondes  und  der  Sonne  zur  Erde  zusammenhängende  Veränderlichkeit  der 
bezüglichen  Störungen,  wird  eine  zusammengesetztere  Bewegung  der  Erde 
hervorgebracht,  bestehend  in  einer  langsamen  Lagen-Aenderung  ihrer  Drehungs- 
Axe  gegen  feste  Richtungen  im  Raumo,  und  zwar  gemäss  obigen  Erläuterungen 
verbunden  mit  sehr  kleinen  und  völlig  unbemerklich  bleibenden  periodischen 
Lagen-Aenderungen  derselben  im  Erdkörper. 

Ein  sehr  anschauliches  und  einfaches  Bild  solcher  Drehungsstörungen 
oder  zusammengesetzten  Drehungsbewegungen  bietet  der  gewöhnliche  Kreisel 
dar,  bei  welchem  die  künstlich  crtheilto  Drehung  durch  die  Schwerkraft  der 
Erde  eine  äussere  Störung  ganz  derselben  Art  erfährt,  wie  die  Drehung  der 
Erde  im  ganzen  und  grossen  im  Laufe  der  Jahrhunderte  durch  die  Anziehung 
der  Sonne  und  des  Mondes,  als  deren  mittleren  dauernden  Sitz  man  sich  ge- 


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112 


wissermassen  Massenringe  in  der  Ebene  der  Erdbahn  denken  kann.  Ganz  so, 
wie  die  Axe  des  Kreisels  in  einer  kegelförmigen  Fliehe  sich  langsam  um  die 
Richtung  der  Schwerkraft  — kurz  gesagt  die  Lothlinie  --  bewegt,  besehreibt 
auch  die  Drehungs-Axe  der  Erde  eine  ebensolche  Fläche  um  die  Richtung 
der  störenden  Kraft,  welche  man  in  diesem  Falle  gewissermassen  als  recht- 
winklig zur  Ebene  der  Erdbahn  annehmen  kann. 

Die  Gesararntheit  der  durch  alle  äusseren  Störungen  hervorgebrachten 
Bewegungen  der  Drehungs-Axe  der  Erde  gegen  feste  Richtungen  im  Raume, 
von  denen  die  vorstehend  erläuterte  Erscheinung  nur  den  sogenannten  mittleren 
Verlauf  — die  sogenannte  Präcessions-Bcwegung  oder  den  26000jährigen  Umlauf 
des  Poles  am  Sternenhimmel  — darstellt,  wird  gegenwärtig  bis  in  ihre  feinsten 
Züge  hinab,  welche  die  Astronomie  durch  unablässige  Bestimmungen  der 
Lage  des  Ruhepunktes  der  scheinbar  täglichen  Drehung  des  Sternenhimmels 
erforscht,  so  lichtvoll  und  erschöpfend  dargestellt  und  so  zutreffend  voraus- 
berechnet,  dass  man  schon  dieses  kleine  Gebiet  astronomischer  Erfolge  als 
einen  der  glänzendsten  Triumphe  menschlichen  Erkennens  feiern  könnte,  und 
dass  jeder,  welcher  von  dieser  täglichen  Bewährung  einer  komplicirten 
Theorie  nähere  Kenntniss  nimmt,  ein  für  allemal  gegen  Zweifel  an  dor  Solidität 
der  astronomischen  Grundlehren  gewappnet  ist. 

Während  die  Astronomie  und  die  Erdmessung  mit  vollem  Rechte  sich 
dieses  Verständnisses  der  äusseren  Störungen  der  Erddrehung  rühmen,  nehmen 
sie  keinen  Anstand  zu  erklären,  dass  ihr  Wissen  auf  dem  Gebiete  der  inneren 
Störungen  dieser  Drehung  noch  ein  sehr  unvollkommenes  ist. 

Streng  genommen  muss  bei  der  Erde  jede  Veränderung  der  Massen ver- 
theilung  eine  sogenannto  innere  Störung  der  Drehungs-Erscheinungen,  und 
zwar  obigen  Erläuterungen  gemäss  überwiegend  eine  Lagen-Aenderung  der 
Drehungs-Axe  gegen  Richtungen,  die  zum  Erdkörper  fest  sind,  bei  ver- 
schwindend kleiner  Lagen-Aenderung  gegen  Richtungen,  die  im  umgebenden 
Räume  eine  unveränderliche  Lage  haben,  hervorbringen.  Es  fragt  sich  nur, 
ob  die  auf  der  Erde  unablässig  vorkommenden  Veränderungen  der  Massen- 
vertheilung  erheblich  genug  sind,  um  für  die  feinsten  Winkelmessungen,  mit 
denen  wir  die  Lago  der  Drehungs-Axe  im  Erdkürper  bestimmen  können,  er- 
kennbar zu  werden. 

Besässen  diese  Winkelmessuugen  unbegrenzte  Feinheit,  so  müssten  alle 
Ortsveränderungen  irgend  eines  Masaentheils  des  Erdkörpere  auch  in  Lagen- 
Aenderungen  der  Erd-Axe  zur  Erscheinung  kommen. 

Welche  Wirkungen  dieser  Art  aber  durch  andauernde  Ortsveränderungen 
grösserer  Massen  -Bestandtheile  der  Erde  hervorgebracht  werden  können,  will 
ich  unten  durch  einige  Beispiele  näher  erläutern. 

Aber  auch  ohne  Ortsveränderungen  von  Bestandthcilen  des  Erdkörpers 
kann  schon  eine  gesetzmässige  Aenderung  der  Lage  der  Drehungs-Axe  im  Erd- 
körper eintreten.  Die  Theorie  der  freien  Drehung  beweist  nämlich,  dass  in 
Körpern  von  beliebiger  Gestalt  und  Zusammensetzung  die  Lage  der  durch  den 
Schwerpunkt  gehenden  Drehungs-Axe  (selbst  bei  Abwesenheit  nicht  blos  von 
äusseren  Störungen,  sondern  auch  von  inneren  Störungen  durch  Veränderung 
der  Massenvertheilung  im  Körper)  nur  dann  als  unveränderlich  betrachtet 
werden  darf,  wenn  die  Drehungs-Axe  mit  einer  der  drei  durch  den  Schwerpunkt 
gelegten,  sogenannten  Ilauptträgheits-Axen  zusammenfällt.  (Wir  wollen  die- 
selben mit  manchen  Autoren  kürzer  als  dio  Haupt-Axon  bezeichnen.) 

Die  Lage  dieser  Haupt-Axen  in  einem  Körper  von  beliebiger  Gestalt 
und  Zusammensetzung  wird  durch  mathematische  Bedingungen  bestimmt,  deren 
Erörterung  hier  zu  weit  führen  würde.  Experimentell  kann  man  die  Lage 
derselben  unter  Umständen  gerade  mit  Hilfe  der  vorerwähnten  besonderen  Be- 


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113 


deutung  bestimmen,  welche  sie  für  die  Beständigkeit  einer  freien  Drehung 
besitzen. 

Bei  einem  gleichmässig  dichten  Ellipsoid  mit  drei  ungleichen  Figur-Axen 
fallen  die  drei  Haupt-Axon  mit  den  drei  Figur-Axen  zusammen.  Bei  einem 
zweiaxigen  Ellipsoid,  welchem  die  Krdgestalt  am  nächsten  zu  entsprechen 
scheint,  fallt  unter  der  Voraussetzung  gleichmässigor  Dichtigkeit  eine  derHaupt- 
Axen  mit  dem  kleinsten,  durch  den  Mittelpunkt  des  Ellipsoids  gelegten  Durch- 
messer der  Figur  zusammen,  während  die  beiden  anderen  Haupt-Axen  recht- 
winkelig dazu  und  rechtwinklig  unter  einander  jede  beliebige  Lage  haben 
können. 

Die  Drehungs-Axe  des  Erdkörpors  scheint  jedenfalls,  wie  man  nach  dem  in 
der  Vergangenheit  beobachteten  Beständigkeitsgrade  ihrer  Lage  in  diesem  Körper 
schüessen  durfte,  mit  einer  der  Haupt-Axen  der  Erde  sehr  nahe  zusamroenzu- 
fallen.  Man  drückte  dieses  bisherige  ßeobachtungscrgebniss  gewöhnlich  so 
aus,  dass  man  sagte:  Die  Gestalt  der  Erde  entspricht  sehr  nahe  derjenigen  eines 
zweiachsigen  Ellipsoides,  dessen  kleinere  Axe  mit  der  Drehungs-Axe  der  Erde 
zusammen  fällt. 

Im  Laufe  der  letzten  Jahrzehnte  hat  man  aber  auf  mehreren  Sternwarten, 
mit  besonderer  Stetigkeit  und  Sorgfalt  in  Pulkowa,  mit  Hülfe  sehr  zahlreicher 
und  verfeinerter  Messungen  des  zwischen  dem  Ruhopunkt  der  scheinbar  täg- 
lichen Drehung  des  Sternenhimmels  und  dem  Scheitelpunkt  des  ßeobachtungs- 
ortos  stattfindenden  Abstandes,  mit  andern  Worten  des  Winkels  zwischen  der 
Drehungs-Axe  und  der  Lothrichtung,  begonnen,  die  ganze  Frage  an  der  Hand 
der  Drehungs-Theorie  noch  eingehender  als  früher  zu  untersuchen. 

Die  Theorie  zeigt  nämlich,  dass  kleine  Abweichungen  der  Lage  der 
Drehungs-Axe  von  der  benachbarten  Haupt-Axe  sich  durch  periodische  Be- 
wegungen der  erstoren  um  die  letztere,  welche  selber  bei  der  Voraussetzung 
der  Unerheblichkeit  aller  vorkommenden  Veränderungen  der  Massenverthei- 
lung  eine  feste  Lage  im  Körper  haben  würde,  erkennbar  machen  müssen,  und 
zwar  durch  Bewegungen  in  einer  kegelförmigen  Fläche,  deren  Axe  die  benach- 
barte Haupt-Axe  bildet,  und  mit  einer  Umlaufszeit  von  nahezu  10  Monaten. 

Da  nun  die  Lothrichtungen  an  solchen  Orten  der  Erdoberfläche,  in  deren 
Nähe  keine  erheblichen  Veränderungen  der  Massenvertheil ung,  z.  B.  keine 
starken  periodischen  Veränderungen  der  Wasserhöhe  durch  Ebbe  und  Fluth 
stattfinden,  als  nahezu  unveränderlich  betrachtet  werden  dürfen,  sogar  in 
etwas  höherem  Grade  als  die  Lago  der  Haupt-Axen,  so  könnte  jene  zehnmonat- 
liche Bewegung  der  Drehungs-Axe  in  einer  entsprechenden  Schwankung  des 
Abstandes  des  Ruhepunktes  der  scheinbaren  täglichen  Drehung  des  Sternen- 
himmels vom  Scheitelpunkte  (welcher  Abstand  nichts  Anderes  als  die  Ergänzung 
der  geographischen  Breite  zu  einem  rechten  Winkel  ist)  Hehr  wohl  zu  Tage  treten. 

Mehr  oder  minder  deutliche  Spuren  solcher  Veränderungen  haben  sich 
nun  in  den  letzten  Jahrzehnten  aus  feinen  Messungen  ergeben,  aber  zugleich 
gewisse  Unregelmässigkeiten  des  Verlaufes  derselben,  welche  man  bisher  noch 
nicht  enträthseln  konnte.  Das  ganze  Spiel  der  Veränderungen  schien  jedenfalls 
in  der  zchDmonntlichen  Periode  dio  Grenze  von  einigen  Hundcrtoln  der  Sekunde 
nicht  zu  überschreiten,  so  dass  es  vollkommen  erklärlich  war,  dass  dieselben 
früher  noch  nicht  beachtet  worden  waren.  Dagegen  zeigten  sich,  als  man  nun 
neuere  Bestimmungen  der  geographischen  Breiten  mit  älteren,  um  ein  Jahr- 
hundert oder  mehrere  Jahrzehnte  zurückliegenden,  verglich,  Spuren  von  fort- 
schreitenden Veränderungen  derselben,  welche  etwa  eine  Sekunde  im  Jahr- 
hundert zu  erreichen  schienen,  aber  wogen  gewisser  Unsicherheiten  des  bei 
den  früheren  Beobachtungen  ausschliesslich  befolgten  Verfahrens  noch  nicht 
als  vollkommen  beweiskräftig  gelten  konnten. 


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Indessen  wurde  durch  alle  diese  Andeutungen  die  Frage  nahe  gelegt, 
ob  denn  nicht  schon  die  augenscheinlich  auf  der  Erdoberfläche  vorgehenden 
Ortsveränderungen  grösserer  Massen,  ganz  abgesehen  von  der  Ebbe  und  Fluth, 
bei  welcher  schon  infolge  der  schnellen  Periodicität  der  Bewegungen  die 
Sache  anders  liegt,  merkliche  Lagen-Aenderungen  der  Drehungs-Axe  im  Erd- 
körper verursachen  könnten.  Scherzweise  ist  einmal  von  Dovc  geäussert  worden, 
einer  etwaigen  Zunahme  der  Anschwellung  der  Erde  nach  dem  Aequator  hin 
werde  durch  den  überwiegenden  Export  von  Kaffee,  Zucker  u.  dergl.  aus  den 
Tropen  nach  den  gemässigten  Zonen  entgegenwirkt  Aber  es  sind  über  ver- 
wandte Fragen  auch  schon  ganz  ernste  Untersuchungen  von  den  hervorragend- 
sten Forschern  angestellt  worden  (u.  A.  von  Bosse  1 im  5.  Band  der  Zeitschrift 
für  Astronomie). 

Nun,  was  der  Mensch  transportirt,  wird  wohl  noch  auf  lange  Zeit  hinaus 
keine  für  unsere  feinsten  Winkclmcssungon  merklichen  Lagen-Aenderungen 
der  Erd-Axe  hervorbringen.  Qanz  anders  steht  es  mit  den  Maasen-Transporten, 
welche  das  grosse  System  der  Strömungen  in  Luft,  Meer  und  Flüssen  auf  der 
Erde,  einschliesslioh  der  GcBtaltänderungen  der  sogenannten  festen  Bestand- 
theilo  selber,  sowohl  unablässig  fortschreitend,  als  mitunter  auch,  so  zu  sagen, 
akut  in  gewaltigen  Katastrophen  zu  Wege  bringt,  ohne  dass  letzteren  Falles  in 
kurzer  Frist  eine  Ausgleichung  durch  Transporte  entgegengesetztenSinnes  erfolgt. 

Zu  don  chronischen  Wirkungen  dieser  Art  sind  vorzugsweise  zu  rechnen 
langsam  fortschreitende  oder  rückgängige  Entwickelungen  der  Vereisung  der 
Polargegenden,  ferner  die  enormen  Ablagerungen,  welche  die  Flüsse  von  den 
Gebirgen  herab  bis  in  die  Nähe  der  Mündungen  transportiren.  Um  eine  Idee 
von  der  Grösse  der  Massen-Transporto  zu  geben,  welche  z.  B.  durch  grosse 
Flüsse  bewirkt  werden,  erwähne  ich  nur,  dass  der  Mississippi  alljährlich  in  der 
Nähe  seiner  Mündung  etwas  mehr  als  200  Millionen  Kubikmeter  ablagert 

Hinsichtlich  der  akuten  Wirkungen  ist  besonders  zu  denken  an  mächtige 
Regengüsse  und  vor  allem  an  so  weit  verbreitete  und  massenhafte  Schneefälle, 
wie  sie  z.  B.  in  den  letzten  Wintern  stattgefunden  haben.  Dieselben  stellen 
die  Ueberführung  und  andauernde  Ablagerung  sehr  grosser  Wassermengen 
aus  den  tropischen  Meeren  über  grosse  Flächen  der  gemässigten  und  polaren 
Zonen  dar. 

Theoretische  Untersuchungen  und  Berechnungen  über  die  möglichen 
Wirkungen,  welche  solche  Veränderungen  der  Massenvertheilung  auf  die  Lago 
der  Drehungs-Axe  im  Erdkörper  haben  können,  sind  vorzugsweise  von  Herrn 
Prof.  Gylden,  jetzt  in  Stockholm,  sodann  von  Sir  William  Thomson  in 
Glasgow  und  von  Herrn  G.  H.  Darw'in  in  Cambridge  (England),  endlich  in 
besonders  lichtvoller  Weise  von  Herrn  Prof.  Helmert,  jetzt  in  Berlin,  ausge- 
führt worden.  (Nach  diesen  Vorgängen  habe  auch  ich  diese  und  verwandte 
Fragen  in  einer  kleinen  Monographie  behandelt.) 

Die  Rechnung  orgiebt  mir  unter  anderem,  dass,  wenn  auf  einmal  die 
ganze  Fläche  des  europäisch-asiatischen  Russlands  mit  einer  Wasser-  oder 
Eisschicht  von  10  Centimeter  Höhe  bedeckt  wird,  die  Drehungs-Axe  der  Erde 
hierdurch  allein  eine  mittlere  Lagen-Aenderung  von  nahezu  A Hundertein  der 
Sekunde  in  solchem  Sinne  erfahren  muss,  dass  sich  die  mittlere  Lage  des 
Nordpols  der  Axe,  bedingt  durch  die  Lage  der  benachbarten  Haupt-Axe,  uni 
etwa  1 Meter  nach  der  Seite  der  Hudsons-Bai  hin  bewegt,  während  ihre  Lago 
im  Raume,  also  auch  die  Lage  des  Ruhepunktes  der  scheinbaren  täglichen 
Drehung  des  Sternenhimmels  am  Firmament  unverändert  bleibt.  Erfolgte  jene 
Ablagerung  in  der  Form  von  Schnee,  so  müsste  die  Höhe  jener  Schicht,  wegen 
der  geringen  Dichtigkeit  des  letzteren,  namhaft  grösser  sein,  um  dieselbe 
Wirkung  hervorzubringen. 


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Eine  andere  Rechnung  ergiebt,  dass  eine  zeitweise  Erhöhung  des  Wasser* 
Standes  im  Mittelmecro  um  1 Meter  eine  Lagen- Aenderung  der  Drehungs-Axe 
um  3 bis  4 Hundertel  der  Sekunde  verursachen  würde,  ein  Betrag,  der  gerade 
an  der  Grenze  des  zur  Zeit  Messbaren  liegt. 

Das  Gesamt-  Ergebnis»  aller  solcher  bisherigen  Rechnungen  besteht 
darin,  dass  Wirkungen  jener  Art  allerdings  bis  in  das  Gebiet  des  für  uns 
Messbaren  empordringen  können,  dass  es  aber  dazu  doch  ausserordentlich  ge- 
waltiger Vorgänge  bedarf,  welche  jedenfalls  nicht  häufig  und  selten  derartig 
Vorkommen,  dass  nicht  eine  gewisse  Ausgleichung  durch  Gegenwirkungen  in 
anderen  Theilen  der  Erde  erfolgen  könnte. 

Bei  dieser  Sachlage  musste  es  um  so  wichtiger  erscheinen,  alle  Messungen, 
welche  Licht  auch  auf  solche  Veränderungen  der  Lage  der  Erd-Axe  werfen 
konnten,  aufs  eifrigste  fortzusetzen  und  womöglich  zu  verfeinern. 

Unsere  Zeitschrift  freut  sich  in  weiteren  Kreisen  ausserhalb  der  Fach- 
genossenschaft die  ersto  Mittheilung  machen  zu  können,  dass  dies  mit  beson- 
derem Erfolge  neuerdings  auf  der  Berliner  Sternwarte  geschehen  ist  und  zwar 
von  Seiten  des  zweiten  Observators  derselben,  Herrn  Dr.  Friedrich  Kästner, 
ln  einer  soeben  veröffentlichten  Arbeit  desselben  „Ueber  eine  neue  Methode 
zur  Bestimmung  der  Aberrations-Constanto  nebst  Untersuchungen  Uber  die 
Veränderlichkeit  der  Polhöhe“  ist  mit  einer  bisher  nicht  erreichten  Strenge 
der  Messung  der  Nachweis  geführt,  dass  sowohl  in  dem  Zeiträume  vom  Früh- 
jahr 1 8S1  zum  Frühjahr  18S2,  als  vom  Frühjahr  1884  zum  Frühjahr  1885  eine 
Veränderung  der  geographischen  Breite  von  Berlin  um  nahezu  *20  Hundertel 
der  Sekunde  und  zwar  in  beiden  Fällen  eine  Abnahme  derselben  stattgefunden 
hat.  Damit  ist  nicht  gesagt,  dass  die  beiden  gleichgerichteten  Acnderungen 
sich  addirt  haben  müssen,  denn  es  können  sehr  wohl  in  der  Zwischenzeit, 
aus  welcher  noch  keine  genauen  Beobachtungen  dieser  Art  vorliegen,  Gegen- 
wirkungen, bestehend  in  kleiaen  Vergrösser ungen  der  geographischen  Breite, 
stattgefunden  haben,  w’orauf  die  Berliner  Beobachtungen  dadurch  hindeuten, 
dass  der  mittlere  Worth  der  geographischen  Breite  in  der  Epoche  1881/1882 
fast  genau  mit  dem  mittleren  Werthe  derselben  in  der  Epoche  1 884/1 88. > 
übereinstimmt. 

Der  Sachverhalt  bei  allen  akuten  (oder  stossweison)  Anlässen  zu 
Lagen-Aenderungen  der  Drehungs-Axe  im  Erdkörper  ist  im  wesentlichen 
der  folgende:  Durch  die  Veränderung  der  Massen vertheilung  ändert  zunächst 
das  Haupt-Axen-System  seine  Lage  im  Erdkörper,  und  nun  beginnt  sich  im 
Erdkörper  die  Drehungs-Axe  um  die  neue  Lage  der  benachbarten  Haupt-Axe 
in  der  zehnmonatlichen  Periode  in  einer  kegelförmigen  Fläche  zu  bewegen, 
während  sie  zugleich  im  Raume  eine  beständige  Lage  bewahrt.  Etwas  anders 
liegt  die  Sache  dagegen  bei  regelmässigen  fortschreitenden  Aenderungen  der 
Massenvertheilung,  welche  die  Wirkung  haben,  dass  die  Lagen-Aenderungen 
der  fraglichen  Haupt-Axe  »ich  der  unveränderlichen  Lage  der  Drehungs-Axe 
im  Raume  nahezu  anpassen,  so  dass  durch  solche  Lagen-Aenderungen  im 
Körper  die  Spannweite  der  zehnmonatlichen  Bewegung  nicht  erheblich  ge- 
ändert werden  kann,  obwohl  dabei  die  Lago  der  Lothrichtungen  gegen 
die  der  Bewegung  der  Haupt-Axe  folgende  Drehungs-Axe  sich  im  allgemeinen 
fortschreitend  ändern  muss. 

In  allen  Fällen  knüpft  sich  also  die  Veränderung  des  mittleren,  niclit- 
periodischcn  Werthes  der  geographischen  Breite  an  die  jeweilige  neue  Lago 
der  bezüglichen  Haupt-Axe. 

Was  nun  die  obigen  akuten  Wirkungen  betrifft,  so  kann  man  hinsichtlich 
des  Verlaufes  der  aus  denselben  hervorgehenden,  jeweilig  verstärkten  oder  ein- 
geschränkten periodischen  Veränderungen  der  geographischen  Breiten  unter 
Himmel  und  Erde,  1868.  II.  9 


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allen  mögliche»  Fällen  zwei  Huuptgruppeu  unterscheiden,  l»ei  denen  der  Ver- 
lauf sich  verhältnissmässig  einfach  darstollt. 

Hat  die  Lagen-Aenderung  der  Haupt-Axe  in  der  Richtung  des  Meridians 
des  Beobachtungsortes,  gleichviel  ob  nach  ihm  hin  oder  von  ihm  hinweg, 
stattgefunden,  so  wird  die  sofort  beginnende  sehnmonat liehe  Bewegung 
der  Drehungs-Axe  um  die  neue  Lago  der  Haupt-Axe  5 Monate  nach  dem 
Kintritt  der  Veränderung  der  Massenvorthoilung  die  grösste  Aenderung 
der  geographischen  Breite  bewirken,  und  zwar  gleich  dem  Doppelten  des  Be- 
trages, welcher  in  den  obigen  Beispielen  für  die  Lagen-Aenderung  der  Haupt- 
Axe  oder  die  grösste  dadurch  mögliche  Veränderung  der  mittlerem  geo- 
graphischen Breite  eines  Beobachtungsortes  gefunden  worden  ist.  Zehn  Monate 
nach  dem  Kintritt  der  Störung  wird  dagegen  unter  vorstehenden  Voraus- 
setzungen die  geographische  Breite  wieder  ihren  früheren  Worth  haben.  Hat 
dagegen  dio  Lagen-Aenderung  der  Haupt-Axe  rechtwinklig  zu  der  Meridian- 
Ebene  des  Beobachtungsortes  stattgefunden,  so  wird  in  der  geographischen 
Breite  die  grösste  Wirkung  der  Störung  2 1/2  und  71/,  Monate  nach  dem  Eintritte 
der  letzteren  sich  zeigen,  aber  die  Abweichungen  von  dem  A nfangswerthe 
werden  das  eine  Mal  positiv,  das  andere  Mal  negativ,  sich  nur  gleich  dem  Be- 
trage der  Lagen-Aenderung  der  Haupt-Axe  selber  ergeben. 

Anders  wird  es  sich  mit  den  Veränderungen  der  geographischen  Längen 
verhalten,  welche  inan  aber  jetzt  noch  kaum  genau  genug  für  Untersuchungen 
vorliegender  Art  bestimmen  kann. 

Der  ganze  eben  dargelegle  Verlauf  der  Sache  kann  aber  in  beliebigen 
Zeitpunkten  wieder  dadurch  abgeändert  werden,  dass  eino  neue  Störung  ähn- 
licher Art.  aber  von  anderer  Richtung  und  Grösse  eintritt.  Hierdurch  kann 
der  weitere  Fortgang  der  zehnmonatlichen  Bewegung  unter  Umständen  zur 
Ruhe  gebracht,  unter  Umständen  aber  auch  erweitert  werden,  je  nachdem  die 
neue  Störung  eine  Annäherung  oder  eine  Verstärkung  der  Abweichung  der 
neuen  Lage  der  Haupt-Axe  von  der  im  Erdkörper  in  jener  Bewegung  begriffenen 
I )rehungs-Axo  hervorbringt. 

Man  erkennt  sofort,  dass  das  ganze  Erscheinungs-Gebiet  nur  durch  un- 
ablässige, möglichst  gleichzeitige  Beobachtungen  an  zahlreichen  wohl  vertheilten 
Punkten  der  Erdoberfläche  zu  umfassen  sein  wird,  dass  dasselbe  fast  uner- 
gründlich reich  sein  wird  an  weiteren  Problemen,  zugleich  aber  auch  an  Auf- 
schlüssen über  viele  bekannte  und  noch  unbekannte  Veränderungen  der 
Massenvertheilungen  in  den  verschiedensten  Regionen  des  Erdkörpers. 

Es  leuchtet  ein,  dass  auch  für  die  ganze  Beobachtungskunst  der  Astro- 
nomie und  der  Erdmessung  diese  Angelegenheit  epochemachend  ist. 

Die  Wissenschaft  hat  sich  zu  beglückwünschen,  dass  es  gelungen  ist, 
die  internationale  Organisation  der  Erdmessung  vor  zwei  Jahren  vor  dem  Zer- 
fall zu  bewahren  und  sogar  zu  kräftigen  und  zu  erweitern:  denn  ohne  diese 
Organisation,  welche  schon  im  Jahre  ISSÖ  in  ihrer  General-Konferenz  zu  Rom 
die  ersten  Schritte  zu  einer  geordneten,  gemeinsamen  Behandlung  der  vor- 
liegenden Frage  gethan  hat,  würde  es  nicht  möglich  sein,  dio  ganze  wichtige 
Untersuchung  in  einigermassen  Erfolg  vet sprechender  Weise  baldigst  weiter- 
zuiühren. 


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Beilage  zu  .Himmel  und  Erder  1-Jalirgaivg  2.H*rft 


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Die  Sonnenfinsternis*  vom  19.  August  1887  und  die  Sonneucoroua. 

Der  helle  Lichtschimmer,  welcher  wahrend  der  totalen  Sonnenfinsternisse  die 
dunkle  Mondscheibe  umgiebt,  bleibt  bis  jetzt  eine  ganz  unerklärte  Erschei- 
nung — ein  Räthsel  für  den  Astronomen  und  Physiker.  Viele  Hypothesen 
sind  in  den  letzten  Jahrzehnten,  seitdem  man  die  Corona  zu  beobachten  an- 
gefangen hat,  für  die  Erklärung  dieses  seltsamen  Phänomens  von  verschiedenen 
Astronomen  vorgeschlagen  worden,  aber  keine  derselben  lässt  sich  init  der 
Gesamtheit  der  über  die  Corona  bekannten  Thatsachen  gut  in  Einklang 
bringen.  Desshalb  wird  jede  neue  totale  Sonnenfinsterniss  mit  immer  steigendem 
Eifer  aufs  sorgfältigste  beobachtet;  keine  Gelegenheit  wird  versäumt,  um  die 
Ergebnisse  der  früheren  Untersuchungen  zu  vervollständigen  und  zu  prüfen, 
lind  neue  Data  zu  gewinnen,  welche  über  die  Natur  dieses  Lichtschimmers 
Aufschluss  zu  geben  vermögen. 

Dio  totale  Sonnenfinsterniss  vom  19.  August  1S87  erregte  viele  Hoffnungen 
in  den  Kreisen  der  Astrophysiker.  In  der  That  waren  die  astronomischen 
Verhältnisse  derselben  ganz  ausnahmsweise  günstig.  Da  der  grösste  Theil  des 
Erdballs  von  Weltmeeren  eingenommen  wird,  so  ist  es  sehr  natürlich,  dass 
gewöhnlich  die  Totalitätszone  einer  Sonnenfinsterniss  über  dem  Ocoan  liegt, 
so  dass  uur  wenige  Punkte  (Inseln  u.  dgl.)  dieser  Zone  von  Beobachtern  benutzt 
werden  können,  und  sehr  oft  befinden  sich  die  für  dio  Beobachtung  günstigen 
Gegenden  in  weit  entfernten,  uncivilisirten  Ländern,  so  dass  die  Aufgabe  der 
Astronomen  sehr  beträchtlich  erschwert  wird.  Bei  der  Finsterniss  des  vorigen 
Jahres  verlief  im  Gegentheil  die  Total itätszo ne  auf  einer  Strecke  von  über 
1000  Kilometern  inmitten  des  europäischen  Continents;  in  wenigen  Tagen  konnte 
man  aus  einer  europäischen  Sternwarte  jeden  beliebigen  Punkt  dieser  Zone 
1 *is  weit  in  Sibirien  hinein,  auf  Eisenbahnen  und  Flussdampferti  erreichen; 
die  Zahl  der  Stationen,  auf  welchen  wohlausgerüstete  Expeditionen  am  Morgen 
dieses  Tages  bereit  waren,  die  Umgebungen  der  Sonne  mit  vortrefflichen  In- 
strumenten zu  durchforschen,  war  eine  ungemein  grosse,  und  inan  konnte  noch 
einen  wichtigen  Beitrag  zu  diesen  speciellen  Untersuchungen  von  Seiten  der 
Tausende  von  Laien  erwarten,  welche  in  dieseu  dicht  bevölkerten  Gegenden 
die  Finsternis«  zu  Hause  sehen  sollten,  oder  derjenigen,  welche  für  den  Tag 
der  Sonnenfinsterniss  aus  Nord  und  Süd  in  die  Totalitätszone  übergewandert 
waren. 

Nun  ist,  wie  bekannt,  die  grösste  Zahl  der  geplanten  Untersuchungen 
wegen  unglücklichen  Wetters  ganz  vereitelt  worden.  Trotzdem  bezeichnen 
aber  die  wenigen  Resultate,  welche  man  doch  an  einigen  Orten  erhalten  konnte, 
einen  wichtigen  Schritt  in  unserer  Erkenntnis«  der  Corona,  wie  wir  es  gleich 
sehen  werden.  Bevor  wir  aber  die  Ergebnisse  dieser  Sonnenfinsterniss  besprechen, 
wollen  wir  einen  kurzen  Ueberblick  über  die  gegenwärtig  in  Bezug  auf  die 
Beschaffenheit  der  Sonnencorona  herrschenden  Ansichten  werfen. 

Dio  Gesamtheit  der  für  die  Erklärung  der  Corona  vorgeschlagenen 
Hypothesen  lässt  sich  in  drei  Gruppen  vereinigen. 

Einige  glauben,  dass  die  Corona  eine  die  Sonne  umhüllende  Atmosphäre 
ist,  welche  sich  auf  sehr  beträchtliche  Entfernungen  von  der  Oberfläche  der 
Sonne  ausbreitet.  Diese  Atmosphäre  besteht  aus  glühenden  leichten  Gasen, 
von  denen  einige  auf  unserem  Planeten  fehlen,  und  vielleicht  noch  viel  dünner 
sind  als  das  leichteste  der  uns  bekannten  Gaae  — der  Wasserstoff.  Heftige 
Bewegungen  durch  wühlen  diese  feurige  Masse,  und  die  Vorgänge  auf  der 
Sonnenoberfläche  haben  einen  nicht  zu  verkennenden  Einfluss  auf  den  Zu- 
stand dieser  dünnen  Gashülle:  auf  sehr  grosse  Höhen,  weit  von  der  strahlenden 
Photosphäre,  entstehen  in  der  Corona  chemische  Verbindungen  zwischen  den 
sie  bildenden  Gasen;  einige  von  ihnen  können  dabei  in  den  flüssigen  oder 

9* 


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sogar  festen  Zustand  übergehen,  in  welchem  sie  auf  die  Oberfläche  der  Sonne 
herabfallen,  einen  fortwährenden  Hegen  bildend,  welcher  aber  beim  Nieder- 
fallen wieder  zerlegt,  verdampft,  verflüchtigt  und  in  grosse  Höhen  zurück- 
geschleudeit  wird. 

Andere  sehen  in  der  Corona  das  von  den  die  Sonne  umkreisenden 
Meteorschwärmen  rcfloktirte  Sonnenlicht,  zu  welchem  sich  noch  das  eigene 
Licht  der  in  unmittelbarer  Nachbarschaft  der  Sonne  kreisenden  und  von  ihr 
bis  zum  Glühen  erhitzten  Partikeln  des  kosmischen  Staubes  gesellt.  Die 
Meteore,  welche  uin  die  Sonne  parabolische  oder  hyperbolische  Bahnen  be- 
schreiben, bilden  in  ihrer  Gesamtheit  um  dieselbe  eine  Art  immer  wechselnder 
Staub-Atmosphäre,  welche  uns  das  Licht  der  Sonne  reflektirt  und  so  während 
der  Sonnenünsterniss  als  Corona  erscheint. 

Einige  dieser  kosmischen  Meteore  können  dabei  nicht  nur  erhitzt,  sondern 
auch  wohl  geschmolzen  und  verdampft  werden,  so  dass  wir  in  der  meteorischen 
Wolke,  welche  die  Corona  bildet,  alle  drei  Aggregationszustände  treffen  können. 

Endlich  behaupten  einige  Astrophysiker,  dass  eine  Sonnencorona  über- 
haupt gar  nicht  existire,  dass  diese  ganze  Erscheinung  nur  ein  optisches  Phä- 
nomen sei  und  also  gar  nicht  die  Aufmerksamkeit  verdiene,  welche  ihr  von 
so  vielen  Beobachtern  gewidmet  wird.  Die  Anhänger  dieser  Theorie  wollen 
in  den  DifTractions-  oder  ähnlichen  Erscheinungen  die  Erklärung  der  Sonnen- 
corona Anden. 

Um  nun  zwischen  diesen  so  verschiedenen  Meinungen  entscheiden  zu 
können  und  das  Räthsel  der  Beschaffenheit  der  Corona  zu  lösen,  wird  während 
der  wenigen  Minuten,  in  welchen  uns  eine  totale  Sonnenflnstcrniss  die  Um- 
gebung der  Sonne  zu  sehen  erlaubt,  das  Licht  der  Corona  mit  allen  der 
Wissenschaft  zu  Gebote  stehenden  Hilfsmitteln  untersucht.  Die  Form  und 
Struktur  der  Corona  wird  teleskopisch  beobachtet,  sie  wird  gezeichnet  und  pho- 
tographirt,  die  Intensität  ihres  Lichtes  wird  photometrisch  gemessen,  ihre  che- 
mische Zusammensetzung  und  physikalische  Beschaffenheit  mittelst  des  Spectro- 
scops  untersucht  und  die  Polarisation  ihres  Lichtes  mit  Hilfe  von  Polariscopen 
und  Polarimetern  nach  ihrer  Richtung  bestimmt  und  nach  ihrer  Quantität 
gemessen.  Für  die  Sonnenfinsternis  des  vorigen  Jahres  hatte  man  noch  Vor- 
bereitungen getroffen,  um  aus  der  Verschiebung  der  spectrischen  Linien  im 
Spectrum  der  Corona  über  ihre  Bewegung  Aufschluss  zu  erhalten. 

Für  die  Begründung  oder  Verurtheilung  der  ersten  der  drei  oben  ange- 
deuteten Hypothesen  würde  es  von  ausserordentlicher  Wichtigkeit  sein,  die 
Richtung  und  Geschwindigkeit  der  Bewegung  in  verschiedenen  Theilen  der 
Corona,  am  Aequator  und  an  den  Polen,  dicht  am  Sonnenrande  und  in  einiger 
Entfernung  von  demselben,  zu  messen;  so  könnte  sogar  diesos  ein  „Experi- 
mcntuin  crucis-  für  diese  Hypothese  werden.  Leider  konnte  Prot  Egorof  in 
Nikolskoie  (Gouv.  Moskau)  sein  Spcctroscop,  welches  für  diesen  Zweck  einge- 
richtet war,  nicht  benutzen,  weil  die  Sonne  sich  mit  ihrer  Corona  während 
der  Finsterniss  hinter  einer  dicken  Wolkenschicht  verborgen  hatte,  welche 
jegliche  Beobachtung  verhinderte. 

Für  die  Beurthcilung  der  zweiten  Hypothese  würden  polarimetrische 
Messungen,  welche  die  Quantität  des  in  dem  coronalen  Lichte  enthaltenen 
reflectirten  Sonnenlichtes  ergeben  können,  von  grosser  Wichtigkeit  sein.  Aber 
es  konnte  auch  das  Polarimeter,  mit  welchem  u.  a.  ich  in  SorviBhskaia  (Gouv. 
Viatka,  Ostrusslund)  die  Polarisation  des  Lichtes  der  Corona  in  verschiedenen 
Punkten  derselben  zu  messen  beabsichtigte,  auch  wegen  sehr  ungünstiger 
Witterung  nichts  leisten. 

Endlich  ist  für  die  dritte  Hypothese  wichtig  die  Form  der  Corona  und 
die  Stabilität  dieser  Form  kennen  zu  lernen,  und  in  dieser  Hinsicht  geben 


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119 


uns  tlie  photographischen  Aufnahmen  und  die  Zeichnungen  der  Corona  reich- 
liches Material. 

Es  ist  Herrn  N.  Chamantof  gelungen,  in  Krasnojarsk  (Ost-Sibirien) 
eine  Reihe  von  14  vortrefflichen  photographischen  Aufnahmen  der  Sonnen- 
corona zu  erhalten,  deren  wissenschaftliche  Bedeutung  noch  in  hohem  Masse 
erhöht  wird  durch  den  Vergleich  mit  einigen  anderen  einzelnen  Photographien, 
welche  während  derselben  Finsterniss  an  der  Küste  des  stillen  Ocoans  (Buchte 
Possjet),  auf  dem  Ural,  in  West-Russland  (Polozk)  etc.  erhalten  worden  sind. 
Mit  denselben  können  noch  die  vielen  Haudzeichnungcn  (etwa  100)  verglichen 
werden,  welche  an  die  russische  physikalische  Gesellschaft  von  der  ganzen 
Strecke  der  Totalität  eingelaufen  sind.1) 

Vergleicht  man  nun  die  Photographien  von  Hern»  Chamantof  mit- 
einander und  mit  anderen,  welche  in  tausenden  von  Kilometern  von  Krasnojarsk 
nach  Westen  und  nach  Osten  entfernten  Ortschaften  aufgenommen  wurden,  so 
Findet  man  zwischen  ihnen  eine  so  grosse  Aehnlichkoit,  wie  man  es  kaum 
nach  den  herrschenden  Ansichten  über  die  Unbestimmtheit  und  Unstabilität 
der  coronalen  Formen  erwarten  konnte.  Dieses  liefert  aber,  nach  unserer 
Meinung,  einen  entschiedenen  Beweis  gegen  die  dritte,  optische  Hypothese 
über  den  Ursprung  der  Corona. 

Freilich  könnte  man  aus  einem  flüchtigen  Blicke  auf  die  vielen  einge- 
sandten  Zeichnungen  der  Corona  zu  einer  ganz  entgegengesetzten  Schluss- 
folgerung gelangen,  denn  in  der  Thal  giebt  jede  Zeichnung  ein  von  allen 
anderen  abweichendes  Bild  der  Corona.  Aber  wenn  man  das  in  den  Zeich- 
nungen enthaltene  Material  behandeln  will,  so  muss  man  die  Umstände  nicht 
vergessen,  bei  welchen  sie  entworfen  worden  sind.  Es  ist  nicht  leicht,  ja  kaum 
möglich,  in  dem  Zustande  der  Nervosität,  welche  sich  beinahe  aller  Menschen 
während  einer  totalen  Sonnenfinsterniss  bemächtigt,  im  Dunkel  der  kaum  2 — 3 Mi- 
nuten andauernden  Finsterniss,  nach  der  Natur  ein  Bild  zu  skizziren  von  einer  so 
wunderlichen  Erscheinung,  wie  die  Sonneucorona,  die  man  zum  ersten  Male  im 
Leben  sieht,  deren  Gestalt  so  unbestimmt  dem  Auge  erscheint,  deren  Licht  so 
allmählich  mit  der  Entfernung  von  dem  Sonnenrande  schwindet.  Man  weiss 
nicht,  was  man  beobachten  soll:  Einer  wird  die  allgemeinen  Umrisse  der  Co- 
rona abzubilden  versuchen,  einem  Anderen  wirft  sich  irgend  ein  langer  oder 
breiter  Strahl  derselben  in  die  Augen,  und  er  zeichnet  ihn,  ohne  den  anderen 
Eigentümlichkeiten  der  Corona  Aufmerksamkeit  zu  schenken;  ein  Dritter 
findet,  dass  die  nicht  radiale  Richtung  einiger  Strahlen  das  Merkwürdigste  des 
ganzen  Phänomens  sei,  und  er  bemüht  sich,  dieselbe  auf  seinem  Bilde  schaiT 
zu  betonen;  — so  entstehen  Zeichnungen,  aus  welchen  man  kaum  über  die 
richtige  Form  und  Struktur  der  Corona  belehrt  zu  werden  hoffen  kann. 

Unterwirft  man  aber  diese  Zeichnungen  einem  genaueren  Studium,  so 
sieht  man,  dass  trotz  der  localen  Unterschiede,  welche  bisweilen  sehr  gross 
Ausfallen,  doch  in  vielen  Abbildungen  charakteristische  gemeinsame  Züge  sich 
wiederflnden,  welche  einen  weiteren  Beweis  liefern,  dass  die  Corona  in  allen 
nicht  verschieden  sein  konnte,  eine  Schlussfolgerung,  zu  der  man  aus  den 
Photographien  mit  viel  grösserer  Sicherheit  gelangt. 

Wir  werden  ein  anderes  Mal  die  Beweiskraft  der  über  die  Sonnencorona 
bekannten  Thatsachen  für  die  verschiedenen  Hypothesen  über  ihre  Beschaffen- 
heit prüfen  und  die  Gründe  auseinandersetzen,  welche  uns  für  die  meteorische 
Hypothese  entscheiden. 

London,  den  7.  October  18M.  Joseph  Kleiber. 

‘)  Einige  dieser  Zeichnungen  sind  auf  Seile  120  u.  12t  roproducirl  worden.  Man  lludot 
darüber  Näheres  ln  dem  diesem  Artikel  folgenden  Zusätze  der  Redaktion.  Anm.  *1.  Red. 


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Zusatz  der  Redaktion  zu  obigem  Aufsatze.  Wir  sind  in  der  bevor- 
zugten Lage  zu  dem  obigen  Aufsatze  über  die  SonneufinBterniss  des  verflossenen 
Jahres,  welcher  so  durchaus  allgemein  das  allseitigste  Interesse  entgegcngv- 
bracht  wurde,  hier  unten  einige  Photographien  und  Zeichnungen  veröffent- 
lichen zu  können,  welche  am  19.  August  1888  von  russischen  Beobachtern 
herrühren,  und  sonst  noch  nicht  erschienen  sind.  Wir  verdanken  dieselben 
Herrn  Kleiber,  welchem  als  Sekretär  der  Sonnenflnsterniss-Commission  der 
Petersburger  physikalischen  Gesellschaft  alles  damals  gesammelte  Material 
direkt  durch  die  Hände  ging.  Diese  selben  Zeichnungon  sollen  demnächst 
einem  in  russischer  Sprache  verfassten  Berichte  über  jene  Sonnenfinsternis« 
beigefügt  werden. 

Die  ersten  beiden  Abbildungen  sind  Facsimiles  von  Photographien  der  Sonne 
während  der  Totalität  der  Finsterniss,  welche  zu  verschiedenen  Zeiten  von  Herrn 
Chnmantof  in  Krasnojarsk  aufgenommen  wurden,  und  von  denen  auch  der 
obige  Aufsatz  handelt.  Die  genaue Uebereinstimmung  der  verschiedenen  Lichtaus- 
wüchse rings  um  die  verfinsterte  Sonne  herum  auf  beiden  Photographien  ist 
in  der  That  angethan,  die  Ueberzougung  einiger  Forscher,  dass  die  Corona  nur 
eine  optische  Erscheinung,  gewissermassen  eine  falsche  Vorspiegelung  nicht 
existirender  Materietheile  sei,  durch  den  Augenschein  zu  widerlegen.  Denn 
zu  den  beiden  Zeiten,  in  welchen  diese  Photographien  entstanden,  waren  durch 
die  veränderte  Stellung  der  beiden  Himmelskörper  die  optischen  Bedingungen 
wesentlich  verändert  worden. 

Die  vier  mittleren  Abbildungen  sind  getreue  Wiedergaben  von  Haml- 
zoichnungen,  welche  von  gebildeten  Beobachtern,  die  zum  Theil  sogar  Fach- 
leute sind,  herrühren,  und  zwar  wurde  die  erste  von  Herrn  Fedosiejef  in 
Korzov  (Gouv.  Vladimir),  die  zweite  (rechts  danebenstehende)  von  Herrn 
Suchof  in  Tomsk,  die  dritte  von  Herrn  Korotkiewicz  in  Turinsk  (Gouv. 
Tobolsk)  und  die  vierte  von  Herrn  Rüdiger  in  Buchte  Possjet  am  Stillen 
Ocean  ausgeführt.  Das  letzte  Bild  stellt  eine  offenbar  erst  nach  der  vorüber- 
gegangenen Erscheinung  auf  Grundlage  der  während  der  Totalität  erhaltenen 
Skizze  ausgeführte  Zeichnung,  also  nicht  mehr  den  unmittelbaren  Eindruck 
dar.  Ihr  Autor  ist  ein  Herr  Buschujef  in  Werch neudinsk. 

Von  den  mittleren  vier  Zeichnungen  legt  Herr  Kleiber  das  meiste 
Gewicht  auf  die  letzte,  weil  dieselbe  von  einem  mit  astronomischen  Beobach- 
tungen vertrauten  Marineoffizier  herrührt  und  auch  der  beigegebene  Original- 
bericht besonderes  Verständniss  für  den  Gegenstand  bekundet.  In  der  That 
zeigt  auch  diese  Abbildung  vor  allen  übrigen  die  meiste  Aehnlichkeit  mit  den 
völlig  objektiven  Photographien:  man  betrachte  desswegen  beispielsweise  den 
Ausläufer  rechts  etwas  unten.  Die  anderen  Zeichnungen  beweisen  offenbar 


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12 


nur,  dass  man  mit  ihnen  kaum  etwas  beweisen  kann,  sind  aber  eben  deswegen 
von  Interesse. 

Anschliessend  au  diese  Betrachtungen  über  die  rüthsei  hafte  Corona  können 
wir  unsern  Lesern,  neben  den  wiedergegebenen  Zeichnungen  dieses  Phänomens 
allein,  ein  gelungenes  farbig-landBehaftliehes  Bild  einer  Sonnenfinsternis  dar- 
bieten, welches  den  Gesamteindruck  der  seltenen  Erscheinung  sehr  wirkungs- 
voll zum  Ausdruck  bringt  und  durch  das  der  Künstler,  so  viel  als  es  eben  in 
feiner  Macht  steht,  die  am  19.  August  durch  das  Wetter  bitter  getäuschten 
Schaulustigen  zu  entschädigen  sucht.  (Siehe  das  Titelbild.) 

Das  Bild  ist  durchaus  nicht  allein  aus  der  Phantasie  des  Künstlers  ent- 
sprungen. Derselbe  hatte  sich  in  der  kritischen  Nacht  einer  astronomischen 


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Expedition  angeschlossen,  welche  sich,  von  Bnaucliweig  kommend,  unter 
der  Leitung1  des  Herrn  Professor  Koppe  auf  einem  Berge  am  Ostrande 
des  Harzes  sorgfältig  eingerichtet  hatte,  um  die  Einzelheiten  der  seltenen  Er- 
scheinung möglichst  vollständig  zu  fixiren.  Nun,  ich  brauche  nicht  noch  ein- 
mal zu  wiederholen,  dass  alle  diese  so  schön  durchdachten  Vorbereitungen 
vergebens  gewesen  sind.  Nur  der  Maler  ging  doch  nicht  ganz  leer  aus. 
Während  die  Sonne  allerdings  hinter  dichten  Wolken  dort  gänzlich  verhüllt 
blieb,  konnte  Herr  Kranz  wenigstens  von  der  wechselnden  Beleuchtung  und 
den  veränderten  Farbentönen  der  Wolken,  auf  deren  Beobachtung  wissen- 
schaftlicherseits  diesmal  besonderes  Gewicht  gelegt  worden  war,  eine  schnelle 
Skizze  entwerfen,  uud  diese  Studie  liegt  dem  beigehefteten  Bildd  in  Bezug 
auf  die  Wiedergabe  der  Wolkenpartien  und  der  Beleuchtung  des  Horizontes 
zu  Grunde.  Hie  nächste  Umgebung  der  Sonne  ist  dagegen  nach  den  Er- 
innerungen Anderer  etwa  so  aufgefasst,  wie  man  dioselbe  in  der  Umgegend 
Berlins,  in  Marienfelde  oder  Hoppegarten,  damals  sah,  als  die  Sonne  zur 
Zeit  der  Totalität  aus  einer  tiefroth  beleuchteten  Wolkenlücke,  zum  Theil 
hervorbrach.  Nur  ist  die  Lucke  im  Bilde  etwas  grösser  dargestellt,  um  eben 
den  mysteriösen  Eindruck  der  verfinsterten  Sonne  mit  ihrer  Corona  besser 
hervortreten  zu  lassen. 

Man  sieht  also,  dass  hier  Wahrheit  und  Dichtung  gemischt  ist,  um  ein 
wirkungsvolles  Bild  zu  schaffen,  das  jedoch  nur  insofern  von  der  Wahrheit 
abweicht,  als  es  Zustande  nach  bestem  Wissen  so  naturgetreu  wiedergiebt,  wie 
sie  unter  günstigeren  Beobochtungsbedingungen  wirklich  gesehen  worden 
wären.  Unter  diesem  Gesichtspunkte  ist  das  Bild  zugleich  auch  als  eine  Er- 
gänzung unseres  im  ersten  Hefte  dieser  Zeitschrift  abgedruckten  Artikels  über 
die  Veranstaltungen  der  Urania  aufzufassen,  indem  das  farbige  Bild  jenen  Augen- 
blick daivtellt,  von  welchem  dort  auf  Seite  ö4  bei  Gelegenheit  der  Beschreibung 
einer  Vorstellung  in  dem  einzurichtenden  .wissenschaftlichen  Theater-  die 
Rede  ist.  ln  der  That  ist  die  vorzügliche  chromo-lilhographische  Reproduktion 
nach  einem  Oelgomäldo  hergestellt,  welches  seinerseits  wieder  dem  Decorations- 
inaler  für  seine  Darstellung  im  grossen  Massstabe  zu  Grunde  liegen  wird.  Nur 
durch  die  Verbindung  dieser  verschiedenartigen  günstigen  Umstände  sind  wir 
hier  in  den  Stand  gesetzt,  unseren  Lesern  diese  Reproduktion  zu  bieten. 

* 


Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Monat  November. 

Von  den  im  Octob Jilieft  (S.  54,  55)  aufgeführten  gegenwärtig  sichtbaren 
Kometen  nimmt  der  letztentdeckte  von  Uarnard  besonderes  Interesse  in  An- 
spruch. Dieses  Gestirn  wird  nämlich  erst  Ende  Januar  in  die  Sonnennäht* 
kommen,  also  wahrscheinlich  noch  sehr  lange  sichtbar  bleiben  und  dadurch 
eine  ansehnliche  Reihe  von  Beobachtungen  veranlassen.  Das  folgonde  Bild  ist 
auf  Grund  der  bis  Anfang  October  vorgelegenen  Elemente  des  Kometen  con- 
struirt.  Es  zeigt  die  Stellung  des  Gestirns  gegen  den  Horizont  um  Mitte 
November,  zwölf  Uhr  Nachts.  Am  2.  November  steht  der  Komet  fast  in  der 
Verbindungslinie  zweier  wohlbekannter  Sterne  des  „Orion“,  durchläuft  den 
nördlichsten  Theil  des  „Eridanus“,  tritt  am  11.  November  in  das  kleine  Stern- 
bild der  „Georgsharfe",  passirt  dieses  zwischen  zwei  Sternen  vierter  Grösse, 
und  langt  mit  immer  schneller  werdender  Bewegung  Ende  Novomber  im 
.Wallfisch“  an.  Die  Helligkeit  nimmt  stetig  zu  und  beträgt  Anfangs  November 
das  achtfache.  Ende  des  Monats  das  dreizehufache  jener  bei  der  Auffindung  am 


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123 


Stellung  des  Barnard’achen  Kometen 

gegen  den  Horizont  Mitto  November  12  Uhr  Nacht». 


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'•/•Bäke. 


2.  September.  Mitte  November  ist  das  Object  bereits  in  den  ersten  Abend- 
stunden beobachtbar. 

Um  an  dieser  Stelle 
auf  das  alljährlich  wiedor- 
kehrende Sternschnuppen- 
schauer um  den  13.  No- 
vember, die  Leoniden, 
hinzu  weisen , bemerken 
wir,  dass  die  Beobachtung 
diesmal  durch  die  Abwe- 
senheit des  Mondes  be- 
günstigtwird. Bekanntlich 
tritt  das  Maximum  der 
Sternschnuppenfälle  stets 
erst  in  der  zweiten  Hälfte 
der  Nacht,  gegen  3 Uhr 
morgens  ein.  Um  diese 
Zeit  nun  ist  der  störende 
Mond  in  jenen  Nächten 
längst  untergegangen  ( in 
der  Nacht  vom  12.  auf  «len 
13.:  Mond -Untergang  in 
Berlin  1 Uhr  9 Min.,  in 
«ler  folgenden  Nacht  2 Uhr 

19  Min.).  ^ 

Hagegen  wird  man  von  etwa  noch  auftretenden  Nachzüglern  des  merk- 
würdigen, am  27.  Nov.  1S72  u.  1385  eingetretenen  und  «lern  Zerfall  des  Biela'schen 
Kometen  zugeschriebenen  Schwarme  diesmal  höchstens  in  den  Abendstunden 
einige  aus  dem  Sternbilde  der  Andromeda  radiirende  Spuren  wahrnehmen,  da 
an  diesem  Tage  der  Mond  bereits  um  12  Uhr  30  Min.  Nachts  aufgeht. 


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Aus  der  Spektralanalyse.  — Prof.  Langley  hat  neulich  vor  der 
amerikanischen  Gesellschaft  zur  Förderung  der  Wissenschaft  einen  interessanten 
Vortrag  über  die  Entwickelung  der  Lehre  von  der  strahlenden  Energie  ge- 
halten. Der  berühmte  Gelehrte  erzählt  dabei  unter  anderem,  wie  man  bis  vor 
fünfzehn  Jahren  allgemein  an  ein  Dogma  geglaubt  habe,  das  sich  auf  die  Wir- 
kung der  irdischen  Lufthülle  bezog.  Man  meinte  nämlich  bis  dahin,  dass  die- 
jenigen Strahlen  der  Sonne,  welche  jenseits  des  rothen  Endes  des  Spektrums 
liegen,  — kurz  die  ultrarothen  genannt  — einen  vorzüglich  wärmenden  Rin- 
fluss besitzen.  Die  Atmosphäre  — so  meinte  man  ferner  — verschluckt  gerade 
diese  Strahlen  in  bedeutendem  Masse  und  wirkt  aus  diesem  Grunde  ebenso 
wie  das  Glasdach  eines  Treibbeetes,  welches  auch  ein  beträchtliches  Absorptions- 
vermögen gerade  für  die  ultrarothen  dunklen  Strahlen  besitzt,  also  Schloss  und 
Hiegel  bildet,  um  den  Wärmestrahlen  den  Rückweg  nach  aussen  abzusperren. 
Zum  Verständnisse  dvr  letzteren  Wirkung  ist  folgendes  hinzuzufügen.  Die 
Erwärmung  der  Erdoberfläche  geschieht  durch  die  Absorption  eines  grossen 
Theiles  sämtlicher  Strahlungen  der  Sonne,  die  Rückstrahlung  dieser  Wärme 
in  den  Weltenraum  aber  ausschliesslich  in  der  Form  ultrarother  dunkler  Strah- 
lungen von  grossen  Wellenlängen.  Eine  Schicht,  welche  vorzugsweise  die 
Strahlen  letzterer  Art  absorbirt,  ist  also  insofern  eine  warmhaltende,  als  sie 
von  der  Wärmezufuhr  durch  Einstrahlung  nur  einen  Theil  wegnimmt,  dagegen 
in  demselben  Verhältnis»  wie  auf  diesen  Theil  auf  die  gesamte  durch  Rück- 
strahlung erfolgende  Wärme-Abgabe  einschränkend  wirkt. 

Auffallender  Weise  zeigten  Langlevs  mit  grossem  Fleisse  jahrelang 
fortgesetzte  Beobachtungen  auf  Beigeshöhen  gerade  das  umgekehrte  Verhalten 
der  Atmosphäre.  Sie  liess  die  ultrarothen  dunklen  Strahlen  passiren  und  sie 
verschluckte  gerade  diejenigen  Wärmestrahlen  in  hervorragendem  Masse,  welche 
den  hellsten  Theilen  des  Spektrums  entsprechen.  Damit  schien  das  lang  ge- 
glaubte Dogma  widerlegt,  das  sich  hei  näherem  Zusehen  auf  oiuen  Aus- 
spruch Fouriers  zurückführen  liess.  Dieser  hatte  zwar,  auf  Saussuresclie 
Versuche  gestützt,  nichts  Amines  behauptet  als  dass  die  Atmosphäre,  wenn 
sie  fest  wäre,  gerade  so  wie  Glas  wirken  würde:  aber  diesen  hypothetisch  aus- 
gesprochenen Satz  hatten  Fon riers  Nachfolger  ohne  die  noth wendige  Voraus- 
setzung wiederholt,  und  so  kam  es,  dass  er  überall  geglaubt  wurde.  Wenn 
man  näher  zusieht,  sind  aber  das  alte  Dogma  und  die  neue  Lehre  gar  nicht 
so  weit  auseinander,  wie  es  nach  Langley  den  Anschein  hat.  Es  sind  näm- 
lich die  untersten  Luftschichten,  welche,  wenn  sie  nahezu  mit  Wasserdampf 
gesättigt  sind,  die  Rolle  des  Glases  der  Treibhäuser  wirklich  spielen,  während 
die  oberen  trockenen  Luftschichten  sich  in  der  Thal  ganz  Anders  verhalten. 

Ueber  das  Instrument,  mit  welchem  alle  diese  merkwürdigen  Untersuchun- 
gen gegenwärtig  ausgeführt  werden,  das  sogenannte  Bolometer,  in  welchem 
die  Elektricität  die  feinsten  Massbcstimmungcn  von  Lichtwirkungen,  überhaupt 
von  Strahlungen  liefert,  soll  demnächst  Eingehendes  mitgetheilt  werden.  Ist 


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1 


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ja  doch  die  Strahlung« nergie  der  Sonne,  welche  nach  Langley  für  jedes 
Quadratmeter  der  Erdobei  fläche  nahezu  eine  Pferdekraft  her  geben  kann,  für 
uns  die  Wurzel  alles  Lebens  und  alles  Reichthums. 

Herr  Langley  hat  ferner  gefunden,  dass  die  wärmende  Wirkung  der 
Sonnenstrahlung  sich  zwar  sehr  viel  weiter  in  das  Ultrarot h hinein  erstreckte,  als 
inan  bisher  angenommen  hatte,  dass  aber  bei  den  Strahlen,  deren  Wellenlänge 
gleich  0,(027  mm  gefunden  wurde  — eine  bis  dahin  noch  ungeahnte  Grösse  — die 
Wärmewirkung  plötzlich  abbrcche,  .wie  wenn  das  Spektrum  auf  einmal  durch 
eine  kalte  Wand  von  unbestimmter  Ausdehnung  ersetzt  würde.“  Freilich  hat 
Langley  seilst  sich  noch  eigens  dagegen  vei wählt,  als  ob  er  behaupte,  dass 
jenseits  dieser  Region  gar  keine  Wärme  mehr  existiren  könne,  aber  wenn  dort 
deren  noch  voi  banden  ist,  so  meint  er,  sei  sie  sehr,  sehr  gering.  Ganz  neuerdings  ist 
nun  aber  dieses  Langloysehe  Ergebniss  von  dem  plötzlichen  Abbrechen  des 
Wäi inespektrums  widerlegt  worden,  und  die  Beobachtungen,  auf  denen  es 
fusste,  haben  eine  sehr  wahrscheinliche  Erklärung  gefunden.  Bekanntlich  ver- 
schlucken nämli(  h die  Gase  gerade  diejenigen  Strahlen,  die  sie  selbst  auszu- 
senden vermögen.  So  kommen  ja  die  dunklen  Fraunhoferschen  Linien  zu 
Stande,  gerade  an  den  Stellen  des  Spektrums,  an  welchen  die  absorbirenden 
Gase  selbst  Strahlen  „emittiren“  und  an  welchen  daher  helle  Linien  erscheinen 
würden,  wenn  sie  heisser  wären,  als  der  durchscheinende  glühende  Körper. 
Wäre  es  nicht  denkbar,  dass  auch  das  scheinbare  plötzliche  Abbrechen  des 
Sonnenspektrums  an  der  angegebenen  Stelle  die  Folge  einer  Absorption  ist, 
hervorgebracht  durch  einen  Dampf,  der  einen  Bestandteil  unserer  oder  der 
Sonnen -Atmosphäre  ausmacht?  Diesem  Dampf  müssten  dann  andererseits, 
wenn  er  leuchtend  ist,  eben  jene  Strahlen  eignen,  die  er  absorbirt.  Nun  hat 
sieh  bei  einer  Untersuchung  des  ultrarothcn  Spektrums,  die  Herr  Julius 
in  Utrecht,  unterstützt  von  Buys- Ballot,  ausgeführt  hat,  iTl  der  That  ge- 
zeigt, dass  solche  Spektrallinien  im  Ultraroth  Vorkommen,  die  ganz  bekannten 
Dämpfen  entsprechen.  Verbrennt  man  z.  B.  einfache  oder  zusammengesetzte 
Gase  irgend  welcher  Art,  bei  denen  Wasserdampf  eines  der  Verbrennungs- 
produkte  ist,  so  zeigt  das  Spektrum  dieser  brennenden  Gase  gerade  an  derjenigen 
Stelle  des  Ultraroth  eine  vorzüglich  wärmende  Wirkung,  welche  einer  Wellen- 
länge von  0,00*27  mm  entspricht  — eine  Wirkung,  die  an  Intensität  nach  beiden 
Seiten  von  dieser  Stelle  in  einer  bestimmten  Cui  ve  abfiel.  Hier  liegt  also,  um 
uns  anders  auszudi  iicken,  eine  unsichtbare  Kmissionsbande,  die  dem  Wasser- 
dampf entspricht  Und  da  nun  Wasserdampf  einen  wesentlichen  Bestandtlieil 
der  irdisi  hen  Lufthülle  bildet,  so  kann  man  gar  nichts  Anderes  erwarten,  als  dass 
die  Wirkung  der  Sonnenwäime  gerade  an  dieser  Stelle  durch  Absorption  aus- 
gelöscht erscheint  Wir  sollten  freilich  jenseits  dieser  Region  wiederum  wär- 
mende Stiahlcn  vcimutbcn,  welche  die  Ei dobei fliehe  erreichen,  und  Langley 
hat  in  der  That  eine  Spur  davon  zu  bemerken  geglaubt;  er  drückt  sich  aller- 
dings daiiiber  noch  reservirtor  aus,  indem  er  sagt:  „Es  giebt  freilich  einige 
zweifelhafte  Anzeichen  von  Wäime  jenseits  dieses  Punktes.“  Es  bedarf  jeden- 
falls noch  weiterer  Foischungen,  um  diese  Anzeichen  sicher  zu  konstatiren, 
aber  wir  dürfen  hoffen,  dass  dies  gelingen  werde,  um  so  mehr  als  die  Julius  sehe 
Untersuchung  noch  weit  jenseits  dieser  Stelle  die  wärmende  Wirkung  anderer 
Verbrennungsprodukte  nach  weisen  konnte.  So  zeigte  sich,  dass  die  Kohlensäure 
Strahlen  von  der  (fast  möchte  man  sagen  ungeheuren,  wenn  sie  nicht  so  winzig 
klein  wäre)  Wellenlänge  0,0046  mm  aussendet.  An  dieser  Stelle  also  sollten 
wir  ein  nochmaliges  Aufhören  jeder  Wäimewiikung  des  Sonnenspektrums  er- 
warten infolge  der  Absorption  durch  die  Kohlensäureschätze  der  Atmosphäre, 
für  deren  foilwährende  Erneuerung  die  Organismen  der  Erde  Sorge  tragen. 


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126 


Es  bleibt  der  Zukunft  Vorbehalten,  da«  Sonnenspoktrum  jenseits  der  Wasser - 
dampfhanden  genauer  zu  studiren. 

Wenn  wir  die  Pfade  der  Wissenschaft  rückwärts  gehen,  um  die  Aus- 
gangspunkte aller  neueren  Fortschritte  in  der  Spektrometrie  ausfindig  zu  machen, 
so  werden  wir  auf  zwei  ganz  verschiedenen  Wogen  demselben  Manne  begegnen 
als  dem  Vater  der  beiden  Haupt-Methoden  dieser  Wissenschaft.  Der  eine  Weg 
führt  uns  in  Fraunhofers  Studirzimmer  und  zeigt  ihn  uns,  den  in  Gläsern 
gebrochenen  und  in  tausend  Farben  zerstreuten  Lichtstrahl  untersuchend,  der 
andere  führt  uns  schliesslich  — in  die  Ktostersohenke  zu  Beuediktbcurcn. 
Dort  sitzt  Fraunhofer  mit  dem  langjährigen  Genossen  soiner  Arbeiten,  mit 
Georg  Merz  und  wirft  zufällig  durch  dio  Fahne  einer  Gänsefeder  seinen  Blick 
nach  einem  brennenden  Lichte.  Die  bekannten  Regenbogenfarben,  dio  er  dabei 
sieht,  regen  ihn  zu  genaueren  Versuchen  über  diese  Erscheinungen  an.  Er 
erreicht  cs  schliesslich  durch  eifrige  Verbesserungen  an  den  Reichen  hach  - 
sehen  Maschinen  für  zarte  Theilungen,  tausend  Striche  genau  parallel  in  dem 
engen  Raume  von  drei  Millimetern  auf  Glas  zu  ritzen.  Und  wie  er  nun  das  durch 
dieses  Gitter  fallende  Sonnenlicht  mit  dem  Fernrohr  betrachtet,  so  erblickt  er 
eine  Erscheinung,  mit  der  er  durc  h seiue  früheren  Arbeiten  wohl  vertraut  ge- 
worden ist,  das  Spektrum  ra:.t  all  seinen  dunklen  Linion.  Dieses  durch  Beugung 
erzeugte  farbige  Bild  hat  vor  dem  Brechungsspektrum  mannigfache  Vorzüge. 
Einmal  liegen  bei  diesem  die  einzelnen  Farben  nicht  in  ihrer  natürlichen  Breite 
da,  sondern  die  eine  ist  starker  zerstreut  als  die  andore,  und  daher  sind  die 
Beobachtungen  und  Messungen  dabei  erschwert.  Andererseits  wird  dio  Natur 
des  Lichtes  selbst  bei  seinem  Durchgänge  durch  das  brechende  Prisma  geändert, 
Wärme  und  Licht  worden  vom  Glase  verschluckt,  und  zwar  die  einzelnen 
Farben  in  verschiedenen  Verhältnissen,  so  dass  Langlcys  Untersuchungen 
über  die  absorbireuden  Eigenschaften  der  Atmosphäre  nur  mit  Hülfe  des  Gitter- 
Spektrums  ausgeführt  werden  konnten.  Dieses  ist  aber  in  den  letzten  Jahren 
durch  die  vollendete  Technik  der  Amerikaner  zu  einer  geradezu  staunens- 
werten Vollkommenheit  gebracht  worden.  Immer  genauer  wurden  die  zarten 
Theilungen,  die  man  dem  Glase  einzuritzen  vermochte;  ein  wesentlicher 
Schritt  zur  Vollkommenheit  aber  war  es,  als  man  statt  des  durchscheinenden 
Lichtes  rofloktirtes  einzuführen  anfing.  Statt  der  Glasplatten  nahm  man  nun- 
mehr solche  von  Metall  und  auf  diesen  wurden  die  allerfeinsten  Striche  in 
engem  Abstande  oingeritzU  Am  weitesten  in  dieser  Technik  ist  jetzt  Prof. 
Rowland  gelangt  Derselbe  ritzt  die  Gitter  auf  konkave  Metallplatten  oin, 
was  für  die  Beobachtung  der  Spektren  wesentliche  Vortheile  bietet  Bereits 
vor  zwei  Jahren  hatte  er  auf  diese  Art  eine  schon  sehr  genaue  Karte  des 
Sonnenspektrums  entworfen,  die  sich  vom  Roth  bis  in  das  äusserste  Ultraviolet 
hinein  erstreckte,  ’)  mit  Hülfe  einer  Theilmaschine,  die  43  000  Striche  auf  den  Raum 
eines  Zolls  in  gonau  gleichon  Abständen  vertheilen  musste.  Aber  die  Theil- 
maschinen  haben  seitdem  wieder  wesentliche  Verbesserungen  erfahren,  denn 
die  bisherigen  eigneten  sich  nur  zur  Horateiluug  kleiner  Gitter,  während  Row- 
land jetzt  solche  von  sechs  Zoll  Breite  anzufertigen  im  stände  ist  Diese 
geben  nun  eine  Bestimmtheit  in  dem  Bilde  des  Spektrums,  von  der  man  sich 
bisher  nichts  träumen  liess.  Die  Karte  wird  mit  Hülfe  der  Photographie  her- 
gestellt;  nur  so  ist  es  ja  möglich,  die  ultravioletten  Theile  des  Spektrums  in 
die  Betrachtung  zu  sieben,  aber  die  Photograrame  von  1886,  die  schon  ur- 
sprünglich keine  guten  wareu,  hatten  im  Laufe  der  Zeit  Verunstaltungen  er- 
fahren, so  dass  die  späteren  Vervielfältigungen  den  Ansprüchen  auf  Genauigkeit 


')  Einige  schöne  Resultate,  die  man  mit  dem  Rowland  schon  tlitterspaktrum  erlangt 
hat,  II  ndeo  sich  S.  42  des  ersten  Heftes  erwähnt. 


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nicht  mehr  genügten.  Nun  hat  Prof.  Rowland  Jahre  lang  an  der  Verfertigung 
von  empfindlichen  Platten  gearbeitet,  und  er  hat  sowohl  gewöhnliche,  dio  für 
die  ultravioletten  Strahlen  am  empfindlichsten  sind,  als  auch  orthochromatische, 
d.  h.  solche,  auf  welche  die  hellsten  Theilc  des  Spektrums  besonders  einwirken, 
hergestellt,  die  seihst  den  höchsten  Anforderungen  genügen.  So  ist  er  denn 
jetzt  genügend  vorbereitet,  uin  die  Anfertigung  der  Karten  nochmals  aufzu- 
nehmen.  Bereits  hat  er  auf  den  ersten  neuen  Photogrammen  genaue  Messungen 
der  Haupt- Wellenlängen  vorgenommen,  die  sich  bis  in  das  Ultra violet  aus- 
dehnen,  und  die  Sorgfalt,  mit  der  er  dies  ausgefülirt  hat,  übertrifft  allo  früheren 
Messungen,  denn  man  kann  wetten,  dass  die  gemessenen  Grössen  um  kaum 
zwei  Millioutheile  ihres  Werthes  falsch  sind. 

Aber  freilich  ist  das  schon  wieder  nicht  das  letzte,  was  für  dio  heutige 
Forschung  erreichbar  ist.  Es  kommen  bereits  Nachrichten  von  Amerika  über 
ein  Instrument,  das  noch  genauer  als  Row Lands  Gitterspektra  nur  Fehler 
von  dem  vierten  Theile  des  obigen  Betrages  zu  lässt.  Der  „Interferential- 
Refraktometer“  — so  heisst  das  neue  Instrument  — zeigt  seine  Ueberlegcnheit 
über  die  Rowl  andschen  Gitter  schon  dadurch,  dass  es  die  rothe  Wassorstoff- 
linie,  die  man  bisher  stets  einfach  gesehen  hat,  als  aus  zwei  sehr  nahen  Linien 
zusammengesetzt  zeigt.  Ueber  die  Aufgaben,  die  diesem  feinen  Apparate  zur 
Lösung  zufallen,  hat  sich  Michelson  in  einem  Vortrag  vor  der  physikalischen 
Sektion  der  oben  erwähnten  amerikanischen  Gesellschaft  ausgesprochen.  Sie 
beziehen  sich  auf  das  Studium  des  Einflusses,  welchen  die  Temperatur,  Dicke 
und  Dichtigkeit  der  Lichtquelle  und  die  Zusammensetzung  des  strahlenden 
Körpers  auf  eine  symmetrische  oder  unsymmetrische  Verbreiterung  der  Spek- 
trallinicn  ausübt.  Diese  Frage  ist  neuerdings  u.  a.  von  Herrn  Ebert  in  An- 
griff genommen  worden,  und  er  ist  dabei  schon  zu  viel  versprechenden  Er- 
gebnissen gelangt.  Auf  diese  Arbeiten  kommen  wir  wohl  ein  andermal  zurück. 

Sni. 


* 


Der  Ausbruch  des  Baudai-San  auf  Japan.  Ueber  den  am  15.  Juli 
d.  J.  erfolgten  Ausbruch  des  Bandai-San  im  nördlichen  Theile  der  japanischen 
Hauptinscl  entnehmen  wir  aus  der  „Nature“  im  Auszüge  die  folgende  Schil- 
derung eines  Augenzeugen.  Der  Vulkan,  von  1900  Meter  Höhe,  galt  seit  Menschen- 
gedenken als  erloschen.  Um  so  unerwarteter  trat  an  dem  verhängnissvollen 
Tage  morgens  8 Uhr  die  furchtbare  Katastrophe  ein,  welche  den  nordöstlichen 
Vulkan  (den  kleinen  Bandai-San)  in  einem  einzigen  Augenblicke  zertrümmerte 
und  vom  Erdboden  verschwinden  liess,  woboi  ein  Flächenraum,  halb  so  gross 
wie  London,  mit  einem  Dutzend  blühender  Dörfer  in  ein  wüstes  Trümmerfeld 
verwandelt  wurde.  Trotz  der  gewaltigen  Explosionen  wurde  doch  in  der  vor- 
hältnissmässig  geringen  Entfernung  von  20  engl.  Meilen  weder  eine  Erschüt- 
terung noch  ein  Getöse  wahrgenommen,  nur  ein  siehenstündiger  Aschenregen, 
der  nach  dem  Niedersinken  ein  Centimeter  hoch  die  weitere  Umgebung  be- 
deckte, gab  den  entfernter  Wohnenden  Kunde  von  dem  schrecklichen  Ereigniss. 

Eine  von  Tokio  ausgehende  Gesellschaft  erstieg  den  neu  entstandenen 
Krater  und  fand  nach  einem  Aufstieg  von  1000  Meter  frische  Einsenkungen  im 
Boden  vor.  Ein  stinkender  Dampf  umlagerte  den  Berg,  von  dessen  Hohe  aus 
mau  die  Verwüstung,  die  jeder  Beschreibung  spottet,  überblicken  konnte. 
Eine  steile,  zerklüftete,  nach  innen  gebogene  Klippenwand  von  200  Meter  Höhe 
bildete  den  am  Platze  stehengebliebenen  Rest  des  Feuerberges;  die  ganze 
übrige  gewaltige  Masse  war  über  das  Land  hingeschleudert  worden,  so  dass 


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von  dessen  früherer  Gestaltung  unter  den  gowaltigen  Schuttmasjon  nichts  mehr 
zu  entdecken  ist  Am  Fusse  der  Klippe  brachen  unter  Brausen  aus  zwei  Erd- 
spalten erstickende  Dampfwolken  hervor.  Die  durch  den  Ausbruch  freigelegte 
Fläche,  welche  ehemals  die  Basis  des  Vulkans  bildete,  mochte  wohl  ein  Areal 
von  etwa  8 bis  10  Quadr.-Kilometer  umfassen,  während  die  5 Meter  mächtige 
und  über  120  Quadr.-Kilometer  verbreitete  Trümmerdecke  sich  auf  mindestens 
700  Millionen  Tons  schätzen  lässt.  Dor  am  Fusse  des  Bandai-San  hinfliessende 
Nakasegawa,  von  mächtigen  Steinhaufen  aufgehalten,  bildete  allenthalben  weite 
Wasserflächen.  Kein  lebendes  Wesen  war  zu  entdecken,  wohl  aber  Hunderte 
entstellter  Leichen,  die  Opfer  der  furchtbaren  Naturgewalt.  Der  Ausbruch 
muss  in  einer  ziemlich  starken  Neigung  zur  Senkrechten  seine  volle  Krad 
geäussert  haben,  sonst  könnte  mau  sich  die  grosse  Entfernung,  bis  zu  welcher 
die  Stein-  und  Schlaminmengen  geschleudert  worden  sind,  bei  der  Kürze  der 
Zeit,  in  welcher  sie  den  mehrere  Meilen  langen  Weg  zurücklegten,  nicht  recht 
erklären.  Der  die  Eruption  begleitende  Luftdruck  war  so  gewaltig,  dass  er 
ausgedehnte  Wälder  niedorris«.  Stellenweise  inachte  das  Chaos  den  Eindruck 
eines  plötzlich  gefrorenen,  sturmerregten  Meeres;  so  hatte  sich  an  einem 
Orte  ein  Steinwall  von  2 bis  3 Meter  Höhe  angehäuft;  ein  plötzlich  zum  Still- 
stand gokommencr  Wall  von  Aschenschlamm  bildete  sogar  einen  steilen  Ab- 
sturz von  GO  Meter  Höhe. 

Wenn  auch  bereits  einige  Tage  vor  dem  Ausbruch  sich  schwache  Erd- 
stössc  und  ein  Erzittern  des  Bodens  bemerklich  gemacht  hatten  und  die  hoisson 
Quellen  eine  Steigerung  der  Temperatur  und  der  Wasserfülle  aufwiesen,  kein 
Zeichen  war  ernstlich  genug,  um  die  so  verheerende  Katastrophe  vermuthen 
zu  lassen,  bis  am  15.  Juli  um  7l/a  Uhr  ein  heftiger  Stoss,  dem  nach  einer 
Viertelstunde  ein  zwoiter  stärkerer  folgte,  ein  Erdbeben  einleitete,  dessen 
Gewalt  den  Boden  hob  und  senkte,  so  dass  alles  niedergoworfen  wurde.  Ein 
grausenvolles  Krachen  erhob  sich,  als  wenn  hunderte  von  Dontierschliigen 
gleichzeitig  erfolgten,  ein  Getöse  von  wahrhaft  übernatürlichem  Eindruck.  Unter 
orkanartigem  Sturme  verdunkelte  sich  dio  Luft,  ein  Regen  von  Asche,  glühender 
Schlacken  und  kochenden  Wassers  ergoss  sich  über  die  unglückliche  Land- 
schaft, während  dahinrasendo  Schlamm-  und  Schuttlawiuen  das  Zerstörungs- 
werk vollendeten.  Zweifellos  waren  angespannte  Dämpfe  die  Ursache  der  Ex- 
plosion. Die  zur  Zeit  in  Japan  anwesenden  Seisraologon  worden  unter  Leitung 
von  Prof.  Milne  im  Aufträge  der  japanischen  Regierung  das  Phäuomen  ein- 
gehenden Untersuchungen  unterziehen,  und  man  darf  hiervon  werthvolle  Auf- 
schlüsse über  dio  Natur  der  Krdorschütterungen  erhoffen.  Schw. 


Beobachtung  der  Höhe,  Länge  und  Geschwindigkeit  der  Oceanwellen. 

Die  äusserst  schwierige  Messung  der  Höhe  und  Länge  der  Meereswogon 
inmitten  eines  sturmerregten  Oceans,  wo  die  störenden  Einflüsse  der  Inseln 
und  Contincnte  ihrer  freien  Entfaltung  kein  Hinderniss  bieten,  ist  erst  in 
neuester  Zeit  durch  Anwendung  geeigneter  Messapparate  auf  eine  grössere 
Genauigkeit  gebracht  worden.  Musste  man  sich  bislang  mit  Schätzungen  be- 
gnügen, welche  die  Höhe  nach  dem  Augcnmass,  etwa  an  vorbeisegelnden 
Schiffen,  die  Länge  der  Wellen  nach  derjenigen  des  Schiffskörpers  und  die 
Zeitdauer  ihres  Fortschreiteus  vermittelst  eines  gewöhnlichen  Chronometers 
bestimmten,  so  ermöglicht  heutzutage  das  feinfühlige  Aneroidbarometer  eine 
zuverlässige  Angabe  der  Wellenhöhen  bis  auf  Bruehtheile  des  Meter,  während 


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der  Chronograph  die  Dauer  der  scheinbar  fortschreitenden  Bewegung  auf  V*  Se- 
kunde genau  registrirt,  so  dass  der  Beobachter  seine  ungestörte  Aufmerksam- 
keit dem  Gegenstände  der  Untersuchung  zuwenden  kann. 

Solcher  neueren  technischen  Hülfsrnittel  bediente  sich  Ralph  Aber- 
crombv  im  Jahre  ISS.'»  auf  einer  Fahrt  des  _ Tonga riro“  in  verschiedenen 
Gegenden  des  südlichen  Stillen  Oceans,  zwischen  Neuseeland  und  Cap  Horn, 
zur  Messung  der  Elemente  der  Meereswogen.  Eine  Reihe  von  zahlreichen  Be- 
obachtungen, deren  Resultate  in  den  Prot*,  of  the  Pliys.  Soc.  of  Lond.,  Vol.  IX, 
Juli  1888  mitgetheilt  worden  sind,  ergab  für  die  grössten  Wellen  eine  durch- 
schnittliche Höhe  zwischen  Wellenberg  und  Wellenthal  von  14,0  Meter,  eine 
Länge  von  2-*>3,2  Meter  und  eine  stündliche  scheinbare  Fortpflanzungsgeschwin- 
digkeit von  etwas  mehr  als  75  Kilometer  oder  rund  10  geograph.  Meilen;  für 
die  Periode  der  Oscillation  wurde  eine  Zeitdauer  von  16,5  Seeunden  als  mitt- 
lerer Werth  festgestellt  Da  diese  Messungen  bei  ruhigem  Wetter,  während 
die  See  von  vorangegangenen  Stürmen  noch  in  Bewegung  war,  angostellt 
worden  sind,  so  kann  man  mit  Abercromby  sehr  wohl  annehmen,  dass  die 
Wogen  zeitweise  im  südlichen  Ocean  eine  Höhe  von  20  Meter  erreichen. 

Nur  auf  weiten  und  tiefen  Meeren,  wo  alle  die  Bewegung  verstärkenden 
Ursachen  längere  Zeit  hindurch  einwirken  können  und  keine  Widerstände 
diese  Wirkung  schwächen,  begegnet  man  solchen  mächtigen  Wellen,  w'ie  sie 
auf  kleineren  Meeren  niemals  angetroffen  werden.  Aber  selbst  auf  freiem 
Oceane  wird  die  Höhe  und  Ausdehnung  der  Wasserberge  je  nach  den  lokalen 
Bedingungen,  als  Tiefe,  Meeresströmungen,  Dichtigkeit,  und  den  temporären 
meteorologischen  Verhältnissen,  wie  Winde  und  Luftdruck,  ein  sehr  wechsel- 
volles  Verhalten  zeigen.  Aus  diesem  Umstände  erklärt  sich  die  Verschieden- 
artigkeit der  folgenden,  von  mehreren  Beobachtern  des  Wellenphänomens  er- 
zielten Ergebnisse,  die  — aus  der  bekannten  Üceanographie  von  Dr.  Krümmel 
entnommen  — eine  interessante  Vergleichung  darbieten,  wobei  indessen  die 
Unsicherheit  der  älteren,  auf  blosser  Schätzung  beruhenden  Zahlen,  wohl  zu 
beachten  ist. 


Tafel  der  W 

ollen-Ele  mente. 

Beobachter. 

r»  . 

Ort. 

Höhe 

Stundl.  r .. 

. Lange 

Periode 

in 

Metern. 

, .4  in 

digkeit 

® Metern, 

in  Meilen. 

in  Zeit- 
secundcn. 

Lieut.  Päris  .... 

Indischer  Ocean . 

1 

7.:;  114.0 

7.5 

Adm.  Moltcr  . . . 

— 

— 

17.4  823.8 

23.0 

Cap.  Ross 

Capd.gut.Hoflfug. 

7.0 

1SI..3  57S).7 

— 

Cap.  Chüden  . . . 

33°  8.,  107«  \\\  . 

10.1  — 11.0 

— 300—400 

— 

Dumont  d’Urville 

Cap  d gut.  Hoffng. 

30.0 

— , — 

— 

Scoresby 

Atlant.  Ocean  . . 

12.8 

1 — * 

„Novara“ 



110 

„Challenger** .... 

— 

7.0 

— — 

— 

Abercromby .... 

Süd-Paciftc  .... 

14.0 

10.0  233.2 

16.3 

Bei  der  Erdumsegelung  der  „Bonito1*  und  „Venus-  fand  man  keine 
grösseren  Wellenhöhcn  als  7l/2  Meter.  In  der  Bai  von  Biscaya  sollen  nach 
französischen  Beobachtungen  die  Wellen  bis  zu  11  Meter  Höhe  erreichen;  für 
das  Mittelmeer  wird  als  Maximum  4,3  Meter,  für  die  Nordsee  4 Meter  ange- 
nommen. Schw. 


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130 


II.  (\  E.  Martus,  Astronomische  Geographie.  Zweite  Auflage.  Leipzig, 

Koch,  1888.  Preis  M.  7,50. 

Der  Verfasser  dieses  vortrefflichen  Buches  macht  es  sich  zur  Aufgabe, 
einem  nur  mit  elementaren  mathematischen  Kenntnissen  versehenen  Leser- 
kreise in  populären  Abrissen  die  Hauptbegriffe  der  sphärischen  und  theo- 
retischen Astronomie  und  der  Geodäsie  vorzuführen ; er  behandelt  zu  diesem 
Zwecke  im  ersten  Abschnitte  die  Begriffe  und  Aufgaben  der  sphärischen 
Astronomie  (Polhöhe,  Zeitbestimmung,  Auf-  und  Untergang  der  Gestirne,  Re- 
fraktion u.  s.  w.),  im  zweiten  dio  geodätischen  Fragen  (geographische  Orts- 
bestimmung, Gradmessung,  die  Betrachtung  der  Erde  als  Sphäroid,  Abplattung, 
Schwerkraft  u.  s.  f.)  und  die  Bo wegungserschein ungen  der  Erde  und  der 
Planeten  (Keplers  Gesetze,  Mondbahn,  Finsternisse  u.  s.  w.).  Trotzdem  er  nur 
elementares  Wissen,  etwa  noch  die  Kenntniss  der  ebenen  und  sphärischen 
Trigonometrie,  in  Anspruch  nimmt,  gelingt  ihm  dio  verständliche  Darstellung 
auch  der  schwierigeren  Kapitel.  Neben  Kürze  und  Klarheit  in  den  Definitionen 
hat  das  Buch  einen  besonderen  Vorzug  vor  Werken  ähnlicher  Art,  nämlich 
jenen  einer  überaus  geschickt  gehandhabten  Anschaulichkeit,  in  welcher  der 
Verfasser  nicht  selten  zu  originellen  Mitteln  greift.  Musterstücke  dieser  Art 
sind  beispielsweise  die  Erläuterungen  über  die  Bewegung  des  Mondes  mit  der 
Eitle  um  die  Sonno  und  das  Entstehen  der  Finsternisse.  Ebenso  anschaulich, 
-packend“  möchte  ich  sagen,  wirken  seine  Rechnungsbeispiele.  Hier  eine 
Probe  zum  Kapitel  .Krümmung  dor  Erdoberfläche-:  „Die  Friedrichstrasse  in 
Berlin  ist  .'1:240  m lang,  sie  hat  die  Richtung  der  Magnetnadel  : an  ihrem  Nord- 
ende ist  mithin  die  Polhöhe  schon  1*/«  Minuten  grösser  als  an  ihrem  Südende. 
— Würde  ein  Astronom  sein  Fernrohr  in  der  Richtung  der  Mittagslinie  nur 
um  .‘1  m verschieben,  so  würde  er  damit  schon  die  Zehntelsekunden  seiner  Pol- 
höhe geändert  haben“.  Oder  zum  Kapitel  von  der  Länge  des  Erdhalbmessers 
für  einen  gegebenen  Ort:  „ln  einem  Hause  am  Nordende  der  Friedrichstrasse 
würde  man  dem  Mittelpunkte  der  Erde  um  10, fl  m näher  sein  als  am  Südende 
der  Strasse,  also  um  drei  Treppen  steigen  müssen,  um  mit  den  Leuten  am  Südende 
gleichweit  vom  Erdcentruin  zu  sein.*4  Bei  den  geodätischen  Messungen  geht  der 
Verfasser  auch  ziemlich  in  Details  ein:  wir  finden  hier  eine  genaue  Beschreibung 
des  Basismessapparates,  seines  Gebrauches,  des  Nivellements  u.  s.  f.  Dio  Aus- 
führungen der  einzelnen  Paragraphen  sind  von  reichhaltigen  historischen  An- 
merkungen begleitet  und  bei  den  Angaben  meist  die  neueren  Arbeiten  zuge- 
zogen. Unter  den  Beweisen  übet  die  Rotation  der  Erde  findet  sich  auch  der 
neuere,  durch  weitere  Beobachtungen  aber  jedenfalls  noch  zu  erhärtende  aus 
dem  „Seitendruck“  der  Eisenbahnzüge.  Dieser  Beweis  ist  nach  dem  Verfasser 
der  folgende:  „Auf  doppelgleisigen  Strecken,  auf  welchen  die  Schienen  nur 
durch  neben  denselben  in  die  Schwellen  eingelassene  Hakennägel  befestigt 
sind,  findet  durch  den  Druck  der  Züge  eine  Fortschiebung  der  Schienen,  eine 
Schienenwanderung  statt;  sie  trifft  nach  den  Erfahrungon  der  Hamburg-Har- 
burger  Eisenbahnverwaltung  jene  Schiene  in  stärkerem  Masse,  welche  in  der 
Richtung  des  fahrenden  Zuges  die  rechtsseitige  ist  (diese  ist,  wegen  des  Erd- 
umschwungcs  von  West  nach  Ost,  im  Nachtheil),  und  soll  in  einem  Vierteljahre 
den  Betrag  von  8 Centimetorn  erreichen.  — Bei  den  Lokomotiven  zeigen,  da 
die  Räderpaaro  in  Folge  des  Umwondens  der  Maschine  auf  der  Drehscheibe 
ihre  Lage  wechseln  und  der  Druck  auf  der  Rechtsseite  dor  Fahrtrichtung  immer 
grösser  ist  als  auf  der  Linksseite,  die  rechtsseitigen  Lokoinotivräder  im  Laufe 
der  Zeit  eine  grössere  Abnützung  als  die  linksseitigen.“  F.  K.  Ginzel. 

♦ 


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131 


O.  Dziobek,  Die  mathematische u Theorien  der  Planetenbewegungen. 

Leipzig,  J.  Amb.  Barth,  1888.  Preis  Mk.  9,— . 

Dieses  Werk,  dessen  Herausgabe  vom  Kultusministerium  unterstützt 
worden  ist,  verfolgt  vornehmlich  den  Zweck,  dem  mathematisch  Ausgebildeten 
die  schnellere  Einführung  in  die  astronomischen  Theorien  der  Störungen  zu 
ermöglichen.  Der  Verfasser  giebt  hierzu  im  ersten  Abschnitte  die  Hauptsätze 
der  Himmelsmechanik,  die  uöthigen  Definitionen  über  die  Charakteristik  der 
Bahnen  der  Himmelskörper,  und  nach  Darlegung  der  bei  der  Bewegung 
mehrerer  Körper  stattfindenden  mechanischen  Prinzipien  eine  allgemeine  Dar- 
stellung des  Problems  der  drei  Körper  und  der  Spezialfälle  desselben.  Der 
zweite  Abschnitt  ist  von  wesentlich  mathematischen  Interesse.  Er  giebt  die 
Integration  der  Differentialgleichungen  der  Bewegung  nach  Poisson  und 
Lagrangc  und  die  Entwicklung  dieser  Sätze  für  die  elliptischen  Planeten- 
bahnen, ausserdem  beschäftigt  er  sich  noch  namentlich  mit  der  Hamilton- 
Jacob i sehen  partiellen  Differentialgleichung  und  deren  Anwendung  auf  die 
elliptische  Bewegung  der  Planeten.  Der  dritte,  für  Astronomen  interessanteste 
Abschnitt  endlich  enthält  die  „Theorie  der  Störungen“.  Er  beginnt  mit  der 
Entwicklung  der  absoluten  Störungen  (mit  besonderer  Rücksichtnahme  auf 
Laplace),  verfolgt  die  Entwicklung  der  Störungsfunktion  nach  Leverrier  u.A. 
und  ihrer  Verwendungsart  in  der  Störungstheorie.  Darauf  wendet  sich  der 
Verfasser  zu  der  durch  Euler  begründeten  Methode  der  Variation  der  Kon- 
stanten, und  giebt  eine  Ableitung  der  auf  Grund  dieser  fruchtbringenden 
Methode  von  Laplacc  und  Lagrange  gewonnenen  wichtigen  Sätze  und 
deren  Bedeutung  bei  der  Frage  über  die  Stabilität  unseres  Planetensystems. 
Hieran  schliesst  sich  die  Untersuchung  des  Einflusses  der  säkularen  Glieder 
in  der  Störungsfunktion  nach  Leverrier,  und  des  Auftretens  der  Glieder 
langer  Periode.  Diesem  folgt  die  Beriicksiehtigungsweise  der  aus  den  zweiten 
Potenzen  der  Massen  hervorgehenden  Glieder  und  der  Laplacesche  Beweis 
über  die  Unveränderlichkeit  der  grossen  Bahnachsen  der  Planeten.  Den  Schluss 
bildet  der  Hinweis  auf  die  Wichtigkeit  einiger  Sätze,  welche  für  die  Coefflcienten 
hei  der  Entwicklung  der  Coördinaten  in  trigonometrische  Reihen  erlangt  werden 
können.  Jeder  Abschnitt  wird  mit  einem  historischen  Uobcrblicke  abgeschlossen. 

Um  den  Verfasser  in  seiner  Absicht  nicht  misszuverstehen,  darf  der 
astronomische  Leser,  der  das  Werk  kennen  lernen  will,  den  Standpunkt  des- 
selben nicht  vergessen.  Dieser  Standpunkt  ist  ein  rein  mathematischer,  der 
das  Problem  in  seiner  Allgemeinheit,  namentlich  von  dieser  Seite  aus  betrachtet 
und  demgemäss  den  Fortschritt  in  der  Lösung  des  Problems  der  drei  Körper 
in  Bezug  auf  das  Sonnensystem  berücksichtigt.  Darum  liegt  jene  Darstellung 
der  Ueberwindung  der  Schwierigkeiten  ausserhalb  des  Interesses  des  Autors, 
welche  in  der  numerischen  Berechnung  der  Störungen  bei  den  Asteroiden  und 
Kometen  durch  die  Arbeiten  von  Hansen,  Encke,  Tietjen,  Oppolzer  u.A. 
ebenfalls  einen  mathematischen  Fortschritt,  allerdings  einen  wesentlichen  Fort- 
schritt anderer  Art  repräsentiren.  Obw'ohl  zur  Zeit  die  Ueberzahl  der  Astronomen 
gerade  die  Entwicklung  dieses  letzteren  Gegenstandes  der  Störungstheoric 
verfolgt,  wird  das  verdienstvolle  Werk  Dziobeks  auch  in  astronomischen 
Kreisen  mit  Interesse  gelesen  werden.  F.  K.  Ginzel. 


Himmel  uud  Erde.  1888.  II. 


10 


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Herrn  Amtmann  E.  in  N.  Sie  wünschen,  dass  die  Redaktion  nächstens 
auch  eine  Mondkartc  veröffentlichen  möge.  Zunächst  veranlasst  uns  dieser 
Wunsch  im  Interesse  aller  derjenigen  Liebhaber  der  Astronomie,  welche  sich 
mit  Vorliebe  dem  Monde  zuwenden,  und  deren  Thätigkeit  in  dieser  Richtung 
auch  für  die  Wissenschaft  sehr  werthvolle  Früchte  tragen  kann,  eine  Ueber- 
sicht  über  die  vorhandenen  guten  Mondkarten  zu  geben.  Die  grösste  und 
vollständigste  derselben  ist  die  einen  Durchmesser  von  etwa  190  cm  besitzende 
Karte  von  Julius  Schmidt,  welche  auf  Kosten  des  Kgl.  proussischen  Unter- 
richtsministeriums herausgegeben  und  bei  Dietrich  Reimer  in  Berlin  zu 
haben  ist  Am  nächsten  stehen  derselben  in  Ausführlichkeit  und  Zuverlässig- 
keit die  Mondkarten  von  Lohrmann,  welche  vor  einiger  Zeit  bei  Job.  Atnbr. 
Barth  in  Leipzig  neu  erschienen  sind,  und  die  Mondknrteu  von  Maedler, 
welche  dem  Verlag  von  Simon  Schropp  in  Berlin  angehören.  Noch  kleinen* 
Karten,  welche  aber  in  den  meisten  Fällen  den  in  Rede  stehenden  Bedürf- 
nissen nicht  mehr  genügen  worden,  sind  den  besten  vorhandenen  Lehrbüchern 
der  populären  Astronomie  beigegeben.  Der  neueste  Standpunkt  der  Mond- 
forschung findet  aber  in  allen  diesen  Karten,  obwohl  mindestens  eins  jener 
Kartenwerke  für  den  Mondbeobachtor  unentbehrlich  ist,  kein  volles  Genüge 
mehr  und  verlangt  speziellere  Darstellungen  einzelner  Gegenden  des  Mondes, 
wie  sic  u.  a.  in  dem  berühmten  Werke  von  Nasmvth  und  Carpenter,  sowie  an 
einzelnen  Stellen  in  den  Fachzeitschriften  enthalten  sind.  Wir  werden  uns 
im  Verlaufe  der  Zeit  bemühen,  gerade  in  letzerer  Richtung  durch  Spezial- 
Darstellungen  einzelner  für  die  gegenwärtige  Forschung  besonders  wichtiger 
und  interessanter  Mondgegenden  den  weitergehenden  Wünschen  entgegen- 
zukommen. 

Herrn  W.  L.  II.  in  Berlin.  Verzeichnisse  der  bisher  festgestellten 
Fixstcrnpuralluxcn  und  der  berechneten  Doppelsternbahnen  finden  Sie  aller- 
dings wohl  in  fast  allen  populären  Astronomien.  Wir  wollen  jedoch  gern  auf 
Ihren  Wunsch  in  einem  der  nächsten  Hefte  ein  möglichst  vollständiges  und 
bis  auf  die  heutige  Zeit  ergänztes  Verzeichniss  der  wichtigsten  Ergebnisse 
dieser  Art  mit  allen  nöthigen  Nebenangaben  veröffentlichen. 


Verlag  vou  Hermann  Paetol  in  Borliu.  — Druck  von  Wilhelm  Gronau's  Buchdruckerei  in  Berlin. 
Für  die  Redaction  verantwortlich:  Dr.  M.  Wilhelm  Meyer  in  Berlin. 
Unberechtigter  Nachdruck  aus  dem  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt. 
Uebersetzungsrecht  Vorbehalten. 


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0> 


Ueber  historische  Sonnenfinsternisse. 

Von 

F.  K.  (finzel, 

Astronom  am  RechenioHtitat  der  K6nigl.  Sternwarte  in  Berlin. 


«n  allen  Himmelserscheinungen  haben  die  Verfinsterungen  des 

Vf.'.  Mondes  und  der  Sonne  die  meiste  Popularität.  Unterrichtet 
ja  jeder  Zehnpfennig-Kalender  schon  alle  Welt  von  dem  Ein- 
tritt und  der  Dauer  der  Finsternisse  (wenn  auch  bisweilen  fohlerhaft); 
nicht  mindere  Aufmerksamkeit  widmen  ihnen  die  Zeitungen  und 
bereiten  die  Leser  darauf  vor,  so  dass  man  sagen  kann,  dass  heutzu- 
tage wohl  kaum  die  erheblicheren  Finsternisse  des  Mondes  und  der 
Sonne  völlig  unbemerkt  bleiben  können.  Die  grossen  seltenen  Ver- 
finsterungen der  Sonne  vollends  haben  in  unserer  Zeit  allgemeines 
Interesse  und  werden  von  allen  Schichten  des  Volkes  mit  Spannung 
erwartet,  wie  wir  dies  bei  der  totalen,  in  Deutschland  leider  zumeist 
verregneten  Sonnenlinsterniss  des  vorigen  Jahres  zu  constatiren  vollauf 
Gelegenheit  hatten.  Die  leuchtende  Corona  um  die  vom  Monde  ver- 
hüllte Sonne  und  die  rothen  flammenden  Protuberanzen  sind  durch 
die  Bemühungen  einer  Reihe  populärer  astronomischer  Schriftsteller 
(nicht  wenig  namentlich  durch  die  Werke  von  Secchi  und  Lockyer) 
so  bekannte  Dinge  geworden,  dass  man  bei  der  eben  genannten  vor- 
jährigen Finsterniss  in  den  Strassen  Berlins  gute  und  schlechte  Bilder 
jener  Erscheinungen  gewissermassen  als  Textbücher  für  die  zu  erwar- 
tende himmlische  Vorstellung  ausbieten  sah.  Jeder  halbwegs  Gebildete 
weiss  über  die  Bedeutung  dieser  Phänomene  soviel,  dass  die  unzer- 
trennlichen Begleiter  totaler  Sonnenfinsternisse,  die  Corona  und  die 
Protuberanzen,  für  die  Erkenntniss  der  Beschaffenheit  der  Sonne  die 
wichtigsten  Behelfe  liefern  und  darum  deren  Erforschung  zu  den 
interessantesten  Kapiteln  der  beobachtenden  Astronomie  gehört.  Nie- 
mand wundert  sich  mehr,  wenn  die  Astronomen  um  der  paar  Minuten 
willen,  innerhalb  welcher  bei  den  totalen  Sonnenfinsternissen  jene 

Himmel  und  Erde,  188a  III.  ] I 


134 

Erscheinungen  sich  abspielen,  kostbare  Expeditionen  ausrüsten  und 
lange  Reisen  nicht  scheuen,  um  die  Totalitiitsphiinomene  für  die  Wissen- 
schaft möglichst  auszunützen.  Das  Vcrständniss,  welches  das  gebildete 
Publikum  den  Zielen,  die  von  der  Astronomie  bei  grossen  Sonnen- 
finsternissen verfolgt  werden,  entgegenbringt,  ist  also  ein  lebhaftes 
und  im  allgemeinen  richtiges.  Namentlich  finden  die  fiir  die  Physik 
des  Sonnenkörpers  gewonnenen  spectralanalytischen  und  photographi- 
schen Resultate  schnelle  Würdigung.  Der  Freund  und  Interessent  der 
Himmelskunde  liefe  indess  Gefahr,  in  den  auf  physikalische  Aus- 
beutung bestrobten  Anstrengungen  unserer  heutigen  Astronomie  die 
einzige  Wichtigkeit  grosser  Sonnenfinsternisse  zu  erblicken.  Jene 
grossen  Naturschauspiele  bergen  nicht  nur  physikalische,  sondern 
auch  geometrische  Erkenntnisse  in  sich.  Der  Nutzen,  den  wir  aus 
der  Beobachtung  der  Sonnenfinsternisse  ziehen  können,  bezieht  sich 
auch  auf  Thatsachen  in  der  Bewegung  des  Mondes,  und  zwar  ist 
dieser  Nutzen  ein  doppelter:  er  erstreckt  sich  nicht  nur  auf  eine  ver- 
besserte Kenntniss  der  Mondbewegung,  sondern  verhilft  uns  auch,  wie 
wir  später  sehen  werden,  zur  Sicherstellung  resp.  Aufklärung  über 
geschichtliche  Facta,  kommt  also  der  theoretischen  Astronomie  und 
gleichzeitig  den  historischen  Wissenschaften  zu  gute.  Die  bisweilen 
allzu  starke  Betonung  der  Wichtigkeit  grosser  Sonnenfinsternisse  für 
die  astrophysikalische  Forschung  lässt  das  Publikum  die  eben  ange- 
deuteten anderweitigen  Ziele  wissenschaftlicher  Arbeit  nicht  selten  ganz 
übersehen.  Es  wird  daher  gerecht  und  billig  sein,  wenn  auch  die 
Bedeutung  der  grossen  Sonnenfinsternisse  für  die  Verbesserung  unserer 
Kenntniss  der  Mondbahn  und  ihrer  Wichtigkeit  für  historische  Fragen 
hier  einmal  eine  populäre  Darstellung  erfahrt.  Bei  der  Schwierig- 
keit, diesen  seiner  Natur  nach  mathematischen  Gegenstand  in  allgemein 
verständlicher  Weise  zu  behandeln,  muss  ich  allerdings  meine  Leser 
um  Entschuldigung  bitten,  wenn  ich  Lücken  in  ihrem  Verständnisse 
lassen  sollte. 

Die  Einsicht  in  die  Resultate,  die  sich  aus  centralen  Sonnen- 
finsternissen für  die  Verbesserung  der  in  unsern  Rechnungen  ange- 
nommenen Mondbewegung  erreichen  lassen,  wird  am  klarsten  durch 
einen  Blick  auf  die  geometrische  Bedeutung  der  Finsternisse  selbst. 
Der  Mond  erzeugt  vermöge  der  auf  ihn  fallenden  Strahlen  der  Sonne 
einen  Schattenkegel,  welcher,  wenn  die  mathematischen  Bedingungen 
für  das  Eintreten  einer  centralen  Sonnenfinsterniss  statthaben,  die  Erde 
auf  ihrer  Oberfläche  mit  einer  gewissen  Breite  irgendwo  trifft,  wie 
dies  in  der  folgenden  Figur  ersichtlich  gemacht  ist.  Da  der  Mond  seine 


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Hahn  um  die  Erde  in  schneller  Bewegung1  weiter  verfolgt,  die  Erde  sich 
um  ihre  Axe  dreht  und  mit  dem  Monde  um  die  Sonne,  so  wird  die  Lage 
des  Schatten kegels  auf  der  Erde  jeden  Augenblick  eine  andere:  er 
schreitet  über  die  Erde  fort.  Auf  diese  Weise  entsteht  auf  der  Erd- 
oberfläche bei  jeder  centralen  Sonnenfinstemiss  eine  mehr  oder  minder 


breite  Zone,  innerhalb  welcher  die  Verfinsterung  an  den  in  ihr  gele- 
genen Orten  m,  n,  o,  der  Reihe  nach  sichtbar  wird  und  zwar  als 
totale,  ringförmige  oder  ringförmig-totale  (sog.  annulare)  Finsterniss, 
je  nach  der  Lage  des  Schattenkegels  gegen  die  Erdoberfläche.1)  Die 
ausserhalb  dieser  „Centralitätszone“  gelegenen  Orte  A und  B können, 
wie  übrigens  von  selbst  klar  ist,  die  Erscheinung  nur  partiell  sehen 
und  zwar  desto  beträchtlicher,  je  näher  sio  der  Nord-  oder  Südgrenze 
der  Centralitätszone  liegen;  aber  nur  jene  Beobachter  werden  die  Cen- 
traiität  der  Verfinsterung  wahrnehmen,  die  sich  in  der  Zone  befinden, 
nur  diese  werden  also  bei  einer  totalen  Sonnenfinstemiss  alle  jene 
merkwürdigen  Phänomene  beobachten  können,  welche  mit  dem  Ein- 
tritte dieser  Naturerscheinungen  verbunden  sind. 

Für  jede  vorgelegte  Finsterniss  lässt  sich  die  Lage  ihrer  Cen- 
tralilätszone  berechnen.  Das  Fundament  zu  dieser  Rechnung  liefern 
unsere  Sonnen-  und  Mondtafeln,  nämlich  jene  Tabellenwerke,  in  denen 
die  aus  der  Theorie  der  Bewegung  der  Sonne  und  des  Mondes  gezo- 
genen Zahlenwerthe  enthalten  sind.  Aus  diesen  Tafeln  werden  zuerst 
eine  Reihe  von  Grössen  bestimmt,  welche  im  allgemeinen  die  Stellung 
des  Mondes  und  der  Sonne  zur  Zeit  der  Conjunction  (bei  welcher 
Sonne.  Mond  und  Erde  in  eine  gerade  Linie  treten)  und  die  Ver- 
änderungen dieser  Beträge  während  gewisser  Zeit  ropräsentiren, 
worauf  aus  diesen  die  „Elemente*-  der  Finsterniss  hergestellt  werden, 
nämlich  eine  Anzahl  von  Grössen,  die  zu  der  Lösung  der  Aufgabe, 
aus  der  Lage  des  Schatten  kegels  die  näheren  Verhältnisse  der  Sicht- 
barkeit der  Verfinsterung  zu  berechnen,  gebraucht  werden.  Sind  die 

’l  Die  totalen  Finsternisse  haben  zumeist  sehr  breite  Centralitätszonen, 
die  ringförmig-totalen  dagegen  ein  auffallend  enges  Sichtbarkeibsgebiet;  so 
hatte  die  später  zu  erwähnende  totale  Sonnenfinsternis?  vom  2.  Aug.  11:53  eine 
Centralitätszone  von  370  Kilometer  Breite. 


11 


136 


Finsterniss-Elemente  ermittelt  so  hat  die  Erledigung  der  Fragen  nacl 
dem  Lauf  der  Centralitiitszone,  nach  der  Dauer  der  Totalität  in  diese  • 
Zone,  nach  der  Zeit  und  Grösse  der  verfinsterten  Phase  für  einet, 
bestimmten  Punkt  der  Erdoberfläche  und  die  Lösung  anderer  ver- 
wandter Aufgaben  der  Theorie  der  Finsternisse  keine  weitere  Schwierig 
keit  Von  letzteren  Aufgaben  interessiren  uns  hier  vornehmlich  nur 
die  Centralitiitszonen  der  Finsternisse;  (mehrere  dieser  Zonen  findet, 
ich  auf  der  hier  nächstfolgenden  Karte  eingetragen). 


Der  Leser  sieht  leicht,  dass  die  Rechnungsresultate  über  den 
Verlauf  der  Sonnenfinsternisse  von  der  Richtigkeit  der  dabei  befolgten 
Theorie  und  von  der  Correctheit  unserer  Sonnen-  und  Mondtafeln  ab- 


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hängen.  Die  heutige  Berechnung} weise  der  Finsternisse,  als  der  erste 
in  Frage  kommende  Factor,  lässt  in  der  ihr  durch  Hansen  gegebenen 
Oestalt  wenig  zu  wünschen  übrig  und  gestattet,  die  Ermittelungen  der 
.Sichtbarkeit« Verhältnisse  mit  beliebigem  Grade  von  Schärfe  duroh- 
zufiihren;  von  dieser  Seite  sind  also  Abweichungen  gegen  die  Wahr- 
heit nicht  zu  fürchten.  Auch  aus  unseren  Sonnentafeln  kann  für  jene 
Bestimmungen  kein  nennenswerther  Fehler  erwartet  werden.  Zwar 
litten  derartige  Tafeln  noch  zu  Anfang  unseres  .Jahrhunderts  an  beträcht- 
lichen UDgenauigkeiten,  haben  aber  durch  Leverrier  ein  so  exactes 
Fundament  erlangt,  dass  die  aus  ihnen  berechneten  Orte  der  Sonne 
mit  jenen,  welche  wir  aus  der  Beobachtung  der  Sonne  an  den  besten 
Instrumenten  (Meridiankreisen)  erhalten,  eine  ganz  befriedigende  Ueber- 
einstimmung  zeigen.  Einen  viel  schwierigeren  Stand  haben  die  Mond- 
tafeln gegenüber  den  Finsternissen  und  namentlich  gegenüber  den 
Finsternissen  alter  Zeiten.  Geber  diesen  Punkt  gestatte  mir  der  Leser 
eine  besondere  Darlegung, 

Die  Bewegung  des  Mondes  bietet  der  Astronomie  aus  vielen 
Gründen  ein  überaus  schwieriges  Problem.  Seit  einem  Jahrhundert 
haben  die  bedeutendsten  Astronomen  ihren  Scharfsinn  daran  versucht, 
ohne  bisher  eine  völlig  befriedigende  und  erschöpfende  Lösung  zu 
erreichen.  Das  Genie  Laplace  gab  in  seiner  unsterblichen  .. M6ca- 
nique  celeste u zuerst  eine  streng  mathematische  Durchführung  der 
Theorie  der  sehr  verwickelten  Bewegung  unseres  Trabanten,  mit  Rück- 
sichtnahme auf  die  Störungen,  die  letzterer  von  der  Sonne  und  den 
Planeten  erfährt  Die  auf  diese  Theorie  gegründeten  Mondtafeln  von 
Bürg  gaben  eine  bessere  Uebereinstimmung  mit  den  beobachteten 
Orten  des  Mondes,  als  man  bis  dahin  erlangt  halte.  Zu  Anfang  unseres 
Jahrhunderts  waren  es  Lagrange  und  Bouvard,  später  Damoiseau 
und  Plana,  welche  sich  an  diesem  Problem  versuchten  und  es  in 
gewissen  Richtungen  weiterzuführen  trachteten.  Aber  erst  seit  den 
Erfolgen  des  ehemaligen  Uhrmachers,  späteren  Astronomen  in  Gotha, 
Hansen,  ist  die  Vollkommenheit  der  Mondtafeln  der  Höhe  unserer 
Anforderungen  entsprechend  geworden.  Die  Mondtafeln  dieses  be- 
rühmten Analytikers  werden  gegenwärtig  für  die  Berechnung  der 
Bewegung  unseres  Trabanten  allgemein  angewendet  und  befriedigen 
in  hohem  Grade.  Ihre  völlige  Uebereinstimmung  mit  der  Wirklich- 
keit herzustellen,  hat  in  neuerer  Zeit  der  Amerikaner  New  comb  sich 
bemüht.  Allein  immer  noch  bleiben  zwischen  den  beobachteten  und 
berechneten  Orten  des  Mondes  kleine  Differenzen,  über  deren  Ursache 
die  Astronomie  bis  jetzt  nicht  ins  Klare  gekommen  ist,  so  dass  das 


138 


Auftauchon  der  Meinung  nicht  befremdend  erscheint,  welche  annimmt, 
dass  das  allgewaltige  in  unserem  Sonnensystem  überall  gütige  Gravi- 
tationsgesetz für  die  Erklärung  aller  Eigenthiiinlichkeiten  der  Mond- 
bewegung nicht  zureiohend  sein  möge.  Eine  der  wichtigsten  dieser 
Eigenthiiinlichkeiten  ist  die  veränderliche  Bewegung  des  Mondes  in 
seiner  Bahn,  die  sogenannte  säculare  Beschleunigung.  Man  erkannte 
vor  fast  zweihundert  Jahren,  dass  sich  der  Mond  innerhalb  gewisser 
Perioden  schneller  bewege  als  zu  anderer  Zeit.  Diese  und  andere 
Ungleichheiten,  auf  die  anfangs  zumeist  aus  der  Vergleichung  mit  den 
Beobachtungen  der  Alten  geschlossen  ward,  wurden  später  durch  die 
rein  mathematische  Untersuchung  der  Bewegung  dos  Mondes,  durch 
die  Mondtheorie,  bestätigt  Es  zeigte  sich  zum  Beispiel,  dass  unser 
Erdbegleiter  sich  von  der  Zeit  der  Babylonier  bis  ins  Mittelalter  lang- 
samer bewegt  hat,  als  im  sechzehnten  und  siebzehnten  Jahrhundert 
unserer  Zeitrechnung;  aus  Newcombs  Untersuchungen  ergab  sich, 
dass  diese  Bewegung  im  laufenden  Jahrhundert  eine  langsamere  ist 
als  im  verflossenen.  In  Bezug  auf  den  numerischen  Werth  der  säcu- 
laren  Beschleunigung  ist  es  nun  interessant,  dass  die  von  verschiedenen 
Forschern  ausgeführte  theoretische  Bestimmung  dieses  Betrages  ab- 
weichende Resultate  zu  Tage  gefördert  hat.  Während  Adams  und 
Delaunay  fanden,  dass  die  hundertjährige  Beschleunigung  der  Mond- 
bewegung ungefähr  6"  (Bogensekunden)  betrage,  kam  Hansen  auf 
dem  Verfolge  seiner  Theorie  zu  der  Acceleration  von  12";  in  seinen 
Mondtafeln  adoptirte  er  den  Betrag  von  12"1S.  Welcher  Werth  der 
richtige  ist,  darüber  liegt  bis  jetzt  keine  Entscheidung  vor,  aber  die 
Gewissheit  hat  man  erlangt,  dass  es  nur  mittelst  des  Hansenschen 
Beschleunigungsbetrages  oder  doch  eines  demselben  nahe  kommenden 
Worthes  gelingt,  dio  heutigen  Beobachtungen  des  Mondes  mit  denen 
der  Alten  halbwegs  in  Einklang  zu  bringen.  Ueber  die  Ursachen 
der  Differenz  von  6"  der  Theorie  gegen  den  Betrag  von  12",  der  aus 
den  Beobachtungen  gezogen  wird,  sind  verschiedene  Hypothesen  auf- 
gestellt worden.  Ferrel  und  Delaunay  zogen  die  Phänomene  der 
Flutherscheinungen  zur  Erklärung  heran.  Andere  wiesen  auf  eine 
möglicherweise  eingetretene  Aenderung  in  der  Geschwindigkeit  der 
Erdrotation  hin;  Oppolzer  zeigte  vom  rechnerischen  Standpunkte 
aus,  inwiefern  durch  die  Existenz  eines  cosmischen  Staubes  die  Be- 
wegung der  Erde  verändert  werden  könne.  Aber  es  existirt  bis  jetzt 
noch  keine  völlig  erschöpfende  und  einwurfsfreie  Durchführung  der 
Theorie  der  Mondbewegung,  so  dass  man  die  Hoffnung  aufrecht 
erhallen  darf,  es  werde  in  dieser  Entscheidung  schliesslich  noch  die 


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Mathematik,  diese  treue  Helferin  des  Astronomen,  das  letzte  Wort 
sprechen. 

Von  einer  ideellen  Vollkommenheit  unsrer  Mondtafeln  sind  wir, 
wie  mein  aufmerksamer  Leser  sieht,  zur  Zeit  noch  entfernt.  Die 
Tafeln  genügen  für  die  Gegenwart;  bei  der  Anwendung  auf  ver- 
schwundene Epochen  aber  zeigen  sich  Differenzen  gegen  die  Wahr- 
heit Gehen  wir  nämlich  in  solch  ferne  Zeit  zurück  und  berechnen 
mittelst  der  Hansen  sehen  Tafeln  die  Centralitätszone  einer  der 
alten  Finsternisse,  so  können  wir  leicht  die  Wahrnehmung  machen 
müssen,  dass  die  berechnete  Zone  Orte  nicht  überdeckt,  aus  denen 
wir  sichere  Nachrichten  haben,  dass  daselbst  von  Augenzeugen 
alle  Zeichen  der  Totalität  beobachtet  worden  sind.  Beispielsweise 
fand  im  Jahre  29  n.  Chr.  in  Bithynien  eine  grosse  Sonnenfinsterniss 
statt,  welche  zu  Nicaa  gesehen  wurde  und  von  einem  furchtbaren  Erd- 
beben gefolgt  war;  es  ist  dieselbo,  welche  die  Kirchenvater  irrthüm- 
Iicher  Weise  mit  der  Finstemiss  bei  Christi  Tode  identificirt  haben. 
Die  Rechnung  nach  den  Hansen  sehen  Grundlagen  führt  die  Cen- 
tralitätszone zwar  nach  Kleinasien,  aber  letztere  verbleibt  viel  zu 
westlich  vom  eigentlichen  Bithynien,  und  Nicäa  liegt  ganz  ausserhalb 
der  Zone.  Der  Grund  dieser  Nichtübereinstimmung  von  Rechnung 
und  Beobachtung  liegt  darin,  dass  die  siieularen  Aenderungen  der 
Mondbahn  im  allgemeinen  desto  stärker  hervortreten,  je  mehr  wir 
uns  von  der  Gegenwart  entfernen,  und  dass  also  beispielsweise  ein 
kleiner  Fehler  in  der  säeularen  Beschleunigung  der  Mondbewegung 
in  dieser  Zeit  sein  Vorhandensein  in  unangenehmer  Weise  verrathen 
wird.  Da  dieser  Fehler  auf  die  Tafelgrössen  und  von  diesen  auf  die 
„Elemente“  der  Finstemiss  wirken  muss,  letztere  aber  wieder  auf  die 
Lage  der  Centralitätszone  Einfluss  haben,  so  können  wir  unter  Um- 
stünden diese  Zone  an  Orten  finden,  wo  die  wirkliche  nicht  gelegen 
hat.  Derartige  Abirrungen  der  Hansonschen  Tafeln  sind  selbst  bei 
Finsternissen  des  Mittelalters  zu  finden  und  auch  noch  in  dieser 
Epoche  bei  feineren  Untersuchungen  Irrungen  schwer  vermeidlich. 

Aus  den  bisherigen  Auseinandersetzungen  eröffnet  sich  uns  nun 
eine  wichtige  Ansicht  der  Sache.  Indem  wir  nämlich  bisweilen  finden, 
dass  bei  den  Rechnungen  über  ältere  Finsternisse  Differenzen  in  den 
Lagen  der  berechneten  und  jenen  von  der  Natur  beschriebenen  Cen- 
tralitätszonen  auftreten,  können  wir  diese  Wahrnehmung  zum  Nutzen 
umkehren,  dadurch,  dass  wir  von  diesen  Differenzen  zur  Erkenntniss 
der  richtigen  säeularen  Beschleunigung  Gebrauch  machen.  Wissen  wir 
in  einem  vorgelegten  Falle  mit  hinreichender  Sicherheit,  die  Finsterniss 


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wurde  an  einem  Orte  unter  allen  Zeichen  der  Totalität  gesehen,  und 
bleibt  die  berechnete  Zone  von  diesem  Orte  entfernt,  so  werden  wir 
an  der  theoretischen  Mondbahn  resp.  an  den  sie  bestimmenden  Tafel- 
grössen solche  Aenderungen  vornehmen,  dass  die  Zone,  wenn  wir  sie 
dann  abermals  mit  den  geänderten  Grössen  bestimmen,  nun  über  den 
Ort  hinweggeht,  an  welchem  die  Verfinsterung  total  gesehen  worden 
ist  Daraus  ist  nun  die  Wichtigkeit  der  historischen  Sonnenfinsternisse 
für  die  Astronomie  sofort  klar.  Treten  uns  nämlich  derartige  historische 
Nachrichten  entgegen,  welche  den  Beweis  liefern,  dass  die  an  einem 
Orte  auffällig  gewesene  Totalität  mit  der  Rechnung  nicht  übereinkommt, 
so  liefern  diese  Fälle  wichtige  Behelfe  für  die  Verbesserung  unserer 
Kenntniss  der  Mondbewegung.  Die  Richtung,  welche  die  wissen- 
schaftliche Arbeit  bei  der  Behandlung  des  Gegenstandes  zu  nehmen 
hat,  folgt  aus  dem  Gesagten  von  selbst.  Man  hat  zuerst  ein  historisch 
möglichst  sicher  begründetes  Material  beobachteter  grosser  Sonnen- 
finsternisse zu  sammeln,  die  Centralitätszonen  der  letzteren  zu  be- 
rechnen und  mit  jenen  zu  vergleichen,  die  aus  den  historischen  An- 
gaben etwa  folgen;  Aufgabe  der  Rechnung  ist  es  dann,  die  sich 
ergebenden  Unterschiede  derartig  zu  verwerthon,  dass  aus  ihnen  die 
wahrscheinlichsten,  diesem  empirischen  Verfahren  entsprechenden 
Correctionen  der  Mondtafeln  gezogen  werden  können. 

Solch  historisches  Material  aber  bietet  uns  die  Geschichte  des 
Mittelalters  in  Fülle.  Die  Aufzeichnungen  der  Klöster  namentlich  sind 
es,  wo  wir  die  Nachrichten  zu  suchen  haben.  Als  im  5.  Jahrhundert 
n.  Chr.  das  Klosterwesen  im  christlichen  Europa  rasche  Ausdehnung 
gewann,  fand  in  den  Klöstern  der  durch  die  Vorbilder  clussischer 
Geschichtsschreiber  wiedererweckte  Sinn  für  die  Aufzeichnung  histo- 
rischer Thatsachen  eifrige  Pflege.  Die  Darstellung  politischer  Er- 
eignisse innerhalb  der  bei  manchen  Klöstern  nicht  geringen  Maoht- 
sphäre,  die  Wahrnehmung  merkwürdiger  und  allgemein  auffällig 
gewesener  Naturerscheinungen,  die  Begebnisse  des  Alltagslebens  und 
persönliche  Erinnerungen  bilden  den  Gegenstand  der  schreibenden 
Mönche.  Die  Klosterbücher  erhielten  sich  durch  Jahrhunderte  an 
demselben  Orte  oder  sie  gelangten  infolge  Aufhebung  oder  Zerstörung 
ihrer  Entstehungsorte  in  andere  Klöster  oder  Bisthiimer,  in  welchen 
die  annalistischen  Berichte  fortgesetzt  wurden  oder  dort  durch  Ver- 
bindung mit  localen  Nachrichten  mannigfache  Veränderungen  und 
Compilationen  erfuhren.  Diese  reichen  Materialien  für  die  mittelalter- 
liche Geschichtsforschung,  an  deren  kritischer  Bearbeitung  und  Druck- 
legung gegenwärtig  die  meisten  civilisirten  Staaten  Europas  theil 


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haben,  entspringen  den  fränkischen  Klöstern  von  Dijon,  Fleury,  Fla- 
vigny,  Beze,  Metz,  Nevers,  Sens,  Angoulerae  u.  s.  w.,  den  deutschen 
von  Fulda,  Trier,  Erfurt,  Regensburg,  Pegau,  Altzelle,  Cöln,  Corvey, 
Zweifalten  u.  s.  f.,  den  österreichischen  von  Prag,  Melk,  Königsaal, 
den  englischen  von  Waverley,  Osney,  Dunstable,  Bermondsey  u.  a., 
den  belgischen  von  Lüttich,  Fosse,  Egmunde,  Yburg,  den  italienischen 
von  Monte  Cassino,  Fossa  nuova,  Salerno,  einer  Reihe  von  nord- 
ländischen auf  Seeland,  in  Jütland,  Schweden,  Livland  und  Ostproussen. 
Nicht  minder  werthvoll  ist  dem  Historiker  die  Geschichte  der  Städte, 
von  denen  sich  namentlich  in  Italien  frühzeitige  Anfänge  vorfinden. 
Endlich  sind  auch  nicht  zu  verschmähen  die  famosen  Weltchroniken 
der  mittelalterlichen  Mönche,  jene  ersten  Versuche  über  universale 
Darstellung  der  Geschichte,  die,  womöglich  bis  auf  die  Erschaffung 
der  Welt  zurückgehend  und  über  die  Schöpfungstage  bisweilen  mit 
nicht  geringer  Gelehrsamkeit  sich  verbreitend,  in  wunderlichem  Zick- 
zack Römer  und  Griechen  absolviren  und  nach  einigen  kühnen 
Sprüngen  durch  das  Mittelalter  vom  Olymp  der  Universalität  zur 
Localgeschichte  herabsteigen. 

Von  diesen  umfangreichen  geschichtlichen  Materialien  zur  Aus- 
beutung über  beobachtete  Finsternisse  haben  die  Astronomen  bisher 
wunderlicher  Weise  (den  Versuch  von  Celoria2)  ausgenommen)  keinen 
Gebrauch  gemacht  Man  hat  das  Fundament  für  die  Rechnung  meist 
in  verschiedenen  Ueberlieferungen  lateinischer  und  griechischer 
Classiker  über  mehrere  grosse  Sonnenfinsternisse  des  Alterthums  ge- 
sucht Allein  von  diesen  Beobachtungen  sind,  obwohl  sie  den  Vor- 
teil haben,  uns  in  eine  entlegene  Epoche  zurückzuführen,  nur  einige 
wenige  für  Zwecke  der  vorliegenden  Art  brauchbar;  denn,  wie  aus 
den  früheren  Darlegungen  hervorgeht,  ist  es  gerade  für  diese  Zwecke 
von  Wichtigkeit,  mit  Sicherheit  den  Ort  der  beobachteten  Totalität 
zu  kennen;  ein  Umstand,  der  sich  aus  den  classischen  Nachrichten 
eines  Livius,  Tacitus,  Dio  Cassius,  Julius  Obsequens  u.  a. 
nur  ausnahmsweise  feststellen  lässt  und  oft  durch  kaum  mehr  als 
blosse  Vermuthungen  ersetzt  wird.  Zudem  ist  die  Beschaffenheit  und 
die  Zusammensetzung  dieser  antiken  Geschichtsquellen,  wie  aus  der 
Art  ihrer  Entstehung  erklärlich,  einer  modernen  historischen  Kritik, 
in  der  Weise,  wie  sie  von  den  Historikern  an  den  Klosterannalen 
durchgeführt  wird,  nicht  mehr  zugänglich.  Die  hieraus  liervorgehende 
überlegene  Brauchbarkeit  der  mittelalterlichen  Finstcrnissbeohachtungcn 

*)  Sugli  eclissi  solari  totali  del  ;t.  (iiuguo  123Ü  e del  <i.  Ottobrc  1241. 
(Public,  del  reale  osserv.  di  Brera.  XL) 


142 


gegenüber  denen  des  Alterthums  wird  aber  noch  durch  den  Umstand 
gesteigert,  dass  bei  den  letzteren  fast  ausnahmslos  über  die  beobachtete 
Finsterniss  nur  ein  einziger  Bericht  irgend  eines  Autors  beibringbar 
ist,  wahrend  es  bei  den  mittelalterlichen  Finsternissen  vielfach  gelingt, 
für  ein  und  dieselbe  Finstemiss  eine  ganze  Serie  von  Beobachtungen 
in  den  Annalen  aufzufinden,  die  die  Beobachtungserscheinungen  an 
zahlreichen  Orten  übersehen  lassen. 

Bei  meinen  eigenen  Untersuchungen  über  diesen  Gegenstand 3) 
bin  ich  deshalb  den  Finsternissen  der  Classiker  ganz  aus  dem  Wege 
gegangen  und  habe  namentlich  für  die  Grundlagen  der  Rechnung 
das  Material  nur  aus  mittelalterlichen  Finsternissen  zu  bilden  gesucht, 
indem  ich  hoffen  durfte,  es  würden  sich  in  den  Annalen  der  Mönche 
und  Städte  so  zahlreiche  und  brauchbare  Aufzeichnungen  über  beob- 
achtete Finsternisserscheinungen  vorfinden,  dass  aus  diesen  gewisser- 
massen  eine  Reconstruction  des  Totalitiitsgebietes  möglich  werden 
könnte.  Diese  Voraussetzung  hat  sich  namentlich  bei  solchen  Sonnen- 
finsternissen bestätigt,  deren  Centralitiitszonen  die  christlichen  Abend- 
länder unter  günstigen  Zeitumständen  berührten  und  darum  der  all- 
gemeinen Aufmerksamkeit  kaum  entgehen  konnten.  Bei  den  meisten 
dieser  Sonnenfinsternisse  fanden  sich  bei  meiner  Quellendurch- 
musterung über  jede  zwanzig  bis  dreissig  Berichte  vor,  bei  der 
grossen  Sonnen  finsterniss  vom  2.  August  1133  sogar  über  achtzig 
Xotirungen.  In  diesen  Meldungen  über  die  beobachteten  Erschei- 
nungen treten,  was  sie  uns  hisweilen  besonders  werthvoll  macht,  auch 
Augenzeugen  oder  doch  verlässliche  Berichterstatter  hervor.  Zu 
solchen  Zeugen  gehören  beispielsweise  die  Bischöfe  Idacius  von 
Chiaves  (f  408)  und  Gregor  von  Tours  (•{•  594),  eine  Reihe  gebildeter 
Mönche,  wie  Paulus  Diaconus  von  Monte  Cassino  (787),  der  be- 
rühmte Einhard  (f  844),  ein  Freund  Karls  des  Grossen,  Nithard 
(841),  der  Abt  von  St.  Riquier,  Krieger  und  Schriftsteller  zugleich, 
Gl  aber,  Mönch  zu  Cluny  (um  1000  n.  Chr.),  der  Geschichtsschreiber 
Liudprand,  Erzbischof  von  Cremona,  der  Weltchronist  Sigebertus 
von  Gemldoux,  mehrere  byzantinische  Hofbeamte  und  Schriftsteller, 
wie  Leo  Diaconus,  Glykas,  Zonaras  u.  A. 

Um  einige  Anschauung  über  die  Beschaffenheit  der  mittelalter- 
lichen Finstemissberichte  zu  geben,  hebe  ich  die  Meldungen  über 
mehrere  der  bedeutendsten  Sonnenfinsternisse,  welche  für  die  Be- 

*)  Astronomische  Untersuchungen  über  Finsternisse.  3 Abhandlungen, 
(Sitzbcr.  der  K.  Acad.  d.  W.  Wien  Bd.  85,  März  1882;  Bd.  88,  Juli  1883; 
Bd.  89,  März  1884.) 


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Stimmung  empirischer  Verbesserungen  der  Mondtafeln  benützt  werden 
können,  jetzt  hervor.  — Zum  neunten  Jahre  Justinian  II.  melden 
byzantinische  Annalen,  dass  in  der  dritten  Tagesstunde  eine  Sonnen- 
finsterniss  eintrat,  bei  welcher  die  Sterne  am  Firmaraente  sichtbar 
wurden.  Diese  Finsterniss  fallt  auf  den  5.  October  693  n.  Chr.  Alte 
englische  Aufzeichnungen  notiren  nach  der  Einnahme  von  Soinerton 
durch  den  König  Aethelbald  eine  grosse  Sonnenfinsterniss  (14.  August 
733),  der  Mond  bedeckte  die  Sonne  „gleich  einem  schwarzen  Schilde“. 
Am  5.  Mai  840  zog  um  die  Mittagszeit  der  breite  Schattenkegel  einer 
totalen  Sonnenfinsterniss  über  das  centrale  Frankreich,  die  Schweiz 
und  das  nördliche  Italien;  sie  wird  vielfach  auf  den  Tod  Ludwigs  dep 
Heiligen  gedeutet,  und  das  Andenken  an  sie  findet  sich  namentlich  in 
fränkischen  Berichten  erhalten;  zu  Lyon,  Dijon,  Como  brach  tiefe  Däm- 
merung ein  und  nach  Andreas  von  Bergamo  richtete  diese  unter  demVolke 
grosse  Verwirrung  an.  Nicht  minder  bedeutend  war  die  Verfinsterung  am 
29.  Octobcr  878,  über  deren  Totalitiilserscheinungen  die  Braunschweiger 
und  belgischen  Annalen,  die  Jahresbücher  von  Fulda,  S.  Amand,  Dijon 
u.  s.  w.  berichten.  Die  Sonnenfinsterniss  vom  19.  Juli  939  sah  man  haupt- 
sächlich in  Süditalien,  zu  Bari  traten  die  Sterne  hervor  und  die  alten 
Klosterannalen  von  Monte  Cassino  berichten:  „Wir  sahen  die  Sonne 
ohne  Kraft,  ohne  Glanz,  ohne  Wärme.“  Neunundzwanzig  Jahre  später 
rief  in  Unteritalien  die  Verfinsterung  vom  22.  Dezember  968  einen  noch 
bedeutenderen  Eindruck  hervor.  Mehrere  bischöfliche  Begleiter  des 
Kaisers  Otto,  der  in  Calabrien  eben  den  Feldzug  gegen  den  Byzantiner 
Nicephorus  begonnen  hatte,  berichten  in  ihren  Aufzeichnungen,  dass  die 
in  Mitte  des  hollen  Tages  einbrechende  Finsterniss  ein  allseitiges  Ent- 
setzen im  kaiserlichen  Lager  verursachte,  viele  glaubten  den  jüngsten 
Tag  gekommen;  die  Dämmerung  soll  so  bedeutend  gewesen  sein  und 
so  anhaltend,  dass  das  Vieh  seine  Ställe  aufsuchte,  wie  am  Abend,  und 
die  Vögel  ihre  Nester.  Der  Bischof  Liudprand,  der  als  Brautwerber 
des  Kaisers  auf  einer  Reise  nach  Byzanz  begriffen  war,  sah  auf  Corfu 
diese  Verfinsterung  mit  allen  Zeichen  ihrer  Totalität.  Zu  Byzanz  war 
die  Sonnenfinsterniss  ebenfalls  total;  Leo  Diaconus  hat  uns  als 
Augenzeuge  einen  vortrefflichen  Bericht  hierüber  hinterlassen,  der  be- 
sonders dadurch  interessant  ist,  weil  er  mit  Deutlichkeit  zum  ersten 
Mal  die  „Corona“  erwähnt,  einer  Erscheinung,  die  erst  nahe  neun- 
hundert Jahre  später  von  der  forschenden  Menschheit  ihrer  Wichtig- 
keit nach  gewürdigt  worden  ist.  Der  Bericht  lautet:  „Nach  diesen 
Ereignissen  in  Syrien  war  um  die  winterliche  Sonnenwende  eine  so 
grosse  Sonnenfinsterniss,  wie  sie  sich  vorher  nie  ereignet  hat,  ausser 


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liei  jener,  welche  am  Leidenstage  unser«  Herrn  eintrat  durch  die 
Thorheit  der  Juden,  mit  welcher  die  Verblendeten  den  Schöpfer  ans 
Kreuz  nagelten.  Die  Finsternis»  aber  war  von  solcher  Beschaffenheit. 
Man  führte  den  22.  Tag  des  Monats  Dezember,  als  um  die  vierte 
Tagesstunde  bei  heiterein  Himmel  sich  Finsterniss  verbreitete  und  die 
Sterne  sich  deutlich  zeigten.  Ein  Jeder  konnte  die  Sonne  ohne  Schein 
sehen,  ihres  Lichtes  beraubt  und  einen  Kreis  von  feinem  Glanz,  wie 
ein  schmales  Band,  an  den  äussersten  Theilen  über  den  Rand  des 
Kreises  ringsum  leuchtend.  Nach  und  nach  aber  Hess  die  Sonne 
auf  den  Mond  ihre  früheren  Strahlen  fallen  und  erfüllte  die  Erde  von 
neuem  mit  Licht  Und  die  durch  solch  neues  und  ungewohntes  Schau- 
spiel verwirrten  Menschen  suchten  die  Gottheit  mit  Bitten  zu  be- 
sänftigen.“ Auffallende  Beleuchtungserscheinungen  berichten  die  frän- 
kischen Annalen  gelegenthch  der  ringförmigen  Finstemiss  vom  29.  Juni 
1033.  Zu  Fleurv  und  Dijon  erschien  der  Himmel  bleifarbig,  um  die 
Sonne  schillerte  ein  Kroisring  vom  Grünen  ins  Gelbe,  während  sieh 
ein  safrangelbes  Licht  über  alle  Gegenstände  ergoss  und  diese  un- 
gewohnt erhellte.  Ein  Jahrhundert  später,  am  2.  August  1133,  hatte 
Deutschland  die  bedeutendste  Sonnenfinsternis»  während  des  Mittel- 
alters. Eine  breite  Zone,  von  den  Küsten  der  Niederlande  bis  in  die 
Ebene  Ungarns  ziehend,  hüllte  die  Ortschaften  in  Dämmerung:  zu 
Aachen,  Cöln,  Disibodenberg,  Fulda,  Keichersberg,  Wiirzburg,  Heil- 
bronn, Freising,  an  mehreren  Orten  Niederösterreichs  und  Steiermarks 
traten  die  Sterne  hervor.  Von  den  überaus  zahlreichen  Zeugen  dieser 
Finsternis«  seien  hier  nur  die  Heilbronner  Klosteraunalen  citirt:  „Die 
Sonne  erschien  in  einem  Augenblicke  pechschwarz,  der  Tag  kehrte 
sich  um  in  Nacht,  viele  Sterne  wurden  sichtbar,  die  Dinge  auf  der 
Erde  erschienen  wie  in  der  Nacht,  und  das  Wasser  der  Flüsse  hielt 
inne  in  seinem  Laufe.“  — Gelegentlich  der  ringförmigen  Sonnen- 
finsterniss  vom  2G.  October  1147  vergleicht  der  Chronist  von  Geui- 
hlnux  das  Aussehen  des  verfinsterten  Sonnenkörpere  mit  „der  gött- 
lichen Majestät,  wie  sie  von  den  Malern  in  den  Büchern  abgebildet 
wird“,  im  Braunschweigischen  wurde  die  Sonne  so  klein  „als  eyn 
seckelin“.  Zu  weiteren  sehr  bedeutenden  Finsternissen  gehören  jene 
vom  3.  Juni  1239,  die  namentlich  in  Oberitalien  grosses  Aufsehen 
hervorrief,  und  jene  vom  6.  October  1241,  über  die  zahlreiche  Berichte 
aus  Deutschland  sich  erhalten  haben.  Zu  Byzanz  waren  die  Finster- 
nisse vom  25.  Mai  1267  und  16.  Juli  1330  sehr  bedeutend,  die  letztere 
sah  man  auch  in  Böhmen  und  l’reussen.  Von  ihr  gibt  Jaroschins 
„Kronike  von  Pruzinlant“  Kunde  mit  den  Worten: 


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-darnach  di  sunne  leit  gebrist 
in  dem  heümande  so  man  list 
an  des  tagis  sechzender  stunt 
wart  irre  gebreche  kunt.“ 

Die  totale  Sonnenfinsterniss  vom  1.  Januar  1386  brachte  in  mehreren 
italienischen  Städten  eine  solche  Dunkelheit  hervor,  dass  man  in  der 
dritten  Tagesstunde  in  den  Kirchen  und  Palästen  die  Dichter  anzünden 
musste.  Sie  ging  der  Ermordung  des  Karl  von  Durazzo  voraus,  der 
an  diesem  Tage  zum  König  von  Ungarn  gekrönt  ward,  und  dessen 
Umgebung  in  der  Sonnenflnstemiss  den  Vorboten  seines  baldigen 
Endes  erblickte.  Dunkelheit  brachte  auch  die  totale  Finstemiss  vom 
16.  Juni  1406,  so  dass  im  Braunschweigischen  -de  lüde  eyn  den  ander 
nicht  bekennen  konden.“  Bei  der  am  7.  Juni  1415  namentlich  für 
Baiem,  Mähren  und  Böhmen  denkwürdigen  totalen  Sonnenfinsterniss 
strahlte  hinter  der  Mondscheibe  das  Licht  -gleich  einem  Kreuze“,  in 
Prag  war  die  Dunkelheit  so  gross,  dass  man  die  Messen  nicht  ohne 
Licht  zu  lesen  vermochte,  und  Magister  Brezina  sieht  in  dieser  Finsterniss 
ein  drohendes  göttliches  Zeichen,  das  Gott  dem  Concile  erscheinen 
lasse,  welches  nach  dem  Tode  des  Johannes  Huss  dürste. 

Die  wenigen  hervorgehobenen  Beispiele  sind  hinreichend,  den 
Werth  der  mittelalterlichen  Finsternissberichte  für  die  Bestimmung  der 
Verbesserung  der  Mondtafeln  zu  zeigen.  Das  aus  den  Annalen  gezo- 
gene Material  wird  nun  sofort  brauchbar,  sobald  es  der  schon  früher 
angedeuteten  historischen  Kritik  über  die  Selbständigkeit  der  Quellen 
unterworfen  worden  ist.  Diese  Kritik  wird  nämlich  zeigen,  inwieweit 
man  in  den  gesammelten  Nachrichten  selbständige  Aufzeichnungen 
oder  blos  überkommene  Notizen  zu  sehen  hat.  Die  auf  dieso  Weise, 
den  Beobachtungsorten  nach  möglichst  sicher  gestellten  Ueberlieferungen 
lassen  sich  sogleich  mit  der  Rechnung  vergleichen,  sobald  man  über 
das  Fundament  der  letzteren  schlüssig  geworden  ist.  Ich  hatte  bei 
den  22  Finsternissen,  die  als  Grundlage  der  Untersuchung  dienten  und 
die  auf  etwa  400  Quellenberichte  gestützt  wurden,  die  Opp olzerschen 
„Syzygientafeln“  als  Basis  der  Rechnung  genommen;  selbstverständlich 
mussten  also  Mondbahncorrectionen  resultiren,  die  nur  auf  eben  dieso 
Tafeln  Beziehung  haben.  Die  Bestimmung  des  Unterschiedes  zwischen 
Rechnung  und  Beobachtung  bei  jeder  Finsterniss  will  ich  sogleich  an 
zwei  Beispielen  klar  machen,  indem  ich  den  Leser  bitte,  der  Karte  auf 
Seite  136  zu  folgen.  — Die  Berechnung  der  Centralitiitszone  der  früher 
erwähnten  merkwürdigen  Sonnenfinsterniss  vom  22.  Dezember  968  mit- 
telst der  Op polz ersehen  Tafeln  ergiebt  die  in  der  Karte  durch  lichte 


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Schraflirung  ersichtlich  gemachte  Lage  dioser  Zone.  Wie  aber  schon 
erzählt  worden  ist,  haben  wir  Augenzeugen,  welche  die  Totalitäts- 
phiinomene  beträchtlich  südlicher  von  dieser  Zone,  nämlich  zu  Byzanz. 
Corfu  und  in  Calabrien  bemerkten.  Dies  beweist  (mehrere  andere 
italienische  Annalen  sprechen  ebenfalls  dafür),  dass  die  Zone  etwa 
um  1 Grad  20  Minuten  südlicher  zu  logen,  also  in  die  auf  der  Karte 
angezeigte  I^age  zu  bringen  ist  Ein  anderes  Beispiel  bietet  die  eben- 
falls schon  erwähnte  berühmte  Finsterniss  vom  2.  August  1133,  deren 
berechnete  Totalitätsgrenzen  in  der  Karte  ersichtlich  sind.  Hier  deuten 
mehrfache  Beobachtungen  darauf  hin,  dass  diese  Finsternisszone  nach 
der  Kechnung  zu  östlich  liegt.  Neun  englische  Annalen  zeigen  die 
grosse  Auffälligkeit  der  Finsterniss  in  Südengland;  auf  der  Insel  Man 
wurde  Totalität  beobachtet;  zu  Gembloux,  Floreffe,  Lüttich  und  Fosse 
in  Belgien,  zu  Disibodenberg,  Aachen,  Hirschau  und  zum  Theil  im 
Eisass  wurden  ebenfalls  die  Totalitätserscheinungen  wahrgenommen, 
während  man  bemerken  wird,  dass  diese  Orte  alle  ausser  der  berech- 
neten Zone  liegen,  woraus  zu  schliessen  sein  wird,  dass  die  letztere 
um  eine  Verschiebung  von  55  Minuten  nach  W esten  corrigirt  werden  muss. 

Auf  diese  Weise  ergiebt  sich  also  bei  jeder  Sonnenßnsterniss 
durch  Vergleichung  der  berechneten  Centralitätszonen  mit  den  histo- 
rischen Berichten  eine  eventuelle  Ueboreinstimmung  oder  nothwendig 
werdende  Verschiebung,  und  Aufgabe  der  weiteren  Hechnung  ist  es 
nun,  aus  den  gefundenen  Verschiebungen  die  geforderten  Verbesse- 
rungen der  Mondtafeln  derart  abzuleiten,  dass  bei  einer  Neuberechnung 
der  Centralitätszonen  nach  Zuziehung  der  gefundenen  Verbesserungen 
alle  diese  Zonen  sich  nunmehr  den  Berichten  möglichst  gut  anschliessen. 
Die  Entwicklung  dieser  Hechnungsvorschriften  entzieht  sich,  wegen 
ihrer  rein  mathematischen  Natur,  einer  populären  Darstellung.  Nach 
den  Eingangs  des  vorliegenden  Artikels  gegebenen  Erläuterungen  wird 
aber  klar  sein,  dass  man  hauptsächlich  die  Frage  zu  beantworten  hat, 
inwiefern  Aenderungen  in  der  Lage  der  berechneten  Centralitätszonen 
auch  Aenderungen  in  den  Wertlien  der  zu  Grunde  liegenden  Fiuster- 
nisselemente  bedingen  und  wie  letztere  wiederum  auf  die  die  Bahn 
des  Mondos  darlogenden  Bestimmungsstücko  wirken. 

(Schluss  folgt.) 


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Ueber  die  beobachteten  Erscheinungen  auf  der 
Oberfläche  des  Planeten  Mars. 

Von 

Prof.  J.  V.  Schiaparelli, 

Direktor  der  kfalgl.  Sternwarte  xa  Mailand.*) 

(Schluss.) 

cPä>  VI. 

c-'  go  verschiedenartig',  wie  wir  in  unseren  vorangegangenen  Re- 
traclitungen  gesehen  haben,  stellt  sich  uns  das  Aussehen  der 
Kanäle  dos  Mars  und  der  ihnen  verwandten  Gebilde  dar.  Bin 
jeder  derselben  zeigt  seine  Metamorphosen  und  besitzt  seine  besondere 
Geschichte;  und  diese  Geschichte  ist  ohne  Zweifel  mit  der  der  be- 
nachbarten Kanüle  verbunden,  obgleich  dieser  Zusammenhang  nicht 
immer  deutlich  erkennbar  ist.  Die  zahlreichen  Fragen,  welche  uns 
hier  aufgegeben  werden,  können  in  befriedigender  Weise  nur  durch 
das  unermüdliche  Studium  einer  unendlichen  Menge  von  Einzelheiten 
aufgeklärt  werden.  Es  wird  zu  diesem  Ende  zunächst  nöthig  sein, 
die  Reihenfolge  der  Verwand el ungen  für  jeden  Kanal  festzustellen  und 
zu  untersuchen,  ob  diese  Reihenfolge  beständig  ist  und  sich  nach  einer 
mehr  oder  weniger  glcichbleibendcn  Periode  regelt.  Dann  müsste 
man  den  Zusammenhang  zwischen  den  Erscheinungen  studiren,  welche 
sich  gleichzeitig  in  den  Kanälen  derselben  Gegend  ereignen.  Endlich 
müsste  man  es  versuchen,  den  Einfluss  lokaler  Bedingungen  zu  er- 
kennen und  dieselben  von  jenen  Einflüssen  allgemeineren  Charakters 
zu  trennen,  welche  von  der  Stellung  der  Sonne  zu  den  Solstitien  und 
den  Xaclitgleichen  des  Planeten  abhiingen. 

Die  minutiösen  und  zahlreichen  Details,  welche  solchen  Unter- 
suchungen zur  Grundlage  dienen  müssten,  können  in  diesem  kurzen 
überblickenden  Aufsätze  keinen  Platz  finden.  Dennoch  will  ich,  um 
dem  Leser  eine  Idee  von  der  Art  und  Weise  zu  geben,  in  welcher 

•)  Aus  dem  Originaltexte  übersetzt  durch  die  Redaktion  und  revidirt 
vom  Verfasser. 


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148 


sich  die  Erscheinungen  der  Marskaniilo  in  ihrer  Reihenfolge  ent- 
wickeln, ein  einziges  Beispiel  unter  fünfzig  auswählen.  Es  handelt 
sich  hier  um  den  llydraotes  genannten  Kanal  und  seine  Verlängerung, 
den  Nilus.  Aus  Gründen,  welche  ich  zu  Anfang  dieser  Arbeit  aus- 
einandergesetzt habe,  kann  man  keine  vollständige  Geschichte  der 
beobachteten  Veränderungen  geben;  sie  bleibt  immer  eine  Reihenfolge 
von  Fragmenten,  die  sechs  verschiedenen  Umläufen  des  Planeten  an- 
gehören. Um  den  Zusammenhang  der  Thatsachen  mit  den  Jahres- 
zeiten auf  dem  Mars  klarzulegen,  habe  ich  neben  den  Beobachtungen 
die  Zeiten  der  Solstitien  und  Nachtgleichen  angegeben,  indem  ich  mit 
Frühlingsnachtgleiche  den  Augenblick  bezeichne,  in  welchem  die 
Sonne  von  der  südlichen  auf  die  nördliche  Seite  der  Aequalor-Ebene 
des  Planeten  übergeht.  Grösserer  Deutlichkeit  wegen  werde  ich  die 
verschiedenen  Abtheilungen  des  Hyd  raotes-Nilus  mit  Buchstaben 
bezeichnen,  wie  man  auf  der  folgenden  schematischen  Skizze  sieht. 


Dieser  Kanal  mündet  auf  der  einen  Seite  in  den  Ceraunius, 
der  bald  das  Aussehen  eines  breiten  nebligen  Streifens  besitzt,  bald  eine 
unvollkommene  Verdoppelung  bildet,  welche  sich  im  Norden  rüssel- 
artig ausbreitet;  auf  der  andern  Seite  erreicht  sein  Ende  die  Ufer  des 
schönen  Meerbusens,  genannt  Margaritifer-Sinus.  Die  drei  Kanäle 
Jamuna,  Ganges,  Ch rysorrhoas,  theilen  ihn  in  vier  Abschnitte, 
AB,  BC,  CD,  DE.  Es  scheint,  dass  der  Kanal  sich  noch  weiter  nach 
rechts  hin  über  den  Ceraunius  hinaus  durch  den  Phlegethon  ver- 
längert; aber  wir  beschränken  unsere  Untersuchung  auf  den  Theil 
AE.  Gegen  die  Umgebungen  der  Abtheilung  CD  hin  convergiren  in 
excentrischer  und  unvollkommener  Weise  vier  andere  Kanäle,  der 


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149 


(langes,  Chrysorrhoas,  Nilokeras  und  L’ranius.  Hier  befindet 
sich  also  einer  jener  Knotenpunkte,  von  denen  wir  schon  weiter  oben 
gesprochen  haben  und  dem  der  Lacus  Lunae,  ein  schattenhafter 
Fleck  von  wechselnder  Grösse  und  Leuchtkraft,  seine  Entstehung  ver- 
dankt. Hier  folgt  nun  ein  Auszug  aus  meinen  Beobachtungen  über 
den  Hydraotes-Nilus  und  seine  Beziehungen  zu  den  Kanülen, 
welche  ihn  durchsetzen  oder  mit  ihrem  Endpunkte  berühren. 

Opposition  von  1877. 

Sept.  27.  Südliches  Solstiz. 

Sept  28.  Okt  4.  Alle  Kanäle  sind  unsichtbar,  mit  Ausnahme  des 
Ganges:  dieser  ist  ein  grauer,  schlecht  begrenzter  Streifen,  doch 
gut  sichtbar  vom  Aurorae-Sinus  bis  zum  10.  nörd.  Parallel- 
kreise. 

Xov.  4.  Erste  Beobachtung  des  Chry sorrhoas:  breit  und  nebelhaft. 
Bildet  einen  schlecht  begrenzten  aber  ziemlich  kräftigen  Fleck,  wo 
er  mit  dem  Ganges  zusammentrifft:  dies  ist  die  erste  Andeutung 
des  Lacus  Lunae.  Hydaspes,  Jamuna,  Hydraotes,  Nilus 
immer  noch  unsichtbar. 

Febr.  21.  Erste  Beobachtung  des  Nilokeras  und  des  Nilus  in 
Form  eines  breiten  dunklen  Streifens,  in  der  Nähe  des  unteren 
Bandes  der  Marsscheibe.  Schwierige  Beobachtung,  der  scheinbare 
Durchmesser  des  Planeten  ist  auf  5", 7 vermindert 
Febr.  24. — 25.  Erste  Beobachtung  des  Indus.  Ganges  noch  in 
seiner  ganzen  Ausdehnung  sichtbar;  er  bildet  bei  seinem  Zu- 
sammentreffen mit  Nilokeras  und  Nilus  einen  kräftigen  drei- 
eckigen Fleck,  den  Lacus  Lunae. 

März  6.  Frühlingsnachtgleiche. 

Opposition  von  1879—80. 

Aug.  14.  Südliches  Solstiz. 

Okt.  13. — 14. — 18.  Ganges  breit.  Chrysorrhoas  und  Nilus  sehr 
deutlich.  Lacus  Lunae:  formloser,  sehr  dunkler  Fleck. 

Okt  21.  Erste  Beobachtung  des  Hydaspes. 

Nov.  27. — 28.  Erste  Beobachtung  der  Jamuna.  Nilokeras  sehr 
deutlich.  Nilus  gut  sichtbar. 

Doc.  21.  Lacus  Lunae  sehr  gross  und  sehr  schwarz. 

Dec.  22.  Erste  Beobachtung  der  Fortuna;  ist  jedoch  sehr  schwierig, 
Dec.  23.  Der  Lacus  Lunae  hat  die  Form  eines  Trapezes  CC'  DD' 
angenommen,  das  aus  vier  schwarzen  Streifen  gebildet  wird.  Die 
Streifen  CD  C'D'  sind  viel  breiter  als  die  andern,  aber  CD  noch 

Himmel  und  Erde.  ISSS.  III.  I’- 


150 


mehr  als  C'D'.  Die  leuchtende  Insel  in  der  Mitte  ist  deutlich 
begrenzt  und  von  der  gewöhnlichen  gelben  Farbe.  Nilus  breitet 
sich  in  der  Richtung  D'  E'  als  grauer,  schlecht  begrenzter  Streifen 
aus.  Ceraunius  hat  dasselbe  Ansehen.  An  der  Stelle  ihres 
Zusammentreffens  E grosser,  dunkler,  nebliger  Fleck. 

Dec.  26.  Nilus  unzweifelhaft  doppelt,  die  beiden  Striche  völlig  gleich, 
ziemlich  gut  begrenzt  und  folgen  der  Richtung  D E D'  E'  der 
beiden  parallelen  Seiten  des  Trapezes,  welches  den  Lacus  Lunar 
bildet;  aber  sie  sind  nicht  so  breit  und  dunkel  wie  diese  beiden 
Seiten. 

Jan.  1.  Nilokeras  schwarz  und  gut  sichtbar. 

Jan.  22.  Frühlingsnachtgleiche. 

Opposition  von  1661—82. 

Dec.  9.  Frühlingsnachtgleiche.  Ganges  und  Lacus  Lunae  gut 
markirt.  Nilus  C'D'  schlecht  sichtbar;  CD  nicht  mehr  vorhanden. 

Dec.  14.  Hydaspes,  Jamuna,  Ganges;  Nilok eras  schlecht  sicht- 
bar, breit  und  verwaschen,  scheint  nicht  doppelt  zu  sein. 

Jan.  10.  Nilus  und  Lacus  Lunae  durch  einen  leichten  Schatten 
angedeutet;  erste  Beobachtung  des  Uranius. 

Jan.  11. — 12.  Nilus  sicher  doppelt.  Die  beiden  Linien  erscheinen 
etwas  neblig.  Nilokeras  unvollkommen  verdoppelt 

Jan.  13. — 20.  Verdoppelung  des  Ganges. 

Jan.  13.  Erste  Beobachtung  des  Hydraotes  AB,  unter  dem  Aussehen 
eines  nebligen  und  sehr  dünnen  Fadens. 

Jan.  19.  Der  Lacus  Lunae  hat  seine  trapezoidische  Gestalt,  mit 
seiner  leuchtenden  Insel  in  der  Mitte,  wieder  angenommen.  Nilus 
bildet  zwei  leicht  erkennbare  Linien  DE  D'E',  welche  sich  recht 
gut  von  einem  weisslicheu  Grunde  abheben.  Die  Disposition 
scheint  mit  der  des  vergangenen  Jahres  gleich:  Hydraotes  AB 
gut  sichtbar.  Jamuna  doppelt 

Febr.  18.  Nilus  noch  doppelt;  die  obere  Linie  scheint  sich  durch 
den  Phlegethon  fortzusetzen. 

Febr.  22.  Hydraotes  durch  die  Jamuna  in  zwei  Theile  AB  BC  ge- 
theilt,  von  denen  BC  breiter  und  sichtbarer  ist  als  AB. 

Febr.  23.-24.  Hydraotes  verdoppelt  in  seiner  Abtheilung  BC  B'C', 
aber  immer  noch  einfach  in  der  Abtlieilung  AB.  Die  beiden 
Linien  von  BC  liegen  auf  der  Verlängerung  der  beiden  Seiten 
CD  C'D'  des  durch  den  Lacus  Lunae  gebildeten  Trapezes,  sind 
aber  etwas  schwächer.  Die  einfache  Linie  AB  liegt  auf  der  Vor- 


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löl 


liingerung  von  BC.  ist  aber  schwächer  als  letztere  Linie.  Ja- 
tnuna  und  Ganges  bleiben  doppelt. 

Juni  26. 


OkL  26. 

Dec.  31. 

nichts  vom  Hydraotes:  I.acus  Lnnae  verworrener  Fleck;  Nilus 
sehr  undeutlich,  möglicherweise  doppelt. 

Jan.  2.  Ich  glaube  den  ganzen  Hydraotes  AC  undeutlich  zu  er- 
kennen, ohne  sagen  zu  können,  ob  er  einfach  oder  doppelt  ist: 
die  Abtheilung  BC  ist  bestimmter  ausgedrückt.  Ganges  schön. 
Chrysorrhoas  schwach;  Jamuna  breit,  möglicherweise  doppelt. 
Jan.  29 — 30.  Urauius  doppelt.  Xilus  einfach.  Man  sieht  nur  D‘K'. 
Der  Lacus  Lunae  bildet  einen  verworrenen  Schatten,  in  welchem 
man  zwei  schwärzere,  in  der  Richtung  des  L'  ran  ins  verlängerte 
Flecke  wahrnimmt,  die  zugleich  die  Verlängerung  seiner  beiden 
Streifen  bilden.  Nilokeras  dunkel  aber  einfach,  Ganges  und 
Chrysorrhoas  schwach,  Jamuna  besser  sichtbar. 

Febr.  3. — 4.  Hydraotes  wie  am  2.  Januar. 

Febr.  3.  Uranius  verschwunden,  aber  der  Lacus  Lunae  ist  noch 
in  zwei  Streifen  getrennt,  welche  der  Richtung  des  ersteren  folgen. 
Xilus  doppelt  aber  sehr  schwach.  Hydraotes  verdoppelt  im 
Theile  BC  B'C',  einfach  bei  AB. 

.März  9.  Lacus  Lunae  immer  noch  doppelt  in  der  Richtung  des 
Uranius;  dieser  letztere  ist  einfach,  man  sieht  davon  nur  die 
obere  Linie;  Xilus  doppelt.  Vom  Hydraotes  sieht  man  nur  die 

12* 


Nördliches  Solstiz. 


Opposition  von  1883  -84. 

Frühlingsnachtgleiche. 

Jamuna,  Ganges,  Xilokeras  sehr  gut  sichtbar:  dagegen 


% 


Di 


152 


Linio  AC.  Chrysorrhoas  selir  breit,  höchstwahrscheinlich 
doppelt,  ebenfalls  Jamuna;  Ganges  ziemlich  schwach. 

April  5.  Trotz  des  sehr  verkleinerten  Durchmessers  des  Planeten 
scheint  der  Xilus  noch  doppelt. 

Mai  13.  Nördliches  Solstiz. 

Opposition  von  IHN*), 

März  26.  Erste  unvollkommene  Beobachtung  des  Xilus  und  des 
Lacus  Lunae. 

März  27.  llydraotes  und  N i lu  s deutlich  doppelt,  bilden  eine  einzige 
riesenhafte  Verdoppelung,  welche  sich  auf  den  ersten  Blick  vom 
Margaritifer  Sinus  bis  zum  Ceraunitis  verfolgen  lässt,  wie 
es  die  hierunter  wiodergegebene  Zeichnung  darstellt.  Die  beiden 
Streifen  siml  sehr  breit  (vielleicht  4°),  von  rüthlicher  Farbe, 
dunkler  als  der  umgebende  gelbe  Grund.  Ihr  Zwischenraum 
(zwischen  den  Mittellinien  der  beiden  Streifen)  beträgt  t)°  oder  10" 


Nilokeras  schwarz  und  sehr  stark,  endigt  in  einem  dicken 
schwarzen  Punkte  bei  C'.  Die  andern  Kanäle  Ilydaspes,  Ja- 
muna,  Ganges,  Chrysorrhoas,  Fortuna  sind  sichtbar,  aber 
keiner  derselben  scheint  doppelt  zu  sein. 

März  31.  Nördliches  Solstiz. 

April  2.  Die  beiden  Linien  des  llydraotes  noch  sichtbar,  obgleich 
sehr  blass;  sie  sind  ein  wenig  dunkler  in  der  Abtheilung  BC  B'C'. 
Jamuna  scheint  einfach. 

Mai  7.  Der  Streifen  Nil us-Hvdraot es  scheint  noch  doppelt  zu  sein, 
wenigstens  ist  er  sehr  breit,  obgleich  undeutlich:  schlechte  Luft. 

Mai  8 — 6.  Die  Abtheilung  BCB'C'  des  llydraotes  ist  sicher  dop- 


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153 

pelt;  sie  ist  leiditer  zu  erkennen,  als  die  andere  Abtheilung  AB, 
über  welche  ich  mich  nicht  auszusprechen  wage. 

Opposition  von  IKSK. 

Febr.  1(1.  Nördliches  Solstiz. 

Mai  20.  Den  N'ilus  zum  ersten  Male  gesehen.  Verdoppelung  völlig- 
klar,  von  matt-röth liehet-  Farbe.  Lacus  Lunar  ziemlich  dunkel- 
rother  formloser  Fleck.  Jamuna.  Ganges,  Chrysorrltoas 
leidlich  sichtbar. 

Mai  23.  Ich  glaube  die  Abtheilung  BC  des  llydraotes  wiederzu- 
erkennen; sie  scheint  ziemlich  dunkel,  vielleicht  doppelt;  aber  die 
Luft  ist  schlecht. 

Mai  24.  llydraotes  ganz  sichtbar.  Die  Abtheilung  BC  ist  dunkler. 
Ich  kann  nicht  sagen,  oh  sie  einfach  oder  doppelt  ist.  Aber  der 
Ni  Ins  ist  sicher  doppelt. 

•luni  27.  Ni  Ins  immer  noch  doppelt.  Die  beiden  Linien  erscheinen 
gegen  ihre  Mitte  hin  etwas  schwächer. 

Juli  2.  Die  Abtheilung  BC  des  llydraotes  recht  dunkel  und  sicht- 
bar: die  andere  Ahthcilung  AB  ist  zweifelhaft.  Schlechte  Luft. 
Aug.  lö.  Herbstnachtgleiche. 

Diese  am  Nilus-lly d raotes  von  1877— 1888  beobachteten  Ver- 
änderungen zeigen  eine  gewisse  regelmässige  lieihenfolge,  und  es  ist 
desshalb  wohl  möglich,  dass  sie  seine  periodische  Geschichte  geben, 
welche  bei  jedem  Umlauf  zwischen  dem  südlichen  Solstiz  und  der 
Herbstnachtgleiche  wiederkehrt.  Um  den  C’yelus  (wenn  ein  solcher 
wirklich  existirti  vollständig  zu  machen,  müsste  man  noch  die  Beob- 
achtungen von  1800  hinzulügen ; aber  es  ist  wenig  Hoffnung  vorhanden, 
dass  diese  Opposition  uns  sichere  Besultate  über  so  schwierige  Gegen- 
stände liefern  wird:  während  der  Opposition  von  1800  wird  Mars 
eine  südliche  Declinatüm  von  24"  cinnchmen  und  deshalb  werden 
wohl  solche  feine  Details  dir  die  Beobachter  der  nördlichen  ge- 
mässigten Zone  fast  unerreichbar  sein. 

VII. 

Ich  will  die  Geduld  des  Lesers  nicht  langer  mit  der  Anhäufung 
anderer  minutiöser  lind  ermüdender  Details  in  Anspruch  nehmen.  Doch 
muss  ich,  bevor  ich  diesen  Aufsatz  bescldiesse,  diese  Darstellung  der 
Veränderungen  auf  dem  Planeten  Mars  durch  die  Mitthciluiig  der  Ilesul- 
tate  neuerer  Beobachtungen  vervollständigen,  welche  ich  über  jene 
Polar-f'alolten  gemacht  habe,  die  man  mit  einem  gewissen  Grade  von 
Wahrscheinlichkeit  für  etwas  unserni  irdischen  Polareise  Vorgleich- 


f — 


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ir»4 


bares  hält.  Xacli  den  letzten  Bestimmungen  stellt  die  Pol-Axe  des 
Mars  ungefähr  senkrecht  auf  den  Ebenen  der  beiden  Satellitenbahnen; 
die  Neigung  der  ersteren  gegen  die  Ebene  der  Marsbahn  beträgt 
65°8';  es  folgt  daraus,  dass  die  Schiefe  der  Ecliptik  für  einen  Beob- 
achter auf  diesem  Planeten  gleich  24" 52'  sein  wird.  Infolge  dieser 
Schiefe  wird  die  Vertheilung  der  Jahreszeiten  auf  dem  Mars  der  der 
Jahreszeiten  auf  der  Erde  ziemlich  ähnlich  und  man  hat  schon  seit 
langer  Zeit  bemerkt,  dass  durch  den  Einfluss  dieser  Jahreszeiten  die 
Polarflecke  des  Mars  periodische  Veränderungen  erleiden,  deren 
Schwankungen  denjenigen  ungefähr  ähnlich  sind,  welche  mun  an  dem 
irdischen  Polareise  während  der  analogen  Jahreszeiten  bestätigt  findet. 
Seit  1877  habe  ich  diesen  Flecken  besondere  Aufmerksamkeit  zuge- 
wendet und  mich  überzeugt,  dass  diese  fraglichen,  periodischen 
Veränderungen  wirklich  auftreten.  Es  kommen  dabei  indess  gewisse 
Eigentümlichkeiten  vor,  welche  sich  als  Abweichungen  von  demr 
was  wir  auf  der  Erde  sehen,  darstellen.  Wir  dürfen  sie  nicht  ver- 
nachlässigen. Betrachten  wir  zuerst  den  südlichen  Polarflecken. 
Diesen  habe  ich  nur  in  zwei  Oppositionen  beobachten  können,  und 
zwar  nur  während  der  Periode  seiner  Abnahme.  Hier  folgt  eine  Zu- 
sammenstellung der  1877  und  18711  beobachteten  Durchmesser. 


Datum 

_ 1 vor 

Tage 

1 nach  + 

Scheinbarer 
Durchmesser  des  sü< 

dem  sädlichen  Solstiz 

liehen  Polarflecks 

1877.  2).  August 

— IJ5 

2H° 

— 22.  September 

— 5 

15 

— 1.  November 

~ vlS 

7 

1.S7H.  21.  Oktober 

-f-  5‘J 

i 

— 28.  November 

+ 10ti 

ä 

— 27.  Dccember 

-f-  l.*S5 

U 

Nach  Anfang  Januar  1880  begann  der  Polarfleck  sich  auf  der 
verdunkelten  Halbkugel  des  Planeten  zu  verlieren  und  während  der 
folgenden  Oppositionen  blieb  er  fortwährend  unsichtbar,  da  er  sich 
auf  der  uns  abgewandten  Seite  des  Planeten  befand.  Mau  hat  wohl 
oftmals  am  obern  Hände  der  Planetenscheibe  weisse  oder  weissliche 
Flecke  gesehen,  doch  waren  dieses  bekannte  Inseln,  welche  nur  vor- 
übergehend mit  dieser  Farbe  überzogen  waren,  wie  es  bereits  in  dem 
ersten  Theil  dieser  Schrift  erwähnt  wurde. 

Die  Abnahme  des  südlichen  Flecks  fand  in  ziemlich  regel- 
mässiger Weise  statt.  Aber  die  Form  desselben  war  in  der  Periode 


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155 

seines  Kleinerwerdens  nicht  rund;  wahrend  der  zweiten  Hälfte  des 
Oktober  1877  war  er  vielmehr  im  grossen  und  ganzen  dreieckig:  es 
ereignete  sich  sogar,  dass  zu  einer  gewissen  Zeit  ein  kleines  Stück 
von  der  Hauptmasse  abgetrennt  erschien  {Beobachtung  des  Mr.  Green). 
Es  ist  noch  wichtig  hinzuzufügen,  dass  dieser  Fleck  sich  nicht  genau 
über  dem  Siidpole  befand.  Während  der  Oppositionen  von  1830,  1862, 
1877  und  187‘J  befand  sich  die  Mitte  des  Fleckes  ungefähr  constant 
auf  einem  Punkte,  dessen  Länge  etwa  20°  und  dessen  südliche  Breite 
etwa  84°  beträgt. 

Es  wäre  sehr  interessant  gewesen,  den  Zeitpunkt  der  geringsten 
Ausdehnung  dieser  südlichen  Calotte  festzulegen.  In  meinen  früheren 
Veröffentlichungen  glaubte  ich  dieses  Minimum  auf  ungefähr  vier  Mo- 
nate nach  der  südlichen  Sonnenwende  (Solstiz)  zu  fixiren,  aber  die 
(•rundlagen  dieses  Schlusses  scheinen  mir  jetzt  nicht  ganz  sicher.  In  der 
Thal  glaube  ich  durch  annehmbare  Betrachtungen  bezeugen  zu  können, 
dass  dieser  Fleck  während  der  Tage  vom  17.— 22.  .lanuar  1882  (also 
200  Tage  nach  der  südlichen  Sonnenwende)  keinen  10°  übersteigenden 
Durchmesser  haben  konnte,  wenn  er  diesen  überhaupt  erreichte.16)  Es 
ist  also  möglich,  dass  das  Minimum  mehr  als  vier  Monate  nach  der 
südlichen  Sonnenwende  .stattfindet,  und  es  ist  jedenfalls  sicher,  dass 
es  187!*  sich  um  mindestens  vier  Monate  verspätete. 

Wir  wollen  nun  den  nördlichen  Fleck  näher  betrachten.  Sein 
Kleinerwerden  fand  wie  beim  südlichen  ziemlich  regelmässig  und 
gradweise  statt.  Es  wäre  ganz  natürlich  gewesen,  eine  ähnliche  lang- 
same Hegel miissigkeit  während  der  zunehmenden  Phase  vorauszusetzen, 
welche  man  beobachten  konnte.  Das  hat  sich  keineswegs  bewahr- 
heitet. Der  nördliche  Fleck,  welcher  noch  Anfang  Januar  1882  sehr 
klein  war,  hatte  schon  am  Ende  dieses  selben  Monats  seinen  maximalen 
Durchmesser  von  etwa  45°  erreicht,  um  gleich  darauf  einer  gradweisen 
Abnahme  zu  unterliegen.  Diese  wichtige  Thatsache  verdient  einige 
detaillirte  Auseinandersetzungen. 

Während  der  Oppositionen  von  1877  und  1870  blieb  der  Nord- 
pol auf  der  uns  unsichtbaren  Halbkugel  des  Mars  beständig  ver- 
borgen. Es  war  deshalb  im  Jahre  1877  keine  Beobachtung  anzustellen, 
welche  sich  auf  den  nördlichen  Polarfleck  bezieht.  Dagegen  bemerkte 
man  während  der  ganzen  Dauer  der  Beobachtungen  von  1879  oft  nahe 
dem  unteren  Rande  der  Planetenscheibe  einen,  manchmal  auch  zwei, 
weissliche  Flecke,  die  man  vielleicht  als  Abzweigungen  der  fraglichen 

**  I Siche  meine  weiter  oben  citirten  Denkschriften  4:?t!  uixl  .V*8- 


au  4 


ir,r> 


Polar-Calotle  ansuhen  konnte.  Diese  weisslichen  Flecke  waren  bis  zu 
HO1*  — 40"  Entfernung  vom  Nordpol  ausgebreitet.  Die  wirkliche  Zahl 
derselben  war  fünf;  infolge  der  Dotation  des  Planeten  wurde  bald 
der  eine,  bald  der  andere  sichtbar,  bisweilen  auch  zwei  zu  gleicher 
Zeit.  Aber  sie  waren  weder  so  deutlich  hervortretend,  noch  so  scharf 
begrenzt,  oder  nach  Lage  und  Umrissen  so  constant,  als  es  die 
Polarilecke  gewöhnlich  zu  sein  pflegen.  Ihre  südlichen  Endpunkte 
waren  im  Kreise  zwischen  30°  und  40°  Poldistauz  geordnet;  ihre  Ver- 
bindung untereinander  in  den  höheren  Breiten  oder  mit  einem  centralen 
Polarilecke,  oder  selbst  die  Existenz  dieses  centralen  Polarllecks,  konn- 
ten wegen  der  ungünstigen  Lage  der  l’lanetenaxe  nicht  Gegenstand 
der  Beobachtung  werden.  Das  hier  Gesagte  bezieht  sich  auf  die  Zeit 
vom  Oktober  1879  bis  Februar  1880,  also  vier  Monate  vor  und  einen 
Monat  nach  der  Friihlingsnaclilgleiche  auf  Mars. 

Während  der  folgenden  Oppositionen  von  1881— Sä  befand  sich 
der  Nordpol  immer  fast  genau  auf  der  Grenze  der  sichtbaren  Halb- 
kugel; wenn  die  nördliche  Polar-Calotle  damals  nur  10"  — 16"  Durch- 
messer gehabt  hätte,  so  würde  sie  zweifellos  an  der  Stelle,  welche  ihr 
tlie  Rechnung  verschrieb,  sichtbar  geworden  sein.  Thatsüchlich  konnte 
zwischen  dem  20.  Oktober  1881  und  dem  25.  Januar  1882  kein  per- 
manenter Polarlleck  in  der  Umgebung  des  Polos  beobachtet  werden. 
Es  folgl  daraus,  dass  wahrend  dieses  Zeitraumes  die  nördliche  Calotte 
(wenn  sie  überhaupt  existirte)  im  Durchmesser  keinesfalls  10" — 15" 
überschreiten  konnte.  Wohl  haben  sich  fast  täglich  im  nördlicheren 
Tlieile  des  Planetenrandes  gewisse  weissliche  Erscheinungen  gezeigt. 
Aber  auch  dieses  Mal  war  es  wie  im  Jahre  1879  leicht  zu  erkennen, 
dass  diese  Erscheinungen  nicht  durch  einen  festen  Polarlleck  hervor- 
gebracht werden  konnten.  Sie  waren  nicht  nur  gewöhnlich  blass, 
schlecht  begrenzt,  veränderlich  an  Leuchtkraft  und  Grösse,  sondern  es 
liess  sich  ebenso  wie  im  Jahre  1879  durch  den  merklichen  Wechsel 
ihrer  infolge  der  Rotation  des  Planeten  hervorgebrachten  Lage, 
auf  eine  ziemlich  grosse  Entfernung  derselben  vom  Pole  schliessen. 
und  diese  letztere  sich  sogar  annäherungsweise  bestimmen.  Die 
unregelmässige  Folge  ihres  Auftretens  und  das  gleichzeitige  Sicht- 
barwerden zweier  ähnlicher  Flecke  in  geringer  gegenseitiger  Ent- 
fernung bewies  mit  der  grössten  Bestimmtheit,  dass  es  sich  hier 
nicht  um  ein  einzelnes  Objekt  handelte,  sondern  um  mehrere  weiss- 
liche Abzweigungen,  denen  vergleichbar,  welche  man  1879  gesehen 
hatte.  Eine  sorgfältige  Untersuchung  hat  selbst  erkennen  lassen,  dass 
die  verschiedenen  Zweige  ungefähr  dieselben  Liingenpnsitionen  be- 


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sasson,  wie  die  Flecke  von  1871t,  doch  war  l*-s  I — 8 2 die  Poldistanz 
vielleicht  ein  wenig'  kleiner. 

Gegen  Anfang  .Januar  1882  begann  man.  in  diesem  ganzen  System 
weisser  Flecken,  die  Anzeichen  einer  fortschreitenden  Concentratiun  nach 
dem  Pol  zn  erkennen.  Mir  sich  verkürzenden  und  dabei  an  In- 
tensität zunehmenden  Zweige  vereinigten  sich  schliesslich  mit  ein- 
ander und  bildeten  eine  einzige  zusammenhängende,  zum  Pol  eon- 
zentrische  Calotte.  Am  211.  .Januar,  nachdem  das  Weiter  einige  Tage 
schlecht  gewesen  war,  erschien  zum  ersten  Male  der  eigentliche  Polar- 
fleck, so  wie  man  ihn  bis  zum  Ende  dieser  Opposition  stets  wietier- 
gesehen hat.  Er  bestand  aus  einer  einzigen  glänzenden,  unge- 
fähr runden  Masse  von  etwa  Io 0 Durchmesser  mit  scharfen  regel- 
mässigen Umrissen.  Diese  schnelle  Zusammenfügung  des  Fleckes 
fand  also  einen  Munal  nach  der  Friihlingsnachtgleiehe  oder  etwas  später, 
und  fünf  Monate  vor  der  nördlichen  Sonnenwende  statt.  Man  muss 
gestehen,  dass  hier  der  Vergleich  mit  dem  irdischen  Polareise  nur  in 
sehr  unvollkommener  Weise  unterstützt  wird.  Die  allmähliche  Ab- 
nahme nach  dieser  Epoche  ist  in  der  folgenden  Tabelle  gleichzeitig 
mit  den  scheinbaren  Durchmessern  dargeslellt.  Jeder  Durchmesser 
ist  das  Mittel  aus  den  Beobachtungen  mehrerer  Tage. 


...  1 vor 

Tage 

1 naeli  |- 

Scheinbarer 

L)  a 1 ii  in 

I)iin  lmif-*MT  ,|e»  uu 

dero  ntirdliehen  Solstiz 

licht  » IVJnrllcck 

ISS:».  30  Januar 

— I4d 

4'2" 

— 10.  Februar 

— IX) 

UT 

— 1*J  Mül** 

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- 10  April 

77 

1*>Ö.  Jfi  Deoember 

— 15* 

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1SS4.  *A)  Januar 

— 111 

15.  Februar 

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Marz 

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- i.  Mai 

— 11 

15 

1884».  18.  Januar 

— 4.2 

i»5 

— 2t‘>.  Februar 

— 35 

!•» 

— 14.  März 

17 

ii 

— Js,  März 

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- 21.  Mai 

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5 

— 1.  Juni 

-T  «J 

11 

18S8.  T M.ti 

4. 

Ii 

— 2 Juni 

— Juli 

-+-  IttT 

11 

.■*1  hwer  Achtbar 

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158 

Im  Juli  1888  nahm  die  Helligkeit  des  Flecks  wegen  der  sehr 
schrägen  Sonnenbeleuchtung  schnell  ab,  und  bald  darauf  tauchte  er 
in  die  Polarnacht  ein,  welche  für  den  Pol  selbst  am  15.  August,  dem 
Tage  der  Ilerbstnachtgleiche,  eintrat. 

Genaue  Messungen  haben  gezeigt,  dass  der  nördliche  Fleck  i.  J. 
1882  mit  dem  Pole  genau  conzentrisch  war.  Nahezu  dasselbe  scheint 
während  der  folgenden  Oppositionen  stattgefunden  zu  haben.  Die 
Herren  Perrotin  und  Terby  haben  1888  daran  eine  Trennung  in 
zwei  sehr  ungleiche  Theile  wahrgenommen,  welche  ich  gleichfalls 
durch  meine  Beobachtungen  bestätigt  fand. ,7)  Der  Fleck  ist  fast 
immer  von  einer  schmalen,  mehr  oder  weniger  dunklen  Zone  umgeben 
gewesen,  welche  theilweise  einer  Contrastwirkung  zugeschrieben  werden 
kann.  Aber  diese  Umrahmung  war  nicht  immer  überall  gleichförmig 
und  oft  völlig  oder  doch  beinahe  schwarz,  was  auf  eine  wirkliche 
Färbung  der  Oberfläche  in  der  unmittelbaren  Umgebung  des  Fleckes 
schliessen  lässt.  Die  Zone  schien  den  Fleck  während  seines  Zusam- 
menschrumpfens zu  begleiten;  wenn  diese  Beobachtung  sich  bestätigen 
sollte,  so  haben  wir  es  hier  mit  einer  sehr  wichtigen  Thatsaehe  zu 
thun.  Im  übrigen  haben  die  letzten  Oppositionen  dargetlian,  dass 
die  Gegend  des  Nordpols  von  keinem  grossen  Meere  eingenommen 
wird;  es  giebt  hier  nur  ein  Netz  von  Kanälen  und  kleinen  Seen.  Es 
ist  deshalb  möglich,  dass  dio  meteorologischen  Bedingungen  der 
beiden  Mars-Halbkugeln  sehr  verschieden  sind. 

Man  könnte  tragen,  ob  die  weissen  Polarflecke  Erscheinungen 
derselben  Natur  sind,  wie  die  weisse  Färbung,  welche  man  an  andern 
Orten,  selbst  unter  dem  Aequator  wahrnimmt,  und  von  denen  wir 
detailürt  genug  in  den  Artikeln  11  und  III  dieser  Schrift  geredet  haben. 
Meine  Meinung  davon  (wenn  es  erlaubt  ist,  eine  Meinung  über  solche 
Dinge  zu  haben)  ist  die,  dass  diese  Gebilde  verschiedener  Natur  sind. 
Diese  nicht  polaren  Färbungen  sind  nicht  immer  glänzend  weiss,  sondern 
öfters  schmutzig  weiss,  weissgrau  oder  weissgelb.  Wenn  diese  Färbungen 
sich  auf  den  kontinentalen  Gebieten  bilden,  besitzen  sie  gewöhnlich 
schlecht  begrenzte  Umrisse.  Sie  sind  von  unregelmässiger  und  vorüber- 
gehender Existenz.  Endlich  ist  die  Helligkeit  dieser  Färbungen  immer 
grösser  gegen  den  Planetenrand  zu  als  in  der  Nähe  seines  centralen  Me- 
ridians, das  ist  genau  umgekehrt  wie  bei  den  Polarflecken.  Besonders  deut- 
lich tritt  dies  bei  dem  südlichen  Polarfleck  hervor,  welcher,  da  er  zum 
Pol  merklich  excentrisch  steht,  seine  Entfernung  vom  Planetenrande  im 
kaufe  einer  Dotation  bedeutend  ändern  kann  und  dabei  immer  seine 

IT)  Diese  Theilung  ist  auf  unser»  beiden  Planiglobe»  angegeben. 


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159 

grösste  Helligkeit  zeigt,  wenn  er  sich  der  Mitte  der  Scheibe  am 
nächsten  befindet.  Ich  möchte  auch  noch  hervorheben,  dass  der  süd- 
liche Polarfleck  während  seiner  grössten  Ausdehnung  einen  beträcht- 
lichen Theil  des  Meeres  einnimmt,  während  dagegen  jene  weisslichen 
Färbungen  sich  stets  nur  auf  den  Continenlen  oder  Inseln  bilden, 
niemals  auf  dem  Meere,  wie  wir  es  auch  oben  gesehen  haben. 

Was  die  weissen  Flocke  betrifft,  welche  wir  weiter  oben  als 
Abzweigungen  des  nördlichen  Polarflecks  beschrieben  haben  und  die 
1881 — 82  der  Bildung  dieses  Flecks  vorangingen,  so  wagen  wir 
darüber  nichts  zu  sagen;  aber  es  ist  doch  sicher,  dass  ihre  leichteste 
Sichtbarkeit  mit  ihrem  Durchgang  durch  den  centralen  Meridian 
zusatmnenßel  und  dass  sie  am  Planetenrande  völlig  unsichtbar 
wurden.  Diese  Beobachtung  könnte  uns  veranlassen,  ihre  Natur  mit 
<ler  des  Polarfleckes  für  identisch  zu  halten.  Ks  wären  dann  die 
zerstreuten  Materialien,  welche,  zu  einer  kompakten  Masse  vereinigt, 
den  eigentlichen  Polarfleck  gebildet  hätten.  Infolge  ähnlicher  Be- 
trachtungen bin  ich  geneigt  zu  glauben,  dass  die  permanenten  und 
gut  begrenzten  Flecke,  die  1877,  78,  7!»  unter  den  Namen  Nix  Atlan- 
tica  und  Nix  Olympica  gesehen  wurden,  ähnlicher  Natur  wie  die 
Polarflecke  waren;  in  der  Thal  erschienen  auch  diese  Bildungen  deut- 
licher in  der  Nähe  des  Centrnl-Moridians  als  in  der  tles  Randes. 

Es  würde  nicht  schwer  sein  eine  Reihe  von  Hypothesen  zu  er- 
finden, welche  im  stände  wären,  diese  Erscheinungen  der  weissen  pola- 
ren oder  nicht  polaren  Flecke  in  glaubhafter  Weise  zu  erklären,  in- 
dem man  sie  mit  der  Verdampfung  der  angenommenen  Meere  und  mit 
der  Atmosphäre  des  Mars  in  Verbindung  brächte,  welche  letztere 
unzweifelhaft  existirt.  Ich  halte  es  dagegen  fdr  nützlicher,  daraufhin- 
zuweisen, dass  die  weissen  Flecke  jeder  Art  unter  den  Erscheinungen 
auf  dem  Mars  die  am  leichtesten  zu  beobachtenden  sind;  sie  erfordern 
nur  ein  Instrument  von  mittlerer  Kraft,  und  eine  sehr  ausdauernde 
Aufmerksamkeit.  Die  Eigeuthiimlichkeiten.  welche  ich  über  diese 
Flecke  angeführt  habe,  beweisen,  dass  sich  hier  ein  Feld  für  höchst 
interessante  l'ntersuchungen  darbiotet,  deren  Wichtigkeit  für  das 
Studium  der  physischen  Beschaffenheit  des  Mars  unverkennbar  ist 
und  auf  welchem  Fehle  sich  auch  solche  Beobachter  nützlicherweise 
beschäftigen  können,  welche  es  nicht  dazu  bringen,  die  viel  schwieri- 
geren Details  der  Kanäle  und  ihrer  Verdoppelungen  zu  entziffern. 

Druckfehler:  In  den  ersten  Aufsatz  des  Herrn  Professor  Seliia  parel  1 1 
liat  sieh,  wie  letzterer  uns  tnittheilt,  leider  ein  sinnentstellender  Kehler  ein- 
gesehliehen:  Ks  muss  S.  10  Z.  IS  „unsirhtbar"  statt  .sielttbar*  heissen.  !►  Heil. 


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Der  Werkotsch  bei  Aussig. 

Gezeichnet  von  Olof  Winkler  in  Dresden,  erläutert  von  Prof.  A.  W.  Stelziier 
in  Frriberg. 


crÄ^^chandau  iint!  HerniskreUclten , Rastei  und  Prebischfhor,  Roden- 


&r 


bach  und  Aussig,  Millesohauer,  Teplilzor  Schlossberg  und 


Mückenthürmchen  — das  sind  im  Kreise  der  Naturfreunde 
Namen  von  gutem  Klang.  Bei  Tausenden  rufen  sie  Erinnerungen  au 
genussreiche  Wandertage  zurück,  anderen  Tausenden  sind  sie  ein  lang 
ersehntes  Ziel,  l'nd  das  mit  Hecht!  Denn  auf  dem  Gebiete,  dessen 
Marksteine  jene  Dunkle  abgeben,  drängt  sich  eine  seltene  Fülle  von 
ebenso  reizvollen  als  Mannigfaltigen  Xaturbildern  zusammen:  das  reich- 
belebte Elbthal,  wilde  l-’elseiischluchteu,  lauschige  Waldeinsamkeit, 
zahlreiche  ..Steine1-  und  ..Berge“  mit  herrlichen  Ausblicken  auf  Erz- 
gebirge, Sächsische  Schweiz  und  Böhmisches  Mittelgebirge. 

Suchen  wir  uns  Itechenschaft  zu  geben  über  die  Ersuchen  dieser 
wechselvollen  Gestaltung-  eines  nur  wenige  Quadi-almeilen  umfassenden 
I.andstiickes,  so  bietet  uns  die  Geologie  klare  und  bündige  Auskunft: 
denn  sie  lehrt  uns,  dass  jene  drei  Gebirge,  in  deren  Knotenpunkt 
wir  uus  bewegen,  nicht  nur  dem  Namen,  sondern  auch  dem  Wesen 
nach,  in  Hinsicht  auf  ihr  Gesteinsmalerial  und  auf  ihre  Entstehungs- 
geschichte. durchaus  verschieden  sind,  su  dass  sich  mm  jedes  in  an- 
derer Weise  au  der  Config  uration  der  Landschaft  betheiligt. 

Folgen  wir  der  trefflichen  Eiutlieilung.  welche  I-’rh.  von  Biclit- 
holen  kürzlich  über  die  1 laitptformen  der  Bodenplastik  entwickelt 
bat,  so  können  wir  zunächst  das  Erzgebirge,  eine  vom  Elbthale  aus 
flach  nach  Südosteii  hin  ansteigende,  dann  auf  der  böhmischen  Seite 
jiili  abgebrochene  Gneisspluttc,  als  ein  tektonisches  Gebirge  be- 
zeichnen, speciellcr  noch  als  ein  .einseitiges  Schollengebirge“,  d.  h. 
als  ein  Gebirge,  das  im  wesentlichen  durch  Kräfte  entstand,  welche 
ihren  Sitz  im  Erdinnern  haben.  Diese  geheimuissvollen  Kräfte  der 
Enterwelt,  von  denen  wir  nur  verimitheu  können,  dass  sie  mit  dem 


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u>i 


in  unserem  Planeten  aufgespeicherten  Wärmeschatze  und  mit  der  durch 
allmähliche  Ausstrahlung  dieser  Wärme  Hand  in  Hand  gehenden  Ab- 
kühlung der  festen  Erdkruste  Zusammenhängen,  bewirkten  zunächst 
das  Aufreissen  der  „Erzgebirgsspalte",  weiterhin  das  Absinkon  des 
südlich  dieser  Spalte  gelegenen  Theiles  der  uralten  Gneisssoholle. 

Wesentlich  anders  verhält  es  sich  mit  der  Shell  si  sehen  Schweiz. 
Diese  ist,  trotz  ihres  stolzen  Namens,  doch  nur  ein  Flachboden, 
ein  „Tafelland“,  das  aus  nahezu  horizontal  gelagerten  Schichten  von 
Quadersandstein  besteht.  Die  räumliche  Ausdehnung  dieses  Sand- 
steines und  die  hier  und  da  reichlich  in  ihm  vorkommenden  Verstei- 
nerungen bekunden,  dass  er  während  der  sogenannten  Kreidezeit  in 
einer  Bucht  abgelagert  wurde,  die  sich  von  einem  das  heutige  Böhmen 
weithin  bedeckenden  Meere  aus  zwischen  dem  Erzgebirge  und  dem 
granitischen  Lausitzer  Gebirge  westwärts  bis  in  die  Gegend  von 
Meissen  abzweigte.  Nach  dem  Hückzugo  dieses  Meeres  blieb  der 
auf  dem  Grunde  abgelagerte  Sand  in  Gestalt  eines  einförmigen  „Flach- 
bodens" zurück  und  dieser  letztere  wurde  nun  erst  später,  durch 
äussere  Agenden,  durch  Frost  und  Regen  sowie  durch  die  fliessenden 
Gewässer  des  allmählich  sich  herausbildenden  Elbthaies  gefurcht,  durch- 
schluchtet  und  an  seinem  Rande  sogar  in  einzelne  „Steine“  und  „Berge“ 
gegliedert.  Wer  seinen  Blick  von  der  Bastei  aus  über  Königstein 
und  Lilienstein,  Ffaffenstein  und  Tschirnstein  mit  ihren  nahezu  in  einem 
und  demselben  Niveau  liegenden  Scheitelflächen  schweifen  lässt,  wird 
sich  leicht  die  ursprüngliche  Beschaffenheit,  die  einstmalig  stetige. 
Entwickelung  unserer  Sandsteinplatte  vergegenwärtigen  können  und 
nicht  minder  leicht  verstehen,  dass  alle  die  einzelnen  vor  ihm  liegen- 
den „Berge“  nur  als  Theile,  gewissermassen  als  Ruinen  eines  einheit- 
lichen Ganzen  aufzufassen  sind. 

Eine  dritte,  von  den  beiden  soeben  betrachteten  gänzlich  ver- 
schiedene Entstehungsgeschichte  offenbart  uns  das  Böhmische  Mittel- 
gebirge. 

Durch  seine  allgemeine  Form  mag  uns  zwar  der  Teplitzer 
Schlossberg  noch  an  den  Königstein  oder  Lilienstein  erinnern,  aber 
durch  sein  Material  giebt  er  sich  ohne  weiteres  als  eine  ganz  andere 
Bildung  zu  erkennen.  Nirgends  sehen  wir  an  seinen  Felsenmassen 
wahre  Schichtung,  nirgends  finden  wir  Versteinerungen;  der  Berg  be- 
steht vielmehr  seiner  ganzen  Masse  nach  aus  plattig  zerklüftetem 
I'honolith. 

Zu  einem  im  allgemeinen  gleichen  Resultate  führt  uns  die  Unter- 
suchung des  grossen  und  kleinen  Milleschauers,  des  Biliner  Borschen, 


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1U2 


des  Briixer  Schlossbcrges  und  seiner  Nachbarn  — überall  stossen 
wir  auf  Basalle  und  Phonolithe,  also  auf  Gebirgsartcn,  die  innig  ver- 
wandt mit  Eruptionsproducten  der  heutigen  Vulkane,  und  dabei  voll- 
ständig verschieden  sind  von  jenen  Gesteinen  (Quarzporphyr,  Pliiner- 
kalk,  Schichten  der  Braunkohlen-Formation),  welche  das  zwischen  den 
Kuppen  und  Kegelbergen  des  Mittelgebirges  sich  ausbreitende  Nieder- 
land zusammcnsctzen  und  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auch  jenen 
Kegelbergen  selbst  zur  Basis  dienen.  Die  Berge  des  Mittelgebirges 
müssen  daher  als  .aufgesetzte“  oder  „parasitische“  bezeichnet  werden. 
Jeder  derselben  entspricht  einem  ehemaligen  Vulkane,  jeder  von  ihnen 
hat  seine  eigene  Eulwickelungsgeschichte  und  lässt  sich  mithin,  ganz 
im  Gegensatz  zu  den  „Steinen“  der  Sächsischen  Schweiz,  als  ein 
selbständiges  Gebilde,  als  ein  geologisches  Individuum  bezeichnen. 
Das  Mittelgebirge  ist  sonach  ein  vulkanisches  Kuppen-  oder 
Ausbruchsgebirge. 

Sobald  wir  aber  von  einem  Vulkan  reden  hören,  denken  wir  an 
einen  aus  losen  Schlacken  und  Aschen  aufgeschiitteten  Berg,  aus  dessen 
Krater  Bauchwolken  emporsteigen  und  Ströme  glutliflüssiger  Kava 
sich  ergiessen.  Wer  etwa  derartiges  bei  Aussig  und  Teplilz  zu  sehen 
erwartet,  wird  freilich  arg  enttäuscht  werden,  denn  die  Vulkane  des 
Mittelgebirges  sind  längst  erloschen  und  der  Zahn  der  Zeit,  in  unserem 
Falle  die  zerstörende  Kraft  der  Atmosphärilien  und  der  (liessenden 
Gewässer,  hat  auch  au  ihnen  seit  Jahrtausenden  genagt,  das  lose  Ma- 
terial der  Krater  forlgeschwemmt  und  selbst  die  alten,  aus  härterem 
Basalt  bestehenden  Lavaströme  arg  zerstört. 

Als  letzte  ansklingende  Regungen  der  einstmals  stark  entwickelten 
vulkanischen  Kraft  sprudeln  heute  nur  noch  die  heilkräftigen  Thermen 
von  Teplilz  empor.] 

Aber  die  Enttäuschung  auf  der  einen  Seite  wird  ausgeglichen 
durch  eine  dem  Geologen  und  Naturfreunde  hochwillkommene  Ueber- 
raschung  auf  der  anderen:  derselbe  Zahn  der  Zeit,  welcher  die  ver- 
gä>  glichen  Gebilde  der  CH>erfläche  zerstörte  und  die  alten  Krater  im 
engeren  Sinne  des  Wortes  bis  zur  Unkenntlichkeit  verwischte,  hat 
dafür  lehrreiche  Querschnitte  durch  die  alten  lavaströme  ausgearbeitet 
und  sich  weiterhin  auch  in  das  Grundgebirge  der  vulkanischen  Pa- 
rasiten tief  eingewühlt,  dadurch  aber  die  an  einem  noch  heute  thütigvn 
Vulkane  der  direkten  Beobachtung  entzogenen  Caniilp  freigelegt,  durch 
welche  daB  geschmolzene  basaltische  und  phonolilhischc  Material  ans 
der  Tiefe  empordrang.  Diese  Canäle  und  Spalten,  welche  bei  dem 
Absterben  der  vulkanischen  Activität  mit  den  zuletzt  emporgepressten. 


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163 

steinig  erstarrenden  Lavamasseu  erfüllt  blieben,  erscheinen  uns  nun 
als  Gänge  inmitten  nichtvulkanischer  älterer  Gesteine;  als  Gänge,  die 
hier  und  da  sogar  noch  in  unmittelbarem  Zusammenhang  mit  den 
gluthflüssig  bis  zur  Oberfläche  emporgedrungenen  und  auf  dieser 
letzteren  stromartig  ausgeflossenen  Massen  zu  stehen  scheinen. 

In  seltener  Klarheit  kann  man  derartige  Verhältnisse  auf  einer 
zwei-  bis  dreistündigen  Wanderung  in  jenem  tiefsten  Einschnitte  be- 
obachten, den  die  Elbe  zwischen  Aussig  und  dem  nächst  oberhalb 
gelegenen  Dorfe  Waunov  in  die  vulkanischen  Gebilde  des  Mittel- 
gebirges und  ihres  Untergrundes  eingearbeitet  hat. 

Zu  diesem  Zwecke  folgen  wir  der  Strasse,  welche  sich  von 
Aussig  aus  auf  dem  linken  Elbufer  stromaufwärts  hinzieht.  Sobald 
wir  die  Stadt  verlassen  haben  und  freieren  Ausblick  gewinnen,  wird 
das  Auge  unwillkürlich  von  der  Ruine  Schreckenstein  gefesselt,  die 
uns  trotzig  von  einer  steilen  phonolithischen  Felsenklippe  des  rechten 
L'fers  entgegeuschaut.  Prüfen  wir  jedoch,  wie  es  nüchterner  Forschung 
geziemt,  auch  das  linke,  landschaftlich  zunächst  weniger  reizvolle 
Thalgehänge,  welches  von  unserer  Strasse  nur  durch’  eine  Häuserreihe 
und  durch  die  Eisenbahn  getrennt  ist,  so  sehen  wir  mehrfach,  dass 
der  untere  Theil  desselben  aus  horizontalen  Schichten  weisseu  Sand- 
steines besteht,  der  obere  dagegen  aus  einer  dem  Sandsteine  auf- 
gelagerten und  säulenförmig  gegliederten  Basaltplatte;  das  linke  Ge- 
hänge zeigt  uns  also  den  Querschnitt  durch  einen  jener  basaltischen 
Lavaströme,  die  sich  hier  in  der  tertiären  Zeit  über  älteren  Sandstein 
ergossen.  Die  Säulen,  in  welche  sich  dieser  Basaltstrom  durch  das 
Schwinden  seiner  erstarrenden  Masse  gliederte,  stehen,  wie  sich  schon 
vom  Thale  aus  beobachten  Hess  und  auch  bei  dem  Aufstiege  zur 
Ferdinandshühe  constatirt  werden  kann,  vertikal,  also  rechtwinklig 
zur  Oberfläche  des  Sandsteines,  da  diese  abkühlend  auf  die  Lava  wirkte. 

Nach  etwa  halbstündiger  Wanderung  führt  uns  die  Strasse  unter 
der  Eisenbahn  hindurch  und  nun  stehen  wir  plötzlich  vor  einer  jäh 
ein  porsteigenden  basaltischen  Felsenmauer,  die  wiederum  säulenförmige 
Absonderung  zeigt,  aber  in  einer  neuen,  staunenerregenden  Weise. 
Von  links  und  rechts  her  tauchen  die  Säulen  aus  dem  Boden  auf 
und  neigen  sich  einander  zu,  an  die  Gruppirung  der  Holzscheite  eines 
Meilers  oder  an  die  Haarsträhne  eines  Zopfes  erinnernd.  Den  letzteren 
Vergleich  haben  die  czeohischen  Umwohner  gezogen,  denn  sie  nennen 
den  Felsen  Wrkoo,  d.  i.  eben  Haarzopf.  In  deutschen  Büchern  steht 
darnach  Werkotsch. 

Die  Trennung  von  dem  merkwürdigen  Bilde,  dem  sich  im  ganzen 


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Der  Werkotsch.  Nach  der  Natur  gezeichnet  von  Olof  Winkler. 


164 


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ll!3 


Mittelgebirge  kein  ähnliches  an  die  Seile  setzen  lässt,  fällt  schwer, 
aber  endlich  muss  sie  doch  erfolgen.  Ein  rechter  Hand  stehender 
Wegweiser  lenkt  unsere  Schritte  einer  Xebenschluchl  zu,  in  der  wir 
mm  emporsteigen,  um  daun  auf  der  Höhe  nach  Aussig  zuriickzukehreit. 
Schon  nach  wenigen  Minuten,  und  noch  im  Niveau  des  Werkotsch, 
gelangen  wir  jetzt  an  eine  aus  weissem  Sandstein  bestehende  Fels- 
wand. Da  eine  ganz  analoge  Entblüssung  auch  in  einem,  unmittelbar 
Elbaufwärts  vom  Werkotsch  gelegenen  Steinbruch  vorhanden  ist,  so 
ergieht  sich,  dass  jener  wenigstens  au  seiner  Basis  eine  links  und 


Die  atrahligen  Basaltbildungcn  des  Werkotsch. 

Nach  der  Natur  aufgeuomtucu  ven  Olol'  Winkler. 


rechts  von  Sandstein  eingeschlossene  Basaltmasse  ist,  oder,  geologischer 
ausgedriiekt,  ein  Basaltgang  im  Sandstein.  Er  lehrt  uns  also  die 
Ausfüllung  einer  jener  Spalten  kennen,  welche  ehemals  dem  vulka- 
nischen Materiale  zum  Ausfluss  dienten  und  ihm  die  Bildung  krater- 
förmiger  Aufschüttungen  oder  stromartiger  Ausbreitungen  an  der  Ober- 
fläche gestatteten.  Der  Grund  zu  der  vorhin  bewunderten  säulen- 
förmigen Gliederung  des  in  der  Spalte  zurückgebliebenen  Materials 

Himmel  und  Erde  1889,  III.  J;5 


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A 


Hifi 

muss  abermals  in  der  Contraktion  gesucht  werden,  welche  mit  der 
Erkältung  untl  Erstarrung  des  letzteren  Hand  in  Hand  ging. 

Wer  sich  die  Mühe  nicht  verdriessen  lässt,  von  dem  einge- 
schlagenen Fusswege  aus  noch  eine  kleine  Xebenexcureion  zu  unter- 
nehmen, der  möge  au  dem  vor  ihm  fliessenden,  von  der  Podlaschilier 
Mühle  herahkommenden  Wässerchen  emporsteigen.  Er  wird  am 
rechten  Gehänge  unserer  Schlucht  zunächst  auf  weiteren  Sandstein 
treffen,  dann,  inmitten  des  letzteren,  auf  einen  neuen,  diesmal  weil 
kleineren,  dafür  aber  auch  mit  einem  einzigen  Blicke  deutlich  zu 
übersehenden  Uasaltgaug  stossen  und  endlich,  nach  einem  letzten 
kurzen  Anstieg,  jene  Basaltdecke  erreichen,  die  wir  schon  von  Ausaig 
her  kennen  und  die  nach  unseren  seither  gemachten  Wahrnehmungen 
in  einem  innigen  Zusammenhänge  mit  der  Werkotsch-Spalte  stehen 
dürfte. 

Damit  ist  unsere  Nebenexcursion  zum  Abschluss  gelangt:  denn 
wir  stehen  jetzt  in  einem  ganz  eigenartigen,  von  unübersteiglichen 
Säulen  der  Basaltdecke  umrahmten  Amphitheater.  Der  Architekt  des- 
selben ist  der  kleine  Podlaschiner  Mühlbach.  Seit  langer  Zeit  schon 
hat  er  an  der  Basaltdecke  gefeilt  und  immer  weiter  geht  sein  Trachten. 
In  jähem  Falle  stürzt  er  sich  von  der  Säulenwand  herab,  rastlos 
arbeitend  an  der  Zerstörung  ihres  Untergrundes,  immer  tiefer  ein- 
schneidend in  die  Werkstätle  Vulkans. 

Herr  0 1 o f W i n k 1 e r hat  den  Werkotsch  nach  der  Natur  gezeichnet 
und  mich  aufgefordert,  sein  treffliches  Bild  mit  einigen  Erläuterungen 
zu  versehen.  Seinem  Wunsche  nachkommend,  glaubte  ich  mich  nicht 
nur  auf  den  schönen  Felsen  seihst  beschränken,  sondern  auch  die 
nähere  und  weitere  Umgebung  desselben  kurz  besprechen  zu  sollen. 
Möchte  es  mir  dadurch  gelungen  sein,  den  freundlichen  I-eser  zu  einer 
Wanderung  durch  einen  der  schönsten  Theile  des  Elbthaies  angeregt 
und  ihm  die  Erkenntiiiss  dessen  angehahnt  zu  haben,  was  uns  hier 
die  Felsen  erzählen. 

Freiberg  i.  Sachsen,  Octobor  1888. 


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Versuch  einer  beweisführenden  Darstellung  des  Welt- 
gebäudes in  elementarer  Form. 

Von 

Pr.  M.  Wilhelm  Meyer-Berlin. 

i II.  Die  Gestalt  und  Grösse  der  Erde. 

V H' 

«-oT^iichtlicherweile  treten  wir  hinaus  ins  Freie  und  lassen  unsern 
Blick  hinschweifen  über  das  weite,  sternübersäete  Gebiet, 
dessen  wunderbare  Erscheinungen,  dessen  Wesen  und  Natur 
zu  erklären,  wir  uns  kühn  zur  Aufgabe  gestellt  haben. 

Welche  Fülle  von  ergreifenden  Eindrücken  strömt  uns  von  dort 
her  entgegen!  Kein  wilder  Volksstamm,  nicht  der  roheste  unter  den 
Bewohnern  unserer  civilisirten  Länder  gellt  an  diesen  wahrhaft  über- 
irdischen Schauspielen,  die  der  Himmel  uns  bietet,  gefühllos  vorüber. 
Freilich,  die  Gebildeten  unserer  Grossstädte  dürfen  wir  nach  diesem 
Eindrücke  nicht  fragen.  Sie  sehen  zwischen  hohen  Häuserzeilen  kaum 
mehr  als  einen  schmalen  Streifen  des  Himmels  durch  Staub-  und 
Duustwolken  matt  herabschimmern,  und  der  zitternde  Strahl  der  wenigen 
Sterne  erlischt  beinahe  völlig  in  dem  aufdringlichen  Glanze  der  blen- 
denden Beleuchtung,  mit  welcher  die  Civilisation  den  Sonnen  des 
Himmels  Concurrenz  zu  machen  versucht.  Hier,  in  dem  Gewühl  der 
Stadt  ist  es  unmöglich,  den  unbeschreiblichen  Zauber  des  gestirnten 
Firmamentes  auch  nur  ahnend  zu  empfinden,  der  in  freier  Natur 
unsere  Seele  allgewaltig  ergreift,  wenn  wir  über  der  schlafenden  Erde 
den  stillen  Zug  der  Sterne  auf-  und  niedersteigen  sehen  dort  in  der 
endlosen  Feme  hinter  dem  dämmernden  Horizonte,  wo  der  allum- 
fassende Himmel,  das  Unerreichbare,  das  Göttliche,  sich  herabneigt 
zu  unserm  irdischen  Kreise,  und  sichtbarlich  mit  leuchtenden  Fäden 
uns  mit  jenem  Ueberirdischen  verknüpft.  Jedermann,  der  Urmensch 
sowohl,  in  welchem  soeben  die  ersten  religiösen  Ideen  aufkeimen,  die 
sich  noch  stets  zuerst  anbetend  den  Himmelslichtern  zugewendet  haben, 
— wie  der  nüchternste  Gelehrte,  empfand  unbewusst  oder  durch 
logische  Ueberzeugung,  dass  ein  inniger  Zusammenhang  zwischen  den 

13- 


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168 

unerreichbaren  Dingen  dort  oben  in  den  Himmelsräumen  lind  uns 
hin-  und  wieder  zurückstrahlen  muss,  der  uns  als  Theil,  als  schlechteres, 
unbedeutenderes  Stück  dieses  Himmels  selbst,  ihm  abhängig,  unter- 
thiinig  schuf,  und  dass  etwas  unsagbar  Grosses,  Majestätisches,  Gött- 
liches über  diesem  Sternenzelte  wohnt  Nur  die  Namen  wechselten 
für  diese  Ueherzeugung,  und  wenn  die  Zeit  Zweifler  hervorbrachte, 
in  deren  Köpfen  der  Name  Gott  keinen  Kaum  mehr  findet,  so  müssen 
sie  am  Himmel  jene  alles  gleich  wohlthätig  ordnende  unwandelbare 
Gesetzlichkeit  doch  stehen  lassen,  welche  für  die  Glaubenden  der 
Ausfluss  göttlicher  Gerechtigkeit  ist. 

L'nd  doch  wird  dieser  erhabene  Eindruck,  welcher  uns  ohne 
alle  logischen  Schlüsse  unmittelbar,  wie  mit  göttlicher  Eingebung  die 
grosse  Wahrheit  von  der  unwandelbaren  Einheit  des  Weltganzen  ver- 
rieth,  hervorgerufen  durch  aussen*  Wirkungen  ungemein  einfacher 
Natur.  Da  sind  ein  paar  flimmernde  Lichtpunkte,  bei  weitem  nicht 
so  glänzend,  wie  die  elektrischen  Lichter,  welche  überall  in  unseren 
Strassen  das  Licht  des  Tages  zu  ersetzen  suchen,  und  auch  bei  weitem 
nicht  so  reich  an  Zahl,  wie  die,  welche  man  beispielsweise  in  einem 
festlich  illuminirten  öffentlichen  Garten  oft  beisammen  sieht  (denn  die 
Zahl  der  gleichzeitig  sichtbaren  Sterne  übersteigt  für  das  beste  Auge 
nicht  3000);  und  diese  zitternden  Lichter,  die  oft  ein  Windhauch 
dir  Angenblicke  auszublaseu  scheint,  sind  an  eine  grosse  dunkle 
Wölbung  festgeheftet.  Dieselbe  dreht  sich,  wie  wir  nach  einiger  Zeit 
aufmerksamer  Beobachtung  bemerken,  im  langsamen  Schwünge  um 
einen  festen  Punkt. 

Was  ist  daran  so  Merkwürdiges  oder  Uebematürliches,  wenn  wir 
dem  unmittelbaren  Augenschein  Glauben  schenken?  Ware  nicht  der 
erfindungsreiche  Mensch  leicht  im  stände,  ein  treues  Abbild  dieser 
Erscheinung  zu  schaffen,  eine  ungeheure  Kuppel  über  einen  duften- 
den Lustgarten  zu  wölben,  die  tausend  glühenden  Sterne  seiner  Er- 
findung daran  zu  heften  und  schliesslich  dieses  Ganze  an  einer  festen 
Axe  umzudrehen,  dass  die  Sterne  von  Aufgang  zu  Niedergang  ihre 
unwandelbaren  Kreise  ziehen,  wie  dort  oben  am  Himmel? 

In  der  That  war  ein  Weltsystem  so  einfacher  Einrichtung  das 
erste,  welches  ein  civilisirtes  Volk,  die  Hellenen,  sich  ausgedacht 
hatte,  und  das  zur  glücklichen  homerischen  Zeit,  als  noch  keine 
Zweifel  des  W issenden  die  reine  Poesie  des  Naturgenusses  in  naiven 
Gemütbern  erschütterte,  zur  Erklärung  der  oberflächlich  gesehenen 
Vorgänge  genügen  konnte.  Damals  lenkte  noch  Apoll  seine  Sonnen- 
rosse, aus  dem  Ocean  emporsteigend,  mächtig  über  das  Hiramels- 


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109 


gewülbe  hin,  um  Abends  wieder  in  die  glühenden  Wogen  des  Meeres 
hinabzutauchen.  Er  zog  das  ganze  Heer  der  Sterne  am  umwälzenden 
Gewölbe  hinter  sich  her  und  schwamm  mit  seinen  Rossen  nächtlicher 
Weile  auf  dem  Ocean,  der  rings  die  Erdscheibe  umgab,  wieder  zu 
der  östlichen  Seite  seines  Aufstiegs  zurück. 

Wenn  sich  die  Sache  wirklich  so  verhält,  wie  es  hier  den  Augen- 
schein hat,  und  dort  am  fernen  Horizonte  das  Himmelsgewölbe  auf  die. 
Erde  stüsst,  so  wäre  zu  wünschen,  dass  wir  uns  von  der  Wahrheit 
dieses  Augenscheines  überzeugten  und  es  versuchten,  bis  zu  diesem 
Scheidepuukte  zwischen  Himmel  und  Erde  vorzudringen;  denn  wir 
wollen  immer  unserer  Aufgabe  eingedenk  bleiben,  dass  wir  unsere 
Schlüsse  zwar  zunächst  von  dem  ersten  Augenschein  ausgehen  lassen 
wollen,  den  wir  dagegen  durch  tieferes  Eindringen  in  den  Gegenstand 
zu  bestätigen  oder  zu  widerlegen  haben. 

N'un,  wir  wissen  Alle,  wohin  uns  dieses  Experiment  führt;  indem 
wir  diesen  Berührungspunkt  zu  erreichen  suchen,  weicht  er  vor  uns 
zurück,  und  wir  gelangen  endlich,  in  welche  Richtung  wir  auch 
unsere  Schritte  lenken  mögen,  an  irgend  ein  Meergestade,  von  welchem 
aus  wir  das  Gewölbe  auf  dem  wogenden  Ocean  ruhen  sehen. 

Wir  kommen  dadurch,  weiter  keine  Kenntnisse  vorausgesetzt,  zu 
der  Ueberzeugung,  dass  die  Erde  eine  weite,  etwa  kreisförmige  Scheibe 
sei,  welche  als  kleine  Insel  auf  dem  endlosen  Weltmeere  schwimmt. 
Das  war  auch  die  Weltansicht  jener  ältesten  Hellenen,  bevor 
deren  grosse  philosophische  Denker  das  erste  Licht  über  eine  bessere 
Ordnung  der  Welt  verbreiteten.  An  den  Begriff  einer  wahrhaften 
Unendlichkeit  wagte  man  noch  nicht  vorübergehend  zu  denken. 
Unter  jener  Erdscholle  breiteten  sich  für  sie  die  Tiefen  des  Meeres 
grundlos  bis  zu  einer  Grenze  hinab,  über  welche  hinaus  man  nicht 
zu  denken  wagte.  Ueber  diese  Weltinsel  aber  hatten  die  Götter  jene 
gewaltige  Kristallhalbkugel  gedeckt,  um  wohlthiitig  den  Blicken  wie 
den  Gedanken  des  Menschen  eine  Grenze  zu  setzen,  damit  diese  sich 
nicht  in  einer  leeren  kalten  Unendlichkeit  gänzlich  verloren. 

Die  Frage  aber,  ob  wir  jene  letzten  Grenzen  des  Horizontes 
nicht  am  Ende  doch  erreichen  könnten,  ist  damit  nicht  entschieden. 
Der  rastlos  strebende  Mensch  wollte  diese  Grenze  erreichen,  die  sich 
unserm  Auge  in  scharf  abgeschnittener  Linie  der  Meeresfläche  gar 
nicht  als  zu  weit  entfernt  darstellt  Es  ist  kaum  zweifelhaft,  dass  der 
erste  tollkühne  Versuch  mit  schwankem  Fahrzeug  in  diese  Unendlich- 
keit des  Meeres  vorzudringen,  der  Frage  galt,  was  dort  hinter  der 
Seehöhe  Wunderbares  verborgen  sei. 


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170 


Heute  wissen  wir,  dass  auch  dieser  Versuch,  den  Horizont  zu 
erreichen,  auf  dein  Meere  ebenso  vergeblich  ist,  wie  er  es  auf  dem 
Lande  war.  Ueberall  weicht  der  Himmel  zurück,  wo  wir  ihn  schon 
zu  erfassen  glaubten. 

Aber  wollen  wir  in  jenem  naiven  Geiste,  dessen  wir  uns  be- 
fleissigen,  unsere  Untersuchungen  über  die  Grenzen  des  irdischeu 
Gebietes  vorsichtig  fortsetzen,  so  stösst  uns,  auf  offenem  Meere  ange- 
langt, eine  grosse  Schwierigkeit  auf,  welche  die  Ursache  bedenklicher 
Zweifel  werden  muss:  Es  fragt  sich  nämlich,  wie  wir  uns  versichern 
können,  dass  wir  immer  in  gerader  Richtung  unsern  Weg  fortsetzen 
und  ob  es  am  Ende  nicht  möglich  sei,  dass  wir  auf  unserm  Schilt 
Stetig  im  Kreise*  herumsegeln,  während  doch  vielleicht  irgendwo  jener 
Berührungspunkt  zwischen  Oceau  und  Himmel  existirt. 

In  dieser  Verlegenheit  müssen  wir  unsere  ganze  Hoffnung  auf  die 
leuchtenden  Fixpunkte  am  Himmel  setzen,  da  es  auf  dem  wogenden 
Meere  nichts  giebt,  von  welchem  aus  wir  unsere  Schlüsse  fest  an  die 
Erde  heften  könnten.  Wir  müssen  uns,  um  unser  Ziel  zu  erreichen, 
an  eine  Erfahrung  halten,  welche  wir  vorher  auf  dem  Lande  selbst 
gemacht  haben,  wo  es  au  irdischen  Fixpunkten,  deren  Unwandelbar- 
keit nicht  bezweifelt  werden  kann,  nicht  fehlt.  Wiederholte  aufmerk- 
same Beobachtung  zeigt  hier,  dass  sich  während  eines  Tages  alle  Sterne 
um  einen  festen  Funkt  am  Himmel  drehen,  der  seinerseits,  wenn  wir  uns 
selbst  auf  der  Erde  nicht  fortbewegen,  um  eine  ganz  bestimmte  un- 
veränderliche Winkelgrösse  über  dem  Horizont  erhaben  bleibt.  Wir 
nennen  diesen  Punkt  den  Ilimmelspol.  Die  tägliche  Bewegung  der 
Sterne  um  diesen  Pol  geht  so  vor  sich,  als  ob  die  letzteren  an  einer 
Hohlkugel  befestigt  wären,  während  diese  Hohlkugel  sich  um  eine 
feste  Axe  dreht,  deren  eines  Ende  sich  in  unserem  Standpunkte,  das 
andere  im  Himmelspole  befindet.  Diese  Thatsache  der  Unbeweglich- 
keit des  Iliinmelspols  gegen  feste  Richtungen  auf  der  Erde  war  be- 
reits den  ältesten  seefahrenden  Völkern  bekannt,  und  der  Leser  wird 
es  mir  wohl  unbedingt  glauben,  dass  auch  die  neuesten,  mit  unsern 
subtilsten  Präoisions-Instrumenten  ausgeführten  Messungen  diese  Unbe- 
weglichkeit konstatirt  haben,  gewisse  ganz  kleine  Abweichungen  unge- 
rechnet, welche  höchstens  einen  Hunderttheil  einer  Haaresbreite  ‘)  be- 
tragen, und  von  denen  unter  andern  auch  in  dem  zweiten  Hefte 
unserer  Zeitschrift  erzählt  worden  ist  (S.  1 10  u.  f.). 

')  Eine  Haaresbreite  aus  der  Entfernung  mittlerer  Sehweite  betrachtet, 
repräsentirt  ungefähr  einen  Winkel  von  Iß  — 18  Bogensekunden.  Die  Pol- 
Schwankung  alier,  welche  man  auf  der  Berliner  Sternwarte  nuchgewiesen  hat, 
beträgt  0,"2. 


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171 


Allerdings  befindet  sich  in  diesem  Pole  nicht  unmittelbar  ein 
Stern,  auf  welchen  wir  unser  Augenmerk  richten  könnten,  um  eine 
vollständig  geradlinige  Fortbewegung  auf  dem  Lande  oder  dem  Meere 
zu  erzielen.  Der  nächste,  der  sogenannte  Polarstern,  befindet  sich  zur 
Zeit  immer  noch  1 '/4°  vom  Pol  entfernt;  andere,  näher  stehende  Sterne 
sind  mit  blossem  Auge  nicht  erkennbar.  Da  aber  die  Abstände  aller 
Sterne  vom  Pole  immer  die  gleichen  bleiben  (ich  nehme  hier  und  im 
Folgenden  gewisse  kleine  Abweichungen,  die  erst  in  späteren  Stadien 
der  Welterkenntniss  entdeckt  wurden,  um  die  Einfachheit  der  Be- 
trachtung nicht  zu  stören,  aus)  und  die  Umdrehung  sich  in  einem 
Tage  weniger  vier  Minuten  immer  in  gleicher  Weise  wiederholt,  so 
kann  man,  nachdem  diese  Abstände  und  Bewegungen  durch  die  Be- 
obachtung bekannt  geworden  sind,  durch  geeignete  Messapparate  aus 
der  Lage  irgend  eines  bekannten  Sternes  die  Lage  des  Poles  ermit- 
teln, wie  der  Leser  ohne  weiteros  ciusehen  wird.  Die  Beobachtung 
der  Sterne  auf  offenem  Meere  erlaubt  uns  also,  stets  eine  gewisse 
gerade  Richtung  in  unsern  Bewegungen  strict  inne  zu  halten,  und 
wenn  der  Horizont  überhaupt  zu  erreichen  wäre,  so  müssten  wir 
folglich  unser  Ziel  durch  eine  solche  geradlinige  Bewegung  sicher 
finden. 

Dass  uns  dies  mit  jenen  bessem  Hilfsmitteln  und  Erfahrungen, 
die  uns  nun  zu  Gebote  stehen,  nicht  gelingt,  wissen  wir;  ja  es  zeigt  sich, 
dass  wir,  konsequent  stets  in  gleicher  Richtung  fortschreitend,  so  viel 
wir  uns  auch  aus  den  Sternen  versichern,  dass  wir  nicht  etwa  im 
Kreise  herumgegangen  sind,  auf  unsern  Ausgangspunkt  wieder  zurück- 
kehren. Wir  wissen  auch,  dass  dieses  Experiment  oft  von  den  Welt- 
umseglcm  ausgeführt  worden  ist. 

Beweist  uns  dies  nun  unmittelbar,  was  wir  diese  Zeit  her  beweisen 
wollten,  dass  nämlich  die  Erde  keine  Scheibe,  sondern  eine  Kugel  sei? 
Wir  wollen  uns  von  dem  in  der  Schule  auswendig  gelernten  Wissen 
hier  nicht  verleiten  lassen,  irgend  ein  Glied  aus  unserer  Schlusskette 
zu  verlieren,  und  behaupten,  dass  dieses  Experiment,  ein  mal  ausgeführt, 
nur  eine  Walzenform  der  Erde  naohwoist.  Erst  wenn  wir  das  Experi- 
ment mindestens  zweimal  und  zwar  so  ausgeführt  haben,  dass  die 
beiden  rund  um  die  Erde  herum  führenden  Kreiso  sich  rechtwinkelig 
schneiden,  und  dabei  beide  gleich  gross  befinden,  können  wir  unsere 
Behauptung  als  genügend  erwiesen  erachten. 

Dass  man  in  der  That  zuerst,  nachdem  man  die  Idee  der  Scheiben- 
form aufgegeben  hatte,  an  eine  walzenförmige  Erde  glaubte,  haben 
uns  sichere  Ueberlieferungen  bewiesen.  Anaximander,  ein  Schüler 


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tfl 


des  Thaies,  lehrte  diese  Weltansicht  um  das  Jahr  550  v.  Chr.  Wir 
sehen,  dass  wir  den  Weg-  der  Erkenntnis«  in  nothwendiger  Konsequenz 
Schluss  an  Schluss  heftend,  in  derselben  Richtung-  schnell  noch  ein- 
mal durch  wandeln,  den  die  Menschheit  im  Laufe  der  Jahrtausende 
langsam  und  mühselig,  mit  tausend  Irrungen  kämpfend,  durchschreiten 
musste,  um  his  zu  der  heutigen  unerschütterlichen  L'eberzetigung  von 
der  wahren  Weltordnung  zu  gelangen.  Wir  werden  auch  in  den  folgen- 
den Betrachtungen  staunend  erkennen,  wie  völlig  logisch  der  geistige 
Entwickelungsgang  der  Menschheit  auf  diesen  Gebieten  fortschrilt  und 
wie  wir  mit  jeder  netten,  streng  gefolgerten  Konsequenz  auch  in  der 
geschichtlichen  Entwickelung  um  einige  Jahrhunderte  vorwärts  eilen. 

Der  Schritt  von  der  Scheibenform  der  Erde  zu  der  einer  Walze 
war  übrigens  ein  ganz  ungemein  kühner,  geradezu  revolutionärer  und 
deshalb  wohl  dazu  angethan,  dem  menschlichen  Geiste  zunächst  ein 
Hall  zu  gebieten,  um  die  gewaltigen  Konsequenzen,  welche  sich  hieraus 
ergaben,  auszudenken,  ehe  man  Zeit  gewann,  einen  weiteren  Schritt 
vorwärts  zu  tliun.  Während  es  his  dahin  ein  unbedingtes  Oben  und 
Unten  gab  — oben  wölbte  sich  umkreisend  das  sternbedeckte  Firma- 
ment, unter  uns  brausten  die  Wasser  des  Oceans  bis  an  die  Grenzen 
der  Unendlichkeit  hinab  — so  schwebt  nunmehr  die  Erde  in  einem 
freien  Raume,  und  was  für  uns  oben  war,  wurde  für  die  unerreichbare 
Welt  unterhalb  der  irdischen  Walze,  unten.  Die  Idee  der  Antipoden 
war  geschaffen,  ein  nicht  so  leichter  Begriff,  welcher  noch  heute  in 
manchen  Kopf  nicht  passen  will.  Unterhalb  unseres  Horizontes  wölbte 
sich  nun  eine  gleiche  himmlisohe  Halbkugel,  wie  über  uns.  Es 
schien,  als  seien  wir  in  einer  Ungeheuern  kristallenen  Kugel  eingc- 
schlosseu,  durch  deren  Oeffnung  uns  der  ewige  Glanz  der  Götterwoh- 
nung entgegenstrahlte,  über  deren  Einrichtung  nachzudenken  dem 
Menschen  ewig  versagt  bleiben  musste.  Unter  dein  Horizonte  hesass 
also  die  Halbkugel  offenbar  noch  einen  andern  Fol  und  zwischen 
beiden  lag  die  Welt-Axe,  um  welche  sich  in  der  Mitte  der  Kugel  die 
irdische  Walze  legte.  Die  Erde  blieb  folglich  im  Mittelpunkte  des 
Weltganzon  als  dessen  hauptsächlichster  Theil,  um  welchen  sich  das 
Uebrigo  wie  ein  Geschenk  der  Götter  zu  unserer  Freude  in  hehrem 
Reigen  bewegte. 

Die  so  entwickelte  Form  des  Weltgebäudes  liess  offenbar  immer 
noch  die  Möglichkeit  zu,  das  ersehnte  Ziel,  jene  Grenze  zu  erreichen, 
wo  der  Himmel  die  Erde  berühren  sollte,  denn  es  erschien  ja  auders 
ganz  unmöglich,  als  dass  ilie  grosse  irdische  Walze  durch  irgend 
welche  feste  materielle  Bande  an  das  Kugelgewölbe  des  Himmels  ge. 


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173 

schmiedet  sei;  dass  sie  etwa  in  demselben  frei  schwebe,  erscheint  ja 
noch  nach  dem  Standpunkte,  welchen  unsere  bisher  entwickelte  Welt- 
ansicht einnimmt,  ganz  unmöglich.  Zur  weiteren  Entwickelung  unserer 
Erkenntniss  wird  es  deshalb  offenbar  höchst  interessant  sein,  weiter 
in  der  Richtung  des  Weltpoles  vorzudringen,  wo  ja  nach  dem  Augen- 
schein des  sich  umwälzenden  Himmelsgewölbes  diese  Verbindung 
aufzutlnden  sein  müsste.  Aber  auch  indem  wir  unsere  Weltreise  in 
dieser  Richtung  wiederholen,  stossen  wir  auf  unüberwindliche  Schwie- 
rigkeiten, und  der  Himmel  bleibt  uns  unerreichbar.  Nach  Norden  in 
der  angegebenen  Richtung  auf  der  Erde  vordringend,  kommen  wir 
in  stets  rauhere  und  unwirthsainere  Gegenden.  Undurchdringliche  Eis- 
wildnisB  hindert  jedes  weitere  Vordringen  von  einer  Grenze  an,  die, 
wie  wir  aus  gleich  zu  erörternden  Gründen  schliessen  können,  noch 
etwa  hundert  Meilen,  oder  den  54.  Theil  des  ganzen  Erdumfanges, 
von  diesem  ersehnten  Berührungspunkte  entfernt  liegt,  wenn  ein 
solcher  überhaupt  existirt 

Wir  müssen  uns  deshalb  zu  der  Ueberzeugung  bequemen,  dass 
wir  den  Himmel  in  Wirklichkeit  niemals  erreichen  können  und  also, 
wenn  wir  seine  Einrichtung  überhaupt  kennen  lernen  wollen,  zu  an- 
deren als  jenen  handgreiflichen  Mitteln  unsere  Zuflucht  nehmen 
müssen,  die  dem  vollkommen  naiven  Geiste  zwar  allein  als  Beweise 
giltig  erscheinen.  Wie  aber  auch  diese  Mittel  zur  Erforschung  des 
Himmels  beschaffen  sein  mögen,  wir  werden  von  vornherein  davon 
überzeugt  sein,  dass  wir  damit  anfangen  müssen,  zuerst  unsere  Erde 
genauer  kennen  zu  lernen,  da  alle  Ausgangs-  und  Ankerpunkte  für 
unsere  folgenden  Schlussreihen  über  die  Einrichtung  des  Weltgebäudes 
grenzenlos  weit  über  unsere  materielle  Wirkungs-Sphäre  hinausgreifen 
sollen  und  gerade  deshalb  zur  sicheren  Kuntrole  nur  die  Erde  und 
was  wir  auf  ihr  direkt  prüfen  und  erreichen  können,  übrig  bleibt. 

Wir  sehen  sofort  ein.  dass  wir,  um  beispielsweise  über  die  Grösse 
der  Himmelskörper  und  über  die  Entfernung  von  Sonne  und  Mond, 
die  wir  mit  unserer  Messkette  nicht  erreichen  können,  Aufschluss  zu 
gewinnen,  dies  nur  durch  ihre  Betrachtung  von  verschiedenen  Stand- 
punkten der  Erde  aus  erfahren  können,  in  einer  Weise,  welche  später 
näher  auseinandergesetzt  werden  soll.  Da  aber,  wie  wir  uns  leicht 
überzeugen,  durch  eine  Verschiebung  unseres  Standpunktes  um  wenige 
Meilen,  beispielsweise  zwischen  einer  oder  der  nächsten  Ortschaft,  die 
Grössen-  und  Lagenverhältnisse  jener  Himmelskörper  nicht  merklich 
verändert  werden,  so  müssen  wir  ohne  weiteres  schliessen,  dass  die- 
selben jedenfalls  sehr  weit  von  uns  entfernt  sind,  ganz  ungemein  viel 


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174 


weiter  wohl,  als  der  Abstand  jener  Ortschaften  von  einander  beträgt: 
wir  sehen  also,  dass  wir  zur  näheren  Begründung  der  Grössen  und 
Entfernungen,  unsere  Beobachtungen  zwischen  viel  weiter  abstehenden 
Orten  wiederholen  müssen,  und  es  zunächst  nöthig  wird,  den  Abstand 
dieser  Orte  von  einander  kennen  zu  lernen.  Wir  müssen  unsere  Erde 
ausmessen. 

Wie  stellen  wir  es  aber  an,  einen  so  grossen  Körper  wie  die 
Erde,  mag  sie  nun  Walzen-  oder  Kugelform  besitzen,  mit  unserer  Mess- 
kette zu  umspannen,  um  schliesslich  angeben  zu  können,  wieviel  Ein- 
heiten eines  beliebigen,  uns  bekannten  und  in  unsern  Händen  befind- 
lichen Massstabes  auf  den  Erdumfang  in  einer  bestimmten  Richtung 
kommen?  Die  direkte  Ausmessung  mit  diesem  Massstabe  würde,  selbst 
wenn  wir  die  Ausdauer  dazu  besässen,  nicht  möglich  sein,  da  wir  da- 
mit ja  nicht  die  Oceane  überbrücken  können.  Diese  neue  Schwierig- 
keit wird  indess  durch  die  ingeniöse  Verwerthung  jener  eigentümlichen 
Wahrnehmungen  aufgehoben,  die  wir  hei  Gelegenheit  unserer  Erd- 
umsegelung machen  konnten.  Wir  sahen  nämlich,  dass  der  himm- 
lische Pol.  indem  wir  in  der  Richtung  nach  demselben  die  Erdober- 
fläche durchwanderten,  ganz  regelmässig  höher  und  höher  über  dem 
Horizonte  emporstieg,  und  zwar  entsprach  eine  bestimmte  Winkeler- 
hebung stets  einer  bestimmten  immer  gleichbleibenden  Fortsclircitimg 
auf  der  Erde.  Indem  wir  tiefer  und  tiefer  iu  den  hohen  Norden  vor- 
drangen bis  in  die  Nähe  jenes  Punktes,  wo  die  Himmelsaxt'  die  Erde 
berühren  musste,  also  dem  sogenannten  Nord  pole,  je  mehr  näherte 
sich  der  himmlische  Nordpol  mit  seinen  uns  wohl  bekannten  Sternen 
dem  Scheitelpunkte  des  Himmels,  welcher  genau  senkrecht  über  unsern 
Häuptern  Stellt. 

Wenn  wir  dagegen  unsere  Reise  um  die  Erde  in  umgekehrter 
Richtung  einschlagen,  so  dass  wir  dem  himmlischen  Nordpol  genau 
den  Rücken  kehren,  so  senkt  sich  tierseihe  mehr  und  mehr  zu  dem 
Horizont  hinab  und  wir  kommen  schliesslich  zu  einer  Stelle,  wo  der- 
selbe den  Horizont  seihst  berührt.  Auf  der  entgegengesetzten  Stelle, 
nach  welcher  wir  uns  bis  jetzt  binbewegten,  erscheint  gleichzeitig  ein 
anderer  Himmelspol,  ein  anderer  Punkt,  um  welchen  sich  neue  unbe- 
kannte Sternbilder  in  derselben  Weise  bewegen,  wie  unsere  nordischen. 
Auf  diesem  Gebiete  augelangt  — wir  nennen  es,  wie  wir  aus  der 
Schule  noch  wissen,  den  Aequator  tler  Erde  — scheint  das  Himmels- 
gewölbe sich  um  eine  Axr  zu  drehen,  welche  horizontal  auf  der  Erd- 
oberfläche liegt.  Alle  Sterne,  welche  der  Himmel  überhaupt  besitzt. 


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werden  hier  nacheinander  sichtbar,  gehen  auf  und  unter  in  ewig 
gleichmtissigen  Zwischenräumen  von  je  zwölf  Stunden. 

Indem  wir  uns  nun  weiter  nach  demjenigen  Punkte  hinbewegen, 
welchen  wir  nach  dem  Vorangegangenen  den  himmlischen  Südpol 
nennen  müssen,  wiederholen  sich  dieselben  Erscheinungen,  wie  wir 
sie  vorher  am  Nordpol  bemerkt  hatten.  Der  Südpol  steigt  mehr  und 
mehr  über  den  Horizont  empor,  während  inzwischen  der  Nordpol  unter 
denselben  hinabgesunken  ist,  um  niemals  für  unsern  Standpunkt  wieder 
aufzutauchen.  Sterne  in  der  Umgebung  des  Südpols,  welche  früher 
stets  für  uns  unsichtbar  blieben,  gehen  nun  während  des  täglichen 
Umschwungs  des  grossen  Gewölbes  niemals  mehr  unter,  weil  der 
Kreis,  welchen  sie  um  den  über  den  Horizont  erhabenen  Südpol  be- 
schreiben, wegen  ihrer  Nähe  zu  demselben  so  klein  ist,  dass  der  Kreis 
beim  niedrigsten  Stande  der  Sterne  höchstens  den  Horizont  berührt. 
Derartige  Sterne  nennt  man  circumpolare;  sie  gehen  für  einen  be- 
stimmten irdischen  Standpunkt  weder  auf  noch  unter.  Man  ersieht 
unmittelbar,  dass  die  Zone  der  Circumpolar-Sterne  ein  immer 
grösseres  Gebiet  umfasst,  je  mehr  wir  uns  einem  der  irdischen  Pole 
nähern,  weil  eben  gleichzeitig  der  Himmelspol  um  so  höher  empor- 
steigt. Unter  dem  Pole  selbst  sind  alle  überhaupt  sichtbaren  Sterne 
circumpolar;  nur  die  eine  halbe  Kugel  des  Himmelsgewölbes  bleibt 
im  Laufe  aller  Tageszeiten  sichtbar;  kein  Stern  geht  auf,  keiner  geht 
unter. 

Vergegenwärtigen  wir  uns  genau  diese  merkwürdige  Erscheinung 
des  Auf-  und  Niedersteigens  der  himmlischen  Pole,  während  wir  in 
ihrer  Richtung  auf  der  Erde  vorwärtsschreiten  und  fügen  wir  hinzu, 
dass  direkte  Ausmessungen  stets  ergeben  haben,  dass  bei  einem  gleich- 
grossen Vordringen  in  der  genannten  Richtung  die  Winkelverschiebung 
des  Poles  auch  immer  und  unter  allen  Erdstrichen  dieselbe  bleibt,1) 
so  sehen  wir  leicht  ein,  dass  dieselbe  durch  die  runde  Gestalt  der 
Erde  in  dieser  nordsüdlichen  Richtung  herrührt,  und  dass  wir  also, 
indem  wir  von  dem  Punkte,  in  w'elchem  der  Nordpol  des  Himmels 
genau  über  unsern  Häuptern  steht,  zu  demjenigen  hingewandert  wären, 
in  welchem  der  Südpol  diese  selbe  Lage  einnimmt,  auch  genau  einen 
halben  Umlauf  um  unsern  Erdkörper  in  dieser  Richtung  vollendet 
haben  müssen.  Wenn  wir  dagegen  bloss  von  dem  Punkte,  wo  der 
Nordpol  genau  über  unserm  Scheitel  steht,  bis  zu  demjenigen  wandern, 
wo  er  sich  im  Horizonte  befindet,  also  bis  zum  irdischen  Aequator, 

*)  Von  den  kleinen  systematischen  Abweichungen,  welche  durch  die 
Abplattung  der  Erde  entstehen,  ist  hier  natürlich  abzusehen. 


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so  haben  wir  offenbar  den  vierten  Theil  des  Erdumfanges  zurückgelegt; 
ferner,  indem  wir  weiter  Vordringen,  bis  der  Südpol  gerade  um  45° 
über  dem  Horizonte  stellt,  so  betragt  unser  Weg  den  achten  Theil 
des  Erdumfanges;  oder  endlich,  wenn  wir  nur  so  weit  gehen,  dass 
sioh  einer  der  himmlischen  Pole  um  einen  einzigen  Grad,  d.  h.  den 
360.  Theil  des  ganzen  Himmelsumfanges  fortbewegt  hat,  so  sind  wir 
sicher,  dass  wir  auch  auf  der  Erdoberfläche  den  360.  Theil  ihres 
ganzen  Umfanges  durchmessen  haben. 

Die  Beobachtung  zeigt,  dass  diese  Bedingung,  den  Himmelspol 
durch  unser  Fortbewegen  um  einen  Grad  scheinbar  zu  verschieben, 
ziemlich  leicht  zu  erfüllen  ist.  Wir  brauchen  zu  diesem  Zwecke  keine 
allzu  grosse  Reise  zu  machen,  damit  wir  die  Entfernung  zwischen 
diesen  beiden  Punkten  auf  der  Erdoberfläche,  sei  es  durch  unsere 
Messkette,  oder  durch  andere  verfeinerte  Methoden,  der  sogenannten 
Triangulation  beispielsweise,  von  welcher  bei  anderer  Gelegenheit  aus- 
führlicher geredet  sein  mag,  direkt  auszumessen  ira  stände  sind.  Es 
zeigt  sich  nämlich,  dass  zwei  derartig  gewählte  Punkte  gerade  um 
15  geographische  Meilen  oder  111  111 1/B  Einheiten  eines  idealen  Meter- 
stabes, der  sich  von  unserem  Gehrauchsmeter  nur  um  ein  sehr  Ge- 
ringes unterscheidet,  abstehen;  wobei  jedoch  hinzugefügt  werden  muss, 
dass  sowohl  die  Grösse  jener  geographischen  Meile  als  dieses  Meters 
erst  nach  dem  ganzen  Erdumfänge  bestimmt  worden  ist.  Es  hätte 
uns  jedoch  nichts  gehindert,  die  Entfernung  jener  beiden  Punkte,  für 
welche  der  Himmelspol  eine,  um  genau  einen  Grad  verschiedene 
Höhe  über  dem  Horizonte  besitzt,  mit  irgend  einer  anderen  Masseinheit 
auszumessen,  um  selbstverständlich  zu  denselben  Schlussfolgerungen 
zu  gelangen.  Ich  betone  dies,  um  den  Verdacht  abzuweisen,  dass  hier 
ein  Element  in  unsere  Schlussfolgerungen  oingeführt  werde,  welches 
das  sogleich  zu  ermittelnde,  nämlich  den  Erdumfang,  eigentlich  bereits 
enthält. 

Nachdem  nun  die  Ausmessung  der  Entfernung  dieser  beiden 
Punkte  geschehen  ist,  und  wir  uns  durch  die  Beobachtung  der  Höhe 
des  Poles  über  dem  Horizonte  (Poihöhe)  überzeugt  haben,  dass  wir 
dabei  gerade  den  360.  Theil  des  Erdumfanges  zurückgelegt  haben,  so 
ist  ja  offenbar  der  ganze  Erdumfang  zugleich  ermittelt.  Wir  brauchen 
eben  diese  15  Meilen  oder  die  daneben  angegebene  Zahl  von  Metern 
nur  mit  360  zu  multipliziren,  um  zu  erfahren,  dass  die  ganze  Erd- 
oberfläche in  dieser  Richtung  5400  Meilen  oder  40  Millionen  jenes 
Meters  umfasst.  Unsere  Aufgabe  ist  damit  gelöst. 

Noch  mag  interessant  sein  hier  anzuführen,  dass  eine  Aus- 


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. 


messung  der  Erde  nach  diesen  selben  Prinzipien  von  dem  griechi- 
schen Astronomen  Eratosthenes  in  Aegypten  um  28(1  v.  Chr. 
und  später  genau  nach  obigem  Schema  von  arabischen  Astronomen 
i.  J.  827  unter  dem  Kalifen  Al-Mamoum  ausgeführt  worden  ist. 
Die  Einzelheiten  dieser  ersten  Messungen  sind  uns  überliefert  worden. 
Das  Ergebniss  des  Eratosthenes  scheint,  so  weit  wir  es  trotz  einiger 
Unsicherheit  über  die  von  ihm  angewandte  Massliinge  beurtheilen 
können,  der  Wahrheit  schon  ziemlich  nahe  gekommen  zu  sein.  Von 
der  arabischen  Messung  sind  wir  leider  nicht  im  stände  über  den 
Grad  dieser  Annäherung  irgend  etwas  anzugeben,  weil  uns  die  ge- 
nügenden Angaben  darüber  fehlen,  wie  gross  die  Masseinheit,  in 
welcher  der  Grad  auf  der  Erdoberfläche  ausgemessen  worden  ist, 
war.  Wir  wissen  nur  nach  jener  Ueberlieferung,  dass  man  den 
3(10.  Thcil  des  Erdumfangs  gleich  56 s/,  arabischen  Meilen  fand.  Eine 
arabische  Meile,  hiess  es,  sei  gleich  4000  Ellenbogenlängen,  welche  sich 
wiederum  in  L'nterabtheilungen  zu  acht  Fäusten,  die  Faust  zu  vier 
Fingern  gerechnet,  eintheilten,  während  man  eine  Fingerdicke  gleich 
sechs  Gerstenkörnern  und  diose  wieder  gleich  sechs  Mauleselhaaren 
schätzte.  Nach  diesen  Angaben  würde  also  der  ganze  Erdumfang 
etwa  gleich  2600  Millionen  Fingerdicken  sein.  Nimmt  man  nun  an, 
dass  eine  Fingerdicke,  wie  es  dem  Durchschnitt  etwa  entspricht, 
16  mm  beträgt,  so  gehen  nach  unsern  heutigen  Kenntnissen  2500 
Millionen  Fingerdicken  auf  den  Erdumfang,  und  es  scheint  hiernach, 
dass  auch  die  arabischen  Erdmesser  in  der  That  nicht  allzuweit  von 
der  Wahrheit  entfernt  blieben  und  dass  wir  ihrer  Kunst  alle  Achtung 
zu  zollen  haben. 

Zugleich  geht  aus  diesem  historischen  Beispiel  hervor,  wie  noth- 
wendig  es  ist  dass  man  das  angewandte  Urmass  so  sorgfältig 
wie  möglich  aufhebe,  damit  die  ganze  mühsame  Arbeit,  den  Un- 
geheuern Erdumfang  mit  unserm  Geiste  messend  zu  umspannen,  für 
kommende  Jahrhunderte  nicht  vergebens  ausgeführt  sei.  Die  heutigen 
Erdmesser  oder  Geodäten,  welche  sich  seit  langen  Jahrzehnten  zu 
einer  internationalen  Gradmessungs-Organisation  vereinigt 
haben,  um  die  Gestalt-  und  Grössenverhältnisse  der  Erde  so  er- 
schöpfend als  möglich  zu  bestimmen,  gebrauchen  in  der  That  alle 
Vorsicht,  um  das  angewandte  Urmass  so  sorgfältig  wie  möglich  durch 
die  Jahrhunderte  hindurch  vor  allen  Gefahren  zu  schützen.  Man  ver- 
birgt dieses  Urmeter  in  Paris  in  einem  tiefen  Kellergewölbe  und  fester 
hinter  Schloss  und  Riegel,  wie  eine  Weltbank  ihre  Goldbarren.  Nur 
während  einer  Vereinigung  der  über  den  ganzen  Erdball  vertheilten 


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178 


Mitglieder  einer  internationalen  überwachenden  Behörde  kann  man  zu 
diesem  kostbaren  Oute  gelangen,  das  in  Wirklichkeit  das  Resultat 
einer  Riesenarbeit  ist,  indem  es  ja  mit  Berücksichtigung  kleiner  zahlen- 
müssig  festsetzbaren  Verbesserungen  einen  ganz  bestimmten  und 
bekannten  Bruchtheil  des  Erdumfangs,  einen  gewissermassen  in 
40  Millionen  Theile  mit  aller  denkbaren  Sorgfalt  zerlegten  Erd- 
meridian bedeutet 


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Veber  die  Verschiedenheiten  der  Wahrnehmung  und  Darstellung  von 

Nebelflecken. 

Herr  Tempel,  Astronom  der  Sternwarte  zu  Arcetri  bei  Florenz,  hat 
unserer  Zeitschrift  einige  seiner  höchst  sorgfältigen  und  kompetenten  Dar- 
stellungen von  Nebelflecken  anvertraut,  von  denen  wir  eine  Probe  in  der 
diesem  Hefte  vorgehefteten  lithographischen  Tafel  geben. 

Durch  die  Hinzuftigung  der  Abbildungen,  welche  für  dieselben  Nebel- 
flecke von  anderen  Beobachtern  herrühren,  will  Herr  Tempel,  wie  er  es 
schon  vielfach  in  sehr  verdienstlicher  Weise  gethan  hat,  die  kritische  Be- 
urtheilung  derartiger  Darstellungen  fordern. 

Er  ist  nämlich  der  Ansicht,  dass  bei  der  graphischen  Nachbildung  solcher 
zarten  Erscheinungen  sehr  häufig  blosse  Spuren  oder  vielleicht  ganz  zufällige 
Andeutungen  von  besondere  interessanten  und  regelmässigen  Formen,  z.  B. 
von  Ringen,  von  Spiralen  und  nach  Art  einer  Schiffsschraube  gewundenen 
Flügeln,  wesentlich  durch  die  Phantasie  mancher  Beobachter  zu  schönen  und 
einleuchtenden  Bildern  entwickelt  werden,  welche  dann  irrige  Vorstellungen 
von  jenen  fernen  Welten  erwecken. 

Es  wird  für  unsere  Leser  voraussichtlich  von  Interesse  sein,  an  der  Hand 
der  vorliegenden  Darstellungen  diesen  gewiss  sehr  beachtenswerthen  Bedenken 
des  Herrn  Tempel  zu  folgen,  wobei  wir  noch  vorausschicken,  dass  das  Vor- 
kommen wirklicher  Veränderungen  der  Gestalt  und  der  Helligkeitsvertheilung 
bei  solchen  Nebelflecken  innerhalb  so  kurzer  Zeiträume,  wie  selbst  mehrere 
Jahrzehnte  in  Betracht  der  enormen  Dimensionen  dieser  so  w'eit  entfernten 
Gebilde  bedeuten,  fast  ganz  ausgeschlossen  ist. 

Betrachtet  man  zunächst  die  vier  verschiedenen  Darstellungen  des  mit  a 
bezeichneten  Nebelfleckes  (Nr.  4892  dos  sogenannten  Generalkataloges  der 
Nebelflecke),  so  sieht  man  zunächst,  dass  die  älteste  Darstellung  desselben 
durch  J.  Herscbel  noch  recht  unentwickelt  ist.  Bedeutend  vollständiger 
und  schärfer  begrenzt  ist  diejenige  von  D 'Arrest.  Endlich  lässt  diejenige 
von  Lord  Rosse,  ganz  abweichend  von  den  beiden  vorerwähnten,  sehr  merk- 
würdige Details,  insbesondere  deutliche  Ansätze  von  Spiral-  oder  Wirbel-Bil- 
dungen erkennen,  welche  sich  an  die  von  den  beiden  anderen  Beobachtern 
geseheue  fischförmige  Gestalt  anschliessen.  Vergleicht  man  damit  die  links 
stehende,  von  Herrn  Tempel  selber  herrührende  Darstellung,  so  bemerkt  man 
sofort,  dass  dieselbe  die  grossen  Umrisse  der  übrigen  Darstellungen  in  sich 
vereinigt,  aber  von  den  wirbel  artigen  Gebilden  der  Darstellung  von  Lord 
Rosse  keine  Spur  mit  Sicherheit  erkennen  lässt. 

Dass  diess  nicht  an  einer  geringeren  Lichtstärke  des  Terape Ischen 
Instrumentes  liegt,  kann  man  daraus  abnehmen,  dass  Herr  Tempel  rechts 
neben  dem  grösseren  Nebelfleck  noch  einen  kleineren  deutlich  gesehen  hat, 
von  w’elchem  die  anderen  Abbildungen  keine  Spur  enthalten. 


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1 


, 18» 

« 

IGanz  ähnlich  scheint  cs  sich  hinsichtlich  derjenigen  beiden  Darstellungen 
des  mit  b bezeichnetcn  Nebelfleckes  (Nr.  28iH)  de»  Gcncralkataloges)  zu  ver- 
halten, welche  von  Herrn  Lasse  11  herr Uhren,  wenn  man  dieselben  mit  der 
links  daneben  stehenden,  von  Herrn  Tempel  aufgenoinmencn  Abbildung  ver- 
gleicht. Auch  liier  wird  die  Stärko  der  optischen  Mittel  des  Herrn  Tempel 
dadurch  bezeugt,  dass  die  vier  kleineren  Nebelflecke,  welche  recht»  und  unter- 
halb von  b stehen,  von  Lusseil  nicht  wahrgenommen  sind  (was  nicht  sowohl 
aus  den  vorliegenden,  auf  eine  kleinere  Fläche  beschränkten  Darstellungen  nach 
Lassell,  sondern  aus  den  Angaben  von  Lass  eil  selber  erhellt).  Man  sieht 
aber  hier  in  der  T p m pe  Ischen  Darstellung  wenigstens  Spuren  der  spiraligen 
Linien,  welche  Lassell  in  so  merkwürdiger  Deutlichkeit  hinzeichnet,  wahrend 
sonst  bei  Las  Bell  von  der  ganzen  Nebelmasse  viel  weniger  gesehen  worden 
ist.  (Wir  haben  kaum  niithig,  hierbei  zu  bemerken,  dass  die  dunkelsten  Partien 
aller  dieser  Abbildungen  den  hellsten  Stellen  am  Himmel  entsprechen.! 

Die  Abbildungen  des  Herrn  Tempel  und  seine  daran  geknüpften  Be- 
trachtungen Anden  eine  gewisse  Ergänzung  durch  Darlegungen  und  Abbil- 
dungen, welche  jüngst  in  den  - Astronomischen  Nachrichten“  von  dem  Direktor 
der  Potsdamer  Sternwarte,  Herrn  Prof.  H.  C.  Vogel,  veröffentlicht  worden  sind. 
Dort  werden  nämlich  einige  ausgezeichnet  schöne  Abbildungen  von  Nebelflecken, 
wie  sie  mit  Hülfe  des  Herrn  Vogel  aus  den  photographischen  Aufnahmen  des 
ungarischen  Astronomen  Herrn  v.  Gothard  hervorgegungen  sind,  mit  ander- 
weitigen Abbildungen  derselben  Nebelflecke,  weicht*  auf  Grund  von  Wahr- 
nehmungen mit  dem  Augo  hergestellt  wurden,  insbesondere  mit  Abbildungen 
von  Lord  Rosse  verglichen. 

Diese  Vergleichungen  fallen  aber  etwas  günstiger  für  die  Altbildungen 
von  Lord  Rosse  aus,  als  die  von  Herrn  Tempel  herrührenden;  denn  die 
photographischen  Ergebnisse,  welche  von  der  ergänzenden  Wirkling  der  Phan- 
tasie ganz  frei  geblieben  sind,  zeigen  gerade  von  den  interessanteren  und  merk- 
würdigeren Einzelheiten  noch  viel  mehr  als  die  Darstellungen  von  Lord  Rosse. 
Doch  bestätigt  sich  die  Kritik  des  Herrn  Tempel  insofern,  als  diese  Einzel- 
heiten in  den  Abbildungen  von  l^ord  Rosso  in  einer  merklich  grösseren  Regel- 
mässigkeit, sozusagen  mathematisch  idealer,  verlaufen,  als  in  der  von  der  Photo- 
graphie sicherer  wiedergegebenen  Wirklichkeit,  was  ja  auch  ganz  erklärlich 
int  Jedenfalls  enthüllt  aber  auch  die  zweifellosere  photographische  Darstellung 
die  sehr  merkwürdigen  spiraligen  Strukturen,  welche  in  derartigen  Nebelflecken 
i Vorkommen,  mit  grosser  Deutlichkeit. 

Hinsichtlich  der  von  Herrn  Tempel  betonten  starken  Verschiedenheiten 
der  Darstellungen  ist  übrigens  im  allgemeinen  noch  zu  bemerken,  dass  neben 
den  sehr  erklärlichen  kleinen  Zuthaten  und  Idealisirungen,  welche  aus  der 
Phantasie  mancher  Beobachter  hervorgehen,  und  neben  den  Unterschieden, 
welche  durch  die  grössere  oder  geringere  Geschicklichkeit  des  Zeichners  be- 
dingt werden  (Herr  Tempel  ist  in  letzterer  Beziehung  ein  anerkannter  Meister), 
auch  noch  andere  erhebliche  Einflüsse  vorhanden  sind,  welche  Verschieden- 
heiten dpr  erwähnten  Art  verursachen  können.  Hierauf  deuten  auch  schon  die 
beiden  etwas  verschiedenen  Darstellungen  eines  und  desselben  Objekts  durch 
Lassell. 

Bei  der  Wahrnehmung  jener  mitunter  an  der  Grenze  der  Leistungsfähig- 
keit der  Fernrohre  stehenden  feinsten  Details  kann  es  nämlich  auch  noch  sehr 
wesentlich  auf  gewisse  Besonderheiten  der  Beobach tungvmittel  und  -Umstände 
nnkommen,  und  zwar  nicht  blos  auf  die  summarische  Lichtstärke  des  Fernrohres, 
sondern  auf  seine  Leistungen  hinsichtlich  der  Vereinigung  der  Lichtstrahlungen 


BeiltieV  zu  Himmel  und  Erde’ 


l.Ja hr^anc  3.1left. 


b,  c.  Temptl 


K Las  teil 


6» Vll  Imtu.'UflTidrvV/ Gr»«  W.  H ifbäl BerlsTi. 


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_J81_ 

in  den  verschiedenen  Wellenlängen,  aus  denen  das  Lieht  des  Nebelflecks  zu- 
sammengesetzt ist. 

Ein  grosses  Spiegel-Instrument,  wie  dasjenige  von  Lord  Rosse,  kann 
in  dieser  Bezi  eh ung  ganz  anders  wirken,  als  ein  noch  so  ebenbürtiges  Linsen* 
Femrohr,  und  auch  verschiedene  Fernrohre  letzterer  Gattung  können  sich 
hierbei  verschiedenartig  genug  verhalten,  um  gerade  bei  dem  Lichte  der  Nebcf- 
llecke,  welches  aus  sehr  wenigen  einzelnen  und  von  einander  der  Wellenlänge 
nach  in  manchen  Fällen  recht  verschiedenen  Lichtarten  zusammengesetzt  ist, 
hinsichtlich  der  Abbildung  der  feinsten  Einzelheiten  erheblich  abzuweichen, 
wenn  sie  auch  sonst  an  Leistungsfähigkeit  einander  sehr  nahe  stehen. 

Auch  ist  die  Leistung  eines  Fernrohres  hinsichtlich  der  Sichtbarmachung 
sehr  schwacher  ausgedehnter  Lichtflächen  mitunter  gerade  infolge  der  vor- 
erwähnten Umstände  sehr  verschieden  von  dem  Grade  seiner  Leistung  im  Ge- 
biete sehr  feiner  Bild-Details.  Auch  die  Stärke  der  angewandten  Vergrösserung 
kann  bei  solchen  Vergleichungen  verschiedener  Arten  der  Leistungsfähigkeit 
mitunter  eine  Rolle  spielen. 

Schliesslich  wird  es  auch  bei  der  photographischen  Aufnahme  von  sehr 
zarten  Gebilden  der  iu  Rede  stehenden  Art  von  Bedeutung  sein,  wie  sich  die 
Empfindlichkeit  der  Platte  und  die  Abbildungsschärfo  des  Fernrohrs  gerade 
hinsichtlich  derjenigen  verschiedenen  Licht-Wellenlängen  verhält,  aus  denen 
das  Licht  eines  Nebelflecks  besteht;  auch  hierin  könnte  eino  Quelle  von  kleiner 
Untreue  selbst  dieser  sonst  treusten  Art  der  Wiedergabe  solcher  Erscheinungen 
liegen,  zumal  wenn  die  Intensität  der  verschiedenen  Lielitarten  an  verschie- 
denen Stellen  des  Nebelflecks  verschieden  ist.  W.  F. 

* 

Feber  da«  Sternschwanken. 

Von  Fr.  S.  Archen  hold  in  Berlin. 

Das  wechselvolle  Spiel  des  scheinbaren  Verlöschens  und  Wicderauf- 
blilzens  der  Sterne  ist  eine  Erscheinung,  die  selbst  dem  gleichgültigsten  Be- 
obachter nicht  entgehen  kann.  Der  gestirnte  Himmel  erhält  durch  diese  schnelle 
Helligkeitsschwankung  des  Lichtes,  die  zumeist  von  einem  lebhaften  Wechsel 
»ler  Farbe  und  einem  scheinbaren  kleinen  Hin-  und  Herspringen  der  Sterne 
begleitet  ist,  eine  eigenartige  Belebung. 

Dieses  Erzittern,  Scintilliren  oder  auch  Funkeln  der  Sterne  genannt,  ist 
atmosphärischen  Ursprungs,  abhängig  von  der  Höho  der  Gestirne  über  dem 
Horizonte,  ihrer  Helligkeit  und  der  liehtzerstreuenden  Kraft  der  Atmosphäre. 
Die  interessanten  Erklärungsversuche  dieses  Stemfunkelns  von  Arago, 
Secchi,  Montigny  u.  A.  mögen  einer  späteren  Besprechung  in  dieser  Zeit- 
schrift Vorbehalten  bleiben. 

Von  diesem  Phänomen,  das  bereits  den  Alten  ein  Unterscheidungsmerkmal 
der  Fixsterne  von  den  in  ruhigem,  gleichmässigem  Lichte  erglänzenden  Planeten 
abgab,  — ist  das  Phänomen  des  Sternschwankens  wesentlich  verschieden. 

Alexander  v.  Humboldt  war  der  erste  und  ein  halbes  Jahrhundert 
lang  der  einzige,  der  dies  seltene  Phänomen  beobachtet  hat.  Er  schreibt  hier- 
über in  seinem  Kosmos  Bd.  III.  S.  73:  „Es  ist  hier  der  Ort,  wenigstens  beiläufig 
einer  anderen  optischen  Erscheinung  zu  erwähnen,  die  ich  auf  allen  meinen 
Bergbesteigungen  nur  einmal  und  zwar  vor  dem  Aufgange  der  Sonne,  den 
22.  Juni us  1791)  am  Abhänge  des  Pies  von  Teneriffa,  beobachtete.  Im  Malpays, 
Himmel  und  Erde.  18SS.  III.  14 


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182 


ohngcfähr  in  einer  Hohe  von  10700  Fuas  über  dem  Meere,  sah  ich  mit  un* 
bewaffnetem  Auge  tief  stehende  Sterne  in  einer  wunderbar  schwankenden  Be- 
wegung. Leuchtende  Punkte  stiegen  aufwärts,  bewegten  sich  seitwärts  und 
fielen  an  die  vorige  Stelle  zurück.  Das  Phänomen  dauerte  nur  7 bis  8 Minuten 
und  hörte  auf  lange  vordem  Erscheinen  der  Sonnenscheibe  am  Meereshorizonte. 
Dieselbe  Bewegung  war  in  einem  Fernrohr  sichtbar:  und  es  blieb  kein  Zweifel, 
das»  es  die  Sterne  selbst  waren,  die  sich  bewegten."  Fast  50  Jahre  später  ist 
dieselbe  Erscheinung  genau  an  demselben  Orte  im  Malpays,  wieder  vor  Sonnen- 
aufgang, von  dem  Prinzen  Adalbert  von  Preussen  mit  blossen  Augen 
und  im  Fernrohr  beobachtet  worden,  ohne  dass  derselbe  von  Humboldts 
Beobachtungen  unterrichtet  war. 

Zufolge  einer  Nachrirht  des  Herrn  Prof.  Flesch  (Berichte  der  Acad.  d. 
Wiasenst-h.  zu  Berlin  1851)  nahen  der  Oberprimaner  Keune  und  der  Sattler- 
melater  Thugutt  in  Trier  zwischen  7 und  8 l*hr  Abends  am  ‘20.  Januar  1851 
den  Sirius  bald  auf-,  bald  abwärtsgeben,  bald  nach  der  linken,  bald  nach  der 
rechten  Seite  hinschwanken,  ja  bisweilen  sich  im  Kreise  bewegen.  Herr 
Keune  sah,  mit  dem  Kopfe  an  eine  Mauer  gelehnt,  den  Sirius  in  geringer 
Höhe  über  einem  Hause  stehen  und  hinter  dem  Dache  desselben  bald  ver- 
schwinden, bald  wieder  zum  Vorschein  kommen.  Die  Beobachter  glaubten 
zuerst,  jenes  bekannte  Spielzeug  der  Knaben,  einen  fliegenden  Drachen,  mit 
einer  brennenden  Laterne  versehen,  vor  Augen  zu  haben.  Auch  schien  der  Stern 
an  Glanz  bald  zg-,  bald  abzunehmen,  bisweilen  sogar  auf  Augenblicke  ver- 
schwunden zu  sein,  obgleich  der  Himmel  heiter  war. 

Die  folgenden  Jahre  1852,  53,  54  bringen  eine  Reihe  von  Beobachtungen 
und  Erklärungsversuchen  des  Sternschwankens,  die  in  Jahns  „Unterhaltungen 
für  Dilettanten  und  Freunde  der  Astronomie,  Geographie  und  Meteorologie* 
niedergelegt  sind.  Eine  Besprechung  jeder  einzelnen  dieser  Beobachtungen 
würde  uns  hier  zu  weit  führen  und  können  wir  um  so  eher  hierauf  verzichten, 
als  Herr  Schweizer1)  an  die  Publizirung  seiner  mit  Herrn  Üredichiu  ge- 
meinschaftlich ausge führten  Beobachtungen  eine  Discussion  aller  früheren 
Beobachtungen  des  Stemsehwankens  angeschlossen  hat. 

Es  sind  zumeist  nur  an  Sternen  unweit  des  Horizontes  Schwankungen  wahr- 
genotnmen  worden.  Entweder  schienen  die  Sterne  in  einer  horizontalen,  be- 
ziehungsweise vertiefen  Richtung  ruckweise  eine  Strecke  weit  bis  zu  einem 
Haltepunkte  vorzugehen,  hier  eine  Zeit  lang  zu  verweilen  und  dann  in  grader 
Richtung  dem  Ausgangspunkte  wieder  zuzueilen,  — odpr  Kreise,  beziehungs- 
weise Ellipsen  von  Durchmessern  bis  zu  mehreren  Vollraondbreiten  zu  be- 
schreiben, — mler  endlich,  freilich  etwas  seltener,  geschlängelte  Linien  nach 
verschiedenen  Richtungen  in  geschlossenem  Wege  zuriirkzulegen. 

Die  Erscheinung  ist,  je  nachdem  sieh  der  Stern  auf  die  eine  oder  andere 
Weise  bewegte,  von  den  verschiedenen  Beobachtern  verglichen  worden  mit 
dem  plötzlichen  Niedcrfallen  einer  langsam  aufgestiegenen  Rakete,  mit  «lein 
»pi  ingrnden  Lichte  einer  in  dunkler  Nacht  von  einer  ängstlich  hin  uiul  her- 
suchenden Person  getragenen  Laterne  oder,  wie  von  «lern  Afrikareisenden 
K.  Vogel,  mit  dem  Lichte  eines  in  stürmischer  See  auf-  und  uhlänzclndcn 
Leuchtschiffes. 

Die  folgenden  Jahrzehnte  sind  arm  an  Beobachtungen  des  Stern- 
schwankens, bis  Herr  Prof.  Weyer  in  Kiel  das  Phänomen  in  diesem  Sommer 
den  Astronomen  wieder  in  Erinnerung  gebracht  hat.2)  Er  sah  «len  Antares 

) Bulletin  dt  U Sottet*  de * naltiraltste«  «1*  ilosrao,  «our.  Mos  rau  IS5T  T.  XXX. 

J p.  440—57  und  IW  T.  XXXI.  1 p.  477- m 
Astronom.  Nfcchr.  Nr.  2*41 


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183 


in  einer  Höhe  von  4 bis  "»  Grad  (ein  Grad  ist  nahe  gleich  zwei  Vollmonds- 
Durchmesser)  eine  fast  eben  so  viel  Grade  betragende  seitliche  Bewegung  aus- 
fiihren,  verbunden  mit  einer  geringen  Auf-  und  Abwärtsbewegung.  Im  festen 
Fernrohr  wurde  hierauf  von  diesen  Schwankungen  nichts  gesehen,  während 
das  unbewaffnete  Auge  gleich  nachher  wieder,  wenn  auch  in  schwächerem 
Grade  als  zuvor,  die  seitliche  Bewegung  wahrnahm.  Der  Beobachter  bemerkt 
besonders,  dass  an  jenem  Abend  seine  Augen  durch  längeres  Arbeiten  er- 
müdet waren. 

Herr  Searle  vom  Harvand  College  Observatory  in  Amerika*)  hat  im 
September  dieses  Jahres  an  der  Capella  ein  gleiches  Schwanken  beobachtet 
und  gemeinsam  mit  Herrn  Gerrisc  h festgestellt,  dass  der  Sinn  der  von  beiden 
zugleich  gesehenen  Bewegung  zumeist  verschieden  war. 

Wie  lassen  sich  nun  alle  diese  Beobachtungen  erklären?  Wir  brauchen 
wohl  nicht  zu  erwähnen,  dass  wirkliche  Bewegungen  der  Sterne  diesen  akuten 
Orts  Veränderungen  nicht  zu  Grunde  liegen  können.  Welche  ungeheure  Be- 
wegung müsste  schon  der  uns  nächste  Stern,  der  hellste  im  Bilde  des  Cen- 
tauren, ausführen,  um  in  wenigen  Sekunden  einige  ganze  Grade  zu  beschreiben, 
geschweige  denn  Sterne,  deren  Entfernungen  für  uns  bis  jetzt  unmessbar  sind. 

Es  bleibt  nur  zu  untersuchen  übrig,  ob  diese  Bewegungen  durch  atmo- 
sphärische Zustände  sich  erklären  lassen,  oder  ol»  sie  rein  persönlicher  Natur 
sind.  Wir  werden  beide  Erklärungen  zulassen  müssen,  um  allen  Beobachtungen 
gerecht  zu  werden.  Herr  Schweizer,  der  das  Sternschwanken  zu  jeder 
Nachtzeit  und  in  jeder  Höhe  über  dem  Horizont  sehen  konnte,  wenn  er  nur 
den  Stern  einige  Minuten  lang  flxirt  hatte,  glaubte  alle  Beobachtungen  durch 
rein  physiologische  Wirkungen  erklären  zu  können.  Freilich  werden  sich  in 
allen  Fällen,  wo  das  Schwanken  nur  mit  blossem  Auge,  dagegen  im  Fernrohr 
nicht  wahrgenommen  werden  konnte,  die  scheinbaren  Bewegungen  des  Steines 
durch  die  Annahme  entsprechender  unbewusster  Bewegungen  des  Augapfels 
ungezwungen  erklären  lassen.  Zu  dieser  Art  gehören  unbedingt  alle  Beobach- 
tungen von  Herrn  Schweizer  und  die  neueren  von  Herren  Weyer  und 
Searle.  Bei  den  letzten  insbesondere  ist  dies  dadurch  völlig  evident  gemacht, 
dass  zwei  Beobachter  gleichzeitig  verschiedene  Bewegungen  sahen. 

Das  unbewusste  Spiel  der  Augenmuskeln,  welches  bei  sehr  ermüdetem 
Auge  in  krampfartiger  Weise  stattfinden  kann,  verursacht  aber  nur  dann  eine 
scheinbare  Bewegung  der  Sterne  am  Nachthimmel,  wenn  nicht  gleichzeitig  im 
Gesichtsfelde  feste  und  deutliche  Anhaltspunkte  vorhanden  sind,  von  deren 
Unbeweglichkeit  man  instinktiv  überzeugt  ist.  Die  subjektiven  Täuschungen 
gehen  in  dieser  Beziehung  sogar  soweit,  dass  Hinnnclsobjekte,  die  man  durch 
einen  ziemlich  gleichmässigen  Wolkensehleier  sieht,  zu  schwanken  scheinen, 
während  die  Wolkeniläche  ruhig  zu  bleiben  scheint,  und  erst  dann,  wenn  sieh 
in  der  Nähe  des  Himmelsobjektes  sehr  deutliche  Wolkenkonturen  befinden, 
sieht  man,  dass  das  Bild  der  Wolke  mit  im  Schwanken  ist,  und  dass  es  eine 
l’rtheilstäuschung  war,  wenn  vorher  die  gloichmässige  Wolkenschicht  zu  ruhen 
und  bloss  der  Mond  oder  die  Sterne  zu  schwanken  schienen. 

Sobald  man  sich  dieses  Mitschwankens  der  Wolken  bewusst  geworden 
ist.  weis  man  natürlich  sofort,  dass  die  ganze  Bewegung  eine  Augentäuschung 
ist,  weil  derartige  schnell  hin-  und  hergehende  Wolkenbewegungen  in  Wirk- 
lichkeit nicht  Vorkommen. 

Es  ist  sogar  beobachtet  worden,  dass  der  Vollmond,  welcher  durch  eine 
Schicht  von  ganz  gleichmässigen  Schäfchenwolken  gesehen  wurde,  um  mehrere 

’>  Astronom.  Xachr.  Nr.  äsEI. 

14* 


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1K4 


Grade  hin-  und  hersprang;  während  «lie  Wolken  zu  ruhen  sehie  neu  und  erst 
hei  starker  Conzeiitralion  <ier  Aufmerksamkeit  sah  der  Beobachter,  dass 
die  Schäfchen-Umrisse,  in  deren  unmittelbarer  Nähe  der  Mond  sich  befand, 
dieselbe  Schwankung  miterfuhren  und  diose  Bewegung  der  Schäfchen  wegen 
der  gleich  massigen  Vertlieilung  derselben  nur  nicht  gesondert  empfunden 
wurde. 

Sind  hingegen  im  Kernrohr  dieselben  Schwankungen  wie  mit  blossem 
Auge  wahrgenommcn  worden,  so  sind  sie  durch  atmosphärische  Wallungen 
oder  schnell  veränderliche  Kimmungen,  hervorgerufen  durch  die  verschieden 
warmen  Luftströmungen,  zu  erklären. 

Hierher  gehören  A.  v.  Humboldts,  des  Prinzen  Adalbert  und  die 
in  Jahns  Unterhaltungen  niedergelegten  Beobachtungen  des  Herrn  v.  Parpart, 
der,  je  nachdem  er  seinen  Standpunkt  hinter  einer  mit  dichtem  Rohr  be- 
wachsenen Insel  oder  frei  nahm,  die  Wega  schwanken  sah  oder  nicht.  Dieses 
objektive  Stemschwankeu  ist  weit  seltener  als  das  subjektive  und  tritt,  an  eine 
besondere  Oertlichkeit  gebunden,  zumeist  kurz  vor  oder  nach  Sonnenunter- 
gang ein. 

Die  beiden,  äusserlich  ähnlichen  aber  ursächlich  ganz  verschiedenen  Er- 
scheinungen, denei»  man  vielfach  unnötigerweise  durch  Unterlegung  einer 
und  derselben  Erklärung  Zwang  angethan  hat,  sind  jede  für  sich  interessant 
genug,  um  weitere  Beachtung  zu  rechtfertigen.  Gerade  deshalb  haben  wir 
geglaubt,  au  dieser  Stelle  darauf  aufmerksam  machen  zu  sollen. 


* 


h 

* 


Erscheinungen  am  Sternenhimmel  Im  Monat  Dezember. 

Der  am  2. Septbr.  von  Barnard  entdeckte  Komet (s.  Novemberheft  S.  122) 
scheint  nach  den  vorliegenden  Beobachtungen  nicht  so  hell  werden  zu  wollen, 
als  es  nach  seinen  Bahnelementen  zu  schließen  war.  Bei  der  Entdeckung 

von  der  Helligkeit  eine«  Sternes  nur 
11.  Grosse,  war  er  am  1.  October  nicht 


Stellung  des  Barnardschen  Kometen 

gegen  den  Horizont 
im  Dezember  12  Uhr  Nachts. 


über  die  von  IO1  ; hinausgewachsen; 


die  den  Keni  umgehende  Nehelhiille 
wurde  auf  3 Minuten  iin  Durchmesser 
geschätzt,  und  gegenwärtig  ist  ein  kur- 
zer Seh Wertansatz  bemerkbar;  da  «lie 
Entwickelung  der  Kometen  aber  er- 
füll rungsgemüss  meist  zur  Zeit  ihrer 
Sonnennähe  eine  lebhaftere  wird,  und 
der  Barnardsehe  Komet  diesen  Stand 
erst  Ende  Januar  erreicht,  so  werden 
physische  Beobachtungen,  die  jetzt  von 
den  Sternwarten  fast  ganz  fehlen,  noch 
zu  erwarten  sein.  Positionsbestimmun- 
gen sind  auf  zahlreichen  Observatorien, 
zu  Palermo,  Strassburg,  Hamburg,  Dres- 
den, Königsberg,  Rom, Bordeaux,  Besan- 
\on,  Berlin,  Kiel,  Madison,  Mount  Ha- 
milton u.  in.  a.  gemacht  worden.  — Unsere  Karte  zeigt  die  Stellung  des  Kometen 


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185 


in)  Dezember,  geltend  für  den  Berliner  Horizont,  12  I hr  Nachts.  Anfangs  die* 
•es  Monats  ist  der  Komet  besonders  leicht  zu  finden:  über  ihm,  kaum  6 Grad 
höher,  steht  nämlich  der  bekannte  veränderliche  Stern  „Mira-  des  Wallfisches. 
Dm  zweite  Kärtchen  verfolgt  die  scheinbare  Bahn  des  Gestirnes  bis  zu  seinem 
Verschwinden  im  Octol*er  nächsten  Jahres;  um  diese  Zeit  wird  die  Helligkeit 
wieder  zu  jener  herabgesunken  »ein,  die  der  Komet  Ihm  seiner  Entdeckung 
besessen  hat. 


Lauf  des  Kometen  Barnard 

vom  Dezember  1888  bis  zu  seinem  Verschwinden  im  Oktober  1888. 

Ein  neuer  Komet  ist  übrigens  von  Barnard  am  30.  October  aufgefunden 
worden.  Nach  den  vorliegenden  rohen  Bahnelementen  tritt  derselbe  Anfang 
Dezember  wenig  nördlich  vom  Sterne  ).  der  Wasserschlange  in  das  Sternbild 
des  Sextanten:  er  wird  gegenwärtig  der  10.  Grösse  gleichgeschätzt  und  bildet 
einen  Nebel  von  2 Minuten  Durchmesser.  Da  seine  Sonnennähe  schon  »m 
1*.  September  erreicht  war,  nimmt  seine  Helligkeit  bereits  ziemlich  ab. 

Die  auf  den  nächsten  Neujahrstag  fallende  totale  Sonnenfinsternis»  hat 
fiir  die  Bewohner  Europas  kein  Interesse,  wohl  aber  für  jene  der  Vereinigten 
Staaten  und  des  englischen  Nordamerika;  zu  San  Francisco  wird  man  sie  um 
halb  2 Uhr  Nachmittags  wahrnehraen  und  die  grosse  Sternwarte  auf  den» 
Mount  Hamilton  dürfte  sich  ihre  Beobachtung  kaum  entgehen  lassen. 

Schliesslich  richten  wir  die  Aufmerksamkeit  unserer  Freunde  des  Himmels 
auf  das  bisweilen  zahlreichere  Erscheinen  von  Sternschnuppen  zwischen  dem 
I.  und  II.  Dezember,  auf  die  sogenannten  „Geniiniden".  Nach  Denning  ist 
das  Maximum  dieses  zuerst  von  Greg  bemerkton  Schwarmes  am  10.  Dezember 
zu  erwarten;  der  Hauptausgangspuukt  liegt  nahe  dem  Sterne  Cnstnr  in  den 
Zwillingen.  * 


* * 
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Luftschifffahrt  uml  Meteorologie.«!  Das  Schauspiel  einer  Hallon- 
auffahrt  besitzt  heutzutage  durchaus  nicht  mehr  den  Heiz  der  Neuheit, 
seitdem  dasselbe  vieler  Olten  als  regelmässige  Nummer  in  das  Programm 
der  Sonntags  Vergnügungen  aufgenommen  worden  ist;  wie  wenigen  der 
Zuschauer  mag  jedoch  dabei  der  Oedanke  aufdämmern,  dass  die  Erfindung 
Montgolfiers  und  Charles'  viel  erhabeneren  Zwecken,  als  dem,  einem  unter- 
halt ungs  bedürftigen  Publikum  einen  interessanten  Anblick  zu  gewähren, 
die  wichtigsten  Dienste  zu  leisten  berufen  ist.  Die  Meteorologie  haupt- 
sächlich hat  von  einer  verständnissvollon  Anwendung  des  Luftballons  die  denk- 
bar grösste  Förderung  zu  erwarten,  da  die  Kenntnis.*  der  Zustände  in  den 
höheren  Schichten  der  Atmosphäre  die  Lösung  vieler  Probleme  herbeizuführen 
vermag,  denn  die  Beobachtungen  auf  Berggipfeln  können  allein  das  fehlende 
Material  aus  dem  einfachen  Grunde  nicht  liefern,  da  sie  noch  zu  sehr  von  der 
Nähe  der  Erdoberfläche  und  vielen,  den  Gebirgen  eigenen  Besonderheiten  der 
Luftströmungen  beeinflusst  werden,  um  die  aus  ihnen  erlangten  Resultate  ohne 
weiteres  als  die  in  gleicher  Höhe  in  der  freien  Atmosphäre  thatsiiclilieh  statt- 
findenden  hinzustollen.  So  hätte  denn  bald  nach  seiner  Erfindung  der  Luit» 
ballon  für  die  Meteorologie  der  werthvollste  Apparat  werden  müssen:  merk- 
würdiger Weise  jedoch  geschah  nach  viel  versprechenden  Anfängen  bei  den 
zahlreichen  Auffahrten  Jahrzehnte  lang  so  gut  wie  nichts  für  wissenschaft- 
liche Zwecke,  und  erst  in  den  Jahren  lfttt  bis  IStVj  inaebten  Ulaisher 
und  Welsh  eine  Reihe  von  Fahrten  in  der  ausschliesslichen  Absieht,  spcciell 
die  Temperaturvcrhältnisse  der  höheren  Luftschichten  genauer  zu  untersuchen. 
Bis  jetzt  ist  inan  auf  ihre  Resultate  noch  immer  fast  einzig  angewiesen,  trotz- 
dem sie  nicht  ausreichen,  um  für  die  verschiedenen  Witterimgscharaktere  in 
«ler  warmen  und  kalten  Jahreszeit  ein  zutreffendes  Bild  von  der  Temperatur* 
ändern ng  mit  der  Höhe  entwerfen  zu  können.  In  «len  letzten  Jahren  hat  sich 
endlich  «las  Verständnis*  für  die  Nothweudigkeit  planmäßiger  meteorologischer 
Beobachtungen  auf  Luftfahrt«’!!  alh’rorten  Bahn  gebrochen.  und  auch  von  Seiten 
«ler  zur  Königl.  preußischen  Militnrhift>«’hiffi>r-Ahtheilung  gehörend«'!!  < jfficiere 
wird  den  meteoi*ologischen  Fragen  «las  regste  Interesse  entgegengebracht,  «loch 
liegen  die  Interessen  der  Militäracrouaulik  denen  der  Meteorologie  zu  fern,  um 
von  ersterer  eine  Lösung  meteorologischer  Probleme  erwarten  zu  können. 

Ks  ist  daher  um  so  höh«*r  zu  schätzen,  dass  im  I^iuf«’  dies«'*  Jahres, 
unseres  Wissens  zum  ersten  Male,  von  Berlin  aus  eine  Auffahrt  unb'riiQmmen 
wurde,  um  hei  einer  bestimmten  Wetterlage  die  Ycrtlieiliing  der  Temperatur 
nach  «ler  Höhe  mit  den  neuesten  Apparaten  und  nach  exakten  Methoden  zu 
untersuchen,  da  eine  grössere  Genauigkeit  der  Zahlcnwertlic  sehr  wünschen*- 

•>  Nach  cinrai  Vmlrag,  pcbalii-ii  von  In.  Krem  «er,  in  «ler  3J«*<rr<tiilogi*i'hen 
«•«■!»  »ft  zu  Berlin. 


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187 


werth  erscheint,  und  man  jetzt  in  der  Lage  ist,  die  grosse  Anzahl  der  Fehler- 
quellen, welche  einer  Ermittelung  der  wahren  Lufttemperatur  im  Hallon  die 
grössten  Hindernisse  bieten,  völlig  beseitigen  zu  können.  Es  erschien  zunächst 
wesentlich,  nur  ein  bestimmtes  Phänomen  näher  zu  untersuchen,  und  nicht 
durch  die  Menge  verschiedenartiger  Beobachtungen  die  Zuverlässigkeit  der- 
selben auf  ein  viel  geringeres  Mas«  herabzudrücken.  Als  erstes  Untersuchungs- 
objekt  einer  Keihe  von  Witterungszuständen  sollte  das  Verhalten  der  Tempe- 
ratur und  Feuchtigkeit  in  den  höheren  Luftschichten  während  eines  sommer- 
lichen Luftdruckinaxiniums  untersucht  werden.  Die  Fahrt  fand  am  2:5.  Juni 
188$  statt,  und  hat  sehr  beachtenswerthe  Resultate  geliefert. 

Der  von  dem  Ingenieur  Herrn  von  Siegsfeld  aus  eignen  Mitteln  her- 
gestellte Ballon  war  nach  den  neuesten  Erfahrungen  der  Ballontechnik  con- 
struirt,  sein  Durchmesser  betrug  ca.  14  m,  sein  Volumen  15Öfi  Kbm;  er  vermochte 
ca.  1000  Kgr  Leuchtgas  zu  fassen,  die  von  ihm  verdrängte  Luftmenge  wog 
demnach  ca.  2000  Kgr.  Die  Beobachtungen  wurden  von  Herrn  Dr.  Kremser, 
Mitglied  des  Königl.  preussischen  meteorologischen  Instituts  mit  Unterstützung 
des  Herrn  von  Siegsfeld  ausgeführt,  während  die  Führung  des  Ballons  der 
bewährten  Kraft  des  Luftschiffers  Herrn  Opitz  anvertraut  war.  Die  Aullährt 
erfolgte  um  91/*  Uhr  Morgens  von  «1er  Schönebergor  Gasanstalt  bei  Berlin,  bei 
massigem  Ostwinde  und  völlig  heiterem  Himmel.  Das  Gebiet  höchsten  Luft- 
drucks lag  im  Nordwesten,  und  erstreckte  seinen  Einfluss  über  ganz  Central- 
e ui opa.  Der  Ballon  bewegte  sich  in  fast  genau  westlicher  Richtung  mit  «*inor 
durchschnittlichen  Geschwindigkeit  von  9.7  m pro  Sekunde  fort,  passirte  um 
2 Uhr  Nachmittags  Gardelegen,  und  gelangt«*  um  4 Uhr  Nachmittags  in  die 
Gegend  von  Celle,  woselbst  bei  Bunkenburg  die  Landung  unter  den  durch 
harken  Wind  aufs  äusserste  gesteigerten  Schwierigkeiten  bewerkstelligt  wurde, 
indem  die  Insassen  eine  Viertelstunde  lang  von  dem  schon  entleerten  Ballon 
durch  Wald  und  Feld  geschleift  wurden,  ohne  indessen  Schaden  zu  nehmen. 
Sämmtliche  Instrumente  bis  auf  das  Quecksilberbarometer,  welches  nur  einen 
unbedeutenden  Sprung  im  Glasrohre  erhielt,  wurden  zerbrochen,  und  di<»  ge- 
waltige lebendige  Kraft  der  dahinfliegenden  Gondel  richtete  im  Walde  unter 
«len  Baumstämmen  die  schlimmsten  Verheerungen  an. 

Für  die  Vergleichung  der  in  der  Höhe  gemachten  Beobachtungen  war 
»*s  von  grossem  Werthe,  dass  durch  die  zu  Berlin  und  Hamburg  funktionirenden 
Registrirapparate  Temperatur  und  Luftdruck  an  der  Erdoberfläche  in  der  in 
Betracht  kommenden  Gegend  genau  bekannt  waren,  ausserdem  lieferte  die 
meteorologische  Station  Gardelegen  eine  Mittagsbeobachtung  direkt  unterhalb 
des  Ballons,  es  konnte  sonach  die  tägliche  Perüxle  «Jer  meteorologis«*hen  Ele- 
mente genau  berücksichtigt  werden.  Als  wesentlichstes  Resultat  ergab  sich 
zunächst  die  Thatsache,  dass  alle  früheren  Temperaturbeobachtungeil  im  Ballon 
mit  Vorsicht  zu  verwenden  sind,  da  die  ausserordentliche  Sonnenstrahlung  die 
Thermometer  aufs  äusserste  beeinflusst.  Zwar  hatten  schon  Welsh  und 
Glaisher  ein  Thermometer  angewendet,  das  durch  silberne  Umhüllungen 
und  Anwendung  bewegter  Luft  vor  Strahlungswirkungen  möglichst  geschützt 
war;  aber  das  hier  verwendete,  von  Herrn  Dr.  Assmann  von  seinen  Vor- 
gängern unabhängig  erfunden«*  Aspirationsthermometer  erwies  sieh  als  be- 
sonders zweckmässig,  indem  es  durch  seine  compendiöae  Form  gestattete,  Ab- 
lesungen weit  ausserhalb  der  Gondel  zu  machen.  Wiewohl  die  Ablesungen 
der  Temperatur  an  dem  2 m von  der  Gondel  entfernten  Thermometer  gemacht 
wurden,  war  ja  dennoch  eine  Einwirkung  des  Ballons  auf  dasselbe  immerhin 
denkbar;  zur  Controle  wurde  daher  mit  einem  Fernrohre  ein  auf  einem  II  m 
langen  Bambusstabe  angebrachtes  zweites  AspiratioiiBthermometer  abg»* lesen, 


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ein  merklicher  Unterschied  in  den  Ablesungen  aber  nicht  wahrgenonunen 
Welche  Differenzen  in  den  Ablesungen  aber  möglich  sind,  zeigt  die  Thatsache. 
dass  ein  gewöhnliches  Thermometer,  welches  neben  dem  Aspirationsthermo- 
meter angebracht  war,  meist  5 — 7°  C.  höher  zeigte,  das  Thermometer  am  Queck- 
Bilberbarometer  zwischen  18 — 22°  schwankte  und  ein  im  Inneren  des  Ballons 
angebrachtes  Luftthermometer,  welches  in  der  Gondel  durch  eine  sinnreiche 
Einrichtung  abgelesen  werden  konnte,  Temperaturen  bis  zu  58°  C.  erreichte. 
Während  bei  der  Abfahrt  am  Erdboden  24°  C.  abgelesen  wurden,  ergaben 
die  Ablesungen  (Mittel  aus  mehreren  Beobachtungen)  in  1703  m 9,6°,  2800  m 
7,6°,  2400  m G,8°,  in  2420  m Höhe  war  5,5°  die  niedrigste  während  der  Fahrt 
beohachteto  Temperatur. 

Hieraus  ergiebt  sieh,  mit  Berücksichtigung  der  täglichen  Periode  an 
der  Erdoberfläche  die  Abnahme  der  Temperatur  mit  der  Höhe  fiir  folgende 
Intervalle  auf  je  100  m.  nach 

Höhe  Abnahme  Höhe  Abnahme 

Kremser:  0 — 1134  m 0,99°  Glaisher:  402  m 0,88° 

1184—  1763  m 0,88°  1475  m 0,G0° 

1763  — 2250  m 0,75®  2459  m 0,49° 

2250  — 2405  m 0,41®  3442  m 0,42° 

Die  Zahlen  von  Kremser  zeigen  also  anfangs  eine  viel  schnellere  Ab- 
nahme der  Temperatur  mit  der  Höhe,  und  nähern  sich  erst  in  grösserer  Höhe 
den  Werthen  von  Glaisher,  wobei  jedoch  zu  beachten  ist,  dass  die  Angaben 
Gla  ishers  Mittelwerthe  aus  einer  grösseren  Anzahl  Sommerfahrten  sind,  ohne 
Sonderung  für  bestimmte  Wetterlagen. 

Da  auch  das  feuchte  Thermometer  abgelesen  wurde,  konnte  die  Luft- 
feuchtigkeit ebenfalls  untersucht  wrerden.  Trotz  der  grossen  Trockenheit  w'ar 
der  häufige  Wechsel  sehr  auffallend.  So  wurde  hei  gleichmässigem  Dahin- 
fliegen in  2400  m Höhe  einmal  beobachtet  eine  relative  Feuchtigkeit  von  47%, 
einige  Minuten  später  eine  solche  von  8%,  worauf  in  etwa  200  m Entfernung  bald 
darauf  plötzlich  Wolkenbildung  eintrat.  Dieser  plötzliche  Wechsel,  der  auch 
auf  anderen  Führten  beobachtet  worden  ist,  erklärt  sich  wohl  dadurch,  dass 
in  dieser  Höhe  der  absteigende  Luftstrom  des  Maximums  von  dem,  von  der 
erwärmten  Erdoberfläche  aufsteigenden  dampfreicheren  Luftstrom  säulenartig 
durchsetzt  wird.  Die  von  der  Erdoberfläche  ausgehende  Strömung  machte 
sich  auch  in  anderer  Weise  fühlbar,  indem  jeder  grössere  Waldkomplex  und  jede 
Wasseransammlung  dem  Ballon  eine  Tendenz  zum  Sinken  gab  und  ihn  aus 
seiner  gradlinigen  Bahn  ablenkte.  Diese  seltsame  Erscheinung  erklärt  sich 
ungezwungen  aus  dem  Umstande,  dass  über  Wald  und  Wasser  im  Sommer 
eine  kleine  anticyklonale  Luflbew'egung  stattfinden  muss,  welche  den  Ballon 
in  der  beschriebenen  Weise  bewegt;  ira  Winter  findet  das  umgekehrte  statt. 
Dieser  Einfluss  wird  in  mehr  als  2000  m Höhe  aber  schon  sehr  gering. 

Es  wird  nun  von  äusserstem  Interesse  sein,  die  Fortsetzung  dieser  wissen- 
schaftlichen Luftreisen  genannter  Herren  kennen  zu  lernen.  Zunächst  ist 
eine  Auffahrt  während  eines  winterlichen  Luftdruckmaximums  in  Aussicht 
genommen,  w'elche  sicherlich  ganz  neue  Resultate  ergeben  wird,  da  der  Cha- 
rakter dieser  Maxima  im  Winter  und  Sommer  ein  sehr  verschiedener  ist. 
Während  einer  solchen  Luftdruckvertheilung  in  der  kalten  Jahreszeit  sind 
jedoch  Teraperaturbeobaclitungen  im  Ballon  bisher  noch  nicht  gemacht  worden. 

W. 


T 


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189 


Warme  Winde  in  Grönland.  An  den  meteorologischen  Stationen  der  West- 
küste Grönlands  werden  fast  in  jedem  Winter  eine  oder  mehrere  Perioden  von 
mehrtägiger  Dauer  beobachtet,  während  welcher  die  Temperatur  plötzlich  die  nor- 
male Wintertemperatur  um  20  und  mehr  Grad  C.  überschreitet,  trotzdem  die  Winde 
ineist  aus  östlicher  Richtung,  also  aus  dem  unter  ewigem  Schnee  und  Eis  begrabe- 
nen ßinnenlandc  stammen.  Diese  seltsame  Erscheinung,  zu  deren  Erklärung  man 
früher  schon  die  Theorie  des  Föhns  herbeizog,  indem  die  Ostwinde,  das  grön- 
ländische Binnenland  übersteigend,  an  der  Westküste  sich  durch  Herabsiuken 
erwärmen  sollten,  iindet  jetzt  durch  eine  Untersuchung  A.  Paul  so  ns  (de  mildo 
Vinde  om  Vinteren  i Grönland,  Googr.  Tidskrift  IX,  pag.  100)  eine  ganz  un- 
gezwungene Aufklärung.  Denn  da  die  Föhnerscheinungen  stets  nur  lokal 
beschränkte  bleiben  können,  da  zur  Hervorbringung  derselben  das  Herab- 
sinken der  Luft  an  einem  steilen  Gebirgsrücken  erforderlich  ist,  kann  man 
ein  so  ausgedehntes  Gebiet  wie  ganz  Grönland  nicht  wohl  als  Gebirgsrücken 
betrachten.  Die  Vergleichung  der  Mitteltemperaturen  sämtlicher  Winde  in 
den  Wintermonaten  zeigt  nämlich,  dass,  wenn  ganze  Monate  verglichen  werden, 
der  Südwind  am  wärmsten,  aber  feucht  ist,  während  der  Ostwind  etwas 
weniger  warm  aber  trocken  ist.  Da  bei  dem  Eintritt  der  warmen  Winde 
gleichzeitig  das  Barometer  stets  im  Fallen  begriffen  ist,  so  können  dieselben 
nur  von  dem  Meere  herstammen.  Wenn  nämlich  das  Centrum  einer  Cyklone 
südlich  von  Cap  Farewell  vorübergeht,  so  weht  der  Wind  ursprünglich  aus 
Süd,  ändert  aber  wegen  der  spiralförmig  nach  dem  Centrum  gerichteten  Be- 
wegung der  Winde  in  einem  Luftwirbel  allmählich  seine  Richtung  in  der 
Weise,  dass  er  für  die  mehr  nördlich  gelegenen  Stationen  mehr  und  mehr 
aus  Osten  weht.  Diese  Krümmung  der  Windhahnen  erzeugt  die  Täuschung, 
als  ob  der  Wind  direkt  aus  dem  schneebedeckten  Binnenlande  stammte,  während 
sein  Ursprung  vielmehr  im  Süden  zu  suchen  ist.  Dass  diese  Erklärung  die 
richtige  ist,  geht  auch  daraus  hervor,  dass  von  den  vier  untersuchten  Sta- 
tionen: Ivigtut,  Godtliaab,  Jakobshavn  und  Upernivik,  welche  vom  61—751°  n.  Br. 
an  der  Westküste  vertheilt  sind,  die  nördlicheren  den  Eintritt  der  warmen 
Winde  stets  etwas  später  als  die  südlicheren  zu  verzeichnen  haben.  Uebrigens 
kommt  eine  föhnartige  Erwärmung  des  Ostwindes  in  begrenztem  Masse  da- 
durch zu  stände,  dass  der  zum  Ostwind  gewordene  Südwind  seine  Feuchtigkeit 
beim  Aufsteigen  an  den  hohen  Inseln  lind  Fjorden  des  Westens  verliert,  und 
warm  und  trocken  an  der  Westküste  anlangt,  während  der  direkt  aus  Süd 
die  Küste  treffende  Wind  noch  keine  Veranlassung  zum  Abgeben  seines  mit- 
geführten Wasserdampfes  gehabt  hat,  daher  als  feuchtwarmer  Wind  er- 
scheinen muss.  W. 


* 

lieber  den  mutlimassliehen  Zusammenhang  der  mikroseismischen 
Erderschütterungen  mit  dem  Luftdruck  und  Winde.  Unser  Erdboden, 
welchen  wir,  abgesehen  von  den  grossen,  die  Menschheit  zeitweise  er- 
schreckenden Katastrophen  — den  Erdbeben  — gewöhnlich  als  das  Symbol 
des  absolut  Festen  und  Unveränderlichen  betrachten,  ist  weit  öfter  von  Er- 
schütterungen heimgesucht,  als  man  gemeinhin  annimmt.  Die  Erschütte- 
rungen, von  denen  hier  die  Rede  ist,  sind  aber  wenig  betleutend;  sie 
erreichen  nur  ein  so  geringes  Maas,  dass  sie  in  den  meisten  Fällen  der  un- 
mittelbaren Wahrnehmung  unzugänglich  bleiben,  und  nur  mit  den  verfeinerten 
Hiilfsmitteln,  welche  die  moderne  Technik  der  Wissenschaft  darbietet,  ist  es 
in  der  Neuzeit  gelungen,  die  leiseston,  unsere  Erdrinde  durchzuckenden  Puls- 


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inn 


1 


schlüge  — die  sogenannten  mikroseiMniM'hcn  Beben  — zu  entdecken  und  ihrer 
Natur  nach  niiher  zu  erforschen.  Ein  solches  Hilfsmittel  ist  der  Seismograph, 
ein  die  feinsten  Bewegungen  des  Erdbodens  selbstthätig  regist rirender  Apparat, 
welcher  vor  einigen  Jahren  zuerst  in  Japan  zur  Anwendung  kam,  und  den 
seilet  in  den  Dienst  der  Technik  zu  stellen,  jüngst  in  England  mit  Erfolg  ver- 
sucht worden  ist,  Kwing  hat  den  Doppelpendel -Seismograph  (Proe.  of  the 
Kov.  Soc.  of  Lond.,  No.  270,  l$88)  zur  Prüfung  der  kleinen  Vibrationen  benutzt, 
welche  technische  Konstruktionen  unter  dem  Einflüsse  äusserer  mechanischer 
Störungswirkungen  ausgesetzt  sind,  so  unter  andern  die  neue  Tay-Brücke  beim 
Pas« Iren  eines  Kisenbuhnzuges  oder  beim  Anprall  des  Sturmwindes,  und  es 
sind  hierbei  hochinteressante  Aufzeichnungen  erzielt  worden,  die  aus  einem 
vielfach  verschlungenen  Kurvenzug  bestehen.  Bei  näherer  Untersuchung  kön- 
nen dieselben  vielleicht  sehr  wesentliche  Beiträge  für  die  Beurtheilung  der 
Stabilität  der  Bauwerke  liefern.' 

Einen  anderen,  mehr  der  reinen  Wissenschaft  angehörigen  Erfolg,  ver- 
dankt man  gleichfalls  diesem  Seismographen.  Wie  aus  einer  Schrift  von  Prof. 
Milnc:  „Ueber  die  Erdbeben  in  Ontraljapair*  (TransucL  of  Seismolog.  Soc.  of 
Japan,  Jokohamu  1887,  Bd.  XI)  hervorgeht,  ist  dieser  Forscher  zu  dem  Er- 
gebnis* gelangt,  dass  die  mikroseismisclien  Bodenersrhutterungeu  bezüglich 
ihrer  Häufigkeit  und  Starke  in  einem  eigenthtimlirhen  Zusammenhänge  mit 
den  jeweiligen  Acnderungrn  in  der  Vertheilung  des  Luftdrucks  auf  der  Erd- 
oberiläehe  stehen.  In  Japan,  dessen  Boden  ein  ausgiebiges  Feld  für  derartige 
Untersuchungen  bietet,  fanden  unter  177  solcher  Erschütterungen  72  bei  hohem 
lind  HK»  bei  niedrigem  Luftdruck  statt:  lind  es  ergab  sieh  weiter,  dass  ganz 
allgemein  die  Wahrscheinlichkeit  des  Eintritts  einer  solchen  Erschütterung 
mit  der  plötzlichen  Abnahme  des  auf  der  Enle  lastenden  atmosphärischen 
Druckes  wächst. 

Die  nahe  Beziehung  zwischen  Haromctcrdmck  und  den  Luftströmungen 
führte  nun  unmittelbar  zur  Annahme  eine«  Zusammenhanges  der  letzteren  Vor- 
gänge mit  den  hezeichneten  Phänomenen,  und  hierauf  gerichtete  Untersuchun- 
gen waren  von  Erfolg  begleitet.  Es  ergab  sich,  dass  bei  Windstille  die  Wahr- 
scheinlichkeit einer  Erschütterung  des  Bodens  nur  0,07.  bei  Wind  aber  0,52  ist, 
und  dass  sich  dieselbe  mit  zunehmender  Windstärke  steigert.  Bei  orkanartigem 
Sturme  trat  fast  regelmässig  ein  Beben  ein.  Niemals  oder  doch  nur  selten 
wurden  dagegen  Bodeusch WAnkun ge»  bemerkt,  wenn  der  Wind  von  dem  Oceau 
herwehte.  Wie  ferner  die  Beobachtungen  auf  dem  Fujiiiovama  lehren,  ist  das 
Beiden  auf  hohen  Berggipfeln  nicht  minder  stark  als  in  den  Ebenen. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  die  überwiegende  Mehrzahl  dieser 
mikroseismisclien  Schwankungen  direkt  durch  den  Druck  des  Windes  auf  den 
nachgelienden,  elastischen  und  folglich  vibrlrenden  Erdboden  erzeugt  wird; 
eine  kleine  Zahl  mag  unterirdischen  Ursprungs  sein,  aber  sie  sind  alsdann 
weniger  intensiv  und  von  kürzerer  Dauer.  Ihr  einziger  Berührungspunkt  mit 
den  wirklichen  Erdbeben  besteht  darin,  dass  sie  ebenfalls  im  Winter  am  häufig- 
sten und  im  Sommer  am  seltensten  auftreten. 

Wenn  weitere  Beobachtungen  diese  von  Mi  Ine  erzielten  Ergebnisse 
bestätigen  sollten,  «o  wird  man  hieraus  sehr  wichtige  Aufschlüsse  über  die 
Stfucturverhältnisöe  der  Erdrinde  erwarten  dürfen.  Da  keine  der  uns  bekannten 
Substanzen  eine  absolute  Starrheit  besitzt,  sondern  unter  der  Wucht  genügend 
grosser  Druckkräfte  mehr  oder  minder  eine  Form  Veränderung  erleiden  muss, 
so  wird  unsere  Erde,  trotz  des  hohen  Grades  der  Festigkeit,  die  ihr  nach  «lern 
Urtheile  der  englischen  Geophysiker  Sir  William  Thomson  und  G.  H.  Darwin 
durchgehend  eigen  sein  soll,  dennoch  soviel  Klasticität  und  Plaeticität  besitzen, 


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IUI 

dass  sic  nicht  nur  dem  deformirendon  Einiluss  der  anziehenden  Himmelskörper 
ausgesetzt  ist,  sondern  auch  den  verhältnissmässig  so  geringfügigen  lokalen 
Druckwirkungen  der  auf  ihr  in  ungleicher  Vertheilung  lastenden  Atmosphäre 
in  noch  messbarem  Grade  nachgiebt.  Diese,  auf  Grund  der  Theorie  schon  vor 
einigen  Jahren  von  G.  H.  Darwin  ausgesprochene  Ansicht  (Phil.  Mag.  of  Lond. 
series  ö,  Vol.  14.  188  2)  scheint  durch  die  neueren  Resultate  von  Prof.  Mi  Ine, 
denen  sich  übrigens  auch  ähnliche  von  Bertelli  und  M.  S.  de  Rossi  (in 
seiner  Meteorologia  endogena  II,  1882  Milano)  in  Italien  zur  Seite  stellen  lassen, 
vollauf  Bestätigung  zu  finden 

Sch. 


* 


Modelle  der  Oceaubetteu.  Auf  der  diesjährigen  Ausstellung  der  amerika- 
nischen Küsten-V ermessung  zu  Cincinnati  befanden  sich  unter  den  sonstigen  von 
dem  hydrographischen  Amt  der  Vereinigten  Staaten  eingesandten  Gegenständen 
auch  zwei  interessante  Objecte,  welche  die  Aufmerksamkeit  der  Besucher  ganz 
besonders  auf  sich  lenkten.  Es  waren  dies  zwei  Thonmodelle,  welche  das  sub- 
marine Bodenrelief  des  atlantischen  Oeeans  und  dasjenige  des  Caraibischeu 
Meeres  plastisch  veranschaulichen.  Hergestellt  sind  dieselben  unter  Berück- 
sichtigung der  neuesten  Tiefsee  Vermessungen  nach  Karten,  die  von  dem  Com« 
modore  J.  R.  Bartlett  und  Licut.  J.  L.  Dyck,  dem  ehemaligen,  bezüglich 
dem  jetzigen  Leiter  des  hydrographischen  Amtes  revidirt  worden  sind.  Das 
erste  Modell  zeigt  die  Gestaltung  des  Seebodens  des  atlantischen  Oeeans  von 
00®  nördl.  bis  40°  südl.  Breite,  d.  h.  von  Grönland  bis  zu  den  unbekannten  ant- 
arktischen Regionen,  und  umschliesst  das  mittelländische  Meer  im  Osten,  das 
Caraibische  Meer  nebst  einem  Theil  des  Golfes  von  Mexiko  im  Westen.  Vieles 
befindet  sich  auf  demselben,  was  den  Laien  mit  Erstaunen  erfüllen  muss, 
z.  B.  die  bedeutende  Höhe  der  gleichsam  wie  steile  Kegel  aus  dem  Meeres- 
boden herauswachsenden  Eilande.  Solche  Modelle  würden  für  Unterrichts- 
zwecke von  grossem  Werth  sein.  Denn  während  an  der  Hand  der  Tief- 
seekarten der  erfahrene  Hydrograph  sich  mit  den  Gestaltungsverliältnissen  der 
Oceanbecken  wohl  vertraut  machen  kann,  wird  die  grössere  Laienwelt  hierbei 
Schwierigkeiten  begegnen;  vermittelst  des  Modells  dagegen  kann  sieh  ein 
Jeder  leicht  eine  klare  Vorstellung  von  diesen  Verhältnissen  verschaffen. 

Schw.  (Auszug  aus  dem  Journal  of  Science.) 

f 


Die  Elektricität  des  Himmels  und  der  Erde  von  Dr.  Alfred  Ritter  von 
l'rbanitzky,  Wien,  Pest,  Leipzig;  A.  Hartlebens  Verlag,  1888.  Voll- 
ständig in  20  Lieferungen  ä 00  Pf. 

Der  Verfasser,  bekannt  durch  sein  sehr  verbreitetes  Werk  »Die  Elektri- 
cität  im  Dienste  der  Menschheit",  hat  sich  in  dem  vorliegenden  Werke  die 
Aufgabe  gestellt,  die  hochinteressanten  elektrischen  und  magnetischen  Erschei- 
nungen, welche  sich  in  der  Natur  abspielen,  dem  Leser  in  eingehender  und 
dabei  doch  übersichtlicher  und  allgemein  verständlicher  Weise  vorzuführen. 
Die  beiden  ersten  Hefte  geben  eine  physikalische  Einleitung;  cs  werden  hier 
die  wichtigsten  Grundlehren  aus  dem  Gebiete  der  Elektricität  und  des  Magne- 


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102 

tiamus  behandelt,  und  die  Mesranatnunentc,  soweit  sie  für  das  Folgend o in 
Betracht  kommen,  erklärt,  unter  andern  die  berühmten  Versuelie  von  Flaute 
mit  seiner  rheoetati  sehen  Maschine,  welche  ganz  besonders  geeignet  sind,  so 
manche  elektrische  Naturerscheinung  verständlich  zu  machen.  Nach  einem 
historischen  l'eberblick,  in  dem  die  Kenntnisse  der  alten  Volker  über  «lic  Go- 
witteiTracheinungen  im  Vergleiche  zu  jenen  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit 
betrachtet  werden,  wendet  sich  der  Verfasser  zur  Behandlung  dieser  Phänomene 
auf  Grundlage  des  gegenwärtigen  Standes  der  Wissenschaft  Wir  werde« 
mit  den  Methoden  und  Apparaten,  welche  Thomson,  Mascart  und  Palmieri 
zum  Studium  der  Luftelektricität  angewandt  haben,  vertraut  gemacht,  wobei 
die  unmittelbare  Einführung  des  Lesers  in  das  Observatorium  des  letzten 
Forschers  — an  der  Hand  zweckmässiger  Illustrationen  — ganz  liesonders  zur 
Belebung  der  Darstellung  und  zur  Anregung  beiträgt-  Hieran  reihen  sich  die 
Versuche,  welche  zur  Erklärung  der  atmosphärischen  Klektricilät  bisher  unter- 
nommen worden  sind,  die  Erfahrungen,  welche  zu  Gunsten  der  Kondensation*» 
und  der  Reibungshypothese  sprechen,  sowie  die  neusten  Untersuchungen  von 
Larroquc,  die  eine  Vermittlung  zwischen  den  Theorien  zu  erkennen  geben. 
Dem  weiteren  Kapitel  über  das  Gewitter  geht  eine  detaillirto  Betrachtung  über 
Form,  Aussehen  und  Verhalten  der  Gewitterwolken  voraus.  In  Hinblick  auf 
den  bedeutenden  Erfolg,  welcher  in  Bayern  und  Württemberg  durch  die  Orga- 
nist rang  eines  regelrechten  Gewitterbeobachlungsdienstes  unter  Betheiligung 
des  grösseren  Publikums  erzielt  worden  ist,  sucht  der  Verfasser  in  dem  folgen- 
den Abschnitte  unter  Hinweis  auf  die  Vortheile,  welche  die  Wissenschaft  von 
einer  genauen  Kenntniss  der  zeitlichen  und  örtlichen  Vcrtheilung  dieser  atmo- 
sphärischen Erscheinungen  zu  erwarten  hat,  weitere  Kreise  hierfür  zu  interes- 
»iren  und  zu  thätiger  Mitwirkung  anzuregen.  Auch  jene  Vorgänge,  welche 
mit  den  elektrischen  Entladungen  der  Atmosphäre  im  Zusammenhang  stehen, 
oder  für  welche  ein  solcher  Zusammenhang  vermittelt  wird,  linden  eingehende 
Behandlung.  Nachdem  der  Verfasser  diesen  Haupit  heil  seines  Werkes  mit 
Erläuterungen  über  Blitzgefahr  und  Blitzschutzvorrichtungcn  beendet  hat,  wen- 
det er  sich  dem  Erdmagnetismus,  dem  Erdstrom  und  den  Polarlichteracheinun- 
gen  zu.  Auch  hier  wird  bei  dem  Leser  das  Interesse  für  den  Gegenstand 
dadurch  gesteigert,  dass  er  unmittelbar  mit  den  Einrichtungen  des  berühmten 
erdmagnetischen  Observatoriums  zu  Saint- Maur  bekannt  gemacht  wird,  sowie 
in  Bezug  auf  den  Erdstrom  mit  denjenigen  zu  Pawlowsk  l»ei  Petersburg,  wo 
Wild  seit  einer  Reibe  von  Jahren  eine  für  die  Wissenschaft  hoch  bedeutsame 
Tbätigkeit  entfaltet.  Bei  der  Behandlung  dieses  Kapitels  muss  es  aber  befrem- 
dend erscheinen,  dass  der  Verfasser,  während  er  den  neueren  Betrachtungen 
von  Naumann  über  die  Abhängigkeit  des  Erdmagnetismus  von  dem  geolo- 
gischen Bau  der  Erdrinde  und  dem  Grstciiismagtictismus  durch  eingehende 
Besprechung  gerecht  zu  worden  sucht,  nur  ganz  nebensächlich  einmal  auf  die 
causalen  Beziehungen  zwischen  den  elektromagnetischen  Erscheinungen  der 
Erde  und  den  solarem  Vorgängen  hinweist.  Gründen  sieh  diese  Beziehungen 
zur  Zeit  im  wesentlichen  auch  nur  auf  einer  Xehcucinatulerordnuug  zweier 
anscheinend  weit  auseinander  liegender  Erscheinungskreise,  so  liegt  doch  viel 
Wahrscheinlichkeit  vor,  dass  diese  Phänomene,  welche  man  bislang  nur  für  solche 
von  blos  lokaler  Bedeutung  hielt,  nicht  nur  von  irdischen,  sondern  auch  von 
kosmischen  Verhältnissen  sich  abhängig  erweisen  werden.  Vielleicht  wird 
der  Verfasser  sich  diesen  Gegenstand  einer  weiteren  Behandlung  Vorbehalten 
wollen  und  dadurch  den  Oyclus  seiner  Werke  zum  Alwhluss  bringen,  welche 
dann  das  ganze  ausgedehnte  Gebiet  einer  noch  vielfach  goheimnissvollen  Natur- 
kraft zu  einem  grossen  und  umfassenden  Gesamtbilde  vereinigen  werden.  Für 


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198 

die  Bemühungen  de«  Vcrtuien,  dureh  sein  Werk  einem  grösseren  Kreise 
Gelegenheit  zu  bieten,  sieh  über  die  neuen  Errungenschaften  einer  schwieriger» 
Di«cipliu  zu  unterrichten,  wird  man  ihm  allgemein  Dank  schuldig  sein. 

Dr.  P,  Sch  wahn. 


Srhiirlg,  „Tabulae  Caelestes*4  Hinimelsatlas  enthaltend  alle  mit  blossen 
Augen  sichtbaren  Sterne  beider  Hemisphären.  — Leipzig  1886,  Karl 
Fr.  Pfau.  Preis  kartonirt  .*>  M. 

Messer,  Sternatlas  für  Himmel  «beobacht urigen.  Darstellung  aller  bis  zum 
.'15.  Grade  südlicher  Deklination  mit  blossen  Augen  sichtbaren  Sterne  etc. 
Eine  grosse  UebersiclilÄkarte  und  26  Spezialkartell  mit  12  Bogen  er- 
läuterndem Text  und  Ö7  Abbildungen.  St.  Petersburg  1888.  Carl 
Kicker  Preis  10  M. 

Die  Aufgabe  einen  Himmelsatlas  für  diejenigen  Zwecke  der  Hinuuels- 
beohaebtungen  herauszugeben,  welche  ohne  bedeutende  optische  HülfsmiUel 
angestellt  werden  können,  ist  deshalb  keine  leichte,  weil  man  an  ein  solches 
Werk  zwei  hauptsächliche  Forderungen  stellen  muss,  welche  einander  in  ge- 
wisser Hinsicht  widerstreiten,  so  dass  der  einen  nur  mit  theilweiser  Zurück- 
setzung der  andern  entsprochen  werdeu  kann.  Der  Atlas  soll  nämlich  einer- 
seits ein  möglichst  treues  Bild  des  Himmels  wiedergeben,  so  dass  mau  sich 
bei  Vergleichung  der  Karte  mit  dem  Himmel  auf  den  ersten  Blick  hier  oder 
dort  zurechtzuflnden  weiss,  andererseits  soll  dagegen  der  Atlas  sogleich  bei  den 
Sternen  all  jene  Details  enthalten,  welche  zu  ihrer  Identiflzirung  nöthig,  oder 
sonst  zu  erfahren  wünschenswerth  sind.  Die  Aufgabe  des  Herausgebers  einer 
Sternkarte  besteht  also,  abgesehen  von  der  fundamentalen  Forderung  der 
Korrektheit  und  Vollständigkeit,  in  der  geschickten  Anbringung  dieser  speziellen 
Angalien,  welche  sich  auf  die  Eintheilung  des  Sternreichthums  in  die  bekannten 
Gruppen  der  Konstellationen,  die  Unterordnung  unter  das  Koordinatensystem, 
die  Benennung.  Grössenklasse,  Eigenschaft  als  veränderlicher  oder  Doppol- 
stern etc.  beziehen,  so  dass  diese  den  Totaleindruck  nicht  stören. 

Die  beiden  vorliegenden  Werke  suchen  dieser  Aufgabe  auf  verschiedene 
Art  zu  genügen.  In  beiden  hat  man  die  veraltete  Methode,  die  wirklichen 
Sternbilder  einzuzeichnen,  verlassen  und  dieselben  nur  durch  schwache  Grenz- 
linien markirt.  Auf  beiden  Atlanten  werden  die  Grösseukla&sen  durch  ver- 
schieden grosse  Scheiben  bezeichnet.  Sch  urig  fügt  diesen  Scheiben  noch 
besondere  Sternauszackungen  bei,  welche  dureh  die  Verschiedenaiiigkeit  der 
Figur  siebenzehn  Helligkeitsstufen  unter  den  sechs  Grüsscnklasson  unter- 
scheiden lassen.  Messer  verzichtet  dagegen  auf  diese  unmittelbare  Unter- 
scheidbarkeit zu  Gunsten  der  grösseren  Natürlichkeit  völlig  runder  Scheiben, 
als  welche  sich  ja  bekanntlich  die  Sterne  auch  auf  den  photographischen  Auf- 
nahmen darstellen.  Bei  Sch  urig  werdeu  die  Doppelsterne  und  die  Veränder- 
lichen durch  besondere  Strahlen-  oder  gewöhnliche  Kreise  um  die  Sternzeichen 
herum  angedeutet,  wodurch  diese  Sterne  sofort  in  dem  Eindrücke  des  ganzen 
Sternbildes  besonders  au  Ballen.  Messer  dagegen  bezeichnet  die  Doppelsterne 
nur  durch  einen  ganz  feinen  Strich  quer  durch  die  Stemscheibe  gezogen,  so 
dass  man  — ganz  wie  am  Himmel  — erst  näher  hinsehen  muss,  um  die  An- 
deutung der  Doppelstern natur  zu  erkennen.  Die  Veränderlichen  werden  durch 
in  der  Mitte  wTisse  Ringt*  bezeichnet,  so  dass  also  bei  ihnen  etw\is  an  der 


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i ihfuiiH» 


1SH 


vollen  hervorstechenden  Kraft  fehlt  und  sie  dadurch  heim  ersten  Ue  herb  lick 
mehr  der  Wahrheit  entsprechend  auffallen,  als  die  Bchurigschen  noch  ver- 
grüsseilen  strahlenden  Scheiben.  Die  Sternbezeichnungen  sind  beim  letzteren 
Werke  matt  rot  h,  l»ei  Messer  schwarz  beige  druckt  Sie  stören  bei  beiden 
Werken  den  Totalei ndruck,  wie  das  bei  dem  jetzt  angewandten  Arrangement 
gänzlich  unvermeidlich  ist,  doch  hei  Sch  urig  weniger  wie  bei  Messer. 

Ka  mag  in  dieser  Beziehung  für  spätere  Herausgaben  eiu  Vorschlag  ge- 
macht werden,  der  möglicherweise  den  beiden  bisher  widerstreitenden  An- 
forderungen vereinigt  genügen  wird.  Man  zeichne  die  Sterne,  wie  es  ähnlich 
schon  geschehen  ist,  als  weisse  Scheiben  auf  tiefblauem  Grunde  ein,  ohne 
irgend  welche  Zusätze,  so  dass  solc  he  Karte  ein  völlig  treues  Bild  des  Himmels 
giebt  Darüber  breite  man  eine  andere  Karte  aus  Pausepapier,  welche  die 
Stenn»  schwarz  auf  weissein  Grunde  und  mit  allen  erwünschten  Nebenangalten 
enthält.  Von  diesen  Pausen  gebe  man  jeder  Karte  einige  mit,  damit  der  Be- 
obachter darauf  nach  Belieben  eigene  Einzeichnungen  und  Bemerkungen  vor- 
nehmen und  die  verbrauchte  Karte  durch  eine  neue  ersetzen  kann  ohne  den 
Atlas  selbst  zu  beschädigen. 

Das  Format  beider  vorliegenden  Atlanten  ist  sehr  verschieden,  während 
der  Massstab  der  Karten  selbst  bei  Messer  nur  unerheblich  grösser  ist  als 
bei  Sch  urig.  Letzterer  in  gewöhnlichem  Folioformat  ist  immer  noch  handlich, 
ersterer,  in  einem  langen  Oktav  nach  Alt  der  Taschenbücher,  kommt  einem 
Bedürfnisse  entgegen,  das  viele  praktische  Beobachter,  welche  zu  verschiedenen 
Zwecken  Kometcnsucher  verwendeten,  gewiss  gleich  dem  Referenten  lebhaft 
empfunden  haben.  Man  kann  den  Atlas  auf  dem  Tische  oder  Pfeiler,  auf 
welchem  das  tragbare  Instrument  ruht,  bequem  neben  anderen  Dingen  vor 
»ich  hinlegen  und  findet  sich  auf  der  jeweilig  auffeerchlagenen  Karte  von  ge- 
ringem Umfange  sofort  leicht  zurecht.  Für  solche  Zwecke  ist  die  Auswahl 
der  stark  in  einander  übergreifenden  Karten  mit  grosser  Umsicht  getroffen. 

Um  ein  zusammenfassendes  Urtheil  über  beide  Werke  hier  anzugeben, 
müssen  wir  beiden  besondere  Vortheile  einräumen.  Der  Schurigsehe  Atlas 
enthält  den  ganzen  Himmel,  während  der  M esse  r sehe  sich  auf  die  in  Kuropa 
sichtbaren  Sterne  beschränkt.  Das  erster©  Werk  ist  offenbar  für  den  grossen 
Kreis  der  gebildeten  Laien,  die»  Schule  und  die  Manne  bestimmt,  das  heisst 
für  ein  Publikum,  das  mit  freiem  Auge  oder  doch  nur  sehr  geringen  optischen 
Mitteln  gelegentlich  sich  am  Himmel  orientiren  möchte.  Dementsprechend  ist 
auch  der  für  die  sorgfältige  Ausführung  ungemein  billige  Preis  von  .*»  Mark 
gewühlt.  Das  M es s ersehe  Werk  wendet  sich  dagegen  zunächst  an  den  engeren 
Kreis  von  astronomischen  Beobachtern,  welche  ernsteren,  wissenschaftlichen 
Zielen  mit  Hülfe  mittlerer  Fernrohre  nachgehen  und  der  erfreulicherweise 
nicht  mehr  geringen  Zahl  astronomischer  Dilettanten,  denen  eine  nähere  Be- 
kanntschaft mit  den  himmlischen  Objekten  am  Herzen  liegt.  Für  diese  ist  der 
ausführliche,  vortrefflich  disponirte  Text  von  grossem  Werth®.  Dieser  Text 
enthält  alles  zum  Verständnis  der  in  dem  Atlas  aufgeführten  Gegenstände 
Erforderliche.  Er  bildet  also  eine  kurzgefasst©  Astronomie  der  Fixsterne, 
die  ihrerseits  mit  einer  grossen  Zahl  von  trefflichen  Abbildungen  himmlischer 
Objekte  geziert  ist. 

\\\  M. 


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1115 


Verzeichnis*  der  bis  zum  15.  November  der  Redaktion  zur  Besprechung; 
eingesandten  Bücher. 

K.  Angströra,  Sur  une  nouvelie  Methode  do  faire  des  me.su  re  9 absolues  de 
la  chaleur  ravonnante  ainsi  qu’un  Instrument  pour  enregiatrer  la  radiatiou 
solaire,  Upsal,  Edv.  Berling,  1 88*5. 

A.  M.  Clerke,  Geschichte  der  Astronomie  während  des  neunzehnten  Jahr- 
hunderts, deutsch  von  Maser,  Berlin,  Jul.  Springer,  1889. 

*0.  Dziobek,  Die  mathematischen  Theorien  der  Planetcnbewegungen,  Leipzig, 
J.  Amb.  Barth,  1888. 

X.  Ekholm  und  H.  L.  Hagström,  Mesures  des  Hauteurs  et  des  Mouve- 
ments des  Nnages,  Upsal,  Edv.  Berling,  1885. 

*H.  C.  E.  Mart us,  Astronomische  Geographie.  Zweite  Auflage,  Leipzig, 
Koch.  18SS. 

•J.  Messer,  Stern -Atlas  für  Himmelsheobachtungen.  Darstellung  aller  bis 
zum  35.  Grade  südlicher  Declination  mit  blossem  Auge  sichtbaren 
Sterne  etc.  Eine  grosse  Uebersichtskarte  und  26  Specialkarten  mit 

12  Bogen  erläuterndem  Text  und  37  Abbildungen.  St.  Petersburg, 
C.  Ricker,  1888. 

H.  Mohn  und  II.  Hildebrand  H ildebrandsson,  Les  Drages  dans  la 
P6ninsule  Scnndinave,  l'psal,  Edv.  Berling,  1888. 

•G.  Neumaver,  Anleitung  zu  wissenschaftlichen  Beobachtungen  auf  Reisen, 
Zweite  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage  in  zwei  Bänden,  Berlin, 
R.  Oppenheim,  1883. 

•Schurig,  Tabulae  Caelestes,  Himmels-Atlas,  enthaltend  alle  mit  blossen  Augen 
sichtbaren  Sterne  beider  Hemisphären.  Leipzig.  Karl  Fr.  Pfau,  1886. 

G.  Gabriel  Stokes,  Das  Licht,  Zwölf  Vorlesungen,  deutsch  von  Dr.  O.Dziobek, 
Leipzig,  J.  A.  Barth,  1888. 

•A.  v.  Urban itzky.  Die  Elektrizität  des  Himmels  und  der  Erde.  Zwanzig 
Lieferungen,  Wien,  A.  Hartleben,  1887. 

•A.  Woeikof,  Die  Klimate  der  Erde.  Nach  dem  Russischen  vom  Verfasser 
besorgte,  bedeutend  veränderte  deutsche  Bearbeitung  mit  10  Karten, 

13  Diagrammen  nebst  Tabellen.  Zwei  Bände,  Jena,  H.  Costonoble,  18S7. 

• Sind  bereits  im  gegenwärtig  abgeschlossenen  Quartal  besprochen. 


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1 


Horm  L.  II.  in  Nürnberg.  Die  Anschauungen  der  Geologen,  Physiker 
und  Astronomen  über  die  innere  Nuturbesohaffenheit  der  Erde  sind  dem  mo- 
dernen Standpunkte  der  Wissenschaft  gemäss  um  besten  dargcstellt  in  einem 
Vortrug:  „lieber  die  Mittel  und  Wege  zur  besseren  Kenntniss  des  Erdinnem 
zu  gelangen“,  den  Prof.  Zöppritz  auf  dem  ersten  deutschen  Geographentage 
1*81  hielt  (Verhdlg.  des  ersten  deutsch.  Geographentuges,  Berlin,  Reimer/. 
Eine  vollständige  Darstellung  der  Argumente,  welche  für  die  drei  gangbaren 
Hypothesen  der  Erdgestaltung  — geologische  Fluiditätshypothese,  astronomische 
Rigidilätsliypotliese  und  die  zwischen  beiden  vermittelnde  Conccption  einer 
gluthtlüssigen  Medianschicht  bei  festem  Kern  und  fester  äusserer  Rinde  — 
vorgebracht  sind,  giebt  auch  Prof,  von  Lasaulx  in  dem  von  Kenngott 
herausgegebenen  Handwörterbuch  der  Mineralogie,  Geologie  und  Palaeontologie 
Bd.  [,  pag.  256  (der  Erdball  als  Ganzes  und  seine  Beschaffenheit).  Ferner  ist 
in  Bezug  auf  diesen  Gegenstand  beachtenswert!!  das  Werk  von  Pilar:  Abysso- 
dynamik.  Agram  1881,  das  Werk  von  de  Lapparent:  Trait$  de  Geologie, 
Paris  1883  et  1885,  und  dasjenige  von  Green:  Manual  of  Geolog.v.  Eine  voll- 
ständige Litteraturangahe  der  Monographien  findet  man  in  den  geographischen 
Jahrbüchern,  herg.  von  Behm  unter  den  Artikeln  „Fortschritte  der  Geophysik”. 

Herrn  Dr.  O.  K.  In  Cassel.  Bei  Ihrer  Wahrnehmung  eines  steniartigcu 
Punktes  in  der  Nähe  von  Aristareli  scheint  es  sich,  wie  Sie  auch  selbst 
vermutheii,  uni  jene  Phänomene  zu  handeln,  wie  solche  von  Hcrschel,  Hart 
u.  A.  in  der  Mondoberlläche  zuweilen  beobachtet  worden  sind.  Die  starke 
Rcllcximisfähigkcit  des  Mondflecks  Aristareli  dürfte  zur  Erklärung  ausreichen: 
diese  kann  nämlich  hinreichend  sein,  auch  auf  der  Nachtseite  des  Mondes  bei 
reflektirtem  Erd  lichte  einzelne  Punkte  auf  leuchtend  zu  machen,  lieber  ein 
ähnliches  Phänomen  berichtete  die  Zeitschrift  -The  Observatory • neulich 
(November):  Wohb  und  G.  Hunt  sahen  1863  einen  Hügel  in  der  Nähe 
von  Tiraochari*  schimmern  -wie  einen  strahlenden  Stern.“  Wir  behalten 
' uns  indes»  vor,  über  Ihn*  Beobachtung  das  Urtheil  von  Beobachtern  eiitzu- 

4 holen,  die  den  Mond  in  dieser  Beziehung  anhaltend  verfolgt  haben.  Inzwischen 

registriren  wir  dieselbe  hier  in  Kürze:  Drei  Tage  nach  dem  Neumonde,  bei 
klarer  Luft,  wurde  im  dunklcu  durch  das  Erdlicht  erhellten  Theil  der  Mond- 
oberfläche,  in  der  Gegend  von  Aristareli,  ein  feiner  scharfer  Lichtpunkt  walir- 
genommen,  der  auch  bei  apälcmi  Gelegenheiten  in  den  ersten  Tagen  nach 
Neumond  mit  Sicherheit  constatiri  werden  konnte. 

Herrn  v.  Sp.  in  Winkel«  Nach  den  Beobachtungen  des  geehrten  Herrn 
Einsenders  zeigt  sich  die  innere  Fläche  des  Mondkraters  Endymiou,  entgegen 
den  Wahrnehmungen  von  Schmidt  und  Neison,  nicht  glatt,  sondern  von 
einem  in  der  Richtung  zum  Mare  crisium  laufenden  Striche  (Rille?)  durch- 
zogen. Dieser  je  nach  der  Beleuchtung  hellere  oder  dunklere  Strich  ist  in 
seiner  oberen  Hälfte  stärker  als  in  der  unteren.  — Wir  bitten  jene  Beobachter, 
die  sieh  mit  Detailuntersuchiingen  der  genannten  Mondgegend  beschäftigt*»,  im 
Interesse  der  Sache  um  die  Mittheilung  ihrer  Wahrnehmungen  in  unserem  Blatte. 
Die  Sternwarte  der  Urania  wird  hei  solchen  Anlässen  künftig  gern  mitwirken. 

Verlag  von  Hertnaun  Partei  tu  Berlin.  — Druck  von  Wilhelm  ürouau'd  Buchdruckerei  in  Berlin. 

Für  die  Redaction  verantwortlich:  Dr.  M.  Wilhelm  Meyer  in  Berlin. 

Unberechtigter  Nachdruck  au»  dem  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt. 

Uebrrsftxungvrerhl  Vorbehalten. 


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Die  Spektrographische  Bestimmung  der  Bewegung  der 
Himmelskörper  in  der  Gesichtslinie. 

Von  l»r.  J.  Scheiner. 

Astronom  am  Aatrophjraik&l.  Observatorium  zu  Potsdam. 

piaklteit  der  Messungen  und  eine  der  erreichten  Genauigkeit  der 
fr , Beobachtungsresultnte  entsprechende  reclinerische  Verwerthung 
gehören  zu  den  llauptfaktoren,  welche  die  Astronomie  auf  den 
hohen  Punkt  ihrer  jetzigen  Vollendung  gebracht  haben.  Diese  beiden 
Grundbedingungen  gewähren  in  ihrer  richtigen  Vereinigung  nicht  blofs 
die  Möglichkeit,  staunenswerthe  Resultate  zu  erhalten,  sondern,  was 
noch  wichtiger  ist,  sie  stellen  gleichzeitig  auch  den  Grad  von  Gewifs- 
heil  fest,  mit  welchem  man  dio  gewonnene  Einsicht  als  wahr  be- 
trachten darf. 

Die  Astrophysik,  jene  mächtig  emporbliihende  Zweigwissenschaft 
der  Astronomie,  ist  diesen  beiden  Forderungen  weit  weniger  zugäng- 
lich gewesen,  hauptsächlich  wegen  der  gröfseren  Schwierigkeit  und 
Vielartigkeit  ihrer  Probleme,  dann  aber  auch,  weil  wegen  der  kurzen 
Zeit  ihres  Bestehens  sich  zuerst  ein  grofses  Feld  reicher  Entdeckungen 
hot,  die,  allerdings  schon  mit  Ausnahmen,  ohne  besonderen  Aufwand 
des  für  die  Astronomie  erforderlichen  mathematischen  Apparates  zu 
erhalten  waren.  Das  ist  heute  schon  anders  geworden  und  wahrlich 
nicht  zum  Schaden  der  Astrophysik,  denn  je  mehr  sie  sich,  um  es 
kurz  auszudrücken,  iu  Bezug  auf  Exaktheit  der  Astronomie  nähert, 
um  so  vollkommener  kaun  sie  den  Forderungen  strenger  Wissenschaft- 
lichkeit entsprechen. 

Das  hier  angedeutete  Streben  iu  Verbindung  mit  dem  mächtigen 
Hillsmittel  der  coelestischen  Photographie  hat  nun  vor  kurzem  zu 
einer  Entdeckung  geführt,  die  es  möglich  macht,  die  Astrophysik 
ohne  weiteres  mit  aller  wünscheuswerthen  Exaktheit  in  ein  Gebiet  der 


Himmel  und  Erde  L 4. 


l'.IS 


eigentlichen  Astronomie  hineingreifen  zu  lassen,  in  das  Gebiet  der 
Fixsternbewegungen,  welches,  verhöltnifsmäfsig  noch  wenig  erforscht, 
dereinst  Aufschlufs  über  die  Konstruktion  des  Fixsternsystems  zu 
geben  verspricht.  Es  möge  aber  hier  gleich  erwähnt  werden,  dafs 
das  (irundprinzip,  auf  welchem  diese  Entdeckung  beruht,  durchaus 
nicht  neu  ist,  dafs  vielmehr  eine  gröfsere  Anzahl  betreffender  Beob- 
achtungen schon  existiren;  das  wichtige  der  neuen  Methode  liegt,  wie 
oben  angedeutet,  in  der  Einführung  der  nöthigen  Exaktheit,  wodurch 
die  Resultate  erst  neben  den  auf  rein  astronomischem  Wege  erhaltenen 
stimmfähig  werden. 

Die  in  der  L'eberschrift  ausgesprochene  Aufgabe,  die  Geschwin- 
digkeiten zu  bestimmen,  mit  welchen  sich  infolge  der  Bewegungen  der 
Erde  und  der  übrigen  Himmelskörper  die  Entfernungen  der  letzteren 
von  unserer  Erde  ändern,  beruht  auf  dem  nach  seinem  Entdecker  so 
genannten  IJopplerschen  Prinzipe,  dessen  Erklärung  eine  sehr 
schwierige  ist.  Die  Wahrheit  dieses  Prinzips  zu  beweisen  ist  experi- 
mentell bereits  vor  Jahren  gelungen,  und  zwar  zum  ersten  Male 
II.  C.  Vogel  durch  Beobachtungen  an  der  Bonne,  während  ein  ein- 
wurfsfreier mathematischer  Beweis  für  dasselbe  noch  nicht  erbracht  ist. 

Das  Dopplersche  Prinzip  basirt  auf  der  Wellentheorie  des 
Lichts,  nach  welcher  das  Licht  aus  außerordentlich  rasch  verlaufenden 
Schwingungen  des  Aethers  besteht,  wobei  die  Farbe  des  Lichts  ab- 
hängig ist  von  der  Länge  der  Wellen,  und  zwar  in  dem  Sinne,  dafs 
die  Farben  in  der  Reihenfolge  wie  im  Regenbogen,  roth,  orange,  gelb, 
grün,  blau  und  violett,  aufeinander  folgen,  wenn  die  Iiingen  der  Wellen 
abnehmen,  oder,  was  dasselbe  bedeutet,  wenn  die  Schwingungen  des 
Aethers  rascher  verlaufen.  Daß  diese  beiden  Ausdrucksweisen  iden- 
tisch sind,  hat  seinen  Grund  in  dem  Umstande,  daß  die  Geschwindig- 
keit des  Lichts  im  Weltenraum  für  alle  Farben  dieselbe  ist;  verlaufen 
die  Schwingungen  rasoher,  so  müssen  die  Wellen  entsprechend  kürzer 
sein,  um  konstante  Geschwindigkeit  zu  ergeben. 

Sendet  nun  eine  Lichtquelle  Strahlen  von  einer  bestimmten  Wellen- 
länge — monochromatisches  Licht  — aus,  wir  wollen  z.  B.  annehmen 
von  der  Wellenlänge  der  Fraunhoferschen  Linie  F im  blauen  Theile 
des  Spektrums,  und  entfernt  sich  die  Lichtquelle  mit  einer  gewissen  Ge- 
schwindigkeit von  uns,  so  wird  die  Anzahl  der  uns  treffenden  Licht- 
wellen eine  kleinere,  und  die  Farbe  der  Strahlen  und  scheinbar  also 
auch  die  der  Lichtquelle  nähert  sich  mehr  dem  Roth,  Die  Aende- 
rung  der  Farbe  ist  um  so  stärker,  je  rascher  die  Fortbewegung  der 
Lichtquelle  ist.  Nähert  sich  uns  dagegen  die  Lichtquelle,  so  findet 


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109 

genau  das  Umgekehrte  statt,  die  Farbe  geht  mehr  nach  dem  Violett 
über.  Diese  Eigentümlichkeit  ist  nun  allgemein  gültig  überhaupt  für 
Abstandsänderungen  zwischen  Lichtquelle  und  Beobachter,  wobei  es 
ohne  Bedeutung  ist,  ob  die  Lichtquelle  oder  der  Beobachter  die  Be- 
wegung ausführt,  oder  ob  beides  stattfindet.  Der  Einfachheit  des  Aus- 
drucks halber  soll  im  Folgenden  nur  immer  von  einer  Bewegung  der 
Lichtquelle  gesprochen  werden. 

Sendet  die  Lichtquelle  Licht  aus,  welches  ans  allen  Strahlen- 
gattungen zusammengesetzt  ist  und  also  dem  Auge  als  weifs  erscheint, 
so  liegt  die  Sache  wesentlich  anders.  Wenn  sich  in  diesem  Falle  die 
Lichtquelle  nähert,  so  ändert  sich  zwar  jede  Strahlengattung  für  sich 
durch  Uehergang  nach  dem  Violett  hin;  zerlegt  man  aber  das  Liebt 
durch  das  Spektroskop  in  die  einzelnen  Farben,  so  hat  sich  itn  An- 
blicke des  Spektrums  nichts  geändert,  da  das  Roth,  welches  mehr  zum 
Orange  übergegangen  ist,  aus  dem  nicht  sichtbaren  Ultraroth  ergänzt 
wird  und  das  überschüssige  Violett  in  das  unsichtbare  Ultraviolett 
übergeht.  Es  ist  thatsiichlich  also  im  Spektrum  keine  Veränderung 
vor  sich  gegangen,  auch  durch  etwaige  Messungen  ist  nichts  zu  kon- 
statiren,  und  ebenso  wenig  hat  sich  die  Farbe  der  Lichtquelle  ver- 
ändert Der  wichtigste  Fall  ist  nun  der,  wie  er  bei  unserer  Sonne 
und  bei  fast  siimmtlichen  Fixsternen  vorliegt,  dal's  nämlich  die  Licht- 
quelle wohl  weifses  Licht  ausseudet,  dafs  in  demselben  aber  durch 
elektive  Absorption  in  den  diese  Himmelskörper  umgebenden  Gas- 
atmosphären eine  Anzahl  spezieller  Strahlengattungen  fehlen.  Diese 
fehlenden  Strahlen  erscheinen  im  Spektroskope  als  mehr  oder  minder 
feine  schwarze  Linien  auf  dem  Grunde  des  sonst  kontinuirlichen  Spek- 
trums. Wie  wir  gesehen  haben,  ändert  sich  in  diesem  kontinuirlichen 
Spektrum  bei  einer  Entfernungsänderung  der  Lichtquelle  des  Sternes 
nichts,  wohl  aber  würde  der  Strahl,  der  z.  B.  der  Linie  F entspricht, 
etwas  inehr  nach  dem  Roth  zu  geändert  worden  sein,  die  durch  das 
Fehlen  des  Strahles  im  Spektrum  entstandene  Lücke,  die  Linie  F also 
ebenfalls,  d.  h.  die  Linie  F liegt  nun  nicht  mehr  an  ihrer  eigentlichen 
Stelle,  sondern  sie  liegt  mehr  nach  dem  Rothen  zu:  si o ist  nach  dem 
rothen  Ende  des  Spektrums  zu  verschoben. 

Nach  dieser  Erklärung  wird  der  eigentliche  Wortlaut  des 
Dopplerschen  Prinzips,  gleich  auf  Sterne  angewandt,  wohl  verständlich 
sein:  Nähert  sich  uns  ein  Fixstern,  so  sind  seine  sämmtlichen 

Spektrallinien  um  geringe  Beträge  nach  dem  Violett  hin  verschoben; 
entfernt  er  sich  von  uns,  so  findet  dies  nach  der  rothen  Seite  des 
Spektrums  statt.  Je  gröfser  die  Geschwindigkeit  ist,  mit  welcher  sich 

15* 


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200 


der  Stern  von  uns  entfernt  oder  sich  uns  nähert,  je  stärker  also 
seine  Bewegung  in  der  Gesichtslinie  ist,  um  so  stärker  ist  auch  die 
resultirende  Verschiebung  der  Spektrallinien. 

Die  Berechnung  der  Geschwindigkeit  ans  der  gemessenen  Ver- 
schiebung ist  eine  sehr  einfache.  Man  drückt  allgemein  die  Wellen- 
länge des  Lichts  in  Milliontel  Millimetern  aus  und  mifst  die  Ver- 
schiebungen ebenfalls  in  dieser  Maßeinheit.  Hat  man  z.  B.  an  der 
Linie  F,  deren  Wellenlänge  486  Milliontel  Millimeter  ist,  eine  Ver- 
schiebung in  der  Wellenlängenreihe  im  Betrage  von  0,1  Milliontel 
Millimeter  gemessen,  so  ergiebt  sich  die  dieser  Verschiebung  ent- 
sprechende Geschwindigkeit  der  Stembewegung  in  der  Gesichtslinie 


aus  dem  Bruche 


300  000  X 0,1 
486 


, wenn  wir  die  Lichtgeschwindigkeit 


zu  300  000  Kilometern  in  der  Sekunde  annehmen.  Das  würde  in 
diesem  Beispiele  62  Kilometer  pro  Sekunde  betragen.  Es  ist  hieraus 
zu  sehen,  dafs  selbst  bei  für  unsere  Begriffe  ganz  enormen  Geschwindig- 
keiten die  eintretenden  Verschiebungen  noch  immer  sehr  gering  sind ; 
denn  der  oben  angenommene  Betrag  von  0,1  Milliontel  Millimeter 
Wellenlänge  entspricht  etwa  nur  einem  Sechstel  des  Abstandes  der 
beiden  Natriumiinien.  Noch  ist  zu  erwähnen,  dafs  in  einer  im 
Spektroskope  in  dieser  Weise  bestimmten  Geschwindigkeit  noch  der 
Betrag  der  Geschwindigkeit  enthalten  ist,  mit  welcher  sich  unsere 
Erde  wegen  ihres  l'mlaufs  um  die  Sonne  periodisch  einem  Sterne 
nähert  oder  entfernt  Will  man  die  Größe  der  Fixstembewegung 
selbst  erlangen,  bezogen  auf  unsere  Sonne,  so  muß  der  durch  die 
Erdbewegung  verursachte  Betrag  der  Geschwindigkeit  in  Rechnung 
gezogen  werden. 

Wegen  der  Beobachtungsschwierigkeiten  und  der  verwickelten 
Beschaffenheit  der  Apparate,  die  zur  Beobachtung  der  Linienver- 
schiebung nöthig  sind,  wird  es  nur  sehr  wenigen  der  Leser  möglich 
sein,  sich  durch  die  Anschauung  von  der  Wirkung  des  Dopplerschen 
Prinzips  zu  überzeugen;  glücklicher  Weise  aber  gelingt  dies  sehr 
leicht  bei  der  Anwendung  dieses  Prinzips  auf  den  Schall;  Licht  und 
Schall  sind  beides  Wellenbewegungen  von  merkbarer  Fortpflanzungs- 
geschwindigkeit, und  in  demselben  Verhältnisse,  in  dem  die  Schall- 
geschwindigkeit geringer  als  die  Lichtgeschwindigkeit  ist,  ist  die 
Aeußcruug  des  Dopplerschen  Prinzips  eine  merklichere.  Eine  Dar- 
stellung des  Vorganges  beim  Schalle  wird  auch  gewiß  das  Verständnifs 
der  Wirkung  beim  Lichte  deutlicher  machen. 

M enn  eine  Tonquelle  sich  uns  nähert,  wird  der  Ton  derselben 


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20  t 


höher,  als  wenn  sie  in  Ruhe  ist,  entfernt  sie  sich  von  uns,  wird  der 
Ton  tiefer.  Der  Unterschied  der  Tonhöhe  ist  um  so  stärker,  je  rascher 
die  Bewegung1  ist.  Dasselbe  findet  auch  statt,  wenn  die  Tonquelle 
ruht,  und  wenn  sich  der  Beobachter  rasch  auf  sie  zu  oder  von  ihr 
weg  bewegt.  Beide  Erscheinungen  sind  sehr  leicht  auf  der  Eisen- 
bahn zu  beobachten.  Es  kommt  häufig  vor,  dafs  man  eine  Station 
durchführt,  wenn  das  elektrische  Läutewerk  in  Thiitigkeit  ist.  Itn 
Momente,  wo  man  das  Läutewerk  passirt,  hört  man  dann  den  Ton 
sich  in  sehr  mifsklingender  Weise  erniedrigen,  weil  in  diesem  Augen- 
blicke die  Annäherung  in  eine  Entfernung  übergeht.  Auch  kann 
man  dieselbe  Erscheinung  beobachten,  wenn  man  neben  dem  Geleise 
steht  und  eine  Lokomotive  pfeifend  vorbei  fährt. 

Aehnlich  wie  beim  Lichte  die  Farbe  von  der  Anzahl  der 
Aetherwellen  pro  Zeiteinheit  abhängt,  hängt  die  Höhe  des  Tones  von 
der  Anzahl  der  Schallwellen  ab,  die  unser  Ohr  treffen.  Nähert  sich 
uns  eine  Tonquelle  rasch,  so  verkürzt  sich  die  Entfernung  derselben 
von  uns  und  mit  ihr  die  Zeit,  welche  der  Schall  braucht,  um  zu  uns 
zu  gelangen:  solange  also  diese  Bewegung  anhält,  treffen  mehr 
Schwingungen  unser  Ohr  als  vorher,  und  zwar  so  viele  mehr,  als  in 
der  Zeit  entstehen,  die  der  Schall  braucht,  um  den  Weg,  den  die 
Tonquelle  in  der  Zeiteinheit  zurückgelegt  hat,  selbst  zu  durchlaufen. 
Wie  oben  angedeutet,  kann  sich  Jedermann  nun  leicht  von  der 
Wirkung  und  Wahrheit  dieser  Erscheinung  überzeugen. 

Wus  die  Beobachtung  der  Linienverschiebung  im  Spektrum 
der  Fixsterne  angeht,  so  verfahrt  man  hierbei  in  der  Art,  dafs  gleich- 
zeitig mit  dem  Sternspektrum  durch  Einschaltung  einer  passenden 
Lichtquelle  das  Spektrum  eines  Stoffs  erzeugt  wird,  der  auch  im 
Stern  enthalten  ist  Am  besten  verwendet  man  hierzu  den  Wasser- 
stoff, dessen  Spektrum  leicht  durch  Anwendung  einer  Geifslerschen 
Röhre  erhalten  werden  kann,  und  der  gleichzeitig  den  Vortheil 
gewährt,  dafs  fast  alle  Sterne  sein  Spektrum  zeigen.  Man  sieht  dann 
z.  B.  die  F Linie,  die  dem  Wasserstoff  angehört,  im  Spektrum  des 
Sternes  als  mehr  oder  weniger  verwaschenes  breites  dunkles  Band 
und  durch  dasselbe  hindurch  gehend  die  helle  Wasserstofflinie  der 
unbeweglichen  irdischen  Lichtquelle.  Die  Beobachtung  besteht  nun 
darin,  eine  etwa  vorhandene  Verschiebung  der  dunklen  Linie  gegen 
die  helle  zu  beurtheilen  und  zu  messen.  Dies  ist  nun  außerordentlich 
schwierig,  und  zwar  aus  verschiedenen  Gründen.  Einmal  ist  bei  der 
nöthigen  starken  Zerstreuung  des  Spektroskopes  das  Sternspektrum 
sehr  schwach,  dann  ist  die  Verschiebung  der  Linie,  wie  wir  gesehen 


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■20-2 


habi'ii,  überhaupt  sehr  gering,  vor  allem  aber  stört  das  beständige 
Wallen  des  Spektrums,  verursacht  durch  kleine  Luftbewegungen, 
welche  auch  das  sogenannte  Scintillireu  der  Sterne  bedingen.  Das 
Spektrum  ist  infolge  dessen  iu  ständiger  flatternder  Bewegung,  die 
sich  manchmal  so  steigert,  dafs  die  Linien  momentan  ganz  verschwinden; 
nur  bei  besonders  ruhiger  Luft  ist  eine  derartige  Beobachtung  über- 
haupt möglich.  Ein  weiterer,  für  diese  Beobachtungsart  sehr  schädlich 
wirkender  Faktor  ist  die  nicht  zu  vermeidende  Prädisposition  des 
Beobachters,  die  selbst  beim  besten  Willen  des  letzteren  die  Möglich- 
keit von  einander  unabhängiger  Beobachtungen  sehr  fraglich  macht. 

Es  ist  nun  ein  äufserst  glücklicher  Gedanke  von  H.  C.  Vogel,  dem 
Direktor  des  Astrophysikalischen  Observatoriums  zu  Potsdam,  gewesen, 
auf  diese  Art  der  Beobachtungen  die  Photographie  anzuwenden. 
Von  welcher  Wichtigkeit  diese  Anwendung  zu  sein  verspricht,  wird 
am  Schlüsse  dieses  Artikels  kurz  gezeigt  werden;  es  handelt  sich 
hier  zunächst  darum,  die  Vortheile,  welche  diese  neue  Methode  ge- 
währt, zu  erklären. 

Bei  der  langen  Expositionsdauer,  die  bei  der  photographischen 
Aufnahme  von  Steruspektren  mit  starker  Dispersion  nöthig  ist,  giebt  die 
Photographie  gleichsam  ein  Schlufsresultat  aller  einzelnen  Momente 
während  dieser  Zeit.  Alle  kleineren  Schwankungen  und  Unregelmiifsig- 
keiten  kommen  auf  der  Platte  nicht  einzeln  zur  Darstellung,  sondern 
diese  wirken  nur  in  dem  Sinne,  das  sonst  durchaus  scharfe  Bild  der 
Linien  ein  klein  wenig  verwaschen  erscheinen  zu  lassen.  Die  Mittel- 
lagen der  Linien  bleiben  völlig  unverändert,  und  nachher  tritt  bei  Be- 
obachtung der  Photographie  unter  dem  Mikroskope  kein  störendes 
Flackern  mehr  hinzu;  in  voller  Buhe  und  gänzlicher  l'nabhängigkeit 
von  äufseren  Einflüssen  kann  der  Beobachter  nun  sehen  und  messen. 
Das  ist  der  eine  grofse  Vortheil  der  neuen  Methode,  der  zweite  liegt 
darin,  dafs  ein  geringerer  oder  stärkerer  Grad  von  Unruhe  der  Luft 
überhaupt  nicht  von  Bedeutung  ist,  dafs  man  jetzt  also  alle  Nächte 
mit  durchsichtiger  Luft  zu  diesen  Beobachtungen  verwenden  kann, 
während  früher  nur  Nächte  mit  aufserordentlich  ruhiger  Luft  einiger- 
mafsen  Erfolg  versprechen  konnten.  Mit  diesem  Fortschritt  aber  ist 
die  Aufgabe  iu  das  Stadium  gerückt,  wie  andere  astronomische  Mefs- 
arbeiten,  Zonen  und  dergl.,  als  ständige  Arbeit  einer  Sternwarte  be- 
handelt zu  werden.  Es  ist  dies  zwar  schon  seit  Jahren  auch  mit  den 
Ocularbeobachtungen  der  Linienverschiebungen  auf  einer  gröfseren 
Sternwarte  Englands  versucht  worden,  die  Resultate  aber  zeigen  sich 
den  oben  auseinandergesetzten  Schwierigkeiten  entsprechend. 


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203 

Es  kann  liier  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  eine  Beschreibung  des 
in  Verbindung  mit  dem  groben  Refraktor  des  Potsdamer  Observatoriums 
lienutzten  Spektroskopes  zu  geben,  mit  welchem  die  photographischen 
Aufnahmen  gemacht  werden,  und  die  Schwierigkeiten,  welche  sieh  der 
Konstruktion  desselben  entgegenstellten,  zu  beschreiben.  Es  sei  nur 
darauf  hingewiesen,  dafs  als  Vergleichslinio  die  dritte  Linie  des  Wasser- 
stoffs. II*;,  gewählt  worden,  und  dafs  dio  meisten  Stemspektra  so 
linienreich  ausfallcn,  dafs  mau  hei  den  Messungen  nicht  Idols  auf  die 
Wasserstotl'linio  des  Stornspeklnmis  angewiesen  ist,  sondern  auch  be- 
nachbarte Linien  mit  hinzuziehen  kann.  Hierdurch  wird  natürlich  das 
Gewicht  der  Messungen  sehr  erhöht,  ein  neuer  Vortheil  der  spektro- 
graphisehen  Methode  gegenüber  der  früheren  spektroskopischen. 

Jetzt  schon  Resultate  der  lleobachtungeu  mitzntheilen,  dürfte 
auch  wenig  in  den  Rahmen  dieses  Aufsatzes  passen,  und  müssen  wir 
dies  einer  späteren  Mittheilung  Vorbehalten,  wenn  die  zunächst  ge- 
plante grössere  Arbeit,  nämlich  die  Linienrerschielmng  an  allen  hellen 
."'tenien  bis  zur  3.  Gröfse  herab  festzustellen,  vollendet  Bein  wird. 

Wie  man  bei  jeder  Entdeckung  oder  Erlindung  zunächst  nach 
dem  Nutzen  derselben  fragt,  so  wird  dies  auch  liier  wohl  schon  längst 
von  Seiten  des  Lesers  geschehen  sein,  und  es  bleibt  uns  also  noch 
•lie  Aufgabe,  kurz  zu  zeigen,  von  welch  gwlser  Bedeutung  die  Lösung 
unseres  Problems  für  die  Entwickelung  der  Astronomie,  speziell  der 
Fixsternastronomie  zu  werden  verspricht. 

Während  nach  Jahrhunderte  langem  Streben  uud  Kämpfen  end- 
lich seit  Copernicus  der  Erde  definitiv  ihre  Stellung  und  ihr  Rang 
innerhalb  des  engbegrenzten  Sonnensystems  angewiesen  ist,  befinden 
wir  uns  heute  in  Bezug  auf  dio  Stellung  unseres  Sonnensystems  zu 
den  übrigen  Fixsternen  oder  vielmehr  auf  deren  Zusammenhang  unter- 
einander noch  immer  im  Zustande  grofser  l'nkeniitnils.  Ltie  Fort- 
schritte der  letzten  hundert  Jahre  auf  diesem  Gebiete  sind  zwar  sehr 
grofs,  und  unsere  Detailkenntniss  im  Fixsternsystein  ist  schon  eine 
überraschend  reiche:  aber  man  kann  nicht  sagen,  ilafs  man  in  der  Er- 
forschung des  Endzieles,  der  Ermittelung  der  Konstitution  des  Fix- 
siernsvstems,  über  das  Anfstellen  von  mehr  oder  weniger  wahrschein- 
lichen Hypothesen  hinweggelangt  sei.  .Jeder  Fortschritt  dieserForschung, 
der  neue  Gesichtspunkte  mit  der  nüthigen  Sicherheit  eröffnet,  ist 
daher  von  grofser  Bedeutung,  und  wenn  mich  das  Ziel  durch  ihn 
noch  nicht  erreicht  wird,  er  bringt  uns  ihm  doch  immer  beträchtlich 
näher. 

So  stellt  es  auch  mit  der  besprochenen  neuen  Methode.  Alle 


204 


bisherigen  Schlüsse  über  den  Bau  des  Fixsternsystems  sind  gezogen 
aus  der  Verkeilung  der  Sterne  und  aus  ihren  scheinbaren  Bewegungen 
am  Himmelsgewölbe.  Diese  Bewegungen  werden  durch  wiederholte 
Ortsbestimmungen  der  Sterne  ermittelt,  wobei  es  wegen  der  schein- 
bar sehr  geringen  Bewegungen  der  Fixsterne  erforderlich  ist,  dafs 
zwischen  den  aufeinanderfolgenden  Beobachtungen  desselben  Sternes 
grofse  Zeiträume  liegen.  Derartige  Beobachtungen  ergeben  nur  den 
Betrag  der  Bewegungen,  der  auf  das  Himmelsgewölbe  projicirt  ist, 
also  nur  die  Komponente,  die  in  der  zur  Gesichtslinie  senkrechten 
Kbene  liegt. 

Die  wahre  Bewegung  im  Baume  bleibt  gänzlich  unbekannt, 
und  auch  der  in  diese  Ebene  fallende  Theil  der  Bewegung  ist 
in  den  meisten  Fällen  nur  im  Winkelmafse  bestimmt,  und  nur  bei 
den  wenigen  Sternen,  deren  Entfernung  oder  Parallaxe  bekannt  ist, 
kann  man  die  Bewegungen  in  einem  uns  greifbaren  Mafse,  in  Meilen 
oder  Kilometern  pro  Sekunde  ermitteln.  Wir  müssen  also  wohl  unter- 
scheiden, dafs  die  astronomische  Beobachtung  mit  Ausnahme  des  er- 
wähnten Falles  nur  Bewegungen  und  nicht  Geschwindigkeiten  giebt. 
So  ist  es  zwar  möglich  gewesen,  aus  den  scheinbaren  Sternbewegungen 
die  Richtung,  nach  welcher  sich  unser  ganzes  Sonnensystem  innerhalb 
der  Fixstcmwelt  bewegt,  mit  ziemlicher  Genauigkeit  zu  bestimmen, 
dagegen  sind  die  Angaben  über  die  Geschwindigkeit,  mit  welcher 
diese  Bewegung  vor  sich  gebt,  noch  recht  unsicher. 

Die  spektrographisebe  Methode  leistet  nun  gerade  das,  was  der 
astronomischen  fehlt:  sie  giebt  die  Bewegungskomponente,  welohe 
in  die  Gesichtslinie  fällt;  die  Verbindung  der  astronomischen  und 
spektrographisehen  giebt  also  die  wahre  Bewegung  der  Sterne 
im  Raume.  Den  Betrag  dieser  Bewegung  giebt  sie  nicht  im  Winkel- 
mafse,  sondern  als  wahre  Geschwindigkeit.  Hierzu  kommt  noch  das 
interessante  Faktum,  dafs  die  spektrographisehe  Methode  der  Linien- 
verschiebung die  Geschwindigkeit  der  Sternbewegungen  in  etwa 
einer  Stunde  ermitteln  liifst,  während  bei  der  astronomischen  Be- 
stimmung der  anderen  Komponente  Zeiträume  von  vielen  Jahren 
nüthig  sind. 

L’m  hier  von  den  vielen  auf  die  Anwendung  der  neuen  Methode 
harrenden  Problemen  nur  kurz  einige  aufziizählen,  wollen  wir  zunächst 
die  Bestimmung  der  Bewegung  unseres  Sonnensystems  erwähnen. 
Wie  oben  angegeben,  kennen  wir  die  Richtung  dieser  Bewegung 
schon  recht  genau,  aber  nicht  so  ihre  Grofse;  die  spektrographisehe 
Bestimmung  wird  neben  der  Richtung  vor  allem  die  Geschwindigkeit, 


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mit  welcher  unser  ganzes  Sonnensystem  seine  unennefsliche  Bahn 
durchläuft,  geben,  eine  Gröfse,  die  nicht  nur  für  sich  interessant  ist, 
sondern  auch  für  andere  Probleme  der  Astronomie  ihre  Bedeutung 
hat.  Unter  gewissen  Voraussetzungen  werden  sicli  die  Entfernungen 
der  Sterne  auf  neue  Weise  bestimmen  lassen,  und  bei  Doppelsternen 
ganz  besonders  wird  man  zu  interessanten  Resultaten  gelangen:  ein 
weites  Feld  neuer  Forschung  ist  der  Thätigkeit  der  Astronomen 
erschlossen. 


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Ueber  historische  Sonnenfinsternisse. 

Von 

I K.  üinzel. 

A - 1 n - 1 ■ »tu  *ter  K6ni(cl.  in  tl-rini. 


J*^er  hohe  Nutzen,  welchen  jene  Nachrichten  über  totale  Sonnen- 
finsternisse der  Astronomie  gewähren,  deren  Ursprungsorl  man 
nachzuweisen  im  Stande  ist,  wird  durch  die  im  voraiurefra He- 
ilen Aufsätze  angeführten  Thatsacln-n  hoffentlich  klar  dargolegt  sein. 
Allein  ich  habe  schon  in  der  Einleitung  darauf  aufmerksam  gemacht, 
dafe  auch  eine  andere  Wissenschaft  aus  den  Finsternifsmeldungen  der 
Alten  bedeutsame  Krgobnisse  schöpfen  kann,  nämlich  die  Wissenschaft 
der  (ieschichle. 

Es  ist  gewifs  nach  allen  bisherigen  Auseinandersetzungen  sofort 
klar,  dafs  ein  Kall,  wo  aus  einem  bestimmten  Orte  eine  Finslernifs- 
nach  rieb;  vorliegt,  das  Datum  derselben  aber  unbekannt  und  durch 
anderweitige  damit  zusammenhängende  Fakta  nur  ganz  ungefähr 
bestimmbar  ist,  durch  den  rechnenden  Astronomen  eine  befriedigende 
Lösung  Hilden  kann.  Der  Weg  zu  dieser  Lösung  erhellt  von  selbst: 
mau  wird  zuerst  durch  Aufsuchung  historischer  Daten,  und  wenn 
nötliig,  durch  eine  geschichtliche  I ntersuehung,  die  Zeitgrenzen  fest- 
zustellen suchen,  in  welche  die  Meldung  der  Finsternifs  eingeschlossen 
sein  kann;  dann  wird  man  die  innerhalb  dieses  Zeitraumes  möglichen 
Finsternisse  im  allgemeinen  bestimmen  und  hierauf  die  (Vntralilüls- 
zonen  jener  berechnen,  die  überhaupt  in  die  Nähe  des  Ortes  fallen 
können,  von  welchem  die  Nachricht  hrrstainmt.  Kitte  Diskussion  der 
Umstände,  welche  die  Nachricht  begleiten,  wird  entscheiden,  welche 
der  Finsternisse  man  hier  vor  sich  hat.  Je  genauer  diese  Umstände 
detaillirt  sind,  desto  leichter  wird  die  Entscheidung  zu  l reifen  sein, 
und  es  ist  zugleich  klar,  dafs  man  mit  der  Auffindung  einer  totalen 
Sonnenlinstornils  weit  weniger  Schwierigkeiten  haben  wird,  als  mit 
Finsternissen  geringerer  Auffälligkeit,  da  die  Zahl  der  totalen  für 
einen  gegebenen  Ort  innerhalb  einer  grölseren  Epoche  zumeist  klein 
ist.  während  sieb  partielle,  an  diesem  Orte  sichtbare  Finsternisse  in 


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‘207 


derselben  Epoche  viele  ereignen  können.  Ein  geschichtlich,  wie  astrono- 
misch interessanter  Fall,  bei  dem  eine  von  mir  angestellte  Untersuchung ') 
von  vollem  Erfolge  gewesen  ist,  soll  dies  erläutern.  In  dem  von 
Plutarch  verfafsten  Gespräche  „lieber  das  Gesicht  in  der  Mond- 
scheibe- kommt  folgende  Stelle  vor:  _L)afs  von  allen  Erscheinungen 
an  der  Sonne  nichts  so  ähnlich  ist,  als  eine  Sonnenfinsternifs  dem 
Sonnenuntergänge,  gebt  ihr  mir  zu,  wenn  ihr  euch  der  neulichen 
Zusammenkunft  von  Sonne  und  Mond  erinnert,  welche,  nachdem  sie 
gleich  nach  Mittag  begonnen  hatte,  viele  Sterne  an  vielen  Punkten 
des  Himmels  sichtbar  machte  und  der  Luft  eine  Färbung  gleich  der 
Dämmerung  verlieh“.  Man  weifs  über  Plutarcbs  Person,  dafs  er 
gegen  Mitte  des  ersten  Jahrhunderts  nach  Christi  zu  Chäronea 
geboren  war,  dafs  er  zu  der  Zeit,  als  Nero  sich  in  Griechenland  auf- 
hielt (60  — 07  n.  Chr.),  noch  zu  den  jungen  Männern  gerechnet  wird; 
ferner,  dafs  er  den  griifsten  Theil  seines  Lebens  in  seiner  Vater- 
stadt zubrachte  und  später,  nach  Rückkehr  von  einer  Reise  nach  Rom, 
Priester  am  Tempel  des  Apollo  zu  Delphi  geworden  ist.  Es  handelt 
sich  also  hier  um  eine  Sonnenfinsternifs,  die  in  der  zweiten  Hälfte 
des  ersten  Jahrhunderts  n.  Chr.  in  Griechenland  und  zwar  kurz  nach 
Eintritt  des  Mittag  vorgelällen  sein  murs  und  zu  Delphi  oder  Chäronea 
alle  Erscheinungen  der  Totalität  gehabt  bat.  Da  nach  der  Finsternirs 
von  anderer  Seite  bisher  vergeblich  gesucht  worden  war,  so  wurde 
eine  systematische  Durchmusterung  eines  gröfseren  Zeitraumes  auf 
Finsternisse  nothwendig;  ich  führte  dieselbe  für  die  Epoche  vom  Jahre 
27 — 103  n.  Chr.  durch,  indem  ich  dabei  wieder  die  Oppolzerschen 
Tafeln  als  Grundlage  nahm;  von  den  Centralitiitszonen  der  Finster- 
nisse kamen  überhaupt  nur  drei  in  Frage,  von  denen  sich  zwei  wegen 
ihrer  Lage  uml  Zeit  sofort  ausschlossen  und  nur  die  dritte  vom 
20.  März  71  n.  Chr.  als  die  gesuchte  gelten  konnte.  Diese  ist  zu 
Chäronea  und  Delphi  um  die  Mittagszeit  eingetreten  und  war  daselbst 
11,0  Zoll  (1  Zoll  = 1 ,j  Sonnendurchmesser),  also  sehr  nahe  total. 
Plutarch  würde  danach  etwa  20  Jahre  alt  gewesen  sein,  als  er  im 
Vereine  mit  Anderen  diese  Finstemil's  beobachtet  hat.  Damit  ist  für 
die  klassische  Philologie  ein  bemerkenswerthes  Faktum  gewonnen, 
und  gleichzeitig  für  die  Astronomie  ein  wichtiger  Anhaltspunkt  zur 
besseren  Kenntnifs  der  Mondtafeln,  denn  wie  man  aus  der  auf  der 
Karte  (Seite  130)  eingetragenen  Zone  der  Finstemifs  ersieht,  bleibt 
die  letztere  von  Chäronea  noch  etwas  entfernt  statt,  dort  total  zu 

0 Astroii.  Unters,  iili.  Einst.  I.  Ablulig.  png.  40  und  Hl.  Ablidlg.  pag.  18. 


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208 


sein,  und  die  nothwcndige  Verschiebung  der  Zone  von  ungefähr 
1 1 Grad  nach  Osten  bietet  somit  einen  willkommenen  Behelf  bei 
der  Bestimmung  der  Verbesserung  unserer  Tafeln. 

Die  Fälle,  wo  man  Sonnenfinsternisse  dazu  benützen  kann,  um 
für  geschichtliche  Ereignisse  einen  Anhaltspunkt  zu  gewinnen,  sind 
übrigens  nicht,  wie  man  meinen  könnte,  blofs  auf  die  entfernt  liegenden 
Zeiten  des  Alterlhums  beschränkt,  sondern  kommen  bis  ins  Mittelalter 
vor.  Beispielsweise  melden  die  byzan tischen  Geschichtsschreiber 
Glykas  und  Cedronus  eine  in  den  ersten  Uegierungsjahren  Leo 
des  Weisen  (886— 912  n.  Chr.l  vorgefallene  Sonnenfinsteraifs,  die  in 
der  sechsten  Tagesstunde  stattfand  und  bei  welcher  Sterne  sichtbar 
wurden.  Bei  der  Uechuung  zeigt  sich,  dafs  die  meisten  der  von 
8811  n.  Chr.  ab  möglichen  Finsternisse  von  Byzanz  viel  zu  entfernt 
liegen,  als  da  ('s  sie  • dort  total  gewesen  sein  könnten,  und  dafs  erst 
die  ringförmige  Finsternifs  vorn  8.  August  891  diese  Bedingung 
nahezu  erfüllt.  Es  müssen  somit  die  von  den  oben  genannten 
Historikern  um  die  Zeit  der  Finsternifs  erzählten  anderweitigen 
Ereignisse  in  das  sechste  Regierungsjahr  Leos  gesetzt  werden.  Auch 
hier  gewinnt  die  Astronomie  durch  die  sich  nötliig  zeigende  geringe 
Verschiebung  der  Centralitätszoue  einen  kleinen  Beitrag  zur  Ver- 
werfung fiir  die  Rechnungen  bei  der  Ableitung  der  „Verbesserungen“. 
In  anderen  Fällen  geht  sie  leer  aus  und  das  Ergebnifs  kommt  nur 
der  Geschichte  zu  gute,  nämlich  da,  wo  der  l'rsprungsort  des  Berichtes 
zweifelhaft  ist  und  also  ein  Sohlufs  auf  den  Ort  der  Beobachtung 
nicht  gewagt  werden  darf.  Rodericus  Toletanus  (13.  Jalirh.),  ein 
historischer  Schriftsteller,  dem  verschiedene  spanische  Geschieht*- 
quellen  zur  Benutzung  Vorgelegen  haben,  giobt  uns  Kunde  von  einer 
Finsternifs  zu  Zeiten  des  westguthischen  Herrschers  Reoosoindus: 
„ln  seiner  Zeit  ereignete  sich  in  ganz  Spanien  eine  Sonnenfinsternifs 
und  die  Sterne  wurden  zu  Mittag  sichtbar“.  Während  der  Kegierungs- 
zeit  des  genannten  Königs  (649—1172  n.  Chr.)  haben  nach  meiner 
Untersuchung1)  vier  bedeutende  Finsternisse  in  Spanien  statlgefunden: 
eine  totale  12.  April  655,  eine  ringförmigtotale  28.  Januar  659,  eine 
totale  4.  November  666  und  eine  ringförmige  7.  Dezember  671.  Da 
mit  einiger  Sicherheit  vermutbet  werden  darf,  dafs  es  sich  um  eine 
in  der  Residenz  Toledo  bemerkte  Finsternifs  handelt,  so  wurden  di*' 
Zonen  der  angegebenen  Finsternisse  und  die  Maximalphasen  derselben 
für  Toledo  bestimmt;  als  wahrscheinliche  Finsternifs  bleibt  nur  jene 

*1  fel>er  einige  histor.  besnnd.  in  altspanisetien  Gescliiehtsquellen  er- 
wähnte SnnneuHnst.  (Silzber.  d.  k.  preufs  Arad.  d.  W,  1K87  XL1V  pag.  10.) 


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20!  I 


vom  4.  November  666,  die  in  Toledo  total  war  und  Nachmittag  statt- 
hatte. Hier  ist  der  Gewinn  nur  ein  historischer,  da  wegen  der 
Bedenken  über  den  Beobachtungsort  nicht  völlige  Sicherheit  darüber 
gewonnen  werden  konnte,  ob  nicht  auch  die  Finstcrnifs  vom 
12.  April  655  zu  berücksichtigen  sei,  wenn  nämlich  die  Nachricht 
einem  nördlicher  als  Toledo  gelegenen  Orte  entsprungen  wäre. 

Es  wird  nun  auch  das  leise  Mifetrauensvotum,  das  ich  früher 
gegen  die  Verwendung  gewisser  altklassischer  Sonnenfinsternisse  bei 
der  Ermittelung  der  „Verbesserungen“  laut  werden  liefe,  gerecht- 
fertigter erscheinen.  Mehrere  dieser  Finsternisse,  deren  Gebrauch  sonst 
wegen  ihres  hohen  Alters  sehr  wiinschenswerth  wäre,  lassen  sich 
nämlich  betreffe  des  Beobachtungsortes  nur  mit  Zweifeln  feststellen, 
während  wir  aus  den  bisherigen  Darlegungen  gesehen  haben,  dafe 
dieser  möglichst  sicher  bestimmbar  sein  soll.  Diese  Unsicherheit 
liegt  beispielsweise  vor  bei  zwei  alten  Finsternissen,  von  denen  man 
gerne  Gebrauch  gemacht  hat:  die  eine  ist  jene,  welche  sich  ereignete, 
als  der  syracusanische  König  Agaüiocles  vor  den  ihn  verfolgenden 
Schiffen  der  Karthager  die  Flucht  ergriff,  die  andere  ist  die  von 
Herodot  gemeldete,  welohe  während  einer  Schlacht  zwischen  den 
Lydern  und  Medern  eingetreten  sein  soll.  Während  die  Festsetzung 
der  ersten  dieser  beiden  Finsternisse  auf  den  14.  August  310  v.  Chr. 
zweifellos  richtig  und  der  zweiten  auf  den  28.  Mai  548  v.  Chr.  zum 
mindestens  recht  wahrscheinlich  ist,  kann  man  darüber  sehr  streitig 
sein,  bei  welcher  Küste  Siciliens  Agathocles  von  der  Finsternifs  über- 
rascht worden  ist,  und  andererseits,  in  welcher  Gegend  des  Halys- 
flnsses  die  Schlacht  zwischen  den  Lydern  und  Medern  stattgefunden 
haben  mag.  Derartige  Finsternisse  wird  man  also,  wenn  auch  nicht 
abweisen,  so  doch  erst  in  zweiter  Linie,  nach  Herstellung  eines 
bessern  Fundaments,  bei  der  Verbesserung  unsrer  Kenntnifs  der  Mond- 
tafeln verwenden. 

Dafe  man  übrigens  zur  richtigen  Auffindung  solch  alter  Finster- 
nisse mit  den  auf  Grund  der  bisherigen  Mondthooricn  verfafelcn  Tafeln 
nicht  ausreicht,  sondern  hierzu  selbst  schon  eine  hinreichende  Kenntnifs 
der  Mondbewegung  nöthig  hat,  geht  daraus  hervor,  dafe  eben  diese 
in  die  Tafeln  eingeführten  Aenderungen  die  Lage  der  Zonen  der 
Finsternisse  verschieben,  wie  wir  in  don  früheren  Darlegungen  zur 
genüge  gesehen  haben.  Richtige  „Verbesserungen“  dieser  Tafeln 
werden  die  gleiohmiifeige  Uebereinstimmung  der  Rechnung  und  der 
historischen  L'eberlieferung  herbeiführen,  zweifelhafte  und  gewagte 
„Verbesserungen“  dieser  Art  aber  nur  desto  grüfeere  Verwirrung 


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2 ln 


nach  sich  ziehen.  Die  Verwendung  der  Hansensohen  Mondtafeln  ohne 
alle  Correctionen  läßt  darum  die  Iclcntifioiriing  mehrerer  wichtiger 
.Sonnenfinsternisse  des  Alterthums,  beispielsweise  jener  des  I’lutarch 
oder  jener  am  I lalysflusse,  nicht  gelingen1).  Ks  ist  ein  grobes  Ver- 
dienst des  der  Wissenschaft  leider  so  früh  entrissenen  Oppolzer, 
durch  die  Herausgabe  seines  .Canon  der  Finsternisse"  die  Aufsuchung 
der  Verfinsterungen  der  Sonne  und  des  Mondes  ganz  außerordentlich 
erleichtert  zu  haben.  Dieses  Werk  enthält  auf  ltiu  Karten  die  näherungs- 
weisen Kurven  der  Centralitüt  sämmtlicher  centralen  Sonnenfinsternisse, 
die  zwischen  1208  v.  Chr.  bis  2101  n.  Chr.  auf  der  nördlichen  Hemi- 
sphäre möglich  sind,  ferner  alles  Detail,  um  für  jede  andere  centrale 
oder  partielle  Finsternifs  dieser  Epoche  Rechnungen  ans  te  llon  zu 
können.  Die  dort  gegebenen  Zahlen  stützen  sich,  ein  nicht  zu  unter- 
schätzender Vortheil,  auf  Correctionen  der  Mondtafeln,  die  den  alten 
Finsternissen  genügen  und  sich  von  den  Hansensohen  Tafeln  nicht 
ühermiifsig  entfernen.  Das  Ziel  meiner  eigenen,  bereits  früher  an- 
geführten Arbeiten  ist  namentlich  auf  die  Verbesserung  dieser  empiri- 
schen Correctionen  gerichtet  gewesen3). 

Ich  möchte  mein  Thema  nicht  verlassen,  ohne  noch  jener  Sonnen- 
finsternisse zu  gedenken,  welche  nur  geschichtliches  Interesse  haben 
und  die  für  die  Verbesserung  unserer  Mondtafeln  entweder  keinen 
Beitrag  liefern  können  oder  hierzu  nur  mit  vielen  Bedenken  ver- 
wendbar sein  würden.  Dies  sind  zum  Theil  solche  Finsternisse,  bei 
denen  der  Beobachtungsort  fraglich  ist,  noch  mehr  aber  solche,  wo 

i die  Worte  der  Uelierlioferung  unklar  und  verschiedener  Deutung 

1 fähig  sind.  Der  wichtigste  dieser  Finsternifsberiehte  ist  wohl  jener. 

welcher  auf  einer  der  assyrischen  Thontäfelchen  enthalten  ist,  deren 

* ')  Kine  treffliche  Erläuterung  dafür,  was  willkürliche  Manipulationen  in 

Bezug  auf  die  Mondbahnvorbaaseruug  für  Folgen  haben  ktinneu,  liefern  die 
astronomischen  Reformationsvorsuehe  des  Theologen  Seyffarth.  Dieser  kehlt 
durch  .Corrertionen“  beinahe  die  ganze  alte  Geschichte  um.  Mit  einem  Beispiele 
werden  meine  Fachgenossen  genug  haben:  Die  Nicäische  Sonnenfinateniifs 
(24.  November  211  n,  Chr.).  welche  nach  Hansens  Tafeln  immer  noch  nicht  zu 
den  schlechtest  durgeatelltcii  gehört  (wenngleich  die  HansenscheZone  zu  westlich 
von  Niciia  verbleibt)  wird  durch  Serffarths  Correctionen  mit  einer  Finsternifs  vom 
12.  September  IIS  n.  Chr.  identifirirt,  die  durch  Sibirien  und  die  Mongulei  gehl, 
während  wir  wissen,  dafs  es  sieh  bei  Verbesserungsversuchen  des  heutzutage 
allgemein  angenommenen  Hauseuschen  Fundaments  nur  lim  einen  Fehler  der 
Zone  von  wenigen  Graden  handeln  kann.  Aber  man  sieht,  .Correctionen-  können 
etwas  leisten,  wenn  sie  sieh  nur  aufmaclien! 

-)  Aus  diesen  Rechnungen  ergiebt  sich  für  die  särulare  Beschleunigung  des 
Mondes  ein  Betrag  von  11,47  Uogousocundcn,  nur  um  <1.74  Secunden  geringer  als 
der  von  Hansen  für  die  Mondtafeln  adoplirte  Werth.  (8.  Seite  1118.) 


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211 


in  neuerer  Zeit  so  viele  schon  ilrr  altersgrauen  Vergangenheit  ent- 
rissen worden  sind.  Diese  Keilschrift  stammt  aus  der  Hegiertmgszeil 
des  Königs  Assurlmnipal  und  lulltet:  Im  Monate  Tnimnoz  fand  eine 
Finsteruifs  des  Herrn  de-  Taues,  des  Duttes  des  Lichtes  statt;  die 
untergehende  Sonne  liefs  uh  zu  leuchten,  und  ich  liels  davon  ah  . . . 
in  . . . Tagen  den  Krieg  gegen  Klutn  zu  beginnen.“  Ein  zweites 
Täfelchen  rührt  nach  Talhut  von  dem  Hcfehlshaher  einer  militärischen 
Kxpeilition  nach  Aegypten  her:  dieser  meldet  dein  Könige,  dafs  hei 
der  Hinstemifs  seine  Soldaten  _lür  die  Wohllahrl  Assyriens  in  ihren 
Herzen  bestürzt  wurden-  und  vor  dem  himmlischen  Ereignisse  aus 
den  Reihen  gewichen  seien.  Die  Lntersuehung  hat  hier  nur  drei 
Anhaltspunkte:  die  ntuthmafsliche  Regierungszeii  Assurlmnipals  tilis 
bis  625  v.  Chr.,  die  Bedingung,  dats  es  sich  sehr  wahrscheinlich  um 
eine  bei  Sonnenuntergang  vorgefallene  Finsternil's  handelt,  und  die 
aus  den  Einrichtungen  des  assyrischen  Kalenders  hervurgehende  An- 
nahme, dafs  der  Monat  Tammuz.  mit  unserem  Juni  oder  Juli  zu 
identiliciren  ist.  Zweifelhaft  hleiht  der  Ort  der  Iteolmchtung:  man 
mufs  sich  mit  der  Muthmalsung  auf  Ninive,  der  I lauptstadt  Assyriens, 
oder  auf  Susa,  der  Capitale  Elauts,  begnügen.  Dennoch  sind  diese 
wenigen  Behelfe  hinreichend  gewesen,  diese  alle  Soiinenllnsierttifs 
mit  völliger  Sicherheit  rechnerisch  uaelizuweiseii.  B.  Schwarz  hat 
dargethan,  dafs  es  sich  hier  mir  um  dio  ringförmige  Finsternil's  vom 
27.  Juni  ö61  v.  Chr.  handeln  kann  Hiermit  ist  für  die  Chronologie 
der  Zeit  des  Assurbanipal  ein  höchst  wichtiger  Markstein  gewonnen 
worden.  Weniger  entscheidend  hat  sich  ein  anderer  Fall  erledigen 
lassen,  der  in  einem  Fragmente  der  Schriften  des  jonischen  Dichters 
Archiloehos  vorliegt.  Es  heilst  dort  unter  andern:  „Kein  Ding  ist  un- 
erwartet oder  zu  verschwören  oder  wunderbar,  seitdem  Zeus,  der  Vater 
der  Olympier,  den  hellen  Tag  in  Nacht  verwandelte,  indem  er  das 
Licht  der  leuchtenden  Sonne  verhüllte:  entsetzlicher  Schreck  kam  iiher 
die  Menschen.“  Nach  neueren  Forschungen  tmithmafst  man.  dal's 
Archiloehos  zwischen  7t m— 64<l  v.  Chr.  mul  zwar  wahrscheinlich  zu- 
meist auf  Faros  gelebt  hat:  erst  in  späterem  Alter  soll  er  nach  Tltasos 
übersiedclt  sein.  B.  Schwarz  und  Oppolzer,  welche  sieh  mit  der  Auf- 
suchung der  in  obigem  Texte  jedenfalls  vorliegenden  sehr  bedeutenden 
Sowienfinsternifs  beschäftigt  haben,  linden  zwei  grofse  Finsternisse 
(14.  April  657  und  5.  April  (14s  v.  t'lir.t,  zwischen  denen  tlie  Ent- 
scheidung einigertnarsen  schwierig  ist,  da  die  Totalitiitszonen  beider 

')  Aslr.  Unters  üli.  e.  v \rrldlocliii*  u.  «•.  in  einer  assyr  In-i-ltr. erwähnt*- 
SonncntlnM  (Sitzt».  <1.  k.  Arad  Wien,  SJ.  Itil  A|  til  1 ’SCt, i 


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der  Auffälligkeit  der  Finsternirserscheinungen  auf  Paros  und  Thasos 
gleich  günstig  liegen.  L'in  hier  völlige  Sicherheit  zu  erlangen,  muteten 
wir  also  derartige  Werthe  der  Mondtafeln  besitzen,  date  wir  deren 
Richtigkeit  für  eine  so  weit  zurückgreifende  Zeit  ohne  weiters  ver- 
bürgen könnten.  Noch  schwieriger  gestalten  sich  die  Verhältnisse 
bei  einigen  anderen  Finsternitenachrichtcn  von  offenbar  sehr  hohem 
Alter,  beispielsweise  einer  wahrscheinlich  der  Zeit  des  Assyrers 
Asurnazirhabal  angehörenden  Finsternifs,  wo  der  König  davon  spricht, 
date  im  ersten  Jahre  seiner  Herrschaft  -die  Sonne,  die  Herrscherin 
der  Welt,  ihren  günstigen  Schatten  über  ihn  warf";  oder  bei  der 
ältesten  aller  Sonnenfinsternisse,  welche  die  Astronomie  kennt,  der  im 
Schuking  der  Chinesen  erwähnten.  Den  dunklen  Worten  mancher 
Ribelstellen  endlich,  mit  denen  Experimente  auf  Finsternisse  gemacht 
worden  sind,  geht  der  Rechner  am  besten  andächtig  aus  dem  Wege. 

Ein  lebhafteres  Interesse  haben  gegenwärtig  mehrere  übrigens 
schon  längst  rechnerisch  festgestellte  Sonnenfinsternisse,  welche  sich 
von  römischen  Schriftstellern  erwähnt  finden,  und  namentlich  sind 
über  sie  jene  Debatten  wieder  in  Flufs  gerathen,  welche  mittelst  dieser 
Finsternisse  feste  Haltepunkte  in  den  Fragen  über  die  sehr  verworrene 
Zeitrechnung  der  Römer  zu  gewinnen  trachten.  Es  sind  dies  nament- 
lich einige  Finsternisse,  von  denen  Livius,  Obsequens  und  Dio  Cassius 
uns  Nachrichten  Unterlassen  haben.  Ich  will  nur  die  wichtigste  der- 
selben, dio  sogenannte  Ennius-Finsternifs,  hervorheben.  Darüber  heifst 
es  bei  Cicero  (de  repub.  I.  25);  -Dies  entging  später  auch  unserem 
Ennitts  nicht,  wie  derselbe  ungefähr  350  Jahre  nach  der  Gründung 
Roms  also  schreibt:  .„In  den  Nonen  des  Juni  hinderte  der  Mond  die 
Sonne  und  die  Nacht.--  Dieser  Sache  nun  wohnt'  solche  Bedeutung 
bei,  dafs  man  von  diesem  Tage,  den  wir  bei  Ennius  und  in  den  annales 
maximi  verzeichnet  finden,  die  übrigen  Sonnenfinsternisse  hat  be- 
stimmen können  bis  zu  jener,  *)  welche  in  den  Nonen  des  Quinctilis 
unter  Romulus  statlgefunden  hat."  Um  diese  Finsternifs  hat  sich  ein 
scharfer  Streit  unter  den  Philologen  erhoben.  Zunächst  erfahren  schon 
die  Worte  des  Ennius  eine  verschiedene  Interpretirung;  während  Einige 
darin  eine  bei  Sonnenuntergang  vorgefallene  Finsternifs  sehen,  glauben 
Andere,  dafs  nur  gemeint  sei,  der  Mond  habe  sich  vor  die  Sonne  ge- 
stellt und  auf  diese  Weise  -Nacht"  (resp.  eine  bedeutende  Verdunke- 
lung) erzeugt.  Endlich  sind  von  einer  Seite  Zweifel  gegen  die  von 
Cicero  angegebene  Jahreszahl  erhoben  worden.  Auf  diese  Weise  ist 

‘j  Nämlich  durch  Zuriiekrechumig  mittelst  der  chaldäisclieu  Periode. 


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cs  erklärlich,  wenn  nun  gleichzeitig-  vier  Sonnenfinsternisse  den  An- 
spruch erheben,  fiir  die  Finstemils  des  Ennius  gelten  zu  dürfen. 
Die  ältere  Ansicht,  die  von  der  Annahme  einer  bei  Sonnenunter- 
gang stattgefundenen  Finsternifs  ausgeht  und  auch  die  Bedenken  gegen 
die  Jahreszahl  zurückweist,  bleibt  bei  der  Finsternifs  vom  21.  Juni 
400  v.  Chr.  stehen,  die  in  der  That  in  Rom  höchst  bemerkenswerth 
gewesen  sein  mufs,  da  im  Momente  des  Untergehens  der  Sonne  fast 
10  Zoll  bedeckt  waren.  Eine  andere  Meinung  kommt  auf  die  eben- 
falls bei  Sonnenuntergang  stattfindende  Finsternifs  vom  12.  Juni  301 
v.  Chr.,  die  in  Rom  8 Zoll  betrug.  Die  freieren  Auffassungen  der 
ciceronischen  Stelle  wenden  sich  der  Finsternifs  vom  0.  Mai  203 
v.  Chr.  zu,  die  in  Rom  um  3 Uhr  18  Minuten  Nachmittag  eintrat  und 
nur  6l/j  Zoll  grofs  war;  endlich  plädirt  Jemand  gar  für  die  Finsternifs 
vom  4.  Mai  249  v.  Chr.,  obwohl  diese  zu  Rom  fast  ganz  unsichtbar 
gewesen  sein  ruurs.  Man  sieht,  klar  ist  die  Sachlage  nicht!  - — Es 
wäre  hier  noch  der  Sonnenfinsternisse  vom  17.  Februar  478,  15.  Sep- 
tember 340,  11.  Februar  217,  14.  März  190  v.  Chr.  u.  e.  a.  zu  gedenken, 
auf  welche  mehrere  Stellen  bei  Livius  bezogen  werden  und  in  denen 
man  Stützen  für  den  Gang  des  römischen  Kalenders  gesucht  hat.  Bei 
diesen  Identifizirungsversuchen  ist  es  nicht  immer  gerade  astronomisch 
zugegangen;  namentlich  findet  man  die  Gefahr  wenig  vermieden,  dafs 
Sonnenfinsternisse  zu  Trägern  chronologischer  Systeme  gemacht  werden 
die  von  einem  auf  die  Beobachtung  mittelst  freiem  Auge  hingewiesenen 
Volke,  wie  es  die  Römer  waren,  kaum  haben  bemerkt  werden  können.1) 

Ich  schliefen  meinen  Aufsatz  mit  einer  Sonnenfinsternife,  die 
einigen  Gelehrten  des  vorigen  Jahrhunderts  nicht  weniges  Kopf- 
zerbrechen verursacht  hat,  nämlich  mit  der  angeblichen  Finsternifs, 
die  nach  der  Bibel  (Matthäus  XXVII  50)  bei  der  Kreuzigung  Christi 
statlgefunden  haben  soll.  Obwohl  diese  Bibelstelle  durchaus  nicht 
klar  spricht  und  ohne  jeden  Zwang  auf  meteorologische  Vorgänge 
gedeutet  werden  darf,  haben  schon  einige  der  ersten  Kirchenväter  in 
der  übrigens  hier  schon  erwähnten  Xicäischen  Finsternifs  (24.  No- 
vember 29  n.  Chr.)  eine  astronomische  Bestätigung  sohen  zu  müssen 
geglaubt  Die  Forschungen  des  Mittelalters  beschäftigten  sich  haupt- 
sächlich damit,  wie  die  Schwierigkeit,  nach  welcher  die  Sonnen- 

')  Den  Interessenten  empfehle  ich  meinen  „Fiustornifs-Canon  für  (Ins 
Untersuchungsgebict  der  römischen  Chronologie“  (Sitzungsber.  <1.  K.  prenfs. 
Akad.  d.  VV.  18-S7.  LII.)  und  den  Artikel  „Ueher  die  Möglichkeit  Sonnenfinster- 
nisse mit  freiem  Auge  zu  sehen,  mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  Römer.“ 
(Wochenschr.  f.  klass.  I’hilol.  Berlin  ISS*  Nr.  7.) 

Himmel  und  Erde.  I.  4.  hi 


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214 


Gnsternifs  bei  Vollmond  statt  bei  Neumond  eingetreten  sein  midiste, 
zu  beseitigen  sei,  da  an  der  Thatsache,  dafs  Christus  vor  dem  l'assah- 
feste  der  Juden  gekreuzigt  worden  ist,  dieses  Fest  aber  nur  bei 
Vollmond  gefeiert  wird,  nicht  gerüttelt  werden  konnte.  Da  hilft  nun 
kein  anderes  Argument,  als  dars  die  Finsternifs  „gegen  den  natür- 
lichen Lauf  der  Dinge“  eingetreten  sei,  wie  schon  Andreas  Müller 
(1685)  behauptet,  indem  er  sie  mit  der  von  chinesischen  Annalen  aus 
dem  7.  Jahre  des  Kuang-wu-ti  als  sehr  bedeutend  gemeldeten  Sonnen- 
finsternifs  vom  10.  Mai  31  n.  Chr.  identiGzirt.  Nach  den  kritischen 
Untersuchungen  unseres  Jahrhunderts,  namentlich  von  Ideler  und  den 
neueren  von  Zumpt  und  Sepp,  inufs  das  Kreuzigungsjahr  zwischen 
2!) — 32  n.  Chr.  gesetzt  werden,  und  es  könnte  wohl  sein,  dars  die 
SonnenGnsternifs  vom  Jahre  20  n.  Chr.  auf  jene  der  Bibel  eine 
Beziehung  hat;  dem  stellt  aber  die  nicht  leicht  zu  beseitigende  Angabe 
entgegen,  dafs  der  Todestag  Christi  ins  Frühjahr  gefallen  ist,  und  der 
14.  Nisau  (3.  April)  des  jüdischen  Kalenders  ein  Freitag  gewesen  sein  soll 
Nun  fällt  auf  den  3.  April  33  n.  Chr.,  wie  schon  Calvisius  gesehen, 
eine  MondHnsternifs,  und  Ferguson  (1756),  der  die  Vollmonde  von 
28 — 36  n.  Chr.  bei  derselben  Frage  berechnet,  macht  darauf  auf- 
merksam, dafs  der  3.  April  33  thatsiichlich  ein  Freitag  ist.  Ist  also 
die  traditionelle  Anschauung  der  Kirche,  den  TodesUig  Christi  vor 
Eintritt  des  Passahfestes  zu  setzen,  die  richtige,  so  ist  sehr  grofse 
Wahrscheinlichkeit,  dnfs  der  Tod  Christi  von  dieser  MondesGnsternifs 
begleitet  gewesen  ist.  Die  Finsternifs,  die  übrigens  schon  Gegenstand 
. vielfältiger  Berechnung  gewesen  ist,  war  zu  Jerusalem  partiell  und 

1 nur  das  Ende  derselben  sichtbar:  nach  meiner  Rechnung  würde  das 

J|  Ende  um  6 Uhr  54  Minuten  Abends  stattgefunden  haben. 

^ Zuletzt  noch  ein  kurzer  Blick  auf  die  verschiedenen  Ausdrucks- 

weisen, mit  welchen  die  historischen  Quellen  die  SonnenGnstemisse 
bezeichnen.  Die  griechischen  Schriftsteller  verwenden  für  die  Anzeige 
einer  Sonnentinstornirs  fast  ausschliefslich  das  Wort  „eclipsis-,  die 
lateinischen  Autoren  die  Bezeichnung  „ defectio  solis " ( Abnahme 
der  Sonne),  nur  dann  und  wann  wird  „obscuratio“  (Verdunkelung) 
gebraucht;  partielle  Finsternisse  werden  als  eine  .Verminderung 
(Verkleinerung)  der  Sonnenscheibe“  hingestellt.  Die  mittelalterlichen 
Annalen  der  lateinisch  schreibenden  Mönche  fuhren  überwiegend  den 
griechischen  Ausdruck  .eclipsis-;  partielle  VerGnsterungen  werden 
zumeist  durch  Vergleich  mit  dem  Alter  der  Mondsichel  charakterisirt 
(„die  Sonne  erschien  wie  die  3.  Mondsichel“);  die  mittelhochdeutsch 
geschriebenen  Berichte  sprechen  von  einem  „Vergehen“  oder  „Ver- 


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215 

wandeln"  der  Sonne,  die  böhmischen  Chronisten  vom  „Verlöschen-. 
Wesentlich  anders  verhalten  sich  die  chinesischen  Annalen.  Obwohl 
wir  bei  den  Gelehrten  Chinas  schon  frühzeitig  eine  richtige  Vor- 
stellung' von  der  Entstehung  der  Sonnenfinsternisse  finden  fz.  11.  bei 
Tu-ju  im  3.  Jahrh.  n.  Ohr.),  gebrauchen  <lie  Schriften  vielfach  Aus- 
drücke wie  für  eine  Bedrohung  der  Sonne,  namentlich  das  Zeichen 
.Ki“,  das  für  die  Beendigung  einer  Mahlzeit  gilt  und  womit  definirt 
werden  soll,  dafs  die  Sonnenscheibe  f bisweilen  ..tsin"  = vollständig) 
aufgegessen  oder  ausgeschüpft  worden  sei 1 1.  Seltener  angewendel 
werden  die  Prinzipien  ..Jang"  und  ..Jin",  die  in  der  alten  Philosophie 
Chinas  eine  grofse  Bulle  spielen,  und  in  deren  Gegenwirkung  man 
die  Ursache  der  Finsternisse  sah.  Kür  beide  Bezeichnungsarten  folgen 
hier  zwei  Beispiele  aus  dein  1 leu-haii-sehu:  ..Am  Tage  ping-jin  dauerte 
die  Finstcrnils  lange,  denn  viel  wurde  von  der  Sonne  aufgezelirl" : 
und:  „Am  Tage  der  Finsternifs  wurde  ...Jang",  das  lacht,  geschwächt 
und  die  Fiusternifs  („Jin  •)  trachtete  sieh  einporziischwingen".  1'elirigeits 
ist  bei  den  Chinesen  jede  Kinsternirs  ein  ..Unglück“,  wenn  auch  oll 
nur  im  astrologischen  Sinne  und  mnls  darum  durch  Opferungen  ver- 
hütet werden.  Wir  nehmen  es  ihnen  nicht  übel:  können  sich  doch 
die  christlichen  Mönche  Europas  eines  gewissen  Aberglaubens  nicht 
erwehren,  indem  sie  nicht  wenige  Sonnenfinsternisse  gerne  mit  Pest 
oder  „grofsen  Sterben  der  Menschheit",  l’ltilhen  und  Stürmen,  zu- 
sammenreimen. 

l)  Die  Chinesen  folgen  darin  mir  einer  hei  den  meisten  nslasiatisehen 
Völkerschaften  gangbaren  Auffassung-  1 toi  den  Indern  ist  es  eine  Verfolgung  der 
Sonne  durch  ein  Ungothiini;  ähnlich  bei  den  Mai  ossären  auf  Celebes;  bei  den 
Hewohnern  von  Sumatra  ein  Kampf  der  Sonne  mit  item  Monde,  der  aut 
gegenseitiges  Auffresson  hinaasläuft.  Achnfiehc  Mvlhen  treffen  wir  bei  den 
Tübetanern  und  Mongolen 


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Versuch  einer  beweisführenden  Darstellung  des  Welt- 
gebäudes in  elementarer  Form. 

Von 

l»r.  M.  Wilhelm  Meyer-Berlin. 

. 111.  Die  Sphären. 

lUjiliere  letzten  Betrachtungen,  durch  «eiche  wir  der  Einrichtung 
des  Weltgebiimles  niilier  zu  kommen  suchten,  haben  uns  zur 
Erdausmessung  geführt,  ila  es  unsern  Bemühungen  nicht  ge- 
lang', einen  direkten  Berührungspunkt  zwischen  dein  Himmel  und  un- 
serer irdiscliiui  Scholle  zu  erreichen.  Durch  die  Betrachtung  der  Ge- 
stirne in  ihrer  veränderlichen  Stellung  zum  Horizonte  war  es  uns  (Re- 
llingen, jene  Gröfse  der  Knie  zu  bestimmen,  wahrend  wir  doch  nur 
einen  kleinen  Theil  ihrer  Oberfläche  dabei  zu  durchwandern  brauchten. 

Jene  ersten  Krdausmesser  aus  vorchristlicher  Zeit  mögen  in  nicht 
geringe  Verwunderung  geralhen  sein,  als  ihre  logischen  Schlu fsfol ge- 
rungen einen  fiir  ihre  Hegriffe  so  ungeheuer  gmfsen  Erdumfang  er- 
gaben. Di«1  primitiven  [Hilfsmittel  der  Fortbewegung,  welche  ihnen 
damals  zu  Gebote  standen,  die  Schwierigkeiten  der  topographischen 
Beschaffenheit  des  Landes,  welche  ihre  Ingenieure  noch  nicht  zu  über- 
winden vermochten,  hatten  den  Umfang  der  damals  bekunuteu  Welt 
in  recht  geringe  Grenzen  eingeschränkt,  die  sieh  tim  den  damaligen 
Mittelpunkt  der  Civilisation  wohl  kaum  mit  einem  Radius  von  41 M» 
Meileu  ausbreitote.  Da  es  nun  eine  alte  Erfahrung  ist,  dafs  der  Mensch, 
je  beschränkter  seine  Kenntnisse  sind,  um  so  hochmüthiger  von  sich 
selbst  den  kl,  so  mochten  wohl  beispielsw  eise  die  Zeitgenossen  eines 
Alexander  des  Grofsen  glauben,  dafs  sein  Schwert  nahezu  die  ge- 
samte Welt  erobert  habe,  während  doch  Eratosthenes,  auf  dem  Resul- 
tate seiner  Erdmessung  fufsend,  leicht  hätte  beweisen  können,  dafs  diese 
bekannte  Erdscholle  kaum  den  400<)sten  Theil  der  wirklichen  Erd- 


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Oberfläche  ausniacht.  Staunend  erzählte  mau  sich  damals,  um  sich 
einen  ungefähren  Begriff  von  dieser  Gröfse  zu  verschaffen,  dafs  ein 
Fufsgänger  mehr  als  ein  Jahr  unausgesetzt  Tag  und  Nacht  wandern 
müsse,  um  die  Erde  zu  umkreisen.  Heute  sind  wir,  was  diese  An- 
schauung über  die  Gröfse  der  Erde  betrifft,  bei  weitem  blasirter 
geworden  und  Tausende  sehen  jetzt,  was  früher  als  den  sichern  Tod 
bringende  Tollkühnheit  erschienen  wäre,  als  eine  amüsante  Spazier- 
fahrt an  und  führen  die  Heise  um  die  Erde  nötigenfalls  in  80  Tagen 
aus.  Ja,  wollte  irgend  ein  reicher  Engländer  seine  Millionen  dazu 
hergeben,  geradlinig  sich  fortsetzende  Schienenstränge  in  bestimmter 
Richtung  um  die  Erde  zu  schlagen,  und  ihre  Endpunkte  an  den 
Meeresküsten  durch  direkte  Dampferlinien  verbinden,  so  könnte  er 
sich  das  Vergnügen  erlauben,  im  Verlaufe  unseres  kürzesten  Monats, 
d.  h.  in  nicht  mehr  als  28  Tagen,  die  Erde  mit  Eiizuggeschwindigkeit 
zu  umkreisen.  Unser  Planet  ist  in  dem  Aufschwünge,  welchen  wäh- 
rend der  beiden  letzten  Jahrhunderte  unsere  Fassungskraft  genommen 
hat,  einerseits  durch  die  Entdeckung  der  neuen  Weltteile,  anderer- 
seits durch  den  verschärften  Blick,  den  uns  das  Fernrohr  in  die  Un- 
endlichkeit des  Weltgebäudes  gewährt  hat,  wahrlich  sehr  klein  ge- 
worden und  die  Menschheit  wird  bald  sehnlichst  nach  einem  neuen 
Columbus  verlangen,  der  ihr  den  Weg  zu  einer  andern  gröfsern  Erde 
überbrückt.  Freilich  wird  sie  danach  wohl  ewig  vergebens  suchen 
müssen.  Unsere  Fiifse  bleiben  an  unsern  Planeten  gebunden  und  nur 
unser  Geist  kann  darüber  hinaus  sich  in  die  Organisation  fremder 
Welten  hinüberdenken.  Diese  höhere  Colurabusaufgabe  ist  es  eben, 
weiche  uns  zu  dieser  Betrachtung  veranlafst  hat. 

Indem  wir  deshalb  unsere  Schlufskette  weiter  zu  spinnen  trachten, 
müssen  wir  uns  in  die  Beobachtung  des  Himmels,  den  wir  niemals 
mit  unsern  Händen  erreichen  können,  näher  vertiefen  und  heften  unser 
Augenmerk  zu  diesem  Ende  zunächst  auf  Sonne  und  Mond,  die  beiden 
auffälligsten  und  in  unsere  Lebensbeziehungen  offenbar  mannigfaltig 
eingreifenden  Himmelskörper. 

Wir  sehen,  dafs  es  kreisrunde  Scheiben  zu  sein  scheinen,  welche 
an  die  umkreisende  Himmelsdecke  irgendwie  geheftet  sind.  Dafs  diese 
Himmelskörper  in  Wirklichkeit  sehr  grofs  soin  müssen,  konnten  wir 
schon  aus  früheren  Betrachtungen  ableiten,  da  sie  uns  bei  unserer 
eigenen  Ortsveränderung  unveränderlich  grofs  erscheinen  und  folglich 
sehr  weit  von  uns  entfernt  sind.  Es  kommt  uns  nun  zunächst  darauf 
an,  durch  augenscheinliche  Beweise  zu  konstatiren,  dafs  diese  Himmels- 
körper sogar  an  Gröfse  mit  der  Erde  mindestens  wetteifern;  denn  erst 


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durch  solche  Ueberzeugung  kann  sich  unsere  vorläufig  noch  enge 
Weltanschauung  vorbereitend  erweitern.  Zwar  ist  das  bisher  aus  ober- 
flächlicher Betrachtung  gesammelte  Material  allein  noch  zu  gering,  um 
wirkliche  Ausmessungen  von  den  Entfernungen  und  Gröfsen  am  Himmel 
vornehmen  zu  können  und  wir  wollen  vorläufig  auch  nur  eine  obere 
Grenze  bestimmen,  von  welcher  aus  wir  schrittweise  zu  genaueren 
Resultaten  gelangen  werden.  Auf  diesem  selben  Wege  der  Annäherung, 
welchen  wir  jetzt  einschlagen,  sind  in  der  That  alle  astronomischen 
Resultate  nach  und  nach  ermittelt  w’orden. 

Bereits  in  unserm  ersten  Artikel  (S.  108  und  9)  haben  wir  gesehen, 
wie  man  die  Entfernung  des  Mondes  durch  die  genaue  Bestimmung 
seiner  scheinbaren  Gröfse  ermitteln  kann:  wenn  man  ihn  einmal 
während  seinor  Stellung  genau  über  unserm  Scheitel  ausmjfst,  ein 
anderes  Mal,  wenn  er  sich  im  Horizont  befindet.  Als  damals  die 
Methode  solcher  Messungen  kurz  erklärt  wurde,  war  zwar  die  Richtig- 
keit der  angenommenen  Prämissen  noch  nicht  bewiesen;  wir  kannten 
die  Gestalt  und  Gröfse  der  Erde  noch  nicht.  Das  ist  jetzt  nachgeholl, 
und  eine  Zeichnung,  die  sich  Jedermann  selbst  sofort  entwerfen  kann, 
zeigt  ohne  weiteres,  dafs  der  Mond  im  Scheitelpunkte  oder  Zenith  uns 
beinahe  um  den  Halbmesser  der  Erdkugel,  d.  h.  also  um  ca.  860  Meilen 
oder  rund  3100  Kilometer  näher  steht,  als  wenn  wir  ihn  im  Horizonte 
sehen.  Da  nun,  wie  wir  uns  jederzeit  überzeugen  können,  jeder  Gegen- 
stand in  genau  demselben  Verhältnifs  gröfser  oder  kleiner  erscheint, 
in  welchem  wir  uns  von  ihm  entfernen,  oder  ihm  näher  rücken,  und 
da  wir  ferner  mit  unsern  Mefsinstrumonten  entdeckt  haben,  dafs  die 
scheinbare  Gröfse  des  Mondes  zwischen  Zenith  und  Horizont  um  etwa 
ein  Sechzigstel  seines  Durchmessers  schwankt,  so  können  wir  daraus 
ohne  weiteres  entnehmen,  dafs  der  Mond  60  mal  860,  also  rund 
52  000  Meilen  von  uns  entfernt  steht.  Ja,  wir  können  nun  noch  weiter 
gehen  und  die  wahre  Grösse  des  Mondes  ausmessen,  indem  wir  seine 
scheinbare  (iröfse  mit  der  eines  bekannten  Gegenstandes  vergleichen, 
der  sich  in  bekannter  Entfernung  von  uns  befindet.  Um  ebenso  viel 
nämlich,  wie  dieser  bekannte  Gegenstand  uns  näher  steht,  als  die  eben- 
falls bekannte  Entfernung  des  Mondes  beträgt,  um  eben  so  viel  wird 
offenbar  der  Mond  gröfser  sein  als  dieser  Gegenstand,  wenn  letzterer 
in  der  gegebenen  kleineren  Entfernung  den  erstereu  gerade  verdeckt. 
Führen  wir  einmal  das  Experiment  in  Wirklichkeit  aus. 

Wir  müssen  zu  dem  Ende  zunächst  die  scheinbare  Gröfse  des 
Mondes  möglichst  genau  bestimmen;  wie  das  durch  Winkelinstrumente 
ermöglicht  wird,  mag  meinen  Lesern  völlig  klar  sein;  ich  will  aber 


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der  gröteern  Durchsichtigkeit  der  Methode  wegen  ein  einfacheres  Mittel 
anwenden  und  eine  kleine  runde  Scheibe  nehmen,  die  ich  so  lange 
vor  den  Augen  hin  und  her  bewege,  bis  sie  in  einor  bestimmten  Ent- 
fernung den  Mond  genau  verdeckt.  Wir  werden  finden,  dato  uns  dies 
gelingt,  wenn  wir  die  Scheibe  genau  9 mm.  groto  nehmen  und  sie  in 
einer  Entfernung  von  einem  Meter  von  den  Augen  aufstellen.  Dann 
repriisentirt  die  Ausdehnung  dieser  Scheibe  einen  Winkel  von  etwa 
31  Bogenminuten  oder  eben  den  Durchmesser  des  Mondes.  Diese  Er- 
kenntnis genügt  nun  völlig,  nachdem  die  Entfernung  des  Mondes  be- 
kannt geworden  ist,  um  die  Grösse  desselben  mit  zwingender  Logik 
zu  bestimmen,  denn  der  Mond  mufs  offenbar  um  eben  so  viel  grösser 
als  9 mm.  sein,  wie  die  Entfernung  unseres  Scheibchens  von  unserem 
Auge  geringer  ist  als  die  des  Mondes.  Wir  hatten  vorher  gefunden, 
dato  der  Mond  etwa  5*2000  Meilen  von  uns  absteht.  Rechnen  wir 
diese  Zahl  in  Meter  um,  indem  wir  sie  mit  7410  multipliziren,  so  finden 
wir,  dato  der  Mond  ca.  385  Millionen  Meter  von  uns  absteht.  Diese 
Zahl  multipliziren  wir  mit  9 mm.,  um  den  Durchmesser  des  Mondes 
unmittelbar  gleich  3405000  Meter  oder  400  Meilen  zu  erhalten,  was 
haarscharf  zu  beweisen  war. 

Diese  neue  Erkenntnifö,  welche  wir  vom  Himmel  abgelesen  haben, 
eröffnet  uns  sofort  eine  bedeutend  erweiterte  Anschauung  vom  Welt- 
gebäude, denn  wir  erkennen  nun,  dato  zum  mindesten  die  beiden  Ilaupt- 
gestime,  welche  Tag  und  Nacht  regieren,  an  Grütee  unserer  Erde  bei- 
nahe ebenbürtig  sind;  der  Durchmesser  unserer  Erde  übertrifft  den 
iles  Mondes  in  der  That  nur  um  etwa  3 >/,  mal.  Die  Sonne  aber  ist 
zweifellos  noch  viel  gröfser,  wie  wir  nun  gleichfalls  leicht  erkennen, 
da  dieselbe  offenbar  viel  weiter  von  uns  entfernt  steht  als  der  Mond. 
Das  lätot  sich  sofort  während  der  Sonnenfinsternisse  erkennen,  weil 
wir  immer  nur  die  Sonne  hinter  den  Mond  treten  sehen,  niemals  um- 
gekehrt. Nun  zeigt  es  sich  ferner,  dato  die  Methode,  nach  welcher 
wir  bisher  die  Entfernung  des  Mondes  ausgemessen  hatten,  bei  An- 
wendung auf  die  Sonne  gänzlich  versagt,  da  sich  ihre  scheinbare  Grösse 
für  unsore  Meteinstrumente  während  ihrer  täglichen  Reise  vom  Auf- 
gang zum  Untergang  durch  die  ldotee  Verschiedenheit  der  Entfernung 
vom  Beobachter  nicht  merklich  verändert.  Es  lätot  sich  daraus  leicht 
absehen,  dato  die  Sonne  nicht  bloto  etwa  ein-  oder  zweimal,  sondern 
mindestens  zehn  oder  noch  viel  mehrmal  so  weit  von  uns  absteht  als 
der  Mond  und  folglich,  da  sie  nahezu  ebenso  groto  erscheint  wie  der 
letztere,  auch  noch  mindestens  zehn-  oder  mehrmal  so  groto  in  Wirk- 
lichkeit sein  tnufä  als  dieser.  Sie  ist  also  auf  jeden  Fall  ein  grüföerer 


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Himmelskörper  als  unsere  Erde  und  bei  dieser  Erkenntnis  wollen 
wir  es  zunächst  bewenden  lassen. 

Der  unmittelbare  Anblick  der  Mondoberfliiche  durch  ein  leidlich 
"Utes  Fernrohr  läfst  aber  des  weiteren  erkennen,  dafs  derselbe  nicht 
etwa,  wie  es  der  oberflächliche  Augenschein  vielleicht  muthmafsen 
liefse  und  wie  dem  ganz  naiven  Beobachter  auch  unsere  Erde  erscheint, 
eine  Scheibe  ist,  sondern  gleichfalls  eine  Kugel.  Wir  erkennen  nämlich 


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Ein  Theil  der  Mondobe rfläche  nach  Lohrmann. 


auf  der  Oberfläche  des  Mondes  eine  grofse  Anzahl  von  Uneben- 
heiten, welche,  nachdem  wir  uns  von  der  bedeutenden  Gröfse  dieses 
Himmelskörpers  überzeugt  haben,  sofort  den  Eindruck  von  Gebirgen  auf 
uns  machen.  Viele  tausende  dieser  eigenthütnlichcn  Gebirgsformationen. 
von  denen  eingehender  zu  reden  hier  nicht  der  Ort  ist,  haben  die 
deutlich  ausgeprägte  Form  von  Kraterwällen  und  sind,  wenn  man  sie 
auf  der  Mitte  der  Mondscheibe  findet,  fast  völlig  kreisrund.  Niemals 


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trifft  man  hier  langgestreckte  ovale  Gebilde  dieser  Art.  Je  mehr 
man  aber  das  Auge  gegen  den  Rand  des  Mondes  hinschweifen  liifst, 
je  elliptischer  slellon  sich  diese  Gebilde  dar  und  zwar  stets  so,  dafs 
der  kleinste  Durchmesser  dieser  Ovale  oder  Ellipsen  senkrecht  gegen 
den  Kamt  des  Mondes  gerichtet  ist.  Auf  der  hier  beigefügten  Repro- 
duktion eines  Theiles  der  berühmten  Lobrmannschen  Mondkarte  füllt 
diese  eigentümliche  Erscheinung  dem  ersten  Blicke  auf.  Es  bedarf 
nur  einer  sehr  geringen  geometrischen  Vorstellungsgabe,  damit  uns 
dieser  Augenschein  sofort  von  der  Kugelgestalt  des  Mondes  überzeuge,  , 
da  offenbar  diese  Gebilde  gegen  den  Mondrand  hin  in  Wirklichkeit 
ebenso  kreisförmig  sind  wie  in  der  Mitte  und  nur  durch  die  schiefe 
Richtung,  iu  welcher  die  Gesichtslinie  diese  Gegenden  trifft,  in  eben 
dieser  Richtung  verkürzt  erscheinen. 

Ganz  ähnliche  Wahrnehmungen  kann  man  auch  auf  der  Sonne 
machen,  wenngleich  es  auf  derselben  keine  festen  beständigen  Objekte 
giebt;  doch  bemerkt  man  auf  ihr  gelegentlich  die  sogenannten  Sonnen- 
flecke, welche  öfters  mehrere  Wochen  lang  nicht  allzu  wesentlich  ihre 
Form  ändern,  aber  offenbar  infolge  einer  Umdrehung  der  Sonne  um 
sich  selbst  in  bestimmten  Bahnen  über  die  scheinbare  Scheibe  derselben 
hinziehen  und  dabei,  sobald  sie  dem  Rande  sich  nähern,  ähnliche  per- 
spektivische Verkürzungen  darbieten,  wie  wir  sie  auf  dem  Monde  so 
deutlich  wahmehmen. 

Unsere  Anschauungen  vom  Weltgebäude  haben  sich  durch  diese 
neuen  Erfahrungen  abermals  ganz  wesentlich  erweitert:  Wir  haben 
erkannt,  dafs  es  aufser  der  Erde  noch  zwei  grofsc  Körper  giebt,  welche 
ihr  an  kugelförmiger  Gestalt  völlig  gleich  sind  und  sie  an  Ausdehnung 
sogar  im  Falle  der  Sonne  übertrefl'en.  Welche  ganz  gewaltigen  Vor- 
kehrungen iniifs  hier  die  göttliche  Macht  getroffen  haben,  um  diese 
ungeheuren  Körper  hoch  über  unsern  Häuptern  in  gewaltigem  Schwünge 
um  die  Erde  kreisen  zu  lassen!  Dafs  so  ungemein  grofse  Kugeln  nicht 
etwa  frei  über  uns  schweben  könnten , ohne  vernichtend  auf  uns 
herab  zu  stürzen,  ist,  so  weit  unsere  Kenntnifs  von  der  Weltordnung 
bis  jetzt  reicht,  absolut  undenkbar.  Es  bleibt,  wenigstens  vorläufig', 
nichts  Anderes  übrig,  als  auch  ihnen  je  einen  grofsarligen  Sphärenban 
anzuweiseu,  wie  es  derjenige  ist,  welcher  die  Schar  der  Fixsterne  im 
Schwünge  um  die  himmlischen  Pole  führt.  Denn  dafs  diese  Fixstern- 
Sphäre  selbst  nicht  genügt,  um  etwa  daran  Sonne  und  Mond  zu  be- 
festigen, zeigt  die  am  Monde  unmittelbar,  an  der  Sonne  wenigstens 
indirekt  anzustellende  Beobachtung,  dafs  beide  Himmelskörper  noch 
eine  besondere,  von  den  Fixsternen  unabhängige  Bewegung  besitzen, 


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weicht'  den  Mond  in  etwa  einem  Monat,  die  Sonne  in  einem  .Jahre 
einmal  so  vor  der  Fixstern-Sphäre  herum  fuhrt,  dafs  sie  erst  nach 
Ablauf  der  genannten  Frist  auf  dieselbe  Stelle  jenes  zuerst  noth wendig 
befundenen  Gewölbes  zurüekkehren.  Wir  müssen  also  mindestens  drei 
.Sphären  annehmen,  welche  konzentrisch  mit  demselben  Mittelpunkte 
der  Eitle  sich  über  einander  wölben. 

Zu  diesen  Sphären  können  wir  sogleich  mindestens  noch  Fünf 
andere  hinzufügen,  au  welche  fünf  überaus  helle  Sterne  zu  heften 
sind,  die  sich  von  den  übrigen  selbst  bei  oberflächlicher  Beobachtung 
dadurch  auffällig  unterscheiden,  dafs  sie  unter  ihnen  umherwandelu 
und  nicht  wie  die  übrigen  am  Gewölbe  wie  festgenagelt  sind.  Wir 
kennen  diese  Sterne  längst  und  nennen  sie  die  Planeten  Merkur,  Venus, 
Mars,  Jupiter,  Saturn.  Wir  wissen  heute  selbst,  dafs  es  aufser  diesen 
alten  Planeten  noch  zwei  gröfsere,  l'rauus  und  Neptun,  und  eine  Schar 
von  einigen  2ri0  kleineren  gieht,  welche  letzteren  alle  nur  mit  dem  Fern- 
rohr erkennbar  sind.  Wir  wollen  indefs  alle  diese  hier  ignoriren. 
um  die  Parallele  der  historischen  Entwickelung  der  Weltansicht  nicht 
zu  verlassen. 

Da  die  oberflächliche  Beobachtung  ergiebt,  dafe  die  Bewegung 
jener  älteren  fünf  Planeten  verschieden  schnell  statfiudet,  und  zwar 
bei  Merkur  und  Venus  nur  im  Durchschnitt  ebenso  schneit  wie  die- 
jenige der  Sonne,  aber  mit  gröfsereu,  vom  Merkur  zur  Venus  zu- 
nehmenden Schwankurgen,  dagegen  für  die  folgenden  drei  in  derselben 
Reihenfolge  langsamer,  wie  ihre  Namen  oben  angeführt  wurden,  so 
nahm  man  schon  früher  mit  einem  gewissen  Grade  von  Berechtigung 
an,  dass  der  schnellen'  dieser  Himmelskörper  auch  der  uns  näher 
stehende  sei  und  dafs  mau  demnach  die  Sphären  etwa  in  der  Reihenfolge 
Mond,  Sonne,  Merkur,  Venus,  Mars,  Jupiter,  Saturn,  übereinander 
setzen  müsse,  um  den  ganzen  himmlischen  Bau  endlich  mit  der  Fixstem- 
sphäre,  dem  sogenannten  Primum  mobile  zu  krönen.  Diese  Sphären 
dachte  mau  sich  aus  durchsichtigstem  Krvstall,  aber  so  fest  gebaut, 
dafs  sie  eben  jene  grofsen  Himmelskörper  zu  tragen  und  mit  ihnen 
um  eine  feste  unsichtbare  Axe  umzusebwingen  vermochten. 

Diese  neue  Weltansicht  der  Sphären  bringt  uns  in  der  historischen, 
mit  der  logischen  Entwickelung  parallel  verbundenen  Stufenfolge,  gegen 
die  einfachere  Ansicht  von  Anaximauder  um  etwa  l'/s  Jahrhunderte 
vorwärts.  Die  Idee  der  Sphären  wird  zuerst  mit  völliger  Deutlichkeit 
von  Kudoxus,  sowie  von  seinem  Zeitgenossen  und  Freunde  Plato  in 
dessen  ..Republik"  gelehrt,  während  es  allerdings  zweifellos  ist,  dafs 
bereits  Pythagoras  oder  doch  seine  Schüler  an  dieselbe  gedacht  hatten. 


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Man  leitete  bekanntlich  aus  dieser  Idee  die  der  Sphärenmusik 
ab,  indem  man  zunächst  jede  der  sieben  Planetensphären  mit  einem 
der  sieben  Töne  der  Octave  verglich;  der  achte,  die  höhere  Octave, 
stellte  eben  das  Primum  mobile,  die  Fixsternsphäre,  dar.  Man  war 
davon  überzeugt,  dafs  der  Umschwung  dieser  gewaltigen  llohlkugeln, 
an  denen  so  grofse  Körper  wie  Sonne  und  Mond  befestigt  waren, 
ebenso  wie  die  schnell  umschwingenden  Räder  irgend  einer  mecha- 
nischen Vorrichtung  einen  Ton  von  sich  geben  müfste  und  dafs  das 
Zusammenklingen  der  verschiedenen,  so  erzeugten  Töne,  (indem  mun 
gelegentlich  auch  das  Verhültnifs  der  einzelnen  Planetenbewegungen 
sich  wie  das  von  Terzen  oder  Quarten  zu  einander  nach  Belieben 
anordnete),  zu  einer  wundervollen  Harmonie  zusammenklingen  müfste, 
welche  das  ganze  Universum  mächtig  durchdringt.  Nur  wir  unvoll- 
kommenen Erdgeborenen,  so  meinte  man,  können  diese  himmlische 
Musik  nicht  hören,  welche  das  ewige  Entzücken  der  Olympier  ist. 
Die  Pythagoräer,  welche,  angeregt  durch  die  merkwürdigen  Ent- 
deckungen einfacher  Zahlenverhältnisse  für  die  Längen  von  schwin- 
genden Saiten,  die  zusammenklingend  einen  wohlgefälligen  Einklang 
für  unser  Ohr  erzeugen,  in  solchen  Zahlenverhältnissen  das  ganze  Ge- 
heimnifs  der  Weltordnung  verborgen  glaubten,  haben  offenbar  zugleich 
einen  ganz  besonders  nachhaltigen  Anstois  zur  nähern  Beobachtung 
der  Bewegung  der  Himmelskörper  gegeben.  Ja,  diese  oft  belächelte 
Mystik  der  Zahlen,  die  sich  in  seltsamen  Spielereien  in  alle  Wissens- 
zweige der  Natur  einzudrängen  verstand  und  bis  in  das  hohe  Mittel- 
alter  hinein  die  philosophische  Naturbetrachtung  beherrschte,  trug 
dennoch  den  Keim  in  sich,  welchem  wir  das  Aufblühen  und  die  Ent- 
wickelung unserer  modernen  exakten  Naturforschung  und  zwar  nicht 
nur  auf  dem  Gebiete  der  Astronomie  verdanken.  Kepler  selbst,  der 
grosse  Reformator  der  theoretischen  Astronomie,  stand  auf  dem  Boden 
dieser  Zahlenmystik,  als  er  seine  so  viel  Licht  über  die  Weltordnung 
verbreitenden  Untersuchungen  begann;  und  die  in  seinem  Erstlings- 
werke, dem  Mysterium  cosmographieum,  niedergelegten  Resultate  sind 
noch  nichts  weiter  als  mathematisch  verfeinerte  Variationen  über  dieses 
selbe  Thema  mystischer  Zahlenverhältnisse;  er  setzte  nur  für  die  Zahlen 
die  bekannten  geometrischen  Hauptkörper.  Wie  er  dann  später  zu 
seinen  umwälzenden  Grundregeln  der  Planetenbewegung  gelangte, 
werde  ich  in  einem  spätem  Abschnitte  dieser  Betrachtung  näher  aus- 
einandersetzen; an  dieser  Stelle  kam  es  mir  nur  darauf  an  zu  zeigen, 
wie  selbst  für  uns  so  seltsam  wie  möglich  erscheinende  Ideen  in 
mystischer  und  dunkler  Umhüllung  tiefe  und  fruchtbringende  Wahrheit 


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enthalten  können.  In  der  Harmonie  der  Weltspliären  ahnte  das  kindlich 
naive  (iemiith,  dem  in  der  Naturhetrachtung  noch  wenig  Erfahrungen 
Vorlagen,  den  gewaltigen  Gedanken  von  der  Einheit  der  weltregierenden 
N'aturkräfle.  welchen  uns  jede  neuo  Entdeckung  im  weiten  Bereiche 
der  N'atur  immer  lebendiger  vorfiihrt  und  der  die  gesamte  Natur- 
forsch  ung  unserer  Zeit  erfüllt  und  lenkt. 

Der  Drang,  Näheres  über  die  Ordnung  der  Welt  zu  erfahren, 
regte,  mit  je  mysteriöseren  Ideen  man  das  Wallen  der  Natur  umgab, 
desto  lebhafter  und  unwiderstehlicher  zur  Beobachtung  an.  Als  man 
deshalb  die  Anzahl  der  Sphären  erkannt  hatte,  war  es  begreiflich, 
dafs  man  es  versuchte,  die  näheren  Beweguugsbodingungen  derselben 
zu  ergründen.  Man  machte  dabei  die  Wahrnehmung,  dafs  der  Mond 
etwa  nach  einem  Monat,  die  Sonne  nach  eiuem  Jahr.  Mors  nach  zwei, 
Jupiter  nach  zwölf  und  endlich  Saturn  nuch  dreifsig  Jahren  wieder 
zu  derselben  Stelle  des  Fixsternhimmels  zurückkelirten,  und  nahm 
tlemgemäfs  an,  dafs  diese  Planeten  (denn  man  belegte  selbstverständlich 
Sonne  mul  Mond  damals  gleichfalls  mit  diesem  Namen)  ungefähr  in 
demselben  Verhältnis,  wie  sie  sieh  langsamer  bewegten,  von  uns  ent- 
fernt stehen  miilsten.  Merkur  und  Venus  zw  ar  sind  in  dieses  Sphären- 
system  schwer  einzuordnon  wegen  der  Eigcnthiimlichkeit  ihrer  Be- 
wegung, welche  uns  später  noch  viel  zu  denken  gehen  wird.  Nehmen 
wir  aber  die  gröfsteu  beobachteten  Geschwindigkeiten  der  Himmels- 
körper als  Mafsstah  für  ihre  Entfernung,  so  iniifstcu  wir  wohl  diese 
beiden  Planeten  zwischen  Mond  und  Sonne  raugireu.  Eine  andere 
direkte  Art  der  Entfernungsbestimmungen  stund  den  Astronomen  des 
Allerthums  heim  gänzlichen  Mangel  an  feineren  Mefsinstrumenten  nicht 
zu  Gebote. 

Inzwischen  aber  hatte  man  noch  manche  anderen  merkwürdigen 
Beobachtungen,  ganz  besonders  an  Sonne  und  Mond,  gemacht.  Dafs 
der  Mond  Phasen  zeigt,  konnte  natürlich  den  allerersten  Beobachtern 
nicht  entgehen;  aber  man  bemerkte  auch  sehr  bald,  dafs  die  I-age  des 
Mondes  während  seiner  verschiedenen  Phasen  in  ganz  bestimmten 
Beziehungen  zur  Sonne  steht.  Ich  will  mich  hier  nicht  länger  bei  der 
Beschreibung  dieser  jedem  Kinde  bekannten  Thatsachon  uufhalten. 
Man  kann  Bich  den  Beweis  dafür,  dafs  dies*'  Phasen  eine  Folge  der 
Sonnenbeleuchtung  der  au  sich  dunkeln  Mondkugel  sind,  leicht  durch 
den  Augenschein  seihst  verschaffen,  indem  mau  eine  weifse  Kugel 
rings  um  eine  Lichtquelle  herum  führt,  wobei  sich  die  Mondphasen 
auf  dieser  Kugel  zeigen  werden.  Diese  Erscheinung  bildet  also  einen 
nachträglichen  Beweis  von  der  Kugelgestalt  dos  Mondes. 


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Manchmal  jedoch  sehen  wir  die  Beleuchtung-  des  Mondes  in  ganz 
verschiedener  Weise  sich  verändern.  Es  scheint,  als  ob  sich,  und 
zwar  in  viel  schnellerem  Tempo  als  sonst  die  Phasen  regelmäfsig 
wechseln,  bereits  im  Laufe  von  wenigen  Stunden  ein  dunkelrothcr. 
kreisrunder  Schatten  über  den  Mond  hinzieht,  durch  welchen  meistens 
die  verdeckten  Theilo  desselben  noch  mattröthlich  hindurchschimmern. 
Wir  wissen,  dafs  man  eine  solche  Erscheinung  eine  Mondfinsternifs 
nennt.  In  der  beifolgenden  Reihe  von  Mondbildern,  welche  oben  die 
bekannten  Phasen  des  Mondwechsels,  unten  die  entsprechenden  einer 
Mondfinsternifs  zeigen,  erkennt  man  sofort  die  charakteristische  Ver- 
schiedenheit des  Anblicks  dieser  beiden  Phänomene. 


Phasen  des  Mondwechsels  und  der  Mondfinsternifs. 


Jedermann  hat  bereits  eine  Mondfinsternifs  gesehen.  Wer  sich 
jedoch  diesen  Anbliek  in  nächster  Zeit  noch  einmal  verschaffen  will 
und  es  nicht  scheut  deswegen  ein  wenig  frühe  aufzustehen,  der  kann 
bei  günstigem  Wetter  in  der  Nacht  vom  lti.  auf  den  17.  dieses  gegen- 
wärtigen Monats  Januar  eine  solche  in  Berlin  beobachten,  hei  welcher 
allerdings  nur  etwa  sieben  Zehntel  der  ganzen  Mondscheibe  verdeckt 
werden.  Die  näheren  Umstände  derselben  findet  der  Leser  in  einem 
anderen  Theile  dieses  Heftes  angegeben. 

Wir  machen  hierbei  eine  merkwürdige  Wahrnehmung,  welche 
w ir  in  unsere  Weltordnung  einzureihen  versuchen  müssen.  Den  ältesten 
Völkern  mag  die  Erklärung  dieser  Thatsache  wohl  recht  viel  vergeb- 
liches Kopfzerbrechen  gekostet  haben,  da  wir  bei  ihnen  manchen 
seltsamen  Aberglauben,  so  beispielsweise  auch  von  Unthiercn,  welche 


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den  Mond  fressen,  und  die  sie  deshalb,  sei’s  durch  Gebet  oder  durch 
höllisches  Geschrei  oder  endlich  durch  Gewalt  mit  Hilfe  ihrer  Schiefs- 
waffen  zu  vertreiben  suchen,  vorfindeu.  Aber  in  jener  Zeit  blühenden 
Helleneuthutns,  das  uns  hier  schon  vielfältig'  beschäftigt  hat,  und  bis 
auf  welches  die  Kette  unserer  logischen  Schlüsse  uns  bisher  führte, 
keimten  auch  hierüber  klare  und  richtige  Gedanken  auf. 

Es  war  wiederum  jener  grofse  Denker  Pythagoras,  welcher  wahr- 
scheinlich auf  Grund  noch  viel  älterer  babylonischer  Beobachtungen 
und  Theorien,  darauf  aufmerksam  machte,  dafs  jener  Schalten,  der 
bei  Mondfinsternissen  das  schöne  Gestirn  überdeckt,  nichts  anderes 
als  unser  eigener  Erdschatten  sein  könne,  da  die  Mondfinsternisse 
ausschlierslich  nur  stattllnden,  wenn  die  Scheibe  des  Mondes  voll  be- 
leuchtet ist,  d.  h.  wenu  er  genau  der  Sonne,  die  ihn  beleuchtet,  gegen- 
übersteht. Die  undurchsichtige  Erde  raufs  natürlich  um  diese  Zeit 
ihren  Schattenkegel  in  der  Kichtung  des  Mondes  in  das  Universum 
hinauswerfen,  welche  Ansicht  man  auch  über  die  Welteinrichtung 
sonst  haben  mag,  und  es  war  eigentlich  nur  zu  verwundern,  dafs  nicht 
jedesmal  bei  Vollmond  eine  Mondfinsternifs  stattfindet.  Dies  war  eben 
nur  dadurch  zu  erklären,  dafs  der  Mond  dann  manchmal  unter  und 
manchmal  über  dem  Erdschatten  vorüberzieht,  seine  Balinebene  also 
nicht  völlig  mit  der  Sonne  übereinstimmt.  Pythagoras  wies  auch 
darauf  hin,  dafs  die  weitere  Wahrnehmung  von  der  stets  kreisrunden 
Begrenzung  des  Erdschattens,  welcher  auf  den  Mond  fällt,  einen  an 
sich  völlig  strengen  Beweis  von  der  Kugelgestalt  der  Erde  abgiebt. 
Denn  wäre  beispielsweise  die  Knie  eine  Scheibe  oder  eine  Walze,  wie 
es  einst  Anaxitnauder  gelehrt  hatte,  so  müfste  bei  den  verschiedenen 
Mondfinsternissen  die  Begrenzungslinie  des  Erdschattens  offenbar  sehr 
verschiedene  Formen  annehmen ; nur  eine  Kugel  allein  wirft  unter 
dun  obwaltenden  Beleuchtungsverhältnissen  immer  einen  gloichge- 
formten  Schatten. 

So  hat  uns  die  immer  mehr  eingehende  Beobachtung  der  Himmels- 
erschoinungen  unvermuthet  neue,  gewissermafsen  überschüssige  Be- 
weise von  Thatsachen,  wie  die  Kugelgestalt  der  Erde  und  des  Mondes, 
gegeben,  welche  schon  mit  logischer  Kraft  erbracht  wurden  waren. 
Dieser  Umstand  ist  uns  vou  hohem  Interesse,  indem  er  gleichzeitig 
zeigt,  dafs  auch  die  übrigen  Ansichten  vou  der  Weltordnung,  so  weil 
sie  zum  Zustandekommen  dieser  Beweise  nölliig  sind,  richtig  Sein 
müssen. 

Die  aufmerksame  Verfolgung  der  eindrucksvollen  Erscheinung 
einer  Mondfinsternifs  giebt  uns  auch  noch  eine  andere  Bestätigung 


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•227 


einer  vorhin  schon  gefundenen  Thatsache.  Wir  können  nämlich  da- 
durch direkt  vom  Himmel  ablesen,  dafs  die  Sonne  gröfser  sein  mufs 
als  die  Erde. 

Dieser  Beweis  ist  folgendermaßen  leicht  zu  führen:  die  direkte 
Anschauung  zeigt  unmittelbar,  dafs  der  Schattenkegel,  welchen  eine 
dunkle  Kugel  hinter  sich  wirft,  spitz  zuläuft,  wenn  der  leuchtende 
(legenstand  grösser  ist  als  diese  Kugel,  dagegen  sich  nach  hinten  er- 
weitert, wenn  die  Lichtquelle  kleiner  ist  als  der  Schatten  werfende 
Körper.  Mau  kann  dieses  Experiment  jederzeit  im  eigenen  Zimmer 
ausrühren.  Nun  zeigt  es  sich  bei  den  Mondfinsternissen,  dafs  die 
kreisförmige  Begrenzung  des  Schattens,  welcher  dann  in  den  Mond 
vortritt,  zu  einem  vollen  Kreise  ausgezogen,  eine  Scheibe  ergiebt,  die 
am  Himmel  eine  etwa  21  mal  im  Durchmesser  grössere  Fläche  be- 
deckt, als  die  scheinbare  Mondscheibe.  Es  ist  also  eine  Thatsache, 
dafs  der  Erdschatten  in  der  Entfernung  des  Mondes  um  ebenso  viel 
mehr  im  Durchmesser  hält,  als  der  Mond  selbst. 

Wissen  wir  nun,  was  ja  die  direkten  Messungen  uns  in  der  That 
ergeben  haben  — während  wir  über  die  Entfernung  und  die  (Iröfse 
der  Sonne  keine  solchen  anstellen  konnten  — dafs  die  Erde  3’/amal 
grösser  ist  als  der  Mond,  während  doch  der  Schatten  in  der  Entfernung 
des  letztem  nur  2 ,/2  mal  so  grofs  auftritt,  so  ergiebt  sich  daraus,  dafs 
der  Schattenkegel  der  Erde  in  der  That  spitz  zuläuft,  dafs  also  die 
Sonne,  in  welcher  Entfernung  von  uns  sie  sich  auch  befinden  mag, 
gröfser  ist  als  die  Erde. 

Dieses  als  Beispiel  dafür,  wie  die  denkende  Betrachtung  der 
Himmelserscheinungen  ganz  unmittelbaren  und  deutlichen  Aufschluß 
über  die  allgemeine  Weltordnung  zu  geben  vermag.  Mit  der  Häufung 
der  entdeckten  Einzelheiten,  mit  der  Verschärfung  unserer  Beobach- 
tungen durch  subtile  Meßinstrumente  und  der  nothwendigen  Ausdauer, 
mit  welcher  die  Menschheit  durch  die  Jahrhunderte  hindurch  die 
regelmäßige  Wiederkehr  bewunderter  Himmelsschauspiele  konstatirt 
hat,  wachst,  verfeinert  und  verschönt  sich,  wie  wir  sehen  werden,  immer- 
mehr das  Bild  des  wundervollen  Weltganzen. 


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I 


Da*  Zodinkal*  oder  Th ierkrei*»-  Lieht. 

Von  Professor  Wilhelm  Foerstor  in  Berlin. 

Die  merk  würdige  Himmslaentcheinung,  welche  den  Namen  Thicrkreis- 
Lieht  führt,  ist  in  ihren  eigenthümlichsten  Zügen  in  dem  diesem  Hefte  vom 
boigegcbnien  Bilde,  welche»  wir  der  Qüto  lieft  Herrn  Prof.  Dr.  Weinek,  Di- 
rektors der  Sternwarte  zu  Prag,  verdanken,1}  so  dwrgcstellt,  wie  es  unter 
günstigen  Bedingungen,  z.  B.  in  den  tropischen  und  den  benachbarten  sub- 
tropischen Zonen  der  Erde  nach  Sonnenuntergang  um  Abcndhinimel  nnc!  vor 
Sonnenaufgang  am  Morgenhimmel  unverkennbar  in  die  Augen  fällt,  wogegen 
es  in  u Ilse  re  n Breiten  im  ullgemeincn  einer  ungewöhnlich  durchsichtigen  Luft, 
sowie  eines  kundigen  und  für  feilte  Lichtreise  genügend  empfindlichen  Auges 
bedarf,  um  dasselbe  in  dieser  Gestalt  deutlich  wahreunehmen. 

fn  unseren  Breiten  hat  man  im  allgemeinen  die  beste  Gelegenheit  zur 
Beobachtung  dieser  Erscheinung,  sobald  die  Dämmerung  zu  Ende  ist,  in  den 
Abendstunden  von  Mitte  Februar  bis  Ende  März. 

Da  man  auf  das  Thierkreis-Licht  schon  seit  nahezu  250  Jahren  aufmeik- 
vHm  geworden  ist  und  eine  groffte  Anzahl  der  verschiedensten  Erklärungen 
für  dasselbe  aufgestellt  hat,  so  könnte  es  fragwürdig  erscheinen,  weshalb  in 
dieser  Zeitschrift  gonule  jetzt  die  Aufmerksamkeit  wieder  darauf  gelenkt  wird. 

Die  Beweggründe  hierzu  liegen  eincsthoihs  darin,  dafs  es  trotz  des  langen 
Zeitraums,  innerhalb  dessen  man  das  Thierkreis« Licht  beobachtet  und  zu  er- 
klären versucht  hat,  noch  gar  sehr  au  Klarheit  über  viele  Besonderheiten  der 
Erscheinung  und  demgemnfs  auch  noch  ganz  und  gur  an  einer  hcfriedigeud»*n 
Deutung  derselben  gebricht,  und  dafs  es  daher  in  hohem  Grade  wiinschen*- 
wertli  ist,  auch  unsere  Landsleute,  die  sich  jetzt  in  noch  gröfserer  Anzahl  als 
früher  in  tropischen  Gegenden  befinden,  auf  diese  anziehende  Hiiumelsersehei- 
nung  um)  auf  die  grofseu  wissenschaftlichen  Verdienste  hinzuweisen,  welch** 
sic  sich  durch  zahlrciohe  und  sorgfältige  Aufzeichnungen  dieses  seltsamen 
Leuchten»  erworben  können.  Da  sie  hierzu  keines  anderen  Apparates  als  einer 
leidlich  guten  Sternkarte  bedürfen,  ao  werden  Aufzeichnungen  dieser  Art  gerade 
gegenwärtig  zu  den  geeignetsten  Können  der  Mitwirkung  von  Naturfreunden 
au  der  wissenschaftlichen  Deutung  himmlischer  Rallisel  gehören.  Gerade  solche 
Beobachter,  welche  fern  von  gi  öfteren  Ansammlungen  menschlicher  Wohnun- 

'I  DasM'll't'  wurde  von  Profeuor  Weineck  am  H.  MSm  IS75  M l*br  Abend*  auf  PfliDCV 
Umkreise  von  *le*r  Ki-rpuelcn-Inxrl  im  li*“  4J'  «Udlirhflr  Breit«  und  3K  östlicher  I_angc  von 
• irrenwich  ( zwischen  Mauritius»  und  den  Seychellen -Tn«seln)  vom  l'a*j;»|fl»*rdnnit'fei‘  aus  »igp*- 
uommou.  Die  Spitze  dos  Zodinkal- Liebln*  konnte  noch  Uber  dlo  Linie  PlftJadWD-AUIebaran  v*r- 
tolpt  weiden.  Die  l5offi-irn?ung  de  Licht***,  im*  weit  v*jd  einer  solchen  die  Rede  Min  kann,  ww 
im  Allgemeinen  eine  ziemlich  deutliche;  die  IntomdljM  plich  beinah«  Jener  dor  ffTilfccnrn  l'*p- 
wutko  und  liaili!  ihr  Maximum  iu  etwa  iwel  Drittel  grepeu  dio  PUuwleu  blu.  Ins  Auge  Mlrod 
irbien  das  Abblvgvn  <l«*r  Beirr*  Murunp  ruitb  ftuf-cn  tu  der  Nfthe  den  Horizonte*, 


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Zodiakal  - Licht. 

Beobachtet  und  Kozeichnot  von  Prof.  L.  Weinek. 


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gen  den  Himmel  betrachten  können,  werden  hierfür  geeigneter  sein,  als  die 
Beobachter  an  den  südlichen  und  tropischen  Sternwarten,  denen  leicht  sehr 
feine  und  tlarum  besonders  wichtige  Einzelheiten  der  Erscheinungen  durch 
die  Wirkungen  künstlicher  Beleuchtung  in  der  Nähe  oder  Ferne  sowie  durch 
LufttrUbungen  selbst  geringfügiger  Art,  wie  sie  mit  der  Nähe  einer  gröfseren 
Anzahl  menschlicher  Wohnungen  verbunden  sind,  verhüllt  werden  können. 

Anderntheils  wurzeln  die  Beweggründe  vorliegender  Mittheilung  darin, 
dafs  sich  in  der  Fülle  der  Zeiten  manche,  durch  Forschung»  - Ergebnisse 
anderer  Art  befruchtete  Gesichtspunkte  zusammengefunden  haben,  welche, 
unterstützt  durch  zahlreichere,  möglichst  gleichzeitige  Beobachtungen  an  den 
verschiedensten  Orten  der  Erdoberfläche,  vielleicht  einen  Weg  zu  der  endlichen 
befriedigenden  Deutung  des  Thierkreis-Lichtes  weisen  könnten. 

Obwohl  diese  Gesichtspunkte  noch  etwas  unentwickelt  sind,  könnten 
sie  möglicherweise  den  Reiz  der  Erscheinung  und  die  Antriebe  zur  Mitarbeit 
an  ihrer  Erforschung  erhöhen,  ohne  dafs  sie  in  ihrer  hypothetischen  Form  die 
Gefahr  mit  sich  bringen,  durch  vorgefafste  Meinung  die  Beobachtung  zu  stören. 

Thierkreis -Licht  hat  man  die  Erscheinung  genannt,  w'eil  die  Lagt»  der 
Mittellinie  dieser  Lichtflächen,  deren  ungefähre  Gestaltung  und  Begrenzung 
die  Abbildung  erkennen  läfst,  sich  im  allgemeinen  dem  Zuge  des  Thierkreises 
(der  Ekliptik  oder  scheinbaren  Sonnen-Bahn)  am  Himmel  anschliefst. 

Früher  hat  mau  deshalb  ziemlich  allgemein  die  Ansicht  gehegt,  dafs 
das  Thierkreis-Licht  aus  der  Zurückstrahlung  dos  Sonnenlichtes  von  einem 
Ringe  sehr  kleiner  Massenlheile  bestehe,  welcher  nahezu  iti  der  E beno  der 
Erdbahn  oder  scheinbaren  Sonnenbahn  liegend,  die  Sonne  umgebe.  Die  Ebene 
dieser  Bahn  fällt  nämlich  überhaupt  mit  einer  gewissen  mittleren  Bahn-Ebene 
aller  ständigen  Mitglieder  unseres  Sonnensystems  ziemlich  nahe  zusammen,  so 
dafs  man  auch  für  gewisse  Scharen  kleinerer  Masseutkeile,  welche,  nicht  mehr 
einzeln  erkennbar,  sondern  nur  in  ihrer  Gesamtheit  in  reflectirtcm  Sonnen- 
lichte wahrnehmbar,  sich  vielleicht  zwischen  den  Bahnen  der  grösseren  Pla- 
neten um  dio  Sonne  bewogen,  nahezu  dieselbe  Bahn -Ebene  wie  für  die  Erde 
aunehmen  konnte. 

Schiaparelli  batte  zuerst  mit  zusammenfassender  Kritik  vor  etwa  acht- 
zehn Jahren  diese  Deutung  des  Thierkreis-Lichtes,  als  vielen  gut  beobachteten 
Einzelheiten  der  Erscheinung  widersprechend,  endgültig  abgewiesen.  Trotzdem 
ist  dieselbe,  weil  keine  andere  einleurhtond«  Erklärung  an  ihre  Stelle  gesetzt 
werden  konnte,  bis  in  die  neueste  Zeit  gerade  in  populären  Darstellungen  er- 
halten geblieben. 

Dem  nordamerikanischen  Geistlichen  Jones  verdanken  wir  aus  den 
Jahren  1853  bis  1855  eine  grofse  Reihe  auf  längeren  See-Reisen  ausgeführter 
sorgfältiger  Aufzeichnungen  des  Thierkreis-Lichtes,  zu  denen  leider  nur  gleich- 
zeitige Beobachtungen  in  andern  Thcilen  der  Erde  fehlen. 

Aus  diesen  seinen  Beobachtungen  hatte  Jones  bereits  dio  Folgerung  ge- 
zogen, dass  das  Thicrkrcis-Licht  einem  die  Erde  umgebenden,  aus  sehr  kleinen 
Massentheilen  bestehenden  und  in  rellektirtem  Sonnenlicht  leuchtenden  Ringe, 
ähnlich  dem  Saturusringe,  entstamme:  aber  er  hatte  dieser  Hypothese  eine 
entscheidende  Durchführung  nicht  zu  geben  vermocht  Insbesondere  stellte 
sich  dem  Erklärungsversuche  von  Jones  die  Schwierigkeit  entgegen,  dafs  wäh- 
rend beim  Saturn  die  Ring- Ebene  sehr  nahe  mit  der  Ebene  seines  Aequators 
zusammenfällt,  der  Erd-Ring  eine  von  der  Ebene  de9  Erd -Aequators  ebenso 
stark  abweichende  Lage  haben  müfste,  wie  die  Ebene  der  Erdbahn. 

Was  ganz  erklärlich  und  natürlich  erschien,  wenn  der  Ring  zur  Sonne 
gehörte,  wurde  seltsam  und  unwahrscheinlich,  wenn  derselbe  die  Erde  umgab : 
Himer»!  und  Erde.  L 4.  |7 


230 


denn  die  Annahme,  durch  welche  wir  cs  uns  eimgürmafscu  deuten,  dass  die 
Hahn-Ebeno  unseres  Mondes  der  Ebene  der  Erdbahn  näher  liegt,  als  derjenigen 
des  Erd  - Aequators,  könnte  für  die  Lage  eines  dem  Saturnsringe  ähnlichen 
Ergebnisses  zahlreicher  centifrugaler  Ablösungen  kleinster  Massentheile  von 
der  Erde  schwerlich  Verwendung  finden. 

Auch  bedingten  manche  Einzelheiten  der  wohlverbürgten  Aufzeichnungen 
von  Jones  einen  so  grofsen  Abstand  eines  solchen  Erd-Ringes  von  seinem  Mittel- 
punkte, dafs  noch  andere  erhebliche  Bedenken  jener  Annahme  entgegentreten 
mussten. 

Was  Jones  am  unmittelbarsten  zu  seiner  Hypothese  Anlafs  gab,  war  die 
von  ihm  und  gleichzeitig  von  dein  deutschen  Astronomen  Brorsen  (um  18-H) 
gemachte  Entdeckung,  dafs  du  Thierkreis -Licht  nicht  blos  aus  solchen  nach 
oben  schmaler  verlaufenden  Lichtstreifen  besteht,  wie  unsere  Figur  darstellt, 
und  von  denen  der  eine  am  Abendhimmel,  der  andere  am  Morgenhimmel  sich 
ein  Stück  des  Thierkreises  entlang  erstreckend  gesehen  wird,  sondern  dass 
unter  besonders  günstigen  Bedingungen  den  ganzen  Thierkreis  entlang  vom 
Westhorizont  bis  zu  dem  gegenüberliegenden  Punkte  des  Osthorizontes  ein 
Lichtstreife n sichtbar  ist,  welcher  offenbar  die  beiden  am  Abcud-  und  am 
Morgen- Himmel  erscheinenden  Lichtflächen  verbindet,  viel  lichtschwächer  als 
diese  ist,  aber  in  der  Mitte  zwischen  ihnen,  nämlich  an  dem  der  Sonne  nahezu 
gegenüber  liegenden  Punkte  des  Himmels,  eine  Verstärkung  der  Helligkeit, 
den  sogenannten  Gegenschein,  erkennen  llfet 

Erwägt  man  dieses  vollständigere  Bild  der  ganzen  Erscheinung  in  Ver- 
bindung mit  den  Ergebnissen  der  Spektral- Analyse  ihres  Leuchten»  etwas  näher 
und  hält  mail  damit  alles  dasjenige  zusammen,  was  man  bis  jetzt  über  die 
Wirkung  der  abstofsonden  Richtkraft  der  Sonne  auf  die  Gashüllen  der  Kome- 
ten, sowie  über  die  Wirkung  der  magnetischen  Richtkraft  der  Erde  auf  das 
Material  der  Polar-Licht-Erscheinungen  bis  in  die  höchsten  Schichten  unserer 
Atmosphäre,  endlich  über  die  Erfüllung  dieser  Schichten  mit  den  Bestandtei- 
len der  daselbst  zerstiebenden  Sternschnuppen  schon  erkundet  hat,  so  baut 
sich  im  Geiste  das  Lu  fisch  lofs  einer  Hypothese  auf,  das  möglicherweise  in  dem 
holleren  Tageslichte  einer  noch  genaueren  Krgrüudung  des  Thierkreis-Lichies 
durch  Messung  und  Rechnung  wieder  zerfliefet,  aber  zur  Zeit  nicht  ohne  Be- 
rechtigung und  nicht  ohne  Interesse  ist. 

Jedenfalls  wird  man  zu  Gunsten  dieser  Hypothese  sagen  können,  dafs 
sie  geeignet  ist,  die  Erforschung  der  Erscheinung  neu  zu  beleben  und  dadurch 
einige  noch  sehr  fragwürdig«'  Punkte  derselben  aufklären  zu  helfen. 

Man  weifs  zunächst,  dafs  die  Sonne  nicht  blos  in  grösserer  Nähe,  son- 
dern bis  in  Entfernungen,  welche  ihren  Abstand  von  der  Erde  bedeutend  über- 
steigen, auf  die  Gase,  die  sich  aus  den  kleinsten  Theilen  der  Kometen -Keime 
unter  der  Sonnenwirkung  entwickeln,  eine  intensive  Abstofsungs-Kraft  ausiibt, 
und  dafs  unter  der  Wirkung  dieser  Kruft  und  der  sonstigen  die  Bewegungen 
eines  Kometen  regierenden  Kräfte  die  Bildung  des  Schweifes  und  die  Aus- 
breitung desselben  in  der  Bahn-Ebene  des  Kometen  stattßndet. 

Nach  den  neueren  Forschungen,  deren  Erfolge  man  vorzugsweise  Schia- 
parelli,  aber  auch  dem  nordamerikanischen  Astronom  Newton  verdankt, 
kann  man  kaum  daran  zweifeln,  dass  die  Sternschnuppen  — welche  alltäglich 
zu  vielen  Millionen  in  die  höchsten  Schichten  der  ganzen  Erdatmosphäre  ein- 
dringen  und  dort  infolge  der  Gegenwirkungen  der  letzteren  gegen  die  grofsen 
Geschwindigkeiten  ihres  Eindringens  erglühen  und  schliefeiieh  zerstieben  — 
Körperchen  von  ganz  derselben  Art  sind,  wie  die  kleinsten  Theile,  aus  denen 
die  Kometen  - Kerne  sich  zusammensotzen,  und  in  die  sich  die  letzteren  auch 


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in  manchen  Fällen  theilweise  oder  ganz  wieder  auflösen.  (Bekanntlich  nehmen  wir 
in  allen  Fällen,  in  denen  die  Erde  die  Nähe  einer  Kometen -Bahn  nicht  zu 
lange  vor  oder  nach  dem  Vorübergange  des  Kometen  selber  passirt,  ungewöhn- 
lich reiche  Sternsehnuppen-Erscheinungen  wahr.) 

Was  liegt  nun  näher  als  dio  Annahme,  dafs  die  Sonne  auf  die  kleinsten 
Theile  und  die  Gase,  welche  aus  dem  Zerstieben  solcher  Kometen -Materialien 
in  den  höchsten  Schichten  unserer  Atmosphäre  hervorgehen,  sowie  über- 
haupt auf  die  kleinsten  Theilchen  dieser  Schichten,  dieselbe  Art  von  Ab- 
stofsungs kraft  ausübt,  w'elcho  bei  den  Kometen  selber  die  Ausbreitung  von 
Schweifen  in  der  Bahn-Ebene  in  der  von  der  Sonne  abgewandten  Richtung 
hervorrufL 

Allerdings  liegt  die  Sache  in  einem  Punkt  bei  der  Erde  ganz  anders, 
als  bei  den  Kometen.  Die  Kerne  der  letzteren  äufsern  nämlich  selber  nur 
üusserst  kleine  Massen-Anziehungen,  wogegen  die  Anziehung  der  Erde  die  zu 
ihrer  Atmosphäre  gehörigen  oder  in  dieselbe  eingedrungenen  Massentheile 
mit  bedeutender  Kraft  an  sich  zu  fesseln  vermag. 

Eine  nicht  geringe  Anzahl  neuerer  Wahrnehmungen  legen  es  uns  aber 
nahe,  in  den  höchsten  Schichten  der  Atmosphäre  gewisse  im  Einzelnen  noch 
unerklärte  Bewegungs-Ursachen  und  gewisse  noch  räthselhafte  Gegenwirkungen 
gegen  die  blosse  Massen  - Anziehung  der  Erde  anzunehmen,  wodurch  jener 
Einwand  bedeutend  vermindert  werden  könnte. 

Es  sind  insbesondere  die  elektrischen  Zustände  der  höheren  Atmosphären- 
schichten, welche  hierbei  in  Frage  kommen. 

Dass  die  verhältnissmäfsig  so  schwache  Richtkraft  des  Erdmagnetismus 
bis  in  Höhen  von  mehreren  hundert  Kilometern  über  der  Erdoberfläche  die 
Polarlicht  - Krone  aus  kolossalen  Säulen  elektrischer  Lichterscheinungen  auf- 
baut — ein  Vorgang,  dessen  strenge  Gesetzmäfsigkeit  festgestellt,  aber  auch 
noch  nicht  befriedigend  erklärt  ist  — , würde  noch  nicht  gerade  unmittelbar 
beweisend  sein  für  die  Möglichkeit,  dafs  die  vorerwähnte  Abstofsungskraft, 
welche  die  Sonne  auf  die  kleinsten  Theilchen  kometarischen  Materials  aus- 
übt, auch  die  Theilchen  in  jenen  Schichten  der  Erdatmosphäre  aus  der  Wir- 
kungssphäre der  Massenanziehung  der  Erde  lösen  und  in  den  Weltenraum 
hinaustreiben  könne.  Aber  das  Vorhandensein  jener  zweifellos  dem  elektrischen 
Gebiete  im  weitesten  Sinne  angehörigen  Erscheinungen  in  solchen  Höhen  läfst 
jedenfalls  für  die  fraglichen  Sonnenwirkungen  Möglichkeiten  offen,  die  man 
nicht  durch  den  blofsen  Hinweis  auf  gewisse  Schwierigkeiten  der  Erklärung 
beseitigen  kann,  sondern  demnächst  auf  mannigfaltige  Weise  untersuchen  mufs. 

Aehnlich  wie  die  magnetische  Richtkraft  der  Erde  bis  in  gewisse  Höhen 
«len  Bau  der  Polarlicht-Säulen  bestimmt,  könnte  in  noch  größeren  Abständen 
von  der  Erdoberfläche  die  Richtkraft  der  Sonne,  aus  den  feinsten  Theilen  der 
höchsten  Atmosphären-Schichten  der  Erde,  theils  im  Zustande  eines  dem  Polar- 
licht entsprechenden  Glühens,  theils  außerhalb  des  Erdschattens  in  reflektir- 
tem  Sonnenlicht  leuchtend,  weit  ausgedehnte  Lichtstreifen  oder  Lichthüllen 
zartesten  Glanzes,  verwandt  mit  den  kometarischen  Phänomenen,  auf  der  von 
der  Sonne  abgewandten  Seite  der  Erde  in  der  Ebene  ihrer  Buhn  ausbreiten. 

Hierdurch  aber  würden  sich  manche  wesentlichen  Züge  des  Thierkreis- 
Lichtes  ziemlich  einfach  erklären  lassen. 

Insbesondere  wäre  der  Gegenschein  nichts  anderes  als  der  scheinbare 
Konvergenzpunkt  dieser  Lichthüllen  oder  Lichtstreifen,  deren  Mittellinie  oder 
Axe  die  nach  der  Nachtseite  verlängerte  Verbindungslinie  des  Sonnen-  und 
des  Erd-Mittelpunktes  bilden  würde. 

Die  Entstehung  einer  scheinbaren  Lichtanhäufung  in  einem  solchen  per- 

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spektivischen  Konvergenzpunkte  von  nahezu  gleichlaufenden  Lichtstreifen  ist 
ganz  ähnlich  dem  Erscheinen  einer  Art  von  Gegensonne,,  welche  man  infolge 
der  Zurückwerfung  der  Sonnenstrahlen  an  der  Wasserfläche  von  Alpenseen 
bei  zeitweise  besonders  grofser  Ruhe  und  Klarheit  der  Luft  in  derselben  Höhe 
wie  die  Sonne  und  gerade  gegenüber  derselben  wie  ein  mattes  Lichtwölkcben 
erblicken  kann. 

Wenn  man  aunimmt,  dafs  ein  rechtwinklig  zu  dieser  Mittellinie  um  den 
Mittelpunkt  der  Knie  beschriebener  und  die  Grenzschichten  der  Atmosphäre 
berührender  Kreis  die  Basis  bildet,  von  welcher  jene  Lichthüllen  ausgeben 
miifsten,  und  wenn  man  ferner  annimmt,  dafs  die  Sonne  ringsum  an  der  Pe- 
ripherie dieses  Kreises  Wirkungen  der  in  Rede  stehenden  Art  in  gleichmüfsiger 
Intensität  erzeugt,  würde  der  Verlauf  jener  Lichthüllen  die  Gestalt  einer  krois- 
formig-cylind rischen  oder  ein  wenig  konischen  Fläche  zeigen  müssen.  Sowohl 
wenn  die  aus  der  Erdatmosphäre  abgestofsenen  Ilcstamltheile  der  Lichthüllen 
bloa  mit  reflektirtem  Sonnenlicht  leuchten,  als  unter  der  Annahme,  dafs  zu- 
gleich die  Entwickelung  eines  gewissen  Selbstleuehtens  derselben  cintritt,  wie 
es  auch  in  ähnlichen  Fällen  bei  den  Kometon-Ph&notnenen  gemischt  mit  reflek- 
tirtem  Sonnenlicht  vorkommt,  würde  hieraus,  unter  Berücksichtigung  bekannter 
photometrischer  Gesichtspunkte  und  Erfahrungen,  abzulcitcn  sein,  dafs  die 
Erscheinung  für  den  Beobachter,  der  »ich  innerhalb  dieser  Lichthüllen  auf  der 
Nachtseite  der  Erde  befindet,  »ich  folgendermaßen  darstellen  müfste. 

In  dem  Gegenpunkt  zur  Sonno  müfste  die  grösste  Helligkeit  aufireten 
und  von  diesem  ausgehend  würde  sich  der  Lichtschein  mit  schnell  abnehmen- 
der Helligkeit  nach  allen  Seiten  gleichmäßig  ausbreiten,  was  aber  offenbar 
den  im  Eingänge  dieser  Mittheilungen  geschilderten  Besonderheiten  der  beob- 
achteten Erscheinung  nicht  entspricht. 

Es  ist  jedoch  zu  bedenken,  dafs  ähnlich  wie  bei  den  Sch  weif  bild  ungen 
der  Kometen,  die  Abstofsungs- Wirkungen  der  Sonne  auf  die  feinsten  Bestand- 
theile  der  oberen  Atmosphären-Schichten  in  Verbindung  mit  den  Bewegungen, 
welche  die  letzteren  vorher  in  ihrer  Zugehörigkeit  zur  Ei  de  empfangen  haben 
und  auch  weiterhin  infolge  der  gleichzeitig  seitens  der  Erde  und  der  Sonne 
noch  fortgehenden  Massenanziehung  erfahren,  eine  bedeutende  seitliche  Aus- 
breitung jener  Lichtstreifen  und  Lichthüllen  in  der  Bahnchene  der  Erde  her- 
vorbringen müssen.  Hiernach  wird  aber  die  Helligkeit  des  vorerwähnten  von 
dem  Gegenpunkt  zur  Sonne  sich  ausbreitenden  Lichtscheines  in  der  Nähe  des 
Thierkreises  in  der  That  ansehnlich  griifser  sein  müssen,  als  in  gröfsereii 
Abständen  vom  Thierkreise,  was  dann  mit  der  beobachteten  Erscheinung  in 
wesentlicher  Uoberoinstinimuiig  ist 

Wie  ist  aber  unter  jenen  Voraussetzungen  das  starke  Anw’achsen  der 
Helligkeit  des  Thierkreis -Lichtes  in  noch  gröfscren  Abständen  vom  Gegen- 
punkte, nämlich  gerade  am  Abendhimmel  und  am  Morgeuhimmel  zu  erklären, 
also  gerade  diejenige  Erscheinung,  welche  in  der  Figur  dargestellt  ist  und 
welche  friiherhin  ausschließlich  als  das  Thierkrois-Licht  bezeichnet  wurde? 

In  den  Abend-  und  in  den  Morgenstunden  ist  allerdings  der  Beobachter 
gerade  diesen  Gegenden  der  Lichthüllen  erheblich  näher,  als  er  sich  um  die 
Mitternachtsstunde,  wo  der  Gegenschein  seine  größte  Höhe  über  dem  Horizont 
erreicht,  den  diesen  Gegenschein  umgebenden  Theilen  des  Phänomens  befindet. 

Aber  dieser  Umstand  scheint  nach  photometrischen  Gesichtspunkten 
allein  zur  Erklärung  der  gröfscren  Helligkeit  der  Erscheinung  am  Atand* 
und  am  Morgeuhorizonte  nicht  Auszureichen. 

Indessen  verbindet  sich  hier  mit  den  obigen  Erklärung»  - Elemente:» 
ziemlich  zwanglos  die  Erwägung,  dafs  voraussichtlich  gerade  die  selbstleuch- 


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tenden  Theile  der  Lichthüllen  in  der  Nähe  der  Erde  eine  stärkere  Licht- 
Intensität  haben  werden  als  in  grofaeren  Abständen,  weil  die  irdischen  Zu- 
stände die  Ursache  ihres  Selbstleuchtens  enthalten. 

Aufserdera  kommt  hier  der  für  die  Erklärung  der  Lage  und  Gestalt- 
verhältnisse des  Lichtscheines  am  Morgen*  und  am  Abendhimmel  und  über- 
haupt für  die  Ausbreitung  des  Leuchtens  in  der  Nähe  dos  Thierkreises  recht 
wichtige  Gesichtspunkt  hinzu,  dafs  eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  für  eine 
stärkere  Entwickelung  solcher  selbstleuchtenden  Emanationen  in  gröfscren 
Abständen  von  den  Polen  der  Erde,  also  in  den  tropischen  Gegenden  slattfiudct. 

In  letzteren  Gegenden  fehlt  es  bekanntlich  fast  ganz  an  einer  Entwicke- 
lung polarlichtähnlicher  Erscheinungen,  weil,  wie  es  scheint,  die  elektrischen 
Zustände  in  den  höchsten  Atmosphären-Schichton  in  den  Polargegenden  für 
die  Hervorbildung  der  letzteren  bedeutend  günstiger  sind,  wogegen  dieselben 
Elektricitäts- Ansammlungen,  deren  Verlauf  in  den  Polargegenden  das  Erschei- 
nen der  Polarlichter  begünstigt,  in  den  obersten  Atmosphären-Schichton  der 
äquatorialen  Gegenden  der  Hervorbildung  von  Gegenwirkungen  gegen  die 
Massenanziehung  der  Erde,  also  der  Wirksamkeit  der  Abstofsungen  seitens 
der  liiehtkraft  der  Sonne  förderlich  sind. 

Wie  sich  nämlich  immer  deutlicher  herausstellt,  bestehen  in  den  oberen 
Atmosphären  - Schichten  jenseits  einer  Höhe  von  .r>0  km  Strömlings  - Be- 
wegungen in  Geschwindigkeiten,  welche  diejenigen  der  grüfsten  Stürme  an 
der  Erdoberfläche  beträchtlich  übersteigen,  und  nach  elektrischen  Theorien, 
welche  bereits  von  Farad  ay  ausgesprochen  sind,  müssen  alle  derartigen 
Gegcnbewcgungcu  gegen  die  Drehung  der  Erde  angesichts  der  magnetischen 
Wirkungen  der  letzteren  erhebliche  Elektrisirungs-Ersclieinungeii  zur  Folge 
haben,  welche  ihrerseits  die  vorerwähnten  Wirkungen  gerade  in  den  Aoqua- 
torial-Gegenden  befördern  würden. 

Mit  allen  oben  dargelegtcn  hypothetischen  Beziehungen  steht  nun  der 
Befund  der  Spektral-Analyse  hinsichtlich  der  Zusammensetzung  des  Thier- 
kreis-Lichtos  keinesfalls  in  Widerspruch,  vielmehr  in  manchen  Punkten  im 
auffallenden  Einklänge. 

Das  Spektroskop  hat  nämlich  enthüllt,  dafs  das  Thierkreis-Licht  thoils 
reflektirtes  Sonnenlicht,  thoils  Eigenlicht  von  dem  Charakter  elektrisch  glühen- 
der Gase  enthält,  noch  mehr,  dato  sogar  der  hervorstechendste  Zug  dieses 
Eigenlichtes  mit  einem  der  am  ausnahmslosesten  vorhandenen  und  stets  am 
hellsten  entwickelten  Spektral- Charaktere  des  Polarlichtes  in  Uebereinsltm- 
mung  ist. 

Diesem  Befunde  würde  es  auch  entsprechen,  wenn  zwischen  den  perio- 
dischen Schwankungen  der  Intensität  des  Thierkreis-Lichtes  und  den  periodi- 
schen Schwankungen  der  Sonnen -Zustände  eine  Beziehung  existirte,  wie  sie 
zwischen  letzteren  Zuständen  und  den  periodischen  Schwankungen  der  Inten- 
sität der  Polarlicht -Erscheinungen  bereits  sicher  konstatirt  ist.  In  neuester 
Zeit  liegt  eine  derartig«;  Untersuchung  über  das  Thierkreis  - Licht  vor,  welche 
behauptet,  eine  Beziehung  zwischen  einer  Periode  der  Intensitäts-Schwankungen 
desselben  und  der  Periode  der  Sonnnonflecken  gefunden  zu  haben,  aber  kaum 
als  beweiskräftig  genug  gelten  kann.  Merkwürdig  ist  es  aber,  dafs  schon  im 
17.  Jahrhundert  der  Pariser  Astronom  Cassini,  einer  der  ersten  und  eifrigsten 
Beobachter  des  Thiorkreis- Lichtes,  auf  einen  derartigen  Zusammenhang  der 
jeweiligen  Intensität  dieses  Lichtes  mit  den  Sonnenflecken-Erscheinungen  auf- 
merksam geworden  ist. 

Ich  glaube,  dafs  es  vorläufig  genügen  wird,  auf  obige  Zusammenhänge 
hingewiesen  zu  haben,  um  die  Beobachtung  dieser  wichtigen  Erscheinung  neu 


234_ 

beleben  zu  helfen.  Eine  vollständige  mathematisch-physikalische  Durchbildung 
obiger  noch  »ehr  unentwickelter  Gedanken  ist  zur  Zeit  noch  nicht  möglich, 
weil  wir  uns  in  betreff  der  Zustände  in  den  obersten  Schichten  der  Erdatme  - 
Sphäre  gerade  in  einem  überaus  anziehenden  Stadium  der  Forschung» -Ent- 
wickelung befinden,  in  welchem  jeder  Tag  Neues  bringt,  aber  noch  zu  wenig 
feste  Anhaltspunkte  für  eine  eigentliche  Theorie  gegeben  sind. 

Dafa  man  bei  andern  Planeten,  auch  bei  den  Sonnennähen  und  sicher 
von  einer  Atmosphäre  umhüllten,  wie  Venus,  nicht  Aehnliches,  wie  unser 
Thierkreis-Licht  nach  obiger  Hypothese  sein  würde,  wahmimmt,  kann  man 
leicht  dadurch  erklären,  dafs  so  zarte  Lichterscheinungen  durch  die  gleich- 
zeitigt« Wahrnehmung  des  von  jenen  Himmelskörpern  reflektirten  Sonnenlichtes 
für  uns  vollständig  verdeckt  werden  können. 

Was  scltliefslich  die  im  Eingänge  erwähnte  Mitwirkung  bei  der  Beobach- 
tung des  Thierkrois-Lichtes  angcht,  so  würde,  wio  dort  schon  angedeutet,  diese 
gerade  von  Seiten  der  Laien  sehr  wünscheuswertho  und  »ehr  wohl  mögliche 
Mitarbeiterschaft  in  einfachen  Aufzeichnungen  der  von  ihnen  entweder  am 
Morgen-  oder  am  Abendhiraxncl  gesehenen  Umrisse  des  in  unserer  Figur  dar- 
gestellten  Leuchten»  mit  Eintragung  derselben  in  eine  leidlich  gute  Sternkarte 
und  sodann  in  den  mittleren  Nachtstunden  darin  bestehen,  dafs  man  in  der 
Nähe  des  Gegenpunkte»  zur  Sonne  und  auf  beiden  Seiten  desselben  in  der 
Richtung  des  Thierkreis-Verlaufes  auf  das  Erscheinen  von  matten  unbestimmt 
begrenzten  Lichtllächen  achtet  und  dieselben  ebenfalls  mittels  der  Sternkarte 
zu  fixiren  sucht. 

Die  jeweilige  Lage  diese»  Gegenpunktes  und  des  an  denselben  an- 
schlicfacndcn  Verlaufes  des  Thierkrcises  wird  inan  mit  Hilfe  der  Sternkarten, 
welche  diesen  Verlauf  meistens  angeben,  leicht  feststellen  können.  Für  die 
Auffindung  der  ungefähren  Lage  des  Gegenpunktes  im  Thierkroise  enthalten 
ilie  gewöhnlichen  Kalender  wohl  genügende  Anhaltspunkte;  auch  kann  er 
dadurch  bestimmt  werden,  dafs  er  etwa  die  Mitte  entnimmt  zwischen  den- 
jenigen Thierkreisbildern,  welche  jeweilig  bald  nach  Sonnenuntergang  in  der 
Nahe  des  West- Horizontes,  und  denjenigen,  welche  kurz  vor  Sonnenaufgang 
in  der  Nähe  des  Ost- Horizontes  sichtbar  sind.1) 

f 


Das  Polarlicht 

Von  Dr.  B.  Weinstein,  Privatdozent  in  Berlin. 

lieber  das , wohl  manchem  unserer  Leser  aus  eigener  Anschauung 
bekannte,  Polarlicht  ist  schon  viel  gesprochen  und  geschrieben  worden;  fast 
jede«  Land  hat  eino  Reihe  bedeutender  Abhandlungen  oder  umfangreiche 
Werke  über  dasselbe  aufzuweisen.  Indessen  ist  unser  Wissen  von  dieser 
merkwürdigen  Erscheinung  noch  hei  weitem  nicht  als  abgeschlossen  zu 
betrachten,  weder  die  Gesetze  derselben  noch  selbst  ihr  Verlauf  in  den  einzelnen 
Phasen  ihrer  Entwickelung  ist  uns  vollständig  bekannt.  Unter  solchen  Ver- 
hältnissen ist  cs  gut,  wenn  von  Zeit  zu  Zeit  das  neu  erfahrene  mit  dem  bereits 

■>  Wahrend  wir  soeben  diesen  Artikel  dem  Drucke  Überleben,  erhält  dio  RedakUoo  eia 
Schreiben  de«  Herrn  Sherman  in  UalUmnre.  in  welchem  derselbe  Mitthoilung  von  «ingeben* 
den  rntcrxuchungen  über  dag  Zodiakal- Dicht  macht  und  ein  Diagramm  beifügt,  das  den  Zu« 
Mammenhang  der  Hclliffkeitxschwaakungen  dieses  Dichte»  und  der  IläuJigkeit  der  Sonnen  fleck«- 
deutlich  zeigt.  Die  Redaktion  Rieht  sich  der  Hoffnung  hin,  von  genanntem  Herrn  dunmilchsi 
Naher«!«  Ober  dies«  interessanten  tn  Versuchungen  zu  erfahren. 


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bekannten  zusammengestellt  und  verglichen  wird,  denn,  wie  in  so  vielen 
andern  Gebieten  der  Naturwissenschaft  lassen  sich  auch  hier  eine  grobe* 
Menge  von  Hypothesen  über  das  Wesen  der  Erscheinung  aufstellen,  und  wir 
können  kaum  anders  zur  Klarheit  gelangen,  als  indem  wir  an  der  Hand  stets 
neuer  und  neuerer  Erfahrungen,  die  vielen  Ansichten  eine  nach  der  andern 
prüfen,  um  die  Zahl  derselben  nach  und  nach  zu  verringern.  Eine  solche 
neue  Uebersicht  dürfte  aber  gerade  jetzt  am  Platze  sein,  wo  die  schönen 
Arbeiten  von  Wolflf,  Fritz  und  Tromholt  über  die  Perioden  des  Polarlichts, 
die  prächtigen  und  in  ihrer  Art  einzigen  Beobachtungen  Nordenskjölds  auf 
der  Vega  in  der  Nähe  der  Beringstrafse,  Kochs,  des  Beobachters  der  deutschen 
Polar-Expedition  in  Labrador  und  Lemströms  im  nördlichen  Finnland  eine 
ungeahnte  Fülle  neuer  Thatsachen  an  den  Tag  gebracht  haben  und  Hoffnung 
gewahren,  daf9  wir  doch  endlich  auch  hier  die  Natur  des  Schleiers,  wenigstens 
theilweise,  werden  berauben  können. 

Früher  war  in  unsern  Breiten  für  diese  Erscheinung  der  Name  Nord- 
licht üblich,  weil  dieselbe  für  uns  vornehmlich  am  nördlichen  Horizont  auftritt. 
Da  jedoch  derartige  Lichter  auch  auf  der  südlichen  Halbkugel  und  zwar 
zumeist  im  Süden  erscheinen  und  dieselben  andererseits  selbst  bei  uns  nicht 
immer  auf  den  Nordhimmel  beschränkt  sind,  ist  der  Name  Polarlicht  besser, 
wenngleich  auch  nicht  ganz  zutreffend. 

Die  Erscheinung  beginnt  bei  uns  meist  mit  einer,  in  unsern  Breiten  der 
Hegel  nach  im  Nordwesten,  am  Horizont  aufsteigenden,  oben  kreisbogenförmig 
begrenzten  dunklen  Wand,  welche  als  das  dunkle  Segment  bezeichnet 
wird  und  wahrscheinlich  auf  einer  später  genauer  darzulogenden  Kontrast- 
wirkung beruht  Schon  während  dos  Aufsteigcns  oder  bald  nachher  zeigt 
sich  der  obere  Rand  des  Segments  leuchtend,  und  es  bildet  sich  an  demselben 
ein  vollständiger,  nach  innen  scharf  begrenzter,  nach  aufsen  etwas  ver- 
waschener, mehr  oder  weniger  breiter  Lichtbogen  von  gelblichem  Farbenton, 
unten  roth,  oben  grün  gesäumt.  Nun  schiefsen  aus  dem  Bogen  Strahlen  her- 
vor und  vereinigen  sich  allmählich  bei  voller  Entwickelung  anscheinend  in 
einem  Punkte  südöstlich  vom  Scheitel  des  Beobachters  zu  einer  blutrothen 
Krone.  Der  Vereinigungspunkt  fällt  meist  in  denjenigen  Punkt  des  Himmels, 
nach  welchem  das  obere  Ende  einer  frei  aufgehängten  Magnetnadel  an  dem 
betreffenden  Orte  hinweist,  in  den  magnetischen  Scheitelpunkt  des  Ortes, 
oder  doch  nicht  w’eit  davon.  Oft  gesellt  sich  zu  dem  Bogen  iin  Nordwesten 
des  Himmels  noch  ein  zweiter  im  Südosten,  wir  haben  dann  ein  Nordlicht 
und  ein  Südlicht,  und  es  streben  die  Strahlen  der  beiden  Lichter  nach  dem- 
selben Punkt,  wieder  dem  magnetischen  Zenith.  Es  scheint  dann  der  ganze 
Himmel  von  Lichtsäulen  gebildet  zu  sein,  die  sich  zu  einem  Zelt  anorduen; 
die  Spitze  dos  Zeltes  nimmt  die  Krone  ein,  und  erglänzt  oft  in  so  wunder- 
barer Pracht,  dafsdie  Beobachter  nicht  Worte  genug  sie  zu  preisen  finden,  sie 
auch  wohl  wegen  des  goheimnifsvollen  Glanzes,  der  sie  umgiebt,  das  Iliminels- 
auge  nennen,  und  sich  nicht  selten  in  den  poetischsten  Ergüssen  bei  ihrer  Er- 
wähnung ergehen.  Häufig  steigen,  ohne  dal's  sich  ein  besonderes  Südlicht 
zeigt,  von  verschiedenen  Punkten  rings  um  den  Horizont  besondere  Licht- 
säulen auf,  die  zusammen  mit  den  vom  Bogen  hervorgegangenen  wieder  ein 
tlammendes  Zelt  darstellen.  So  kann  der  Himmel  mehr  oder  weniger  von 
Lichtsäulen  erfüllt  erscheinen.  Dein  entsprechend  ist  auch  die  Krone  bald 
vollständig  nach  allen  Seiten  begrenzt,  bald  von  Lücken  durchbrochen  oder 
gar  nur  zur  Hälfte  vorhanden.  Dio  Mitte  der  Krone  ist  meist  von  Licht  gänz- 
lich frei  und  gewährt  den  Eindruck,  als  ob  inan  durch  die  Spitze  des  flam- 
menden Zeltes  in  die  nächtliche  Dunkelheit  hinausblickt. 


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•236 


1 


Mit  dt»r  Ausbildung  der  Krone  lut  die  Erscheinung  den  Höhepunkt 
ihrer  Entwickelung  erreicht;  allmählich  beginnen  jetzt  die  Strahlon  zu  ver- 
blassen, die  Umrisse  werden  verschwommen,  und  zuletzt  ist  von  der  ganzen 
Erscheinung  nichts  übrig  geblieben,  als  ein  allgemeines  röthlichcs  oder  grün- 
lich-gelbes Leuchten  des  Himmels,  welches  auch  nach  und  nach  abklingt. 
Nicht  immer  ist  damit  auch  die  ganze  Erscheinung  abgeschlossen,  oft  erwacht 
das  Polarlicht  unmittelbar  zu  neuer  Thätigkcit,  bildet  wieder  Bogen,  Strahlen 
und  Krone,  und  so  setzt  sich  das  Spiel  des  Entstehens  und  Vergehens  mit 
kurzen  Unterbrechungen  viele  Stunden,  ja  viele  Tage  lang  fort 

Das  sind  die  Hauptzüge  iu  der  Entw*ickelung  des  Polarlichts.  Sie 
kehren  mit  einer  gewissen  Gleichförmigkeit  immer  wieder;  in  den  Einzelheiten 
herrscht  aber  eino  so  außerordentliche  Mannigfaltigkeit,  daß  nur  die  Arbeit 
vieler  Hunderte  von  Beobachtern  und  in  den  verschiedensten  Zonen  uns  ein 
einigermaßen  vollständiges  Bild  von  dem  Reichthum  an  Formen,  Bewegungen 
und  Farben  in  den  Polarlichtern  hat  gewähren  können. 


Fig.  1. 


Der  Hauptheil  der  Erscheinung  Hind  die  Lichtbogen  mit  den  zugehörigen 
Strahlen;  sie  entstehen  nicht  immer  als  Begrenzungen  der  dunklen  Segmente; 
steigen  besondere  Lichtsäulen  empor,  so  können,  indem  zwei  von  ihnen  sich  ver- 
einigen oder  eine  Lirhtaäule  den  ganzen  Himmel  überzieht,  neue  Bogen  gebildet 
werden,  und  oft  zerlegen  sich  bereits  bestehende  Bogen  scheinbar  iu  2 oder 
Bogen.  So  können  unter  Umstäuden  bis  zu  Ö und  mehr  Bogen  den  Himmel 


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‘287 


überspannen.  Koch,  dessen  Beschreibungen  der  Polarlichter,  die  derselbe 
während  der  internationalen  Polarexpcdition  rn  Nain  in  Labrador  beobachtet 
hat,  zu  den  schönsten  und  eingehendsten  Darlegungen  und  Resultaten  über 
unser  Phänomen  führen,  hat  diese  Entstehung  von  Bogen  und  Liehtsäulen 
und  diese  Zerspaltung  einzelner  Bogen  in  mehrere,  oft  genug  wahrgenommen, 
er  hat  aber  auch  bemerkt,  dafs  manchmal  zwei  Bogen  wieder  in  einen  Bogen 
übergehen,  wie  über  ein  Jahrhundert  vor  ihm  der  bekannte  schwedische 
Forscher  Celsius.  Sind  am  Himmel  mehrere  Bogen  vorhanden,  so  können 
dieselben  von  verschiedenen  Punkten  des  Himmels  ausgehen  und  in  ver- 
schiedenen Punkten  desselben  enden,  sie  theilen  dann  den  Himmel  in  Parallel- 
streifon  (Fig.  1)  ; oft  aber  besitzen  alle  oder  einzelne  Gruppen  gleichen  Ausgangs- 
und Endpunkt,  so  dafe  sie  sich  am  Horizont  zu  durchschneiden  scheinen.  Nor- 
denskjöld  hat  auch  Bogen  beobachtet,  welche  von  derselben  Stelle  am  Horizont 
ausgingen  aber  nach  entgegengesetzten  Seiten  den  Himmel  überspannten,  und 
I^emström  hat  Bogen  mitten  am  Himmel  sieh  scheinbar  durchkreuzen  sehen. 
Die  Bogen  sind  auch  nicht  immer  vollständig,  sie  brechen  manchmal  plötzlich 


ab,  und  nicht  selten  scheint  ein  Bogeustiick  überhaupt  frei  in  der  Luft  zu 
schweben,  indem  es  nach  keiner  Seite  den  Horizont  berührt.  Solche  Stücke 
von  Bogen  treten  namentlich  beim  Zerfall  des  Polarlichts  nach  Ueberschreitung 
der  Stufe  höchster  Entwickelung  auf  und  bringen  den  Eindruck  hervor,  als 
ob  die  Erscheinung  gewaltsam  zerstört  und  in  einzelne  Fetzen  zerrissen  wäre. 
Die  Bogen  haben  meist  die  Gestalt  von  Kreisabschnitten,  man  bemerkt  jedoch 
eine  grofse  Wandelbarkeit  der  Formen.  Einige  sind  elliptisch  gestaltet,  andere 
biegen  sich  in  der  Nähe  des  Horizonts  nach  innen  ein,  um  dann  wieder  nach 
aufsen  zu  gehen  (Fig.  2).  Es  sind  auch  vollständige  Ringe  von  Kreis-  oder 
Ellipsenform  beobachtet  worden.  Solche  Ringe  stellt  unsere  Fig.  8 dar; 
hier  deutet  freilich  die  schweifartige  Lichtentwickelung  nach  dem  Horizonte 
darauf  hin,  dafs  wir  es  nicht  wirklich,  sondern  nur  scheinbar  mit  geschlossenen 
Figuren  zu  thuu  haben.  Während  der  gewaltigen  Polarlichtentwickelungen 


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239 


Kegen  Ende  August  und  Anfang  September  des  Jahres  1859  ist  aber  auch 
einmal  ein  völlig  frei  schwebender  Lichtring  von  Howe  in  Halifax  gesehen 
worden,  es  soll  derselbe  aus  der  Vereinigung  zweier  Lichtbogen  entstanden 
sein.  Vor  Celsius  Augon  spaltete  sich  ein  Bogen  in  zwei  Theile,  welche 
auseinandergiugen  und  sich  zu  einem  Ringe  vereinigten,  der  sich  oscillirend 
stetig  verengte.  Derselbe  Forscher  sah  auch  eine  einfache  Lichtsäule  sich  zu 
einem  Ringe  zusammenkrilmmen.  In  andern  Fällen  wieder  beobachtet  man 
Lichtbogen  sich  ganz  oder  an  einem  Endo  spiralig  aufwinden  (Fig.  4),  in 
vielfachen  schlangenartigen  Krümmungen  hin  und  hergehen  oder  sich  zu 
prachtvollen,  völlig  frei  schwebenden  Schleifen  gestalten. 

Sind  dio  Lichtbogen  breit,  so  machen  sio  mehr  den  Eindruck  von  Vor- 
hängen, Mänteln  und  Draperien,  sie  zeigen  dann  häufig  Falten,  scheinen 
wirklich  vom  Himmel  herabzuhängen  und  gehören  mit  zu  den  schönsten 
Erscheinungen  des  Polarlichts  (Fig.  *2). 


Fig.  4. 


Die  Bogen  bieten  oft  den  Anblick  einor  stetig  zusammenhängenden 
Lichtbrücko;  gehen  sie  in  Draperien  über,  so  ist  dio  strahlige  Struktur  der- 
selben meist  unverkennbar;  aber  auch  einfacho  Bogen  zeigen  an  einzelnen 
Stellen  oder  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung,  dafs  sie  eigentlich  aus  sich  anein- 
ander reihenden  Lichtsäulcn  gebildet  sind,  und  oft  sind  dieso  Lichtsäulen  von 
einander  so  scharf  getrennt,  dafs  die  Zwischenräume  zwischen  ihnen  tief 
dunkel  erscheinen  und  zu  der  Annahme  schwarzer  Strahlen  geführt  haben. 


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240 


I 


Ganz  wunderbare  Bildungen  hat  zweimal  Celsius  zu  beobachten  Gelegenheit 
gehabt.  Am  19,  Februar  1731  sah  derselbe  eine  kreisförmige  Lichtanhäufung 
im  Zen itli  und  von  dieser  einen  leuchtenden  Schweif  in  mannigfachen  Win- 
dungen dem  Horizont  zustreben.  Die  Erscheinung  hielt  sich  etwa  eine  halbe 
Stunde  und  schwand  dann  nach  Norden  hin.  Einige  Wochen  später,  am 
3.  März,  erschien  eine  Reihe  concentrischer  Ringe,  die  längere  Zeit  flammend 
und  undulirend  Uber  dem  Scheitel  des  Beobachters  standen. 

Es  ist  sehr  schwor,  in  dio  grofse  Mannigfaltigkeit  von  Formen  Systpm 
zu  bringen,  denn  du  wir,  wie  später  genauer  darzulegen  sein  wird,  ja  nicht 
die  Erscheinungen  so  sehen,  wie  sie  wirklich  sind,  sondern  nur  so,  wie  sie  sieb 
um  Himmel  projiciren,  kann  ein  und  dasselbe  Gebilde  je  nach  seiner  Stellung 
zuin  Beobachter  die  aUerverschiedcnsten  Gestalten  annehmen.  So  kann  ein 
Kreisring  bald  iu  seiner  eigentlichen  Gestalt,  bald  als  Ellipse  oder  gar  gerade 
Linie  erscheinen,  und  eine  gewöhnliche  (pfropfenzieherartige)  Spirale  den  An- 
blick einer  flachen  in  sich  aufgerollten  Spirale  oder  einer  Schleife  oder  eines 
verbogenen  Bandes  oder  einer  schlaugenartigen  Figur  und  seihst  den  eines  Ringes 
gewähren.  Daraus  erklärt  sich,  weshalb  die  Beschreibungen  getrennter  Be- 
obachter bei  einem  und  demselben  Polarlicht  immer  nur  in  den  grofson  Zügen 
iibereinstimmen,  in  den  Einzelheiten  aber  bedeutende  Abweichungen  aufweisen 
können.  Aber  auch  die  geographische  Lage  des  Ortes  scheint  für  die  Ge- 
staltung des  Polarlichts  bestimmend  zu  sein;  in  der  eigentlichen  Ilcimath  der 
Polarlichter  ist  der  Forinenreichthum  viel  größer  als  bei  uns,  und  manche  von 
Nordpolfahrern  geschilderten  Gebilde  sind  so  abenteuerlich,  daß  wir,  weil  sie 
in  niederen  Breiten  nicht  auftreten,  sie  für  der  Phantasie  entsprungen  zu 
halten  geneigt  sind. 

Payer  hat  den  Versuch  gemacht,  die  versc  hiedenen  Formen  der  Polar- 
lichter zu  klassiflziren;  wir  sind  seiner  Bezeichnungsweise  im  vorstehenden 
größtenlhcils  gefolgt.  Dünn  glaubte  Nordcnskjöld,  die  nördliche  Halbkugel 
wenigstens  in  Zonen  cintheilen  zu  können,  innerhalb  deren  gewisse  Formen  sich 
ganz  besonders  zeigen  sollen.  Er  nimmt  .r>  derartige  Zonen  an,  die  wir  an 
anderer  Stelle  noch  zu  betrachten  haben  werden. 

Der  Mannigfaltigkeit  in  den  Formen  entspricht  eine  ebenso  grofse  Viel- 
seitigkeit hinsichtlich  der  Bewegungen.  Neben  einfachen  Translationen  von 
Strahlen  und  ganzen  Bogen  finden  wir  Drehungen  und  Oscillatiouen,  welche 
bald  ein  ganzes  Gebilde  als  solches  ergreifen,  bald  sich  nur  auf  einzelne  Thoile 
erstrecken;  oft  auch  sicht  man  am  Himmel  Wellensysteme  sich  fort  pflanzen 
und  die  Bogen,  Strahlen  und  Draperien  durchziehen. 

Die  am  längsten  bekannte  Bewegung  besteht  in  dem  Aufsteigen  des 
dunklen  Segments  und  mit  ihm  des  Bogens  über  dem  Horizont.  Es  kann 
dieses  Aufsteigen  so  langsam  vor  sich  gehen,  dafs  der  Bogen  am  Himmel 
fcstzuslehen  scheint.  Dann  ist  beobachtet  worden,  wie  manchmal  ein  Bogen 
sich  quer  zu  »einer  Ebene  am  Himmel  vor  und  zuriickschiebt.  Geht  ein 
solcher  Bogen  durch  den  magnetischen  Zenith,  dann  findet  meist  eine  Kronen- 
bilduug  statt,  indem  zugleich  die  Zusammensetzung  des  Bogens  uus  Lichtsäulen 
klar  hervortritt.  Ein  Bogen  kann  sich  über  den  Himmel  auch  noch  in  der 
Weise  schieben,  dafs  seine  Fufspunkle  auf  dem  Horizonte  fest  aufzuruhen 
scheinen;  er  dreht  sich  wie  um  ein  Charnier  und  kann  so  den  ganzen  Himmel 
durvhluufen,  wobei  wieder  beim  Durchgang  durch  den  magnetischen  Zeuith  iu 
der  Regel  eine  Krone  hervortritt.  Derartige  Hin-  und  Ilerschicbungen  und  Vor- 
und  Rückdrehungen  von  Bogen  hat  Koch  in  Naiu  (Labrador)  und  Celsius  iu 
Schweden  außerordentlich  oft  beobachtet,  nicht  selten  trat  der  Fall  ein,  dafs 
mehrere  Bogen  gleichzeitig  sich  verschoben  und  drehten  und  ein  Bogen  mehr- 


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241 


mals  den  Himmel  hin  und  zurück  durchquerte  und  so  bald  dem  südlichen, 
bald  dem  nördlichen  Firmament  angehörte.  In  unsern  Breiten  scheinen  diese 
ins  Gewaltige  gehenden  Translationen  und  Drehungen  seltener  bemerkt  zu  sein, 
sie  sind  aber  bei  grofsen  Polarlichtentfaltungen  auch  hier  gesehen  worden. 
Kino  andere  Bewegungsart  ist  während  des  grofsen  Polarlichts  von  1859  mehr- 
fach beobachtet  worden;  man  sah  Bogen  in  ihrer  eigenen  Ebene  hin  und 
her  gehen,  so  dafs  ihr  Scheitel  um  eine  gewisse  Mittellage  zu  oscilliren  schien. 

Diese  Bewegungen  betreffen  die  Bogen  als  solche,  wobei  letztere  sich  wie 
starre  Gebilde  verhalten,  und  dürfte  vornehmlich  in  den  nördlicheren  Regionen 
Vorkommen.  Die  Bewegungen  innerhalb  der  Bogen  selbst  werden  überall  ge- 
sehen, sie  lassen  dieselben  wie  elastische  Bänder  erscheinen,  welche  von 
Wellen  durchlaufen  werden.  Irgend  wo  in  einem  Bogen  zeigt  sich  eine  Licht- 
vermehrung, und  diese  lauft  mit  grofser  Geschwindigkeit  durch  den  Bogen 
nach  der  einen  oder  andern  Seite.  Eine  besondere  Richtung  für  diese  Wellen- 
bewegung ist  nicht  herauszuerkennen,  sie  geht  bald  nach  rechts  bald  nach 
links,  wenngleich  an  manchen  Abenden  eine  Richtung  bevorzugt  zu  werden 
scheint.  So  sah  man  bei  dem  Polarlicht  vom  ersten  zum  zweiten  Sep- 
tember 1859  in  Nordamerika  und  den  Antillen  die  Bewegungen  eine  ganze 
Zeit  lang  von  West  nach  Ost  gehen,  dann  aber  ihre  Richtung  ändern  und  von 
Ost  nach  West  forteilcn,  während  aus  Südamerika  in  dem  dort  beobachteten 
Südlicht  nur  Bewegungen  von  Ost  nach  West  erwähnt  werden.  Wie  aber 
auch  die  Richtung  dieser  Wellen  sein  mag,  immer  ist  eine  Welle  an  ihrer 
vorschreitenden  Seite  roth,  an  ihrer  nachfolgenden  grün  gefärbt.  — Auf  diese 
Konstanz  der  Farbenorientirung  sowohl  in  Bezug  auf  die  Säume  der  Bogen 
als  in  Bezug  auf  die  Wellen  hat  Humboldt  grobes  Gewicht  gelegt,  und  sie 
wird  vielleicht  später  zur  Einsicht  in  das  Wesen  der  Polarlichter  beitragen. 

Nach  der  Beschreibung  der  meisten  Beobachter  scheint  es  sich  hier  nur 
um  die  Fortpflanzung  einer  Lichtvermehrung  zu  handeln,  aus  manchen  An- 
gaben könnte  man  schliefsen,  dafs  auch  wirkliche  Faltungen  in  dieser  Weise 
die  Bogen  durcheilen. 

Entsprechende  Bewegungen  finden  wir  bei  den  Strahlen  und  Lichtsäulen. 
Manche  Strahlon  steigen  von  einem  Bogen  oder  vom  freien  Horizont  so  rasch 
empor,  dafs  die  Bezeichnung  emporsch ie  fsen  sehr  wohl  am  Platze  ist;  sah 
doch  Bravais  einmal  einen  Strahl  in  weniger  als  einer  halben  Minute  den 
halben  Himmel  durchqueren,  und  Celsius  sagt,  dafs  man  den  Strahlenbewegungen 
oft  durchaus  nicht  zu  folgen  vermöge.  Andere  fahren  pendelnd  hin  und  her 
und  drehen  sich  um  gewisse  Punkte,  und  indem  ihre  einzelnen  Stellen  nach 
einander  aufleuchten  und  dunkeln,  gewähren  die  Strahlen  den  Anblick 
zuckender  und  lodernder  Flammen.  Lemström  hat  in  Lappland  Lichtan- 
häufungen heobachtet,  die  ganz  und  gar  einer  wild  bewegten  Feuersbrunst  zu 
vergleichen  sind. 

Der  Eindruck,  welchen  diese  und  ähnliche  Bewegungen  auf  den  Be- 
schauer machen,  wird  noch  dadurch  erhöht,  dafs  dieselben  häufig  mit  beson- 
deren Fonnveränderungen  verbunden  sind.  Ergreift  eine  Bewegung  ein 
ganzes  Gebilde,  so  kann  es  dasselbe  zu  dem  Beobachter  in  eine  neue  Lage 
bringen,  es  wird  ihm  gewissermafsen  von  einer  andern  Seite  gezeigt,  und  so 
wird  scheinbar  eine  eingreifende  Umgestaltung  oft  in  so  kurzer  Zeit  vollzogen, 
dafs  das  Auge  der  scheinbaren  Formänderung  kaum  zu  folgen  vermag. 
Natürlich  können  aber  auch  wirkliche  Formveränderungen  Vorgehen,  gerade 
Lichtsäulen  krümmen  sich  und  nehmen  Schlangengestalt  an,  Bogen  reiben 
und  rollen  sich  zu  Spiralen  oder  Ringen  auf.  Diese  mannigfachen  Bewegungen, 
das  Durcheinanderfahren  der  einzelnen  Gebilde,  die  mächtigen  Lichtpulsationen 


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und  momentanen,  oft  mit  Zerstörung  ganzer  Glieder  verbundenen  Formver- 
änderungen  haben  wohl  vornehmlich  Veranlassung  zu  der  Annahme  der 
eigenthümlichen  Spukgestalten  gegeben,  welche  die  Alten  und  unsere  Vorfahren 
in  den  Polarlichtern  zu  erblicken  vermeinten.  Die  Römer  sahen  Waffen  hin- 
und  herzucken  und  Kampfer  in  wilder  Schlacht  sich  gegenseitig  niedermetzeln, 
und  die  nordischen  Germanen  glaubten  die  Walküren  auf  glühenden  Rossen 
von  Walhall  hervorstürmen  zu  sehen,  um  Wotans  Saal  mit  Helden  zu  füllen. 
Noch  im  Anfang  des  17.  Jahrhunderts  beschreibt  ein  französischer  Kdelmann 
zwei  von  ihm  am  13.  und  Io.  September  1606  beobachtete  I’olarlichter  so,  als 
ob  cs  sieh  um  einen  blutigen  Kampf  am  Himmel  gehandelt  hätte.  Da  werden 
Reiter  als  gegen  einander  fechtend  erwähnt;  der  stürzt,  sucht  sich  zu  erheben 
und  wird  wieder  niedergeschlagen.  Lanzen  und  Piken  fahren  gegeneinander, 
und  Schlachtwagen  und  Kämpfer  bilden  ein  verwirrendes  und  unentwirrbares 
Durcheinander. 

Ob  alle  diese  so  gewaltigen  Bewegungen  mit  irgend  welchen  hörbaren 
Geräuschen  verbunden  sind,  oder  ganz  lautlos  vor  sich  gehen,  ist  nicht  aus- 
gemacht. Celsius  erwähnt  in  seinen  Beobachtungen  sehr  oft  ein  Summen. 
Zischen  oder  ein  Rauschen  wie  das  eines  Gebirgsbaches  gehört  zu  haben, 
und  auch  von  vielen  Seefahrern  und  Reisenden  werden  mannigfache  Geräusche 
während  der  einzelnen  Bewegungen  hervorgehoben.  Aber  weit  grüfser  ist  die 
Zahl  derer,  welche  trotz  gespanntester  Aufmerksamkeit  niemals  irgend  einen 
Ton  vernommen  haben,  der  dem  Polarlicht  selbst  unzweifelhaft  zugeschrieben 
werden  könnte.  Humboldt  meint,  die  Polarlichter  seien  schweigsamer  geworden, 
seitdem  man  sie  genauer  beobachte  und  belausche.  Täuschungen  sind  ja  hier 
aufserordentlich  leicht,  denn  jedes  Geräusch,  welches  zufällig  eine  Bewegung 
einer  Polarlichtsäule  begleitet,  wird  ganz  natürlich,  da  alte  Sinne  ganz  auf 
die  besondere  Erscheinung  gerichtet  sind,  auf  dieso  Bewegung  bezogen;  und 
Geräusche  sind  fast  zu  jeder  Zeit,  sei  es  von  den  atmosph arischen  Strömungen, 
sei  es  von  Bewegungen  in  den  umgebenden  Körpern  herriihrend,  ja  selbst  in 
unseren  Ohren  durch  die  Blutbewegung  vorhanden.  Indessen  kann  man  nicht 
gut  direkte  Angaben  eines  Forschers  wie  Celsius  und  Zeugnisse  hervor- 
ragender Beobac  hter  in  grofser  Zahl  ohne  weiteres  bei  Seite  legen  und  sämtlich 
als  auf  Täuschungen  beruhend  erklären,  und  wenn  andere  Forscher,  wie 
zura  Beispiel  auch  Koch,  ausdrücklich  erklären,  Polarlichter  stets  in  absoluter 
Stille  sich  entwickeln  gesehen  zu  haben,  müssen  wir  vorläufig  noch  annchmen. 
d*fs  allerdings  Geräusche  im  allgemeinen  die  Polarlichtbewegungen  nicht 
begleiten,  in  einzelnen  Fällen  — wahrscheinlich  wenn  die  Polarlichter  sich 
in  den  tieferen  Regionen  der  Atmosphäre  ubspielen  — aber  selir  w’ohl  diese 
Bewegungen  nicht  ganz  lautlos  vor  sich  gehen. 

Einen  weiteren  wohlthuenden  Gegensatz  zu  dem  wilden  Durcheinander 
in  den  Bewegungen  bildet  die  Milde  des  Lichtes,  welches  die  einzelnen 
Gebilde  ausstrahlen.  Greller  Glanz  kommt  wrohl  niemals  vor,  das  Licht  ist  sanft 
wie  das  des  Mondes.  Die  Helligkeit  ist  sehr  variabel,  sie  kann  so  bedeutend 
werden,  dafs  selbst  der  kleinste  Druck  deutlich  gelesen  zu  worden  vermag, 
dürfte  jedoch  die  einer  Nacht  bei  Vollmondbeleuchtung  nur  selten  erreichen. 
Lemström  erw'ähnt,  dafs  man  in  Lappland  in  manchen  Nächten  unter  dem 
Schein  des  Polarlichts  durch  don  dichtesten  Wald  zu  reisen  vermag.  In  der 
langen  Winternacht  der  cireumpolaron  Regionen  helfen  diese  Lichter  den 
Menschen  die  Abwesenheit  der  Sonno  wenn  auch  nicht  vergessen  aber  doch 
weniger  schmerzlich  ertragen. 

Nicht  immer  natürlich  bieten  die  Polarlichter  gleiche  Grofsartigkcit  an 
Formenreichthum  und  Bewegungen.  In  hohen  Breiten,  wo  in  manchen 


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Regionen  das  Polarlicht  fast  ständig  zu  sehen  ist,  zeigt  es  sich  oft  als  Licht- 
masse, welche  don  Himmel  überall  oder  an  einzelnen  Stellen  erfüllt,  den 
Namen  Polarlichtdunst  führt  und  nur  hier  und  da  einige  Struktur  erkennen 
läfst  Dann  wieder  sioht  man  es  sich  auf  einen  einzelnen  Logen  oder  wenige 
Strahlen  oder  eine  kurze  Draperie  beschränken,  wobei  die  Lichtprozesse  sich 
in  gröfster  Ruhe  abspielen.  Nordonskjöld  sah  im  Polarmeer  in  der  Nähe  der 
Beringstrafse  tagelang  einen  Lichtbogen  in  majestätischer  Erhabenheit  und 
Unbewegtheit  den  Himmel  umspannen.  Mit  der  Mannigfaltigkeit  an  Einzel* 
grbilden  nimmt  gewöhnlich  der  Reichthum  an  Bewegungen  zu,  doch  sind  in 
unseru  Breiten  solche  Entwickelungen,  welche  auf  die  Gemüther  der  Menschen 
so  gewaltig  einwirken,  dafs  sie  zu  der  Idee  gespenstorhafter  Kämpfe  fuhren 
können,  selten  und,  wie  wir  später  schon  werden,  an  bestimmte  Perioden 
gebunden. 

Die  Höhe,  in  welcher  die  Polarlichter  ihren  Glanz  entfalten,  ist  eine 
sehr  veränderliche,  scheint  aber  um  so  bedeutender  zu  sein,  je  weiter  man  sich 
von  den  Polen  entfernt  ln  den  arktischen  und  wohl  auch  in  den  antarktischen 
Gegenden  sieht  man  nicht  selten  Polarlichtsäulen  sich  fast  von  dem  Boden 
oder  von  Bergspilzcn  erheben.  Lcmström  führt  sogar  aus  seinen  Unter- 
suchungen in  Lappland  Fälle  an,  in  welchen  Lichter  über  Häusern  erschienen 
und  der  Beobachter  selbst  Bich  in  Polarlichtdunst  befand.  Aus  Südamerika 
wird  gemeldet,  dafs  die  Spitzen  der  Cordilleren  manchmal  Licht  ausstrahlen, 
und  Saussure  sah  auch  einige  Alpenspitzen  plötzlich  leuchtend  werden.  Auf 
die  Theorie  des  Polarlichts  wird  in  einem  zweiten  Artikel  eingegangen  werden, 
hier  sei  jedoch  hervorgehoben,  dafs  bei  diesem  Leuchten  aus  der  Erdoberfläche 
hervorragender  Gegenstände  es  sich  meist  um  eine  einfache  Ausströmung  von 
Elektrizität  zur  Ausgleichung  mit  Ladungen  über  der  Erdoberfläche  handelt, 
ähnlich  wie  bei  dem  den  Schiffern  auf  Segelschiffen  wohlbekannten,  die 
höchsten  Mastspitzen  krönenden  Sanct  Elmsfeuer,  und  dafs  möglicher  Weise 
diese  Art  der  elektrischen  Ausströmung  nichts  mit  dom  eigentlichen  Polarlicht 
zu  thun  hat.  Die  Hohe  der  über  der  Erdoberfläche  schwebenden  unzweifel- 
haften Polarlichter  kann  anscheinend  bis  zu  1000  und  mehr  Kilometer  erreichen, 
aber  auch  bis  auf  wenige  Kilometer  herabgehen.  Freilich  ist  die  Berechnung 
dieser  Hohe  eine  äufserst  unsichere,  sie  wird  aus  der  Verschiedenheit  der 
Lage  am  Himmelszelt  eines  und  desselben  Gebildes  für  zwei  verschiedene  Be* 
obachtungsorte  abgeleitet,  hat  also  zur  Voraussetzung,  dafs  dieses  Gebilde  an  den 
beiden  Beobachtungsorten  in  gleicher  Form  gesehen  wird.  Das  letzere  braucht 
aber,  selbst  wenn  die  Beobachtungen  genau  zu  derselben  absoluten  Zeit  aus- 
geliihrt  worden,  durchaus  nicht  der  Fall  zu  Bein,  weil  wir,  wie  schon  bemerkt, 
die  Gebilde  nicht  so  sehen,  wie  sie  wirklich  sind,  sondern  wie  sie  sich  am 
Himmel  projiciren,  die  Projectionsform  aber  von  dem  Standpunkt  des  be- 
trachtenden Beobachters  abhängt,  mit  der  Veränderung  dieses  Standpunktes  also 
nicht  allein  eine  Veränderung  in  der  Lage,  sondern  meist  auch  in  der  Gestalt 
des  betreffenden  Gebildes  eintritt.  Soviel  darf  aber  wohl  aus  den  mannigfachen 
Messungen,  welche  bereits  vorliegen,  geschlossen  werden,  dafs  die  meisten 
Polarlichter  selbst  in  ihrer  eigentlichen  Heim&th  hoch  über  allen  Wolken 
schweben.  Celsius  erwähnt  in  seinen  vieljährigen  Beobachtungen  keinen  ein- 
zigen Fall,  wo  eine  Wolke  durch  ein  Polarlichtgebilde  von  unten  erleuchtet 
worden  wäre,  also  über  diesem  Gebilde  sich  befunden  hätte.  Koch  hebt  aus- 
drücklich hervor,  dafs  dio  vielen  von  ihm  gesehenen  Polarlichter  alle  über 
deo  Wolken  sich  entfaltet  hätten,  und  ähnlich  lauten  die  Versicherungen 
weitaus  der  meisten  andern  Beobachter.  Ja  Ferner  leitete  aus  Messungen  in 
l’paala  für  dio  Höhe  der  Polarlichter  mehr  als  1500  Kilometer  ab;  andere 


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geben  geringere  Zahlen  an,  Thorbern  Bergmann  aus  eigenen  und  fremden 
Messungen  gegen  NOO  Kilometer,  Bravais  aus  «len  so  eingehenden  und  schönen 
Untersuchungen  der  französischen  Kommission , welche  den  Winter  von 
1838  auf  1839  zu  Bosse kop  mehr  als  130  Polarlichter  zu  beobachten  Gelegen- 
heit hatte,  etwa  120  bis  IAO  Kilometer  u.  s.  w.  Das  sind  alles  immerhin  nicht 
unbedeutende  Höhen.  Aber  andere  Beobachter  haben  Polarlichter  in  sehr 
viel  geringeren  Erhebungen  über  der  Erdoberfläche  gesehen.  -Henry  M. 
Banniatcr  beobachtete  186r>  am  *21.  August  zu  St.  Michael  (KJ0  nördlicher 
Breite)  zwischen  Alaska  und  der  Beringstrafse  ein  nach  allen  Seiten  strahlendes 
Nordlicht  mit  Korona,  während  eine  Wolke  die  ganze  südliche  Himmels- 
gegend überlagerte.  I)»o  Strahlen  erschienen  vor  diesem  dunkeln  Hinter- 
gründe heller  als  in  den  andern  Himmelsgegenden,  so  <Ufs  nach  seiner 
Ansicht  die  Strahlen  zwischen  ihm  und  dem  dunkeln  Gewölke  sich  be- 
fanden.“ Aehnliche  Beobachtungen  sind  von  mehreren  andern  Seefahrern  ge- 
macht worden,  so  von  Parry,  welcher  einmal  einen  Strahl  zwischen  seinem 
Schiff  und  dem  nicht  mehr  als  etwa  3 Kilometer  entfernten  Ufer  leuchten  sah, 
von  Ross,  von  Franklin,  demzufolge  die  Nordlichter  in  hohen  Breiten  bis- 
weilen die  Seiten  der  Wolken  erleuchten  sollen,  Richardeon  u.  a.  m.  Wahr- 
scheinlich handelt  es  sich  hier  und  in  vielen  ähnlichen  Fällen  um  Er- 
scheinungen, welche  den  früher  erwähnten  von  Lemström  in  Lappland  und 
von  siidamerikanischcn  Beobachtern  in  den  Cordilleren  gesehenen  entsprechen. 
Im  allgemeinen  scheinen  di«?  Polarlichter  um  so  höher  sich  zu  erheben,  in  je 
niedere  Breiten  man  herabsteigt,  wenngleich  auch  für  Mitteleuropa  Beobach- 
tungen vorliegen,  welche  Polarlichtern  ganz  besonders  geringe  Höhen  (von 
I Kilometer  etwa)  zuschreiben. 

Die  Höhenangaben  sind  insofern  relativ,  als  die  Lichtsäulen  selbst  noch 
eine  gewiss«*  Ausdehnung  besitzen  und  gegen  den  Horizont  geneigt  sind.  Die 
Länge  dieser  Säulen  ist  beträchtlichen  Schwankungen  unterworfen,  erreicht 
jedoch  mitunter  mehrere  hundert  Kilometer. 

Weniger  unsicher  als  hinsichtlich  der  Höhen  der  Polarlichter  sind  wir 
in  Bezug  auf  «lio  Oricntirung  derselben.  In  ganz  niederen  Breiten  werden 
Polarlichter  auf  der  Nordhemisphäre  nur  in  nördlicher,  auf  der  Südhemisphäre 
nur  in  südlicher  Richtung  gesehen.  Geht  man  auf  der  nördlichen  Halbkugel 
weiter  nach  Norden,  so  kommen  Zonen,  in  welchen  das  Polarlicht  zwar  gröfs- 
tentheils  der  nördlichen  Hälfte  des  Himmels  angehört,  oft  aber  auch  «len  ganzen 
Himmel  überzieht  oder  nur  in  südlicher  Richtung  sichtbar  ist.  So  erscheinen 
im  mittleren  Europa  schon  bisweilen  Südlichter  allein  oder  in  Verbindung  mit 
Nordlichtern.  Entsprechendes  gilt  von  den  Polarlichtern,  welche  sich  in  den 
Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika  und  in  Sibirien  zeigen.  Im  Weiter- 
schreiten nach  Norden  gelangt  man  in  eine  Zone,  in  welcher  die  Polarlichter 
ebenso  häufig  in  nördlicher  Richtung  erscheinen  als  in  südlicher.  Fritz,  viel- 
leicht der  grösste  Kenner  der  räumlichen  und  zeitlichen  Vertheilung  der  Polar- 
lichter, hat  diese  Zone  als  neutrale  bezeichnet.  Sie  hat  nach  ihm  folgenden 
Verlauf.  Von  der  Barrowspitze  in  «las  nördliche  Amerika  tretend  zieht  sie  sich 
zwischen  dem  Bärensee  und  der  Yorkbai  durch  «lio  Hudsonstrafsc,  trifft  die 
Südspitze  von  Grönland  un«l  die  Nordspitze  von  Island,  geht  dann  zwischen 
Spitzbergen  und  dem  Nordkap  nördlich  an  Nowaja  Semlja  vorbei  und  nähert 
sich  über  der  Mitte  Sibiriens  dem  astronomischen  Pol  bis  auf  7°,  dann 
wendet  sie  sich  nach  Süden,  bleibt  jcdo«'h  dom  sibirischen  wie  dem  nach  der 
Beringstrafse  folgenden  amerikanischen  Festlande  bis  zur  Barrowspitze  immer 
noch  fern.  Sie  schliefst  hiernach  einen  Tlieil  von  Labrador,  ganz  Grönland, 
Spitzbergen  und  diejenigen  Inseln,  welche  etwa  den  Pol  unmittelbar  umgeben. 


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ein.  Tm  Innern  dieser  Zone,  »Iso  in  den  genannten  Ländern,  werden  die  Polar- 
lichter häufiger  am  SUdhimmel  als  am  Nordhimmel  gesehen.  Für  die  Polar- 
lichter der  Südhalbkugel  lassen  sich  so  genaue  Angaben  nicht  machen;  in 
Melbourne,  Rio  de  Janeiro  umziehen  die  Lichter  vornehmlich  den  Südhimmel, 
steigen  zwar  manchmal  über  den  Zcnith  hinweg,  erreichen  jedoch  selten 
den  nördlichen  Horizont.  Und  soweit  man  bis  jetzt  in  die  eiserfüllten  Regionen 
des  antarktischen  Meeres  gelangt  ist,  haben  sieh  immer  die  Südlichter  als 
vorherrschend  erwiesen. 

Das  betrifft  die  Orientirung  der  Polarlichter  im  ganzen;  aber  auch  die 
einzelnen  Gebilde  derselben  halten  gewisse  Richtungen  ein,  die  in  einem 
bedeutsamen  Zusammenhänge  mit  gewissen,  durch  den  Magnetismus  der  Erde 
l»estimmten  Richtungen  stehen. 

Hängt  man  eine  Magnetnadel  in  ihrem  Schwerpunkt  an  einem  Faden 
frei  auf,  so  stellt  dieselbe  sich  bekanntlich  an  jedem  Orte  in  ganz  bestimmter 
Richtung  ein,  indem  zum  Beispiel  ira  mittleren  Europa  ihr  Nordende  ein  w enig 
□ach  Westen  und  zugleich  nach  unten  weist.  Eine  Ebene  durch  den  Scheitel- 
punkt des  betreffenden  Ortes  und  die  Längsrichtung  der  Nadel  wird  als  mag- 
netischer Meridian  bezeichnet,  der  Winkel  dieser  Ebene  mit  dem  astronomischen 
Meridian  dieses  Ortes  heisst  die  magnetische  Deklination.  Indem  die  Nadel 
sich  mit  einem  Ende  nach  unten  senkt,  bildet  sie  mit  dem  Horizont  einen 
Winkel,  die  Inklination;  ihr  anderes  Endo  weist  nach  oben,  und  der  Punkt  des 
Himmels,  nach  welchem  dasselbe  hinzeigt,  ist  der  früher  schon  erwähnte  magne- 
tische Zcnith.  Ist  die  Nadel  wirklich  nach  allen  Richtungen  frei  beweglich, 
so  stellt  sie  sich  genau  in  diejenige  Richtung,  in  welcher  die  magnetische 
Kraft  der  Erde  auf  sie  wirkt,  und  zeigt  somit  die  Richtung  dieser  Kraftwirkung 
selbst  an.  Deklination  und  Inklination  variiren  von  Ort  zu  Ort,  und,  wie  wir 
an  anderer  Stelle  noch  anzugeben  haben  worden,  von  Zeit  zu  Zeit. 

Es  stellen  sich  nun  die  Polarlichtbogen,  wenigstens  in  nicht  zu  hohen 
Breiten,  im  allgemeinen  so,  dafs  ihre  Ebene  an  dem  betreffenden  Ort©  senk- 
recht scheint  zu  der  magnetischen  Meridianebene  und  der  Scheitelpunkt  der- 
selben in  dieser  Ebene  oder  doch  nicht  weit  davon  ab  zu  liegen  kommt.  Wir 
sehen  also  bei  uns  die  Bogen,  wenn  sie  den  nördlichen  Himmel  überspannen, 
ein  wenig  nach  Westen,  wenn  sie  über  den  Südhimmel  wegziehen,  nach  Osten 
abweichen  In  hohen  Breiten  sind  die  Verhältnisse  verwickelter.  Koch  hat 
zwar  in  Nain  die  Bogenebenen  auch  meist  quer  zum  magnetischen  Meridian 
dieses  Ortes  gerichtet  gesehen,  aber  die  Scheitel  sehr  oft  und  stark  aus  diesem 
-Meridian  heraustretend  gefunden.  Fritz  wieder  führt  an,  dafs  in  Nordsibirien 
nach  Krmans  und  Gmelins  Beobachtungen  die  Parlarlichter  bald  nordöstlich 
bald  nordwestlich  vom  Meridian  erscheinen,  bemerkt  jedoch,  dafs  die  eigent- 
liche Bogengestalt  mehr  den  nordwestlichen  Lichtern  zukommt.  Ebenfalls 
stark  veränderlich  sind  die  Richtungen  der  Polarlichter  im  nördlichen  Labra- 
dor, in  Grönland  und  dem  Norden  des  Atlantik;  und  an  manchen  Orten  sollen 
die  Polarlichter  den  Himmel  nach  allen  möglichen  Richtungen  durchziehen 
können. 

Konstanter  in  ihren  Richtungen  sind  di©  Polarlieh tsäulen;  diese  erstrecken 
sich  an  jedem  Ort  in  Richtung  der  daselbst  wirkenden  magnetischen  Kraft 
der  Erde,  schlagen  also  die  Richtung  der  Inklinationsnadel  ein;  Schwankungen 
in  dieser  Richtung  und  Abweichungen  von  derselben  kommen  natürlich  auch 
bei  diesen  Gebilden  vor,  scheinen  jedoch  in  sehr  viel  engere  Grenzen  einge- 
schlossen zu  sein  als  bei  den  Bogen.  Es  ist  schon  bemerkt  worden,  dafs  die 
Lichtsäulen  eine  Krone  bilden;  aus  der  obigen  Angabe  über  di©  Richtung  dieser 
Säulen  erhellt  sofort,  dafs  diese  Krone  ein  rein  perspektivisches  Phänomen  ist, 
Himmel  und  Erde.  I.  4.  18 


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denn  wie  eine  Reihe  von  Linien,  welche  alle  dieselbe  Richtung  verfolgen  (ein- 
ander parallel  sind)  für  den  Beobachter  in  einem  Punkt  zusammen  zu  laufen 
scheinen  — so  müssen  auch  die  Polarlichtsäulen  am  Himmel  sich  zu  durch- 
schneiden  scheinen,  und  dieses  scheinbare  Zusammentreffen  vieler  glanzender 
Einzelerscheinungen  bringt  den  prachtvollen  Eindruck  der  Kronenbildung  her- 
vor. Es  wird  auch  klar,  warum  dio  Krone  sich  im  magnetischen  Zenilh  ent- 
faltet, es  ist  ja  die  Richtung  nach  diesem  Zenith  hin  die  der  Magnetnadel, 
und  zugleich  auch  dio  der  Lichtsäulen.  Dafs  die  Krone  nichts  anderes  ist, 
erkennt  man  am  besten  daran,  dafs  jeder  Ort  seine  besondere  Krone  sieht, 
das  mufs  auch  so  sein,  weil  die  Richtung  der  magnetischen  Kraft  von  Ort  zu 
Ort  variirt. 

Wären  die  Lichtsäulen  einander  genau  parallel,  so  müsste  bei  den  grofsen 
Entfernungen  die  Krone  in  der  Mitte  auch  hell  sein;  sie  ist  aber  daselbst  wie 
früher  bemerkt,  meist  dunkel,  das  lässt  darauf  schliessen,  dafs  die  Säulen 
wegen  Divergenz  der  Richtungen  der  magnetischen  Kraft  auf  einem  Kegel- 
mantel angeordnet  sind,  der  seine  Grundfläche  nach  oben,  seine  Spitze  nach 
unten  zukehrt,  doch  weicht  dieser  Kegelmantel  nur  sehr  wenig  von  einem 
Cylinderraantel  ab. 

Von  der  Orientirung  der  andern  Lichtgebilde,  die  noch  Vorkommen  kön- 
nen, namentlich  der  Ringe,  Schleifen  und  Spiralen  weisa  ich  nichts  Genaues 
anzugeben,  wahrscheinlich  sind  auch  hier  die  Ebenen  im  wesentlichen  senk- 
recht zum  magnetischen  Meridian  und  die  Axen  parallel  mit  den  Inklinations- 
richtungen des  betreffenden  Ortes.  Die  hohe  Bedeutung  dieses  Zusammen- 
hanges der  Polarlichtrichtungen  mit  den  Richtungen  der  magnetisekeo  Kraft 
der  Erde  wird  an  anderer  Stcllo  hervortroteu. 

Endlich  habe  ich  in  diesem  beschreibenden  Theil  noch  über  die  Ver- 
breitung der  Polarlichter  zu  sprechen.  Es  handelt  sich  dabei  sowohl  um  die 
Sichtbarkoitsgrunzen  eines  und  desselben  Polarlichtes  als  überhaupt  um  die 
Häufigkeit  der  Polarlichter  an  verschiedenen  Orten  der  Erde.  Vorgreifend 
mufs  gleich  hier  bemerkt  worden,  dafs  alle  Polarlichter  sich  in  zwei  Klassen 
ointheilen  lassen.  Gewisse  Polarlichter  haben  einen  sehr  beschränkten  Sicht- 
barkeitskreis,  sie  werden  nur  an  wenigen,  nahe  neben  einander  liegenden 
Orten  gesehen  und  hängen  in  jeder  Beziehung  von  den  Verhältnissen  der 
Region  ab,  in  welcher  sie  aufgetreten  sind,  sie  sind  lokaler  Natur.  Weitaus 
der  griifste  Theil  der  beobachteten  Polarlichter  gehört  dieser  Klasse  an; 
namentlich  die  Polargegenden  sind  reich  an  solchen  Lichtern,  und  hier  besitzt 
fast  jeder  Ort  seine  besonderen  Erscheinungen,  welche  nur  an  diesem  Orte 
selbst  gesehen  werden.  Andere  Polarlichter  dagegen  haben  einen  aufser* 
ordentlich  bedeutenden  Verbreitungskreis,  sie  werden  in  grofsen  I.ünder- 
strecken  zugleich  gesehen,  und  wenn  dieselben  auch  an  den  einzelnen  Orten 
sich  nur  so  darstellen,  wie  sie  daselbst  an  dom  Himmel  projicirt  erscheinen, 
und  für  die  einzelnen  Gebilde  das  Sichtbarkeitsgebiet  naturgemäfs  durch  deren 
Hoho  über  der  Erdoberfläche  begrenzt  sein  mufs,  so  bilden  sio  doch  jedesmal 
ein  bestimmtes,  mitunter  die  ganze  Erde  auf  einmal  ergreifendes  Phänomen. 
Die  Polarlichter  von  Ende  August  bis  Anfang  September  von  1850  sind,  auf 
der  Südhalbkugel  in  Südaustralion  (Melbourne,  Sidney,  Adelaide,  Brisbane, 
Ballaarat},  Südamerika  (Kap  Horn,  Chile,  Concepcinn,  Santiago,  Valparaiso), 
in  den  südlichen  Theilen  des  atlantischen,  pazifischen  und  indischen  Meeres; 
auf  der  Nordhalbkugel,  in  Mittelamerika  (San  Salvador),  den  Antillen,  Buharoa- 
und  Bermuda-Inseln  (Guadeloupe,  Portorico,  .Jamaica,  Cuba).  Nordamerika 
(alle  Staaten  der  Union,  Canada,  New-Foundland),  Nordafrika  und  Europa 
beobachtet  worden.  Einen  entsprechend  grofsen  Verbreitungskreis  hatten  die 


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I 


Poliirlichter  von  187*2.  Gomäfs  ihrer  umfassenden  Verbreitung  tragen  der- 
artige Erscheinungen  auch  allgemeineren  rharakter,  sie  sind  weniger  von 
lokalen  Verhältnissen  beeinflußt  und  machen  sich  überall  fast  zu  gleicher 
Zeit  bemerkbar.  Gewöhnlich  sind  sie  auch  in  ihrer  Entwickelung  von  aufser- 
ordentlicher  Großartigkeit  und  dauern  unter  Umständen  mit  kurzen  Unter- 
brechungen viele  Tage  an. 

Die  Häufigkeit  der  Polarlichter  an  den  einzelnen  Orten  der  Erde  hängt 
zunächst  von  deren  geographischer  Lage  ab.  Unter  dem  Aequator  und  wohl 
in  den  angrenzenden  Zonen  bis  5°  oder  10°  sind,  soweit  unsere  bisherigen 
Erfahrungen  reichen,  Polarlichter  noch  niemals  beobachtet  worden.  Die  Polar- 
lichter von  1850  haben  sich  auf  der  nördlichen  Halbkugel  etwa  bis  zu  12°,  auf 
der  südlichen  bis  zu  24°  dem  Aequator  genähert.  Andere  Polarlichter  sind 
«lern  Aequator  auch  von  der  Südseite  nähergekommen,  so  dos  1741  beobachtete, 
welches  in  Cuzco,  in  12°  südlicher  Breite,  gesehen  wurde.  Auch  mögen  manche 
Polarlichter  überhaupt  geringere  Abstände  vom  Aequator  erreicht  haben,  ins- 
besondere vielleicht  das  Licht  von  1117,  welches  selbst  in  Asien  bis  nach 
Palästina  hin  beobachtet  wurde.  Wir  haben  aber  keine  Nachricht,  welche  das 
Erscheinen  von  Polarlichtern  in  unmittelbarer  Nähe  des  Aequators  verbürgen 
könnte.  Die  Häufigkeit  der  Polarlichter  steigt  zunächst  jo  weiter  man  sich 
von  dem  Aequator  entfernt;  wir  führen  zum  Beispiel  nach  Lemstrom  an,  dafs 
für  Orte  auf  dem  Meridian  durch  Washington  unter  40°  nördlicher  Breite  10, 
unter  45°  20,  unter  50°  10,  unter  55°  100  Lichter  im  Jahre  durchschnittlich 
erscheinen,  und  zwischen  55°  und  02°  wird  fast  jede  Nacht  das  Polarlicht 
gesehen.  Indessen  ist  die  Zunahme  der  Polarlichter  mit  wachsender  Breite 
durchaus  keino  gleichmäßige;  sie  ist  zum  Beispiel  viel  stärker  in  Amerika  als 
in  Europa  und  hier  wieder  bedeutender  als  in  Asien.  Verbindet  man  also  mit 
Fritz  die  Orte  gleicher  Polarlichthäufigkeit  durch  Liniensysteme,  Kurven, 

welche  man  als  Isochasmen  bezeichnet,  so  erhält  man  nicht  Linien,  welche  * 

den  Breitenkreisen  parallel  laufen,  sondern  solche  welche  diese  durchschnciden 
und  in  eigentümlichem  Verlauf  die  Erde  umziehen.  Entsprechend  der  Lage 
des  magnetischen  Nordpols  erreichen  sie  auf  der  Nordhalbkugel  im  östlichen 

Theil  von  Nordamerika  ihre  gröfste  Annäherung  an  den  Aequator  und  steigen  • 

im  westlichen  Nordasien  am  höchsten  zum  Pol  hinauf.  Die  Häufigkeit  der 

Polarlichter  wächst  auch  nicht  stetig  bis  zu  den  Polen  der  Erde  an,  es  giobt 

vielmehr  eine  Zone  größter  Polarlichthäufigkeit,  welche  wir  als  die  eigentliche 

Heimath  des  uns  hier  beschäftigenden  Naturphänomens  bezeichnen  können. 

Diese  Zone  verhält  sich  in  der  Form  wie  die  andern  Isochasmen;  auch  sie 
kommt  in  Nordamerika  dem  Aequator  am  nächsten,  dir  Verlauf  ist  ganz 
ähnlich  dein  der  früher  beschriebenen  neutralen  Zone,  nur  dafs  sie  diese 
letztere  anscheinend  überall  umschließt.  Sie  tritt  in  die  nordwestliche  Spitze 
von  Nordamerika  ein,  durchschneidet  den  Bäreusee,  die  Hudsonsbai  und  Nord- 
labrador, geht  südlich  von  Grönland  und  Island  vorbei,  streift  den  nördlichen 
Theil  der  skandinavischen  Halbinsel  und  vmi  Nowaja  Semlja  und  bleibt  über- 
all oberhalb  der  sibirischen  Küste.  Nördlich  von  dieser  mehrere  Grad  breiten 
Zone  gröfster  Häufigkeit  werden  die  Polarlichter,  soweit  man  bisher  gekommen 
ist,  wieder  seltener,  sie  nehmen  an  Zahl  und  wie  cs  scheint  auch  an  Glanz  und 
Formenreichthum  ab.  und  während  hei  der  deutschen  internationalen  Polar- 
expedition Koch  zu  Nain  in  Labrador  fast  jede  Nacht  Polarlichter  und  meist 
in  grofser  Pracht  und  Lebendigkeit  sich  entfalten  sah,  hatte  die  in  Kingtia 
Fjord  im  nordwestlichen  Grönland  stationirte  erste  deutsche  Abtheilung  nur 
wenige  bedeutende  Lichter  zu  konstatiren.  Dieser  eigenartige  Gang  der  Polar- 
lichthäufigkeit ist  zuerst  von  dein  als  Physiker  und  Philosoph  lange  nicht 

IS* 


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248 


genug  gewürdigten  Herausgeber  von  Gehlere  Physikalischem  Lexikon,  Muneke. 
klar  erkannt  worden. 

Auf  der  Südhalbkugel  scheinen  auch  in  dieser  Beziehung  ähnliche 
Verhältnisse  zu  herrschen  wie  auf  der  Nordhalbkugel,  die  Isochasmeti  umziehen 
al>er  hier  den  Pol  vielleicht  enger  als  dort. 

Selbstverständlich  haben  die  obigen  Angaben  nur  auf  den  allgemeinen 
Gang  der  Erscheinung  auf  der  ganzen  Erde  Bezug,  im  einzelnen  kommen 
bedeutende  Abweichungen  vor,  welche  durch  lokale  Verhältnisse  bedingt  zu 
sein  scheinen.  Namentlich  in  den  Polargegenden,  in  welchen  die  Polarlichter 
lokalen  Churakters  diejenigen  allgememeiner  Bedeutung  an  Zahl  so  stark 
überwiegen,  können  selbst  in  nicht  weit  von  einander  entfernten  Orten  er- 
heblichere Unterschiede  in  der  Polarlichthäuflgeit  Vorkommen.  In  einem  an- 
deren Artikel  bei  der  Diskussion  der  Perioden  der  Polarlichter  werden  wir 
auch  sehen,  dafs  die  lsochasmen  durchaus  keine  festen  Linien  sind,  dafs  sie 
vielmehr  selbst  in  kurzen  Zeitabschnitten  sich  auf  der  Erdoberfläche  verschieben. 


f 


i 


9 


Allgemeine  l'ebersicht  der  beobaclitenswertken  Hinimelserscheinungen 
Im  Jahre  1889. 

In  der  folgenden  Aufstellung  eines  astronomischen  Kalenders  für  das 
Jahr  1889  soll  vornehmlich  auf  solche  Erscheinungen  am  Sternenhimmel  hin- 
gowiosen  werden,  an  deren  Beobachtung  sich  der  mit  den  nöthigen  Kennt- 
nissen ausgerüstete  und  mit  der  Behandlung  des  Fernrohrs  vertraute  Freund 
der  Sternkunde  betheiligen  und  Verdienste  erwerben  kann.  Wir  werden  in 
unserer  Zeitschrift  von  Fall  zu  Kall  auf  derartige  beobachtenswerthe  Phäno- 
mene aufmerksam  machen  und  die  nöthigeu  Zahlenangaben  beibringen.  Be- 
treffs eines  brauchbaren  Handbuches  über  das  Zweifelhafte  und  der  Erforschung 
noch  Bedürftige  verweisen  wir  auf  H.  J.  Kleins  „Anleitung  zur  Durchmuste- 
rung des  Himmels-*  Braunschweig  1882. 

l.  Die  Planeten. 

Für  die  Kenntnifs  dos  Standes  der  Hauptplaneten  wird,  vielfachen 
Wünschen  zufolge,  in  vorliegender  Zeitschrift  vom  Februar  ab  durch  Ver- 
öffentlichung monatlicher  Ephemeriden  Sorge  getragen  werden,  welche  die 
Auf-  und  Untergangszeiten  und  die  sonst  nöthigen  Hinweis«  über  die  Sicht- 
barkeit der  Planeten  enthalten  sollen.  Wir  begnügen  uns  deshalb  hier  vor- 
läufig mit  einer  allgemeinen  Darstellung  des  Planetenhimmels  im  Jahre  1889. 

Merkur  erscheint  bei  meist  sehr  niedriger  Stellung  am  Horizonte  in 
der  Sonnennähe  bald  als  Morgen-,  bald  als  Abendstern.  Ende  Januar  und  von 
Mitte  Mai  bis  Anfang  Juni  wird  er  am  Abendhinunel,  sodann  von  Mitte  März 
bis  Mitte  April,  von  Mitte  Juli  bis  Mitte  August  und  schliefslich  von  Ende 
Oktober  bis  Mitte  November  am  Morgenhimmel  sichtbar  sein.  Den  größ- 
ten Glanz  zeigt  er  am  28.  Januar,  1.  Mai,  30.  Juli  und  Ende  Oktober,  das 
Minimum  seiner  Helligkeit  am  15.  Februar,  20.  Juni  und  13.  Oktober. 

Venus  ist  bis  nach  Mitte  April  Abendstern  und  erreicht  am  2*2.  März 
ihren  gröfsten  Glanz.  Darauf  geht  sie  von  Tag  zu  Tag  früher  unter,  wird 
Morgenstern  und  ist  als  solcher  Ende  Juli  schon  zwei  Stunden  nach  Mitter- 
nacht beobachtbar;  am  8.  Juni  erreicht  sio  das  zweite  Maximum  ihres  Glanzes, 
ln  den  Herbstmonaten  geht  sie  allmählich  später  auf  und  wird  zur  Beobach- 


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249 

tung  ungünstig.  Die  Gröfse  der  Venussichel  ist  aus  folgenden  Zahlen  ersicht- 
lich, welche  den  Durchmesser  der  Phasen  in  Theilen  der  Planetcnscheibc 
Ausdrücken : 


1.  Januar 

0.71 

1.  Juli 

0.44 

1.  Februar 

0.60 

1.  August 

0.60 

1.  März 

0.45 

1.  September 

0.73 

1.  April 

0.21 

1.  Oktober 

0.82 

1.  Mai 

0.00 

1.  November 

0.90 

1.  Juni 

0.22 

1.  Dezember 

0.95 

Einer  aufmerksamen  Verfolgung  zu  empfohlen  sind  die  Verlängerungen 
der  Sichelspitzen  und  die  Polarflecke  des  Planeten,  die  Unregelmäfsigkeiten 
an  der  Beleuchtungsgrenze  und  das  aschfarbige  Licht  in  der  Nachtseite  der 
Venus. 

Mars  kommt  im  Jahre  1889  nicht  in  Opposition  und  steht  für  die  Beob- 
achtung ungünstig.  Im  Januar  und  Februar  ist  er  noch  in  den  ersten  Abend- 
stunden am  Westhimmel  zu  sehen,  culminirt  dann  näher  der  Mittagszeit  und 
verschwindet  in  den  Sommermonaten  mit  der  Sonne;  im  November  und  De- 
zember kann  er  wieder  Morgens,  2 Stunden  nach  Mitternacht,  am  Osthimmcl 
aufgefunden  werden. 

Jupiter  ist  bis  Anfang  April  nur  am  Morgenhimmel  aufflndlich,  geht  An- 
fang Mai  um  1*2  Uhr,  Ende  Mai  um  10  Uhr  Nachts  auf,  Anfang  Juli  um  8 Uhr 
Abends.  Im  August  und  September  wird  er  in  den  Abendstunden  noch  beob- 
achtbar, und  steht  im  Oktober  und  November  am  Taghimmel.  Der  Planet 
bewegt  sich  das  ganze  Jahr  im  Sternbilde  des  Schützen  und  kommt  am  24.  Juni 
in  Opposition. 

Erfolgreiche  und  werthvolle  Beobachtungen  über  die  Oberflächenbe- 
schaffenheit  des  Jupiter,  seine  Flecke,  Streifen  u.  s.  w.  erfordern  grüfsero  optische 
Hilfsmittel.  Sohr  empfehlensworth  dagegen  sind  den  Besitzern  mittelgrofscr 
Fernröhre  die  Beobachtungen  der  verschiedenen  Phänomene  der  vier  .Jupiter- 
satelliten, nicht  blofs  der  Verfinsterungen  der  Monde,  sondern  namentlich  deren 
Vorübergänge  vor  der  Jupitersclieibe. 

Dio  weiter  folgenden  Hefte  unserer  Zeitschrift  werden  monatlich  Zu- 
sammenstellungen über  die  am  bequemsten  beobachtbaren  Verfinsterungen  der 
Jupitertrabanten  bringen. 

Saturn  kommt  am  5.  Februar  in  Opposition  und  bewegt  sich  nördlich 
vom  Sterne  Regulus,  dem  Sternbilde  des  grossen  Löwen  sich  mehr  und  mehr 
nähernd;  nach  Mitte  September  ist  er  dem  Regulus  am  nächsten.  Im  Januar  geht 
er  um  7 Uhr  Abends  auf  und  ist  im  Februar  die  ganze  Nacht  sichtbar.  Ende 
Mai  bis  Mitternacht.  Von  Mitte  Juni  bis  Ende  Juli  sind  nur  Tagbeobachtungen 
möglich,  im  September  ist  der  Planet  Morgens  beobachtbar,  im  Herbste  geht 
er  um  Mitternacht  auf,  um  Mittag  unter. 

Das  Ringsystem  des  Saturn  ist  im  Jahre  1889  der  Beobachtung  nicht 
mehr  günstig  gelegen;  der  Planet  nähert  sich  mehr  und  mehr  dem  Theile 
seiner  Bahn,  in  welchem  die  RingöfTnung  von  der  Erde  aus  gesehen  ver- 
schwindet. Wir  sehen  deshalb  gegenwärtig  von  der  (südlichen)  Ringlläche 
nur  eine  sehr  wenig  geöffnete  Ellipse,  die  allmählich,  bis  zum  Jahre  1892  eine 
gerade  Linie  bilden  und  dann  für  schwächere  Fernrohre  verschwinden  wird. 

Von  den  8 Monden  des  Saturn  dürfte  der  hellste,  Titan,  für  Fernrohre 
mittlerer  Grösse  der  interessanteste  sein.  Er  hat  15  Tage  *2J  Stunden  Umlaufs- 
zeit; die  Elongationen  des  Mondes,  bei  denen  derselbe  am  besten  aufsuchbar 
ist,  sind  für  Januar  folgende: 


Ü! 

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r 

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IV 

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l 

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250 

5.  Januar  westl.  Elong. 


13. 

* östl. 

21. 

m westl. 

29. 

. östl. 

* 

Uranus  hält  sich  das  ganze  Jahr  nördlich  vom  Sterne  Spica  im  Stern- 
bild der  Jungfrau  auf  und  kommt  am  9.  April  in  Opposition.  Er  gleicht  einem 
Sterne  sechster  Grösse. 

Neptun  steht  im  Stier  zwischen  den  Plejaden  und  dem  Aldebaran  und 
hat  seine  Opposition  am  25.  November. 

a.  Der  Mond. 

Die  Erweiterung  des  Kreises  freiwilliger  Mitarbeiter  an  der  Erforschung 
topographischer  Details  der  Mondoberfläche  ist  nur  erwünscht.  Besitzer  vier- 
zölliger Fernröhre  können  bei  ausdauernder,  richtiger  Verwendung  des  Instru- 
ments schon  ganz  Erhebliches  auf  diesem  Gebiete  leisten.  Wir  empfehlen  bei 
der  Arbeit  die  Verwendung  des  Neisonsehen  Positionsmicrometers  (Seleno- 
graphical  Journal  I 14,  II  25)  und  als  Führer  die  Karten  und  das  Buch  von 
E.  Neison  «Der  Mond"  2.  Aufl.  (deutsche  Ausgabe)  Braunschweig  1881.  Wir 
lieben  hier  nur  einige  Mondgegenden  hervor,  bezüglich  deren  sorgfältige  Detail- 
studien bei  möglichst  verschiedenen  Beleuchtung«-  und  Librationsverhältnissen 
wünschenswert  sind:  das  Rillensystem  westlich  vom  Krater  Ramsden,  die 
beiden  Ringgebirge  Messier,  den  Krater  Linn6,  den  Krater  A im  Posidonius, 
Hyginus  N,  Kudoxus,  sowie  die  beiden  dunklen  Flecken  im  Innern  des  Ring- 
gebirges Atlas;  aufserdein  empfehlen  wir  die  Untersuchung  der  dunklen  Punkte 
zwischen  Gambart  und  Copernikus  bei  hoher  Beleuchtung.  — Leuchtende 
Punkte  im  dunklen  Theil  des  Mondes  (vor  und  nach  Neumond)  verdienen 
Beachtung  und  sollten  durch  Positionsbestimmungen  gesichert  werden. 

3.  Finsternisse. 

a.  Totale  Sonnenfinsternifs  am  1.  Januar.  Die  Central itätszone  die- 
ser Finsternifs  erstreckt  sich  von  den  Aleuten  über  den  stillen  Ocean  bis  in 
den  englischen  Theil  Nordamerikas  und  streift  wenig  nördlich  von  San  Fran- 
cisco; daselbst  wird  sie  in  den  ersten  Nachmittagsstunden  sichtbar  sein. 

b.  Partielle  Mondfinsternifs  am  17.  Januar.  Diese  Finsternifs  wird 
in  ganz  Westeuropa,  Afrika  und  Amerika  zu  sehen  sein. 

Anfang  der  Verfinsterung  in  Berlin  4 Uhr  5 2 Min.  Morgens 

Mitte  * „ „6„23. 

Endo  „ „ , 7 , 54  . „ 

Gröfse  „ 7 Zehntel  des  Monddurchmessers. 

c.  Ringförmige  Sonnenfinsternifs  am  28.  Juni.  Dieselbe  fällt  auf 
die  Südhemisphare  der  Erde;  ihre  Centralitätszone  läuft  durch  Südafrika  von 
der  Wallfischbay  zum  Cap  Delgado,  im  weitern  Verlaufe  über  die  Comoren- 
inseln. Sie  wird  Vormittags  am  Cap  der  guten  Hoffnung  und  Mittags  auf  Mada- 
gascar  auffällig  werden. 

d.  Partielle  Mondfinsternifs  am  12.  Juli.  Eine  in  Mittel-  und  Süd- 
europa, Afrika  und  Australien  sichtbare  Verfinsterung. 

Anfang  der  Finsternifs  in  Berlin  8 Uhr  37  Min.  Abends. 

Mitte  „ . 9 * 47  „ 

Ende  - „ 10  „ 58  - 

Grösse  * 48  Hundertstel  des  Monddurchmessers. 

e.  Totale  Sonnenfinsternifs  am  22.  Dezember.  Ihre  Centralitätszone 
streift  längs  der  Nordküste  Brasiliens  über  den  Ocean  und  das  portugiesische 
Westafrika.  Sie  wird  um  Mittag  namentlich  zu  St.  Helena  sehr  bemerkbar  sein. 


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251 


4.  Sternbedeckungen  durch  den  Mond. 

Da  sich  dieso  Phänomene  für  jede  geographische  Breite  anders  gestalten, 
so  müssen  wir  uns  damit  begnügen,  die  Interessenten  auf  die  specielle  Berech- 
nung aus  den  Angaben  der  astronomischen  Jahrbücher  zu  verweisen. 

5.  Sternbedeckungen  durch  Planeten. 

Den  Besitzern  grofser  Fernröhre  empfehlen  wir  dringend  die  Beobach- 
tung von  Sternbedeckungen  durch  Venus,  Jupiter  und  Saturn,  da  hierüber 
Erfahrungen  noch  fehlen  und  solche  Beobachtungen  für  die  Parallaxen-  und 
Durchmesserbestimmungen  dieser  Planeten  werthvoll  werden  können.1)  Einige 
der  bemerkenswerthesten  dieser  Bedeckungen  hoben  wir  hier  hervor,  indem 
wir  des  Näheren  auf  No.  2868  der  „Astron.  Nachr.“  verweisen. 

Stern  Eintritt  Austritt 

a.  Venus:  7.  Januar  9.0  Grösse,  4 Uhr  10  M.,  4 Uhr  16  M.  Nachm.  (Berl.  Zt.) 

13.  März  8.9  „ 9 7 ..  9 25  Abends 

(beide  Eintritte  am  dunklen  Rande  der  Venussichel). 

21.  Juli  7.0  Grösse,  1 Uhr  25  M.,  1 Uhr  33  M.  Morgens 
(Eintritt  am  hellen  Rande). 

b.  Jupiter:  17.  Oktob.  8.5  Grösse,  7 Uhr  9 M.,  9 Uhr  49  M.  Abends 

19.  ..  9.0  4-31-7  ..  9 h 

c.  Saturn:  7.  Juli  9.2  - 10  - 23  - 11  „ 21  * 

6.  Beobachtenswerthe  veränderliche  Sterne,  Doppelsterne  und  Nebel. 

a.  Veränderliche.  Die  Angaben  über  leicht  sichtbare  veränderliche 
Sterne  sollen  in  dieser  Zeitschrift  von  jetzt  ab  regelmäfsig  gemacht  worden.2) 
Hier  folgen  zunächst  die  Veränderlichen  für  den  Monat  Januar: 


Maximum 

Helligkeit  im 

Periode 

1889 

am 

Max. 

Min. 

(Tage) 

Reetas. 

Declin. 

R 

Rootis 

3.  Januar 

6.0  Gr. 

12  Gr. 

222 

14> 

, 32« 

18 s 

27» 

13.1' 

S 

Ursae.  maj. 

6. 

7.8  .. 

11  . 

225 

12 

39 

5 

4-  61 

42.1 

T 

„ 

15. 

7.0  . 

12  . 

257 

12 

31 

20 

4-  60 

6.0 

R 

Virginia 

22. 

6.7  . 

11  . 

146 

12 

32 

52 

+ 7 

36.0 

S Serpentis 

29. 

7.8  . 

12-13  .. 

362 

15 

16 

37 

+ H 

42.7 

b.  Doppelsterne.  Die  folgenden  Doppelsterne  können  zur  Prüfung 
für  die  Güte  der  Fernrohre  verwendet  werden;  cs  sind  darunter,  wie  aus  dem 
im  nächsten  Hefte  folgenden  Verzeichnisse  der  berechneten  Doppelsternbahnen 
ersichtlich  sein  wird,  eine  Zahl  solcher,  deren  Weiterbeobachtung  an  kräfti- 
geren Instrumenten  zur  Vermehrung  des  Rechnungsmaterials  derzeit  vieles 
Interesse  hat. 


1 


. ' 


*)  Es  sollten  möglichst  boi de  Momente  der  Bedeckung.  Eintritt  und  Austritt,  beobachtet 
werden.  Gelingt  nur  der  eine,  so  ist  eine  träte  Bestimmung  dos  .Standes  der  verwendeten  Sekon- 
denubr  unerläßlich.  Der  Beobachter  thut  am  besten,  wenn  er  sich  geraume  Zeit  vor  dem 
Storneintritte  ans  Fernrohr  begiebt.  die  Bewegung  des  Stornos  mittelst  des  Kadens  eines  Positions- 
kreises feststellt  und  den  Punkt  am  Rande  des  Planeten  zu  markiren  sucht,  an  welchem  der 
Stern  wieder  aufblitzen  muss.  Ein  mehrmaliges  Verschwinden  und  Wiederorscheinen  des 
Sternes  am  Planetenrande  konnte  bisweilen  stattfinden  und  es  sind  daun  alle  dieso  Zeitmo- 
mente  zu  notiren,  um  Uber  die  wahren  Momente  ein  unbefangenes  Urtheil  bilden  zu  können. 
— Westlich  von  Berlin  wohnende  Beobachter  sehen  die  Bedeckungen  um  den  Betrag  der  Län- 
gendifferonz  gegen  Berlin  früher,  östliche  später. 

9 Eine  Anleitung  zur  Beobachtung  der  Veränderlichen  gieht  Argelandor  in  Schumachers 
Aatr.  Jahrbuch  f.  1Ö84. 


/ 

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252 


Struves 

1889 

1889 

Gröfse  des 

Katalog. 

Hertas. 

Declin. 

Posit 

Win. 

Di-  Haupt- 
stanz i sterns 

Be- 

gleit 

Zur  Prüfung  für  Fernrohre  von  1 Zoll  Objectivöffnung: 

1744 

* Urs.  maj.  [Mizar]  . 

13k  19.4® 

+ 55-30' 

148- 

14.3" 

2 

4 

2727 

7 Delph 

20  41.5 

+ 15  42 

271 

11.2 

4 

5 

180 

7 Arietis 

1 47.4 

+ 18  43 

359 

8.5 

4 

4.5 

205 

7 Androm 

1 57.0 

+ 41  48 

63 

10.3 

3 

5 

2737 

e Equul.  (C.)1)  . . . 

20  53.4 

+ 3 52 

74 

10.7 

5.6 

7 

Von  2 bis  3 Zoll  Objectivöffnung: 

1998 

S Librae  (C>  . . . . 

15k  58.3» 

— 11-  3' 

64° 

7.5" 

* 

7 

1864 

r.  Bootis 

14  35.5 

+ 16  54 

104 

6.0 

5 

6 

1110 

a Gemin.  (Castor) . . 

7 27.5 

+ 32  8 

230 

5.8 

2.3 

3.4 

1965 

£ Coron.  ..... 

15  35.2 

+ 37  0 

302 

6.3 

4 

5 

1196 

; Cancri  (C)  . . . . 

18  5.8 

+ 17  59 

131 

5.4 

5 

5.6 

1670 

7 Virginis 

12  36.0 

— 0 50 

337 

5.0 

3 

3 

2140 

a Herculis 

17  9.6 

+ 14  31 

117 

4.7 

3 

6 

1888 

; Bootis 

14  46.3 

; 19  34 

279 

4.2 

4.5 

6.7 

2909 

C Aquar 

22  23.0 

— 0 35 

329 

3.4 

4 

4 

1954 

h Serpentis  .... 

15  29.5 

+ 10  55 

185 

3.3 

3 

4 

202 

a Pisc 

1 56.2 

-j-2I3 

322 

2.9 

3 

4 

1424 

7 Leonis 

10  13.8 

+ 20  24 

113 

3.5 

2 

3.4 

2032 

s Coronae 

16  10.5 

+ 34  9 

214 

4.0 

5 

6 

2382 

£ Lyrae  1 4 ) 

18  40.7 

+ 39  34 

14 

3.1 

4.5 

6.7 

1877 

e Bootis 

14  40.1 

-j  27  33 

329 

2.8 

3 

6.7 

60 

tj  Cassiop 

0 42.3 

+ 57  14 

160 

5.0 

4 

7 

2383 

5 Lyrae  (i*(  .... 

18  40.7 

+ 39  30 

134 

2.5 

5 

.5 

2130 

[x  Draconis 

17  3.0 

-f*  54  37 

161 

2.4 

5 

5 

1523 

? Urs.  maj 

11  12.2 

+ 32  9 

275 

2.0 

4 

5 

Von  4 unc 

5 Zoll  Objectivöffnung: 

2262 

r Ophiuchi  (C)  . . . 

17k  56.9oi 

— 8-10' 

2.55- 

1.8" 

5 

5.6 

2055 

X Ophiuchi  .... 

16  25.3 

+ 2 14 

35 

1.6 

4 

6 

73 

36  Androm 

0 48.9 

4-  2H  2 

1.3 

6 

7 

948 

12  Lyncis  (A,  B.)  . . 

6 36.3 

+ 59  31 

124 

1.5 

5 

6 

333 

e Arietis 

1 2 52.9 

+ 20  53 

201 

1.6 

5.6 

6 

299 

7 Ceti 

2 37.4 

| 2 46 

292 

2.8 

3 

7 

1865 

£ Bootis 

14  35.8 

+ 14  13 

21)5 

0.8 

3.4 

* 

460 

49  Cephei 

3 51.2 

+ 80  23 

37 

0.7 

1 5 

6 

262 

i Cassiop.  (A.  B.)  . . 

2 19.9 

1 

66  54 

264 

1 

2.0 

! 4 

7 

c.  Nobelflecke  und  Sternhaufen.  Das  folgendo  Verzeichnis  beson- 
dere auffallender,  grofser  oder  sonst  merkwürdiger  Nebel  ist  für  Besitzer  mit- 
telgrofser  Fernrohre  ausgewählt  worden.  Wir  verweisen  die  Interessenten  zur 
näheren  Instruktion  auf  die  eingangs  des  Kalender*»  schon  erwähnte  „Anlei- 
tung zur  Durchmusterung  des  Himmels“  und  empfehlen  namentlich  die  des 

•)  C bezeichnet  in  dreifachen  Sterncnsystomon  dun  zweiten,  vom  Uauptatern  ferneren.  B 
den  ersten,  näheren  Begleiter. 


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253 


Helligkeitswoehsels  verdächtigen  Objecte  (wie  H.  II  278  im  Wallfisch,  H.  I.  20 
bei  i Leonis,  Hinds  variablen  im  Stier,  d’Arrests  und  Chacornacs  Nebel  in 
demselben  Sternbilde,  den  Tom pe lachen  Nebel  in  den  Plejaden)  einer  viel- 
fachen und  aufmerksamen  Untersuchung  mit  verschiedenen  Fernrohren  und 
verschiedenen  Vergrößerungen.  Entwürfe  von  Zeichnungen  gröserer  Nebel 
mit  Positionsbestimmungen  der  die  Ausdehnung  der  Nebel  markirendon  Sterne 
sind  wünschenswert!]. 


Herschels  I 

1889 

Catalog 

Rectas. 

Declinat. 

116 

0h36.5® 

+ 40°  40' 

Andromeda-Nebel,  l1/*®  lg.,  ,/2  9 brt. 

:«2 

1 27.5 

+ 30  5 

Im  Triangel;  30'  grofs. 

512 

2 11.2 

+ 56  38 

30'  grofs  ^ zwei  prachtvolle  Sternhaufen  in» 

521 

2 14.fi 

+ 56  37 

15*  „ 1 Perseus. 

1157 

5 27.8 

+ 21  56 

1 Rosses  „Crab*-Nebel  im  Stier,  51/.,'  Ig-,  3Vj  brt. 

1179 

5 29.8 

- 5 28 

OrionnebeL 

1295 

5 44.9 

. 

32  31 

Dichter  reicher  Sternhaufe  im  Fuhrmann, 
24'  grofs. 

1564 

7 36.7 

— 14  34 

i Sternhaufe  mit  Nebel  im  Argo,  30’  grofs. 

1681 

8 33.8 

+ 20  21 

Stern  gruppe  „Praesepe-  im  Krebs. 

1712 

8 45.2 

+ M 14 

1 Sternhaufe  im  Krebs. 

3572 

13  25.1 

+ 47  46 

Spiraluebel  in  den  Jagdhunden  (am  Schwanz- 
j ende  des  gr.  Bären). 

4230 

16  37.8 

+ 36  40 

| Sehr  heller,  prachtvoller  Sternhaufe  im 
Hercules. 

4355 

17  55.6 

— 23  2 

Unregelmäfsiger,  dreispaltiger  Nebel  i.  Schütz. 

4361 

17  57.0 

— 24  21 

Zerstreuter  Sternhaufe  mit  Nebel  im  Schützen. 

4403 

18  14.2 

— IC  13 

Omeganebel  im  Sobieskischen  Schild  (Ver- 
änderungen?) 

4447 

| 18  49.4 

+ 32  54 

! Ringnebel  der  Leyer. 

4532 

19  54.8 

+ 22  24 

j!  Dumbhell-Nebel,  3*  nördl.  von  7 Sagittae. 

4628 

20  58.0 

11  48 

PlanctariBcher  Nebel  im  Wassermann. 

* 


Heber  eine  neue  Messung  der  Drehungsgeschwindigkeit  der  Sonne 
auf  spektrometrischem  Wege.  Ganz  nach  den  Grundsätzen  desjenigen 
Messu ngs Verfahrens , welche»  an  der  Spitze  dieses  Heftes  von  Herrn 
Dr.  Sc lieiuer  auseinaudergesetzt  ist,  aber  zunächst  ohne  Anwendung  der 
Photographie  hat  neuerdings  Herr  Prof.  I)un6r  in  Lund,  der  neue  Direktor 
der  Sternwarte  zu  Upsala,  Mafsbestimimiugeu  über  die  Drehungsbewegung  der 
Sonne  ausgeführt,  welche  von  sehr  hohem  Interesse  sind  und  iin  wesentlichen 
die  Folgerungen  bestätigen,  die  Herr  Prof.  Spocrcr  auf  dem  Observatorium  zu 
Potsdam  aus  seinen  langjährigen  Sonncnfleckcn-Heohachtungeii  gezogen  hatte*. 

Nähere  Mittheilungen  über  die  Messungen  des  Hern»  Dun6r,  sowie 
über  die  allgemeinere  Bedeutung  der  dabei  erreichten  Genauigkeit  behalten 
wir  uns  vor. 


/* . 

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I 


254 


Einstweilen  sei  nur  bemerkt,  dafs  diese  Messungen  in  einer  mikro- 
metrischen  Vergleichung  der  Lage  der  abwechselnd  vom  linken  und  vom 
rechten  »Sonnenrand  entnommenen  Sjiektra  mit  der  von  der  Drebungsge- 
schwindigkeit  der  Sonne  nicht  abhängigen  Lage  gewisser  durch  Absorption 
in  der  Erd -Atmosphäre  hervorgebrachter  dunkler  Linien  iin  Spektrum  be- 
standen haben. 

Die  Zerlegung  des  Lichtes  geschah  dabei  nicht  durch  Prismen,  sondern 
durch  Beugungs- Gitter,  und  die  gewaltige  Intensität  des  Sonnenlichtes  ge- 
stattet«* bei  dieser  Zerlegung  eine  so  grofse  Ausbreitung  der  Beugungs- 
Spektra  höherer  Ordnung,  dafs  Prof.  Dun6r  glaubt,  Geschwindigkeiten  auf 
der  Sonne  in  der  Richtung  der  Gesichtslinie  mit  einem  sogenannten  wahr- 
scheinlichen Fehler  von  20  Meter  in  der  Sekunde  (einer  Grüfse,  die  den 
Grenzen  unserer  Eisenbahn-Geschwindigkeit  entspricht)  gemessen  zu  haben. 
Eine  ähnliche  Untersuchung,  wie  diejenige  des  Herrn  Dun6r,  aber  nicht  von 
demselben  Erfolge,  war  übrigens  vor  einiger  Zeit  auch  in  Baltimore  an- 
geführt worden. 

Welche  außerordentliche  Bedeutung  die  obigen  Genauigkeiten  für  die 
Erforschung  der  Sonne  gewinnen  werden,  läfst  sich  noch  gar  nicht  ermessen. 

Es  ist  jedoch  ausdrücklich  daran  zu  erinnern,  dafs  solche  Ergebnisse  nur 
für  Lichtquellen  von  der  enormen  Intensität  des  Sonnenlichtes  erreichbar  sind. 

Derselbe  Messimgsprozefs  wird  sich  zunächst  auf  die  Ermittelung  der 
Stern -Bewegungen  nicht  mit  Vortheil  anwenden  lassen.  Vielmehr  hat  Herr 
Prof.  Vogel  hei  den  spektrographischen  Aufnahmen  der  Geschwindigkeiten 
von  Stern  he  wegungen  in  der  Gesichtslinie  wohlweislich  die  prismatische  Zer- 
legung des  Lichtes  vorgezogen,  welche  gerade  auf  derjenigen  Seite  des  Spek- 
4 trums,  wo  die  günstigsten  photographischen  Wirkungen  liegen,  die  größte 

n Schärfe  der  Geschwindigkeits-Bestimmung  ergiobt,  wenn  auch  bei  der  viel  ge- 

ringeren Intensität  des  Fixstern-Lichtes  bei  weitem  nicht  eine  solche  Schärfe, 
wie  beim  Sonnenlicht  erreichbar  ist. 

Die  wissenschaftliche  Welt  wird  Herrn  Dun6r  große  Anerkennung 
zollen,  über  auch  das  Potsdamer  OiMsorvatoriuin  Iwwährl  hier  wieder  seinco 
in  der  wissenschaftlichen  Welt  erworbenen  Ruf,  indem  es  sich  der  schlichteren 
aber  umfassenderen  Aufgabo  zugewandt  hat,  deren  wirksame  Förderung  die 
Stetigkeit  einer  grofsen,  von  echt  wissenschaftlichem  Geiste  erfüllten  Institution 
beansprucht.  W.  F. 


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Das  Spiegelbild  der  Sonne  am  Meereshorizont. 

Von  F.  S.  Archen  hold. 

Die  Untersuchungen  des  italienischen  Astronomen  Ricco  über  das 
Spiegelbild  der  Sonne  auf  der  Meeresoberfläche  beweisen  von  neuem,  dafs 
sehr  nahe  liegende  Erscheinungen  oft  erst  sehr  spät  einer  wissenschaftlichen 
Beachtung  und  Erklärung  gewürdigt  werden. 

Herr  Ricco  hat  seit  Juli  1886  von  der  östlichen  Terrasse  des  Obser- 
vatoriums zu  Palermo1)  aus,  in  einer  Höhe  von  7*2  Metern  über  dem  Meeres- 
spiegel, vermittelst  eines  Fernrohres  die  aufgehende  Sonne  und  ihr  Spiegelbild 
in  verschiedenen  Lagen  photographisch  aufgenommen. 

Nach  den  einfachen  Gesetzen  der  Spiegelung  würde,  wenn  die  Meeres- 
oberfläche eben  wäre,  bei  klarem  Horizont  und  ruhiger  See  unterhalb  des 
Segments  der  aufgehenden  Sonnenscheibe  ein  zweites  Segment,  als  Spiegelbild 
des  enteren,  in  gleicher  Gröfse  und  in  symmetrischer  Lage  in  Bezug  auf  die 
Begrenzungslinie  des  Meeres  am  Horizont  sichtbar  werden. 

Von  der  Richtigkeit  dieses  Schlusses  können  sich  die  geehrten  Leserinnen 
und  Leser  leicht  überzeugen,  wenn  sie  einen  Spiegel  in  eine  horizontale  Lage 
etwa  auf  einen  Tisch  bringen  und  einen  in  der  Mitte  durchschnittenen  Apfel 
mit  der  Flachseile  auf  den  Rand  desselben  legen.  Das  Spiegelbild  des  kreis- 
förmig begrenzten  Apfels  wird  alsdann  in  gleicher  Gröfse  und  symmetrischer 
Lage  unterhalb  des  wirklichen  gesehen  werden,  so  dafs  der  Apfel  ganz  zu 
sein  scheint 

In  Wirklichkeit  wurde  aber  der  Sonnenaufgang  von  Herrn  Ricco  nicht 
in  der  weiter  oben  geschilderten  Weise  gesehen,  sondern  wrio  Fig.  1 — 8 darstellen. 

So  lange  das  sichtbare  Segment  der  Sonne  kleiner  war  als  die  Hälfte 
der  ganzen  Sonnenscheibe  sah  Herr  Ricco  ein  Spiegelbild  (siehe  Fig.  I),  das 
an  Gröfse  von  dem  wahren  Sonnensegment  um  mehr  als  das  Doppelte  über- 
troffen wurde,  sich  aber  durch  seinen  Glanz  nicht  stark  von  demselben  unterschied. 

Wie  erklärt  sich  dieso  abweichende  Gröfse  des  Spiegelbildes  des  Sonnen- 
segments von  dem  wahren?  Ganz  einfach  dadurch,  dafs,  wie  wir  bereits  wissen*), 
der  Meeresspiegel,  als  ein  Theil  der  Erdoberfläche,  keine  ebene,  sondern  eine 
kugelförmige  Fläche  darstellt.  Für  eine  kugelförmig  gekrümmte  Fläche  sind 
die  Gesetze  der  Spiegelung  aber  ganz  andere  und  nicht  so  einfache  wie  für 
eine  ebene  Fläche. 

Herr  C.  Wolf1)  hat  für  die  Krümmung  der  Erde  und  einen  Beobachter, 
der  sich  100  Meter  über  dem  Meeresspiegel  befindet,  nach  der  Theorie  die 
Gröfse  und  Gestalt  des  Spiegelbildes  der  Sonne  berechnet  und  ist  zu  denselben 
Resultaten  gelangt  wie  Herr  Ricco  durch  seine  Beobachtung  der  Erscheinungen. 

')  Corapte«  Kendus  Tome  CVH  Nr.  15.  Pari»  1888. 

*)  Vergleiche  die  Ausführungen  de»  Herrn  Dr.  M.  W.  Meyer  Uber  die  Gestalt  und  Grobe 
der  Erde.  Heft  I II. 

•)  Comptes  Kendus  T.  CVII  Nr.  10,  Paria  1888. 


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257 

Aua  Fig.  2 frsehen  wir,  dafs  die  Erscheinung  »ich  ändert,  sobald  mein* 
als  die  Hälfte  der  Scheibe  aus  dem  Meere  aufgetaucht  ist,  da  das  Spiegelbild, 
dessen  horizontaler  Durchmesser  stets  gleich  dem  der  Sonnenscheihe  ist,  jetzt 
an  jeder  Seite  über  die  obere  Begrenziitigsliuic  des  Segments  liinausragt  bis 
zu  den  von  den  Händen»  der  Scheibe  gelallten  Verlicalon,  Es  entwickelt  siel» 
allmählich  ein  Bild  des  griechischen  Buchstaben  11,  dessen  unterer  l'licil  sich 
immer  mehr  einsehnürt. 

Wenn  sich  schliefslich  die  Sonne  von  dem  Horizonte  loslöst,  so  trennt 
sich  djis  Spiegelbild  von  der  Scheibe  derselben  und  bleibt  in  Gestalt  eines 
glänzenden  Streifens  auf  dem  Meereshorizont  zurück.  (Fig.  I.)  — Dies  dauert 
gewöhnlich  so  lange,  bis  der  untere  Hand  der  Sonne  sich  bis  zu  einem  vierten 
Theile  ihres  Durchmessers  über  der  Meeresliuic  erhoben  hat.  Alsdann  ver- 
schwindet das  Spiegelbild  zumeist,  indem  es  sich  mit  dem  über  der  Moeres- 
lläche  ausgebreiteten  glänzenden  Scheine  vermischt.  — - Nur  wenn  da«  Meer 
vollkommen  ruhig  ist,  sieht  man  das  Bild  deutlich  langsam  vorrücken,  gröfscr 
werden  und  eine  mehr  oder  weniger  regelrnäfsige  elliptische,  nämlich  in  ver- 
tikaler Richtung  zusammengedrücktr  Gestalt  annehuieu  tFig.  '»),  bis  es  sich 
endlich  in  dem  blendenden  Scheine  verliert,  der  das  Meer  in  der  Richtung 
zum  Beobachter  durchzieht 

Es  braucht  wohl  kaum  erwähnt  zu  werden,  dafs  alle  Erscheinungen  für 
die  untergehende  Sonne  in  ganz  derselben  Weise,  nur  in  umgekehrter  Reihen- 
folge der  Figuren,  vor  sieh  gehen. 

Geht  die  Sonne  hinter  der  Spitze  einer  der  kleinen  von  Palermo  sicht- 
baren Liparischen  Inseln,  Alicuri,  Fi licuri  oder  Satiua  auf.  so  nimmt  das 
Spiegelbild  nach  der  Seite  der  Insel  zu  di»*  Gestalt  einer  spitzen  leuchtenden 
Zunge  an  (Fig.  6).  Diese  Zunge  ist  das  Bibi  des  oberhall»  der  Insel  sichtbaren 
Theiles  der  Sonnenscheibe;  sie  wird  um  so  kleiner,  je  mehr  die  Sonn»«  aus 
«lern  Meere  auftaucht  (Fig.  7). 

Wenn  hingegen  die  Sonne  hinter  einer  Lnidschuft  aufgeht.  z.  B.  hinter 
der  Madonischen  Gebirgskette  und  dem  schneeigen  Actna-Hügol.  so  kommen 
alle  oben  geschilderten  Phänomene  in  Wegfall  (Fig.  £).  was  zur  Genüge  be- 
weist, dato  jene  Erscheinungen  in  der  Thal  nur  durch  die  Spiegelung  des 
Wassers  bewirkt  werden. 

Wir  wollen  noch  erwähnen,  dafs  die  Herren  Dufour  und  Forel1)  für 
den  Genfer  See  ähnliche  Untersuchungen  über  die  Spiegelung  irdischer  Objecte 
an  der  Seeoberfläche  an  gestellt  haben. 

Es  ist  auf  den  ersten  Blick  auffällig,  dafs  vor  Ricco  keiner  der  vielen 
Beobachter  des  entzückenden  Schauspieles  eines  Sonnenaufgangs,  beziehungs- 
weise Sonnenuntergang»  an  der  See  bemerkt  hat,  dafs  diese  alltägliche  Er- 
scheinung in  so  einfacher  Weise  die  Kugel  gestalt  der  Erd«*  lehrt. 

Wenn  man  näher  zusieht,  wird  »lies  verständlicher;  denn  erstlich  gehört 
ein  aufserordentlich  ruhiger  Sce»pi«*gel  dazu,  lim  «lie  geschilderten  Erscheinun- 
gen in  ihrer  vollen  geometrischen  Reinheit  walirzuiiehinen,  sodann  aber 
kommt  es  dabei  auch  »ehr  wesentlich  auf  db’  Höhe  des  Beobachters  iib»*r  dem 
Seespiegel  an. 

Erhebt  sich  das  Auge  nur  wenige  Meter  bis  zu  wenigen  Zehnem  des 
Meter  über  diesem  Spiegel,  dann  ist  die  Kisclieinung  viel  weniger  deutlich  ent- 
wickelt; ist  dagegen  die  Höhe  des  Auges  viel  gröfscr  als  hundert  bis  einige 
hundert  Meter,  dann  unterscheidet  «ich  der  Verlauf  der  Spiegelungen  immer 
weniger  von  den  Erscheinungen  der  gewölmlielicii  diffusen  Reflexion  in  be- 
wegter See. 

•)  CoropL  Rond.  T.  CVII1  Nr.  17. 


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A.  M.  €lerke.  Geschichte  der  Astronomie  während  den  neunzehnten 
Jahrhunderts.  Deutsche  Ausgabe  von  II.  Maser.  Berlin.  J.  Springer, 
1689  Preis  10  Mark. 

I)or  Versuch,  die  gewaltigen  Errungenschaften  unseres  Jahrhunderts  auf 
dem  Gebiete  der  Astronomie  in  einem  gemeinverständlichen  Werke  zusammen- 
zufassen, ist  in  Deutschland  bis  jetzt  nicht  gemacht  worden.  Die  Bücher,  die 
sich  mit  der  geschichtlichen  oder  sachlichen  Entwicklung  moderner  Astronomie 
befassen,  wie  jene  von  Mädler,  Wolf,  Klein,  reichen  nicht  bis  in  die  neueste 
Zeit  oder  lassen  die  Darstellung  gewisser  Zweige  der  Sternkunde  vermissen. 
Es  wäre  also  jedenfalls  eine  vollständige  Darstellung  des  wissenschaftlichen 
Erfolges,  den  die  Astronomie  seit  den  Zeiten  Wilhelm  HerscheU  zu  verzeichnen 
hat,  mit  höchstem  Interesse  zu  begrüfsen.  Auch  das  vorliegende  Werk  erfüllt 
diese  Hoffnung  nicht  ganz,  denn  das  Buch  hält  nicht,  was  sein  Titel  verspricht.  Es 
handelt  sich  der  gelehrten  Verfasserin,  wie  sie  im  Vorworte  selbst  hervorhebt,  um 
eino  Darlegung  der  „modernen“  Astronomie,  worunter  sie  das  versteht,  was  wir 
gewöhnlich  als  beschreibende  und  physikalische  Astronomie  bezeichnen;  die 
Vorführung  der  analytischen  Entdeckungen  der  Astronomie  unsers  Jahrhunderts, 
die  Entwicklung  der  Rechenkunst  und  ihrer  Erfolge,  die  Ausbildung  der  astro- 
nomischen Mefskunst  u.  s.  w.,  bleiben  von  ihrem  Plane  ausgeschlossen.  Dies 
soll  kein  Tadel  für  die  Absicht  der  Verfasserin  sein,  um  so  weniger,  als  sie 
ihre  Aufgabe  mit  vielem  Geschick  zu  lösen  verstanden  hat.  In  einer  lebendigen, 
nicht  selten  begeisterten  Sprache  führt  sie  den  Leser  von  Kapitel  zu  Kapitel, 
und  weife  unser  Intcregse  bis  zur  letzten  Seite  wachzuhalten.  Zudem  ist  die 
Uebersetzung  von  Maser  eine  so  vorzügliche,  dafs  kaum  irgendwo  der  englische 
Ursprung  des  Werkes  merkbar  wird.  So  vereinigt  das  Buch  Vieles,  um  seine 
Lectüre  für  den  Freund  der  Hiinmelskundo  zu  einer  ebenso  lehrreichen  wie 
angenehmen  zu  gestalten.  Eine  schärfere  Kritik  allerdings  läfst  Mängel  sehen, 
die  zu  rügen  kaum  umgangen  werden  kann.  Bevor  ich  hierauf  eingehe,  sei 
eino  kurze  Angabe  des  Inhaltes  gestattet. 

Der  erste  Abschnitt  des  Buches  behandelt  die  Entdeckungen  der  beiden 
Herschol,  dio  Auffindung  des  Neptun,  der  ersten  Asteroiden  und  der  periodischen 
Cometen,  unsere  Kenntnisse  über  die  Sonne,  und  die  Fixsternenwelt  bi«  zur 
Mitte  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts.  Der  zweite  Theil  bringt  zunächst  in 
fünf  Kapiteln  eine  Darstellung  der  astrophysikalischen  Erforschung  des  Bonnen- 
körpers bis  zur  neuesten  Zeit,  darin  dio  Theorien  über  die  Sonne,  sowie  die 
aus  der  Spcctroscopio  und  den  neueren  Finsternissen  gewonnenen  Ergebnisse, 
die  Messungen  der  Sonnentemperatur,  und  in  einem  sechsten  Kapitel  dio  aus 
den  neueren  Methoden  hervorgegangenen  Bestimmungen  der  Entfernung  der 
Sonno  von  der  Erde.  Hieran  schliefst  sich  die  Betrachtung  der  neueren  Forschung 
über  die  Oberflächen  der  Planeten  und  der  Theorien  ihrer  Entstehung.  Zwei 
weitere  Kapitel  sind  den  Coraetenersrhcinungen  und  den  aus  denselben  gezo- 
genen Schlüssen  gewidmet,  das  vorletzte  Kapitel  enthält  dio  spectral analytische, 
photographische  und  photometrische  Untersuchung  der  Sterne,  dio  Veränder- 
lichen u.  s.  w.,  und  das  letzte  eine  Uobersicht  über  die  bemerkonswerthesten 
Hilfsmittel  der  gegenwärtigen  Forschung. 

Den  Mangel  des  Buches  finde  ich  nun  in  einer  gewissen  Un Vollständig- 
keit der  Berücksichtigung  wissenschaftlicher  Arbeiten.  Namentlich  sind  die  in 
den  Academiess  hriften  des  Auslandes  gedruckten  sowie  dio  selbständig  erschie- 
nenen Memoiren  so  wenig  genannt,  dar«  ich  der  Verfasserin  den  Vorwurf  nicht 
ganz  ersparen  kann,  als  habe  sie  es  zuweilen  gänzlich  vergessen,  dafs  hinter 
dem  Wasser  auch  noch  Leute  wohnen.  Man  kann  nicht  verlangen,  dafs  sie  in 
einem  Buche,  das  einen  so  gewaltigen  .Stoff  bewältigen  soll,  jedem  unbedeutenden 


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astronomischen  Traktätchen  zur  Anerkennung  verhelfe,  aber  wichtige,  wissen- 
schaftlich wohlbegründete  Ansichten  sowohl  solcher,  die  noch  keine  Autoritäten 
sind,  als  auch  die  der  bedeutenden  Forscher,  müssen  in  einem  derartigen  Werke 
erwähnt  werden,  auch  wenn  die  Verfasserin  eine  Gegnerin  dieser  Ansichten  oder 
Ergebnisse  wäre.  So  zum  Beispiel  erwähnt  sie  bei  der  Frage  nach  der  Ursache  des 
Lichtwechsels  der  veränderlichen  Sterne  nicht  der  Hypothese  Gyldöns;1)  mit 
Befremden  vermissen  wir  in  demselben  Kapitel  die  Begründung  der  genauen 
Beobachtung  der  Veränderlichen  durch  Schönfold  und  Schmidt;  bei  der 
Photometrie  der  Sterne  sind  beide  Hörschel  als  Urheber  dieses  Zweiges  ge- 
nannt, aber  die  Namen  von  Zöllner  und  Seidel,  der  Begründer  genauoror 
photometrischer  Methoden,  glänzen  durch  ihre  Abwesenheit.  Zöllners  Ansicht 
über  den  verschiedenen  Abkühlungszustand  der  Sterne  nennt  die  Verfasserin 
eine  „unreifo  Vorstellung“  und  opponirt  gegen  Vogels  Classification  der  Fix- 
sterntypen, indem  sie  dieselben  als  unvollständig  bezeichnet  und  behauptet,  dafs 
wir  über  das  Alter  der  Sterne  nichts  wissen.  Die  Arbeit  von  Kitter  „Unter- 
suchungen über  die  Constitution  gasförmiger  Weltkörper“ *)  kennt  sie  nicht 
Man  kann  ruhig  darauf  hinweiseu,  dafs  wir  von  vielen  Dingen,  die  die  Ver- 
fasserin als  sicher  hinstellt,  noch  weniger  wissen,  als  über  die  Schlufsfolge- 
rungon  betreffs  der  Abkühlungsprozesse  der  Sterne;  nicht  wenig  möchte  das 
die  cosmogenischen  Hypothesen  und  vielleicht  auch  manche  der  Sonnentheorien 
treffen,  welche  die  Verfasserin  für  vollständig  aufzuführen  der  Mühe  w'erth  ge- 
halten hat  Eine  ziemlich  stiefmütterliche  Behandlung  haben  die  neueren  Er- 
gebnisse über  Meteoriten  erfahren;  die  Arbeiten  von  Niossl,  Galle,  Witt- 
stein, Schmidt,  sind  nicht  erwähnt.  Die  Verfasserin  beschränkt  sich  auf  das, 
was  über  den  Zusammenhang  von  Meteoriten  und  Cometcn  aufgestellt  worden 
ist;  Sch  i apart'1  lis  Ansichten  sind  aufgeführt,  aber  wunderlicher  Weise  wird 
sein  epochemachendes  Werk  „Entwurf  einer  astronomischen  Theorie  der  Stern- 
schnuppen" nicht  genannt.  Wenn  das  Buch  der  Doppelsternbahnen  erwähnt, 
die  in  neuerer  Zeit  in  England  ziemlich  schablonenhaft  abgethan  worden  sind, 
dann  verdient  Seeligers  Untersuchung  über ' Cancri3),  vielleicht  die  genaueste 
Arbeit  auf  dem  Gebiete  der  Doppelsterne,  auch  einen  Platz,  umsomehr,  da  die- 
selbe einen  Hinweis  auf  die  rechnerische  Entdeckung  noch  nicht  gesehener 
Körper  iin  Welträume  enthält,  den  sich  die  Verfasserin  auf  diese  Weise  ent- 
gehen lüfst  Dafs  unter  dem  Kapitel  über  dio  neueren  Hilfsmittel  der  Forschung 
das  Aequatorial  coudö  erwähnt  wird,  ist  ganz  in  Ordnung,  nur  darf  man  das 
Instrument  nicht  mit  der  Wichtigkeit  hinstellen,  wie  die  Verfasserin,  bevor  sich 
die  Astronomen  aus  den  zu  erwartendem  Arbeiten  nämlich  haben  ein  Urtheil 
bilden  können. 

Bei  dieser  Gelegenheit  erlaube  ich  mir  noch  eine  Bemerkung,  die  zur 
Hälfte  mit  dem  Buche  zusammenhängt.  Es  scheint  mir  nämlich,  dafs  die 
Kunst  der  Popularisirung  dadurch,  dafs  sie  (wie  es  namentlich  in  England  ge- 
schieht) das  Hauptgewicht  zu  sehr  aut  die  Darstellung  der  Resultate  astrophy- 
sikalischer  und  beschreibender  Forschung  legt,  einen  Weg  betritt,  der  zur 
richtigen  Würdigung  der  astronomischen  Erkenntnisse  im  weitereu  Sinne  für 
das  Publikum  nicht  ohne  Gefahr  ist.  Selbstverständlich  bin  ich  weit  davon 
entfernt,  die  Bedeutung  dieser  Zweige  für  die  Wissenschaft  zu  unterschätzen, 
allein  ich  glaube,  dafs  bei  der  einseitigen  Betonung  nur  dieser  Richtungen  das 

•)  .Versuch  einer  mal  hem.  Theorie  *ur  Erklärung  des  l.ichtwechaeb  veränderlicher 
Sterne*  (Acta  Soc.  Fennicae  XI.  Comptes  rend.  T.  84). 

*)  Poggendorffs  Annalen  IW. 

*)  rntemuchungcn  über  die  Bewegung^verhjfcltnisae  in  dem  dreifachen  Stcrn»VBtcm 
Z Cancri.  iDenkschr-  d.  K.  Acad.  d.  W.  Wien  l^il.  44.  Bd  ) 


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Publikum  leicht  geneigt  wird,  über  diesen  blendenden  und  imponirenden  Resul- 
taten den  Werth  der  anderen  Ergebnisse  zu  vergessen,  welche  die  astronomische 
Forschung  des  gegenwärtigen  Jahrhunderts  zu  Tage  gefördert  hat.  Auch  aus 
dem  vorliegenden  CI  er  ko  sehen  Werke  wird  der  Laie  solche  Vorstellungen 
entnehmen,  die  er  bei  einer  ohjectivcn  Kritik  wird  ändern  müssen;  das  Publi- 
kum sieht  eben  zu  wenig  die  Fäden,  aus  denen  die  wissenschaftlichen  Ergeb- 
nisse gewebt  sind,  die  ihm  vorgelegt  werden,  und  kann  sich  nur  in  einzelnen 
Fällen  eine  eigene  Ansicht  bilden.  Zum  mindesten  wird  durch  das  Vernach- 
lässigen der  anderen  astronomischen  Forschungsgebiete  in  populären  Büchern, 
namentlich  der  rechnenden  und  messenden  Astronomie,  nicht  das  erreicht,  was 
meines  Erachtens  nach  die  Hauptaufgabe  populärer  Darstellung  sein  sollte: 
nämlich  die  Verbreitung  richtiger  BegrifFo  über  das  Wesen  der  wissenschaft- 
lichen Arbeit  Ueber  die  eigentliche  Entsteh ungs weise  astronomischer  Erkennt- 
nisse, die  Methode  der  dabei  befolgten  Arbeit,  die  Bildung  eines  Resultats  und 
die  Art  der  daneben  ausgeübten  Kritik,  vermögen  sich  nur  Wenige  Rechen- 
schaft zu  geben.  Und  gerade  hierin  liegt  der  einzige  Schutz  gegen  das  Zu- 
sammenwerfen von  Halbheit  mit  strenger  Forschung.  Würden  solche  richtige 
Begriffe  über  die  Bedingungen  des  Entstehens  einer  wissenschaftlichen  Arbeit 
im  Publikum  derzeit  allgemeiner  verbreitet  sein,  so  hätte  beispielsweise  Fal  bs 
wissenschaftliche  Thätigkeit  dieses  wunderliche  Conglomcrat  von  Wahrheit 
und  Schein,  nicht  soviel  Staub  aufzuwirbeln  vermocht;  denn  bei  nur  einigem 
kritischen  Blick  würde  man  an  dessen  Theorie  die  Abwesenheit  einer  wirklich 
strengen  wissenschaftlichen  Darlegung  der  Grund  lagen  von  selbst  hcrausgefunden 
haben  und  viel  weniger  allgemeine  „Verblüffung“  wäre  möglich  gewesen. 

Man  wird  mich  jetzt  verstehen,  wenn  ich  schliefslich  den  Wunsch  notire. 
den  ich  lebhaft  fühlte,  nachdem  ich  das  Clerkesche  Buch  gelesen:  dafs  mir 
nun  sofort  ein  Werk  zur  Hand  sein  möchte,  welches  in  ebenso  trefflicher  über- 
zeugender Weise  auch  den  anderen,  strengeren  und  für  das  Publikum  schwie- 
rigeren Richtungen  gerecht  wird,  auf  welchen  die  Astronomie  des  neunzehntem 
Jahrhunderts  mit  Ehren  einen  nicht  minder  grofsen  Fortschritt  verzeichnet. 

F.  K.  Ginzel. 


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Herrn  II.  Bll.  in  Münster.  Der  Stern  der  heiligen  drei  Könige, 
iler  gegenwärtig  wie  alljährlich  unter  den  vielen  anderen  sinnreichen  symbo- 
lischen Bildern  wieder  erscheint,  welche  der  frohen  Weihnachtszeit  ihr  feier- 
liches Gepräge  gehen,  und  nach  dessen  Natur  und  Herkunft  Sie  fragen,  wird 
der  Wissenschaft  wohl  stets  hypothetisch  bleiben.  Am  wahrscheinlichsten  ist 
es  vielleicht,  dafs  er  zu  den  sogenannten  „neuen  Sternen“  gehörte,  welche 
plötzlich  aullodcrn,  um  dann  nach  einigen  Monaten  wieder  zu  verseil  winden. 
Unter  dieser  Annahme  wäre  es,  wie  einige  Astronomen  glauben,  nicht  unmög- 
lich. dafs  dieser  mysteriöse  Stern  in  ungefähr  gleichen  Perioden  wieder  auf- 
glüht. Mau  findet  nämlich  in  den  Annalen  das  Auftreten  ähnlicher  Sterne  in 
den  Jahren  945  126-4  lind  1572  verzeichnet;  die  letzte  Krschcinung  betrifft  den 
berühmten  sogenannten  Tychonischen  Stern,  welcher,  ganz  ebenso  wie  es  die 
Bibel  von  dem  Sterne  der  drei  Könige  mittheilte,  am  hellen  Tage  leuchtend 
am  Himmel  sichtbar  blieb.  Die  Intervalle  zwischen  den  drei  oben  angegebenen 
Jahreszahlen  sind  319  und  308,  während  zwischen  dem  problematischen  Sterne 
der  Weisen  und  dem  von  1)4.»  dreimal  315  Jahre  liegen.  Alle  diese  Zahlen 
sind  nahezu  gleich;  sie  schwanken  durchaus  innerhalb  der  Grenzen,  in  denen 
auch  der  stets  etwas  veränderliche  Lichtwechsel  solcher  Sterne  eingesc blossen 
ist.  Bestätigt  sich  defshalh  diese  Vermuthung  — und  von  mehr  als  einer  Ver- 
muthung  kann  hier  keine  Bede  sein  — so  ergield  eine  hlofse  Addition  dieses 
Intervalle»  von  310  bis  320  Jahren  zu  1572,  dafs  der  schöne  Stern  nun  sehr 
bald  und  zwar  bis  spätestens  zum  Jahre  1892  wiederkehren  mUfete,  welcher 
die  Geburt  des  Heilands  der  Welt  mit  triumphirendeni  Lichte  zu  verkünden 
l»enifen  schien.  — Noch  Ausführlicheros  über  diese  Angelegenheit  finden  Sie 
übrigens  in  dem  Buche  des  Redakteurs  dieser  Zeitschrift  „Spaziergänge  durch 
das  Reich  der  Sterne“  (Wien  1885)  S.  76  bis  86. 

Herrn  Dr.  J.  F.  in  Budapest.  Sie  fragen  unter  andern! : „Sind  die  pla- 
netaren  Umlaufshahnen  in  der  That  elliptisch  und  ist  die  Ellipse  in  der  That 
so  unwiderstehlich  nachgewiesen,  dafs  ein  anständiger  Mensch  sich  schämen 
sollte,  diese  Frage  zu  stellen?“  Ihre  Zweifel  defswegen  liehen  dann  bei  der 
völlig  zweifellos  richtigen  Thatsache  an,  dafs  Kreise  unter  jedem  anderen  als 
einem  rechten  Winkel  gesehen,  wie  Ellipsen  erscheinen,  während  wir  ja  noth- 
wendig  die  Planetenbahnen  unter  solchen  Winkeln  betrachten.  Sie  fügen 
schliefslich  hinzu,  dafs  die  i>opulärcu  Schriftsteller,  welche  Ihnen  von  all  den 
Wunderdingen  am  Himmel  erzählten,  Sie  „tief  in  der  Seele  beunruhigt“  hätten 
durch  solche  und  viele  andere  Fragen,  welche  dem  „recht  intelligenten  Igno- 
ranten“ aufstofsen,  von  ihm  aber  nicht  beantwortet  werden  konnten.  Wir  er- 
widern darauf  mit  Freuden,  dafs  wir  die  Entstehung  derartiger  zweifelnder 
Fragen  vorausgesehen  haben  und  eben  defshalh  in  jener  längeren  Serie  von 
Artikeln  die  Beweise  für  die  mit  unzweifelhafter  Sicherheit  erkannte  Welt- 
ordnung, einem  denkenden  Laien  ohne  Vorkemitnisse  verständlich,  liefern. 
Auch  auf  Ihre  Fragen  wird  in  diesen  Artikeln  an  rechter  Stelle  die  Antwort 
Himmel  u&d  Erde.  I.  4.  19 


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gegeben;  wir  müssen  Sie  darauf  vertrösten.  Doch  können  wir  schon  jetzt  hin- 
zufügen,  dafs  die  Planetenlaufbahnen  uns  von  der  Erde  aus  gesehen  weder 
elliptisch  noch  kreisförmig,  sondern  als  sehr  verwickelte,  sich  vielfach  durch- 
kreuzende Linien  au  (treten,  deren  mathematische  Behandlung  in  der  That  ganz 
unwiderstehlich  ihre  in  Wahrheit  elliptische  Form  verräth.  Davon,  wie  erwähnt, 
später  in  einem  unserer  nächsten  Feuilletons. 


Herrn  A.  G.  in  München.  Eine  bis  1881  reichende  Zusammenstellung 
der  verschiedenen  Wcrlhe  der  ermittelten  Parallaxe  der  Sonne  giebtNewcombs 
„Populäre  Astronomie“  (deutsche  Ausgabe  von  W.  Engcltnaun,  Leipzig  1881. 
pag.  225),  einen  kritischen  Ueberbliek  über  dieselben  Harkness  (Amer.  Joum. 
of  Sc.  3 Serie,  vol.  XXII  pag.  375).  Zu  diesen  Beitrügen  können  wir,  da  sich  den 
offiziellen  Publikationen  der  verschiedenen  leitenden  ComitÄs  der  Vonusdurch- 
gangs-Bearbeitungeu  nicht  gut  vorgreifen  liifst,  nur  den  Bericht  des  britischen 
Comitäs  hinzu  fügen  (Transit  of  Venus  1882,  London  1887),  nämlich  8.832"  zfc  0.024". 

Die  gewünschten  Wolf  sehen  Relativzahlen  der  Sonnenfiecken  für  1880 
bis  1887.  welche  die  nach  einer  hier  nicht  näher  zu  erläuternden  Formel  be- 
rechnete Häufigkeit  der  Flecke  definiren,  sind  folgende: 


1880  . . . 32.3* 

1881  ..  . 54.2 

1882  . . . 59.8 

1883  . . . 63.7 


1884  ..  . 63.4 

1885  . . . 52.2 
1888  . . . 25.4 
1887  ..  . 13.1 


Herrn  W.  L.  H.  in  Berlin.  Das  bereits  fertig  gestellte  ausführliche  Ver- 
zeichnis von  Fixsternparallaxen  und  Dopttclsternhahnen  hat  des  Raummangels 
wegen  auf  das  nächsterscheinemle  Heft  verwiesen  werden  müssen. 


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Verlag  von  H «.t mann  i’actel  in  Berlin.  — Druck  von  Wilhelm  Urooau’w  Buchdruckerei  in  Berlin. 
Für  dl©  Rednclion  verantwortlich : Dr.  M.  Wilhelm  Meyer  in  Berlin. 
Unberechtigter  Nachdruck  aus  dem  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt. 
Uebarnetiungsrecht  Vorbehalten. 


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Die  leuchtenden  Nacht  wölken. 

Von  0.  J«8se  in  Steglitz. 


~|^ie  letzton  Jahre  zeichnen  sicli  durch  ganz  aulserordentlich  auf- 
v fallende  Erscheinungen  in  der  Erdatmosphäre  aus,  welche 
— geeignet  sind,  das  Interesse  dor  Forscher  in  hohem  Grade  in 
Anspruch  zu  nehmen.  Im  August  des  Jahres  1883  begannen  in  den 
Aequatorgegenden  in  unmittelbarem  Zusammenhänge  mit  dem  Krakatoa- 
Ausbruch ')  die  kräftigen  rothen  Diimmerungsphänomene,  welche  von 
da  aus  sich  allmählich  über  die  ganze  Erde  verbreiteten  und  gegen 
das  Ende  des  November  auch  in  Deutschland  vielfach  gesehen  und 
bewundert  worden  sind.  Vom  Dezember  1883  ab  nahm  der  Glanz 
derselben  allmählich  ab,  abor  noch  bevor  dieser  vollständig  erlosch, 
stellte  sich  im  Sommer  1885  eine  neue  Erscheinung  ein,  die  seitdem 
zwar  nur  während  verhältnirsmäfsig  kurzer  Zeit  im  Jahre  bei  uns 
siohtbar  ist,  die  sich  aber  regelmäfsig  zu  einer  fast  genau  abgemessenen 
Jahreszeit  wiederholt  und  dabei  einen  Glanz  entwickelt,  welcher,  unter 
Berücksichtigung  der  Zeit,  das  Phänomen  als  ein  höchst  auffallendes 
erscheinen  läfst. 

Die  bisher  angestellten  Messungen  über  die  Höhe  der  Erschei- 
nung, die  sich  als  leuchtende  Nachtwolkon  darstellt,  ergaben  so 
aufserordentlich  hohe  Werthe,  dafs  man  das  Wesen  derselben  als  ein 
durchaus  räthselhaftes  bezeichnen  mufste,  weil  bisher  kein  Fall  beob- 
achtet worden  ist,  in  welchem  gewöhnliche  Wolken  auch  nur  an- 
nähernd eine  solche  Höhe  erreicht  haben.  Während  nach  Ekholm 
und  Hagström  die  gröfste  Erhebung  der  gewöhnlichen  Cirruswolken 
(oder  Federwolken)  etwa  13  km  boträgt,  ist  für  die  leuchtenden 

')  Wir  werden  auf  diese  denkwürdige  Katastrophe  und  ihre  direkten 
meteorologischen  Gefolgoerscheinungen  in  den  nächsten  Heften  eingehend 
zurückkommen.  D.  Red. 

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Himmel  und  Erde.  I-  5, 


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Wolken  eine  Höhe  von  75  km  gefunden  worden.  Der  Unterschied 
dieser  Werthe  ist  so  beträchtlich,  dafs  man  auf  keinen  Fall,  oder  doch 
nur  unter  sehr  erschwerten  Umständen,  dieselben  Bestandteile  fiir  die 
leuchtenden,  wie  fiir  die  gewöhnlichen  Cirruswolken  annehmen  kann. 

Die  glänzenden  N'achtwolkcn  wurden  in  Norddeutschland  zuerst 
im  Jahre  1865  in  den  Tagen  des  23.  und  24.  Juni  gesehen.  Nach 
meinen  Beobachtungen  am  23.  Juni  hatte  das  Phänomen  den  folgenden 
Verlauf.  Einige  Zeit  nach  Sonnenuntergang  erschien  innerhalb  des 
Dämmerungssegments2)  am  Himmel  eine  cirrusartige  Bewölkung,  die 
sioh  durch  eine  ungewöhnliche  Helligkeit  auszeichnete.  Ich  habe  dem 
Wolkenhimmel  bisher  immer  eine  grofae  Aufmerksamkeit  zugewandl: 
aber  eine  so  glänzende  Erscheinung,  besonders  zu  einer  so  späteu 
Abendzeit,  erschien  mir  außerordentlich  auffallend.  Um  9 Uhr 
50  Minuten  war  der  Nordwesthimmel  bis  zu  einer  Höhe  von  etwa 
20  Grad :i)  mit  einer  schön  gezeichneten,  hellen,  cirrusartigen  Wolken- 
schicht bedeckt,  die  sich  etwa  von  Nordwest  bis  Nordnotdost  erstreckte. 
In  dieser  Schicht,  deren  unterster  Theil  mir  jedoch  durch  Häuser  und 
Bäume  verdeckt  war,  liefsen  sich  drei  horizontale  Zonen  unterscheiden. 
Die  untere  hatte  ein  glanzloses,  etwas  gelbliches  Aussehen,  weiter 
hinauf  folgte  ein  Streifen  von  mehreren  Graden  Breite,  welcher  in 
einem  überaus  schönen,  weifsglänzenden,  silberähnlichen  Lichte 
leuchtete.  Ueber  diesem  Streifen  folgte  ein  ähnlicher  mit  mattem, 
bläulichem  Farbenton.  Auf  der  Fläche  der  leuchtenden  Wolken  ließen 
sich  verschieden  gestaltete  Figuren,  besonders  kreisförmige  mit  viel- 
fach verschlungenen  Streifungen  erkennen.  Das  Licht  der  hellen 
mittleren  Zone  war  vergleichbar  dom  Uchte  des  beinahe  vollen 
Mondes,  wenn  dersolbe  zur  Zeit  des  Sonnenunterganges  ungefähr 
1U  Grad  über  dem  Osthorizont  sich  befindet.  Um  101  , Uhr  hatte  die 
Höhe  der  leuchtenden  Wolken  etwas  abgenommen;  die  drei  Schichten 
waren  noch  vorhanden,  die  obere  war  jedoch  beträchtlich  schmaler 
geworden. 

Diese  wunderltare  Erscheinung  hatte  mein  höchstes  Interesse  in 
Anspruch  genommen.  Um  mich  zu  informiren,  ob  dieselbe  in  der 
That,  wie  ich  dem  Augenschein  nach  schließen  durfte,  eine  weitere 

J)  Das  Dämmurungssegment  ist  derjenige  Theil  des  Himmels,  welcher 
nach  Sonnenuntergang  oder  vor  Sonnenaufgang  von  den  Sonnenstrahlen  be- 
leuchtet wird  und  welcher  uns  daher  in  dom  Dämmerlichte  erscheint  Es  ist 
im  allgemeinen  ein  verwaschener  Halbkreis,  welcher  das  Segment  gegen  den 
Nacbtbimmel  begrenzt 

*)  1 (»rad  (!•)  ist  etwa  soviel  wie  zwei  Vollmondbreiteu. 


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285 


Verbreitung  hatte,  richtete  ich  an  verschiedene  wissenschaftliche 
Institute  in  Deutschland  eine  Anfrage  und  ersuchte  um  Mittheilung 
über  das  Phänomen.  Infolge  dessen  erhielt  ich  eine  grüfsere  An- 
zahl von  Zuschriften,  in  welchen  mir  Beobachtungen  über  dasselbe 
mitgetheilt  wurden.  Die  Erscheinung  ist  hiernach  nahezu  gleichzeitig 
in  ganz  Deutschland  gesehen  worden.  Ich  mufs  indessen  hinzufügen, 
dafs  nach  einer  brieflichen  Mittheilung  von  Herrn  Dr.  Laska  in  Prag 
das  Phänomen  von  demselben  bereits  am  10.  Juni  1885  bemerkt 
worden  ist. 

Während  der  folgenden  Wochen  nach  dem  23.  Juni  wurden  die 
leuchtenden  Wolken  noch  vielfach  beobachtet.  Gegen  das  Ende  des 
Juli  1885  hörten  dieselben  indessen  plötzlich  auf,  so  dafs  es  schien, 
als  sei  die  Erscheinung  nun  überhaupt  verschwunden;  dies  war  jedoch 
nur  scheinbar.  Am  30.  Mai  1886  erhielt  ich  von  Herrn  Dr.  P.  An- 
dries,  Wilhelmshaven,  die  Mittheilung,  dafs  die  leuchtenden  Wolken 
am  28.  desselben  Monats  daselbst  von  neuem  gesehen  worden  waren; 
ferner  schrieb  mir  Herr  Ingenieur  Gronemann  zu  Osterbeek  in 
Holland,  dafs  er  dasselbe  Phänomen  ebenfalls  am  28.  Mai  beobachtet 
habe.  Bald  darauf  wurde  es  auch  in  ganz  Deutschland  nahezu  in  der- 
selben Weise  gesehen,  wie  im  Jahre  vorher.  Besonders  bemerkens- 
werth  ist  es,  dafs  es  nach  zwei  Monaten,  fast  um  dieselbe  Zeit  wie 
im  Jahre  1885,  wieder  verschwand.  Seitdem  hat  sich  das  Phänomen 
alljährlich  wiederholt  und  zwar  so,  dafs  es  niemals  vor  Ende  Mai  und 
nach  Ende  Juli  gesehen  worden  ist  Es  ist  indessen  keineswegs  an 
jedem  sonst  w'olkenfreien  Abend  bemerkt  worden,  sondern  os  tritt 
meist  in  unregelmäßigen  Zwischenräumen  von  etwa  8 Tagen  auf  und 
bleibt  dann  in  der  Regel  mehrere  Nächte  hintereinander  sichtbar. 

Das  Phänomen  der  leuchtenden  Wolken  hat  seit  seinem  ersten 
Auftreten  schon  beträchtlich  abgenommen;  dies  zeigt  sich  namentlich 
darin,  dafs  die  Häufigkeit  in  den  letzten  Jahren  wesentlich  geringer 
geworden  ist,  als  sie  anfangs  war.  Besonders  aber  fällt  hierbei  ins 
Gewicht,  dafs  in  den  ersten  beiden  Jahren  wiederholt  Fälle  vorge- 
kommen sind,  welche  einen  tiefen  Eindruck  auf  den  Beschauer  hinter- 
liefsen  und  zwar  weniger  infolge  des  grofsen  Glanzes,  als  grade 
infolge  des  zeitweisen  Mangels  an  Glanz.  Es  ist  wiederholt  sowohl 
von  mir,  als  auch  von  anderen  Personen  beobachtet  worden,  dafs 
einige  Zeit  nach  Sonnenuntergang  der  Nordwesthimmel  vollständig 
tiefschwarz  und  undurchdringlich  erschien,  obwohl  die  Sonne  bei  ganz 
klarem  Himmel  untergegangen  war.  Nur  in  größeren  Höhen,  von 
etwa  10  bis  20  Grad  an,  zeigte  das  intensive  silberhelle  Leuchten  das 

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Vorhandensein  des  merkwürdigen  Phänomens  an.  Ich  vermag  kaum 
den  beängstigenden  Eindruck  zu  schildern,  welchen  diese  unheimliche 
Erscheinung  auf  mich  hervorbrachte;  es  schien,  als  wenn  eine  äufserst 
dunkle  und  schwere  Gewitterwolke  sich  in  kurzer  Zeit  über  jenen 
Theil  des  Himmels  ausgebreitet  hatte.  Dafs  aber  thatsächlich  nichts 
dergleichen  vorhanden  war,  wurde  bald  darauf  erkannt,  als  der  finstere 
Schatten  allmählich  durch  das  forlschreitende  Leuchten  verdrängt  wurde. 
Ich  kann  mir  dies  Vorkommnifs  nicht  anders  erklären,  als  durch  die 
Annahmo  einer  außerordentlichen  Anhäufung  der  Bestandtheile  der 
leuchtenden  Wolken,  durch  welche  die  Sonnenstrahlen  gänzlich  aus- 
gelöscht wurden.  Da  die  letzteren  zu  der  Zeit  ungefähr  eine  solche 
Riohlung  hatten,  dafs  der  Weg,  den  sie  in  der  Nähe  des  sichtbaren 
Horizontes  in  einer  horizontalen,  mit  schwebenden  Theilehen  unge- 
füllten Schicht  der  Atmosphäre  zurücklegen,  seinen  größten  Werth 
hat,  so  sohoint  der  Vorgang  des  Auslöschens  wohl  erklärlich,  zumal 
hierbei  die  Anzahl  der  das  Licht  hemmenden  Theilehen  ein  Maximum 
ist.4)  Mit  dieser  Ansicht  im  Zusammenhänge  scheint  auch  die  That- 
sache  zu  stehen,  daß  an  solchen  Abenden  das  Aufleuchten  der  hellen 
Wolken  schon  etwa  15  bis  20  Minuten  nach  Sonnenuntergang  statt- 
fand, wogegen  dasselbe  an  anderen  Abenden  gewöhnlich  später  erfolgte. 
Besonders  in  den  letzten  beiden  Jahren  war  die  Dauer  zwischen  dem 
L’ntergange  der  Sonne  und  dem  Aufleuchten  der  Wolken  meist  länger 
als  eine  Stunde. 

An  den  Abenden,  an  welchen  das  Aufleuchten  ungewöhnlich 
früh  stattfand,  ereignete  es  sich  auch  in  der  Regel,  daß  die  hellen 
Wolken  mehr  oder  weniger  über  den  ganzen  Himmel  verbreitet  waren 
und  daß  nur  der  äufsersto  Südost-Himmel  davon  frei  blieb.  Anfangs 
waren  dieselben  kaum  bemerkbar;  mit  dem  abnehmenden  Tageslichte 
oder  bei  tiefer  sinkender  Sonne  zog  sich  die  Erscheinung  allmäh- 
lich nach  Nordwesten  hin  zurück;  gleichzeitig  nahm  der  Glanz  der 
Wolken  langsam  zu,  und  er  erreichte  seinen  größten  Werth,  wenn 
die  Ausdehnung  der  Erscheinung  sich  soweit  vermindert  hatte,  daß 
die  obere  Grenze  im  Nordwesten  nur  noch  eine  Höhe  von  etwa 
15  Grad  hatte.  Wenn  dagegen  das  Aufleuchten  länger  als  eine  Stunde 
nach  dem  Sonnenuntergänge  stattfand,  wurde  die  Erscheinung  nur  am 
Nordwest-Himmel  wahrgenommen. 

In  den  meisten  Fällen  wurde  auch  einesehr  rasche  Veränderung 
der  Form  der  Wolken  bemerkt;  schon  nach  wenigen  Minuten  war 

‘J  Siehe  den  Zusatz  1 am  Schlufs  des  Artikels. 


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207 


«las  Aussehen  derselben  ein  wesentlich  anderes  geworden.  An  einem 
Abend  bemerkte  ich  im  Nordnordosten  eine  Stelle,  welche  sich  vor 
allen  anderen  durch  einen  auffallenden  Glanz  auszeichnete;  diese  blieb 
während  der  ganzen  Boobachtungszeit  am  Abend  sichtbar,  wenn  auch 
unter  Veränderung  ihrer  ursprünglichen  Form.  In  der  zweiten  Hälfte 
der  Nacht  hatte  jedoch  dieser  Glanz  wesentlich  abgenoramen,  so  dafs 
die  Stelle  vor  anderen  nicht  mehr  hervortrat. 

Die  diesem  Artikel  beigegebenen  vier  Abbildungen  der  leuch- 
tenden Nachtwolken  sind  nach  photographischen  Aufnahmen  her- 
gestellt.  Fig.  1 und  2 sind  gleichzeitig  am  6.  Juli  1887  abends  9 Uhr 
55  Minuten  mittlere  Berliner  Zeit  aufgenommen,  die  erste  von  dem 
Wasserthurm  des  Observatoriums  in  Potsdam,  die  zweite  von  dem 
Dache  des  Hauses  Blumenthalstrafse  18  in  Berlin.  Fig.  3 stellt  das 
Phänomen  dar,  wie  es  sich  10  Minuten  später  in  Potsdam  zeigte;  man 
erkennt  aus  derselben,  dafs  die  Erscheinung  bereits  etwas  herab- 
gesunken ist.  Fig.  4 giebt  eine  Abbildung  der  leuchtenden  Wolken 
vom  4.  Juli  1888  morgens  IV«  Uhr  durch  eine  Lücke  des  unteren 
Oewölkes;  bei  dieser  Aufnahme  war  der  Standort  das  Dach  des 
Hauses  Albrechtstrafse  30  in  Steglitz. 

Die  günstigste  Zeit  für  die  Beobachtung  der  leuchtenden  Wolken 
ist  immer  dann,  wenn  der  Dämmerungsbogen  eine  Höhe  von  etwa 
15  Grad  hat;  dies  ist  der  Fall,  wenn  sich  die  Sonne  etwa  10  bis 
11  Grad  unter  dem  Horizonte  befindet.  Sind  diese  Wolken  überhaupt 
vorhanden,  so  sind  sie  immer  nur  innerhalb  des  Diimmeruugssegmentes 
am  Himmel,  jedoch  ragt  die  Erscheinung  wohl  etwas  — um  2 bis 
5 Grad  — über  dasselbe  hinaus.  Die  leuchtenden  Wolken  haben  im 
allgemeinen  ein  ähnliches  Aussehen  wie  gewöhnliche  Cirrus-  oder 
Federwolken,  aber  sie  unterscheiden  sich  in  einem  wesentlichen  Punkte 
von  diesen,  wodurch  sie  unzweifelhaft  sofort  zu  erkennen  sind.  Wenn 
nämlich  Cirruswolken  innerhalb  des  Dämmerungssegmentes  Vorkommen, 
so  sind  diese  — mit  Ausnahme  etwa  der  ersten  15  Minuten  nach  dem 
Untergange  der  Sonne  — immer  dunkler  als  derjenige  Theil  des 
Dämmerungshimmels,  in  welchem  keine  Cirruswolken  vorhanden  sind. 
Dagegen  sind  die  leuchtenden  Wolken  immer  he  Her,  als  der 
sie  umgebende  Dämmerungshimmel.  Gewöhnliche  Cirruswolken 
verschwinden  im  allgemeinen  nicht,  wenn  sie  aufserhalb  jenes  Segmentes 
sich  befinden,  sie  verändern  nur  ihr  Aussehen,  indem  sie  nun  heller 
erscheinen  als  der  ihnen  zunächst  liegende  Theil  des  Nachthimmels. 
Die  leuchtenden  Wolken  verschwinden  aber  gänzlich,  sobald  die  Grenze 
zwischen  dem  Dämmerungs-  und  dem  Nachthimmel  über  sie  hinweg- 


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2*18 

geht  und  nur  derjenigeThcil  bleibt  sichtbar,  welcher  in  dem  Dämmerungs- 
Segment  liegt. 

Welche  aufserordontlichen  Unterschiede  nun  zwischen  den  ge- 
wöhnlichen Cirruswolken  und  diesen  leuchtenden  Wolken  vorhanden 
sind,  zeigt  sich  besonders  an  den  bis  jetzt  vorgenommenen  Höhen- 
bestimmungen. Die  Ausdehnung  der  Erscheinung  ist  von  dem  jedesmali- 
gen Stande  der  Sonne  unter  dem  Horizonte  abhängig.  Es  ergeben  sieh 
daher,  unter  der  Voraussetzung,  dass  das  Leuchten  der  Wolken  durch  ein 
Zuriiokwerfeu  der  Sonnenstrahlen  bewirkt  wird,  und  dafs  das  Ver- 
schwinden gegen  den  Xachthiimm-1  dadurch  hervorgerufen  wini,  dafs 


Fig.l. 


der  Erdschatten  über  die  Licht  reüektireudeu  Theilchen  hinweggeht, 
leicht  die  Grundsätze  für  eine  Höhenbestimmung;  denn  man  braucht 
nur  das  Fortschreiten  jenes  Bogens,  welcher  das  Phänomen  gegen  den 
Nachthimmel  begrenzt,  zu  verfolgen  und  die  Höhe  des  Gipfels  des 
Bogens  über  dem  Horizont  zu  verschiedenen  Zeiten  mittelst  eines 
Winkelmefsinstrumentes  zu  bestimmen.  Aus  derartigen  Messungen, 
welche  im  Jahre  1885  wiederholt  von  mir  ausgeführt  worden  sind, 
ergiebt  sich  die  ungemein  grofse  Höhe  von  mehr  als  50  km.  Aber 
es  mufs  zweifelhaft  erscheinen,  ob  dieser  Werth  den  wirklichen  Ver- 
hältnissen entspricht.  Die  durch  die  Erdatmosphäre  hindurchgehenden 
Sonnenstrahlen  werden  bekanntlich  um  so  mehr  geschwächt,  je  länger 
der  Weg  ist,  den  sie  in  derselben  zurücklegen.  Hierzu  kommt,  dafs 


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diejenigen  Strahlen,  welche  die  Erdoberfläche  selbst  berühren,  auch 
besonders  aus  dem  Grunde  am  meisten  Licht  verlieren,  weil  die  ver- 
schiedenen Luftschichten  im  allgemeinen  um  so  mehr  mit  fremden 
Bestandtheilen,  welche  für  den  Durchgang  des  Lichtes  hinderlich  sind, 
ungefüllt  sind,  je  näher  die  Schicht  an  der  Erdoberfläche  sich  befindet. 
Es  ist  hiernach  nicht  unwahrscheinlich,  dafs  erst  diejenigen  Sonnen- 
strahlen, welche  in  einer  Entfernung  von  etwa  5 km  von  der  Erd- 
oberfläche bleiben,  die  Kraft  behalten,  um  die  fremden  Theilchen  hin- 
reichend zu  beleuchten,  so  dafs  diese  sichtbar  werden.  In  der  Thal 


Fi*  2. 


haben  spätere  Bestimmungen  wesentlich  gröfsere  Werthe  für  die  Hohe 
ergeben.  Auf  Veranlassung  des  Herrn  Professor  Förster  in  Berlin 
wurden  am  Abend  des  t».  Juli  1887  gleichzeitig  von  Herrn  Dr. 
Stolze  in  Berlin  und  von  mir  in  Potsdam  photographische  Auf- 
nahmen von  den  leuchtenden  Wolken  ausgeführt,  aus  welchen  ein 
Werth  von  etwa  75  km  für  die  Höhe  folgt.1)  Indessen  ist  auch  dieser 
Werth  nicht  ganz  sicher,  weil  die  Entfernung  Potsdam  — Berlin  zu 
klein  ist.  gegenüber  der  Entfernung  der  leuchtenden  Wolken,  wenn 


')  Siehe  «len  Zusatz  2 am  Schlüsse  dieses  Artikels. 


270 


diese,  wio  es  au  jenem  Abend  der  Fall  war.  in  der  Nähe  des  Horizonts 
sich  befinden.*)  Von  den  Herren  Dr.  Ceraski  und  Beiopolsky  in 
Moskau  wurden  wiederholt  Höhenbestimmungen  ausgeführt,  uach 
welchen  sich  ein  Werth  von  etwa  CU  km  ergiebt. 

Man  könnte  nun  zu  der  Ansicht  neigen,  dafs  das  Phänomen 
bisher  in  jedem  Sommer  dagewesen  ist,  und  dafs,  da  es  besonders  in 
seinem  gröfsten  Glanze  spiit  um  Abend  auftritt  und  dann  nur  immer 
sehr  tief  am  Horizont  sichtbar  ist,  es  bisher  nicht  bemerkt  oder  doch 
iihcrsehen  worden  ist,  und  in  der  Thal  ist  es  denkbar,  dafs  ein  nicht 
geschultes  Auge  die  Erscheinung  übersieht. 


Fig.  3. 


Gegen  die  Ansicht,  dafs  dns  Phänomen  in  dem  bisher  beobachteten 
Glanze  ein  beständiges,  alle  Jahre  wiederkehrendes  ist,  sprechen  in- 
dessen gewichtige  Thatsachen.  Zunächst  spricht  hiergegen  der  Um- 
stand, dafs  ich  in  dem  Sommer  1884,  welcher  dem  zuerst  bemerkten 
Auftreten  der  leuchtenden  Wolken  voraufging,  vielfach  das  glänzende 
Purpurlicht  am  Dümtnerungshimmel  beobachtet  und  gemessen  habe. 
Die  Erscheinung  würde  mir  daher  auf  keinen  Fall  entgangen  sein, 
wenn  sio  damals  schon  vorhanden  gewesen  wäre.  Feiner  spricht 
dagegon  die  Thatsache,  dafs  die  leuchtenden  Wolken  seit  der  ersten 
Beobachtung  von  Jahr  zu  Jahr  an  Ausdehnung  und  Häufigkeit  des 

“)  Siehe  den  Zusatz.  :>  am  Schlüsse  dieses  Artikels. 


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271 


Auftretens  abgenommen  haben.  Wenn  sie  aber  so  ausserordentlich 
rasch  abnehmen,  wie  es  bis  jetzt  durch  die  Beobachtung  festgestellt 
ist,  so  müssen  sie  nothwendig  einen  Anfang  genommen  haben;  jeden- 
falls ist  aber  mit  der  konstatirten  Abnahme  die  Ansicht  unvereinbar, 
dafs  das  Phänomen  in  dem  beobachteten  Glanze  ein  dauerndes  ist. 
Obwohl  nun  andererseits  hiernach  ein  Ende  der  Erscheinung  in  Aus- 
sicht steht,  so  ist  es  doch  immerhin  wahrscheinlich,  dafs  während 
einiger  Jahre  dieselbe  noch  fortdauern  wird. 


big.  4. 


Die  im  Jahre  1883  vorgckommenen  aufserordentlichen  vulka- 
nischen Ausbrüche  des  Krakatoa  in  der  Sundastrafse,  in  deren  Gefolge 
ungemein  prächtige  rothe  Dammerungserscheinungen  auftraten,  lassen 
es  an  sich  als  cinigermarsen  wahrscheinlich  erscheinen,  dafs  die 
leuchtenden  Wolken  mit  denselben  im  Zusammenhänge  stehen. 

Zwar  wissen  wir,  dafs  die  glänzenden  Wolken,  welche  seit  dem 
Jahr  1885  in  jedem  Sommer  bei  uns  gesehen  worden  sind,  im  Jahre 
1884  noch  nicht  vorhanden  waren  und  dafs  somit  zwischen  dem  Aus- 
bruch des  Krakatoa  und  dem  ersten  Auftreten  des  Phänomens  ein 
Zeitraum  von  nahe  2 Jahren  verflossen  ist.  Aber  obwohl  hierdurch 
die  Annahme  eines  Zusammenhanges  zwischen  beiden  Erscheinungen 


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ÜWita'g 


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3 


272 

von  vornherein  ausgeschlossen  erscheint,  so  glaube  ich  denselben 
dennoch  aufrecht  erhallen  zu  können. 

Es  ist  oben  darauf  hingewiesen,  dafs  die  leuchtenden  Wolken 
eine  Höhe  von  etwa  75  km  haben.  Vergleicht  man  mit  diesem  Re- 
sultate die  bis  jetzt  bekannt  gewordenen  Werthe  über  die  Höhe  der 
gewöhnlichen  Cirruswolken,  die  wie  schon  erwähnt  13  km  erreichen 
kann  und  bekanntlich  die  höchste  unter  gewöhnlichen  Umständen  be- 
obachtete Wolkenform  ist,  so  drängt  sich  uns  nothwendig  die  Er- 
kenutnifs  auf,  dafs  die  leuchtenden  mit  den  gewöhnlichen  Wolken 
nichts  zu  thun  haben.  Man  ist  aus  diesem  Grunde  genüthigt,  zur  Er- 
klärung dieser  Erscheinung  ganz  neue  Gesichtspunkte  aufzustellen. 
In  gewissem  Sinne  giebt  aber  die  Entstehung  der  gewöhnlichen  Wolken 
einen  Anhalt  für  eine  Hypothese  über  das  Zustandekommen  der 
leuchtenden  Wolken. 

Wir  wissen,  dafs  die  gewöhnlichen  Wolken  durch  das  Empor- 
steigen des  Wasserdampfes  entstehen,  indem  mit  der  gleichzeitig  statt- 
findenden  Ausdehnung  der  Oase  eine  Temperaturerniedrigung  vor  sich 
geht,  unter  deren  Einflufs  der  Wasserdampf  sich  zu  Tröpfchen  ver- 
dichtet. Ganz  ähnlich  kann  man  sich  das  Entstehen  der  leuchtenden 
Wolken  denken,  indem  mau  von  der  Voraussetzung  ausgeht,  dafs  statt 
des  Wasserdampfes  irgend  ein  anderes  Gas  in  höhere  Luftschichten 
steigt  und  sich  hierbei  soweit  äbkühlt,  dafs  dasselbe  sich  in  den 
tropfbar  flüssigen  Zustand  umwandelt. 

Wir  wissen  nach  den  neuen  Untersuchungen  von  Olszewsky, 
Wroblewsky  und  andern,  dafs  eine  grofse  Anzahl  von  Gasen  durch 
Entziehung  von  Wärme  und  durch  Steigerung  des  ättfscren  Druckes 
sich  zu  tropfbaren  Flüssigkeiten  verdichten  lassen.  Die  Temperatur 
und  der  Druck  stehen  hierbei  in  der  Verbindung  miteinander,  dafs 
der  Wärmeverlust  um  so  grüfser  sein  mul's,  je  geringer  der  äufsere 
Druck  ist,  dem  das  Gas  unterliegt.  Bei  mehreren  Gasen  gelingt  die 
Verdichtung  in  den  flüssigen  Zustand  bei  einem  Druck  von  wenigen 
Atmosphären  und  bei  der  Temperatur  Null.  So  wird  die  schwefelige 
Säure  bei  1.5,  das  Cyan  bei  2.4  und  Ammoniak  bei  4.4  Atmosphären 
und  der  Temperatur  Null  flüssig. 

Die  schwefelige  Säure  wird  vielfach  von  Vulkanen  ausgeworfen: 
sie  verdichtet  sich  bei  dem  Druck  einer  Atmosphäre  und  bei  der 
Temperatur  — 20  Grad  zu  einer  farblosen  Flüssigkeit,  und  sie  wird 
sich  wahrscheinlich,  wenn  der  Druck  bis  auf  Null  sinkt,  bei  einer 
Temperatur,  welche  noch  oberhalb  derjenigen  liegt,  welche  man  fiir 


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273 


die  des  Weltenrauros  halten  kann  (dieselbe  ist  nach  Frölich 
— 130  Grad),  zu  einer  flüssigen  Masse  verdichten. 

Es  ist  nun  meine  Ansicht,  dafs  die  leuchtenden  Wolken  dem  ge- 
waltigen Ausbruche  des  Krakatoa  im  August  1883  ihr  Dasein  ver- 
danken. Nach  der  Schätzung  von  Verboek  hat  die  Höhe  der  Aus- 
wurfsmasse am  26./27.  August  1883  etwa  15  bis  20  km  betragen.') 
Hiermit  in  Uebereinstimmung  steht  das  Resultat  meiner  Untersuchungen 
über  die  Höhe  der  rothen  Dunstschicht,  durch  deren  Beleuchtung 
durch  die  Sonne  die  intensiven  Dämmerungserscheinungen  vom  No- 
vember 1883  bis  zum  Jahre  1887  hervorgebracht  worden  sind,  welche 
sich  zu  17  km  ergeben  hat8) 

Die  Auswurfsmasso  hat  nun  unzweifelhaft  sowohl  aus  festen 
staubartigen,  als  auch  aus  gasartigen  und  vielleicht  auch  ausWasser- 
theilchen  bestanden.  Während  nun  der  Wasserdampf,  nachdem  er  in 
die  Höhe  gelangt  war,  sich  condcnsirto  und  in  Verbindung  mit  dem 
flüssigen  Wasser  und  mit  dem  gröberen  Gestein  wiodcr  auf  die  Erde 
zurückflel,  vermischten  sich  die  übrigen  Gase  und  die  Staubtheilchcn 
mit  der  atmosphärischen  Lull  und  wurden  mit  derselben  nach  allen 
Richtungen  hin  auseinander  getrieben.  Obwohl  nun  die  Gase  sich  im 
allgemeinen  vollständig  durchdringen,  so  scheint  es  doch,  dafs  das 
gegenseitige  Durchdringen  um  so  mehr  gesoh wacht  wird,  je  gröfscr 
der  Unterschied  der  specifisohen  Gewichte  ist  Es  ist  z.  B.  von  dem 
Wasserstoff  bekannt,  dafs  derselbe  in  grofsen  Mengen  aus  den  Vul- 
kanen strömt;  da  aber  der  Wasserstoff  in  der  Atmosphäre,  ausge- 
nommen in  der  Nähe  von  Vulkanen,  sich  nicht  nachweisen  läfst,  so 
ist  das  Fehlen  desselben  in  der  unteren  Luftschicht  nur  dadurch  zu 
erklären,  dafs  man  annimmt,  derselbe  werde  wegen  seines  wesentlich 
geringeren  Gewichtes  gegen  die  atmosphärische  Luft  rasch  in  die 
höheren  Regionen  getrieben  und  verliere  sich  von  da  aus  in  den 
allgemeinen  Raum.  Es  wird  nun  hiernach  denkbar,  wenn  der- 
jenige Temperaturgrad,  bei  dem  sich  das  Gas,  welches  zur  Bil- 
dung der  leuchtenden  Wolken  beigetragen  hat,  verdichtet  und  in 
den  tropfbaren  Zustand  übergeht,  nicht  allzu  tief  liegt,  oder  doch  nicht 
so  tief,  wie  die  Temperatur  an  der  oberen  Grenze  unserer  Atmo- 
sphäre, dafs  das  Gas  sich  zu  einer  tropfbaren  Flüssigkeit  verwandelt. 
Hiermit  wird  die  atmosphärische  Luft  in  jener  Höhe,  wo  die  Verdich- 
tung stattfindet,  von  den  fremden  Gasen  befreit,  und  es  werden  daher 
au9  tieferen  Schichten  weitere  Theilo  derselben  nach  oben  dringen. 

V CornpL  rend.  T.  XCVIII  p.  1019. 

*)  Meteorologische  Zeitschrift  1884  p.  133. 


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274 


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Nach  der  Condonsirung  sind  nun  die  Gase  schwerer,  als  die 
atmosphärische  Luft  und  eie  sinken  infolge  der  Erdanziehung  gegen 
die  Erdoberfläche  zurück.  Dieses  Fallen  ist  aber  beschränkt;  denn 
sobald  die  Theilchen  in  wärmere  Schichten  gelangen,  verdampfen  sie 
wieder  und  der  vorher  beschriebene  Vorgang  wiederholt  sich  von 
neuem. 

I)a  nun  in  diesem  Zustande  die  Körperchen  über  einen  grofsen 
Theil,  vielleicht  über  den  ganzen  Luftraum  der  Erde  zerstreut  sind 
und  infolge  dessen  in  einer  sehr  dünnen  Lage  auftreten,  so  wird  man 
kaum  erwarten  können,  dafs  dieselben  nun  schon  sichtbar  sind.  Es 
ist  daher  nun  erforderlich,  dafs  die  Möglichkeit  der  Bildung  einer 
wolkenartigen  Verdichtung,  in  welcher  sie  thatsächlich  beobachtet 
worden  sind,  einer  kurzen  Betrachtung  unterworfen  wird. 

Während  wir  bei  den  Körpern,  so  lange  sie  in  dem  gasförmigen 
Zustand  auftreten,  im  allgemeinen  wahrnohmen,  dafs  die  einzelnen 
Theile  eines  und  desselben  Körpers  sich  von  einander  zu  entfernen 
suchen,  sehen  wir  in  dem  flüssigen  oder  festen  Zustande  nicht  selten, 
dafs  dieselben  Körper  nach  einer  Vereinigung  streben.  Wir  wissen 
z.  B.,  dafs  der  in  der  Luft  enthaltene  Wasserdampf  sich  in  derselben 
mehr  oder  weniger  auszubreiten  sucht;  sobald  aber  der  Wasserdampf 
sich  zu  tropfbar  flüssigen  Theilchen  verdichtet  hat,  suchen  diese  bis 
zu  gewissen  kleinen  Grenzwerthen  eine  Annäherung,  die  durch  die 
Bildung  der  Wolkon  zum  Ausdruck  kommt.  Zuweilen  ist  dies  Be- 
streben nach  einer  Vereinigung  besonders  kräftig.  Wir  müssen  dies 
aus  den  ungemein  scharf  ausgeprägten  Umrissen  schliefsen,  welche 
nioht  selten  bei  Gewitterwolken  beobachtet  werden.  Ein  ähnliches 
Streben  nach  einer  Vereinigung  zeigt  sich  bei  der  Bildung  von 
Krystallen  aus  den  Lösungen  krystallisirbarer  Körper.  Hier  müssen 
die  einzelnen  kleinen  Theilchen  einen  verhältnifsmäfeig  grofsen  Weg 
zurücklegen,  bevor  sie  sich  an  den  Hauptkörper  ansetzen.  Aehnliche 
Kräfte,  wie  sie  in  den  beiden  Beispielen  wirksam  sind,  mögen  nun 
auch  die  Vereinigung  der  in  der  Atmosphäre  weit  zerstreuten  conden- 
sirten  Gastheilchen  herbeigeführt  haben.  Nach  dieser  Darlegung  wird 
es  nun  erklärlich,  dafs  das  erste  Erscheinen  der  leuchtenden  Wolken 
erst  verhältnifsmäfsig  spät,  1*  4 Jahr  nach  dem  Ausbruch  des  Krakatoa. 
gesehen  worden  ist;  denn  die  Vereinigung  aller  der  kleinsten 
Körperchen  zu  einer  Hauptmasse  hat  jedenfalls  längere  Zeit  in  An- 
spruch genommen.  Es  mag  aber  zu  dieser  Anhäufung  noch  eine 
andere  Ursache  mitgewirkt  haben,  welche  zugleich  die  Periodicität  des 
Auftretens  der  leuchtenden  Wolken  herbeigefiihrt  hat 


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275 


Höchst  merkwürdig  mufs  es  nämlich  erscheinen,  dafs  das  auf- 
fallende Phänomen  nur  während  einer  kurzen  Zeit  im  Sommer  sicht- 
bar ist.  Man  könnte  hiernach  zu  der  Ansicht  neigen,  dafs  die  Ursache 
desselben  beständig  in  unsoror  Atmosphäre  vorhanden  ist,  und  dafs 
nur  unter  ganz  bestimmten  Verhältnissen  die  Erscheinung  sichtbar 
wird.  Man  könnte  z.  B.  annebmen,  dafs,  weil  die  Sonne  zu  jener  Zeit 
in  verhältnifsmäfsig  geringer  Tiefe  unter  dem  Nordhorizont  bleibt,  die 
Sonnenstrahlen  auf  weit  ausgedehnte  Eis-  und  Schneefelder,  welche 
im  Norden  liegen,  fallen,  und  dafe  unter  Mitwirkung  dieser  reflektirten 
Strahlen  die  in  der  Atmosphäre  schwebenden  Körperchen  hinreichend 
beleuchtet  und  dadurch  siohtbar  werden.  Wenn  dies  aber  der  Fall 
wäre,  so  bleibt  os  unerklärlich,  dafs  der  Anfang  der  leuchtenden 
Wolken  innerhalb  einer  Erscheinung  dem  Sommersolstitium  näher 
liegt,  als  das  Ende.  Wenn  jene  Voraussetzung  richtig  wäre,  müfstc 
man  erwarten,  dafs  das  Phänomen  ira  Gegentheil  derartig  zu  dem 
Sommersolstitium  liegt,  dafs  die  Zeit  der  Sichtbarkeit  vor  dem  21.  Juni 
länger  sein  müfste,  als  die  Zeit  der  Sichtbarkeit  nach  demselben, 
weil  auf  alle  Fälle  die  Ausdehnung  der  Schnee-  und  Eisfelder  am  An- 
fang der  Erscheinung  eine  gröfscro  ist,  als  gegen  das  Ende  derselben. 

Es  scheint  daher,  dafs  das  periodische  Auftreten  des  Phänomens 
nur  durch  eino  Wanderung  desselben  erklärt  werden  kann,  wozu  die 
Umstände  auch  sonst  oinigermafsen  günstig  liegen. 

Von  Sir  William  Siemens  wurde  vor  einigen  Jahren  eine 
Hypothese  über  die  fortwährende  Erneuerung  der  Sonnenkraft  auf- 
gestellt, bei  welcher  die  Ansicht  zu  Grunde  gelegt  ist,  dafs  der  Welten- 
raum mit  höchst  verdünnten  Gasen  als  Fortsetzung  der  Atmosphären 
der  Sonne  und  der  Planeten  angefüllt  ist.  Ebenso  hat  schon  Enke 
aus  den  fortdauernd  abnehmenden  Umlaufszeiten  des  nach  ihm  be- 
nannten Kometen  geschlossen,  dafs  der  Weltraum  mit  einem,  wenn 
auch  sehr  dünnen,  widerstehenden  Mittel  angefüllt  ist.  Auch  unter 
Zugrundelegung  sonstiger  physikalischer  Gesetze  wird  man  zu  der 
Annahme  geführt,  dafs  der  interplanetare  Raum  nicht  leer  ist,  sondern 
dafs  derselbe  von  denjenigen  Luftarten  eingenommen  wird,  welcho  die 
Planeten  umgeben,  sich  aber  dann  in  einem  höchst  verdünnten 
Zustande  befinden  müssen.  Wenn  jedoch  der  Weltenraum  wirklich 
mit  einem  widerstehenden  Mittel  angefüllt  ist,  so  mufs  unter  der  Vor- 
aussetzung, dafs  dasselbe  in  Bezug  auf  seine  Bewegung  gegen  die- 
jenige der  Erde  um  die  Sonne  zurückbleibt,  eine  ununterbrochene, 
allerdings  sehr  langsame  Erneuerung  der  Erdatmosphäre  stattfinden. 
Diejenige  Erdhälfte,  welche  der  Bewegungsrichtung  zugewandt  ist, 


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erhält  fortwährend  einen  neuen  Zuflufs  aus  dem  allgemeinen  Kaum; 
infolge  dessen  mufs  auf  der  entgegengesetzten  Seite  nothwendig  ein 
Abflufs  statlflnden.  Auf  diese  Weise  wird  es  denkbar,  dafs  in  den 
Schichten  der  Atmosphäre  von  etw7a  20  bis  100  kra  Höhe  eine  un- 
aufhörliche, wenn  auch  schwache  Strömung  nach  der  Rückseite  vor 
sich  geht  An  dieser  Strömung  müssen  dann  jedenfalls  die  in  den 
höchsten  Atmosphärenschichten  schwebenden  Stoffe  tbeilnehmon. 

Es  ist  nun  bemerkenswert!),  dafs  wir  die  Erscheinung  der 
leuchtenden  Wolken  nur  während  einer  kurzen  Zeit  dos  .Jahres  sehen 
und  dafs  diese  Zeit  so  liegt,  dafs  die  Annahme  eines  Einflusses  jener 
Strömung  auf  die  Bewegung  der  leuchtenden  Wolken  sich  zu  be- 
stätigen scheint.  Die  Lage  der  Erdaxo  im  Weltenraum  und  gegen 
die  Bewegungsrichtung  der  Erde  ist  nämlich  so,  dafs  in  der  Zeit  vom 
21.  Dezember  bis  zum  21.  Juni  der  Südpol  der  Erde  der  Bewegungs- 
richtung zugewandt  ist  In  der  Mitte  dieser  Zeit,  am  21.  März,  hat 
diese  Zuneigung  ihren  gröfsten  Worth,  beide  Richtungen  bilden  dann 
einen  Winkel  von  66.5  Grad  miteinander;  gegen  den  Anfangs-  und 
Endpunkt  der  Zeit  verschwindet  dio  Neigung  und  beide  Richtungen 
bilden  dann  einen  Winkel  von  90  Grad  miteinander.  In  dem  folgenden 
Halbjahr  sind  die  Verhältnisse  entgegengesetzt,  so  dafs  am  23.  Sep- 
tember der  Nordpol  der  Erde  mit  der  Bewegungsrichtung  einen  Winkel 
von  66.5  Grad  einschliefst  Im  Verein  mit  der  Bewegung  der  Erde 
um  ihre  Axe  ist  es  hiernach  denkbar,  dafs  die  Luft  in  dem  halben  Jahr 
vom  Januar  bis  Juni  einer  sehr  langsamen  Strömung  von  Süden  nach 
Norden  und  in  dem  folgenden  halben  Jahr  einer  Strömung  in  ent- 
gegengesetzter Richtung  unterworfen  ist.  Da  nun  auch  die  in  der 
Luft  schwebenden  Theilchen  an  dieser  Strömung  theilnehmen  müssen, 
so  wird  es  hiernach  erklärlich,  dafs  wir  die  leuchtenden  Wolken  nur 
im  Juni  und  Juli  sehen. 

Man  könnte  nun  gegen  diese  Hypothese  über  die  Strömung  der 
Luft  in  den  oberen  Schichten  und  über  die  Wanderung  des  Phänomens 
einwerfen,  dafs  bis  jetzt  die  leuchtenden  Wolken  auf  der  südlichen 
Hälfte  der  Erde  noch  nicht  gesehen  worden  sind,  und  dafs  daher  die 
Hypothese  sehr  fragwürdig  erscheint.  Hierzu  kommt,  dafs  die  Direktion 
der  deutschen  Seew'arte  im  Herbst  des  Jahres  1887  ein  Flugblatt  cr- 
liofs,  welches  die  Bitte  an  die  Seefahrer  um  Beobachtung  des  Phänomens 
besonders  auf  den  mittleren  und  höheren  südlichen  Breiten  enthielt 
Hierauf  sind  bisher  keine  Mittheilungen  eingegangen. 

Man  könnte  hiernach  in  der  That  zu  der  Ansicht  neigen,  dafs 
das  Phänomen  im  Süden  nicht  vorhanden  ist  Aber  es  sprechen  doch 


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277 


gewichtige  Gründe  dafür,  dafs  die  Erscheinung,  wenn  sie  auch  wirk- 
lich an  einem  Orte  auftritt,  doch  nicht  als  außergewöhnlich  aufgefafst 
wird.  Dies  zeigt  sich  deutlich  aus  den  Beobachtungen,  welche  bisher 
aus  Europa  bekannt  geworden  sind.  Während  aus  Deutschland  ziem- 
lich zahlreiche  Beobachtungen,  besonders  aus  der  ersten  Zeit  des 
Phänomens  vorliogen,  sind  aus  England,  Schweden,  Norwegen,  Rurs- 
land, Italien  und  Holland  nur  ganz  vereinzelte  Nachrichten  bekannt 
geworden.  In  Frankreich,  Spanien,  Oesterreich-Ungarn,  Schweiz  und 
Dänemark  ist  die  Erscheinung  anscheinend  ganz  unbeachtet  geblieben; 
ebenso  fehlen  aus  den  Vereinigten  Staaten  Nordamerikas  Nachrichten 
darüber. 

Man  wird  auf  ürund  dieser  Thutsachen  nicht  schließen  können, 
dafs  das  Phänomen  in  denjenigen  Länderstrichen,  aus  welchen  keine 
Beobachtungen  vorliegen,  auch  nicht  aufgetreten  ist.  Vielmehr  muß 
man  annehmen,  daß  dasselbe  der  Aufmerksamkeit  seiner  Bewohner 
entgangen  ist. 

Für  die  südliche  Halbkugel  der  Erde  fällt  besonders  ins  Gewicht, 
dafs  in  denjenigen  Breiten,  welche  den  unsrigen  entsprechen,  das 
Festland  nur  sehr  spärlich  vertreten  ist.  Es  ist  fast  nur  die  Südspilze 
von  Amerika,  welche  hierbei  in  Betracht  kommen  kann.  Daß  aber 
dort  bei  den  Bewohnern  der  Sinn  für  besondere  Naturerscheinungen 
mehr  ausgebildet  sein  sollte,  wie  z.  II.  in  Frankreich,  wird  man  nicht 
erwarten  können. 

Es  muß  nun  aber  besonders  auffallend  erscheinen,  daß  auch 
von  den  Seefahrern  bis  jetzt  keine  Mittheilungen  eingegangen  sind. 
Diese  Thalsache  würde  besonders  stark  dafür  sprechen,  daß  die 
leuchtenden  Wolken  im  Süden  nicht  vorhanden  sind.  Aber  da  auch 
aus  den  nördlichen  Theilen  des  atlantischen  Ozeans,  wo  sie  unzweifel- 
haft vorgekommen  sind,  keine  Beobachtungen  von  Seefahrern  bekannt 
geworden  sind,  so  ist  man  auch  hiernach  nicht  zu  der  Annahme  be- 
rechtigt, daß  das  Phänomen  im  Süden  nicht  vorkommt. 

Die  leuchtenden  Wolken  haben  immerhin  einige  Aehnlichkeit 
mit  einem  gewöhnlichen  Dämmerungsleuchten,  welches  infolge  des 
Vorhandenseins  von  Cirruswolken  mehr  oder  weniger  prächtig  er- 
scheint, und  nur  unter  Berücksichtigung  des  tiefen  Standes  der  Sonne 
unter  dem  Horizonte  hat  die  Erscheinung  einen  besonders  auffallenden 
Charakter.  Da  aber  diese  Verhältnisse  im  allgemeinen  nicht  berück- 
sichtigt werden,  so  ist  es  erklärlich,  dafs  das  Phänomen  in  den  meisten 
Fällen  unbeachtet  bleibt  Es  kann  daher  auch  nicht  auflallen,  daß 
selbst  Seefahrer,  welche  sich  vor  allem  durch  Wetterkunde  auszeichnen, 


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278 


die  Erscheinung  übersehen,  weil  dieselben  wegen  des  vielfachen 
Wechsels  in  Bezug  auf  die  scheinbare  Geschwindigkeit,  mit  welcher 
sie  die  Sonne  unter  verschiedenen  geographischen  Breiten  unter  den 
Horizont  treten  sehen,  sich  nicht  hinreichend  derjenigen  aufserordent- 
lichen  Umstände  bewufst  werden,  welche  das  Phänomen  begleiten. 

Ich  kann  daher  nach  den  bis  jetzt  vorliegenden  Beobachtungen 
nicht  zu  der  Ansicht  neigen,  dafs  die  Nachtwolken  nur  unsern  Breiten 
eigen  sind.  Es  würden  hieraus  außerordentliche  Schwierigkeiten  er- 
wachsen in  Bezug  auf  die  Frage,  wie  man  sich  die  Unsichtbarkeit  in 
der  langen  Zwischenzeit  vom  August  bis  zum  Mai  zu  erklären  habe. 
I)io  Temperatur  ist  in  diesen  Höhen  höchst  wahrscheinlich  während 
des  ganzen  Jahres  nur  sehr  geringen  Schwankungen  unterworfen; 
durch  diese  wird  also  das  periodische  Auftreten  nicht  erklärt  werden 
können.  Der  Einwand,  dafs  zur  Zeit  der  Sichtbarkeit  des  Phänomens, 
möglicherweise  infolge  der  Reflexion  der  Sonnenstrahlen  an  Schnee- 
und  Eisflächen,  eine  gröfsere  Lichtmenge  auf  die  Materie  fällt,  wodurch 
dieselbe  sichtbar  werden  kann,  ist  schon  oben  widerlegt. 

Es  ist  bereits  darauf  hingewiesen  worden,  dafs  das  Phänomen 
der  leuchtenden  Wolken  seit  seinem  ersten  Auftreten  von  Jahr  zu 
Jahr  abgenommen  hat,  und  es  scheint  nothwendig,  die  obige  Hypothese 
über  die  regelmäfsige  periodische  Strömung  der  Atmosphäre  in  den 
oberen  Schichten  hieran  zu  prüfen.  Wenn  die  leuchtenden  Wolken 
aus  verdichteten  Gasen  bestehen,  so  ist  es  einigermafsen  schwierig, 
die  fortdauernde  Verminderung  der  Materie  zu  erklären,  weil  wir 
daran  gewöhnt  sind,  anzunehmen,  dafs  alle  im  Bereich  der  Anziehungs- 
kraft der  Erde  befindlichen  Theile  derselben  dauernd  verbleiben. 

Man  mufs  es  aber  nach  den  voraufgegangenen  Darlegungen  dir 
möglich  halten,  dafs  die  feinen  Körperchen  von  derjenigen  Strömung, 
welche  durch  die  Bewegung  der  Erde  in  dem  widerstehenden  Mittel 
hervoigerufen  wird,  erfafst  und  außerhalb  des  Bereiches  der  Erd- 
atmosphäre geführt  werden.  Dafs  hierdurch  nur  eine  ganz  allmähliche 
Abnahme  der  Masse  der  leuchtenden  Wolken  stattfinden  kann,  da  die 
Strömung  nur  auf  verhältnismäßig  kleinen  Gebieten  diejenige  Kraft 
haben  wird,  welche  zu  einer  dauernden  Entziehung  der  kleinsten 
Theile,  die  ja  noch  immer  der  Anziehung  der  Erde  unterworfen  sind, 
nothwendig  ist,  erscheint  zweifellos.  Man  erkennt  z.  B.,  dafs  während 
der  Zeiten  der  Aequinoctien  die  Verhältnisse  so  liegen,  dafs  die 
größten  Beträge  der  Wolkenthcilchen  aus  der  Atmosphäre  hinweg- 
geführt werden,  und  dafs  zu  den  Zeiten  der  Solstitien  die  Menge  der 
Weggefährten  Theilchen  den  kleinsten  Werth  hat.  Zur  Zeit  des 


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Sommer-Solslitiums,  in  welcher  die  leuchtenden  Wolken  in  der  nörd- 
lichen gemäßigten  Zone  auftreten,  bewegt  eich  die  Erde  rechtwinklig 
gegen  die  Lage  der  Erdaxe.  Es  sind  also  in  dieser  Zeit  die  iiqualorealen 
Theile  der  Atmosphäre,  welche  bei  der  Strömung  hauptsächlich  in 
Betracht  kommen.  In  dieser  Zeit  wird  daher  die  Strömung  nur  einen 
unwesentlichen  Einflurs  auf  die  Verminderung  der  Theilchen  haben. 
Einige  Monate  später  bildet  die  Bewegungsrichtung  der  Knie  mit  der 
Axe  einen  Winkel  von  06.5  Grad,  ln  dieser  Stellung,  bei  welcher 
allem  Anschein  nach  die  leuchtenden  Wolken  in  der  Nähe  des 
Aequators  angekommen  sind,  liegen  die  Verhältnisse  für  die  Ent- 
führung der  Materie  durch  die  Strömung  etwas  günstiger. 

Es  ist  nun  von  einigem  Interesse,  einen  Blick  in  die  früheren 
Zeitalter  der  Entwickelung  des  Erdkörpers  zu  werfen.  Sehr  wahr- 
scheinlich ist  die  vulkanische  Thätigkeit  unserer  Erde  einstmals  eine 
viel  regere  gewesen,  als  sie  heute  ist.  Man  darf  daher  voraussetzen, 
dafs  das  Eindringen  von  außergewöhnlichen  Beimengungen  in  unsere 
Atmosphäre  ein  viel  häufigeres  und  infolge  dessen  ein  massenhafteres 
gewesen  ist,  wie  heute.  Es  wird  hiernach  denkbar,  dafs  die  Er- 
scheinung der  leuchtenden  Wolken  in  früheren  Zeiten  und  besonders 
zur  Zeit  der  gröfsten  vulkanischen  Thätigkeit  eine  beständige  gewesen 
ist,  in  der  Weise,  dafs  die  ganze  Atmosphäre  in  einem  Abstande  von 
etwa  75  km  von  der  Erdoberfläche  mit  einer  Schicht  feiner  Partikel 
angefüllt  gewesen  ist  Es  ist  ferner  denkbar,  da  die  vulkanische 
Thätigkeit  sich  nicht  auf  das  Auswerfen  nur  einer  Gasart  beschränkt 
dafs  mehrere  Gasarten  zur  Bildung  von  hellen  Wolken  beigetragen 
haben.  Da  nun  die  Gase  im  allgemeinen  unter  sehr  verschiedenen 
Temperaturen  sich  verdichten,  welche  meist  wesentlich  anderen  Höhen 
eigen  sind,  so  ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dafs  außer  in  Entfernungen 
von  75  km  auch  in  noch  größeren,  von  vielleicht  100  bis  150  km, 
Anhäufungen  von  kondensirten  Gasen  vorgekommen  sind. 

Außer  den  ausgeworfenen  Gasen,  welche  nach  der  Verdichtung 
zu  dem  Auftreten  glänzender  weißer  Wolken  Veranlassung  gegeben 
haben,  sind  nun  aber  jedenfalls  auch  Stau bthei leiten  in  großen  Mengen 
in  die  Atmosphäre  geschleudert  worden,  welche  je  nach  ihrer  Zu- 
sammensetzung andere  Farbenerscheinungen  bewirkten,  die  aber  in 
Bezug  auf  Glanz  wesentlich  hinter  den  hellen  Wolken  zurückstehen. 

Betrachtet  man  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  den  Planeten 
Jupiter,  welcher  wegen  seiner  außerordentlichen  Gröfse  sieh  sehr 
wahrscheinlich  noch  in  einer  früheren  Entwickelungsstufe  als  die  Erde 

Himmel  und  Erde.  I.  6.  21 


S=RJ 


280 

befindet,  so  erkennt  man,  dafs  derselbe  in  auffallender  Weise  den  hier 
ausgesprochenen  Muthmafsungen  zu  entsprechen  scheint 

Das  spezifische  Gewicht  des  Jupiter  ist  bekanntlich  geringer,  als 
das  des  Wassers.  Aber  die  Erscheinungen  an  demselben  deuten  an, 
dafs  wir  nicht  die  feste  oder  flüssige  Oberfläche  sehen,  sondern  nur 
eine  in  der  Atmosphäre  desselben  schwebende  Wolkenschicht;  ja  es 
ist  nach  den  Beobachtungen  einige  Wahrscheinlichkeit  dafür  vorhanden, 
dafs  nicht  nur  eine,  sondern  mindestens  zwei,  wenn  nicht  mehr 
VVolkenschichten  in  derselben  in  verschiedener  Höhe  auftreten.  Wenn 
eine  dieser  Schichten  durch  dieselben  Gase  erzeugt  wird,  wie  die 
leuchtenden  Wolken  der  Erde,  so  ist  höchst  wahrscheinlich  infolge 
der  beträchtlich  höheren  Atmosphäre  des  Jupiters  und  seiner  Eigen- 
wärme der  Abstand  derselben  von  der  Jupiter-Oberfläche  eine  wesentlich 
gröfsere,  wie  der  Abstand  der  leuchtenden  Wolken  von  der  Erdober- 
fläche, und  das  spezifische  Gewicht  des  Hauptkörpers  des  Jupiter  würde 
hiernach  nicht  unbeträchtlich  vergröfsert  weiden. 

Neben  den  weifsen  Wolken  treten  in  der  Atmosphäre  des  Jupiter 
nun  aber  auch  röthliche  Wolken  auf,  welche,  wenn  man  die  schein- 
bare Bewegung  zu  Grunde  legt,  in  einer  andern  Höhe  sich  befinden 
müssen,  als  die  weifsen  Wolken. 

Im  Zusammenhänge  mit  den  Vorgängen  auf  der  Erde  halte  ich 
es  ferner  nicht  für  unwahrscheinlich,  dafs  gewisse  Wolken  des  Jupiter 
eine  ähnliche  periodische  Bewegung  zeigen  wie  die  leuchtonden 
Wolken  der  Erde.  Zwar  ist  der  Aequator  des  Jupiter  gegen  seine 
Bahnebene  nur  etwa  um  3 Grad  geneigt  und  infolge  dessen  müssen 
diejenigen  Bewegungen,  welche  von  der  Neigung  des  Aequators  gegen 
die  Bahnebene  abhängen  in  dem  Sinne,  in  welchem  die  muthmarsliche 
Ortsveränderung  der  leuchtendon  Wolken  von  der  Bewegung  der  Erde 
um  die  Sonne  abhängt,  verhältnifsmäfsig  langsam  vor  sich  gehen. 
Andererseits  ist  aber  die  Umlaufszcit  das  ZwöliTache  derjenigen  Zeit 
welche  die  Erde  zu  einem  Umlauf  um  die  Sonne  gebraucht  Es  scheint 
also  wohl  möglich,  dars  trotz  der  geringen  Neigung  des  Jupiter- 
Aequators  gegen  die  Balmebene  eine  periodische  Wanderung  gewisser 
Wolken  vor  sich  gehen  kann.  Es  ist  nun  höchst  beachtenswerth, 
dafs  sowohl  nach  den  Untersuchungen  von  Dr.  Lohse,  als  auch  nach 
denen  von  Ranyard  die  Veränderungen  auf  der  Jupiterscheibe  der- 
artig zu  sein  scheinen,  dafs  dieselben  sich  nach  einer  Periode  der 
Soiwenflecken  wiederholen.  Da  nun  die  Umlaufszeit  des  Jupiter  um 
die  Sonne  eine  Periode  hat,  welche  von  derjenigen  der  Sonnenilecken 
nicht  viel  abweicht,  und  da  andererseits  die  systematischen  Beobach- 


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tungen  dieses  Planeten  in  Bezug  auf  die  Veränderung  seiner  Ober- 
fläche wohl  noch  nicht  lange  genug  bestehen,  um  jene  Periode  hin- 
sichtlich ihrer  Dauer  sicher  genug  zu  erkennen,  so  mufs  man  es  einst- 
weilen wenigstens  für  möglich  halten,  daTs  jener  Zusammenhang  über 
den  Einflufs  der  Bewegungsrichtung  des  Jupiter  auf  die  Wanderung 
gewisser  Wolken  in  seiner  Atmosphäre  von  Norden  nach  Süden  und 
zurück  besteht 

Es  ist  weiter  oben  ausgesprochen,  dals  einige  Wahrscheinlich- 
keit dafür  vorliegt,  dafs  die  Materie  der  leuchtenden  Wolken  durch 
die  Strömung,  welche  durch  die  Bewegung  der  Erde  in  dem  wider- 
stehenden Mittel  zu  stände  kommt,  erfafst  und  allmählich  aufserhalb 
des  Bereiches  der  Anziehungskraft  der  Erde  geführt  wird.  Wenn 
dies  wirklich  die  Ursache  der  fortschreitenden  Abnahme  der  leuchtenden 
Wolken  ist,  so  hat  auch  Jupiter  wahrscheinlich  ganz  ähnliche  Ver- 
hältnisse aufzuweisen,  die  sich  darin  zeigen  müssen,  dafs  dieser  Planet 
auf  der  Rückseite  seiner  Bewegungsrichtung  um  die  Sonne  einen 
mehr  oder  weniger  schwachen  Schweif  hintorläfst  Ob  allerdings 
dieser  Schweif  für  unsere  Hülfsmittel  wahrnehmbar  ist,  kann  nur  erst 
durch  die  Beobachtungen  geprüft  werden. 

Die  Annahme,  dafs  auch  bei  andern  Planeten,  besonders  bei 
Venus,  wegen  ihres  wahrscheinlich  jüngeren  Alters,  ähnliche  Ver- 
hältnisse vorliegen,  ist  hiernach  wohl  berechtigt 

Da  die  vulkanische  Thätigkeit  auf  der  Erde  fast  nie  ganz  zur 
Kühe  kommt  und  zuweilen  gröbere  Ausbrüche  sich  ereignen,  so  liegt 
die  Annahme  nahe,  dafs  fort  und  fort  solche  Oase,  welche  das  Material 
der  leuchtenden  Wolken  bilden,  in  die  Atmosphäre  gelangen.  Es  ist 
hiernach  nicht  undenkbar,  dafs  die  ßestandlheile  der  leuchtenden 
Wolken  fortwährend  in  der  Atmosphäre  der  Erde  vorhanden  sind, 
wenngleich  sie  gröfstentheils  in  so  geringen  Mengen  auftreten  werden, 
dafs  sie  entweder  gar  nicht  sichtbar  sind  oder  doch  nur  durch  regcl- 
mäfsige  systematische  Untersuchungen  aufgedockt  werden  können. 

Die  in  den  letzten  Jahren  vorgekommenen  Erscheinungen  in 
unserer  Atmosphäre  haben  uns  die  Thatsaohe  vor  Augen  geführt,  dafs 
die  Zeit  der  Dämmerung  besonders  geeignet  ist,  uns  das  Vorhanden- 
sein aufsergewöhnlicher  Beimischungen  der  Atmosphäre  zn  zeigen. 
Im  allgemeinen  ist  die  Luft  um  so  mehr  mit  fremden  Körperchen  an- 
gefällt, welche  die  Durchsichtigkeit  verhindern,  je  dichter  dieselbe  ist. 
d.  i.  in  der  Nähe  der  Erdoberfläche.  In  Bezug  auf  die  Undurch- 
sichtigkeit der  unteren  Atmosphäre  kommt  es  aber  weniger  in  Bo- 

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282 


tracht,  dafs  die  fremden  Staubthcilc  derselben  dasjenige  lacht,  welches 
von  den  hinter  ihnen  in  den  höheren  Schichten  der  Atmosphäre  be- 
findlichen Körpertheilchen  ausgeht,  hemmen,  sondern  vielmehr  stört 
der  Umstand,  dafs  sie  das  empfangene  Sonnenlicht  zurückwerfen  und 
dadurch  dasjenige  Licht  überstrahlen,  welches  von  den  über  ihnen 
liegenden  Theilclien  ausgeht.  Diese  letzteren  bleiben  uns  daher  so 
lange  verborgen,  als  die  unteren  Körperchen  das  Sonnenlicht  in  hin- 
reichender Menge  zurückwerfen.  Diese  Verhältnisse  ändern  sich  nun 
nach  dem  Sonnenuntergang  in  der  Weise,  dafs  die  unteren,  mit 
Stauhlheilchen  angefüllten  Luftschichten  kein  direktes  Sonnenlicht 
mehr  erhalten,  wohl  aber  noch  die  oberen  Schichten.  Da  somit  die 
unteren  dichteren  Lagen  durch  das  Reflektiren  des  Sonnenlichtes  nicht 
mehr  stören,  so  werden  nun  die  Theilchen,  welche  in  den  oberen 
Schichten  schweben,  sichtbar. 

In  dom  letzten  Jahrzehnt  hat  die  Ausbreitung  der  meteorologischen 
Beobachtungsnetze  auf  der  Erdoberfläche  einen  erfreulichen  Auf- 
schwung genommen.  Der  Umstand,  dafs  die  Witteruugselemente  nicht 
blos  auf  dem  Festlande,  sondern  auch  vielfach  von  Schilfen,  welche 
über  alle  Meere  vertheilt  sind,  sorgfältig  aufgezeichnet  werden,  ist  be- 
sonders geeignet,  unsere  meteorologischen  Kenntnisse  zu  erweitern. 
Aber  es  scheint,  dafe  die  Aufgabe  der  Witterungsbeobachter  im  all- 
gemeinen etwas  engo  begrenzt  ist;  wenigstens  würde  unsere  Kenntnifs 
über  das  Ausbreitungsgebiet  der  leuchtenden  Wolken  eine  wesentlich 
bessero  sein,  als  sie  thatsächlich  ist,  wenn  die  meteorologischen  Beob- 
achter ihre  Aufmerksamkeit  auch  auf  die  Diimmerungszeit  ausge- 
dehnt hätten. 

Von  einem  besonderen  Werth  wird  es  nun  sein,  in  den  nächsten 
Erscheinungen  die  Höhe  der  leuchtenden  Wolken  unter  möglichst 
verschiedenen  atmosphärischen  Zuständen  zu  bestimmen.  Wir  wissen, 
dafs  die  grofsen  atmosphärischen  Wirbel,  welche  nicht  selten  einen 
Durchmesser  von  mehreren  Hunderten  von  Meilen  haben,  durch  das 
Auf-  und  Absteigen  von  Luftmassen  entstehen.  Während  in  dem 
Gebiete  eines  barometrischen  Minimums  ein  aufsteigender  Luftstrom 
vorherrscht,  ist  in  dem  Gebiete  eines  barometrischen  Maximums  ein 
absteigender  Luftstrom  vorhanden.  Wir  kennen  nun  zwar  nicht  die 
Höhe,  bis  zu  welcher  sich  diese  Strömungen  erstrecken:  aber  man 
mufs  immerhin  die  Möglichkeit  zugestehen,  dafs  bei  der  häufig 
enormeu  horizontalen  Ausdehnung  dieser  Gebiete  die  vertikalen 
Strömungen  wohl  diejenigen  Höhen  erreichen  können,  in  welchen  die 
leuchtenden  Wolken  sich  befinden.  Unter  dieser  Voraussetzung  er- 


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283 


giebt  sich  nun,  dafs  die  Höhe  der  Erscheinung-  nicht  immer  eine  und 
dieselbe  sein  kann,  sondern  dafs  sie  je  nach  der  Richtung  der  senk- 
rechten Strömung,  welche  an  dem  betreffenden  Orte  vorherrscht, 
einen  gröfseren  oder  geringeren  Abstand  von  der  Erdoberfläche  haben 
wird.  Man  erkennt  hieraus,  dafs  es  für  das  Studium  der  Bewegungs- 
Verhältnisse  der  obersten  Schichten  der  Atmosphäre  von  außerordent- 
lichem Werthe  ist,  wenn  die  Höhenbestimmungen  der  leuchtenden 
Wolken  möglichst  oft  und  unter  möglichst  verschiedenen  Bedingungen 
ausgefiihrt  werden.  Am  besten  eignen  sich  die  photographischen 
Aufnahmen  für  diesen  Zweck..  Nach  denselben  erhält  man,  wenn 
sie  gleichzeitig  an  zwei  oder  mehreren  verschiedenen  Orten  vorge- 
nurnmeu  werden,  die  Grundlagen  für  die  Ilöhenbestimmung,  und  wenn 
diese  Aufnahmen  in  kurzen  Zwischenräumen  auf  einander  folgen,  er- 
hält man  die  Grundlagen  für  die  Bestimmung  der  Bewegung  der 
leuchteuden  Wolken,  und  zwar  sowohl  in  Bezug  auf  die  Richtung, 
als  auch  auf  die  Geschwindigkeit  derselben. 

Durch  spectroskopische  Beobachtungen  würde  man  ferner  viel- 
leicht Aufschlüsse  über  die  Art  der  Materie  erhalten  und  in  weiterer 
Folge  einen  Einblick  in  die  Temperaturverhältnisse  in  jenen  Höhen. 

Es  ist  zu  wünschen,  dafs  die  Betheiligung  an  der  Beobachtung 
der  leuchtenden  Wolken  eine  regere  werden  möge,  als  sie  bisher  ge- 
wesen ist,  weil  möglicherweise  mehrere  Jahrzehnte  vergehen  können, 
bis  dasselbe  Phänomen  in  demjenigen  Maafse  sich  wiederholt,  dafs  es 
für  diese  Bestimmungen  benutzt  werden  kann. 


Zusätze: 

1)  Seite  2C6.  Um  den  Vorgang  über  die  Ausliischung  der  Sonnenstrahlen 
näher  darzulegen,  sei  in  Fig.  1 (Seite  2.H4)  H der  Beobachlungsort,  H K die  nach 
dem  Zenith  gerichtete  Linie,  1t  11"  »ei  eine  Schicht  der  leuchtenden  Wolken,  .S,  .S, 
ein  Sonnenstrahl,  welcher  nahe  an  der  Erdoberfläche  0 11  vorbeigeht,  S, 

»ei  ein  Strahl,  welcher  die  untere  Seite  der  leuchtenden  Wolken  gerade  berührt 
und  welcher  dem  ersten  wegen  der  großen  Entfernung  von  der  Sonue  parallel 
ist.  Man  sieht  »ogieich,  dafs  der  Strahl  .Sj  S,  einen  wesentlich  längeren  Weg 
(von  «,  bis  «,)  in  der  Schicht  W ff’  zurücklegt  als  der  Strahl  S,  St,  welcher 
letzterer  bei  »,  durch  dieselbe  hindurch  geht.  Da  also  der  Strahl  S,  S,  wesent- 
lich mehr  geschwächt  wird  wie  S,  so  wird  es  erklärlich,  dafs  wir  in  dem 
Baum  >, «,  die  leuchtenden  Wolken  nicht  bemerken  und  besonders  dann  nicht 
bemerken,  wenn  die  Schicht  ff'  ff  ' aufserordentlicli  stark  mit  solchen  Theilchen, 
welche  dos  Licht  hemmen,  angefüllt  ist.  Da  nun  der  Horizont  bei  11  inner- 
halb des  Weges  *,  «,  durch  die  Wolkcnschicht  geht,  so  mufs  die  Oegend  des 
Himmels  unmittelbar  über  dem  Horizonte  dunkel  erscheinen.  Der  Strahl  S,  S, 
verliert  dagegen  bei  x,  viel  weniger  Licht  als  6'3  .S, ; daher  kann  derselbe  bei 
x,  noch  hinreichende  Kraft  behalten,  so  dafs  diese  Slello  uns  leuchtend  cr- 


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scheint.  Hechts  von  kann  dagegen  keine  Lichtwirkung  mehr  Vorkommen, 
weil  diese  durch  den  Schatten  der  Erde,  welcher  durch  die  Linie  T Ä,  be- 
grenzt ist,  aufgehoben  wird.  Es  ist  hier  zu  bemerken,  dafa  die  Linie  £,  in 
einem  kleinen  Abstande  von  der  Erdoberfläche  entfernt  bleibt,  und  dafs  daher 
durch  dieselbe  keine  eigentliche  Begrenzung  des  Erdschattens  stattflndet  Es 


wird  aber  weiterhin  auseinander  gesetzt  worden,  dafs  die  Schichten  der 
Atmosphüro  nahe  an  der  Erdoberfläche  das  Sonnenlicht  so  stark  schwächen, 
daf»  man  thatsächlich  die  Linie  T Si%  welche  die  Grenze  zwischen  Licht  und 
Schatten  darstellen  soll,  um  etwa  f»  Kilometer  von  der  Erdoberfläche  entfernt 
denken  mufs. 

2)  Seite  269.  Es  dürfte  hier  von  Interesse  sein  anzudeuten,  auf  welche 
Weise  auf  Grund  der  photographischen  Aufnahmen  die  Höhe  der  leuchtenden 
Wolken  bestimmt  worden  ist.  Bekanntlich  beruht  die 
Bestimmung  der  Lage  von  Punkten,  welche  für  uns  nicht 
direkt  zugänglich  sind,  darauf,  dafs  man  den  Winkel- 
abstand  derselben  von  dem  Meridiankreise,  d.  i.  derjenige 
gröfste  Kreis  am  Himmel,  welcher  durch  den  Nordpunkt, 
den  Südpunkt  und  durch  das  Zenith  geht,  und  ebenso 
den  Abstand  vom  Horizonte  an  zwei  verschiedenen  Orten 
Z?,  und  Zf j milkt  In  der  Fig.  2 sei  L der  zu  bestim- 
mende Punkt,  Zf,  und  Zf,  seien  die  beiden  Beobachtung»» 
orte  auf  der  Erdoberfläche,  C sei  der  Mittelpunkt  der 
Erde  und  li3  derjenige  Punkt,  in  welchem  die  Verbin* 
dungslinio  C L die  Erdoberfläche  trifft  Durch  die  an- 
gedeuteten Messungen  erhält  man  in  dem  Dreiecke  Zf, 
Zf,  L die  Winkel  bei  Zf,  und  Zf»,  während  die  Entfer- 
nung des  Punktes  Zf,  von  Zf»  entweder  nach  den  bekann- 
ten geographischen  Lungen  und  Breiten  berechnet  oder 
nach  einer  guten  geographischen  Karte  bestimmt  wird. 
Da  nun  in  diesem  Dreieck  eine  Seite  und  die  beiden 
anliegenden  Winkel  bekannt  sind,  so  lassen  sich  die  bei- 
den andern  Seiten  finden.  Man  erhält  hiermit  die  Entfernung  des  Punktes  L 


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ron  jedem  Beobachtungsort.  Hieraus  findet  man  die  Höbe  des  Punktes  L oder 
die  Linie  B%  L auf  die  folgende  Weise.  In  dem  Dreieck  13 { C L ist  der 
Winkel  bei  Bx  durch  Messung  gefunden ; ferner  ist  bekannt  die  Seite  Bx  C 
und  Bx  L.  Hiernach  läfst  sich  die  Seite  L C finden.  Man  erhält  demnach  die 
Länge  der  Linie  L B „ wenn  man  von  der  Länge  I.  C den  Halbmesser  der 
Erde  in  Abzug  bringt.  Für  den  zweiten  Beobachtungsort  kann  man  ganz  ähn- 
lich verfahren,  indem  man  nun  das  Dreieck  ßt  C L zu  Grunde  legt. 

Es  ist  nun  noch  zu  zeigen,  wie  man  die  Richtung  der  Linie  B}  L bestimmt. 
Jeder  photographische  Apparat  ist  vor  seiner  Anwendung  zu  Messungszwecken 
in  Bezug  auf  gewisse  beständige  Werthe  zu  untersuchen.  Es  mufs  nämlich 
bekannt  sein,  wie  weit  die  empfindliche  Ebene  von  dem  Mittelpunkt  der  Glaslinse, 
welcher  in  der  Fig.  3 mit  M bezeichnet  ist,  entfernt  i«t.  In  dieser  Fig.  seien  und 
L,  die  beiden  Linsen  eines  photographischen  Apparates.  Die  durch  die  Mitte 


der  beiden  Linsen  gehende  Grade  c C wird  die  Axo  des  Linsensystems  ge- 
nannt. c h sei  die  Bildplatte  des  Apparates  und  P ein  weit  entfernter  Punkt. 
Das  von  der  Linse  entworfene  Bild  des  Punktes  P liegt  in  /»,  d.  i.  da,  wo  die 
über  M hinaus  verlängerte  gerade  Liuio  M P die  Bildplatte  trifTt.  Es  kommt 
nun  darauf  an,  die  Lage  des  Punktes  M oder  die  Länge  von  c 3/,  welche  als 
die  Hauptbrennweito  des  Apparates  bezeichnet  wird,  zu  finden.  Mail  erkennt 
nun  sogleich,  dafe  diese  Linie  dadurch  bestimmt  wird,  dafs  man  die  Linie  c p 
auf  der  Platte  mifst  und  ferner  den  Winkel  C M P.  Die  letztere  Messung  wird 
mittelst  eines  Winkelmefsinstrumentes  ausgeführt,  das  genau  an  die  Stelle  ge- 
setzt wird,  wo  vorher  der  photographische  Apparat  gestanden  hat.  Der  Punkt 
C ist  allerdings  in  dem  Gegenstände,  welcher  abgebildet  wird,  nicht  vorhanden: 
aber  es  ist  leicht,  denselben  von  der  Bildplatte  aus,  wo  er  etwa  durch  ein 
Fadenkreuz  dargestellt  ist,  auf  den  Gegenstand  zu  übertragen. 

Kennt  man  nun  den  Betrag  von  M c und  hat  der  Apparat  sonst  weiter 
keine  Fehler,  so  läfst  sich  Tür  je  zwei  Punkte,  welche  auf  der  Platte  abgebildet 
worden  sind,  ermitteln,  unter  welchem  Winkel  sie,  von  dem  Beobachtungsorte 
aus  gesehen,  von  einander  entfernt  sind.  Ebenso  läfst  sich  für  jeden  abge- 
bildeten Punkt  finden,  um  welchen  Betrag,  in  Winkelwerth  ausgedrückt,  der- 
selbe von  der  Bildmitte  c entfernt  ist.  Sind  nun  mindestens  zwei  Punkte  des 
Gegenstandes  nach  ihrem  Azimuth  (man  versteht  bekanntlich  darunter  den  Ab- 
stand eines  Punktes  in  Winkelmafs  von  dem  Meridiankreise,  wobei  dieser 
Abstand  in  demjenigen  dem  Horizont«  parallel  laufenden  Kreise  zu  messen  ist, 
welcher  durch  den  betreffenden  Punkt  geht)  und  nach  ihrer  Höhe  bekannt,  so 
läfst  sich,  wie  man  leicht  erkennt,  für  jeden  andern  Punkt  des  Bildes  sowohl 
sein  Azimuth  als  auch  seine  Höhe  ermitteln.  Die  Richtung,  in  welcher  ein 
Punkt  gesehon  wird,  ist  hiermit  bestimmt. 

Die  beiden  Wolkenbilder  vorn  6.  Juli  1887  enthalten  nun  verschiedene 
Punkte,  welche  als  Anhalt  für  die  Einstellungsrichtung  oder  für  die  Oricntirung 


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dienen.  Auf  dem  Bilde  Fig.  1 Seile  268  sind  zwei  Sternbahnen  (in  der  Origi- 
nalaufnahino  rescheinen  die  Sterne  nicht  als  Punkte,  sondern  als  Linien,  weil 
die  Belichtungsdauer  einige  Minuten  währte,  in  welcher  Zeit  die  Sterne  ihre 
scheinbare  Richtung  etwas  verändert  halten  und  zwar  infolge  der  täglichen 
Bewegung  um  die  Erdaxo)  für  welche,  da  die  Zeit  der  Aufnahme  bekannt  ist, 
leicht  das  Aziinulh  und  die  abgebildete  Höhe  bestimmt  werden  können.  Auf 
dem  Bilde  Fig.  2 Seite  269  ist  eine  Kirchthurmspitze  enthalten,  für  welche 
das  Azimuth  durch  direkte  Messung  an  Ort  und  Stelle  bestimmt  worden  ist; 
ebenso  ist  die  Grenzlinie  zwischen  Himmel  und  Erde  abgebildet.  Hiernach 
ist  hinreichender  Anhalt  für  die  Orieniirung  vorhanden. 

3)  Seite  270.  Man  erkennt  schon  aus  der  Fig.  1 auf  Seite  281,  dafs 
der  Punkt  H%  welcher  in  der  Schicht  der  leuchtenden  Wolken  liegt,  wesentlich 
weiter  von  11  entfernt  ist  als  der  Punkt  A'.  Aber  diese  Figur  entspricht  der 
Wirklichkeit  nicht  ganz.  In  derselben  ist  der  Halbmesser  der  Erde  zu  klein 
gezeichnet  gegenüber  den  sonstigen  Gröfsen Verhältnissen,  besonders  in  Bezug 
auf  den  Abstand  der  Schicht  W W von  der  Erdoberfläche.  Aus  den  thatsäch- 
lichen  Verhältnissen  ergiebt  sich  durch  Rechnung,  dafs  der  Punkt  H von  11 
um  etwa  das  13  fache  der  Länge  K li  entfernt  ist. 


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Wissenschaftliche  Unternehmungen  in  Amerika. 

Von  Dr.  Heinrich  Sanier  in  Wolfenbüttel. 


)er  nachstehenden  Einsendung  eines  unserer  Herren  Mitarbeiter 
glauben  wir  die  folgenden  allgemeinen  Bemerkungen  voran- 
schicken zu  müssen. 

Wir  sind  uns  dessen  wohlbewufst,  dafs  es  vielfach  deutsche 
Art  ist,  die  ausländischen,  besonders  die  französischen,  englischen 
und  nordamerikanischen  Leistungen  und  Unternehmungen  in  der 
Naiurforschung  von  vornherein  viel  höher  zu  schätzen,  als  das- 
jenige, was  auf  diesem  Gebiet  in  Deutschland  geschieht.  Beispiels- 
weise kann  man  oft  die  Bemerkung  hören:  Neben  den  Riesenfem- 

röhren  jener  Stationen  könne  die  ganze  deutsche  Astronomie  sich  ja 
gar  nicht  sehen  lassen. 

Zum  Theil  gehen  Irrungen  und  Uebertreibungen  solcher  Art 
auch  daraus  hervor,  dafs  die  Naturwissenschaft  jener  Länder  bisher 
in  der  Tages-  und  Zeitschriften-Literatur  lebhafter  vertreten  gewesen 
ist,  als  dies  hinsichtlich  der  deutschen  Forschung  der  Fall  war. 

Unsere  Zeitschrift  hat  es  sich  daher  zu  einer  besonderen  Auf- 
gabe gestellt,  die  wissenschaftlichen  Leistungen  und  Unternehmungen 
Deutschlands  auf  unserm  Gebiete  einem  gröfseren  Publikum  gegen- 
über gebührend  zu  Worte  kommen  zu  lassen,  und  schon  unsere 
nächsten  Hefte  werden  davon  noch  mehr  als  die  bisher  erschienenen 
Zeugnifs  ablegen. 

Aber  wir  gedenken  uns  auch  von  jeder  nationalen  Einbildung 
und  Ueborschätzung  fern  zu  halten,  die  sich  in  der  That  verflüchtigen 
muss,  wenn  man  Himmel  und  Erde  fest  und  treu  ins  Auge  fafst. 
Wir  hoffen  daher  in  bestem  deutschen  Sinne  gegen  die  wirklichen 
Vorzüge  und  Leistungen  auch  des  Auslandes  stets  gerecht  zu  bleiben. 

Ja,  wir  glauben  sogar,  dafs  unsere  Zeitschrift  in  dieser  Beziehung 
aufser  den  deutschen  Leistungen  auch  denjenigen  einiger  anderen 


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Nationen,  als  der  oben  genannten,  zu  einer  richtigeren  und  höheren 
Würdigung  zu  verhelfen  dio  Pflicht  haben  wird,  als  ihnen  bisher 
sowohl  in  Deutschland  als  anderswo  zu  theil  geworden  ist. 

Nach  diesen  Bemerkungen  ertheilen  wir  unserm  Herrn  Mit- 
arbeiter das  Wort 

Nirgends  ist  wohl  der  Geist  der  spezifisch  neuen  im  Gegensatz 
zur  alten  Kultur  derartig  entwickelt,  wie  in  der  neuen  Welt,  in 
Amerika.  Eine  merkwürdige,  jedenfalls  heroische  Leistung  natur- 
wissenschaftlicher Begeisterung  ist,  wie  man  auch  über  ihren 
relativen  Nutzen  denken  möge,  dio  unlängst  vollendete  Expedition, 
welche  den  grofsen  Meteoriten  von  Bendego  oder  Bahia  von  seiner 
langjährigen  Ruhestätte  in  die  Sammlung  des  brasilischen  National- 
muscums  überführte.  Bereits  vor  mehr  denn  hundert  Jahren  war 
der  erfolglose  Versuch  gemacht  worden,  die  5361  kg  schwere  Eisen- 
masse nach  Bahia  zu  transportiren,  aber  erst  vor  Jahresfrist  nahm 
der  Chevalier  Jose  Carbos  de  Carvalho,  der  im  paraguaischen  Kriege 
Erfahrung  im  Ueberführen  schwerer  Massen  erlangt  hatte,  die  Idee 
mit  Enthusiasmus  auf.  Ehe  der  Stein  auf  dio  nächste  Eisenbahn- 
station gebracht  werden  konnte,  hatte  man  einen  Marsch  von  4 '/4  Monat 
zurückzulegen,  einen  Weg  durch  dichten  Wald  zu  öffnen,  hundert 
Ströme  und  eine  sehr  steile  Hügelreihe  von  265  m Höhe  zu  überschreiten. 
Einen  Monat  lang  ist  dann  das  gewichtige  Ding  Eisenbahnpassagier 
gewesen,  und  jetzt  liegt  es  glücklich  in  Rio. 

Auch  sonst  leuchtet  durch  regen  Eifer  für  wissenschaftliche 
Interessen  in  Süd-Amerika  Brasilien  und  sein  Kaiser  voran,  nächst- 
dem  die  argentinische  Republik.  Nord- Amerika  leistet  zur  Zeit 
Aufserordentliches  in  der  Errichtung  von  Sternwarten.  Die  Stadt 
Rochester  im  Staate  New-Vork  hat  deren  allein  nicht  weniger  als 
sieben,  die  sämmtlich  das  Werk  von  Privatleuten  sind.  Eben  erst 
hat  ein  Herr  Hobbs  eine  bedeutende  Summe  für  die  Aufführung 
eines  neuen  Observatoriums  am  Michigansee  gegeben,  welches  ein 
grofses  Aequntoreal  und  einen  Meridiankreis  erhalten  soll,  und  kaum 
ist  die  höchste  Sternwarte  der  Welt  auf  dem  Berge  Hamilton, 
4200  Kuss  über  dem  Meere,  vollendet,  für  die  James  Lick  die 
Kleinigkeit  von  700  000  Dollars  ausgesetzt  hat,  so  wird  eine  noch 
um  800  Kufs  höher  liegende,  auf  Kosten  eines  Herrn  Chamberlin  im 
Staate  Colorado  errichtet,  und  mit  einem  Aequatoreal  von  20  Zoll 
Oeffnung  ausgestattet. 

Dio  Lick-Sternwarte  enthält  ein  Instrument,  das  den  Wundern 
der  neuen  Kulturzcit  zugezählt  werden  muss,  und  das  so  recht  auf 


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den  Boden  Amerikas  paßt,  aus  dem  es  herausgewachsen  ist.  Und 
auf  der  Sternwarte  der  Harvard-UniverRitüt  zu  Cambridge  im  Staate 
Massachusets  sind  neuerdings  die  Instrumente  aus  dem  Nachlasse 
Henry  Drapers  aufgestellt  worden,  um  die  großartigen  Aufgaben,  die 
sich  der  Direktor  dieses  Observatoriums  Herr  Pickering  gestellt  hat, 
ausführen  zu  helfen.  Von  der  ganz  neuen  Sternwarte  auf  dem  Berge 
Hamilton  und  der  alten,  schon  herrlich  bewährten  zu  Cambridge  und 
ihren  Werken,  möchte  ich  einige  neuere  Nachrichten  wiedergeben. 

Das  Riesenfemrohr,  welches  auf  der  Liok-Stemwarte  Aufstellung 
gefunden  hat,  besitzt  eine  Oeffnung  von  nicht  weniger  als  30  Zoll 
und  eine  lünge  von  50  Fuß.  Das  vordere  und  grössere  Glas, 
welches  den  kostspieligsten  Theil  des  Teleskops  bildet,  ist  ein  Werk 
von  seltener  Vollkommenheit  aus  der  berühmten  Werkstatt  von  Alvan 
Clarke  and  Sons  zu  Cambridgeport.  Der  Name  dieser  Firma  bürgt 
für  die  Güte  der  Arbeit.  Der  Gründer  des  Geschäfts,  der  im  vorigen 
Jahre  im  Alter  von  83  Jahren  gestorben  ist,  war  ein  Selfmademan, 
wie  Herschel  und  Fraunhofer,  und  er  verdankt  seinen  Weltruf  der 
zähen  Energie  seines  Charakters.  Seine  Gläser,  wie  dasjenige,  mit 
dem  er  den  Siriusbegleiter  entdeckte,  und  das  grofse  Fernrohr,  das 
vor  11  Jahren  zu  Washington  die  Marsmonde  finden  half,  sind  alle 
Muster  von  Ausführung.  Die  Prüfung  des  Fernrohrs  der  Lick- 
Stemwarte  ist  bereits  im  vorigen  Jahre  von  bedeutenden  wissen- 
schaftlichen Autoritäten,  wie  den  Professoren  Newcomb  und  Young 
geschehen.  Es  erwies  sich  dabei  zur  Trennung  der  Doppelsterne 
und  zur  Auflösung  der  Nebel  in  vorzüglichem  Mafse  tauglich.  Selbst 
jene  kleinen  Sternchen,  die  in  der  unmittelbaren  Nachbarschaft  der 
hellsten  Sterne  stehend,  von  diesen  überstrahlt  zu  werden  pflegen, 
waren  in  dem  Instrumente  sichtbar,  ohne  dafs  man  den  Hauptstern 
hätte  verdecken  müssen. 

Auf  dem  Berge  Hamilton,  in  einer  Atmosphäre,  die  während  drei 
Vierteln  des  Jahres  von  fast  ungetrübter  Heiterkeit  ist,  thront  jetzt  der 
Femrohrriese.  Man  hat  ihm  eine  Kuppel  gebaut,  die  nicht  weniger 
als  75  Fuss  Durchmesser  hat.  Dieselbe  wird  zum  Theil  von  einer 
Flüssigkeit  getragen,  und  ist  so  leicht  beweglich,  dass  ein  Mann  sie 
in  neun  Minuten  vollständig  herumdrehen  kann.  Das  Rohr  selbst 
kann  durch  den  leisesten  Druck  bewegt  werden,  und  ein  Uhrwerk, 
wie  es  an  den  großen  Aequatorealen  angebracht  ist,  erlaubt  mit  dem 
gewaltigen  Rohre  mit  grofser  Genauigkeit  der  scheinbaren  täglichen 
Drehung  des  Himmelsgewölbes  zu  folgen.  Der  Fufsbodcn,  auf  dem 
sich  der  Beobachter  befindet,  und  der  auf  der  Liek-Sternwnrte  61  Fuss 


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im  Durchmesser  besitzt,  läfst  sich  durch  die  Arbeit  von  vier  hydrau- 
lischen Pressen  heben,  und  zwar  in  neun  Minuten  bis  zu  16'/j  Fufs. 
Alle  diese  Vorrichtungen,  deren  Herstellung  viel  Geschick,  Wissen, 
Geduld,  Zeit  und  Geld  erfordert  hat,  sind  jetzt  in  genügender  Ordnung 
befunden,  und  die  Sternwarte  am  1.  Juli  den  Verwesern  der  kaliforni- 
schen Universität  feierlich  übergeben  worden. 

Der  Anblick,  den  der  Saturn  bei  tausendfacher  Vergröfserung 
darbot,  war  ein  ganz  unerwarteter.  Während  die  Beobachter  sich  sonst 
anstrengon  müssen,  um  mit  ihren  Fernrohren  gewisse  interessante 
Einzelheiten  dieses  sonderbaren  Himmelskörpers  zu  erkennen,  trat  hier 
alles  mit  der  grüfsten  Schärfe  und  Bestimmtheit  ganz  von  selbst  vor 
die  Augen.  Wenn  der  Neptun  einen  zweiten  Trabanten  hätte,  der 
blofs  den  vierten  oder  den  fünften  Tlieil  der  Leuchtkraft  seines 
Kollegen  besäfse,  mit  dem  Riesenfernrohr  würde  er  nicht  unbemerkt 
bleiben  können. 

Der  Direktor  der  neuen  Sternwarte  schreibt  am  1.  August  an 
den  Redakteur  der  Zeitung  .Daily  Alta  California“  über  die  ferneren 
Beobachtungen  : „Während  die  Astronomen  überall  sonst  die  Beobach- 
tung des  Olbersschen  Kometen  aufgegeben  haben,  der  nur  noch  •/,,  der 
Helligkeit  hat,  wie  im  vorigen  Jahre,  hat  ihn  Herr  Barnard  noch  bis 
gestern  Abend  beobachtet,  bis  er  endlich  zu  schwach  wurde,  um  selbst 
hier  gesehen  zu  werden.  Diese  Messungen  sind  von  wirklichem 
Werthe,  da  sie  einen  gröfseren  Bogen  der  Kometcnbahn  bestimmen 
und  seine  Bewegung  mit  viel  grofserer  Genauigkeit  ergründen  lassen. 
Die  Helligkeit  der  Marstrabanten  beträgt  nur  ein  Sechstel  von  der- 
jenigen, die  sie  bei  ihrer  Entdeckung  durch  Asaph  Hall  im  Jahre  1877 
hatten.  Demnach  wird  man  mit  dem  Rohre  Objekte  entdecken  können, 
die  sechsmal  schwächer  sind,  als  die  Marstrabanten  damals 
waren.  Ich  habe  selbst  früher  zu  Washington  mit  dem  grofsen  Refraktor 
gearbeitet,  (mit  dem  die  Marelrabanton  gefunden  wurden,)  aber  ich 
habe  mit  dem  neuen  Fernrohr  solche  Ansichten  der  hellen  Planeten, 
Saturn,  Mars  und  Jupiter,  von  Nebeldecken,  der  Milchstrafse  und 
einigen  Fixsternen  gehabt,  wie  nie  ein  Astronom  zuvor.  Jupiter  be- 
sonders ist  wunderbar  reich  an  Details:  die  Scheiben  seiner  Monde 
sind  hier  voll  und  rund,  wie  die  von  Planeten,  und  vielleicht  wird  sich 
bei  Verfinsterungen  der  Trabanten  der  Jupiter-Schatten  auf  ihnen  ver- 
folgen lassen.  Und  wenn  die  Scheiben,  wie  bereits  andere  Beobachter 
berichtet  haben,  wirklich  Zeichnungen  darbieten,  so  wrird  man  mit  Erfolg 
hier  studiren  können,  ob  jene  Trabanten  wie  der  Krdmond  dem 
Planoten  stets  dieselbe  Seite  zukehren.  Die  Milchstrafse  ist  ein 


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wunderbarer  Anblick  und  ich  habe  init  grofsem  Interesse  gesehen, 
dats  keine  endliche  Auflösung  ihrer  feineren  Theile  in  einzelne  Sterne 
möglich  ist.  Immer  bleibt  der  Hintergrund  von  ungelösten  Nebeln 
zurück,  auf  welchem  Hunderte  und  Tausende  von  Sternen  stehen  — 
jeder  ein  heller,  scharf  bestimmter  Punkt.  Der  bekannte  Sternhaufen 
iin  Herkules,  in  dem  Messier  erklärte,  keine  einzelnen  Sterne  sehen  zu 
können,  stellt  sich  als  eine  Masse  von  getrennten  individuellen  Punkten 
dar,  und  die  zentrale  leuchtende  Nebelmasse  ist  vollkommen  in 
Punkte  aufgelöst.  Es  war  mir  besonders  interessant,  nach  Objekten 
zu  sehen,  mit  deren  Anblick  ich  aus  anderen  Fernrohren  vertraut  bin, 
und  mit  den  Zeichnungen  von  Lord  Rosse  zu  vergleichen,  die  er  mit 
Hülfe  seines  Riesenteleskops  gefertigt  hat  (dessen  Spiegel  einen  Durch- 
messer von  sechs  Fuss  besafs).  Theoretisch  müsste  sein  Fernrohr 
mehr  als  der  neue  Refraktor  zeigen,  weil  es  mehr  Licht  sammelt; 
aber  in  Klarheit  und  Schärfe  steht  es  dem  unsrigen  bedeutend  nach, 
wie  wir  es  fortwährend  beobachten.  So  ist  der  Ringnebcl  in  der 
Leier  von  Rosse  ohne  einen  zentralen  Kern  gezeichnet,  den  man  schon 
in  Washington  sehen  kann;  aber  hier  sieht  man  wenigstens  drei  Stern- 
chen. Sie  sind  interessant,  weil  sie  mitten  im  Nebel  liegen,  nicht  als 
einfache  Sterne  von  ihm  losgelöst  erscheinen.  Der  Dreizack-  und  der 
Ü-Nebel  sind  hier  wunderbare  Objekte.  Ihr  ganzer  Anblick  ist  ver- 
ändert; alles  ist  hier  vollkommen  scharf  und  klar,  was  wo  anders 
zweifelhaft  ist.  Einer  der  größten  praktischen  Triumphe  dieses 
Teleskops  könnte  es  sein,  ein  für  allemal  Zweifel  zu  beseitigen,  die 
irgendwo  entstanden  sind  und  entstehen  werden.  Freilich  ist  die 
Bauperiode  noch  nicht  ganz  vorüber.  Ein  grofses  Teleskop  ist  eben 
nicht  wie  ein  Opernglas,  das  man  einfach  aus  der  Tasche  nehmen 
kann,  und  das  dann  sofort  gebrauchsfertig  ist;  es  ist  vielmehr  eine 
feine  und  komplizirte  Maschine,  die  zu  ihrem  erfolgreichen  Gebrauch 
eine  ganze  Reihe  günstiger  Bedingungen  erfordert.  Jede  dieser  Be- 
dingungen ist  studirt  und  erkannt  worden,  so  dafs  man  sie  herbei- 
führen und  aufrecht  erhalten  kann.  Wir  sind  Tag  und  Nacht  mit 
der  Lösung  dieser  Aufgaben  beschäftigt  gewesen,  um  unser  Haus  aus 
einem  Museum  träger  Instrumente  in  ein  geschäftiges  Laboratorium 
zu  verwandeln,  in  dem  die  inneren  Geheimnisse  des  Himmels  studirt 
werden  sollen.“ 

Das  einfache  Betrachten  der  himmlischen  Objekto  ist  übrigens 
nicht  das  einzige  Werk,  welches  mit  dem  Riesenfernrohr  zu  vollbringen 
ist  Das  Instrument  ist  von  den  Kuratoren  der  Sternwarte  mit  zwei 
sehr  wuchtigen  Zugaben  ausgeslattet  worden,  einem  photographischen 


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Ansatz,  welcher  dasselbe  befähigen  wird,  als  Dunkelkammer  für  die 
Aufnahme  von  Lichtbildern  zu  dienen,  und  einem  Spektroskope.  Zwar 
kann  das  Fernrohr  nicht  bei  jenem  grofsartigen  wissenschaftlichen 
Unternehmen  mit  verwendet  werden,  welches  nach  den  Beschlüssen 
des  Pariser  Astronomen-Kongresses  vom  vorigen  Jahre  die  Aufnahme 
des  gesamten  Himmels  zum  Ziele  hat,  da  hierzu  Fernrohre  von  13  Fufs 
Brennweite  vorausgesetzt  werden,  während  die  des  Riesenfemrohrs 
47  Fufs  mifst;  aber  andere  wichtige  Aufgaben  aus  der  Himmelskunde 
wird  es  zu  lösen  fähig  sein.  Bei  der  Photographie  des  Mondes,  der 
Planeten,  der  Nebelflecke  und  Kometen  wird  es  zwar  die  anderen 
Fernrohre  weit  übertreffen,  aber  bei  der  Aufnahme  von  Doppolsternen 
und  Sternhaufen,  worin  die  hauptsächliche  Anwendung  des  photo- 
graphischen Apparats  bestehen  soll,  wird  es  geradezu  Epochemachendes 
leisten.  Eines  der  ersten  Werke,  die  zu  erledigen  sein  werden,  be- 
steht in  der  Aufnahme  der  Nachbarschaften  sämtlicher  helleren  Sterne, 
um  so  vielleicht  schwächeren  Begleitsternen  auf  die  Spur  zu  kommen 
und  dann  ihre  Bewegung  von  Zeit  zu  Zeit  aufzuzeichnen.  Eine 
gewisse  Zahl  von  Sternen  wird  ausgewählt  und  in  regelmäfsigen 
Zwischenräumen  das  ganze  Jahr  hindurch  photographirt  werden. 
Die  Messungen  auf  diesen  Platten  werden  dann  die  Daten  geben,  durch 
welche  die  Entfernungen  dieser  Sterne  von  der  Erde  bestimmt  werden 
können,  ähnlich  wie  bereits  Herr  Pritchard  in  Oxford  die  Entfernung 
von  Bessels  Schwanenstem  auf  photographischem  Wege  bestimmt 
hat.  Analoge  Messungen  auf  den  Lichtbildern  von  Sternhaufen  werden 
uns  vielleicht  einen  Leitfaden  für  die  Gesetze  geben,  welche  den 
inneren  Aufbau  dieser  wunderbaren  Objekte  regieren,  und  schlierslich 
wird  eine  fortwährende  Reihe  von  Photographien  der  helleren  Theile 
eines  Kometen  gewifs  eine  Fluth  von  Lioht  auf  den  noch  so  dunklen 
Prozefs  ihrer  Entwickelung  ausgiefsen.  Das  grofsc  Sternspektroskop, 
das  auch  an  das  Fernrohr  anzuschrauben  ist,  ist  allein  ein  Wunder- 
werk. Es  enthält  ein  von  Prof.  Rowland  angefertigtes  konkaves 
Gitter  von  ganz  feinen  und  dichten  Strichen  auf  einem  dünnen  Glas- 
scheibcheu,  und  bei  der  starken  Zerstreuung,  die  es  liefert,  wird  es 
uns  sicher  viele  schöne  Aufschlüsse  über  die  chemische  und  physi- 
kalische Natur  der  fernsten  Welten  liefern. 

Während  die  Aufgaben  der  Lick-Stemwarte  vorläufig  noch  nicht 
wesentlich  in  Angriff  genommen  sind,  und  dort  das  Riesenfernrohr 
zunächst  für  die  Grüfse  dieser  Unternehmungen  zeugen  muss  — hat 
die  andere  Sternwarte,  von  der  ich  reden  wollte,  nämlich  die  Harvard- 
Sternwarte  in  Cambridge  bei  Boston  schon  viele  schöne  Arbeiten  voll- 


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endet.  Und  das  gegenwärtige  Programm  des  überaus  thiitigen  der- 
zeitigen Direktors  derselben,  Herrn  Pickering,  ist  so  reich,  dafs 
eine  vollständige  Darlegung  desselben  an  dieser  Stelle  ermüden  würde. 
Wir  wollen  uns  heut  darauf  beschränken,  seines  grofsen  Albums  zu 
gedenken,  welches  die  Spektren  aller  Sterne,  die  man  mit  blorscm 
Auge  sehen  kann,  phothographirt  enthalten  soll.  Das  Verfahren,  dessen 
er  sich  bedient,  ist  ein  sehr  einfaches.  Ein  Fernrohr  von  8 Zoll  Oeff- 
nung  wird  gegen  eine  bestimmte  Gegend  des  Himmels  gerichtet,  ein  un- 
gemein  regelmäfsig  gehendes  Uhrwerk  sorgt  dafür,  dafs  die  Bewegungen 
des  Fernrohrs  gleichmäfsig  sind.  Mit  dem  Teleskope  ist  ein  photo- 
graphischer Apparat  verbunden,  und  vor  das  vordere  Glas  ist  ein 
Prisma  gestellt  So  wird  von  sämtlichen  Sternen,  die  gerade  durch 
das  Kohr  sichtbar  sind,  das  Spektrum  auf  der  lichtempfindlichen  Platte 
erscheinen.  Man  braucht  nun  blofs  den  ganzen  Himmel  abzusuchen, 
und  kann  dann  die  Resultate  zu  einem  Album  der  Sternspektren  ver- 
einigen. Freilich  wird  es  mehrfacher  Wiederholungen  bedürfen,  ehe 
alles  mit  genügender  Sicherheit  aufgezeichnet  sein  wird.  Das  Werk 
ist  nach  dem  kürzlich  erschienenen  zweiten  Jahresbericht  nahezu  voll- 
endet Im  ganzen  waren  633  Platten  dazu  nöthig,  auf  denen  sich  nicht 
weniger  als  27953  Bilder  von  Spektren  befinden.  Das  Ausmessen 
der  Platten  und  die  nöthigen  Rechnungen  bilden  eine  viel  griifsere 
Arbeit  als  die  Aufnahme  selbst,  aber  es  steht  Herrn  Pickoring  eine 
grofse  Reihe  tüchtiger  Kräfte  zur  Verfügung,  die  dies  in  kurzem  voll- 
bringen werden;  auch  fünf  Damen  machen  sich  dabei  um  die  astro- 
nomische Wissenschaft  verdient  Bis  jetzt  konnte  freilich  der  Himmel 
nur  soweit  abgesucht  werden,  als  er  zu  Cambridge  sichtbar  ist  aber 
zur  weiteren  Vervollständigung  des  Werkes  soll  im  Herbste  1889  eine 
Expedition  nach  Peru  geschiokt  werden,  um  das  großartige  Unter- 
nehmen auf  die  Hälfte  des  südlichen  Himmels  auszudehnen,  die  man 
auf  der  Sternwarte  zu  Cambridge  nicht  sehen  kann. 

Die  bisherigen  Erfolge  haben  in  Herrn  Pickering  bereits  den 
Plan  für  ein  noch  umfangreicheres  Album  reif  gemacht,  welches  die 
Spektra  sämtlicher  Sterne  liefern  soll,  die  sich  wdihrend  einer 
Exposition  von  einer  Stunde  den  allerempflndliohsten  Platten  an- 
vertrauen, welche  die  Technik  heute  liefert  Man  wird  so  mindestens 
alle  Sterne  bis  zur  achten  Gröfse  herab  zwingen,  ihr  Spektrum  auf- 
zuzeichnen. 

Ein  Teleskop  von  1 1 Zoll  Ooffnung  wird  aufserdem  dazu  dienen, 
die  einzelnen  Spektren  viel  genauer  zu  untersuchen,  als  es  für  die 
einfacho  Katalogisirung  nothwendig  war,  und  das  Spiegelteleskop  von 


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28  Zoll  Oeffnung,  das  von  Frau  Draper  aus  dem  Nachlasse  ihres 
Gemahls  der  Sternwarte  zu  Cambridge  übergeben  wurde,  wird  eben- 
falls bei  den  feinsten  Aufgaben  der  spektrographischen  Untersuchung 
mitwirken.  Insbesondere  werden  die  veränderlichen  Sterne  von  langer 
Periode  und  die  Sterne,  bei  denen  man  Besonderheiten  im  Spektrum 
gefunden  hat,  einem  sorgfältigen  speziellen  Studium  mittelst  dieses 
Instrumentes  unterworfen  werden. 

Der  gröfste  Theil  der  sehr  bedeutenden  Geldmittel,  welche  Herrn 
Pickering  für  alle  diese  Arbeiten  zur  Verfügung  stehen,  ist  ihm 
neuerdings  von  wohlhabenden  Privatleuten  überwiesen  worden. 


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Versuch  einer  beweisführenden  Darstellung  des  Welt- 
gebäudes in  elementarer  Form. 

Von 

Dr.  M.  Wilhelm  Meyer-Berlin. 


IV.  Die  Hclii'i n baren  Bahnen  der  Himmelskörper. 


I Ji-r  seltsame  Sphärenbau,  bis  zu  welchem  sich  unsere  Weltan- 
‘ schauung  in  den  letzten  Betrachtungen  aufgesohwungen  hatten, 
äst  offenbar  nur  ein  konstruktives  Hilfsmittel  zur  Erreichung 
der  Wahrheit.  Die  ungeheuren  sich  übereinander  wölbenden  kristall- 
nen  Kuppeln  bilden  die  zerbrechliche  Form,  welche  die  lautere  Wahr- 
heit wie  das  glühende  Metall  eines  Glockengusses  in  sich  attfnehmen 
mufste,  um  erst  dann  zertrümmert  werden  zu  können.  Wie  der  weit- 
hin dringende  Ton  der  vollendeten  Glocke  spricht  dann,  von  der 
liäfslichen  Sehaale  befreit,  die  Wahrheit  allein  mit  überwindender  Kraft 
zu  uns.  Wir  dürfen  deshalb  die  wunderlichen  Abwege,  auf  welche 
mail  im  Drange  zur  Wahrheit  damals  gerieth,  heute  nicht  verächtlich 
iibersehn:  denn  sie  waren,  wenn  auch  nicht  logisch,  so  doch  in 
Anbetracht  unserer  menschlichen  Unvollkommenheit  nothwendige 
Ueberg  änge. 

Damals,  als  man  die  Natur  noch  mit  den  Augen  des  philosophirenden 
Träumers  betrachtete,  als  man  von  den  Gesetzen  der  physikalischen 
Vorgänge,  mit  Ausnahme  vielleicht  der  der  Töne,  noch  nichts  wulste, 
wäre  sicherlich  ein  Newton,  der  sich  etwa  um  zwei  Jahrtausende 
verfrüht  hätte,  um  zu  beweisen,  dafs  gewaltige  Körper,  wie  Sonne 
und  Mond,  trotzdem  sie  durchaus  dem  Gesetze  der  Schwere  gehorchen, 
dennoch  frei  schwebend  über  uns  ihre  Kreise  ziehen  können,  wohl 
einfach  zu  den  psychologisch  heohachtungswürdigen  Leuten  geworfen 
worden,  wenn  ihm  nicht  gar  noch  Schlimmeres  zugestofsen  wäre,  wie 
wir  denn  sehen  werden,  sobald  wir  die  Vorläufer  unserer  modernen 
Weltanschauung  kennen  lernen,  wie  auch  schon  im  griechischen 
Alterthum  ein  prophetischer  Denker,  dem  die  grofse  Idee  aufdiim- 
Ilierte,  als  Gotteslästerer  peinlich  angeklagl  wurde. 

Die  allgemeinste  Wahrnehmung,  dafs  alles  sich  mit  schwerem 

Himn’M  um!  Erd*.  I.  ü.  W 


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Drange  nach  der  Oberfläche  der  Erde  hindrängt  und  nicht  eher  in 
seinem  Fluge  innehält,  bis  es  sich  mit  derselben  verbunden  hat,  konnte 
in  der  Ueberzeugung  jedes  Denkers,  auch  des  Alterthums,  boi  den 
Weltkörpern  keine  Ausnahme  erleiden.  Und  diese  Ueberzeugung  hat 
in  der  That  niemand  getäuscht  Wir  glauben  nicht  nur  heute  wie 
damals,  sondern  wir  sind  mit  logischer  (iewifsheit  davon  überzeugt,  dafs 
alle  Körper  dort  über  uns  ohne  Ausnahme  von  unserer  Erde  zu  sich 
hernngezogen  werden,  soviel  sie  nur  Kräfte  dazu  besitzt.  Ja  wir  haben 
unsere  Begriffe  von  der  Schwere  noch  universeller  gestaltet  und  wissen, 
dafs  auch  andererseits  unsere  Erde  von  eben  diesen  Gestirnen  gleich- 
zeitig angezogen  wird  und  dafs  eben  durch  die  Abwägung  dieser  gegen- 
seitigen Einflüsse  und  Kräfte  die  Bewegungen  der  Himmelskörper 
nothwendig  entstehen.  Wie  dies  erklärlich  ist,  das  eben  soll  in  den 
nachfolgenden  Betrachtungen  in  stufenweiser  Entwickelung  gezeigt 
werden. 

Vor  der  Hand  aber  bitte  ich  meine  Leser  von  diesen,  der  naiven 
Anschauung  in  der  Thal  unbegreiflichen  Dingen  nichts  zu  glauben 
und  vielmehr  der  Ueberzeugung  zu  sein,  dafs  jener  Spärenbau  irgend- 
wie mit  unzertriimmerlichen  Banden  an  die  Grundvesten  der  Erde  ge- 
schmiedet sei  und  sich  durch  eine  unergründliche,  von  göttlicher  All- 
weisheit erdachte  Mechanik  im  ewigen  Kreise  um  uns  drehe.  Doch 
mufs  ioh  hier  gleich  bitten,  während  der  Entwickelung  unserer  Ideen 
über  das  Universum  da«  Hypothetische  stets  von  dem  mit  unerschütter- 
licher Logik  Bewiesenen  streng  getrennt  zu  halten.  So  ist  eben  dieser 
Sphärenbau  bis  jetzt  nur  ein  Gebilde  menschlicher  Phantasie  und  seine 
wirkliche  Existenz  durchaus  nicht  erwiesen,  während  man  andererseits 
leicht  einsieht,  dafs  unsere  Erkenntnifs  von  der  Gestalt  und  Gröfse 
der  Erde  und  des  Mondes,  von  der  Entfernung  des  letzteren  und 
schliefslich  davon,  dafs  die  Sonne  gröfser  sei  als  die  Erde,  auf  völlig 
streng  logischen  Schlüssen  beruht,  die  aus  bekannten,  durchaus  nicht 
anzuzweifelnden  Prämissen  gebildet  wurden. 

Dies  wohl  im  Auge  behaltend,  wollen  wir  nun  die  Irrwege, 
welche  die  Weltanschauung  unserer  Vorfahren  durchwandern  mufste, 
damit  sich  in  der  Uebung  ihres  Geistes  während  solcher  Betrachtungen 
der  letztere  zur  Aufnahme  so  überwältigender  Wahrheiten,  wie  sie  die 
moderne  Weltanschauung  in  sich  schliefst,  genügend  vorbereiten 
konnte,  noch  einmal  zurücklegen.  Zwar  hätte  ich  meine  Leser  eben- 
sowohl direkt  zu  diesem  Ziele  hinführen  können,  aber  ich  zweifele 
wohl  mit  Recht  daran,  dafs  die  meisten  derselben  die  grofse  Wahrheit 
mit  gleicher  Ueberzeugung  in  sich  aufgenommen  haben  würden,  wenn 


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eben  nicht  auch  ihr  Geist,  wie  der  jener  Gelehrten  des  Alterthums, 
vorher  durch  diese  hohe  Schule  des  Irrthums  gegangen  wäre. 

Um  unsere  Hypothese  von  den  Sphären  auf  ihre  Richtigkeit  zu 
prüfen,  müssen  wir  neue  Erfahrungen  über  die  Vorgänge  am  Himmel 
sammeln.  Eine  der  ältesten  in  dieser  Beziehung  ist,  dafs  die  Sonne, 
welche  sich  zwar  mit  den  Fixsternen  im  Tage  einmal  um  die  Welt- 
axe  dreht,  dagegen  in  ihrer  jährlichen  Bewegung  einen  Kreis  am 
Himmel  beschreibt,  welcher  mit  dieser  täglichen  Bewegung  nicht 
parallel  läuft.  Sämmtliche  Fixsterne  erreichen  für  denselben  Ort  der 
Erde  jeden  Tag,  Jahr  aus  Jahr  ein,  dieselbe  höchste  Höhe  ant  Himmel. 
Dagegen  ist  es  uns  Allen  wohlbekannt,  dafs  die  Sonne  an  einem 
Sommertage  um  Mittag  bedeutend  höher  steht  als  im  Winter;  es 
entstehen  ja  eben  durch  diese  wechselnde  Sonnenbestrahlung  die 
Jahreszeiten. 

Die  Gröfse  dieser  Höhenschwankungen  im  Laufe  eines  Jahres 
zu  bestimmen  ist  sehr  leicht.  Schon  im  grauen  Alterthume  bediente 
man  sich  zu  diesem  Zwecke  eines  einfachsten  und  ersten  astrono- 
mischen Instrumentes,  welches  man  ein  Gnomon  nannte  und  das 
eigentlich  aus  nichts  weiter  als  einem  geraden  Stabe  besteht,  dessen 
Schatten  man  beobachtet.  Je  gröfser  man  denselben  macht,  je  genauer 
werden  natürlich  die  Messungen  mit  ihm,  und  aus  diesem  Grunde 
nahmen  die  alten  Egypten  ihre  Obelisken  dazu  in  Anspruch. 

Um  zu  zeigen,  wie  interessante  und  wichtige  Untersuchungen 
man  mit  diesem  einfachsten  Instrumente  ausrühren  kann,  wollen  wir 
unsererseits  ein  Denkmal  in  Berlin  zu  diesem  Zwecke  benutzen.  Wir 
nehmen  dazu  die  Siegessäule  auf  dem  Königsplatze.  Sie  ragt  mächtig 
iibor  einen  w'oiten,  freien  Platz  empor  und  wir  können  ihren  Schatten, 
wenn  uns  das  launische  Wetter  nur  begünstigt,  jederzeit  verfolgen. 
Wir  beginnen  damit  zu  irgend  einer  Zeit  in  den  Morgenstunden  die 
I singe  ihres  Schattens  auszumessen  und  merken  uns  diese  sowohl  wio 
die  Richtung,  in  welche  dieser  Schatten  fällt,  auf  dem  Terrain  vor. 
Nun  warten  wir,  bis  am  Nachmittag  der  Schatten  wieder  genau  die- 
selbe Mingo  besitzt,  welche  er  am  Morgen  hatte  und  bezeichnen 
wiederum  dio  Richtung,  in  welcher  er  nunmehr  gesehen  wird.  Es 
bedarf  dann  wohl  keines  besonderen  mathematischen  Beweises,  dafs 
die  Richtung,  welche  genau  in  der  Mitte  zwischen  den  beiden  an- 
gemerkten sich  befindet,  diejenige  ist,  in  welcher  die  Sonne  zu  Mittag 
stand,  d.  h.  wir  brauchen  nur  den  Winkel  zwischen  zwei  gleichen 
Schattenlängen  am  Morgen  und  Nachmittag  zu  halhiren,  um  die  ge- 
naue Südrichtung  zu  erhalten.  Diese  zeichnen  wir  uns  durch  eine 

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möglichst  unbewegliche  Vorrichtung  an,  etwa  durch  eine  gerade 
Stange,  die  wir  auf  dem  Erdreich  befestigen. 

Jedesmal,  wenn  nun  der  Schattender  Säule  wieder  mit  dieser  Stange 
zusammenfällt,  ist  es  offenbar  12  Uhr  wahre  Berliner  Sonnenzelt.  Wir 
machen  also  mit  dieser  primitiven  Einrichtung  eino  vollständige 
Zeitbestimmung. 

Um  eino  weitere,  dritte  Aufgabe  zu  lösen,  merken  wir  uns  jeden 
Tag  an,  wie  grufs  der  Schatten  ist,  wenn  er  jene  Mittagslinie  passirt, 
und  setzen  diese  Beobachtung  mindestens  ein  Jahr  lang  fort.  Besonders 
interessirt  es  uns  dabei,  die  kleinste  und  die  gröfste  während  dieses 
Jahres  gemessene  Schattenlängc  kennen  zu  lernen.  Nehmen  wir  z.  B. 
der  Einfachheit  wegen  an,  die  Säule  sei  gerade  100  Meter  hoch,  so 
würden  wir  die  kürzeste  Schatlenlänge  am  21.  Juni  = 55.4  m,  die 
längste  dagegen  am  21.  Dezember  = 401.1  m finden. 

Uafs  nun  diese  Schattenlänge  in  genauem  Verhültnifs  zur  jedes- 
maligen Höhe  der  Sonne  steht,  wird  Jedermann  auch  ohne  die 
geringste  geometrische  Bildung  einseheu.  Wem  aber  aus  der  Schule 
noch  einige  Spuren  trigonometrischer  Kenntnisse  herübenlämmern, 
der  weifs,  dafs  man  iiberoingekommen  ist,  die  Linie,  welche  durch 
die  Siegessäule  markirt  wird,  den  Sinus,  die  dazu  senkrechte  Linie 
der  Schattenlänge  dagegen  den  Cosinus  des  Winkels  zu  nennen, 
welchen  in  diesem  Kalle  die  Sonnenstrahlen  mit  dem  Horizonte  bilden. 
Man  hat  sich  ferner  geeinigt,  die  Zahl,  welche  durch  die  Division 
eines  solchen  Sinus  mit  seinem  Cosinus  entsteht,  die  Tangente  des 
betreffenden  Winkels  zu  benennen.  Diese  ist  also  in  diesem  Kalle 
gleich  dem  Verhültnifs  der  Schatlenlänge  zu  der  der  Säule.  Es  giebt 
nun  trigonometrische  Tafeln,  in  welchen  neben  den  betreffenden  Win- 
keln die  Längen  der  zugehörigen  Tangenten  angegeben  sind.  Man 
kann  dieso  Tafeln  als  die  Resultate  direkter  Messungen  und  nicht 
etwa  weitläufiger  mathematischer  Deduktionen,  denen  nicht  Jedermann 
folgen  kann,  ansehen.  Man  hat  eben  zu  jedem  Winkel  die  Länge 
seines  Sinus  und  Cosinus  ausgemessen,  auf  eine  bestimmte  Einheit 
reduzirt  und  dann  mit  den  betreffenden  Tangentenzahlen  zu  einer 
Tafel  zusammengcstellt. 

Mit  diesem  Hilfsmittel  der  trigonometrischen  Tafeln  finden  wir 
also  unmittelbar  ans  der  gemessenen  [Jingo  des  Schattens  die  zuge- 
hörige Sonnenhöhe.  Beispielsweise  ergiebt  sich  für  den  21.  Juni  durch 
Division  von  10Ü  Metern  durch  55.4  Meter  eine  bestimmte  Tangenten- 
zahl und  daratiB  in  der  trigonometrischen  Tafel  der  Winkel  von  61", 
um  welchen  die  Sonne  sich  folglich  damals  um  Mittag  über  den  Ho- 


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rizont  von  Berlin  erhoben  hatte.  Dieselbe  Operation  mit  der  Schatten- 
länge am  21.  Dezember  ausgeführt,  ergiebt  dagegen  nur  14°.  Die 
Sonne  schwankt  also  zwischen  Sommer  und  Winter  um  47°  auf  und 
nieder,  und  daraus  folgt,  dafs  die  Bahn,  welche  die  Sonne  in  ihrer 
jährlichen  Bewegung  um  den  Himmel  beschreibt,  um  die  Hälfte  dieses 
Winkels,  also  um  23.5°  einmal  nach  unten,  das  andere  Mal  nach  oben 
von  demjenigen  Kreise  abweicht,  den  sie  in  ihrer  mittlern  Stellung 
beschreihen  würde,  wenn  sie  sich  gleich  den  Fixsternen  unbeweglich 
an  das  Himmelsgewölbe  geheftet  befände.  Diesen  mittleren  Kreis 
nennt  man  den  Aequator  des  Himmels.  Wir  haben  denselben  schon 
früher  kennen  gelernt  und  gefunden,  dafs  er  gleich  weit  von  beiden 
Himtnelspolen,  d.  h.  90°  von  ihnen  entfernt  ist.  Wir  haben  damit  er- 
kannt, dafs  die  Sonnenbahn  oder  Ekliptik  (so  genannt,  weil  nur  in 
dieser  Linie  Verfinsterungen  der  Sonne  und  des  Mondes  stattfinden 
können)  um  23.5°  gegen  den  Himmelsäquator  geneigt  ist. 

Wir  können  aber  aus  unse- 
rer einfachen  Beobachtung  der 
beiden  Schattenlängen  noch  mehr 
finden.  Wir  erkennen  nämlich 
leicht,  dafs  die  Mittelzahl  zwischen 
der  gröfsten  und  kleinsten  ge- 
fundenen Sonnenhöhe  diejenige 
sein  mufs,  in  welcher  sich  das 
Tagesgestirn  zur  Zeit  der  N'acht- 
gleiche  befindet,  wenn  es  soeben 
den  Himmels  - Aequator  durch- 
schneidet.  Das  Mittel  zwischen 
61°  und  14°  betrügt  37.5".  Um 
so  viel  steht  also  der  höchste 
Funkt  des  Himmels  - Aequators 
über  dem  Horizonte  von  Berlin  erhaben.  Da  wir  nun  ferner  wissen,  dafs 
der  Himmelspol  stets  90°  vom  Aequator  entfernt  ist,  so  bekommen  wir 
für  die  Lage  des  letztem  zum  Südpunkte  des  Horizontes  37.5°  -(-  90°  = 
127.5°  oder,  da  der  Nordpunkt  des  Horizontes  vom  Südpunkt  über 
unsern  Scheitel  weg  gemessen,  um  180°  oder  einen  Halbkreis  ver- 
schieden ist,  erhalten  wir  die  Höhe  des  llimmelspoles  über  dem  Nord- 
punkte gleich  180°  127.5°  = 52.5°.  Früher  haben  wir  aber  gesehen, 

dafs  diese  Polhöhe  gleich  der  geographischen  Breite  des  Ortes  ist, 
welche  wir  damit  aus  der  blofsen  Beobachtung  der  wechselnden 
Schattenlänge  unserer  Siegessäule  ohne  weitere  Hilfsmittel  gefunden 


Schiefe  der  Ekliptik  und  Polhöhc 
aus  Schattenlängen  bestimmt 


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haben.  Die  beigefügte  Figur  mag  die  ausgeftihrten  Upcrationen  noch 
bildlich  näher  erläutern. 

Rekapitulirt  ist  das  einfache  Rezept  dazu  also  folgendes:  Man 

messe  die  kleinste  und  die  griifste  Länge  des  Schattens,  welchen  ein 
vertikal  aufgestellter  Gegenstand  auf  einer  horizontalen  Ebene  zur 
Mittagszeit  im  Laufe  eines  Jahres  zeigt,  dividire  die  Höhe  des  Gegen- 
standes durch  diese  beiden  Schattenliiugen,  suche  die  zugehörigen 
Winkel  in  den  trigonometrischen  Tangenten-Tafeln,  nehme  das  Mittel 
aus  diesen  beiden  Winkeln  und  ziehe  dieses  von  90°  uh.  Das  Resultat 
ist  die  geographische  Breite  des  Ortes. 

Auf  genau  diese  selbe  Weise  wurden  die  früher  erwähnten  Aus- 
messungen des  Erdumfanges  durch  die  arabischen  Astronomen  vorge- 
noramen,  indem  sie  zwei  genau  südlich  oder  nördlich  von  oinander 
gelegene  Orte  aufsuchten,  für  welche  das  Resultat  dieser  Bestimmung 
um  1°  von  einander  abwich;  diese  beiden  Orte  standen  folglich  um 
den  360.  Theil  des  ganzen  Erdumfanges  von  einander  ab;  ihre  wirklich 
ausgemessene  Entfernung  mit  360  multiplizirl,  gab  demnach  den  ganzen 
Erdumfang. 

»So  viele  verschiedene  und  interessante  Resultate  lassen  sich  mit 
so  einfachen  Mitteln  vom  Himmel  ablesen.  Wer  dürfte  noch  behaupten, 
dars  die  Astronomie  eine  schwierige  Wissenschaft  sei! 

Da,  wie  wir  gesehen  haben,  die  jährliche  Bewegung  der  Sonne 
in  einem  Kreise  vor  sich  geht,  der  um  23.5°,  oder  die  sogenannte 
Schiefe  der  Ekliptik  gegen  die  tägliche  Bewegung  der  Gestirne 
geneigt  ist,  so  müssen  wir  die  Sphäre,  an  welcher  die  Sonne  befestigt 
ist,  gegen  die  Fixsterusphäre  um  ebensoviel  verschieben,  d.  h.  beide 
Sphären  haben  nicht  dieselbe  L'mdrohungsaxc:  wir  haben  in  den  himm- 
lischen Mechanismus  eine  besondere  L'mdrehungsaxe  für  jede  ciiizn- 
fügen. 

Gleiche  Wahrnehmungen  wie  die,  welche  wir  an  der  Sonne  ge- 
macht haben,  treten  nun  auch  heim  Monde  hervor.  Ebenfalls  aus  den 
Schattenlängen,  welche  das  Mondlicht  erzeugt,  erkannte  man,  dafs  der 
Mond  in  seiner  monatlichen  Bewegung  einen  andern  Kreis  am  Himmel 
beschreibt,  wie  einerseits  die  Fixsterne  und  andrerseits  die  Sonne. 
Folglich  müssen  wir  auch  die  Mondspbäre  an  eine  besondere  Axe 
befestigen  und  sie  von  den  übrigen  völlig  unabhängig  machen. 

Beim  Monde  zeigte  sich  nun  ferner  eine  auch  schon  den  grie- 
chischen Weltweisen  auffällige  Kigenthümlichkeit  der  Bewegung,  wel- 
che sich  namentlich  durch  den  Eintritt  der  Sonnen-  und  Mondfinster- 
nisse kundgab.  Damit  verhält  es  sich  folgendermafsen : Sonne  und 


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Mond  bewegen  sich,  wie  wir  sahen,  in  besonderen  Kreisen  über  den 
Himmel  hin.  Diese  Kreise  müssen  sich  in  zwei  Punkten  des  Himmels 
schneiden.  Diese  heiden  Punkte  nennt  man  die  Knotenpunkte  ihrer 
Bahnen  und  zwar  denjenigen,  welchen  der  Mond  passirt,  wenn  er  von 
der  südlichen  Hälft«*  der  Himmelskugel  in  die  nördliche  Übertritt,  den 
aufsteigenden,  den  gegenüberliegenden  den  niedersteigenden 
Knoten.  Wenn  die  Iutge  dieser  Bahnen  von  Sonno  und  Mond  un- 
veränderlich bleibt,  so  müssen  auch  diese  Knotenpunkte  am  Himmel 
eine  feste  Lago  behalten,  das  ist  wohl  unmittelbar  klar.  Da  nun  eine 
Sonnenfinsternifs  entsteht,  wenn  Sonne  und  Mond  sich  in  gleicher  Rich- 
tung von  uns  aus  gesehen  befinden,  eine  Mondfinsternis  dagegen,  wenn 
der  Mond  gerade  der  Sonne  gegenüber  in  den  Krdschatten  tritt,  sieht 
man  auch  sofort  ein,  dafs  diese  himmlischen  Ereignisse  nur  stattfinden 
können,  wenn  beide  Gestirne  sich  in  diesem  Knotenpunkte  ihrer  Hahn 
befinden,  und  zwar  eine  Sonnenfinsternifs,  wenn  beide  Gostime  sich 
in  ein  und  demselben  Knotenpunkte  treffen,  eine  Mondfinsternis  da- 
gegen, wenn  die  Sonne  in  dem  einen  und  der  Mond  in  dem  andern 
Knotenpunkte  steht.  I)a  nun  die  Sonne  gerade  in  einem  Jahre  ein- 
mal ihre  himmlisch«'  Bahn  durchläuft,  so  ist  auch  sofort  klar,  dafs  sie 
in  jedem  Jahre  an  demselben  Datum  sich  immer  in  demselben  Punkte 
ihrer  Bahn  befindet.  Wenn  also  «1er  Knotenpunkt  von  Sonne-  und 
Mondbahn  dieselbe  Lage  behalten  würde,  so  in ii (steil  sowohl  Sonnen- 
wie  Mondfinsternisse  an  ein  bestimmtes  Datum  des  Jahres  gebunden 
sein,  weil  ja  nur  in  diesen  Schnittpunkten  sich  die  beiden  Körper 
treffen  oder  genau  einander  gegenüberstehen  können. 

Haben  wir  deshalb  bemerkt,  dafs  eine  Sonnenfinsternifs  beispiels- 
weise auf  den  1.  Januar,  wie  ira  gegenwärtigen  Jahre  1889  fällt,  so 
müfsten  alle  übrigen  Sonnimfinsteruisse  gleichfalls  auf  einen  1.  Januar, 
dagegen  alle  Mondfinsternisse  auf  einen  2.  oder  3.  Juli  fallen,  wenn- 
gleich sie  natürlich  nicht  regelmäfsig  in  jedem  Jahre  .stattzufinden  brau- 
chen, weil  es  ja  durchaus  von  dem  Verhältnifs  der  Bewegungsge- 
schwindigkeit  des  Mondes  zu  der  der  Soun«'  abhängt,  w ie  oft  sich  dies«* 
Himmelskörper  in  den  Schnittpunkten  ihrer  Bahnen  treffen  können. 

Dafs  dieses  Zusammenfallen  der  Finsternisse  mit  dem  Datum  in 
«ler  That  nicht  stattfindet,  ist  allbekannt  und  scheint  uns  selbstverständ- 
lich, während  es  jedoch  die  sehr  merkwürdige  Thatsache  in  sich  schlii'fst. 
dafs  die  Mondbalm  selbst  kein«*  feste  Lage  am  Himmel  besitzt,  son- 
«iern  sich  längs  der  Ekliptik  beständig  verschiebt.  Die  himmlischen 
Ereignisse  des  gegenwärtigen  Jahres  geben  uns  über  die  Gröfse  dieser 
Verschiebung  ohne  weiteres  Anhaltspunkte.  Es  ereignet  sich  nämlich 


302 


gegen  Ende  dieses  selben  Jahres  eine  zweite  Sonnenfinstemirs,  die 
allerdings  ebenso  wie  die  erste  für  uns  nicht  sichtbar  sein  wird,  weil 
beide  für  uns  zur  Nachtzeit  stattflnden.  Diese  zweite  Finsternifs 


Bewegung  des  Mondknotens  zwischen  zwei  Sonnenfinsternissen. 

tritt  statt  ain  1.  Januar  1890,  wie  es  bei  festliegender  Mondbahn 
stattfinden  müfste,  bereits  etwa  10  Tage  früher  ein,  nämlich  am 
22.  Dezember.  Aus  der  beifolgenden  Zeichnung  ersieht  man,  um  wie 
viel  die  Lage  der  Mondbahn  sich  in  der  Zwischenzeit  verschoben  hat. 
Wir  erkennen  zugleich,  dafs  die  Verschiebung  des  Knotens  in  Bezug 
auf  dio  Sonnenbewegung  nach  rückwärts  stattflndet.  Sie  ist  von  grofser 
Kegehnäfsigkcit  und  beträgt  im  Jahr  etwa  19  1 '3  #,  so  dafs  der  Mond- 
knoten die  ganze  Ekliptik  in  etwa  18.5  Jahren  einmal  durchläuft. 

Noch  deutlicher  als  im  allgemeinen  bei  den  Sonnenfinsternissen, 
welchen  durch  besondere  hier  noch  nicht  näher  darzulegendo  Um- 
stände die  Finsternifs  nicht  zu  genau  derselben  Zeit  stattflndet,  zu 
welcher  der  Durchgang  durch  den  Knotenpunkt  eintritt,  stellt  sich 
die  Sachlage  bei  Mondfinsternissen  dar.  Ich  habe  deshalb  den  Weg 
des  Mondes  während  zwei  solcher  Erscheinungen,  welche  sich  in 
gleichen  Zeitintervallen  wie  jene  beiden  Sonnenfinsternisse  ereignen, 
in  der  folgenden  Figur  gleichfalls  wiedergegeben. 


Oerter  des  Mondes  und  des  Erdschattens  während  zwei  aufeinander  folgender 
Mondfinsternisse. 

Diese  eigentümliche  Komplikation  der  Mondbewegung  war  be- 
reits den  griechischen  Weltweisen  im  4.  oder  5.  Jahrhundert  vor  unse- 
rer Zeitrechnung  bekannt,  da  sic  eben  so  wesentlichen  Einflufs  auf  den 
Eintritt  der  Finsternisse  nimmt,  jener  eindrucksvollsten  aller  liimm- 


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lischen  Erscheinungen,  doren  erschütternde  und  furchterweckende  Wir- 
kung ja  nicht  nur  auf  den  blofsen  Naturmenschen,  sondern  auch  auf  die 
Thiere  deutlich  zu  beobachten  ist.  Es  ist  deshalb  begreiflich,  da  Ts 
eben  diese  Erscheinungen  die  ersten  Gegenstände  der  Naturbetrach- 
tung  und  der  Untersuchung  scharfsinniger  Denker  des  grauesten  Alter- 
thumes  werden  mufsten,  und  dafs  ihre  schou  sehr  früh  annäherungs- 
weise gelungene  rechnerische  Beherrschung  damals  zu  den  grüfsten 
Triumphen  menschlicher  Erkenntnifskraft  gezählt  und  die  Besitzer 
dieser  geheimen  Rechenkunst  mit  den  Ueherirdischen  in  direkter  Be- 
ziehung geglaubt  wurden. 

Dennoch  beruht  die  Keuntnifs  der  periodischen  Wiederkehr  der 
Finsternisse  auf  einer  sehr  einfachen  Grundlage,  wie  wir  nach  dem 
Vorangehenden  unmittelbar  einsehen.  Es  ist  offenbar  zum  Zustande- 
kommen einer  zweiten  Finsternifs  nöthig,  dafs  der  Mond  für  diese  in 
die  gleichen  Beziehungen  zur  Sonne  und  zu  seinen  Knoten  gelangt, 
welche  während  einer  ersteu  Finsternifs  stattfanden.  Nun  vollendet 
der  Mond  selbst  eiuen  Umlauf  in  Bezug  auf  die  Sonne  in  etwas  mehr 
als  29.5  Tagen.  Durch  das  Zurückweichen  der  Mondknoten  verfliefsen 
dagegen  zwischen  einem  und  dem  nächsten  Durchgänge  des  Mondes 
durch  die  Sonnenbahn  nur  27.2  Tage.  Diese  Zeit  hat  man  den 
Drachenmonat  genannt,  weil  nach  alten  Sagen  die  Verfinsterungen 
durch  einen  gierigen  Drachen,  welcher  den  Himmelskörpern  hier  in 
den  Knotenpunkten  auflauerte,  um  sie  zu  verschlingen,  verursacht 
wurden.  Die  Uralaufszeit  des  Mondes  in  Bezug  auf  die  Sonne  nennt 
man  dagegen  den  syno- 
dischen  oder  Licht-Mo- 
nat. Es  kommt  nun, 
um  die  Wiederkehr-Pe- 
riode der  Finsternisse 
zu  finden,  nur  darauf 
ao,  zwei  aus  ganzen 
Zahlen  gebildete  Fak- 
toren zu  finden,  welche, 
wenn  mau  die  eine  mit 
dem  synodischen,  die  Scheinbare  Bewegung  des  Merkur  im  Jahre  1889. 

andere  mildem  Drachen- 

mouat  multiplizirt,  möglichst  nahe  die  gleiche  Zahl  ergeben;  dann  ist 
offenbar  die  obige  Bedingung  erfüllt  Es  zeigt  sieb,  dafs  dieses  für  223 
synodische  und  242  Drachenmonate  stattfindet;  diese  ergeben  zusammen 
6585'  , Tage  oder  18  Jahre  und  1 1 Tage.  Innerhalb  dieser  Zoit,  welche 


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304 


man  im  Alterthume  den  Sa  ros  nannte  und  schon  den  alten  babyloni- 
schen Astronomen  bereits  mindestens  1000  Jahre  vor  unserer  Zeitrech- 
nung, den  Chinesen  aber  zweifellos  noch  viel  früher  bekannt  war,  wie- 
derholen sich  also  die  Finsternisse  nahezu  regelmäßig,  so  dafs  man 
zu  einer  beobachteten  nur  diese  18  Jahre  und  11  Tage  hinzuzuziihlen 
braucht,  um  das  Datum  einer  folgenden  vorauszusagen.  Wir  sehen,  dafs 
irgend  welche  tiefere  Blicke  in  das  Wesen  der  himmlischen  Bewe- 
gung zu  solchen,  seinerzeit  auf  das  höchste  bewunderten  Voraus- 
sagungen keineswegs  nötliig  sind. 


Wir  müssen  nun  die 
hier  gemachten  Erfah- 
rungen in  unser  System 
dcrhimmliscben  Sphären 
einzureihen,  d.  h.  für  den 
Mond  dreierlei  Bewegun- 
gen, die  tägliche,  die  mo- 
natliche und  endlich  die 
seines  Knotens  zu  er- 
klären versuchen.  Da  es 
in  der  Weltanschauung 
der  älteren  Philosophen 
Griechenlands  als  unum- 
stöfslich  galt,  dafs  die 


Erde  als  der  Hauptkörper  des  Weltgebäudes,  in  deren  Dienste  alle 
himmlischen  Sphären  über  derselben  von  ihr  abhängig  ständen,  sich 
im  genauen  Mittelpunkt  der  Welt  befinden  müsse,  so  konnte  jene 
Komplikation  der  Bewegungen  nur  durch  verschiedene  Sphären  erklärt 
werden,  die  auf  einander  wirkend,  denselben  Himmelskörper  beein- 
flußten. Nach  diesem  Prinzip  und  der  gleichfalls  damals  für  unan- 
tastbar geltenden  Voraussetzung,  dafs  die  Bewegung  der  Sphären  an 
sich  im  harmonischen  Baue  des  Weltganzen  mit  gleichförmiger  Ge- 
schwindigkeit vor  sich  gehen  müsse,  hatte  der  scharfsinnige  Eudoxus. 
ein  Freund  des  Plato,  welcher  in  der  ersten  Hälfte  des  4.  Jahr- 
hunderts lebte,  ein  Weltsystem  konstruirt,  welches  bei  den  Griechen 
lange  Zeit  Geltung  behielt.  Leider  sind  die  Werke  dieses  hoch- 
bedeutenden  Zeitgenossen  des  Aristoteles  nur  in  wenigen  Frag- 
menten auf  uns  gekommen,  deren  scharfsinnige  Kommentirung  wir 
namentlich  Schiaparelli  verdanken. 

Eudoxus  dachte  sich  für  die  Erzeugung  der  wirklichen  Mond- 
bewegung drei  in  einander  steckende  Sphären,  von  welchen  jede  eine 


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der  drei  vorher  dargestellteu  Bewegungen  besorgt,  so  otwa,  dar»  die 
Axe  der  ersten  Sphäre  durch  die  Weltpole  und  den  Mittelpunkt  der 
Erde  ging,  dafs  auf  dieser  Sphäro  eine  zweite  Axe  befestigt  war, 
welche  die  zweite  Sphäre  trug,  die  ihrerseits  einmal  im  Monat  um- 
schwang, während  endlich  hierüber  erst  die  dritte  Sphäre,  mit  der 
zweiten  in  ähnlicher  Weise  verbunden,  den  Mond  wirklich  trug  und 
die  rückläufige  Knotenbewegung  besorgte.  Drei  eben  solche  Sphären 
gab  Eudoxus  der  Sonne,  obgleich  er  wohl  von  einer  Knotenbewegung 
der  Sonnenbahn  nichts  Thateächliohes  wufste,  sie  jedoch  als  vorhanden 
vormulhete. 

Für  die  fünf 
übrigen  Planeten  aber 
kounte  er  mit  diesen 
drei  Sphären  noch 
nicht  auskommen,  da 
dieselben  ganz  eigen- 
tümliche Bewegun- 
gen, weicht'  Sonne 
und  Mond  nicht  be- 
sitzen, zeigen.  Es  sind 
das  die  sogenannten 
Schleifenbildungen, 
von  welchen  einige 
nebenstehend  aufgezeichnet  sind.  Dieses  seltsame  Hin-  und  wieder 
Zurücklaufen,  das  Langsamer-  und  Schnellerwerden  ihrer  Bewegung,  ihr 
Stillstand  an  bestimmten  Punkten  und  ihr  Zurückkehren  zu  anderen 
nach  der  Schleifenbildung,  alle  diese  so  wunderbaren  Erscheinungen, 
»eiche  man  jedoch  nach  andauernden  Beobachtungen  mit  wunderbarer 
Itegelmärsigkeit  wiederkehren  sieht,  waren  den  Astronomen  des  Alter- 
tums unüberwindliche  Räthsel.  Eudoxus  nahm  zur  Erklärung  der- 
selben für  jeden  Planeten  zwei  weitere  Sphären  an,  während  er  jedoch 
die  für  die  Knotenbewegung  bei  ihnen  wegliefs,  so  dafs  jeder  Planet 
vier  Sphären  hatte.  Wie  er  sich  die  Wirkung  dieser  Sphären  auf 
einander  dachte,  geht  aus  den  überkommenen  Fragmenten  nicht  mit 
Bestimmtheit  hervor. 

Die  Ansicht  des  mechanischen  Weltgettiebes  hatte  sich  also  seit 
l’.vthagoras,  d.  h.  seit  etwa  200  Jahren  wesentlich  komplizirt  Der 
Himmel  des  Eudoxus  besafs  schon  27  Sphären,  nämlich  je  drei  für 
Sonne  und  Mond,  je  vier  für  die  fünf  übrigon  Planeten  und  nooh  eine 
für  die  Fixsterne. 


306 


Dem  scharfsinnigen  Eudoxus  folgte  ein.  nachtretender  Weltver- 
besserer, Kalippus,  dom  diese  27  Sphären  noch  nicht  genügten  und  der 

deshalb  noch  22  an- 
dere hinzurügte,  von 
deren  Bedeutung  und 
Wirkung  wir  uns  füg- 
lich nicht  weiter  zu 
unterhalten  brauchen. 

Es  genügt  zu  se- 
hen, wie  im  Laufe  der 
Scheinbare  Bewegung  des  Jupiter  im  Jahre  1889.  Zeiten  die  himmlische 
Maschine  immer  verwickelter  wurde,  so  dafs  immer  empfindlicher  die 
Nothwendigkeit  einer  von  Grund  auf  klärenden  und  vereinfachenden 

Anschauung  hervortreten 
mufsto. 

Im  nächsten  Fort- 
schritte der  historischen 
Entwickelung  kommen 
wir  zu  den  ersten  durch- 
dringenden Versuchen 
Scheinbare  Bewegung  des  Saturn  im  Jahre  1889.  zu  einer  solchen  Ver- 
einfachung, welche  sich  im  sogenannten  ptolemäischen  Weltsysteme 
kund  giebt. 


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Die  SAculirversehiebung  der  Strandlinien  an  den  '»ehweillsrhen  Küsten. 

Auf  dem  Gebiete  der  physischen  Erdkunde  hat  wohl  keine  Frage  mehr 
das  Interesse  des  gröfseren  Publikums  der  nordischen  Länder  in  Anspruch  ge- 
nommen» als  diejenige  nach  den  Säkularschwank ungen  des  schwedischen  Litto- 
rals.  Fast  täglich  findet  man  in  den  schwedischen  Journalen  Andeutungen  über 
hier  und  dort  gemachte  Beobachtungen,  welche  auf  eine  langsame  Vertikal- 
bewegung einzelner  Küstengebiete  hinweisen.  Ist  nun  auch  derartigen  Angaben, 
soweit  sie  aus  Kreisen  einer  Bevölkerung  stammen,  denen  eine  sachgemäße  Beur- 
teilung solcher  geophysischon  Phänomene  fern  liegt,  pin  allzu  hoher  Werth 
nicht  beizumessen,  so  zeigt  doch  die  lebhafte  Theilnahmc,  welche  man  allerorten 
in  Schweden  für  diese  Erscheinung  kundgiebt,  dafs  hier  der  Glauben  an  die 
schwankenden  Bewegungen  des  heimatlichen  Bodens  gewissermaßen  als  eine 
Sache  des  Patriotismus  betrachtet  wird.  Abgesehen  hiervon  ist  aber  für  die 
Wissenschaft  die  scandinavische  Halbinsel  „das  klassische  Gebiet  der  Niveau- 
Schwankungen",  und  durch  keine  Bedenken  hat  man  die  Thatsache  wegleugnen 
können,  dafs  in  den  Grenzlinien  zwischen  Land  und  Meer  im  Laufe  der  letzten 
Jahrhunderte  hier  sehr  wesentliche  Aonderungen  stattgefunden  haben. 

Trotz  der  zahlreichen,  dies  bezeugenden  Wahrnehmungen  hat  man  sich 
in  niafsgebenden  Fachkreisen  gerade  in  den  letzten  Deccnnien  (seit  Lyell)  mit 
vieler  Zurückhaltung  über  die  ursächlichen  Verhältnisse  dieser  Erscheinungen 
ausgesprochen;  man  wagte  kaum  bestimmte  Gründe,  wie  etwa  schwankende 
Bewegungen  des  Bodens  oder  örtliche  Niveauveränderungen  des  Meeres  als  Er- 
klärung vorzubringen.  In  jüngster  Zeit  ist  jedoch  die  Aufmerksamkeit  der 
wissenschaftlichen  Kreise  wieder  in  erhöhtem  Mafse  hierauf  gelenkt  worden, 
namentlich  durch  die  Arbeiten  deutscher  Gelehrten,  und  dio  Sache,  wenn  auch 
nicht  entschieden,  scheint  immerhin  soweit  gediehen,  dafs  sie  das  Interesse  de* 
gebildeten  Publikums  sehr  wohl  in  Anspruch  nehmen  dürfte.  Diesen  Umständen 
Rechnung  tragend,  hat  neuerdings  der  schwedische  Forscher  L.  Holström 
ihie  historische  Entwickelung  und  ihren  Fortgang  bis  in  die  Neuzeit  in  der 
Revue  scicntifi<|ue  (Tom.  4'^,  8.  Sept.  1888)  im  Auszug  aus  einer  gröfseren  Ab- 
handlung, welche  er  der  kgl.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Stockholm  vor- 
gelegt hat,  dargestellt.  Diesem  interessanten  Aufsätze  entnehmen  wir  folgende 
Mittheilungen. 

Man  nimmt  allgemein  an,  dafs  der  schwedische  Astronom  Celsius  zuerst 
auf  ein  Zu  rück  weichen  des  Baltischen  Meeres  hingewiesen  hat.  Aber  schon 
vorher  haben  wissenschaftliche  Männer  hierüber  Andeutungen  gemacht,  so 
Ui  bun  Iljärne  im  Jahre  I7u2  und  Swedenborg  171ü.  Ihre  Schriften  blieben 
jedoch  unbemerkt  bis  zu  dem  Augenblick,  wo  Celsius  (1743)  in  den  Memoiren 
der  schwedischen  Akademie  seine  Meinung  über  die  allmähliche  Senkung  des 
Wasserspiegels,  welche  nach  ihm  von  den  ältesten  Zeiten  an  nicht  weniger  als 
4‘jFufs  im  Jahrhundert  betragen  soll,  kundgab.  Wie  Newton  nahm  er  einen 


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30H 


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fortdauernden  Verbrauch  tles  Wasservorraths  der  Oceane  durch  die  vegetabi- 
lischen Prozesse  der  Erde  an,  auch  soll  ein  stetiges  Eindringen  des  Wassers 
in  den  Erdkern  erfolgen.  Seine  Theorie  wurde  von  Linn6,  Wallerius  und 
Olaf  Dal  in  angenommen,  blieb  jedoch  nicht  ohne  Gegner.  So  bemerkte  unter 
anderen  Brovallius,  dafs  einige  Inseln  in  der  Nähe  der  schwedischen  Küste 
niedriger  geworden  seien,  und  dafs  man  daraus  auf  ein  Steigen  der  Ostsee  zu 
schlicfsen,  dasselbe  Recht  habe.  In  diesem  Jahrhundert  waren  es  namentlich 
Gifsler,  Admiral  Nordenanckar,  Prof.  Schulten  und  Colonel  Hallström, 
die  sich  mit  der  Frage  nach  den  Niveauschwankungen  beschäftigten;  sie 
verweisen  alle  auf  die  Beziehungen,  welche  zwischen  dem  Luftdruck  und  den 
Niveauverhältnissen  des  Meeresspiegels  obwalten,  wollen  hieraus  ein  zeit- 
weises  Aufsteigen  und  Senken  des  Baltischen  Meeres  ableiten  und  sind  über- 
haupt der  Ansicht,  dafs  das  letztere  in  meteorologischer  Hinsicht  eine  ganz 
außergewöhnliche  Stellung  einnehme.  Der  alten  Theorie  der  Schwankungen 
im  Wasserspiegel  wurde  von  L.  v.  Buch  die  neue  Lehre  von  den  Hebungen 
und  Senkungen  der  festen  Erdrinde  1807  entgegengestellt,  der  sich  nach 
einigen  Bedenken  auch  Lyell  1834  anschlofs,  indem  er  besonders  die  örtliche 
Verschiedenheit  der  Bewegungen  betonte.  Seiner  großen  Autorität  gegenüber 
wurden  keine  weiteren  Widersprüche  erhoben;  man  sprach  nur  noch  von 
Hebungen  gewisser  Strecken  Schwedens  und  hielt  an  dieser  Hypothese  bis  in 
die  Gegenwart  fest. 

Um  durch  regelrechte  Untersuchungen  an  der  Hand  der  Erfahrung  in  die- 
sen Gegenstand  mehr  Licht  zu  bringen,  schlug  1847  Prof.  Axel  Erd  mann  vor, 
an  den  Küsten  Schwedens  längs  des  Baltischen  Meeres  bis  zum  Kattegat  Be- 
obachtungastalionen  zu  gründen.  Solcher  Stationen  sind  gegenwärtig  13  ein- 
gerichtet und  seit  1852  in  Thätigkeit  Auf  Grund  des  in  der  Zeit  1862—75  hier 
ungesam nie lten  Krfahrungsmaterials  hat  nun  A.  Forfsmann  die  folgenden 
Schlüsse  gezogen:  — 1 1 die  Verschiebung  der  Strandlinien  läfst  sich  nicht  allein 
durch  Aenderungen  im  Wasserspiegel  erklären,  vielmehr  hat  eine  wirklich*» 
säeulare  Erhebung  des  Bodens  stattgefunden  in  einem  Betrage,  der  zwischen 
0,10  bis  0,70  Meter  in  den  einzelnen  Lokalitäten  schwankt.  2)  Das  mittlere 
Niveau  des  Baltischen  Busens  ist  zwar  jährlichen  Schwankungen  unterworfen, 
aber  die  Niveauverhältnisse  desselben  und  diejenigen  des  Kattegats  sind  nicht 
wesentlich  verschieden:  ihre  Differenz  kann  im  Maximum  nur  0,18  Meter  be- 
tragen. 3)  Der  Seespiegel  des  Baltischen  Meeres  ist  am  niedrigsten  in  den 
Monaten  Mär*  bis  Mai  und  am  höchsten  im  September  bis  October. 

Dio  Frage,  ob  in  der  That  die  Ostsee,  etwa  durch  überwiegende  Wasser- 
zufuhr aus  den  deutschen  und  russischen  Stromgebieten,  oder  durch  sonstige, 
zur  Zeit  noch  unbekannto  meteorologische  Umstande,  in  einzelnen  Theilen  sehr 
verschiedenartige  Niveauverhältnisse  aufweist,  und  in  wieweit  derartige  Vor- 
gänge zu  Verschiebungen  der  Strandlinien  beitragen,  kann  offenbar  nur  durch 
umfassende  Nivellirungen  entschieden  werden.  Ein  solches  Nivellement  wurde 
durch  den  Ingenieur  A.  Börlzell  zwischen  Sundsvall  und  dom  Fjord  ton 
Trondhjem  ausgefiihrt,  wobei  gefunden  wurde,  dafs  das  Meeresniveau  des  ersten 
Ortes  am  20.  August  1868  um  0,75  Meter  höher  war  als  dasjenige  des  letzteren 
an  demselben  Datum  des  Jahres  1870.  Doch  scheint  diese  Messung  nicht  die  ge- 
hörige Sicherheit  zu  besitzen.  Neuerdings  hat  Prof.  R üben  so n ein  Präcisions- 
nivellement  quer  durch  Schweden  unternommen,  durch  welches  er  alle  hydro- 
metrischen Stationen  auf  einander  zu  beziehen  gesucht  hat.  Dasselbe  soll  in 
bestimmten  Zeitabschnitten  wiederholt  werden,  um  die  Frage  nach  den  Boden- 
schwankungen Schwedens  und  nach  dem  Antheil,  den  etwa  die  Veränderlich- 
keit der  Nivoaullächen  des  Meeres  hieran  hat,  endgültig  entscheiden  zu  können. 


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309 


Diese  Arbeiten,  werden  gegenwärtig  unter  Leitung  von  Prof.  P.  C.  Rosön 
fortgefiihrt  sind  aber  noch  nicht  soweit  gediehen,  als  dafa  man  über  die 
Ergebnisse  sichere  Mittheilungen  machen  könnte. 

In  Bezug  auf  die  Specialresultate,  welche  aus  neueren  Untersuchungen 
von  Forfsmann,  Nordenskiöld  und  Holströra  für  die  Säcularschwan- 
kungen  einzelner  Küstengebiete  nördlich  und  südlich  von  Stockholm  längs 
des  Bottnischen  Busens  erzielt  worden  sind,  müssen  wir  auf  die  oben  ange- 
gebene Schrift  verweisen.  Der  Gesamtüberblick  ergiebt,  dafs  fast  überall  längs 
der  bezüglichen  Strecke  sogenannte  „negative  Verschiebungen  der  Strandlinien** 
— womit  man  nach  Suefa  daa  Zurückweichen  dos  Meeres  bezeichnet  — be- 
merkt worden  sind.  Dieselben  erreichten  in  der  Nähe  von  Stockholm  während 
des  Jahrhunderts  (1774  — 1875)  nahezu  den  Betrag  von  0,50  Meter  während  sie  aich 
nach  Norden  zu  in  der  Umgebung  von  Katan  (64°  Breite)  selbst  bis  1,24  Meter 
erheben.  Ganz  besonders  auffallend  ist  neben  der  örtlichen  Unregel mäfsigkeit, 
welche  sich  trotz  des  fast  durchgehend  negativen  Charakters  in  den 
Verschiebungen  der  Strandlinien  kundgiebt,  die  Unregelmäßigkeit  im 
Fortschreiten  derselben;  d.  h.  das  Zurückweichen  des  Meeres  scheint 
innerhalb  gleicher  Zeiträume  sich  nicht  gleichmäßig  schnell  vollzogen  zu 
haben,  sondern  es  wird  vielmehr  in  den  letzten  Decennien  fast  durchgehend« 
eine  Verzögerung  der  Bewegung  bemerkt.  Am  stärksten  tritt  dies  hei  den 
Verrückungen  der  Strandlinien  zu  Landsort  (58°  45' Br.)  hervor,  wo  zwar  die 
Beobachtungen  während  der  Periode  (1800  —1867)  auf  einen  säeularen  Rückgang 
des  Watten  von  im  Mittel  0,45  Meter  ach lie feen  lassen,  jedoch  scheint  dieser  zeit- 
weise auch  durch  eine  Erhöhung  des  Seespiegelt  unterbrochen  zu  sein,  indem, 
nach  den  Rechnungen  zu  schließen,  eine  solche  in  der  Mitte  unseres  Jahr- 
hunderts sicher  stattgefunden  hat.  An  der  Westküste  Schwedens  liegen  eben- 
falls Anzeichen  einer  Senkung  der  Meeresniveauflächen  bis  zu  dem  Betrage 
von  0,40  Meter  vor,  dagegen  lassen  sich  an  der  norwegischen  Küste  keine  Merk- 
male hierfür  finden.  Sehr  beachtenswerth  ist  ferner,  dafa  die  finnischen  Strand- 
linien  ganz  ähnliche  Verhältnisse  aufweisen  wie  die  baltischen. 

Was  die  Ursache  der  schwedischen  Küstenschvrankungen  an  betrifft,  so 
scheinen  nach  Holatröm  die  zur  Zeit  vorliegenden  Erfahrungen  den  Sch lufs 
zu  rechtfertigen,  dafa  diese  nicht  allein  im  Sinne  der  älteren  Anschauung  auf 
Verschiebungen  der  Niveauflächen  des  Meeres  zurückzuführen  seien,  sondern 
dafs  sie  vielmehr  in  einer  thatsächiichen  Hebung  der  Festlandsmassen  einzelner 
Gebiete  Scandinaviens  gesucht  werden  müssen.  Da  aber  die  Gestaltung  des 
Meeresspiegels  in  der  Umgebung  der  Continente  durch  die  Anzieh  ungs  wir- 
kungen  der  sie  bildenden  Massen  bedingt  ist,  so  mufs  jede  Veränderung  in  der 
Vertheilung  dieser  letzteren,  also  auch  jede  Hebung  derselben,  eine  entsprechende 
Veränderung  der  Qieichgewichtsflächen  in  dem  angrenzenden  Oceane  zur  Folge 
haben.  Dieser  Umstand  wird  nach  Holström,  wenn  auch  nur  in  secundärer 
Beziehung,  bei  den  Verschiebungen  der  Strandlinien  von  Einfluß  sein,  so  dafs 
man  dieselben  nicht  als  das  Produkt  einer  einzelnen  Kraftwirkung  aufzufassen 
hat,  sondern  als  das  Resultat  zahlreicher,  zum  Theil  vielleicht  noch  unbekannter 
Bewegungen,  welche  einander  wechselseitig  bedingen.  Schw. 


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t 


310 


Verzeichntes  der  bekannten  Doppelstcrnbabnen  und  berechneten 
Parallaxen  von  Fixsternen.1)  In  der  folgenden  Zusammenstellung  der 
Doppelsternbahnen  sind  durchaus  die  veiiftfalicheron  und  neueren  Hahn* 
bestimmungen  berücksichtigt;  wo  ein  Berechner  mehrere  angegeben  hat, 
wurden  dio  letzterhaltenon  Elemente  angesetzt  Doch  sind  sehr  viele  dieser 
Bahnen,  auch  nicht  wenige  jener,  welche  als  „definitiv*  gelten,  noch  weit  von 
der  Vollkommenheit  entfernt,  was  seinen  Grund  in  den  schwierigen  Verhält- 
nissen hat,  denen  bei  manchen  Objekten  die  Beobachtungen  und  nicht  selten 
in  noch  höherem  Malle  dio  Bahnbestimmungsmethoden  unterliegen.  Namentlich 
für  die  Doppelsterno  gröfserer  Uralaufszcit  sind  manche  Bahnen  noch  recht 
unsicher. 


I.  Uebersicht  der  neueren  Bah nbestimmungen  der  Doppelsterne. 


1 

Umlaufs- 

Peri- 

Periaatr. 

Knoten 

Nei- 

Excen- 

Halbe 

. 

zeit  in 

vom 

tricilät 

grosse 

1 

Jahren 

aslrum-j 

Knoten 

gung 

Axe 

i 

5 Equulei  . . 

11.478 

1892.03 

26*87' 

24*3' 

81*45' 

0.2011 

0.406" 

1 

ß Delphini  . . 

16.955 

1868.850 

220  57 

10  55 

61  35 

0.0962 

0.460 

*2 

■g 

» Sagittarii . . 

18.69 

1882.86 

83  2 2 

— 

0.1608 

0.53 

3 

r 

€ 

; Herculi»  . . 
Struvo  31-21 . 

34.411 

34.649 

1864.785 

1878.520 

252  45 
129  27 

41  44 
24  50 

43  14 
75  26 

04627 

03086 

1.284 

0.672 

4 

5 

Procyon  . . 

39.972 

— 

— 

— 

— 

— 

0.698 

6 

L 

rj  Coronae  . . 

41.562 

1850.792 

218  36 

25  43 

59  41 

0.2667 

0.892 

7 

c 

Sirius  . . » 

49.399 

1843.275 

18  54 

61  58 

47  9 

0.6148 

2.331 

8 

c 

- Cygiü  . . . 

53.87 

1863.99 

205  26 

83  0 

44  40 

0.3475 

1.19 

-j 

|x3  Iierculis.  . 

54.25 

1877.13 

156  21 

57  57 

60  43 

0,3023 

1.46 

10 

7 Coron.  aust.. 

55.582 

1882.774 

75  24 

229  9 

111  22 

0.6989 

2.40 

11 

Otto  Stru  ve  298 

56.65 

1882.857 

21  54 

2 8 

65  50 

0,5816 

0.883 

u 

m ' 

fe  -m 

' Cancri  . . , 

60.327 

186S.022 

109  44 

81  33 

15  32 

0.3907 

0.853 

13 

«.  I 

; Urs.  maj. . . 

60.72 

1815.20 

128  36 

102  48 

56  18 

0,381 

2.62 

14 

s w 

Otto  Stru  ve  284 

63.45 

1881.15 

71  .58 

124  11 

47  21 

0.3629 

0.339 

1.5 

V z 

<i  Centauri  . . 

87  44 

1875.447 

48  59 

25  49 

79  47 

05443 

1989 

16 

**•  *■’ 

Otto  Stru  ve  235 

94.41 

1839.10 

134  55 

99  35 

54  27 

0..50OO 

0.980 

17 

|3^l 

70  p Ophiuchi 

94.44 

1808.90 

151  55 

127  23 

58  5 

0.4672 

4.790 

18 

7 Coron.  bor.  . 

95.50 

1843.70 

233  30 

1 10  24 

85  12 

0,150 

0.70 

19 

; Librae . . . 

95.90 

1859.62 

89  16 

12  15 

68  42 

0.0768 

1.26 

.»0 

Bradl.  3210  . 

102.943 

1835.508 

92  7 

39  9 

32  11 

0.4472 

l .270 

21 

nt  Leonis  . . 

1 10.82 

1841.81 

64  5 

148  46 

121  4 

0.5360 

0.890 

•>*> 

Otto  Struve  208 

115.4 

1877.12 

72  7 

105  18 

57  57 

0.788 

0,54 

23 

p Kridani  . . 

1 17.51 

1817.51 

327  15 

81  42 

44  40 

0.378 

3.82 

24 

25  Canum  . . 

119.92 

1883.04 

245  0 

42  22 

33  20 

0.7221 

0.M 

25 

>.  Ophiuchi 

122.51 

1800.759 

111  5 

65  49 

68  25 

0,8100 

0.809 

26 

l Bootis  . . . 

127.35 

1770.69 

117  46 

26  22 

36  55 

0.7081 

4.S6 

27 

4 Aquarii  . . 

129.84 

1751.96 

235  0 

340  14 

56  37 

0 1611 

0.717 

•_N 

')  Dieses  Vcrzeicbnifs  wurde  auf  Wunsch  eines  Abonnenten  zii«AmmeDgnfteilL. 

*)  Die  Elemente  bestimmen  die  l.iipr  der  wahren  Rahnellip*o  »in  Raume.  Es  bedeuten  . 
Periastrum  =r  Zeit  der  gröfhtr»  Nahe  des  Uegleiter.««  gegen  den  Hauptstarn. 

Knoten  — PusJtlonswinkel  der  Schnittlinie  der  scheinbaren  und  wahren  Buhn. 
Periastr.  vom  Knoten  t Bogen  zwischen  Knoten  und  Periastr.  in  der  Bahn, 

Neigung  — Winkel  der  wahren  gegen  die  scheinbare  Ellipse. 


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— 


311 


Umlaufs- 
zeit in 
Jahren 

Peri- 

astrum 

Poriastr. 

vom 

Knoten 

Knoten 

Nei- 

gung 

Excen- 

tricität 

Halbe 

grofse 

Axe 

t,  Cassiop.  . . 

148.9 

1965.02 

238»  17- 

45°  3* 

56*22' 

0.6296 

8.786" 

29 

7 Virg.  . . . 

169.48 

1836.2S 

79  4 

62  9 

25  25 

0.88 

3.86 

30 

Struve  2107. 

186.21 

1893.33 

104  3 

186  20 

45  52 

0.387 

1.00 

31 

? Ophiuchi . . 

217.87 

1821.91 

41  24 

65  26 

:.$  42 

0.6055 

— 

32 

44  Bootis  . . 

261.12 

178301 

1 18 

65  29 

7t)  5 

0.71 

3.093 

33 

ja*  Bootis  . . 

280.29 

1863.51 

20  0 

173  42 

39  57 

0.5974 

1.47 

34 

36  Androiu.  . 

316.07 

1801.73 

115  42 

93  46 

51  53 

0.6537 

1.65 

35 

Struve  1757. 

401.0 

1797.42 

315  28 

344  43 

29  32 

0.508 

2.29 

36 

7 Leonis.  . - 

407.04 

1741.00 

195  22 

111  34 

43  6 

0.7327 

1.98 

37 

* Cygni  . . . 

415.11 

1901.10 

203  2 

91  8 

37  46 

0.2858 

2.31 

38 

12  Lyncis  . . 

485.8 

1716 

93  36 

166  30 

46  3 

0.229 

1.64 

39 

tx  Dr»c.  . . . 

64$ 

1940.35 

— 

— 

— 

0493 

3.38 

40 

o Coronae  . . 

845.86 

1826.93 

73  51 

16  27 

31  56 

0.7515 

5.88 

41 

o Gemin.  . . 

1001.21 

1749.75 

297  13 

27  46 

44  33 

0.329 

7.43 

42 

C Aquarii  . . 

1 

1578  3 

1924.15 

134  40 

140  51 

44  42 

0.652 

7.65 

43 

1.  Wroblewsky  (A.  N.  2771).') 

2.  Celoria  (A.  N.  2824).  — Duhjago  (2€ü2)  giebt  26.07  J.  Umlaufszeit 
Poriastr.  1882.19. 

3.  öore  (Month.  Not.  46  p.  414). 

4.  Doberck  (A.  N.  2332).  — Dun6r  (1868)  giebt  Poriastr.  1830.01. 

5.  Celoria  (A.  N.  2808). 

6.  Nach  L.  Struve  und  Auwers.  Epoche  des  Minim,  in  Rectasc.  nach 
L.  Str.  1794.966,  nach  Auwers  1795.568. 

7.  Doberck  (A.  N.  2338).  Mit  Dun6r  (1868)  gut  stimmend. 

8.  Auwers  (Unters,  über  veränderliche  Eigenbewegungen  II.  1868). 

9.  Gore  (A.  N.  2749). 

10.  Doberck  (A  N.  2287). 

11.  Schiaparelli  (A.  N.  2073) 

12.  Celoria  (A.  N.  2843).  — Doberck  (2280)  giebt  68  8,  Dolgorukow  (A.  N. 
2531)  70.26  Jahre  Umlaufszeit. 

13.  Seeliger.  Mit  Rücksicht  auf  die  Störungen  durch  den  dritten  Stern 
dieses  dreifachen  Sternsystems.  (Unters,  über  die  Beweg. -Verhält- 
nisse etc)  [Denkschr.  d.  Wiener  Acad.  44.  Band.  1881.] 

14.  R Wolf  (A  N.  2165.)  Mit  Knott,  Pritchard,  Breen  ziemlich  stimmend. 
— Gut  bekannter  Doppelstem. 

15.  Gore  (A.  N.  2743.) 

16.  Poweli  (Month.  Not.  46  p.  336.)  Mit  Elkin  (giebt  77.4  Jahre  Umlfszt.) 
nahe  übereinstimmend. 

17.  Doberck  (A.  N.  2294). 

18  Pritchard.  — Mit  Klinkerfues  (1135)  nahe  stimmend. 

19.  Doberck  (A.  N.  2123). 

20.  „ („  2121). 

21.  w „ 2277). 

22.  „ („  „ 2095). 


* 

s 

1 

.« 

> 

t 


i 


i 


i 

< 

t 

st 


M-ttr 


312 


23.  (<f  Urs.  maj.)  Casey.  (A.  .V  2117)  Roher  Versuch. 

24.  Doberck  (A.  N.  214«).  — Gore  (Monlh.  Not.  48,  Not.  1888)  302  Jahre 
Umlaufszeil,  und  sonst  von  D.  wesentlich  abweichend. 

25.  Doberck  (A.  N.  2345). 

26.  Seeliger  (Zur  Theorie  d.  Doppelst.  Lpz.  1872). 

27.  Doberck  (A.  N.  2129). 

28.  „ („  „ 2287). 

29.  L.  Struve  (Mdlanges  math.  et  astr.  T.V.)  — Bahnbcgtimmung  noch 
unsicher: 

Nach  Duner  Grober  Doberck 

Urolaufszoit  176.37  Jahre  195.23  Jahre  222.43  Jahre 

l’eriastrum  1848.41  1706.72  1909.24 

Knoten  50“  50  33“20  39“57’ 

Neigung  68  28  48  18  53  50 

30.  Mädler.  (Vergl.  Thiele:  Untersogelse  af  7 Virg.  Kopenhagen  1866.) 

31.  Berberich  (A.  N.  2623.)  Casey  (2438)  98  .Jahre  Umlaufszeit, 

32.  Doberck  (A.  N.  2126).  — Unsicher. 

33.  Doberck  (A.  N.  2064). 

34.  Doberck  (A.  N.  2194).  — Pritehard  266  Jahre,  Perih.  v.  Knoten  40*54, 
sonst  ziemlich  mit  D.  stimmend. 

35.  Doberck  (A.  N.  2240). 

36.  Casey  (A.  N.  2415).  Versuch. 

37.  Doberck  (A.  N.  2248). 

38.  Hehrmann  (A.  N.  1561). 

39.  Gore  (A.  N.  2802). 

40.  Borberich  (A.  N,  2582). 

41.  Doberck  (A.  N.  2103). 

42.  Doberck  (A.  N.  2168).  Auch  die  übrigen  Bahnen  von  Thiele,  Müdler, 
Jacob  noch  höchst  unsicher. 

43.  Doberck  (A.  N.  2050). 


2.  Uebersicbt  der  Bestimmungen  von  Fixstern-Parallaxen 
bis  Ende  1888. 


Paroli-  j 'Vshr- 
schein! 

Autorität 

Messungen  in  den  Jahren 

“Y0,|j  Fehler 

0314 
0.318 
I 0.360 

61  Cygni  . 1 :| 

0.349 
0.564 
i|  0.468 


0.0136" 

Beuel  1887—38  \ Königsberger 

0.0095 

„ 1837—40/  Heliom. 

0.012 

Peters  | Neue  Bearbeitung  der  Königs 

beiger  Beoh. 

0.080 

w 1842 — 48  Pulkowa. 

0.016 

Auwers  1860—62  Königsberg. 

Ball  ! 1«™- 

')  Jährlich?)  Parallaxe  der  Sterne  lat  bekanntlich  der  Winkel,  welcher  aus  der  Rieh- 
tungsänderung  Erde-Stern  entateht,  die  wahrend  der  Bewegung  der  Erde  uro  die  Sonne  »Uti- 
tlndec.  Einer  Parallaxe  von  1"  entspricht  die  Entfernung  de»  Sterne  von  906865  Erdhabnhalb* 
mwsern  odor  eine  Uchtxeit  Ton  8'/,  Jahren.  --  ln  der  obigen  Zuaaimnonatidlung  aind,  um  der 
hl»lori*chen  Entwicklung  dieses  Zweige»  Rechnung  zu  tragen,  auch  manche  ältere  aua  den 
Beobachtungen  von  Zonithdtstanxen  und  grossen  Kectaseenslons-DifTtfrenxon  felgende  Werthe 
aufgnnommen  worden- 


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313 


Parall- 

Wahr- 

scheinl. 

Autorität 

Messungen  in  den  Jahren 

axe 

Fehler 

«1  Cygni  . | 

0.270" 

0.010“ 

A.  Hall 

1882. 

0.42» 

0.014 

Pritchard  ) 

1886—87  Photographisch. 

61,  Cygni  . . 

0.435 

0.014 

i 

ii  ii 

0.261 

0.0254 

Stiui  vc 

1835-38. 

0.107 

0.053 

Peters 

1842  Pulkowa. 

9 Lyrae  . . 

0.147 

0.009 

O.  Struve 

1351—53. 

0.20« 

0.0084 

Brünnow 

1868 — 61t  Dublin. 

0.134 

0.0O5 

Hall 

1880-81. 

0.034 

0.045 

Elkin 

1888. 

* Bootis  . J 

0.127 

0.018 

0.073 

0.022 

Peters 

Elkin 

Hamburger  Merid.  Kreis. 
1888. 

a Urs.  min.  { 

0.106 

0.076 

0.012 

0.013 

Peters 

Struve 

^°1rP“ter  > beobacht. 
Pulkowacr  | 

9 Aurigae  . J 

004« 

0.020 

Peters 

. 

0.017 

0.047 

Elkin 

1888. 

0.226 

0.141 

Peters 

1842  -43  Pulkowa. 

0.16« 

0.018 

Schlüter 

1842—4.71  ..  . . , 

1847  -511  Kün'S*berK- 

I&'IO  Groom  br.< 

0.114 

0.019 

Wichraanu 

0.034 

0.029 

O.  Struve 

1847-49  Pulkowa. 

0.097 

0.023 

Brünnow 

1870—71  Dublin. 

0.913 

__ 

Henderson  u. 

1840  1 ^ 

9 Centauri  . [ 

0.919 

Maclear 

,842 — 181  3m  C*p  ,) 

0.521 

0.066 

Mo  es  tu 

1860—64  S.  Jago. 

1 

0.75 

0.01 

Oill  u.  Elkin 

1885  Cap.  (Heliom.) 

ß Centauri . 

0.173 

0.07 

Moestu 

1860 — 64  S.  Jago. 

0.00 

0.02 

Oill 

1885  Cap.  (Heliom.) 

t Urs.  maj. 

0.133 

0.106 

Peters 

1842—43  Pulkowa. 

70  |»  Ophiuchi 

0.162 

0.007 

Krüger 

1868  Bonn  (Heliom.) 

UI.  *1258  . { 

0.260 

0.020 

ii  i*  ” 

0.262 

0.011 

Au  wem 

1866  Königsberg  (Heliom.) 

Ul.  2118.5  . . 

0.501 

0.011 

Win  necke 

(1857—58.  Neue  Unter«.) 

OelU.  7415 . . 

0.247 

0.021 

Krüger 

1863  Bonn  (lleliom.) 

Oelt*.  11677  . 

0.242 

0 043 

üeelmuyden 

1878— 79. a) 

M Groombr.  . 

0.307 

0.U25 

Auwers 

1863—66  Gotha. 

a Drac.  . . . 

0.24« 

0.013 

Brünnow 

1869—70  Dublin. 

85  Pegasi  . . 

0.054 

0.019 

14 

e e J) 

3077  Bradl.  . 

0.055 

0.02« 

„ 

1870-71 

7 Drac.  . . . 

0.092 

0.070 

Auwers 

(Aus  der  Bearb.  d.  Beobacht. 

v.  Molyneux  1728.1 

1 

0.516 

0.057 

Shdanow 

Aus  O.  Struves  Beob. 

9 Tauri  . . < 

0.116 

0.029 

Elkin 

1888. 

1 

0.102 

0.030 

A.  Hsll 

1886—87. 

Cygni  6 Bode 

0.482 

0.054 

R S.  Ball 

18SÜ  81. 

')  V#rjL  dir  DimcuBBion  tod  Elkio. 

’)  PrOTtoortacbe»  HenulUI. 

*)  l'nsichcr. 

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I 

4 

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tc 


314 


Parall- 

axe 

Wahr- 

scheinl. 

Fehler 

Autorität 

Messungen  in  den  Jahren 

; Tucani  . . 

0.00  " 
0.14 

0.02 

0.0*2 

ElkJn 

1 

j 188->  Cap  (Heliom ) 

v Navis  . . . 

0.03 

0.03 

*>2  Eridani  . . 

0.17 

0.02 

Gill 

1 

•x  Cassiop,  . , 

0.035 

0.025 

Pritchard 

1886.  Photographisch. 

Struve  239S  . 

0.353 

0.014 

E.  Lamp 

1883-87. 

n Leonis  . . 

0.093 

0.048 

EUdn 

[ 1888. 

'l  Goniin  . . 

o.oes 

0.047 

„ 

0.1.70 

— 

Maclear  u.  H. 

Cap-Reihe. 

Sirius  . . 

0.193 

— 

Gvlddn 

(Bearb.  d.  Beob.  Maclears.) 

i 0.38 

0.01 

Gill  ti.  Elkin 

Cap.  1885. 

0.268 

0.398 

0.047 

Elkin 

1888. 

Procyon . . 

0.061 

L.  Struve 

1803-  68  Pulkowa. 

0.240 

0.029 

Auwers 

1861 — 62  Königsberg. 

i Indi  . . . 

0.22 

0.03 

Gill  u.  Elkin 

J 1885  Cap.  (Heliom.) 

Lucaille  0352  . 

0.28 

0.02 

Gill 

* 


t 

Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Monat  Februar. 

(Sämmtliche  Zeitangaben  gelten  für  Berliner  Zeit.) 

1.  Der  Mond. 


7. 

Februar  Erste»  Viertel 

Aufgang 

M. 

Unlprgang 
1h  18-  XI. 

9. 

„ 

Erdferne 

• 

3 28  Mg. 

15. 

Vollmoud 

4*  38»  Nm. 

7 49 

22. 

„ 

Letztes  Viertel  1 43  Mg. 

10  30  Vm. 

24. 

Erdnähe 

4 10  . 

M. 

Maxima  der  Libration: 

3.  Februar  und  1.’».  Februar. 


a.  Die  Planeten. 


Merkur 

Venu« 

Rectas.j  Dcclin. 

1. .. 

Aufg. 

; Unterg.  | 

Hertas. 

Deelin. 

Aufg. 

Unterg. 

1. 

Febr. 

22*>  1 1 tn 

10“  23' 

8h  15®  ln. 

Oh  33®  U.l 

23h  X>m 

— 0°  27' 

9^  7»  Yb. 

9k  9»lk 

5. 

**  1 

22  IC 

- 8 42 

7 55  „ 

« 31 

„ 

0 10  1 

+ 1 30 

8 55  . 

9 19  . 

9. 

**  f 

22  11 

- 8 5 

7 31  . 

0 13 

0 25 

4 3 38 

S 44  . 

9 30  . 

13. 

. I 

21  57 

- 8 40 

7 4. 

5 40 

0 40  ! 

+ 5 39 

8 33  . 

9 39  . 

17. 

.. 

21  40 

10  5; 

« 39  , 

4 59 

0 55 

4 7 37 

8 21  . 

9 49  _ 

21. 

.. 

21  26 

11  44 

6 19  „ 

4 21 

1 9 

4 9 32 

8 9 . 

9 57  . 

25. 

- ' 

21  19 

'-13  8 

6 4 , 

3 .50 

Xm. 

l 23 

11  24 

7 56  . 

10  ß .. 

1. 

Marz 

21  19  j — 14  215  54  „ |3  30 
2.  Febr.  in  der  Sonnennähe. 

- 

1 37  | + 13  10 1|  7 44  „ 10  14  - 

18.  Febr.  gröfste  östl.  Ausweiehg. 

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315 


Mars 

J u pi  to  r 

Kectas.  Declin.  Aufg.  Untere. 

.. 

Kectas.  Declin. 

Auf*. 

Untorg. 

h 

n i — ; 

Febr.  23bl6“|—  S*Sr  .SH5t»‘Hr.  SH  4™». 

17H5S» 

— 23*6' 

5b  I9“lj.| 

12H59»  1. 

7. 

* 

2.1  33  — 3 38  8 37  . S 7 . 

18  1 

— 23  6 

5 0.1 

12  40  . 

18. 

„ 

23  50  — 1 44  8 21  . 8 9 . 

18  6 

— 23  C, 

4 41  . 

12  21  . 

ia 

0 7 +0  10  8 4 . 8 14  . 

18  10 

— 23  5 

4 22  . 

12  2 . 

25. 

“ 

0 23  +2  3 7 47  . 8 15  . 

18  14 

— 23  4 

4 2 . 

11  42  „ 

Saturn 

Uranus 

Rectas.  Declin.  Aufg.  Unter#. 

Kectas 

Declin 

Auf*. 

Unter#. 

2. 

Febr. 

9b  2»m  -}-|fi»47'  |H52mXm.  »b  Smlj 

13622» 

— 7®  58' 

11H  9“lk. 

; 9b  53»  ii. 

10. 

9 17  +1«  59  4 16  . 7 32  . 

13  22 

— 7 56 

10  37  . 

9 21  . 

IM. 

■ 

9 15  +17  12  3 41  . « 59  . 

13  21 

— 7 52 

10  5 * 

8 49  . 

2«. 

. 

9 12  +17  23  3 6 . 6 26  . 

13  20 

— 7 48 

9 33  „ 

8 17  . 

15.  Febr.  1*>  Mg.  Bedeckg.  durch  Mond. 

Klongationen  des  Saturntrabanton  Titan:  K.  u.  22.  Fohr,  westl.,  M.Febr.  östl.  IClong. 

Neptun 


Kreta«. 

Declin. 

Auf*. 

Unter#. 

2.  Februar 

3H  51» 

+ 18*25* 

1 IH  12“  Va.  2b  46»  St. 

15. 

3 51 

+ 18  26 

10  21  . 

1 55  „ 

28. 

3 51 

+ 18  28 

, :'°  ' 

1 4 . 

3.  Beobachtbare  Verfinsterungen  der  Jupitertrabanten. 

3.  Febr. 

111.  Trab. 

Verfinat. 

Eintritt  7b 

23»  M(f. 

7.  - 

II.  . 

* 

12  . 

8. 

1.  . 

„ 

. 7 

44  . 

24.  . 

I.  . 

• 

6 

0 „ 

4.  Sternbedeckungen  durch  den  Mond. 

(für  Berlin  sichtbar). 

Gröfso  Hin  tritt  Austritt. 

9.  Februar:  i Tauri  5.4  81»  0®Ab.  9*  17®  Ab. 


5.  Veränderliche  Sterne. 

n)  Muxima  variabler  Sterne: 
Maximum  Helligkeit  im 


1889 


Max. 


Min. 


Kecta8. 


Declin. 


H Ceti 

17. 

Februar 

8 

Ur. 

13  Gr. 

2 b 

20“ 

21  • 

— 0’ 

401 

T Arieti* 

27. 

8 

„ 

9.10  . 

2 

42 

8 

+ 17 

3 

U Mono«-. 

20. 

„ 

0 

7 

7 

25 

29 

— 9 

33 

H liydrme 

17. 

* 

4.5 

10 

13 

23 

39 

- 22 

44 

S Virginia 

9. 

. 

5.6 

„ 

12.13  . 

IS 

27 

u 

ii 

38 

U Cygni 

20. 

7.8 

10 

20 

16 

4-  *»7 

33 

T Aqtiarii 

24. 

6.7 

12.13  . 

20 

44 

5 

— 5 

33 

| 


316 


l>)  Minim»  der  Sterne  vom  Algol-Typus.1) 


U Cephei 

Algol 

>.  Tauri 

R C»n.  m»j. 

S Cancri 

(2*1  11k  50»)1) 

Ci*  20i>  49») 

(3*1  221  52") 

(Id  3b  iß») 

(9*1  11  k 38») 

1 889 

Min.  Hm 

Min.  am 

Min.  am 

Jedes  3.  Min.  am 

Min.  am 

2.  Febr.  Ab. 

5.  Febr.  Mg. 

5.  Febr.  Ab. 

4. 

Febr.  Nm. 

1.  Febr.  Ab. 

7. 

10.  „ Nt. 

13.  . 

7. 

Nt. 

11.  _ Mg. 

12.  . 

lfi.  . Ab. 

21.  . 

ii. 

- Vm> 

20.  . Ab. 

17.  . 

22.  . M. 

14. 

„ Ab. 

'2'2. 

28.  . Mg. 

18. 

, Vm. 

27.  . 

21. 

Nm. 

24. 

, Xl. 

28. 

. M. 

4 Librae 

U Corona* 

U Ophiuchi 

V Cygni 

(2*1  7k  51») 

13*1  10k  51») 

(20k  s») 

((d  ub  57») 

l 889 

Min.  am 

Min.  am 

Jedes  4.  Min.  am 

Jedes  3.  Min.  am 

Febr.  Mg.  7. 

Febr.  Ab.  4. 

Febr. 

M. 

1. 

Febr.  Xt 

•i. 

. Ab.  14. 

7. 

Ab. 

6. 

- M. 

14. 

. M.  | 21. 

. . 11. 

„ 

Mg. 

10. 

. Nt 

19. 

. Mg.  28. 

. Xm.  14. 

.. 

Nm. 

13. 

. M. 

23. 

. Ab. 

17. 

Ab. 

19. 

, Nt 

28. 

. M. 

21. 

Mg. 

24. 

. M 

24. 

Xm. 

28. 

, Nt 

27. 

. 

Xt. 

r)  Minim»  einiger  Veränderlicher  kurzer  Periode:1) 

1889 


Max.  Min. 

Rectae. 

Declin. 

T Minier. 

23.  Febr.  6.2  Gr.  7.8  Gr. 

ßk 

19»  14* 

+ 

9 

£ Gemin.  7., 

17..  27.  Febr.  3.7 

„ 4.5  .. 

G 

57 

32 

+ 20 

44 

[i  Lyrae  3 

10.  Febr.  3.4 

h 4.5  - 

18 

45 

58 

+ 33 

14 

A<|uilae  2.,  9. 

. Iß,.  23.  Febr.  35 

. 4.7  . 

19 

4fi 

49 

+ 0 

43 

? Cephei  6.,  11., 

17.,  22.,  28.  Febr.  3.7 

„ 4.9  . 

22 

25 

2 

+ 57 

51 

•)  Die  Orte  dieser  Sterne  ftlr  lftsf»  sind  folgende: 

U Cephei 

0i.  st»  r.H  + m*  ii' 

3 Libr.  14“ 

55- 

3* 

- 6® 

S' 

Algol 

3 OS!«  + 40  33 

17  Coron.  IS 

13 

40 

+ 

.1 

A Tauri 

3 M » -f  13  11 

L*  Oph.  17 

10 

53 

+ 1 

20 

H ran.  maj.  7 14  ST  — 1«  11 

Y Cygo.  :o 

47 

37 

+ *4 

IS 

S Cancri 

S 37  36  -f  11»  2« 

0 Diese  Zahl  gicht  dir  Periode  de»  Lichtwe 

clt&ela  In  Tugen,  Stunden  und 

Minuten 

an. 

*)  Die  Perioden  dieser  Sterne  sind: 

T Monoc.  1 Tage 

33  Stunden. 

C tJetnin.  S 

0 

^ Lyrae  (Doppelte  Periode). 

«5  Aquilao  2 Tage 

9 Stunden. 

v Cephei  1 

15 

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317 


6.  Zo di akal licht. 

Vom  15.  Februar  bis  2.  Marx  am  Westhimmel  von  7 bis  9 Uhr  Ab.  gut 
beobachtbar. 


7.  Nachrichten  über  Kometen. 

Der  Komet  1888  V (Komet  Barnard  vom  30.  Oktober,  s.  S.  185)  ist  nach 
den  vorliegenden  Nachrichten  im  Dezember  ziemlich  lichtschwach  gewesen; 
der  Kern  wurde  einem  Sterne  13.  Gröfse  gleichgeschiitzt,  die  ihn  umgebende 
Xebelliülle  betrug  kaum  mehr  eine  halbe  Bogcuminute.  Das  (Jestirn  dürfte 
gegenwärtig  nur  sehr  grofsen  Instrumenten  zugänglich  »ein.  — 

Ueber  die  Beobai  btung  des  Knckeschen  Kometen  auf  der  südlichen  Krd- 
licmisphäro  (s.  S.  55)  liegen  jetzt  ebenfalls  ausführliche  Nachrichten  vor;  der 
Komet  war  während  der  ganzen  Beobachtungsperiode  schwach  und  konnte  im 
Juli  und  August  nur  mit  grofsen  Schwierigkeiten  verfolgt  werden. 

In  «len  gegenwärtigen  Winterraonaten  wird  auch  die  Rückkehr  «1©» 
periodischen  Tempclschon  Kometen  (1873  11)  erwartet.  Dieser  Komet  ist  am 
3.  Juli  1873  in  Mailand  entdeckt  worden  und  hat  eine  Umlaufazoit  von  51/*  Jahren; 
am  19.  Juli  1878  gelang  dem  Entdecker  die  abermalige  Auflindung.  Nach  den 
Rechnungen  von  L.  Schulhof  hält  sich  der  Komet  im  Januar,  Februar  und 
März  in  der  Nähe  der  Sonne  auf,  geht  mit  ihr  auf  und  unter,  uud  es  ist  daher 
nur  wenig  Hoffnung  vorhanden,  des  Kometen  hei  »einer  diesjährigen  Rückkehr 
habhaft  zu  werden. 


Hiwi!*.. 

• » 


4 

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tirofte  Mecrestlcfeu.  Das  britische  Vermessungsschiff  Egoria,  unter  Kom- 
mando des  Kapitain  Pelham  Aldrich,  hat  neuerdings  im  Stillen  Ozean  südlich 
der  Freundschafts-Inseln  zwei  Tiefen  gefunden,  welche  zu  den  größten  bisher 
gemessenen  zählen,  nämlich  8101  Meter  in  24*37'  Süd-Breite  und  175*  8‘ 
West-Länge  von  Greenwich,  und  7856  Meter  ungefähr  12  Seemeilen  südlich 
von  der  ersten  Stelle.  Von  den  bis  jetzt  in  den  Ozeanen  ausgeführten 
Lothungen  weisen  nur  drei  gröfsere  als  die  eben  angegebenen  auf,  von  denen 
zwei  ebenfalls  in  den  Stillen  Ozean,  die  dritte  in  den  Atlantischen  Ozean, 
alle  drei  aber  auf  die  nördliche  Halbkugel  der  Erde  fallen. 

Die  gröbste  bekannt  gewordene  Tiefe  beträgt  8 513  Meter  und  wurde 
von  der  amerikanischen  Korvette  Tuscarora  auf  44“  5.V  Süd-Breite  und  152* 
26 1 Ost-Länge  in  der  Nähe  des  Japanischen  Inscl-Archipels,  die  zweite, 
8 341  Meter,  durch  das  amerikanische  Vermessungsschiff  Blakeim  Atlantischen 
Ozean  auf  19°  39'  Nord-Breite  und  66"  26'  West-Länge  nördlich  von  Porto- 
Rico  gefunden,  die  drittgrößte  wieder  iin  Stillen  Ozean  auf  11°  24 1 Nord- 
Breite  uud  143®  16'  Ost-Länge  südlich  der  Ladronen-Inscln  gelegene  Tiefe 
endlich  bestimmte  die  britische  Korvette  Challenger  zu  Hl 74  Meter.  Auf  der 
südlichen  Hemisphäre  war  die  grofste  bisher  gelothete  Tiefe  5 523  Meter;  die- 
selbe wurde  von  der  deutschen  Korvette  Gazelle  im  Indischen  Ozean  auf 
16°  II*  Süd-Breite  und  117°  32'  Ost-Länge  gefunden.  R. 

* 


Helgoland.  In  den  Mittheilungen  der  Geographischen  Gesellschaft  zu 
Hamburg  befindet  sich  eine  Studie  über  Helgoland  von  Dr.  Lindemann,  welche 
zum  Theil  Ergebnisse  eigener  Untersuchungen  enthält  und  auf  die  physi- 
kalisch-geographische Beschaffenheit  dieses  Fe  Iso  Heilandes  einiges  Licht  Wirft. 
Das  allmählicho  Verschwinden  Helgolands  ist  hiernach  nur  zum  Theil  der  zer- 
störenden Gewalt  des  Meeres  beizumessen;  am  stärksten  wird  die  Westküste 
davon  betreffen,  wo  die  Wucht  der  Wellen  bedeutend  größer  ist  als  auf  der 
mehr  gedeckten  Ostseite,  deren  Felsen  wand  schon  durch  eine  lang  hin  gestreckte 
Düne  vor  dem  Anprall  der  Brandung  geschützt  ist.  Auf  dieser  Seite  bewirken 
dagegen  die  wässerigen  Niederschläge  in  Gemeinschaft  mit  dein  Wechsel  der 
Temperatur  und  die  zerstörende  Wirkung  des  Frostes  eine  allmähliche  Ab- 
tragung der  Gestoiusmussen , so  dafs  die  Spuren  der  Verwitterung  hier  beson- 
ders deutlich  vor  Augen  liegen.  So  erklärt  sich  auch  der  verschiedene  Charakter 
der  beiden  Hauptküsten  Während  die  östliche  das  etwas  einförmige  Bild  dos 
steil  abfallenden  Felsens  darbietet,  gewährt  die  Westseite  mit  ihren  imposanten 
Zerklüftungen,  Buchten  und  Kelseutboren  und  einzelnen  aus  dem  Meere  empor- 
ragenden  Pfeilern  einen  überaus  Wechsel  vollen  Anblick.  Alle  Klippen  und 


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Riffe  zeigen  dasselbe  Fallen  und  Streichen  der  Schichten  des  der  Triasformation 
Angehörigen,  ganz  aus  buntem  Sandstein  bestehenden  Mutterfelsens  und  hissen 
so  einen  sicheren  Schluss  auf  ihren  einstigen  Zusammenhang  mit  diesem  zu. 
Dagegen  liegen  keine  Anzeichen  vor,  aus  denen  ersichtlich  wäre,  dafs  die 
Iusel  im  Sinne  der  Sage  einst  mit  dein  Festlande  verbunden  war;  sie  ist  viel- 
mehr als  ein  Erhebungszentrum  des  Nordseebeckens  zu  betrachten,  wie  dies 
schon  vor  ."»0  Jahreu  Prof.  Wiebol  nuchge wiesen  hat.  Uebor  den  Betrag  der 
mechanischen  und  chemischen  Denudation  lassen  sich  zwar  genauere  Angaben 
nicht  machen,  weil  die  Zerstörung  des  Gesteins  nur  iiufserst  unregelmäfsig  vor 
sich  geht,  doch  dürfte  die  Verkleinerung  der  auf  der  Ostseite  gelegenen  Felder 
hierfür  einigen  Anhalt  gewähren.  So  soll  von  einem  vor  50  Jahren  noch  10  in 
breiten  Kartoffelfeld  nichts  mehr,  und  von  einem  einst  35  m breiten  jetzt  nur 
noch  3 in  vorhanden  sein.  Für  die  starke  Abtragung  des  Felsens  Ln  historischen 
Zeiten  spricht  auch  besonders  deutlich  das  AufÜnden  alter  friesischer  Münzen, 
die  zweifellos  einer  versunkenen  Grabstätte  angehört  haben.  Es  sind  ferner 
unverwerfliche  Zeugnisse  dafür  vorhanden,  dafs  in  den  jüngst  vergangenen 
4i?  Jahren  neun  Felsenpfeiler  gänzlich  verschwunden,  zwei  Felsenthore  in 
Pfeiler  verwandelt  worden  sind.  Uebor  die  Entfernungen  der  einzelnen  Felsen 
vom  Mutterfelsen  hat  Dr.  Lindemann  gelbst  Messungen  angcstellt,  und  durch 
Vergleich  dieser  mit  älteren  glaubt  er  auf  der  Westseite  dos  Eilandes  eine 
Abnahme  von  l1/,  bis  2 m in  40  Jahren,  also  eine  jährliche  Abnahme  von  5 cm 
verbürgen  zu  können.  Hiernach  müfste  das  nur  0,G  Qkm  umfassende  Helgo- 
land in  einigen  tausend  Jahren  gänzlich  verschwinden.  Schw. 

§ 


X.  Ekholm  et  K.  L.  Hagström.  Meaurea  des  hauteurs  et  des  mouvements 
des  nuages.  Upsal  1385. 

Wiewohl  diese  Abhandlung  bereits  Ausgang  des  Jahres  1884  der  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  zu  Upsala  vorgelogt  wurde,  so  verliert  sie  doch  durch 
das  etwas  zurückliegende  Dalum  nicht  an  Bedeutung  für  den  Fortschritt  der 
Meteorologie  auf  dem  lange  vernachlässigten  Gebiete  der  Wolkenbeobachtungen. 
Denn  durch  ein  gründliches,  lange  fortgesetztes  Studium  der  Höhe  und  dos 
Zuges  namentlich  der  oberen  Wolken  kann  allein  unsere  Kenntnifs  von  der 
Cirkulation  der  Atmosphäre  erweitert  werdeu,  und  wenn  nun  auch  dem  Wolkenzüge 
und  den  Veränderungen  der  verschiedenen  Wolkenformen  gröfsere  Aufmerk- 
samkeit gewidmet  wurde,  so  fehlte  es  doch  meist  an  sicheren  und  bequemen 
Methoden,  die  Höhe  der  Wolken  über  der  Erdoberlläche  genau  zu  bestimmen. 
Ohne  die  Kenntnifs  der  Höhe  aber  läl'st  sich  auf  die  Geschwindigkeit  der  oberen 
Luftströmungen  kein  sicherer  Schliffs  ziehen,  und  so  ist  es  wesentlich  dio 
Methode  der  Beobachtung,  welche  den  Resultaten  der  Verfasser  hinsichtlich 
ihrer  Genauigkeit  einen  grofsen  Vorzug  vor  den  auf  andre  Art  erhaltenen 
gewährt. 

Theoretische  Betrachtungen  ergaben,  dafs  dio  einzig  sichere  Methode 
die  der  Parallaxenbestimmuug  der  Wolken  ist,  indem  von  den  Endpunkten 
nuer  Basis  von  genügender  Länge  die  Winkel  nach  einem  bestimmten  Punkt 
einer  anvisirteu  Wolke  gemessen  werden,  aus  welchen,  wenn  die  Basislänge 
fcstgestellt  ist,  die  Höhe,  und  wenn  die  Messungen  nach  erfolgter  Weiterbe- 
wegung  der  Wolke  wiederholt  werden,  ebenso  Zugrichtung  und  Geschwindig- 
keit ermittelt  werden  können.  Bei  der  nothwendigen  Länge  einer  solchen 


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Basis  ist  jedoch  eine  direkte  Verständigung  der  beiden  Beobachter  an  den 
Endpunkten  unmöglich,  und  da  die  telegraphische  Verständigung  zu  zeitraubend 
war,  um  zum  Ziele  zu  führen,  blieb  es  der  Erfindung  des  Telephons  Vorbehalten, 
derartige  Messungen  wirklich  ausführbar  erscheinen  zu  lassen,  denn  bei  der 
Schnelligkeit,  mit  welcher  bei  genauer  Beobachtung  sich  die  Umrisse  der 
Wolken  zu  ändern  pflegen,  ist  eiligo  Verständigung  über  den  einzustellenden 
Punkt  eine  wesentliche  Bedingung,  da  sonst  die  Gefahr  vorliegt,  ganz  ver- 
schiedene Theile  der  Wolke  einzustellen  und  damit  die  Genauigkeit  der  Messung 
erheblich  zu  veringem. 

Zum  ersten  Male  wurde  die  Methode  während  der  schwedischen  Forschungs- 
reise nach  Spitzbergen  1 882/83 erprobt  und  bewährte  sich  so  sehr,  dafs seitdem  die»« 
Wolkenbeobachtungen  einen  ständigen  Platz  im  Arbeitsprogramm  des  meteoro- 
logischen Institutes  zu  Upsala  erhalten  haben.  Die  vorliegende  Abhandlung  be- 
schreibt ausführlich  die  angewandten  Instrumente  und  giebt  die  Theorie  der  An- 
stellung und  Berechnung  der  Beobachtungen,  sowie  eine  schon  recht  ergiebige 
Sammlung  von  300  Resultaten.  Weitere  Resultate  derselben  Forscher  wurden 
sodann  in  der  .Meteorologischen  Zeitschrift“  1887  veröffentlicht  Die  zuerst 
angewendete  Basis  hatte  eine  Länge  von  4!»0  m (in  der  vorliegenden  Publika- 
tion war  die  Länge  derselben  irrthümlich  zu  421  m angenommen  worden,  und 
bedürfen  daher  alle  Höhen  und  Geschwindigkeiten  einer  Correktur),  während 
später  eine  solche  von  1302  in  gewählt  wurde,  welche  sich  für  mittlere  Wolken- 
höhen als  ausreichend  erwies  und  für  niedrige  Wolken  schon  eine  überflüssige 
Genauigkeit  gewährt,  während  für  die  höchsten  Cirri  sogar  eine  Distanz  von 
3 — 5 Kilometern  nicht  zu  grofs  wäre,  da  solche  noch  in  Höhen  von  13  Kilometern 
beobachtet  worden  sind. 

Als  Mefsinstrumente  bewährten  sich  Theodolite  am  besten,  welche  statt 
des  Fernrohrs  nur  das  51,5  cm  lange  Gerippe  eines  Rohres  tragen;  das  Objektiv 
ist  durch  einen  Messingring  mit  einem  Fadenkreuz  ersetzt,  das  aus  */j  mm 
starkem  Kupferdraht  besteht.  Als  Okular  dient  eine  Metall  platte,  in  welche 
ein  Loch  von  3 mm  Durchmesser  gebohrt  ist,  wodurch  die  Absehenslinie  nach 
der  Mitte  des  Fadenkreuzes  festgelegt  ist  Der  Höhenkreis  sowie  der  Azirnu- 
thalkreis  hat  einen  Durchmesser  von  24,5  cm  und  ist  in  ganze  Grade  getheilt, 
ein  Nonius  ergiebt  direkt  10  Bogenminuten,  einzelne  Minuten  können  noch 
geschätzt  werden,  wodurch  eine  mehr  als  genügende  Genauigkeit  der  Rechnung 
zu  erzielen  ist. 

Eine  einmalige  Beobachtung  eines  Wolkenpunktes  von  beiden  Enden  der 
Basis  liefert  also  4 Winkelablesungeil,  während  mit  der  Basis  nur  noch  drei 
Winkel  zur  Bestimmung  der  Höhe  nöthig  sind.  Es  dient  demnach  dieser  vierte 
Winkel  als  Kontrole  dafür,  ob  die  beiden  Instrumente  wirklich  auf  denselben 
Punkt  eingestellt  worden  waren,  was  sehr  Tortheilhaft  ist,  da  Irrthümer  in  dieser 
Beziehung  niemals  ganz  ausgeschlossen  werden  können.  Auf  die  sehr  lehrreichen 
Resultate,  die  sich  auf  die  Höhe  der  Wolken,  ihre  Veränderung  im  Laufe  des 
Tages  etc.  beziehen,  kann  vielleicht  später  ausführlich  eingegangen  werden. 

Dr.  Ernst  Wagner. 


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Herrn  Dr.  0.  K.  in  Kassel.  Sie  fragen  an,  weshalb  die  Photographie 
noch  nicht  in  ähnlicher  Weise  zur  Erforschung  feiner  Details  auf  den  Pla- 
u e ton  Oberflächen  angewandt  worden  sei,  wie  neuerdings  in  so  uberrascheuder 
Weise  auf  dem  Gebiete  der  Mikro-Organismen,  Sie  erwähnen,  wie  es  Herrn 
Geheimrath  Koch  hier  gelungen  ist,  jene  aller  kleinsten  Pilzbildungen,  die 
Cholera-  oder  Tuberkelbacillen,  welche  doch  erst  mit  Anwcudnug  unserer 
neuesten  Errungenschaften  der  Optik,  dem  Abbeschen  C’ondensor  und  der 
Immei’Kionssysteine  überhaupt  entdeckt  werden  konnten,  mit  50,000  fach  er 
linearer  Vcrgröfsorung  so  grofa  wie  Bleistifio  zu  zeigen,  indem  er  eine  mit 
1000 fa eher  Vergrößerung  aufgenommene  Glas-Photographie  fünfzigmal  ver- 
größert gegen  eine  weisse  Wand  projirirte.  Wir  wären  in  der  That  ungemein 
glücklich,  wenn  wir  solches  Verfahren  auf  den  Himmel  anwenden  könnten. 
Wir  würden  dann  im  stände  sein,  auf  dem  Monde  Gegenstände  von  etwa  einem 
halben  und  auf  unserer  wunderbaren  Nachbarwell  des  Mars  sulche  von  50  bis 
75  Metern  Ausdehnung  aus  so  ungeheurer  Entfernung  treu  zu  photographiren. 
Leider  muss  dies  stets  ein  schöner  Traum  bleiben,  da  die  beständige  Unruhe 
unserer  Atmosphäre  cs  niemals  erlauben  wird,  völlig  scharfe  Bilder,  wie  etwa 
unter  dem  Mikroskope,  zu  erzeugen.  Schon  bei  etwa  500  fach  er  Vergrösserung 
zeigen  infolge  dessen  unsere  besten  Teleskope  meist  schon  so  sehr  verwaschene 
Bilde r,  daß  man  sich  in  den  meisten  Fällen  zur  Anwendung  geringerer  Yer- 
gröfserungen  entschließen  muß.  Die  Himmelsphotographie,  welche  trotzdem 
die  gröfsten  Triumphe  zu  verzeichnen  hat,  kann  deshalb  über  diese  Schwie- 
rigkeit nicht  hinwcghelfen.  Die  Bilder  von  Sternen  (von  denen  bei  allerdings 
oft  stundenlanger  Expositonszeit  nicht  selten  mehr  auf  der  photographischen 
Platte  erscheinen,  als  das  Auge  in  den  schärfsten  Teleskopen  direkt  zu  sehen 
vermag,  so  daß  die  von  llmeti  hervorgehobene  durch  mikroskopische  Photo- 
graphien erwiesene  größere  Empfindlichkeit  der  photographischen  Platto  als 
die  der  Retina  sich  auch  hier  bestätigt)  erscheinen  auf  den  Platten  als  kleine 
Scheiben,  nicht  als  Punkte,  wie  sie  cs  wirklich  sind.  Ein  Lichtpunkt  nimmt 
also  auf  der  Platto  eine  Fläche  ein  und  überflutet  damit  den  nächsten  Punkt 
einer  Fläche  voller  Details,  die  dadurch  nothwendig  verloren  gehen  müssen. 
Nur  bei  Objekten  wie  Sternhaufen,  welche  an  sich  aus  getrennten  Punkten 
bestehen,  tritt  diese  Schwierigkeit  nicht  ein,  weßhalb  dieselben  photographisch 
in  so  wundervoller  Weise  wiedergegeben  werden.  Wir  werden  über  die 
neueren  Errungenschaften  der  Hiinmelsphotographie  in  eioeni  unserer  nächsten 
Hefte  einen  Überblickenden  Aufsatz  aus  kompetenter  Feder  bringen,  über 
das  grofsartige  ,Lick-Observatory*  auf  .Mount  Hamilton11  in  Californien,  das 
einen  Theil  jener  Uebelstände,  welche  die  Atmosphäre  dem  astronomischen 
Sehen  entgcgensiellt,  durch  seine  hohe  I>nge  zu  überwinden  sucht,  ist  bereits 
in  unserm  Feuilleton  der  gegenwärtigen  Nummer  (.Seite  2b8  u.  f.)  die  Rede. 

Herrn  E.  K.  in  Halle  a/S.  Auf  Ihre  Fragt»,  welches  die  einpfchlens- 
werthesle  Geschichte  der  Astronomie  sei,  ist  es  schwer  zu  antworten,  ohne  den 


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Uriid  der  Vertiefung  zu  kennen,  mit  welchem  Sie  sich  in  der  Geschichte  der 
Astronomie  orientiren  wollen. 

Die  populäre  Astronomie  von  Newcomb  (in  deutscher  Ausgabe  bei 
W.  Kngelmann  in  Leipzig  erschienen}  enthält  einen  recht  lichtvollen  Uoberblick 
auch  über  die  geschichtliche  Entwickelung  dieser  Wissenschaft.  Für  eindrin- 
genderes  Studium  wird  die  Geschichte  der  Astronomie  von  Wolf  (Direktor 
der  Sternwarte  in  Zürich),  erschienen  zu  München  im  Verlag  von  Oldenbourg, 
einen  sehr  werthvollen  Führer  bilden,  während  die  Geschichte  der  Himmels- 
kundo  von  Mädler  bei  grüfeerem  Reichthui»  an  Details  viele  irrige  Anschauun- 
gen enthält. 

Für  noch  speziellere  Beschäftigung  mit  der  Sache  würde  auf  eine  Fülle 
von  geschichtlichen  und  biographischen  Darlegungen  in  bändereichen  Werken 
und  Monographien  hinzuweisen  sein,  wovon  wir  einstweilen  Abstand  nehmen 
zu  dürfen  glauben. 

Herrn  O.  K.  zu  Fozega  (Kroatien).  Für  den  freundlichen  Hinweis, 
dafo  hei  der  im  Sprochsaa!  unseres  November-Heftes  gegebenen  Zusammen- 
stellung empfehlenswerther  Mondkarten  die  Karte  von  Neison  fehle,  sind 
wir  im  Interesse  unserer  Leser  sehr  dankbar.  Wir  beeilen  uns  zu  erklären, 
dafs  hierbei  keine  kritische  Absicht  obgewaltet  hat,  sondern  dafs  wir  nur  an 
das  Nächstliegende,  keineswegs  an  oine  vollständige  Aufzählung  der  Mond- 
k arten  gedacht  hatten. 

Der  treflliche  Mond-Atlas  des  Herr»  Kdniund  Neison  ist,  wie  wir  un- 
ser» andern  Lesern  gegenüber  bemerken,  in  Buch-Fonn  und  Oktav-Formal 
als  Beigabe  des  Neisonsehen  Werkes  «Der  Mund**  in  deutscher  Ausgabe  bei 
Friedrich  Vieweg  und  Sohn  in  Braunschweig  erschienen. 


Verlag  von  Hermann  Partei  in  Berlin.  — Druck  von  Wilhelm  Grouau'«  Buehdruckerel  in  Berlin. 
Für  die  Redaktion  verantwortlich:  Dr.  M.  Wilhelm  Meyer  in  Berlin. 
Unberechtigter  Nachdruck  aus  dem  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt. 
Ueberaelxungerecht  Vorbehalten. 


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Ueber  einige  Aufgaben  der  Photometrie  des  Himmels. 


Von  I’ro f.  H.  Srrligrr, 

Dlrector  dor  konigl.  Sternwarte  bei  München. 


w*r  V°n  ^°n  ^^r^Un^en  ^er  a^lime^nen  Massenanziehung 
und  von  den  ganz  vereinzelt  nachgewiesenen  und  zum  Thoil 
' noch  zweifelhaften  thermischen,  elektrischen  und  magnetischen 
Wirkungen  absehen,  setzt  uns  nur  das  Licht  in  direkte  Beziehungen 
zu  den  Himmelskörpern.  Der  Gedanke  liegt  deshalb  äufserst  nahe, 
aus  der  Untersuchung  der  physikalischen  Eigenschaften  der  Lichtbe- 
wegung für  die  Erkenntnifs  der  Beschaffenheit  der  lichtaussendenden 
Körper  Gewinn  zu  ziehen.  Selbstverständlich  aber  werden  dergleichen 
allgemeine  Ideen  erst  dann  wissenschaftliche  Bedeutung  gewinnen, 
wenn  man  in  der  Lage  ist,  ganz  bestimmte  Probleme  aufzustellen  und 
die  Möglichkeit  der  Inangriffnahme  derselben  durch  bestimmte  Methoden 
naehweisen  zu  können.  Im  vorliegenden  Falle  bieten  sich  in  zwei 
Hichtungen  günstige  Ausblicke  auf  erfolgreiche  Unlersuohungsmcthodcn 
dar.  Zuerst  kann  man  die  Ursachen  studiren,  welche  die  Stärke  (In- 
tensität) des  Lichtes  der  Himmelskörper  beeinflussen,  zweitens  kann  man 
die  Eigenschaften  des  Lichtes  untersuchen,  welche  mit  seiner  Brechbar- 
keit Zusammenhängen.  Das  letztere  verfolgt  die  Spektralanalyse,  welche 
sich  in  den  letzten  Jahrzehnten  mit  wunderbarer  Schnelligkeit  zu 
einem  der  grofsartigsten  Zeugnisse  menschlichen  Scharfsinnes  heraus- 
gebildet hat.  Mit  dem  zuerst  genannten  Aufgabenkreis  beschäf- 
tigt sich  die  Photometrie.  Bouguer  (16f>8  — 17Ü8)  und  Lambert 
(17’jif — 1777)  müssen  als  die  Begründer  dieses  ganzen  Wissenszweiges 
angesehen  werden.  Die  genannten  Forscher  haben  sich  nicht  damit 
begnügt,  die  Grundlagen  zu  schaffen,  sondern  sic  haben  auch,  und 
besonders  gilt  dies  von  Lambert,  nach  sehr  vielen  Hichtungen  davon 
Anwendung  gemacht.  Die  instrumentellen  HUlfsmittcl  zur  Lichtmessung 

Himmel  und  Erde.  I.  d.  24 


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selbst  waren  aber  damals  noch  höchst  unvollkommen,  namentlich  war 
es  kaum  möglich,  die  Helligkeit  lichtschwacher  Objekte,  wie  der 
Planeten  und  Fixsterne,  mit  genügender  Schärfe  zu  bestimmen.  Dies 
wird  wohl  der  Grund  sein,  warum  die  Himmelsphotometrie  in  der  Folge 
keine  weitere  Pflege  gefunden  hat  und  selbst  die  grundlegenden  Unter- 
suchungen Lamberts  beinahe  wieder  in  Vergessenheit  geriethen.  Neues 
Leben  kam  in  dies  Gebiet,  als  der  geniale  Steinheil  (1836)  durch 
die  Konstruktion  seines  Prismenphotometers  ein  schönes  und  zuver- 
lässiges Mefsinstrument  schuf  und  dasselbe  bald  darauf  in  den  Händen 
Seidels  wichtige  und  resultatreiche  Beobachtungen  lieferte.  Unter 
dem  Kinflusse  der  von  diesen  Männern  uusgegangenen  Anregungen 
entstanden  vor  25—  30  Jahren  die  so  wichtigen  photometrischen  Grün- 
dungen und  Arbeiten  Zöllners.  Der  Enthusiasmus,  mit  welchem  dieser 
Gelehrte  die  Bedeutung  der  Astrophysik  im  allgemeinen  und  der 
Photometrie  im  besonderen  hervorhob,  rnufste  um  so  anregender  auf 
weitere  Kreise  wirken,  als  er  den  Beobachtern  in  seinem  Photomeier 
ein  Mefsinstrument  gab,  das  sowohl  in  Bezug  auf  die  Bequemlichkeit 
seiner  Handhabung  als  auch  seine  beinahe  unbeschränkte  Anwend- 
barkeit auf  alle  möglichen  Aufgaben  alle  früheren  Photometer  ohne 
Frage  bei  weitem  übertraf.  In  dieser  durch  Zöllner  eingeleiteten  Epoche 
befinden  wir  uns  gegenwärtig. 

Die  folgenden  Zeilen  haben  nicht  die  Absicht,  eine  Iristorische 
Uebersichl  über  die  in  den  letzten  zwei  Jahrzehnten  erlangten  Resul- 
tate der  Astrophotometrie  zu  geben,  auch  sollen  sie  nicht  über  die 
Beobachlungsmethoden  und  instrumenteilen  Hülfsmittel  berichten,  die 
gegenwärtig  im  Gebrauche  sind.  Vielmehr  soll  besprochen  werden 
inwiefern  die  Photometrie  geeignet  ist,  allgemeinere  astronomische 
Thatsachen  zu  enthüllen,  wobei  der  Hinweis  auf  einige  der  wichti- 
geren Fragen,  mit  denen  man  sich  in  neuerer  Zeit  beschäftigt  hat, 
genügen  wird. 

Wenn  inan  zwei  gleichartige  Lichtquellen,  Punkte  oder  Flächen, 
betrachtet,  so  würd  inan  nicht  zweifelhaft  sein,  ob  man  dieselben  als 
nahe  gleich  oder  verschieden  hell  und  welche  man,  wenn  ein  gröfserer 
Unterschied  vorhanden  ist,  als  die  hellere  bezeichnen  soll.  Wenn 
man  aber  angeben  soll,  wieviel  heller  die  eine  Lichtquelle  als  die 
andere  ist,  so  wird  man  in  einige  Verlegenheit  gerathen,  nicht  nur 
weil  eine  solche  Abschätzung  hei  grofser  Helligkeitsdiflerenz  überaus 
schwierig  auszuführen  ist,  sondern  auch  weil  man  völüg  rathlos  der 
Forderung  gegenüber  stehen  wird,  die  beobachtete  Holligkeitedifferenz 
durch  eine  Zahl  auszudrücken.  Anders  verhält  sich  die  Sache,  wenn 


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zwei  nicht  bedeutend  aber  doch  merklich  verschieden  helle  Licht- 
quellen vorliegen  und  dann  die  Aufgabe  gestellt  wird,  aus  einer  grofsen 
Anzahl  vorhandener,  alle  Zwischenstufen  in  ununterbrochener  Reihen- 
folge ausfülleuden  Lichtquellen,  diejenige  herauszuwählen,  deren  Hellig- 
keit in  der  Mitte  zwischen  den  beiden  gegebenen  steht.  Auf  den 
ersten  Blick  erscheint  auch  diese  Forderung,  ohne  weiteren  Zusatz, 
unbestimmt.  Trotzdem  wird  sich  nach  einiger  Uebung  herausstellen, 
daß  man  derselben  schon  eher  mit  einiger  Sicherheit  gerecht  werden 
kann.  Aohnliche  Thatsnchen  sind  in  der  praktischen  Astronomie  längst 
bekannt  und  werden  soit  jeher  mit  bestem  Erfolge  verwerthet.  Die 
Eintheilung  der  Sterne  in  Größenklassen  gehört  hierher.  Auch  sie 
scheint  auf  den  ersten  Blick  recht  willkürlich  vorgenommen  zu  sein. 

Nennt  aber  ein  normales  unbewaffnetes  Auge  die  hellsten  Sterne 
des  grofsen  Bären  Sterne  zweiter  und  die  schwächsten  noch  sicht- 
baren sechster  Örofse,  und  wird  ihm  die  Aufgabe  gestellt,  alle  Sterne 
des  Himmels,  die  ebenso  hell  oder  schwächer  als  die  Bärensterne  sind, 
in  die  Gröfsenklassen  2 — 6 einzuordnen,  so  dafs  eine  allmähliche  und 
gleichmäßige  Helligkeitsabnahme  stattfindet,  so  wird  man,  trotz  aller 
Abweichungen  im  einzelnen,  überrascht  sein  von  der  Gleichförmigkeit 
und  Sicherheit,  mit  der  solche  Zuordnungen  erfolgen.  Wie  verhalten 
sich  nun  die  Helligkeiten  der  Sterne  verschiedener  auf  solche  Weise 
bestimmten  Gröfsenklassen?  Zur  Beantwortung  dieser  Frago  müssen 
wir  zuerst  festsetzen,  wie  man  eine  Helligkeitsskala  zahlenmäßig  zu 
deflniren  hat.  Nun  ist  aber  doch  von  seihst  klar,  dafs  man  z.  B.  sagen 
aiufs,  das  Licht  zweier  Kerzen  zusammen  ist  zweimal  so  hell  als  das 
einer  allein,  das  Licht  dreier  Kerzen  dreimal  so  hell  u.  s.  f.  Man 
mache  nun  weiter  folgenden  einfachen  Versuch:  man  beleuchte  unter 
sonst  ganz  gleichen  Umständen  zwei  gleiche  kleine  Fapierflächen  A 
und  B,  die  eine  (A)  durch  eine,  die  zweite  (B)  durch  0 Kerzen.  Man 
nehme  eine  dritte  I'apierfläche  und  suche  dieselbe  unter  Einhaltung 
der  früheren  Umstände,  namentlich  der  Entfernungen,  durch  soviel 
Kerzen  zu  beleuchten,  daß  sie  gerade  ebensoviel  heller  wie  (A)  als 
weniger  hell  wie  (B)  erscheint.  Man  dürfte  erwarten,  dafs  die  Zu- 
hiilfena bitte  von  5 Kerzen  den  gestellten  Bedingungen  genügen  wird. 
Dem  ist  aber  nicht  so,  vielmehr  wird  man  mit  3 Kerzen  den  ge- 
wünschten Erfolg  erreichen.  Durch  solche  in  passender  Form  ange- 
stellte  Versuche  wird  man  also  linden:  nicht  die  Differenz,  sondern 
der  Quotient  zweier  aufeinander  folgenden  Helligkeiten  ist  das  maß- 
gebende bei  einer  Anordnung  nach  gloichmiifsig  fortschreitender  Zu- 
oder Abnahme  der  Helligkeit  Dieses  Resultat  ist  eine  unmittelbare 

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Folgo  eines  allgemeinen,  alle  Sinneseindrücko  innerhalb  gewisser 
Grenzen  umfassenden  Geselzes,  des  psycho- physischen  Grundgesetzes, 
wie  man  es  nach  Fechner  zu  nennen  pflegt,  der  dasselbe  zuerst  in  allen 
seinen  weitgehenden  Konsequenzen  verfolgt  hat.  Es  ist  dasselbe  Gesetz, 
welches  z.  B.  aussagt,  dafs  man  sehr  wohl  unterscheiden  wird,  ob  man 
ein  Gewicht  von  */4  oder  >4  kg  Schwere  zu  heben  hat,  nicht  aber  ob 
dasselbe  50  oder  501/,  kg  wiegt,  dafs  man  ebenso  leicht  herausfinden 
wird,  ob  1 oder  2 Posaunen,  nicht  aber  ob  200  oder  201  Posaunen 
unser  Trommelfell  erschüttern,  scblieblioh,  dafs  man  die  Helligkeit 
von  einer  oder  2 Kerzen  sehr  verschieden  finden  wird,  aber  wohl 
gewifs  nicht  zu  unterscheiden  vermag,  ob  200  oder  201  Kerzen  einen 
Gegenstand  beleuchten. 

Wenden  wir  dies  auf  unsere  Schlitzungen  der  Stemgröfsen  an, 
so  folgt  fast  unmittelbar  der  Satz:  Der  Quotient,  nicht  die  Differenz 

der  Helligkeit  aufeinander  folgender  Stemgröfsen  ist  nahezu  konstant. 
Ich  sage  nahezu,  weil  selbstverständlich  bei  solchen  Beobachtungen 
unvermeidliche  sekundäre  Einflüsse  sich  geltend  machen,  auch  wohl 
das  Fechnerscho  Gesetz  nur  eine,  wenn  auch  sehr  grofse,  Annäherung 
an  die  Wahrheit  repräsentirt.  Die  Astronomie  besitzt  in  der  Bonner  Durch- 
musterung, welche  sämtliche  Sterne  zwischen  23°  südlicher  Deklination 
und  dem  Nordpole  bis  zur  9.  Gröfsenklasse  und  sehr  viele  schwächere 
enthält,  ein  höchst  konsequent  durchgeführtes  System  von  Helligkeits- 
Schätzungen  nach  dem  blofsen  Augenmafse  im  Fernrohr.  Hier 
liegt  also  ein  geradezu  riesiges  Material  vor,  welches  sich  zur  Prüfung 
des  obigen  Satzes  in  hohem  Grade  eignet,  und  diese  Prüfung  ist,  so- 
weit sie  bisher  auf  photometrischem  Wege  ausgeführt  worden  ist, 
durchaus  bestätigend  ausgefallen.  Man  darf  durchschnittlich  annehmen, 
dafs  sich  die  Helligkeiten  zweier  aufeinander  folgender  Gröfsenklassen 
wie  5 : 2 verhalten. 

Es  ist  von  selbst  klar,  dafs  die  Einreihung  einer  beobachteten 
Helligkeit  in  eine  vorliegende  Skala  desto  leichter  und  sicherer  vor 
sich  gehen  wird,  je  enger  dio  Intervalle  sind,  durch  welche  vorhan- 
dene Objekte  diese  Skala  repräsentiren.  Bis  zu  welcher  Vollkommen- 
heit sich  solche  Einreihungen  bei  passender  Wahl  von  Vergloichs- 
objekten  ausführen  lassen,  dafür  bietet  die  Methode  der  Stufen- 
schätzungen Argeianders,  die  namentlich  bei  der  Verfolgung  des 
Lichtwechsels  veränderlicher  Sterne  mit  grofsem  Erfolge  angewandt  wird, 
ein  ausgezeichnetes  Beispiel.  Hier  wird  der  Veränderliche  mit  Sternen 
in  seiner  Nachbarschaft  verglichen,  die  möglichst  wenig  heller  oder 
schwächer  sind  als  er  selbst,  und  die  kleinste  noch  wahrnehmbare 


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Helligkeitsdifferenz  wird  als  „ Stufe“  bezeichnet.  Abgesehen  davon, 
dafs  die  Aufstellung  der  Helligkeitsskala.  welche  die  Vergleichssteme 
repräsentiren,  auf  diese  Weise  im  allgemeinen  nicht  mit  gleicher 
Sicherheit  festgelegt  werden  kann,  ist  diese  Methode  weit  davon  ent- 
fernt, eine  wirkliche  Messung  der  Lichtstärke,  die  doch  wenigstens 
innerhalb  gewisser  Grenzen  unabhängig  von  der  Helligkeitsdifferenz 
gegen  ein  Vergleichsobjekt  sein  muß,  zuzulassen.  Da  in  der  ein- 
fachsten Form  eine  solche  Messung  das  Verhältnifs  zweier  Hellig- 
keiten angiebt,  so  wird  man  nicht  zweifelhaft  sein,  auf  welchen  Grund- 
lagen zuverlässige  photometrische  Methoden  beruhen  müssen.  Wie 
auch  die  spezielle  Einrichtung  des  Photomoters  im  einzelnen  beschaffen 
sein  mag,  immer  wird  die  Helligkeit  des  helleren  der  beiden  Objekte 
in  physikalisch-meßbarer  Weise  so  abgeschwächt,  dafs  sie  der  zweiten 
gleich  wird.  Da  das  Auge  das  Gleichsein  der  beiden  Helligkeiten 
beurtbeilt,  so  entsteht  eine  Beschränkung  der  Gültigkeit  der  photo- 
metrischen  Resultate,  auf  welche  oftmals  nicht  genügend  geachtet  wird. 
Es  tritt  also  hier  ein  physiologisches  Element  hinzu,  das  sehr  oft  die 
Verhältnisse  außerordentlich  verwickelt,  namentlich  dann,  wenn  es 
sioh  um  die  Vergleichung  verschieden  gefärbter  Lichtquellen  handelt. 
An  sich  ist  eine  solche  bei  einigermafsen  deutlicher  Färbung  aufser- 
ordentlich  schwer  und  unsicher  auszuführen,  und  unter  Umständen 
ist  es  ganz  unmöglich,  zu  einem  richtigen  Urtheil  über  das  Verhält- 
nifs zweier  Helligkeiten  zu  gelangen,  weil  dieses  in  der  unzwei- 
deutigsten Weise  mit  verschiedenen  Umständen  variirt.  Der  verdiente 
Physiologe  Purkinje  hat  bereits  die  auch  in  die  Verhältnisse  des 
praktischen  I/obens  eingreifende  Thatsache  hervorgehoben,  dafs  bläu- 
lich gefärbte  Gegenstände  noch  bei  einer  so  schwachen  Beleuchtung 
sichtbar  bleiben,  bei  welcher  gelbliche  oder  rothe  vollständig  ver- 
schwinden, und  Dove  hat  dies  durch  folgenden  einfachen  Versuch 
illustrirt.  Man  stelle  ein  röthlich  und  ein  bläulich  gefärbtes  Objekt, 
um  besten  zwei  gleich  große  Kartonstiicke  oder  dergl.  nebeneinander, 
so  kann  man  die  Beleuchtung  so  einrichten,  daß  man  den  Eindruck 
gleicher  Helligkeit  beider  Objekte  hersteilen  kann.  Vergrößert  man 
nun  die  Stärke  der  Beleuchtung,  so  erscheint  das  rothe,  verkleinert 
man  dieselbe,  bo  erscheint  da»  bläuliche  Objekt  als  das  hellere. 

Sobald  also  verschieden  gefärbte  Objekto  in  Frage  kommen, 
treten  Schwierigkeiten  auf,  die,  wenn  überhaupt,  nur  durch  völlige 
Umänderung  der  photometrischen  Methoden  überwunden  werden 
können.  In  der  Astro-Photometrie  treten  diese  Schwierigkeiten  aller- 
dings sehr  oft  nicht  in  bemerkbarem  Grade  auf.  Vorerst  kommen 


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aas 

intensive  Färbungen  bei  den  Himmelskörpern  nur  in  mäfsigcm  l'm- 
fange  vor,  dann  aber  fragen  viele  Probleme  der  Photometrie  des 
Himmels  nur  nach  den  Gesetzen,  nach  welchen  sich  die  Helligkeit 
derselben  Lichtquelle,  welche  ihre  Karbe  nicht  ändert,  variirt.  Die 
Behandlung  dieser  Aufgaben  wird  aber  in  einfacher  Weise  dadurch 
ermöglicht,  dafe  man  der  Vergleicht  lieh  (quelle  auf  künstlichem  Wege 
dieselbe  Färbung  giebt.  Dort  aber,  wo  es  sich  um  die  Vergleichung 
verschiedener  Himmelskörper  oder  um  die  Beobachtung  von  Phänomenen 
handelt,  die  mit  einem  Farbenwechsel  verbunden  sind,  wie  hei  den 
noch  zu  besprechenden  Absorptionserscheinungen  in  unserer  Atmo- 
sphäre, sind  die  genannten  Schwierigkeiten  bereits  bemerkbar  ge- 
worden. Vollständig  begegnen  denselben  aber  die  in  den  letzten  •Jahr- 
zehnten namentlich  durch  die  ausgezeichneten  Arbeiten  Vierordts 
ausgebildeten  Methoden  der  Spe k t ra  1 photometrie.  Hier  wird  das  zu 
untersuchende  Licht  in  ein  Spektrum  ausgebreitet  und  enge  Bezirke 
desselben  mit  den  entsprechenden  Stellen  eines  Vergleichsspektrums 
in  Bezug  auf  ihre  Helligkeit  verglichen.  I )afs  diesen  Methoden  ein 
hoher  Grad  von  Wichtigkeit  beige  legt  werden  inufs.  wird  auch  aus 
dem  Folgenden  hervorgehen. 

Nach  diesen  etwas  allgemeineren  Erwägungen  sollen  nun  einige 
Aufgaben  kurz  besprochen  werden,  deren  Lösung  die  Astmphotometric 
in  den  letzten  Jahren  erreicht  oder  wenigstens  angestrebt  hat. 

Wenn  wir  die  Helligkeit  eines  himmlischen  Objektes  gemessen 
haben,  so  ist  es  selbstverständlich  unsere  erste  Pflicht,  diejenigen  l'm- 
stände  in  Betracht  zu  ziehen,  welche  das  erhaltene  Resultat  ver- 
fälscht haben  können.  Durch  Erscheinungen  der  auffälligsten  Art 
wird  man  sofort  zur  Vermuthung  geführt,  dafs  das  Vorhandensein 
unserer  Atmosphäre  die  scheinbare  Helligkeit  eines  Gestirnes  ebenso 
beeinflussen  müsse,  wie  sie  ilie  Richtung,  in  welcher  letzteres  er- 
scheint. bekanntlich  verändert,  ln  der  That  schwächt  die  Atmosphäre 
selbst  bei  anscheinend  vollkommener  Klarheit  nicht  unbedeutend  die 
sic  durchdringenden  Lichtstrahlen.  Diese  Absorption  ist  aber  nicht 
für  alle  Strahlengattungen  gleich  grofs,  sondern  rothe  Strahlen  werden 
offenbar  leichter  durehgelassen  als  blaue.  Die  bekanntesten  Erschei- 
nungen sprechen  dafür.  Der  Mond,  wenn  er  hoch  am  Himmel  steht, 
erscheint  uns  als  helle  silberweifse  Scheibe.  Je  näher  or  sich  aber 
dem  Horizonte  zuneigt,  desto  mehr  verliert  er  an  Helligkeit,  zugleich 
aber  erhält  er  eine  mehr  und  mehr  rötbliche  Färbung,  die  sich  in 
grofser  Nähe  des  Horizontes  bis  zu  ganz  intensivem  Roth  steigern  kann. 

Dafs  die  zunehmende  Schwächung  des  Lichtes  eines  Gestirnes 


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mit  seiner  Annäherung  an  den  Horizont  in  der  Hauptsache  eine  un- 
mittelbare Folge  der  Thatsachc  ist,  dafs  hierbei  die  vom  lachte  zu 
durchlaufenden  atmosphärischen  Schichten  an  Dicke  zunehmen,  folgt 
aus  den  mathematischen  Entwickelungen  Lamberts  und  latplaces.  Die 
von  den  Genannten  ausgearbeitete  Theorie  der  „Extinktion  des  Lichtes“ 
entspricht  bei  nicht  allzu  kleinen  Höhen  des  Gestirnes  sehr  gut  den  in 
dieser  Richtung  angestellten  photometrischen  Beobachtungen.  Dies 
beweisen  die  Beobachtungen  Seidels,  der  zuerst  und  in  mustergültiger 
Weise  die  Extinktion  des  Lichtes  untersucht  hat,  und  ebenso  dio  in 
neuester  Zeit  ausgeführten  ausgezeichneten  Messungen  Dr.  Müllers 
vom  Observatorium  in  Potsdam.  Nach  diesen  Beobachtern  beträgt  die 
Schwächung  des  Stemlichtes  in  18,  10,  4 und  2 Grad  Höhe  bez.  'i,  I, 
2 und  3 Größenklassen.  Demzufolge  müssen  also  auch  die  helleren 
Sterne  weit  früher  dem  freien  Auge  verschwinden,  als  sie  thatsnchlich 
untergehen. 

Wir  haben  aber  oben  gesehen,  dafs  die  Atmosphäre  nicht  nur 
eine  Schwächung  des  Lichtes,  sondern  auch  eine  Farbenänderung  ver- 
ursacht, und  es  kann  deshalb  nicht  zweifelhaft  sein,  dafs  die  erwähnten 
Schwierigkeiten,  welche  sich  den  gewöhnlichen  photometrischen  Methoden 
hei  einem  solchen  Prozesse  entgegenstellen,  zu  Tage  treten  müssen.  In  der 
That  ist  wohl  nur  die  Spektralphotoraetrie  im  stände,  das  Problem  der 
Extinktion  des  Lichtes  in  einwurfsfreier  Weise  zu  lösen,  wenngleich 
die  Uebereinstümxmng  der  vorliegenden  Messungen  Stadels  und  Müllers 
dafür  sprechen,  daß  die  bisher  erlangten  Resultate  für  gewöhnliche 
Fällt*,  wo  man  doch  nicht  in  großer  Nähe  tles  Horizontes  beobachten 
wird,  ausreichen  dürften,  um  den  Einfluß  tler  Atmosphäre  auf  photo- 
metrische  Resultate  genügend  in  Rechnung  ziehen  zu  können.  In- 
dessen scheinen  doch  auch  hier  Andeutungen  vorzukommen,  welche 
beweisen,  daß  der  Gegenstand  noch  nicht  als  ganz  abgeschlossen  be- 
trachtet werden  darf.  Herr  Dr.  Müller  hat  nämlich  gefunden,  dafs 
einer  der  von  ihm  benutzten  Sterne,  tler  sich  durch  riithliehe  Färbung 
uuszeichnet,  bei  der  Annäherung  an  den  Horizont  stärker  geschwächt 
wird  als  tlie  übrigen.  Dieses  Resultat  scheint  im  Widerspruche  zu 
stehen  mit  der  Thatsaehe.  tlaß  tlie  Atmosphäre  rollte  Strahlen  leichter 
durcliläßt  als  andere.  Wenn  man  aber  bedenkt,  tlaß  die  Sterne  bei 
der  angewandten  Beohaclitungsmetliode  immer  mit  derselben  künst- 
lichen Lichtquelle  verglichen  wurden,  und  sich  daran  erinnert,  dafs 
rolhe  Strahlen  bei  einer  Abnahme  ihrer  Intensität  schneller  für  das  Auge 
an  Helligkeit  verlieren  als  anders  gefärbte  Lichtstrahlen  bei  demselben 
Grad  tler  Abschwächung,  so  dürfte  tlie  beobachtete  Thatsaehe  nicht 


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mehr  so  befremdlich  sein,  wenngleich  sie  selbstverständlich  ohne  ein 
genaues  Eingehen  auf  den  Sachverhalt  nicht  zu  erklären  ist 

Hat  man  die  beobachteten  Helligkeiten  eines  Himmelskörpers 
wegen  der  Extinktion  des  Lichtes  korrigirt,  so  hat  man,  abgesehen 
von  den  etwaigen  Fehlern  des  Instrumentes  und  der  angewandten 
Methoden,  die  hier  nicht  in  Frage  kommen  sollen,  die  Grundlagen  für 
weitere  Schlüsse  gewonnen.  Diese  werden  nun  selbstverständlich 
damit  zu  rechnen  haben,  ob  der  untersuchte  Himmelskörper  selbst- 
leuchtend (Fixstern,  Sonne)  ist  oder  ob  er  uns  nur  erborgtes  Licht 
zusendet  (Planeten,  Monde).  Im  Folgenden  sollen  einige  Aufgaben, 
die  sich  auf  jede  dieser  beiden  Gruppen  von  Weltkörpom  beziehen, 
kurz  besprochen  werden. 

Man  hat  in  neuerer  Zeit  mehrere  grofs  angelegte  Arbeiten  iheils 
ausgeführt,  Iheils  cingeleitet,  welche  bezwecken,  möglichst  viele  Fix- 
sterne photonietrisch  zu  bestimmen.  Der  grofse  Aufwand  von  Arbeits- 
kraft, der  auf  diese  Messungen  verwandt  wird,  legt  die  Frage  nahe, 
ob  die  von  diesen  Bemühungen  zu  erwartenden  Kesultate  Ausblicke 
von  tieferer  wissenschaftlicher  Bedeutung  gewähren.  Wenngleich  es 
natürlich  nicht  zweifelhaft  ist,  dafs  die  Festlegung  zahlreicher  photo- 
metrisch  bestimmter  Fixpunkte  für  viele  Aufgaben  der  praktischen 
Astronomie  von  hervorragender  Wichtigkeit  sein  mufs,  so  liegt  doch 
der  Hauptgewinn,  den  die  genannten  Beobachtungen  versprechen,  in 
einer  anderen  und  ganz  bestimmten  Richtung. 

Um  das  grofse  in  der  Bonner  Durchmusterung  enthaltene  Material 
für  Betrachtungen  über  die  Konstitution  des  Fixsternsystems,  zu  dem 
unsere  Sonne  voraussichtlich  gehört,  verwerthen  zu  können,  ist  es 
von  Wichtigkeit,  die  bereits  oben  erwähnte  Frage  eingehender  zu 
studiren,  wie  sich  die  Helligkeiten  der  aufeinander  folgenden  Gröfeen- 
klassen  verhalten.  Dafs  im  wesentlichen  der  Quotient  dieser  Hellig- 
keiten konstant  ist,  dürfte  kaum  zu  bezweifeln  sein.  Es  kommt  aber 
darauf  an,  zu  untersuchen,  mit  welcher  Genauigkeit  dies  staltfindet 
und  welcher  Art  die  etwaigen  Abweichungen  sind.  Die  bisher  ange- 
stellten  photometrischen  Beobachtungen  haben  in  der  That  eine  geringe 
Abhängigkeit  des  genannten  Quotienten  von  der  Helligkeit  selbst  er- 
geben. Wenn  dieses  Verhalten  der  Bonner  Oröfsenschätzungen  genau 
festgestellt  sein  wird,  dann  ist  die  Möglichkeit  gegeben,  die  räum- 
liche Vertheilung  der  Sterne  anzugeben,  deren  Vertlieilung  am  Himmel 
die  auf  Grund  der  Bonner  Arbeit  ausgeftihrten  Abzählungen  zu  über- 
blicken ermöglicht  haben.  Hierzu  ist  nur  die  Annahme  nöthig,  dafs 
die  Helligkeiten  der  Fixsterne  im  umgekehrten  Verhältnisse  des 


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Quadrates  ihrer  Entfernungen  abnehmen.  Diese  Annahme  ist  nun 
fraglos  im  einzelnen  Falle  sehr  gewagt  und  kann  ganz  unrichtig  sein, 
im  Mittel  wird  aber,  wenn  dieses  nur  aus  sehr  vielen  einzelnen 
Sternen  gebildet  ist,  in  der  That  ein  Stern  in  diesem  Verhältnisse 
schwächer  werden  und  man  hat  also  die  Möglichkeit  aus  dem  Ver- 
hältnisse der  Helligkeiten  die  Verhältnisse  der  mittleren  Entfernungen 
der  Sterne  einer  bestimmten  Gröfsenklasse  von  unserem  Sonnensystem 
anzugeben. 

Eine  zweite  dankbare  Aufgabe  der  Photometrie  bezieht  sieh  auf 
die  veränderlichen  Sterne.  Die  Thatsache  der  Veränderlichkeit  eines 
Sternes  darf  an  sich  kaum  ein  besonderes  Interesse  beanspruchen, 
denn  diese  Eigenschaft  kommt  strenge  genommen  jedem  Sterne  zu. 
Wichtig  ist  dagegen,  die  Art  des  Lichtwechsels  festzustellen,  weil 
diese  geeignet  ist,  die  herrschenden  Ansichten  über  die  physikalische 
Konstitution  der  Weltkörper  zu  prüfen.  Nach  Zöllner  sind  die  Fixsterne 
glühende  Massen  von  sehr  hoher  Temperatur.  Diese  mufs  sich  infolge 
der  eindringenden  Kälte  des  umgebenden  Weltraumes  allmählich  ernie- 
drigen und  alle  Sterne  machen  diesen  Abkühlungsprozefs  durch.  Die 
individuellen  Verschiedenheiten  beruhen  darauf,  wie  weit  dieser  Prozefs 
vorgeschritten  ist.  Sobald  die  Temperatur  bis  zu  einer  gewissen  Grenze 
herabgesunken  ist,  werden  sich  Kondensationsprodukte  auf  der  Ober- 
fläche des  Körpers  ausscheiden.  Ob  man  diese  nun  Schlacken  oder  Wol- 
kon  oder  irgend  wie  and  eis  nennen  will,  für  die  gegenwärtige  Betrach- 
tung ist  nur  folgendes  von  Wichtigkeit.  Die  Abkühlung  des  Sternes 
wird  nicht  allenthalben  gleichmäfsig  vor  sich  gehen,  die  Kondensations- 
produkte werden  demzufolge  auch  nicht  überall  gleichmäfsig  auftreten, 
sondern  in  mehr  oder  weniger  unregelmäfsiger  Weise  einen  Theil  der 
Oberfläche  bedecken.  Sie  werden  auch  nicht  in  Form  und  l>ago  un- 
veränderlich sein;  einige  werden  nach  kurzem  Bestand  vergehen, 
andere  neue  werden  erscheinen  und  nur  die  Tendenz,  sich  im  allge- 
meinen zu  vermehren,  wird  zu  Tage  treten.  Nimmt  man  weiter  an, 
dafs  diese  Ausscheidungen,  weil  von  niederer  Temperatur  als  ihre 
Umgebung  nothwendigerweise  im  allgemeinen  auch  eine  geringere 
Leuchtkraft  besitzen  werden,  dafs  ferner  eine  Rotation  des  Sternes  um 
seinen  Schwerpunkt  als  selbstverständlich  stattfindend  vorausgesetzt 
werden  mufs,  so  haben  wir  alle  Bedingungen,  welche  die  Erschei- 
nungen erklären,  die  ein  Veränderlicher  darbieten  mufs.  Und  zwar 
sind  die  Annahmen  ausreichend,  um  jeden  Lichtwechsol,  er  mag  sonst 
beschaffen  sein  wie  er  will,  zu  erklären.  So  ist  es  strenge  genommen 
nicht  nothwendig,  eine  Veränderung  der  Lago  der  Rotationsaxe  des 


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332 


Sternes  anzunehmen,  wenngleich  eine  solche  Hypothese  geeignet  ist, 
gewisse  physische  Schwierigkeiten  des  Erklärungsversuches  abzu- 
schwiichen.  Diese  Erklärung  Zöllners  ist  so  natürlich,  sie  ist  dal>ei  so 
.allgemein  und  allen  Reobachtungsresultaten  entsprechend,  dafs  durch  sie 
der  forschende  Verstand  vollständig  befriedigt  wird.  Man  ist  deshalb 
herechtigt,  alle  andern  Erklärungen  abzuweisen,  wenn  nicht,  was  in 
speziellen  Fällen  denkbar  wäre,  andere  Verhältnisse  dies  verlangen. 
Gegenwärtig  ist  noch  kein  Fall  bekannt,  wo  dies  eingetreten  wäre. 
Bisher  ist  die  Beobachtung  der  Veränderlichen  meistens  nach  der 
Methode  der  Stufen  Schätzungen  ausgeführt  worden.  Diese  Methode 
ist  auch  in  der  That  genau  genug  und  vor  allem  bei  der  Anwendung 
so  bequem  zu  handhaben,  dafs  man  nichts  dagegen  einwenden  kann, 
wenn  sie  auch  in  der  Zukunft  beibehalten  wird.  Nur  wird  es  wün- 
schenswert!» sein,  die  benutzten  Vergleichssterne  durch  exakte  photo- 
metrische  Methoden  zu  bestimmen. 

Auch  für  die  .Spektralphotometrie,  wenn  erst  ihre  Methoden  so 
uusgebildet  sein  werden,  dafs  man  sie  auch  auf  schwächere  Sterne 
anwendeu  kann,  bilden  die  Veränderlichen  höchst  interessante 
rntersuchungsobjekte.  Bekanntlich  ist  es  noch  nicht  festgestellt,  ob 
sich  die  Lichtstrahlen  verschiedener  Broohbarkeit  (Farbe)  gleich 
schnell  fortpllanzen.  Natürlich  kann  es  sich,  wenn  überhaupt,  nur 
um  kleine  Differenzen  handeln.  Diese  inüfsten  sich  aber,  wie  Arago 
zuerst  bemerkt  bat,  bei  jedem  Lichtwechsel  eines  Veränderlichen  in 
einer  Veränderung  der  Farbe  zeigen.  Wir  wollen  dies,  angemessen 
den  vorliegenden  Ztvooken  so  aussprechen:  wenn  rothe  und  blaue 
Strahlen  nicht  dieselbe  Fortpflanzungsgeschwindigkeit  haben,  so  wird 
das  Maximum  oder  Minimum  der  Lichtstärke  für  beide  Strahlen- 
gattungen  auf  verschiedene  Zeiten  fallen  und  diese  Zeitdifferenz  wird 
nach  Mafsgabe  der  Entfernung  des  Sternes  vom  Beobachter  wachsen. 
Wenn  auch  die  Sache  sehr  wesentlich  dadurch  komplizirt  wird,  dafs 
mau  im  allgemeinen  nicht  wiixl  annehmen  dürfen,  alle  Strahlengattungen 
erreichten  thalsächlich,  also  z.  B.  für  einen  in  der  unmittelbarsten  Nähe 
des  Sternes  gelegenen  Beobachter,  zu  gleicher  Zeit  die  Maximal-  und 
Minimalbeträge  ihrer  Helligkeiten,  so  wird  es  doch  möglich  sein,  mit 
Hülfe  der  Spektralphotometrie  eine  Klarlegung  dieser  Verhältnisse 
anzu  bahnen. 

(Selilnfs  folgt.» 


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V.  Der  excentrische  Kreis  und  die  Epicykcln. 

|n  dem  Drange  nach  einer  tieferen  Krkenntnifs  des  Weltgetriebes 
und  namentlich  auch  in  der  Ueberzeugung,  welche  von  Anfang 
au  in  dem  forschenden  Menschengeist  tief  wurzelt,  dafs  die 
inneren  Beweggründe  der  Erscheinungen  und  Vorgänge  in  der  Natur 
möglichst  einfache  sein  müssen,  sah  man  zugleich  auch  die  Noth- 
wendigkeil  ein,  dafe  man  zunächst  die  Folge  der  Erscheinungen,  wie 
sie  sich  unsorm  Auge  direkt  darstellt,  durch  Beobachtung  fixiren 
müsse. 

Am  Ende  ist  es  ja  selbstverständlich,  dafs  mau  die  Diuge,  welche 
man  erklären  will,  zunächst  mit  allen  ihren  Details  kennen  gelernt 
haben  mufs.  Das  ist  eine  primitive  Voraussetzung,  welche  jedoch 
leider  auch  heutzutage  tausenden  von  spekulativen  Köpfen  nicht 
oft  genug  vorgehalten  werden  kann,  die  es  unternehmen,  das  ganze 
Weltgebiiudc  aus  ihrer  Phantasie  heraus  und  mit  Zuhülfenahme  eines 
kaum  nennenswerthen  Materials  an  positiven  Kenntnissen  aufzubauen. 
Diese  Weltbaumeister,  welche  das  ganze  Universum  nicht  selten  in 
einer  Broschüre  von  einigen  zwanzig  oder  dreifsig  Seiten  Umfang  • — 
welcher  letztere  mit  dem  Umfang  ihres  Wissens  in  gar  harmonischem 
Verhältnifs  steht  — Zusammenzimmern,  sind  dem  Astronomen  von  Fach 
eine  ungemein  lästige  Sekte.  Diese  Leute  hängen  stets  mit  ganz  un- 
erschütterlichem Starrsinn  an  der  fixen  Idee  ihrer  Weltanschauung, 
und  mit  den  Argumenten  positiven  Wissens  ist  ihnen  nirgends 
nahe  zu  kommen.  Eine  alte  Erfahrung  lehrt,  dafs  es  gänzlich  ver- 
gebliche Mühe  wäre,  dieselben  eines  bessern  zu  überzeugen  und  dafs 
man  sich  trotz  allen  besten  Willens  und  uller  Begeisterung,  gemein- 


tKöNC'li 
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Pigitized  bv  Gooslu 


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fafslieho  Aufklärung  über  diese  Gegenstände  zu  verbreiten,  solchen 
lauten  gegenüber  zu  schmerzlicher  Resignation  entschliefsen  und  sie 
ihren  Holzweg  ruhig  weitergehen  lassen  mufs.  — 

Nach  dieser  wohl  nicht  ganz  unnützen  Abschweifung  komme  ich 
naturgemäfs  auf  eineu,  auch  für  jene  unberufenen  Weltbaumeister 
wohl  zu  beherzigenden  Ausspruch,  den  vor  mehr  als  zweitausend 
Jahren  der  geistvollste  aller  antiken  Naturforscher,  Aristoteles,  that. 
Er  sagte:  „Noch  sind  die  Erscheinungen  nicht  hinreichend  erforscht; 
wenn  sie  es  aber  dereinst  sein  werden,  alsdann  ist  der  Wahrnehmung 
mehr  zu  trauen  als  der  Spekulation  und  letzterer  nur  insoweit,  als 
sie  mit  den  Erscheinungen  Uebe reinstimmendes  giebt“  Dieser  grofse 
Denker  war  es,  der  zuerst  mit  allem  Nachdruck  auf  die  möglichst 
genaue  Beobachtung  der  Erscheinungen  hinwies,  wenngleich  leider 
die  Hiilfamittel  dazu  damals  noch  allzusehr  fehlten. 

Aber  es  war  doch  unendlich  viel  erreicht,  dars  der  Geist  dieser 
allein  richtigen  Methode  in  diesem  Manne  lebendig  genug  war,  um 
sich  auf  seinen  gewaltigen  Schüler,  Alexander  den  Grofsen,  inso- 
fern zu  übertragen,  dafs  derselbe  nicht  nur  ein  grofser  Kriegsherr, 
sondern  auch  ein  edler  Gönner  und  Förderer  aller  erhabenen  Wissen- 
schaften und  Künste  wurde.  Es  hat  sich  dadurch  allein  die  schöne 
Thatsache  vollziehen  können,  dafs  Alexander  mit  der  Fackel  des 
Krieges,  welche  er  über  die  bekannte  Welt  hintrug,  zugleich  auch 
Funken  hellenischer  Weltweisheit  überall  hinausstreute,  von  denen 
ganz  besonders  der  eine  zum  mächtigen  Lichte  in  der  ersten  und  zu- 
gleich bedeutungsvollsten  Universität  der  Welt,  Alexandrien,  enl- 
flommen  sollte. 

Hier  blühte  mit  den  übrigen  Wissenschaften  auch  die  Astronomie 
schnell  und  mächtig  empor.  Nahezu  hundert  Jahre  nach  dor  Begrün- 
dung jener  Universität  oder  jenes  Museums,  wie  es  damals  hiefs,  trat 
dort  der  grofse  Ilipparch,  der  unzweifelhaft  bedeutendste  Astronom 
des  Altorthuins  auf  und  revidirte  zunächst  mit  bewundernswürdiger 
Genauigkeit  und  Ausdauer  alle  himmlischen  Bewegungen,  so  w'eit  sie 
seinen  primitiven  Beobachtungswerkzeugen  zugänglich  waren.  Er 
stellte  den  ersten  Fixstornkatalog  von  1Ü22  Sternen  her,  welcher 
heute  noch  als  sehr  erwünschter  Anhaltspunkt  für  gewisse  wichtige 
Untersuchungen  über  die  Bewegungen  der  Fixsterne  dient. 

Ilipparch  trat  ferner  dor  Untersuchung  über  die  Bewegungen 
der  Sonne,  des  Mondes  und  der  Planeten  näher  und  verfolgte  nament- 
lich die  von  seinen  Vorgängern  erst  näherungsweise  erkannte  Wahr- 
nehmung einer  bedeutsamen  Eigenthiimlichkeit  der  Sonnenbewegung 


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genauer,  welche  nothwendig  die  alten  Prinzipien  der  gleichförmigen 
Bewegung  im  Kreise,  wie  sie  die  homocentrischen  Sphären  des 
Eudoxus  voraussetzte,  stark  erschüttern  mufste.  Er  fand  nämlich, 
wieder  mit  Hülfe  des  ebenso  einfachen  als  wunderbaren  Instrumentes, 
mit  welchem  wir  in  dem  vorangegangenen  Kapitel  die  Südrichtung, 
die  Schiefe  der  Ekliptik,  die  Polhöhe  u.  s.  w.  gefunden  halten,  mit 
dem  Qnomon,  dafs  die  vier  Jahreszeiten  von  ungleicher  Länge  sind. 
Es  zeigte  sich,  dafs  die  Zeit  zwischen  der  Friihlingsnachtgleiche,  wenn 
also  der  Schatten  des  Gnomon  eine  bestimmte  Länge  besitzt,  die  den 
Eintritt  der  Sonne  in  den  Himmels-Aequator  bekundet,  und  dem  Ein- 
tritt der  kürzesten  Schattenlänge,  d.  h.  dem  Sommersanfang,  damals 
94 1/2  Tage  umfafste;  dafs  weiter  zwischen  dem  Eintritt  der  kürzesten 
Schattenlänge  und  der  Herbstnachtgleiche  92  */2  Tage  verflossen,  von 
da  bis  zur  grüfsesten  Schattenlängo  oder  dem  Winteranfang  nur  88, 
schliefslich  bis  zum  Frühlingsanfang  90  Tage  lagen,  während  doch  bei 
gleichmäfsiger  Vertheilung  der  385  ■/,  Tage,  nach  welchen  dieselben 
Schattenlängen- Verhältnisse  wieder  eintreten , auf  jede  Jahreszeit  91  '/4 
Tage  kommen  müssten.  Da  nun  aber  die  Länge  des  Weges,  welchen 
die  Sonne  im  Verlaufe  jeder  dieser  vier  Jahreszeiten,  im  Bogen  am 
Himmel  weiterschreitend,  zurücklegt,  eine  völlig  gleiche  ist,  so  liefs 
sich  diese  unzweifelhaft  beobachtete  Ungleichheit  der  Jahreszeiten  nur 
durch  eine  Ungleichförmigkeit  der  Bewegung  der  Sonne  in  ihrer  Bahn 
erklären,  d.  h.  sie  mufs  sich  im  Herbst  und  Winter  schneller  über  das 
Himmelsgewölbe  hinbewogen,  als  im  Frühling  und  Sommer. 

Aber  das  Axiom  von  der  völlig  gleichförmigen  Bewegung  der 
Himmelskörper,  das  mit  der  unauslöschlichen  Uoberzeugung  von  der 
absoluten  Vollkommenheit  der  himmlischen  Einrichtungen  eng  vor- 
wachsen war,  steokte,  ganz  besonders  da  es  Eudoxus  vorher  in  sei- 
nen homocentrischen  Sphären  so  scharfsinnig  zum  Ausdruck  und  zu 
allgemeiner  Anerkennung  gebracht  hatte,  zu  sehr  im  Fleisch  und  Blut 
des  allgemeinsten  Denkens,  als  dafs  sich  Hipparch  auf  Grund  der 
gemachten  Wahrnehmung  von  der  Ungleichheit  der  Jahreszeiten  allein 
hätte  entschliefsen  können,  nn  eine  so  fundamentale  Umwälzung,  wie 
sie  die  Wegräumung  des  Axioms  von  der  Bewegung  im  Kreise  hor- 
vorgerufen  hätte,  zu  denken,  und  er  that  dies  um  so  weniger,  als  es 
noch  eine  andere  Auskunft  gab,  die  seltsame  Thatsache  zu  erklären. 

Wenn  man  nämlich  die  Bewegungen  der  Sonne  gleichförmig 
schnell  und  im  Kreise,  dagegen  um  einen  Mittelpunkt  vor  sich  gehen 
läfst,  der  nicht  mit  dem  Mittelpunkt  der  Erde  zusammenfällt,  sondern 
ganz  außerhalb  der  Erde  irgendwo  im  freien  Baum  liegt,  so  wird  in 


:)36 


der  Tliul  eine  solche  Bewegung  uns  ungleichförmig  schnell  erscheinen 
und  zwar  schneller,  wenn  sich  die  Sonne  in  dem  Theile  des  Kreises 
bewegt,  welchem  die  Knie  näher  steht,  und  langsamer  im  entgegen- 
gesetzten. Die  beigegehene  Zeichnung  winl  das  unmittelbar  erkennen 
lassen.  In  dieser  Zeichnung  befindet  sich  der  Mittelpunkt  der  Sonneu- 
bowegung  da,  wo  sich  die  gestrichelten  Linien  kreuzen,  während  die 
Krde  an  der  Stelle  gedacht  ist,  wo  die  ausgezogenen  Linien  Zusammen- 
treffen. Es  ist  auch  leicht  einzusehen,  dafe  man  aus  der  wirklich 
beobachteten  Veränderlichkeit  der  Bewegungsgeschwindigkeit  durch 
Ausprobiren  den  richtigen  Punkt  innerhalb  des  Kreises  ausfindig 
machen  kann,  von  welchem  aus  gesehen  unter  der  vorausgesetzten 
Hypothese  der  un  sich  gleichförmig  schnellen  Bewegung  im  Kreise, 
die  beobachteten  Bewegnngseigenthiimlichkeiten  wirklich  hervortreten. 
Hipparch  hat  das  damals  ausgeführt.  Er  nannte  dabei  die  Richtungs- 
linie, welche  den  Mittelpunkt  der  Sonnenbahn  mit  dem  Mittelpunkte 
der  Erde  verbindet,  die  Apsidenlinie.  Der  der  Erde  nächste  Punkt 


. fn  m w er- 
S-1-  eaeei  /rer  '''* 


der  Sonnenliahn,  in 
welchem  folglich  die 
Apsidenlinie  die 
Sonnen  bah  n schnei- 
det, wurde  das  Pe- 
rigäum, d.  h.  Erd- 
nähe, der  genau  ge- 
genüberliegende 
Apogäum,  d.  h.  Erd- 
ferne, genannt.  Die 
auf  der  Apsidenlinie 
gemessene  Entfer- 
nung des  Mittel- 
punktes derSonnen- 
bahn  vom  Mittel- 
punkte der  Erde,  in 
Theilen  des  Halb- 
messers der  Bahn 
angegeben,  nannte  man  die  Excentrizität  der  Bahn,  endlich  die  zu  einem 
bestimmten  Momente  stattfindende  Winkelentfernung  der  Sonne  von 
dem  Perigäum  die  wahre  Anomalie,  die  Winkelentfernung  dagegen, 
welche  sie  von  dem  Mittelpunkte  ihrer  Kreisbewegung  aus  einnimmt, 
die  mittlere  Anomalie.  Alle  diese  Ausdrücke  haben  sich  im  astrono- 
mischen Sprachgebrauch  erhalten.  Man  kann  sich  durch  die  hier 


//  < 

fitottn  enw+tt  e/ e 

Ungleichheit  der  Jahreszeiten  nach  Hipparch. 


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337 


beigegebene,  übrigens  nur  ganz  schematische,  die  wirklichen  Ver- 
hältnisse übertreibende  Zeichnung  über  diese  Benennungen  leicht 
orientiren. 

Als  Hipparch  auf  diese  Art  die  Erde  aus  dem  Mittelpunkte 
der  Bewegung  hinausrückte,  ahnte  er  wohl  nicht,  von  wie  fundamen- 
taler Wichtigkeit  dieser  Gedanke  war,  mit  welchem  er  den  ersten 
Schritt,  der  ja  gewöhnlich  der  schwierigste  ist,  zur  Ueberwindung  des 
alten  Dogmas  von  der  dominirenden  Stellung  der  Erde  im  Mittel- 
punkte des  Weltalls,  getlian  hatte.  Die  Kraft,  welche  die  Himmels- 
körper in  mächtigem  Schwunge  über  das  Firmament  hinführt,  ging 
also  nach  seiner  Ueberzeugung  nicht  mehr  vom  Körper  der  Erde  aus. 
und  schwerlich  konnte  man  einen  Mechanismus  ausdenken,  welcher 
etwa  in  der  Art  wie  die  Sphären  des  Eudoxus,  an  festen  Axen  mit 
dem  ruhenden  Körper  der  Erde  verbunden  und  von  ihr  aus  regiert 
wurde,  so  bald  man,  wie  Hipparch  es  wirklich  that,  den  Mittel- 
punkt dieser  Bewegung  irgendwo  in  den  leeren  Kaum  verlegte,  in 
einen  Punkt,  der  in  keinerlei  materieller  Verbindung  mit  der  Erde, 
dem  vermeintlichen  Centrum  der  Welt,  stand.  Denn  ich  füge  hier 
gleich  hinzu,  dafs  Hipparch  auch  Tür  den  Mond  solche  ungleich- 
förmigen Bewegungen  sehr  bald  nachwies  und  dem  zufolge  auch  dessen 
Kreisbahn  gegen  das  Erdcentrum  verschob  und  also  auch  für  ihn 
die  Richtung  der  Apsidenlinie,  die  Excentrizitüt,  Peri-  und  Apogäum 
bestimmte  und  ähnliche  Eigentümlichkeiten  der  Bewegung  bei  den 
Planeten  wenigstens  vermuthete. 

Wenn  wir  uns,  einen  Augenblick  vorgreifend,  vergegenwärtigen, 
wie  die  Bewegungen  der  Planeten  nach  den  mathematisch  strengen 
Beweisen,  von  denen  wir  erst  spater  erfahren  werden,  wirklich  ge- 
staltet sind,  wenn  wir  uns  also  die  Ellipsen  mit  ihren  grofsen  Axeu, 
die  mit  den  Apsidenlinien  identisch  sind,  und  ihre  Excentrizitüt  vor- 
stellen und  sie  mit  den  exoentrischen  Kreisen  des  Hipparch  ver- 
gleichen, so  sehen  wir  sofort  einen  wie  ungemein  wichtigen  Schritt 
dieser  grofse  Astronom  gegen  die  Wahrheit  hin  gemacht  hatte  und 
wie  ungemein  viel  ähnlicher  seine,  um  das  Jahr  200  vor  unserer 
Zeitrechnung  erdachte  Weltansicht  der  unsrigen  war,  als  der  etwa 
200  Jahre  vor  ihm  zur  Geltung  gekommenen  Ansicht  des  Eudoxus 
mit  ihrem  komplizirten  Sphärenbau.  Zwar  der  Urgrund  der  bewegen- 
den Kraft  rnufste  rüthselhafter  denn  je  erscheinen:  nur  die  Mechanik 
selbst,  diese  unerklärliche  Kraft  einmal  vorausgesetzt,  war  viel  durch- 
sichtiger geworden. 

Aber  wir  haben  den  grofsen  Hipparch  noch  von  einer  andern 


338 


Seite  zu  bewundern.  Er  wandte  sich,  nachdem  er  die  Bewegung  der 
Sonne  geregelt  zu  habon  glaubte,  dem  Monde  zu  und  erforschte  dessen 
Bewegung  mit  Hilfe  alter,  von  den  Babyloniern  ihm  überkommenen 
Mondfinsternisse,  die  über  500  Jahre  vor  ihm  i.  J.  720  und  719  v.  Ohr. 
stattgefunden  batten.  Wio  wir  wissen,  handelt  es  sich  beim  Mondo 
um  vier  verschiedene  Bewegungsarten,  nämlich  erstens  um  die  syno- 
disrhe  Bewegung,  d.  h.  die  regelmäfsige  Wiederkehr  des  Mondes  in 
die  gleiche  Lage  zur  Sonne,  zweitens  die  drakonische  Bewegung, 
welche  sich  auf  den  Durchgang  des  Mondes  durch  seinen  Knoten- 
punkt mit  der  Ekliptik  bezieht,  drittens  die  sogenannte  siderische 
Bewegung,  welche  die  Wiederkunft  des  Mondes  zu  demselben  Fix- 
sterne ausmifst  und  endlich  viertens  die  Bewegung  in  Bezug  auf 
die  Apsidenliuie  oder  die  jedesmalige  Zurückkunft  des  Mondes  in 
seine  grüfste  Erdnähe;  denn  auch  die  Richtung  der  gröfsten  Erd- 
nähe des  Mondes  blieb,  w'ie  Hipparch  bald  konstatireu  konnte,  ebenso 
wenig  wie  die  Lage  des  Knotens  in  der  Ekliptik  konstant,  sondern 
legte  regelmiifsig  nach  jedem  Umlaufe  des  Mondes  einen  bestimmten 
Weg  am  Himmelsgewölbe  zurück.  Nur  zeigte  es  sich  hier,  dafs  um- 
gekehrt wie  beim  Knoten,  die  Apsidenlinie  eine  vorschreitende  Be- 
wegung hatte.  Alle  diese  vier  Bewegungen  bestimmte  Hipparch 
mit  einer  für  seine  Zeit  ganz  bewundernswürdigen  Genauigkeit,  so 
dafs  derselbe  beispielsweise  den  Eintritt  der  Vollmonde  für  das  gegen- 
wärtige Jahr  1889  nach  Zugrundelegung  der  von  ihm  ermittelten 
Zahlen,  folglich  2000  Jahre  im  Vorhinein  rechnend,  um  kaum  einen 
Tag  falsch  bestimmt  haben  würde. 

Hipparch  begann  nun  auch  die  schon  auf  den  ersten  Blick 
ungemein  viel  komplizirteren  Bewegungen  der  Planeten  zu  unter- 
suchen, von  deren  eigenthümlichem  Laufe  über  die  Himmelsdecke 
hin  wir  im  vorigen  Kapitel  einige  Darstellungen  vor  Augen  gehabt 
haben.  Aber  es  blieb  seinem  ihm  geistig  ebenbürtigen  Nachfolger 
Ptolemäus  Vorbehalten,  hierüber  mehr  Klarheit  zu  verbreiten  und 
damit  wieder  einen  wesentlichen  Schritt  vorwärts  zu  thun. 

Das  Weltsystem  des  Ptol emäus,  welches  bis  zum  Auftreten  des 
Copcrnikus,  d.  h.  über  anderthalb  Jahrtausende  überall  unbestrittene 
Anerkennung  fand,  entwickelte  dieser  berühmte  alexandrinische  Geo- 
meter durchaus  auf  Grund  der  so  überaus  sorgfältigen  Beobachtungen 
und  Berechnungen  seines  Vorgängers  Hipparch  in  einem  grofsen 
Werke,  das  unter  dem  arabischen  Namen  Almagest  bis  zur  Zeit  des 
Copernikus  beinahe  als  eine  göttliche  Offenbarung  verehrt  wurde, 
an  deren  Aussprüchen  zu  zweifeln  fast  als  ein  Verbrechen  galt. 


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3:i«.t 

Ptolemiius  behielt  die  excentrischen  Kreise  des  Hipparch  un- 
verändert  bei,  liefs  aber  die  Planeten  (mit  Ausnahme  von  Sonne  und 
Mond,  die  ja  gleichfalls  damals  zu  den  Planeten  zählten)  nicht  direkt 
auf  den  Peripherien  dieser  Kreise  laufen,  sondern  bewegte  auf  diesem 
letztem  wieder  den  Mittelpunkt  eines  gröfsern  Kreises,  auf  welchem 
erst  der  Planet  wirklich  umlief.  Um  den  ganzen  Bewegungsmecha- 
nismus  durch  eine  möglichst  handgreifliche  Konstruktion  klar  zu 
machen,  erlaube  man  mir  folgende  Vergleichung. 

Man  befestige  im  Mittelpunkte  der  Erde  eine  verhältnil'smärsig 
kurze  Stange,  die  so  lang  ist  wie  die  Excentrizität  der  betreffenden 
II ipparchschen  Kreisbahn  eines  Planeten.  Diese  Stange  verbindet 
also  den  Mittelpunkt  der  Erdo  mit  dem  Mittelpunkt  jener  Kreisbahn, 
sie  liegt  genau  in  der  Richtung  der  Apsidenlinie  und  ist  ein  Theil 
derselben.  Am  äufsersten  Ende  dieser  Stange  befestige  man  die 
Speichen  eines  Ungeheuern  Rades,  das  so  grofs  ist  wie  die  Umlaufs- 
bahn eines  Planeten  nach  Hipparch.  Wenn  man  nun  auf  dein  Um- 
fange dieses  Rades  einen  Punkt  besonders  ins  Auge  fafst,  der  den 
Planeten  vorstellen  soll,  und  nun  das  Rad  um  jenen  äufsersten  Punkt 
der  Stange  dreht,  so  macht  dieser  Punkt  eine  Bowogung,  wie  Hipparch 
sie  bei  Sonne  und  Mond  vor- 
aussetzte; eine  gleichzeitige  lang- 
same Drehung  der  Stange  mitsamt 
dem  Ungeheuern  Rade  um  den 
Mittelpunkt  der  Erde  stellt  dann 
die  Bewegung  der  Apsidenlinie 
dar.  Wir  haben  gesehen,  dafs 
Hipparch  mit  dieser  Hiilfskon- 
struktion  wohl  bei  Sonne  und 
Mond,  jedoch  nicht  bei  den  Pla- 
neten auskam.  Die  Vervollkomm- 
nung seitens  des  Ptolemiius 
bestand  nun  darin,  auf  dem 

iiufsern  Rande  des  grofsen  Rades  Eplcykliwher  Ifcwegungsmechanlsmua. 
den  Mittelpunkt  eines  kleineren 

anzubringen,  so  dafs  dieser  Mittelpunkt  von  dem  grofsen  Rade  im 
Kreise  herumbewegt  wurde,  wie  früher  der  Planet.  Letzterer  kreisle 
erst  auf  der  Peripherie  dieses  kleinen  Rades  um.  Der  grofse  Kreis, 
dessen  Mittelpunkt  in  nicht  allzubedeutender  Entfernung  von  der  Erde 
nach  unserm  Vergleiche  an  der  die  Excentrizität  darstellenden  Stange 
befestigt  ist,  wurde  nach  Ptolemäus  der  Deferent,  der  kleinere  sich 

llitntnel  und  Erde.  I.  f-.  O’t 


auf  ihm  bewegende  Kreis,  welcher  den  Planeten  trug,  der  Epicykel 
und  danach  also  auch  die  Bewegung  eine  epicyklische  genannt. 

Die  Zeichnung  auf  der  vorangehenden  Seite  stellt  den  Mecha- 
nismus der  opicykliscben  Bewegung  in  jener  handgreiflichen  Iliilfs- 
konstruktion  dar,  welche  wir  zur  besseren  Anschauung  im  Vergleich 


mit  einem  menschlichen  Uhrwerk  vorhin  angewendet  haben.  Von 
den  beiden  sich  zu  Schleifen  verscherzenden  Kurvenlinien  auf  dieser 
und  der  folgenden  Seite  zeigt  nun  die  erste  die  Bewegung,  welche  der 
Planet  Mars  um  die  Erde  nach  Nlafsgabe  der  Plolemäischen  Epicykeln 
und  derjenigen  Zahlen  beschreiben  inufstu,  die  uns  für  die  betreffenden 
Verhältnisse  und  Geschwindigkeiten  von  jenem  grofsen  alexaudrini- 
schen  Gelehrten  überliefert  worden  sind.  Die  zweite,  auf  Seite  341 


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»41 


gegebene  Zeichnung  giebt  dagegen  die  wahre  Bewegung  dieses  selben 
Planeten,  auf  die  Erde  als  ruhenden  Punkt  bezogen,  wieder,  wie  sie  nach 
unserra  gegenwärtigen  besten  Wissen  in  den  Jahren  1888 — 90  stattfindet. 
Aus  der  Vergleichung  beider  sehen  wir  mit  Verwunderung,  wie  ungemein 
ähnlich  sich  beide  Kurven  sind  und  wie  richtig  bereits  P tole  maus  das 
Verhiiltnifs  der  wechselnden  Entfernungen  des  Planeten  zueinander 
aus  seiner  Theorie  entnehmen  konnte.  Im  wesentlichen  unterscheiden 
sielt  beide  Kurven  nur  dadurch,  dars  in  der  zweiten,  den  wirklichen 
Verhältnissen  entsprechenden,  die  zweite  Schleife  kleiner  ist  als  die 


erste,  während  nach  Ptolemäus  alle  Schleifen  nothwendig  gleich 
grors  werden  müssen.  Mit  der  Ursache  dieser  Ungleichheit  werden 
wir  uns  erst  später  zu  beschäftigen  haben.1) 

')  Dem  aufmerksamen  l.eser  inufs  es  aufYutlcn,  daf»  die  hier  wieder- 
gegebene, den  wahren  Verhältnissen  entsprechende  Schleifenbildung  des  Mars 
im  Jahre  18S8  derjenigen  der  Form  nach  keineswegs  entspricht,  welche  wir 
im  fünften  Hefte  Soito  30Ü  abgebildet  haben.  Mau  wolle  dabei  Folgendes  in 
Erwägung  ziehen.  Die  Schleifen,  wie  sie  liier  oben  gezeichnet  sind,  er- 
scheinen so  fiir  ein  Auge,  da»  senkrecht  auf  die  Ebene  der  Marsbahn  hin- 
schaut,  in  welcher  die  Bewegung  stnttfindot.  Fiele  nun  diese  Ebene  mit  der- 


•'54:! 


Es  gilt  nun  zunächst  diese  neuen  Entwickelungsphasen  der  An- 
schauung vom  Wcltgetriobe  auf  ihren  reformatorischen  Werth  zu 
prüfen.  Denn  wir  dürfen  nicht  aus  dem  Auge  verlieren,  dafs  es  hier 
nicht  unsere  Absicht  ist,  einen  Abrifs  der  Geschichte  der  Astronomie 
zu  geben,  sondern  dafs  wir  nur  scheinbar  zufällig  in  eine  Dar- 
stellung der  geschichtlichen  Entwickelung  hineingerathen  sind,  wäh- 
rend wir  eine  natürliche  Entwickelung  unserer  eigenen  Anschauung 
geben  wollten,  so  wie  sie  sich  nothwendig  gestalten  inufs,  indem  wir 
immer  neue  Fakten  der  Beobachtung  in  unsere  vorläufigen  Erklärungen 
einführen  und  diese  letzteren  dadurch  zu  modifiziren  gezwungen 
werden. 

Ich  betonte  besonders,  dafs  wir  nur  scheinbar  zufällig  in  diese 
Geschichtsparallele  bei  Verfolgung  dieser  Aufgabe  gerathen  sind,  denn 
es  ist  in  der  That  kein  Zweifel,  dafs  die  geschichtliche  Entwickelung 
der  exakten  Wissenschaft  eine  logisch  fortschreitende  Schlufskette 
bildet,  die  in  regelmäfsigem  Aufbau  immer  aufwärts,  und  niemals  in 
schwankendem  Gange  wieder  zeitlich  hinabsinkend  weiterschreiten 
unifste.  Man  könnte  deshalb  behaupten,  dafs,  wenn  es  auf  andern 
Weltkörpern  andere  denkende  Wesen  giebt,  welche  imstande  sind 
über  die  Erscheinungen  am  gestirnten  Himmel  nachzugrübeln,  die- 
selben eine  Geschichte  der  Astronomie  besitzen  müssen,  deren  Stufen- 
leiter derjenigen  in  allen  Hauptstücken  gleich  ist,  die  unsere  Erde 
sah.  Dean  diese  Wissenschaft  der  Sterne,  welche  uns  hier  beschäftigt, 
heftet  die  Gedanken  aufserirdischer  Wesen  an  die  nämlichen  Gegen- 
stände und  die  nämlichen  Bewegungen,  und  die  Gesetze  der  Logik, 
welche  in  dieser  erhabenen  Wissenschaft  ihre  strengste  und  unbe- 
dingteste Anwendung  finden  und  den  geschichtlichen  Aufbau  der 
Weltanschauungen  nothwendig  regeln,  herrschen  ja  unzweifelhaft  über- 
all, wo  Geister  denken.  Alle  diese  Sterne  über  uns  haben  also  ihren 


jelügen  zusammen,  in  welcher  sich  die  Krde  bewegt,  so  würden  wir  offenbar 
von  all  diesen  Schleifen  Überhaupt  nichts  sehen.  Es  würde  an  diesen  Stellen 
nur  ein  Hin-  und  wieder  Zurückgehen  des  Mars  von  uns  aus  bemerkbar  sein. 
Da  nun  aber  die  Marshalm  gegen  die  der  Erde  um  beinahe  2 ° geneigt  ist,  so 
sehen  wir,  je  nach  unserer  Stellung,  in  der  Bahn  die  Schleife  ein  klein  wenig 
von  oben  oder  von  unten,  jedoch  immer  noch  sehr  verkürzt.  Dieser  ver- 
kürzten Schleife,  wie  wir  sie  von  uns  aus  direkt  wahrnehmen,  entspricht  die 
Figur  im  vorangehenden  Heft. 

Es  sei  noch  hinzugefügt,  dafs  die  in  der  Zeichnung  auf  Seite  311  ange- 
gebenen Planetenorte  vom  1.  Januar  ISSS  angefangen  Intervalle  von  je  SU  Tagen 
zwischen  sich  haben. 


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34.) 

C operni  kus,  ihren  Kepler  und  New  Ion  oder  werden  ihn  einst- 
mals haben.  Denn  es  ist  kein  Zweifel,  dafs  dieselben  körperlichen 
Elemente  und  dieselben  Gesetze  der  Natur,  welche  erwiesenermafsen 
hier  und  in  den  fernsten  Gebieten  des  Universums  walten,  auoh  dort 
oben  überall,  wo  es  nur  möglich  ist,  die  schönste  Frucht  natürlicher 
Entwickelung,  den  Geist,  erzeugen,  so  wie  hier  unten  auf  Erden  die 
schallende  Natur  alles  umgriint  und  belebt,  wo  nur  ein  geringstes 
I’lätzchen  für  den  kleinsten  Keim  des  Lebendigen  sich  findet. 

Unter  diesem  Gesichtspunkte  der  Nothwendigkeit  auch  der  Pto- 
lemäischen  Kntwiokelungsstufe  des  Weltgedankens  prüfen  wir  also, 
tu  welchem  Sinne  dieselbe  der  Wahrheit  näher  kam. 

Ptolemäus  hatte  die  excentrischen  Kreise  des  Hipparch,  wie 
vorher  auseinandergesetzt,  unverändert  beibchalten,  wie  denn  nach 
dem  soeben  Entwickelten  in  der  astronomischen  Erkenntnifs  niemals 
ein  Glied,  das  der  Wahrheit  näher  kam,  wieder  verloren  gehen  konnte. 
Was  nun  Ptolemäus  darüber  hinaus  that,  indem  er  die  epic.vklischen 
Kreise  einführte,  erschoint  auf  den  ersten  Blick  wohl  eher  als  eine 
Entfernung  von  der  Wahrheit.  Dieses  komplizirto  Getriebe  von  zwei 
Bädern,  von  denen  die  Drehungsaxe  des  einen  durch  den  Umfang 
des  andern  herumgetragen  wird,  kommt  uns  in  der  That  recht  seltsam 
vor  und  eine  irgendwie  genügende  Erklärung  von  dem  Urgründe  der 
Bewegungen  war  ja  damit  selbstverständlich  nicht  gegeben,  über  den 
nachzudenken  wohl  damals  überhaupt  als  eine  gänzlich  unnütze  Mühe 
galt.  Hier  lag  also  das  Verdienst  des  Ptolemäus  nicht;  dasselbe  be- 
stand vielmehr  hauptsächlich  darin,  zunächst  mit  der  Ansicht  des 
.Sphärenbaues  endgiltig  aufgeräumt  zu  haben,  wenigstens  insoweit  die 
Planeten,  Sonne  und  Mond  inbegriffen,  in  Betracht  kamen;  denn  diese 
epic.vklischen  Kreise,  auf  welchen  sich  die  Planeten  bewegen  sollten, 
waren  mit  festen  durchsichtigen  Sphären,  an  welchen  diese  Himmels- 
körper nach  Eudoxus  und  den  älteru  Philosophen  geheftet  sein  soll- 
ten, gänzlich  unverträglich,  da  die  Kpicykeln  sie  bald  beträchtlich 
vor,  bald  um  ebensoviel  hinter  die  ursprünglichen  Sphären  führen 
mufsten,  welche  letzteren  bei  Hipparch  allenfalls  noch  im  Durchschnitt 
als  dessen  excentrische  Kreise  repriisentirt  sein  mochten.  Ptolemäus 
zertrümmerte  alle  diese  Sphären  der  Planeten  und  liefs  nur  jene  letzte 
gröfste  bestehen,  welche  an  der  Qrcnze  des  Weltalls  die  Schaar 
der  Fixsterne  trug,  deren  Bewegung  ja  auch  der  aufmerksameren 
Beobachtung  in  einem  genauen  Kreise  um  den  Mittelpunkt  der  Erde 
herum  vorzugehen  schien.  Ptolemäus  war  es  also,  dessen  Gedanken- 
gang es  zuerst  wagte  eine  freie  Bewegung  der  Himmelskörper  im 


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Räume  wenigstens  zu  ahnen,  oder  denselben  doch  die  Wege  bahnte, 
und  in  dieser  Beziehung  war  seine  Lehre  von  ungemein  relbrtna- 
toriseher  Bedeutung;  er  hatte  die  alten  starren  Formen  zerschlagen 
und  erüfl'neto  dadurch  einer  freieren  Spekulation  neue  grundlegende 
(iesichtspunkte. 

Hin  fernerer  grofser  Vorzug  des  Ptulemüischen  Systems  lag  in 
seiner  grofsen  < ieschmeidigkeit,  welche  es  erlaubte  alle  neuen  That- 
sachen  der  Beobachtung  in  dasselbe  einzufügen,  indem  nmn  entweder 
die  Excentrizität  oder  den  Halbmesser  des  Deferenten  oder  die  Gröfse 
des  epicyklischen  Kreise«,  je  nach  den  Erfahrungen  der  Beobachtung, 
beständig  modiBzirle.  Auch  die  bald  entdeckte  Neigung  der  Planeten- 
bahnen, d.  h.  die  Abweichung  ihrer  mittleren  Bewegungsrichtung  von  der 
Bahn,  welche  die  Könne  jährlich  am  Himmel  zuriicklrgt,  konnte  diesem 
Kystem  begreiflicherweise  keine  Schwierigkeiten  bieten,  da  man  auch 
diese  Erscheinung  leicht  erzeugen  konnte,  indem  man  entweder  dem  Kpi- 
cykel  oder  dem  Deferenten  entsprechende  Neigung  zur  Ekliptik  gab. 
Mit  einem  Worte,  das  Ptolemäische  Kystem  war  im  stamle,  alle  himm- 
lischen Bewegungen,  so  weit  sie  damals  bekannt  waren,  treu  wieder- 
zngeben.  Man  hätte  ein  kunstvolles  Uhrwerk  nach  diesem  (iedanken 
erfinden  können,  das,  indem  jedes  seiner  Räder  sich  völlig  gleich- 
tnäfsig  schnell  bewegte,  die  scheinbar  ungleichförmige  und  Schleifen 
bildende  Bewegung  der  Planeten  ausführte.  Das  System  erfüllte  also 
durchaus  seinen  Zweck  und  war  überhaupt  das  denkbar  beste  für 
die  geistige  Höhenstufe  der  damaligen  Zeit,  ja  konnte  sogar  noch  für 
viele  kommende  Jahrhunderte  völlig  genügen. 

Dieser  Geschmeidigkeit  verdankt  das  Ptolemäische  System  sein 
langes  Leben.  Man  konnte  mit  Hilfe  der  sich  immer  mehr  verfeinern- 
den Beobachtuugskunst  und  der  sich  gleichzeitig  vervollkommnenden 
Methoden  der  mathematischen  Deduktion  und  der  numerischen  Rech- 
nung diesen  künstlichen  Ran  des  himmlischen  Uhrwerks  immer  sub- 
tiler und  komplizirter  gestalten,  ohne  jemals  auf  eine  unüberwindliche 
Schwierigkeit  zu  storsen,  wenigstens  so  lange  nicht  durch  die  Ent- 
deckung des  Fernrohrs  Messungen  so  feiner  Art  möglich  geworden 
waren,  dafs  dieselben  uns  auf  direktem  Woge  über  die  Entfernungen 
der  Himmelskörper  Aufscblufs  gaben.  Hierdurch  allein  konnten  die 
ersten  völlig  logisch  begründeten  Widersprüche  gegen  dieses  System 
auftreten,  wie  wir  späterhin  sehen  werden. 

So  war  es  denn  begreiflich,  dafs  das  Ptolemäische  System  den 
Verfall  der  berühmten  Universität  von  Alexandrien  lebenskräftig  über- 
dauerte und  von  den  rohen  muhanimedanisclien  Eroberern  Egyptens. 


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welche  die  Religion  des  Kaufmanns  von  Mekka  der  Welt  mit  ihrem 
Schwerte  aufdringeu  wollten,  mit  hinübergenommen  wurde  nach  Bag- 
dad, wo  die  Eroberer  sich  sehr  bald  an  der  hohen  Bildung  der  von 
ihnen  besiegten  und  hinsinkenden  hellenischen  Nation  selbst  civilisir- 
ten,  ja  sogar  bald  mit  ganz  bewundernswürdiger  Em pfiinglich keil  und 
Begeisterung  an  den  überkommenen  (leisteswerken  \veiter  arbeiteten. 
So  wird  als  charakteristischer  Zug  erzählt,  dafs  der  780  geborene 
Kalif  Al  Main  um  als  Friedensbedinguiig  dem  überwundenen  griechi- 
schen Kaiser  Michael  II.  die  Uebergabe  sämtlicher  in  seinem  Besitz 
befindlichen  griechischen  Manuscripte  stellte,  um  dieselben  übersetzen 
lassen  zu  können.  Unter  denselben  befand  sich  auch  das  mehrfach 
erwähnte  grofse  Werk  des  Ptolemiius,  das  damals  Sy n tax is  oder 
Magna  Constructio  überschrieben  war,  uns  aber  zunächst  nur  durch 
die  Fürsorge  eben  dieses  Kalifen  in  arabischem  Texte  mit  dem  ara- 
bischen Titel  Almagest  erhalten  blieb. 

Dieser  und  die  folgenden  Kalifen  errichteten  nun  bald  wirkliche 
Sternwarten  und  stellten  Astronomen  an,  welche  ausschlicfslich  die 
Aufgabe  hatten,  dein  Getriebe  der  himmlischen  Bewegungen  weiter 
nachzuforschen,  d.  h.  das  1‘tolemäisohe  System  auszubauen. 

Die  Araber  trugen  ihrerseits  die  ihnen  von  den  Griechen  über- 
kommene C'ivilisation  in  die  von  ihnen  unterjochten  Lande,  ganz  be- 
sonders auch  nach  Spanien,  wo  am  Hofe  zu  Toledo  bald  die  edlen 
Könige  eifrige  Verehrer  der  astronomischen  Wissenschaft  wurden. 
Hier  interessirte  sich  auch  der  unglückliche  Alphons  X.  vonCasti- 
lien,  der  von  1223 — 84  lebte,  fiir  die  hohe  Sternkunde  und  liefe  mit 
ungeheurem  Aufwandc  die  nach  ihm  benannten  alphonsinisohen  Tafeln 
der  l’lanelenbewegung  berechnen,  welche  nach  Zugrundelegung  des 
Plolemäischen  Systems  die  Vorausbestimniung  der  Oerter  aller  beweg- 
lichen himmlischen  Körper  für  einen  beliebig  gewählten  Zeitmoment 
gestatteten. 

Aber  die  himmlische  Maschine  hatte  sich  inzwischen  unter  den 
Händen  der  mit  so  grofsem  Eifer  beobachtenden  und  rechnenden  Astro- 
nomen durch  die  Uebereinanderselzung  immer  neuer  epicyklischer 
Kreise,  welche  zur  Ausgleichung  neu  entdeckter  Ungleichheiten  der 
Bewegung  dienen  sollten,  so  ungemein  verwickelt,  dafe  König  Alphons, 
als  ihm  die  gelehrten  Astronomen  bei  Uoberroichung  der  Tafeln  diese 
Maschine  erklärten,  in  begreiflichem  Unwillen  die  fiir  ihn  verhäng- 
nifsvollen  Worte  aussprach:  „Wenn  mich  Gott  bei  Erschaffung  der 
Welt  zu  Kalbe  gezogen  hätte,  so  würde  ich  ihm  gröfecre  Einfachheit 


empfohlen  haben.“  Dieser  unbesonnene  Ausspruch  wurde  von  den 
Feinden  des  .weisen“  Königs,  als  sich  ein  Aufsland  gegen  ihn  erho- 
ben hatte,  benutzt,  um  ihn  der  Gotteslästerung  zu  zeihen. 

So  mufste  dieser  erste  königliche  Zweifler  an  dem  Ptolemäiscben 
Weltsystem  zum  Lohn  für  seine  Kritik  vom  Throne  seiner  Väter 
herabateigen  und  starb  verlassen  von  all  seinen  Getreuen  in  der  Ver- 
bannung zu  Sevilla. 


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Der  Ausbruch  des  Krakatau  am  20.  Mai  1883. 

Nach  einer  Photographie  von  01  of  Winkler. 


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Die  Ausbrüche  de*  Krakatau  im  Jahre  1883. 

Von  Dr.  R.  Beck,  Scctionsgeolog  in  Leipzig;  mit  Bildern  von  ülof  Winkler 

in  Dresden. 

Kein  vulkanisches  Ereiguifs  in  alter  und  neuer  Zeit  hat  so  allgemeine 
Aufmerksamkeit  hervorgerufen,  wie  die  grofse  Katastrophe  in  der  Sundastrasse 
vom  Jahre  1883.  Nicht  nur  erregten  diese  allgemeine  Theilnahme  die  furcht- 
baren Verluste  au  Menschenleben,  welche  jene  Eruption  in  der  nächsten  Um- 
gebung ihres  Heerdes  veranlafste,  sondern  auch  die  merkwürdigen  Erschei- 
nungen, welche  im  Gefolge  derselben  im  Ozean  und  im  Luflmeer  über  das 
ganze  Erdenrund  hin  verspürt  wurden.  Wie  voraus  zu  sehen  war,  warf  sich 
sofort  die  Wissenschaft  mit  vollem  Eifer  auf  die  Erforschung  eines  so  tief  ein- 
greifenden Ereignisses.  Der  Mittelpunkt  dieser  höchst  ergebnifareichen  und 
vielseitig  anregenden  Studien  ist  das  ira  Aufträge  der  niederländischen  Regie- 
rung verfafste  Werk  von  R.D.M.  Verbeek  .Krakatau",  Batavia  1885— 86,  welches 
den  Ausbruch  und  seine  Wirkungen  im  weitesten  Sinne  und  besonders  in  geo- 
logischer Beziehung  erschöpfend  behandelt.  Aus  den  dort  gegebenen  ausführ- 
lichen Angaben  versuchen  wir,  eine  kurze  Schilderung  der  Eruption  zu  entwerfen, 
während  die  ganz  eigenartigen  Gefolgeerschcinungen,  welche  beispielsweise 
als  .Nebelglülicn*  so  allgemein  auffällig  wurden,  von  anderer  Seite  in  einem 
der  nächsten  Hefte  dieser  Zeitschrift  behandelt  werden  sollen. 

Verlängert  man  die  Linien  der  langen  Vulkanreihen  von  Sumatra  und 
Java,  so  bezeichnet  der  Schnittpunkt  derselben  die  Luge  der  Insel  Krakatau 
im  Eingang  zur  Sundastrafse.  Auch  eine  dritte  Linie,  auf  welcher  die  vulka- 
nischen Inseln  Poeloe  Tiga,  Seboekoe  und  Sebesi  liegen,  schneidet  in  ihrer 
südlichen  Verlängerung  die  Insel  Krakatau.  Somit  ist  dio  Lage  dieses  Punktes, 
wo  drei  vulkanische  Spalten  der  Erdkruste  siel»  vereinen,  von  vornherein  l»e- 
dcutungsvoll.  Dennoch  hatte  die  Insel  in  historischer  Zeit  bisher  nur  einmal, 
1680,  eine  unbedeutende  Eruption  erlebt.  Mun  beachtete  deshalb  kaum  noch 
diesen  scheinbar  erloschenen  Vulkan,  der  ohnedies  gegenüber  den  mächtigen 
Feuerbergen  der  naben  Küsten  nur  ein  Zwerg  war.  Vor  Ablauf  der  Ereignisse, 
welche  nach  dieser  langen  Ruhe  und  so  unvorhergesehen  um  so  erschütternder 
wirkten,  war  der  Zustand  der  Insel  Krakatau  der  folgende. 

Krakatau  war  die  weitaus  gröfste  einer  aus  vier  Inseln  bestehenden 
Gruppe.  Auf  dom  33  Cjkm  grofsen,  von  üppigen  Wäldern  bedeckten  Eiland, 
welches  nur  vorübergehend  von  Fischern  besucht  wurde,  konnte  man  drei 
Berggruppen  unterscheiden.  Alle  überragte  am  Südende  der  über  800  m hohe 
steile  Kegel  des  eigentlichen  Krakatau,  für  «len  wir  mit  Verbeek  im  Gegensatz 
zur  Bezeichnung  der  gesammten  Insel  die  unverdorbene  malay Ische  Form  des 
Wortes  Rakuta  beibehalten  mögen.  An  den  Pik  Itukäta.  der  den  Schiffern  als 
weithin  sichtbare  Lundmarke  dient,  schlofs  sich  nach  Norden  zu  eine  Dannu 
genannte  niedrige  Berggruppe.  Das  Nordwestende  der  Insel  endlich  nahm 


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pin  höckerig  erscheinendes  Hügelland  mit  vielen  niedrigen  Gipfeln  ein,  Per- 
hocwatan  genannt  Hier  ragte  fast  kahl  inmitten  des  üppigen  Urwaldes  ein 
Liivastrom  hervor,  der  wahrscheinlich  jener  letzten  Eruptiou  von  Ifr'M)  ent- 
stammte. Porbocwatan  gegenüber  lag  die  Insel  Vertaten  Kiland  und  die  viel 
kleinere  Poolsche  Hoed,  dicht  nordöstlich  an  Krakatau  dagegen  das  kleine  Lau«: 
Eiland.  Sämmtüche  Inseln  sind  durchaus  aus  vulkanischem  Gestein  ftufgehatit. 
Hei  der  Untersuchung  der  Lagerung» Verhältnisse  desselben  entrollte  sieh  Verbeek 
folgendes  Bild  von  der  Geschichte  dieser  Inselgruppe,  welche«  wir  zum  Yff» 
stämlnife  der  neuesten  Eruption  kennen  müssen. 

Im  Anfang  wurden  aus  einem  in  der  Mitte  der  naciTraaligen  Inselgrupi«* 
gelegenen,  zunächst  submarinen  Krater  Lavaströme  und  lose  Auswurfsmassm 
von  Hypersthen-Andesit  ausgestofsen,  durch  welche  nach  und  nach  ein  hoher 


Karte  der  Insel  Krakatau  vor  und  nach  der  Eruption  vom  26.  August  1S83. 


Vulkankegel  aufgethürmt  wurde.  Nach  einem  letzten  grofsen  Ausbruch  stürzte 
dieser  in  sich  zusammen.  Nur  sein  ringförmige«  Eu ragestell  blieb  stehen.  Als 
höchste  Punkte  dieses  alten  Kraterrrandcs,  den  mau  durch  Somliniugen  unter- 
seeisch sehr  gut  weitervcrfolgen  konnte,  ragen  Vertaten  Eiland.  Lang  Kiland 
und  Poolsche  Hoed  aus  dem  Meere  empor.  Der  Durchmesser  dieses  mächtigen 
Einsturzkrater*  l>eträgt  mindestens  7 Kilometer.  Kr  erreicht  hierin  noch  nicht 
die  mächtigen  Einsturzkrater  Tenggor  und  Mnnindjoe  auf  Sumatra,  welche  di« 
gröfsten  der  Erde  sind.  Auf  der  hier  beigegebenen  Karte  zeigt  der  gestrichelte 
Kreis  den  ungefähren  Umfang  dieses  alten  Kraters  nach  den  Angaben  de« 
grofsen  von  der  Royal  Society  in  London  heraiisgegobenen  Werkes  über  die 
Krakatoa  Eruption.  •) 

Nach  diesem  Einsturz  öffnete  sich  ganz  unabhängig  vom  vorigen  Krater 
ein  zweiter  peripherisch  gelegener  Sehlund  zu  einer  Seiteneruption,  welche 

•)  Sich«  Tbc  Kriijitim»  of  Krakato*.  KdiUsl  l>>*  O.  J.  Syiaons.  l<ondon  IMS,  Sri!«*  4 u.  Si 
Kr  sei  noch  bcmcrkl.  daf*  dir  Engländer  Krakatoa,  die  Holländer  Krakatau  schreiben. 


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ganz  anderes  Gestein,  nämlich  Feldspath-Basalt  lieferte.  Das  wichtigste  Unter* 
w •heidungsmerkmal  desselben  gegenüber  dem  Attdesit  ist  der  Gehalt  an  Olivin. 
Dieser  lateralen  Eruption  verdankt  der  Pik  Hakata,  dessen  inneren  Aufbau  wir 
später  kennen  lernen  werden,  seinen  Ursprung.  Dieser  Ausbruch  war  nur  ein 
Zwischenspiel  in  der  Entstehungsgeschichte  des  Hauptvulkans,  und  obwohl 
Pik  Hakata  jetzt  die  höchste  Erhebung  der  Insel  darstellt,  ist  er  doch  eigentlich 
nur  ein  illegitimer  Parasit  daselbst. 

Später  regten  sich  die  centralen  Gewalten  von  neuem  und  erholten  sich 
von  ihrer  Erschöpfung.  Wiederum  begannen  Eruptionen  aus  dem  Hvpersthen- 
Andesit  liefernden  Heerd.  Sie  erfolgten  aus  den  Kratern  des  Datum  und  Per- 
boewatuu  wahrscbeinl  c!i  zu  wiedelholten,  zeitlich  weit  auseinander  liegenden 
Malen,  zuletzt  im  Jahre  DISO.  Die  Aufschüttung  der  letztgenannten  ßerggruppc n 
war  ihre  Folge.  Krakatau  bestand  darum  hierauf  gerade  wie  das  Vesuvgibirge 
aus  einem  älteren  Hing,  einem  Einsturzkruter,  der  dem  Monte  Somma  entspricht, 
und  aus  jüngeren  centralen  Kratern,  die  dem  eigentlichen  Vesuv  entsprechen 
Noch  mehr  fällt  die  Aehnlirhkeit  mit  Santorin,  der  bekannten  Cykladeninsd, 
ins  Auge,  wo  die  Hauptinsel  Thora  und  die  kleineien  Therasia  und  Asproufsi 
den  zerrissenen  Rand  eines  alten  Einsturzkraters  darstellen,  während  im  Centruin 
die  Kaymeui-luscln  als  Gipfel  jüngerer  Eruptionskegel  sieh  erheben. 

So  war  die  I-age  der  Dinge  auf  Krakatau  bis  zum  verhängnifsvollen 
Jahr©  INS:).  Die  Ereignisse  desselben  zerfallen  in  das  am  20.  Mai  beginnende 
Vorspiel  und  in  die  grofse  Katastrophe  selbst,  die  am  27.  August  eintrat. 

An  Bord  vorbeifahrender  Schiffe  sah  man  am  20.  Mai  eine  ungeheure 
weite©  Dampfsäule,  deren  Höhe  zu  UO  hi  m gemessen  wurde,  der  Insel  Krakatau 
entsteigen.  Bald  mischten  sich  schw*arze  Wolken  in  die  Da  in  p firnissen  und 
ein  Regen  von  feiner  Asche  bederkte  die  Schiffe.  Die  Sonne  erschien  blau  am 
verdunkelten  Himmel.  Ein  unaufhörliches  Geknatter,  wie  ganz  nahes  Mitrail- 
lensenfeuer,  wurde  von  der  Insel  her  vernommen.  Als  der  Donner  des  Aus- 
bruchs am  stärksten  war.  hurte  mun  ihn  bis  auf  3.V)  km  Entfernung.  Abends 
sah  mun,  wie  Blitze  unaufhörlich  die  Pinienwolke  erleuchteten  Am  £0.  Mai 
brach  von  Batavia  eine  kleine  Expedition  nach  Krakatau  auf;  man  landete  und 
einig«’  beherzte  Männer  drangen  kühn  bis  nahe  an  den  eigentlichen  Heerd  der 
immer  noch  im  Gang«*  befindlichen  Eruption  vor.  Der  Krater  befand  sich  am  Fufsc 
des  Perboewatan  und  glich  einer  hufeisenförmigen,  von  hoben  Lavawänden  um- 
gebenen Vertiefung.  Mit  donnerndem  Geräusch  wirbelte  die  Rauchsäule  aus  ihm 
enijKir.  breitete  sich  zur  Pinie  aus  und  liefs  in  unmittelbarer  Nähe  ihre  Ladung 
von  Binistein.  weiter  entfernt  die  feinere  Asche  fallen,  von  der  damals  schon  der 
grüfste  Theil  von  Ki*akatau  und  ganz  Vertaten  Eiland  mit  dieken  Schichten 
bedeckt  war.  Nach  einer  zu  dieser  Zeit  von  Jul.  Hamburg  aus  Batavia  auf- 
genom menen  Photographie  ist  unser  erstes  (Titel-)  Bild  ausgeführt.  Hinter  der 
vorliegenden  Wand  von  Vertaten  Eiland  sieht  man  den  Krater  am  Perboewatan  in 
voller Thätigkeit.  Derdamals  herrschende östwiml  verweht  die  Aschenwolken.  Im 
Hintergrund  zur  Linken,  abseits  vom  Schauplatz  der  Eruption,  erbebt  sieb  der 
Pik  Rakäta.  Di  eso  Asehenausbrticlie  hielten  mit  wechselnder  Heftigkeit  bis 
zum  August  an,  und  zwar  war  vom  21.  Juni  ab  zeitweilig  aufser  den»  Perboe- 
watan noch  ein  zweiter  Krater,  am  Dunau  gelegen,  in  Thiitigkeil.  — Immer 
furchtbarer  dräuten  die  unterirdischen  Gewalten.  Am  20.  August  Nachmittags 
l»egann  man  in  Batavia,  wie  überall  in  ganz  West-Java,  das  Grollen  eines 
neuen,  grösseren  Ausbruches  vom  Krakatau  her  zu  vernehmen,  welches  sich 
Nachts  bis  zur  Stärke  ganz  nahen  Artilleriefcuers  steigeile.  Die  Luft  erzitterte 
unausgesetzt  von  kurzen  Schwingungen,  die  das  Huusgerülh,  soweit  es  nicht 
uiet-  und  nagelfest,  in  klappernde  Bewegung  versetzten,  sodafs  Niemand  unter 


350 

dem  unheimlichen  Eindrücke  dieser  Geräusche  zu  schlafen  vermochte.  Am 
Morgen  des  27.  August  um  7 Uhr  scheuchte  eine  furchtbare  Detonation  die 
Letzten«  welche  noch  zu  ruhen  versuchten,  vom  Lager.  Der  Kalk  fiel  von  den 
Wänden,  Fenster  schlugen  auf,  und  allgemach  begann  es  zu  dunkeln,  bis  nach 
10  Uhr  tiefe  Finsternifs  herrschte,  während  das  ferne  Geräusch  allmählich 
verstummte.  Bei  Buitenzorg  sah  Verbeck,  wie  «ich  zuerst  eine  Wamerd&mpf* 
schiebt  herabsenkte,  auf  welche  zunächst  ein  liegen  von  feuchter,  daun  von 
trockener  Asche  folgte. 

Mit  Bangen  und  Zagen  verfolgte  man  zu  Bataviu  die  Kutwickelung  der 
Ereignisse.  Noch  wusste  man  nicht,  wo  der  Schauplatz  dieses  neuen  vul- 
kanischen Ausbruches  sich  befand.  War  es  einer  der  südlich  von  Batavia  auf 
Java  selbst  gelegenen  Vulkane,  der  in  so. entsetzlicher  Weise  seine  Eruption 
aiikümligteV  Oder  kamen  die  furchtbaren  Töne  wieder  von  dem  fernen  Kra- 
katau? Man  konnte  es  nicht  glauben.  Und  doch  war  diese  weit  abgelegene 
Insel  der  Schauplatz  des  gigantischen  Ringens  entfesselter  Naturkrifte,  deren 
Kampfgetöse  man  vernahm.  Was  war  auf  dem  kleinen  Eiland  geschehen  ' 
Es  mag  hier  die  lebhafte  Schilderung  des  Herausgebers  gegenwärtiger  Zeit- 
schrift folgen,  welche  derselbe  in  einer  Sammlung  feuilletonistiseher  Aufsätze 
veröffentlichte  (Spaziergänge  etc.,  Wien  1885,  Seite  10*2  u.  f.) : 

„Das  ist  ein  unbeschreiblich  furchtbarer  Kampf  der  beulen  feindseligen 
Elemente,  zwischen  Feuer  und  Wasser  gewesen,  als  der  Vulkan  inmitten 
seiner  entsetzlichen  Arbeit,  durch  diese  selbst  unterwühlt,  in  sich  zusammen  - 
fiel  und  feuerspeiend  unter  das  Meer  versank.  Das  Wasser  stürzte  mit  gieriger 
Wuth  in  den  glühend  flüssigen  Schlund  hinab;  zischend  und  brodelnd  ver- 
wandelte es  sich  augenblicklich  in  ungeheuere  Dampfmengen,  die  in  mächtiger 
Dampfspannung  sich  mit  dröhnendem  Krache  befreiten,  Feuer,  flüssige  Lava, 
glühende  Steine  und  ein  grosses  Stück  Meer  mit  sieh  zu  den  Wolken  eiupor- 
schleudenid.  Feuerströme  stiegen  vom  Himmel  auf  und  ab,  und  nur  sie  er- 
leuchteten die  schwarze  Nacht,  die  statt  sonnigen  tropischen  Tages  erstickend 

schwer  über  Lund  und  Meer  lagerte Vra  folgenden  Morgen  giug  in 

Batavia  die  Sonne  verhüllt  in  rostig  blutiger  Farbe  auf.  Schwarze  Rauch- 
wolken stürmten  in  immer  dichteren  Schaaren  vom  westlichen  Horizont  herauf 
Ein  schwerer  Regen  von  Asche,  Schwefel  und  Staub  fiel  über  die  Stadt  herab 
und  um  Mittag  war  sie  in  undurchdringliche  Dunkelheit  gehüllt.  Jede  Be- 
schäftigung stockte.  Eingeborene  und  Europäer  wurden  von  Furcht  und  Ent- 
setzen ergriffen.  Um  diese  Zeit  strömte  eine  17  Fufs  hohe  Welle  vom  Meere 
ins  Land  hinein  und  hiefs  die  Flüsse  zurück  zu  ihren  Quellen  llicfeen.  Zwei 
Stunden  später  kam  eine  zweitu  und  höhere  Welle.  Sechs  und  dreifsig  Stunden 
laug  blieb  Batavia  in  Dunkelheit  gehüllt.  Das  ist  ein  Bericht  von  der  un- 
mittelbaren Wirkung  der  Katastrophe  aus  zwanzig  geographischen  Meilen  Ent- 
fernung  - 

Weit  schlimmer  erging  es  indefs  den  näher  au  der  Ausbruchstelle  ge- 
logenen Gegenden.  In  Serang  fielen  erst  Bimsteinbrocken,  dann  Asche,  welche 
zu  einem  völligen  grauen  Schlamm  durchweicht  war,  endlich  die  trockene 
Asche,  die  auch  hier  bis  *2  Uhr  tiefe  Finslcmifs  verbreitete.  An  einzelnen 
Orten,  wie  zu  Tjanti  auf  Sumatra  war  die  nach  Schwefel  riechende  Asche  so 
heifs,  dafs  sie  auf  der  Haut  Brandwunden  erzeugte.  Hier  erschien  der  darauf 
folgende  Schlanimregen  fast  wie  eine  Erquickung. 

Die  wichtigsten  Aufzeichnungen  über  die  damaligen  Ereignisse  worden 
auf  Schiffen  gemacht,  die  sich  gerade  in  der  Sundastrafse  befanden.  Den  Be- 
ginn des  Ausbruchs  konnte  man  am  Nachmittag  des  2(1  August  von  der 
„Medea*  aus  beobachten  und  hierbei  die  Höhe  der  Rauchsäule  auf  27  km  ab- 


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schätzen.  Ueher  den  weiteren  Verlauf  berichtet  Kapitän  Wstson  vom  Schiffe 
„Charles  Bai*,  welches  am  26.  August  um  5 Uhr  Nachmittags  von  einem  Hagel 
heifser  Bimsteinstücke  überschüttet  wurde,  dem  ein  Aschenregen  folgt««.  Abends 
sah  er  von  der  elf  englische  Meilen  entfernten  Insel  Krakatau  unter  furchtbarem 
Getöse  Feuerstreife n auf-  und  absteigen,  welche  die  Wurfbahnen  glühender 
Himsleinhlürke  bezeichneton.  Heifs  und  stickend,  von  Schwefelgeruch  erfüllt, 
wehte  die  Luft  vom  Vulkane  her.  Um  Mitternacht  erhob  sich  ein  heftiger 
Wind.  Die  fortdauernde  dichte  Finatemifc  wurde  häufig  von  Blitzen  erhellt, 
und  überall  im  Takelwerk  des  Schiffes  sah  mau  St.  Elmsfeuer  glimmen.  Am 
27.  August  gegen  11  Uhr  Vormittags  erfolgte  eine  furchtbare  Detonation,  nach 
welcher  erneut«  Finsternifs  hereiuhrach  und  unter  dem  fortdauernden  Uebrüll 
des  Vulkans  ein  Hegen  von  Schlamm  und  Asche  niederflel.  Unmittelbar  hier- 
auf sä h mau  vom  „Charles  Bai-  aus  eine  ungeheure  Wog«*  heranlaufen,  welcher 
zwei  andere  weniger  hohe  nachfolgtcn. 

Die  Ursache  dieser  Wogen  war,  wie  oben  schon  angedeutet,  der  Einsturz 
des  gröfsten  Th  eiles  der  Insel  Krakatau.  Schon  am  26.  und  am  27.  früh  war  die 
See  wiederholt  erregt  worden.  Die  Woge  von  ungefähr  lü  Uhr  30  Minuten  am 
27.  August  war  die  stärkste.  Diese  Sturzwelle  vernichtete  an  der  nahen  Kiis!«* 
zahlreich«’  blühend»*  Ansiedelungen  und  forderte  das  Opfer  vieler  Tausende 
von  Menschenleben.  Sie  wurde  auf  der  ganzen  NordkQste  von  Java  verspürt, 
auf  der  Südküste  bis  Tjilatjap,  auf  der  Ostseite  von  Sumatra  bis  zum  Flurs  } 

Toelang-Bawang,  auf  der  Westseite  bis  Ajer  Bangies.  Die  Höbe  derselben  rich- 
tete sich  natürlich  nacl»  der  Beschaffenheit  der  betreffende»  Ufer.  Sie  betrug 
•£.  B.  am  Leuchtthurme  des  Vlakkc  Hock  13  m,  bei  Teloeq  Betoeng  24.7  m,  auf 
Dwars  in  den  Weg  uml  bei  Aujer  (4b  und  33  km  vom  Krakatau)  jedoch  36  in. 

Die  Gewalt  der  Sturzwelle  war  stellenweise  eine  furchtbaii*.  Bäume  uml 
Häuser  wurden  fortgespült,  schwere  Korallen  blocke  vom  Meeresgründe  ans 
Land  geworfen.  Doch  nicht  allein  am  Gestade  der  Sundainsrln  verspürte  man 
diese  Woge.  Sie  pflanzte  sich  vielmehr,  wenn  auch  in  weit  geringerer  Höhe 
und  ohne  Verheerungen  anzurichten,  über  ausgedehnte  Mcercsräume  fort. 

Den  ganzen  Indischen,  den  Stillen  und  einen  Theil  des  Atlantischen  Ozeans 
hat  sie  durchlaufen.  Aus  ihrer  b«*obnchteten  Fortpflanzungsgeschwindigkeit 
konnte  man  nach  den  Lugrangcsehen  Formeln  die  minier«*  Tiefe  des  Meeres 
auf  der  von  ihr  durchlaufenen  Strecke  berechnen.  So  fand  man  z.  B.  für  die 
Strecke  zwischen  Krakatau  und  Süd-Georgia  eine  Geschwindigkeit  von  219  m 
in  der  Sekunde  und  berechnete  daraus  für  den  durchlaufenen  Meerestheil  die 
lieträchtliche  mittlere  Tiefe  von  6340  m.  Dies  ist  eins  der  vielen  Beispiele  da- 
für, wie  die  Erforschung  dieses  vulkanischen  Ereignisses  auch  auf  andere  Ge- 
biete der  Wissenschaft  anregend  wirkte. 

Die  Verwüstung  durch  die  Sturzwelle  traf  namentlich  die  Städte  Merak, 

Anjer  und  Tjaringin  auf  Java,  welche  Krakatau  gegenüber  in  flachen  Niede- 
rungen gelegen  waren.  Sie  wurden  gänzlich  zerstört.  Auf  den  Inseln  Sebesi 
und  Sebookoe  wurden  sämmtliche  Bewohner  vernichtet.  Auch  der  Distrikt 
Ketiuibaug  auf  Sumatra  litt  schwer.  Im  ganzen  gingen  l»ei  der  Katastrophe 
.*16417  Personen  zu  Grunde,  165  Niederlassungen  wurden  völlig,  132  theil  weise 
zerstört 

Auf  ausserordentlich  weite  Fernen  hin  wurden  die  Detonationen  des 
grofsen  Ausbruches  vernommen,  wie  es  bisher  ohne  Beispiel  war.  Hierbei 
wiederholte  sich  die  schon  bei  der  Maieniptioii  beobachtete  Erscheinung,  dafs 
das  Geräusch  in  weiter  vom  Ursprung  entfernt  gelegenen  Gegenden  vielfach 
besser  gehört  wurde,  als  in  «1er  unmittelbaren  Umgebung  des  Vulkanes. 

Wahrscheinlich  hat  man  die  Ursache  in  dem  im  nächsten  Umkreis  sin  dich- 


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testen  fallenden  Aschenregen  zu  suchen,  welcher  die  Fortpflanzung  der  Schall- 
wellen auflialten  konnte.  Der  Sehall  vom  27.  August  wurde  vernommen  bis 
zu  den  Philippinen,  bis  Saigon  in  Cochinchina,  bis  Singaporc,  den  Nicobaren. 
Andamanen,  Ceylon,  der  Keeling  Insel  und  bis  Porth  in  Südwest-Australien, 
also  in  einem  Umkreis,  dessen  Radius  Ö0°  = 4.V)  geographische  Meilen  betragt 
Hätte  sich  die  Explosion  beispielsweise  bei  Berlin  ereignet,  so  würde  man  sie 
einerseits  noch  in  Petersburg,  andererseits  in  Cairo  oder  Lissabon  und  beinahe 
bis  hinauf  nach  Island,  also  über  ganz  Europa  gehört  haben. 

Die  Masse  des  ausgeworfenen  Bimstoins  und  der  feineren  Asche  war 
eine  ungeheure.  Verbeck  schätzt  dieselbe  auf  mindestens  1H  Cuhikkilometer. 
Namentlich  zwischen  Sebesie  und  Krakatau  war  der  Meeresboden  damit  be- 
deckt. Dort,  wo  früher  das  Meer  im  Mittel  ÖU  Meter  Tiefe  besafs,  fand  man 
nur  noch  G Meter.  Die  höchsten  Punkte  der  dort  augehäuften  horizontal  ge- 
schichteten Auswurfsiuasscu  ragten  alt  neugebildeto  flache  Inseln  über  dem 
Meeresspiegel  hervor.  Die  gröfsten  derselben,  welche  indessen  sehr  bald  wie- 
der von  den  Wogen  abgetragen  wurden,  wurden  Steers  und  Calmeyer  Insel 
benannt.  Lange  war  die  Sundasce  mit  schwimmenden  Bimsteinmassen  bedeckt, 
welche  die  Schifffahrt  vielfach  binderten. 

Die  Hauptmasse  der  ausgewogenen  Asche  bestand  zwar  aus  Splittcrchen 
von  porösem  Glas  infolge  der  sehr  raschen  Erstarrung  des  vulkanischen 
Schmelzflusses,  daneben  aber  enthielt  sie  auch  Kryställchen  von  Hvpcrsthen, 
von  Fcldspath  und  Magnete* isen.  Somit  besafs  auch  das  im  Jahre  1S8Ö  von 
Krakatau  hervorgobr achte  Gestein,  wie  die  Lava  der  zuletzt  vorausgegangenen 
Eruptionen,  die  Zusammensetzung  eines  Hypersthen-Andesite*.  Das  isolirte 
Vorkommen  der  einzelnen  Bestandtheile  dieses  Gesteines  in  der  Asche  er- 
möglichte äufaerst  wertlivollo  petrographische  Untersuchungen.  U eberraschend 
und  von  weitgehender  wissenschaftlicher  Bedeutung  war  besonders  der  von 
Vorboek  gelieferte  Nachweis,  dafs  in  der  Asche  uufser  etwas  Sanidin  sämmt- 
liche  triklinen  Fcldspäthe  vom  Anorthit  bis  zum  Albit  vorhanden  sind,  und 
dafs  sowohl  die  rhombische,  wie  die  monokline  Form  des  Hypersthen  darin 
vorkommt 

Die  Veränderungen  auf  Krukatau,  welche  durch  die  Eruption  herbei  ge- 
führt waren,  stellten  sich  als  sehr  tiefgreifende  heraus.  Von  der  ganzen  Insel 
war  nur  allein  die  Südhälfte  des  Pik  Kakäla  übrig  geblieben.  An  Stelle  der 
Nord  hälfte  des  Berges  und  da,  wo  sich  die  Hügel  des  Damm  und  Perbocwatan 
erholten,  befindet  sich  jetzt  das  Meer  mit  100— JOD  Meter  Tiefe.  Auch  zwischen 
Krakatau  und  seinen  beiden  oben  erwähnten  Nachbarinseln,  sowie  dicht  östlich 
am  Pik  hat  «las  Meer  eine  viel  greisere  Tiefe  erlangt  Auf  unserer  Karte  (S.  Ö-IS) 
bezeichnen  die  sehr« flirten  Flächen  den  ehemaligen  Zustand  der  Insel,  die  voll 
«ungezogenen  Linien  stellen  den  gegenwärtigen  Umrifs  dar.  Was  war  mit 
diesen  verschwundenen  Landmasseit  geschehen?  Gegen  die  Annahme,  dafs 
sie  infolge  der  zahlreichen  Explosionen  zersprengt,  zerstückelt  und  in  die 
Luft  geschleudert  wurden,  spricht  der  Umstand,  dafs  in  den  Auswurfsmasseu 
die  doch  wohl  erkennbaren  Gesteinsfragmente  des  basaltischen  Pik  Rakäta 
nirgends  vorgefunden  wurden.  Vielmehr  mufs  der  Vorgang  sich  auf  folgende 
Weise  abgespielt  haben.  Infolge  der  ungeheuren  Menge  der  in  Form  von 
Bimstein  und  Asche  ausgeworfenen  Lava  mufs  unter  den  Kratern  Dnnan  und 
IVrboewatan  ein  grolser  Hold  raum  entstunden  sein,  in  welchem  die  Lava,  je 
nach  der  bald  höheren  bald  niedrigeren  Spannung  der  in  ihr  enthaltenen 
Wasserdanipfo  auf-  oder  absteigende  Bewegungen  ausfulirte,  Jedesmal,  wenn 
die  Lavasäule  empordrang,  mufs  sie  grofsc  Partien  der  über  ihr  sich  wölben- 
den alten  Kratcrwand  abgeschinolzen  haben.  Beim  immer  tieferen  Zurück- 


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sinken  der  Lava  nach  jedem  weiteren  Verlust  von  ausgestofsenen  Müssen 
fand  endlich  der  so  geschwächte  feste  Mantel  des  Vulkans  in  sich  selbst  nicht 
mehr  genügenden  Halt.  Ein  Einsturz  erfolgte,  ln  demselben  Augenblick 
ergoss  sich  die  See  in  die  so  entstehende  Höhlung  und  mischte  sieh  mit  der 
noch  flilsaigen  Lava  des  Innern.  Die  hierdurch  entstehende  plötzliche  und 
mächtige  Dampfentwickluug  verursachte  die  letzten  und  stärksten  Explosionen. 
Die  in  feinste  Theilchen  zerspratzte  Lava  wurde  zugleich  mit  Wasserdampf- 
massen  ausgestofsen  und  fiel  nach  deren  Condensation  in  höheren  Luftschichten 
mit  Wasser  vermischt  als  Schlamm  nieder.  Dem  grofson  Einsturz  aber  ver- 
dankt die  grofse  Sturzwelle  ihre  Entstehung. 

Die  soeben  nach  gewissenhaften  Beobachtungen  in  ihren  einzelnen 
Phasen  geschilderte  Katastrophe  ist  wissenschaftlich  von  sehr  grofser  Bedeu- 
tung. Liegt  doch  hier  das  Beispiel  eines  in  historischer  Zeit  und  fast  unter 
den  Augen  wissenschaftlicher  Beobachter  gebildeten  Einsturz kra ters  vor.  Die 
früher  von  den  Geologen  versuchte  Erklärung  gar  vieler  Vulkanruinen  fiudet 
hierdurch  volle  Bestätigung.  Sehr  lehrreich  ist  auch  das  durch  die  Spaltung 
des  Pik  Rak&ta  entstandene  natürliche  Profil.  Eine  fast  senkrechte  über 
800  Meter  hohe  Steilwand  erlaubte  nach  der  Eruption  einen  völlig  ungehinder- 
ten Einblick  in  den  inneren  Aufbau  des  parasitischen  Vulkanes.  Die  Ansicht 
dieser  Bergwand  hat  Herr  O.  Winkler  in  vortrefflicher  Weise  aus  einem 
Tonbild  und  einer  mehr  von  der  Nähe  aufgenommenen  Photographie  des  Ver- 
beek sehen  Werkes  combiniri  (S.  das  Bild  auf  der  vorangehenden  Seite.) 
Man  erkennt  trotz  des  kleinen  Mnfsstahes  ganz  deutlich , wie  der  Berg 
aus  sattedförmig  zur  Linken  und  zur  Rechten  abfallenden  Schichten  be- 
steht. Es  sind  Bänke  von  basaltischen  Aschen  und  Lapilli,  die  mit  Strömen 
von  festem  Basalt  wechsellagern.  Der  Krater  selbst  ist  nicht  sichtbar,  aber 
aus  jener  sattelförmigen  Schichteustellung  kann  man  schliefsen,  dafs  der 
grofse  Rifs  durch  den  Berg  nahe  am  Kraterschlund  vorbei  gegangen  ist. 
Dagegen  sind  links  unter  dein  Gipfel  mehrere  als  lichte  Linien  hervor- 
tretende Basaltgänge  zu  sehen,  welche  die  Schichten  schräg  durchbrechen. 
Diese  Gänge  sind  von  uuten  her  mit  basaltischer  Lava  ausgcfüllte  Spalten, 
welche  in  den  Mantel  des  Kegels  noch  während  seiner  Aufschüttung 
einrissen.  Ein  fast  senkrecht  unter  dem  Gipfel  aufsteigender  Gang  da- 
gegen, welcher  mit  einem  mächtigen  in  die  Ascheuschichten  eingequetschten 
Lavaklumpen  endigt,  besteht  aus  Hypersthen-Andesit  und  drang  demnach 
erst  später  in  den  Berg  von  unten  her  ein.  Zur  Linken  an  der  Bergwand 
sicht  man  die  Schichten  des  Rakntn  auf  viel  flacher  gelagerten  Massen  ruhen. 
Dieses  Fufsgestell  des  Vulkans  besteht  aus  Andesit  und  ist  ein  Stück  Rand 
vom  ältesten  Einsturzkrater  des  Krakatau,  gerade  wie  Vertaten  und  Lang 
Eiland.  Das  im  Vordergründe  liegende  niedrige  Riff  endlich  ist  cino  der 
ephemeren  aus  lockeren,  horizontal  geschichteten  Massen  gebildeten  Inselchen. 
Seine  Oberfläche  wird  von  den  zuletzt  ausgeworfenen  Schlammmassen  ge- 
bildet, welche  beim  Austrocknen  netzförmige  Sch  wund  risse  erhalten  haben. 

Bei  der  hier  geschilderten  Eruption  liegt  einmal  der  seltene  Fall  vor, 
bei  dem  man  naehweisen  kann,  dafs  Meerwasser  Zutritt  zu  dem  feurig- 
flüssigen  Kern  eines  Vulkanes  erhalten  hat  und  dafs  dadurch  ein  besonders 
starker  Ausbruch  hervorgerufen  wurde.  Indessen  darf  man  nicht,  wie  früher 
oft  geschehen,  daraus  den  allgemeinen  ächlufs  ziehen,  dafs  alles  in  der  Lava 
in  Dampfform  enthaltene  Wasser  von  der  Erdoberfläche  stamme.  Der  gröfste 
Theil  der  in  den  Laven  eingeschlofisenen  Wasserdämpfe  kann  nicht  von  aufsen 
hineingelangt  sein,  el»enso  wenig,  wio  die  grofson  Mengen  der  darin  absor- 
birten  Kohlensäure.  Dafs  aber  die  eingeschlossenen  Gase  in  der  Thal  bei 
Himmel  und  Erde.  L 4.  26 


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Eruptionen  die  Haupttriebkraft  liefern,  bewiesen  namentlich  die  letzten  Phasen 
beim  Ausbruch  des  Krakatau. 


Fluthwellen  in  der  Ostsee  und  an  den  Küsten  deutscher  Kolonialgebiete. 

Von  Admiralitätsrath  Rottok  in  Berlin. 

Wenn  wir  an  die  verheerenden  Stofswellen  denken,  welche  das  Erd- 
beben von  Lissabon  am  1.  November  1755,  das  Japanische  Erdbeben  am  23.  De- 
zember 1854,  die  Erderschütterungen  bei  Arica  am  13.  August  1868  und  bei 
Iquique  am  9.  Mai  1877  oder  die  vulkanische  Eruption  des  Krakatao  in  der 
Sunda-Strafsc  am  26.  und  27.  August  1883  begleiteten,  welche  grofse  Küsten- 
strecken total  verwüsteten  und  zerstörten  und  denen  Tausende  von  Menschen- 
leben zum  Opfer  fielen,  so  kann  es  eine  gewisse  Beunruhigung  Hervorrufen, 
dafs  auch  unsere  hoimathlichen  Gestade  von  ähnlichen  Wellen,  wenn  auch 
bisher  von  weit  geringeren  Dimensionen  und  harmloserer  Wirkung,  heim- 
gesucht werden,  wie  sie  im  verflossenen  Jahre  in  der  Nacht  vom  16.  auf  den 
17.  Mai  iu  einem  Thoile  der  Ostsee  sich  gezeigt  haben. 

Schon  früher  sind  dergleichen  Erscheinungen,  bestehend  in  einem  plötz- 
lichen Anschwellen  des  Meeresniveaus  und  mehreren  den  Strand  üborfluthenden 
Wellen  zu  wiederholten  Malen  in  der  Ostsee  beobachtet  worden  und  den 
Küstenbewohnern  unter  dom  Namen  „Seebären“  bekannt,  doch  sind  die  darüber 
gemachten  Aufzeichnungen  und  Berichte  zu  knapp  und  lückenhaft,  um  ein 
klai  •es  Bild  von  dem  Vorgänge  und  genügenden  Aufschlufs  über  die  Natur 
desselben  zu  geben.  Um  so  höher  ist  das  Verdienst  des  Professor  Credner 
zu  Greifswald  zu  stellen,  wenn  derselbe  über  den  „Seebären“  des  vergangenen 
Jahres  das  Material  in  möglichster  Vollständigkeit  zum  Thoil  durch  persön- 
liches Bereisen  der  betroffenen  Küstenpunkte,  zum  Theil  durch  eingezogene 
Erkundigungen  bei  geeigneten  an  jenen  und  den  angrenzenden  Küsten  wohnen- 
den Persönlichkeiten  gesammelt  und  einer  eingehenden  Betrachtung  unter- 
worfen hat  (III.  Jahrgang  der  Geographischen  Gesellschaft  zu  Greifswald,  1S88). 

Hiernach  ist  die  Erscheinung  nur  an  der  Küste  zwischen  Travemünde 
und  Rügen,  und  zwar  auch  nicht  in  der  ganzen  Ausdehnung  derselben,  sondern 
nur  an  einzelnen  durch  mohr  oder  minder  grofse  Abstände  von  einander  ge- 
trennten Strecken  aufgetreten,  nämlich  im  Hafen  von  Travemünde,  in  der 
Wismarschen  Bucht  und  bei  Brunshaupten , an  dem  östlichen  Theil  der 
Mecklenburgischen  Küste  von  Müritz  bis  zum  Dars  und  schliefslich  an  der 
Westküste  von  Hiddensöe;  schwache  Ausläufer  der  letzten  Fluthwellen  machten 
sich  au  der  gegenüberliegenden  Festlandsküste  bei  Zingst  und  Pramort  und 
in  dem  Binnengewässer  zwischen  Hiddensöe  und  Rügen,  beim  „Wittower 
Posthaus',  bemerkbar. 

Zeit  und  Form  des  Auftretens  an  den  einzelnen  Punkten  oder  Strecken 
war  verschieden. 

In  Travemündo  wurden  in  der  Zeit  von  9 bis  1 Uhr  Nachts  nur  plötz- 
liche Schwankungen  des  Wasserstandes  bis  zu  10  cm  Höho  au  dem  sclbst- 
thätigen  Pegel  wahrgenommen. 

In  der  Wismarschen  Bucht  wurde  das  nördlich  der  Insel  Poel  stehende 
Schiff  Capclla  um  2 Uhr  Nachts  bei  starkem  Gewitter  plötzlich  mehrere  Male 
hinter  einander  heftig  auf  die  Seite  geschleudert,  nachdem  unmittelbar  vorher 
im  Wasser  ein  cigeuthUinliches  „Gesäusel*  bemerkt  worden  war.  In  Bruns- 


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haupten  sind  bereits  am  Abend  um  7*/a  Uhr  auffällige  Fluthbe wegungen  „in 
Form  me lireror  Wellen  und  danach  außerordentlich  bewegter  Seo“  beobachtet 
worden. 

lieber  das  Auftreten  der  Erscheinung  auf  der  Strecke  Müritz-Daro  lauten 
die  Berichte  ziemlich  gleichartig.  Bei  Müritz  stieg  das  Wasser  um  21/*  Uhr 
Nachts  .mit  einem  Ruck“  über  1 Meter,  nach  10  bis  15  Minuten  fiel  es  auf 
seinen  alten  normalen  Stand  zurück,  um  nach  Verlauf  von  weiteren  10  Minuten 
noch  einmal  5 Minuten  lang  fast  zu  derselben  Höhe  sich  zu  erhoben.  In 
Wustrow  stieg  um  dieselbe  Zeit  das  Wasser  um  fast  2 Meter  und  trat  über 
20  Meter  in  das  Dünengebiet  hinein;  es  behielt  diesen  Stand  ungefähr  eine 
Viertelstunde  lang.  Von  folgenden  Fluth wellen  ist  nicht  die  Rede. 

ln  Ahrenshoop  dagegen  wurden  nach  einem  plötzlichen  Anschwellen 
der  See  noch  zwei  den  Strand  überspülende  Flutbwellen  beobachtet.  Die  un- 
erwartet und  ohne  vorher  wahrnehmbare  Ursachen  cintretendo  Niveauerhebung 
überraschte  einige  am  Strande  arbeitende  Fischer  derart,  dafs  es  ihnen  nicht 
gelang  über  den  40  Schritt  breiten  Vorstrand  trockenen  Fufses  auf  die  Dünen 
zu  entkommen.  Boote  und  Netze  wurden  landeinwärts  bis  an  dio  Dünen  heran- 
geschleudert. Am  Ufer  gelagerte  Fische  wurden  weithin  über  den  Strand 
verschwemmt.  Nachdem  das  Wasser  nach  wenigen  Minuten  seinen  normalen 
Stand  wieder  eingenommen  hatte,  brach  eine  l1/* — 2 Meter  hohe  Welle  brandend 
über  den  Strand  herein,  und  nach  10  Minuten  eine  zweite  aber  kaum  halb  so 
hohe  Welle. 

Die  Westküste  der  Insel  Hiddensee  wurde  zwischen  3 und  31/«  Uhr  Nachts 
von  dem  Phänomen  erreicht;  in  zwei  Fischerdörfern,  Plogshagen  und  Vitte, 
wurde  es  beobachtet.  Der  aus  ersterem  Orto  eingegangeno  Bericht  spricht 
ohne  nahejre  Bezeichnung  nur  von  mehreren,  plötzlich  gegen  dio  Düne  heran- 
stürmenden hohen  Wellen,  welche  die  auf  den  Strand  gezogenen  Boote  etwa 
30  Schritt  landeinwärts  schleuderten  und  dieselben  mit  Wasser  und  Sand 
füllten.  Bei  Vitte  dagegen  wurden  zwei  nach  Schätzung  fast  2 Meter  hohe 
Seen  wahrgenommen,  die  aus  Nordwest  kommend  in  kurzer  Pause  auf  einander 
folgten  und  von  denen  jede  aus  3 Wellen  bestand.  Eine  Stunde  später,  un- 
gefähr um  47a  Uhr  Morgens,  gelangten  zwei  unmittelbar  auf  einander  folgende 
Wellen  von  etwa  50  und  25  Conti moter  Höhe  aus  derselben  Richtung  an  dem 
Festlandsstrande  bei  Zingst  an,  welche  noch  östlich  bis  Pramort  beobachtet 
wurden,  an  letzterem  Ort  aber  nur  noch  in  der  halben  Höhe.  Beim  Wittower 
Posthaus  erfolgte  gegen  4 Uhr  Morgens  ein  schnelles  Auflaufen  des  Wassers 
von  über  00  Centimeter.  Nach  6 Minuten  fiel  das  Wasser  wieder,  es  traten 
jedoch  jetzt  beständige  Schwankungen  des  Meeresniveaus  ein,  welche  an  Di- 
mensionen allmählich  abnehmend,  bis  gegen  11  Uhr  Vormittags  anhielten; 
wahrscheinlich  haben  sich  hier  in  der  durch  die  Insel  Rügen  eingeschlossenen 
engen  Meeresstrafse  eine  Art  stehendor  Wellen  gebildet,  welche  jene  Oscilla- 
tionen  erzeugt  haben,  wie  dies  auch  die  Ursache  der  anhaltenden  Wasser- 
standsschwankungen in  Travemünde  sein  dürfte. 

Der  Richtung  der  Flutbwellen  wird  nur  in  den  Berichten  von  der  West- 
küste Hiddensöes,  von  Zingst  und  Ahrenshoop  Erwähnung  gethan,  die  ersteren 
beiden  bezeichnen  dieselbe  als  eine  nordwestliche,  der  letztere  als  eine  süd- 
westliche. 

Ueber  den  Zustand  der  Atmosphäre  und  der  See  vor  und  nach  dom 
Phänomen  sind  die  Berichte  fast  alle  gleichlautend.  Volle  Ruhe  herrscht 
in  der  Luft,  nur  ganz  leichte  Luftzüge,  meist  aus  östlicher  Richtung,  werden 
an  einzelnen  Plätzen  bemerkt,  die  See  ist  dementsprechend  glatt  oder  nur  ganz 
leicht  gekräuselt.  Während  oder  unmittelbar  vor  dem  Auftreten  der  Fluth- 

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wellen  wird  von  mehreren  Plätzen,  wie  von  Müritz  und  Yitte,  ein  Umspringen 
des  Windes  von  Ost  auf  West  gemeldet;  von  Vitte  wird  hinzugesetzt,  dafs 
nach  dem  Abschlufs  des  Phänomens  der  Wind  seine  alte  Richtung  wieder 
einnahm. 

An  zwei  Plätzen,  welche  allerdings  nicht  selbst  von  den  Fl uth wellen 
betroffen  wurden,  aber  in  der  Nähe  solcher  Orte  lagen,  nämlich  in  Althagen 
bei  Ahrenshoop  und  auf  der  Fähr-lnsel  bei  Hiddensöe,  wurde  eine  plötzliche 
Steigerung  der  Windstärke  bemerkt,  die  sieh  in  Form  heftiger,  aber  nur  kurze 
Zeit  dauernder  sturmartiger  Böen  (aus  WSW.  bis  W.)  kund  that,  welche  die 
Bäume  „bis  zum  Brechen1*  schüttelten. 

In  Ahrenshoop  und  in  Vitte  ist  ferner  ein  eigenartiges  Geräusch  vor 
Eintritt  der  Flutherscheinung  gehört  worden,  an  erstorem  Ort  ein  knallartiges 
Getöse  von  der  See  her,  an  letzterem  ein  starkes  Geräusch  aus  westlicher 
Richtung,  als  ob  ein  kräftiger  Sturm  im  Anzuge  sei, 

ln  fast  allen  Berichten  wird  eines  starken,  mit  heftigen  elektrischen  Ent- 
ladungen verbundenen  Gewitters  erwähnt,  welche«  am  westlichen  Horizont 
von  Süden  nach  Norden  ziehend,  sich  während  der  ganzen  Nacht  beraerklieh 
gemacht  hat. 

Bemerkenswert!!«  Störungen  in  der  Atmosphäre  wurden  bei  Wustrow 
beobachtet;  hier  zeigte  der  Thermograph  der  Normal- Beobachtuiigsstation 
zwischen  2 und  3 Uhr  Morgens  eine  für  diese  Zeit  ungewöhnliche  rasche 
Temperaturzunahme  von  S),U°  auf  10,7°  C.,  sowie  der  Barograph  eine  sprung- 
förmige  Erhöhung  dos  Luftdruckes  von  756,0  Millimeter  auf  757,5  Millimeter. 

Diesen  abnormen  Vorgängen  in  der  Atmosphäre  legt  Professor  C r e d n e r 
eine  besondere  Bedeutung  bei,  indem  er  abweichend  von  der  herrschenden 
Ansicht,  nach  welcher  die  als  Seebären  bezeiclmeten  Fluthbc wegungen  der 
Ostsee  seismischer  Natur  und  als  Seebeben  oder  Stofsw'ellen  zu  betrachten 
Bind,  jene  Störungen  ira  Luftmeere  denselben  als  ursächlich  zu  Grunde  legen  will. 

Die  Aelinlichkeit  der  Fluthwellen  mit  anderen  nachweislich  seismischen 
Wellen  legt  es  allerdings  Hehr  nahe,  dieselben  auf  denselben  Ursprung  zurück- 
zufiihren,  doch  fehlen  hier,  wie  auch  bei  fast  allen  früheren  Seebären,  alle  An- 
zeichen oder  Begleiterscheinungen  einer  wirklich  stattgefundenen  Erderschüttc- 
nmg.  Von  keinem  Punkt  der  angrenzenden  Küsten  sind  irgendwelche  Er- 
schütterungen des  Bodens  gemeldet  worden.  Die  Fernwirkung  eines  Erd- 
bebens entlegener  Gebiete  als  vorliegend  auzunohmeit,  verbietet  das  lokale 
Auftreten  der  Erscheinung  an  isolirten,  von  einander  getrennten  Küstenstrecken. 
Nach  Credner  liegt  hier  überhaupt  kein  einheitliches  Phänomen  vor,  sondern 
jede  der  an  den  verschiedenen  Küstenpunkten  oder  Strichen  nufgetretenen  Fluth- 
erscheinungen  verdankt  ihren  Ursprung  einer  besonderen  plötzlichen  und 
lokalen  .Störung  des  Wasserstandes  der  Ostsee,  und  zwar  sind  diese  Störungen 
durch  atmosphärische  Einflüsse  hervorgerufen. 

In  dieser  Auffassung  und  speziell  in  der  Vormuthung  eines  genetischen 
Zusammenhanges  zwischen  den  Flutherscheinungen  und  dem  Auftreten  des 
Gewitters  in  jener  Nacht  wird  Credner  besonders  dadurch  bestärkt,  dafs 
gerade  und  fast  ausschliefslich  nur  die  gegen  diese  Gewittorbahn  exponirten, 
also  parallel  zu  derselben  gerichteten  oder  gegen  sie  vorrageuden  Küsten- 
striche von  den  Fluthwellen  betroffen  sind,  dafs  die  Flutherscheinung  ent- 
sprechend der  Bahn  des  Gewitters  im  Osten  und  Nordosten  später  aufgetreten 
ist  als  im  Westen  und  Südwesten  und  dafs  di©  Zeit  des  Auftretens  auf  offener 
See  (an  Bord  der  Capolla)  mit  der  Zeit  der  grüfsten  Heftigkeit  des  Gewitters 
an  dieser  Stelle  zusam inenfällt. 

In  den  Berichten  über  dio  früheren  Fälle  von  Seebären  finden  sich  auch 


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351» 


einzelne  Angaben  über  sie  begleitende  atmosphärische  Störungen,  doch  sind 
dieselben  zu  lückenhaft  und  ungenau,  um  daraus  über  den  ursächlichen  Zu- 
sammenhang mit  dem  Phänomen  selbst  sichere  Schlüsse  ziehen  zu  können. 
Ebenso  wenig  liegen  aber  mit  Ausnahme  eines  einzigen  Falles,  nämlich  der 
Flutherscheinung  am  1.  November  1755  im  Lübecker  Hafen,  welche  mit  dem 
gleichzeitigen  Erdbeben  zu  Lissabon  zusammenhängt,  irgendwelche  Erschei- 
nungen oder  Anzeichen  seismischer  Vorgänge  vor,  durch  welche  der  Beweis 
eines  solchen  Ursprungs  zu  erbringen  wäre.  — 

Auch  aus  dem  Bismarck- Archipel  und  dein  Kaiser  Wilhelms  - 
Land  sind  Nachrichten  eingegangen l)  über  Fluthwellen,  welche  am  13.  Marz 
v.  J.  die  dortigen  Küsten  heimgesucht  haben  und  gröfsere  Zerstörungen  im 
Gefolge  hatten  und  denen  leider  auch  zwei  deutscho  Forscher,  von  Below 
und  H uiistcin,  zum  Opfer  gefallen  sind.  Die  behufs  Aufsuchung  dieser  ver- 
schwundenen Herren  nach  der  Westküste  Neu-Pommorns  entsandte  Expedition 
fand  an  dem  Lagerplatz  am  Strande,  welchen  die  Vermifsten  an  dem  ver- 
hängnifsvollen  Morgen  innegehabt  hatten,  aufser  einigen  mit  dem  Messer  ab- 
geschnittenen Bambusstäben  keine  Spur  mehr.  Seesand,  Steine  und  Geröll 
bedeckten  das  frühere  Niveau  des  Strandes  über  4 Fürs  hoch.  Die  an  dem 
Morgen  des  genannten  Tages  über  diesen  Theil  Neu-Pommerns  hcreinbrechendo 
Fluth welle  hat  die  früher  mit  dichtem  Walde  bestandene  Küste  in  einer  Breite 
von  ungefähr  1 Kilometer  vollständig  rasirt,  auf  vielen  Strecken  versumpft 
und  mit  über  einander  gestürzten  Bäumen,  abgebrochenen  Korallenfelsen,  See- 
sand und  einer  Menge  faulender  Fische  bedeckt.  Die  Höhe  der  Welle  betrug 
nach  den  angestellten  Messungen  12  Meter. 

Weitere  Meldungen  über  beobachtete  Fluthwellen  liegen  aus  dem  Nord- 
osten Neu-Pommerns  von  Malupi,  sowie  aus  Kaiser  Wilhelms-Land  von  Hatz- 
feldt-Hafen  und  Kelana,  der  neu  gegründeten  Pflanzungsstation  bei  Kap  König 
Wilhelm  vor.  An  letzterem  Orte  wurden  am  13.  März  Morgens  von  6'/a  Uhr 
an,  bei  windstillem,  trübem  Wetter  20  in  Intervallen  von  3 Minuten  aufeinander 
folgende  Wellen  beobachtet.  Dieselben  kamen  aus  nordöstlicher  Richtung  und 
drangen  25  bis  35  Fufs  in  das  Land  ein.  Atmosphärische  oder  andere  auf- 
fällige Naturerscheinungen  sind  nicht  bemerkt  Am  14.  März  Morgens  war  die 
Küste  weithin  mit  Bimssteinstiicken  bedeckt. 

In  Hatzfeldt-Hafen  wurde  an  demselben  Morgen  um  G Uhr  in  nordnord- 
östlicher  Richtung  ein  schufsartiges  Getöse  gehört,  um  (!  Uhr  40  Minuten 
brach  eine  hohe  Welle,  welche  die  höchste  Fluthmarke  2 Meter  überstieg,  aus 
Norden  in  den  Hafen  herein,  wich  aber  dann  rasch  wieder  zurück,  so  dafs 
der  halbe  Hafen  trocken  fiel.  Sodann  begann  ein  abwechselndes  Steigen  und 
Fallen  des  Niveaus  — es  hatten  sich  entschieden  stehende  Wellen  gebildet  — 
was  in  Intorwallen  von  3 Ins  4 Minuten  bis  gegen  1)  Uhr  Morgens  mit  einer 
gefahrdrohenden  Höhe  der  Wollen  von  7 bis  8 Meter  andauerte  und  dann 
allmählich  schwächer  wurde,  so  daTs  erst  gegen  6 Uhr  Abends  der  normale 
Wasscrstand  wieder  erreicht  war. 

In  Matupi  zeigten  sich  von  8l/i  bis  H Uhr  Vormittags  ähnliche  liin- 
und  herschwingende  Wellenbewegungen,  welche  den  Wasserstand  12  bis 
15  Fufs  über  und  unter  sein  normales  Niveau  drängten.  Die  Wellen  kamen 
aus  Süd  und  aus  WNW;  an  der  Südost-  und  Nordseite  der  Insel  trat  die  Er- 
scheinung am  ausgeprägtesten  auf,  während  die  Westseite  ganz  verschont 
blieb.  Das  Wetter  war  heiter,  es  wehte  ein  schwacher  StidosL  An  anderen 

•)  „Nachrichten  über  Kaiser  Wilhelms-Laad  und  den  Bismarck-Archipel*.  Heft  III. 


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360 

Nebenerscheinungen  ist  zu  erwähnen,  dafs  das  Wasser  in  seinen  Tiefen  auf- 
gerührt erschien,  trübe  aussah  und  schmutzigen  Schaum  trug. 

An  der  Südseite  der  Gazelle-Halbinsel  wurde  das  Phänomen  von  einem 
dort  vor  Anker  liegenden  Schiffe  bemerkt. 

In  der  ganzen  Blanche-Bai  wurden  nach  dem  Bericht  Seiner  Majestät 
Kanonenboot  Eber2)  zwischen  8 und  9 Uhr  Vormittags  Niveauschwaukungen 
von  l*/t  bis  2 Meter  beobachtet. 

Wenngleich  von  einer  verspürten  Erderschütterung  nirgends  die  Rede 
ist,  so  haben  wir  es  hier  nach  der  Ausdehnung  der  Fluthwellen  zu  urtheilen, 
doch  unzweifelhaft  mit  einem  seismischen  Vorgänge  zu  thun,  und  zwar  scheint, 
sofern  es  überhaupt  gestattet  ist,  aus  den  wenigen  Berichten  und  den  einzelnen 
Andeutungen,  vornüinlich  dafs  in  Hatzfeldt-Hafen  vor  dem  Eintreten  des  Phä- 
nomens im  Nordnordost  „ein  scliufsartiges  Getöse“  vernommen,  dass  in  Matupi 
das  Wasser  trübe  und  schmutzig  „aus  seinen  Tiefen  aufgeriihrt“  erschien, 
und  schliefslich,  dafs  am  folgenden  Morgen  die  Kiisto  von  Kelana  weithin  mit 
Bimssteinstücken  bedeckt  war,  eine  submarine  vulkanische  Eruption,  wahr- 
scheinlich zwischen Neu-Pommeni  undNeu-Mecklenburg  stattgefunden  zu  haben. 

Nicht  unwahrscheinlich  wird  diese  Annahme  durch  zwei  weitere  Mel- 
dungen, welche  uns  von  der  Westküste  Amerikas  und  der  Ostküste  Australiens 
vorliegen.  Bei  Arica  drangen  am  15.  März  um  5 Uhr  Nachmittags  vier  hohe 
Wellen  gegen  die  Küste,  welche  mehrere  Fahrzeuge  im  Hafen  stark  be- 
schädigten, andere  konterten.  Die  See  blieb  noch  längere  Zeit  stark  bewegt. 
In  Sidnoy  wurden  am  15.,  16*.  uiul  17.  März  an  dem  selbstregistrirenden  Pegel 
anscheinend  durch  Erdbebenwellen  herrührende  Störungen  des  Wasserstandes 
verzeichnet 

Beide  Erscheinungen  mit  einem  im  Stillen  Occan  zwischen  beiden 
Kontinenten  stattgehabten  Seebeben  in  Zusammenhang  zu  bringen,  liegt  nicht 
allzu  fern. 

Vielleicht  wird  noch  weiter  eingehendes  Material  nähere  Aufschlüsse 
schaffen. 


Das  Polarlicht 

von  Privatdozent  Dr.  Bernhard  Weinstein  in  Berlin. 

II. 

In  dem  ersten  Artikel  über  die  Polarlichter  haben  wir  die  Erscheinung 
als  solche  beschrieben;  die  Mannigfaltigkeit  der  Formen  und  Bewegungen,  die 
Eigenartigkeit  der  Lichtentfaltungen  und  die  Besonderheiten  in  der  räumlichen 
Vertheilung  des  Phänomens  haben  daselbst  ihre  Darlegung  gefunden.  Der 
nachfolgende  Aufsatz  enthält  zunächst  noch  einige  Abbildungen  besonders 
charakteristischer  Polarlichterscheinungen ; Fig.  5 entstammt  wie  in  der  vorauf- 
gehenden Abhandlung  Fig.  2 und  3 mit  Ausnahme  des  landschaftlichen  Bei- 
werks der  daselbst  hervorgehobenen  Arbeit  Kochs;  Fig.  6 und  7 sind  nach 
von  Tromholt  aufgenommenen  Photographieen  hergesteilt.  In  der  weiteren 
Behandlung  der  Wunder  dieser  Lichter  haben  wir  die  Gesetzmäfsigkeiten  der- 
selben in  der  zeitlichen  Folge,  die  Perioden,  dnrzuthun  und  zum  Theil  den 

■)  Annalen  der  Hydographie  und  Maritimen  Meteorologie.  18S&  Heft  XI. 


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361 


merkwürdigen  Zusammenhang  zu  enthüllen,  in  welchem  dieselben  mit  andern, 
anscheinend  von  ihnen  ganz  verschiedenen  Naturphänomenen  stehen. 

Wir  nennen  eine  Erscheinung  periodisch,  wenn  dieselbe  in  gewissen 
Zeitabschnitten  immer  wiederkehrt  In  diesem  Sinne  sind  die  Phasen  des 
Mondes  und  der  untern  Planeten,  der  Stand  der  Gestirne  am  Himmelszelt,  die 
Jahreszeiten  der  Erde  und  vieles  ändert»  naheliegende  periodische  Erscheinungen. 
Da  eine  und  dieselbe  Erscheinung  nicht  immer  durch  nur  eine  einzige  Ursache 
hervorgerufen  wird  und  zudem,  wie  die  Erfahrung  lehrt,  jede  Erscheinung  von 
andern  Erscheinungen  vielfach  bccinllufst  werden  kann,  sind  die  Perioden  der 
Naturphünomene  selten  einfacher  Art  Zunächst  kann  eine  Erscheinung  mehren» 
verschiedene  Perioden  aufweisen,  indem  etwa  verschiedene  Ursachen  dieselbe 
nach  verschiedenen  Zeitabschnitten  regeln.  So  sind  die  scheinbaren  Oerter 
der  Gestirne  am  Himmel  bestimmt  einmal  durch  die  tägliche  Drehung  der  Erde 
um  ihre  Axe,  dann  durch  die  jährliche  Bewegung  der  Erde  um  die  Sonne, 
ferner  durch  das  Forteilen  des  ganzen  Sonnensystems  durch  den  Raum,  endlich 
noch  durch  die  eigenen  Bewegungen  der  Gestirne  selbst,  und  so  würden  die 
Veränderungen  dieser  Oerter  vierfach  oder  mehrfach  periodisch  sein.  Die  ver- 
schiedenen Perioden  lagern  sich  übereinander  und  geben  von  dem  Gang  der 
Erscheinung  ein  Bild,  in  welchem  die  einzelnen  Züge  nur  schwer  zu  erkennen  sind. 

Oft  kommen  aber  noch  Modifikationen  durch  besondere  Verhältnisse  und 
Vorgänge  hinzu,  wodurch  auch  eine  und  dieselbe  Periode  anscheinend  ver- 
ändert wird  und  ihre  Zeitabschnitte  verschieden  lang  werden.  — 

Dann  wieder  können  besondere  Beeinflussungen  und  plötzlich  auftrotende 
Vorgänge  so  stark  werden,  dafs  sie  das  periodisch  Hcgclmäfsige  völlig  verdecken 
und  als  Störung  der  RegelraUfsigkeit  erscheinen.  Indem  alles  in  der  Natur 
sich  iueinanderwebt,  dürften  freilich  auch  die  gegenseitigen  Störungen  ihrer 
Prozesse  bestimmten  Gesetzen  unterworfen  sein  und  in  gewisser  Ordnung  ein- 
ander folgen.  Wirklich  ist  es  auch  «lern  schematisirenden  Menschengeiste  viel- 
fach gelungen,  solche  Störungen  an  eine  gewisse  Zeitfolge  zu  fesseln  und  wenn 
auch  nicht  in  den  Einzelheiten,  so  doch  im  Gesummtcharakter  in  bestimmte 
Perioden  einzureihen.  Dementsprechend  werden  wir  bei  den  Polarlichtern 
nur  von  Perioden  sprechen;  bei  vielen  andern  Erscheinungen  ist  jedoch  noch 
jetzt  die  Trennung  der  regelmäfsigen  stetigen  Perioden  von  den  plötzlich  ein- 
tretendeu  sogenannten  Störungen  angebracht. 

Der  periodische  Wechsel  der  Polarlichter  betrifft  deren  Häufigkeit,  Ent- 
faltung an  Formen,  Bewegungen,  Leuchtkraft  und  Gröfse  sowie  räumliche 
Ausdehnung.  Nach  den  bis  jetzt  vorliegenden  Erfahrungen  scheinen  alle  diese 
Verhältnisse,  vielleicht  die  eigentliche  Heimat!)  dieser  Lichter  ausgenommen, 
überall  miteinander  auf  das  engste  verbunden  zu  sein.  Machen  sich  Polar- 
lichter besonders  zahlreich  bemerkbar,  so  steigen  sie  auch  zu  hohem  Glanz 
empor  und  erreichen  oft  eine  außerordentliche  Verbreitung,  so  dafs  sie  selbst 
in  niederen  Breiten  gesehen  weiden.  Wir  dürfen  darum,  so  oft  von  Polar- 
lichtern in  südlichen  Ländern  erzählt  wird,  überhaupt  auf  besonders  grofse 
Entfaltungen  dieser  Erscheinungen  schliefsen.  Von  diesem  Gesichtspunkte 
ausgehend  hat  zuerst  Mai  ran  in  der  ersten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts 
die  Nachrichten  der  Schriftsteller  aus  dem  Altorthume  und  dem  Mittelalter 
über  in  Kleinasien,  Nordafrika,  den  süd-  und  mitteleuropäischen  Ländern  ge- 
sehene Lichter,  gesammelt  und  dabei  gefunden,  dafs  in  der  Thal  ein  regel- 
mäfsiger  Wechsel  in  der  Entfaltung  der  Polarlichter  zu  bemerken  ist.  Wir 
geben  eine  Zusammenstellung  in  der  Erweiterung  und  Bearbeitung  von  Fritz, 
sie  ist  sehr  lehrreich  und  wird  für  den  Leser  nicht  ohne  Interesse  sein. 


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Demnach  waren  Jahre  besonders  starker  Polarlichter 
v.  Chr.:  503,  443,  350,  208,  103,  43, 

n.  Chr.:  14,  194,  3:>7,  451,  50*2,  616,  676,  742,  807,  860,  026,  992,  1117, 
1203,  1306,  1401,  1521»,  1738,  1848. 

Die  Lichter  von  443  v.  Chr.  sollen  in  Athen  den  Himmel  70  Tage  lang 
glühend  erhalten  haben,  die  von  350  sc  heinen  Aristoteles  seine  reichen  Kennt- 
nisse über  die  Polarlichtformen  verschafft  zu  haben;  aus  den  Jahren  14—37 
wird  uns  gemeldet,  dafs  der  Himmel  in  Rom  so  geglüht  habe,  dafs  man  einmal 
eine  Feuersbrunst  in  Ostia  vermuthete  und  die  Cohorten  sie  zu  löschen  sandte; 
das  Licht  von  502  wurde  bis  nach  Edessa  in  Mesopotamien  hin  gesehen,  das 
von  1117  erregte  in  Palästina  Schrecken. 


Fig.  5.  Polarlicht  nach  Koch. 

Selbstverständlich  werden  in  der  obigen  Zusammenstellung  nicht  wenige 
durch  Polarlichtentfaltung  ausgezeichnete  Jahre  fehlen;  die  kritische  Bearbei- 
tung durch  Fritz  und  andere  hat  gezeigt,  dafs  man  aus  denselben  auf  eine 
etwa  56jährige  Periode  schliefsen  darf,  ln  durchschnittlich  56  Jahren  stehen 
immer  Polarlichter  besonderer  GrÖfse  und  Entfaltung  zu  erwarten.  Fritz  möchte 
neben  dieser  Periode  noch  eine  gröfsere  von  220  Jahren  gelten  lassen,  welch« 
das  Erscheinen  der  Lichter  gröfster  Bedeutung  und  weitester  Verbreitung 
regeln  würde.  Wir  werden  später  sehen,  von  welchen  Verhältnissen  diese  als 
säeular  bezeichneten  Perioden  abhangen  und  welche  Wahrscheinlichkeit 
namentlich  der  zweiten  von  ihnen  zukommt. 

Die  säeularen  Perioden  sind,  um  mich  so  auszudrücken,  unbewufst  gefun- 
den worden,  sie  ergaben  sich,  als  man  die  vorhandenen  Nachrichten  zusam- 
meiistellte.  Die  nunmehr  zu  erwähnenden  hat  man  nach  bestimmten  Gesichts- 
punkten gesucht  und  gefunden. 

Es  wird  für  das  Verständnifs  des  Folgenden  gut  sein,  hierauf  mit  einigen 
Worten  einzugehen. 


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363 


Mit  der  Festsetzung  einer  Periode  für  eine  Erscheinung  haben  wir  zu- 
nächst nichts  Anderes  erlangt,  als  die  Erkenntnifs,  dafs  innerhalb  gewisser 
Zeitabschnitte  besondere  Ursachen  wirksam  sind,  welche  die  betreffende  Er- 
scheinung hervorrufen  und  regeln.  Unsere  nächste  Aufgabe  wäre  dann,  nach 
diesen  Ursachen  selbst  weiter  zu  forschen  und  ihre  Art  aufzudeeken.  In  dieser 
Weise  hat  die  Wissenschaft  vielfach,  namentlich  bei  stetigen  Erscheinungen, 
gearbeitet.  Wir  können  aber  auch  den  entgegengesetzten  Weg  einschlagen, 
erst  Ursachen  aufsuchen,  welche  die  betreffende  Erscheinung  zu  beeinflussen 
vermöchten,  und  dann  Zusehen,  ob  der  Wechsel  der  Erscheinung  dem  Wechsel  der 
supponirten  Ursachen  folgt.  Dieses  Verfahren  ist  ohne  weiteres  als  berechtigt  an- 
zuerkennen, sobald  wir  über  die  Art  der  möglichen  Beeinflussung  im  klaren  sind, 
die  Natur  der  Ursachen  und  die  Wirkungen  derselben  erkannt  haben.  Zweifel- 
haft scheint  der  Werth  der  Methode,  wenn  wir  nur  das  Vorhandensein  einer 
Ursache  vermuthon  können  und  weder  von  deren  Natur  noch  von  deren  Wir- 
kungen etwas  auszusagen  vermögen.  Da  wir  jedoch  weder  mit  allen  Erschei- 
nungen im  Weltall  vertraut  sind,  noch  auch  die  Wechselwirkungen  der  Kräfte 
und  Vorgänge  ganz  schon  durchschaut  haben,  also  in  Bezug  auf  Erfolg  oder 
Nichterfolg  nichts  voraus  behaupten  dürfen,  können  wir  von  diesem  Verfahren 
immerhin  Gebrauch  machen,  selbst  wenn  wir  von  der  vermutheten  Ursache 
nichts  weiter  kennen  als  deren  vorausgesetzte  Periode.  Führt  dasselbe  zu 
irgend  einer  neuen  Erkenntnifs  in  Bezug  auf  die  betreffende  Erscheinung, 
dann  dürfen  wir  hoffen,  dieselbe  weiterhin  auch  zur  Nachweisung  und  Er- 
forschung der  supponirten  Ursache  verwerthon  zu  können.  In  der  Thal  hat 
dieses  Verfahren  zumal  in  der  Meteorologie,  Geophysik  und  Astrophysik  reiche 
Früchte  getragen. 

Wenn  es  sich  nun  um  Vorgänge  auf  der  Erde  handelt,  dann  sind  wir 
gewohnt,  nach  dem  Sitz  der  Ursachen  derselben  zunächst  auf  der  Sonne  zu 
suchen;  die  einfachsten  Erfahrungen  zeigen  ja,  wie  sehr  unser  ganzer  Erdball 
von  der  gewaltigen  Beherrscherin  und  Lenkerin  unseres  engeren  Steriisystems 
abhängig  ist.  Da  indessen  alle  Wellkörper  sich  gegenseitig  beeinflussen  wer- 
den, hat  man  das  Augenmerk  auch  auf  den  Mond  gerichtet;  was  diesem  unse- 
rem Trabanten  an  Masse  und  Thätigkeit  abgeht,  ersetzt  derselbe  zum  grofsen 
Theil  durch  die  für  kosmische  Verhältnisse  bedeutende  Nahezu  uns;  sind  doch 
unsere  Landleute  noch  jetzt  zuin  Theil  überzeugt,  dafs  der  Mond  mit  das 
Wetter  regiert.  Man  könnte  auch  noch  die  Planeten  und  in  letzter  Instanz 
die  Fixsterne  heranziehen.  Den  Einflufs  der  erste ren  auf  irdische  Vorgänge, 
wenn  auch  nicht  im  Sinne  der  Astrologen,  nachzuweisen,  ist  neuerdings  viel- 
fach versucht  worden;  in  die  weiten  Fernen  der  Fixsterne  zu  schweifen,  um 
dort  nach  Ursachen  für  Vorgänge  auf  unserer,  im  Verhältnifs  zu  diesen  Fernen 
so  unendlich  winzigen  Erde  zu  forschen,  hat  noch  keinen  rechten  Werth. 

Für  die  Polarlichter  kommt  einstweilen  nur  die  Sonne  in  Betracht;  den 
Einflufs  des  Mondes  und  einiger  Planeten  auf  dieselben  hat  man  vielfach 
ebenfalls  erkennen  zu  müssen  geglaubt,  aber  die  Ergebnisse  sind  so  unsicher, 
dafs  von  einer  Wiedergabe  derselben  vorläufig  abgesehen  werden  mufs.  Wir 
werden  den  Leser  von  etwaigen  neueren  Untersuchungen,  sobald  dieselben 
festere  Gestalt  gewinnen,  wenn  die  Zeit  kommt,  unterrichten. 

Sind  nun  auf  der  Sonne  irgend  welche  Ursachen  für  Vorgänge  auf  der 
Erde  vorhanden,  so  wird  die  Intensität  dieser  Vorgänge  von  der  Intensität  der 
Ursachen  abhängen;  variirt  die  letztere,  so  wird  auch  die  erstere  wechseln. 
Nicht  minder  aber  mufs  sie  durch  den  Abstand  der  Erde  von  der  Sonne  und 
durch  die  Richtung,  nach  welcher  die  betreffende  Ursache  wirkt,  bedingt  sein. 
Wir  haben  so  zwei  Kategorien  der  durch  die  Sonne  hervorgerufenenen  Vor- 


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gütige  auf  der  Erde,  ein  Theil  hängt  ab  von  dem  etwaigen  Wechsel  der  Er- 
scheinungen auf  der  Sonne,  der  andere  von  der  Lage  der  Erde  und  ihrer 
einzelnen  Orte  in  Bezug  auf  die  Sonne. 


Fig.  t>  u.  7.  Facsimilcs  von  Polarlicht-Photographieen  von  Tr om holt 

Ein  Wechsel  in  der  Wirkungsweise  der  Sonne  kann  entstehen,  wenn  auf  der 
Sonne  seihst  irgend  welche  Prozesse  sich  abspielen.  Es  ist  aber  bekannt,  dafs 
die  Sonne  eine  ganz  aufserordentliche  Thätigkeit  entfaltet.  Welcher  Art  diese 
Thätigkeit  ist,  das  zu  erkunden,  ist  uns  bis  jetzt  nur  in  sehr  bescheidenem  Mafse 
gelungen;  die  Folgen  dieser  Thätigkeit  treten  jedoch  auf  der  Sonne  selbst  klar 
zu  Tage.  Wir  sehen  auf  ihr  mächtige,  durch  besonderen  Glanz  hervorragende, 
entstehende  und  vergehende  Lichtgebilde,  die  wir  als  Fackeln  bezeichnen. 


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365 


Im  Gegensatz  zu  diesen  Flammenerscheinungen  treten  daneben  ausgedehnte 
dunkle  Flecken  auf,  die  bald  in  grofsor,  bald  in  geringer  Zahl  vornehmlieh 
gewisse  Zonen  zu  beiden  Seiten  des  Sonnenäquators  ausfüllen,  sich  stetig  oder 
sprungweise  bewegen,  bald  thcilen,  bald  vereinigen  und  nach  einer  mehr  oder 
minder  langen  Dauer  spurlos  vergehen.  Dann  wieder  brechen  glühende  Gase 
hervor  und  erscheinen  als  Feuerfontänen,  die  mitunter  bis  zu  Hunderttausend 
und  mehr  Kilometer  von  der  Sonne  aufsteigen,  oder  als  in  rosenrother  Farbe 
leuchtende  Wolken  enden,  und,  weil  wir  sie  am  Rande  der  Sonne  und  als 
Hervorragungen  beobachten,  den  unschönen  Namen  Protuberanzen  er- 
halten haben. 

Es  hat  sich  nun  das  auffallende  Resultat  heruusgestellt,  dafs  diese  Sonnen- 
thätigkeit  durchaus  keine  ungeregelte  ist.  Aus  den  vorliegenden,  mehr  als  zwei 
Jahrhunderte  umfassenden  Aufzeichnungen  über  die  Zahl  und  Ausdehnung  der 
Sonnenflecke  hat  sich,  zuerst  in  voller  Deutlichkeit  durch  Wolf  in  Zürich,  ergeben, 
dafs  die  Productivität  der  Sonne  an  Flecken  in  einem  Intervall  von  11  Jahren 
etwa  zimimmt  und  fällt.  Mit  den  Flecken  aber  scheinen  Fackeln  und  Protu- 
beranzen in  inniger  Verbindung  zu  stehen,  so  dafs  wir  wohl  einige  Berechti- 
gung haben,  überhaupt  für  das  Anwachsen  und  Abnehmen  der  Sonnenthütigkeit 
diese  Periode  im  Mittel  von  1 1 Jahren  anzusetzen.  Wodurch  diese  Periode  veran- 
lagt wird,  wissen  wir  nicht,  dafs  aber  eine  solche  die  Intensität  der  Vorgänge 
auf  der  Sonne  im  Durchschnitt  regelt,  scheint  nicht  mehr  bezweifelt  werden 
zu  können. 

Suchen  wir  jetzt  eine  solche  Periode  auch  bei  den  Polarlichtern,  so  zeigt 
sich,  dafs  in  der  That  auch  hier  der  Zeitabschnitt  von  1 1 Jahren  eine  besondere 
Rolle  spielt.  Wolf  und  Fritz  haben  das  für  niedere  und  mittlere  Breiten 
unzweifelhaft  dargethan,  für  die  Polarregionen  hat  es  Fritz  wahrscheinlich  zu 
machen  gesucht.  Alle  11  Jahre  durchschnittlich  haben  wir  bedeutendere  Polar- 
lichter zu  erwarten;  statt  vieler  Zahlen  reproduciren  wir  nach  Lemström  eine 
Zeichnung  von  Loomis,  welche  als  graphische  Darstellung  des  Ganges  sowohl 
der  Polarlichter  als  der  Sonnenflecken  dienen  soll.  Die  obere  Curve  versinn- 
bildlicht das  Anwachsen  und  Abfallen  der  Häufigkeit  und  Ausdehnung  der 
Polarlichter,  die  untere  das  der  Sonnen  flecken,  und  zwar  in  dem  Zeitraum  von 
1777  bis  1872.  Man  sieht,  dafs  jedem  Gipfel  in  der  einen  Curve  ein  Gipfel  in 
der  andern  deutlich  entspricht,  so  dafs  in  der  That  dio  11jährige  Periode  der 
Sonnenflecken  sich  in  den  Polarlichtern  wiederfindet.  Die  Gipfel  der  Polar- 
lichtcurvo  sind  gegen  die  der  Fleckencurve  ein  wenig  nach  rechts  verschoben, 
die  gröfste  Entfaltung  «1er  Polarlichter  würde  hiernach  etwa  ein  Jahr  nach  der 
gröfsten  Fleckenentwickelung  stattfinden.  Inwiefern  das  in  der  Natur  der 
Sache  begründet  ist.  läfst  sich  noch  nicht  sagen,  Fritz,  der  auch  selbst  ent- 
sprechende Curven  gezeichnet  hat,  möchte  diese  Discordanz  als  eine  nur  schein- 
bare angesehen  wissen,  weil  Polarlichter  erst  dann  eifrige  Aufmerksamkeit 
erwecken,  wenn  sie  schon  zu  bedeutender  Entfaltung  und  Ausbreitung  gelangt 
sind,  wogegen  dio  Registrirung  der  Flecken  auf  der  Sonne  wenigstens  in 
unserem  Jahrhundert  viel  stetiger  geschieht 

Dio  zuerst  behandelte  Periode  der  Polarlichter  ist  ziemlich  genau  fünf- 
mal so  grofs  wie  die  11jährige;  man  könnte  hieraus  schliefsen,  dafs  auch  für 
die  Thätigkcit  der  Sonno  der  Cyclus  von  56  Jahren  von  Bedeutung  sein  dürfte; 
indessen  reichen  die  bis  jetzt  vorliegenden  Beobachtungen  über  die  Verände- 
rungen auf  der  Sonne  nicht  hin,  denselben  mit  Sicherheit  nachzuwcisen.  Noch 
viel  weniger  sind  wir  natürlich  im  Stande,  bei  noch  längeren  Perioden  wie  etwa 
bei  der  von  Fritz  vermuthoten  von  220  Jahren  uns  nach  Erklärungen  auf  der 
Sonne  umzusohen. 


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Sicherlich  giebt  ea  aber  in  der  Sonnenthätigkeit  kürzere  Wechsel  als 
die  in  je  11  Jahren  sich  vollziehenden,  denn  wegen  der  Komplikation  der  einzelnen 
Vorgänge  darf  man  nicht  erwarten,  alle  Veränderungen  in  einfacher  Folge 
aich  abspielen  zu  sehen.  In  der  That  variirt  auch  der  Anblick  der  Sonne  fast 
von  Tag  zu  Tag;  namentlich  die  Protuberanzen  bilden  ein  sehr  variables 
Element:  so  rasch  wie  sie  entstehen,  vergehen  sie  wieder,  und  in  Bezug  auf  sie 
mögen  so  kurze  Perioden  wie  von  .*1  oder  4 Tagen  wohl  vorhanden  sein.  Bei 
andern  Erscheinungen  auf  der  Erde  vermag  man  denn  auch  die  Korresponde  nz 
mit  der  Intcusität  der  Sonnenthätigkeit  genauer  und  selbst  in  Einzelheiten  zu 
verfolgen;  die  Polarlichter  mögen  sich  ebenfalls  den  Vorgängen  auf  der  Sonne 
anschmiegen,  aber  es  läfst  sich  darüber  nichts  Besonderes  aussagen;  die  Gegenden, 
in  welchen  die  Polarlichter  genau  verfolgt  werden  könnten,  sind  zu  arm  an 
diesen  Erscheinungen,  die  Heimath  derselben  wieder  liegt  zu  fern  allen  Kultur- 
ländern und  bietet  darum  nur  von  Zeit  zu  Zeit  und  vereinzelten  kühnen  Forschern 
Gelegenheit  zu  sorgfältigeren  Aufzeichnungen.  Zudem  ist  die  vergleichende 
Beobachtung  der  irdischen  und  solaren  Vorgänge  nur  wenige  Jahrzehnte  alt 
Doch  sei  hervorgehoben,  daß  in  der  an  gewaltigen  Polarlichtern  so  reichen 


Epoche  vom  28.  August  bis  3.  September  des  Jahres  1850  nach  der  Versicherung 
vieler  Beobachter  auf  der  Sonne  so  mächtige  Flecken  sich  entwickelt  hatten, 
dafs  dieselben  mit  blofsem  Auge  haben  gesehen  werden  können.  Ja  es  werden 
von  dieser  Zeit  Erscheinungen  auf  der  Sonnenoberfläche  berichtet,  welche 
durchaus  auf  eine  ungewöhnliche  Heftigkeit  der  Vorgänge  daselbst  Hinweisen. 
So  führt  hier  die  Untersuchung  einer  anscheinend  abstrusen  zahlenmäßigen 
Beziehung  zu  einer  Einsicht  in  die  wunderbare  Verbindung  zwischen  zwei  so 
weit  entfernten  Körpern.  Die  Erde  ist  von  der  Sonne  aus  gesehen  so  winzig, 
dafs  sie  daselbst  nur  als  ein  Stern  erscheinen  würde,  und  doch  geschieht,  wie 
wir  auch  noch  aus  vielen  andern  Forschungen  wissen,  kaum  etwas  auf  der 
Sonne,  was  nicht  hier  seinen  Widerhall  fände.  Doch  scheint  es,  als  ob  für  die 
Polarlichter  die  Verhältnisse  wenig  einfach  liegen.  Aus  einer  Untersuchung 
vornehmlich  in  Grönland  gemachter  Beobachtungen  über  diese  Lichter  glaubt 
T romholt  schlictsen  zu  müssen,  dafs  nur  in  mittleren  und  niederen  Breiten 
einem  Anwachsen  der  Sonnenthätigkeit  eine  Zunahme  der  Polarlichter  ent- 
spricht, in  hohen  Breiten  soll  dagegen  die  Zahl  der  Polarlichter  abnehmen, 
wenn  die  der  Sonncniiecke  ansteigt.  Die  Deutung  dieses  Gegensatzes  polarer 
Gegenden  zu  gemäßigten  Zonen  werden  wir  bald  zu  besprechen  haben. 

Die  zweite  Art  von  Verbindungen  zwischen  der  Sonne  und  den  Polar- 


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lichtem  hängt,  wie  bemerkt,  von  der  Lage  der  Erde  im  ganzen  und  ihrer 
einzelnen  Orte  gegen  die  Sonne  und  deren  einzelne  Theile  ab.  Diese  Lage  ist 
bestimmt  durch  die  Bewegung  der  Erde  und  der  Sonne.  Bei  der  Sonne  haben 
wir  allein  deren  Drehung  um  ihre  Axe  zu  berücksichtigen,  denn  an  der  Fort- 
bewegung durch  das  Weltall  nimmt  die  Erde  in  gleichem  Mafse  theil. 

Die  Rotation  der  Sonno  ist  durch  Beobachtung  der  scheinbaren  Ver- 
schiebung gewisser  Gebilde  auf  ihrer  Oberfläche  bestimmt;  liegen  diese  Gebilde 
auf  der  Sonne  selbst  fest,  so  kann  diese  Verschiebung  nur  aus  einer  Drehung 
der  Sonno  erklärt  werden.  Bewegen  sie  sich  daselbst,  so  bestimmen  wir  frei- 
lich die  Drehung  zusammen  mit  dieser  Eigenbewegung  der  Gebilde,  indessen 
kann  die  Eigenbewegung  durch  Häufung  der  Bestimmungen  an  möglichst  vielen 
Gebilden  und  unter  den  verschiedensten  Verhältnissen  zum  Theil  elirainirt 
werden.  Nur  der  Theil  der  Eigenbewegung  bleibt  mit  der  Drehung  verbunden, 
welcher  allen  Gebilden  gemeinsam  ist  und  etwa  in  einer  gewissen  Strömung 
nach  einer  bestimmten,  für  alle  Gebilde  gleichen  Richtung  besteht.  Es  scheint, 
als  ob  gerade  diejenigen  Gebilde,  welche  man  vornehmlich  zur  Bestimmung 
der  Rotation  der  Sonne  benutzt  hat,  die  Flecken,  solchen  Strömungen  nach 
einer  Richtung  unterliegen,  denn  man  fand  bei  dieser  Bestimmung,  dafs  die 
Sonne  nicht  wie  die  Erde  als  ganze  Masse  sich  um  ihre  Axe  dreht,  sondern 
mit  von  ihrem  Acquator  zu  ihren  Polen  abnehmender  Winkelgeschwindigkeit, 
ln  der  neueren  Zeit  hat  Wilsing,  vom  astrophysikalischen  Observatorium  zu 
Potsdam,  die  Rotation  aus  andern  Gebildon,  den  Fackeln,  berechnet  und  ge- 
funden, dafs  dieselbe  für  die  ganze  Sonne  die  nämliche  sei;  weitere  Unter- 
suchungen müssen  in  diese  schwierigen  Verhältnisse  Klarheit  bringen.  Als  Zahl  für 
die  Dauer  einer  Rotation  der  Sonne  um  ihre  Axe,  also  wenn  wir  uns  auf  irdische 
Verhältnisse  beziehen,  für  die  Länge  eines  Sonnentages,  können  wir  vorläufig 
etwa  25 7,  Tage  annehmen.  Mafsgebend  für  irdische  Vorgänge  kann  aber  nicht 
diese  wirkliche  Dauer  sein,  denn  indem  die  Erde  sich  um  die  Sonne  nach  genau 
derselben  Richtung  dreht  wie  letztere  um  ihre  Axe,  folgt  sie  gewissermafsen 
jedem  Punkte  der  Sonne  nach  und  dadurch  erscheint  die  Drehung  der  Sonne 
etwa  um  anderthalb  Tage  verlangsamt  und  steigt  für  uns  zu  gegen  27  Tagen  an. 

Suchen  w ir  also  in  den  irdischen  Vorgängen  nach  einer  von  der  Rotation 
der  Sonne  abhängigen  Periode,  so  haben  wir  uns  an  die  Zahl  von  etwa  27 
Tagen  zu  halten.  Nach  dieser  Periode  ist  in  der  neueren  Zeit  viel  geforscht 
worden;  nachdem  sie  Hornstein  und  Müller  für  die  Veränderungen  des 
Erdmagnetismus  glaubten  nachgewiesen  zu  haben,  ist  dieselbe  von  dom  Leiter 
des  preussischen  meteorologischen  Instituts,  Wilhelm  v.  Bezold,  für  die  Ge- 
witterhäufigkeit in  Deutschland  sehr  wahrscheinlich  gemacht.1)  Bei  den  Polar- 
lichtern würden  wir  auch  zu  gröfserer  Sicherheit  gelangen,  wenn  wrir  aus  der 
Heimath  derselben  gröfsere  Reihen  fortlaufender  Beobachtungen  besäfsen. 
Die  im  ersten  Artikel  hervorgehobenen  Aufzeichnungen  Kochs  in  Nain  sprechen 
nicht  für  die  Existenz  einer  solchen  Periode. 

Aber  hier  und  überhaupt  bei  allen  Perioden,  welche  nur  geringe  Schwan- 
kungen in  der  Intensität  der  Erscheinung  bestimmen,  können  gesicherte 
Schlüsse  nur  aus  Beobachtungen,  welche  viele  Jahrzehnte  umfassen,  gezogen 
werden.  Denn  wie  kaum  bei  einer  anderen  Naturerscheinung  ist  die  Beob- 
achtung der  Polarlichter  durch  eine  Menge  von  Nebenumständen  beeinflufst, 
welche  mit  dem  Phänomen  selbst  in  gar  keinem  Zusammenhang  zu  stehen 
brauchen.  Den  bedeutendsten  Faktor  bildet  der  Zustand  der  Atmosphäre, 
Wolken  hindern  natürlich  die  Beobachtung;  dann  kommt  die  Erhellung  des 

•)  Siebs  darüber  Heft  1 dieser  Zeitschrift  8.58  u.  59. 


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Himmels  durch  Sonne  oder  Mond,  und  diese  letztere  kann,  weil  sie  ausge- 
sprochen periodischen  Charakter  trägt,  zur  Annahme  unrichtiger  Perioden  für 
dos  Polarlicht  führen. 

Unterweger  hat  nach  dem  Katalog  der  Polarlichter  von  Fritz  die 
während  mehrerer  Jahrhunderte  gesehenen  Lichter  für  die  einzelnen  Tage  des 
Jahres  zusammengestellt;  er  glaubt  aus  seinen  Zahlen  mit  Fritz  eine  Zu- und 
Abnahme  im  Laute  von  etwa  *27  Tagen  wirklich  entnehmen  zu  können;  ich 
gestehe  aber,  dafs  mir  sein  Schlüte  auf  diese  Periode  nicht  ganz  gerechtfertigt 
erscheint  Die  Länge  des  Zeitabschnittes  zwischen  den  Tagen  gröfster  Häufig- 
keit von  Lichten»  variirt  so  stark,  dafs  die  Annahme  einer  viel  kürzeren  Periode, 
vielleicht,  wie  Zenger  aus  Prag  es  zuerst  vorgeschlagen  hat,  einer  solchen,  die 
nur  die  halbe  Dauer  der  Sonnenrotation  umfafat,  mehr  am  Platze  sein  dürfte.  Hier 
kann  ich  dem  Leser  kein  fertiges  Resultat  vorlegen,  zukünftige  Bearbeitungen, 
die  auch  nach  etwas  anderen  Prinzipien,  als  es  bisher  geschehen,  auszufiihreu 
sein  würden,  müssen  die  noch  fehlende  Klarheit  bringen. 

Von  den  Bewegungen  der  Erde  kommt  zunächst  der  jährliche  Umlauf 
derselben  um  die  Sonne  in  Betracht.  Der  Eintlute  dieser  Bewegung  kann  ein 
doppelter  Bein.  Zunächst  ist  die  Erde  der  Sonne  im  Winter  näher  als  im 
Sommer,  etwaige  Kraftwirk  ungen  der  Sonne  werden  sich  also,  wenn  es  auf 
der  Nordhalbkugel  Winter  ist,  stärker  äufsorn,  als  wenn  daselbst  Sommer 
herrscht.  Dann  bringt  dieser  Umlauf,  weil  die  Axo  der  Erde  schief  zu  der 
Bahnebene  steht,  den  Wechsel  der  Jahreszeiten  hervor,  die  Strahlen  der  Sonne 
treffen  die  nördliche  Halbkugel  im  Winter  viel  schräger  als  im  Sommer.  Die 
Wirkung  unseres  geringeren  Abstandes  im  Winter  von  der  Sonne  scheint  sich 
darin  zu  zeigen,  dafs  für  die  ganze  Erde  im  Halbjahr  Oktober  bis  März  mehr 
Polarlichter  erscheinen  als  in  dem  von  April  bis  September.  Für  die  nördliche 
Hemisphäre  ist  das  Ueberwicgen  der  Polarlichter  während  der  Wintermonate 
wohl  keinem  Zweifel  unterworfen;  aus  der  südlichen  Hemisphäre  besitzen  wir 
allerdings  nur  wenige  Hundert  von  Aufzeichnungen,  aber  diese  sprechen  deut- 
lich dafür,  dafs  auch  dort  zu  derselben  Zeit  die  Zahl  der  Polarlichter  ansteigt 
wie  bei  uns.  Wir  werden  die  obige  Behauptung  noch  ein  wenig  sicherer 
stellen,  wenn  wir  sie  auf  diejenigen  Polarlichter  beschränken,  welcho  allge- 
meinere Bedeutung  haben,  namentlich  also  nicht  rein  lokal  sind.  Die  Er- 
fahrung hat,  worauf  wir  besondere  von  Fritz  aufmerksam  gemacht  sind, 
deutlich  genug  darauf  hingewiesen,  dafs  mit  gröfseren  Polarlichtentfaltungen 
auf  der  Nordhalbkugel  solche  auf  der  Südhalbkugel  verbunden  zu  sein  pflegen. 

Diese  Erfahrung  über  das  Zusammengehen  der  Nordlichter  mit  den  Süd- 
lichtera  stellt  mit  einer  anderen  Thalsache  in  enger  Verbindung,  dafs  nämlich 
weitere  Jahresepochen  in  Bezug  auf  Polarlichthäuligkeit  in  mittleren  und  nie- 
deren Breiten,  die  eben  in  Bezug  auf  grofse  Lichter  zumeist  in  Frage  kommen, 
in  solche  Tage  fallen,  in  welchen  dio  Sonne  zu  beiden  Hemisphären  die 
gleiche  Stellung  einnimmt.  Die  Zahl  der  Polarlichter  erreicht  in  unsere 
Breiten  um  die  Frühlings-  und  Herbst-Tag-  und  Nachtgleiche  ihren  höchsten 
Betrag,  und  sinkt  um  die  Winter-  und  Sommer-Sonnenwende.  Je  mehr  man 
sich  der  eigentlichen  Heimath  der  Polarlichter  nähert,  desto  mehr  scheinen 
dieselben  lokalen  Charakter  zu  tragen;  nach  eingehenden  Untersuchungen 
von  Fritz,  Tromholt  und  Anderen  sollen  sich  die  beiden  Jabresinaxima 
mehr  gegen  dio  Wintermitte  schieben  und  in  ganz  hohen  Breiten  zu  einem 
einzigen  auf  den  Januar  fallenden  Maximum  vereinigen.  Es  sei  aber  hervor* 
gehoben,  dafs  noch  in  Kochs  fast  mitten  im  Gürtel  gröfster  Polarlichthäufig* 
keit  durch  nahezu  ein  Jahr  und  fortlaufend  Angestellten  Beobachtungen,  ganz 


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deutlich  zwei  differente  Maxima  hervortreten,  die  allerdings  nicht  auf  die  Tag- 
und  Nacbtgleichen  fallen,  vielmehr  etwas  der  Wintermitto  zuneigen,  aber  nicht 
so  sehr,  als  man  es  nach  manchen  Behauptungen  erwarten  sollte. 

Endlich  haben  wir  noch  die  kürzeste  aller  Perioden  zu  betrachten,  die 
durch  die  Drehung  der  Erde  um  ihre  Axo  veranlagte  tägliche.  Diese  kann 
offenbar  nur  lokale  Bedeutung  haben,  denn  durch  die  Rotation  der  Erde  werden 
eben  nur  die  Stellungen  der  einzelnen  Punkte  zur  Sonne  verändert.  Waren 
also  die  bis  jetzt  behandelten  Perioden  universellen  Charakters  und  hingen 
demzufolge  von  der  absoluten  Zeit  ab,  so  kann  unter  der  täglichen  Periode 
nur  eine  solche  verstanden  werden,  welche  für  jeden  Ort  einen  von  dessen 
lokaler  Zeit  (Ortszeit)  abhängigen  Wechsel  in  der  Erscheinung  begrenzt.  Man 
sollte  meinen,  dafs  die  täglicho  Periode  der  Polarlichter  die  bestbekannte 
ist,  das  ist  aber  durchaus  nicht  der  Fall,  auch  hier  macht  sich  der  Mangel 
Jahre  umfassender  Beobachtungen  in  den  Polarzonen  empfindlich  geltend. 
Alles,  was  wir  sagen  können,  ist,  dafs  in  unseren  Breiten  die  Polarlichter  vor- 
wiegend in  den  ersten  Nachtstunden  und  ersten  Morgenstunden  sich  zeigen, 
um  Mitternacht  dagegen  seltener  auftreten.  In  den  hohen  Breiten  sollen  gerade 
die  Mitternachtstunden  die  ausgiebigsten  sein.  Indessen  wird  wahrscheinlich 
wieder  zwischen  Lichtern  allgemeiner  Bedeutung  und  solchen  örtlichen 
Charakters  unterschieden  werden  müssen.  Leider  reichen  die  Angaben  nicht 
hin,  eine  solche  Unterscheidung  durchzuführen.  Da  wir  die  Polarlichter  am 
Tage  überhaupt  nicht  sehen  können,  mufs  selbstverständlich  die  gröfste  Häufig- 
keit derselben  für  uns  auf  die  Nachtstunden  fallen;  es  ist  aus  den  verschie- 
denen Beobachtungen  auch  leicht  zu  entnehmen,  dafs  die  Stunde  gröfster 
Häufigkeit  bei  uns  sich  umsomehr  der  Mitternacht  nähert,  jo  länger  die  Tage 
werden,  das  heifst,  je  mehr  das  Sonnenlicht  uns  hindert,  anderes  Licht  zu  er- 
kennen. Darum  vermögen  wir  über  den  Gang  der  Polarlichter  zumal  während 
der  Tagesstunden  nichts  anzugeben;  andere,  mit  den  Polarlichtern  auf  das 
engste  verbundene  Erscheinungen  lassen,  worauf  später  zurückzukommen  sein 
w'ird,  darauf  schliefsen,  dafs  Polarlichter  am  Tage  so  gut  vorhanden  sein 
können,  wie  in  der  Nacht. 

Wir  haben  damit  den  Cyclus  der  genauer  untersuchten  und  weniger 
streitigen  Perioden  des  Polarlichts  durchlaufen,  und  müssen  nun  auf  eine  Be- 
merkung zurückkommen,  welche  bei  Gelegenheit  der  Darlegungen  über  die 
elfjährige  Periode  gemacht  ist.  Wir  sahen  dort,  daTs  nach  Tromholts  Unter- 
suchungen die  Bedeutung  der  elfjährigen  Periode  in  den  Polarregionen  sich 
gegen  die  in  den  mittleren  und  niederen  Breiten  gerade  umkehrt  Obgleich 
dieses  Resultat  noch  keineswegs  gesichert  erscheint,  denn  Fritz  z.  B.  hat 
einen  solchen  Gegensatz  der  arktischen  Zono  gegen  die  anderen  Zonen  nicht 
ableiten  können,  sind  doch  dio  Ergebnisse,  zu  welchen  dasselbe  nach  Tröm- 
holt  führen  würde,  von  hohem  Interesse.  Um  nämlich  einen  Grund  für  eine 
solche  Erscheinung  zu  finden,  nimmt  Tr om holt  an,  dafs  die  Zone  gröfster 
Häufigkeit  der  Polarlichter  ihre  Lage  im  Laufe  der  Jahre  ändert;  sie  soll 
wenigstens  südlich  von  Grönland,  in  der  elfjährigen  Periode  abwechselnd  nach 
Süden  und  Norden  wandern;  wenn  die  Thätigkeit  auf  der  Sonne  am  stärksten 
ist,  schreibt  ihr  der  genannte  Forscher  ihre  südlichste  Lage  zu;  die  nördlichste 
soll  sie  erreichen,  wenn  auf  der  Sonne  am  meisten  Ruhe  herrscht.  Da  nun 
Grönland  im  allgemeinen  oberhalb  dieser  Zone  liegt,  so  wird  letztere  von  diesem 
Lande  am  weitesten  abstchen , und  dementsprechend  werden  sich  daselbst  die 
wenigsten  Polarlichter  zeigen  zu  einer  Zeit,  wo  in  mittleren  und  niederen 
Breiten  zum  Theil  auch  wegen  der  Annäherung  dieser  Zone  gerade  häufige 


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Polarlichter  auftreten,  und  umgekehrt:  indem  sie  sich  nach  Norden  zieht,  ge- 
winnt Grönland  an  Polarlichtern,  während  die  südlichen  Regionen  daran  Ein- 
buße erleiden. 

Was  von  der  Zone  größter  Häufigkeit  gilt,  wird  natürlich  überhaupt  für 
ulle  Isochasmen  Bedeutung  haben,  hiernach  wird  das  System  dieser  Linien 
gleicher  Polurlichlhäußgkeit  in  einer  elfjährigen  Periode  hin-  und  her- 
wandern. Ob  sich  diese  Linien  dabei  aus  weiten  und  zusammenziehen 
oder  sieh  zugleich  auf  der  Erdoberfläche  verschieben,  läßt  T romholt 
unentschieden.  Die  Hypothese,  welche  des  weiteren  noch  auf  viel  kürzere 
Perioden,  auf  die  jährliche  und  tägliche  Periode,  ausgedehnt  wird,  und 
mit  welcher  T romholt  anscheinend  überhaupt  den  Wechsel  in  den  Polar- 
lichtern erklären  zu  können  glaubt,  ist  sehr  sinnreich;  über  ihre  Be- 
rechtigung oder  Nichtberechtigung  lüfst  sich  aber  nichts  Voraussagen.  Daß 
die  Isochasmen  keine  ganz  starren  Gebilde  sein  können  und  irgend  welche, 
vielleicht  Jahrhunderte  beanspruchende  Veränderungen  durchmachen  werden, 
ist  aus  den  gewaltigen  Umwälzungen  zu  schliefsen,  welche  der  Erdmagnetismus 
im  Laufe  der  Zeit  erleidet,  zu  dem  ja  die  Polarlichter  in  so  enger  Verbindung 
stehen. 

Gesetz  und  Ordnung  herrschen  in  allen  Vorgängen  der  Natur,  aber  wir 
sind  nicht  immer  im  stände,  sie  herauszuerkennen;  sowohl  die  außerordent- 
liche Zahl  dieser  Vorgänge,  als  die  engen  Beziehungen,  welche  zwischen 
denselben  unverkennbar  vorhanden  sind,  erschweren  die  Trennung  ins  Einzelne 
und  verwickeln  die  Bearbeitung  derartig,  dafs  wir  fast  bei  jeder  Erscheinung 
nach  den  verschiedensten  Richtungen  zu  forschen  haben,  ehe  unserem 
geistigen  Drang  nach  Kausalität  einigermafsen  Genüge  geschehen  ist  Der 
Leser  darf  sich  darum  nicht  wundern,  wenn  in  den  voraufgehenden  Dar- 
legungen nicht  alles  als  fest  und  gesichert  hingestellt  werden  konnte,  wenn 
selbst  aus  Tausenden  von  Beobachtungen  nur  zaghafte  Schlüsse  gezogen  wurden. 


* 

Zur  Theorie  der  Gehirgsketten-Bildung  infolge  der  Säkular- Ab- 
kohlung der  Erde.  Die  neuere  Wissenschaft,  angebahnt  durch  die  Arbeiten 
von  Dana,  Le  Conte,  Mailet,  Favre,  Heim  und  Suess  erklärt  die  Bildung  der 
Massen-  und  Kettengebirge  im  Gegensatz  zu  der  älteren  Hcbungs-  und  Senkungs- 
theorie durch  eino  horizontal  wirkende  Schubkraft,  welche  die  oberflächlichen 
Schichten  des  Erdballs  in  früheren  Epochen  seiner  Bildung  in  Faltungen  ge- 
legt hat  Nicht  nur  durch  geologische  Untersuchungen,  namentlich  der  Alpen 
und  nordamerikanischen  Kettengebirge,  hat  diese  Vorstellung  in  den  letzten 
Dezennien  einen  hohen  Grad  von  Wahrscheinlichkeit  erlangt,  sondern  sie  hat 
auch  durch  äußerst  sinnreiche  Vorrichtungen  unmittelbare  Bestätigung  im 
Laboratorium  des  experimentirenden  Physikers  gefunden.  So  wurde  schon 
1813  durch  Hall  auf  experimentellem  Wege  dio  seitliche  Ztisammonpressung 
der  Gebirge  erwiesen,  und  neuerdings  sind  Versuche  dieser  Art  in  vollkom- 
menerer Weise  von  A.  Favre  wiederholt,  welcher  sich  hierzu  einer  ausgedehn- 
ten Kautschukplattc  bediente,  auf  der  mehrere  Schichten  plastischen  Thones 
ausgebroitet  waren,  die  durch  Kontraktion  der  Platte  auf  zwei  Drittel  ihrer 
Länge  gefaltet  wurden.  In  noch  gröfserer  Mannigfaltigkeit  sind  solche  Ver- 
suche auch  von  Daubrtfev  dem  durch  seine  Experimentalgeologie  rühmlichst 
bekannten  französischen  Geologen,  mit  einem  aufgeblähten  Kautschuk  ball  on, 
der  mit  einer  wenig  elastischen  Hülle  von  erhärteter  Gelatine  umgeben  war. 


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ausgefiihrt  worden.  Die  dadurch  in  der  Thonschicht,  bezüglich  in  der  Gelatine 
hervorgebrachten  Formen  und  Erscheinungen  zeigten  durchaus  analogen 
Charakter  mit  den  in  Gebirgen  beobachteten  Faltungen. 

Wenn  aber  auch  der  Experimentalbofund  und  eine  jede  neue  Lokal- 
durchforschung der  Gebirgsmassive  frische  Belege  für  dieso  Anschauungsweise 
beigebracht  hat,  so  ist  doch  die  Erkenntnifs  der  physikalischen  Ursachen  der 
Faltungsvorgängo  in  der  äusseren  Erdrinde  keineswegs  im  gleichen  Mafse  ge- 
fördert, vielmehr  zeigt  ein  noch  hierüber  stattßndender  lebhafter  Meinungs- 
austausch unter  den  Geologen  zur  Genüge,  dafs  auf  diesom  Gebiete  ein  siche- 
res Fundament  noch  nicht  erreicht  ist.  Um  so  mehr  wird  man  jeden  Versuch 
freudigst  begrüfsen,  welcher  einen  Fortschritt  in  dieser  Beziehung  auzubahnen 
und  auf  sehr  allgemeinen  Grundlagen  den  Sachverhalt  dieser  Erscheinungen 
durch  mathematische  Schlüsse  klarzustellen  bestrebt  ist.  Ein  solcher  liegt  gegen- 
wärtig von  Charles  Davison  und  von  dom  durch  seine  Bemühungen,  kosmische 
Probleme  durch  Rechnung  der  Lösung  zu  nähern,  wohlbekannten  englischen 
Geophysiker  G.  H.  Darwin  vor  („Ueber  die  Vertheilung  der  Spannungen  in 
der  Erdrinde  infolge  der  Säkularabkühlung  mit  besonderer  Rücksicht  auf  den 
Bau  der  Kontinente  und  die  Formation  der  Gebirgsketten“,  Phil.  Trans,  of 
Lond.,  Vol.  178,  Part  I,  p.  213,  1887). 

Die  neuere  Theorie  der  Gebirgsbildung  setzt  im  Anschluss  an  die  Kant- 
Laplacesche  kosmogonische  Hypothese  voraus,  dafs  unser  Weltkörper  im  Innern 
einen  durch  Säkularabkühlung  in  Zusammenziehung  begriffenen  Kern  besitzt, 
und  dafs  diese  Zusammenziehung  in  früheren  Epochen  stärker  war  als  die- 
jenige der  äufseren  Felsrinde.  Da  sich  die  Rinde  also  einst  wie  ein  geschlos- 
senes Gewölbe  verhielt,  mufste  sich  ihr  nach  dom  Mittelpunkt  hin  wirkendes 
Gewicht  in  einen  seitlichen  Tangentialdruck  umsetzen,  und  an  den  schwächsten 
Stellen  des  Gewölbes  hierdurch  ein  Auswärtsweichen  in  Form  einer  Falte  ein- 
treten,  d.  h.  ein  Gebirgszug  geschaffen  werden. 

Diese  Vorstellung  setzt  aber  die  Möglichkeit  einer  stärkeren  inneren 
als  äufseren  Abkühlung  unseres  Weltkörpors  voraus,  und  in  der  That 
hat  G.  II.  Darwin  auf  Grund  der  Formel,  welche  Thomson  für  die  Säkularab- 
kühlung  der  Erde  aufgestellt  hat,  strenge  bewiesen  (Nature,  Vol.  19,  1879, 
p.  313),  dafs  die  Schicht,  in  der  bei  festen  Körpern  die  Abkühlung  ihren 
Maximalwerth  erreicht,  nicht  an  der  Oberfläche,  sondern  in  einer  gewissen 
Tiefe  unter  derselben  liegt  und  im  Verlaufe  der  Jahrtausende  in  eine 
weitere,  von  der  Leitungsfähigkeit  abhängige  Tiefe  allmählich  fortschreitet.  Aus 
diesen  Untersuchungen  ging  wenigstens  soviel  hervor,  dafs  die  Vertheilung 
der  Zug-  und  Druckkräfte  im  Erdball,  wie  sie  aus  der  Säkularabkühlung  ent- 
steht, im  groben  und  ganzen  mit  den  Annahmen  harmonirt,  welche  für  die 
Faltungstheorie  nothwendig  erscheinen.  Davisons  und  Darwins  neuere  Arbeit 
knüpft  an  diese  Forschungsergebnisse  an.  Wie  hierin  gezeigt  wird,  können 
Faltungen  durch  Tangentialschub  nur  bis  zu  einer  gewissen  Tiefe  unter  der 
Erdoberfläche  stattfinden,  wo  sie  verschwinden;  geht  man  dann  weiter  abwärts, 
so  werden  die  Faltungen  durch  Dehnungen  der  Erdmaterie  infolge  von  Tan- 
gentialspannungen ersetzt,  und  bei  dem  stetigen  Uebergange  von  Druck  in 
Zug  mufs  in  einer  gewissen  Tiefe  eine  Schicht  existiron,  die  sich  in  neu- 
tralem Zustande  befindet,  d.  h.  durch  Säkularabkühlung  keine  Beein- 
flussung erfahrt.  Für  die  dynamische  Geologie  ist  es  aber  von  besonderer 
Wichtigkeit,  die  Tiefe  dieser  Schicht,  welche  bei  dem  Favreschon  Experiment 
der  Kautschukplatte  entsprechen  würde,  festzustellen;  denn  aus  der  Mächtig- 
keit der  darüber  liegenden  Faltungszono  wird  man  ja  beurthoilen  können, 
ob  die  an  der  Oberfläche  wahrgenommenen  Unebenheiten  in  Hinsicht  ihrer 
Himmel  und  Erde.  L 6.  27 


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Grüße  mit  denjenigen  vergleichbar  sind,  welche  durch  Auftreibungen  und 
Einsenkungen  dieser  Zone  zu  stände  kommen  konnten.  Hei  unserm  Unver- 
mögen, in  größere  Tiefen  vorzudringen,  ist  keine  Aussicht  vorhanden,  dafs 
wir  jemals  durch  direkte  Anschauung  uns  von  der  Lage  dieser  neutralen 
Schicht  überzeugen  werden,  vielmehr  läßt  sich  ihre  Bestimmung  nur  auf  dem 
Wege  eines  Induktiousschlusses  mit  den  Hülßmitteln  erlangen,  welche  die 
Kenntnirs  der  Warmeverthcilung  und  Wärmefortpflanzung  in  Körpern,  speziell 
im  Erdkörper,  an  die  Hand  giebt 

Wird  die  Temperatur  der  ursprünglich  gluthflüssigen  Erdmasso  gleich 
der  Schmelzhitze  der  widerstandfähigsten  Substanzen  zu  4 000  Grad  Cels. 
und  die  bis  zur  Gegenwart  verflossene  Erstarrungszeit  des  Erdglobus,  im  An- 
schluß an  gewisse  Untersuchungen  von  Sir  William  Thomson1),  zu  etwas 
weniger  als  *200  Millionen  Jahre  angenommen,  so  erhält  bei  solchen  Voraus- 
setzungen Davison  folgende  Resultate  (siehe  Figur): 

1.  Faltungen  durch  Tan- 

gcntialdruek  gehen  in  Deh-  4er/'e*eA* 

nungen  durch  Tangentialspan- 
nung  in  einer  Tiefe  von  5 engl. 

Meilen  (8  km)  über.  Von  dieser 
Tiefe  aufwärts  wachsen  die 
Faltungen  allmählich,  bis  sie 
ihren  größten  Werth  nahe  an 
der  Erdoberfläche  erreichen. 

2.  Dehnungen  durch  Tan- 
gcntialspannu ng,  die  in  einer 
Tiefe  von  400  M.  (044  km)  in- 
folge des  geringen  Wärmevor- 
lustes  des  Erdkerns  von  unab- 
schätzbar  kleinem  Betrage  sind, 
werden  von  dieser  Tiefe  aus 
nach  dor  Erdoberfläche  hin  zu- 
nächst zunehmen.  Ihren  gröfs- 
ten  Werth  erreichen  sie  bei 
72  M.  (116  km)  Tiefe,  das  ist 
gerade  unter  der  Flüche  stärkster  Abkühlung,  welche  nur  wenig  tiefer  liegt 
Hierauf  nehmen  die  Dehnungen  wiederum  ah  und  verschwinden  ganz  in  einer 
Tiefe  von  5 M.,  wo  also  die  spannungslose  Schicht  angetroffen  wird. 

3.  Die  spannungslose  Schicht  ist  im  Verlaufe  der  Jahrtausende  einem 
fortdauernden  Wandel  unterworfen,  indem  sie  mit  wachsender  Zeit  in  immer 
gröfsere  Tiefen  rückt,  und  muß  daher  in  früheren  Epochen  der  Bildungs- 
geschiehte  unseres  Weltkörpers  unmittelbar  unter  seiner  Oberfläche  gelogen 
haben  (sio  ändert  sich  nahezu  wie  die  (Quadratwurzel  aus  der  Zeit,  welche 
seit  der  Erstarrung  des  Erdballs  verflossen  ist).  In  ähnlicher  Weise  verschiebt 
sich  auch  die  Fläche  gröfster  Abkühlung. 

Die  beschränkte  Tiefe,  in  der  auf  Grund  dieser  Ergebnisse  sich  Rinden- 
faltungen erstrecken,  kann  vielleicht  als  ein  Argument  gegen  die  Kontraktions- 
theorie unter  der  Hypothese  durchgehender  Starrheit  der  Erde  betrachtet 
werden,  insofern  als  anscheinend  kein  genügender  Raum  für  die  Anhäufung 
von  Sedimentärsehichtungen  geboten  ist,  deren  Mächtigkeit  bei  dom  Alloghany- 

T)  Wonach  di©  ErsUrrungereit  der  Erd©  init  einiger  Sicherheit  innerhalb  der  Grenzen 
ron  20  Mil),  und  2CD  Mill.  Jahren  liegen  soll. 


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$73 


Gebirge  auf  12  000  m und  bei  den  Rocky-Mountains  sogar  auf  19  000  m geschätzt 
wird.  Indessen,  sind  auch  diese  Angaben  zutreffend,  so  bleibt  doch,  wie 
Davison  bemerkt,  zu  beachten,  dafs  die  Tiefo  der  spannungslosen  Schicht 
eben  nur  unter  Voraussetzung  einer  vollkommen  glatten  und  kugelförmigen 
Erdoberfläche  berechnet  worden  ist,  während  eine  derartige  Beschaffenheit 
derselben  ira  ursprünglichen  Zustande  kaum  denkbar  erscheint.  Prof.  Peirce 
und  Prof.  G.  H.  Darwin  haben  nämlich  gezeigt,  dafs  sich  ganz  bedeutende 
Faltungen  in  den  Oberflächenschichten  eines  einst  zähflüssigen  Erdsphäroids 
bilden  mufsten  infolge  der  Verminderung  der  Polabplattung,  die  nothwendig 
mit  einer  durch  Gozeitenreibung  bewirkten  allmählichen  Abnahme  der  Um- 
drehungsgeschwindigkeit — also  der  Tageslänge  — verbunden  ist.  Diese  Fal- 
tungen dürften  hinreichend  grofs  gewesen  sein,  um  die  Grundpfeiler  der 
Kontinente  und  durch  Zusammenwirken  mit  der  Säkularabkühlung  auch  die 
Gebirgsketten,  sogar  bei  einer  so  geringen  Mächtigkeit  der  Faltungszone,  erzeugt 
zu  haben.  Davison  sowohl  wie  Darwin  sind  daher  der  Ansicht,  dafs  die  von 
dem  englischen  Geophysiker  Osmond  Fisher  gegen  die  Kontraktionstheorie  des 
festen  Erdballs  vorgebrachten  Argumento  sich  für  dieso  Theorie  nicht  ver- 
hängnifsvoll  erweisen  werden.  Fisher  glaubt  nämlich  behaupten  zu  können 
(Phil.  Mag.,  Vol.  23,  1887  und:  Physics  of  tho  Earth's  Crust,  1881),  dafs  die  be- 
stehenden Ungleichheiten  der  Erdoberfläche  wenigstens  sechsundsechzigmal 
gröfser  sind,  als  wie  sie  sich  durch  Kontraktion  eines  völlig  festen  Erdglobus 
ergeben  könnten;  zu  ähnlichen  Resultaten  kommt  unter  andern  auch  der 
deutsche  Geologe  Fr.  Pfaff. 

Da  die  spannungslose  Fläche  in  dem  frühesten  Bildungsstadium  unseres 
Weltkörpers  sehr  nahe  unter  seiner  Oberfläche  liegen  mufste,  so  kann  nach 
Davison  hierin  möglicherweise  ein  Grund  für  die  Bildung  der  Meeresbecken  ge- 
funden werden.  Denn  da  dor  Oceanboden  diesor  Schicht  bedeutend  näher  lag, 
so  mufsten  die  faltenden  Kräfte  hier  eine  geringere  Wirkung  ausgeiibt  haben, 
ja  zum  Theil  gar  durch  Zugkräfte  ersetzt  worden  sein,  worauf  die  geologische 
Beschaffenheit  des  maritimen  Untergrundes  hinzuweisen  scheint  In  diesen 
Umständen  kann  ferner  auch  eine  physikalische  Ursache  für  die  Beständig- 
keit des  Land-  und  Wasser- Areals  — eine  Anschauung,  die  sich  jetzt  mehr  und 
mehr  Bahn  bricht  — sowie  für  die  beobachtete  Thatsache  gefunden  werden, 
dafs  längs  der  Küstenlinien  sich  vorherrschend  Gebiete  vulkanischen  Cha- 
rakters hinziehen. 

Wir  wollen  bei  dieser  Gelegenheit  noch  auf  eine  andere  neuere  Arbeit 
hinweisen,  die  einen  ähnlichen  Gegenstand  behandelt  A.  de  Grossouvre  hat 
jüngst  der  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Paris  Untersuchungen  über  die 
Gebirgskettenbildung  und  über  ihre  Beziehung  zu  den  Deformationsgesetzen  des 
Erdsphäroids  (Coinpt  rend.,  Nov.,  1888)  vorgelegt.  Die  Resultate  seiner  Be- 
trachtungen lassen  sich  als  Stützpunkte  der  Theorie  von  Davison  und  Darwin 
ansehen,  wonach  dor  Fluthreibung  und  einer  dadurch  bewirkten  Verlang- 
samung in  der  Rotationsperiodo  dor  Erdo  ein  wesentlicher  Antheil  an  dem 
Aufbau  der  Kontinente  und  Gebirge  beizumessen  ist.  S. 


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374 


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SailP 


Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Monat  März. 

(Sämmtliche  Zeitangaben  gelten  für  Borliner  Zeit) 


l.  Der  Mond. 

Aufgang  Untergang 


L 

Mörz  Neumond  7*»  27“ 

Mg. 

5k 

0“ 

Nm. 

9. 

. Erstes  V.  u.  Erdferne  10  33 

„ 

2 

17 

Nt 

17. 

„ Vollmond  6 6 

Ab. 

6 

58 

Mg. 

21. 

„ Erdnähe  1 1 32 

„ 

8 

36 

„ 

24. 

« Letztes  Viertel  3 7 

Mg. 

11 

2 

Vm. 

31. 

„ Neumond  6 28 

„ 

6 

26 

Ab. 

Maxima  der  Libration: 

2.,  15.  und  29.  März. 

a.  Die  Planeten. 

M 

orkur 

V 

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Rectas.j  Dcclin. 

Aufg. 

Unterg. 

Rectas.!  Declin. 
1 

Aufg. 

j Unterg. 

i. 

März 

21*19"  -14®  3 

jh  r>4“le. 

3b  30»  5 m. 

lb  37”  4-13’  10 

7*  44"  Ir.  10*  14"»  Am. 

5. 

21  2G  -14  26 

5 46  . 

3 18  . 

1 50  4-14  52 

,7  31  - 

10  21  . 

9. 

21  37  -14  91 

5 43  . 

3 15  . 

2 2 4-16  28 

7 18  _ 

10  28  . 

13. 

„ 

21  52  —13  48 

5 38  . 

3 16  . 

2 14  4-17  56 

7 5 . 

10  33  . 

17. 

„ 

99  10  — 12  50 

5 34  „ 

3 24  . 

2 25  1-4-19  18 

jG  51  . 

10  37  . 

21. 

„ 

22  29  -11  29 

5 30  . 

3 34  . 

2 34  -20  81 

6 37  - 

10  39  . 

25. 

92  50  - 9 47 

5 26  „ 

3 50  . 

2 48  -21  85 

C 22  . 

10  40  . 

29. 

23  12  — 7 43 

;5  21  „ 

4 7 . 

2 50  4-22  28 

6 7. 

ilO  37  . 

13.  März  gr.  wemtl.  Ausweichung. 

5.  März  Sonnennähe. 

18.  . Sonnenferne. 

22.  , Maxim,  d.  Glanzes. 

M 

a r s 

Jupiter 

Rectas.  Doclin. 

Aufg. 

Unterg. 

Rectas.  Deeliu. 

Aufg. 

Unterg. 

1. 

März 

Ob  35”  4- 3“  17'! 

7b  36«  Sr. 

8b  18»  .11. 

18*17“  — 23*4'| 

3*  49"  Ir. 

ll*29»Vm. 

7. 

0 51  +5  8! 

7 19  . 

8 21  „ 

18  20  - 23  2 

3 29  „ 

11  9 . 

13. 

■ 

1 8 +6  56  j 

7 3 . i 

8 23  „ 

18  24  — 23  1 

3 9. 

10  49  . 

19. 

1 25  !-{-  8 41 1 

0 46  - 

8 26  . 

18  27  - 22  59 

2 48  . 

10  28  . 

25. 

n 

1 41  4-10  22 

6 30  „ 

8 28  . 

18  30  - 22  58 

2 26  - 

10  8 . 

Saturn 

Uranus 

Rectas.  | Declin. 

Aufg. 

Unterg. 

Reetas.  Deelin. 

Aufg. 

1 Unterg. 

2. 

März 

9b  lim  4-l7*28* 

2b  49”  5m. 

6*  llmlt 

13*20“  -7*45' 

9*  16"lk. 

§h  2“  lg. 

10. 

« 

9 9 4-17  37 

2 14  . 

5 38  . 

13  19  - 7 39 

8 43  . 

7 29  . 

18. 

9 7 4-17  44 

1 40  . 

5 6 . 

13  18  —7  33 

8 9 . 

6 57  . 

26. 

" 1 

9 6 4-17  50 

t 7 . 

4 33  . 

13  17  — 7 25 

7 36  . 

1 G 26  _ 

Elongationen  des  Saturnt 

rabantcu  r 

"itan : 2.  u 

i 

17.  März  osU.,  9 

Mürz  westl.  Elong. 

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375 


Neptun 

Kectas. 

Declin. 

Aufg. 

Unterg. 

2.  März 
15.  . 

28.  ■ 

3h  51“ 

3 52 
3 53 

+ 18“  28' 
+ 18  32 

4-  18  36 

!>h  22“  1?. 
8 31  . 

7 41  . 

12h  58“  St. 

12  7 . 

11  17  . 

3.  Beobachtbare  Verfinsterungen  der  Jupitertrabanten. 

11.  März  II.  Trab.  Verfinst  Eintritt  5*  4*2“  Mg. 

12.  I.  . „ 4 16  * 

19.  I.  „ „ „ 6 9»  (bei  Sonnenaufg.) 

28.  . I.  . . 2 31  , (12“  nach  Jup.  Aufg.) 

4.  Sternbedeckungen  durch  den  Mond. 

(für  Berlin  sichtbar).  • 

Gröfse  Eintritt  Austritt 

16.  Mürz:  1 Leonis  fi.l  .*1*»  21“ Mg.  4*  7»  Mg. 


5.  Veränderliche  Sterne. 


a)  Maxima  variabler  Sterne: 

Maximum  Helligkeit  im  1889 


am 

Max. 

Min. 

Rectas. 

Declin. 

R 

Arieli» 

4. 

März 

7.8  Gr. 

12  Gr. 

2 

h !*“  48» 

+ 

24“ 

32' 

V 

Cancri 

23. 

7 

12 

8 

13 

23 

4- 

17 

38 

R 

Leonis 

23. 

5 

10 

9 

41 

36 

4* 

11 

56 

U 

Virginis 

2. 

. 

7.8 

12.13  „ 

12 

45 

28 

4- 

6 

9 

s 

Librae 

14. 

_ 

8 

12 

15 

15 

1 

— 

19 

59 

s 

Serpentis 

11. 

7.8 

12.13  . 

15 

16 

28 

+ 

14 

42 

R 

Sruti 

8. 

„ 

5 

8.9  . 

18 

41 

34 

— 

5 

49 

R 

Lyrao 

5. 

_ 

4.3 

4.7  . 

18 

51 

57 

4- 

43 

48 

R 

Aquarii 

17. 

. 

6 

11 

23 

38 

5 

— 

15 

53 

V Ophei 
Algol  . . 
X Tauri 

H Can.  maj. 

S Cancri 
o Librae 
U Corona© 
l*  Ophiuchi 

Y Cygni 


b)  Minima  der  Sterne  vom  Algol-Typus.1) 

4.,  9.,  14.,  19.,  24.,  29.  März  Nm. 

.ri.  März  Nt,  11.  Nin.,  17.  Vm.,  23.  Mg.,  28.  Ab. 

1.  März  Nm.,  10.  M.,  17.  Vm. 

(Jedes  3 Min.):  3.  März  Ab.,  7.  Mg.,  10.  Nm.,  14.  Mg.,  17.  M., 
20.  Ab..  24.  Mg..  27.  Nm.,  31.  Mg. 

2.  März  Mg.,  11.  Ab.,  21.  Mg.,  30.  Nm. 

5.  März  Mg.,  9.  Ab.,  14.  Vm.,  19.  Mg.,  23.  Ab.,  28.  Vm. 

7.  März  Nm,  14.  M.,  21.  Vm.,  28.  Mg. 

(Jedes  4.  Min.):  3.  März  Vm.,  6.  Ntn.,  10.  Mg.,  13.  Vm.,  16.  Ab., 
20.  Mg..  23.  M..  26.  Ab.,  30.  Mg. 

(Jedes  3.  Min.):  5.  Mürz  Vm.,  9.  Ab.,  14.  Vm.,  18.  Ab.,  23.  Vm., 
27.  Ab.,  1.  April  Vm. 


c)  Minima  einiger  Veränderlicher  kurzer  Periode:5) 
T Monocer.  . 22.  März. 

C Gemin.  . . 9.,  19.,  30.  März. 


•)  Dl©  Lichtporioden  und  Ort©  diosor  8t©rn©  sind  im  Fsbruarhcft  S.  316  angtffroboa. 
*)  L*©b©r  l’oriod©  und  Ort  dieser  Stern©  ©.  Kobruarhoft  8.  316. 


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ß Lyrao  . . 1.,  14.,  27.  März. 
rt  Aquilao  . 3.,  10.,  17.,  24.,  31.  März. 

8 Cephei  . . 5.,  10.,  lö.,  21.,  20.  März,  1.  April. 

6.  Meteoriten. 

Für  Beobachtungen  derselben  sind  die  Abende  vom  1.  bis  7.  März  am 
geeignetsten. 

7.  Nachrichten  über  Kometen. 

Am  lö.  Januar  ist  von  Brooks  in  Geneva  nahe  beim  Sterne  ft  Sagittarii 
ein  neuer  Komet  aufgefunden  worden;  das  Object  war  schwach  und  zeigte  eine 
schnelle  Bewegung  gegen  West;  bis  zum  Schlufs  dieses  Blattes  war  über 
weitero  Beobachtung  und  die  Bahn  des  Gestirnes  nichts  bekannt. 

Der  Barnardeche  Septemberkomet  ist  gegenwärtig  schon  recht  schwach, 
wird  aber  noch  beobachtet. 


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Amerikanische  Erfolge  und  Bestrebungen  bei  der  Beobachtung  neuerer 
totaler  Sonnenfinsternisse. 

Der  Direktor  der  Sternwarte  des  Harvard  College,  Professor  W.  H.  Picke- 
ring, berichtet  in  dem  letzt  erschienenen  Bande  der  Stern warteannulon  über 
die  Beobachtung  der  Sonnenflnstcmifs  vom  29.  August  1S86.  Diese  Finsternits 
fand  bald  nach  Sonnenaufgang  nördlich  der  Küste  von  Venezuela  und  Guyana 
statt.  Zu  ihrer  Beobachtung  bewilligte  das  Rumfordcomite  der  American  Aca- 
demy of  arts  and  Sciences  die  erforderlichen  Geldmittel  und  stellte  die  auszu- 
rüstende Expedition  unter  die  Leitung  Professor  Picke  rings.  Am  17.  August 
langte  die  letztere  auf  ihrem  Bestimmungsorte,  der  westindischen  Insel  Gre- 
nada, an.  Ein  auf  der  Westseite  der  Insel,  nahe  der  Stadt  St.  George,  im  gleich- 
namigen Fort  gelegenes  Haus  diente  als  Station.  An  Instrumenten  waren  zur 
Verfügung:  ein  Photoheliograph,  mit  welchem  eines  Versehens  wegen  nichts 
erlangt  wurde,  zwei  parallaktisch  niontirte  photographische  Camera,  durch 
Kurbeln  bewegbar,  ein  dreizölliges  Telescop  mit  Camera  als  Reserve  für  den 
Photoheliographen,  ein  Actinometer,1)  ein  Photometer,  diverse  meteorologische 
Instrumente  u.  a.  w.  Für  die  Photographie  wurden  die  schnell  wirkenden 
„SeecP-Platten,  für  das  Actinometer  die  langsamer  arbeitenden  Carbutt-Platten 
verwendet.  Die  Beobachtungen  begannen  um  G Uhr  Morgens,  im  Beisein  zahl- 
reicher schwarzer  Zuseher.  Dichte  Wolken  und  mehrfache  Regenschauer 
drohten  jede  Observirung  zu  vereiteln,  als  kurz  vor  dem  Totalitätsmomente  die 
Sonne  noch  sichtbar  wurde.  Fünfzehn  Sekunden  vor  der  Totalität  schien  ein 
leichter  Nebelring  die  Sonne  zu  umgeben,  anfangs  röthlich,  dann  violett  Das 
merkwürdige  Phänomen  der  perlschnurartigen  Lichtpunkte  am  Mondrande 
(Bailvs  Rosenkranz)  trat  auf  und  Lichtwellen  verschiedener  Färbung  uinflu- 
theten  den  Mond.  Einige  der  Beobachter  berichten  von  rosenfarbigen  langen 
Lichtstreifen,  die  kurz  vor  der  Totalität  sichtbar  wurden  und  alsbald  wieder 
verschwanden.  Zehn  Sekunden  vor  der  totalen  Bedeckung  sah  Pickering 
die  Sonnencorona;  sie  war,  obwohl  durch  Nobel  getrübt,  doch  ausgezeichnet 
und  erschien  viel  schärfer  und  heller  als  bei  der  in  den  Vereinigten  Staaten 
beobachteten  Sonnenfinsternifs  vom  29.  Juli  1878. •*)  Auf  der  Westseite  der 
Sonne  ragten  drei  feine  Protuberanzen  hervor,  wovon  die  eine  im  Nordwesten 

')  Zur  Messung  schwacher  Helligkeiten,  namentlich  des  lliiuruelallehtes.  Die  empfind- 
liche photographische  Platte  des  Apparates  kaun  durch  5 quadratische  OefTnungen  eines  sie 
bedeckenden  schwarzen  Papiere»  der  Einwirkung  des  Himmelslichte»  ausgesetzt  werden,  andoro 
Theilo  der  Platte  werden  »pater  durch  eben*olcho.OefluuDgcn  dem  Sternlichte  exponirt  und  es 
kennen  auf  diese  Weiso  in  gegebenen  Zcitinlerrallen  Vergleichungen  der  actinischeu  Wirkung 
beider  Lichtquellen  erhallen  worden. 

*)  Die  photographischen  Aufnahmen  dor  Corona  durch  die  ebenfalls  auf  Grenada  sta- 
tionirt  gewesene  englische  Expedition  unter  I.ockycr  zeigen  erheblich  grossere  Ausdehnungen 
als  jene  der  amerikanischen  Platten.  („Observatory”,  Oktober  188?.) 


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» ij 


378 

ungewöhnlich  hoch.  Während  der  Totalität  waren  Venus  und  Merkur  klar 
zu  sehen,  der  hellere  Stern  im  Orion  gut  Die  Färbung  der  Gegenstände  wurde 
gelb,  die  Schatten  erschienen  beträchtlich  schwach;  auch  einige  Beunruhigung 
von  Thieren  wurde  notirt  Aufser  den  photographischen  Aufnahmen  des 
Gesamtphänomens  erstreckten  sich  die  Arbeiten  der  Expedition  auf  spectro- 
Kcopisehe  Beobachtungen  der  Corona,  auf  photometrische  Messungen  der  Licht- 
stärke während  der  Totalphase,  und  auf  Verfolgung  der  durch  den  Mond- 
schatten dnrgehotencn  eigentümlichen  Erscheinungen,  bei  welch  letzteren 
Beobachtungen  Picke  ring  durch  mehrere  freiwillige  Observatoren  unterstützt 
wurde.  Besondere  Aufmerksamkeit  widmete  Professor  Pickering  den  Fest- 
stellungen des  Helligkeitsgrades  der  verschiedenen  Tlieile  der  Corona.  Die 
hierüber  aufgenommenen  Platten  wurden  nach  der  Rückkehr  der  Expedition 
mit  solchen  verglichen,  die  durch  Exposition  im  Sternlicht  erzeugt  worden 
waren,  und  hieraus  die  Curven  der  gleichen  Helligkeit  abgeleitet.  Auf  Grund 
der  so  gefundenen  actiuischen  Intensität  des  Coronalichtes  und  in  der  Vor- 
aussetzung, dafs  diese  Helligkeit  von  dem  Sonnenlichte  abhängt,  welches  in 
dem  die  Corona  bildenden  Gase  reflektirt  wird,  schliefst  Pickering  auf  eine 
Dichtigkeit  dieser  Coronagashülle  von  1 : 2tM),Qf)0, 01)0, 000  derjenigen,  welche 
die  Atmosphäre  unserer  Erde  besitzt. 

Die  Amerikaner  haben  sich  auch  die  Beobachtung  der  totalen  Sonnen- 
nnsteriiifs  vom  19.  August  1887  nicht  entgehen  lassen,  derselben,  die  in  Deutsch- 
land mit  so  viel  Spannung  erwartet,  aber  fast  ganz  verregnet  worden  ist.  (Uebor 
die  theilweise  befriedigenden  Erfolge  der  Beobachtungen  in  Rufsland  und  Si- 
birien hat  Herr  Kleiber  im  Novemberhefte  von  „Himmel  und  Erde“  berichtet) 
Der  Director  des  Observatoriums  vom  A mherst-College,  Professor  D.  P.  Todd, 
berichtet  nunmehr  in  einem  „Proiiminary  report“  über  die  Resultate  der  ame- 
rikanischen zur  Beobachtung  derselben  Finsternifs  nach  Japan  gesandten  Expe- 
dition. Todd  erreichte  am  8.  Juli  Yokohama  und  wählte  als  Station  ein  Kastell 
bei  dem  Orte  Shirakawa.  Das  Hauptinstruinent  war  ein  grofser  Photohel iograph. 
Als  Beobachter  waren  zwei  Offiziere  vorn  amerikanisch-asiatischen  Geschwader, 
S o u t h e r 1 a n d und  P c m be  r t o n , au fserdem  mehrere  intelligente  Japaner  thätig. 
Die  Observirung  war  in  jeder  Richtung  bin  sorgfältig  vorbereitet  und  eingeübt, 
aufserdem  durch  die  Vorsorge  des  Admiral  Yanagi  der  Austausch  elektrischer 
Signalwcehsel  mit  dem  Marineobservatorium  in  Tokio  zum  Zwecke  der  Be- 
stimmung der  LängendilTcrenz  der  Beobachtungsstation  vermittelt.  Der  Vor- 
mittag des  Finsternifstages  war  wolkenlos,  dann  wurde  es  ungünstig  und  die 
Sonne  in  der  ersten  halben  Stunde  der  Finsternis  nicht  sichtbar.  Eine  Wolken- 
liicke  erlaubte  etwa  10  Expositionen,  doch  nur  j der  Bilder  erwiesen  sich  zu 
Messungen  verwendbar;  vom  zweiten  Finstemifscontakte  wurde  mit  Mühe  eine 
rohe  Zcitnotirung  erhascht.  Auch  die  anderen  Expeditionen  in  Japan  sind, 
wie  sich  später  liorausstollte,  meist  mifsgliickt.  Professor  Terao  fand  zu  Kuroiso 
(südlich  von  Shirnkawa)  vollständig  bedeckten  Himmel.  Dem  Direktor  des 
meteorologischen  Observatoriums  in  Tokio  gelangen  zu  Sanjo  (an  der  Central- 
curve  der  Finsternifs)  einige  Photographien  der  Corona;  klar  war  es  nur  an 
der  Ostküste,  zu  Choshi,  woselbst  man  keine  Instrumente  aufgestellt  hatte. 

Die  totale  Sonnenllusternifs  vom  Noujahrstage  des  gegenwärtigen  Jahres 
<s.  Januarheft  „Himmel  und  Erde“  8.250)  nahm,  da  ihr  Centralitätsgebiet  in 
die  Vereinigten  Staaten,  auf  Nord-Californicn,  Nord-Novada,  Süd-Idaho,  Dakota, 
Montana,  Manitoba  und  in  das  Areal  des  Yellowatonopark  fiel,  das  Interesse 
der  gesamten  gebildeten  Welt  Nordamerikas  in  Anspruch.  Professor  T o d d hat, 
um  diese  Antheilnahme  des  Publikums  an  einem  so  seltenen  astronomischen 


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379 


Ereignisse *)  auf  fruchtbringende  Mitwirkung  bei  Beobachtungen,  namentlich 
der  Sonnencorona,  hiuzulonken,  besondere  „Instructions  for  observing  the  total 
eclipse  of  the  sunu  vertatet  Diese  sehr  ins  Detail  gehende  Schrift  leitet  intelli- 
gente Leser  zu  ganz  werthvollen  Aufnahmen  der  Corouaerscheinung  an.  Sie 
bespricht  das  Verhalten  des  Beobachters  beim  Herannahen  der  Totalität,  das 
Zeichnen  der  Corona-Umrisse  durch  Rauchglas,  das  Orientiren  der  Skizzen  und 
die  Eintragung  der  Details  mittelst  Feldgläser  und  kleiner  Teleskope.  Für  die 
Beobachtung  der  feinen,  oft  weithin  sich  erstreckenden  Ausläufer  der  Corona 
empfiehlt  Todd  eine  Scheibe  aus  Holz  oder  Pappendeckel,  die  durch  (in  der 
Schrift  eingehend  auseinandergesetzte)  Versuche  einige  Tage  vor  der  Finsternifs 
in  eine  geeignete  Lage  gebracht  und  gegen  welche  der  entsprechende  Stand- 
punkt des  Auges  de9  Beobachters  ormittelt  wird,  so  zwar,  dafs  beim  wirk- 
lichen Eintritt  der  Totalität  dem  Beobachter  die  Sonne  durch  die  Scheibe  völlig 
verdeckt  erscheint.  An  seinen  so  markirten  Sitz  begiebt  sich  der  Beobachter 
erst  im  Momente  des  Totalitätsbeginns  und  zwar,  da  er  sich  vorher  in  einom 
dunklen  Zimmer  aufzuhalten  hat,  mit  einem  für  die  feinen  Lichteindrucke  sehr 
empfindlichen  Auge. 

Von  den  Beobachtuugsresultaten  der  Amerikaner  bei  dieser  Finsternifs 
liegen  bis  jetzt  nur  Zeitungsnachrichten  vor.  Da  die  Veröffentlichung  offizieller 
Berichte  jedenfalls  nicht  sobald  erfolgen  wird,  so  geben  wir  hier  wenigstens 
einige  Nachrichten  nach  den  Telegrammen  des  „New  York  Ilerald"  vom 
2.  Januar  1889.  Professor  Pickering  beobachtete  zu  Willow  (Calif.),  erlangte 
aufser  den  Contaktnotirungen  50—60  Photographien,  Zeichnungen  der  ganzen 
Corona,  photometrische  und  spektrographische  Resultate.  Zu  Chico  (Calif.) 
wurden  16  Photographien,  auf  der  Station  des  Lick-Observatoriums  bei  Santa 
Clara  13  Bilder  aufgenommen,  desgleichen  erhielt  Keeler  auf  der  Station  von 
Bartlett  Springs  (Calif.)  gute  Aufnahmen.  Sämtliche  vier  Contaktbeobach- 
tu ngen  des  Mond-  und  Sonnonrandes  gelangen  zu  Nelson  (Calif.),  Winneinucca 
|Nev.),  Blackfoot  (Idaho),  theilweise  erreichte  man  dieselben  zu  Santa  Clara, 
Budford  (Dac.)  und  Norman  (Calif.).  Gute  Zeichnungen  der  au  feeren  Corona 
erhielt  Todd  bei  Fort  Keogh  (Mont.),  desgleichen  liefen  sich  solche  von  der 
ganzen  Corona  bei  Winneinucca  ausführen;  zu  Marysvillo  (Calif.)  und  Nelson 
war  die  Corona  durch  Nebel  getrübt.  Swifts  Nachforschungen  nach  einem 
intraraercuriellen  Planeten  ergaben  kein  Resultat. 

Die  Bemühungen  der  amerikanischen  Astronomen  sind  demnach  diesmal 
von  vollem  Erfolge  gewesen  und  man  darf  gewifs  sehr  darauf  gespannt  sein, 
welche  Resultate  die  sachlichen  Publikationen  über  die  von  den  einzelnen  Ex- 
peditionen ausgeführten  Heobachtungen  in  Bezug  auf  unsere,  derzeit  in  mancher 
Hinsicht  noch  sehr  dunkle  Krkenntnifs  der  Natur  des  Sonnenkörpers  zu  Tage 
fordern  werden.  • 


* 

E.  ülarrhanri.  Relations  des  phönomdnes  solaires  et  des  perturbations  du 
magnätisme  terrestre.  Lyon  1888.  43  pag. 

Die  Untersuchungen  von  Herrn  Marchand,  Adjunkten  des  Lyoner  Ob- 
servatoriums, welche  von  Herrn  Andr£  der  Akademie  zu  Lyon  vorgelegt 
wurden,  beziehen  sich  auf  den  Zusammenhang  der  magnetischen  Störungen 

*)  Die  nächste  totale  Sonnenilnsternife  wird  das  Gebiet  der  Vereinigten  Staaten  erst  am 
J9.  Mai  1900  durchlaufen. 


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380 


mit  Vorübergiiigen  von  Stellen  erhöhter  Thütigkeit  auf  der  Sonnenscheibe. 
Das  Wesentliche  derselben  ist  bereits  auf  S.  44  der  Zeitschrift  in  kurzen  Zügen 
geschildert  worden.  In  der  vorliegenden  Abhandlung  ist  die  Definition  der 
magnetischen  Störung  und  ihre  zahlenmäßige  Darstellung  genau  gegeben, 
ebenso  wird  die  Methode,  nach  welcher  die  A k ti onscentren  der  Sonne  beob- 
achtet werden,  dargelegt.  Aus  der  Wiederkehr  einer  Anzahl  Störungen  in 
Zeiträumen,  welche  nahe  mit  der  Rotationsdauer  der  Sonne  zusamnienfallen, 
versucht  Verfasser  umgekehrt  die  wahrscheinliche  Dauer  der  synodischen  Ro- 
tation der  Sonno  zu  ermitteln,  und  findet  aus  I Reihen  solcher  Störungen  den 
wahrscheinlichen  Werth  von  26.9  Tagen,  der  zwar  kleiner  ist  als  der  aus 
Sonnenileckenbeobachtungen  abgeleitete,  aber  ganz  befriedigend  mit  dem  aus 
der  Rotationsdauer  der  Sonnenfackeln  neuerdings  abgeleiteten  übereinstimmt. 

Dr.  Wagner. 


Verzeichniss  der  vom  16.  November  1888  bis  1.  Februar  1889 
der  Redaktion  zur  Besprechung  eingesandten  Bücher. 

Annuuiro  pour  TA»  1889,  par  le  Bureau  des  Longitudes,  Paris,  Gauthier- Villars 
et  Fils. 

Astronomischer  Kalender  für  1889  von  der  K.  k.  Sternwarte,  Wien,  C.  Gerolds 
Sohn. 

Bert  fand,  Thermo-Dinamique,  Paris,  Gauthier-Villars  et  Fils,  1887. 

A.  Blytt.  On  Variation?  of  climate  in  the  course  of  time,  Christiania,  A.  W. 
Brogger,  1886. 

A.  Blytt,  The  probable  cause  of  the  displacement  of  beach-lines,  with  a table, 
Christiania,  A.  W.  Brogger,  1889. 

A.  Blytt,  Additional  Note  to  the  probable  cause  of  the  displacement  of  beach- 
lines,  1889. 

Th.  Bredichin,  Sur  l’originc  des  ötoiles  filantes,  Moskau,  1888. 

A.  Brester,  Essai  d'une  thdorie  du  soleil  et  des  gtoiles  variables,  Delft, 
J.  Waltman  jr.,  1889. 

P.  Car us,  Monisnt  and  Meliorism,  New -York,  F.  W.  Christen!,  1885. 

P.  Carus,  The  principles  uf  art  from  the  standpoint  of  Monism  and  Meliorism, 
Boston,  1885. 

P.  Carus,  The  Idoa  of  God,  Chicago,  The  Open  Court  Publishing  Company, 
1888. 

Caspari,  Cours  d'Astronomie  pratique,  Paris,  Gauthier-Villars  et  Fils,  1888. 

Th.  Epstein,  Geonomie.  Mit  166  Holzschnitten  und  18  Figurentafeln,  wovon 
12  mit  Sternbildern  auf  blauem  Grunde,  Wien,  C.  Gerolds  Sohn,  1888. 

H.  Fayo,  Sur  Porigine  du  monde,  Paris,  Gauthier-Villars  et  Fils,  1885. 

F.  Folie,  Preuvcs  de  la  nutation  diunie,  Bruxelles,  F.  Hayez,  1888. 

11.  Frerichs,  Die  Hy|>otheseu  der  Physik,  Norden,  H.  Fischers  Nchflgr.,  1889. 

H.  Frerichs,  Zur  modernen  Naturbetraclitung,  Norden,  H.  Fischers  Nchflgr.. 
1889. 

E.  v.  llaerdtl.  Die  Bahn  des  periodischen  Kometen  Winuecke  von  1858  bi» 
1886,  Wien,  Tempeky,  1888. 

M.  1*.  H 6 in  ent,  Los  etoilcs  filantes  et  les  bolides,  Paris,  Gauthier-Villars  et 
Fils,  1888. 


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381 

M.  Kr  eutz,  Untersuchungen  über  das  Kometen -System  1843  I,  1880  I und 
1 882  II,  Kiel,  C.  Schaidt,  C.  F.  Möhrs  Nchllgr.,  1888. 

M.  S.  JLemström,  L’Aurore  bordale,  Paris,  Gauthier-Villars  et  Fils,  1886. 

F.  Lir»  deinan  n,  Ueber  Molekularphysik,  Königsberg,  W.  Koch,  1888. 

M.  K.  March  and,  Relation»  des  ph6nom&ncs  solaires  et  des  perturbations  du 
xnagnetisim*  terrestre,  Lyon,  Association  typographique,  1888. 

F.  Max  Müller,  The  Science  of  Thought,  Chicago,  Tho  0|»en  Court  Publishing 
Company,  18tS8. 

H.  Seeliger,  Fortgesetzte  Untersuchungen  über  das  mehrfache  Sternsysteni 
C,  Cancri,  München,  G.  Franz,  1888. 

F Tisserand,  Möcanique  eheste,  Tome  I,  Perturbations  des  planstes  d'aprcs 
la  mäthodo  de  la  Variation  des  constantes  arbitraires,  Paris,  Gauthier- 
Villars  et  Fils,  188i). 

C.  L.  Weyher,  Sur  los  tourbillons,  trombes,  temp&tes  et  sphdres  tournante»,  f 

Paris,  Gauthier-Villars  et  Fils,  1887.  * 

C.  Wolf,  Les  hypotheses  cosuiogoniques,  Paris,  Gauthier-Villars  et  Fils,  1886.  * 


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Herrn  Dr.  Sch.  in  Osterode,  Ostpr.  Die  Beschreibung  der  optischen 
Phänomene  um  die  Sonne,  welche  Sie  vor  einiger  Zeit  wakrnahmen,  enthält 
die  auch  anderwärts  in  derselben  Zeit  beobachteten,  durchaus  nicht  ungewöhn- 
lichen Lichterscheinungen,  welche  durch  in  den  Höhen  der  Atmosphäre  schwe- 
bende Eisprismen  völlig  erklärt  werden,  wie  Sie  es  von  dem  Ringe  von  wahr- 
scheinlich 22°  Halbmesser  um  die  Sonne  als  bekannt  annehmen.  Indessen 
auch  alle  übrigen  Erscheinungen  finden  durch  diese  kleinsten  Eiskrystalle 
ebenfalls  ihre  ungezwungene  Erklärung.  Dafs  dieselbe  in  physikalischen  Lehr- 
büchern meist  nicht  ausführlicher  gegeben  wird,  ist  ein  offenbarer  Mangel,  da 
die  Ableitung  aller  denkbaren  optischen  Phänomene  um  Sonne  und  Mond  durch 
Brechung  und  Zurückwerfung  des  Lichts  au  Eiskry stallen  aus  der  Gestalt  letz- 
terer theoretisch  ebenso  interessant  wie  pädagogisch  worthvoll  ist,  wenn  nicht 
die  Complicirtheit  des  Gegenstandes  seinen  pädagogischen  Nutzen  erheblich 
einschränkte. 

Die  in  dem  Ringe  von  22°  Halbmesser  in  gleicher  Höhe  mit  der  Sonne 
intensiv  leuchtenden  Stellen  waren  offenbar  horizontale  vielleicht  nicht  ganz 
deutlich  ausgebildete  Nebensonnen.  Die  Form  der  Eiskrystalle  ist  die  sechs- 
eckiger flacher  Tafeln,  welche  in  der  Höhe  der  Cirruswolken  schweben,  eventuell 
aus  dieser  langsam  abwärts  sinken.  Da  diese  Phänomene  meist  bei  ruhiger 
Luft  stattfinden,  ist  dio  Annahme  berechtigt,  dafs  die  Mehrzahl  dieser  Täfelchen 
parallel  zum  Horizonte,  also  mit  verticaler  Hauptaxe  abwärts  schweben,  wie- 
wohl alle  übrigen  Stellungen  bei  jedem  derselben  Vorkommen  können.  Dann 
erzougen  je  zwei  nicht  aufeinanderfolgende  Seitenflächen  als  Prismen  von  60° 
dio  Ringe  von  22°  Durchmesser,  welchen  Werth  das  Minimum  der  Ablenkung 
für  solche  Eisprismen  besitzt.  Hierzu  wirken  Prismen  von  60°  in  allen  mög- 
lichen Stellungen  gegen  den  Horizont  mit,  während  die  mit  genau  verticaJ 
stehender  Hauptaxe  schwebenden  Prismen  nach  Bravais  dio  Nebensonnen  von 
22°  Abstand  erzeugen.  Da  Seitenflächen  und  Grundflächen  wiederum  Prismen 
bilden,  und  zwar  von  dem  Kanteuwinkel  1K)°,  so  entstehen  durch  die  zweite 
Art  von  Prismen  andere  Erscheinungen,  nämlich  durch  Prismen  in  beliebiger 
Stellung  der  grofse  Ring  von  4ß°  Halbmesser,  hingegen  durch  die  horizontal 
schwebondcn  der  Berührungsbogen  dieses  Ringes,  welchen  Sie  deutlich  gesehen 
haben,  während  der  grofse  Ring  nicht  erkennbar  war,  woraus  in  Verbindung 
mit  den  Nebensonnen  hervorzugehen  scheint,  dafs  die  Luft  besonders  ruhig 
gewesen  sein  mufs.  Die  Verticalstreifen,  auch  Lichtsäulen  genannt,  entstehen 
allein  durch  Reflexion  an  den  horizontalen  Flächen  der  Eistäfelchon.  Wenn  näm- 
lich die  Sonne  dem  Horizont  nahe  steht,  genügt  eine  geringe  Neigung  dieser 
Flächen,  um  reflektirtes  Licht  ins  Auge  zu  senden,  daher  diese  Lichtsäulen 
bei  Sonnenaufgang  resp.  Untergang  am  intensivsten  zu  sein  pflegen.  Ihre 
Verticalität  ist  jedoch  nur  scheinbar,  in  Wirklichkeit  gehören  die  reflektirenden 
Krystalle  einer  mit  der  Erdoberfläche  concentrischeu  Kugelschale  an,  daher 


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liegt  die  Spitze  der  Säule  dem  Beobachter  näher  als  ihr  Fufspunkt.  Die  hingen 
Lichtstreifen,  welche  Sonne  und  Mond  in  schwach  bewegtem  Wasser  erzeugen, 
erklären  sich  durch  einen  ganz  ähnlichen  Vorgang  der  Reflexion. 

Herrn  Bezirksrichter  II.  in  G.  (Xieder-Öestr.)  Es  ist  völlig  begreiflich, 
dafs  Sie  sich  über  die  Bedeutung  der  Richtungsbezeichnungen  „Ost*  und  „West* 
verwirren,  sobald  Sio  dieselben  als  absolute  Richtungen  im  freien  Raume  auf- 
zufassen versuchen.  Nur  Nord  und  Süd  sind  wegen  der  sich  stets  im  Raume 
gleichbleibenden  Lage  der  Erdaxe  solche  absolute  Richtungen;  Ost  und  West 
lassen  sich  dagegen  nur  in  Bezug  auf  einen  bestimmt  ins  Auge  gefaxten  Punkt 
der  Erde  denken  und  wechseln  mit  diesem  ihre  Richtung  im  Raume.  Ja,  selbst 
auf  der  Erde  giebt  es  zwei  Punkte,  für  welche  es  kein  Ost  und  West  giebt, 
die  Pole.  Das  wird  folgendermafsen  sofort  klar.  Wenden  wir  uns  zunächst 
von  unserem  gegenwärtigen  beliebigen  Standorte  auf  der  nördlichen  Erd- 
halhkugel  gegen  Norden  und  breiten  die  Arme  zu  beiden  Seiten  von  uns  aus. 
Dann  zeigt  die  Rechte  nach  Osten,  die  Linke  nach  Westen  und  die  Bewegung 
der  Erde  um  ihre  Axe  erfolgt  von  links  nach  rechts.  Wir  schreiten  nun  genau 
nordwärts  weiter,  bis  wir  zum  Nordpol  kommen.  Dann  sollte  man  doch  meinen, 
die  Richtung  der  Anne  müsse  immer  noch  die  der  betreffenden  Himmels- 
richtungen angeben.  Nun  ist  aber  der  Pol  ein  Wendepunkt  der  Bewegung. 
Das  heisst,  sobald  wir,  unsere  Richtung  genau  wie  zuvor  innehaltend,  noch 
weiter  gehen,  findet  nun  die  Bewegung  der  Erde  unter  unseren  Fiifsen  von 
rechts  nach  links  statt,  und  wir  sehen  nun,  ohne  uns  umgewendet  zu  haben, 
nach  Süden,  statt  nach  Norden.  Während  die  Sonne  vorher  rechts  von  uns 
aufging,  steigt  sie  nun  von  links  her  über  den  Horizont  empor,  von  derselben 
Richtung,  welche  wir  früher  Westen  genannt  hatten.  Die  Sonne  müfste  also 
hier  im  Westen  auf-  im  Osten  untergehen,  was  insofern  schon  ein  Widerspruch 
in  sich  selbst  ist,  weil  wir  vorhin  unseren  Weg  zum  Nordpol  von  einem  be- 
liebigen Punkte  der  Erde  antreten  konnten,  also  auch  von  dem,  auf  welchem 
wir  uns  schliefslich  befinden  und  wo,  wie  auf  allen  übrigen  Punkten  der  Erde, 
die  Sonne  im  Osten  auf-  und  im  Westen  untergeht. 

Da  Ost  und  West  gewissermafsen  nur  locale  Begriffe  sind,  ist  es,  wie  Sie 
ganz  richtig  fühlen,  eigentlich  unerlaubt  zu  sagen,  wie  man  es  gewohnheits- 
raäfsig  thut,  die  Erde  bewege  sich  um  die  Sonne  von  Osten  nach  Westen,  weil 
diese  Richtungen  im  Raume  nicht  klar  zu  definiren  sind.  Man  kann  sich  in- 
defs  diese  Freiheit  wohl  erlauben,  um  für  das  menschliche  Orientirungsver- 
raögen  unmittelbarer  deutlich  anzugeben,  dafs  diese  jährliche  Bewegung  in 
der  umgekehrten  Richtung  erfolgt  wie  die  tägliche.  Für  die  Orientirung 
im  Raume  aufscrhalb  der  Erde  und  die  genaue  Ergründung  der  Bewegungen 
der  Himmelskörper  in  diesem  kann  man  sich  allein  nur  an  dio  Fixsterne  halten. 


Verlag  .Ton  Hermann  Paetol  in  Berlin.  — Druck  von  Wilhelm  Qronau's  Buchdruckeroi  in  Berlin. 
Für  die  Rodactlon  verantwortlich:  Dr.  M.  Wilhelm  Meyer  in  Berlin. 
UnberechUgter  Nachdruck  aus  dem  Inhalt  diosor  Zeitschrift  untersagt. 
L'ebersetzungsrecht  Vorbehalten. 


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Die  norwegische  Nordmeer-Expedition. 

Von  Prof.  Dr.  II.  Mohn, 

Direktor  des  Norwegischen  Meteorologischen  Instituts  in  Christiauin.*) 

(Mit  Abbildungen,  angefertigt  vom  Verfasser  nach  seinen  Original- 
v Zeichnungen.) 

<-v  ördlich  von  dem  00.  Breitongrade  theilt  sich  der  Nordatlantische 
' i Ocean  in  zwei  kleinere  Meere,  die  durch  das  bis  3000  m hohe 
eisbedeckte  Grönland  von  einander  getrennt  werden.  Das 
westliche  dieser  Meere  ist  die  Davis-Strasse  und  ihre  Fortsetzung,  die 
Baffins-Bai,  zwischen  dem  arktischen 
I .aride  Nordamerikas  und  Grönland. 

Oestlich  befindet  sich  das  europäische 
Nordmeer  zwischen  Grönland  und  Nor- 
wegen - Ru  Island;  dasselbe  ist  vom 
Nordatlantischen  Ocean  durch  die  vul- 
kanische Inselreihe  Island-Faröer  und 
von  dem  sibirisch-amerikanischen  Eis- 
meer durch  die  Inselreihe  Spitzbergen, 

Franz  - Josephs  - Land,  Nowaja  - Semlja 
getrennt. 

Das  europäische  Nordmeer 
soll  zunächst  Gegenstand  der  folgen- 
den Beschreibung  sein.  Man  hat 
den  verschiedenen  Theilen  dieses 
Meeres  besondere  Namen  gegeben,  mit  denen  wir  am  besten  den 
Leser  sogleich  bekannt  machen.  Wir  nennen  denjenigen  Meeres- 
theil  Nordsee,  welcher  zwischen  dor  Strafse  von  Calais  und  einer 

*)  Aus  item  norwegischen  Original -Manuskripte  übersetzt  von  F.  S. 
Archenhold  und  revidirt  vom  Verfasser.  Obige  kleine  Illustration  stellt 
das  Expeditionsschiff  „Vüriilgen"  dar,  eine  Tieflothung  ausführend. 

Himmel  und  Erde.  I.  7.  28 


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386 


Linie  liegt,  die  man  sich  von  den  Shetlands-Inseln  bis  zum  Vorgebirge 
Stat  auf  Norwegens  Westküste  (62°  Br.)  gezogen  denkt.  Das  Stück 
dos  Xordmeores,  welches  nördlich  von  dieser  Linie  liegt  und  gegen 
Süd-West  durch  eine  von  Shetland  über  Färöer  bis  zur  Ostküste 
Islands  gehende  Linie,  gegen  Nord-West  von  einer  Linie  von  Islands 
Ostküste  über  die  Insel  Jan  Mayen  bis  Spitzbergen,  gegen  Nord-Ost 
von  einer  Linie  von  Spitzbergen  über  die  Bären-Iusel  bis  zum  Nord- 
kap  und  endlich  gegen  Siid-Ost  von  dor  Küste  Norwegens  vom  Nonl- 
cap  bis  Stat  begrenzt  wird,  — nenne  ich  das  norwegische  Meer. 
Das  Meer  zwischen  Spitzbergen,  Finnmarken,  dem  nördlichen  RuTsland 
und  Nowaja-Semlja  wird  von  den  Norwegern  Ost-Meer  genannt,  von 
den  andern  Nationen  aber  das  murmannische  Meer  oder  Barentzmeer. 
Wir  wollen  die  letzte  Bezeichnung  beibehalten.  Nordwestlich  von  dem 
norwegischen  Meer,  gegen  Nord-Ost  und  Ost  von  Spitzbergen  begrenzt, 
gegen  West  von  Grönlands  Ostküste,  gegen  Süd-West  von  Islands  Nord- 
küste, liegt  das  grönländische  Meer.  Zwischen  Färöer  und  Shet- 
land liegt  die  Farö-Shetland-Rinne,  zwischen  Island  und  Grön- 
land die  Dänemark-Strafse  und  zwischen  Jan-Mayen  und  Island 
die  Jan-Mayen-Kinne. 

Die  Naturverhältnisse  im  Nordmeer  sind  für  viele  Expeditionen 
ein  Gegenstand  der  Untersuchung  gewesen.  Der  bekannte  schottische 
Walfisch-Fiinger,  Dr.  Scoresby,  hat  eine  ausgezeichnete  Beschreibung 
des  grönländischen  Meeres  gegeben.  Die  schwedischen  Expeditionen 
nach  Spitzbergen,  unter  Leitung  von  Toreil,  Nordenskj öld,  v.  Otter 
und  Palander,  die  österreichischen  unter  Weyprooht,  die  beiden  deut- 
schen Nordmeerfahrton  unter  Koldewev,  die  französischen  unter  Gai- 
mard,  die  britischen  unter  Mac  CI  intock,  Wyville  Thomson,  Car- 
penter  und  Jeffreys,  aufsor  vielen  norwegischen  und  deutschen  Seo- 
hundsfängerfahrten,  — hatten,  schon  von  1838  an,  Aufschlüsse  über  die 
Tiefen  und  auch  theilweise  über  die  Temperaturen  in  unserm  Nord- 
meer gegeben.  Und  seit  1806  war  dort  von  norwegischer  Seite  aus 
eine  genaue  Auflotung  der  Bänke  aufserhalb  der  Küste  Norwegens 
von  dem  Dampfer  „llansleen“  begonnen  worden.  Es  waren  jedoch 
mit  Ausnahme  der  letzten  schwedischen  Expeditionen  mit  „Sofia“  1866 
und  mit  „Polhem“  1873,  welche  das  Meer  in  der  Umgebung  von  Spitz- 
bergen ausmalsen,  hauptsächlich  die  Ränder  des  Nordmeerbeckens, 
die  dergestalt  untersucht  worden  waren.  Die  grofse  Tiefe  west- 
lich von  Norwegen  blieb  unerkannt 

Es  war  im  Jahre  1860,  als  die  britische  Expedition  mit  „Porcu- 
pine“  für  die  Tiefsee-l'ntersuchungen  neue  Bahnen  brach;  ihr  folgten 


387 


die  drei  grofsen  Tiefsee-Expeditionen  auf  den  Weltmeeren,  die  britische 
Challenger-Expedition  von  1872 — 1876,  die  amerikanische  Tus- 
carora-Expedition  1873 — 74  und  die  deutsche  Gazelle-Expe- 
dition 1874—76. 

Die  Ueberzeugung  von  der  Bedeutung,  welche  eine  Kenntnifs 
der  Naturverhältnisse  des  Nordmeers  sowohl  in  biologischer  wie  in 
physikalischer  Hinsicht  für  die  Wissenschaft  und  für  das  praktische 
Leben  haben  würde,  veranlafsten  meinen  Collegen  Professor  G.  O.  Bars 
und  mich,  gemeinschaftlich  im  März  1874  in  einer  Eingabe  an  die 
norwegische  Regierung  die  Entsendung  einer  norwegischen  Tiefsee- 
Expedition  zur  Untersuchung  des  norwegischen  Meeres  vorzuschlagen. 
Dieser  Vorschlag  fand  den  Beifall  der  Autoritäten  und  der  Regierung 
und  die  nöthigen  Geldmittel  wurden  bereitwilligst  von  dem  norwegischen 
Reichstag  im  Mai  1875  ausgeworfen. 

Zur  Expedition  wurde  der  Schraubendampfer  Vö ringen  aus 
Bergen  gemiethet,  und  im  Laufe  des  Winters  1875 — 76  organisirte 
der  Kapitain  z.  S.  Wille  von  der  norwegischen  Marine,  zum  nau- 
tischen und  technischen  Chef  der  Expedition  ernannt,  deren  Aus- 
rüstung, die  im  Frühjahr  1876  in  Bergen  beendet  worden  war. 

Am  l.Juni  1876  ging  die  Expedition  von  Bergen  nach  Esefjord, 
einem  Arme  des  Sognefjord,  und  von  hier  wurden  in  den  folgenden 
Tagen  die  ersten  Versuche  mit  Tiefsee-Apparaten  gemacht.  Hierzu 
war  der  Sognefjord  vorzüglich  geignet,  da  dieser  eine  Tiefe  von  über 
1200  Meter  aufserhalb  des  Eseljords  besitzt.  Nachdem  man  in  der 
Behandlung  der  Loth-  und  Schleppnetz-Apparate  Erfahrung  gewonnen 
hatte,  wurde  der  Ankerplatz  der  Expedition  nach  der  Insel  Husö,  an 
der  Mündung  des  Sognefjord,  verlegt,  wo  in  den  Tagen  vom  10.  bis 
zum  19.  Juni  magnetische  Untersuchungen  mit  dem  Schiffe  vorge- 
nommen und  dessen  Einrichtungen  vervollständigt  wurden.  Nachdem 
dergestalt  alle  Vorbereitungen  getroffen  waren,  ging  die  Expedition 
am  20.  Juni  von  Husö  in  See  und  begann  ihre  Arbeiten  mit  der 
Untersuchung  der  „Norwegischen  Rinne,”  einer  Vertiefung  im  Meeres- 
boden, welche  sich  längs  der  norwegischen  Küste  vom  Vorgebirge 
Stat  bis  zum  Kattegat  hinzieht  und  die  Nordseebänke  von  den  nor- 
wegischen Küstenbänken  trennt.  Es  zeigte  sich,  dafs  diese  Rinne 
gegen  Norden  nicht  geschlossen  ist,  aber  aufserhalb  Stal  in  die  Meeres- 
tiefe ausmündet,  welche  zwischen  Norwegen,  Island  und  Jan-Maven 
liegt.  Die  Tiefe,  welche  anfangs  nur  langsam  zunahm,  wuchs  vom 
21.  Juni  ab  rascher  und  gegen  Abend  zeigte  das  Tiefseethermometer 

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388 

a:n  Meeresboden  Kältegrade.  Diese  Erscheinung  hatto  die  Porcupine- 
Expedition  früher  schon  in  der  Farö- Shetland -Rinne  nachgewiesen, 
und  wir  fanden  später,  dafs  sie  über  den  gröfsten  Theil  des  Nord- 
ineerbodens  verbreitet  war.  Bei  dieser  Gelegenheit  wurde  auch  ein 
höchst  interessanter  zoologischer  Fund  gemacht,  nämlich  eine  über 
anderthalb  Meter  lange  Seefeder,  Umbellula  enerinus,  welche  später 
von  dem  Mitgliede  der  Expedition,  Dr.  Danielssen,  Oberarzt  in 
Bergen,  näher  beschrieben  wurde.  Am  23.  Juni  ging  die  Expedition 
nach  Christiansund,  wo  Kohlen  genommen  und  Vorbereitungen  zu  einer 
längeren  Tour  nach  Westen  getroffen  wurden. 

Diese  letztere  traten  wir  am  27.  Juni  an.  Nachdem  auf  mehreren 
Stationen  an  der  norwegischen  Küstenbank,  hier  „Storeggen“  genannt, 
gearbeitet  war,  segelte  die  Expedition,  begünstigt  von  gutem  Arbeits- 
wetter, weiter  nach  Westen  unter  beständigem  Lothen  und  Schlepp- 
netzarbeiten; es  zeigten  sich  Kältegrade  in  den  tieferen  Schichten  des 
.Meerwassers  und  eine  dort  lebende  eigenthümliche  arktische  Thierwelt. 
Das  gute  Wetter  ging  leider  zu  Ende,  ehe  wir  Färöer  erreichten,  und 
vom  1.  Juli  bis  zum  15.  August,  als  wir  von  unserer  Islandstour  nach 
Norwegen  zurückkehrten,  hatten  wir  eine  fast  unaufhörliche  Reihe 
von  Stürmen  mit  nur  geringen  Pausen,  in  denen  wir  doch  wenigstens 
mit  den  Tiefsee-Apparaten  arbeiten  konnten.  Viele  lange,  unwirth- 
same  Tage  verstrichen,  während  wir  auf  See  waren,  ohne  dafs  sich 
eine  Möglichkeit  zu  lothen  oder  mit  dem  Schleppnetz  zu  arbeiten  fand. 
Nur  die  meteorologischen  Beobachtungen,  welche  stündlich  Tag  und 
Nacht  gemacht  wurden,  nahmen  ihren  regelmärsigen  Verlauf.  Die 
Höhe  der  Wellen  stieg  bis  5 und  6 Moter.  Am  ß.  Juli,  um  die  Mit- 
tagszeit, schlug  eine  See  über  das  Vorderdeck,  zermalmte  die  Schiffs- 
wandung  über  Deck,  ein  Oberlichtfenster  und  einen  Trepponiiberbau. 
zertrümmerte  die  Kübel,  in  denen  das  Schleppnetztau  lag  und  machte 
das  Vorderdeck  leck.  Das  Zwischendeck,  wo  die  Mannschaften  ihren 
Platz  hatten  und  die  Arbeitsräume  der  Gelehrten  lagen,  war  von  Wasser 
überfüllt,  das,  während  das  Schilf  hin  und  her  rollte,  von  der  einen 
Seite  des  Bodens  auf  die  andere  hinüberströmte,  wie  eine  Ueber- 
schwetumungswelle,  bis  es  endlich  in  den  L'uterramn  des  Schiffes 
hinuntergeflossen  war.  l'm  diese  Schäden  auszubessern,  wurde  nach 
Thorshavn  auf  Färöer  gesteuert,  das  man  am  nächsten  Tage  unter 
besseren  Witterungsverhältnissen  erreichte. 

Auf  der  Rhede  von  Thorshavn  lag  die  Expedition  eine  ganze 
Woche.  Das  Wetter  war  durchgeheuds  stürmisch,  so  dafs  das  Schiff 
mehrere  Tage  lang  unter  Dampf  auf  dem  Ankerplatz  gehalten  werden 


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mufstc,  und  an  einem  Tage  mafs  ich  l>ei  einem  der  Windstüfse  eine 
Windgeschwindigkeit  von  über  20  m in  der  Sekunde. 

Am  16.  Juli  konnte  die  Reise  fortgesetzt  werden.  Wir  dampften 
von  Thorshavu  nach  Osten  in  die  Farö-Shetland-Rinne  hinein,  von 
liier  gegen  Norden  und  dann  gegen  Westen  nach  Island.  Am  Abend 
des  10.  begann  unser  vierter  Sturm,  der  24  Stunden  dauerte.  Am  22. 
wurde  das  Wetter  besser  und  wir  bekamen  Island  ungefähr  bei  Port- 
land in  Sicht.  Am  Abend  desselben  Tages  durchkreuzten  wir  die 


HelgafeU,  auf  den  Westmanna-Inseln,  Island. 


Weslmanna-Inseln,  als  zunehmender  Kuling  und  Nebel  uns  veranlagten, 
nach  Heimaöy  hinein  zu  suchen,  der  gröfsten  und  einzig  bewohnten 
Insel  dieser  Gruppe. 

Der  Aufenthalt  liier  dauerte  länger  als  vormuthet  war,  da  es  in 
den  folgenden  Tagen  hart  aus  Süd- West  blies  und  die  See  hoch  ging. 
Am  23.  konnten  wir  eine  Excursion  ins  Land  machen.  Ueberall  be- 
gegneten unsern  Blicken  interessante  vulkanische  Formationen,  aus- 
gedehnte Lavafelder,  Krater  und  Zinnen,  deren  phantastische  Formen 
der  Atmosphäre  uml  des  Wassers  vernichtende  Kräfte  offenbarten. 

Zusammen  mit  dem  Arzt  des  Ortes  bestieg  ich  den  kleinen,  noch 
gut  erhaltenen,  aber  jetzt  erloschenen,  vulkanischen  Kegel  Helga- 
fell, welcher  sich  mit  seinem  regelmäfsigen  Aschenkegel,  der  im 
kleinen  an  den  Vesuv  erinnert,  242  in  über  die  Meeresfläche  erhebt. 


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390 


Auf  dem  Gipfel  desselben  blies  ein  Sturm,  dafs  es  fast  nicht  möglich 
war,  aufrecht  zu  stehen.  An  den  Gestaden  der  Westmanna-Inseln 
brach  sich  das  Meer  in  einem  Kranze  weifscn  Schaumes  und  gegen 
Norden  konnten  wir  weit  über  die  aus  den  Sagen  bekannten  Ebenen 
Islands  hin  bis  selbst  zum  Hekla  und  den  grofsen  schneebedeckten 
Gletschern  sehen. 

Am  folgenden  Tage  war  es  unmöglich,  ans  Iamd  zu  kommen. 
Der  Sturm  war  so  stark,  dafs  der  Anker  draufsen  auf  der  Rhede,  wo 
_Vii ringen"  lag,  nicht  halten  wollte,  und  dyr  Eingang  zuin  Hafen  war 
zu  seicht,  um  hineinfahren  zu  können.  So  brachten  wir  den  ganzen 
Tag  bis  spat  Abends  auf  die  Weise  zu,  dafs  wir  das  Fahrzeug  so  weit 
nach  aufsen  treiben  liefsen,  bis  der  Seegang  beschwerlich  wurde;  als- 
dann dampften  wir  gegen  den  Wind  wieder  zum  Ankerplatz  hinein, 
trieben  wieder  nach  aufsen,  dampften  wieder  hinein  und  wiederholten 
diese  Touren  noch  einige  Male.  Am  25.  konnten  wir  wieder  Excur- 
sionen  ins  Land  machen,  aber  erst  am  26.  wurde  das  Wetter  so  ruhig, 
dafs  die  Expedition  ihre  Reise  bis  Reykjavik  fortsetzen  konnte,  welches 
selbigen  Tages  Abends  erreicht  wurde. 

Der  Aufenthalt  auf  Island  war  für  die  Mitglieder  der  Expedition 
höchst  interessant.  Mehrere  von  uns  machten  nach  Thingvellir  einen 
Ausflug,  den  ich  hier  nicht  beschreiben  will,  da  derselbe  schon  oft 
von  anderen  Reisenden  beschrieben  ist.  In  Reykjavik,  wo  .Vöringen" 
wieder  vor  Anker  einen  Sturm  unter  vollem  Dampf  Aushalten  mufste, 
gelang  cs  Kapitain  Wille  doch,  magnetische  Beobachtungen  auszu- 
fiihren. 

Da  die  Zeit  schon  so  weit  vorgeschritten  war,  dafs  eine  Um- 
segelung  Islands  nicht  mehr  in  Frage  kommen  konnte,  so  wurde  be- 
schlossen, nach  Erreichung  des  Meridians  Ost-Islands  den  Kurs  zuerst 
gegen  Nord-Ost  und  dann  östlich  gegen  Namsos  in  Norwegen  zu 
nehmen. 

Am  3.  August  Abends  verliefs  die  Expedition  Reykjavik,  begann 
am  5.  August  die  Arbeit  auf  dem  Schnitt  gegen  Nord-Ost  und  setzte 
am  7.  August  den  Kurs  gegen  Norwegen.  Aber  wieder  kamen  Stürme 
und  hinderten  sowohl  am  Arbeiten  wie  am  Yorwärtsriicken.  Dennoch 
lotheten  wir  auf  dieser  Reise,  am  8.  August,  die  gröfste  Tiefe  dieses 
Jahres,  3403  m,  ungefähr  in  der  Mitte  zwischen  Island  und  Norwegen. 
Als  wir  uns  Norwegen  näherten  und  das  Wetter  sich  nicht  beruhigen 
wollte,  wurden  wir  im  Arbeiten  mit  den  Tiefsee-Apparaten  kühner; 
wir  benutzten  sie  selbst  bei  ziemlich  hartem  Wetter  und  es  zeigte 
sich,  dafs  unser  ausgezeichnetes  Schiff  dies  zuliefs.  Aber  es  mufste 


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die  äufserste  Vorsicht  angewandt  werden,  um  die  Lothleine  senkrecht 
zu  halten,  damit  man  die  Tiefseethermometer  ohne  Stofs  und  Erschütte- 
rung heraufbekam  und  das  Trawel-  oder  Schleppnetz  an  Bord  holen 
konnte.  Auf  unserer  letzten  Station  wurde  sogar  versucht,  diese  beiden 
Fangapparate  auf  einmal  zu  benutzen,  den  ersten  hinter  dem  letzten, 
und  der  Versuch  war  beinahe  geglückt,  indem  das  Schleppnetz  wieder 
gut  an  Bord  kam,  als  durch  einen  unvorhergesehenen  Unfall  das 
Trawelnetz  sich  in  die  Schiffsschraube  (Propeller)  verwickelte.  Die 
Maschinen  wurden  sofort  aufser  Thiitigkeit  gesetzt,  der  Kapitain  bekam 
in  einem  Xu  die  Segel  auf  Schiff  und  nach  einigen  Stunden  war  das 
Trawel,  unter  hohem  Seegang,  mit  Hülfe  von  Messern  auf  langen 
Stangen  von  der  Schraube  losgeschnitten.  Was  indefs  während  dieser 
Manöver  unsere  Situation  bedenklich  machte,  war  der  Umstand,  dafs 
wir  im  Xebel,  der  beständig  kam  und  ging,  von  einem  englischen 
Schoner  beinahe  übersegolt  worden  wären,  der  plötzlich  auftauchte 
und  uns  bedenklich  nahe  kam,  wahrscheinlich  um  zu  erfahren,  ob 
wir  Maschinenschaden  erlitten  hätten  und  hülfebediirftig  wären.  Am 
Bl.  August  wurde  der  llafen  von  Hallen  erreicht,  am  14.  Natnsos.  Von 
dem  20.  bis  zum  23.  wurde  auf  den  Bänken  aufserhalb  der  Küste  ge- 
arbeitet, am  24.  in  dem  Romsdalsfjord,  und  am  2<i.  August  wurde  die 
Iteise  dieses  Jahres  mit  der  Ankunft  des  „Vöringen"  in  Bergen  ab- 
geschlossen. 

Die  Ileisen  der  X’ordmeer- Expedition  im  Jahre  1877  begannen 
mit  dem  Abgang  von  Bergen  um  12.  Juni  und  mit  der  Bearbeitung 
einer  Reihe  von  Querschnitten  der  norwegischen  Kiistenbänke  außer- 
halb X'ordlands.  Am  22.  Juni  war  .Vöringen-4  im  Westljord  und  am 
folgenden  Tag  in  Bodö.  X’ach  einem  kurzen  Abstecher  in  den 
Saltenfjord,  um  Wasser  zu  nehmen,  wurde  am  25.  quer  über  West- 
fjord nach  Riist  gesteuert,  der  äufsersten  bewohnten  der  laifoten- 
Inseln.  Hier  wurden  einige  Tage  mit  astronomischen  und  magnetischen 
Beobachtungen  und  mit  Exkursionen  zugebracht.  Von  letzteren  will  ich 
liier  Folgendes  aus  meinem  Tagebuche  anfiihren.  Im  Südwesten  von 
der  ganz  flachen  Hauptinsel,  die  gleich  allen  Lofoten-Inseln,  aus  Granit 
und  gestreiftem  Granit  besteht,  erheben  sich  mehrere  hohe  Inseln,  von 
denen  Vaedö  die  nächste  und  Storfjeld  die  höchste  ist.  Auf  Vacdii 
besuchten  wir  eine  grofse  Höhle,  welche  schräg  in  den  Felsen  hinein- 
ging. Die  Mündung  derselben  liegt  50  m über  dem  Meere  und  der 
Boden  kaum  20  in  über  dem  Meere,  160  Schritt  von  der  Mündung, 
(Ue  etwa  50  in  breit  ist.  Der  Boden  der  Höhle  wird  von  Stein- 
haufen gebildet , die  überall  von  einer  dichten  Schicht  Vogel- 


guanos  bedeckt  sind.  Auf  den  Wänden  der  Höhle  safsen  zahllose 
Schaaren  von  Seevögeln  bei  ihren  Nestern  und  erfüllten  die  Luft  mit 
ihrem  heiseren  Geschrei.  Lieber  der  Oefi'nung,  hoch  oben  im  Gebirge, 
schwebte  ein  Adler  und  ein  anderer  flog,  während  wir  in  die  Hohle 
gingen,  grade  aus  dieser  uns  entgegen.  In  der  Höhle  waren  viele 
Federhaufen  zu  sehen,  Koste  der  Mahlzeiten  solcher  Adler. 

Am  zweiten  Tuge  sahen  wir,  wie  auf  Röstholmen,  einer  kleinen 
Insel  nahe  bei  Yaedü,  die  .Jagd  auf  Lummenvögel  (Mormon  arcticus) 


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„Nykerne“,  von  Röstholmen  aus  gesehen.  Lofoten,  Norwegen. 


mit  Hunden  betrieben  wurde.  Her  Lummenvögel  hat  sein  Nest  in 
tiefen  Höhlen,  wo  er  es  hinter  Gestein  und  unter  Grastorf  eingräbt 
Zur  Jagd  benutzen  die  Inselbewohner  kleine  Hunde,  welche  eine 
sehr  spitze  Schnauze  und  eine  auffällige  Aehnlichkeit  mit  einem 
Fuchse  haben.  Sobald  der  Hund  einen  Lummenvögel  spürt,  geht  er 
mit  dem  Kopfe  und  dem  halben  Vorderleib  in  das  Loch  hinein,  heilst 
sich  in  die  Lumme  fest  und  zieht  sie  heraus.  Ein  kurzer  Kampf 
entsteht  draufsen  auf  der  Grasbank;  die  Lumme  ihrerseits  beifst  mit 
ihrem  Papageienschnabel  um  sich,  wird  aber  bald  von  dem  Hunde 
übermannt,  der  sie  über  dem  Halse  zerbeifst.  Diese  Jagd  findet  im 
Monat  Mai  im  grofsen  statt.  Ein  Hund  kann  dann  an  einem  Tage 
bis  20  Lummen  nehmen,  ist  aber  alsdann  von  der  Anstrengung  ganz 
ermattet. 


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303 

Von  Rüst  aus  wurde  die  Arbeit  auf  den  Küstenbänken  außer- 
halb der  Lofoten  und  Yesteraalen  fortgesetzt.  Es  zeigte  sich,  dafs  hier 
die  große  Meerestiefe  dem  Lande  näher  liegt  als  weiter  gegen  Süden 
und  dafs  ein  verhältnifsmäßig  schroff  abfallender  Abhang  von  den 
Kiistenbänken  hinunter,  von  200  angefangen  bis  zu  3000  m,  zu  den 
großen  Tiefen  führt.  Bei  Andenes  liegt  der  äußere  Rand  der  Bank, 
wo  der  Abhang  beginnt,  kaum  5 geographische  Meilen  vom  Lande 
entfernt.  Auf  dieser  Bank  wimmelte  es  von  Fischen.  Wir  fingen 
auf  einer  Station,  in  einer  Tiefe  von  150  m,  Dorsche,  Lengon,  Brosmen,  • 

Bergilte  (Rothlisch,  Sebastos  norvegicus)  und  Heilbutten  (Riesen- 
schollen), alle  in  großen  Exemplaren.  Am  8.  Juli  kam  die  Expedition 
nach  Tromsü. 

Vom  14.  bis  zum  20.  Jnli  wurde  das  Meer  außerhalb  der  Küste 
bis  zum  71.  Breitengrade  bei  ziemlich  unruhigem  Wetter  untersucht 
und  alsdann  in  Tromsü  mit  der  Ausrüstung  zu  einer  längeren  Tour 
nach  Westen  bis  Jan-Mayen  vorgegangen. 

(Fortsetzung  felgt.) 


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P5» 


Ueber  einige  Aufgaben  der  Photometrie  des  Himmels. 

Von  Prof.  H.  Sroli'rr. 

Direktor  der  König).  Stornwart*  bei  München. 

x-w  (Sehlute.) 

'TS 

-ol?)01'  *n  Physikalischer  Beziehung  wichtigste  selbstleuchtende  Körper 

’Jjcy  ist  die  Sonne.  Aus  verschiedenen  und  nahe  liegenden  Gründen 
treten  die  rein  photometrischen  Aufgaben,  welche  dieselbe  dar- 
bietet, an  Wichtigkeit  weit  zuriiok  gegen  die  Probleme,  welche  sie  in 
der  Spektralanalyse  dargeboteu  hat.  Seit  jeher  waren  es  indessen  zwei 
Kragen,  mit  denen  sich  die  photometrischen  Beobachter  beschäftigt 
haben  und  welche  ein  allgemeineres  Interesse  darbieten.  Schon 
Bouguer  und  1 .amtiert  hatten  zu  bestimmen  gesucht,  wie  sich  ilie 
Stärke  des  Sonnenlichtes  zu  der  Lichtstärke  anderer  Himmelskörper 
verhalte.  Wegen  der  überaus  grofsen  Ilelligkeitsdifferenz,  die  hierbei 
unter  allen  Umständen,  selbst  wenn  der  Vollmond  als  Vergleichsobjekt 
dient,  gemessen  werden  soll,  verursacht  die  gewünschte  Krmitteluug 
nicht  gewöhnliche  praktische  Schwierigkeiten.  Die  vielen  im  Laufe 
der  Zeit  erlangten  Resultate  weichen  infolge  dessen  in  ganz  enormen 
Betrügen  von  einander  ab.  Indessen  wird  man  sich  nach  Zöllners 
Messungen  doch  gewifs  eine  sehr  angenähert  richtige  Vorstellung  von 
der  Stärke  des  Sonnenlichtes  machen  können.  Danach  sendet  uns 
eine  von  der  Sonne  beleuchtete  kleine  Fläche  ungefähr  600  000  mal 
so  viel  Licht  zu,  als  wenn  sie  unter  sonst  gleichen  Umstünden  dem 
Vollmondlichte  ausgesetzt  wird. 

Die  zweite  Frage,  deren  Beantwortung  ebenfalls  schon  von 
Bouguer  und  Lambert  versucht  worden  ist,  betrifft  die  Vertheilung 
der  Helligkeit  auf  der  scheinbaren  Sonnenscheibe.  Es  friigt  sich  näm- 
lich, wobei  auf  Sonnenfleckcn,  Sonnenfackeln  etc.  keine  Rücksicht  ge- 
nommen werden  soll : erscheint  die  Sonnenscheibe  überall  gleich  hell 
oder  ist  ein  bestimmtes  Gesetz  der  Ilelligkeitsvertheilung  auf  ihr  nach- 
weisbar? 


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Die  Beobachtungen  haben  nun  ergeben,  dafs  das  letztere  stattfindet 
und  zwar,  dafs  die  Sonnenscheibe  in  der  Mitte  beträchtlich  heller  ist 
als  am  Rande,  wenngleich  diese  Lichtvertheilung  sich  nicht  durch  eino 
ganz  einfache  Formel  ausdriicken  läfst.  Ehe  wir  aus  dieser  Thatsache 
Schlüsse  ziehen,  wollen  wir  uns  überlegen,  welchen  Anblick  eine 
glühende  Kugel,  etwa  aus  Metall,  darbielen  wird.  Wir  werden  dies 
sofort  angeben  können,  wenn  wir  wissen,  wie  sich  die  Helligkeit  eines 
iiufserst  kleinen  ebenen  Flächenelementes  für  einen  Beobachter  dar- 
stellt, der  in  grofser  Entfernung  bald  mehr  bald  weniger  über  die 
Ebene  des  Elementes  sich  erhebt.  Erst  in  der  allerneuesten  Zeit  hat 
man  diesen  so  einfach  scheinenden  Vorgang  theoretisch  richtig  ana- 
lvsirt  und  durch  Experimente  verfolgt.  Diese  haben  ergeben,  dafs  ein 
solches  glühendes  Fliicheneloment  stets  gleich  hell  erscheint,  der  Be- 
obachter mag  sich  in  irgend  welcher  Höhe  über  demselben  befinden, 
wetm  sich  nur  seine  Entfernung  von  jenem  Elemente  nicht  ändert. 
Hieraus  folgt  unmittelbar,  dafs  eine  glühende  Kugel  den  Anblick  einer 
gleichmäfsig  erleuchteten  Scheibe  darbieten  mufs,  weil  eben  jedes 
Element  derselben  immer  gleich  hell  erscheint,  ganz  unabhängig-,  wie 
es  gegen  die  Gesichtslinie,  die  dasselbe  mit  dem  Beobachter  verbindet, 
geneigt  ist.  Voraussetzung  ist  hierbei  selbstverständlich,  dafs  die 
Metallkugel  in  allen  ihren  Oberflächentheilen  denselben  Grad  des 
Glühens  zeigt.  Stellen  wir  uns  also  vor,  die  Sonne  sei  in  der  Haupt- 
sache eine  gleichmäfsig  glühende  Kugel,  so  wird  uns  dieselbe  in 
gleicher  Weise  den  Anblick  einer  gleichmäfsig  leuchtenden  Scheibe 
gewähren.  Dafs  die  Beobachtungen  ein  anderes  Resultat  ergeben 
haben,  wird  uns  aber  in  keiner  Weise  überraschen;  denn  physikalische 
Gründe  nöthigen  uns  zu  der  Vorstellung,  dafs  der  glühende  Sonnen- 
körper allenthalben  von  weniger  heifsen  Schichten  umgeben  ist,  die 
successive  weniger  Leuchtkraft  besitzen  und  demzufolge  in  ähnlicher 
Weise  wirken  werden  wie  eine  absorbirende  Atmosphäre.  Eine  solche 
mufs  aber  bewirken,  dafs  die  Strahlen  des  scheinbaren  Randes,  da 
dieselben  eine  dickere  Schicht  des  absorbirenden  Mediums  zu  durch- 
laufen haben,  mehr  geschwächt  werden,  als  die  von  der  Mitte  der  Scheibe 
ausgehenden.  Diese  Schlufsfolgerung  hat  bereits  Laplace  gemacht. 
Wir  dürfen  aber  nicht  erwarten,  dafs  die  von  ihm  entwickelte  mathe- 
matische Formel  für  die  Lichtabnahme  die  Beobachtungen  vollständig 
darstellen  wird.  Die  physikalischen  Grundlagen  derselben,  welche 
ganz  analog  denen,  wie  sie  bei  der  Extinktion  des  Fixsternlichtes  in 
der  Erdatmosphäre  gelten,  angenommen  worden,  sind  bei  so  ver- 
änderten Umständen  sehr  berechtigten  Zweifeln  unterworfen,  auch  ver- 


«TWflr* 


396 

liifst  die  rein  mathematische  Entwickelung  bei  so  sehr  viel  größeren 
Absorptionen  den  Bereich  ihrer  Gültigkeit.  Nach  den  oben  gemachten 
Bemerkungen  ist  es  von  seihst  klar,  dafs  auch  im  vorliegenden  Falle 
spektralphotomi'trische  Methoden  einen  grofsen  Vorzug  vor  andern 
besitzen  müssen.  Herr  Professor  Vogel  in  Potsdam  hat  dies  auch  vor 
vielen  Jahren  bereits  erkannt  und  die  genannten  Methoden  in  dieser 
Richtung  angewandt.  Einige  wenige  Zahlen  aus  seiner  Boobachtungsreihe 
mögen  hier  der  Wichtigkeit  und  des  Interesses  wegen,  welches  ihnen 
zukomrat,  angeführt  werden.  Für  die  drei  Stellen  im  Sonnenspektrum 
K,  G,  B,  welche  bez.  im  Roth.  Gelb  und  Blau  liegend  den  Wellen- 
längen 443,  579,  662  Milliontel  Millimeter  entsprechen,  ergaben  sich 
die  Helligkeiten  in  den  Entfernungen  E vom  Mittelpunkt  der  Sonnen- 
scheibc,  letztere  in  Einheiten  des  Sonnenradius  ausgedrückt: 

E RGB 


0 

100 

100 

100 

0.2 

100 

99 

99 

0.4 

98 

97 

94 

0.6 

95 

91 

85 

0.8 

84 

75 

67 

1.0 

30 

25 

14 

Zufolge  dieser  Zahlen  werden  also  auch  in  der  Sonnenatmosphäre 
die  weniger  brechbaren  Strahlen  nicht  unmerklich  leichter  durch- 
gelassen. 

Neben  den  selbstleuchtenden  sind  es  die  von  der  Sonne  beleuch- 
teten Körper,  welche  in  den  letzten  Jahren  Gegenstand  der  photo- 
metrischen  Untersuchung  waren.  Schwierigkeiten  sehr  ernster  Natur 
stellen  sich  aber  hier  der  Forschung  entgegen  und  die  Zuverlässigkeit 
der  erhaltenen  Resultate  ist  in  keiner  Weise  so  unantastbar,  wie 
u.  a.  Zöllner,  der  gerade  diesen  Theil  der  Photometrie  mit  beson- 
derem Eifer  gepflegt  hat,  glaubte.  Vielleicht  war  es  ein  Glück  für 
die  Entwickelung  dieses  Wissenszweiges,  dafs  sein  Vorkämpfer  die 
Bedeutung  der  neuen  Betrachtungen  und  deren  Zuverlässigkeit  in 
manchen  Richtungen  überschätzte.  Jedenfalls  hat  dieser  Umstand  die 
Belebung  der  wissenschaftlichen  Arbeit  nur  angeregt.  Wenn  wir  jetzt 
genoigt  sind,  manche  damals  gehegte  Hoffnung  als  trügerisch,  manches 
erlangte  Resultat  als  bezweifelbar  auzusehen,  so  wird  dadurch  das 
einmal  erwachte  Interesse  an  diesen  Gegenständen  gewifs  nicht  mehr 
abgeschwächt  worden  können. 

Als  Grundlage  für  alle  Schlüsse,  welche  aus  photometrischen 
Beobachtungen  an  Planeten  gezogen  werden  können,  ist  selbstver- 


397 


stündlich  das  Gesetz  anzusehen,  welches  das  Verhältnifs  der  von  einem 
Oberflächeuelement  erhaltenen  Lichtmenge  zu  der  dem  Beobachter  zu- 
gesandten angiebt.  Man  kann  die  in  der  Natur  vorkommenden  Körper 
in  zwei  grofse  Gruppen  eintheilen,  in  spiegelnde,  welche  auffallendes 
Licht  nur  in  ganz  bestimmten  Richtungen  zurückwerfen,  ohne  dasselbe 
zu  färben,  und  solche,  welche  das  Licht  nach  allen  Richtungen  zer- 
streuen und  hierbei  demselben  eine  spezifische  Färbung  ertheilen. 

Letztere  kann  man  ., zerstreut  reflektirend"  oder  „absolut  matt“  nennen. 

Diese  beiden  Gruppen  sind  durch  allmähliche  Uebergänge  verbunden  • 

und  gerade  diese  sind  es,  die  wir  in  Wirklichkeit  antreffen,  während 
die  Extreme  vielleicht  niemals  Vorkommen.  Schon  infolge  dieser  Be- 
merkung wird  man  kaum  ein  Gesetz  erwarten,  das  in  grüfserer  Allge- 
meinheit die  Stärke  der  Beleuchtung  der  irdischen  Körper  wiedergeben 
wird,  weil  diese  offenbar  von  der  materiellen  Beschaffenheit  des  sicht- 
baren Gegenstandes  abhängig  ist.  Verwundern  mufs  cs  uns  im  Gegen- 
theil,  dafs  man  lange  Zeit  alle  sogenannt  zerstreut  reilektirenden  Sub- 
stanzen durch  eine  einzige  und  noch  dazu  höchst  einfache  Formel,  das 
sogenannte  I-ainbertsche  Gesetz, ')  umspannen  zu  können  glaubte. 

Auf  dieser  Annahme  beruhen  in  der  That  die  meisten  Resultate,  welche 
Zöllner  auf  Grund  photoinetrischer  Beobachtungen  über  die  physische 
Beschaffenheit  der  Himmelskörper  aufgesteilt  hat.  Gerade  deshalb 
aber  schien  es  doch  von  Wichtigkeit,  das  Lambertsche  Gesetz  an 
Substanzen  und  speziell  an  solchen,  welchen  das  Prädikat  „exquisit  zer- 
streut refieklirend“  zukommt,  wie  Gyps,  Karton,  Marmor  etc.  zu  prüfen. 

Solche  ziemlich  ausgedehnte  Versuchsreihen  wurden  vor  einiger  Zeit 
auf  der  Münchener  Sternwarte  ausgefiihrt  und  haben  das  erwartete 
Resultat  bestätigt,  dafs  nämlich  das  Lambertsche  Gesetz  sich  nur  in 
Ausnahmefällen  als  Näherung  an  die  Wahrheit  bewährt.  Man  könnte 
indessen  glauben,  dafs  die  in  der  Wirklichkeit  vorkommenden  Stoffe 
eben  nicht  vollkommen  dem  Begriffe  der  zerstreuten  Zurückwerfung 
entsprächen,  und  dafs  das  Lambertsche  Gesetz  sich  auf  einen  gewissen 
idealen  Zustand  bezöge.  Dem  gegenüber  mufs  aber  hervorgehoben 
werden,  dafs  es  bis  jetzt  nicht  geglückt  ist,  jene  Eigenschaften  der 
Materie  physikalisch  zu  definiren,  welche  das  genannte  Beleuehtungs- 
geselz  nach  sich  ziehen,  Lambert  glaubte  zwar  seine  Formel  mit 


')  Bezeichnet  man  mit  i und  e die  Winkel,  welche  die  Richtung  von 
einem  Flächenelemenlo  nach  der  Lichtquelle  und  nach  dem  Beobachter  mit 
der  Normalen  des  Flächenelementcs  bilden,  so  ist  nach  Lambert  bei  unver- 
änderlichen Entfernungen  die  dem  Beobachter  zugesandte  Lichtmeugo  pro- 
portional mit  cos  i ■ cos  <. 


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398 


Hülfe  der  allgemeinen  Sätze  über  die  räumliche  Ausbreitung  der 
Lichtbewegung  allein  ableiten  zu  können.  Sein  Oedankengang  wurde 
aber  von  Zöllner  als  fehlerhaft  nachgewiesen.  Letzterer  versuchte 
einen  andern  Beweis  herzustellen,  aber  auch  dieser  ist  nicht  aufrecht 
zu  erhalten. 

Da  also  weder  Theorie  noch  Experiment  auf  die  Lambertsche 
Formel  führen,  wird  es  nicht  erlaubt  sein,  dieselbe  zur  Grundlage 
eines  ganzen  Wissenszweiges  zu  machen.  Aber  selbst  wenn  die  Ver- 
hältnisse anders  lägen,  wäre  eine  Anwendung  auf  die  Himmelskörper 
nicht  ohne  weiteres  gestattet.  Die  Oberflächen  mehrerer  Planeten 
(z.  B.  Venus,  Mars)  sind  gewifs  nicht  viel  weniger  heterogen  zusammen- 
gesetzt wie  die  unserer  Erde.  Welche  fast  unberechenbar  verwickelte 
Erscheinungen  diese  letztere  aber  in  photometrischer  Beziehung  einem 
entfernten  Beobachter  darbieten  mufs,  habe  ich  in  einem  vor  kurzem 
erschienenen  Aufsatze2),  auf  den  ich  wohl  verweisen  darf,  auseinander- 
gesetzt. Zöllner  hat  wohl  diese  Sachlage  nicht  ganz  verkannt.  Er 
war  aber  der  Meinung,  dafs  diejenigen  Planeten,  welche  eine  sehr 
dichte  Atmosphäre  besitzen  (z.  B.  Jupiter  und  Saturn),  eine  Beleuch- 
tung zeigen  müfsten,  die  sich  dem  Lambertschen  Gesetze  fügt  und 
dafs  man  also  aus  photometrischen  Beobachtungen  die  gewifs  wichtige 
Erkenntnifs  erlangen  kann,  ob  ein  Planet  eine  dichte  Atmosphäre  habe 
oder  nicht.  Aber  auch  diese  Meinung  ist  nicht  zutreffend.  Wenn 
man  nämlich  die  hierbei  angenommenen  Prämissen  richtig  verfolgt, 
kommt  man  zu  einem  völlig  andern  Beleuchtungsgesetze.3) 

Xach  alledem  müssen  wir  die  Meinung  ausspreohen,  dafs  im 
gegenwärtigen  Stadium  der  Entwickelung  die  Photometrie  nicht  im 
stände  ist,  Aufschlüsse  über  die  physikalische  Eigenschaft  der  Ober- 
flächen der  Planeten,  wenigstens  nicht  im  Sinne  Zöllners,  zu  liefern. 
Diese  wenig  hoffnungsreiche  Aussicht  darf  aber  nicht  veranlassen, 
diesen  Zweig  der  Astro-Photometrie  von  nun  ab  zu  vernachlässigen. 
Die  Konstatiriing  der  Veränderungen  der  Helligkeiten  eines  Planeten, 
die  Vergleichung  der  Helligkeit  verschiedener  Planeten  wird  nach 
wie  vor  höchst  interessant  sein  und  kann  dort,  wo  sich  einwurfsfreie 
Grundlagen  der  theoretischen  Betrachtungen  hersteilen  lassen,  zu 
immerhin  wichtigen  Resultaten  führen.  Hierfür  können  wir  schon 
jetzt  einige  Beispiele  anführen.  So  wird  die  photometrische  Be- 

3 1 Zur  Photometrie  zerstreut  reflektirender  Substanzen.  Sitzungsberichte 
der  k.  bayor.  Akademie  der  Wissenschaften.  München  1888. 

s)  ^ gh  Bemerkungen  zu  Zöllners  photometrischen  Untersuchungen. 
Viorletjahresschrift  der  astronom.  Gesellschaft.  Jahrgang  21.  188G. 


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390 


obachtung  der  Jupiterstrabanten  dazu  helfen  können,  unter  Um- 
ständen die  Rotationsbewegungen  dieser  Gestirne  zu  erkennen,  wie  die 
dahin  gehenden  schönen  Untersuchungen  des  leider  so  früh  ver- 
storbenen R.  Engelmann  ergeben  haben. 

Ferner  hat  sich  die  Aussicht  eröffnet,  mit  Hülfe  photometrischer 
Beobachtungen  die  Verfinsterungen  derselben  Trabanten  für  das 
Problem  der  geographischen  Längonbestimmungen  namentlich  auf 
Keisen  und  auch  für  die  Theorie  der  Bewegung  dieser  Satelliten  in 
gröfserem  Umfange  nutzbar  zu  machen  als  bisher  möglich  war.  Denn 
solche  Beobachtungen  erlauben  erst  einen  bestimmten  Moment  des  ganzen 
Vorganges  einer  Verfinsterung  aufzufassen  und  so  diese  Art  der  Be- 
obachtung mit  einer  Genauigkeit  auszustatten,  die  man  früher  auch 
nicht  annähernd  erreichen  konnte.  Schlierslich  mag  noch  ein  Fall 
erwähnt  werden,  der  besonders  geeignet  ist  zu  zeigen,  wie  man  unter 
besonderen  Umständen  sich  von  den  Hypothesen  völlig  frei  machen 
kann,  welche  sonst  der  Photometrie  der  Planeten  anhaften  und  wie 
man  zu  ganz  einwurfsfreien  Resultaten  gelangen  kann.  Dieser  betrifft 
den  Planeten  Saturn  mit  seinen  Ringen. 

Seitdem  Huygens  die  wahre  Form  der  Saturnringe  erkannt  hatte, 
war  dieses  merkwürdige  Gebilde  stets  der  Gegenstand  eifrigster  Nach- 
forschungen. Dars  dieses  Objekt  keinen  kompakten  starren  Körper 
darstellen  könne,  wufste  man  schon,  nachdem  Cassini  die  nach  ihm 
benannte  Trennungslinie  entdeckt  hatte;  anfserdem  hat  Laplace  gezeigt, 
dafs  ein  solcher  Zustand  wegen  der  aufserordentlich  geringen  Dicke 
der  Ringe  auf  die  Dauer  gar  nicht  bestehen  könne.  Er  glaubte  des- 
halb annehmen  zu  müssen,  dafs  der  Saturnring  aus  sehr  vielen  äuTserst 
schmalen  konzentrischen  und  nicht  homogenen  festen  Ringen,  die  um 
den  llauplkörper  rotiren,  bestände.  Aber  auch  ein  solches  System 
scheint  auf  die  Dauer  nicht  stabil  sein  zu  können,  vielmehr  wird  es 
das  Bestreben  zeigen,  den  stattfindenden  Zustand  der  Zusammen- 
gehörigkeit zu  verlassen;  die  Ringe  werden  sich  mit  der  Zeit  auf  der 
einen  Seite  dem  Hauptkörper  nähern,  auf  der  andern  entfernen,  bis 
sie  einseitig  mit  der  Oberfläche  desselben  zusammenstofsen.  Nicht 
viel  anders  scheint  sich  die  Sache  zu  gestalten,  wenn  man  die  Materie 
der  Ringe  als  flüssig,  ob  gasförmig  oder  tropfbar  flüssig,  annimmt. 
Die  Einwirkung  der  8 Trabanten  würde  mit  der  Zeit  eine  Auflösung 
der  Ringfigur  bewirken  müssen,  die  gegenwärtige  Figur  ist  wie  man 
sagt,  nicht  stabil.  Auch  die  Erklärung  der  beobachteten  Trennungs- 
linien wird  auf  diesem  Wege  nicht  glücken  und  der  innerste  soge- 
nannte dunkle  Ring  widerspricht  direkt  einer  solchen  Ansicht. 


400 


Alle  Schwierigkeiten  fallen  aber  sofort  weg,  wenn  man  die  zu- 
erst von  Maxwell  aufgestellte,  dann  von  Hirn  tiefer  begründete  An- 
sicht acceptirt,  der  Saturnring  werde  von  diskreten  Massentheilchen 
gebildet,  die  sich  frei  wie  Satelliten  oder  Meteorschwärme  um  den 
Saturn  bewegen. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  im  einzelnen  zu  zeigen,  wie  in  der 
Thal  alle  Erscheinungen,  die  der  Saturnring  darbietet,  bis  ins  Detail 
durch  diese  Hypothese  völlig  erklärt  werden  können,  wiewohl  diese 
Aufgabe  eine  höchst  dankbare  wäre.  Ich  will  vielmehr  nur  das  her- 
vorheben, was  zum  Gegenstände  dieses  Aufsatzes  in  direkter  Be- 
ziehung steht. 

Ich  habe  schon  vor  mehreren  Jahren  nachgewiesen,  dafs  sieh 
die  Thatsache,  dafs  der  Saturnring,  obwohl  seine  Ebene  alle  mög- 
lichen Neigungen  zwischen  0 und  30  Grad  gegen  die  Gesichtslinie 
einnehmen  kann,  immer  nahezu  gleich  hell  erscheint,  in  der  unge- 
zwungensten Weise  aus  der  Maxwell-Hirnschen  Theorie  ergiebt.  In- 
zwischen hat  Herr  Dr.  Müller,  der  den  Saturn  seit  Jahren  photo- 
metrisch verfolgt,  gefunden,  dafs  die  Helligkeit  des  Saturnsy Sternes 
sehr  bedeutende  Variationen  aufweise,  die  nicht  von  der  Stellung  der 
Kingebene  gegen  die  Gesichtslinie,  wohl  aber  von  der  Lage  des 
Saturn  gegen  die  gerade  Linie  Sonne — Erde  abhiinge.  Er  hat  ge- 
funden, dafs  die  Helligkeit  des  ganzen  Systemes  00  Tage  vor  oder 
nach  der  Opposition  nur  etwa  80  Prozent  von  der  in  der  Opposition 
beträgt.  Diese  Helligkeitsschwankung  mufs  nun  als  Folge  der  er- 
wähnten Ansicht  über  die  Konstitution  des  Saturnringes  als  von  dem 
letzteren  allein  herrührend  angesehen  werden,  und  selbst  ihr  Betrag 
läfst  sich  bei  genügender  Verfolgung  dieser  Theorie  als  mit  dem  aus 
den  Beobachtungen  hervorgehenden  vollständig  in  Einklang  bringen. 
Sehr  einfache  Betrachtungen  lassen  die  obwaltenden  Verhältnisse  voll- 
kommen erkennen.  Die  einzelnen  Theile,  welche  den  Ring  bilden, 
werden  von  der  Sonne  beleuchtet  und  von  der  Erde  betrachtet.  Hier- 
bei tritt  eine  doppelte  gegenseitige  Beeinflussung  ein.  Erstens  be- 
schatten sich  die  einzelnen  Theilchen  gegenseitig,  zweitens  verdecken 
sie  sich  theilweiso  und  beide  Vorgänge  bewirken  eine  Verminderung 
der  Helligkeit  des  Gesamtbildes.  Die  beschatteten  und  verdeckten 
Theilchen  sind  im  allgemeinen  von  einander  verschieden,  fallen  aber 
dann  ganz  zusammen,  wenn  Sonne,  Erde  und  Saturn  genau  in  einer 
geraden  linie  sich  befinden.  Hier  werden  keine  Schatten  wahrge- 
nommen, weil  sie  ganz  von  davorstehenden  beleuchteten  Theilchen 
verdeckt  werden.  Je  mehr  sich  aber  Saturn  von  der  Geraden 


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401 


Sonne — Erde  entfernt,  desto  mehr  werden  die  Schatten  sichtbar  und 
man  sieht  also,  dafa  die  Helligkeit  des  Ringes  in  der  Opposition  bei 
weitem  am  gröfsten  sein  mufs. 

Ganz  ähnliche  Vorkommnisse  kann  man  alltäglich,  wenn  man 
nur  auf  sie  aufmerksam  geworden  ist,  beobachten.  Geht  man  nämlich 
bei  Sonnenschein  und  zwar  am  besten  bei  nicht  zu  hohem  Sonnenstand 
über  ein  Stoppelfeld  oder  frisch  aufgeworfene  Ackererde  und  beachtet 
hier  die  Lichtvertheilung,  so  wird  man  überrascht  sein  zu  sehen,  wie 
schnell  die  Helligkeit  ganz  in  der  Nähe  des  Schattens  des  eigenen 
Kopfes  zunimmt  und  am  Schattenrande  selbst  sich  zu  sehr  bedeu- 
tender Intensität  steigert.  Das  Phänomen,  prinzipiell  ähnlich  dom, 
welches  der  Saturnring  darbietet,  ist,  wie  auf  den  ersten  Blick  er- 
sichtlich, durch  ganz  ähnliche  Ueberlegungon  zu  erklären. 

Die  auseinandergesetzten  Verhältnisse  in  mathematische  Formeln 
zu  kleiden,  bereitet  keine  besonderen  Schwierigkeiten.  Ein  solches 
Ausarbeiten  der  Theorie  ist  aber  absolut  nothwendig,  denn  es  genügt 
niemals,  eine  Erscheinung  nur  qualitativ  zu  erklären,  wenn  dieselbe 
sich  in  zahlenmäfsigen  Resultaten  ausspricht.  Zur  vollständigen  Durch- 
führung der  gestellten  Aufgabe  waren  einige  speziellere  Annahmen 
nütliig.  Zunächst  habe  ich  die  einzelnen  Körper,  aus  denen  der 
Satumriug  besteht,  als  kleine  Kugeln  angenommen  und  vorausgesetzt, 
dafs  diese  nach  den  Gesetzen  des  Zufalles,  also  nahezu  gleichförmig 
den  ganzen  Ring  ausfüllen.  Beide  Annahmen  sind  indefs  so  allge- 
mein und  überdies  nur  zur  Ermöglichung  der  wirklichen  Ausrechnung 
gemacht,  so  dafs  man  in  ihnen  ein  hypothetisches  Element  nicht  er- 
blicken wird.  Da  weitere  Hypothesen,  also  namentlich  nichts  über 
optische  Eigenschaften  der  Matorie,  aus  welchen  die  Theilchen  zu- 
sammengesetzt sind,  erforderlich  waren,  so  beruht  die  ganze  Berech- 
nung auf  so  allgemeinen  Grundlagen,  als  man  nur  wünschen  kann. 
Dafs  diese  den  Beobachtungen  sehr  gut  und  namentlich  in  allen 
charakteristischen  Punkten  entspricht,  dürfte  eine  neue  und,  wie  ich 
glaube,  werth volle  Stütze  für  die  Richtigkeit  der  Maxwell-Hirnsehen 
Theorie  bilden. 


Uimmel  und  Erde.  I.  T. 


29 


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M”  P w ftfl I P i »tf 

Die  ungewöhnlichen  atmosphärischen  Erscheinungen 
nach  dem  Ausbruche  des  Krakatau. 

Von  Dr.  Ernst  Warner, 

Assistent  de»  Koni?].  m«teortdngi»cheo  Institut«  in  Berlin. 

^(T  Tro  (las  Bild  jener  gewaltigen  Aeufserung  unterirdischer  Kräfte 
i.  in  der  Erdgeschichte  möglichst  vollständig  für  alle  Zeiten  fcat- 
hallen  zu  können,  muß  sich  zur  Oeologie  noch  die  Meteoro- 
logie gesellen,  in  deren  Gebiet  fast  ausschliefslich  die  mannigfachen 
außergewöhnlichen  Erscheinungen  fallen,  welche  im  Gefolge  des  Aus- 
bruches während  mehrerer  Jahre  ihren  Schauplatz  in  der  Erdatmo- 
sphäre hatten.  Nachdora  diese  endlich  zur  Ruhe  gekommen  sind,  und 
die  vielfachen  Anregungen  zu  wissenschaftlichen  Untersuchungen  sowie 
das  gewaltige  Beobachtungsmaterial  in  einigen  umfangreichen  Werken, 
welche  als  bleibende  Zeugnisse  des  großen  Ereignisses  gewissertnafsen 
den  festen  Niederschlag  der  gewonnenen  Resultate  repräsentiren,  end- 
gültig niedergelegt  sind,  möge  es  gestattet  sein,  die  wesentlichsten 
Punkte  der  atmosphärischen  Erscheinungen,  sowie  die  aus  denselben 
abgeleiteten  neuen  Erkenntnisse  näher  darzulegen.  Während  das  Werk 
von  Professor  J.  Kiefsling:  „Untersuchungen  über  Dämmerungs- 
ersoheinungen  u.  s.  w.“  sich  nur  mit  den  atmosphärisch -optischen 
■Störungen  beschäftigt,  sind  von  dem  umfangreichen  Quarthande,  in 
welchem  das  Krakatau-Comitö  der  Royal  Society  in  London  die  Er- 
gebnisse seiner  Forschungen  niedergelegt  hat,  zwei  Dritttheile  den 
atmosphärischen  Erscheinungen  gewidmet. 

In  zwiefacher  Beziehung  haben  auf  der  Oberfläche  der  Erde  die 
Nachwirkungen  der  gewaltigen  Explosion  in  der  Sundastrafse  festge- 
stellt  werden  können,  erstens  durch  eine  Luftwelte,  welche  durch  die 
den  Einsturz  des  Kraters  begleitende  Lufterschütlerung  hervorgerufen 
wurde  und  mehrmals  die  gesamte  Atmosphäre  hiu-  und  zuriickiaufend 
umkreiste,  zweitens  durch  außergewöhnliche  Dämmerung» -Erschei- 
nungen, seltsame  Färbungen  von  äonne  und  Mond  und  einen  bisher 
nicht  gesehenen  farbigen  Sonnenring,  welche  insgesamt  den  in  die 
höchsten  Höhen  der  Atmosphäre  hinausgesohleuderten  Auswurfspro- 
duktcn  des  Vulkans  ihro  Enßtohung  verdankten. 


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403 


Der  Verfolgung  der  groben  Luftwelle  hat  der  Bericht  der  eng- 
lischen Gesellschaft  besondere  Aufmerksamkeit  gewidmet,  so  dafs  wir 
in  der  Lage  sind,  ein  genaues  Bild  eines  Hin-  und  Rücklaufes  der- 
selben und  zwar  des  ersten  unseren  Lesern  vorführen  zu  können. 
Wahrzunehmen  ist  eine  solche  Luftwelle,  welche  aus  einer  Verdichtung 
und  nachfolgender  Verdünnung  der  Luft  besteht,  nur  durch  das  Stei- 
gen und  Fallen  des  Barometers,  vorausgesetzt  dass  der  Betrag  dieser 
Verdichtung  grofs  genug  ist,  um  innerhalb  der  Genauigkeitsgrenzen  der 
Instrumente  überhaupt  wahrgenoimuen  werden  zu  können.  Doch  ist 
leicht  cinzusehen,  dafs  zum  Festhalten  einer  solchen  Erscheinung  nur 
diejenigen  Instrumente  fähig  sind,  welche  eine  kontinuirliche  Aufzeich- 
nung ihrer  Angaben  ausführen,  woraus  sofort  ersichtlich  ist,  dab  eine 
solche  Untersuchung  in  keinem  früheren  Falle  hätte  angestellt  werden 
können,  da  Registrirbarometer  erst  in  den  letzten  Jahrzehnten  in  allge- 
meineren Gebrauch  gekommen  sind.  Und  zwar  genügte  es  für  vorlie- 
genden Zweck  nicht,  Registrirungen  in  kurzen  Zwischenräumen  vor- 
zunehmon,  da  eine  so  schnell  vorübergehende  Erscheinung  selten  in 
den  Augenblick  einer  Ilegistrirung  fallen  dürfte,  und  selbst  dann  wegen 
des  Mangels  einer  Fortsetzung  kaum  richtig  gedeutet  worden  würde. 
Daher  reduzirt  sich  die  Zahl  der  Stationen,  welche  zur  Bestimmung 
des  Weges  der  Luftwelle  dienen  konnten,  auf  47,  die  über  den  ganzen 
Erdball,  wenn  auch  ziemlich  ungleich,  vertheilt  liegen.  Diese  im  Vor- 
hältnifs  zu  der  groben  Menge  meteorologischer  Stationen,  welche  den 
Luftdruck  beobachten,  geringe  Anzahl  spricht  am  deutlichsten  für  die 
groben  Vortheile  koutinuirlicher  Aufzeichnungen  meteorologischer 
Phänomene. 

Nachdem  man  an  den  Barogrammen  verschiedener  Stationen  an 
dem  kritischen  Tage  mehrere  spitzenartige  Vorsprünge  der  Kurven 
bemerkt  hatte,  welche  in  bestimmten  Abständen  sich  wiederholten, 
wurde  man  dazu  geleitet,  die  Ursache  dieser  seltsamen  regelmäfsig 
eich  erneuernden  Störung  näher  zu  untersuchen.  Aus  der  Betrachtung 
des  ganzen  verwendbaren  Materials  ergiebt  sich  nun,  dafs  diese  Luft- 
erschütterung, sich  von  dem  Krakatau  als  Centrum  aus  in  kleinen 
Kreisen  erweiternd,  rings  in  der  Entfernung  von  durchschnittlich  'JO 11 
von  demselben  einen  grüblen  Kreis  um  die  Erde  bildete.  Da  durch  die 
Kugelform  der  Lufthülle  eine  weitere  Ausbreitung  nicht  möglich  war, 
begann  die  Welle  sich  wieder  zusammenzuzichen,  und  getätigte  in 
immer  kleineren  Kreisen  endlich  zu  den  Antipoden  des  Krakatau. 
Dieser  Punkt  wurde  hiermit  zu  einem  neuen  Erschütterungspunkte  der 
Luft,  der  Vorgang  wiederholt  sich  von  hier  aus  in  derselben  Weise, 

*9» 


•104 


so  dafs  dio  dritte  Wello  wieder  vom  Krakatau  ihren  Anfang  nahm. 
So  intensiv  war  die  ursprüngliche  Erschütterung,  dafs  sieben  Stil  rangen 
des  Luftdruckes  nachweisbar  sind,  indem  die  Wello  viermal  vom 
Krakatau  auslief,  und  dreimal  von  seinem  Antipodenpunkte,  der  in 
der  Gegend  von  Bogota  in  Columbia  zu  suchen  ist,  zurücklaufend 
walirgonorainen  wurde. 

Die  Luftdruckschwankung,  welche  der  grofsen  Explosion  am 
Vormittag  des  27.  August  1883  folgte,  begann  mit  einem  plötzlichen 
Steigen  dos  Barometers,  welchem  nach  einigen  geringen  Oscillationen 
ein  plötzliches  Fallen  folgte;  dieser  Vorgang  wiederholte  sich  bei  den 
dem  Krakatau  zunächst  gelegenen  Stationen  andauernd  mehrere  Male 


r /m. 


Fortpflanzung  der  ersten  Luftwelle  bis  zu  den  Antipoden  von  Krakatau. 

(Die  beigedruckten  Zahlen  gebon  dio  Zeit  in  Stunden  an,  welche  die  Luftwelle  gebraschte, 
um  bis  zu  der  betreffenden  Stelle  vorzudriDgen.) 

während  etwa  zweier  Stunden  sehr  ausgeprägt  bei  der  ersten  Störung, 
aber  auch  bei  fernen  Stationen  noch  merklich.  Die  weiteren  Vorüber- 
gänge der  Luftwellen,  von  welchen  die  eine  von  Ost  nach  West,  die 
andere  in  entgegengesetzter  Richtung  die  Erde  umkreiste,  zeigten  sich 
nur  durch  ein  kurzes  plötzliches  Steigeu  an.  Für  Greenwich  z.  B.  be- 
trägt die  Zeit  zwischen  je  zwei  Wellen  vom  Krakatau  nach  West  im 
Mittel  12Vs  Stunde,  während  die  Wellen  mit  dem  weiteren  Umwege 
durchschnittlich  24  Stunden  brauchten,  mit  gröfseren  Abweichungen 
im  einzelnen,  so  dafs  in  etwa  3(i  Stunden  ein  gröfster  Kreis  auf  der 
Erdkugel  durchlaufen  wurde. 

Aus  den  Barogrammen  der  fünf  uächstlicgenden  Stationen  gelang 
es  den  Zeitmoment  der  Huuptexploeion,  über  welchen  direkte  Angaben 
von  völliger  Genauigkeit  fehlten,  innerhalb  einiger  Minuten  zu  fixiren. 


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405 


und  zwar  auf  2h  5Gm  mittlere  Greenwichzeit,  oder  9 11  58m  Lokalzeit 
von  Krakatau.  Eine  Bestätigung  dieser  Bestimmung  liefern  Aufzeich- 
nungen aus  Batavia,  welche  zwar  nicht  zu  wissenschaftlichen  Zwecken 
gemacht  worden  waren,  aber  in  diesem  Falle  die  Abwesenheit  eines 
Kegistrirbarometers  in  Batavia  zu  ersetzen  vermochten.  An  den  selt- 
samen Sprüngen,  welche  der  Indikatorstift  des  Registrirapparates  an 
dem  Gasometer  der  Gasfabrik  in  Batavia  ausführte,  läfat  sich  in  dem 
gröfsten  Ausschlage  des  Schreibstiftes,  welcher  über  den  Papierstreifen 
hinaussprang,  der  Zeitpunkt  zwischen  10h  15m  und  10*1  20ro  iixiren. 
Da  die  Zeitdifferenz  Krakatau-Batavia  -f-  5.4 m beträgt,  und  die  Luftwelle 
die  Strecke  von  1°  22'  gröfsten  Kreises  in  etwa  7.8“  durchlaufen  haben 


Erste  Luftwelle,  von  den  Antipoden  des  Krakatau  bis  zum  Ursprungsorte 
zurückkehrend. 

dürfte,  so  würde  die  obige  Zahl  10h  11 m ergehen,  was  in  Anbetracht 
der  möglichen  Ungenauigkeiten  gut  übereinstimmt. 

Die  Geschwindigkeit  der  Luftwelle  pro  Stunde  schwankt  zwischen 
9.75  und  10.5  Aequatorgradcn,  woraus  sich  Zahlen  ergeben,  welche  mit 
der  Geschwindigkeit  des  Schalles  in  der  Luft  nahe  übereinstimmen. 
Eine  genauere  Untersuchung  der  Verbreitungskurven  der  Luftwelle 
zeigt,  dafs  ilir  Fortschreiten  nicht  in  allen  Richtungen  gleichmäfsig 
stattfand,  sondern  dafs  die  Witterungsverhältnisse  in  den  verschiedenen 
Regionen  des  Erdballes  erhebliche  Veränderungen  in  den  Fort- 
pflanzungsgeschwindigkeiten bedingten,  welche  bei  den  mehrfachen 
Wiederholungen  in  immer  gröfserem  Mafse  auftreten  mufsten,  so  dafs 
die  ursprüngliche  Kreisform  bald  komplizirteren  Kurven  Platz  machte. 
Sehr  merklich  ist  dieser  Unterschied  in  der  Richtung  mit  und  gegen 
die  Erdrotation  bei  den  Stationen  in  Australien  und  Neuseeland,  indem 


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406 

die  nach  Ost  gerichteten  Wellen  eine  Beschleunigung  aufweisen,  welche 
durch  westliche  Winde,  die  in  dieser  Gegend  vorwaltend  sein  konnten, 
erklärlich  ist.  Ebenso  mögen  es  die  besonderen  Witterungsverhält- 
nisse im  Südpolargebiete  veranlagt  haben,  dafs  die  über  den  Südpol 
streichende  Luftwelle  zuerst  eine  erhebliche  Verlangsamung,  bei  der  spä- 
teren Rückkehr  eine  beträchtliche  Zunahme  der  Geschwindigkeit  erfuhr. 

Dafs  eine  so  energische  Lufterschütterung  sich  auch  durch  das 
Gehör  in  bisher  noch  nicht  beobachteten  Entfernungen  bemerklich 
machte,  kann  hiernach  nichts  Auffallendes  mohr  haben;  die  Fläche, 
über  welcher  Hie  stärksten  Detonationen  vernehmbar  waren,  umfafst 
nahezu  >/,,  der  gesamten  Erdoberfläche,  und  hat  etwa  die  Oestalt  einer 
nach  West  verlängerten  Ellipse  mit  Krakatau  als  Mittelpunkt.  Be- 
sonders interessant  ist  der  Bericht  des  Polizeichefs  James  Wallis  in 
Rodriguez,  welche  Insel  etwa  4890  km  südwestlich  von  Krakatau  liest 
„Am  26.  August  war  das  Wetter  stürmisch  mit  starken  Regenböen,  es 
wehte  aus  Südost  in  Stärke  7 — 10  der  Beaufortskala.  Mehrmals  wurden 
in  der  Nacht  zum  27.  Detonationen  von  Ost  her  vernommen,  wie  ferner 
Donner  von  schwerem  Geschütz.  Diese  Knalle  wurden  in  Intervallen 
von  3 — 4 Stunden  bis  3 Uhr  Nachmittags  (mit  Berücksichtigung  der 
Schallgeschwindigkeit  und  LängendifTerenz  etwa  2 Uhr  Nachmittags 
Lokalzeit  in  Krakatau)  deutlich  gehört.-  Aehnlich  lauten  die  Berichte 
aus  vielen  Hafenpliitzen;  vielfach  glaubte  man  Schiffe  auf  hoher  See 
in  Noth,  und  sandte,  wie  in  Tavoy  (Britisoh-Burma)  und  Port  Blair 
auf  den  Andanmnen  vergeblich  Schiffe  zur  Hilfe  aus. 

Als  erste  atmosphärisch-optische  Störung,  welche  zunächst  durch 
den  Aschenauswurf  des  Vulkans  hervorgorufen  w-urde,  sind  die  un- 
gewöhnlichen Färbungen  von  Sonne  und  Mond  zu  nennen,  welche 
in  der  Tropenzone,  und  zwar  zuerst  im  Indischen  Ozean,  vereinzelt 
auch  in  höheren  Breiten  beobachtet  wurden.  Bereits  bei  den  ersten 
Ausbrüchen  wurden  in  dor  Nähe  des  Vulkans  diese  Färbungen  wahr- 
genommon,  welche  später  ebenfalls  in  den  gröfsten  Entfernungen  sich 
bemerklich  machten,  und  zwar  an  Bord  des  deutschen  Kriegsschiffes 
„Elisabeth“  am  20.  Mai.  Damals  trieb  der  Krakatau  eine  weifse  11  km 
hohe  Rauchsäule  empor,  aus  welcher  sehr  feiner  graugelber  Staub 
niederflol.  Am  Morgen  des  21.  Mai  war  das  Sonnenlicht  sehr  ge- 
schwächt, und  die  Sonneiischeibe  erschien  in  einem  fahlen  Blau.  Die 
blaue  Färbung  erscheint  nach  der  grofsen  Katastrophe  häufig,  vielfach 
wird  jedoch  von  einer  grünen  Sonne  gesprochen,  und  für  die  dem 
Aequator  nahen  Theile  des  Indischen  Ozeans  überwiegt  die  grüne 
Farbe  längere  Zeit.  Auf  Ceylon  wurde  vom  9.  bis  12.  September  die 


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407 


Sonne  nach  ihrem  Aufgang,  wenn  sie  in  der  Höho  von  etwa  10° 
sichtbar  wurde,  in  schönstem  Grün  leuchtend  gesehen.  Bei  weiterem 
Steigen  wandelte  sich  das  Grün  in  glänzendes  Blau,  etwa  wie 
brennender  Schwefel.  Selbst  im  Zenith  zeigte  sich  die  bläuliche  Fär- 
bung, ähnlich  der  des  Mondlichtes,  deutlich.  Die  umgekehrte  Farben- 
folge trat  entsprechend  beim  Untergange  ein.  Aufsor  diesen  häufigsten 
Färbungen  wird  noch  eine  kupferfarbige,  resp.  Silber-  oder  bleigraue 
Sonne  erwähnt.  Die  verschiedenen  Färbungen  bei  Aenderung  der 
Sonnenhöhe  deuten  darauf  hin,  dafs  diese  das  Sonnenlicht  absorbirende 
Schicht  eine  Art  selektiver  Absorption  ausübte.  Wo  die  Asche  am 
dichtesten  war,  und  die  gröfseren  Partikel  die  Strahlen  von  größerer 
Wellenlänge,  die  feineren  die  von  kürzerer  Wellenlänge  absorbirten, 
fand  eine  allgemeine  Absorption  statt,  woher  das  silbergraue  Dicht; 
in  gröfserer  Entfernung  waren  die  Asche  führenden  Luftschichten 
weniger  dick,  so  dafs  die  Absorption  nach  dem  rothen  Ende  des 
Spektrums  stärker  wurde,  und  daher  die  Sonne  einen  blauen  Schein 
annahm.  Da  mehr  nach  dem  Horizonte  hin  die  Sonnenstrahlen  immer 
gröfsere  Strecken  zu  durchlaufen  haben,  die  mit  Wasserdampf  und 
Staub  erfüllt  sind,  welche  die  blauen  Strahlen  immer  mehr  absorbiren, 
so  werden  beide  Enden  des  Spektrums  geschwächt  und  die  grüne 
Farbe  tritt  um  so  deutlicher  hervor.  In  der  unmittelbaren  Nähe  des 
Horizontes,  wo  die  Absorption  und  Diffraktion  durch  den  Wasserdampf 
der  weiteren  Atmosphärenstrecke  überwiegt,  geht  diese  Farbe  durch 
Gelb  und  Orange  schlierslich  in  das  gewöhnliche  Roth  des  Sonnen- 
unterganges über,  wie  auch  meist  beobachtet  wurde. 

Dafs  diese  Sonnenfärbungen  durch  Staub,  vulkanische  Asche 
oder  Verbrennungsprodukte  öfter  Vorkommen,  wird  durch  eine  griifsore 
Anzahl  von  älteren  Beobachtungen  unterstützt;  hervorzuhebeu  ist  eine 
Beobachtung  Whympers,  betreffend  einen  Ausbruch  des  Cotopaxi 
am  3.  Juli  1880.  Er  sah  durch  die  Rauchwolken  die  Sonne  lebhaft 
grün  gefärbt,  worauf  die  Farbe  plötzlich  in  Blutrolh  und  Kupferfarbe 
überging,  je  nachdem  die  Dicke  der  Asche  führenden  Wolken  zunahm. 
Indessen  ist  nicht  etwa  nur  die  äufserst  feine  vulkanische  Asche 
allein  im  stände,  solche  abnormen  Färbungen  zu  erzeugen,  sondern 
auch  die  Rauchwolken,  welche  bei  den  über  ungeheure  Flächen 
Amerikas  und  namentlich  West-  und  Centralafrikas  in  den  heifsen 
Jahreszeiten  stattfindenden  Grasbriinden  grofse  Quantitäten  von  Pflanzen- 
asche weithin  entführen,  besitzen  diese  Fälligkeit  in  hohem  Mafse, 
überhaupt  jede  sehr  fein  vertheilte  Materie,  deren  einzelne  Theilchen  von 
gleicher  Gröfse  sind,  wie  es  durch  die  Untersuchungen  von  Kiefsling 


408 


unzweifelhaft  bewiesen  ist.  Hiernach  würden  in  den  ungeheuren  Mengen 
von  Wasserdumpf  und  Hauch,  sowie  namentlich  schwefelhaltigen  Ver- 
bindungen, welche  in  die  Höhen  der  Atmosphäre  geschleudert  wurden, 
jene  sehr  kleinen  Körperchen  zu  suohen  sein,  welehe  die  farben- 
prächtigen Erscheinungen  der  blauen  und  grünen  Sonne  auch  in 
Gegenden  beobachten  liefsen,  wohin  die  Asche  des  Vulkans  nichl 
mehr  gelangte.  So  gut  es  nun  auch  Kiefsling  experimentell  gelungen 
ist,  alle  diese  Färbungen  des  Sonnenlichts  in  mechanisch  erzeugtem 
Staub  und  künstlichem  Xebel  verschiedenster  Beschaffenheit  zu  er- 
zeugen, so  unvollkommen  ist  bisher  die  theoretische  Entwicklung  des 
wahren  Herganges  der  Sache  geblieben.  Denn  es  sind  weder  reine 
Beugungs-  noch  reine  Absorptionsfarben.  Wahrscheinlich  spielen 
auch  Heflexionen  zwischen  den  einzelnen  Stofftheilen  eine  wesentliche 
Holle,  weshalb  Kiefsling  den  ganzen  Vorgang,  der  diesen  Erschei- 
nungen zu  Grunde  liegt,  durch  die  besondere  Bezeichnung  „optische 
Diffusion“  resp.  „Diffusionsfarben“  lur  die  entstehenden  Färbungen 
von  reinen  Beugungs-  resp.  reinen  Absorptionsphänomenen  unterschieden 
wissen  will. 

Diese  Schichten,  in  welchen  die  eben  beschriebenen  Färbungen 
der  Sonnenscheibe  und  auch  die  übrigen  aufsergewöhnlichen  Licht- 
erscheinungen erzeugt  wurden,  entstammen  offenbar  den  grofsen  Aus- 
brüchen am  26.  und  27.  August,  an  welchen  die  vulkanische  Kraft 
aufs  höchste  gesteigert  war,  und  zeigten  sich,  auf  ihrem  Wege  nach 
Westen  als  immer  breiter  werdender  Gürtel  die  Erde  umkreisend, 
auch  in  weiten  Entfernungen  von  ihrem  Ausgangspunkte  bis  in  unsere 
Breiten  hin  als  eine  besondere  Art  Dunst  deutlich  erkennbar,  bn 
Indischen  Ozean  und  der  Aequatorialzone  überhaupt  war  dieser  Dunst 
noch  nach  Wochen  so  dicht,  dafs  die  Sonne  schon  einige  Grad  über 
dom  Horizont  darin  völlig  verschwand,  während  er  in  höheren  Breiten 
meist  nur  bei  Sonnen-Aufgang  und  -Untergang  merklich  hervortrat. 
Obwohl  derselbe  vielfach  Andeutungen  von  Streifungen  zeigte,  welche 
etwas  an  die  Streifungen  in  den  höchsten  Cirrus-  und  Cirrostratus- 
wolkon  erinnerten,  unterschied  er  sich  doch  deutlich  von  solchen  nur 
aus  Kondensation  des  Wasserdampfcs  hervorgehendon  Wolkengcbilden. 
Vielmehr  erschien  er  auch  hei  unmittelbarer  Betrachtung  weit  über 
der  Höhe  der  höchsten  Wolken  zu  schweben,  und  machte  in  der  Nähe 
des  Horizontes  den  Eindruck  sehr  feinen  bläulichen,  moist  aber  bräun- 
lichen Hauches. 

Die  Anwesenheit  dieses  in  den  Höhen  der  Atmosphäre  sonst 
nicht  in  greiserer  Menge  vorkommenden  Kufserst  homogenen  Stoffes 


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409 


bewirkte  neben  dem  hohen  Wassergehalte  der  oberen  Schichten  haupt- 
sächlich jene  aufscrordentliche  Verstärkung  der  gewöhnlichen  Dämme- 
rungserscheinungen, welche  fast  an  allen  Orten,  wohin  die  feinsten 
Auswurfsprodukte  des  Krakatau  von  den  oberen  Luftströmungen  über- 
haupt getragen  wurden,  in  gleicher  Weise  beobachtet  worden  sind. 
Wenngleich,  wie  erinnerlich,  das  farbenprächtige,  weit  über  die  ge- 
wöhnliche Länge  der  normalen  Dämmerungen  dauernde  Glühen  des 
Himmels  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  auf  sich  zog,  und  so  die 
Sammlung  einer  ungeheuren  Zahl  von  Beobachtungen  ermöglichte, 
wäre  es  dennoch  nicht  leicht  gewesen,  die  besonderen  Abweichungen 
von  dem  normalen  Verlaufe  festzustellen,  da  letzterer  durchaus  nicht 
so  genau  bekannt  war,  als  mau  bei  einer  so  häufigen,  überall  zu  be- 
obachtenden Erscheinung  erwarten  sollte,  hätte  man  nicht  in  den 
bereits  im  Jahre  1863  von  Professor  von  Bezold*)  beschriebenen 
normalen  Dämraerungsphänomenen  bei  wolkenfreiem  Himmel  eine  zu- 
verlässige Norm, zum  Vergleiche  besessen. 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort  auf  diese  klassische  Darstellung  näher 
eingehen  zu  können,  doch  sei  ausdrücklich  hervorgehoben,  dafs 
von  Bezold  für  die  verschiedenen  Akte  der  Gesamtentwickelung  des 
Phänomens  die  kurzen  und  treffenden  Bezeichnungen  gegeben  hat,  durch 
welche  präzise  Beschreibung  und  zweifellose  Deutung  der  Erscheinungen 
so  sehr  erleichtert  werden.  Hiernach  hat  man  bei  Sonnenuntergang  zu 
unterscheiden:  erstens  das  helle  Segment,  welches  über  der  unter- 
gegangenen Sonne  aufsteigt  und  die  dem  rothon  Ende  des  Spektrums 
benachbarten  Farben  zeigt.  Es  wird  von  den  höheren  Theilen  des 
Himmels  durch  eine  helle  Zone  (Dämmerungsschein)  geschieden.  Ihm 
gegenüber  zeigt  sich  auf  der  Ostseite,  deutlich  in  die  trüben,  purpurnen 
Farben  der  Gegendämmerung  hineinschneidend,  das  dunkle  Segment, 
nämlich  der  aschfarbene  Erdschatten.  Längere  Zeit  nach  dem  Unter- 
gang der  Sonne  entwickeln  sich  hoch  über  dem  Horizont,  etwa  in  25° 
Höhe  hell  rosenrothe  Farben,  welche  sich  zu  einer  kreisförmigen 
Scheibe  von  grofsem  Umfange  ausdehnen.  Während  dor  Radius  dieser 
Scheibe  allmählich  zunimmt,  sinkt  ihr  Mittelpunkt  scheinbar  hinter 
das  helle  Segment  abwärts,  so  dafs  sich  schliefslich  die  Grenze  der 
Scheibe  mit  dem  hellen  Segment  vereinigt.  Dies  ist  das  erste 
Purpurlicht,  welches  z.  B.  auch  die  Ursache  des  Nachglühens  der 
Alpen  ist  Sein  Helligkeitsmaximum  tritt  ein,  wenn  die  Sonne  etwa 
3,4  bis  4,5°  unter  den  Horizont  gesunken  ist  Wenn  das  erste 

*)  Poggendorf  Ann.  123.  S.  240 — 276. 


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410 


Purpurlicht  hinter  dem  hellen  Segmente  verschwunden  ist,  erscheint 
am  Osthimmel  ein  zweites  dunkles  Segment,  während  sich  zu- 
gleich dor  ganze  Vorgang,  wenn  auch  in  weniger  glänzenden  Farben 
wiederholt  Es  erscheint  ein  zweites  helles  Segment  über  dem 
immer  tiefer  sinkenden  ersten,  und  bei  sehr  klarem  Himmel  hierauf 
bisweilen  das  zweite  Purpurlicht,  meist  in  etwas  geringerer  Höhe 
als  das  erste.  Mit  ihm  ist  ein  nochmaliges  Anwachsen  der  Helligkeit 
verbunden,  und  erst  nach  dem  völligen  Verschwunden  derselben  hinter 
dem  zweiten  hellen  Segment  tritt  mit  dem  Erlöschen  des  letzteren  das 
Ende  der  astronomischen  Dämmerung  ein. 

Diese  Erscheinungen  der  Abenddämmerung  und  in  umgekehrter 
Folge  der  Morgendämmerung  wurden  nun  durch  die  den  Himmel 
überziehende  Dunstschicht  zu  einer  in  den  letzten  Jahrzehnten  in 
unseren  Breiten  nicht  wahrgenommenen  Intensität  und  Leuchtkraft  der 
Farben  gesteigert  — insbesondere  war  es  die  aufserordentliche  Hellig- 
keit und  Dauer  des  zweiten  Purpurlichtes,  welche  die  Verwunderung 
auch  des  Unaufmerksamsten  erregen  mufste,  und  wegen  seiner  purpur- 
oder  blutrothen  Färbung  irrthiimlich  zuerst  als  Nordlicht  oder  Wider- 
schein einer  grofsen  Feuersbrunst  gedeutet  wurde,  zumal  dasselbe  oft 
noch  bis  zwei  Stunden  nach  Sonnenuntergang  sichtbar  blieb. 

Einige  Beobachtungen  jener  Zeit  aus  fernen  Ländern  mögen  hier 
zum  Beweise  folgen,  dafs  erstens  von  Bezolds  Norm  der  Dämme- 
rungen unter  allen  Breiten  zutreffend  bleibt,  und  zweitens  die  selteneren 
Erscheinungen  des  normalen  Falles  aufsergewöhnlich  verstärkt  auftraten. 
Mittheilungen  an  den  „Sidney  Herald"  von  L.  Barg  rav  e am  25.  Sept.  1883 
und  später  lauten  wie  folgt:  „In  betreff  des  Rothglühens  des  Himmels, 
welohes  seit  einiger  Zeit  so  andauernd  nach  Sonnenuntergang  eintritt, 
mufs  ein  flüchtiger  Blick  einen  Jeden  überzeugen,  dafs  es  sich  nicht 
um  den  gewöhnlichen  rothen  Sonnenuntergang  handelt.  Die  Erstreckung 
von  Südwesl  bis  West  und  sogar  noch  weiter  nach  Nord  macht  seine 
Natur  als  Südlicht  sehr  unwahrscheinlich,  und  ich  meine  daher,  dafs 
dasselbe  nur  durch  vulkanischen  Staub  verursacht  sein  kann.  Wieder- 
holt habe  ich  die  Sonne  an  wolkenlosem  Himmel  als  orangengelbe 
Scheibe  untergehen  sehen,  15—20  Minuten  nach  ihrem  Untergange 
scheint  die  Tageshelligkeit  abzunehmen,  da  plötzlich  zeigt  sich  ein 
ovaler  Fleck  weifslichen  Lichts  in  der  Höhe  von  25-  30°,  der  schnell 
seine  Farben  wechselt,  indem  er  in  gelbliches  Purpur,  Rosenroth, 
Ziegelroth  und  Kanninroth  übergeht,  wobei  er  sich  zugleich  erweitert 
und  dem  Horizont  zueilt  Etwa  45  Minuten  nach  Sonnenuntergang 
ist  diese  Phase  hpendet,  und  nun  erscheint  wiederum  in  30°  Höhe  die 


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leuchtende  Purpurfarbe,  während  der  Horizont  bräunliche  Töne  annimmt. 
Die  zweite  helle  Scheibe  ist  weiter  ausgedehnt  und  weit  weniger  scharf 
begrenzt  als  die  erste,  ihre  Farbe  wandelt  sich  in  gelbliches  Purpur, 
Gelbrotli,  Ziegelroth  und  Karmin,  dehnt  sich  immer  mehr  im  Azimuth 
aus  und  verschwindet  etwa  l3/,  Stunden  nach  Sonnenuntergang 
am  Horizont,  womit  die  letzte  Spur  von  Färbung  des  Himmels  er- 
loschen ist“  Aus  Wooster,  Ohio  U.  S.,  schreibt  Prof.  Stoddard:  .Am 
meisten  trat  das  Purpurlicht  hervor,  dessen  Erscheinungsweise  mit  der 
in  England  und  dem  europäischen  Kontinent  beobachteten  iiberein- 
stimmL  Vom  27.  November  1883  bis  17.  Januar  1884  habe  ich  sieben 
Beobachtungen  machen  können,  wobei  in  drei  Fällen  das  Purpurlicht, 
wenn  auch  schwach,  bis  zum  Zenith  aufstieg.  Am  28.  Dezomber,  wo 
es  am  glänzendsten  auftrat,  bildete  sich  am  Osthimmel  ein  Bogen  mit 
sehr  zarten,  unmerklich  ineinander  übergehenden,  rothen  und  gclb- 
griinen  Farben.  Das  Purpurlicht  in  der  Höhe  tauohto  alle  nach 
Westen  schauenden  Gebäude  in  ein  zauberhaftes,  überirdisches  Licht, 
und  erzeugte  schwache  Schatten  auf  dem  Schnee.  Dreimal  erschienen 
zarte  Cirrusstreifen  im  ersten  Purpurlicht,  das  zweite  jedoch  stieg  stets 
in  glänzender  Farbenpracht  an  völlig  heiterem  blauem  Himmel  auf" 
Ausführlicher  schildert  Prof.  Divers  in  Japan  die  Erscheinungen 
des  Dezember  1883,  wobei  zugleich  des  noch  zu  besprechenden  Sonnen- 
ringes Erwähnung  geschieht.  „An  manchen  Tagen  umgiebt  die  Sonne, 
auch  hei  hohem  Stande,  eine  ausgedehnte  silberweifs  leuchtende  Fläche 
von  40—60°  Durchmesser,  die  von  einem  schmutzig  rothen  oder  roth- 
braunen  Ringe  begrenzt  ist.  Eine  ähnlich  gefärbte  dunstartige  Trübung 
liegt  am  Horizont,  bei  dem  Niedergang  der  Sonne  vermischt  sich  der 
King  mit  derselben;  während  er  über  der  Sonne  sich  verdünnt  und 
verschwindet,  bleibt  der  silberweifse  Glanz  ungeschwächt  Bei  Sonnen- 
untergang hat  die  kreisförmige  Fläche  dieses  intensiven  Lichtes  etwa 
12°  Durchmesser,  und  diese  erscheint  manohtnal  auch  allein  an  den- 
jenigen Tagen,  wm  die  röthliche  Färbung  des  Ringes  und  des  Horizontes 
nicht  merklich  ist  Aufserdem  bleibt  die  Sonne  weifslicher  als  sonst, 
so  dafs  sie  nur  goldorange  gefärbt  verschwindet  Die  weifse  Scheibe 
dehnt  sich  am  Horizont  aus,  und  durchläuft  dabei  die  röthlichen  Töne 
des  gewöhnlichen  Sonnenunterganges,  worauf  nur  etwa  ein  röthlicher 
Streifen  von  2°  Höhe  übrig  bleibt,  was  etwa  20  Minuten  nach  Sonnen- 
untergang ointritt  Nun  erscheint  auf  dem  grauen  Hintergründe  im 
Westen  ein  heller  Fleck,  der  schnell  an  Leuchtkraft  zunimmt,  und 
sich  über  den  ganzen  Westhimmel  ausdehnt,  welcher  über  der  unter- 
gegangenen Sonne  am  glänzendsten  ist  und  prächtige  Farben  annimmt 


Ucber  einer  etwas  abgehackten  kreisförmigen  Fläche  von  ca.  12" 
Höhe  und  15°  Breite  liegt  ein  zarter  grämlicher  Ton,  darüber  zartes 
sehr  leuchtendes  Gelborange,  in  der  Höhe  zieht  sich  das  schönste 
Rosenroth  allmählich  verschwindend  bis  zum  Zenith.  Dieses  Wieder- 
aufleuchten ist  besonders  eindrucksvoll,  die  Häuser  sind  von  Licht 
überfluthel,  das  kräftige  Schatten  wirft  Das  Aufglühen  dauert  etwa 
5 Minuten  und  hält  etwa  eine  Viertelstunde  mit  abnehmender  Intensität 
an,  wobei  das  Urün  in  Gelb  übergeht,  die  helle  Scheibe  langsam  ver- 
sinkt, und  die  rothen  Färbungen  etwa  */,  des  ganzen  Horizontes  um- 
spannen. Inzwischen  ist  der  Osthimmel  schon  in  Dunkelheit  gehüllt, 
doch  nun  beginnt  sich  noch  einmal  zart  silberweifses  Leuchten  im 
Westen  zu  zeigen,  das  sich  mit  grofser  Schnelligkeit  zum  Zenith  und 
nach  Nord  und  Süd  ausdehnt,  sich  dann  wieder  zusammenziebt,  nach- 
dem es  wiederum  ziemlich  intensiv  die  Farben  des  Sonnenunterganges 
durchlaufen  hat.  Trotzdem  nun  völlige  Nacht  sein  sollte,  glüht  von 
West  her  ein  zarter  aber  hellleuchtender  Schein,  der  dem  Brande 
einer  fernen  Stadt  zum  Verwechseln  ähnlich  sieht,  bis  auch  dieser 
etwa  1 */,  Stunden  nach  Sonnenuntergang  endlich  verschwunden  ist." 

Dafs  in  diesem  röthlichen  Scheine  der  Mond,  die  Venus  und 
Sterne  erster  Gröfse  in  schönstem  Grün  sich  zeigten,  wie  von  vielen 
Stellen  berichtet  wurde,  ist  als  Wirkung  der  Kontrastfarben  leicht 
erklärlich. 


(Schlaf«  folgt.  I 


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Der  Yellowstone  Park. 

Von  Prof.  K.  V.  Zittel. 

r Direktor  der  pelkontoloKlitohen  Suats-Snmmimiic  in  München. 

c - 

jn  der  nordwestlichen  Ecke  des  Territoriums  von  Wyoming,  da 

( 1 wo  dasselbe  mit  Montana  und  Idaho  zusammenstößt,  liegt  das 
berühmte  Wunderland  Nordamerikas,  der  Yellowstone  Park. 
Durch  gesetzlichen  Schutz  vor  Ansiedelungen  und  spekulativen  Unter- 
nehmungen gehütet,  bildet  das  Gebiet  einen  der  ganzen  Bevölkerung 
der  Vereinigten  Staaten  gehörigen,  der  Erholung  und  dem  \ ergniigen 
gewidmeten  Zufluchtsort.  Es  ist  allerdings  lern  von  den  volkreichen 
Hauptstädten  des  Ostens  gelegen  und  von  New- York  erst  durch  eine 
drei-  bis  viertägige  Eisenbahnfahrt  zu  erreichen;  allein  dio  Verkehrs- 
mittel in  Nordamerika  sind  so  vortrefflich,  die  Verpflegung  und 
Kommunikation  im  Nationalpark  selbst  so  vorzüglich  geordnet,  dals 
ein  Besuch  des  letzteren  gegenwärtig  ohne  erhebliche  Anstrengung, 
ja  sogar  ohne  allzu  grofse  Kosten  vielen  Tausenden  möglich  ge- 
macht ist  Das  Tafelland  der  westlichen  Vereinigten  Staaten  steigt 
stetig  an,  so  daß  bereits  Wisconsin  und  Dakotah  eine  bedeutende  llöhen- 
* läge  besitzen  und  in  Montana  der  Fufs  des  Kelsengebirges  ohne  auf- 
fallende Steigung  erreicht  wird.  Im  Yellowstone  Park  befindet  man 
sich  im  Herzen  dieses  mächtigen,  wenn  auch  nicht  überall  großartigen 
Gebirgszuges.  Die  Wasserscheide  dos  Kontinentes  zieht  durch  die 
südliche  Hallte  des  Parkes,  dessen  mittlere  Höhenlage  von  ca.  8000  Fuß 
etwa  dem  Ober-Engadin  entspricht.  Auch  das  Klima  zeigt  damit  viele 
Uebereinstimmung;  der  Sommer  beginnt  erst  in  der  zweiten  Hälfte 
des  Juni  und  im  September  kündigen  Naohtfröste  und  gelegentliche 
.Schneeschauer  bereits  den  kommenden  Winter  an.  Sind  die  ursprüng- 
lichen Wälder  aus  Nadelholz  und  Birken  auch  zum  Theil  durch  Bös- 
willigkeit oder  Unvorsichtigkeit  dem  Feuer  zum  Opfer  gefallen,  so  ist 
doch  die  Waldvegctation  abseits  von  der  Hauptverkehrsstraße  noch 
in  ihrer  urwüchsigen  Großartigkeit  erhallen  geblieben.  Und  nicht  nur 
durch  Waldroiohthum,  sondern  auch  durch  eine  Fülle  von  fließenden 


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414 


Gewässern  und  Seen  zeichnet  sich  der  Yellowstone  Park  vortheil haft 
von  anderen  Theilen  der  Rocky  Mountains  aus. 

In  einer  Höhe  von  7740  Fufs  liegt  der  240  qkm.  grofse  Yellow- 
stone See,  der  umfangreichste  und  höchst  gelegene  unter  allen  Ge- 
birgsseen Nordamerikas.  Aus  ihm  entspringt  der  Yellowstone  Flufs, 
der  nach  kurzem  Lauf  duroh  einen  hügeligen,  mit  Wald  und  Wiesen 
bedeckten  Thalkcssel  das  Washbum-Gebirge  durchsehneidet  und  nach 
mehreren  herrlichen  Wasserfallen  in  einer  von  1800  Fufs  hohen 
Wänden  begrenzten  Schlucht,  die  an  landschaftlicher  Schönheit  mit  den 
berühmtesten  Alpenthiilern  Europas  wetteifert,  dahinstiirmt 

Den  Weltruhm  verdankt  jedoch  der  Yellowstone  Park  weniger 
seiner  Oberflächengestaltung,  als  den  daselbst  in  wunderbarer  Mannig- 
faltigkeit zu  Tage  tretenden  Symptomen  einer  im  Erlöschen  begrilleuen 
vulkanischen  Thätigkeit.  Mit  Ausnahme  schmaler  Striche  im  Osten 
und  Korden  besteht  der  ganze  Boden  des  Nationalparks  aus  Eruptiv- 
gesteinen von  jugendlichem  Alter.  Drei  Perioden  vulkanischer  Thätig- 
keit lassen  Bich  unterscheiden.  Die  erste  und  heftigste  lallt  in  die 
Tertiärzeit;  Andesit-Trachyte  flössen  damals  aus  zahlreichen  mäch- 
tigen Kegelbergen  hervor  und  bedeckten  fast  das  ganze  Gebiet.  Später 
lieferten  die  vulkanischen  Mündungen  quarzrührende  Trachyte  (Rhyolite), 
Tuffe,  Obsidiane  und  Gläser  der  verschiedensten  Zusammensetzung, 
und  zuletzt  brachen  an  einzelnen  Stellen  dunkelgefärbte  Basalte  aus, 
die  sich  beim  Erstarren  säulenförmig  absonderten  und  über  die  älteren 
vulkanischen  Gesteinen  ausbreitoten.  Die  Eiszeit  kam  und  legte  eine 
Decke  von  Schnee  und  Eis  über  die  erloschenen  Krater,  deren 
iiufsere  Formen  durch  die  beim  Abschmelzen  der  Gletscher  entstan- 
denen Fluthen  bis  zur  Unkenntlichkeit  zerstört  sind.  Heute  besitzt 
der  Yellowstone  Park  keinen  aktiven  oder  auch  nur  rauchenden  Vulkan 
mehr;  die  Thätigkeit  derselben  fand  vor  und  während  der  Eiszeit  ihren 
Abschlufs,  allein  im  Krdinnem  dauert  die  vulkanische  Gluth  fort  und 
tausende  von  heifsen  Quollen  dringen  als  Sendboten  aus  der  unter- 
irdischen Werkstätte  an  die  Oberfläche. 

Beim  Eintritt  in  den  Yellowstone  Park  von  Norden  her  erregt 
der  Wunderbau  der  heifsen  Mammuth-Quellen  (Mammouth  hotsprings) 
das  Staunen  des  Besuchers.  Unser  Titelbild  giebt  eine  Ansicht  derselben 
nach  einer  Photographie  hergestellt  ln  vier  terrassenförmigen  Haupt- 
stufen  steigt  der  schneeweifse  Tuffhügel  etwa  3 — 400  Fufs  an  der  Berg- 
lehne empor.  Jede  Stufe  enthält  eine  Anzahl  rundlicher  Becken  von  ver- 
schiedenem Umfang  und  diese  sind  mit  kry  stall  klarem,  heifsem  Wasser 
gefüllt.  Auf  Spalten  steigt  das  in  die  Tiefe  gedrungene  meteorische 


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415 


Wasser,  nachdem  es  sich  in  der  Nähe  des  glühenden  vulkanischen 
Erdinnere  erhitzt,  in  die  Höhe  und  indem  es  die  am  Nordrand  des  Yellow- 
stone Parkes  vorhandenen  kalkigen  Schichten  durchdringt,  nimmt  es 
grofse  Mengen  doppelt  kohlensauren  Kalkes  auf.  ln  viele  Rinnsale 
vertheilt,  sucht  die  heilse  Fluth  die  Thalsohie  zu  erreichen;  auf  ihrem 
Wege  über  die  Stufen  des  Tuffberges  entstehen  Absätze  von  Kalk- 
siuter  in  Form  von  Stalaktiten  und  traubig  schaligen  Massen,  welche 


ganze  Reihen  von  phantastisch  gestalteten  Wannen  bilden,  die  bis 
zum  Rand  mit  Wassor  gefüllt  sind.  Aber  nicht  nur  schnceweifscr 
Kalksinter,  sondern  auch  in  geringerer  Menge  andere  Substanzen, 
namentlich  Verbindungen  von  Kisen,  Mangan,  Magnesium  und  Na- 
trium werden  bei  der  Verdunstung  des  Wassers  ausgeschieden  und 
rufen  im  Verein  mit  zierlichen  Algen  die  prächtigsten  schwefelgelben, 
scharlachrolhen  und  braunen  Farbenmischungen  hervor.  Die  Tempe- 
ratur der  Mammutk-Quellen  schwankt  an  ihrem  Ursprung  zwischen 


4 1<> 


70  und  74°  C.;  sie  enthalten  in  1000  g Flüssigkeit  etwa  1 g minera- 
lischer Bestandtheile  und  zwar  kohlensauren  Kalk  (24,8  pCt),  schwefel- 
saures Natron  (35,5  pCt.),  Kochsalz  (13,5  pCt.),  schwefelsauren  Kalk 
(13,5  pCt.)  und  kleine  Quantitäten  von  Kieselerde,  Magnesia  und 
anderen  Substanzen. 

Wenige  Meilen  südlich  von  Mammouth  1 lotspring  beginnt  das 
fieysir-Gebiet.  Hier  macht  sich  der  vulkanische  Einilufs  noch  direkter 
und  bestimmter  geltend,  als  bei  den  Kalkthermen  am  Nordrand  des 
Parkes.  Die  kochenden,  theilweise  überhitzten  Gewässer  dringen 
bei  ihrem  Aufsteigen  durch  vulkanische  Gesteine  und  nehmen  hierbei 
vorzugsweise  leichtlösliche  kieselsaure  Alkalien  und  freie  Kieselsäure 
auf.  Wo  sie  zu  Tage  treten,  hinterlassen  sie  beim  Verdunsten  ein 
schneeweifses  Kieselmehl,  das  wie  eine  Schneedecke  den  Boden  der 
drei  kesselartigen  Einsenkungen  bedeckt,  in  denen  sich  die  Thätigkeit 
der  heifsen  Springquellen  hauptsächlich  abspielt.  Im  Norris-Becken 
brechen  allenthalben  heifse  Dampfwolken  und  zischende  Gase  aus 
Spalten  der  Böschungen  und  der  Sohle  der  weiten  kraterähnlichen 
Vertiefung  hervor.  Zahlreiche  kleino  Weiher  sind  mit  azurblauem 
oder  lichtgrünem  Wasser,  andere  mit  braunem,  brodelndem  Schlamm 
erfüllt,  der  von  Zeit  zu  Zeit  durch  explodirende  Dämpfe  in  die  Höhe 
geschleudert  wird.  Die  Mehrzahl  der  Wasserbecken  sind  ächte  Geysir 
und  in  der  Kegel  durch  eine  greise  Unruhe  ihres  Wasserspiegels 
kenntlich.  Die  Springquellen  des  Norrisbeckens  gehören  zu  den 
kleinsten  aber  zugleich  zu  den  thätigsten  des  Yellowstone  Parkes. 
So  geräth  das  Wasser  des  .kleinen  Minutenmannes*  alle  40 — 00  Se- 
kunden in  stürmische  Bewegung,  wallt  zwei-  bis  dreimal  auf  und 
nieder,  um  schliefslich  als  schimmernde  Garbe  etwa  25  — 30  Fufs  in 
die  Höhe  zu  steigen.  Nur  wenige  Sekunden  dauert  die  Eruption,  dann 
sinkt  Alles  zusammen  und  die  vorher  aufgeregte  Wassermasse  liegt 
ruhig  und  unbeweglich  da. 

Weit  reicher  noch  entfaltet  sich  das  Geysirphänomen  in  den  beiden, 
wenige  Meilen  südlicher  gelegenen  Becken  am  Fireholo  River.  Wo 
sich  die  beiden  Arme  dieses  Flusses  vereinen,  dehnt  sich  eine  ca. 
100  qkm.  grofse,  mit  schneeweifsem  Sinter  bedeckte  Niederung  aus. 
Nahezu  700  heifse  Quellen  und  17  Geysir  dringen  hier  aus  der  Tiefe 
empor.  Wohin  der  Blick  sich  wendet,  überall  treten  ihm  Symptome 
der  unterirdischen  Kräfte  entgegen,  und  während  einos  Kittes  durch 
die  Niederung  hat  man  Gelegenheit,  verschiedene  Geysir-Eruptionen 
zu  beobachten.  Die  grofsartigsten  Springquellen  (der  Excelsior, 
Grotto-,  Giant-,  Castle-,  Giantess-Geysir  u.  s.  w.)  liegen  am  südlichen 


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417 


Arm  des  Firehole  River  im  oberen  Becken.  Nicht  weniger  als  44 
thätige  Geysir  und  zahllose  heifse  Quellen  gehören  diesem  groß- 
artigsten Geysirgebiet  der  Welt  an.  Wahrend  jedoch  der  Giant  nur 
allo  4 Tage,  der  gewaltige  Excelsior  etwa  alle  24  Stunden  Eruptionen 
machen,  die  von  heftigem  Geräusch  begleitet  und  meilenweit  sichtbar 
sind,  wirft  der  Old  Faithful  fast  genau  nach  60  Minuten  eine  Wasser- 
säule von  120  bis  140  Fufs  in  die  Höhe,  und  der  Grotto  Geysir 
spritzt  in  unregelmiifsigen,  mehrstündigen  Zwischenräumen  fein  zer- 
theilte,  glitzernde  Wasserbüschel  aus,  welche  den  ganzen  mit  manns- 
hohen Nischen  versehenen  Sintorkegel  in  eine  dichte  Dampfwolke 
einhüllen.  Wunderbar  mannigfaltig  sind  auch  die  Eruptionsstellen  der 
Geysir  beschaffen.  Beschränken  sich  einige  auf  wollsackartige  Sinter- 
massen, die  sie  neben  der  Ausbruchsspalte  anhäufen,  so  bauen  sich 
andere  kegelförmige  Hügel,  ruinenhafte  Felsgruppen,  bicnenkorbartigo 
Cylinder,  mit  Stalaktiten  und  moosähnlichen  Gebilden  ausgekleidete 
Becken,  und  all'  dies  erhebt  sich  auf  einer  weifsen  Sinterfläche,  die 
wio  eine  Schneelandschaft  grell  von  dem  dichten  Tannenwald  der 
Umgebung  absticht. 

Im  ganzen  sind  bis  jetzt  im  Yellowstone  Park  3500  heifse  Quellen 
und  Schlammvulkane  nachgewiesen  und  wenn  hierzu  noch  die  Dampf- 
fumarolen  und  Solfataren  gerechnet  werden,  so  dürfte  sich  diese  Zuhl 
leicht  verdoppeln.  Das  Wasser  der  Geysir  ist  in  der  Regel  kochend 
heifs  oder  steht  doch  dem  Siedepunkt  in  der  Temperatur  nahe.  In 
einer  Tiefe  von  18  m fand  man  in  der  Spalte  des  Giantess  Geysir 
sogar  überhitztes  Wasser  von  121°  C.  Der  Gehalt  an  gelöster  Sub- 
stanz schwankt  zwischen  1,2  und  1,6  in  1000  g Wasser;  darunter  sind 
20 — 28  pCt.  Kieselerde,  21 — 35  pCt.  Chlor,  19 — 26  pCt.  Natrium,  1 bis 
24  pCt.  Kohlensäure  und  kleine  Mengen  von  Schwefelsäure,  Borsäure, 
Arseniger  Säure,  Aluminium,  Calcium,  Magnesium  und  Kalium.  Je 
nach  dem  Gehalt  an  Kochsalz  oder  kohlensaurem  Natron  reagirt  das 
Wasser  alkalisch  oder  sauer.  Beim  theilweisen  Verdunsten  schlägt 
sich  fast  reine  Kieselerde  in  Form  von  weißem  Kieselsinter  nieder, 
die  übrigen  leichter  löslichen  Substanzen  fließen  ab. 

Zur  Erklärung  der  Geysir-Erscheinungen  wurden  verschiedene 
Hypothesen  aufgestellt,  unter  denen  die  von  B unsen  am  besten  be- 
gründet erscheint.  Es  läßt  sich  darnach  das  in  der  Tiefe  durch 
vulkanische  Gluth  erhitzte  Wasser  mit  einer  Wassersiiulo  in  einer 
Röhre  vergleichen,  welche  von  unten  her  erhitzt  wird.  Durch  den 
darüber  lastenden  Druck  erhält  das  Wasser  eine  beträchtlich  über 
dem  Siedepunkt  liegende  Temperatur.  Steigt  es  in  die  Höhe  und 

Himmel  und  Erde.  L 7.  30 


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418 


gelangt  in  Regionen  geringeren  Druckes,  so  mute  sicli  eine  propor- 
tionale Menge  Wasser  in  Dampf  verwandeln.  Da  aber  gleichzeitig 
an  der  oberflächlichen  Ausmündungsstelle  eine  Abkühlung  eintritt 
und  das  kältere  und  darum  schwerere  Wassor  nach  der  Tiefe  strebt, 
so  giebt  es  bei  jedem  Geysir  eine  bestimmte  Zone,  wo  der  überhitzte 
aufsteigende  Strom  dein  kühleren  absteigenden  begegnet.  Dort  ent- 
wickelt sich  eine  grofse  Menge  Dampf  und  indem  dieser  die  darüber 
befindliche  Wassei'siiule  zu  heben  sucht,  schafft  er  bei  jedem  Stofs 
einen  leeren  Raum  und  dadurch  eine  lokale  Aufhebung  des  hohen 
Druckes.  Sofort  verdampft  an  dieser  Stelle  wieder  ein  Theil  des 
überhitzten  Wassers.  Die  Ansammlung  des  Dampfes  wird  sohliefslich 
so  grofs,  dafs  nach  einer  Reihe  mifslungener  Versuche  die  ganze 
darüber  befindliche  Wassersäule  in  die  Höhe  geschloudert,  die  Röhre 
geräumt  und  der  Dampf  ausgetrieben  wird.  Jeder  Eruption  folgt 
eine  Erschlaffung  und  da  die  Wiederholung  des  Ausbruchs  von  der 
Beschaffenheit  der  Quellspalto  abhängt,  so  führt  gewissermaßen  jeder 
Geysir  seine  Souderexistenz,  die  sich  in  der  äufsorst  mannigfaltigen, 
mehr  oder  minder  lebhaften  Thätigkeit  kundgiebt 


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Versuch  einer  beweisführenden  Darstellung  des  Welt- 
gebäudes in  elementarer  Form. 

Von 

Dr.  M.  Wilhelm  Meyer-Berlin. 

' VI.  Das  System  des  Oopernikus. 

"■  dem  ptolemäischen  System  sind  wir  vor  der  Sohwelle  der 

Wahrheit  angekommen.  Wir  haben  bei  dessen  Vergleichung 
mit  den  thatsäoblich  beobachteten  Bewegungen  Gelegenheit  gehabt,  die 
ungemeine  Annäherung  der  ptolemäischen  Weltmaschine  au  die  unseren 
Sinnen  direkt  wahrnehmbaren  Vorgänge  zu  bewundern.  Wir  dürfen 
es  deshalb  wahrlich  den  vielen  vorzüglichen  Denkern,  welche  sich 
von  Ptolemiius  bis  Oopernikus  zu  der  Weltanschauung  des 
ersteren  mit  voller  Ucberzeugungsfestigkeit  bekannten,  nicht  als  einen 
Mangel  an  kritischem  Scharfblick  anrechnen,  dafs  sie  so  nahe  an  der 
Wahrheit  doch  den  kurzen  Weg  zu  derselben  nicht  zu  linden  wufsten. 
Alle  Erklärungen,  welche  man  bis  dahin  von  den  Vorgängen  in  der 
Natur,  auf  Erden  oder  am  Himmel  zu  geben  versuchte,  hatten  damals 
noch  den  Charakter  blofser  Hypothesen.  Von  den  Naturkräften,  von 
der  unveränderlichen  Wirksamkeit  stetiger  Bewegungs-Agentien  wurste 
man  noch  so  gut  wie  garnichts.  Es  konnte  sieh  also  nur  darum 
handeln,  das  thatsiichlich  Beobachtete  durch  einen  begreiflichen  Bewe- 
gungsmechanismus  darzustellen.  Dieses  war  J’t  u lern  aus  und  den 
nachfolgenden  Mitarbeitern  nn  seinem  System  so  völlig  gelungen,  dafs 
auch  der  schärfste  Denker  bis  auf  die  Zeit,  da  G alilei  die  Gesetze  der 
Schwerkraft  entdeckte,  nothwendig  behaupten  mufste,  das  ptolemiiische 
Weltsystem  sei  das  denkbar  beste  nacli  menschlichen  Begriffen,  weil 
es  eben  mit  dem  bis  dahin  thatsiichlich  Beobachteten  in  vollem  Ein- 
klänge stand. 

Auch  indem  wir  nun  weiter  gölten  und  von  den  (.ehren  des 
Oopernikus  und  später  denen  des  Kepler  reden,  können  wir  für 
diese  keine  höhere  Rangstufe  beanspruchen,  als  etwa  insofern  ihre 
betreffenden  Weltsysteme  ein  bestimmtes  grüfseres  Wahrschein lich- 

30* 


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420 


keitsgewicht  Tür  sich  hatten.  Auch  den  Weg,  welchen  diese  Denker 
cinschlugen,  konnten  dieselben  nur  tastend  betreten,  ohne  die  volle 
Ueberzeugung  zu  gewinnen,  dars  auf  demselben  wirklich  die  Wahrheit 
erreicht  werden  mufste. 

Indem  auch  wir  diesen  Weg  vorwärts  wandeln,  bleiben  wir  dem- 
nach immer  noch  unserer  eigentlichen  Aufgabe  fern,  die  unumstüfs- 
liche  Wahrheit  unserer  gegenwärtigen  Ansicht  vom  Weltgetriebo  be- 
weisführend darzustellen.  Wir  stehen  noch  immer  bei  der  Vorrede 
zu  der  versprochenen  Arbeit,  welche  in  diesem  Falle  länger  wird  als 
die  Arbeit  selbst. 

Wir  sind  geniithigt,  das  Weltgebäude  zunächst  gewissermafsen 
hinter  einem  halb  durchsichtigen  Schleier  aufzubauen,  welcher  den 
während  des  Aufbaus  immer  zunehmenden  Olanz  und  die  unausdenk- 
liche  Gröfse  vor  unsern  Augen  noch  mildernd  einhüllt,  damit  wir  uns 
erst  allmählich  an  den  überwältigenden  Weltgedanken  zu  gewöhnen 
vermögen,  der,  wollte  man  ihn  plötzlich  mit  noch  so  logischer  Ueber- 
zeugtingskraft  unsorm  (leiste  vorrühren,  in  der  mangelnden  Aufnahme- 
fähigkeit desselben  sicher  einen  unüberwindlichen  Widerstand  finden 
würde.  Es  ist  nur  allzu  wahr,  dafs  auch  zur  Erkenntnifs  der  Wahrheit 
wir  erst  allmählich  erzogen  werden  müssen  durch  irrige  Hypothesen  und 
dafs  der  allweise  Erzieher  der  Völker  denselben  Kunstgriff  anwendet 
wie  die  Mutter  ihrem  Kinde  gegenüber,  welchem  sie  auf  allerhand 
vorzeitige  Fragen,  deren  richtige  Beantwortung  das  Kind  noch  nicht 
verstehen  würde,  sinnvolle  Märchen  vorsagt.  Wonn  dann  das  Kind 
nach  und  nacli  die  Ueberzeugung  von  der  Unzulänglichkeit  solcher 
Märchen  gewinnt,  und  man  ihm  die  Wahrheit  sagt,  so  mag  die  Mutter 
wohl  in  das  Dilemma  gerathen,  dafs  von  dem  klugen  Kinde  nun  auch 
die  Wahrheit  für  ein  Märchen  gehalten  wird.  Es  kommt  dann  darauf 
an,  sie  als  solche  mit  unumstiifslicher  Gewifsheit  zu  beweisen.  So  ge- 
schah es  auch  mit  unserer  astronomischen  Erziehung.  Die  Weltsysteme 
des  Eudoxus,  Hipparch  und  Ptolemäus  waren  wohlerdachte 
Märchen.  Copernikus  und  Kepler  erzählten  uns  die  Wahrheit, 
aber  sie  gaben  uns  die  Beweise  noch  nicht  dafür,  was  erst  New  ton 
vermochte.  Auch  wir  müssen  hier  zunächst  die  Wahrheit  ohne  Be- 
weise hinnehmen. 

Wir  knüpfen  bei  Ptolemiius  wieder  an  und  schreiben  zunächst 
in  der  folgenden  kleinen  Tabelle  die  Zahlen  auf,  welche  der  alexan- 
drinische  Gelehrte  für  die  Bewegungen  der  Planeten  auf  ihren  Epi- 
cykeln  und  die  der  Epicykeln  selbst  auf  ihrem  deferirenden  Kreise 
angegeben  hatte. 


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«1 


Planet 

Bewegung  im  Epicvkel 

Tiigl.  Bewegung  des 
Mittelpunkts  d.  Epicykels 

Summe 

Sonne 

in  einem  Tage 
05  0'  0.0" 

auf  dem  deferirenden 
Kreise 
0°  59'  8.8" 

0“  59'  8.3' 

Merkur 

3 6 24.1 

0 59  8.3 

4 5 32.4 

Venus 

0 36  59.4 

0 59  8.3 

1 36  7.7 

Mars 

0 27  41.7 

0 31  26.6 

0 59  8.3 

Jupiter 

0 54  9.0 

0 4 59.3 

0 59  8.3 

Saturn 

0 57  7.7 

0 2 0.6 

0 59  8.3 

Wir  erkennen  in  dieser  Zusammenstellung  die  auffällige  Thatsache, 
dafs  zunächst  die  Bewegung  des  Mittelpunktes  des  Epicykels  von 
Merkur  und  Venus  genau  ebenso  schnell  erfolgt,  wie  die  der  Sonne 
um  die  Erde.  Dann  tritt  eine  markante  Grenze  ein,  von  welcher  ab 
diese  Zahlen  wohl  verschieden  werden,  jedoch  so,  dafs  von  nun  ab 
die  Summen  der  beiden  Bewegungen  wieder  genau  diese  selbe  Bewe- 
gung der  Sonne  ergeben.  Diese  ist  also  überall  in  den  Planetenbe- 
wegungen enthalten,  und  diese  Uebereinstimmung  mufste  in  der  Tliat 
bei  Zugrundelegung  der  ptolemäischen  Weltansicht  ungemein  seltsam 
erscheinen.  Es  ist  doch  eine  alte  logische  Kegel,  dafs  gleiche  Ur- 
sachen nur  gleiche  Wirkungen  hervorrufen  können,  und  wenn  man 
auch  diesen  letzten  Satz  nicht  unmittelbar  umdrehen  darf,  weil  unter 
Umständen  sehr  ähnliche  Wirkungen  von  einer  Combination  ganz 
verschiedener  Ursachen  erzeugt  werden  können,  so  ist  es  doch  eine 
gleichfalls  sehr  alte  Erfahrung,  dafs  in  den  bei  weitem  meisten  Fällen 
viele  uns  völlig  gleich  erscheinende  Wirkungen  zugleich  von  einer 
einzigen  Ursache  herrühren.  Hier  lag  also  die  Frage  nahe,  ob  nicht 
diesen  sechs  so  völlig  gleichen  Zahlenwerthen,  welche  die  Bewegungs- 
Erscheinungen  repriisentirten,  eine  solche  gemeinsame  Ursache  zu 
Grunde  liege. 

Ich  halte  es  nun  kaum  für  zweifelhaft,  dars  während  der  andert- 
halb Jahrtausende,  welche  zwischen  Ptolemäus  und  Copernikus 
verflossen,  sich  viele  Denker  diese  Frage  gestellt  haben,  wenn- 
gleich wir  in  den  Annalen  hierüber  keine  bestimmte  Auskunft 
finden  können.  Dafs  diese  unbekannten  Denker  solche  Meinungen 
durch  das  Schriftthum  uns  nicht  zurückgelassen  haben,  liegt  gewifs 
nur  an  dem  Schrecken,  welcher  sie  selbst  vor  der  Ungeheuer- 
lichkeit der  hier  einzig  möglichen  Erklärungsursache  überkommen 
mufste,  dafs  nämlich  die  grofso  Erde  mit  ihren  weit  ausgedehnten 
Continenten  und  Meeren,  mit  ihren  Millionen  und  aber  Millionen  ge- 
schäftig lebender  Wesen,  dafs  diese  Grundvesten  des  Lebens,  der  bis- 
her unerschütterliche  Mittelpunkt  des  ganzen  Weltgebäudes  mit  dieser 


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422 


ganzen  wohl  organisirten  Ordnung  des  Naturgetricbcs  sich  durch  den 
freien  Kaum  bewegen  solle,  wie  der  Spielball,  welchen  sich  Kinder 
tändelnd  einander  zuwerfen.  Sobald  dieser  Gedanke,  der  angesichts 
der  übereinstimmenden  Zahlen  ungemein  nahe  lag,  auch  nur  einen 
Moment  auftauchte,  mufste  er  von  Geistern,  denen  nicht  eine  ganz  un- 
gewöhnlich grofse  Ueberzeugungskraft  inne  wohnte,  als  völlig  wahn- 
sinnig wieder  fallen  gelassen  werden.  Am  Ende  konnte  man  sich 
immerhin  einen  übertragenden  Uhrwerktnechanismus  denken,  durch 
welchen  die  Sonnenbewegung  direkt  in  die  Epicykeln  der  Planeten 
eingrifT. 

In  der  Weltanschauung  der  damaligen  Zeit  mufste  die  Erde  noch 
immer  als  der  grüfste  Körper  der  bekannten  Welt  gelten.  Wohl 
waren  einige  tastende  Messungen  versucht  worden,  w'elche  mit  Wahr- 
scheinlichkeit für  die  bedeutendere  Gröfse  der  Sonne  sprachen,  aber 
nichts  war  deswegen  gewifs.  Die  Ueberzeugung  von  der  beherrschen- 
den Stellung  der  Erde  schien  folglich  wohl  begründet  und  der  Ge- 
danke, dafs  das  leuchtende  Tagesgestirn,  welches  in  lebendiger  Be- 
wegung täglich  um  die  Erde  zu  wandern  schien,  sie  mit  Licht  und 
Leben  dienend  überflutend,  das  Zentrum  sein  solle,  um  welches  die 
Himmelskörper  mitsamt  der  damals  noch  unermefslichen  Erde  sich 
drehen  sollten,  dieser  Gedanke  mufste  in  der  That  im  ersten  Augen- 
blicke als  völlig  absurd  erscheinen. 

Um  so  mehr  mufs  man  die  gewaltige  Geisteskraft  und  den  Ueber- 
zeugungsmuth  eines  Copernikus  bewundern,  der  es  wagte,  diesen 
abenteuerlichen  Gedanken  festzuhalten  und  mit  unerschütterlicher 
Energie  wissenschaftlich  streng  auszuarbeiten.  Dieses  unsterbliche 
Verdienst  — doch  nicht  dasjenige,  diesen  Gedanken  zuerst  gehabt  zu 
haben  — wird  dem  Domherrn  von  Frauenbnrg  ewige  Lorbeeren 
flechten. 

Denn  allerdings  dürfen  wir  nicht  anzuführen  vergessen,  dafs  zwei 
griechische  Denker  bereits  mehrere  Jahrhundert  vor  Ptolemäus  die 
feste  Ueberzeugung  von  der  zentralen  Stellung  der  Sonne  gewonnen 
und  ausgesprochen  hatten,  nämlich  Plato  und  Arislaroh.  Von  der 
Ueberzeugung  des  Plato  schreibt  Plutarch  ausdrücklich,  .dafs  er 
die  Erde  nicht  mehr  in  der  Mitte  des  Ganzen  gelassen,  sondern  diesen 
Platz  einem  besseren  Gestirne  eingersiumt  habe.“  *)  Und  von  Aristarch 
von  Samos  theilt  Archimedes,  der  grofse  Geometer,  wörtlich  über- 

')  Für  diese  und  überhaupt  die  meisten  geschichtlichen  Angaben  in 
gegenwärtiger  Arbeit  benutzto  ich  die  ausgezeichnet«  „Geschichte  der  Astro- 
nomie- (München  1877)  meines  hochverehrten  Lehrers  Rudolf  Wolf. 


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423 


setzt,  mit:  „Nach  seiner  Meinung  ist  die  Welt  viel  gröfser,  als  soeben 
gesagt  wurde,  denn  er  setzt  voraus,  dals  die  Sterne  und  die  Sonne 
unbeweglich  seien,  dals  die  Erde  sieh  um  die  Sonne  als  Zentrum  be- 
wege und  dafs  die  Fixsternsphäre,  deren  Zentrum  ebenfalls  in  der 
Sonne  hege,  so  grofs  sei,  dafs  der  Umfang  des  von  der  Erde  be- 
schriebenen Kreises  sich  zu  der  Distanz  der  Fixsterne  verhalte  wie 
das  Zentrum  einer  Kugel  zu  ihrer  Oberfläche. * Mit  diesem  letzteren 
Vergleich  war  offenbar  angegeben,  dafs  Aristarch  die  Entfernung 
der  Fixsterne  gegen  die  Entfernung  der  Sonne  von  uns  für  unendlich 
grofs  hielt.  Seine  Weltanschauung  entsprach  also  in  allen  wesent- 
lichen Stücken  völlig  der  unsrigen.  Aber  der  Gedanke  war  damals 
eine  Frühgeburt.  Er  fand  keine  vorgebildete  Grundlage  seiner  Existenz 
und  mufste  deshalb  nothwendig  wieder  untergehen. 

Noch  ist  in  dieser  Beziehung  besonders  charakteristisch,  dafs 
Aristarch  ganz  ebenso  wie  die  begeisterten  Kämpfer  für  die  coper- 
nikauische  Lehre,  wie  hauptsächlich  Galilei,  wegen  dieser  welt- 
stürmerischen Lehre  der  Gotteslästerung  angeklagt  wurde.  Der  näm- 
liche Plutarch,  welchen  wir  vorhin  von  der  Lehre  des  Plato  erzählen 
liefsen,  sagte  einmal  in  einem  Gespräche:  „Hänge  uns  nur  keinen 
Prozefs  wegen  Unglaubens  an  den  Hals,  Theucrster,  wie  einst  Kleanthes 
meinte,  ganz  Griechenland  müsse  den  Samier  Aristarch  als  Religions- 
verächter,  der  den  heiligen  Weltherd  verrücke,  vor  Gericht  stellen, 
weil  nämlich  der  Mann,  um  die  Himmelserscheinungen  richtig  zu 
stellen,  den  Himmel  stillstehn,  die  Erde  dagegen  in  einem  schiefen 
Kreise  sich  fortwälzen  und  zugleich  um  ihre  eigene  Axe  drehen  liefs.“ 

Doch  so  interessant  auch  diese  geschichtlichen  Rückblicke  sein 
mögen,  müssen  wir  uns  dennoch  endlich  von  ihnen  losreifsen,  ganz 
besonders  auch,  da  die  heifsen  Kämpfe  um  die  copernikanische  Lehre 
unserer  Gegenwart  so  nahe  gerückt  sind,  dafs  ein  geschichtlicher 
Ueberblick  derselben  wenigstens  in  seinen  Grundrissen,  wohl  als  all- 
gemein bekannt  vorausgesetzt  werden  kann. 

In  dem  Geiste  des  Copernikus  war,  wie  erwähnt,  zuerst  die 
Ueberzeugung  von  der  Bewegung  der  Erde  um  die  Sonne  fest  genug 
geworden,  um  sie  mit  Konsequenz  durchführen  und  vertheidigen  zu 
können.  Durch  diese  Lehre  fielen  die  Epicykel  sofort  zum  grofsen 
Theil  hinweg.  Indem  man  die  Erde  mit  den  übrigen  Planeten  um  die 
Sonne  als  Zentrum  kreisend  denkt,  lassen  sich  alle  beobachteten  Be- 
wegungen eben  so  gut  wie  in  dem  ptolemäischen  System  darstellen 
und  die  seltsame  Beziehung  der  epicyklischen  Bewegungen  der 
Planeten  zu  der  der  Sonne  war  also  auf  die  gemeinsame  Ursache, 


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424 


nämlich  auf  unsere  eigene  Bewegung  im  Raume  zurückgefiihrt  und 
gleichzeitig  das  Woltgetriebe  um  eine  Anzahl  von  Ibidem  (Epicykelni 
vereinfacht.  Dafs  in  der  That  unter  dieser  neuen  Voraussetzung  die 
beobachteten  Schleifen  fast  genau  so  wie  im  ptoiemäischen  System  ent- 
stehen, werden  die  beigegebenen  Zeichnungen  darlegen,  ln  der  ersten 
derselben  sind  für  dieselben  Zeiten,  denen  die  in  unserer  vorangehen- 
den Nummer  wiedergegebenen  Schleifen  entsprechen,  die  Orte  von  Erde 
und  Mars  in  den  copernikanischen  exzentrischen  Kreisen  angegeben  und 
mit  einander  verbunden.  Indem  man  diese  Linien  alle  von  einem 
festen  Punkte  ausgehen  liifst  und  ihre  Endpunkte  durch  eine  Kurve 
verbindet,  entstehen  wieder  nahezu  dieselben  Schleifen,  wie  im  ptoie- 
mäischen Systeme.  (Siehe  die  Zeichnung  auf  nebenstehender  Seite.) 

Vereinfachend  wirkte 
auch  ferner  in  ganz  emi- 
nentem Mafse  die  Lehre  von 
der  Axendrehung  der  Erde, 
denn  dadurch  wurde  der 
Umschwungder  Ungeheuern 
Fixsternsphäre  in  einem 
Tage,  der  zugleich  auch  alle 
Planeten  durch  einen  un- 
bekannten ' Uebertragungs- 
mechanisraus  mit  sich  rei  fsen 
mufsto,  wiederum  durch  eine 
einzige  Ursache,  durch  die 
Drehung  des  Erdkörpers 
erklärt  An  Ausdehnung 
mufste  dieser  ja  jedenfalls 
bedeutend  kleiner  sein  als 
die  Fixsternsphäre,  daran  konnte  keine  Weltansicht  zweifeln,  welche 
die  Erde  kugelförmig  annimmt  und  deshalb  war  es  auch  von  vorn- 
herein wahrscheinlicher,  dafs  sie  und  nicht  der  Fixsternhimmel  mit 
allen  seinen  Planeten  in  einem  Tage  um  sich  selber  kreiste. 

Aber  von  den  übrigen  Grundlagen  des  ptoiemäischen  Systems 
konnte  sich  Copernikus  dennoch  nicht  lossagen.  Eben  weil  er  die 
eigentliche  Ursache  aller  dieser  Bewegungen  nicht  kannte,  blieb  ihm 
nichts  Anderes  übrig,  als  einen  festen,  uhrwerkartigen  Bewegungs- 
mechanismus  vorauszusetzen,  der  es  nur  mit  vollkommenen  Kreisen 
zu  schaffen  hatte.  Das  Axiom  von  der  gleichförmigen  Bewegung  im 
Kreise  wagte  er  deshalb  trotz  der  grofsen  Kühnheit  seiner  übrigen 


Bewegung  des  Mars  und  der  Erde 
nach  Copernikus. 


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425 


Gedanken  nicht  anzugreifen.  Er  hielt  also  die  deferirenden  exzentri- 
schen Kreise  des  Hipparch  fest,  ja  setzte  sogar  auf  dieselben  wieder 
neue  Epicykeln,  welche  allerdings  eine  ganz  andere  Bedeutung  hatten 
als  die  ptolemäisehen.  Während  die  letzteren  nur  das  perspektivische 
Bild  unserer  eigenen  Bewegung  im  Raume  darstellten,  sollten  jene 
viel  kleineren  Epicykeln  des  Copernikus  eine  zweite  noch  übrig 
bleibende  Ungleichfürmigkeit  in  der  Bewegung  erklären,  welche  die 
Beobachtungen  inzwischen  aufgedeckt  hatten  und  durch  die  exzentrisch 
gestellten  Kreise  allein  nicht  theoretisch  wiederzugeben  war. 


Bewegung  des  Mars  in  Bezug  auf  die  ruhend  gedachte  Erde  nach  Copernikus. 

Wie  sehr  Copernikus  noch  in  dieser  uralten  Ansicht  von  um- 
scliwingenden  Kreisen  oder  Sphären  befangen  war,  geht  auch  aus  der 
Schwierigkeit  hervor,  welche  ihm  die  sich  im  Raume  immer  gleich- 
bleibende Lage  der  Erdaxe  verursachte.  So  lange  die  Erde  noch  im 
Zentrum  des  Weltalls  festlag,  konnte,  selbst  wenn  man  sich  dieselbe 
um  eine  Axo  gedreht  dachte,  die  feste  Lage  dieser  Axe  in  Bezug  auf 
die  Fixsterne,  von  welcher  wir  zu  Anfang  unserer  Betrachtungen 
sprachen,  durchaus  nicht  auffallen.  Anders  wurde  es  aber,  sobald 
man  die  Erde  im  Kreise  um  die  Sonne  führte.  Nehmen  wir  z.  B.  für 
die  Erdbahn  einmal  zur  näheren  Ansohauung  ein  Wagenrad  und  be- 


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festigen  darauf  einen  kleinen  Erdglobus  derart  mit  Hülfe  seiner  Axe, 
dafs  diese  letztere  gegen  die  Ebene  des  Hades  eine  gewisse  beliebige 
Neigung  hat,  etwa  so,  dafs  sich  der  Globus  etwas  nach  innen  zum 
Zentrum  des  Rades  hinneigt.  Lassen  wir  nun  das  Rad  mit  dem  be- 
festigten Globus  eine  halbe  Umdrehung  machen,  so  wird  der  Globus 
immer  noch  nach  innen  gegen  das  Zentrum  geneigt  sein.  So  hätte  es 
sich  mit  der  Erde  nach  der  Ansicht  des  Copernikus  verhalten  müssen, 
damit  die  Erscheinung  ohne  besondere  Erklärungsursache  begreiflich 
sein  sollte,  ln  Wahrheit  zeigt  aber  das  Spiel  des  Jahreszeiten- Wechsels 
auf  das  unzweifelhafteste,  dafs  es  sich  ganz  anders  verhält.  Wenn 
nämlich  in  einer  bestimmten  Lage  die  Neigung  des  oberen  Endes  der 
Erdaxe  in  unserem  Beispiel  nach  innen  stattfindet,  so  mufs  sic,  um 
den  wirklichen  Verhältnissen  zu  entsprechen,  nach  einer  halben  Um- 
drehung nach  aufsen  geneigt  sein,  d.  h.  ihre  Lage  mufs  sich  stets 
parallel  bleiben.  In  unserem  beschriebenen  Mechanismus  könnten  wir 
das  nur  erzeugen,  wenn  wir  die  Erdaxe  an  dem  Wagenrade  nur  in- 
soweit befestigen  wurden,  dafs  sie  zwar  den  Globus  festhalteD,  sich 
selbst  aber  frei  bewegen  kann.  Dann  müfsten  wir  noch  eine  geheim- 
ni  Ts  volle  Kraft  einführen,  welche  die  Axe  in  der  einmal  eingenomme 
nen  Richtung  unabhängig  vom  Rade  festhält.  Nehmen  wir  z.  B.  an, 

es  fallen  auf  das  Rad  von 
einem  seitlich  befindlichen 
Fenster  Sonnenstrahlen,  so 
soll  dit)  Axo  des  Globus 
stets  diesen  Sonnenstrahlen 
parallel  bleiben,  wie  auch 
das  Rad  bewegt  werden 
mag.  Die  beigegebene 
Zeichnung  wird  das  noch 
klarer  machen.  Nur  auf 
diese  Art  konnte  es  offen- 
bar geschehen,  dafs  die  in 
oder  nahe  dem  Mittelpunkte 
der  Erdbahn  befindliche 
Sonne  in  der  einen  Hälfte 
des  Jahres  den  Nordpol,  in 
der  anderen  Hälfte  den  Süd- 
pol bescheint,  während  bei  einer  zur  Erdbahn  festen  "Lage  der  eine 
Pol  der  Sonne  beständig  zu-,  der  andere  abgekehrt  bleiben  müfste. 

Copernikus  war  demzufolge  genöthigt,  neben  der  Bewegung 


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der  Erde  um  ihre  Axe  und  um  die  Sonne,  noch  eine  dritte  ein- 
zuführen,  nämlich  dio  jährlich  einmal  vollendete  Bewegung-  der 
Erdaxe  selbst  auf  der  -Fläche  eines  Kegels,  dessen  Oeffnungswinkel 
gleich  der  doppelten  Schiefe  der  Ekliptik  ist  Die  Ureaohe  dieser 
drei  Bewegungen  blieben  Copernikus  natürlich  unbekannt  Nach 
dieser  hatte  man  ja  bisher  überhaupt  noch  nicht  gefragt. 

Wir  sehen  aus  dieser  Darstellung,  dafs  das  System  des  Copernikus 
immerhin  noch  ein  recht  komplizirtes  und  wenig  durchsichtiges  blieb 
und  dafs  der  grofse  Astronom  trotz  der  völlig  revolutionären  Ideen, 
welche  er  einrührte,  doch  von  wesentlichen  Irrthümern  der  alten  Lehre 
befangen  blieb.  Sein  Geist  wurde  von  dem  gewaltigen  Gedanken, 
dafs  die  Erde  nicht  das  Bewegende,  Herrschende,  sondern  ein  Be- 
wegtes, einem  gröfseren  Mittelpunkte  der  Macht  Gehorchendes  sei,  so 
erfüllt,  dafs  seine  Gedanken  gebannt  hier  still  stehen  mufsten. 

In  der  That  war  es  auch  wohl  einer  Lebensaufgabe  genug  ge- 
than,  die  menschliche  Forschungskraft  um  ein  so  unbegrenzt  grofses 
Gebiet  erweitert  zu  haben.  Bis  dahin  gab  es  eine  Erde,  jetzt  wurden 
fünf  neue,  ihr  ebenbürtige,  die  übrigen  Planeten,  ihr  boigesellt  und  über 
alle  eine  atlmächüge  Sonne  eingesetzt,  welche  Tausende  ihresgleichen 
über  die  Himmelsdeckc  ausgestreut  sah.  Ehedem  hatte  man  alles  dies 
in  einem  wenigstens  einigermafsen  ausdenkbaren  Verhältnisse  zu  der 
schon  ohnehin  kaum  erfafslichen  Gröfse  der  Erde  gedacht.  Nun 
mufste  die  Erde  mit  allem,  was  auf  ihr  lebt  und  denkt  in  der  ge- 
waltig erweiterten  Weltansicht  zu  einem  Spielball,  ja  zu  einem  Punkte 
zusammensehrumpfen,  dessen  ungeheuere  von  unsichtbaren  Gewalten 
geführte  Reise  durch  den  Raum  um  die  Sonne  herum  kaum  wie  das 
Spiel  eines  Kreisels  erschien,  der  umschwirrend  leichte  Bogenlinien 
auf  seiner  Unterlage  beschreibt. 

Der  Fortschritt  der  Forschung  mufste  wenigstens  eine  kurze  Zeit 
lang  ruhen,  damit  die  kräftigsten  unter  den  Geistern  sich  zur  Auf- 
nahme dieser  ganz  überwältigenden  Weltansicht  genügend  erweitern 
konnten. 


Von  den  leuchtenden  Nachtwolken. 

(Anfang  März  1889.) 

Nach  einer  soeben  eingetroffenen  Nachricht  von  Herrn  Stuben- 
rauch in  Punta-Arenas  an  der  Siidspitze  von  Süd-Amerika  unter 
dem  53.  Breitengrade  sind  die  leuchtenden  Nachtwolken  daselbst  im 
Dezember  1888  zweimal  gesehen  worden.  Folgendes  ist  der  Inhalt 
dieser  Mittheilung  vom  22.  Januar  1889,  durch  welche  die  im  Februar- 
Heft  dieser  Zeitschrift  ausgesprochenen  Ansichten  über  diesen  Gegen- 
stand erfreulichst  bestätigt  werden: 

„Nachdem  ich  Ihnen  im  vorigen  Sommer  das  negative  Resultat 
meines  L’mherschauens  nach  leuchtenden  Wolken  mitgetheilt  hatte, 
empfing  ich  wiederum  Ihre  gef.  Aufforderung  nebst  Brief  vom  15.  Ok- 
tober 1888,  in  diesem  Sommer  Beobachtungen  anzustellen. 

Diesmal  bin  ich  glücklicher  gewesen  und  fand  endlich  nach 
langem,  vergeblichen  Suchen  zum  ersten  Male  am  20.  Dezember  1888 
die  von  Ihnen  als  leuchtende  Nachtwolken  bezeichnete  Erscheinung 
fast  ganz  Ihrer  Darstellung  entsprechend.  Im  Folgenden  gebe  ich 
Ihnen  eine  kurze  Beschreibung  meiner  Beobachtung: 

Am  20.  Dezember  unter,  für  diese  Breiten,  selten  klarem  Himmel 
bemerkte  ich  um  etwa  11  Uhr  30  Min.  Abends  mittlere  Zeit  am  süd- 
lichen Horizont  zwei  silberhelle  parallele  Wolkenstreifen,  von  Südwest 
nach  Nordost  sich  hinziohend,  der  eine  hellere  etwa  9°,  der  andere 
etwa  12°  vom  Horizonte.  Der  Horizont,  welcher  eine  rothgelbe  oder 
schmutziggelbe  Farbe  hatte,  war  um  12  Uhr,  zu  welcher  Zeit  die 
Stärke  des  Silberlichtes  obiger  Wolken  bereits  anfing  abzunehmen, 
sonst  ganz  wolkenfrei.  Um  1 Uhr  morgens  war  die  Erscheinung 
kaum  noch  sichtbar,  ohne  jedoch  ihre  Höhe  und  Richtung  verändert 
zu  haben.  Mit  dem  bald  anbrechenden  Tagesgrauen  verschwand  das 
Phänomen  gänzlich.  — Die  folgenden  Tage  waren  meist  trübe,  so  dafs 
von  der  Erscheinung  nichts  zu  sehen  war.  Ich  bemerkte  dieselbe 
dann  erst  wieder  am  25.  Dezember,  in  welcher  Nacht  dieselben  Wolken 


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429 


noch  auffälliger  und  zahlreicher  hervortraten,  nicht  blofs  zwei,  sondern 
eine  ganze  Reihe  paralleler  Streifen,  welche  wie  eine  Treppe  zum 
Horizonte  hinunter  führten.  Die  Erscheinung  fiel  um  dieselbe  Zeit 
wie  am  20.  Dezember.  — Ein  Marine-Offizier,  den  ich  darauf  aufmerk- 
sam machte,  sagte  mir,  dafs  er  diese  Wolken  im  Süden  (Beagle-Channel) 
bereits  zwei  Sommer  gesehen  habe,  jedoch  klarer  und  heller  wie  hier. 

Ich  will  wünschen,  dafs  das  diesjährige  Resultat  meiner  unge- 
schulten Beobachtungen  Ihren  Wünschen  entsprechen  möge  insofern, 
als  die  Existenz  der  leuchtenden  Nachtwolken  in  unseren  Breiten  als 
feststehend  anzusehen  ist.“  O.  Jesse. 

£ 


Ergänzung  zu  dem  Verzeichnifs  der  Doppelsternbahnen. 

(Februarheft,  S.  310).1) 


Umlaufs-1 
t zeit  in 
1 Jahren 

Peri- 

astrum 

Periastr. 

vom 

Knoten 

Knoten 

l 

Nei- 

gung 

Excen- 
| tricität 

Halbe 

grofse 

Axe 

42  Comae  Ber. 

| 25.7 

1859.9 

99.2® 

11.0® 

90.0® 

0.480 

0.66" 

i 

Str.  2173  . . 

45.4 

1872  9 

7.3 

152.7  | 

80.5 

0.135 

1.01 

2 

* » 3 (40)  Eridani 

139.0 

1863.88 

354.4 

146.3 

76.33 

0.136 

5.99 

3 

O.  Struve  400 

170.37 

1882.09 

43.5 

146.3 

37.0 

0.669 

0.59 

4 

14  t Orionis 

190.5 

1959.1 

302.7 

99.6  j 

44.95 

0.246 

1.22 

5 

Struvo  1819  . 

340.1 

1797.0 

348.9 

156.4 

37.5 

0.305 

1.46 

6 

a.  Ophiuchi 

373.5 

1787.9 

152.5  ' 

105.5  j 

38.1 

0.442 

1.53 

7 

61  Cygni  . . 

, 782.G  | 

1468.2 

2883 

341.1 

63.9 

0.174 

29.5 

8 

1.  (Struve  1728).  O.  Struve:  Ueber  die  Bahn  des  Doppelst  Struve  1728. 
(Melanges  math.  et  astr.  V.  287).  — 2.  Dun6r:  Mesures  microm.  p.  222.  — 
3.  Gore  (Month.  Not.  46  p.  292).  (Dreifaches  Sternsystern.  Bahn  des  dritten 
um  den  zweiten  Stern.)  — 4.  Gore  (Month.  Not.  47  p.  346.)  — 5.  (O.  Struve  98). 
Gore  (Month.  Not.  47  p.  266.)  — 6.  Casey  (A.  N.  2421).  Nach  Thiele  (A.  N.  2427) 
ganz  verfehlt.  — 7.  v.  Glasenapp  (Month.  Not  48  p.  254).  (Ergänzung  zum 
Doppelstern  No.  26).  — 8.  C.  F.  W.  Peters  (A.  N.  2708).  — Bei  dom  Sterno  No.  21 
ist  die  gebräuchlichere  Bezeichnung  hinzuzufügen:  Struve  3062. 

* 

')  Hei  dem  Verzeichnisse  war  Vollständigkeit  des  Materials  nicht  beabsichtigt,  wir  wollten 
darin,  so  weit  ea  ohne  eingehende  Kritik  möglich  ist  namentlich  die  besseren  von  mehroron 
Rechnern  bestimmten  Doppelsterne  anf Uhren,  t.'nter  den  anderweitigen  Bahnen,  von  denen 
gleichfalls  einige  nufgenonimen  worden  sind  (und  die  meist  mit  einer  kurzen  Anmerkung  Uber 
ihren  Werth  versehen  wurden)  finden  sich  manche  zweifelhafte.  Mehrere  der  obigen  Bahnen, 
für  deren  Mittheilung  (mit  Ausnahme  von  0 1 Erid.)  wir  Herrn  Prof.  v.  Glasenapp  in  Petersburg 
verbunden  sind,  werden  indessen  eine  willkommene  Ergänzung  fUr  das  Verzeichnifs  bilden. 

$ 


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430 


Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Monat  April. 

(Sämmlliche  Zeitangaben  gelten  für  Berliner  Zeit.) 


i.  Der  Mond. 

Aufgang 


6.  April  Erd  form* 

8* 

28»  Mg. 

8. 

„ Eratos  Viertel 

9 

56 

„ 

15. 

. Vollmond 

6 

21 

Ab. 

18. 

„ Erdnähe 

10 

36 

„ 

22. 

„ Letztes  Viertel 

1 

58 

Mg. 

30. 

««  Neumond 

5 

11 

* 

Maxima  der  Libration: 
12.  und  25.  April. 


Untergang 
12k  6®  Nt 
1 58  Mg. 

5 21  . 

6 34  . 

10  1 Vm. 

7 43  Ab. 


a.  Die  Planeten. 


Merkur 

Venus 

Kretas. 

Doclin.  | Aufg. 

Unterg. 

Kretas. 

Declin.  Aufg. 

Unterg. 

1.  April 

23k29<° 

— 5*57'  1 5k  18ml(t. 

4 h lfimÜB. 

oh  ’>4m 

+23»  0'  | 5k  55- lg. 

lQk  33*11. 

5.  H 

23  53 

- 3 21  5 12  . 

4 38  . 

2 57 

+23  32  5 39  . 

10  95  . 

9.  . 

0 18 

— 0 27  5 7 . 

5 1 . 

2 59 

+23  48  5 22  „ 

io  12  . 

13.  . 

0 45 

+ 2 42  5 2 . 

5 28  . 

2 58 

+23  48  5 5 . 

9 35  . 

17.  . 

1 13 

+ 641». 

6 57  . 

2 54 

+23  27  4 49  . 

9 33  . 

21.  . 

1 42 

+ 9 34  4 50  . 

6 30  . 

2 48 

+22  45  4 32  . 

9 6 . 

25.  . 

2 14 

+ 13  7 ,4  46  . 

7 4 . 

2 40 

+21  42  4 15  . 

8 35  . 

29.  . 

2 47 

+ 16  30  4 42  . 

7 51  . 

2 31 

+20  22  4 1 . 

8 1. 

Mars 

Jupiter 

Kectas. 

Declin.  Aufg. 

Unterg. 

Rectas.  Declin.  Aufg. 

Unterg. 

1.  April 

ji 

2k  1"  +12"  If.’  6k  ll®lr. 

8k  31®  16. 

18k32® 

— 22°  5?  2k  5»  1*. 

9k  47*  Is 

7.  * 

2 IS 

+13  4S  5 56  . 

8 32  . 

18  34 

—22  56  1 43  . 

9 25  . 

13.  . 

2 35 

+15  15  5 40  „ 

8 34  „ 

18  35 

-2255  1 20  . 1 

9 2 . 

19.  . 

2 ,r)‘> 

+16  37  5 25  . 

8 37  . 

18  36 

—22  55  12  57  5t. 

8 39  . 

25.  . 

3 9 

4-1753  5 10  „ 

8 38  . 

18  36 

—22  55  12  34  . 

S 16  . 

2t 

).  April,  9**,  Bedrckg.  durch  d.  Mond 

Saturn 

Uranus 

Kretas. 

Deelin.  Aufg. 

Unterg. 

Kretas. 

Doclin.  Aufg. 

Unterg. 

2.  April 

9k  5m  +17»  63'  1*38-5® 

tk  10®  If 

13k 16® 

— 7»18’  7k  5—56. 

1 6k  1-lt. 

10.  . 

9 5 

+17  55!  0 G . 

8 38  . 

13  14 

— 7 11  6 33  . 

! 5 29  . 

18.  . 

9 5 

+17  54  11  34  Vn 

3 2 . 

13  13 

—736  0 . 

4 56  . 

26.  „ 

9 5 

+17  52  11  3 . 

2 1 . 

13  12 

— 6 56  5 26  * 

4 25  . 

1 

Elongationen  des  Sutumtrabnnten  Titan:  3.  und  19.  April  öatl.,  II.  und  2ti.  April 

westl.  Elong. 


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431 


N e 

p t u n 

Reetas. 

Declin. 

Aufg. 

Unterg. 

2.  April 

3b  54” 

1+  18=38' 

7h  22>»  Ie. 

10b  58“  Al. 

15.  . 

3 53 

+ 18  43 

6 31  . 

10  9 . 

28.  . 

3 57 

+ 18  49 

5 41  „ 

9 21  . 

3.  Beobachtbare  Verfinsterungen  der  Jupitertrabanten. 


4.  April 

I.  Trab.  Verfinst.  Eintritt  4h 

25“ 

Mg. 

5.  . 

n.  ,. 

» 2 

38 

12.  . 

u.  ,. 

. 5 

11 

„ (bei  Sonnenaufg.) 

20.  . 

I _ 

» 2 

51 

23.  , 

ni.  „ 

, 2 

58 

•27.  . 

1.  , 

„ 4 

35 

. (bei  Sonnenaufg.) 

4.  Sternbedeckungen  durch  den  Mond. 

4.  April:  Tauri  (der  Mond  geht  1 Min.  vor  dem  Sterneintritte  unter). 


5.  Veränderliche  Sterne. 

a)  Maxima  variabler  Sterne: 

Maximum  Helligkeit  im  18S9 


am 

Max. 

Min. 

Reetas. 

Declin. 

R Loporis 

2. 

April 

6 

Gr. 

8.5 

Gr. 

4b 

54  “ 

32  < 

— 

14“ 

58' 

R Lyncis 

9. 

7.8 

„ 

12 

„ 

G 

52 

8 

+ 

55 

29 

U Monoc. 

6. 

.. 

fi 

7 

„ 

7 

25 

29 

— 

9 

33 

R Corvi 

16. 

7 

„ 

11.5 

12 

13 

53 

— 

18 

38 

S Coronae 

14. 

„ 

G 

„ 

12 

15 

16 

52 

31 

46 

R Lvrac 

20. 

4.3 

4.6 

„ 

18 

51 

57 

-r 

43 

48 

Z Cygni 

17. 

.. 

4 

„ 

13 

„ 

19 

46 

17 

32 

38 

R Vulpec. 

2«. 

7.8 

13 

- 

20 

59 

27 

J- 

23 

23 

S Cephei 

28. 

7.8 

11 

„ 

21 

36 

34 

4“ 

78 

8 

S Pegasi 

7. 

7.8 

- 

12 

23 

14 

56 

+ 

8 

19 

b)  Minima  der  Sterne  vom  Algol-Tvpus. 

U Cephei  . 3.,  8.,  13.,  18.,  23.,  28.  April  Nm. 

Algol  ...  3.  April  Nm.,  9.  Vra.,  15.  Mg.,  20.  Ab. 

RCan.  maj.  . (Jedes  3.  Min.):  3.  April  Mg.,  (I.  Ab.,  10.  Vm.,  13.  Ab,  17.  Mg., 
20.  Nm.,  23.  Nt.,  27.  Vm.,  30.  Ab. 

S Cancri  . . 9.  April  Mg.,  18.  Nm.,  28.  Mg. 

5 Librao  . . 2.  April  Mg.,  6.  Nm.,  11.  Vm.,  IG.  Mg.,  20.  Nm.,  25.  Vm.,  29.  Nt. 

U Coronae  . 4.  April  Mg.,  11.  Mg.,  17.  Ab.,  24.  Ab. 

U Ophiuchi  . (Jedes  4.  Min.):  2.  April  Nm.,  5.  Ab.,  9.  Mg.,  12.  Nm.,  15.  Ab., 

19.  Mg..  22.  Nm.,  25.  Nt,  29.  Vm. 

Y Cygni  . . (Jodes  3.  Min.):  5.  April  Ab.,  10.  Vm.,  14.  Ab.,  19.  Vm.,  23.  Ab., 
28.  Vm. 

c)  Minima  einiger  Veränderlicher  kurzer  Periode: 

T Monoc.  . .18.  April. 

C Gemin.  . . 9.,  19.,  29.  April, 

ß Lyrae  . . 9.,  22.  April, 

tj  Aquilae  . 7.,  15.,  22.,  29.  April. 

I Cephei  . . 6.,  12.,  17.,  22.,  28.  April. 


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432 


6.  Meteoriten. 

Den  Hauptmeteoritenschwarm  des  Monats  April  bilden  die  „Lyriden*, 
welche  zwischen  dem  16.  und  2*2.  April  im  Sternbilde  der  Leyer,  südwestlich 
der  Wega,  erscheinen  und  ihr  Maximum  am  20.  erreichen.  — Ende  April  stel- 
len sich  die  ersten  Sternschnuppen  der  „Aquariden"  (bei  ij  Aquarii)  ein. 

7.  Nachrichten  über  Kometen. 

Ueber  dott  am  15.  Januar  von  Brooks  entdeckten  Kometen  (s.  Märzheft) 
ist  nichts  Näheres  bekannt  geworden;  die  Auffindung  des  Objektes  ist  trotz 
mehrfacher  Nachsuchuugcn  seitens  der  Lick-Stern warte  nicht  wieder  gelungen. 

* 

Sternwarte  in  Tokio.  Zu  den  wissenschaftlichen  Schöpfungen, 
welche  in  neuester  Zeit  in  Japan  ins  Leben  gerufen  worden  sind,  ist 
nun  auch  die  Errichtung  einer  neuen  Sternwarte  an  Stelle  des  früheren 
für  Marinezwecke  bestimmten  Observatoriums  zu  Tokio  hinzugekommea. 
An  gröfseren  Instrumenten  besitzt  die  neue  Sternwarte  ein  Aequatorial 
von  Troughton  u.  Smith  von  20  cm  (71  ■/'),  und  ein  solches  von  Merz 
mit  16.2  cm  (6.3")  Objektivöflnung;  ferner  ein  Repsoldsches  Passagen- 
instrument  von  13.5  cm  (5.3")  und  einen  Meridiankreis  von  Merz- 
Repsold  von  12.3  cm  (4.8")  Oeffnung.  Zum  Leiter  der  Anstalt  ist 
Professor  Terao  ernannt  worden,  der  auch,  wie  in  vorliegender  Zeit- 
schrift (Mürzheft,  S.  378)  berichtet  wurde,  an  der  Beobachtung  der 
Sonnenfinsternis  vom  19.  August  1887  thcilgenommen  hat. 

* 

Wilhelm  Tempel  f. 

Soeben  erhalten  wir  die  betrübendo  Nachricht  von  dem  am 
16.  Mürz  um  4 Uhr  Nachmittag  in  Florenz  erfolgten  Hinscheiden  des 
allbekannten  Astronomen  Wilhelm  Tempel,  desselben,  von  dem  die 
unserem  dritten  (Dezember-)  Hefte  beigegebenen  vortrefflichen  Zeich- 
nungen von  Nebeln  herrühren.  Wir  werden  über  diesen  eigenartigen 
Mann,  welcher  sich  hauptsächlich  durcli  aufsorgewöhnlichen  Fleifs  und 
seltenes  Geschick  im  astronomischen  Zeichnen  und  ein  phänomenal 
scharles  Auge  vom  gewölmlichen  deutschen  Lithographen  zum  viel- 
genannten Astronomen  der  altberühmten  Sternwarte  zu  Florenz  empor- 
gearbeitet  hat,  eine  Lebensskizze  in  unserem  nächsten  Hefte  bringen. 


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Zwei  bemerken  swerthe  Bearbeitungen  von  Kometeuerscheinullgen,) 

sind  kürzlich  erschienen.  Die  erstere,  von  Dr.  II.  Kreutz,  betrifft  den  im 
September  1882  sichtbar  gewordenen  grofsen  Kometen  (1882  II).  Dieses  Ge- 
stirn wurde  zuerst  auf  der  Siidhcmisphäre  der  Erde,  in  Südamerika  und  Süd- 
afrika bemerkt;  es  wurde  alsbald  so  hell,  dafs  es  noch  vor  seiner  Sonnennähe 
mit  freiem  Auge  wahrgenommen  werden  konnte.  Am  17.  September,  dem  Tage 
der  grüfsten  Annäherung  an  die  Sonne,  gewährte  der  Komet  zwei  Beobachtern 
auf  der  Sternwarte  der  Kapstadt,  Finlay  und  Elkin,  das  merkwürdige  Schau- 
spiel eines  Vorüberganges  über  die  Sonnenschoibe.  Wenige  Sekunden  vor 
der  scheinbaren  Berührung  des  Sonnenrandes  erschien  der  Komet  noch  bei- 
nahe so  hell  wie  die  Sonne  selbst,  mit  dem  Eintritte  (4  Uhr  31  M.  Borl.  Zt.) 
verschwand  jede  Spur  des  Kometen.  Dieser  Durchgang  durch  die  Sonnen- 
scheibe dauerte  nach  der  Rechnung  1 Stunde  16  Minuten.  Trotz  des  Passirens 
des  Komotcn  durch  die  Sonnenatmospliärc,  sind  keinerlei  Störungen  in  der 
letzteren  bemerkt  worden.  Gegen  Endo  September  glänzte  der  Komet  all- 
raorgendlich  in  prachtvoller  Erscheinung  vor  Aufgang  der  Sonne  an  unserem 
Osthimmel.  Um  diese  Zeit  fiel  den  Beobachtern  auch  eine  eigenthiimliche  Ver- 
längerung des  Kernes  im  Kopfe  des  Kometen  auf,  die  in  den  ersten  Oktobortagen 
sich  zu  einer  überaus  interessanten  Theilung  und  Ausbildung  mehrerer  Kerne 
gestaltete.  Solcher  Kerne  oder  Knoten  erschienen  nach  und  nach  fünf  oder 
sechs;  sie  entfernten  sich  von  einander,  wechselten  in  der  Helligkeit  und 
konnten  bis  zum  Februar  verfolgt  werden.  Im  Oktober  trat  zu  diesen  merk- 
würdigen Erscheinungen  das  noch  seltsamere  Phänomen  des  Auftauchens  von 
Nebonkorneton  hinzu.  Solcher  kometarischor  Nobelmassen  in  der  Nähe  dos 
Kometenkopfes  (von  diesem  nur  einige  Grade  entfernt)  wurden  mehrere,  am 
5.,  10,,  14.,  21.  Oktober  und  16.  November  entdeckt.  Bis  zum  Februar  1883 
konnte  das  an  neuen  Räthseln  für  uns  so  lelirreicho  Gestirn  mit  freiem  Auge 
gesehen  werden;  den  Fernrohren  gelangen  die  Beobachtungen  bis  zum  Juni. 
Die  Hauptschwicrigkcit  für  den  Berechner  der  Bahn  des  Kometen  war  die  Be- 
stimmung der  Punkte,  auf  welchen  sich,  bei  dem  Vorhandensein  mehrerer 
Kerne,  die  Beobachtungen  beziehen.  Der  Feststellung  dieser  Kernlinie  hat  Herr 
Kreutz  deshalb  ganz  besondere  Sorgfalt  gewidmet;  als  eigentlichen  Schwer- 
punkt diesor  Linie  betrachtet  er  die  zweite  der  oben  gedachten  Kernbildungen. 
Kreutz  findet  aus  seinen  Untersuchungen  schliefslich  eine  Uinlaufszoit  des 
Kometen  von  772  Jahren. 

Eine  andere  nicht  minder  wuchtige  Kometenbearbeitung,  namentlich  für 
die  Entscheidung  der  schon  durch  eine  Reihe  von  Jahren  schwebenden  Frage 
der  Existenz  eines  „widerstehenden  Mittels“  im  Welträume,  bildet  die  Fort- 
setzung der  Op polz ersehen  Arbeiten  über  den  periodischen  Kometen  Win- 
necke  durch  E.  v.  Haerdtl.  Oppolzer  war  boi  seinen  Rechnungen  über  dio 
Erscheinungen  des  Winncckeschcn  Kometen  der  Jahre  1*58,  1869  und  1875 
Himmel  und  Erde.  I.  7.  31 


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434 


dom  Schlüsse  nahe  geführt  worden,  dafs  sich  die  völlig  befriedigende  Verbin- 
dung der  Beobachtungen  dieser  drei  Wiedcrkünfle  nur  unter  der  Annahme 
einer  Beschleunigung  der  täglichen  Bewegung  des  Kometen  erreichen  lasse, 
also  derselben  Erscheinung,  welche  beim  Enck eschen  Kometen  zu  der  Ein- 
führung einer  Widerstandskraft  geführt  hat.  Oppolzer  hielt  indessen  seine 
Rechnungsergebnisse  nicht  für  sicher  genug,  um,  wie  es  von  anderer  Seite  ge- 
schehen, darin  schon  eine  -Bestätigung“  der  Enckeschen  Hypothese  zu  er- 
blicken. Herr  v.  liaerdtl  hat  bei  der  Neubearbeitung  die  Hauptsache  der  Unter- 
suchung, nämlich  die  Störungen,  welche  der  Komet  zwischen  den  Jahren 
1858— 1*86  von  Seite  der  Planeten  erfahren  hat,  in  sorgfältigster  Weise  behandelt 
Diese  Störungen  sind  nach  strenger  Methode  und  nicht  blofs  für  die  Haupt- 
planetcn  Jupiter  und  Saturn,  sondern  auch  für  Venus,  Erde,  Mars  und  Uranus 
abgeleitet  und  ist  damit  dem  Einwande  begegnet  worden,  welchen  man  gegen 
Oppolzers  Resultat  etwa  geltend  machen  konnte,  nämlich,  dafs  nach  Zuziehung 
der  Störungen  dieser  letzteren  Planeten  die  in  der  Rechnung  zu  Tage  getretene 
hypothetische  Beschleunigung  der  Kometenbewegung  möglicher  Weise  ver- 
schwinden werde.  Dieses  letztere  ist  nun  nach  Haerdtls  Arbeit  in  der  That  der 
Fall:  der  Komet  Winnecke  zeigt  keine  Zunahme  der  mittleren  Bewegung  von 
Umlauf  zu  Umlauf,*)  sondern  eher  eine  kleine  Retardation.  Diese  Retardation 
läfst  sieh  ferner  völlig  aufheben,  wenn  man  die  Masse  des  störenden  Haupt- 
planeten,  des  Jupiter,  die  der  Rechnung  zu  Grunde  gelegt  worden  ist,  etwas 
abändert,  liaerdtl  findet,  dafs  man  bei  der  Annahme  oiner  Jupitermasse  von 
1 : 1017.175  völlige  Uebereinstimniung  erhält.  Diese  Masse  ist  etwas  gröfser 
als  die  neueren  dafür  gebräuchlichen  Werthe,11)  Haerdtl  zeigt  indefs,  dafs  ihre 
Einführung  sowohl  bei  der  Darstellung  der  Beobachtungen  des  Fay eschen 
Kometen  von  1843 — 1881,  sowie  jener  des  Enckeschen  Kometen  von  1868 — 1885 
völlig  befriedigend  wirkt.  • 

')  Kreutz,  l’ntors.  Ub.  d.  Komet-System  1H3  I.  l-**»  1 und  IW U.  Erater Theil,  der  irrofio 
September  körnet  IW  II  (Publ.  d.  Sternwarte  Kiel).  I*4**. 

E.  v.  liaerdtl,  Die  Bahn  des  period.  Komet.  Winncckc  in  d.  Jahren  1*5*— *6,  nebst  einer 
neuen  Beat.  d.  .fupitormasso  (Denkschr.  d.  Wien.  Akad.  d.  W.  LV.  Bd.  I#**). 

:)  Die  Ilewe»rung  rnriebt  sich  aus  den  Kraehcinunircn  von 
IKHU-IMS  zu  fitsJUNMktt  Bogrosekundcn 
. cis.&c&k«;  . 

*)  Einige  dieser  Masecnannnhmen  seien  hier  angeführt: 

Boasei 1 : ti47J»79 

Boascl-Scliur  . . I : i«n7.5tf* 

Möller I : l«‘t7.7HS 

Uecker 1 ; t'47-T7ö 

Kruegcr  ....  1 : U47J»:t*. 


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Horm  E.  in  N.  Ihrem  Wunsehe,  «lie  Auf-  und  Untergan gszoitcn  von 
Sonne  und  Mond  für  Ihren  Wohnort  zu  ermitteln,  können  Sie  am  einfaelisten 
gerecht  werden,  wenn  Sie  sieh  das  auch  in  anderer  Hinsicht  sehr  empfehlcns- 
werthe  „Annuaire  pour  l’an  I8H9,  piibliö  par  le  hureau  des  longitudes*4  (Paris, 
Gautliier  — Villars,  Quai  des  Augustins  55:  prix  I fr.  50  ein.)  ansehaffen.  Sie 
finden  in  diesem  gegen  1000  Seiten  starken  Duodezbändehen  neben  sehr  vielen 
anderen  höchst  nützlichen  Tabellen  «lie  Auf-  und  Untergangszeiten  von  Sonne 
und  Mond  nicht  nur  für  die  geographische  Breite  von  Paris  angegeben,  son- 
dern aufserdem  unter  den  „Tables  de  corrections“  dazugehörige  Hil (stufe ln  mit 
Gebrauchsanweisung,  welche  es  gestatten,  fast  augenblicklich  die  gesuchten 
Zeiten  für  jeden  beliebigen  zwischen  33°  und  (IO3  nördlicher  Breite  gelegenen 
Oit  zu  gewinnen.  — Uebrigrns  ist  die  selbständige  genaue  Berechnung  der 
fiir  einen  bestimmten  Ort  geltenden  Auf-  und  Untergangszeiten  jedes  Gestirns, 
dessen  Ort  am  Himmel  nach  Rretasocnsion  und  Deklination  bekannt  ist,  eine 
sehr  einfache  Aufguhe  der  sphärischen  Astronomie,  die  sich  in  jedem  Lehrbuch 
dieser  Wissenschaft  und  auch  in  manchen  I,chrbwehcrn  der  sphärischen  Trigo- 
nometrie behandelt  findet.  — 

Die  Angaben  über  den  Stand  der  Planeten  bedürfen  keiner  Umrechnung, 
da  sic,  abgesehen  von  dem  blofsen  Auge  unmerklicheti  Verschiebungen,  für  «lie 
ganze  Erde  Geltung  haben,  und  da  ferner  bei  den  Planeten  die  Angaben  über 
die  Zeit  des  Auf-  oder  Unterganges  stets  nur  rohe  uml  für  gröfsere  Länder- 
gebiete zugleich  geltende  sind.  Die  Momente  dieser  Erscheinungen  würden 
sich  aufser  bei  Sonne  und  Mond  wegen  der  «len  Horizont  verdunkelnden 
Dünste  doch  nicht  beobachten  lassen. 

J.  N.  Breslau.  Sie  fragen  au,  welches  der  uuf  S.  18  unseres  ersten 
Heftes  bezeichneten  Gebiete  von  unserer  Zeitschrift  bevorzugt  werden  wird. 
Wir  können  darauf  nur  «lie  Antwort  crthcilcn,  ilaTs  «lie  Reduktion  bestrebt 
sein  wird,  den  auf  die  Physik  unserer  Erde  bezüglichen  Wissenschaften  «las 
gleiche  Recht  angedeihen  zu  lassen,  als  der  Ilimmelskund«*,  so  jedoch,  «lufs 
dabei  keine  Absicht  vorliegt,  auf  spezielle,  beschreibende  Geographie,  sowie 
diejenigen  Gebiete  der  physikalischen  Forschung,  welche  mit  der  Physik  «les 
Himmels  un«l  der  Erde  nicht  in  näherer  Beziehung  stehen,  einzugehen.  Klima- 
tologische.  geologische,  meteorologische  und  geodätische  Abhandlungen  werden 
wir  gegen  solch«»  astronomischen  Inhalts  nie  zurücksetzen.  Dafs  «lie  ersten 
Hefte  «ler  Zeitschrift  ein  Vorwiegen  der  astronomischen  Artikel  aufweisen, 
rührt  zum  Theil  davon  her,  dafs  im  Beginn  das  Interesse  für  das  gesamte 
Urania-Unternehmen  sich  in  astronomischen  Kreisen  schneller  Bahn  gebrochen 
hat,  als  in  den  anderen  vor»  unserer  Monatsschrift  vertretenen  Gebieten. 

Herrn  Bezirksrichter  II.  in  G.  Unsere  Notiz  im  Sprechsaal  des  sechsten 
Hefte«  in  Bezug  auf  die  Drehungsrichtung  der  Erde  uni  sieh  selbst  und  um 

31* 


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III  jspifi 


436 


die  Sonne*  hat  zu  irrlhümlichcn  Auffassungen  Anlnfs  gegeben,  welche  zum 
grofsen  Thoil  durch  unsere  nothwendig  kurz  zu  fassende  Darstellung  veran- 
lafst  wurden.  Zur  Klarstellung  müssen  wir  deshalb  naehtragen,  dafs  zwar 
die  scheinbare  tägliche  Bewegung  der  Sonne  derjenigen  entgegengesetzt  ist, 
welche  das  Tagesgestirn  in  seiner  jährlichen  Bahn  zuriicklegt,  dafs  dagegen 
die  täglichen  und  jährlichen  Bewegungen  der  Erde,  welche  die  Ursachen  jener 
scheinbaren  sind,  dennoch  in  demselben  Drehungssinne  erfolgen.  Stellte  bei- 
spielsweise die  Erdbahn  das  grofse,  der  Durchschnitt  der  Erdkugel  dagegen 
das  kleine  Zifferblatt  des  Sekundenzeigers  einer  Uhr  dar,  so  finden  beide 
Bewegungen  im  Sinne  der  Iwiden  Zeiger  statt;  mit  anderen  Worten,  die  Erde 
rollt  auf  ihrer  Bahn.  Dafs  diese  Bewegungsverhältnisse,  in  scheinbare  über- 
setzt, entgegengesetzte  werden,  hat  seinen  Grund  darin,  dafs  wir  die  schein- 
bare Bewegung  der  Sonne  nur  auf  derjenigen  Hälfte  der  Erde  verfolgen 
können,  welche  in  Bezug  auf  die  Erdbahn  nach  innen  gekehrt  ist.  Diese  Seite 
hat  in  unserm  Vergleich  mit  der  Uhr  die  Bedeutung  der  Verlängerung  des 
Sekundenzeigers  über  den  Drehungs-Mittelpunkt  hinaus.  Diese  bewegt  sich 
natürlich  stets  in  umgekehrter  Richtung  wie  dos  andere  Ende,  sobald  man 
diese  Richtung  im  absoluten  Sinne  in  Bezug  auf  Fixpunkte  auf  dem  grofsen 
Zifferblatte  betrachtet. 


Verlag  von  Hermann  Hantel  in  Berlin.  — Druck  von  Wilhelm  Qronau'g  Buchdruckerei  in  Berlin. 
Für  dio  Redaction  verantwortlich:  Dr.  M.  Wilhelm  Meyer  in  Berlin, 
l'nhererhligler  Nachdruck  aus  dem  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt. 
Uebersetzungsrecbt  Vorbehalten. 


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Der  grofse  Refraktor  der  Lick  - Sternwarte 

nach  einer  Photographie. 


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Die  Lick-Sternwarte. 

Vom  Direktor  derselben,  Prof.  Edward  S.  Holden.*) 

| Jur  Direktor  der  „Gesellschaft  Urania“  hat  mich  freundlichst  er- 
sucht,  einen  Bericht  über  die  neue  Sternwarte  auf  dem  Mount 
Hamilton  zu  verfassen  und  ich  komme  seiner  Aufforderung  mit  Ver- 
gnügen nach,  indem  ich  hiermit  den  Mitgliedern  der  „Gesellschaft 
Urania“  eine  kurze  Uebersicht  des  gegenwärtigen  Zustandes  unserer 
Sternwarte  vorlege. 

Ich  setze  voraus,  dafs  die  Geschichte  unserer  Anstalt  allen  Lesern 
hinlänglich  bekannt  ist.  Ihr  Gründer,  Mr.  James  Lick,  war  ein 
Orgelbauer,  der  aus  seiner  Heimath  Pennsvlvanien  nach  Süd-Amerika 
und  später  nach  San  Franzisco  übersiedelte,  woselbst  er  itn  Jahre  1876 
unter  Hinterlassung  eines  Vermögens  von  3000000  Dollar,  das  er 
gänzlich  für  gemeinnützige  Zwecke  bestimmt  hatte,  starb.  Auf  unserer 
Sternwarte  befindet  sich  die  Hobelbank,  die  er  1846  aus  Chili  nach 
Califomien  mitgebracht  hat.  Sie  macht  einen  seltsamen  Eindruck  in 
den  eleganten  Räumen,  welche  die  herrlichen  Instrumente,  die  Meister- 
werke der  gröfsten  astronomischen  Künstler,  eines  Clark,  Repsold 
und  anderer,  enthalten.  Und  doch  ward  diese  Hobelbank  der  Grund- 
stein unserer  Sternwarte.  — Mr.  Lick  ist  unter  dem  Pfeiler  des  grofsen 
Teleskopes  begraben  worden.  Das  ist  ihm  ein  herrlicheres  Denkmal, 
als  es  sich  ein  Pharao  hätte  hersteilen  oder  auch  nur  träumen  lassen 
können. 

Die  Sternwarte  ist  als  wissenschaftliche  Institution  der  Universität 
von  Californien  beigeordnet  und  obgleich  sie  in  erster  Reihe  der 
reinen  Forschung  gewidmet  ist,  nimmt,  sic  doch  auch  Studenten  gast- 


' I Aus  dem  englischen  Originalmamiskript  übersetzt  von  Dr.  F.  Koerber. 
Himmel  und  Erde.  I.  s.  ’ ’> J 


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lieh  auf,  ilie  entweder  den  philosophischen  Doktorgrad  zu  erwerben 
beabsichtigen,  oder  sich  besonderen  Studien  widmen  wollen.  Auch 
für  das  Publikum  ist  sie  täglich  während  der  Dienststunden  von  ft 
bis  4 Uhr,  und  aufserdem  noch  jeden  Samstag  Abend  von  7 bis  10 
Uhr  geöffnet  Mehr  als  4000  Personen  haben  bis  jetzt  die  Sternwarte 
besucht  und  an  manchen  Sonnabenden  haben  etwa  zweihundert  Be- 
sucher den  Mond  durch  das  grofse  Teleskop  betrachtet  So  dient 
unsere  Sternwarte  nicht  minder  zur  Verbreitung  der  Wissenschaft 
als  zur  Erweiterung  derselben.  — Die  astronomische  Kolonie  auf  unserm 
Berge  (Mt.  Hamilton,  4209  Fufs  über  dem  Spiegel  des  stillen  Ozeans) 
besteht  aus  den  sechs  Astronomen  Holden,  Burnham,  Schaeberle, 
Keeler,  Barnard  und  Hill  nebst  deren  Familien  und  aus  drei  Un- 
terbeamten, einem  Maschinisten,  einem  Arbeiter  und  dem  Pförtner.  25  bis 
30  Personen  bilden  im  ganzen  unsere  ansässige  Bevölkerung. 

In  gewissem  Sinne  sind  wir  Einsiedler,  denn  die  nächste  Post-, 
Eisenbahn-  und  Telegraphen-Station  liegt  in  einer  Entfernung  von 
26  (engl.)  Meilen  in  der  kleinen  Stadt  San  Josö,  der  Hauptstadt  des 
schönen  Thaies  von  Santa  Clara  Bei  gutem  Wetter  bringt  uns  jedoch 
der  tägliche  Postwagen  eine  ganze  Ladung  Schaulustiger,  wrelche  eine 
Stunde  dableiben  und  dann  wieder  heimkehren.  Während  der  streng- 
sten Winterstürme  sind  wir  aber  manchmal  vier  bis  fünf  Tage  ohne 
jede  Verbindung  mit  der  AufsenwelL  Gleichwohl  dürfte  kein  Mitglied 
unserer  Kolonie  irgendwelche  Vereinsamung  empfinden,  denn  wir  sind 
alle  vollauf  beschäftigt  und  die  Umgebung  ist  von  aufserordentlicher 
Schönheit.  Die  landschaftliche  Lage  der  Sternwarte  zeigt  der  auf  der  fol- 
genden Seite  gegebene  Holzschnitt,  welcher  nach  einer  von  Herrn  Burn- 
ham aufgenommenen  Photographie  gefertigt  ist.  Unser  ganzes  Leben 
hier  ist  völlig  von  dem  der  Stadtbewohner  verschieden  und  es  entwickelt 
sich  eine  gewisse  Unabhängigkeit,  welche  täglich  mehr  Freude  bereitet. 

Der  Gipfel  des  Berges  war  früher  völlig  spitz,  ist  aber  zu  einer 
ebenen  Fläche  abgetragen  worden,  die  gerade  Platz  genug  gewährt 
für  die  Gebäude,  welche  unsere  Instrumente  und  Diensträume  bergen. 
Eines  der  Wohnhäuser  steht  unmittelbar  östlich  von  dem  Plateau  und 
um  soviel  niedriger,  dafs  das  dritte  Stockwerk  in  gleicher  Höhe  mit 
dem  Bergesgipfel  liegt.  Gleich  unterhalb  dieses  Hauses  befinden  sich 
weitere  Wohnhäuser  für  Astronomen  und  andere  für  Unterbeamte. 
Unsere  drei  Wasserbehälter  befinden  sich  auf  drei  benachbarten  Berg- 
spitzen (Huyghens  Peak  40'  tiefer,  Keplers  und  Copemikus  Peak  etwa 
42',  resp.  171'  höher).  Da  alle  uns  auf  dem  Berge  zur  Verfügung 


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439 


stehende  Kraft  vom  Wasser  herrükrt,  so  sind  diese  Verhältnisse  von 
greiser  Wichtigkeit.  Die  Quellen  aufAquarius  liefern  das  für  häus- 
liche Zwecke  nüthigo  Wasser.  Das  Huyghens-Bassin  sammelt  das 
Abflufswasser  aus  der  hydraulischen  Maschinenanlage  des  Hauptge- 
bäudes und  eine  Windmühle  pumpt  von  hier  aus  dasselbe  Wasser 
wieder  bis  hinauf  zum  höchsten  Behälter,  Copemikus.  Von  diesem  wird 
das  Wasser  für  die  hydraulischen  Pressen  geliefert  und  fliefst  dann 
nach  Abgabe  seiner  Arbeitskraft  wieder  in  den  Huyghens,  um  von 


Mount  Hamilton  mit  der  Lick-Sternwarte. 


hier  abermals  zum  Copernikus  gehoben  zu  werden  und  so  den  Kreis- 
lauf von  neuem  zu  beginnen. 

Die  Anlage  der  Baulichkeiten  ist  aus  dem  auf  umstehender  Seite 
befindlichen  Grundrifs  leicht  verständlich  und  brauchen  wir  dazu  nur 
noch  zu  bemerken,  dafs  die  Fundamente  jedes  Instrumentes  auf  dem 
festen  Fels  ruhen  und  dafs  östlich  von  dem  langen  Saal  Platz  gelassen 
ist  für  die  in  den  nächsten  Jahren  noch  zu  erbauenden  Amtsräume 
und  Laboratorien. 

Die  dem  Bauplan  zu  Grunde  liegende  Idee  ist,  dafs  das  grofse 
Aequatorial  als  das  wichtigste  Instrument  unabhängig  gemacht  werden 
mufste  von  den  anderen  Observatorien,  welche  die  kleineren,  wenn 
auch  nicht  minder  vorzüglichen,  Hilfsinstrumonto  bergen. 

Das  zwölfzöllige  Aequatorial  (ein  Meisterstück  des  jüngeren  Alvan 

32  ‘ 


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Clark)  dient  zu  vielen  Beobachtungen,  welche  nicht  die  Kraft  des 
grofsen  Refraktors  erheischen.  Der  schöne  sechszöllige  Meridiankreis 
von  Repsold  (dem  Strafsburger  Instrumente  nachgebildet)  bestimmt  die 
Oerter  der  Vergleichsterne  u.  s.  w.t  wird  auch  zu  selbstständigen  Ar- 
beiten verwendet  und  kann  sogar  frei  beweglich  gemacht  werden. 
Das  Durchgangsinstrument  von  vier  Zoll  Oeffnung  ist  der  Zeit-  und 
Breitenbestimmung  gewidmet. 

Eine  unseror  Hauptaufgaben  wird  ein  sorgfältiges  Studium  der 
Refraktion  sein.  Ein  Repsoldsches  Universalinstrumcnt  wird  hierbei 
den  Meridiankreis  ergänzen.  Sonnenfinsternisse,  Merkur-  und  Venus- 


durchgänge u.  s.  w.  können  mit  dem  horizontalen  Photoheliographen 
von  4 Zoll  Oeffnung  und  40  Fufs  Brennweite  photographirt  werden, 
wie  dies  zum  Theil  auch  schon  ausgeführt  worden  ist.  Der  Kometen- 
sucher, ein  tragbares  Aequatorial  von  6 Zoll  Oeffnung,  Uhren  von 
Dent,  Hohwü,  Frodsham  und  Howard,  und  endlich  ein  sehr  vollendeter 
Apparat  zum  Ausmessen  der  Photographien  vervollständigen  die  List») 
»ler  wichtigeren  Nebeninstrumente. 

Das  grofso  Teleskop  vereinigt  in  Wahrheit  drei  Fernrohre  in  sich. 
Es  ist  für  mikrometrischc  Messungen  eingerichtet  und  arbeitet  jetzt  in 
dieser  Richtung  mit  grofser  Vollkommenheit.  Ein  kürzlich  in  den 
„Astronomischen  Nachrichten“  veröffentlichtes  langes  Verzeichnifs  von 
neuen  Doppelsternen  und  Messungen  als  schwierig  bekannter  Doppel- 
sterne durch  Herrn  Burnham  ist  ein  gutes  Zeugnifs  seiner  Vorzüg- 
lichkeit in  dieser  Beziehung. 


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Das  optische  Objektiv  von  36  Zoll  Oeffnung  und  etwa  56  Fufs 
(17  m)  Brennweite  ist  ganz  besonders  vollkommen.  Eine  dritte  Linse 
aus  Crownglas  kann  schnell  vor  dem  optischen  Objektive  eingefiigt 
werden  und  verwandelt  dann  das  Teleskop  in  eine  gigantische  photo- 
graphische Camera  von  33  Zoll  Oeffnung  und  45  Fufs  Fokallänge. 
Auch  diese  Linse  ist,  wie  die  schon  versuchsweise  gefertigten  Stem- 
und  Mondaufnahmen  beweisen,  ganz  ausgezeichnet.*)  Um  längere 
Expositionen  mit  Erfolg  ausfiihren  zu  können,  brauchen  wir  noch  einen 
Apparat  zur  Bewegung  der  photographischen  Platte  durch  die  Hand, 
um  die  Stellung  dos  Teleskops  von  Zeit  zu  Zeit  korrigiren  zu  können. 
Bei  den  ganz  grofscn  Refraktoren  ist  es  nämlich  nöthig,  dafs  diese 
Handkorrektion  nur  die  Platte  und  nicht  den  ganzen  Tubus  bewege. 
Die  grofse  Brennweite  des  photographischen  Teleskops  macht  dasselbe 
zu  einem  höchst  brauchbaren  Instrument  zur  Ermittelung  von  Fixstern- 
parallaxen aus  den  Messungen  ihrer  photographischen  Bilder,  denn 
einer  Bogensekunde  am  Himmel  entspricht  auf  der  Platte  eine  Länge 
von  0,003  Zoll 

In  dritter  Linie  wird  unser  Instrument  zur  Spektroskopie  ver- 
wendet. Das  Mikrometer  kann  sehr  schnell  entfernt  werden,  so  dafe 
das  Okularende  völlig  frei  wird.  Dieses  ganze  Ende  ist  nun  von  einem 
drehbaren  Panzer  (einem  eisernen  Cylinder)  umgeben,  an  welchem 
zwei  lange  Messingstäbe  befestigt  werden  können,  mit  denen  wiederum 
das  Spektroskop  verbunden  ist.  Der  Panzer  liifst  sich  leicht  im  Posi- 
tionswinkel drehen  und  so  kann  man  den  Spalt  des  Spektroskops  schnell 
und  doch  ohne  Erschütterung  z.  B.  rings  um  den  Umfang  der  Sonne 
herumwandern  lassen.  Unsere  vomehmlicho  spektroskopische  Arbeit 
wird  sich  der  Bestimmung  der  Bewegung  der  Sterne  in  der  Gesichtslinie 
und  der  Beobachtung  der  Planetenspeklra  zuwenden. 

Gewöhnlich  pflegt  ein  Apparat,  welcher  so  vielerlei  Zwecken 
gleichzeitig  dienen  soll,  eine  jede  Verrichtung  nur  mit  mittelmäfsiger 
Güte  auszuführen.  Indessen  hat  die  Geschicklichkeit,  mit  welcher 
die  Konstrukteure  unserer  Montirung  (Messrs.  Wamor  und  Swasoy 
aus  Cleveland)  unsere  Ideen  ausgeführt  haben,  uns  doch  ein  Teleskop 
geliefert,  das  gleich  geeignet  ist  für  optische,  spektroskopische  und 
photographische  Beobachtung.  Das  ganze  Fernrohr  hat  demgemäfs 
drei  verschiedene  Längen:  das  optische  Instrument  ist  66  Fufs,  das 

•)  Unsere  Zeitschrift  wird  in  ihrer  nächsten  Nummer  Facsimile-Nach- 
bildungen  in  Heliogravüre  von  zweien  dieser  ganz  vortrefflichen  Mondphoto- 
graphien bringen.  Die  Red. 


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photographische  49  Für»  lang,  während  das  Fernrohr  in  Verbindung 
mit  dein  Spektroskop  etwa  62  Fufs  Länge  erhält. 

Diese  ganz  besonderen  Umstände  liefsen  alle  gewöhnlichen  Arten 
von  Beobachtungsstühlen  von  vorn  herein  garnicht  in  Betracht  kommen. 
Ein  sehr  glücklicher  von  Sir  Howard  Grubbs  den  „Lick  Trustees- 
gegebener Rath  fand  daher  begeisterte  Aufnahme.  Diese  Idee  bestand 
darin,  einen  Theil  des  Kuppelfufsbodens,  der  60  Fufs  im  Durchmesser 
hält,  durch  16'4  Fufs  auf  und  nieder  zu  bewegen.*) 

Durch  dieses  llülfsmittel  kann  der  Beobachter  von  einer  ge- 
wöhnlichen Trittleiter  aus  das  Okular,  den  photographischen  Fokus 
und  auch  das  Spektroskop  erreichen.  Die  ersten  Einrichtungen  zur 
Bewegung  des  Fufsbodens  stellten  nicht  ganz  zufrieden,  da  die  Be- 
wegung zu  langsam  erfolgte.  Die  jetzige  Konstruktion  arbeitet  jedoch 
vorzüglich;  sie  besteht  in  vier  achtzölligen  hydraulischen  Pressen, 
welche  den  Fufsboden  in  der  Minute  um  mehr  als  zwei  Fufs  heben 
oder  senken,  was,  wie  die  Erfahrung  uns  gelehrt  hat,  schnell  genug 
ist.  Ich  bin  fest  überzeugt,  dafs  diese  werthvolle  Erfindung  des 
Sir  Howard  Grubbs  sich  bei  allen  grofsen  Fernrohren  als  vor- 
theilhaft  erweisen  müfste. 

Ein  Wort  mag  auch  über  die  75  Fufs  hohe  Kuppel,  welche  das 
Aequatorial  bedeckt,  gesagt  werden.  Sie  ist  von  den  „Union  iron 
works-  in  San  Franzisco  erbaut  und  zwar  in  Anlehnung  an  die  Pläne 
der  Kuppel  des  26-zölligen  Refraktors  der  Universität  von  Virginia 
und  unter  Anbringung  einiger  Verbesserungen.  Sie  wiegt  199000  engl. 
Pfund  (90  262  kg)  und  kann  durch  Wasserkraft  in  aoht  Minuten  um 
360  Grad  gedreht  werden.  Auch  die  Klappe  stellt  uns  in  jeder  Be- 
ziehung zufrieden. 

Soviel  sei  über  die  mechanischen  Hülfsvorrichtungen  zum  grofsen 
Aequatorial  bemerkt. 

Es  erübrigt  noch,  die  Leistungen  unseres  Riesenfernrohres  zu 
betrachten.  Die  Ausdehnung  unseres  Beobachtungsgebietes  ist  gren- 
zenlos. Kein  Objekt  haben  wir  bis  jetzt  betrachtet,  ohne  Neues  von 
oft  weitgehender  Bedeutung  zu  sehen.  — Marsbeobachtungen  haben 
wir  angestellt,  als  der  Planet  eine  Zenithdistanz  von  60  Grad  und 
einen  Durchmesser  von  nur  8 — 9 Zoll  besafs  und  bereits  über  die 
Quadratur  hinaus  war.  Die  vierzig  Zeichnungen,  welche  wir  nach 

*)  Es  durfte  den  Leser  iutoressiren  zu  erfahren,  dafs  bei  der  neuen  gegen 
Ende  des  gegenwärtigen  Monats  Mai  zu  eröffnenden  Urania-Sternwarte  in  Berlin 
fiir  deren  grofsen  Refraktor  dieselbe  Einrichtung  getroffen  worden  ist.  Die  Red. 


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«lern  15.  Juli  (die  Opposition  fand  im  April  statt)  erhalten  haben, 
zeigen  viele,  wo  nicht  die  meisten  der  Kanäle  des  Professor  Schia- 
parelli.  Allerdings  wurden  unter  solchen  Verhältnissen  keine  Ver- 
doppelungen gesehen.  — Jupiter  ist  erst  selten  sorgfältig  studirt 
worden.  Die  Verfinsterungen  seiner  Satelliten  lassen  sich  durch  ihre 
Phasen  verfolgen,  wie  die  unseres  Mondes.  — Saturn  bietet  einen  höchst 
interessanten  Anblick.  Nie  habe  ich  die  Flecke  auf  seiner  Oberfläche 
oder  den  dunklen  Ring  mit  auch  nur  annähernd  gleicher  Schärfe  ge- 
sehen, als  hier.  Fine  interessante  Aehnlichkeit  zwischen  dem  Aus- 
sehen der  Ringe  A und  B ist  höchst  auffallend:  Ihre  Verschieden- 

heiten scheinen  lediglich  auf  Helligkeitsunterschieden  zu  beruhen.  — 
Uranus  hat  bisher  noch  nicht  gut  gesehen  werden  können,  da 
unser  Winterwetter  nicht  günstig  ist  — Ich  glaube  endlich  mit  Be- 
stimmtheit behaupten  zu  können,  dafs  Neptun  innerhalb  20"  Distanz 
keinen  bisher  unbekannten  Trabanten  besitzt  sowie  dafs  seine  Scheibe 
kreisförmig  und  frei  von  Flecken  ist. 


Die  Sonnenfinstemifs  vom  1.  Januar  1889  ist  überall  in  Kali- 
fornien beobachtet  worden,  sowohl  durch  Expeditionen,  die  von  Seiten 
der  Sternwarten  des  Harvard  College,  des  Carlton  College,  der  Washing- 
ton University  u.  s.  w.  entsandt  waren,  als  auch  von  vielen  astrono- 
nomischen  Liebhabern  und  Photographen.  Die  Liokstemwarte  hatte 
ein  Schriftchen  mit  Rathschlägen  für  die  Beobachter  der  Finsternifs 
in  weite  Kreise  verbreitet  und  trug  so  dazu  bei,  dafs  Zeichnungen,  Be- 
obachtungen und  Photogramme  nach  einem  einheitlichen  Plane  erhalten 
wurden.  Unsere  photographischen  Instruktionen  waren  von  M.  Burn- 
ham  verfarst  und  haben,  wo  sie  befolgt  worden  sind,  gute  Resultate 
erzielt.  Eine  der  bemerkenswerthesten  Thatsachen  bei  der  Beobach- 
tung dieser  Finsternifs  war  das  geschlossene  Zusammengehen  der  Lick- 
stemwarte  milder  „Amateur  Photographie  Association“  von  Kalifornien. 
Eine  grofse  Anzahl  der  Mitglieder  dieser  Gesellschaft  betheiligte  sich 
an  einem  Verfahren,  durch  welches  Negativs  der  Corona  nach  einem  ein- 
heitlichen System  bei  den  verschiedensten  Belichtungszeiten  gewonnen 
wurden.  Die  Diskussion  der  von  diesen  Herren  erhaltenen  160  oder 
mehr  Negativs  wird  werthvolle  photometrische  Data  liefern  und  die  Frage 
nach  den  für  die  verschiedenen  Theile  der  Corona  geeigneten  Belichtungs- 
zeiten unter  anderem  vollständig  lösen.  Eine  Expedition  ward  auch 
von  der  Licksternwarte  selbst  in  die  Zentralitätszone  entsandt  und 
glückten  dieser  sowohl  vortreffliche  Corona-Photograinme  (aufgenommen 


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444 


von  Mr.  Barnard*),  als  auch  spektroskopisohe  Beobachtungen  (zur 
Wiederholung  der  Untersuchungen  von  Professor  Hastings  aus  dem 
Jahre  1883)  und  photometrische  Messungen  der  totalen  von  der  Corona 
ausgesandten  Lichtmengo.  Auch  auf  dem  Mt.  Hamilton  selbst  wurde 
eine  Reihe  von  photoheliograpliischen  Bildern  der  partiell  verfinsterten 
Sonne  genommen.  In  jeder  Beziehung  scheinen  die  von  den  verschie- 
denen Parteien  erlangten  Photogramme  dieser  Finstemifs  diejenigen 
von  irgend  einer  früheren  Finstemifs  zu  übertreffen  und  wir  können 
interessante  Ergebnisse  von  ihrem  Studium  erwarten.  Besonders  zeigen 
sich  die  polaren  Lichtstreifen  weit  schöner,  als  auf  älteren  Bildern. 
Die  Corona  von  1889  ähnelt  auffallend  der  von  1878  und  1867  und 
es  scheint  somit  jetzt  ausgemacht  zu  sein,  dafs  die  charakteristische 
Gestalt  der  Corona  mit  der  Sonnenfieckonhäufigkeit  und  also  auch  mit 
den  ihr  so  sehr  ähnlichen  Nordlichterscheinungen  zusammenhängt. 


*)  Eines  dieser  Corona  - Phologramme  werden  wir  in  unserer  nächsten 
Nummer,  gleichfalls  in  heliographischer  Nachbildung,  naeh  einem  uns  vom 
Herrn  Prof.  Holden  zur  Verfügung  gestellten  Glasphotogramm  veröffentlichen. 

Die  Red. 


(Schlufs  folgt.) 


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Neuere  Theorieen  der  Luft-  und  Gewitter -Elektricität. 

Von  Professor  L.  Sohnoke  in  München. 


l)iR  grofsartigo  Erscheinung  des  Gewitters  mufs  auf  das  Menschen- 
’ i|  zj-  geschlecht  in  seiner  Kindheit  einen  unvergleichlich  gewaltigeren 
Eindruok  gemacht  haben  als  auf  das  heutige  Geschlecht.  Denn 
während  die  civilisirte  Menschheit  der  Gegenwart  im  Gewitter  nur  eine 
besonders  mächtige  Bethätigung  physikalischer  Kräfte  erblickt,  deren 
verderblichen  Wirkungen  sie  sogar  mit  voller  Sicherheit  zu  begegnen 
weifs,  konnten  die  ältesten  Völker  — wie  noch  heute  die  Wilden  — 
gegenüber  den  höheren  Gewalten  nur  ihre  völlige  Ohnmacht  empfinden; 
ja  man  geht  gewifs  nicht  fehl,  wenn  man  den  Ursprung  des  Götter- 
glaubens zu  einem  wesentlichen  Theil  auf  diese  Naturereignisse  zurück- 
fiihrt,  in  denen  der  Mensch  die  göttliche  Stimme,  die  Stimme  des 
Donnerers,  unmittelbar  zu  vernehmen  glaubte.  Wenn  nun  auch  ge- 
wifs  schon  Jahrtausende  verflossen  sind,  seit  in  denkenden  Köpfen 
die  Ueberzeugung  aufzudämmern  begann,  dafs  dem  Gewitter  ebenso 
wie  anderen  Naturerscheinungen  natürliche  Kräfte  zu  Grunde  liegen, 
so  hat  es  doch  bekanntlich  bis  gegen  die  Mitte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts gedauert,  ehe  die  elektrische  Natur  des  Gewitters  hier  und 
da  zunächst  geahnt,  sodann  von  Winkler  bestimmt  erkannt  und  von 
Franklin  unwiderleglich  bewiesen  wurde.  Es  konnte  nicht  fehlen, 
dafs  man  bei  Gelegenheit  dieser  Untersuchungen  auch  bald  auf  die 
gewöhnliche  Luftelektricität  aufmerksam  wurde,  die  sich  dadurch  be- 
thätigt,  dafs  ein  beliebiger  Funkt  der  Atmosphäre  fast  jeder  Zeit  in 
anderem  elektrischen  Zustande  befindlich  ist  als  der  Erdboden  unter  ihm. 

Die  Entdeckung  der  elektrischen  Natur  des  Gewitters  bezeichnet 
sicherlich  einen  der  gewaltigsten  Fortschritte  in  unserer  Naturerkennt- 
nifs.  Wie  uns  aber  jede  neue  Entdeckung  sofort  wieder  vor  neue 
Rüthsei  stellt,  so  mufsten  sioh  auoh  hier  sogleich  die  Fragen  aufdrängen : 
woher  denn  beim  Gewitter  die  gewaltigen  Ansammlungen  von  Elek- 
tricität entspringen,  und  welches  die  Quelle  der  gewöhnlichen  atrno- 


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sphärischen  Elektricität  sei.  Obgleich  nun  seit  der  Franklinschen 
Entdeckung  bald  ein  und  ein  halbes  Jahrhundert  verflossen  sein  wird, 
so  kann  man  doch  bis  auf  den  heutigen  Tag  noch  nicht  behaupten, 
dafs  schon  eine  endgiltige  und  alle  Zweifel  ausschliefsende  Antwort 
auf  diese  Fragen  gegeben  sei.  In  einem  vor  wenigen  Jahren  er- 
schienenen Schriftchen *)  führt  Hr.  Suchsland  nicht  weniger  als  24 
bis  dahin  aufgestellte  Theorieen  der  Luft-  und  Gewitter-Elektricität 
vor;  und  seither  sind  schon  wieder  mehrere  neue  hinzugekommen. 
Eine  der  von  Suchsland  aufgezählten  Theorieen  rührt  vom  Verfasser 
dieser  Zeilen  her**);  dieselbe  hat  bis  jetzt  zwar  hier  und  da  Wider- 
spruch, aber  keinerlei  Widerlegung  erfahren;  ich  werde  weiter  unten 
auf  sie  zuriickkommen. 

Die  früheren  Erklärungsversuche  sind  fast  sämtlich  als  unhaltbar 
erkannt;  und  diejenigen  von  ihnen,  für  welche  diese  Behauptung  nicht 
zutrifft,  sind  jedenfalls  nicht  durch  so  überzeugende  Gründe  gestützt, 
dafs  sie  für  sonderlich  wahrscheinlich  gelten  könnten.  Auf  alle  diese 
Hypothesen  soll  nicht  weiter  eingegangen  werden.  Dagegen  ist  es 
der  Zweck  dieser  Zeilen,  mehrere  seit  dem  Erscheinen  meiner  Schrift 
veröffentlichte  Theorieen  einer  genaueren  Prüfung  zu  unterwerfen. 
Nicht  auf  alle  seither  geiiufserten  Ansichten  soll  eingegangen  werden; 
namentlich  werden  solche  Erklärungsversuche,  welche  die  Ursache 
der  atmosphärischen  Elektricität  in  Vorgängen  Anden,  bei  denen  nach- 
gewiesenermafsen  keine  Elektricität  entsteht,  (z.  B.  Reibung  von  Luft 
oder  Wasserdampf  an  anderen  Körpern)  unerwähnt  bleiben,  denn  sie 
entbehren  des  festen  Fundaments  der  Erfahrung.  Immerhin  sind  es 
vier  verschiedene  Erklärungsversuche,  für  welche  ich  die  Aufmerk- 
samkeit des  geneigten  Lesers  in  Anspruch  nehmen  möchte,  es  sind 
die  der  Herren  Suchsland,  Wu rst er,  F.  Einer  und  ganz  besonders 
der  des  Hrn.  Arrhenius.  Das  Hauptaugenmerk  soll  dabei  nicht  so- 
wohl darauf  gerichtet  werden,  wio  sich  die  thatsächlichen  elektrisch- 
meteorologischen  Erscheinungen  aus  der  angenommenen  Ursache  ab- 
leitcn  lassen,  als  vielmehr  darauf,  ob  diese  Ursache  auch  sicher  und 
wohlbegründet  erscheint. 

Die  Suchslandsche  Theorie  nimmt  ihren  Ausgang  von  der 
altberühmten  Voltaschen  Säule,  die  durch  wiederholte  Aufschichtung 
der  drei  Substanzen:  Kupfer,  Zink,  feuchter  Leiter;  Kupfer,  Zink, 

*)  E.  Such sland:  Die  gemeinschaftliche  U rsachc  der  elektrischen  Mc- 
teoro  und  des  Hagels.  Halle  a.  S.  188G.  8°.  59  3. 

**)  L.  Sohnckc:  Der  Ursprung  der  Gewitter-Elektricität  und  der  ge- 
wöhnlichen Elektricität  der  Atmosphäre.  Jena.  Fischer.  1S85.  74  S. 


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feuchter  Leiter;  . . . entsteht;  nur  dafs  das  Zink  durch  Blei  ersetzt 
und  der  Aufbau  mit  Absicht  unregelmäfsig  bewerkstelligt  wird.  „Wir 
stellen  uns  eine  Anzahl  Voltascher  Elemente  aus  Schrotkürnem  und 
Zündhütchen  ohne  Füllung  her,  indem  wir  zwei  und  zwei  zusammen- 
klopfen. Zwischen  eine  gröfsere  Zahl  derselben  mischen  wir  Kugeln 
aus  angefeuchtetem  Seidenpapier,  alles  zusammen  binden  wir  in  einen 
Schleier  zur  Form  einer  Kugel  zusammen.  Es  zeigt  sich,  dafs  ein  der- 
artiges Conglomerat  zwei  Pole  hat,  bei  deren  Berührung  das  Galvano- 
meter eine  besonders  starke  Ablenkung  erfahrt.“  Dies  ist  nicht  über- 
raschend; das  Gegentheil:  die  elektrische  Neutralität  des  ganzen  Ge- 
bildes wäre  überraschend  gewesen,  weil  diese  sich  nur  bei  ganz 
speziellen,  also  im  allgemeinen  sehr  unwahrscheinlichen  Anordnungen 
der  gegebenen  Anzahl  von  galvanischen  Elementen  hätte  hersteilen 
können. 

Als  Gebilde  von  ganz  analogem  Bau  wie  diese  „Voltaschen  Con- 
glomerate“  fafst  nun  Hr.  Suchsland  jede  Gewitterwolke  und  jede  Hagel- 
wolke auf.  Freilich  (Inden  sich  im  Gewölk  keine  Metalle;  an  ihre 
Stelle  treten  die  beiden  Gase  Stickstoff  und  Sauerstoff,  aus  denen  die 
Atmosphäre  zusammengesetzt  ist.  „Wir  sind  berechtigt,  eine  Gewitter- 
wolke als  ein  grofses  Voltasches  Conglomerat  absoluter  Gaselemente 
(Stickstoff,  Sauerstoff,  Wasser)  anzusehen,  in  welchem  vor  dem  Aus- 
bruch des  Gewitters  die  Gasmoleküle  beliebige  Lagerung  zu  einander 
haben.“  Im  allgemeinen  werden  dabei  an  den  einzelnen  Punkten  der 
Wolke  elektrische  Spannungen  irgend  welcher  Gröfse  auftreton.  Wenn 
dieselben  eine  gewisse  Intensität  erreichen,  „werden  dio  Elektricitäts- 
Centren  aktiv,  indem  sie  die  benachbarten  Luftatome  nach  ihrer  Po- 
larität ordnen.  Geordnet  verstärken  dann  ihrerseits  die  benachbarten 
absoluten  Gaselemente  das  aktive  Elektricitätscentrum  und  so  bildet 
dieses  einen  Gewitterherd,  von  dem  aus  die  ganze  Wolke,  so  weit  sie 
durch  genügende  Einlagerung  von  Wasserkügelchen  dazu  fähig  ist, 
mit  wachsender  Geschwindigkeit  in  ein  aktives  Voltasches  Conglomerat 
verwandelt  wird.“ 

Drei  verschiedene  Annahmen  sind  es,  auf  denen  diese  Theorie 
beruht:  Die  elektrische  Erregung  verschiedenartiger  Gase  durch  Be- 
rührung; die  Wirksamkeit  einer  aus  Isolatoren  gebauten  Voltaschen 
Säule;  endlich  eine  eigentümliche  Wirkung  der  Voltaschen  Säule  auf 
eine  sie  umgebende  Wolke,  darin  bestehend,  dafs  die  benachbarten 
elektrischen  Gastheilchen  sich  alternirend  nach  ihrer  Polarität  ordnen. 
Herr  Suchsland  begnügt  sich  im  wesentlichen  mit  einem  Begrün- 
dungsversuch für  die  erste  Annahme;  viel  flüchtiger  verweilt  er  bei 


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der  letzten;  die  zweite  aber  führt  er  stillschweigend  ohne  weitere  Recht- 
fertigung ein. 

Dafs  verschiedene  Oase  elektromotorisch  aufeinander  wirken,  wird 
aus  Versuchen  gefolgert,  welche  örove  und  Beetz  mit  sog.  Gas- 
batterieen  angestellt  haben.  Die  Bedingungen,  unter  denen  diese  Phy- 
siker arbeiteten,  waren  freilich  wesentlich  andere,  als  in  der  freien 
Luft  verwirklicht  sind.  Nichtsdestoweniger  darf  der  Satz,  dafs  sich 
zwei  verschiedene  Gase  durch  Berührung  entgegengesetzt  elektrisch 
laden,  immerhin  als  wahrscheinlich  gelten,  freilich  — wie  mir  scheint 
— nur  unter  der  Einschränkung,  dafs  einzelne  Gasatome 
zum  Kontakt  gelangen.  Dagegen  ist  es  recht  unwahrscheinlich, 
dafs  die  zweiatomigen  Sauerstoffmolekeln  und  die  zweiatomigen  Stick- 
stoffmolekeln, deren  chemisch  indifferentes  Gemenge  unsere  atmosphä- 
rische Luft  bildet,  bei  der  Berührung  elektrisch  werden  sollten. 

Wenn  letzteres  aber  auch  zugegeben  wird,  so  ist  doch  das  von 
dem  Erfinder  der  Theorie  in  Gedanken  aufgebaute  Gebilde  einer  aus 
Isolatoren  zusammengesetzten  Voltaschen  Säule  in  der  Physik  uner- 
hört. Es  besteht  aber  wirklich  aus  Isolatoren  1 Denn  die  Gase  unserer 
Atmosphäre  gehören,  bei  mäfsigen  Drucken,  zu  den  besten  Nichtleitern, 
die  wir  kennen.  Ja  auch  das  absolut  reine  destillirte  Wasser  ist  nach 
Herrn  F.  Kohlrauschs  Ermittelungen  ein  ganz  ungemein  schlechter 
Leiter  der  ElektricitäL  Die  Tröpfchen  der  Wolken  sind  aber  solches 
destillirtes  Wasser  von  ungemeiner  Reinheit  (Nur  wo  sich  zufällig 
geringe  Salpetersäuremengen  in  der  Luft  vorfinden,  worauf  Hr,  Suchs- 
land  hinweisl,  werden  die  Tröpfchen  etwas  besser  leiten.)  Es  besteht 
also  die  aus  Stickstoff,  Sauerstoff,  Wasser  aufgestellte  Voltasche  Säule 
aus  zwei  unzweifelhaften  Isolatoren  und  einem  in  den  allermeisten 
Fällen  ebenfalls  ungemein  schlechten  Leiter.  Ehe  nun  nicht  durch 
Laboratoriumsversuche  nachgewiesen  ist,  dafs  eine  in  solcher  Art  aus 
Nichtleitern  aufgobaute  Säule  analoge  Wirkungen  zu  äufsem  vermag 
wie  eine  in  gewöhnlicher  Art  aus  Leitern  zusammengesetzte  Voltasche 
Säule,  kann  die  vorliegende  Theorie  nicht  den  Anspruch  erheben, 
auch  nur  auf  einigennafsen  sicherem  Fundament  zu  ruhen. 

Hierzu  kommt  nun  noch  die  völlige  Unsicherheit  der  dritten  An- 
nahme, dafs  durch  diese  Voltasche  Säule  in  der  Umgebung  eine  altcr- 
nirende  Lagerung  der  entgegengesetzt  elektrischen  Gastheilchen  be- 
wirkt werde.  Zur  Herstellung  einer  solchen  Anordnung  würde  doch 
erforderlich  sein,  dafs  die  Stickstoff-  und  Sauerstoffmolekeln  der  Luft 
nicht  frei  beweglich  wären.  So  lange  sie  nämlich  frei  sind,  müssen 
die  durch  Kontakt  positiv  elektrisch  gewordenen  Theilchen  sich  in  die 


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N'iihe  des  negativen  Pols  der  Säule  begeben,  die  negativen  Theilchen 
zum  anderen  Pol.  Nun  citirt  Hr.  Suchsland  freilich  Groves  Auto- 
rität für  seine  Ansicht,  auch  spricht  er  von  einer  elektrischen  Fesse- 
lung der  Gastheilchen  und  macht  dieselbo  sogar  für  die  Abkühlung 
in  der  Gewitter-  und  Hagelwolke  verantwortlich.  Aber  man  sieht  sich 
vergeblich  nach  wirklichen  Gründen  um,  durch  welche  ein  solcher 
Vorgang  auch  nur  einigermafsen  wahrscheinlich  gemacht,  geschweige 
denn  bewiesen  würde. 

Wenn  so  zwei  von  den  drei  Annahmen,  auf  denen  die  Theorie 
ruht,  durchaus  unerwiesen  und  von  vornherein  unwahrscheinlich  sind, 
und  wenn  auch  die  dritte  nur  mit  einer  Einschränkung  für  wahr- 
scheinlich gelten  kann,  so  erscheint  der  Ausspruch  wohl  berechtigt, 
dafs  durch  diese  Theorie  das  Räthsel  der  Luftelektricität  kaum  gelöst 
sein  dürfte. 

Auf  gänzlich  anderer  Grundlage  ruht  die\V  urstersche  Theorie.*) 
Nach  ihr  sind  die  elektrischen  Erscheinungen  der  Atmosphäre  eine 
Folge  der  Sonnenstrahlung,  und  zwar  vermöge  der  Ozonbildung,  die 
stets  von  Elektricitätsentwickelung  begleitet  sei.  Hr.  Wurster  argu- 
mentirt  folgendermafsen. 

Wo  Sonnenstrahlen  auf  Sauerstoff  und  Wasser  treffen,  wird  hier 
und  da  eine  Sauerstofl'molekel  in  ihre  zwei  Atome  gespalten.  Eins 
derselben  verbindet  sich  mit  einer  ungespaltenen  Sauerstoffmolekel  zu 
Ozon,  das  andere  mit  einer  Wassermolekel  zu  Wasserstoffsuperoxyd. 
„So  bildet  sich  Ozon  durch  Bestrahlung  immer  in  den  obersten  Nebel- 
schichten der  Wolken.“  Hr.  Wurster  hat  das  vielfach  beobachtet, 
wenn  er  bei  Seefahrten  bald  in  Nebelmassen  ein-,  bald  aus  solchen 
heraustrat.  Wenn  demnach  Wolken  von  oben  her  wachsen,  also  immer 
neue  Nebelschichten  von  oben  her  sich  auf  der  Wolke  ablagern,  so 
bilden  sich  dort  im  Sonnenschein  immer  neue  Ozonmengen.  Aber  die 
geringste  hochgelegene  feine  Wolkenschicht,  wenn  auch  die  Sonne 
noch  so  deutlich  zu  erkennen  ist,  verhindert  unten  die  Bildung  von 
Ozon;  auch  zeigt  sich  kein  Ozon  in  dichtem,  tagelangem  Nebel. 

Hr.  Wurster  ist  nun  der  Ansicht,  dafs  überall,  wo  Ozon  entsteht, 
auch  negative  Elektricität  auftritt  Denn  „alle  Autoren,  die  sich  mit 
den  elektrischen  Eigenschaften  des  Ozons  beschäftigt  haben,  schreiben 
ihm  starke  negativ-elektrische  Eigenschaften  zu.“  „Ist  in  den  der 

•)  C.  Wurster:  Die  Aktivirung  des  Sauerstoffs  der  Atmosphäre  und 
deren  Zusammenhang  mit  den  elektrischen  Erscheinungen  der  Luft  und  mit 
der  Entstehung  der  Gewitter.  Her.  d.  deutsch,  ehern.  Ges.  Jahrgang  19.  Berlin 
1886.  8°.  9 S. 


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Sonne  zugekehrten  Schichten  der  Wolke  Ozon  vorhanden,  so  wird 

dieser  Theil  der  Wolke  sich  stark  negativ  zeigen.“ „Bis  wird 

so  nach  und  nach  die  ganze  obere  Wolke  negativ-elektrisch  werden, 
und  wenn  die  elektrische  Spannung  zu  grofs  wird,  ein  Ausgleich  mit 
der  Erde  stattfinden,  der  Blitz  zur  Eide  schlagen.“ 

Bei  diesen  Ueberlegungen  ist  jedoch  auf  einen  Umstand  keine 
Rücksicht  genommen,  der  die  ganze  Schlufsfolgerung  zu  nichte  macht. 
Wenn  das  entstehende  Ozon  negativ-elektrisch  ist,  so  mufs  gleichzeitig 
eine  gleiche  Menge  positiver  Elektrizität  entstanden  sein,  denn  in  der 
ganzen  Physik  ist  kein  Vorgang  bekannt,  bei  dem  nur  eine  Art  von 
Elektrioität  entstände.  Immer  und  überall  zeigt  sich  die  Bildung  einer 
Menge  von  einer  Elektricitätsart  begleitet  von  der  Bildung  einer 
gleichen  Menge  der  entgegengesetzten  Elektricitätsart.  Somit  erhebt 
sich  unabweislich  die  Frage:  Wenn  das  entstandene  Ozon  wirklich 

negativ-elektrisch  ist,  wo  ist  dann  die  gleiche  Menge  positiver  Elek- 
tricitiit  hingekommen?  Und  aus  welcher  Ursache  trennen  sich  im  vor- 
liegenden Fall  die  beiden  entgegengesetzt  geladenen  Körper:  das  nega- 
tive Ozon  und  der  andere  positive  Körper  soweit  von  einander,  dafs 
ganze  Wolkenmassen  vermöge  ihres  Ozongehalts  negativ  werden? 
Auf  diese  Frage  bleibt  die  Wurstersche  Theorie  die  Antwort  schuldig; 
ja  sie  stellt  die  Frage  nicht  einmal.  Und  dadurch  ist  der  Beweis  ge- 
liefert, dafs  sie  nicht  die  wahre  Theorie  der  elektrischen  Erscheinungen 
der  Atmosphäre  sein  kann. 

Die  beiden  noch  zu  besprechenden  Theorieen,  so  verschieden  sie 
auch  im  übrigen  sind,  haben  das  gemein,  dafs  sie  beide  auf  eine 
schon  früher  ausgesprochene  und  namentlich  von  Peltier  vertretene 
Ansicht  zurückgreifen,  nach  welcher  der  Erdkörper  von  Anfang  an 
mit  einer  bestimmten  Menge  negativer  Elektrioität  geladen  sein  soll. 
Diese  Ansicht  ist  natürlich  weder  direkt  beweisbar  noch  widerlegbar, 
sie  kann  ebensowohl  wahr  wie  falsch  sein.  Für  die  Veränderungen 
der  atmosphärischen  Elektricität  und  für  die  Entstehung  der  Gewitter 
ist  es  nun  erforderlich,  dafs  wenigstens  ein  Theil  der  elektrischen 
Ladung  des  Erdkörpers  von  der  festen  oder  flüssigen  Erdoberfläche 
zu  den  Wolken  hinaufsteige.  Dieser  letztere  Vorgang  wird  in  den 
beiden  Theorieen  durchaus  verschieden  aufgefafst. 

Zunächst  betrachte  ich  die  von  Herrn  F.  Exner  entwickelte 
Vorstellung.*)  Nach  dieser  sind  es  die  von  den  Gewässern  oder  von 
dem  feuchten  Boden  aufsteigenden  Wasserdämpfe,  welche  die  Ueber- 

*)  F.  Exner:  lieber  die  Ursache  und  die  Gesetze  der  aliuosphär.  Elek- 
tricität Wiener  Berichte.  93.  II.  Abth.  Febr.-Heft  1H86. 


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führung  der  Elektricität  von  der  Erde  zur  Wolkenregion  vermitteln. 
Allerdings  war  früher  von  Herrn  Blake  durch  sorgfältige  Labora- 
toriumsversuche nachgewiesen,  dafs  die  von  einer  elektrisirten  Flüssig- 
keit aufsteigenden  Dampfe  keine  nachweisbare  Spur  von  Elektricität 
mit  sich  nehmen.  Hiergegen  wendet  aber  Herr  Exner  zunächst  ein, 
dafs  elektrisirte  Flüssigkeiten  schneller  verdampfen  als  unelektrische, 
woraus  auf  eine  Mitnahme  der  Elektricität  zu  schliefsen  sei.  Ferner 
glaubte  er  durch  anders  angeordnete  Versuche  mit  schnell  verdampfen- 
den Flüssigkeiten  eine  solche  Mitnahme  thatsächlich  erweisen  zu  können. 

Durch  eingehende  Versuche  habe  ich  indessen  gezeigt,*)  dafs  beide 
Argumente  nicht  zutreffen.  Die  schnellere  Verdampfung  bei  den  als 
Hauptbeweis  angeführten  Mascartschen  Versuchen  und  auch  sonst  ist 
eine  nothwondigo  Folge  der  durch  elektrischen  Wind  gesteigerten  Luft- 
bewegung. Von  den  Versuchen  aber,  welche  die  Elektricitätsmitnahme 
durch  Dämpfe  unmittelbar  zu  beweisen  schienen,  konnte  ich  zeigen,  dafs 
sie  nothwendigerweise  anders  gedeutet  werden  müssen,  für  das  eigent- 
liche Ziel  also  ganz  beweisunkräftig  sind.  Aufserdem  habe  ich  dann 
durch  zahlreiche  neue  Versuche  nach  einer  vollkommen  anderen  Methode 
nochmals  erhärtet,  dafs  die  von  elektrisirtem  Wasser  oder  Aetlier 
aufsteigenden  Dämpfe  durchaus  keine  merklichen  Mengen  von  Elek- 
tricität fortführen.  Hiermit  ist  der  Exn ersehen  Theorie  der  Boden 
entzogen.  Denn  wenn  der  aufsteigende  Wasserdampf  unfähig  ist,  die 
an  der  Erdoberfläche  als  vorhanden  vorausgesetzte  negative  Elek- 
tricität mit  sich  eraporzunehmen,  so  bleibt  es  völlig  unerklärt,  auf 
welche  Art  die  bei  jedem  Gewitter  thatsächlich  eintretenden  gewaltigen 
Elektricitätsansammlungen  in  den  Wolken  zu  stände  kommen.  Diese 
Theorie  kann  also  nicht  länger  aufrecht  erhalten  werden. 

2. 

Die  Arrheniussche  Theorie,**)  zu  der  ich  mich  jetzt  wende, 
beruht  auf  zwei  Annahmen.  Die  erste  besteht,  wie  erwähnt,  darin, 
den  Erdkörper  als  von  Uranfang  an  mit  einer  bestimmten  negativen 
Ladung  versehen  zu  denken.  Die  zweite  lautet  so:  Unter  Einflufs 
direkter  Bestrahlung  von  der  Sonne  wird  die  Luft,  welche  für  ge- 
wöhnlich ein  vollkommener  Isolator  ist,  in  geringem  Grade  leitend, 

*)  L.  Sohncke:  Beiträge  zur  Theorie  der  LuftelektricitäL  Sitz.  Ber.  d. 
k.  bayerischen  Akad.  d.  Wiss,  1888. 

**)  S.  Arrhenius:  lieber  den  Einilufe  der  Sonnenstrahlung  auf  die  elek- 
trischen Erscheinungen  in  der  Erdatmosphäre.  Meteorolog.  Zeitschr,  Berlin 
1888.  S.  297  und  348. 


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und  zwar  nicht  nach  Art  der  Metalle,  sondern  nach  Art  der  Elektro- 
lyte  oder  zersetzbaren  Leiter  (z.  B.  der  Salzlösungen).  Anstatt  ver- 
mittelst der  in  der  vorigen  Theorie  herangezogenen  Dämpfe  würde 
also  unmittelbar  durch  elektrische  Leitung  negative  Elektricität  von 
der  Erdfeste  zu  den  Tröpfchen  der  Wolken  hinaufgeführt,  welche 
sich  dadurch  laden.  Die  Luft  selbst  ladet  sich  nicht;  erfahrungsgemäfs 
ist  nämlich  ein  Gas  unfähig  statische  Ladungen  anzunehmen.  Wenn 
so  „durch  Sonnenstrahlen  Elektricität  von  der  Erde  auf  die  Wolken 
transportirt  ist“,  so  6ind  durch  Bewegungen  der  geladenen  Tröpfchen, 
sei  es  in  horizontaler,  sei  es  in  vertikaler  Richtung,  besonders  aber 
durch  Vereinigung  mehrerer  zu  einem  greiseren  Tropfen,  die  mannig- 
faltigen Erscheinungen  der  Luftelektricität  und  wohl  auch  die  Ent- 
stehung von  Gewittern  einigermafsen  begreiflich. 

Herr  Arrhenius  hat  den  zweiten  Fundamentalsatz  seiner  Theorie, 
den  Satz,  dafs  sonnenbestrahlte  Luft  elektrolytisch  leitet, 
durchaus  nicht  leichthin  hypothetisch  aufgestellt,  sondern  zum  Beweise 
desselben  sowohl  selber  eingehende  Experimentaluntersuchungen  aus- 
geführt, als  auch  die  Versuche  Anderer  herbeigezogen,  so  dafs  der 
Satz  zunächst  als  wohlbegründet  erscheinen  könnte.  Indessen  wird 
es  doch  nicht  überflüssig  sein  zu  untersuchen,  ob  aus  den  einschlä- 
gigen Beobachtungen  wirklich  auf  die  Leitung  bestrahlter  Luft  ge- 
schlossen werden  darf.  Und  diese  Untersuchung  ist  um  so  noth- 
wendiger,  als  etwa  gleichzeitig  mit  und  dann  auch  nach  dem  Erscheinen 
von  Herrn  Arrhenius’  meteorologischer  Abhandlung  noch  eine  ganze 
Reihe  von  Experimentaluntersuchungen  über  diesen,  durch  eine  merk- 
würdige Entdeckung  des  Herrn  Hertz  in  den  Vordergrund  des  phy- 
sikalischen Interesses  gerückten  Gegenstand  bokannt  gemacht  worden 
ist*),  welche  den  von  Arrhenius  als  Leitung  gedeuteten  Vorgang 
doch  in  einem  recht  anderen  Lichte  erscheinen  lassen.  Indem  wir 
mit  dieser  Untersuchung  ein  erst  ganz  kürzlich  erschlossenes  Er- 
scheinungsgebiet betreten,  wird  es  unumgänglich  nothwendig  sein,  in 
buntem  Wechsel  die  mannigfaltigsten  Versuchsanordnungen  der  ver- 
schiedenen Experimentatoren  vorzuführen,  damit  aus  der  Gesamtheit 
der  Beobachtungen  schliefslich  das  eigentliche  Wesen  der  fraglichen 
Erscheinung  deutlich  und  unzweifelhaft  hervortrete. 

Vor  der  Beschreibung  der  Versuche  wird  es  nützlich  sein,  mit 
ein  paar  Worten  auf  den  Begriff  der  elektrolytischen  Leitung  ein- 
zugehen. Man  kennt  elektrolytische,  d.  h.  mit  chemischer  Zerlegung 

*)  Fast  sämtlich  in  Wiedemanns  Annalen  der  Physik  und  Chemie, 
Jahrg.  ISS7  und  1SS8;  sowie  in  den  Comptes  rendus  der  Pariser  Akademie  IS8S. 


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verknüpfte  Eloktricitätsleitung  bisher  nur  bei  chemischen  Verbindungen, 
(z.  B.  bei  verdünnter  Schwefelsäure  oder  bei  Metallsalzlösungen  und 
dergl).  Beim  Durchgänge  des  elektrischen  Stromes  scheidet  sich  dann 
der  elektropositive  Bestandtheil  der  Verbindung  an  jener  Stelle  ab,  wo 
der  Strom  den  zersetzbaren  Leiter  verläfst,  der  andere,  eloktronegative 
Bestandtheil  dagegen  da,  wo  der  Strom  eintritt  Auf  diesem  Verhalten 
beruht  ja  der  galvanoplastische  Prozefs;  denn  in  der  wässerigen 
Lösung  eines  Metallsalzes,  z.  B.  des  Kupfervitriols,  ist  das  Metall 
(Kupfer)  der  elektropositive  Bestandtheil,  der  Säurerest  des  Salzes  der 
elektronegative. 

In  welcher  Weise  soll  man  sich  aber  bei  der  Luft  den  Vorgang 
der  elektrolytischen  Leitung  denken?  Soll  man  annehmen,  dafs  in 
der  zweiatomigen  Sauerstoffmolekel  das  eine  Sauerstoffatom  elektro- 
positiv,  das  andere  elektronegativ  sei  ? Dafür  liegt  aber  kein  sonstiger 
Grund  vor.  Auch  miifstc  dann  beim  Durchgang  des  elektrischen 
Stroms,  wobei  die  Molekeln  in  ihre  entgegengesetzt  elektrischen 
Bestand theile  zerfallen,  an  der  Eintrittsstelle  des  Stroms  nur  ne- 
gativer, an  der  Austrittsstelle  nur  positiver  Sauerstoff  auftreten. 
Aber  eine  derartige  Erscheinung  ist  gänzlich  unbekannt!  Die- 
selbe Schwierigkeit  erhebt  sich  gegen  die  Annahme,  dafs  die  zwei- 
atomigen Stickstoffmolekeln  den  Strem  elektrolytisch  leiten.  Oder 
soll  man  annehmen,  dafs  die  beiden  Gase,  Sauerstoff  und  Stickstoff, 
die,  mechanisch  durcheinander  gemischt  und  ohne  gegenseitige 
chemische  Einwirkung,  unsere  Atmosphäre  zusammensetzen,  in  Wahr- 
heit kombinirte  ..  Sauerstoff  - Stickstoff  - Molekeln  “ bilden,  in  denen 
der  Stickstoff  dann  die  Rolle  des  positiven,  der  Sauerstoff  die  des  ne- 
gativen Bestandtheils  spielen  würde?  Dann  müfste  infolge  der  elektro- 
lytischen Leitung  an  dem  negativen  Erdboden,  der  positive  Stickstoff, 
in  gTÖfseren  Höhen  der  negative  Sauerstoff  in  überwiegender  Menge 
auftreten.  Davon  ist  aber  nicht  das  mindeste  bekannt.  Die  Mischung 
der  Luft  ist  bis  in  die  gröfsten  Höhen  hinauf  stets  ganz  gleichmäfsig 
gefunden  worden!  Oder  soll  man  endlich  vielleicht  den  der  Luft  bei- 
gemengten Wasserdampf  als  den  eigentlichen  Elektrolyten  ansehen? 
Aber  das  geht  doch  gar  nicht  an,  nachdem  bei  reinstem  Wasser  die 
fast  völlige  Abwesenheit  elektrischer  Leitungsfähigkeit  nachgewiesen 
ist  Diese  Ueberlegungen  scheinen  wohl  geeignet,  gleich  von  vorno- 
herein, schon  vor  Kenntnifsnahme  der  Versuche,  die  begründetsten 
Bedenken  gegen  die  Vorstellung  von  einer  elektrolytischen  Lei- 
tung der  Luft  zu  erwecken.  Fassen  wir  jedoch  nun  die  Versuche 
selbst  genauer  ins  Auge! 

Himmel  und  Erde.  I.  8.  3.') 


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454 


Herr  Arrhenius  knüpft  an  eine  vor  etwa  zehn  Jahren  ver- 
öffentlichte merkwürdige  Beobachtung  des  Herrn  Hittorf  an.  Jeder- 
mann kennt  die  Geifslerschen  Röhren,  d.  h.  Glasröhren,  aus  denen 
die  Luft  bis  auf  einen  geringen  Rest  (vom  Druck  einer  Quecksilber- 
säule von  wenigen  Millimetern  oder  auch  nur  von  einem  Bruchtheil 
eines  Millimeters)  ausgepumpt  ist.  Die  Füllung  einer  solchen  Röhre 
wird  bekanntlich  hell  leuchtend,  wenn  hochgespannte  Elektricität  die 
Röhre  von  einem  Endo  zum  andern  durchfliefst.  Zur  Ein-  und  Aus- 
führung des  elektrischen  Stromes  dienen  Drähte  von  Platin  oder 
Aluminium,  die  in  die  Rohrenden  eingeschmolzen  sind.  Herr  Hittorf 
bediente  sich  nun  einer  Geifslerschen  Röhre,  in  welcher  aurser 
den  Drahtelektroden  an  den  Enden  auch  noch  von  zwei  gegenüber- 
liegenden Punkten  der  Seitenwände  her  Platindrähte  so  eingeschmolzen 
waren,  dafs  sie  einen  Zwischenraum  von  nur  zwei  Millimetern  zwischen 
sich  liefsen,  und  versuchte  durch  diese  letzteren  Platindräthe  einen 
Strom  zu  schicken,  indem  er  ihre  herausragenden  Enden  mit  den  Polen 
einer  schwachen  galvanischen  Batterie  verband.  Der  Versuch  hatte 
begreiflicher  Weise  keinen  Erfolg;  denn  die  Unterbrechungsstelle 
zwischen  den  Platindrähten  ist  ein  vollkommenes  Hindernifs  für  den 
Durchgang  schwach  gespannter  Elektrizität.  Sobald  er  nun  aber  den 
Hauptstrom,  geliefert  von  einer  Batterie  von  tausend  Elementen,  der 
Länge  nach  durch  die  Röhre  gehen  liefs,  so  dafs  ihre  Füllung  leuch- 
tend wurde,  so  begann  auch  der  Querstrom  zu  fliefsen.  Durch 
das  Fliefsen  des  Hauptstroms  schienen  also  die  Luftthcilchen  in  einen 
Zwangszustand  versetzt  zu  sein,  in  welchem  sie  befähigt  waren,  nun 
überhaupt  Elektricität  zu  leiten,  auch  wenn  letztere  von  einer  schwachen 
Elektricitätsquello  her  geliefert  wurde. 

Diese  merkwürdige  Erscheinung  hat  Herr  Arrhenius  einem 
genaueren  Studium  unterworfen;  u.  A.  hat  or  untersucht,  in  welcher 
Weise  das  Leitungsvermögen  der  elektrisch  fluoreszirenden  Luft  ab- 
hängig ist  von  der  Stärke  des  Hauptstroms,  von  dor  elektromotorischen 
Kraft,  die  den  Querstrom  zu  erzeugen  sucht,  von  der  Dichtigkeit  der 
das  Rohr  füllenden  Luft  und  von  anderen  Umständen.  — Im  grofsen 
und  ganzen  schienen  die  Aenderungen  des  fluoreszirenden  Lichts  der 
Luftfüllung  und  dio  Aenderungen  ihres  Leitungsvermögens  einander 
zu  entsprechen.  Das  würde  begreiflich  sein  durch  die  Annahme:  beide 
Eigenschaften  beruhten  auf  der  Beweglichkeit  der  Bestandtheile,  aus 
denen  die  Molekeln  der  Luft  zusammengesetzt  sind.  So  gelangt  Ar- 
rhenius zu  dem  Ausspruch,  „die  Gase  im  phosphoreszirenden 
(beleuchteten)  Zustande  seien  Elektroly te“.  Zur  Unterstützung 


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455 


dieser  Auffassung’  führt  er  die  von  ihm  früher  gefundene  Thatsache 
an,  dafs  das  Leitungsvermögen  von  Silberhaloidsalzon  in  Lösung  stark 
mit  der  Bestrahlung  anwächst.  Nun  weifs  man  ja,  dafs  Lichtstrahlen 
von  kleiner  Wellenlänge  durch  Silbersalze  stark  absorbirt  werden; 
diese  Absorption  scheint  also  die  Molekeln  aufzulockern  und  zum 
elektrolytischen  Zerfall  geneigter  zu  machen.  Dafs  es  nun  derselbe 
Vorgang  sein  müsse,  welcher  in  phosphoreszirenden  Gasen  den  Elek- 
tricitätsiibergang  bewirke,  kann  aus  obiger  Analogie  natürlich  nicht 
zwingend  gefolgert  werden;  es  bleibt  eben  eine  Vcrmuthung. 

Herr  Arrhenius  stützt  seine  Ansicht  noch  durch  einen  anderen 
Versuch.  Wenn  ein  Zinkdraht  und  ein  Platindraht  parallel  neben- 
einander, und  weniger  als  einen  Millimeter  von  einander  entfernt, 
seitlich  in  ein  Geifslersches  Rohr  eingeschmolzen  sind,  und  wenn  sie 
nun  beim  Durchgänge  des  Hauptstroms  von  jenen  (Kathoden-)  Strahlen 
getröden  werden,  welche  bekanntlich  in  hochverdünnten  Räumen  von 
der  Austrittsstelle  des  Stroms  (d.  h.  von  der  Kathode)  entspringen,  so 
verhalten  sich  diese  Drähte  ganz  ähnlich,  als  seien  sie  in  eine  zer- 
setzbare Flüssigkeit  eingetaucht,  d.  h.  sic  bilden  die  Pole  einer  (freilich 
immer  schwächer  werdenden)  galvanischen  Säule.  In  welcher  anderen 
Weise  dieser  scheinbar  sehr  für  Herrn  Arrhenius’  Ansicht  sprechende 
Versuch  wahrscheinlich  zu  deuten  ist,  wird  erst  an  einer  späteren 
Stelle  verständlich  sein;  ich  komme  nachher  auf  ihn  zurück. 

Herr  Arrhonius  steht  übrigens  mit  seiner  Auffassung  der  Lei- 
tung verdünnter  Gase  als  eines  elektrolytischen  Vorganges  nicht  allein. 
Kr  beruft  sich  in  dieser  Hinsicht  auf  Herrn  Schuster,  der  schon 
etwas  früher  ganz  ähnliche  Ansichten  ausgesprochen  hat.  Letzterer 
hatte,  in  Abänderung  des  Hittorfschen  Versuchs,  ein  weites  Gefäfs 
durch  einen  freilich  nicht  bis  an  die  Wandungen  reichenden,  zur 
Erde  abgeleiteten  Metallschirm  in  zwei  Hälften  geteilt,  die  dadurch  in 
elektrischer  Hinsicht  möglichst  unabhängig  von  einander  gemacht 
waren.  Liefs  er  nun  nach  erreichter  hoher  Verdünnung  den  Haupt- 
strom durch  die  Elektroden  der  einen  Kammer  ein-  und  austreten,  so 
vermochte  die  geringste  elektromotorische  Kraft  auch  durch  die  Elek- 
troden der  zweiten  Kammer  einen  Strom  zu  schicken.  Oder  wenn 
sich  in  letzterer  ein  von  aufeen  her  geladenes  Goldblattelektroskop 
befand,  so  verlor  dies  beim  Fliefsen  des  Ilauptstroms  rasch  seine 
I-adung.  Diese  und  ähnliche  Erscheinungen  deutet  Herr  Schuster 
durch  das  Hinüberdiffundiren  der  positiv  und  negativ  elektrischen 
Bruchstücke  von  Gasmolekeln,  welche  durch  den  Hauptstrom  dissociirt 
worden  seien  und  nun  uueh  in  der  zweiten  Kammer  die  Leitung  ver- 

33  • 


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456 


raittelten.  Aber  einen  zwingenden  Beweis  für  diese  Deutung  bringt 
er  nicht  bei.  Leider  läfst  sich  aus  seinen  Mittheilungen  nicht  ent- 
nehmen, ob  die  Elektroden  der  zweiten  Kammer  vielleicht  zum  Theil 
von  dem  elektrischen  Lichte  der  ersten  Kammer  getroffen  wurden. 
Doch  ist  dies  auf  Orund  der  jetzt  anzuführenden  Versuche  wohl  zu 
vermuthon. 

Herr  Arrhenius  hat  nämlich,  angeregt  durch  die  Hertzsche 
Entdeckung,  von  der  alsbald  die  Rede  sein  wird,  den  Nachweis  ge- 
führt, dafs  jene  scheinbare  Leitung  nur  eintritt,  wenn  die  verdünnte 
Luft  mit  geeignetem  Lichte  bestrahlt  wird.  Zum  Zweck  dieses  Nach- 
weises wurde  die  kleine  zwischen  zwei  Platindräthen  ofTen  gelassene 
Unterbrechungsstelle  in  dem  mit  verdünnter  Luft  zu  füllenden  Gefäfs 
nur  vier  Millimeter  hinter  einem  Quarzfenster  angebracht;  und  ganz 
dicht  (t/a  mm)  vor  diesem  Fenster  konnten  vermittelst  einer  Roitz- 
schen Influenzmaschine  elektrische  Funken  erzeugt  werden.  Sobald 
diese  Funken  sprangen,  vermochte  eine  sehr  mäfsige  Batterie  (von 
9 bis  38  Clark-Elementen)  durch  jene  Unterbrechungsstelle  einen  Strom 
zu  schicken.  Hier  konnte  auch  nicht  etwa  ein  unmittelbarer  elek- 
trischer Einflufs  (Induktion)  wirken,  sondern  die  Bestrahlung  mit 
Licht  mufste  die  Ursache  sein;  denn  zur  Vermeidung  jeglicher  In- 
duktion waren  die  iiufsere  Funkenstrecke  und  die  innere  Unterbrechung 
so  ungeordnet,  dafs  sie  zwei  im  Raum  sich  rechtwinklig  kreuzende 
Linien  bildeten.  Auch  wurde  die  Wirkung  der  Funken  auf  weniger 
als  ihren  zehnten  Teil  herabgesetzt,  sobald  man  das  Quarzfenster  mit 
Nitrozellulosepapier  bedeckte.  Dieses  vorzügliche  Dielektrikum  mufste 
etwaige  elektrische  Wirkungen  ohne  weiteres  hindurchlassen,  während 
eB  für  Lichtstrahlen  von  kleiner  Wellenlänge  nur  sehr  wenig  durch- 
lässig ist.  — Noch  mag  bemerkt  werden,  dafs  der  eben  geschilderte 
Einflufs  der  Bestrahlung  bei  4 bis  5 mm  Druck  der  eingeschlossencn 
Luft  am  stärksten,  bei  20  mm  Druck  aber  bereits  nicht  mehr  nach- 
weisbar war. 

(Fortsetzung  folgt.) 


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Die  norwegische  Nordmeer-Expedition. 

Von  Pr«f.  I)r.  H.  Mohn. 

Direktor  des  Norwegischen  Meteorologisch«!  Instituts  in  Christian ia.  •) 

y (Fortsetzung.) 

7\  in  24.  Juli  verlief«  die  Expedition  Trorasü.  Das  Wetter  war  bis 
T'  >.  zum  27.  Abends  schön,  worauf  sieh  ein  Nebel  über  das  Meer  legte. 

Wir  merkten,  dafs  wir  in  den  Polarstrom  gerathen  waren.  Die 
Temperatur  der  Luft  betrug  kaum  8",  die  der  Meeresoberfläche  4,5  u und 
in  einer  Tiefe  von  40  m war  schon  eiskaltes  Wasser  von  0°.  Die  Heise 
wurde  am  folgenden  Tage  nach  Westen  fortgesetzt.  Der  dicko  Nebel 
hielt  an,  so  dafs  Jan  Mayen  unsichtbar  blieb.  Es  wurde  oft  gelothet, 
aber  die  Tiefe  war  fortwährend  eine  bedeutende,  bald  gröfser  bald 
geringer,  doch  immer  mindestens  2000  m.  Etwas  nach  Mittag  war 
die  Tiefe  auf  1200  m horabgegangen;  dennoch  waren  wir  nach  deui 
Besteck  bereits  auf  dem  Platze,  wo  Jan  Mayen  der  Karte  nach  liegen 
sollte.  Wollte  der  Nebel  uns  so  zum  Narren  halten,  dafs  wir  Jan 
Mayen  nicht  Anden  sollten?  Es  sah  in  der  Thal  mystisch  aus.  Doch 
setzten  wir  den  Kurs  nach  Westen  fort.  Jetzt  sahen  wir  bald,  dafs 
die  Zahl  der  Seevögel  gröfser  und  gröfser  wurde;  je  weiter  wir  nach 
Westen  kamen,  desto  mehr  von  ihnen  begegneten  uns,  bis  zuletzt 
ganze  Schaaren  von  Lummen  gegen  uns  anflogen.  Dies  zeigte 
an,  dafs  das  Land  nicht  weit  entfernt  sein  konnte.  Aber  wie  weit? 
Die  letzte  Lothung  war  1200  m,  und  dem  Bestock  und  der  Karte 
nach  sollten  wir  schon  beinahe  die  ganze  Breite  der  Insel  passirt 
haben.  Der  Nebel  lag  noch  eben  so  dicht.  Die  Situation  war  durchaus 
nicht  angenehm  für  alle  diejenigen  an  Bord,  welche  sie  verstanden.  Wir 
konnten  jeden  Augenblick  gewärtig  sein,  direkt  aufs  Land  zu  segeln. 
Dies  war  die  Stimmung  beim  Mittagsmahl.  Da,  gerade  als  das  Dessert 
servirt  werden  sollte,  hörten  wir  den  Steuermann  auf  Deck  rufen: 

*)  Aus  (lein  norwegischen  Original -Manuskripte  übersetzt  von  F,  8. 
Archenhold  und  revidirt  vom  Verfasser, 


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458 


„Ich  sehe  den  Gletscher  vorne“.  Im  selbigen  Augenblick  wurde  die 
Maschine  gestoppt,  das  Loth  geworfen  und  260  m Tiefe  gemessen. 
Alle  Mann  liefen  auf  Deck.  Das  war  eine  Aussicht!  Vor  uns,  unter 
dem  Nebel,  schäumte  die  Brandung  des  Meeres  gegen  eine  schwarze, 
fast  senkrechte  Felswand,  und  über  diese  hinüber  hing  eine  Eiswand 
wie  ein  grofser,  weifsgrauer  Wasserfall.  Es  war  eine  der  wildesten 
Scenerien,  die  ich  je  im  Leben  gesehen  habe.  Mit  dem  Lothe  auf 
dem  Boden  blieben  wir  auf  diesem  Platze  liegen,  in  der  Erwartung,  dafs 
der  Nebel  sich  heben  würde.  Wie  weit  wir  vom  Lande  ab  sein 
mochten,  war  die  nächste  Frage.  Sie  wurde  auf  folgende  Art  gelöst- 
Wir  hatten  4 Haubitzen  mit  als  Salutkanonen.  Eine  von  diesen,  auf 
der  Seite,  welche  gegen  das  Land  zeigte,  wurde  geladen  und  ab- 
gefeuert. In  demselben  Augenblick  sahen  vier  Beobachter  nach  ihren 
Uhren.  Mit  gespannter  Aufmerksamkeit  horchten  acht  Ohren  nach 
dem  Echo  des  Schusses  von  der  steilen  Felswand  auf  Jan  Waren. 
Es  trat  ein,  deutlich  für  uns  alle;  die  Sekunden  wurden  notixt  und 
danach  der  Abstand  vom  Lande  zu  einer  kurzen  Seemeile  berechnet. 

Nun  lichtete  sich  der  Nebel  so  weit,  dafs  wir  die  Gebirgsvor- 
sprünge  gegen  Süden  und  gegen  Norden  sehen  konnten.  Ha  der 
Wind  aus  Osten  bliefs  und  die  See  auf  dieser  Seite  gegen  dass  hnd 
stand,  so  wurde  beschlossen,  auf  der  Nordseite  um  die  Insel  Jierum- 
zugehen  und  auf  der  Westseite  zu  ankern.  Wir  zogen  das  Loth  ein 
und  dampften  nordwärts.  Aber  kaum  waren  wir  bei  der  Xordspitze 
der  Insel  angelangt,  so  legte  der  Nebel  sich  wieder  über  nnsero 
ganzen  Horizont.  W'ir  steuerten  nun  zuerst  eine  Meile  Wegs  nördlich, 
dann  westlich,  südlich  und  südöstlich.  Wir  wufsten,  dafs  wir  in  dem 
grönländischen  Polarstrome  waren.  Sollten  wir  dem  Eise  beg-egnen? 
Wir  konnten  keins  sehen,  es  lag  immer  noch  Nebel  über  der  See. 
Wir  beobachteten  dann  alle  5 und  3 Minuten  die  Temperatur  der 
Meeresoberfläche,  sie  zeigte  jedoch  kein  besonderes  Sinken,  als  vir 
gegen  Westen  vorrückten.  Ein  paar  Stunden  vor  Mitternacht  *aren 
wir  unterhalb  der  Westküste  von  Jan  Mayen.  Immerwährend  Nehcl- 
Wir  lotheten  zu  wiederholten  Malen  400  m,  ohne  den  Grund  zu 
treffen.  Da,  mit  einem  Mal,  fing  der  Nebel  an  sich  zu  heben- 
Unterland  der  Insel  wurde  sichtbar  und  wir  konnten  einen.  Pun'it 
nach  dem  andern  aus  dem  Vergleich  mit  den  Beschreibung-*?0  und 
Abbildungen  von  Scoresby  und  Karl  Vogt  erkennen.  Wir  Vtountcu 
nun  unsern  Ankerplatz  wählen  und  ankerten  um  11  Uhr  in  l1er 
Marie-Muss-Bucht,  unterhalb  des  alten,  malerischen  Kraters,  dcn  ";r 
Vogelberg  nannten  und  zwar  vor  dem  Thale,  wo  später  die  vom 


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45<j 


(trafen  Wilczek  ausgerüstete,  österreichische  Polarstation  ihre  Wohn- 
stätte in  den  Jahren  1882  und  1883  hatte. 

Jan  Mayen  hat  seinen  Namen  nach  einem  holländischen  See- 
fahrer, der  die  Insel  um  1611  entdeckt  hat.  Es  liegt  auf  der  Breite 
des  Nordkaps  (71°),  im  Nordosten  von  Island,  im  Osten  von  Grönland 
und  im  Südwesten  von  Spitzbergen.  Die  Insel  erstreckt  sich  von 
Südwesten  nach  Nordosten  und  ist  7 (geogr.)  Meilen  lung,  wäh- 
rend ihre  Breite  zwischen  '/,  und  2 Meilen  schwankt.  Sie  ist  durch 


Der  Beerenberg  auf  Jan  Mayen,  1545  Meter  hoch,  aus  SSW.  gesehen. 

und  durch  aus  vulkanischen  Gebirgsarten  aufgebaut  und  besteht  aus 
zwei  Theilen,  die  durch  einen  schmalen  und  niedrigen  Gebirgsrücken, 
der  nur  67  m hoch  und  einen  guten  Kilometer  breit  ist,  verbunden  sind 
Der  südliche  Theil  der  Insel  ist  gleichfalls  schmal,  seine  höchsten 
Gipfel,  welche  mit  den  Namen  der  österreichischen  Kaiserfamilie  be- 
legt sind,  erheben  sich  bis  zu  einer  Höhe  von  840  in.  Der  nördliche 
Theil  von  Jan  Mayen  dagegen  ist  viereckig  gestaltet,  und  zwischen 
tler  Mitte  derselben  und  der  nordöstlichen  Ecke  thront  ein  2545  m 
hoher  Vulkankegel,  der  Beerenberg,  in  einsamer  Gröfse  und  Schön- 
heit. Die  vulkanische  Thätigkeit  von  Jan  Mayen  ist  nun  längst  er- 
loschen; nur  Nachwirkungen  zeigen  sich  in  Gestalt  von  warmen 
Dämpfen,  die,  nach  Beobachtungen  der  österreichischen  Polarstation, 


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460 


noch  zuweilen  den  Spalten  des  Aschenkraters  der  Eier-Insel  entströmen. 
Jetzt  trägt  der  Beerenberg  aufseinen  Schultern  einen  mächtigen  Schnee- 
mantel, von  dem  nicht  weniger  als  10  ausgedehnte  Eiswandungen 
(Gletscher)  bis  zum  Meeresufer  herabfallen. 

Jan  Mayen  ist  seit  jeher  von  Seefahrern  besucht  worden,  welche 
in  diesen  Gegenden  den  Walfisch-  und  Seehundfang  betrieben  haben. 
Bewohnt  war  die  Insel,  so  viel  man  weifs,  nur  zweimal,  nämlich  im 
Winter  1633 — 34  von  einigen  holländischen  Seeleuten,  die  den  Versuch 
machten,  hier  zu  überwintern,  aber  leider  alle,  ehe  der  Frühling  kam, 
dem  tückischen  Skorbut  unterlagen,  und  später  noch  einmal  im  Jahre 
der  internationalen  Polarexpeditionen  1882 — 1883,  als  die  österreichi- 
sche Expedition  hier  ihre  Station  hatte.  Die  liauptursache,  weshalb 
Jan  Mayen,  trotzdem  viele  hier  vorübergesegelt  sind,  früher  so  wenig 
bekannt  war,  ist  wohl  der  völlige  Mangel  eines  Hafens  für  Schiffe 
oder  Boote  gewesen.  Die  Wellen  des  Nordmeeres  rollen  beinahe 
immer  gegen  den  offenen,  an  vielen  Stellen  steilen  Strand  und  machen 
die  Landung  unmöglich. 

Besonders  glücklich  mufsten  wir  uns  deshalb  schätzen,  dafs  wir 
am  29.  Juli  1877  Morgens  das  Meer  ganz  ruhig  und  die  Wolkenschicht 
so  hoch  gehoben  fanden,  dafs  der  ganze  untere  Theil  von  Jan  Mayen, 
sichtbar  wurde.  Früh  Morgens  hatte  auch  der  Beerenberg  in  kurzen 
Zwischenräumen  seine  majestätische  Gestalt  durch  die  vorüberziehen- 
den Wolkenmassen  gezeigt,  später  aber  blieb  derselbe  unsern  Blicken 
entzogen;  erst  mehrere  Tage  später  trat  er  noch  klarer  und  reiner 
hervor. 

Mit  Botanisirtrommel,  Hammer,  Kompafs,  Barometer,  Thermometer 
und  Sohufswaffe  ausgerüstet,  stiegen  die  Mitglieder  der  Expedition 
Vormittags  in  mehreren  Partien  von  Bord.  Vor  uns  lag  der  eigen- 
thümliche,  schöne  Vogelberg,  ein  Krater,  dessen  äufsere  Seite  ins  Meer 
gestürzt  ist,  mit  seinen  phantastischen  Formen  und  herrlichen  Farben, 
die  uns  stark  an  die  ein  Jahr  früher  von  uns  besuchten  W'eslmanna- 
Inseln  bei  Island  erinnerten.  Er  setzte  sogleich  unseren  Landschafts- 
maler in  Thiitigkeit  Als  wir  an  das  Ufer  kamen,  war  die  See  so 
glatt,  dafs  wir,  ohne  ins  Wasser  steigen  zu  müssen,  trockenen  Fufses 
ans  Land  kamen.  Wir  landeten  in  einer  Bucht,  Marie-Muss-Bucht 
genannt,  wo  vom  Meere  ein  langer  Strand  aus  schwarzen  Rollsteinen 
vulkanischer  Gebirgsarten  aufgeworfen  war.  Schon  hier  am  Strande 
stiefs  unser  Auge  auf  interessante  Dinge.  Nur  wenig  über  der  Meeres- 
fläche war  das  ganze  Ufer  mit  Treibholz  besät.  Es  waren  gröfsere 


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461 

und  kleiner«  Stämme  mit  Wurzeln  und  Geäst,  fast  alle  von  Nadel- 
hölzern. Zwischen  diesen  sah  man  ein  einzelnes  Schiffsknie  und  die 
Kiefern  eines  Wals  von  beträchtlicher  Länge.  Die  Wanderung  nach 
oben  begann.  Unsere  Botaniker  sammelten  Pflanzen,  die  grade  in 
Bliithe  standen  und  zwischen  den  losen  vulkanischen  Steinen,  die  den 
Humus  bildeten,  hervorlugten,  der  augenscheinlich  erst  kürzlich  vom 
Schnee  verlassen  war.  Es  war  nur  eine  arme  Flora,  und  nichtsdesto- 
weniger zeigte  sich  uns  Jan  Mayen  in  nicht  wenig  frisches  Grün  ein- 
gekleidet, — es  waren  Moose,  die  sowohl  auf  dem  Oberland  wie  an 
den  Abhängen  grofse  Strecken  bedeckten,  und  welche  einen  vortrefflich 
wirksamen  Gegensatz  zu  den  schwarzen,  braunen  und  stellenweise 
ganz  rothen  Steinarteu  abgaben,  die  in  dieser  Landschaft  herrschend  sind. 

Zum  Zwooke  geologischer  Untersuchungen  und  Höhenmessungen 
kletterte  ich  die  nächsten  Bergrücken  hinan,  welche  alle  aus  fester 
harter  Lava  oder  Asche  bestanden  — als  sich  mir  mit  einem  Mal  auf 
der  erreichten  Höhe  eine  freie  Aussicht  über  den  mittleren  Theil  der 
Ostseite  der  Insel  darbot.  Wenngleich  ich  wohl  die  Landschaft  aus  den 
Schilderungen  und  Zeichnungen,  welche  Karl  Vogt,  der  Jan  Mayen 
1861  besuchte,  in  seiner  interessanten  Reisebescbreibung  mittheilt, 
gut  kannte,  war  dies  dennoch  ein  überraschender  Anblick  für  mich. 
Vor  mir  lag  eine  senkrechte  Felswand,  auf  deren  oberem  Rand  ich 
stand;  unterhalb  dieser  eine  schwarze  Ebene  von  einer  Meile  Ausdeh- 
nung, aufserhalb  dieser  eine  ebenso  lange  Lagune,  die  ein  langge- 
streckter schmaler,  schwarzer  Wall,  mit  Treibholz  besät,  vom  Meere 
trennte.  Zur  Linken  lag,  draufsen  im  Meere,  aber  mit  dem  Lande  ver- 
bunden, am  nördlichen  Ende  der  Lagune,  die  Eierinsel,  ein  erloschener 
Aschenkrater,  wolcher  Schaaren  von  Seevögeln  zum  Aufenthalt  diente. 
Zur  Rechten  sah  ich  hinunter  in  das  Südland  von  Jan  Mayen;  Klippen 
von  sonderbarer  Form  und  Farbe  stachen  auf  dem  Lande  und  im 
Meere  hervor.  Die  beiden  merkwürdigsten  draussen  in  der  See  tragen 
den  Namen  „Lotsenboot“  und  „Leuchtthurm“.  Gegen  Norden  lag  der 
Beerenberg;  sein  ganzer  Fufs  war  in  undurchdringliche  Wolkenmassen 
eingehüllt.  Während  ich,  ganz  einsam  auf  meinem  Aussichtspunkt, 
mit  Zeichnen  beschäftigt  war,  flogen  neugierige  Seevögel  mit  sausen- 
dem Flügelschlag  gerado  an  meinem  Ohr  vorbei,  so  dafs  ich  den  Luft- 
druck fühlen  konnte.  Da  hörte  ich  Schüsse  fallen,  mehrere  hinterein- 
ander, und  der  Ausruf  „Ein  Fuchs“  erreichte  mich  aus  der  Ferne. 
Als  ich  zu  unseren  Jägern  stiefs,  erfuhr  ich,  dafs  einer  von  ihnen 
einen  Polarfuchs  im  Laufe  mit  einem  Exprefsriffel  geschossen  hatte. 
Dies  Thier  lebt  in  grofsen  Mengen  auf  Jan  Mayen,  wo  es  sich  im 


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Sommer  von  Seevögeln  ernährt.  Rocht  zufrieden  mit  der  Beute  des 
Vormittags  begaben  wir  uns  wieder  an  Bord. 

Nachmittags  war  dasselbe  ruhige  Wetter  wie  Vormittags.  Ich  wau- 
derte  mit  einem  Begleiter  über  den  Südrand  des  Vogelberges  und  dann 
in  einem  Thale  gegen  Norden,  an  dessen  Endo  ich  auf  eine  Lagune  süefs. 
Das  Thal  heilst  jetzt  Wilczok-Thal.  Die  Lagune  war  von  runder  Form 
und  vom  Meere  duich  einen  schmalen  und  niedrigen  Wall  getrennt, 
der  theils  mit  Treibholz,  theils  mit  Walknochen  besät  war.  Die  Lagune 
hatte  Siifswasser,  aber  die  Treibholzstücke,  welche  sich  an  ihrem 
innern  Rande  vorfanden,  bezeugten,  dafs  sie  nicht  immer  vom  Meere 
getrennt  ist  Ich  ging  auf  den  Wall  hinaus  und  durchwanderte  ihn 
in  seiner  ganzen  Länge.  Hier  zeigten  sich  frische  Fuchsspuren,  die 
andeuteten,  dafs  hier  ein  Fuchs  vor  kurzem  gegen  Norden  hingelaufen 
war.  Als  ich  mich  mit  meinem  Begleiter,  der  ein  Hagclgewehr  bei  sich 
hatte,  auf  dem  Rückwege  auf  einen  öden  Steinhaufen  bei  der  Lagune 
niedersetzte,  sagte  diesor  plötzlich:  „Da  ist  ein  Fuchs.“  „Sitzt  ruhig 
und  ladet  das  Gewehr“  war  meine  Antwort,  indem  ich  mein  Notizbuch 
in  die  Tasche  steckte.  Der  Fuchs  stand  da,  auf  einem  Steinhaufen 
über  uns,  und  betrachtete  neugierig  die  ungewohnten  Fremden;  dann 
ging  er  in  einem  Bogen  um  uns  herum,  um  näher  bei  der  Lagune 
I lalt  zu  machen.  Inzwischen  hatte  mein  Begleiter  das  Gewehr  geladen 
und  reichte  es  mir  hin.  Der  Fuchs  stand  still  und  betrachtete  ab- 
wechselnd uns  und  das  Wasser,  über  dem  die  Vögel  schwebten.  Dies 
aber  war  der  letzte  Blick,  den  er  auf  sein  Jagdfeld  warf,  denn  in 
dem  nächsten  Augenblicke  war  er  die  erste  Beute  uuf  dem  meinigen. 
Abends  versammelten  wir  uns  wieder  in  „Vüringens"  Kajüte,  und  der 
dritte  Fuchs,  den  unser  Kapitain  geschossen  hatte,  wurde  zu  seinen 
gefallenen  Brüdern  gelegt. 

(Fortsetzung  folgt.) 


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• 1 ■ . „1-  .1.1..''  1 

Die  ungewöhnlichen  atmosphärischen  Erscheinungen 
nach  dem  Ausbruche  des  Krakatau, 

Von  Ilr.  Ernst  Wagner, 

Assistent  des  Königl.  mcteoroluffifschou  Instituts  in  Berlin. 
v)  9 (SchlufS.) 

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<•1^ ährend  Kollo  Russell  in  dem  Werke  der  Royal  Society  in  sei- 
nem Berichte  über  die  wahrscheinlichen  Ursachen  der  Dämme- 
rungserscheinungen der  Reflexion  dos  Lichtes  den  weitaus 
gröfsten  Antheil  an  der  Intensilätssteigerung  derselben  zuschreibt,  indem 
er  die  erzeugende  Dunstschicht  weniger  aus  undurchsichtigen  Slofftheil- 
chen  als  vielmehr  aus  sehr  kleinen  Splittern  vulkanischen  Glases  bestehen 
läfst,  welche  demnach  hohe  Reflexionsfaliigkeit  besitzen  müssen,  kommt 
Kiefsling  auf  Grund  des  Experiments  zu  anderen  Schlüssen.  Wir 
schicken  voraus,  was  bereits  von  Besold  selbst  ausgesprochen  hatte, 
dafs  das  zweite  Purpurlicht  durch  das  erste  Purpurlicht  in  derselben 
Weise  erzeugt  wird,  wie  das  erste  Purpurlicht  durch  die  Sonne  selber; 
und  dies  haben  die  Berechnungen  Riggenbachs  vollkommen  be- 
stätigt. Alsdann  gelangen  wir  in  Bezug  auf  die  Entstehung  des  Pur- 
purliohtes  zu  folgenden  Ergebnissen.  Das  erste  Purpurlicht  wird  durch 
diejenigen  direkten  Sonnenstrahlen  erzeugt,  welche  die  Erdoberfläche 
berühren,  oder  in  geringer  Höhe  über  derselben  die  untersten  Schichten 
der  Atmosphäre  durchsetzen.  Die  Wahrnehmung  der  optischen  Wirkung 
dieser  Strahlen  setzt  die  Existenz  von  iiufserst  kleinen  Stolftheilchen 
bis  zu  einer  Höhe  von  20  km  über  der  Erdoberfläche  voraus.  Bei 
normaler  Entwicklung  beruht  die  Färbung  des  Purpurlichtes  auf  dem 
Einflufs,  welchen  die  vorzugsweise  in  den  unteren  Schichten  schweben- 
den Stofftheilchen  durch  optische  Diffusion  ausüben.  Seine  räumliche 
Ausdehnung  ist  durch  die  Art  der  Ablenkung  bestimmt,  welche  die 
wirksamen  Strahlen  in  den  hohen  Atmosphärenschiohten  erfahren  und 
die  durch  Reflexion,  Brechung  und  Beugung  erfolgen  kann.  Die 
Wirkung  der  Reflexion  ist  sowohl  wegen  der  Form  der  ganzen  Er- 
scheinung als  auch  wegen  der  Lichtsteigerung  im  Hclligkeitsmaximum 
des  Purpurlichts,  welche  einer  gleichmäfsigen  Zerstreuung  des  Lichtes 


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464 


widerspricht,  nicht  wahrscheinlich.  Die  Brechung-  kann  für  die  höheren 
Theile  des  Purpurlichtes  nur  dann  in  Betracht  kommen,  wenn  in  den 
betreffenden  Schichten  Wasser-  oder  Eiskügelchen  vorhanden  sind. 
Von  der  gröfsten  Bedeutung  dagegen  erscheint  Ablenkung  durch  Licht- 
beugung, da  die  Bedingungen  für  deren  Wirksamkeit,  nämlich  Klein- 
heit und  Gleichartigkeit  in  der  Gröfse  der  Stoflftheilchen  gerade  in  den 
höchsten  Luftschichten  am  günstigsten  sind.  Auf  die  räumliche  Aus- 
dehnung des  Purpurlichtes  üben  zarte  Cirrusschleier  einen  grofsen 
Eintlufs  aus.  Dieselben  spielen  auch  bei  der  Entstehung  des  zweiten 
Purpurlichtes,  welches  durch  einen  weit  ausgedehnten,  durch  Reflexion 
erzeugten  diffusen  Lichtschimmer  sich  auszeichnet,  eine  wesentliche 
Rolle.  Die  Erscheinungen  während  der  Störungsperiode  zeigon  manche 
Abweichungen  vom  regehnäfsigen  Verlauf,  doch  stehen  dieselben  in 
vollem  Einklänge  mit  den  optischen  Eigenschaften  eines  aufserordent- 
lich  feinen,  nahezu  homogenen  Nebels,  dessen  aufsergewöhnliche  Höhe 
die  wirksamste  Ursache  bei  der  so  grofsarligen  Steigerung  der  Hellig- 
keit und  Farbenpracht  war. 

Fast  gleichzeitig  mit  dem  Auftreten  der  ungewöhnlichen  Dämtne- 
rungserscheinungen  zeigte  sich  überall  oine  auffallende  Färbung  des 
Himmels  in  der  Umgebung  der  Sonne,  deren  Entstehung  auf  dieselben 
physikalischen  Ursachen  zurückzuführen  ist,  wie  die  übrigen  optischen 
Störungen.  Dieselbe  erschien  bei  heiterem  Himmel  und  dunstfreier 
Luft  als  ein  die  Sonne  umgebender  Ring  von  graurother  bis  rostrother 
Farbe  mit  einom  inneren  Halbmesser  von  21°,  einem  äuTseren  von  45 1 2", 
deren  Innenfläche  in  bläulich  weifsem  Licht  strahlte.  In  ähnlicher 
Weise  zeigte  sich  der  Ring,  wenn  auch  seltener  um  den  Mond.  Diese 
von  allen  durch  den  Krakataurauch  hervorgerufenen  Erscheinungen 
am  längsten  sichtbar  bleibende,  da  die  letzte  Beobachtung  derselben 
aus  dem  September  1886  stammt,  hat  nach  dem  ersten  Beobachter 
Bishop,  welcher  den  farbigen  Sonnenring  am  5.  September  1883  in 
Honolulu  sali  und  zuerst  genau  beschrieb,  den  Namen  Bishopscher 
Ring  erhalten.  Möglicherweise  ist  er  vorher  schon  von  Kapitän 
Cato  von  der  „Scotia“  gesehen  worden,  welcher  bereits  am  28.  und 
29.  August  im  Indischen  Ozean  in  5"  nördl.  Br.  und  9ö°— 91°  üstl.  L. 
Mittags  einen  völlig  geschlossenen  Ring  um  die  Sonne  wahrnahm. 
Seine  gröfste  Intensität  erreichte  dieser  Ring  im  Frühjahr  1884,  wo 
er  fast  alltäglich  bei  klarem  Wetter  scharf  hervortrat,  namentlich  wenn 
die  Sonne  durch  einzelne  Cumuluswolken  verdeckt  wurde.  Auch  bei 
stärkerer  Wolkenansammlung,  sofern  sie  nur  gröfsere  Lücken  hellen 
Himmels  durchblickon  liefs,  zeigte  sich  in  den  Wolkenlücken  in  der 


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46ö 


Nähe  der  Sonne  die  röthliche  Färbung  mit  grüfBter  Deutliclikeit  Aus 
den  Alpen  liegen  viele  Beobachtungen  vor,  nach  welchen  mit  zuneh- 
mender Höhe  des  Beobachtungsortos  der  Bishopsche  Ring  immer 
schärfer  hervortrat,  während  Cirrusbedeckung  des  Himmels  ihn  unsicht- 
bar machte.  Hieraus,  und  aus  dom  Umstande,  dass  er  bei  jedem 
Wetter  erschien,  wenn  der  Himmel  heiter  war,  geht  hervor,  dafs  die 
erzeugende  Schicht  weit  über  denjenigen  Atmosphärenschichten  liegen 
mufste,  in  welchen  die  gewöhnlichen  Witterungsvorgänge  sich  abspielen. 
Gegen  die  durch  Brechung  in  Eiskrystallen  entstehenden  Sonnenringe 
ist  die  Farbenfolge  von  innen  nach  aussen  umgekehrt,  woher  das 
Zustandekommen  des  Bishopschen  Ringes  nur  durch  Lichtbeugung 
vermittelst  sehr  kleiner  homogener  Stofftheilchen  erklärlich  ist,  was 
auch  durch  das  Experiment  unzweifelhaft  sicher  gestellt  wurde.  Unter 
dieser  Annahme  kann  man  aus  dem  Durchmesser  des  Ringes  einen 
Schluss  auf  den  der  lichtbeugenden  Körperchen  machen,  und  findet 
aus  den  gemessenen  Dimensionen  als  mittlere  Grüfse  dieser  Stofftheil- 
chen 0.0016  mm,  also  etwa  das  dreifache  der  Wellenlänge  des  Lichtes 
in  der  Mitte  des  sichtbaren  Sonnenspektrums.  Dafs  nicht  Wasserdampf 
in  einer  der  bekannten  Formen  die  Veranlassung  dieses  Ringes  sein 
konnte  wird  durch  eine  Beobachtung  von  Dr.  Afsmann  am  13.  Januar 
1884  bewiesen,  welcher  zugleich  mit  dem  deutlich  ausgebildeten  Bishop- 
schen Ringe  Theile  eines  gewöhnlichen  Sonnenringes  von  22"  Halb- 
messer, nnd  eine  leuchtende  Nebensonne  sah,  und  diese  Nebensonne 
lag  wenigstens  2°  oberhalb  der  inneren  Grenze  des  braun-violetten 
Dunstringes.  Aus  dieser  lehrreichen  Kombination  geht  hervor,  dars 
die  erzeugende  Schicht  des  Dunstringes  mit  derjenigen  der  Cirrus- 
wolken, deren  Eiskrystalle  diese  Nebensonne  entstehen  liefsen,  unmög- 
lich identisch  sein  konnte. 

Mit  der  Fülle  der  neuen  Erfahrungen  und  Anregungen  zu  weiteren 
Forschungen  auf  theoretischem  und  experimentellem  Wege,  wolche  die 
Meteorologie  auf  dem  Gebiete  der  atmosphärischen  Optik  in  Verfolgung 
des  gewaltigen  Naturereignisses  zu  verzeichnen  hat,  ist  aber  der  wissen- 
schaftliche Ertrag  desselben  noch  nicht  erschöpft.  Auch  die  Lehre 
von  der  allgemeinen  Zirkulation  der  Atmosphäre  hat  eine  erhebliche 
Bereicherung  erfahren,  deren  wesentlichste  Punkte  wir  bei  der  Be- 
trachtung der  geographischen  Ausbreitung  der  Erscheinungen  hervor- 
heben wollen.  Aus  den  Beobachtungen  von  mehr  als  800  Orten  er- 
giebt  sich  mit  Sicherheit,  dafs  der  zeitliche  Beginn  der  Störungen 
genau  mit  der  Steigerung  der  vulkanischen  Thätigkeit  am  20.  und 
27.  August  1883  zusammenfällt,  und  der  geographische  Ausgangspunkt 


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nur  in  der  Sundastrafse  zu  suchen  ist,  womit  die  vielfach  besprochene 
Hypothese,  es  seien  durch  den  Eintritt  einer  kosmischen  Staubwolke 
in  die  Erdatmosphäre  die  Erscheinungen  erzeugt  worden,  hinfällig 
wird.  Bei  der  geographischen  Ausbreitung  der  Verbrennungsprodukte 
des  Krakatau  ist  eino  Trennung  der  oben  geschilderten,  in  dreifacher 
Form  auftretenden  optischen  Erscheinungen  unmöglich,  da  sie  fast 
gleichzeitig  an  jedem  Orte,  wohin  der  Hauch  gelangte,  zur  Beobachtung 
kamen,  mit  dem  einzigen  Unterschiede,  dafs,  während  die  abnormen 
Färbungen  der  Sonnenscheibe  kurze  Zeit  nach  dem  Ausbruche  an 
Intensität  nachliefsen,  was  durch  das  schnellere  Horabsinken  der 
Staub-  und  Aschentheilchen  bewirkt  wurde,  die  Dämmerungen  und 
der  Beugungsring  eine  ununterbrochene  Entwicklung  ihrer  Ausbreitung 
und  Intensität  zeigen.  Hieraus  geht  hervor,  dafs  die  Reinigung  der 
vergasten  und  mit  Yerbrennungsprodukten  vermischten  Wassermassen, 
welche  die  Explosion  in  die  Höhen  der  Atmosphäre  schleuderte,  von 
gröberen  Partikeln  erst  das  homogene  Medium  zur  vollkommenen  Ent- 
wicklung der  prachtvollen  Dämmerungserscheinungen  in  unseren 
Breiten  lieferte,  welche  bei  tropischen  Dämmerungen  unter  geeigneten 
Umständen  auch  bei  normalen  atmosphärischen  Verhältnissen  eintreten 
können.  Beiläufig  ergiebt  sioh  aus  den  Experimenten  mit  mechanisch 
erzeugtem  Staube,  dafs  die  festen  Auswurfstoffe,  vor  allem  die  aus 
Bimsteinstaub  bestehende  vulkanische  Asche  bei  der  Steigerung  der 
Dämmerungsfarben  keine  Holle  gespielt  haben  kann,  weshalb  die  Ver- 
suche, das  Volumen  der  ausgeworfenen  Aschenmassen  zu  berechnen, 
für  die  atmosphärischen  Erscheinungen  keine  Bedeutung  haben;  viel- 
mehr steht  der  lange  Aufenthalt  der  Dunstschicht  mit  der  experimentell 
bestimmten  Fallgeschwindigkeit  von  Hauch  in  atmosphärischer  Luft 
völlig  in  Einklang. 

Nach  Kiefsling  zerlegt  sich  der  Verlauf  der  Ausbreitung  der 
Erscheinungen  in  4 Perioden.  In  der  ersten  Periode  vom  2ö.  August 
bis  Ende  September  bildeten  die  Auswurfsprodukte  des  Krakatau  einen 
vollständigen  Gürtel  um  die  Erde  innerhalb  der  Wendekreise,  und 
zwar  fand  die  Ausbreitung  der  Rauchwolken  in  den  höchsten  Luft- 
schichten am  Aequator  mit  einer  solchen  Geschwindigkeit  statt,  dafs 
die  am  weitesten  vorauseilenden  Wolken  bereits  nach  12 — 13  Tagen 
an  ihrem  Ausgangspunkt  wieder  anlangten.  Mehr  als  zwei  voll- 
ständige Umläufe  aus  der  Wiederkehr  der  Erscheinungen  in  diesen 
Zwischenräumen  lassen  sich  sicher  feststellen,  und  aus  der  Geschwin- 
digkeit derselben  ergiebt  sich,  dafs  am  Aequator  eine  beständig  von 
Ost  nach  West  gerichtete  Strömung  stattfindet,  welche  im  Mittel  vieler 


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Bestimmungen  etwa  36  m pro  Sekunde  Geschwindigkeit  besitzt,  also 
auf  einen  immerwährenden  Sturmwind  in  diesen  Höhen  deutet.  Eine 
Uebersicht  über  alle  Beobachtungen  zeigt  aber  die  Unmöglichkeit,  alle 
Erscheinungen  auf  die  Wirkung  einer  einzigen  Wolke,  oder  weniger 
zugleich  von  der  Sundastrafse  sich  forlbewegender  Rauchwolken  zu- 
rückzuführen, vielmehr  hat  man  sich  tlie  gesamte  Rauchmasse,  welche 
sich  längs  der  Aequatorialzone  fortbewegte,  aus  einer  grofsen  Zahl 
getrennter,  in  verschiedenen  Höhen  schwebender  Wolken  vorzustellen. 
Dies  wird  nicht  allein  durch  die  Aussagen  der  Augenzeugen  bei  den 
Eruptionen  wahrscheinlich  gemacht,  sondern  mufs  nothwendig  eintreten 
infolge  der  verschiedenen  Höhen,  in  welchen  die  vom  Vulkan  hinauf- 
getriebenen Rauchmassen  verschiedene  Windgeschwindigkeiten  an- 
treffen mufsten,  wodurch  das  Auseinanderziehen  der  Wolken  in  lange 
Streifen  eingeleitet  wurde.  Die  gröfste  berechnete  Geschwindigkeit 
beträgt  45  m und  ergiebt  sich  aus  der  Annahme,  dafs  die  Rauchwolke, 
welche  am  31.  August  1883  in  Maranhüo  in  Brasilien  ungewöhnliche 
Färbungen  der  Sonne  verursachte,  bei  dem  Hauptausbruche  vom 
27.  August  Vormittags,  vielleicht  als  höchste  von  allen  Wolken  empor- 
geschleudert wurde.  Diese  grofse  Geschwindigkeit,  mit  welcher  die 
weite  Reise  von  der  Sundastrafse  nach  der  Ostküste  Brasiliens  in  vier 
Tagen  zurückgelegt  wurde,  ist  insofern  interessant,  als  die  Theorien 
von  Werner  Siemens  und  Ferrel  über  die  allgemeine  Zirkulation 
der  Atmosphäre  dadurch  eine  wesentliche  Unterstützung  erhalten. 

Bei  dem  mehrfachen  Umlauf  um  die  Aequatorialzone  entfernen 
sich  die  Rauchmassen  allmählich  vom  Aequator,  welcher  Ende  Sep- 
tember wieder  fast  ganz  frei  wurde,  und  bilden  zwei  parallele  Streifen 
in  der  nördlichen  und  südlichen  Hemisphäre,  deren  Grenzen  beim 
ersten  Umlaufe  22°  nördl.  Br.  (Honolulu)  und  33°  südl.  Br.  (Santiago  de 
Chile)  erreichen,  bei  dem  zweiten  sind  sie  schon  bis  gegen  30°  resp. 
40°  vorgerückt.  Neben  diesem  Hauptstrom  sind  noch  zwei  kleinere 
Seitenzweige  festgestellt  worden,  der  eine  war  von  Borneo  längs  der 
chinesischen  Küste  bis  über  ganz  Japan  deutlich  zu  verfolgen;  die 
Maximalgeschwindigkeit  dieses  nach  NNO.  gerichteten  Stroms  beträgt 
etwa  20  m pro  Sekunde.  Der  zweite  sehr  schwache  deutet  auf  eine 
nach  Ost  gerichtete  Luftströmung  wahrscheinlich  in  geringerer  Höhe 
und  läfst  sich  bis  Neu-Irland  verfolgen. 

Auch  die  Region,  welche  von  Aschenfällen  betroffen  wurde,  erweist 
die  vorwiegend  westliche  Strömungsrichtung  der  höheren  Luftschichten. 
Während  ostwärts  von  Krakatau  (105°  22'  östl.  L.  von  Greenwich. 
6°  9'  südl.  Br.)  die  Aschenfälio  nur  bis  zum  109.  Meridian  reichten, 


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erstreckten  sie  sich  nach  den  Untersuchungen  von  Russell  bis  über 
den  80.  Meridian  als  äufsersten  Punkt  westwärts  (Schiffsjournal  des 
.British  Empire“:  79“  52'  iistl.  L.,  2"  38'  südl.  Hr.,  vom  29 — 30.  August 
gelber  Dunst,  Fall  von  leichtem  Staube  wie  Portland-Cement  bei 
schwachem  SO-  bis  SW-Wind),  und  erreichten  bei  I10"östl.  L.  und 
22“  südl.  Br.  ihren  südlichsten  Punkt  nach  dem  Schiffsjournal  der 
-Medea“  auf  der  Höhe  des  Nordwestkaps  von  Australien.  Das  ganze  Ge- 
biet hat  souach  die  Gestalt  eines  Dreiecks  von  etwa  270  Quadratgrad 
Fläche,  d.  h.  mehr  als  60000  Quadratmeilen,  während  die  Unter- 
suchungen von  Vorbeek  über  Ausbreitung  des  vulkanischen  Staubes 
eine  Fläche  von  nur  t/a  dieser  Ausdehnung  ergeben,  mit  nach  Nurd- 
west  und  Südwest  gerichteten  Verlängerungen. 

Die  zweite  Periode  der  optischen  Störungen  reicht  von  Anfang 
Oktober  bis  in  die  erste  Hälfte  des  November  1883,  in  welcher  Zeit  die 
oberen  nach  den  Polen  abfliefsenden  Passatströmungen  die  Rauch- 
wolken in  höhere  Breiten  allmählich  abströmen  liefsen,  und  zwar 
zeigen  sich  die  meisten  Störungen  zwischen  20 — 30"  beider  Breiten 
in  allen  Kontinenten  und  Meeren.  Auf  gröfseren  Gebieten  iiu  Indischen 
Ozean  östlich  von  Mauritius,  sowie  an  der  Nordwestküste  Afrikas 
zwischen  20 — 40“  nürdl.  Br.  fanden  die  gesteigerten  Dämmerungs- 
erscheinungen längere  Zeit  hindurch  regelmäfsig  statt.  Das  letztere 
Gebiet  ist  insofern  von  näherem  Interesse,  als  es  wahrscheinlich  durch 
Minima,  welche  anfangs  November  im  nordatlantischen  Ozean  sich 
ausbildeten,  eine  bis  zur  Nordsee  reichende  Erweiterung  erfuhr,  wofür 
vereinzelte  Dämmerungsersoheinungen  in  England  und  Dänemark  bereits 
in  den  ersten  Novembertagen  sprechen. 

Die  dritte  Periode  dürfte  von  Mitte  November  zu  rechnen  sein, 
wo  eine  plötzliche  Steigerung  der  optischen  Phänomene  auf  der  ganzen 
nördlichen  Hemisphäre  vom  40.  Breitengrade  au  eintritt.  Am  23.  No- 
vember waren  die  nördlichen  Vereinigten  Staaten,  Kanada  und  British 
Kolumbia  in  den  Bereich  der  Störungen  eingetreten,  am  24.  reicht  das 
Gebiet  bis  nach  Island  hinauf,  um  in  breiter  Front  ostwärts  gewendet 
in  wenigen  Tagen  die  Westhälfte  Europas  zu  überdecken.  Schon  bis 
zum  28.  wurden  überall  westlich  der  Linie  Berlin -Konstantinopel 
glänzende  Abenddämmerungen  beobachtet  bis  61“  nördl.  Breite, 
während  dieselben  in  Nordamerika  andauerten,  und  in  Ostindien, 
Australien,  Neuseeland  und  dem  Pacifik  zwischen  den  Marshall-  und 
Sandwich -Inseln  mit  neuer  Stärke  auftraten.  Bei  der  plötzlichen 
Steigerung  der  Dämmerungserscheinungen  in  Deutschland  während 
der  letzten  Novembertage  scheinen  auch  lokale  meteorologische  Vor- 


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gange  mitgewirkt  zu  haben,  besonders  tritt  eine  starke  Zunahme 
der  relativen  Feuchtigkeit  auffallend  hervor.  Im  Anfang  Dezember 
dehnten  sich  die  Dämmerungserscheinungen  über  Kufsland  in  unbe- 
kannter Weise  ostwärts  aus;  Kiachta  in  Sibirien  meldet  am  11.  De- 
zember eine  glänzende  Abenddämmerung  — an  den  chinesischen  Küsten 
bis  Bö0  niirdl.  Br.  dauern  die  auffallenden  Dämmerungserscheinungen 
bis  Ende  Dezember.  Bis  zum  Jahressehlufs  scheint  der  grüfste  Theil 
der  Erdoberfläche  von  optischen  Störungen,  insbesondere  abnormen 
Dämmerungen  betroffen  gewesen  zu  sein,  alsdann  beginnt  die  vierte 
Periode  des  allmählichen  Erlöschens  der  Erscheinungen,  welche  bis 
zum  Sommer  1886  gerechnet  werden  kann,  aber  nach  den  neuesten 
Arbeiten  von  .Josse  über  die  leuchtenden  Wolken  noch  immer  nicht 
als  abgeschlossen  zu  betrachten  ist. 

Die  Beobachtungen  der  Dämmerungen  gaben  zugleich  ein  Mittel 
an  die  Hand,  aus  der  Dauer  des  ungewöhnlich  gesteigerten  ersten  und 
zweiten  Purpurlichtes  die  Höhe  der  das  Sonnenlicht  reflektirenden 
Dunstschicht  zu  bestimmen,  indem  man  aus  der  Dauer  die  Depression 
der  Sonne  unter  dem  Horizont  des  Beobachtungsorts  linden  kann. 
Im  Mittel  vieler  Beobachtungen  dauerte  das  erste  Purpurlicht  bis  54, 
das  zweite  bis  96  Minuten  nach  Sonnenuntergang.  Unter  der  Annahme, 
dafs  das  erste  Purpurlicht  direktes  Sonnenlicht,  das  zweite  aber 
reflektirtes  erstes  Purpurlicht  eines  weiter  westlich  gelegenen  Ortes 
ist,  ergiebt  sich  für  Anfang  Januar  1884  die  Höhe  der  reflek- 
tirenden Schicht  in  unseren  Breiten  zu  ca.  17  km,  während  dio 
Annahme,  dafs  das  zweite  Purpurlicht  ebenfalls  direktes  Sonnenlicht 
sei,  drei-  bis  vierfach  gröfsere  Höhen  liefert,  also,  abgesehen  von  der 
Schwierigkeit  die  Existenz  zweier  Schichten  von  so  verschiedener 
Höhe  zu  erklären,  wie  sie  durch  das  Erscheinen  von  erstem  und 
zweitem  Purpurlicht  nothwendig  sein  würden,  wenig  Wahrscheinlich- 
keit besitzt.  Aus  den  Untersuchungen  des  Comitös  der  Royal  Society 
ergiebt  sich,  dafs  die  Höhe  der  Rauch-  und  Dunstschicht  von  37  bis 
32  km  (obere  bis  untere  wahrscheinliche  Grenze)  am  Ende  August 
bis  auf  etwa  17  km  im  Januar  1884  abgenommen  haben  mufs,  was 
mit  dem  oben  mitgetheilten  Resultat  von  Jesse  vollkommen  über- 
einstimmt. 

Die  Aehnlichkeit  namentlich  der  ungewöhnlich  glänzenden 
Dämmerungserscheinungen  im  Jahre  1831,  hervorgerufen  durch  den 
unterseeischen  Vulkan  der  wieder  verschwundenen  Insel  Ferdinanden 
im  Mittelmeer,  mit  denen  der  Jahre  1883/84  lässt  die  Annahme  be- 
gründet erscheinen,  dafs  nicht  allein  die  festen  Auswurfsprodukte, 
Himmel  ud<1  Erde.  L ft.  34 


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470 


sondern  auch  der  in  ungeheuren  Quantitäten  in  die  Höhen  der  Atmo- 
sphäre beförderte  Wassordampf  in  irgend  einer  Form  zur  Entwickelung 
der  optischen  Störungen  beigetragen  hat,  während  die  atmosphärischen 
Erscheinungen  des  Jahres  1781!  keinerlei  Dümmerungserscheimmgen 
au  fzu weisen  hatten. 

Zum  Schlüte  sei  noch  erwähnt,  date  die  Explosion  des  Krakatau 
auch  eine  magnetische  Störung  in  dem  Erdkörper  hervorrief,  welche 
von  den  Magnetographen  einer  Anzahl  Stationen  gewissenhaft  ausge- 
zeichnet wurde.  Die  Geschwindigkeit  ihrer  Verbreitung  ergiebt  sich 
für  die  Deklination  im  Mittel  zu  1226  km  pro  Stunde,  was  mit  der 
Geschwindigkeit  der  Luftwelle  fast  genau  übereinstimmt;  für  die  übrigen 
magnetischen  Elemente  ist  sie  wesentlich  gröfeor.  Doch  gestattet  das 
verfügbare  Material  nicht,  weitere  Schlüsse  daraus  in  betreff  der  Be- 
einflussung  des  Erdmagnetismus  durch  den  vulkanischen  Ausbruch 
ziehen  zu  können. 


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Die  Fundstätte  des  isländischen  Kalkspates.’* 

Aus  dem  Isländischen  des  Thorvaldur  Thoroddsen  (Reise  iin  Ostlunde 
im  Sommer  1882). 

c Uobersetzt  von  M.  Lehmann-Filhes. 

. <Tn  Eskifjördur00)  weilte  ich  einige  Tage  bei  dem  Kaufmann  Jon 
^5**»  Magnusson  und  besuchte  von  dort  ab  und  zu  den  BergHelgustada- 
fjall,  um  die  Kalkspatgrube  zu  besichtigen.  Dieselbe  befindet  sicli 
etwas  seewärts  von  dem  Gehöft  Helgustadir  aufsen  in  einem  Bergabhange, 
knappe  300  Fufs  über  der  Meeresfiäche.  Unweit  des  Gehöftes  ergiefst 
sich  ein  Fliifschen  in  die  See  und  von  hier  geht  man  in  lj4 — 1/2  Stunde 
hinauf  nach  der  Grube.  Ein  kleiner  Bach  hat  sich  den  Abhang  hinab  ein 
Bett  gegraben  und  eine  flache  Schlucht  gebildet.  Er  heifst  Silfurla'kur***) 

*)  Die  vorliegenden  Mittheilungen  über  den  isländischen  Kalkspat  haben 
gegenwärtig  ein  um  so  grüfseres  Interesse,  als  zur  Zeit  infolge  längerer 
Stockung  der  Ausbeutung  der  isländischen  Fundstätten  ein  empfindlicher  Mangel 
an  Vorräthen  von  diesem  höchst  werth vollen  Krvstall  eingetreten  ist. 

Bei  der  grofsen  Wichtigkeit,  welche  dieses  unvergleichliche  Material 
für  Lichtmessungen  der  verschiedensten  Art  in  der  wissenschaftlichen  Forschung 
und  der  gewerblichen  Anwendung  hat,  werden  gegenwärtig  Schritte  vorbereitet, 
urn  jenen  Mangel  durch  erneute  Ausnützung  der  fast  allein  in  Frage  kommen- 
den isländischen  Fundstätten  zu  beseitigen,  nöthigenfalls  wird  es  sich  darum 
handeln,  eine  wissenschaftliche  Expedition  zu  orgauisiren,  welche  die  Sache 
selber  in  die  Hand  nimmt. 

Die  ganze  Angelegenheit  ist  auch  dadurch  von  besonderem  Interesse, 
als  sie  im  kleinen  einen  Vorgang  bildet,  welcher  sich  infolge  der  unab- 
lässigen Ausbeutung  der  mineralischen  Schätze  dor  Erde  durch  die  mensch- 
liche Arbeit  in  Zukunft  wohl  öfter  und  in  noch  gröfserem  Mafse  wiederholen 
und  mit  Nothwendigkcit  eine  organisirto  gemeinsame  Behandlung  von  Seiten 
aller  Kulturvölker  erfordern  wird. 

Dem  industriellen  Unternehmungsgeist  allein  werden  solche  Aufgaben 
der  Weltwirtschaft  auf  die  Dauer  nicht  zu  überlassen  sein,  wenn  nicht  rück- 
sichtslose Monopolisirungen  in  den  Händen  Weniger  oder  andere  Uebel  daraus 
entstehen  sollen.  Die  Red. 

Ein  Handelsort  an  dom  gleichnamigen  Fjorde. 

•**)  Der  Kalkspat  heifst  auf  Isländisch  silfurborg,  d.  i.  Silberstoin. 

34* 


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uud  hat  zuerst  Veranlassung  gegeben,  dars  man  den  Kalkspat  fand, 
denn  er  führte  kleine  Stücke  davon  hinab  an  den  Strand.  Darauf 
wurde  der  Berg  auf  der  West-  und  Nordseite  der  Schlucht  zum  Theil 
fortgenommen,  damit  man  zu  dem  Kalkspat  gelangen  konnte,  und  da- 
durch ist  allmählich  eine  Grube  in  Form  einer  länglichen  Schachtel 
entstanden,  die  72  Fufs  in  der  Länge  und  36  in  der  Breite  mifst. 
Oberhalb,  unterhalb  und  westlich  der  Grube  liegt  festes  Gestein  (Basalt): 
hier  wird  sie  von  einer  16  Fufs  hohen  Basaltwand  begrenzt,  östlich 
aber  ist  zwischen  ihr  und  dem  Bache  eine  schmale  Bank  von  Sand 
und  Steinen.  Die  Neigung  der  Grube  beträgt  10 — 12°,  die  des  Berg- 
abhanges selbst  aber  15°  im  Durchschnitt. 

Als  ich  das  erste  Mal  hinkam,  war  es  kaum  an  irgend  einer 
Stelle  möglich,  von  dem  Kalkspat  etwas  zu  sehen,  denn  der  ganze 
Boden  der  Grube  war  mit  Schutt  und  Steinen  bedeckt.  Man  hat  den 
Kalkspat  früher  aus  verschiedenen  tiefen  Löchern,  besonders  westlich 
in  der  Grube,  entnommen,  jetzt  aber  waren  sie  ganz  mit  grofsen  Steinen 
und  Geröll  angefüllt  und  überall  stand  das  Wasser  in  tiefen  Pfützen. 
Es  war  mir  daher  unmöglich,  die  Grube  ordentlich  zu  untersuchen, 
wenn  nicht  zuvor  Schutt  und  Steine  daraus  entfernt  und  das  Wasser 
abgeleitet  wurde.  Ich  liefe  deshalb  die  Grube  reinigen,  die  gröfsten 
Löoher  ausräumen  und  das  Wasser  soviel  als  möglich  ableiten  und 
konnte  nun  Mitte  August,  als  ich  aus  dem  Alptafjördur  kam,  eine  ge- 
nauere Untersuchung  anstellen. 

Der  Basalt,  in  dem  sich  die  Grube  befindet,  ist  von  einem  Netz- 
werk unzähliger  kleiner  und  grofeer  Sprünge  durchzogen;  oben  und 
unten  hat  sich  in  diesen  Sprüngen  nach  und  nach  kohlensaurer  Kalk 
(Kalkspat)  gesetzt,  so  dafe  die  Grube  gleichsam  ein  Zusammenflufs  von 
einer  Unzahl  von  Kalkspatgiingeu  ist,  die  nach  allen  Richtungen  gehen. 
Sie  sind  sehr  verschieden  an  Stärke  und  gehen  wie  Keile  im  Gestein 
auf  und  nieder,  so  dafe  eine  Kalkspatader  an  der  Oberfläche  2—3  Fufs 
im  Durchmesser  halten  und  einige  Fufs  tiefer  im  Berge  so  zusammen 
geschwunden  sein  kann,  dafe  sie  nur  noch  2- — 3 Zoll  stark  ist.  Ebenso 
kann  eine  Ader  auf  der  Oberfläche  schmal  sein,  tiefer  unten  stärker 
werden  und  sich  dann  wieder  verengen;  oder  mit  andern  Worten,  der 
Kalkspat  hat  sich  hier  auf  einer  kleinen  Stelle  in  unzähligen  kleinen 
und  grofsen,  unregelmäteig  gewundenen  Spalten  im  Basalt  gebildet 
Dieses  ganze  Gewirr  von  Spalten  scheint  auf  einem  länglich-schachtel- 
förmigen  Raum  angesammelt  zu  sein;  ob  aber  das  Ganze  eine  grofse  Blase 
im  Basalt  ist,  kann  man  nicht  gut  sagen,  ehe  nicht  der  Felsen  ringsum 
entfernt  ist.  Da  die  Kalkspatadern  so  unregelmiifeig  und  verschieden 


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stark  sind,  läfst  sich  nicht  mit  irgendwelcher  Gewifsheit  bestimmen, 
wieviel  davon  in  der  Grube  vorhanden  ist,  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  aber  ist  der  Vorrath  bedeutend. 

Der  Kalkspat  ist  an  Güte  sehr  verschieden  und  man  kann  ihn 
in  vier  Arten  eintheilen:  1.  grofse  durchsichtige  und  regelmäfsige 
Krystalle;  diese  sind  die  seltensten  und  werden  für  Sammlungen  an- 
gekauft und  am  theuersten  bezahlt;  2.  schöne,  ganz  durchsichtige  und 
fehlerfreie,  doch  kleinere  Stücke;  man  braucht  sie  zu  Instrumenten 
für  Lichtuntersuchung;  3.  hübsche  Stücke,  die  aber  nicht  ganz  fehler- 
frei sind  und  zum  Schmuck  und  Vergnügen  dienen;  4.  Abgang  oder 
Grus,  undurchsichtiger  Kalkspat,  weifs  von  Farbe  mit  vielen  Sprüngen; 
von  diesem  ist  bei  weitem  am  meisten  vorhanden,  so  dafs  die  anderen 
Sorten  im  Vergleich  hiermit  beinahe  verschwinden;  man  kann  diesen 
Abfall  zur  Sodawasser-Fabrikation,  zum  Kalkbrennen  u.  s.  w.  verwenden, 
l'eberall  da,  w»o  die  Adern  an  der  Oberfläche  zum  Vorschein  kommen, 
ist  in  ihnen  nur  dieser  Grus;  der  schönste  Kalkspat  findet  sich  immer 
im  weichen  Thon.  Das  grüfste  vorhandene  Loch  ist  in  einem  Kalk- 
spatgang westlich  in  der  Grube  ausgegraben,  welches  sich  mit  einer 
Neigung  von  40°  unter  dem  Basaltfelsen  hinabsenkt.  Das  Loch  war 
zwei  Mannshöhen  tief  und  ging  unter  einem  Bande  von  Basalt  in  die 
Tiefe,  wodurch  es  eine  doppelte  OefTnung  hatte.  Im  oberen  Theil, 
nahe  der  Mündung,  sind  grofse,  undurchsichtige  Kalkspat-Krystalle  von 
1 — 2 Fufs  Durchmesser,  meist  Rhomboeder,  in  einander  verwachsen 
und  zeigen  herausstehende  Ecken;  fast  überall  werden  sie  durch  Reihen 
und  Kränze  von  Desmin-Krystallen  eingefafst,  einem  in  Island  sehr 
häufigen  Krystalle.  Auf  dem  Boden  und  an  den  Seitenwänden  des 
Loches  stehen  Basaltzacken  in  die  Höhe;  die  Zwischenräume  sind 
theils  mit  undurchsichtigem  Kalkspat,  theils  mit  rüthlich-grauein  oder 
braunrothem  Thon  angefüllt.  In  letzterem  findet  man  die  schönsten 
Kalkspat-Krystalle,  denn  hier  haben  sie  am  besten  entstehen  und 
wachsen  können,  ohne  einander  zu  beengen  und  zu  hindern.  Viele 
Kalkspatstücke  haben  bedeutende  Fehler;  in  manchen  sind  kleine 
Sprünge,  so  dafs  man  die  Regenbogenfarben  darin  sieht;  manchmal 
scheinen  sie  eine  Anzahl  durchsichtiger  Nadeln  zu  enthalten;  manch- 
mal feine  Thonstreifen;  dann  wieder  eine  graufarbige  Wolke  innen 
im  Stein,  zuweilen  auch  Wasserlöcher  mit  Luftblasen  darin,  die  sich 
hin  und  her  bewegen,  je  nachdem  man  den  Stein  wendet.  Einige 
Kalkspatsteine  sind  inwendig  klar  und  durchsichtig,  haben  aber  aufsen 
eine  Rauchkruste  nnd  sind  oft  mit  kleinen  spitzen  Kalkkrystallen 
besetzt. 


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Seit  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  ist  immer  von  Zeit  zu  Zeit 
ein  wenig  aus  der  Kalkspatgrube  entnommen  worden,  niemals  jedoch 
beträchtlich  viel;  es  geschah  dies  nach  keiner  Kegel  und  von  nie- 
mandem besonders.  Einmal  aber  liels  der  König  dort  Kalkspat  graben, 
denn  in  einem  Briefe  vom  11.  April  1608  bittet  Friedrich  III.  das 
Kammer-Kollegium,  einen  Steinbrechergesellen  zu  schaffen  und  ihm 
für  sechs  Monate  Gehülfen  zu  geben,  um  Kalkspat  zu  holen.  Das 
Jahr  darauf  entdeckte  der  Naturforscher  Bartholin  in  dem  Stein  die 
merkwürdige  doppelte  Strahlenbrechung.  Es  nahm  sich  nun  aus  der 
Gmbe  jeder,  der  da  wollte.  1850  fing  man  zuerst  an,  die  Grube  mehr 
auszubouten;  um  diese  Zeit  erhielt  nämlich  ein  Kaufmann  in  Seydis- 
Ijördur,  T.  F.  Thomson,  von  dom  Pfarrer  Thorarinn  Erlendsson, 
dem  3/«  davon  gehörten,  die  Erlaubnis,  dort  Kalkspat  zu  graben;  er 
transportirte  ein  Weniges  auf  Pferden  an  den  Nordfjördur  und  von  dort 
zur  See  nach  Seydisfjördur.  — ■ 1854  pachtete  II.  Svendsen,  Geschäfts- 
führer zu  Eskiljördur  für  Oerum  & Wulf,  den  Antheil  des  Pfarrers 
Thorarinn  für  10  Reichsthaler  jährlich  u.  s.  w. 

Nirgend  findet  man  so  klaren  und  schönen  Kalkspat  wie  im 
Helgustadafjall,  wenn  auch  an  mehreren  Stellen  des  Ost-  und  West- 
landes kleine  Stückchen  gefunden  werden.  Keiner  Kalkspat  ist  nicht 
zu  jeder  Zeit  eine  gleich  gangbare  Waare;  nur  wenig  davon  wird  zur 
Verfertigung  optischer  Instrumente  gekauft;  die  gröfseren  Stücke  kaufen 
Sammlungen  und  auch  Privatleute  aus  Liebhaberei,  deshalb  ist  der 
Preis  ein  sehr  schwankender.  Die  grofsen  Kalkspatstücke  sind  es, 
welche  die  Arbeit  bezahlen  müssen,  der  Grus  ist  immer  sehr  niedrig 
im  Preise,  eine  kleine  Last  gilt  gewöhnlich  nur  30  Kronen.  Vorläufig 
wird  es  kostspielig  sein,  die  Grube  zu  bearbeiten,  denn  es  mufs  viel 
daran  getlian  und  hergorichtet  werden;  dazu  ist  im  Sommer  der  Ar- 
beitslohn am  Eskiljördur  sehr  hoch,  besonders  zur  Zeit  des  Härings- 
fanges; und  doch  ist  der  Kalkspat  etwas  so  Seltenes  und  Merkwürdiges, 
dafs  es  recht  nöthig  wäre,  dann  und  wann  einigen  zu  graben.  Es  ist 
jedoch  nicht  gut  thunlich,  dafs  die  Regierung  sich  mit  solchen  Unter- 
nehmungon  abgiebt,  denn  sie  hat  zu  vieles  auf  sich,  und  man  kann 
auch  nicht  erwarten,  dafs  alles  ebenso  gut  und  schnell  von  der  lland 
geht,  wenn  viele  dafür  zu  sorgen  haben;  aufserdem  sind  derartige 
Unternehmungen  sehr  unsicher  und  es  hängt  von  vielen  Umständen 
ab,  ob  sie  sich  lohnen  oder  nicht. 


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Versuch  einer  beweisführenden  Darstellung  des  Welt- 
gebäudes in  elementarer  Form. 

Von 

Dr.  M.  Wilhelm  Meyer-Berlin. 

‘'u  VII.  Die  heliocentrisclie  Bewegung. 

^ö^ls  wir  im  vorigen  Abschnitte  die  reformatorisohe  Lehre  des 
Copernikus  näher  kennen  lernten,  sahen  wir  zugleich,  dafs 
derselben  noch  mancherlei  Mängel  anhafteten.  In  der  That 
wäre  die  Aufgabe  einer  vollständigen  Reformation  der  Sternkunde  auf 
Grundlage  des  fundamental  umwälzenden  Copernikanischen  Gedankens 
eine  zu  grofse  gewesen,  als  dafs  sie  ein  einzelner  noch  so  gewaltiger 
Menschengeist  hätte  lösen  können.  Wir  schmälern  deshalb  den  Ruhm 
eines  Copernikus  durchaus  nicht,  wenn  wir  uns  überzeugen,  dafs 
er  auf  halbem  Wege  zur  'Wahrheit  stehen  geblieben  ist  und  manches 
Unbrauchbare  und  Fehlerhafte  von  den  alten  Lehren  des  Pt olo maus 
in  sein  System  mit  hinübergenommen  hat..  Ks  ist  sogar  zu  verwun- 
dern, dafs  kaum  ein  Jahrhundert  verflofs,  ehe  ein  so  eminenter  Geist 
wie  der  des  Kopier  die  neue  Lehre  mit  Begeisterung  in  sich  aufnahm 
und  in  lebendigster  Schaffenslust  von  Grund  auf  neu  durcharbeitete. 
Denn  es  wäre  nach  dem  gewöhnlichen  Mafs  der  geschichtlichen 
Entwickelung  durchaus  möglich  gewesen,  dafs  zwischen  Coperni- 
kus und  Kepler  eine  nicht  geringere  Zeitspanne  verflossen  wäre, 
als  zwischen  Ptolemäus  und  Copernikus.  Wir  können  uns 
deshalb  unendlich  glücklich  schätzen,  dafs  wir  zu  den  Epigonen  dieser 
Geistesheroen  zählen,  welche  unserm  seelischen  Auge  einen  univer- 
salen Weitblick  von  dem  ungeheuren  Umfange  jener  Milchstrafsen- 
svsteme  von  Sonnen,  über  wolche  wir  heute  nachzudenken  im  Stande 
sind,  verschafften,  während  das  Auge  des  Menschen  ehemals  in  blinder 
Kurzsichtigkeit  kaum  über  die  Erdscholle,  welche  uns  trägt,  das  ver- 


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lorene  Sandkörnchen  im  Woltgetriebe,  hinaus,  seinen  bedrückend  engen 
Horizont  ausdehnte.  Copernikus  hat  uns  zwar  die  Möglichkeit  zu 
diesem  Weitblick 'verschafft,  aber  er  bofand  sich  in  dem  kleinlichen, 
verwickelten  Uhrwerksmechanismus  der  übernommenen  Ptolomäischen 
Epicvkeln  dennoch  allzusehr  eingeengt.  Dem  erleuchteten  prophe- 
tischen Geiste  eines  Kepler  konnten  indefs  diese  verworrenen  Räder 
nicht  genügen;  er  war  von  der  grofsen  Einheit  des  Weltgebäudes,  vom 
Vorhandensein  eines  ersten  göttlichen  Grundprinzips  aller  Erschei- 
nungen allzu  sehr  überzeugt,  als  dafs  er  an  das  Vorhandensein  so 
vieler  kleiner  Ursachen  für  die  Bewegungen,  wie  sie  die  neuen  Epi- 
cykeln  des  Cop  ernikus  immer  wieder  nölhig  machten,  glauben  konnte. 

Die  Sonne,  um  welche  nun  nach  der  neuen  Ueberzeugung  alle 
Planeten  in  gewaltigem  Umschwünge  kreisten  und  in  der  also  die 
Grundkraft  wohnte,  die  auch  unsere  grofse  Erde  mit  dem  kleinen 
Menschenvolke  an  unsichtbarem  Bande  regierte,  diese  Sonne  war  ihm 
die  Seele  der  Welt,  deren  überirdische  Kraft  nach  wohl  noch  unbe- 
kannten, aber  seiner  innigsten  Ueberzeugung  nach  erforschlichen  ein- 
fachen Gesetzen  alle  diese  imposanten  Bewegungsersoheinungen  ver- 
ursachte. Es  war  ja  längst  höchst  unwahrscheinlich  geworden,  dafs 
die  Planeten  untereinander  und  mit  der  Sonne  durch  irgend  einen 
festen  Mechanismus,  von  welchem  man  doch  irgendwo  einmal  eine  Spur 
bemerkt  haben  müfsle,  verbunden  seien.  Die  bewegende  Kraft  mufste 
imsichtbar  -wie  die  Kraft  der  Seele  von  einem  Körper  zum  anderen 
überströmen,  und  diese  bewegende  Seele  der  Welt  konnte  nirgends 
anders  als  in  der  alles  belebenden,  alles  beglückenden  und  in  der 
unnahbaren  Lichtfülle  göttlicher  Majestät  im  Mittelpunkte  der  Welt 
thronenden  Sonne  wohnen. 

Diese  einheitliche  Kraft  konnte  sich  mit  logischer  Nothwendigkeit 
nur  durch  einheitliche  Gesetze  kundgeben:  diese  zu  finden  setzte  sich 
Kepler  zur  Lebensaufgabe,  die  er,  so  glücklich  wie  kein  Anderer 
im  Suchen  und  Finden,  völlig  gelöst  hat.  Kepler  fand  die  drei  Grund- 
gesetze, nach  welchen  alle  Bewegungen  in  den  unermefslichen  Him- 
melsräumen bis  zu  den  Grenzen  des  von  unseren  weltdurchdringenden 
Fernröhren  erforschlichen  Gebietes  stattfiuden;  und  zwar  fand  er  jedes 
dieser  Gesetze  für  sich  durch  eine  Verbindung  mühsamer  mathema- 
tischer Kombinationsfähigkeit  mit  einer  so  zu  sagen  künstlerischen 
Divinationsgabe.  Zu  beweisen,  dafs  diese  Gesetze  untereinander  in 
nothwendigeni  Zusammenhänge  standen,  war  er  nicht  im  stände.  Be- 
vor Newton  auftrat,  hatte  das  System  Keplers  deshalb  vor  dem 
des  Copernikus  streng  logisch  nioht  mehr  voraus,  als  dieses  letztere 


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vor  dem  Ptolemäischen,  indem  es  die  Beobachtungen  bei  grofser  Ver- 
einfachung des  Mechanismus  nocli  ein  wenig  besser  darstellte,  wie  das 
seines  Vorgängers.  Kepler  suchte  sein  System  zu  demselben  Zwecke 
wie  Copernikus  und  Ptolemiius;  er  wollte  die  Beobachtungen  mit 
einer  bestimmten,  willkürlich  zu  wählenden  Hypothese  über  den  Bau 
des  Sonnensystems  in  möglichst  guten  Einklang  bringen.  Dafs  er 
nach  einander  drei  einander  ergänzende  Grund-Hypothesen  oder  Ge- 
setze fand,  welche  durch  die  spätere  Newtonische  Theorie  als  die  allein 
denkbaren  und  nothwendigen  Konsequenzen  eines  einzigen,  noch  ein- 
facheren und  umfassenderen  Gesetzes  erwiesen  wurden,  war  eine  Lei- 
stung ohne  Gleichen  und  deshalb  eben  müssen  wir  Kepler  als  den 
glücklichsten  aller  Entdecker  bezeichnen. 

Es  ist  eines  der  interessantesten  Kapitel  der  Geschichte  der  Ent- 
wickelung des  menschlichen  Geistes,  den  Werdeprozefs  zu  verfolgen, 
durch  welchen  Kepler  zu  eben  dieser  Erkenntnifs  gelangte:  wie  sein 
phantasievoller  klarer  Geist,  durchdrungen  von  der  Ueberzeugung  jener 
alles  lenkenden  Weltseele,  sich  zunächst  mit  voller  Inbrunst  dem  ur- 
alten schönen  Gedanken  von  der  Harmonie  der  Sphären  hingiebt,  wie 
er  sich  in  seinem  Erstlingswerke,  dem  „Mysterium  cosmographicum'“ 
in  der  weiteren  Ausbildung  der  idealischen  Anschauung  eines  Plato 
ergeht,  um  auf  einmal,  wie  erleuchtet  von  einem  höheren  Geiste,  eine 
ganz  neue  Richtung  einzuschlagen,  in  deren  Verfolgung  er  die  höchst 
mühsame  Arbeit  langer  Jahre,  welche  in  seinem  Erstlingswerke  nieder- 
gelegt wurde,  selbst  wieder  vernichtet,  und  wie  er  endlich  sich  dennoch 
entschliefst,  nachdem  er  die  definitive  Ordnung  in  das  Weltgetriebe 
getragen  hat,  sein  Erstlingswerk  in  einer  zweiten  Auflage  herauszu- 
geben, um  der  Welt  zu  zeigen,  wie  auch  diese  Irrungen  eines  in  sich 
einheitlichen  Geistes  überall  die  Keime  der  Wahrheit  tief  innerlich 
enthalten  und  aus  ein  und  derselben  Wurzel  emporwachsen  mufsten: 
der  unerschütterlichen  Ueberzeugung  von  der  grofsen  Einheit  des 
Weltgetriebes. 

Leider  aber  können  wir  uns  bei  diesen  geschichtlichen  Darstel- 
lungen von  nun  ab,  da  wir  der  Beweisführung  von  der  Wahrheit 
dieser  Gedanken  endlich  näher  treten  müssen,  nicht  länger  aufhalten. 
Es  sei  nur  erwähnt,  dafs  Kepler  in  seinem  Mysterium  cosmographicum 
den  Beweis  zu  führen  versuchte,  dafs  man  im  stände  sei,  in  die  fünf 
Zwischenräume,  welche  zwischen  den  sechs  Planetensphären  enthalten 
sind,  die  fünf  regulären  geometrischen  Körper  gerade  so  einzuschieben, 
dafs  je  einer  dieser  Körper,  welcher  von  einer  bestimmten  Sphäre  an 
seinen  Ecken  von  aufsen  umspannt,  von  der  nächstinneren  (d.  h.  der 


tf 

t 


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•478 


Sonne  näheren)  Planeten-Sphärc  dagegen  an  seinen  Flächen  von  innen 
berührt  wurde.  Dafs  dies  ungefähr  stimmte,  war  ein  blofser  Zufall,  wobei 
Kepler  aufserdem  noch  die  damalige  ungenaue  Kenntnifs  der  Planeten- 
entfernungen zugute  kam.  Schon  diese  Andeutung  genügt,  um  zu  er- 
kennen, wie  sehr  Kepler  damals  noch  von  den  Pythagoreischen  An- 
sichten über  die  Sphären  und  harmonischen  Zahlenverhältnisse  be- 
herrscht wurde. 

Wenn  wir  uns  während  unserer  bisherigen  Betrachtungen  mit 
allgemeinen  Angaben  und  graphischen  Darstellungen  begnügt  haben, 
so  mochte  das  allerdings  wohl  als  blofse  Uebersicht  über  die  irrigen 
Anschauungen,  welche  den  Weg  zur  Wahrheit  bahnen  mufsten,  aus- 
reichen. Es  galt  ja  nur  den  Geist  zur  Aufnahme  dieser  Wahrheit  ge- 
nügend vorzubereiten.  Wir  hatten  dazu  nicht  nüthig,  das  Weltgebäude 
der  älteren  Astronomen  in  seiner  ganzen  Komplizirtheit  bis  in  alle 
Details  noch  einmal  aufzubauen.  Gegenwärtig  jedoch,  da  wir  im  Be- 
griffe sind  in  das  Gebiet  der  strengen  Wahrheit  einzutreten,  ist  es  zur 
Erfüllung  unserer  Aufgabe,  möglichst  allgemein  verständliche  Beweise 
für  dieselbe  zu  geben,  nöthig,  uns  eingehender  mit  bezüglichen  Rech- 
nungen und  geometrischen  Betrachtungen  au  sich  einfacher  Art  zu 
befassen.  Ich  bitte  den  geneigten  Leser,  vor  denselben  nicht  von  vorn 
herein  als  vor  etwas  Unverständlichem  zurückzuschrecken.  .Zahlen 
beweisen“,  sagt  ja  schon  der  gewöhnlichste  Sprachgebrauch;  will  man 
also  Beweise,  so  darf  man  sich  vor  Zahlen  und  Rechnungen,  welche 
zu  den  gewünschten  Zahlen  führen,  nicht  fürchten.  Verständlich  hoffe 
ich  — trotz  der  nun  gelegentlich  unvermeidlichen  mathematischen 
Formeln  — für  jedermann  sein  zu  können,  der  zu  denken  versteht. 

Die  das  Weltgetriebe  an  sich  so  wesentlich  vereinfachende  Idee 
des  Coperuikus  hatte  in  die  geometrische  Darstellung  der  Bewegun- 
gen insofern  eine  neue  Schwierigkeit  getragen,  als  wir  nun  alle  diese 
Bewegungen  von  einem  selbstbewegten  Standpunkte  aus  betrachten 
müssen,  während  ja  vorher  alles  auf  das  ruhende  Erdcentrum  be- 
zogen wurde.  Die  erste  und  noth wendigste  Aufgabe  war  deshalb  für 
den  grofsen  Nachfolger  des  Copernikus,  eine  exakte  geometrische 
Methode  zu  finden,  durch  welche  die  von  der  bewegten  Erde  aus  ge- 
sehenen Bewegungen  auf  das  allgemeine  Centrum,  die  Sonne,  bezogen 
werden  konnten,  so  dafs  man  jederzeit  zu  berechnen  im  stände  war, 
in  welcher  Richtung  ein  Planet,  dessen  Lage  zu  den  Sternen  man  auf  der 
Erde  gemessen  hatte,  zu  dieser  selben  Zeit  von  der  Sonne  aus  gesehen 
werden  würde.  Auf  den  ersten  Blick  erscheint  es  dem  an  diese  wan- 


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479 


delnde  Scholle  gefesselten  Menschen  höchst  schwer,  diese  ungeheure 
Gedankenbrücke  von  der  Erde  zur  Sonne  durch  die  grundlose  Leere 
hindurch  zu  finden.  Wir  werden  jedoch  sehen,  wie  ungemein  einfach 
sich  die  Lösung  dieser  Aufgabe  in  Wirklichkeit  gestaltet 

Zu  diesem  Zwecke  kommt  uns  zunächst  eine  besondere,  zuweilen 
beobachtete  Stellung  des  betreffenden  Planeten  zu  statten,  nämlich  seine 
sogenannte  „ Opposition“.  Ein  Planet  hat  seine  Opposition,  wenn  er 
mit  Sonne  und  Erde  in  derselben  geraden  Linie,  und  zwar  so  steht, 
dars  sich  die  Erde  zwischen  Sonne  und  Planet  bofindet  (indem  wir 
auch  hier,  wie  es  schon  früher  geschah,  der  Einfachheit  der  Darstellung 
wegen,  von  der  geringen  Neigung  der  Planetenbahnen  unter  einander 
absehen).  Der  Moment,  wann  dieses  eintritt,  ist  von  der  Erde  aus  un- 
mittelbar und  mit  voller  Schärfe  zu  beobachten.  Denn  wir  können 
doch  stets  die  wahre  Lage  der  Sonne  sowohl  wie  die  des  Planeten  an 
der  Himmelskugel  ausmessen.  Die  Sonne  läuft  ja,  wie  wir  schon  ge- 
sehen haben,  sehr  nahe  in  einem  Kreise,  Ekliptik  genannt,  wenn  auch 
nicht  mit  völlig  gleichmäfsiger  Geschwindigkeit,  um  den  Himmel  und 
die  Planeten  entfernen  sich  auf  ihren  verwinkelteren  Wegen  glück- 
licherweise nur  sehr  wenig  von  dieser  Ekliptik.  Die  Winkelentfernung 
des  Planeten  oder  der  Sonne  von  einem  zunächst  beliebig  zu  wählenden 
Anfangspunkte,  für  welchen  man  bekanntlich  denjenigen  Kreuzungs- 
punkt der  Ekliptik  mit  dem  Himmels-Aequator  genommen  hat,  den  die 
Sonne  zu  Frühlingsanfang  passirt  (den  Friihlingsnachtgleichenpunkt), 
nennt  man  die  Länge  des  betreffenden  Himmelskörpers.  Wenn  diese 
üinge  der  Sonne  und  des  Planeten  um  genau  180°  oder  einen  halben 
Kreisumläng  von  einander  verschieden  sind  (was  doch  stets  direkt 
konstatirt  werden  kann),  bofinden  sich  die  drei  Körper  offenbar  in 
einer  geraden  Linie  und  es  findet  die  Opposition  des  Planeten  statt 
Es  ist  nun  aber  unmittelbar  einzusehen,  dars  um  diese  Zeit  der 
Planet  von  der  Sonne  gesehen  in  genau  derselben  Richtung  stehen 
mufs,  wie  wir  ihn  von  der  Eide  aus  sehen,  denn  beide  Richtungen 
liegen  ja  in  derselben  geraden  Linie.  Für  diesen  besonderen  Fall 
können  wir  uns  also  unmittelbar  im  Geiste  auf  die  Sonne  versetzen 
und  wissen  mit  vollkommener  Sicherheit,  — ohne  jede  Voraussetzung 
über  die  wahre  Beschaffenheit  des  Sonnensystems,  was  wohl  zu  merken 
ist  — in  welcher  Winkelentfernung  vom  Frühlingsnachtgleichenpunkte 
der  Planet  sich  in  diesem  Augenblicke,  von  der  Sonne  aus  gesehen, 
befunden  hat  Diese  Entfernung  nennt  man  die  „helioeentrische  Länge” 
des  Planeten,  im  Gegensätze  zu  seiner  „geocentri sehen  (von  der  Erde 


480 


aus  gesehenen)  Länge1',  welche  nur  zur  Zeit  der  Opposition  mit  der 
ersteren  übereinstimmt. 


Nachdem  wir  uns  Zeit  und  lünge  für  eine  erste  dieser  Oppo- 
sitionen gemerkt  haben,  lassen  wir  den  Planeten  seinen  schleifen- 
bildenden Weg  am  Himmel  weiter  beschreiben,  ohne  uns  zunächst  um 
ihn  zu  kümmern,  bis  er  einer  zweiten  Opposition  nahe  kommt  Diese 
findet,  wie  wir  bald  bemerken,  statt,  während  sich  der  Planet  in  einer 
anderen  Richtung  befindet,  wie  bei  der  ersten  Opposition.  Wir  merken 
uns  wieder  die  genaue  Zeit  und  die  Länge  des  Planeten.  Ebenso 
machen  wir  es  mit  der  nächst  folgenden  Opposition  und  so  fort,  bis 
etwa  die  Oppositionslänge  des  Planeten  ungefähr  dieselbe  geworden 
ist,  wie  bei  der  ersten  beobachteten  Opposition,  oder  bis  der  Ort  der 
Opposition  am  Himmel  etwa  einen  ganzen  Umkreis  beschrieben  hat. 
Wir  wollen  die  direkten  Beobachtungsresultate,  welche  wir  auf  diese 
Weise  für  den  Planeten  Mars  erhalten  würden,  einmal  hier  aufschreiben. 


Es  fanden  Oppositionen  des  Mars  statt  oder  werden  sich  ereignen, 
an  folgenden  Tagen,  und  der  Planet  wird  sich  in  den  beigeschriebenen 
Richtungen  befinden: 


Intervall 


Oppositionszeit 
1875  Juni 

19.87 

t 

170.87 

in  Tagen 

i 

268°.57 

1877 

September 

5.50 

248.50 

808.63 

797.8.-» 

343°.47 

1879 

November 

12.35 

316.35 

775.38 

50°.  11 

1881 

Dezember 

26.73 

360.73 

766.26 
764.04 
767.74 
7 f 5.53 

95°.67 

1884 

Januar 

81.99 

31.99 

132°.09 

188« 

Marz 

6.03 

65.03 

165“.  00 

1888 

April 

10.77 

101.77 

20P.79 

1890 

Mai 

27.30 

147.30 

800.47 

246-.40 

1892 

August 

3.77 

216.77 

312°.25 

Intervall 


434 M)0 
42(1».« 
405».5lt 
39«".42 
393”.91 
395°.89 
404“.61 
425“.  85 


In  der  ersten  Columne  dieser  Tabelle  ist  die  Oppositionszeit  bis 
auf  Hunderttheilo  des  Tages  angegeben.  Alle  diese  Zeiten  sind  nach 
astronomischer  Zählweise  auf  den  Meridian  von  Greenwich  bezogen, 
weloher  jetzt  immer  allgemeiner  als  erster  Meridian  anerkannt  wird. 
Die  erste  Angabe  Juni  19.87  bedeutet  also  den  Moment,  in  welchem 
in  Greenwich  nach  dortiger  mittlerer  Sonnenzeit  87  Hundertstel  Tage 
seit  dem  Mittag  (nicht  der  Mitternacht)  des  19.  Juni  verflossen  sind. 
In  der  folgenden  mit  t üborschriebenon  Reihe  der  Tabelle  sind  diese 
selben  Zeiten  noch  einmal  vom  Anfang  des  betreffenden  Jahres  ab, 
in  fortlaufenden  Tagen  gerechnet,  aufgeschrieben.  Diese  Wiederholung 
ist  zu  dem  Zwecke  geschehen,  um  dem  Leser,  welchem  ich  rathe,  zur 
Vervollkommnung  seines  Verständnisses  für  das  Vorzutragende  alles 
genau  nachzurechnen,  eben  diese  Arbeit  etwas  zu  erleichtern.  Die 


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481 


folgende  Reihe  enthält  die  zwischen  zwei  Oppositionen  verflossene 
Zeit  in  Tagen.  Dann  folgen  unter  1 die  zugehörigen  geocentrischen  und 
zugleich  heliocentrisohen  Längen  des  Mars,  und  endlich  die  Anzahl 
von  Graden,  welche  der  Planet  am  Himmel  zwischen  zwei  aufeinander 
folgenden  Oppositionen  durchlaufen  hat.  Sie  ist  gleich  der  Differenz 
zweier  benachbarten  Längen  plus  360°,  denn  der  Planet  hat  von  der  Erde 
aus  gesehen  — und  von  der  Sonne  aus  mufs  es  offenbar  ebenso  sein 
— zunächst  einen  ganzen  Umkreis  und  dann  noch  jenes  zwischen 
zwei  Oppositionsorten  liegende  Stück  durchlaufen. 

Aus  der  denkenden  Betrachtung  dieser  verhältnifsmäfsig  so  we- 
nigen Beobachtungsdaten  können  wir  nun  bereits  höchst  interessante 
Schlufsfolgerungen  über  die  Bewegung  des  Planeten,  wie  sie  sich  von 
der  Sonne  aus  gesehen  darstellen  mufs,  ziehen.  Zunächst  bemerken 
wir  in  der  Aufeinanderfolge  der  Werthe  für  die  Länge  keinerlei  Kno- 
tenpunkte oder  gar  die  Anzeichen  einer  zeitweilig  rückläufigen  Be- 
wegung, wie  sie  von  der  Erde  gesehen  in  den  Schleifen  hervortritt. 
Zwar  sind  die  gefundenen  heliocentrisohen  Längen  nur  ganz  vereinzelt 
je  aus  einem  ganzen  Umlauf  des  Planeten  um  den  Himmel  des  Sonnen- 
beobachters herausgenommen,  und  von  vornherein  können  wir  aller- 
dings nicht  wissen,  ob  nicht  jedesmal  in  dem  übrigen  Theile  der 
scheinbaren  Bahn  des  Planeten  um  die  Sonne  (denn  „scheinbar'  müssen 
wir  sie  noch  nennen,  so  lange  die  Bewegung  der  Erde  um  die  Sonne 
noch  nicht  endgültig  bewiesen  ist),  letzterer  eine  ganz  ähnliche 
Schleife  beschreibt,  wie  von  der  Erde  gesehen.  Aber  wir  können  uns 
doch  leicht  überzeugen,  dafs  auch  jede  Reihe  von  Punkten,  welche  in 
ungefähr  gleichen  Zwischenräumen  aus  einer  Bahnlinie  herausgenommen 
und  für  sich  einzeln  wieder  zu  einer  solchen  zusammen  gestellt  werden, 
die  Form  der  ursprünglichen  Linie  wieder  annehmen  wird.  Würden 
wir  zum  Beispiel  die  geocentrische  Länge  des  Mars  auch  nur  alle 
Jahre  einmal  messen  und  auf  einem  Himmelsglobus  aufzeichnen  und 
diese  Operation  eine  längere  Reihe  von  Jahren  hindurch  wiederholen, 
so  würde  die  so  erhaltene  Reihe  von  Punkten  sich  schliefslich  zu  einer 
schleifenbildenden  Kurve  zusammenfügen  lassen.  Die  hier  angeführten 
Längen  aber  enthalten  davon  nichts.  Dieselben  sind  nun  allerdings 
wohl  in  zu  grofsen  Zwischenräumen  über  den  ganzen  Umkreis  ver- 
theilt, um  allein  einen  strikten  Beweis  für  das  Fehlen  von  Knoten- 
punkten abzugeben.  Würde  man  indefs  die  Oppositionen  noch  so 
weit  zurückverfolgen,  so  fände  mau  dennoch  nirgends  irgendwo  eine 
besonders  starke  Anhäufung  dieser  Richtungslinien  an  irgend  einer 
Stelle  des  Umkreises,  wie  es  an  Punkten  doch  nöthig  wäre,  wo  der 


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482 


Planet  wegen  seines  Uebergangs  aus  rechtläufiger  in  rückläufige 
Bewegung  besonders  lange  verweilt  Die  nähere  Betrachtung  der 
Oppositionsorto  hat  uns  also  an  sich  allein  beweisen  können,  dafs  der 
Planet  Mars  (und  für  alle  übrigen  hätten  wir  dasselbe  gefunden)  von 
der  Sonne  aus  gesehen  nur  eine  rechtläufige  Bewegung  besitzt, 
d.  h.  keine  Schleifen  bildet. 

Es  ist  sehr  merkwürdig,  dars  man  diesen  Satz  ohne  irgend  welche 
Voraussetzung  über  die  wahre  Form  des  Sonnensystems  aufstellen 
konnte.  Auch  Ptolemäus  hätte  ihn  finden  können,  wenn  ihm  die 
genügende  Zahl  von  Beobachtungen  zu  Gebote  gestanden  hätte.  Er 
würde  dann  sofort  erkannt  haben,  dafs  die  Bewegungserscheinungen 
sich,  von  der  Sonne  gesehen,  bedeutend  vereinfachen  und  hätte  dann 
wohl  selbst  die  Copemikanische  Stufe  erstiegen.  Das  war  indefs  ihm 
ebensowenig  wie  Copernikus  selbst  möglich,  weil  beiden  eben  die 
Beobachtungen  fehlten,  welche  Kepler  namentlich  aus  dem  Nachlasse 
des  grofsen  dänischen  Astronomen  Tycho  Brahe,  dann  aber  auch 
durch  den  Fleifs  aller  jener  übrigen  Astronomen  zu  Gebote  standen, 
welche  sich  seit  Ptolemäus  mit  der  möglichst  exakten  Verfolgung 
der  Bewegungen,  wie  sie  uns  erscheinen,  befafst  hatten,  um  eben  den 
Speculationen  über  die  wahren  Bewegungen  eine  möglichst  solide 
Grundlage  zu  verschallen. 

Wir  sind  nun  in  unserer  Beweisführung  bis  zu  der  Ueberzeugung 
vorgeschritten,  dafs  die  „scheinbaren"  Bewegungen  der  Planeten  um 
die  Sonne  weit  regelmäfsiger  vor  sich  gehen,  als  um  die  Erde.  Wir 
wollen  nun  sehen,  ob  wir  aus  den  vorliegenden  Oppositionsbeobacli- 
tungeu  nicht  noch  näheren  Aufschlufs  über  die  besonderen  Eigen- 
thümliohkeiten  dieser  heliozentrischen  Bewegung  erhalten  können. 
Zuerst  wollen  wir  es  versuchen,  die  wahre  Umlaufszeit  des  Planeten 
um  die  Sonne  zu  ermitteln. 

Unsere  Tabelle  zeigt  uns,  dafs  Mars  zwischen  dem  19.  Juni 
1875  und  dem  27.  Mai  1890  nahezu  acht  Umläufe  vollendet  haben 


mufs,  wie  ein  einfaches  Abzählen  der  Gradintervalle  ergiebt.  An 
acht  vollen  Umläufen  fehlen  noch  2(58 n.57  — 246n.40  = 22°.17.  Wir 
machen  nun  die  vermuthlich  nicht  ganz  richtige,  jedoch  nach  den  vor- 
augegungenen  Betrachtungen  sich  jedenfalls  nicht  sehr  wesentlich  von 
der  Wahrheit  entfernende  Annahme,  dafs  die  Bewegung  des  Mars 
um  die  Sonne  ganz  gleichmiifsig  schnell  geschieht.  Wir  finden  dann 


olTenbar,  dafs 


■)•>«  j7 

— 0.0616  Theile  des  ganzen  Umlaufs  in  dem 


fraglichen  Momente  noch  an  acht  vollen  Umläufen  des  Planeten  fehlten. 


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483 


Die  Zeit  von  der  ersten  bis  zur  zweitletzten  der  aufgeschriebenen 
Oppositionen  umfafst  nun  5455.43  Tage.  Während  dieser  Zeit  fanden 
nach  unserer  Rechnung  8 — 0.0616  = 7.9384  Umläufe  statt.  Beide 
Zahlen  geben  durch  einander  dividirt  687.21  Tage  Für  die  „siderische“ 
Umlaufszeit  des  Planeten  um  die  Sonne. 

Diese  Zahl  wird  wegen  der  oben  gemachten  Voraussetzung  der 
gleichförmig  schnellen  Bewegung,  vermuthlich  nur  annäherungsweise, 
richtig  sein.  Wir  können  uns  jedoch  ihrer  bedienen,  um  die  Eigen- 
thümlichkeiten  dieser  Bewegung  in  Wirklichkeit  kennen  zu  lernen 
und  dann  unsere  eben  gemachte  Reohnung  darnach  korrigiren. 
Ein  solches  successives  Verfahren  wird  bei  der  Lösung  aller  haupt- 
sächlichen astronomischen  Probleme  stets  angewandt. 

Zu  diesem  Zwecke  zählen  wir  die  gefundene  Umlaufszeit  zunächst 
zur  Zeit  der  ersten  Opposition  hinzu,  das  heifst  (1875)  170.87  4-  687.21. 
Um  diese  Zeit  — wie  sie  sich  bürgerlich  ausdrückt,  brauchen  wrir 
hier  nicht  zu  ermitteln  kehrt  also  Mars  von  der  Sonne  aus  gesehen 
wieder  in  seine  erste  Richtung  zurück,  d.  h.  seine  heliooentrische  Länge 
ist  dann  268°.57.  Indem  wir  diese  Zeit  von  der  der  nächsten  Oppo- 
sition (1877)  248.50  abziehen,  erfahren  wir,  wie  viel  Zeit  verfliefst,  bis 
der  Planet  von  jener  Stellung  268°.57  zu  dem  näohsten  Opposi- 
tionsorte 343".47  vorgeschritten  ist.  Dieses  Zeitintervall  erhalten  wir 
offenbar  noch  einfacher,  wenn  wir  von  dem  Zeitintervall  zwischen  den 
beiden  Oppositionen,  die  „wahre  synodische  Umlaufszeit“  genannt,  die 
siderische  Umlaufszeit  abziehen:  808.63  — 687.21  = 121.42  Tage.  Inner- 
halb dieser  Zeit  ist  der  Planet,  von  der  Sonne  gesehen,  von  343°.47  bis 
268".57,  also  um  74°.90  vorgeschritten.  Beide  Zahlen  durcheinander 
dividirt  ergeben,  dafs  derselbe  damals  im  Tage  durchschnittlich  0°.6169 
zurückgelegt  hat.  Wir  führen  nun  die  gleiche  Rechnung  für  die  Inter- 
valle zwischen  den  übrigen  Oppositionen  aus  und  erhalten  dann  fol- 
gende merkwürdige  Zahlenreihe,  der  wir  die  mittleren  Richtungen,  für 
welche  diese  Bewegungen  stattfinden,  hinzufügen.  Letztere  wurden 
einfach  gefunden,  indem  man  die  Mitte  zwischen  den  beiden  betreffen- 
den Oppositionsorten  nahm. 

Richtung  Tägl.  Beweg.  Richtung  Tiigl.  Beweg. 


306« 

0°.6169 

149" 

0 ".4400 

17 

0 .6019 

184 

0 .4458 

73 

0 .5167 

224 

0 .6050 

129 

0 .4604 

279 

0 .5814. 

Wir  machen  hier  die  höchst  wichtige  Entdeckung,  dafs  die  Ge- 
schwindigkeiten der  Marsbewegung  ziemlich  veränderlich,  jedoch  offen- 


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har  einer  bestimmten  Gesetzmäfsigkeit  unterworfen  sind.  Hätten  wir  noch 
weitere  Oppositionen  verfolgen  können,  so  würden  wir  gefunden  haben, 
dafs  stets  für  dieselben  Richtungen  dieselben  Geschwindigkeiten  wieder- 
kehren. Es  verhält  sich  also  mit  der  „scheinbaren“  Bewegung  des 
Mars  um  die  Sonne  genau  so  wie  mit  dem  „scheinbaren“  Umlauf  dieser 
letzteren  um  die  Erde.  Auch  hier  kommen  keine  Schleifenbildungen 
vor,  während  die  Geschwindigkeit,  wie  ja  schon  Ilipparch  gefunden 
hatte,  mit  den  Jahreszeiten  regelmäfsig  wechselt.  Unsere  Zahlen  für 
Mars  ergeben,  dafs  seine  Geschwindigkeit  etwa  um  150°  heliozentrische 
Länge  herum  am  geringsten,  in  der  entgegengesetzten  Richtung  da- 
gegen am  gröfsten  ist.  Diese  Richtung  stimmt  mit  derjenigen  über- 
ein, in  welche  nach  Ptolemäus  die  Exzentrizität  des  deferircnden 
Kreises,  nach  Copernikus  die  der  Kreisbalm  des  Mars  zu  legen  ist. 
Wir  haben  eine  erste  Annäherung  des  „Aphels“  oder  der  Sonnenferne 
(ca.  150°)  respektive  des  „Perihels“  oder  der  Sonnennähe  (330°)  des 
Mars  direkt  aus  den  Beobachtungen  abgeleitet.  Die  wahre  I^age  dieser 
Punkte  ist  153°,  respektive  333°. 

Da  wir  nun  bereits  Xäheres  über  die  wahre  Bewegung  des  Mars 
in  bestimmten  Bahnrichtungen  wissen,  können  wir  zu  einer  zweiten 
Näherung  für  die  Bestimmung  seiner  siderischen  Umlaufszeit  schreiten. 
Ich  will  das  dazu  angewandte  einfache  Interpolationsverfahren  hier 
ausführlich  angeben,  weil  ähnliche  Verfahren  noch  öfters  nötliig  werden. 
Ich  kann  mich  dann  später  mit  dem  blofsen  Hinschreiben  des  Resul- 
tats begnügen. 

Wir  wollen  die  Zeit  finden,  welche  Mars  gebraucht,  um  die 
Strecke  zwischen  240°.40  und  268".57  zu  durchlaufen.  Die  mittlere 
Richtung  zwischen  diesen  beiden  ist  257°.  Wir  kennen  nun  die  täg- 
Iiche  Geschwindigkeit  des  Planeten  für  die  Richtungen  224°  und  279“. 
Die  erstere  ist  0".5050,  die  letztere  0°.5814.  Zwischen  224°  und  257“ 
liegen  33°,  zwischen  257"  und  279°  aber  22°.  Die  ganze  Strecke 
beträgt  56°.  Die  Veränderung  der  Geschwindigkeit  für  diese  65“ 
Richtungsveränderung  ist  gleich  0°.5814  — 0".5050  = 0°.0764.  Wir 

22  2 

haben  von  der  gröfseren  dieser  Geschwindigkeiten  also  - = _ der 

ao  5 

letztbestimmten  Differenz  abzuziehen,  um  die  gesuchte  wahre  Geschwin- 
digkeit für  die  gegebene  Richtung  zu  finden.  Also 

0".5814  — “ X 0".0764  = 0".550ö. 

(J 

Diese  letzte  Zahl  müssen  wir  nun  in  22°.  17,  welche  am  27.  Mw 
1890  noch  an  acht  vollen  Umläufen  des  Mars  seit  dem  19.  Juni  1875 


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485 


fehlen,  dividiren,  um  zu  erfahren,  dafs  40.27  Tage  verfliefscn,  bis  Mars 
in  dieser  Region  seiner  Bahn  diese  Strecke  zurückgelegt  hat.  Biese 
Zahl  addiren  wir  zu  dem  Zeitintervall  zwischen  den  beiden  hier  in 
Betracht  kommenden  Oppositionen,  d.  h.  5455.43  Tagen.  Das  giebt 
5405.70,  welche  Zahl  durch  8 dividirt  die  korrigirte  sidorische  Um- 
laufszeit des  Mars 

u = 686.96  Tage 

ergiebL  Dieses  Ergebnifs  unserer  verhiiltnifsmäfsig  doch  sehr  ein- 
fachen Rechnung  kommt  der  Wahrheit  bis  auf  zwei  Hunderttheile  eines 
Tages  nahe.  Hätten  wir  noch  entfernter  von  einander  liegende  Op- 
positionen angewandt,  so  würden  wir  u = 686.980  erhalten  haben. 

Genau  dieselben  Operationen,  wie  wir  sie  hier  im  einzelnen  für 
Mars  beschrieben  haben,  können  wir  nun  auch  für  die  übrigen  Pla- 
neten ausführen  und  erhalten  überall  im  Prinzip  dasselbe  Resultat, 
dafs  sie  nämlich  von  der  Sonne  gesehen  keine  Schleifen  bilden,  da- 
gegen ungleiche  Geschwindigkeit  zeigen,  welche  in  einer  bestimmten, 
allerdings  für  jeden  Planeten  verschiedenen  Richtung  von  der  Sonne 
gesehen  ein  Maximum,  in  entgegengesetzter  Richtung  ein  Minimum  be- 
sitzt. Zugleich  ergeben  sich  die  siderischen  Umluufszeiten  der  Planeten: 
Merkur  — 87.969  Tage,  Jupiter  = 4382.585  Tage, 

Venus  = 224.701  „ Saturn  = 10759.220  „ 

Erde  ==  3G5.25S  .,  Uranus  = 3068G.5I  ., 

Mars  = G86.9K0  „ Neptun  = G01 86.64  „ 

Wir  haben  damit  die  eine  Hälfte  unserer  Aufgabe,  die  Bewegung 
der  Himmelskörper,  von  der  Sonne  gesehen,  zu  erkennen,  erfüllt.  Wir 
können  in  der  That  die  Richtungen,  welche  die  Planeten  am  Himmel 
der  Sonne  zu  einer  beliebigen  Zeit  einnehmen,  nach  dem  vorhin  er- 
örterten Verfahren,  wenigstens  mit  vorläufig  befriedigender  Annähe- 
rung, angeben. 

Aber  um  die  Form  der  Bahn  in  Wirklichkeit  zu  erkennen,  müssen 
wir  noch  die  Entfernungen  der  Planeten  von  der  Sonne  bestimmen. 
Das  scheint  nun  ganz  bedeutend  schwieriger  als  diese  soeben  gelöste 
Aufgabe  war.  Wir  können  ja  leider  diese  umschwingende  Erde  nie- 
mals verlassen  und  keinen  Mafsstab  als  Brücke  von  ihr  aus  nach 
jenen  Himmelskörpern  ausspannen,  welche  wir  beobachten.  Wie  viel 
unmöglicher  mufs  uns  deshalb  die  Lösung  der  Frage  erscheinen,  in 
welchen  Entfernungen  diese  Himmelskörper  sich  von  der  unnahbaren 
Sonne  befinden? 

Wir  werden  inders  auch  hier  sehen,  wie  spielend  leicht  der 
menschliche  Geist,  recht  geleitet,  über  solche  scheinbaren  Schwierig- 
keiten triumphirt. 

Himmel  und  Erde.  I.  8.  35 


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Wilhelm  Ernst  Tempel  f. 

Wir  erfüllen  die  traurige  Pflicht,  in  unserer  heutigen  Nummer 
das  ßildnils  des  ersten  Todten  unter  unsem  Mitarbeitern  wiederzu- 
geben  und  schliefsen  daran  die  deutsche  Uebersetzung  einer  Lebens- 
skizze, welche  Herr  Professor  Schiaparelli  diesem  eigenartigen 
Manne  in  den  „Astronomischen  Nachrichten  No.  2880“  gewidmet  hat: 


Am  16.  Miirz  um  4 L’hr  Nachmittags  starb  in  Florenz  nach  l£»n-l'r 
Krankheit  Wilhelm  Ernst  Tempel,  Observator  der  Künigl.  S,crI1' 
warte  zu  Arcetri. 

Am  4.  Dezember  1821  in  Nieder-Kunersdorf  in  der  Ober-Lt»  us'u 
als  Sohn  armer  Eltern  geboren,  erlernte  er  in  seinen  Jugendjahreu  <**-' 
lithographische  Zeichnen,  welches  er  zuerst  in  verschiedenen  Stiid|e0 
Deutschlands  ausübte  und  worin  er  eine  mit  feinem  künstlerischen 


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J 


487 


Gefühl  verbundene  nicht  gewöhnliche  Geschicklichkeit  erlangto.  Von 
der  Natur  mit  lebhafter  Einbildungskraft  und  einem  rastlosen  Geist 
begabt,  verliefs  er  bald  das  Vaterland,  um  in  fremden  Ländern  sein 
Glück  zu  vorsuchen.  Drei  Jahre  lebte  er  in  Dänemark,  dann  kam 
er  nach  Italien,  wo  wir  ihn  1859  etablirt  und  in  Venedig  verheirathet 
finden.  In  dieser  Zeit  fing  er  an,  sich  als  Dilettant  mit  astronomischen 
Dingen  bekannt  zu  machen.  Mit  einem  4 zölligen  Fernrohr  von 
Steinheil,  welches  er  sich  von  seinen  Ersparnissen  angeschafft  hatte, 
machte  er  in  dieser  Stadt  seine  ersten  Entdeckungen,  diejenige  des 
Kometen  von  1859  und  die  des  berühmten  (Merope-)  Nebels  in  den 
Plejaden,  welch’  letztere  ihm  bis  in  die  jüngste  Zeit  mit  Unrecht 
streitig  gemacht  wurde. 

Im  Jahre  1860  ging  er  nach  Marseille  und  arbeitete  1861  einige 
Zeit  an  der  dortigen  Sternwarte  unter  der  Direktion  von  Benjamin 
Valz.  ln  jener  Stellung  blieb  er  jedoch  nur  6 Monate.  Da  er  über 
alles  die  eigene  Unabhängigkeit  liebte,  ging  er  bis  zum  Jahre  1870 
seinem  Beruf  als  Lithograph  in  jener  Stadt  weiter  nach,  seine  Arbeiten 
mit  der  fleifsigen  Durchmusterung  des  Himmels  abwechselnd.  In 
Marseille  entdeckte  er  6 kleine  Planeten,  nämlich  (64)  Angelina,  (65) 
Cybcle,  (74)  Galatea,  (79)  Eurynome,  welche  schon  etwas  früher  von 
Watson  gefunden  wurden,  (81)  Terpsichore  und  (97)  Chlotlio.  Für  die 
Astronomie  wichtiger  waren  seine  Kometenentdeckungen,  bei  welchen 
ihm  besonders  ein  scharfes  Auge,  das  reine  Klima  und  ein  ausge- 
zeichnetes Negativ-Okular  von  grofsem  Gesichtsfelde  zu  Hülfe  kamen, 
welch’  letzteres  ihm  von  Steinheil  zur  Verfügung  gestellt  war.  Zehn 
Kometen  fand  er  in  Marseille,  nämlich  1860  IV,  1862  I,  1863  IV, 
1864  II,  1866  I,  1867  I (mit  Stephan),  1867  II,  1869  II,  1869  III, 
1870  II  (mit  Winnecke);  von  welchen  besonders  1867  II  und  1869  III 
durch  ihre  kurze  Umlaufszeit,  und  1866  I durch  seinen  unzweifelhaften 
Zusammenhang  mit  dem  November- Sternschnuppenschwarm  wichtig 
sind.  Diese  Entdeckungen  trugen  Tempel  verschiedene  Preise  der 
Wiener  Kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften  ein. 

Aus  Frankreich  1870  vertrieben,  ohne  eine  andere  Schuld  als 
die,  dafs  er  ein  Deutscher  war,  kam  er  im  Anfang  des  Jahres  1870 
als  Assistent  der  Sternwarte  von  Brera  nach  Mailand.  Die  Litho- 
graphie verlassend,  widmete  er  sich  ganz  der  Astronomie  und  erfüllte 
durch  nützliche  Arbeiten  seine  neuen  Pflichten.  In  den  vier  Jahren 
seines  Aufenthaltes  in  Mailand  (1871  — 1874)  endeckte  er  dort  vier 
weitere  Kometen:  1871  II,  1871  V,  1871  VI  und  1873  II;  den  letzteren 
auch  mit  kurzer  Umlaufszeit.  Aufserdem  beobachtete  er  auch  ver- 

35* 


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488 


schiedene  andere  Kometen,  so  besonders  den  im  Jahre  1874  erschie- 
nenen hellen  Kometen  von  Coggia,  von  welchem  er  wunderbare  Zeich- 
nungen anfertigte.  Diese  und  andere  seiner  Arbeiten  sind  in  einer 
Sammlung  verschiedener  Beobachtungen,  welche  den  V.  Baud  der 
Publikationen  der  Mailänder  Sternwarte  bilden,  gewürdigt  worden. 

Da  bei  seiner  etwas  geschwächten  Gesundheit  ihm  das  Klima 
von  Mailand,  besonders  im  Winter,  wenig  erträglich  eischien,  entschlofs 
er  sich  im  Anfang  des  Jahres  1875  den  Posten  eines  Astronom-Adjunkten 
auf  der  neuen  Sternwarte  von  Arcotri  bei  Florenz,  verbunden  mit  der 
provisorischen  Direktion,  anzunehmen.  Hier  setzte  er  anfangs  seine 
Kometenbeobachtungen  fort  und  machte  auch  seine  letzte  Entdeckung 
auf  diesem  Gebiete,  nämlich  die  des  Kometen  1877  V.  Nachdem  er 
dann  vollkommen  sein  eigner  Herr  geworden,  und  über  zwei  ziemlich 
grofse  und  durch  klare  Zeichnung  hervorragende  Teleskope  von  Amici 
verfügte,  gab  er  sioh  ganz  dem  Studium  der  Nebel  hin,  von  denen 
er  eine  Anzahl  der  schönsten  Zeichnungen  lieferte;  diese  trugen 
ihm  1879  den  königlichen  Preis  ein,  welchen  die  Academia  dei  Lincei 
alle  sechs  Jahre  für  eine  astronomische  Arbeit  zu  verleihen  pflegt.*) 
Dieselbe  Akademie  hatte  sich  erboten,  diese  Arbeit  auf  eigene  Kosten 
herauszugeben,  ungeachtet  dessen  blieb  dieselbe  jedooh  unveröffent- 
licht, da  Tempel  niemals  einen  Künstler  finden  konnte,  welcher  in> 
stände  gewesen  wäre,  ihn  in  der  Reproduktion  dieser  Zeichnungen  zu- 
frieden zu  stellen. 

ln  den  letzten  Jahren  mufste  er  zu  seinem  gröfsten  Schmerze 
auf  das  Beobachten  verzichten,  aus  Rücksicht  auf  seine  immer  mehr 
abnehmende  Gesundheit 

Obgleich  Tempel  keinen  regelrechten  Unterricht  genossen,  war 
er  keineswegs  ohne  Bildung;  lebhaft  über  alles  war  stets  in  ihm  der 
Sinn  für  das  Schöne  in  Natur  und  Kunst.  In  der  elementaren  Mathe- 
matik hatte  er  die  ersten  Grade  aus  sich  selbst  bis  zu  dem  Punkte 
beineistert,  dafs  er  ohne  Schwierigkeiten  die  logarithmiseben  Tafeln 
und  trigonometrischen  Formeln  anwenden  konnte;  ohne  fremde  Hülfe 
berechnete  er  seine  eigenen  Beobachtungen.  Ganz  sich  selbst  und 
seinem  uneigennützigen  Eifer  für  die  Astronomie  verdankte  er  eine 
Reihe  schöner  Entdeckungen,  welche  seinem  Namen  einen  ehrenvollen 
Platz  in  unserer  Wissenschaft  sichern.  (Schiap.) 

*)  Besonders  glückliche  Umstände  hatten  es  uns  ermöglicht,  einige  dieser 
preisgekrönten  Xcbelzcichnungcn  unseren  Lesern  in  einer  unserm  dritten 
(Dezember-)  TIefle  beigegebenen  lithographischen  Tafel  vorzuführen. 

Anm.  der  Red. 

* 


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489 


Die  tägliche  Nutation  oder  Erdaxen- Schwankung. 

In  dem  zweiten  Hefto  dieser  Zeitschrift  (Nov.  1888)  sind  in  dem 
Aufsatze  von  Dr.  P.  Schwahn:  „Welche  Veränderungen  erfahrt  noch 
jetzt  die  Lage  der  Drehungs-Axo  der  Erde“  die  wichtigsten  Störungen 
erörtert  worden,  von  denen  die  Drehung  der  Erde  betroffen  wird. 
Es  ist  dort  hervorgehoben  worden,  wie  wundervoll  und  erhebend 
die  Uebereinstimmung  ist,  welche  auf  diesem  Gebiete  der  Forschung 
zwischon  der  streng  durchgeführten  Theorie  der  Drehung  der  Erde 
und  den  Ergebnissen  zahlloser  sorgfältiger  Messungen  am  Fixstern- 
Himmel  bis  jetzt  erreicht  ist. 

Aus  gewissen  in  neuerer  Zeit  ermöglichten  Verschärfungen  der 
bezüglichen  Messungen  oder  erschöpfenderen  Untersuchungen  der- 
selben scheinen  indesson  nach  zwei  Richtungen  hin  neue  Erscheinungs- 
gTuppen  aufzutauchen,  welche  bisher  von  der  Theorie  weniger  be- 
achtet worden  sind,  weil  sie  offenbar  an  den  Genauigkeitsgrenzen 
der  bisherigen  Messungen  lagen  und  daher  nicht  mit  genügender 
Sicherheit  von  den  unvermeidlichen  kleinsten  Abweichungen  trennbar 
zu  sein  schienen,  die  man  als  sogenannte  zufällige  Fehler  behandeln 
und  bei  Seite  setzen  darf,  so  lange  sich  in  ihnen  keine  Spuren  von 
Gesetzmäfsigkeit  im  einzelnen  erkennen  lassen. 

Ueber  die  eine  dieser  Erscheinungsgruppen  hat  Dr.  Schwahn 
bereits  näher  berichtet.  Die  andere  ist  die  sogenannte  tägliche  Nutation, 
nämlich  eine  von  Herrn  Folie,  Direktor  der  Sternwarte  zu  Brüssel, 
seit  einigen  Jahren  zur  Sprache  gebrachte  kleinste  und  schnellstver- 
laufende  unter  den  von  der  Anziehung  der  Sonne  und  des  Mondes 
herrührenden  Störungen  der  Drehung  der  Erde.  Herr  Folie  und  seine 
Mitarbeiter  glauben  diese,  innerhalb  je  eines  halben  Sonnen -Tages, 
bezw.  je  eines  halben  Mond-Tages  (d.  h.  zwischen  zwei  auf  einander 
folgenden  Durchgängen  der  Sonne  oder  des  Mondes  durch  eine  und 
dieselbe  Meridian-Ebene  der  Erde)  periodisch  wiederkehrenden  Schwan- 
kungen der  Drehungsbewegungen  jetzt  deutlich  nachweisen  zu  können 
und  zwar  mit  Hülfe  der  etwas  weiter  als  früher  getriebenen  rechne- 
rischen Untersuchung  zahlreicher,  in  den  letzten  Jahrzehnten  von 
immer  zahlreicheren  Sternwarten  in  den  verschiedenen  Erdtheilen 
angestellten  Bestimmungen  der  Lage  von  Fixsternen  gegen  den  schern- 
baren  Drehungspol  des  Himmelsgewölbes. 

Indessen  verhält  sich  die  Mehrheit  der  Fachgenossen  noch  etwas 
zweifelnd  und  ablehnend  dazu.  Zwar  ist  die  Theorie  des  unter  ge- 
wissen Bedingungen  nothwendigen  Eintritts  einer  solchen  Nutation 


1 


f 


c 


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490 


von  Herrn  Folie  nach  dem  Vorgänge  älterer  Untersuchungen  über 
diesen  Gegenstand  einleuchtend  dargestellt  worden,  aber  der  zahlen- 
mäßige Nachweis  der  Merklichkeit  der  bezüglichen  Wirkungen  ist 
nur  in  vereinzelten,  der  inneren  Uebereinstimmung  noch  entbehrenden 
Veröffentlichungen  dargeboten  worden,  in  denen  auch  noch  nicht  alle 
Möglichkeiten  anderweitiger  einfacherer  Erklärung  der  in  den  Stern- 
örtem  nachgewiesenen  scheinbaren  Schwankungen  erschöpft  sind. 

Dazu  kommt,  dafs  diese  tägliche  Nutation  zu  sehr  merkwürdigen 
Folgerungen  in  betreff  der  Massenvertheilung  in  der  Erde  und  in 
betreff  unabhängiger  Bewegungen  der  Erdkruste  über  dem  sog.  flüs- 
sigen Erdinnern  fuhren  würde,  welche  an  sich  erhebliche  Zweifel  er- 
wecken. Jedenfalls  muß  aber  die  wissenschaftliche  Welt  Herrn  Folie 
für  seine  interessanten  Arbeiten  dankbar  sein;  denn  dieselben  können 
nach  jeder  Seite  hin  nur  zu  fruchtbaren  Vertiefungen  der  Forschung 
führen. 

Wir  glaubten  unsern  Lesern  diese  erste  vorläufige  Mittheilung 
über  den  Gegenstand  schuldig  zu  sein,  weil  derselbe  auch  in  der 
populären  Littoratur  anderweitig  zur  Sprache  zu  kommen  beginnt 

Auch  ist  es  an  sich  ein  reizvoller  Eindruck,  auch  hier  wieder 
zu  sehen,  wie  aus  verfeinerten  Messungen  am  Sternenhimmel  neue 
Fragen  und  Anhaltspunkte  für  das  tiefere  Studium  der  Zustände  der 
Erde  an  das  Licht  treten.  F. 


Grönlands  erste  Durchquerung. 

Seit  dem  Jahre  1728,  dem  Versuchsjahr  des  Gouverneur  Paars, 
der  Grönland  durchreiten  wollte,  ist  es  oftmals,  abor  immer  vergeblich, 
unternommen  worden,  das  grönländische  Inlandeis  zu  durchkreuzen; 
selbst  die  Versuche  eines  Jensen,  Nordenskjöld  und  Peary  blieben 
erfolglos.  Die  überraschende  Nachricht,  dafs  ein  junger  Norweger, 
Dr.  Nansen,  von  der  einen  Küste  Grönlands  bis  zur  andern  vor- 
gedrungen sei,  erregte  daher  Ende  vorigen  Jahres  allerorten  berech- 
tigtes Aufsehen.  Die  erste  Kunde  von  dem  glücklichen  Ausgang  des 
Wagnisses  verdanken  wir  einem  Briefe  Nansens,*)  datirt  von  Godt- 
hanb,  den  4.  Oktober  1888,  an  den  Kaufmann  Augustin  Gamel  in 

*)  Deutsche  Rundschau  für  Geographie  und  Statistik  XI.  Jahrg.  5.  Hett. 


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-IV*  1 

Kopenhagen,  der  die  Kosten  der  Expedition  bereitwilligst  übernom- 
men hatte. 

Herr  Dr.  Nansen  hat  im  Gegensatz  zu  seinen  Vorgängern  die 
unwirthsame  Ostküste  Grönlands  zum  Ausgangspunkt  seiner  Expedition 
gewählt,  von  der  richtigen  Erkenntnifs  ausgehend,  dafs  er  dann  nur 
einmal  den  Landweg  zurückzulegen  habe,  da  von  der  bewohnten  West- 
küste aus  Europa  zu  erreichen  ist.  Einen  andern  grofsen  Vortheil 
hatte  diese  Expedition  gegen  die  früheren  dadurch,  dafs  sie  ausnahms- 
los aus  tüchtigen  Schneeschuhliiufern  bestand.  Freiherr  von  Nor- 
denskjöld  hatte  nämlich  1883  auf  seiner  grönländischen  Binnenreise 
die  Erfahrung  gemacht,  dafs  die  mit  Schneeschuhen  versehenen  Lapp- 
länder in  27  Stunden  eine  Strecke  zurücklegten,  zu  welcher  die  zu 
Fufs  wandernde  Expedition  27  Tage  gebraucht  hatte.  Dr.  Nansen 
selbst  hatte  sich  durch  öftere  Hochgebirgstouren  von  Bergen  nach 
Christiania  zu  einer  solchen  Ueberlandreise  jahrelang  vorbereitet.  Zu 
Reisebegleitern  wählte  er  fünf  vorzüglich  geschulte  Schneeschuhläufer, 
die  drei  Norweger,  Lieutenant  Olaf  Dietriehson,  Steuermann  Otto 
Sverdrup  und  Hofbesitzer  Kristian  Kristiansen  und  die  beiden 
Lappländer  Oie  Ravna  und  Samuel  Jousen  Bratto. 

Der  dänische  Dampfer  „Thyra“  führte  die  Expedition  von  Leith 
nach  Island.  Am  4.  Juni  1888  verliefe  die  Expedition  auf  „Jason“ 
den  isländischen  Isa-Fjord,  um  die  Ostküste  Grönlands  zu  erreichen. 
Am  11.  Juni  war  das  Schilf  der  Küste  bereits  so  nahe  gekommen, 
dafe  das  etwa  1800  Meter  hoho  Ingolsfjeld  der  ostgrönländischen 
Gebirgskette  deutlich  erkannt  werden  konnte;  ein  Landungsversuch 
mufete  aber  wegen  der  Mächtigkeit  des  vorgelagerten  Treibeises  unter- 
bleiben. Erst  am  17.  Juli  konnte  Dr.  Nansen  mit  seinen  fünf  Reise- 
gefährten in  zwei  Booten  den  Dampfer  .Jason“  verlassen.  Die  Aus- 
rüstung der  Expedition  beschränkte  sich  auf  das  Allernothwendigste. 
Nach  12  tägigem,  hartem  Kampfe  mit  Treibeisbergen  gelang  es  den 
kühnen  Männern  endlich,  in  Ol1’  nördl.  Br.,  viel  südlicher  als  sie 
ursprünglich  beabsichtigten,  die  ersehnte  Küste  unter  Zurücklassung 
ihrer  Boote  zu  erklimmen.  Am  15.  August  begann  die  Wanderung 
in  das  unbekannte  Innere  Grönlands,  der  „Heimath  des  Entsetzens  und 
der  bösen  Geister.“ 

Die  Expedition  erreichte  unter  furchtbaren  Schneestürmen  und 
einer  Kälte  von  40 — 50°  eine  Höhe  von  über  3000  m über  dem  Meere. 
Nach  glücklichem  Abstieg  über  zerklüftetes  Eis  gelangte  die  Expe- 
dition Ende  September  wohlbehalten  an  den  Ameralik-Fjord,  von 
wo  aus  Dr.  Nansen  und  Sverdrup  auf  einem  nothdürflig  zusammen- 


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492 


gezimmerten  Fahrzeug  am  3.  Oktober  Godthaab  glücklich  erreichten. 
Die  vier  am  Ameralik-Fjord  zurückgelassenen  Genossen  wurden  als- 
bald nach  Godthaab  nachgeholt.  Hier  bereitete  die  Kolonie  den  ersten 
Durchquerern  Grönlands  den  herzlichsten  Empfang. 

Der  Kapitän  des  Dampfers  „Fox“,  der  Nansens  Brief  von  zwei 
von  Godthaab  nach  Ivigtut  im  Kajak  schnellfahrenden  Grönländern 
empfangen  hatte,  konnte  zu  seinem  Bedauern  die  Ankunft  der  kühnen 
Reisenden  in  Ivigtut,  das  300  Miles  südlich  von  Godthaab  liegt, 
nicht  mehr  abwarten,  so  dafs  sie  verurtheilt  waren,  den  ganzen  Winter 
in  Grönland  zuzubringen. 

Noch  bevor  Dr.  Nansen  den  heimathlicben  Boden  wieder  be- 
treten hat,  ist  ihm  eine  hohe  Anerkennung  für  seine  kühne  Thal  von 
Seiten  der  Kgl.  Schwedischen  Geographischen  Gesellschaft  durch  Ver- 
leihung der  goldenen  Yega-Medaille  zu  teil  geworden.  Diese  höchste 
Auszeichnung  der  Gesellschaft  ist  bis  jetzt  nur  5 Männern  verliehen 
worden,  Nordenskjöld,  Palander,  Stanley,  Prjevalsky  und 
Junker. 

Am  30.  März  d.  J.  hat  der  Dampfer  „Hvidbjörnen“  Kopenhagen 
verlassen,  um  die  Mitglieder  der  Expedition  aus  ihrer  grönländischen 
Gefangenschaft  zu  befreien;  vor  Ende  Mai  wird  der  Dampfer  schwer- 
lich in  Kopenhagen  wieder  eintreffen.  Schon  jetzt  ist  Dr.  Nansen 
für  eine  im  Jahre  1891  beabsichtigte  grofso  Expedition,  die  es  versuchen 
soll,  auf  dem  Landwege  über  Franz-Joseph-Land,  eventuoll  unter  Zu- 
hülfenahme  kleiner  Ballons,  den  Nordpol  zu  erreichen,  von  der  öffent- 
lichen Meinung  als  Führer  designirt  Wir  behalten  uns  vor,  unsern 
Lesern  nach  Dr.  Nansens  Rückkunft  weitere  Mittheilungen  über  die 
Details  und  wissenschaftlichen  Erfolgo  der  hier  nur  kurz  skizzirten 
Expedition  zu  machen. 

F.  S.  Archenhold. 


Spektroskopische  Expedition  auf  den  Mont  Blanc.  Bekanntlich 
ist  die  Existenz  von  Sauerstoffgas  in  der  Sonnenatmosphäro  derzeit 
immer  noch  unentschieden.  Gewisse  Absorptionsbänder  im  Sonnen- 
spektrum leiteten  Janssen  im  vorigen  Jahre  auf  die  Vermuthung,  dafs 
in  der  Sonnenatmosphäre  möglicher  Weise  sich  Sauerstoff  in  einem 
solchen  Zusammensetzungszustande  befinden  könnte,  in  welchem  er 
zur  Quelle  jener  Absorptionserscheinungen  des  Spektrums  werden 


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493 


kann.  Die  Bedingungen  für  die  Untersuchung  dieser  Frage  gestalte« 
sich  namentlich  günstig  in  den  höheren  Schichten  der  Erdatmosphäre, 
welche  dünn  und  freier  von  Wasserdämpfen  sind.  Janssen  entschlofs 
sich  zu  einer  Analysirung  des  Sonnenspektrums  in  einer  kälteren 
Jahreszeit  und  unternahm  deshalb  im  Oktober  verflossenen  Jahres 
eine  Expedition  nach  der  „Grands  Mulets“  genannten  Alpen-Club-Hütte 
auf  dem  gewöhnlichen  Woge  zum  Gipfel  des  Mont  Blano.  Wir  heben 
aus  dem  Berichte  des  berühmten  Spektroskopikers  („Annuaire  p.  1889“) 
nur  Folgendes  hervor:  Am  15.  und  16.  Oktober,  bei  prachtvoller 

Klarheit  der  Luft,  fehlten  die  Bänder  des  atmosphärischen  Wasser- 
dampfes im  Spektrum  vollständig,  auch  die  Sauerstoffbiinder  ver- 
schwanden. Hieraus  schliefst  Janssen,  dafs  letztere  in  unserer  Atmo- 
sphäre ihren  Grund  haben,  also  tellurischer  Natur  seien  und  nicht 
durch  die  Sonnenatmosphäre  hervorgerufen  werden.  Nichtsdesto- 
weniger hält  Janssen  den  Iiückschlufs,  dafs  demnach  auf  der  Sonne 
kein  Sauerstoff  existire,  für  verfrüht;  man  dürfe  nur  annehmen,  dafs 
sich  dieses  Gas  jedenfalls  dort  nicht  in  jenem  Zustande  befindet,  in 
dem  es  die  Spektralerscheinungen  bewirken  könnte,  die  eben  durch 
dieses  Gas  in  unserer  Erdatmosphäre  erzeugt  werden.  * 


Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Monat  Mai*.) 

(Sämmtliche  Zeitangaben  gölten  für  Berliner  Zeit.) 

l.  Der  Mond. 


3. 

Mai 

Erdferne 

Aufgang 
26™  Mg. 

Untergang 
10t*  57  m Ab. 

8. 

Erstes  Viertel 

10 

48 

* 

1 

53 

Mg. 

15. 

Vollmond 

8 

8 

Ab. 

4 

32 

IG. 

Erdnähe 

9 

33 

5 

4 

81. 

n 

Letztes  Viertel 

1 

17 

Mg. 

10 

18 

„ 

39. 

Neumond 

4 

0 

* 

1 

47 

Ab. 

31. 

_ 

Erdferne 

5 

1 

9 

48 

6. 

Juni  Erstes  Viertel 

10 

55 

0 

48 

Mg. 

13. 

„ 

Vollmond,  Erdnähe 

8 

33 

Ab. 

3 

34 

n 

Maxima  der  Libration: 
10.  Mai,  22.  Mai,  7.  Juni. 


*)  Diese  Ephemeriden  werden  von  Jetzt  ab  vom  15.  zum  15.  jeden  Monats  gegeben  werden. 


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494 


2.  Die  Planeten. 


Merkur 

Venus 

Rectas. 

Declin. 

Aufg. 

Unterg. 

Rectas. 

Declin. 

Aufg. 

Unterg. 

1. 

Mai  31»  3"> 

+18°  4‘ 

4*1  40m  Hl. 

8i>  10»  Ab. 

21»  26» 

+ 19°  36' 

3h  57“  If. 

7>»  50»  1». 

5. 

3 37 

-20  49 

4 38  » 

8 4G  , 

2 

IS 

+18  0 

3 

43  „ 

7 17  . 

9. 

4 9 

+22  .77 

4 40  . 

9 IS  . 

2 

10 

+16  23 

3 

29  „ 

6 4.1  . 

13. 

4 39 

+24  25 

4 43  . 

9 43  „ 

2 

5 

+14  54 

3 

18  „ 

6 12  . 

17. 

l'  5 6 

+25  15 

4 47  „ 

10  1 - 

2 

2 

+ 13  39 

3 

6 „ 

5 44  . 

21. 

, I .0  29 

+25  31 

4 53  . 

10  11  . 

2 

1 

+12  41 

2 

55  „ 

5 21  . 

2.7. 

- , 5 47 

+25  19 

4 57 

10  11  , 

2 

3 

+12  1 

2 

45  * 

5 3 . 

29. 

, i G 1 

+24  4G 

4 59  „ 

10  5 . 

2 

7 

+ 11  39 

2 

34  . 

4 48  . 

•J' 

Juni  ß 10 

+23  57 

4 58  . 

9 52  , 

2 

13 

+11  33 

2 

25  , 

4 37  . 

ß. 

G 13 

+22  57 

4 54  . 

9 32  , 

2 

20 

+ 11  40 

2 

IG  , 

4 28  . 

10. 

, G 11 

+21  51 

4 44  . 

9 6 „ 

2 

29 

+11  59 

2 

6 , 

4 22  . 

14. 

6 4 4-20  45  4 30  „ 
1.  Mai  Sonnennähe, 

8 36  , 

2 

39 

+12  28 

1 

58  , 

4 18  . 

*24.  „ gröfste  östl.  Elongation, 
14.  Juni  Sonnenferne. 

8. 

Juni 

Venus 

im 

gröfsten  Glanz. 

M 

a r s 

Jupiter 

Rectas. 

Declin. 

Aufg. 

Unterg. 

Rectas.  Declin. 

Aufg. 

Unterg. 

1. 

Mai 

31»  2G» 

+19°  3» 

4 h 57“  I?. 

81»  39  » Ab. 

IShäßn»  -22°  56' 

0M0»1*. 

7k  52»  lf. 

7. 

„ 

3 44 

+20  7 

4 44  .. 

8 40 

„ 

18  35  -22  57 

11  42  Ab. 

7 23  . 

13. 

„ 

4 1 

+21  3 

4 31  „ 

8 41 

„ 

18  34  —22  59 

11  17  . 

7 3 ■ 

19. 

„ 

4 19 

+21  53 

4 19  . 

8 41 

„ 

18  32  —23  0 

10  53  „ 

6 37  . 

25. 

4 37 

+2235 

4 8 . 

8 40 

„ 

18  30  —23  3 

r 

e- 

04 

o 

G 11  . 

31. 

4 55 

+23  9 

3 58  , 

8 38 

18  27  —23  5 

10  1 . 

5 45  . 

ß. 

Juni 

5 12 

+23  36 

3 48  „ 

8 3G 

18  25  —23  7 

9 34  . 

5 18  , 

12. 

- 

5 30 

+23  56  j 

3 40  „ 

8 32 

n 

18  21  -23  10 

9 9, 

4 51  . 

18 

Mai  4h  Mg.  Bedeckg.  durch  cLMond. 

Saturn 

Uranus 

Rectas. 

Declin. 

Aufg. 

Unterg. 

Rectas.  Declin. 

Aufg. 

Unterg. 

1. 

Mai 

9b  ßm 

+17°  50' 

1 01»  45»  ÜI 

2M4»Ip. 

ISMIa '—  6°  52' 

5t»  5»  üb 

4k  5»  «5- 

9. 

„ 

9 7 

+17  44 

10  14  . 

1 44 

13  10  —6  45 

4 32  . 

3 32  , 

17. 

9 9 

+17  37 

9 45  „ 

1 13 

„ 

13  9 —6  39 

3 59  . 

.8  1 . 

25. 

n 

9 11 

+17  28 

9 17  . 

0 43 

„ 

13  8 —6  34 

3 27  „ 

2 29  . 

•I 

Juni 

9 13 

+17  17 

8 49  , 

0 12 

13  8 — G 30 

2 54  , 

1 56  . 

10. 

- 

9 16 

+17  5 

8 21  , 

11  39 

Ab. 

13  7 - 6 28 

2 21  , 

1 25  . 

Elongationen  des  Saturntrabanten  Titan:  4.  Mai  östl.,  1*2.  Mai  westl.  Elongation. 


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495 


Neptun 

Reetas. 

Declin.  Aufg.  Unterg. 

1.  Mai 

3b  58" 

+ 18*50'  ] 5b  29»  »g.  1 9b  9"  1b. 

I«.  . 

4 0 

-4-18  57  4 31  - . 8 13  . 

31.  „ 

1 4 2 

1 4-  1»  4 3 38  „ 7 20  . 

15.  Juni 

!*  4 1 

-4-19  10  2 41  „ 6 25  . 

3.  Beobachtbare  Verfinsterungen  der  Jupitertrabanten. 


6.  Mai  I.  Trab.  Verfinst.  Eintritt  0h  57m  Mg. 

7.  II.  „ „ .27. 

13.  I.  „ . . *2  51  . 

*21.  „ I.  „ . .11  13  Ab. 

28.  . III.  * . - 10  50  n (3G®  nach  Jup.  Aufg.) 

29.  . I.  . _ .17  Mg. 

31.  , II.  „ „ . 11  6 Ab. 

5.  Juni  III.  „ „ . 2 48  Mg. 

5.  . I.  r . .31. 

8.  . II.  . . 1 40  . 

13.  „ I.  . . .11  24  Ab. 

4.  Sternbedeckungen  durch  den  Mond. 

(Vom  1.  Mai  bi«  15.  Juni  finden  für  Berlin  keine  Bedeckungen  hellerer  Sterne  statt.) 
5.  Veränderliche  Sterne, 
a)  Maxim»  variabler  Sterne: 


Maximum 

Helligkeit  im 

1889 

am 

Max. 

Min. 

Reetas. 

Declin. 

T Cassiop. 

9.  Juni 

6.7 

Gr. 

11 

Gr. 

0h  17  m 

14» 

-4-  55° 

11' 

R Aurigao 

1.'!.  Mai 

6.7 

n 

12  -13 

5 

8 

20 

+ 53 

27 

R Ge m in. 

14.  Juni 

6.7 

„ 

12—13 

„ 

7 

0 

40 

+ 22 

52 

U Monoc. 

21.  Mai 

6 

„ 

. 7 

„ 

7 

25 

29 

— 9 

33 

S Hydrao 

12.  Juni 

7.8 

„ 

12 

* 

8 

47 

47 

+ 3 

29 

R Crateris 

27.  Mai 

8 

y 

10 

55 

6 

— 17 

44 

R Virginia 

7.  Juni 

6.7 

„ 

n 

„ 

12 

32 

52 

-4-  7 

30 

R Draconis 

24.  Mai 

6.7 

„ 

11-12 

10 

32 

21 

-f  60 

59 

T Herculis 

24.  „ 

7 

„ 

12 

„ 

18 

4 

53 

+ 31 

0 

R Scuti 

13.  „ 

5 

8.9 

„ 

18 

41 

34 

— 5 

49 

R Lyrao 

5.  Juni 

4.3 

4.0 

„ 

18 

51 

57 

4-  43 

48 

R Sagittarii 

13.  . 

7 

„ 

12 

„ 

19 

10 

12 

- 19 

30 

T Cephei 

19.  Mai 

5.6 

- 

9 

- 

21 

8 

2 

-f  08 

3 

b)  Minima  der  Sterne  vom  Algol-Typus. 

U Cephei  . 3.,  8.,  13.,  18.,  *23.,  28.  Mai  Nm,  2.,  7.,  12.  Juni  Mtt. 

H Can.  maj.  . (Jedes  3.  Min.):  4.  Mai  Mg.,  7.  Nm.,  11.  Mg.,  14.  Vin.,  17.  Nm., 

21.  Mg. 

S Cancri  . . 7.  Mai  Nm.,  17.  Mg.,  26.  Nm.,  5.  Juni  Mg.,  14.  Nm. 

0 Librae  . . 4.  Mai  Nm.,  9.  Mg.,  13.  Ab.,  18.  Nm.,  23.  Mg.,  27.  Ab.,  1.  Juni  Nm., 
6.  Mg.,  10.  Ab.,  15.  Nm. 

U Corotiae  . . 1.  Mai  Ab.,  8.  Nm  , 15.  Nm.,  22.  Mtt.,  29.  Vm.,  5.  Juni  Mg.,  12.  Mg. 
U Ophiuchi  . (Jedes  4.  Min.):  2.  Mai  Nm.,  6.  Mg.,  9.  M.,  12.  Ab.,  16.  Mg.,  19.  M., 

22.  Ab.,  26.  Mg.,  29.  Nm.,  1.  Juni  Ab.,  5.  Mg.,  8.  Nm.,  11.  Nt.,  15.  Mg. 


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496 


Y Cygni  . 


T Monoc.  . 
C Gemin.  . 
3 Lyrae 
tj  Aquilac 
o Cephei  . 


. (Jodes  3.  Min.):  2.  Mai  Ab.,  7.  Mg.,  11.  Ab.,  16.  Mg.,  20.  Ab., 
25.  Mg.,  29.  Ab.,  3.  Juni  Mg.,  7.  Ab.,  12.  Mg. 
c)  Minima  einiger  Veränderlicher  kurzer  Periode: 

. 15.  Mai,  11.  Juni. 

. 9.,  19.,  29.  Mai. 

. 5,,  18.,  31.  Mai,  12.  Juni. 

. 6.,  13.,  20.,  28.  Mai,  4.,  11.  Juni. 

. 3.,  8.,  14.,  19.,  24.,  30.  Mai,  4.,  10.,  15.  Juni. 


6.  Meteoriten. 

Bis  etwa  6.  Mai  schwärmen  die  Sternschnuppen  des  Radiationspunktes 
bei  7)  Aquarii  (die  „Aquariden*),  welche  ihr  Maximum  am  6.  Mai  erreichen; 
die  Bahn  dieses  Meleoritenschwarmes  hat  eine  Aehnlichkeit  mit  jener  des 
Kometen  Halley. 

7.  Leuchtende  Nachtwolken. 

Diese  merkwürdige  Erscheinung  ist,  wie  Herr  O.  Jesse  im  Februarheftt* 
dieser  Zeitschrift  dargelegt  hat,  für  unsere  Breitengrade  auf  dio  Monate  Juni 
und  Juli  beschränkt.  Boi  dem  grofsen  wissenschaftlichen  Interesse,  den  dieses 
Phänomen  darbietet  und  in  Hinsicht  auf  dessen  bisher  noch  sehr  mangelhafte 
systematische  Beobachtung  ist  die  Mitwirkung  aller  Gebildeten  bezüglich  lleifsiger 
Aufzeichnung  und  Beschreibung  der  Erscheinung  erwünscht.2) 


8.  Nachrichten  über  Kometen. 

Die  Sichtbarkeitsverhältnisse  des  B arna rdschen  Septemberkometen,  die 
in  den  letzten  Monaten  wogen  des  tiefen  Standes  desselben  am  Abendhimmel 
für  die  Beobachtung  nicht  mehr  günstig  waren,  beginnen  sich  jetzt  insofern 
zu  verbessern,  als  der  Komet  nun  am  Morgonhimmel  beobachtbar  wird  und  an 
Helligkeit  wieder  etwas  zunimmt.  Anfang  Mai  wird  er  nach  3 Uhr  Morgens, 
Anfang  Juni  schon  bald  nach  Mitternacht  aufgesucht  werden  können.  Die 
Lichthelligkeit  steigt  im  Juli  etwa  auf  das  2 1 , fache  derjenigen,  welche  der 
Komet  bei  seiner  Entdeckung  hatte.  Im  Mai  steht  das  Gestirn  in  dem  Stern- 
bild der  Fische  und  wird  sich  (vergl.  die  Karte  S.  185  des  Dezemberheftes)  im 
Juni  und  Juli  nahe  dem  Aequator  bewegen.  Im  weitern  Verlauf  des  Sommers 
nimmt  der  Komet,  bei  stets  südlicher  Bewegung,  bald  an  Helligkeit  ab. 

Der  Barnardsche  Oktoberkomet  im  Sternbild  des  kleinen  Löwen  ent- 
fernt sich  gegenwärtig  mehr  und  mehr  von  der  Erde  und  dürfte  uns  bald  ganz 
entschwunden  sein. 

Am  31.  März  hat  Barnard  neuerdings  einen  Kometen,  und  zwar  in  der 
Gegend  zwischen  dem  Haupte  des  Orion  und  den  Hörnern  des  Stiers  aufge- 
funden. Der  Komet  ist  nach  den  ersten  Beobachtungen  aus  Kopenhagen,  Kiel 
und  Wien  sehr  klein  und  schwach.  Aus  den  bis  zum  Schlufs  dieses  Heftes 
vorliegenden,  von  einander  noch  sehr  abweichenden  Bahnelementen  läfst  sich 
nur  ersehen,  dafs  der  Komet  eine  gegen  das  Sternbild  dos  Eridanus  gerichtete 
Bewegung  besitzen  wird  und  wahrscheinlich  erst  im  Juli  seine  Sonnennähe 
erreicht. 


*)  Die  Beobachtungen  sind  während  der  Dämmorungezcit  (Morgens  und  Abends,  ungefähr 
dann,  wenn  die  Sonne  »ich  etwa  IO  Grad  unter  dem  Horizonte  belindot)  vorzunehmen.  Erwünscht 
sind  bei  den  Aufzeichnungen:  Angabe  der  Beobaohtungszeit  und  der  geographischen  Position 
des  Beobachtungsortes.  Beschreibung  der  Formen  und  Farben  der  leuchtenden  Wolken,  wenn 
möglich,  auch  NoUrungen  der  Höhen  der  Hauptpunkte  Uber  dem  Horizonte  (mittelst  Winkel- 
instrumente)  samt  der  zugehörigen  Zeit  Wichtig  wäre  die  tägliche  Verfolgung  der  Erscheinung 
durch  längere  Zeiträume  hindurch. 


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497 


J.  L.  Soret,  Winkelmessondes  Fernrohr.  Arch.  sc.  phys.  et  nat.  XXI.  1889  S.  21. 

Iq  vielen  Fällen  ist  es  sohr  erwünscht,  schnell  Winkelbörsen  messen 
zu  können;  dies  wird  zwar  von  mehreren  Instrumenten  mit  grofser  Genauigkeit 
geleistet,  deren  Gebrauch  aber  oft  zu  umständlich  ist  Der  Theodolit  ist  un- 
handlich und  seine  Aufstellung  nicht  überall  möglich,  der  Sextant  hat  ein  zu 
kleines  Gesichtsfeld,  und  ist  nicht  für  alle  Beobachtungen  geeignet.  Nament- 
lich bei  dem  Studium  der  „Gegensonnen“  u.  s.  w.  fehlt  es  häufig  an  einem  so- 
fort bequem  zu  handhabenden  Instrument,  das  dennoch  genügend  genaue 
Messungen  gestattet.  Besonders  Für  diese  Zwecke  hat  Soret  das  gonio metrische 
Fernrohr  konstruirt,  das  etwa  die  Gestalt  und  Grösse  eines  Opernglases  für 
ein  Augo  hat.  Statt  des  Objektivs  ist  ein  sphärischos  Glas  von  gleiehmäfsiger 
Dicke  eingesetzt,  welches  seine  Krümmung  nach  aussen  kehrt,  und  auf  der 
Oberfläche  zwei  sich  rechtwinklig  kreuzende  Mafsstäbe  trägt.  Als  Okular  dient 
eine  halbe  Linse,  deren  Schnittfläche  mit  einem  der  Mafsstäbe  parallel  liegt. 
Durch  die  freie  Hälfte  des  Okulars  sieht  man  die  Objekte,  über  ihr  Bild  legt 
sich  das  durch  die  Halblinse  der  unteren  Hälfte  erzeugte  Bild  des  Marsstabes, 
wobei  vorausgesetzt  ist,  dafs  die  Brennweite  der  Linse  richtig  eingestellt  ist. 
Es  ist  hiernach  leicht,  einen  Winkel  zu  messen,  indem  man  das  Fernrohr  so 
dreht,  dafs  die  beiden  anvisirten  Punkte  auf  den  einen  Mafsstab  zu  liegen  kommen. 
Das  Gesichtsfeld  beträgt  etwa  40°,  ist  der  Winkel  bedeutend  gröfser,  so 
mufs  man  ihn  theileu,  was  durch  einen  wohl  stets  zu  findenden  vermittelnden 
Punkt  geschehen  kann. 

Nimmt  man  eine  willkürliche  Theilung  des  sphärischen  Glases,  z.  B.  in 
Millimeter  vor,  so  nimmt  der  Winkelwerth  eines  Theiles  nach  den  Rändern 
etwas  zu,  was  durch  die  Krümmung  des  Glases  bedingt  ist,  welche  wiederum 
dadurch  nothwendig  wird,  dafs  ohne  dieselbe  die  vom  Centrum  entfernteren 
Theilstriche  undeutlich  abgebildet  würden.  Uebersteigt  diese  Zunahme  den 
Fehler  der  Ablesung  merklich,  so  mufs  mit  Hilfe  eines  anderweitig  genau  ge- 
messenen Winkels,  dessen  Fixpunkte  nach  und  nach  durch  die  ganze  Theilung 
verschoben  werden,  der  Werth  der  Thcilstricho  bestimmt  werden.  Ebenso 
wird  natürlich  durch  Ausziehen  resp.  Einschieben  des  Okulars  der  Werth  des 
ganzen  Mafsstabes  geändert  und  würde  auch  diese  Acndorung,  wenn  nüthig, 
in  derselben  Weise  festgestellt  werden  können.  Soret  fand  bei  dom  von  ihm 
angewandten  Instrumente  diese  Fehlerquellen  innerhalb  des  wahrscheinlichen 
Ablesungsfohlers  von  7io°- 

Man  kann  diesen  korapendiösen  Apparat  auf  zwei  Arten  benutzen,  am 
häufigsten  wohl  mit  einem  Auge,  wobei  die  durchschnittene  Okularlinse  nöthig 
ist;  aber  auch  bei  Anwendung  beider  Augen,  indem  das  bewaffnete  Auge  die 
Theilung  abliest,  das  freie  das  ferne  Objekt  anvisirt  und  dasselbe  mit  dein  Bilde 
des  Mafsstabes  zur  Koinzidenz  bringt;  bei  einiger  Hebung  gelingt  diese  Ueber- 
einanderlagerung  der  Bilder  vollkommen.  In  diesem  Falle  mufs  die  Halblinse 
durch  eine  ganze  Linse  von  gleicher  Brennweite  ersetzt  werden.  Nicht  mit 
normalem  Augo  begabte  Beobachter  müssen  das  Okular  ausserdem  mit  der 
nöthigon  Korrektionslinse  versehen,  resp.  der  für  Fernsicht  nothwendigen 
Brille  sich  bedienen. 

Der  Apparat  ist  aufsor  zur  Messung  von  Nebelringeu,  Qegensonncn,  Ringen 
um  Sonne  und  Mond,  auch  zur  Messung  von  Sonnenhöhen  geeignet,  und  dürfte 
ferner  beim  Entwerfen  von  Panoramen  und  für  Aufnahmen  von  Architekturen 
nützliche  Dienste  leisten.  Dr.  Wagner. 


* 


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E.  Ca  «pari,  Cours  d’ Astronomie  pratique.  2 voL  tan«.  Gauthicr- 
Villars,  188». 

Die  astronomische  Literatur  hat  in  Beziehung  auf  die  Lösung  der  Auf- 
gaben der  praktischen  Astronomie,  also  namentlich  in  Bezug  auf  Zeit-  und 
Ortsbestimmung,  keinen  Mangel  an  trefflichen  Handbüchern.  So  ergänzen  sich 
die  bekannten  Werke  von  Brünn ov  und  Sawitsch*)  in  ausgezeichneter 
Weise  und  finden,  wenigstens  in  Deutschland,  eifriges  Studium  bei  allen  jenen, 
die  den  praktischen  Problemen  näher  zu  treten  gezwungen  sind.  Die  Bücher 
von  Chauvenet,  Molde  u.  a.  bilden  weitere  instruktive  Führer  in  Fragen 
über  Details  und  bestimmter  Bichtungen.  Bei  aller  Reichhaltigkeit  dieser  Lite- 
raturgattung kann  indessen  ein  gutes  Buch  den  Interessenten  nur  willkommen 
sein.  Eine  Durchsicht  des  vorliegenden  Werkes  vonCaspari  zeigt,  dafs  man 
in  einer  Anleitung  zur  praktischen  Astronomie  trotz  des  schon  Vorhandenen 
immer  noch  ergänzend  wirken  und  in  einzelnen  Thoilen  Neues  bieten  kann. 

Der  ersto  Thcil  des  Casparischen  Buches  enthält  die  Hauptlehren  der 
sphärischen  Astronomie,  die  Theorie  der  Instrumente  und  der  Chronometer. 
In  Beziehung  auf  die  erateren  beschränkt  sich  Caspari  auf  das  Wesentlichste 
und  Nöthigste.  In  dem  Kapitel  über  die  Instrumente  steht  Caspari  dom  Werke 
von  Sawitsch,  namentlich  was  die  vielfältigen  nützlichen  Winke  beim  Gebrauch 
der  Instrumente  anbelangt,  nach;  deutsche  Astronomen  werden  besonders  die 
Abtheilung  über  das  Universalinstrument  vermissen,  das  bei  Sawitsch  eine  so 
ausführliche  Behandlung  erfahren  hat.  Dagegen  bringt  Caspari  einen  Abschnitt 
über  den  Theodoliten  (mit  besonderer  Darlegung  der  Korrektionen  dieses  In- 
struments) und  eine  höchst  Schützens werthe  Abtheilung  über  astronomische 
Uhren.  Während  Sawitsch  betreffs  der  letzteren  sich  auf  das  Nothwendigste 
über  Aufstellung,  Vergleichung  der  Uhren,  Berechnung  der  Uhr-Korrektion  für 
eine  gegebene  Zeit,  auf  die  Ursachon  der  Veränderlichkeit  des  Ganges  der 
Uhren,  und  auf  die  Berücksichtigung  der  Temperaturkorrektiou,  insgesamt  auf 
14  Seiten  beschränkt,  nimmt  Caspari  50  Seiten  in  Anspruch.  Bei  den  Aus- 
führungen über  diesen  Gegenstand  stützt  sich  der  Verfasser  auf  seine  viel- 
fältigen eigenen  Untersuchungen.  — Der  zweite  Tlieil  des  Buches  umfafst  die 
Bestimmung  der  geogr.  Breite,  der  Zeit  und  des  Azimuthes;  ferner  die  astro- 
nomischen Methoden  zur  Bestimmung  der  LängendifTerenz  der  Meridiane. 
Letzterem  Kapitel  sind  nur  83  Seiten  gewidmet;  die  entsprechende  vollständige 
Darstellung  bei  Sawitsch  (264  Seiten),  welche  auch  auf  die  speziellen  Fragen 
über  die  Finsternisse,  Sternbedeckungen  u.  s.  w.  besonders  eingeht,  wird  wohl 

•)  .Lehrbuch  der  sphärischen  Astronomie*  und  .Abrifs  der  prakt.  Astronomie*. 


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499 

von  den  Meisten  vorgezogen  werden.  Das  „livrc  IV“  des  zweiten  Bandes 
bringt  als  „applications  pratiques*  in  zwei  Kapiteln  die  Hauptaufgaben  der 
nautischen  Astronomie  und  praktischen  Schifffahrt  und  eine  Darstellung  der 
Theorie  der  Beobachtungsfehler. 

lieber  die  Ausführung  der  einzelnen  Matcrion  läfst  sich  nur  Befriedi- 
gendes sagen;  Formeln  hat  der  Verfasser  nirgend  mehr  als  zum  sachlichen 
VerstUndnirs  nothwendig  sind;  wo  es  angeht,  greift  er  auch  (mit  Rücksicht 
auf  seinen  besonderen  Leserkreis)  zur  graphischen  Darstellung. 

F.  K.  Ginzel. 


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(Im  Interesse  der  geehrten  Fragesteller  sei  der  Redaktion  folgende  Be- 
merkung erlaubt:  Da  einerseits  die  Beantwortung  einer  Frage  im  Sprochsaal 
nur  dann  im  nächsten  Hefte  erfolgen  kann,  wenn  letztere  bis  spätestens  zur 
Mitte  des  Monats  in  unseren  Händen  ist,  und  da  wir  es  uns  ferner  wegen  des 
geringen  für  diese  Abtheilung  der  Zeitschrift  uns  zur  Verfügung  stehenden 
Raumes  zum  Prinzip  gemacht  haben,  nur  solche  Antworten,  welche  für  die 
gesamte  Lesorwelt  von  Interesse  sein  dürften,  abzudrucken,  so  ergeht  an  alle 
Fragesteller  hiermit  die  Bitte,  stets  ihren  vollen  Namen  und  Adresse  angebeu 
zu  wollen,  damit  uns  eine  direkte  briefliche  Antwort  für  alle  Fälle  ermöglicht 
werde.  Es  ist  durchaus  falsch,  sich  irgend  welcher  Fragen  auf  einem  wissen- 
schaftlichen Gebiete  zu  schämen,  in  welchem  man  keine  fachmännische  Bildung 
genossen  hat.  Im  Gegentheil  halten  wir  das  Auftauchen  von  Fragen  mancherlei 
Art  bei  den  Lesern  für  ein  erfreuliches  Zeichen  eigenen  Durchdenkens  und 
Verarbeitens  des  in  sich  Aufgenoramenen.  Für  den  Fall  einer  Beantwortung 
im  Sprechsaal  verspricht  gleichwohl  die  Redaktion,  gewünschten  Falls  stets 
Diskretiou  zu  bewahren.) 

P.  S.  24.  Bezüglich  ihrer  Anfrage  in  betreff  der  Verschiebungen  der 
Spektrallinien  bei  Bewegung  der  Lichtquelle  theilen  wir  Ihnen  mit,  dofs  Herr 
Dr.  Seheiner  auf  Seite  199  (im  vierten  Hefte)  unserer  Zeitschrift  die  thatsäch- 
lichen  Verhältnisse  in  voller  Schärfe  und  Klarheit  auseinandergesetzt  hat.  Sie 
worden  daraus  ersehen,  dafs  Sie  sich  bei  Ihrer  bisherigen  Auffassung,  nach 
welcher  die  dunklen  Linien  an  ihrer  festen  Stelle  verbleiben,  während  sich 
das  Farbenspoktrum  dahinter  verschiebe,  im  Irrthum  befinden.  Die  dunkeln 
Linien  sind  vielmehr  das  Einzige,  woran  wir  im  Spektrometer  eine  Verschiebung 
bemerken  und  messen  können,  während  das  Spektrum  unvorschoben  und  un- 
verändert bleibt.  Allerdings  erleidet  jede  Farbe  eine  Veränderung  der  Schwiu- 
gungszahl  und  goht  dadurch  in  eine  Nachbarfarbe  über;  aber  Sie  bedachten 
nicht,  dafs  sie  damit  auch  völlig  an  die  Stelle  jener  anderen  Farbe  tritt,  denn 
Farbe  und  Brechbarkeit  können  sich  nur  gleichzeitig  in  ganz  entsprechender 
Weise  verändern,  so  dafs  einer  Furbenändorung  einer  bestimmten  Stelle  auch 
eine  Veränderung  der  Ablenkung  durch  das  Prisma  entspricht.  Da  nun  nach 
einem  physiologischen  Gesetze  unser  Auge  nur  Strahlen  als  Licht  empfinden 
kann,  deren  Schwingungszahl  innerhalb  gewisser  Grenzen  liegt,  so  wird  bei 
der  Verschiebung  auf  der  einen  Seite  ein  Thoil  des  Spektrums  für  uns  unsicht- 
bar, während  auf  der  anderen  Seito  sich  das  Farbenband  zu  seiner  früheren 
Ausdehnung  ergänzt.  Das  kontinuirliche  Spektrum  erscheint  somit  seiner  Zu- 
sammensetzung und  auch  seiner  Lage  nach  völlig  unverändert,  verschoben  da- 
gegen sind  seine  Unterbrechungen,  die  Fraunhoforschen  Linien,  weil  sie  in 
eine  andere  Farbe  gerückt  sind. 

Verlag  von  Hermann  Paetel  in  Berlin.  — Druck  von  Wilhelm  Qronau'a  Buchdruckerei  io  Berlin. 

Für  die  Redaction  verantwortlich:  Dr.  M.  Wilhelm  Meyer  in  Berlin. 

Unberechtigter  Nachdruck  aua  dem  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt. 

Uebersetzungsrccht  Vorbehalten. 


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Prof  Barnard,  Astronom 
der  1.  ick- Sternwarte 


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Die  Lick-Stemwarte. 


Vom  Direktor  derselben,  Prof.  Edward  S.  Holden.1) 
(Schlufs.) 


,oJfi)ie  Kraft  unseres  grofsen  Refraktors  offenbart  sich  am  deutlichsten 
iTcy  bei  <*er  Betrachtung  von  Nebelflecken.  Die  schwächeren  Objekte 
dieser  Art  enthüllen  uns,  wenn  man  sie  unter  unseren  vortreff- 
lichen atmosphärischen  Bedingungen  studirt,  neue  und  unerwartete 
Einzelheiten  und  die  helleren  Nebel  zeigen  eine  so  grosse  Menge  von 
Details,  dafs  es  völlig  unmöglich  ist,  sie  durch  irgend  welche  Zeich- 
nungen abzubilden.  In  der  That  haben  wir  kaum  einen  Nebel  ge- 
sehen, der  nicht,  so  einfach  er  auch  in  anderen  Fernrohren  erscheinen 
mag,  eine  für  die  Wiedergabe  durch  Feder  oder  Bleistift  zu  cotn- 
plizirte  Struktur  gezeigt  hätte.  Für  die  physische  Beschreibung 
dieser  wundervollen  Objekte  scheint  allein  das  Verfahren  anwendbar 
zu  sein,  dar»  man  sie  nebst  den  Sternen  der  nächsten  Umgebung  photo- 
graphirt  und  dann  als  Ergänzung  dieser  autographischen  Abbildung 
beschreibende  Noten  hinzufügt,  wie  sie  ein  sorgfältiges  Studium  durch 
das  eigene  Auge  zu  liefern  vermag. 

Unmöglich  können  wir  mit  Worten  irgend  welche  Beschreibung 
geben  von  dem  Aussehen  z.  B.  der  grofsen  Nebel  im  Orion  und  der 
Andromeda,  oder  des  Trifid-Nebels  und  anderer.  Für  die  Be- 
schreibung solch  komplizirter  Gebilde  reicht  unsere  Sprache  nicht 
aus.  Das  neue  schöne  von  Mr.  Roberts  angefertigte  Photogramm 
des  Andromeda-Nebels2)  zeigt  vielleicht  mehr  Detail,  als  je  mit 


l)  Aus  dem  englischen  Originalmanuskript  übersetzt  von  Dr.  F.  Koerber. 
-)  Dieses  prächtige  Photogramm  ist  im  Februarheft  der  englischen  Monats- 
schrift .The  Observatory“  reproduzirt. 

Himmel  und  Erde.  I.  9.  36 


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502 


irgend  einem  der  in  unserem  Besitze  befindlichen  Okulare  gesehen 
werden  könnte.  Hin  Kellnersches  Okular  von  etwa  180  facher  Ver- 
gröfserung  würde  wahrscheinlich  ein  genügend  grofses  Gesichtsfeld 
mit  hinreichenden  Kontrasten  geben,  um  einen  Augen-Kommenlar  zu 
dieser  neuesten  photographischen  Errungenschaft  zu  ermöglichen. 

Photographische  Aufnahmen  von  Nebelflecken  erfordern  verhält- 
nifsmiifsig  lange  Belichtungsdauer  und  wir  sind  bis  jetzt  noch  nicht 
im  stände  gewesen,  das  grofse  Teleskop  dieser  speziellen  Aufgabe  zu 
■widmen.  In  den  Zwischenpausen  zwischen  anderen  Arbeiten  sind 
jedoch  schon  viele  von  den  wichtigeren  Nebeln  mit  dem  Auge  sorg- 
fältig studirt  worden,  wobei  auch  die  Vertheilung  der  helleren  und 
lichtscliwächeren  Partien,  sowie  die  Lage  der  in  den  Nebeln  vor- 
kommenden Sterne  durch  Diagramme  fixirt  worden  ist.  Diese  Dia- 
gramme haben  wir  mit  den  von  anderen  Beobachtern,  namentlich  von 
Wilhelm  und  John  Herschel,  Lord  Rosse  und  Mr.  Lasseil  zu 
verschiedenen  Zeiten  entworfenen  und  auch  mit  solchen,  die  ich  selbst 
am  15-zölligen  Refraktor  der  Washburn-Stern  warte  und  am  26-Zöller 
auf  der  Marinesternwarte  in  Washington  gezeichnet,  verglichen.  Auf 
Grund  dieser  Prüfung  und  Vergleichung  hat  sich  den  Beobachtern 
nach  und  nach  eine  eigenthümliohe  Erkenntnifs  aufgedrängt  in  Bezug 
auf  die  Richtung,  welche  künftige  Beobachtungen  der  Nebelflecke 
werden  eiuschlagen  müssen. 

Um  diese  Erkenntnifs  auseinanderzusetzen,  wollen  wir  die  von 
Wilhelm  Herschel  eingeführte  ..Klasse"  der  planetarischen  Nebel 
betrachten.  Diese  Nebel  wurden  als  eine  besondere  Klasso  unter- 
schieden, weil  sie  für  gewöhnliche  Fernrohre  eine  kreisrunde  oder 
elliptische  Scheibe  und  überhaupt  in  gewissem  Sinne  ein  planeten- 
ähnliches Aussehen  zeigen,  obgleich  in  vielen  Fällen  entweder  der 
Umfang,  oder  die  Mitte  der  Scheibe  merklich  heller  ist,  als  die  übrigen 
Theile,  und  obgleich  auch  ferner  vielfach  ein  Centralstern  oder  Kern 
vorhanden  ist,  der  diesen  Nebeln  eher  ein  kometarisches  Aussehen 
verleiht.  Betrachtet  man  diese  Gebilde  mit  kleineren  sechs-  bis  acht- 
zölligen Instrumenten,  so  erhält  man  immer  mehr  den  Eindruck  einer 
allgemeinen  Aehnlichkeit  der  verschiedenen  Individuen  dieser  Klasse. 
Ihr  Name  scheint  gut  gewählt,  jedes  gleicht  den  übrigen.  Wendet 
man  jedoch  immer  gröfsere  Oefihungen  au,  so  geht  diese  Aehnlichkeit 
immer  mehr  verloren,  da  neue  Details  durch  die  wachsende  Kraft  des 
angewandten  Fernrohrs  entwickelt  werden.  Eine  für  ein  sechszölliges 
Fernrohr  völlig  undeutliche  Zeichnung  entfaltet  sich  oft  klar  im 
Zwölfzöller,  und  dieses  Aussehen  scheint,  zum  Theil  weil  es  unge- 


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wohnlich  ist,  diesen  einen  Nebel  von  allen  anderen  zu  scheiden  und 
ihn  in  eine  besondere  Klasse  für  sich  zu  rangiren.  Ich  hatte  ver- 
nmthet,  dafs  bei  der  Anwendung  unseres  grofsen  Refraktors  ein 
ähnlicher  Prozefs  fortschreiten  würde  und  dafs  die  grofse  Zunahme 
der  Lichtstärke  so  viele  Einzelheiten  in  den  Strukturen  der  Nebel 
enthüllen  würde,  dafs  deren  Diflerentiirung  immer  deutlicher  werden 
und  sich  schliefslich  Herschels  „Klasse"  in  eine  Menge  selbständiger 
Individuen  aufliisen  würde. 

Dies  ist  jedoch  nicht  der  Fall  und  diese  Wahrnehmung  erscheint 
mir  von  Wichtigkeit  und  grofsem  Interesse.  Es  ist  allerdings  zweifellos 
richtig,  dafs  jedes  neue  Objekt  im  grofsen  Refraktor  vielerlei  neue 
Details  zeigt;  und  diese  Einzelheiten  sind  oft  so  komplizirt,  mannig- 
faltig und  wunderbar,  dafs  man  gezwungen  ist,  den  fraglichen  Nebel 
von  vielen,  ja  von  den  meisten  übrigen  zu  trennen,  die  Hörschel 
früher  mit  ihm  in  eine  Klasse  stellte.  Aber  wir  haben  jetzt  schon  eine 
genügende  Zahl  solcher  Gebilde  beobachtet,  um  doch  Aehnlichkeiten 
und  Analogien  in  diesen  neuen  Gestaltungen  aufzufinden,  auf  Grund 
derer  sio  sich  wahrscheinlich  dennoch  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
wieder  zu  neuen  Gruppen  werden  vereinigen  lassen. 

Ein  bestimmter  Nebel,  welcher  einer  Reihe  anderer  sehr  ähnelt, 
wenn  man  alle  mit  verhältnifsmäfsig  geringen  Oeffnungen  betrachtet, 
unterscheidet  sich  wesentlich  von  jedem  einzelnen  dieser  Gruppe,  wenn 
wir  ihn  hier  sehen.  Der  Unterschied  rührt  so  zu  sagen  von  gewissen 
besonderen  Anordnungen  der  nebligen  Masse  her.  Wenn  wir  jetzt 
aber  einen  zweiten  Nebelfleck,  der  nicht  zu  jener  ersten  Gruppe  ge- 
hörte, einstellen,  so  finden  wir  diesen  wieder  völlig  verschieden  von 
allen  früher  mit  ihm  zusammengestellten  Nebeln  und  es  unterscheiden 
ihn  oft  genau  dieselben  eigenthümlichen  Besonderheiten,  welche  uns 
den  erstbetrachtoten  in  eine  von  seinen  früheren  Genossen  getrennte 
Klasse  setzen  liefsen.  Diese  beiden  Nebel  werden  daher  von  nun  an 
zusammengestellt  werden  müssen  und  wir  haben  jetzt  einen  neuen  Ein- 
theilungsgrund  in  den  Analogien,  welche  erst  die  Kraft  des  grofsen 
Refraktors  enthüllt  hat,  der,  wenigstens  in  vielen  Fällen,  im  stände 
zu  sein  scheint,  das  Gesetz  erkennen  zu  lassen,  nach  welchem  sich 
die  neuen  Einzelheiten  entwickelt  haben.  Es  dürfte  sonach  that- 
siichlich  eine  gewisse  Anzahl  von  Nebeltypen  existiren,  deren  einige 
uns  die  gesteigerte  optische  Kraft  jetzt  vorläufig  offenbart  hat. 

Beispielsweise  scheinen  der  Ringnebel  in  der  Leyer  und  der 
Nebel  No.  2017  in  Herschels  Generalkatalog  (G.  C.  2017)  elliptische 
Nebel  vom  gleichen  Typus  zu  sein,  obgleich  der  letztere  sehr  wahr- 

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scheinlich  ganz  bedeutend  weiter  von  uns  entfernt  ist,  wie  sich  aus 
Lassells  Beobachtungen  auf  Malta  ergeben  hat.  Die  Nebel  1 H.  IV 
Aquarii  und  G.  C.  4964  ferner  gleichen  sich  ungemein  in  ihren  inneren 
ovalen  Ringen,  welche  sich  bei  beiden  in  ganz  ähnlicher  Weise  vom 
Mittelpunkte  aus  krümmen  und  mit  einander  verflechten.  G.  C.  4627 
und  G.  C.  4572  zeigen  ebenfalls  eine  aufsergewöhnliche  Aehnlichkeit, 
und  im  Grunde  ist  der  letztere  Nebel  ein  Miniaturbild  des  bekannten 
Dumb-bell-Nebels.  G.  C.  600  und  G.  C.  604  endlich  sind  fast  Kopien 
von  einander,  und  solcher  Beispiele  liefsen  sich  noch  viele  anführen. 
Unter  all  diesen  Gruppen,  die  nicht  umfassend  genug  sind,  um  beson- 
dere Namen  zu  verdienen,  welche  aber  doch  thatsächlich  wahre  Typen 
zu  reprüsentiren  scheinen,  giebt  es  eine,  die  wir  für  eine  neue,  beson- 
dere Klasse  halten.  Wir  haben  für  diese  Klasse  bis  jetzt  allerdings 
erst  einen  Repräsentanten  gefunden,  nämlich  37  H.  IV  Draconis,  indessen 
mehrere  der  oben  genannten  Nebelflecke  ähneln  ihm  in  hohem  Mafse. 

Die  beiden  Herschel  haben  den  Grund  zur  Erkenntnifs  der 
Nebelflecke  gelegt.  Sie  waren  nicht  blofs  emsige  Beobachter  auf 
diesem  vor  ihnen  fast  ganz  vernachlässigten  Gebiete  (jeder  hat  etwa 
2000  neue  Nebel  entdeckt),  sondern  sie  dachten  auch  tief  über  die 
Natur  dieser  fremdartigen  Weltkörper  nach,  sie  suchten  eifrigst 
irgend  einen  leitenden  Gedanken  zur  sicheren  Grundlage  der  Klassi- 
fikation, um  so  auch  eine  Ahnung  von  den  Gesetzen  ihrer  Struktur 
zu  gewinnen.  Den  Namen  „planetarische  Nebel“  verdanken  wir  dem 
älteren  Herschel,  der  79  Nebelflecke  zu  dieser  Klasse  zählte. 

John  Herschel  (der  jüngere)  versuchte  dann  in  seinem  grofsen 
Werke  über  die  Nebelflecke  (gedruckt  1833)  eine  Stufenfolge  von  Über- 
gängen nachzuweisen,  indem  er  in  Abbildungen  zunächst  eine  gleich- 
förmig helle,  planetarische  oder  kometarische  Scheibe  zeigt,  dann  ein 
allmähliches  Anwachsen  der  centralen  Helligkeit,  bis  Nebel  mit  deut- 
lichem centralem  Kern  erreicht  sind.  Nun  konnte  er  wieder  andere 
Objekte  der  gleichen  Reihe  aussondern,  bei  denen  der  Kern  sich  heller 
und  heller  gestaltet,  bis  schliefslich  vollends  der  Typus  erreicht  wurde, 
wo  der  neblige  Kern  zu  einem  wirklichen  Stern  geworden  ist,  der 
Typus  der  Nebelsteme.  Aus  der  ungeheuren  Zahl  von  Nebeln,  die 
den  beiden  Herschel  bekannt  waren,  war  er  im  stände,  eine  Anzahl  aus- 
zuwählen, die  sich  völlig  den  eben  geschilderten  Zeichnungen  anschlofs. 

Eben  so  leicht  war  es  auch  möglich,  eine  andere  Reihe  von 
Nebeln  auszusondern,  welche  mit  derselben  schwachen,  koraetarischen 
Scheibe  anhebt,  bei  der  aber  jedes  weitere  Beispiel  einem  anderen 
deutlichen  Typus  einen  Schritt  näher  kommt,  dessen  charakteristische 


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Eigenschaft  durch  die  nach  dem  Umfango  zunehmende  Helligkeit  bei 
dunkler  Mitte  gegeben  ist.  den  Ring-Nebeln.  Der  Nebel  in  der  Leyer 
ist  das  beste  Beispiel  für  diese  Gattung.  Diese  Art  von  planetarischen 
Nebeln  ist  gewöhnlich  nicht  kreisrund,  sondern  elliptisch;  aber  es  ist 
sicher,  dafs  sie  durch  Centralkräfte  gebildet  wurden  und  zwar  durch 
nach  dem  Mittelpunkte  hin  gerichtete.  Die  kugelförmigen  Stern- 
haufen zeigen  ein  ähnliches  Gesetz.  Die  Begründung  der  Annahme 
von  Centralkräften  bei  der  Bildung  der  in  Rede  stehenden  Nebel  wird 
noch  sehr  unterstützt,  wenn  man  nicht  lediglich  die  Vertheilung  des 
Nebelstoffes,  sondern  auch  die  Stellung  der  gewöhnlich  zu  ihnen  ge- 
hörigen Sterne  berücksichtigt.  Diese  Storno  finden  sich  meist  an  kriti- 
schen Punkten,  z.  B.  an  den  Enden  der  Axeu,  rings  an  dem  inneren 
Ringrande  vertheilt,  umgeben  von  helleren  Nebelbüscheln,  u.  s.  w. 


I H.  IV  Aquarli.  Diagramm  von  G.  C.  457a.  37  H.  IV  Draconis. 

Die  beiden  Ilers  eitel  konnten  in  ihrer  Klassifizirung  kaum 
weiter  gehen,  als  bis  zu  diesem  Punkte,  da  es  damals  erst  wenige 
genaue  Zeichnungen  gab.  Ein  sehr  dankbares  Forschungsfeld  wird 
aber  jetzt  eröffnet  durch  die  herrlichen  Erfolge  der  Nebelphotographie, 
welche  Common,  von  Gothard  und  Roberts  errungen  haben. 
Sicherlich  wird  eine  Neuordnung,  die  sich  auf  die  jetzt  gewonnenen 
Daten  stützt,  zu  neuen  Einsichten  in  die  Gesetze  führen,  nach  denen 
sich  die  Nebelflecke  entwickelt  haben.  Die  Entdeckung  der  Spiralnebel 
durch  Lord  Rosse  war  ein  grofser  Schritt  vorwärts  und  ist  der 
Schlüssel  zu  vielen  fremdartigen  Erscheinungen  geworden. 

Vermuthlich  ist  einer  der  von  uns  beobachteten  Nebelflecke  von 
noch  komplizirterem  Gefüge,  sofern  dieses  Objekt  (37 II.  IV  Draconis)  dem 
Auge  nicht  blofs  als  ebene  Spirale,  sondern  als  dreidimensionale  Schrau- 
benlinie erscheint.  Die  Frage  nach  der  wirklichen  Anordnung  der 
einzelnen  Nebeltheile  im  Raume  ist  zwar  nur  schwer  definitiv  zu  be- 
antworten, aber  das  blofse  Aussehen  dieses  Nebels  beweist,  dafs  er  eine 
wichtige  Ergänzung  zu  den  uns  schon  bekannten  Klassen  liefert. 

Wie  schon  oben  hervorgehoben,  haben  wir  bei  fast  jedem  auf 
der  Lick-Sternwarte  beobachteten  Nebel  eine  Menge  neuer  Detail- 
zeiebnung  gefunden,  welche  ihn  völlig  von  den  bei  Herschel  mit 


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ihm  vereinigten  Nebeln  absondert.  Gleichwohl  erheischen  diese  spe- 
zifischen Verschiedenheiten  nicht  den  Schlufs,  dafs  darum  jedes  dieser 
Objekte  in  eine  besondere  Unterklasse  gesetzt  werden  müfste.  Die 
Analogien,  welche  diese  neuerdings  gesehenen  spezifischen  Unter- 
schiede erkennen  lassen,  berechtigen  vielmehr  zu  der  Annahme,  dafs 
eine  verhiiltnifsmäfsig  kleine  Anzahl  ueuor  Unterklassen  genügen 
wird.  Jede  solche  Unterklasse  mufs  umfassend  genug  sein,  um  alle 
diejenigen  Nebel  in  sich  zu  schließen,  welche  wesentliche,  spezifische 
Aehnlichkeiteu  darbieten,  und  andererseits  genügend  begrenzt,  um 
solche  Nebel  auszuschliefsen,  deren  Einzelheiten  eine  andere  Struktur 
verrathen.  Obgleich  wir  während  der  wenigen,  kurzen  Monate,  die 
seit  der  Vollendung  unserer  Sternwarte  verflossen,  noch  nicht  im 
stände  gewesen  sind,  eine  ausgedehnte  Nebeldurchmusterung  vorzu- 
nehmen, so  glauben  wir  doch  genug  gesehen  zu  haben,  um  behaupten 
zu  können,  dafe  die  Anzahl  solcher  Unterklassen  wahrscheinlich  eine 
kleine  ist.  Fiir  fast  jede  Form,  sei  sie  auch  noch  so  bizarr,  läfst  sich 
ein  anderer  Nebel  finden,  der  die  gleiche  oder  doch  eine  sehr  ähn- 
liche Zeichnung  bositzt. 

Wie  es  scheint,  sind  die  planetarischen  Nebel  gerade  in  ihren 
Einzelheiten  nach  bestimmten  Typen  gebaut,  deren  Zahl  eine  geringe 
ist  Jeder  dieser  Typen  läfst  deutlich  die  Wirkung  centraler  Kräfte 
erkennen.  Sind  alle  diese  Centralkräfte  dieselben?  Sind  sie  in  Wahr- 
heit nur  verschiedene  Manifestationen  der  einen  Urkraft,  die  wir  Gra- 
vitation nennen?  Oder  giebt  es  vielleicht  im  Gegentheil  mehrere,  ja 
viele  Arten  von  Centralkräften,  die  im  Weltraum  wirken?  Auf  welchem 
von  diesen  zwei  Wegen  sollen  wir  eine  Erklärung  des  allgemeinen 
Vorkommens  typischer  Formen  bei  den  Nebelflecken  suchen? 

Schon  die  Thatsache  allein,  dafs  wir  jetzt  unmittelbar  vor  solche 
Probleme  gestellt  werden,  bedeutet  nach  meiner  Ansicht  einen  wich- 
tigen Schritt  vorwärts  auf  diesem  Zweige  der  Astronomie.  Unmöglich 
können  wir  wissen,  ob  solche  Fragen,  wie  diese,  schon  heut  oder 
morgen  ihre  Beantwortung  finden  werden,  aber  ich  glaube  doch, 
dafs  uns  sicherlich  die  verhiiltnifsmäfsig  wenigen  Beobachtungen,  welche 
bis  jetzt  auf  der  Lick-Sternwarte  angestellt  wurden,  in  den  Stand  ge- 
setzt haben,  die  Fragen  wenigstens  mit  einer  bisher  völlig  unerreich- 
baren Bestimmtheit  zu  formuliren.  Wir  können  heut  unseren  Blick 
schon  hinausschweifen  lassen  in  Zeiten,  da  man  die  so  komplizirten 
Strukturen  des  Orion-,  Omega-  oder  des  Trifid-Nebels  wird  erklären 
können.  Freilich  wird  dies  nicht  eher  möglich  sein,  als  bis  wir  erst 
die  einfacheren  Formen  völlig  verstehen.  Gewifs  ist  es  nicht  über- 


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trieben  zu  hoffen,  dafs  die  planetarischen  Nebel  eines  Tages  den 
Schlüssel  zu  diesen  Geheimnissen  liefern  werden. 

Der  überaus  klare  Ilimmel  auf  Mt.  Hamilton  hat  es  Herrn  Barnard 
erlaubt,  die  Beobachtungen  schwacher  Kometen  noch  weit  länger  fort- 
zusetzeu,  als  es  irgendwo  anders  möglich  war.  So  datirt  z.  B.  die  letzte 
uns  bekannt  gewordene  auswärtige  Beobachtung  des  Olbersschen 
Kometen  vom  15.  März  1888,  während  Herr  Barnard  denselben 
noch  am  6.  Juli  desselben  Jahres  zum  letzten  Mal  beobachtete.  Fayes 
Komet  wird  noch  gegenwärtig  (28.  Januar  1889)  beständig  verfolgt, 
während  er,  so  viel  ich  weifs,  sonst  vom  August  bis  Dezember  nir- 
gends beobachtet  worden  ist.  Ferner  sind  hier  zwei  Kometen  von 
Herrn  Barnard  entdeckt  worden,  und  zwar  am  2.  September  und 
JO.  Oktober  vergangenen  Jahres. 

Täglich  wird  zu  Mittag  von  der  Normaluhr  unserer  Sternwarte 
aus  ein  Zeitsignal  nach  allen  Eisenbahnlinien  der  pacifischen  Staaten 
abgegeben,  nördlich  bis  Portland  Oregon  und  in  östlicher  Richtung 
bis  El  Paso  und  Ogden  in  Utah.  Auf  diese  Weise  wird  unsere  Nor- 
malzeit über  mehrere  Tausend  Meilen  Schienenweg  verbreitet.  Ganz 
besonders  nützlich  erwies  sich  dieser  Zeitdienst  bei  der  Sonnenfmster- 
nifs  am  1.  Januar  1889. 

Die  geographische  Lage  unseres  Observatoriums  ist  von  den 
Offizieren  der  „U.  S.  Coast  and  Geodetik  Survey*  durch  Visirung  von 
mehreren  ihrer  in  der  Umgehung  liegenden  geodätischen  Stationen  aus 
bestimmt  worden,  und  aufserdem  auch  mittelst  telegraphischer  Längen- 
bestimmung im  vorigen  Sommer.  Die  Breite  ihrer  Station  haben  die 
genannten  Offiziere  nach  Talcotts  Methode  ermittelt.  Diese  Bestimmung 
soll  jedoch  noch  mit  unserem  eigenen  Zenithfemrohr  wiederholt  werden, 
und  die  Breite  wird  dann  auch  im  ersten  Vertikal  und  mit  dem  Me- 
ridiankreis ermittelt  werden.  Die  Intensität  der  Schwere  ist  von  Offi- 
zieren der  „Coast  Survey“-  bestimmt  worden,  und  Studenten  der  Uni- 
versität von  Kalifornien  haben  zwei  Nivellements  von  San  Jose  bis 
zum  Gipfel  unseres  Berges  ausgeführt. 

Zu  einer  meteorologischen  Station  war  unsere  Sternwarte  ur- 
sprünglich nicht  bestimmt.  Ihre  exceptionelle  Lage  legt  uns  aber  doch 
die  Pflicht  auf,  eine  regelmäfsige  Reihe  meteorologischer  Beobachtungen 
anzustellen  und  werden  die  Instrumente  täglich  um  7 l'hr  Vm.,  2 Uhr 
Nm.  und  9 Uhr  Ab.  abgelesen.  — Die  Konstanten  der  Meridianinstrumente 
sind  öfter  gestört  worden  durch  leichte  Erdbeben,  wie  sie  in  Kalifor- 
nien häufig  sind.  Ich  habe  darum  einen  Satz  von  Seismometern  nach 


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508 

Ewings  System  aufgestellt,  welche  alle  Erschütterungen  aufzeichnen. 
In  Verbindung  mit  dieser  Einrichtung  hat  eine  Anzahl  von  wissen- 
schaftlichen Liebhabern  in  Kalifornien  und  Nevada  ebensolche  Instru- 
mente erworben  und  aufgestellt,  deren  Angaben  uns  regelmäfsig  mit- 
getheilt  werden.  Hierdurch  leistet  sonach  unsere  Sternwarte  auch  der 
seismometrischen  Forschung  einen  Dienst.  — Unser  Ehrgeiz  hat  darin  be- 
standen, durchaus  alles  zu  erstreben,  was  bis  jetzt  überhaupt  erreicht 
worden  ist,  und  dabei  den  Sinn  des  trefflichen  Ausspruchs  des  seeligen 
Argeiander  zu  erfüllen,  dafs  das  Erreichbare  in  der  Astronomie  gar 
oft  verfehlt  worden  ist  infolge  falsch  geleiteter  Strebungen  nach  dem 
Unerreichbaren. 

In  dieser  voranstehenden  kurzen  übersieht  über  die  Arbeiten 
der  Lick-Sternwarte  konnte  ich  nur  über  einige  wichtige  Beobachtungs- 
reihen berichten.  Es  möge  aber  auch  noch  daran  erinnert  werden, 
dafs  bis  jetzt  unsere  Arbeit  häufig  unterbrochen  worden  ist  durch  die 
Anwesenheit  von  Mechanikern,  welche  mit  der  Vervollständigung 
unserer  Ausrüstung  beschäftigt  waren,  ferner  durch  die  Nothwendig- 
keit,  die  Pläne  hierfür  auszusinnen  und  endlich  durch  die  wichtige 
Fürsorge  für  die  IlerbeischafTung  von  Lebensmitteln  und  Materialien 
in  die  Vorrathskammern  für  den  kommenden  Winter.  In  mehrere 
wichtige  Arbeitsfelder,  wie  die  Sternphotographie  und  Spektroskopie, 
sind  wir  bis  jetzt  noch  kaum  eingetreten,  obgleich  wir  beabsichtigen, 
diese  Arbeiten  in  der  nächsten  Zukunft  ernstlich  aufzunehmen. 

Aus  allem  Obigen  ist  ersichtlich,  dafs  die  Stiftung  des  Mr.  Lick 
der  Welt  ein  astronomisches  Institut  allerersten  Hanges  geschenkt 
hat,  das  mit  Instrumenten  von  höchster  Vollendung  ausgerüstet  und 
in  einer  ausnahmsweise  günstigen  Lage  gelegen  ist 

Unter  der  Voraussetzung  von  Intelligenz  und  Pflichttreue  auf 
Seiten  der  Beobachter,  denen  diese  herrlichen  Instrumente  anvertrant 
worden  sind,  ist  man  berechtigt,  von  diesem  neuesten  Zuwachs  der 
Familie  der  Riesenfernrohre  wesentliche  Förderung  der  astronomischen 
Wissenschaft  zu  erwarten. 


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Die  norwegische  Nordmeer-Expedition. 

Von  Prof.  Dr.  li.  Mohn, 

Direktor  des  Norwegischen  Meteorologischen  Instituts  ln  Christiania.  •) 


.o  (Fortsetzung.) 

«-olSJaeh  dem  im  vorigen  Hefte  geschilderten  ersten  uud  letzten  Be- 
;Tj  suche  auf  Jan  Mayen  begann  der  nächste  Tag  ruhig;  als  wir 
aber  um  die  Mittagszeit  ins  Boot  steigen  wollten,  um  ans  Land 
zu  fahren,  erhob  sich  ein  Nordwestwind,  der  so  viel  See  gegen  das 
Ufer  setzte,  dafs  sich  eine  Landbesteigung  nicht  ohne  Gefahr  unter- 
nehmen liofs.  Wir  lichteten  daher  die  Anker  und  dampften  nord- 
wärts. um  die  andere  Seite  der  Insel  zu  erreichen.  Während  des  ersten 
Theiles  der  Tour  zeigte  sich  der  Beerenberg  in  kurzen  Zwischen- 
räumen durch  vorüberziehende  Wolkenmassen,  Es  war  ein  erhabener 
Anblick,  der  jeder  Beschreibung  spottet.  Das  riesenhafte  Gebirge  mit 
seinen  reinen,  weifsen  Schneemassen  schien  in  der  Luft  zu  schweben 
in  erhabener  Majestät,  hoch  und  hehr,  wie  eine  Offenbarung  der  reinen 
Wahrheit  — ein  Augenblick  und  der  Vorhang  wurde  wieder  vorgezogen; 
nur  das  Unterland  blieb  während  unserer  Rundfahrt  um  die  Insel  sichtbar. 
Unterwegs  wurden  beständig  Messungen  mit  dein  Kompass  und  Sex- 
tanten zu  Bestimmungen  für  die  Kartenaufnahme  der  Insel  angestellt 
und  Skizzen  von  der  Kiiste  aufgenommen. 

Drei  grofso  Gletscher,  welche  in  früheren  Beschreibungen  nicht 
erwähnt  und  in  älteren  Karten  nicht  aufgefuhrt  sind,  wurden  auf  der 
Nordseite  der  Insel  entdeckt.  Sic  kamen  vom  Beerenberg  herunter 
und  gingen  alle  mit  einer  hohen,  steilen,  zerklüfteten  Wand  gerade 
ins  Meer.  Die  fünf  jähen  Gletscher  auf  der  Ostseite  wurden  in  die 
Karte  eingezeichnet,  die  Eierinsel  passirt  und  spät  am  Abend,  aufser- 
halb  der  grofsen  Südlagune,  in  der  Treibholzbucht  geankert. 


■)  Aus  dem  norwegischen  Original -Manuskripte  übersetzt  von  F.  S. 
Archonhold  und  revidirt  vom  Verfasser. 


Ti  10 


Am  folgenden  Tage  trat  die  Sonne  hervor,  doch  nur  auf  kurze 
Augenblicke,  und  der  Nebel  verhüllte  fast  ununterbrochen  den  Horizont 
Die  Wellen,  welche  von  Osten  gegen  den  Strand  anrollten,  liefsen 
einen  Versuch  zur  Landbesteigung  wenig  rathsam  erscheinen.  Die 
Sonne  mufste  deshalb  vom  Schiffe  aus  beobachtet  werden.  Vier  Be- 
obachter und  drei  Sextanten  waren  in  voller  Thätigkeit,  um  die  Sonnen- 
höhen in  den  kurzen  Augenblicken,  in  denen  sowohl  die  Sonne  wie 
der  Horizont  sichtbar  waren,  aufzunohmen.  Die  Berechnung  dieser 
Beobachtungen  liefs  uns  den  Grund  erkennen,  weshalb  wir  früher  so 
weit  nach  Westen  segeln  mufsten,  um  Jan  Mayen  zu  finden.  Die 
Insel  lag  nämlich  auf  den  alten  Karten  ganze  10  Seemeilen  weiter 
nach  Osten  als  in  Wirklichkeit.  Nachmittags  ruderten  wir  in  zwei 
Booten,  um  dio  Landesersteigung  zu  versuchen.  Aber  leider  gingen 
die  Wellen  zu  hoch.  Man  konnte  wohl  ans  Land  kommen,  aber  nicht 
ohne  durchnäfste  Kleider,  und  ein  solches  Bad  bei  einer  Lufttemperatur 
von  5 Grad  schien  nicht  gerade  rathsam.  Wir  ruderten  dann  nach 
der  Eierinsel.  Hier  sahen  wir,  wie  lose  die  Asche  lag,  aus  welcher 
der  Krater  der  Eierinsel  gebildet  war;  Bergsturz  auf  Bergsturz  schofs 
die  schroffen  Wändo  hinunter.  Ein  Schufs  scheuchte  einen  ganzen 
Vogelschwarm  auf;  wir  machten  aber  die  Beobachtung,  dafs  Jan 
Mayens  Vogelberge  sich  nicht  an  Vogelreichthum  mit  den  norwegischen 
messen  können.  Durch  Messungen  mit  dem  Sextanten  bestimmten 
wir  die  Lage  unseres  Ankerplatzes  in  Beziehung  zum  Vogelberg, 
dessen  Spitze  sich  über  der  Landzunge  zeigte.  Die  so  gefundene  Breite 
und  Länge  des  Vogelberges  erwiesen  sich  später  nach  den  genauen 
astronomischen  Beobachtungen  der  Oesterreicher  bis  auf  einige 
wenige  Sekunden  richtig. 

Auch  am  folgenden  Tag  bot  sich  uns  keine  Gelegenheit  ans 
Land  zu  kommen.  Wir  lichteten  die  Anker  und  rückten  gegen  Süden 
vor.  Interessante  Beute  belohnte  unsere  Lothungen  und  Arbeiten  mit 
dem  Schleppnetz.  An  diesem  Tage  hatten  wir  die  grofse  Freude,  den 
Beerenberg  ganz  klar  vom  Fufs  bis  zur  Spitze  zu  sehen  und  zwar 
viele  Stunden  hintereinander.  Unser  Bild*)  ist  nach  Messungen  ge- 
zeichnet, die  ich  von  einer  unserer  Lothstationen  aus  gemacht  habe, 
und  giebt  die  richtigen  Böschungen.  Draufsen  auf  der  See  trafen 
uns  die  heftigen  Wirbelwinde,  von  denen  Scoresby  spricht.  Die  Ge- 
schwindigkeit des  Windes  stieg  bis  auf  15  m in  der  Sekunde.  In  den 
Böen  sahen  wir  die  Eierinsel  rauchen,  in  Staub  gehüllt,  so  dafs  das  Ganze 

•j  Siche  Heft  8,  Seite  4.">9. 


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511 


das  Aussehen  eines  vulkanischen  Ausbruches  hatte,  aber  nach  unsern, 
Tags  zuvor  an  Ort  und  Stelle  gemachten  Beobachtunyen  wussten  wir,  dafe 
es  das  Hutschen  der  losen,  feinen  Asche  war,  die  der  Wirbelwind  in 
die  Höhe  führte.  L)er  Abend  fand  uns  in  der  Treibholzbucht  vor  Anker. 

Ara  folgenden  Tage,  am  2.  August,  lichteten  wir  wieder  die 
Anker  und  dampften  nordwärts,  um  Lothungen  vorzunehmen.  Schon 
in  einem  Abstand  von  l'/a  Meilen  von  der  Xordspilzo  von  Jan  Mayen 
fanden  wir  eine  Tiefe  von  1000  m.  Das  bewies,  dafs  die  Böschung 


SUdwcst-Cap  auf  Jan  Mayen  und  die  sieben  Klippen. 


des  Beerenberyes  gegen  Nordost  sich  unter  der  Meeresoberfläche  mit 
derselben  Senkung  fortsetzt,  wie  zwischen  dieser  und  dem  obersten 
Aschenkegel.  Da  die  Höhe  des  Beerenberges,  nach  den  Bestimmungen 
der  Oesterreicher,  2545  m beträgt  — beinahe  ebenso  viel  wie  die 
der  höchsten  norwegischen  Gebirge  — so  hat  hier,  auf  der  äufsersten 
Ecke  gegen  Nordost,  die  vulkanische  Thätigkeit  einen  Kegel  von 
rund  4460  m Höhe  von  dem  Meeresboden  ab  gerechnet,  aufgebaut. 
Und  jetzt  ist  dieser  Kegel,  der  einen  Krater  von  1330  m Breite  trägt, 
mit  einem  Mantel  von  Schnee  und  Eis  bedeckt,  der  über  1800  m vom 
Gipfel  herabragt  — in  Wahrheit,  ein  prachtvolles  Monument. 

Inzwischen  hatte  der  Nebel  Jan  Mayen  wieder  für  unsere  Blicke 
verhüllt,  so  dafs  wir  den  Beerenberg  von  der  Nordseite  aus,  wo 
sein  Krater  offen  ist,  leider  nicht  sehen  konnten.  Wir  steuerten  gegen 


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Nordwest,  lotheten  bis  2000  ra,  erblickten  kein  Eis,  batten  in  der  Luft 
iles  Nachts  beinahe  0°  und  kehrten  zu  Jan  Mayens  Nordküste  zurück; 
sahen  aber  nur  wenig  bei  dem  anhaltenden  Nebel.  Am  andern  Tage 
Vormittags  dampften  wir  die  Westküste  entlang;  das  Letzte,  was  wir 
von  der  Insel  sahen,  war  ihre  Südspitze  mit  den  interessanten  Kratern, 
den  sieben  Klippen  und  dem  Südwestkap  mit  seinem  Thor,  durch 
welches  die  See  geht. 

Am  folgenden  Tage  konnten  wir  feststellen,  dafs  zwischen  dem 
vulkanischen  Island  und  dem  vulkanischen  Jan  Mayen  keine  unter- 
seeische Brücke  vorhanden  ist,  aber  eine  Kinne  von  über  2000  m 


Partie  von  der  Lofot-Wand.  Vaagkallen. 


Tiefe.  Auf  der  Heimreise  nach  Norwegen  fanden  wir  unsere  gröfste 
Tiefe,  3667  m,  im  Südosten  von  Jan  Mayen.  Unser  Eintritt  in  die 
norwegischen  Scheeren  geschah  durch  den  berüchtigten  Malstrom,  der 
jedoch  bei  weitem  nicht  seinem  früheren  Kufe  entsprach ; am  10.  August 
Morgens  hatten  wir  ihn  passirL  Nach  einigen  Untersuchungen  im 
Westfjord,  bei  denen  ich  dus  Bild  von  der  Lofotenwand  zeichnete, 
gingen  wir  nach  Bodü  und  von  dort  zum  Skjerstafjord,  der  durch  den 
noch  berühmteren  Strom  Nordlands,  den  Saltstrom,  ausmündet.  Aber 
auch  dieser  zeigte  sich  nicht  in  seiner  ungestümen  Phase.  Ara  23.  August 
ankerte  , Vüringen“  in  Bergen. 

Während  des  letzten  Sommers,  den  die  Expedition  auf  Reisen 
zubrachte,  1878,  wurden  noch  mehr  Arbeiten  als  in  den  vorher- 


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513 


gehenden  ausgefiihrt.  Es  konnte  systematischer  als  früher  gearbeitet 
werden.  Die  Theile  des  Nordmeeres,  in  denen  wir  1878  arbeiteten,  waren 
theilweiso  schon  früher  aufgelothet,  namentlich  von  den  schwedischen 
Expeditionen.  Mit  dieser  Vorkenntnifs  der  Tiefen  und  unsern  vorjährigen 
Erfahrungen  über  die  zum  Lothen  und  Schleppnetzarbeiten  für  ver- 
schiedene Tiefen  nöthige  Zeit,  konnte  ich  eine  vollständige  Route  für 
die  drei  im  Jahre  1878  zu  machenden  Touren  aufstellen.  Diese  Route 
hielten  wir  beinahe  auf  den  Tag  ein.  Stürmisches  Wetter  machte 
allerdings  theilweise  Veränderungen,  Aufschiebungen  und  Auslassungen 
nothwendig.  Ein  wesentliches  Moment  zur  stetigen  Förderung  unserer 
Arbeiten  war  der  Umstand,  dafs  wir  während  3 Monaten  die  Sonne 
Tag  und  Nacht  über  dem  Horizont  hatten. 

Am  15.  Juni  verliefs  „Vöringen“  Bergen.  Am  19.  wurde  eine 
Temperaturreihe  im  Westfjord,  an  der  tiefsten  Stolle,  aufgenommen. 
Hierbei  wurden  die  neuen  Tiefwasser-Thermometer  von  Negretti  und 
Zambra  geprüft,  die  später  fast  ausschliefslioh  zu  diesem  Zwecke 
benutzt  wurden.  Am  20.  passirten  wir  Trorasö,  wo  ein  alter  Eismeer- 
fahrer als  Lootse  an  Bord  genommen  wurde.  Am  21.  wurde  im 
Altenfjord  gearbeitet,  und  am  22.  erreichte  die  Expedition  Hammerfest. 
Nachdem  im  Porsangerljord  und  im  Tanaljord  Lothungen  ausge- 
führt und  Baggerungen  gemacht  waren,  kam  die  Expedition  am  25. 
Abends  bis  Vardü.  Hier  wurden  am  nächsten  Tage  astronomische 
und  magnetische  Beobachtungen  gemacht.  Die  ersteren  haben  mich 
zu  einer  genauen  Bestimmung  der  Breite  und  Länge  des  Ortes  geführt, 
wo  der  österreichische  Astronom  Pater  Hell  den  Venusvorübergang 
vor  der  Sonnenscheibe  am  3.  Juni  1769  beobachtet  hat,  eine  Beob- 
achtung von  hervorragender  Bedeutung  für  die  Bestimmung  des  Ab- 
standes der  Erde  von  der  Sonne. 

Morgens  am  27.  Juni  verliefsen  wir  Vardü  und  begannen  unsere 
Untersuchungen  auf  dem  Meere.  Der  Weg  ging  zuerst  nordöstlich,  aber 
schon  in  der  nächsten  Nacht  erhob  sich  ein  gewaltiger  Sturm,  der 
unseren  Tiefseearbeiten  ein  Ende  bereitete  und  uns  zwang,  mit  dem 
Bug  gegen  die  See  unthätig  zu  liegen.  Nach  Verlauf  von  24  Stunden 
konnten  jedoch  die  Arbeiten  wieder  aufgenommen  werden,  indem 
wir  erst  nördlich  und  dann  westlich  gingen.  Wir  fanden  0°  am 
Meeresboden  und  hatten  inzwischen  Schneeregen.  Als  wir  uns 
dem  Beeren -Eiland  näherten,  kam  Treibeis  in  Sicht.  Am  4.  Juli 
Morgens  waren  wir  an  der  Südostseite  der  genannten  Insel  angelangt. 
Das  Wetter  war  ausgezeichnet  geworden,  das  Meer  ruhig  und  die 
Luft  ganz  klar.  Die  Nebel,  welche  Morgens  über  Beeren-Eilands 


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r,  14 


Felsgipfel  lagerten,  schwanden  nach  und  nach  vor  den  Strahlen  der 
Sonne.  Somit  stand  einem  Hundgang  auf  der  Insel  nichts  im  Wege. 
Zu  einer  Untersuchung  der  Insel  in  wissenschaftlichem  Sinne  hatte 
unsere  langsame  Fahrt  durch  das  Barentz-Meer  keine  Zeit  übrig 
gelassen.  Es  war  inzwischen  eine  andere  That,  die  wir  nicht  unter- 
lassen wollten,  auszuführen,  nämlich  eine  Post  an  die  holländische 
Polarexpedition  zu  Überbringern  Diese  Expedition,  welche  mit  dein 
Segelschooner  .Willem  Barentz“  nach  Jan  Mayen,  Spitzbergen  und 
Nowaja  Setnlja  reisen  sollte,  wollte  auf  der  Heise  zu  dem  letztge- 
nannten Land  in  Beeren-Eiland  anlaufen  und  hier  Briefe  und  Bot- 
schaft niederlegen.  An  die  Theilnehmer  derselben  waren  eine  Menge 
Briefe  und  Zeitungen  durch  unsere  Offiziere  von  Holland  nach  Bergen 
gesandt,  und  diese  Post  wollten  wir  nach  Beeren-Eiland  ans  Land 
bringen.  Die  Postsachen  wurden  in  einen  Blechkasten  gelegt,  der, 
zugelöthet,  in  einen  starken  hölzernen  Kasten  mit  der  Aufschrift 
.Willem  Barentz“  versenkt  wurde.  Von  dem  holländischen  Konsul 
in  Bergen  war  uns  die  Stelle  angegeben,  wo  die  Holländer  ihre  Post 
niederlegen  wollten.  Diese  Stelle  fanden  wir  bald.  Wir  warfen 
draufsen  auf  dem  Meere  Anker  und  ruderten  in  zwei  Booten  ans 
Land.  Die  Post  wurde  in  eine  Vertiefung  gelegt,  zugedeckt,  und  die 
Stelle  durch  eine  Flagge  bezeichnet,  deren  Stange  die  Inschrift  trug 
.Vöringen  an  Willem  Barentz“.  Die  Stelle  lag  auf  der  südöstlichen 
Seite  der  Insel,  dicht  bei  einem  dort  stehenden,  sehr  verfallenen  Haus, 
Hussenhaus  genannt,  in  welchem  früher  einmal  eine  Partie  Russen 
überwintert  haben.  Wir  erreichten  die  Stelle,  indem  wir  durch  ein 
Felsthor  ruderten,  das  von  Kordenskjöld,  der  diesen  Ort  1868  besucht 
hatte,  Bürgermeisterlhor  benannt  wurde  nach  den  vielen  Bürger- 
meistermüven,  die  hier  ihre  Brutplätze  haben.  Ich  unternahm  eine 
kurze  Wanderung  über  die  Insel.  Der  Boden  bestand  aus  lauter  ver- 
wittertem Gestein,  einer  reinen  Verwitterungshaut,  die  dem  niedrigen 
Land  in  der  Feme  ein  ganz  .grau-kahles“  Aussehen  gab.  Der  südöstliche 
Theil  von  Beeren-Eiland  trägt  zwei  ziemlich  hohe  Berge,  von  welchen 
der  östliche  „Mont  Misery“  oder  „Berg  des  Elends“  genannt,  nach 
meinen  Messungen  seinen  Gipfel  544  m über  Meer  erhebt.  Mit  einer 
Ausbeute  an  Seevögeln  und  Stein -Handstücken  kehrten  wir  an  Bord 
zurück,  um  Nachmittags  die  Anker  zu  lichten  und  unsere  Tiefsee- 
untersuchungen auf  der  Strecke  zwischen  Beeren-Eiland  und  Xordkap 
fortzusetzen. 

(Fortsetzung  folgt.) 


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Neuere  Theorieen  der  Luft-  und  Gewitter  -Elektricität. 

Von  Professor  1„  Sohnckc  in  Miiiielicn. 


(Fortsetzung) 


Wetrachten  wir  zunächst  rückblickend  noch  einmal,  was  bisher  ge- 
wonnen  ist.  Durch  die  mitgetheilten  Versuche,  welche  sich  sämt- 
lich auf  hochverdünnte  Luft  beziehen,  ist  erwiesen,  dafs  solche 
Luft,  wenn  sie  von  "((eigneten  Strahlen  (z.  B.  des  elektrischen  Funkens  | 
getroffen  wird,  scheinbar  elektrisches  Leitungsvermögen  erlangt.  Dafs 
letzterer  Vorgang  als  ein  elektrolytischer  aufzufassen  sei,  ist  indefs 
nur  eine  Ansicht,  welche  bisher  nicht  bewiesen  ist  und  von  vorne- 
herein  auch  keine  besondere  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat.  Aufser 


anderen  Gründen  sprechen  gegen  diese  Ansicht,  wie  die  Herren 
E.  Wiedemann  und  Ebert  hervorheben,  z.  B.  auch  gewisse,  hier 
nicht  näher  zu  beschreibende  Spektralerscheinungen,  welche  von 
G ei fsl ersehen,  mit  Quecksilbcrhaloiden  erfüllten  Rühren  beim  Strotn- 
durchgange  dargeboten  werden. 

In  den  bisher  betrachteten  Versuchen  erscheint  der  Vorgang 
zunächst  als  wahre  Elektrizitätsleitung.  Aber  es  wird  sich  zeigen, 
dafs  diese  Vorstellung  nicht  festgehalten  werden  kann,  sondern  einer 
anderen  Auffassung  weichen  mufs.  Das  erhellt  namentlich  aus  der 
grofsen  Zahl  von  Versuchen,  welche  bei  gewöhnlichem  Atmo- 
sphärendruck angestellt  worden  sind.  Dieselben  gewähren  über- 
haupt eine  wesentliche  Vervollständigung  und  Berichtigung  unserer 
bisher  gewonnenen  Anschauungen,  und  das  um  so  mehr,  als  die  Ver- 
suche in  hochverdünnter  Luft  ja  doch  keine  unmittelbare  Anwendung 
auf  die  elektrischen  Vorgänge  in  der  freien  Atmosphäre  zulassen. 

An  erster  Stelle  nimmt  hier  folgende  Ilertzsche  Entdeckung  un- 
sere Aufmerksamkeit  in  Anspruch.  Wenn  zwischen  zwei  kleinen  Ku- 
geln, die  mit  den  Polen  eines  Induktionsapparats  leitend  verbunden 
sind,  während  der  Apparat  im  Gange  ist,  Funken  überspringen,  und 


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wenn  man  nun  die  Funkenstrecke  vergröfsert,  bis  der  Funkenüber- 
gang  eben  aufhört,  so  treten  die  Funken  regelmässig  wieder 
auf,  so  oft  die  Funkenstrecke  von  den  Strahlen  getroffen 
w ird,  die  ein  andere r elektrische r Funke  aussendet.  Ilr.  Hertz 
hat  den  strengen  Beweis  geführt,  dafs  hier  keine  elektrische  Einwir- 
kung vorliegt,  sondern  dafs  die  Erscheinung  lediglich  der  Bestrahlung 
zugeschrieben  werden  mufs,  denn  einen  fast  ebenso  fördernden  Ein- 
flufs  auf  den  Funkenübergang,  wie  ihn  ein  elektrischer  Funke  ansübt, 
bethätigte  u.  A.  auch  Magnesiumlicht,  in  schwächerem  Grade  Drummond- 
sches  Kalklicht,  Kerzenlicht,  die  Heizflamme  eines  Bunsenschen  Bren- 
ners, während  glühender  Xatriumdampf  und  einige  andere  Lichtquellen 
ganz  einllufslos  blieben.  Am  stärksten  wirkten  die  Strahlen  einer 
elektrischen  Bogenlampe. 

Aus  der  verschiedenen  Stärke  des  Einflusses  verschiedener  Licht- 
quellen folgt  schon,  dafs  nicht  allen  Arten  von  Strahlen  diese  Wirkung 
zukommt.  Denselben  Schlufs  zieht  man  aus  der  Thatsache,  dafs  die 
wirkenden  Strahlen  durch  verschiedene  Substanzen  eine  sehr  verschie- 
dene Absorption  erleiden.  Ganz  undurchlässig  zeigten  sich  Metalle, 
Glas,  Glimmer;  vorzüglich  durchlässig  dagegen  Quarz,  Gyps,  auch 
Wasser.  Durch  Zerlegung  des  von  einer  wirksamen  Lichtquelle  aus- 
gesandten Lichts  in  sein  Spektrum  ermittelte  Herr  Hertz,")  dafs  die 
w irksamen  Strah len  weit  jenseits  des  sichtbaren  Spektral- 
bereichs an  der  äufsersten  Grenze  des  bisher  bekannten 
Spektrums  im  Ultraviolett  liegen. 

Am  wichtigsten  für  unsere  Untersuchung  ist  nun  aber  die  Beob- 
achtung, dafs  keineswegs  die  ganze  Bahn  des  Funkens  dieser  Einwir- 
kung unterliegt.  Beschattet  man  die  ganze  zu  beeinflussende  Funkeu- 
strecke  mit  Ausnahme  der  Stellen  der  Kugeln,  welche  den  Ausgangs- 
oder Endpunkt  der  Funken  bilden,  so  beeinträchtigt  das  die  Wirkung 
gar  nicht;  die  ankommenden  Strahlen  befördern  das  Zustandekommen 
der  Induktionsfunken  ebenso,  als  hätten  sie  die  ganze  Funkenbahn  ge- 
troffen. Aber  die  Beschattung  der  Kathode,  d.  h.  der  Austrittsstelle 
an  der  negativen  Kugel,  hebt  die  fördernde  Wirkung  auf.  Ob  die 
Wirkung  ausschliefstich  oder  nur  zum  gröfsten  Theil  an  der  Kathode 
stattfindet,  hat  Herr  Hertz  noch  unausgemacht  gelassen.  Hier  treten 
aber  Beobachtungen  der  Herren  E.  AViedemann  und  Ebert  ein, 
welche  zeigen,  dafs  Bestrahlung  der  positiven  Elektrode  sowohl,  als 

•)  H.  Hertz:  Ueber  einen  Ein  flu  Th  des  ultravioletten  Lichts  auf  die  elek- 
trische Entladung.  Wicdemanus  Annalen  d.  Phys.  und  Chemie.  31.  1887.  S.  1183. 


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517 

der  ganzen  freien  Funkenstrecke  ohne  jeden  Einflufs  ist,  wenn  man 
nur  dafür  gesorgt  hat,  dafs  ja  kein  Reflex  die  Kathode  trifft  Das 
wurde  bewiesen  nicht  nur  für  Luft  von  gewöhnlichem  Druck,  sondern 
auch  für  verdünnte  Luft  bis  zu  sehr  niedrigen  Drucken  abwärts.  Eine 
der  Versuchsanordnungen,  deren  sich  diese  Forscher  bei  ihren  äufsorst 
vielseitigen  und  inhaltreichen  Untersuchungen  bedienten,  bestand  darin, 
dafs  der  von  einer  Influenzmaschine  gelieferte  Strom  durch  eine  Geifsler- 
sche  Röhre  und  darauf  durch  ein  besonders  konstruirtes  Telephon  ge- 
sandt wurde.  Die  Geifslersche  Röhre,  in  welcher  die  Luft  von  ge- 
wöhnlicher bis  zu  allergeringster  Dichtigkeit  ausgepumpt  werden  konnte, 
hatte  verstellbare  Elektroden  und  ein  seitliches  Quarzfenster.  Das  im 
Telephon  zunächst  zu  hörende  Geräusch  machte  alsbald  einem  reineren 
und  höheren  Tone  Platz,  wenn  die  Eintrittsstelle  der  negativen  Elek- 
trieität  von  wirksamen  Strahlen,  geliefert  von  einer  elektrischen  Bogen- 
lampe, getroffen  wurde,  während  die  Bestrahlung  anderer  Stellon  der 
Strombahn  gar  keinen  Einflufs  übte.  Am  deutlichsten  war  der  Ein- 
flufs, wenn  die  Luft  etwa  die  Hälfte  der  normalen  Dichtigkeit  besafs. 
Aus  dem  Umstande,  dafs  das  Telephon  stets  einen  Ton  gab,  mufs  man 
schliefsen,  dafs  lauter  einzelne  Elektrizitätsübergänge,  d.  h.  disruptive 
Entladungen  stattfanden.  Solche  sind  aber  mit  einer  Elektrizitätsleitung 
im  gewöhnlichen  Sinne  nicht  vereinbar. 

Soviel  erkennt  man  schon  jetzt,  dafs  die  Luft  zwischon  den  Elek- 
troden durch  die  Bestrahlung  nicht  leitend  geworden  ist,  weder  elektro- 
lytisch wie  Herr  Arrhenius  will,  noch  sonstwie  leitend,  sondern  dafs 
hier  eine  Erscheinung  von  gänzlich  anderer  Natur  vorliegt, 
ein  Vorgang,  der  sich  lediglich  an  der  negativen  Elektrode 
abspielt. 

Diese  Auffassung  findet  ihre  volle  Bestätigung  durch  eine  Reihe 
ganz  anderer  Experimente.  Herr  Hall  wachs  stellte  zwei  vertikale, 
an  elektrisch  isolirenden  Haltern  befestigte  Zinkplatten  im  Abstande 
von  3 cm  einander  parallel  gegenüber  und  verband  jede  mit  einem 
Elektroskop.  Die  eine  wurde  negativ  geladen;  die  andere,  vorüber- 
gehend zur  Erde  abgeleitet,  wurde  durch  Influenz  positiv.  Wenn  nun 
der  Raum  zwischen  den  Platten  bis  vollständig  an  ihre  Vorderflächen 
heran,  parallel  mit  letzteren,  von  den  Strahlen  einer  elektrischen  Bogen- 
lampe bestrichen  wurde,  so  zeigte  sich  nicht  der  mindeste  Einflufs  auf 
die  Ladung  der  Platten.  Und  doch  hätten  beide  ihre  Ladungen  aus- 
gleichen  müssen,  wenn  die  Zwischenluft  durch  die  Strahlen  leitend  ge- 
worden wäre.  „Eine  kleine  Drehung  der  negativen  Platte,  so  dafs  die 
Strahlen  nicht  mehr  parallel  mit  ihr  verliefen,  sondern  geneigt  auf- 
Himmel  und  Erde.  I.  & 37 


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518 


trafon,  führte  dann  einen  schnellen  Verlust  ihrer  Ladung  herbei.  Es 
folgt  daraus,  dafs  das  Licht,  um  unsere  Erscheinung  zu  veranlassen, 
eine  Wirkung  auf  die  Oberfläche  der  Platte  ausüben  mufs.“  Damit 
dio  negative  Platte  nicht  schräg,  sondern  möglichst  senkrecht  von  den 
Strahlen  getroffen  werde,  wurde  die  gegenüberstehende  Platte  mit  einem 
Fenster  von  Marienglas  (Gyps)  versehen,  durch  welches  nun  die 
Strahlen  geschickt  wurden.  Dann  zeigte  das  mit  der  Zinkplatte  ver- 
bundene Goldblattelektroskop  schon  nach  10  Sekunden  den  völligen 
Verlust  der  elektrischen  Ladung  an.  Hatte  mau  die  Platte  dagegen 
positiv  geladen,  so  betrug  der  Verlust  nach  60  Sekunden  erst  10  pCt 
Die  mit  dem  Gypsfenster  versehene  Platte  kann  auch  ganz  fortgelassen 
werden,  ohne  dafs  sich  etwas  Wesentliches  ändert.  Herr  H all  wachs 
überzeugte  sich  ferner  davon,  dafs  die  Wirkung  von  denselben  Strahlen 
ausging,  die  sich  bei  den  Hertzschon  Versuchen  als  wirksam  erwiesen 
hatten. 

Wieder  von  anderer  Art,  und  doch  zu  demselben  Schlufsergeb- 
nifs  führend,  ist  die  Versuchsanordnung  des  Herrn  Stoletow.  Auch 
er  stellte  zwei  aus  demselben  Metall  bestehende  Scheiben  einander 
parallel  gegenüber  (in  2 — 3 mm  Abstand);  die  eine  war  aber  von 
zahlreichen  Löchern  durchsetzt,  sie  war  nämlich  ein  Drahtnetz,  damit 
durch  6ie  hindurch  die  Strahlen  des  elektrischen  Lichtbogens  senk- 
recht auf  die  andere  Platte  treffen  konnten.  Statt  nun  die  Platten  mit 
einer  starken  Anfangsladung  zu  versehen,  hielt  er  sie  dauernd  schwach 
geladen,  indem  er  sie  mit  den  Polen  einer  aus  zwei  Daniellelementen 
gebildeten  galvanischen  Batterie  verband.  So  lange  die  Platte  nicht 
bestrahlt  wird,  fliefst,  wie  ein  eingeschaltetes  Galvanometer  erkennen 
liifst,  natürlich  kein  Strom  durch  die  Batterie,  denn  die  zwischen  Platte 
und  Drahtnetz  befindliche  Luftschicht  ist  ein  vollkommener  Isolator. 
Aber  nuch  bei  Bestrahlung  der  Platte  fliefst  kein  Strom,  wenn  die 
Platte  mit  dem  positiven,  das  Drahtnetz  mit  dem  negativen  Pol  der 
Batterie  verbunden  ist.  Dies  lehrt,  dafs  die  Luftschicht  an  sich  durch 
jene  Strahlen  nicht  leitend  gemacht  ist.  Sobald  man  aber  die  Platte 
mit  dem  negativen,  das  Netz  mit  dem  positiven  Pol  verbunden  hat, 
d.  h.  sobald  man  dio  Platte  dauernd  mit  negativer  Ladung  versieht, 
und  nun  die  mit  negativer  Elektricität  bedeckte  Fläche  bestrahlt, 
fliefst  ein  beständiger  Strom.  Bei  Anwendung  einer  etwa  fünfzig- 
mal so  starken  Batterie  liefsen  sich  noch  bei  zehn  Centimeter  Ent- 
fernung der  Platte  vom  Netz  Spuren  eines  Strmis  nachweisen.  Jedes 
Schwanken  in  der  Lichtstärke  des  elektrischen  Lichtbogens  zieht 
Schwankungen  in  der  Stärke  des  hervorgerufi  nen  Stromes  nach  sich. 


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519 

Auch  hier  sind  es,  wie  Herr  Stoletow  erkannte,  die  schon  von  Herrn 
Hertz  als  wirksam  nachgewiesenen  ultravioletten  Strahlen,  welche  die 
Erscheinung  herbeiführen.  Daher  ist  es  besonders  förderlich,  wenn 
Aluminium  oder  Zink  im  galvanischen  Lichtbogen  verbrennt,  denn 
die  glühenden  Dämpfe  dieser  Metalle  entsenden  besonders  viel  ultra- 
violette Strahlen. 

Wenn  es  auf  Grund  aller  dieser  Beobachtungen  schon  kaum 
mehr  zweifelhaft  sein  kann,  dafs  ein  elektrisches  Leitungsvermögen 
bestrahlter  Luft  nicht  existirt,  so  wird  diese  hohe  Wahrscheinlichkeit 
zur  vollen  Gewifsheit  durch  einen  Versuch  des  Herrn  Bichat.  Wenn 
man  ein  cylindrisches  Motallröhrenstück  mit  beiderseits  offenen  Enden 
isolirt  aufstellt  und  negativ  ladet,  so  ordnet  sieh  bekanntlich  die  Elek- 
tricität  auf  der  äufseren  Oberfläche  an,  während  die  Innenwände  frei 
von  Elektricitiit  bleiben.  Ein  durch  einen  Draht  mit  dem  Metallrohr 
verbundenes  Elektrometer  lehrt  die  Spannung  der  elektrischen  Ladung 
kennen.  Legt  man  nuu  ein  Ende  eines  Metallstabes,  der  länger  als 
die  Röhre  ist,  berührend  an  ihre  Innenwand  an,  so  wird  die  Röhre 
gänzlich  entladen,  falls  die  den  Stal)  haltende  Hand  oder  sonstige 
leitende  Verbindungen  den  Abflufs  zur  Erde  gestatten.  Hat  man  den 
Stab  dagegen  mit  einem  isolircnden  Griffe  angcfafst,  so  zeigt  das 
Elektrometer  nur  eine  Abnahme  der  elektrischen  Spannung  an,  da 
sich  ja  jetzt  dieselbe  Ladung  über  eine  griifsere  Oberfläche  verbreiten 
mufs.  Wäre  nun  elektrisch  bestrahlte  Luft  ein  Elektricitätsleiter,  so 
mürste  man  folgende  Erscheinung  beobachten  können.  Wenn  man, 
statt  mit  dem  Metallstabe,  mit  einem  vom  elektrischen  Lichtbogen 
kommenden  cylindrischen  Strahlenbündel  die  Innenwand  der  Röhre 
betastet,  so  müfste  der  Erfolg  derselbe  sein,  wie  vorher  mit  dem 
Metallstabe,  da  ja  die  durchstrahlte  Luft  ein  Leiter  sein  soll;  am 
Elektrometer  müfste  man  eine  Abnahme  oder  gar  das  Verschwinden 
der  elektrischen  Spannung  wahrnehmen.  Nichts  von  alledem  geschah, 
als  Bichat  diesen  Versuch  zur  Ausführung  brachte;  und  doch  hatte 
er  möglichst  günstige  Bedingungen  hergostellt,  denn  er  bediente  sich 
einer  elektrischen  Lampe,  deren  Kohlen  mit  einer  Aluminiumseele 
versehen  waren,  sowie  eines  empfindlichen  Quadranten-Eloktrometers. 
Die  Innenwände  der  Metallröhro  waren  berufst,  um  die  Strahlen  nach 
Kräften  zu  absorbiren.  Während  sich  so  die  Bestrahlung  der  Innen- 
fläche als  gänzlich  wirkungslos  erwies,  beraubte  die  Bestrahlung  der 
Aufsenfläche  die  elektrisirte  Röhre  schnell  ihrer  Ladung. 

Hiernach  mufs  die  Vorstellung,  als  werde  die  Luft 
unter  Wirkung  ultravioletter  Strahlen  elektrisch  leitend, 

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endgiltig  fallen  gelassen  werden.  Alle  vorgeführten  Thatsachen 
lehren  vielmehr  nur  dies:  Ultraviolette  Bestrahlung  erleichtert 
den  Weggang  negativer  Elektrioität  von  der  Kathode  so- 
wie überhaupt  von  jedem  negativ  geladonen  Körper. 

Hierbei  brauchen  wir  nun  noch  nicht  stehen  zu  bleiben;  die  durch 
den  Fleifs  und  die  Geschicklichkeit  der  verschiedenen  Experimen- 
tatoren gesammelten  Thatsachen  gestatten  uns  einen  noch  etwas  tieferen 
Einblick  in  den  Vorgang,  der  sich  bei  ultravioletter  Bestrahlung  am 
negativ  geladenen  Körper  vollzieht  Aus  dem  eben  beschriebenen 
Versuche  Bichats  scheint  zu  folgen,  es  sei  für  den  Weggang  der 
negativen  Elektrioität  erforderlich,  dafs  solche  Oberflächentheile  des 
Körpers,  welche  mit  negativer  Elektricität  bedeckt  sind,  von  den  wirk- 
samen Strahlen  getroffen  werden.  Dies  ist  zwar  eine,  aber  es  ist 
nicht  die  einzige  Bedingung  für  den  Eintritt  der  Erscheinung,  wie 
folgende  Beobachtung  der  Herren  Bichat  und  Blondlot  lehrt  Wäh- 
rend die  Strahlen  an  Wirksamkeit  nichts  dadurch  einbüfsten,  dars  sie 
ein  frei  herabfallendes  Wasserband  durchsetzten,  (was  mit  früheren 
Hertz  sehen  Beobachtungen  übereinstimmt),  so  hörte  doch  jede  Wirkung 
auf,  sobald  die  Oberfläche  des  negativ  geladenen  Körpers  oder  der 
Kathode  mit  einer  dünnen  Wasserschicht  überzogen  wurde.  Von  dieser 
merkwürdigen  Thatsache  hat  sich  auch  Herr  Stoletow  überzeugt. 
Derselbe  machte  aber  die  weitere  Beobachtung,  dafs  die  Wirkung  sich 
sofort  wieder  einstellt,  wenn  man  statt  gewöhnlichen  Wassers  eine 
konzentrirte  Lösung  von  Fuchsin  oder  Anilinviolett  in  Wasser,  oder 
konzentrirte  ammoniakalische  Lösung  von  Eosin  oder  von  Fluorescein 
anwendet,  d.  h.  Flüssigkeiten,  welche  für  Ultraviolett  wenig  durchlässig 
sind.  Dies  hatten  übrigens  schon  früher  die  Herren  E.  Wiedemann 
und  Ebert  erkannt,  indem  sie  zeigten,  dafs  der  Funkenübergang  alsdann 
am  meisten  durch  Bestrahlung  der  Kathode  befördert  wird,  wenn  dio 
Kathode  aus  einer  Substanz  besteht,  die  das  Ultraviolett  besonders 
stark  absorbirt,  wie  z.  B.  Nigrosinlösung  oder  Salpeterlösung  in  Wasser. 
Im  engsten  Zusammenhänge  hiermit  steht  natürlich  auch  das  verschie- 
dene Verhalten  verschiedener  als  Kathode  benutzter  Metalle.  So  ist 
nach  Wiede  manu  und  Ebert  der  Einflufs  der  Bestrahlung  am  stärksten 
bei  Platin,  schwächer  bei  Zink  und  Kupfer,  sehr  gering  bei  Eisen, 
Aluminium,  Palladium  und  Silber;  und  nach  Hallwachs  wirkt  blank- 
geputztes Zink  etwa  vierzigmal  stärker  als  ungeputztes,  und  Eisen 
schwächer  als  Zink.  Durch  diese  Beobachtungen  ist  bewiesen: 

Es  genügt  nicht,  dafs  wirksame  Strahlen  die  negativ- 
geladene  Oberflächo  treffen,  sondern  sie  müssen  in  der- 


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521 


selben  auch  absorbirt  werden,  wenn  das  Entweichen  der 
negativen  Elektrioität  eintreten  soll. 

In  welcher  Weise  dieses  Entweichen  vor  sich  geht,  läfst  sich 
freilich  noch  nicht  mit  Sicherheit  angeben;  doch  gewähren  ein  paar 
Versuche  des  Herrn  Righi  wenigstens  einige  Anhaltspunkte  für  das 
Verstiindnils  der  Erscheinung.  Derselbe  beobachtete  nämlich  u.  a.,  dafs 
die  wirksamen  Strahlen  im  stände  sind,  auch  die  negative  Ladung 
einer  elektrisirten  Ebonitscheibe  oder  Schwefelscheibe  zu  zerstreuen. 
Ein  isolirtes  Metallnetz,  das  einer  solchen  Scheibe  parallel  nahe  gegen- 
über aufgestellt  und  anfangs  unelektrisch  war,  lud  sich  da- 
bei negativ!  Somit  war  die  von  dem  einen  Körper  entwichene  Elek- 
trizität auf  den  gegenüberstehenden  übergegangen.  — Wenn  ferner  ein 
negativ  elektrisirter,  sehr  leichter  und  beweglich  aufgestellter  Körper 
unter  Bestrahlung  seine  Elektricität  verlor,  erlitt  er  zugleich  eine  Lagen- 
änderung nach  Art  des  elektrischen  Flugrades,  d.  h.  durch  Rückstofs. 
Hiernach  gewinnt  es  den  Anschein,  als  entfernten  sich  negativ  ge- 
ladene Massentheilchen  aus  der  bestrahlten  Oberflächenschicht  des 
Körpers.  Die  wahre  Deutung  der  Erscheinung,  die  uns  in  mannig- 
faltigster Gestalt  bisher  beschäftigt  hat,  wäre  sonach  diese: 

Wenn  gewisse  ultraviolette  Strahlen  einen  negativ 
elektrisirten  Körper  treffen,  und  wenn  sie  in  der  die  nega- 
tive Ladung  tragenden  Oberflächensohicht  absorbirt  wer- 
den, so  bewirken  sie  in  letzterer  eine  tumultu arische  Be- 
wegung, infolge  deren  negativ  geladene  Massentheilchen 
diese  Oberflächenschioht  verlassen  und  sich  in  die  Um- 
gebung zerstreuen.  — Der  Elektrizitätsverlust  erscheint  hiernach 
also  keineswegs  als  auf  Leitung  beruhend,  sondern  als  ein  Vorgang 
der  Zerstreuung  oder  Convektion. 

Im  Anschlurs  an  die  bisher  geschilderten  Versuche  sei  noch  kurz 
einer  merkwürdigen  Erscheinung  gedacht,  welche  mit  den  vorigen  in 
nahem  Zusammenhänge  zu  stehen  scheint  Von  mehreren  Beobachtern 
wurde  bemerkt  dafs  eine  anfänglich  unelektrische  Metallplatte  unter 
Einflufs  der  wirksamen  Strahlen  elektrisch  wird,  und  zwar 
positiv.  Es  gewinnt  hiernach  den  Ansohein,  als  verliefse  auch  hier 
negative  Elektrizität  von  deren  Anwesenheit  man  freilich  vorher  nichts 
geahnt  hat  die  Metallplatte  und  liefse  letztere  positiv  zurück.  Weil 
nun  nach  Bichat  und  Blondlot  durch  gleichzeitiges  Anblasen  der 
Platte  die  positive  Elektrisirung  derselben  wesentlich  gesteigert  wird, 
so  scheint  folgende  Deutung  des  Vorganges  möglich.  Durch  Berüh- 
rung mit  der  Luft  wird  das  Metall  vielleicht  positiv,  die  anliegende 


522 


Luftschicht  negativ  elektrisch.  Wenn  nun  die  absorbirte  Strahlung 
letztere  Schicht  lockert  und  von  der  Platte  zu  entweichen  veranlafst, 
wobei  das  Blasen  noch  forderlich  mitwirkt,  so  bleibt  das  Metall  mit 
seiner  freien  positiven  Ladung  zurück.  In  wenig  anderer  Gestalt 
erscheint  derselbe  Vorgang,  wenn  man  bei  der  vorher  erwähnteu 
Stole tow sehen  Versuchsanordnung  die  Batterie  wegläfst.  Bann  erzeugt, 
nach  Herrn  Righi  und  Herrn  Stoletow,  Bestrahlung  einen  dauern- 
den elektrischen  Strom,  falls  die  Platte  clektronegativ  gegen  das  Netz 
ist,  also  die  Strahlen  z.  B.  durch  ein  Zinknetz  auf  eine  Platinplatto 
treffen.  Der  Strom  fliefst  dabei  vom  Netz  durch  die  Luftschicht  zur 
Platte.  Nicht  wesentlich  verschieden  hiervon  ist  die  Erscheinung, 
welche,  wie  früher  erwähnt,  Herr  Arrhenius  in  hochverdünnten  Rau- 
men bei  Bestrahlung  eines  Zink-  und  Platindrahtes  beobachtet  hat. 
Auf  ein  wahres  Leitungsvermögen  der  verdünnten  Luft  ist  also  liier 
ebenso  wenig  zu  schliefsen,  wie  in  den  Versuchen  von  Righi,  Stole- 
tow, Bichat  und  Blondlot;  vielmehr  bietet  sich  folgende  Deutung 
als  die  weit  wahrscheinlichere  dar:  Auf  verschiedene  Metalle  wirkt 
die  Bestrahlung  mit  verschiedener  Stärke,  auf  Platin  — wie  erwähnt 
— stärker  als  auf  Zink.  Wenn  also,  etwa  durch  Kontakt,  die  das 
Platin  bedeckende  Luftschicht  negativ  geworden  ist,  so  losen  sich  unter 
Bestrahlung  überwiegend  von  Platin  negative  Theilchen,  treffen  das 
benachbarte  Zink  und  geben  ihm  ihre  negative  Ladung  ab.  Der  so 
durch  Bestrahlung  in  Bewegung  gesetzte  Strom  wird  also  durch  Fort- 
führung (Convektion)  unterhalten. 

Durch  die  Gesamtheit  der  vorstehenden  Thatsachen  scheint  mir 
der  Beweis  erbracht  zu  sein,  dafs  Luft,  auoh  wenn  sie  in  geeigneter 
Weise  bestrahlt  wird,  nicht  leitet,  sondern  dafs  ein  ganz  anderer  Vor- 
gang stattlindet:  das  Entweichen  geladener  Massentheilchen  von  dem 
negativ-elektrisirten  Körper.  Von  welcher  Beschaffenheit  diese  Theilchen 
sind,  und  ob  an  der  Kathode  etwa  ein  Zerfall  von  Gasmolekeln  in  ent- 
gegengesetzt elektrische  Bestandtheile  stattfindet,  ist  bis  jetzt  ganz  un- 
ausgemacht. Diese  Erkenntnifs  ist  nun  auf  die  elektrischen  Vorgänge 
der  Atmosphäre  anzuwenden. 

Unter  der  Annahme,  dafs  die  Erde  von  vornherein  eine  negative 
Ladung  besitzt,  und  unter  den  weiteren  Annahmen,  dafs  sie  von  wirk- 
samen Strahlen  getroffen  wird,  und  dafs  letztere  in  der  Oberflächen- 
schicht selber  absorbirt  werden,  (was  z.  B.  für  die  ganze  Meeresober- 
fläche keinenfalls  statt  hat),  müssen  sich  nun  negativ-elektrische  Massen- 
theilchen von  der  Erdoberfläche  loslösen.  Während  wir  nun  in  den 
Laboratoriumsversuchen  die  fortgeführten  Theilchen  in  der  Regel  nur 


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523 


auf  wenige  Millimeter,  im  iiufsersten  Falle  auf  10  cm  Abstand  vom 
ursprünglich  geladenen  Körper  sich  entfernen  sehen,  müfston  die  von 
der  Erde  abgelösten  negativen  Theilchen  durch  die  von  unten  her 
wirkende  elektrische  Abstofsung  Hunderte  von  Metern,  der  Schwere 
entgegen,  aufwärts  getrieben  werden  und  dabei  auch  noch  den  Rei- 
bungswiderstand der  umgebenden  Luft  überwinden,  um  sohliefslich  die 
Wolken  mit  Elektrizität  zu  versehen.  Einen  solchen  Vorgang  kann 
man  nur  für  höchst  unwahrscheinlich  erklären;  in  dieser  Art  ist  er 
auch  von  Arrhenius  gar  nicht  vorausgesetzt  worden,  welcher  ja 
wahre  Luftleitung  annimmt. 

Hierbei  ist  eine  Frage  von  fundamentaler  Wichtigkeit  noch  gar 
nicht  berührt  worden,  nämlich  diese:  Wird  denn  der  Erdboden  über- 
haupt von  wirksamen  ultravioletten  Strahlen  getroffen?  Ueberraschender 
Weise  lautet  die  Antwort  auf  diese  Frage  entschieden:  nein!  Keiner 
von  allen  Beobachtern  hat  mit  Anwendung  von  Sonnenlicht  irgend  ein 
Resultat  erhalten.  Herr  Hertz  sagt  darüber:  „Vom  Sonnenlicht  er- 
hielt ich  niemals  eine  unzweideutige  Wirkung,  zu  welcher  Zeit  des 
Tages  und  des  Jahres  ich  bisher  auch  zu  prüfen  Gelegenheit  hatte. 
Konzentrirte  ich  das  Sonnenlicht  mit  Hilfe  einer  Quarzlinsc  auf  den 
Funken,  so  war  eine  geringe  Wirkung  vorhanden;  doch  war  eine 
solche  auch  mit  Hilfe  einer  Glaslinse“,  die  doch  alle  wirksamen  Strahlen 
absorbirt,  „zu  erhalten,  und  dürfte  deshalb  der  Erwärmung  zugeschrie- 
ben werden.“  Desgleichen  betont  Herr  Righi  an  mehreren  Stellen 
seiner  Arbeiten,  dafs  Sonnenlicht  gänzlich  unwirksam  sei.  Daher  haben 
denn  auch  alle  Beobachter  der  beschriebenen  neuen  Erscheinungen 
andere  wirksame  Lichtquellen,  meist  elektrisches  Bogenlicht,  angewendet. 

Fragt  man  sich  nun,  warum  die  wirksamen  ultravioletten  Strahlen 
in  dem  Sonnenlicht  wohl  fehlen  mögen,  so  kann  man  über  die  richtige 
Antwort  nicht  im  Zweifel  sein;  sie  lautet:  Das  Sonnenlicht  enthält  ur- 
sprünglich gewifs  wirksame  Strahlen,  dieselben  werden  aber  in  den 
höheren  Schichten  der  Atmosphäre  absorbirt,  so  dafs  die  Sonnenstrahlen 
bereits  gesiebt  zum  Erdboden  gelangen.  Wir  lernen  die  Sonnenstrahlen 
erst  kennen,  nachdem  sie  ihrer  wirksamen  Bestandtheile  beraubt  sind. 
Auf  solche  Absorption  weist  schon  die  von  mehreren  Seiten  (Hertz, 
Wiedemann  und  Ebert)  bestätigte  bedeutende  Zunahme  hin,  welche 
die  fragliche  Wirkung  bei  Verdünnung  der  Luft  erfährt  Auch  Herr 
Arrhenius  selbst  hat  einen  Beweis  für  die  starke  Absorption  bei- 
gebracht, der  die  wirksamen  Strahlen  in  der  atmosphärischen  Luft 
unterliegen.  Als  er  nämlich  in  seinen  oben  geschilderten  Versuchen 
die  in  1 , mm  Entfernung  vom  Quarzfenster  angebrachte  äufsere  Funken- 


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r»24 

strecke  in  die  doppelte  Entfernung,  also  bis  - 3 mm,  verschob,  sank 
der  durch  die  innere  Unterbrechungsstelle  gehende  Strom  auf  die  Hälfte 
herab.  Man  geht  schwerlich  fehl,  wenn  man  diese  starke  Abnahme 
der  Wirkung  zum  grofson  Theil  auf  Rechnung  der,  in  der  Luft  statt- 
findenden Absorption  der  wirksamen  Strahlen  setzt  Ein  ganz  un- 
widerleglicher Beweis  für  diese  Absorption  ist  schliefslich  von  Herrn 
Righi  gegeben.  Derselbe  setzte  zwischen  den  elektrischen  Lichtbogen 
und  das  bestrahlte  Metall  eine  durch  Gypsfenster  geschlossene  Röhre 
und  sah  während  des  Auspumpens  der  Röhre,  also  durch  Wegnahme 
der  Luft,  die  fragliche  Wirkung  deutlich  wachsen.  Dadurch  ist  die 
in  der  Luft  stattfindende  Absorption  der  wirksamen  Strahlen  unwider- 
leglich bewiesen.  Und  somit  ist  die  Ursache  für  die  gänzliche  Un- 
wirksamkeit der  Sonnenstrahlen,  welche  die  Erdoberfläche  treffen,  er- 
kannt9) 

Nun  könnte  man  meinen,  die  Sonnenstrahlen  vermöchten  wenig- 
stens in  den  höheren  Schichten  der  Atmosphäre  die  gedachte  Wirkung 
zu  bothätigen.  Dazu  inüfsten  sie  also  negativ  geladene  Körper  treffen, 
in  deren  Oberflächenschicht  sie  absorbirt  würden,  wodurch  dann  jene 
Körper  ihre  I^adung  verlören.  Wassertröpfchen  genügen  diesen  Be- 
dingungen nicht,  denn  anstatt  jene  ultravioletten  Strahlen  zu  absor- 
biren,  ist  Wasser  — wie  wir  gesehen  haben  — gänzlich  durchlässig 
für  dieselben.  Sind  es  also  vielleicht  die  Eiskryställchen  der  Eirrus- 
wolken,  welche  durch  die  auftreffenden  Sonnenstrahlen  negative  Elek- 
tricität  verlieren?  Aber  dazu  inüfsten  diese  Kryställchen  erst  über- 
haupt negativ  elektrisch  sein.  Und  man  vermag  nicht  anzugeben,  auf 
welche  Weise  die  negative  Elektricität  vom  Erdboden  zu  ihnen  hinauf 
gelangt  sein  sollte.  Auch  ist  es  gar  nicht  gewifs,  ob  die  wirksamen 
Strahlen  nicht  vom  Eis  gerade  so  wenig  absorbirt  werden  wie  vom 
Wasser. 

Der  Beweis,  welcher  im  Vorigen  gegen  die  Zulässigkeit  der 
Arrheniusschen  Theorie  der  atmosphärischen  Elektricität  geführt 
ist,  scheint  mir  einwurfsfrei  und  geradezu  erdrückend.  Keine  der  An- 
nahmen, auf  welchen  die  Theorie  ruht,  erfreut  sich  einer  auch  nur 
einigermafsen  zureichenden  Stütze.  Die  Hypothese  der  anfänglichen 

■')  Beiläufig  sei  erwähnt,  dafs  nach  Beobachtungen  von  E.  Wiedemanu 
und  Ebort  in  reiner  Kohlensäure  auch  sichtbare  Strahlen,  etwa  von  der 
Fraucnhoferschen  Linie  G an,  die  fragliche  Wirkung  in  geringem  Grade 
ausüben.  Aber  die  minimalen  Kohlensäurespuren,  welche  der  gewöhnlichen 
Luft  boigemischt  sind,  genügen,  wie  alle  mit  gewöhnlicher  Luft  angcstellten 
Versucho  zeigen,  oben  nicht,  um  auch  nur  irgend  eine  nachweisbare  Wirkung 
hervorzu  bri  ngen. 


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525 


negativen  Ladung  der  Erde  ist  ohne  jeden  Versuch  eines  Beweises 
hingestellt.  Das  elektrolytische  Leitungs vermögen,  welches  die  Luft 
untor  geeigneter  Bestrahlung  besitzen  soll,  existirt  nicht,  sondern  statt 
dessen  nur  Zerstreuung  negativ  geladener  Theilchen  von  dem  elektri- 
sirten  Körper  weg  in  die  nächste  Nachbarschaft,  offenbar  ungeeignet» 
Elektricität  bis  zu  den  Wolken  hinaufzuführen.  Schliefslich  wird  dio 
Erdoberfläche  gar  nicht  einmal  von  Strahlen  getroffen,  welche  zur  Her- 
beiführung der  Zerstreuung  geeignet  wären,  da  die  Sonnenstrahlen  sich 
überhaupt  als  unwirksam  für  diese  Erscheinung  erwiesen  haben.  So 
mufs  also  auch  diese  geistreiche  Theorie,  als  nicht  in  der  Natur  be- 
gründet, fallen  gelassen  werden. 

(.Schiufa  folgt.) 


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Prophetenthum  und  Hierarchie  in  der  Wissenschaft 

Eine  zeitgeschichtliche  Skizze 
von  Prof.  Wilheln  Foerster, 

Ulrektor  dor  künig-1.  Sternwart«  in  Berlin. 

c\j* 

jZY.ber,  verehrte  Frau,  wie  können  Sie  es  wagen,  übermorgen  die 
Fahrt  von  Ostende  nach  London  zu  unternehmen?  Wissen  Sie 
denn  nicht,  dafs  von  dem  grofsen  Erdbeben-Forscher  Falb, 
welcher  jetzt  endlich  in  diese  Dinge  Licht  bringt,  gerade  Tür  den 
Tag  Ihrer  Seereise  eine  äufsorst  gefährliche,  ja  verhängnifsvolle 
Wetterlage  schon  seit  Monaten  angekündigt  worden  ist?  Die  Stel- 
lung des  Mondes  zur  Erde  und  zur  Sonne  bedroht  uns  an  diesem 
Tage  mit  den  schwersten  Katastrophen.  Da  thut  man  doch  wohl  gut, 
sich  nicht  aufs  offene  Meer  zu  wagen  und  überhaupt  alle  Gegenden, 
wo  es  schwanken  und  wackeln  kann,  thunlichst  zu  meiden. 

Die  geängstigto  Dame,  welche  bis  dahin  keine  Ahnung  von  einer 
solchen  Sicherheit  der  gegenwärtigen  naturwissenschaftlichen  Prophe- 
zeiungen gehabt  hat,  giebt  sofort  ihre  Reise  auf  und  schreibt  ihren 
Verwandten  in  England,  dafs  sie  vorziehe,  erst  die  gefährliche  Stellung 
des  Mondes  vorübergehen  zu  lassen.  Wenn  man  dann  noch  lebe, 
werde  sie  weitere  Nachricht  geben. 

Und  nun  erscheint  der  grause  Tag.  Alles  bleibt  still.  Man  be- 
richtet von  einer  ungewöhnlichen  Ruho  des  Meeres.  Den  Freigeistern, 
welche  sich  trotz  der  von  den  Zeitungen  eifrig  verbreiteten  Prophe- 
zeiung aufs  Moer  gewagt  haben,  sind  entzückende  Fahrten  besebiedeu 
gewesen,  aber  der  Glaube  an  die  Prophezeiung  ist  doch  in  den  „wei- 
testen Kreisen“  unerschüttert  geblieben.  Irgendwo  wird  der  Wind, 
das  Wasser  oder  die  Erde  doch  wohl  entsetzlich  gewüthet  haben. 
Man  hat  nur  die  Nachrichten  aus  den  fernen  Welttheilen  abzuwarten, 
da  wird  sich  die  Unfehlbarkeit  dieser  kühnen  Prophezeiungen,  welohe 


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527 


der  ganzen  wissenschaftlichen  Hierarchie  die  Stirn  bieten,  sicher  er- 
weisen. 

Diesmal  kommt  leider  auch  aus  der  Ferne  keine  Bestätigung, 
aber  endlich  wird  aus  dem  schlesischen  Gebirge  gemeldet  und  in  allen 
Blättern  mitgetheilt,  dafs  dort  genau  an  dem  kritischen  Tage  ein  un- 
gewöhnlich starker  Wirbelwind  beobachtet  worden  sei. 

Es  ist  nun  klar,  dafs  die  Prophezeiung  recht  hatte. 

Ein  anderes  Mal  verläuft  die  Sache  so,  dafs  in  der  That  irgendwo 
auf  der  Erde  ein  weit  verbreitetes,  furchtbares  Unwetter  oder  eine 
unheilvolle  Erderschütterung  eingotreten  ist,  aber  meistens  nicht  genau 
an  dem  kritischen  Tage,  sondern  einige  Tage  später  oder  früher. 

Nun,  so  genau  lasse  sich  die  Voraussagung  noch  nicht  zuspitzen, 
so  tröstet  man  sich.  Mitunter  bedürfe  es  eben  eines  gewissen  Zusam- 
menwirkens mit  andern  Erscheinungen,  um  den  eigentlichen  Losbruch 
hervorzurufen,  ebenso  wie  sich  die  Wirkungen  durch  ähnliche  Ver- 
wickelungen manchmal  auch  um  mehrere  Tage  verfriihen  könnten. 
Das  könne  aber  niemanden  an  der  hohen  Bedeutung  dieser  mit  so 
imponirender  Sicherheit  auftretenden  Theorieen  irre  machen. 

Damit  ist  man  aber  glücklich  bei  einer  fast  absoluten  Sicherheit 
des  Eintreffens  und  des  Glaubens  angelangt,  aber  zugleich  bei  einer 
verschwindend  kleinen  Beweiskraft  dieser  Art  des  erfahrungsmäfsigen 
Erfolges  für  die  Richtigkeit  der  Theorie. 

Irgendwo  auf  der  Erde  ereignet  sich  innerhalb  eines  Zeitraums 
von  einigen  Tagen  mit  aller  Sicherheit  irgend  eine  gröfsere  Störung 
der  gewöhnlichen  Zustände  der  Luft,  des  Wassers  oder  der  Erde. 

Gefahr-Ansagen,  welche  sich  unbestimmt  auf  die  ganze  Erde  be- 
ziehen, und  für  deren  Eintreffen  man  überdies  einen  Spielraum  von 
mehreren  Tagen  zugesteht,  werden  durch  diese  Weite  des  Raumes 
und  der  Zeit  aller  Präcision  entkleidet.  Dafs  man  ihnen  dafür  den 
Mantel  der  prophetischen  Würde  umhiingt,  ist  ganz  in  der  Ordnung. 

Es  ist  auch  ganz  in  der  Ordnung,  dafs  der  Mond  dabei  mit  im 
Spiele  ist;  denn  wegen  der  schnellen  Folge  und  Wiederkehr  seiner 
verschiedenen  ^kritischen“  Stellungen  ist  er,  sogar  dann,  wenn  er  mit 
der  Sache  selber  gar  nichts  zu  thun  hätte,  der  beste  Helfershelfer  alles 
Prophezeiens  obiger  Art  und  wird  es  stets  bleiben. 

Ganz  so  unbestimmt  ist  es  nun  zwar  mit  einigen  der  in  den  letzten 
Jahren  bei  dem  grofsen  Publikum  und  sogar  bei  manchen  wissen- 
schaftlichen und  sonst  genauer  denkenden  Leuten  zu  Ansehen  gelang- 
ten Prophezeiungen,  insbesondere  denen  von  Falb,  nicht  bestellt,  denn 
einige  richtige  und  erhebliche,  zwar  nicht  neue  aber  eigenartig  her- 


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vorgehobene  Schlufsfolgen  sind  in  ihnen,  wenn  auch  in  trübem  Ge- 
misch mit  manchen  Irrungen,  enthalten.  Aber  doch  wird  bei  diesen 
Prophezeiungen  und  bei  ihrer  erfahrungsmäfsigen  Prüfung  ein  so  em- 
pfindlicher Mangel  an  Kritik  offenbar,  dafs  sie  in  der  That  von  der  so- 
eben geschilderten  Idealgestalt  vollkommen  sicheren  Prophe- 
zei ens  gar  nicht  weit  entfernt  sind. 

Wie  kommt  es  denn  aber,  so  hört  man  wohl  fragen,  dafs  gerade 
in  einer  Zeit,  in  welcher  die  zünftige  Wissenschaft  soeben  begonnen 
hat,  mit  systematischem  Vorhersagen  des  Wetters  in  der  Oeffentlich- 
keit  vorzugehen,  jene  Art  des  Prophetenthums  erst  recht  Anhänger 
findet  und  der  sogenannten  Schulweisheit  derbe  Konkurrenz  macht. 

Wenn  man  näher  zusieht,  ist  das  gar  nicht  zum  Verwundern. 

Das  Auftreten  der  strengen  Wissenschaft  hat  von  jeher  in  den 
weiten  Kreisen  des  Lebens  bei  sehr  vielen  Menschen  Neigung  zum 
Widerspruch  und  zum  Zweifel  hervorgorufen  und  zwar  in  um  so  stär- 
kerem Grade,  je  öfter  noch  neben  einleuchtendem  Verständnifs  der  Er- 
scheinungen und  hülfreichster  geistiger  Beherrschung  des  Verlaufes 
derselben  erhebliche  Unsicherheiten  und  Irrungen  der  Männer  der 
Wissenschaft  offenbar  wurden.  Dies  ist  z.  B.  in  der  Wetterkunde  und 
in  einem  anderen  grofsen  und  äufserst  schwierigen  Forschungsgebiete, 
in  welchem  dcmgemäfs  ganz  ähnliche  Gegenwirkungen  blühen,  näm- 
lich in  der  Heilkunde,  auch  jetzt  noch  der  Fall.  Zur  Erklärung 
solcher  Gegenwirkungen  und  Stimmungen  wäre  vieles  zu  sagen,  was 
hier  zu  weit  führen  würde.  In  eigenen  Regungen  oder  Erfahrungen 
wird  wohl  jeder  mannigfache  Anhaltspunkte  für  diese  Erklärung  fin- 
den. (In  dem  ersten  Hefte  dieser  Zeitschrift,  Oktober  1888,  sind  in 
dem  Aufsatze  „Ueber  die  Ziele  der  Popularisirung  der  Naturwissen- 
schaften“ einige  einschlägige  Bemerkungen  enthalten.) 

Alles  hingegen,  was  auf  dem  Gebiete  der  wissenschaftlichen  For- 
schungen und  der  zugehörigen  Praxis  nicht  im  Gewände  fachmiifsiger 
Strenge,  sondern  mit  einer  gewissen  Kühnheit  und  Fülle  der  Einbil- 
dungskraft und  mit  einer  gewissen  Leichtigkeit  oder  Lebendigkeit  der 
Sprache  auftritt,  aber  vor  allem,  was  der  fachmäfsigen  Geistesdisciplin 
und  Kritik  keck  den  Handschuh  hinwirft  oder  gar  unter  der  Fahne 
irgend  einer  phantastischen  Verallgemeinerung  zum  Kampfe  gegen 
die  sogenannte  wissenschaftliche  Hierarchie  aufruft,  alles  das  ist  so- 
fort eines  weitreichenden  Wiederhalles  und  einer  grofsen  Anhänger- 
schaft sicher  und  wird  von  letzterer  mit  einer  Gläubigkeit  und  Kritik- 
losigkeit aufgenommen  und  hochgehalten,  welche  sehr  leicht  für  beide 
Theile,  die  Gebenden  und  die  Empfangenden,  zu  einer  ernsten  Gefahr  wird. 


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In  allmählich  vermindertem  Mafsstabe,  schliefslioh  bisweilen  nur 
noch  als  theatralische  Nachbildung  der  Vergangenheit,  wiederholt  sich 
in  diesen  Erscheinungen  immer  wieder  eine  Reihe  von  leidenschaft- 
lichen Vorgängen,  von  denen  die  Geschichte  erzählt.  Insbesondere 
ist  hierbei  an  die  bedeutsamen,  für  die  Geschicke  der  Menschheit  so 
folgenreichen  Zeiten  zu  denken,  in  denen  die  streng  hierarchische 
Organisation  der  wissenschaftlichen  Arbeit,  wie  sie  den  Priesterschaf- 
ten  der  ältesten  Kulturvölker  und  auch  den  ältesten  Tagen  der  grie- 
chischen Kultur  eigen  war,  von  dem  kühnen  und  genialen  Laien- 
thum  des  griechischen  Volkes  zertrümmert  wurde.  (Nebenher  be- 
merkt hat  hierbei  die  astronomische  Stümpern,  welche  in  der  Leitung 
des  Kalenderwesens  von  Seiten  der  delphischen  Priesterschaft  hervor- 
trat, eine  wesentlich  mitwirkende  Bedeutung  gehabt)  Auch  in  jener 
grofsen,  an  neuen  Gedanken  verschwenderisch  reichen  Zeit  haben  die 
Verhältnisse  sicherlich  nicht  so  einfach  gelegen,  wie  sie  in  gewissen 
Sohlagwörtem  und  in  gewissen  Vergleichungen  mit  dem  bei  anderen 
Kulturvölkern  überlieferten  reinigenden  Kampfe  des  Prophetenthums 
gegen  das  Priesterthum  sich  darstellen. 

Noch  während  verhängnisvolle  Nachwirkungen  jener  Zeit,  be- 
stehend in  einer  weiten  Verbreitung  von  Zweifelsucht  und  Scheinweis- 
heit fortdauerten,  begann  die  wissenschaftliche  Forschungsarbeit  bereits 
wieder,  sich  in  den  festen  Formen  einer  geistigen  Disciplin,  wie  sie 
für  erfolgreiches  Zusammenwirken  unerläßlich  ist  neu  zu  organisiren. 

Es  kamen  sogar  noch  Zeiten,  in  welchen  die  Wissenschaft  wieder 
auf  eine  enge  Verbindung  mit  der  im  Mittelalter  aufs  neue  machtvoll 
entwickelten  Hierarchie  angewiesen  war.  Aber  nachdem  sie  auch  aus 
dieser  Gebundenheit  unter  wesentlicher  Mitwirkung  genialer  Kräfte, 
welche  mitten  aus  der  Hierarchie  selber  hervortraten,  gelöst  war,  hat 
sich  die  wissenschaftliche  Arbeit  immer  unabhängiger  von  mensch- 
licher Herrschsucht  und  Willkür,  dagegen  in  immer  treuerer  und 
strengerer  Unterordnung  unter  ewige  Gesetze,  mit  einem  Worte  immer 
freier  entwickelt,  und  die  kühnsten  und  klarsten  Geister  sind  stets 
nur  an  ihrer  Spitze,  niemals  mehr  in  revolutionärem  Kampfe  gegen 
ihre  Autorität  zu  finden  gewesen. 

Immer  mehr  ist  es  daher  eine  bloße  Redeblume  geworden,  noch 
von  wissenschaftlicher  Hierarchie  und  von  der  nothwendigen  Gegen- 
wirkung der  freien  Genialität  gegen  dieselbe,  wie  von  einer  Art  Pro- 
phetenthum  im  altgeschichtlichen  Sinne,  zu  sprechen. 

Ein  eigentümlicher  pikanter  Zug  in  dem  gegenwärtigen,  nicht 
seltenen  Vorkommen  dieser  Redewendungen  ist  es  nur,  dafs  zur  Zeit 


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die  Vertreter  und  Anhänger  der  kirchlichen  Hierarchie  aus  mifsver- 
ständlichem  Eifer  gegen  die  Macht  der  Wissenschaft  sich  besonders 
beifällig  zu  jeder  Art  von  pathetischer  Gegnerschaft  gegen  die  Ver- 
treter der  Wissenschaft  verhalten. 

llebertreibungen,  welche  als  unerträglich  gelten,  sobald  sie  gegen 
die  Grundlagen  von  Staat,  Gesellschaft  oder  Kirche  ankiimpfen,  werden 
gerade  von  den  konservativsten  Kreisen  mit  dem  gröfsten  Behagen 
aufgenommen,  wenn  sie  gegen  sogenannte  orthodoxe  Grundlehren  oder 
Ergebnisse  und  Methoden  der  Wissenschaft  gerichtet  sind. 

Eine  hocherfreuliche  Seite  hat  diese  Erscheinung,  indem  sie  zeigt, 
wie  einmüthig  alle  Welt  dieses  herrliche  Bauwerk  einer  Jahrtausende 
langen  stetigen  Arbeit  als  unerschütterlich  ansieht,  und  wie  wenig  man 
fürchtet,  irgend  einen  Theil  der  namenlosen  Wohlthaten,  welche  in 
demselben  jedermann  gespendet  werden,  durch  verzerrende  Anklagen 
einzubüfsen. 

Das  wissenschaftliche  Zusammenwirken  in  der  Gemeinschaft 
unserer  Hochschulen  ist  es  insbesondere,  welches  von  manchen  Seiten, 
auch  von  mafs vollen flegnern,  geradewegen  seiner  äufseren Geschlossen- 
heit als  gefahrbringend  für  geistige  Freiheit  bezeichnet  wird. 

Aber  das  innere  Leben  dieser  Hochschulen,  zumal  der  unsem 
und  der  mit  den  unsrigen  nahe  verwandten,  enthält  in  der  Pflege  der 
Gemeinschaft  der  verschiedensten  Geistesrichtungen  und  in  dem  nahen 
Zusammenarbeiten  der  älteren  Autoritäten  mit  der  lernenden,  lehrenden 
und  forschenden  Jugend,  dieser  stets  frischen  Quelle  idealer  Forde- 
rungen und  kühner  Kritik,  die  stärksten  Gegenwirkungen  gegen  ein- 
zelne Gefahren  jener  Organisation. 

Auch  ist  ja  keineswegs  das  ganze  Schicksal  wissenschaftlicher 
Forschung  an  die  Hochschulen  und  die  höheren  Schulen  gebunden. 

Unablässig  sind  selbständige  und  bedeutende  Köpfe  fast  aus  allen 
Lebens-  und  Berufskreisen  als  hervorragende  Mitarbeiter,  oftmals  so- 
gar bei  den  schwierigsten  Problemen,  thätig,  und  es  kommt  nioht  allzu 
selten  vor,  dafs  gerade  sie  neue  Bahnen  an  solchen  Stellen  brechen, 
an  denen  innerhalb  der  zünftigen  Wissenschaft  zeitweise  durch  das 
Ueberwiegen  irgend  einer  Schulmeinung  der  Fortschritt  erschwert  ist. 
Es  ist  aber  kein  Fall  nachweisbar,  in  welchem  derartige  unabhängige 
und  solide  Leistungen  nicht  sehr  bald  nach  gesundem  Kampfe  auch 
von  der  „Zunft“  brüderlichst  gewürdigt  worden  sind. 

Sogar  die  Gesamtlioit  derjenigen  sogenannten  „Wilden“,  welche 
glauben,  die  Abneigung  gegen  den  wissenschaftlichen  Zopf  auch  durch 
Nichtachtung  der  unerliifslichen  Bedingungen  wahrhaft  erfolgreicher 


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Erforschung  und  Beherrschung  der  Erscheinungen  bethätigen  zu  müssen, 
bringt  manchmal  in  ihrem  „dunkeln  Drange“  wahrhaft  förderliche  Wir- 
kungen hervor. 

Die  förderlichste  derselben  besteht  darin,  dafs  die  Wissenschaft 
sich  auch  gegen  das  Körnlein  Wahrheit,  welches  selbst  von  solchen 
Qegnem  ausgesprochen  wird,  nicht  verschliefst,  und  dafs  sie  daraus 
Antriebe  zu  einer  Verstärkung  oder  zu  einer  zweckmäfsigeren  Ver- 
wendung ihrer  Energie  nach  bestimmten  Richtungen  hin  entnimmt, 
dafs  sie  sodann  aber  auch,  im  Sinne  der  im  ersten  lieft  (Oktober  1888) 
dieser  Zeitschrift  enthaltenen  Darlegungen,  die  Betheiligung  an  der 
lebensvollen  Popularisirung  der  wissenschaftlichen  Erkenntnifs  als  eine 
ihrer  wichtigsten  Pflichten  anerkennt 

Die  Leidenden  sind  dann  nur  noch  diejenigen,  welche  sich  von 
den  in  Rede  stehenden  Angriffen  gegen  die  Wissenschaft  das  Urtlieil 
trüben  und  von  den  Lehren  und  Verkündigungen  der  übereifrigen 
Adepten  dieser  Unkritik  ängstigen  lassen. 

Zum  Nutzen  und  Frommen  dieser  Leidenden,  insbesondere  der 
nicht  geringen  Anzahl  solcher,  welche,  von  den  fraglichen  Prophezei- 
ungen erschreckt,  doch  wieder  zu  den  Männern  der  Wissenschaft 
kommen,  um  sich  dort  Beruhigung  zu  holen  (z.  B.  wenn  sie  an  der 
Riviera  sich  aufzuhalten  denken,  und  ein  Falb  scher  Tag  droht),  wird 
unsere  Zeitschrift  baldmöglichst  beginnen,  einige  der  eindrucksvolleren 
Prophezeiungen  dieser  Art  einer  näheren  Erörterung  hinsichtlich 
ihres  Eintreffens  oder  Nichteintreffens  und  ihres  daraus  erfahrungs- 
mäfsig  zu  folgernden,  äufserst  geringen  praktischen  Werthes  zu  unter- 
ziehen und  dies  nöthigenfalls  von  Zeit  zu  Zeit  zu  wiederholen. 

Zugleich  wird  es  aber  zu  noch  wirksamerer  Bekämpfung  jener 
Beunruhigungen  erforderlich  sein,  dafs  es  der  wissenschaftlichen 
Wetterkunde  ermöglicht  werde,  im  Sinne  einer  nach  Ort  und  Zeit  um- 
sichtig zu  begrenzenden  Vorherbestimmung  der  grofsen  Züge  der 
Wettererscheinungen  weitere  erhebliche  Fortschritte  zu  machen.  Dies 
kann  über  nicht  ohne  staatliche  Mitwirkung  und  ohne  engeres  Zu- 
sammenwirken grofser  Staatengruppen  geschehen.  Möge  diese  um- 
fassendere Aktion  nicht  länger  vertagt  bleiben.  Die  seit  einigen 
Jahren  eingetretene  Stagnation  derselben  kann  nur  der  Erzeugung  und 
Verbreitung  von  greiseren  Wirrnissen  auf  diesem  Gebiete  förderlich  sein. 


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Versuch  einer  beweisführenden  Darstellung  des  Welt- 
gebäudes in  elementarer  Form. 


S-  “ 


Von 

Dr.  M.  Wilhelm  Meyer-Berlin. 

VIII.  Die  himmlische  Feldmesskunst, 


in  unserem  vorangegangenen  Artikel  dargestellten  Betrach- 
tungen und  Rechnungen  haben  uns  in  den  Stand  gesetzt,  für 
jeden  Augenblick  die  Richtung  zu  bestimmen,  in  welcher  sich 
für  einen  Beobachter  auf  der  Sonne  ein  bestimmter  Planet  befindet 
Dafs  allerdings  diese  Bestimmung  mit  der  alleinigen  Hülfe  jener  wenigen 
gegebenen  Daten,  beispielsweise  für  den  im  Speziellen  betrachteten 
Planeten  Mars,  noch  mit  mancherlei  Weitläufigkeiten  behaftet  sein 
muss,  ist  begreiflich,  wie  man  denn  auch  wohl  einsehen  wird,  dafs 
die  Interpolationen,  welche  wir  zwischen  den  durch  die  Beobachtung 
direkt  bestimmten  Daten  vornehmen  müssen,  nur  näherungsweise  zu 
den  gewünschten  Resultaten  führen  können.  Aber  jedes  astronomische 
Beweisverfahren  ist  ein  solches  schrittweise  sich  der  Wahrheit  nähern- 
des. Wir  müssen  uns  vor  der  Hand  damit  begnügen,  uns  auf  der 
erklommenen  Zwischenstufe  zu  befestigen,  um  dann  den  noch  unbe- 
kannten Weg  weiter  zu  erforschen. 

Unsere  nächste  Aufgabe  wird  es  demnach  Bein,  zu  jeder  ein- 
zelnen für  die  Opposition  geltenden  und  deshalb  ganz  genau  bestimm- 
ten Richtung  die  zugehörige  Entfernung  des  Planeten  von  der  Sonne 
zu  finden. 

Da  nun  diese  Aufgabe,  von  unserer  kleinen  Erde  aus  jene  un- 
geheueren himmlischen  Entfernungen  auszumessen,  dem  nicht  oder 
nur  wenig  mathematisch  vorgebildeten  Laien  zu  den  schwierigsten 
und  unbegreiflichsten  Dingen  gehört,  so  will  ich  mich  bemühen,  die 
Beweisführung  von  den  unmittelbar  begreiflichsten  logischen  Elementen 
an  darzustellen.  Für  die  Ungewöhnlichkeit  der  nun  folgenden  sich 


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J 


533 


in  geometrischen  Anschauungen  ergehenden  Lektüre  mufs  den 
Leser  das  lebhafte  Interesse  an  der  Aufgabe  selbst  entschädigen,  die 
dahin  geht,  mit  dem  menschlichen  Geiste  die  unausdenkbarsten  Him- 
melsräume ausmessend  zu  umfassen,  nicht  anders  und  relativ  nicht 
unsicherer,  als  wir  die  Gröfse  der  irdischen  Ländergebiete  durch  die 
Kunst  des  Feldmessers  bestimmen.  Für  diejenigen  Leser  allerdings, 
welche  die  Anwendung  ihres  vom  Gymnasium  mit  herüber  genommenen 
Wissens  von  der  ebenen  Trigonometrie  noch  nicht  verlernt  haben, 
werde  ich  sehr  viel  Ueberllüssiges  sagen.  Das  wird  jedoch  weniger 
schaden,  als  wenn  ich  für  die  Uebrigen  ein  für  sie  unerflndbares 
Glied  in  der  logischen  Schlufskette  auslierse,  wodurch  ihnen  dann  alle 
folgenden  unverständlich  bleiben  würden. 

Es  wird  jedermann  unmittelbar  ver- 
ständlich sein,  dafs  die  Entfernung  eines  /' 

Punktes,  welohen  man  nicht  selbst  er- 
reichen  kann,  nur  durch  die  Konstruirung 
eines  Dreiecks  zu  finden  ist,  von  welchem 
man  mindestens  die  Länge  einer  Seite  und  die  Gröfse  der  Winkel  kennt. 
Denn  ziehen  wir  uns  z.  B.  auf  dem  Papier  eine  Linie  von  bestimmter 
Länge  und  tragen  wir  auf  beiden  Enden  dieser  Linie  einen  Winkel 
von  bestimmter  Gröfse  auf,  so  werden  die  Schenkel  dieser  beiden 
Winkel  doch  stets  in  einem  ganz  bestimmten  Punkte  Zusammentreffen 
und  dadurch  ein  Dreieck  umschliefsen,  dessen  beide  übrigen  Seiten 
nun  sofort  ausgemessen  werden  können.  Kein  anderes  Dreieck  kann 
jemals  mit  den  gegebenen  Stücken  zusammengesetzt  werden;  es  ist 
völlig  durch  sie  bestimmt 

Die  Konstruktion  eines  Dreiecks  von  beliebigen  Dimensionen, 
das  genaue  Aufträgen  der  gegebenen  Winkel  und  schliefslich  das  Aus- 
messen der  entstehenden  beiden  neuen  Seiten  würde  in  Wirklichkeit 
natürlich  unüberwindliche  praktische  Schwierigkeiten  darbieten  und 
gröfse  Ungenauigkeit  zurücklassen.  Wir  müssen  zur  Lösung  der  Auf- 
gabe die  unfehlbare  Rechnung  horbeiziehen  und  das  ist  in  der  That 
mit  Hülfe  der  bereits  früher  einmal  (Seite  298  u.  folg.)  angewandten 
trigonometrischen  Tafeln  leicht  bewerkstelligt.  Wir  hatten  damals  die 
gröfste  und  kleinste  Sonnenhöhe,  die  Schiefe  der  Ekliptik,  die  geogra- 
phische Breite  u.  s.  w.  aus  der  Beobachtung  der  Schattenlängen  unserer 
Siegessäule  berechnet.  Wir  wollen  uns  derselben  damals  bestimmten 
Daten  bedienen,  um  zunächst  allgemeiner  die  Rechnungsmethode  dar- 
zulegen, durch  welche  man  die  Dimensionen  eines  beliebig  grofsen 
Dreiecks  finden  kann. 

Himmel  und  Erde.  I.  9.  3$ 


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534 


Die  bekannte  Linie  dieses  Dreiecks  möge  auf  dem  Terrain  des 
Königsplatzes  in  der  Richtung  des  Meridians  gezogen  sein.  Vom 
Mittelpunkt  der  Siegessäule  ab  möge  diese  Linie  nach  Norden  hin 
55.4  m,  d.  b.  ebenso  lang  sein  wie  der  Schatten  der  Siegessäule  in 
unserem  früher  benützten  Beispiele  am  längsten  Tage  des  Jahres.  Nach 
Süden  in  dieser  selben  Richtung  des  Meridians  soll  sich  die  Linie  bis 
zu  401.1  m vom  Mittelpunkte  der  Säule  an  fortsetzen,  d.  h.  um  soviel, 
als  die  Länge  des  Schattens  am  Mittag  des  21.  Dezembers  beträgt  Beide 

Längen  hatten  wir  direkt 
ausgemessen,  sie  sind  be- 
kannt nur  haben  wir  die 
eine  derselben  nach  Süden 
hin  auf  dem  Terrain  aufge- 
tragen, während  ja  der 
Schatten  stets  nach  Norden 
fällt  Beide  Linien  zusam- 
men bilden  eine  gröfsere 
gerade  Linie  von  401.1  + 
55.4  = 456.5  m.  Dieses 
soll  die  eine  Linie  unseres  zu  bestimmenden  Dreiecks  sein.  Die 
anderen  beiden  Linien  des  Dreiecks  seien  von  beiden  Enden  der 
ersten  bis  zur  Spitze  der  Siegessäule  gezogen.  Ihre  Längen  sind  uns 
unbekannt,  wir  wollen  sie  berechnen.  Dagegen  kennen  wir  bereits 
die  beiden  Winkel,  tvelche  diese  Richtungen  nach  der  Spitze  der 
Siegessäule  mit  der  ersten  horizontal  liegenden  Linie  bilden.  Diese 
Winkel  sind  offenbar  gleich  den  beiden  extremen  Sonnenhöhen,  die 
wir  früher  mit  Hülfe  jener  Schattenlängen  bestimmt  haben  und  zwar 
ist  der  Winkel  im  Norden  der  Siegessäule,  welcher  von  der  kürzesten 
Schattenlänge  ausgeht,  gleich  61  °,  der  andere  von  der  längsten  Schatten- 
länge, die  wir  nach  Süden  hin  aufgetragen  haben,  ausgehende  Winkel, 
gleich  14".  Man  sehe  darüber  S.  299  unserer  Zeitschrift.  An  dieser 
selben  Stelle  wurde  auch  mitgetheilt,  dafs  man  übereingekommen  ist, 
in  dem  gegebenen  Falle  die  Siegessäule  den  Sinus,  die  Schattenlänge 
dagegen  den  Cosinus  des  betreffenden  Winkels  der  Sonnenhöhe1)  zu 
nennen  und  dafe  man  Tafeln  berechnet  hat,  welche  für  jeden  Winkel 
die  Vcrhältnifszahlen  dieser  beiden  Gröfsen,  d.  h.  die  sogenannte  Tan- 
gente des  betreffenden  Winkels  enthalten.  Wir  wollen  uns  die  Saohe 


■)  Mit  einer  gewissen  Einschränkung  in  Bezug  auf  die  gewählte  Einheit, 
wolche  später  näher  zu  betrachten  ist. 


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535 


in  unserem  speziellen  Falle  durch  eine  Zeichnung  noch  deutlicher 
machen.  Von  dem  beigogebenen  Dreiecke,  in  dessen  Mitte  und  bis 
zu  dessen  Spitze  die  Siegessäule  emporragt,  ist  die  horizontale  Seite 
d e bekannt;  a und  b sollen  gefunden  werden.  Es  ist  Winkel 
A = 61°,  B=  14° 2).  Die  Siegessäule  wollen  wir  kurz  mit  s be- 
zeichnen. Aufser  dem  Uebereinkommen  wegen  der  Tangente  gelten 
nun  noch  die  folgenden,  die  also,  was  wohl  zu  merken  ist,  nicht  aus 
mathematischen  Deduktionen  hervorgehen,  sondern  nur  zur  Konstruktion 
allgemein  übereinstimmender  trigonometrischer  Tafeln  dienen,  welche 
die  nothwendigen  Rechnungen  wesentlich  erleichtern.  Diese  Ueber- 
einkommen schreiben  sich  algebraisch  folgendermafsen: 

0 
a 

sin  A 


s . d 

= sin  A;  ==  cos  A; 


= sin  B;  — = cos  B 


= lang  A = — i- 
cos  A “ d 


Es  ist  also  auch 

a sin  B = s = b sin  A 

und  folglich 

. sin  B 

b = a — ; — .— 

sm  A 

Wir  sehen  aus  dieser  letzteren  Formel,  dafs  wir,  da  die  Winkel  A 
und  B uns  ja  bekannt  sind,  die  Seite  b sofort  berechnen  könnten, 
wenn  uns  a bekannt  wäre.  Dagegen  ist  uns  nur  die  Seite  d + e ge- 
geben. Aber  es  folgt  zugleich  aus  einer  sehr  leichten  Betrachtung, 
dafs  unsere  letztere  Formel  eine  allgemeinere  Bedeutung  hat,  dafs 
man  nämlich  die  Länge  einer  Seite  eines  beliebigen  Dreiecks  stets 
findet,  indem  man  eine  andere  bekannte  Seite  desselben  zunächst  mul- 
tiplizirt  mit  dem  Sinus  des  der  zu  berechnenden  Seite  gegenüber- 
liegenden Winkels  und  dividirt  durch  den  Sinus  des  Winkels,  welcher 
der  gegebenen  Seite  gegenüberliegt.  Kennen  wir  also  der  Einfachheit 
wegen  die  gegebene  Seite  d + e von  jetzt  ab  c,  und  den  gegenüber- 
liegenden dritten  Winkel  des  Dreiecks  C,  so  haben  wir 

sin  A , sin  B 

a = c - . b = c 

sin  C sin  C 


Der  Winkel  C ist  uns  zwar  nicht  unmittelbar  gegeben,  aber 
jedermann  wird  sich  erinnern,  dafs  das  erste  Axiom  der  Geometrie 
lautet:  Die  Summe  der  drei  Winkel  eines  jeden  Dreiecks  beträgt  180°. 
Es  ist  folglich  der  Winkel  C = 180°  — 61°  — 14°  d.  h.  = 105°. 


*)  ln  der  Zeichnung  sind  die  Winkel  absichtlich  nicht  in  ihrer  wahren 
Uröfse  aufgetragen. 


38* 


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536 


Mit  Hülfe  unserer  Formeln  und  der  trigonometrischen  Tafeln  finden 
wir  also  sofort,  dafs  die  Linie  b,  d.  h.  die  Strecke  von  der  Spitze  der 
Siegessäule  bis  zu  dem  Punkte,  wohin  ihr  kürzester  Schatten  fallt, 
1 14.3  m und  ferner  die  Linie  a oder  die  dem  längsten  Schatten  ent- 
sprechende = 413.3  m beträgt.  Das  ganze  Dreieck  ist  uns  somit 
durch  die  Rechnung  bekannt  geworden  und  zwar,  was  wohl  bemerkt 
werden  mufs,  ohne  die  Höhe  der  Siegessäule  überhaupt  dazu  nöthig 
gehabt  zu  haben;  diese  können  wir  vielmehr  aus  einem  der  gegebenen 
Winkel  und  einer  Schattenlänge  nach  der  oben  gegebenen  Formel 
ohne  weiteres  berechnen.  Auf  diese  Art  werden  überhaupt  unzugäng- 
liche Höhenpunkte  gemessen. 

Nach  dieser  Abschweifung  auf  das  Gebiet  der  reinen  Trigonometrio 
wollen  wir  nun  zu  unserer  astronomischen  Aufgabe  zurückkehren,  zu 
welcher  wir  die  so  erlangte  Erfahrung  benützen  müssen.  Wir  wollen 
die  Entfernung  eines  Planeten  von  der  Sonne  zu  einer  bestimmten 

Zeit  berechnen,  zunächst  nur  zu  dem 


£rfft  Sonnt 


Zwecke,  um  in  irgend  einem  verkleiner- 
ten Mafsstabe  die  verschiedenen,  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  gefundenen  Entfer- 
nungen der  Planeten  von  der  Sonne  vor 
unseren  Augen  aufzoichnen  und  daraus 
die  wahre  Form  der  Bahnen  ermitteln 


zu  können.  Das  zu  solchen  Entfernungsbestimmungen  stets  nöthige 
Dreieck  liegt  sofort  vor:  Die  drei  Ecken  desselben  werden  durch  die 
Sonne,  den  betreffenden  Planeten  und  die  Erde  gebildet  Wir  müssen 
uns  zunächst  danach  Umsehen,  wieviel  Stücke  dieses  Ungeheuern 
Dreiecks  uns  ohne  weiteres  bekannt  sind.  Wir  beginnen  mit  den 
Winkeln.  Der  eine  Winkel,  welcher  sich  an  der  Erde  befindet  ist 
offenbar  sofort  durch  die  Beobachtung  gegeben:  Wir  visiren,  um 
ihn  zu  finden,  mit  unserem  Winkelmefsinstrumente  zunächst  nach 
der  Sonne  hin,  lesen  die  Richtung  auf  dem  getheilten  Kreise  des  In- 
strumentes ab  und  verschieben  es  nun,  bis  wir  den  Planeten  im  Ge- 
sichtsfelde haben.  Die  Differenz  zwischen  beiden  Winkelablesungen 
ist  der  gesuchte  Winkel.  Oder,  wenn  wir  die  Länge  der  Sonne,  d.  h. 
ihre  Winkelentfernung  vom  Frühlingsnachtgleichenpunkte  mit  S und 
die  Entfernung  des  Planeten  zu  derselben  Zeit  und  von  demselben 
Anfangspunkte  aller  astronomischen  Winkelzählungen  mit  L bezeichnen, 
so  haben  wir  den  einen  Winkel  des  Dreiecks  A = L — S.  Dieser 


kann  also  unmittelbar  vom  Himmel  abgelesen  werden.  Aber  auch 
der  zweite,  bei  der  Sonne  befindliche  Winkel  ist  nach  den  Erfahrungen 


537 


unseres  vorangegangenen  Kapitels  sofort  gefunden.  Danach  sind  wir 
ja  bekanntlich  im  slande,  wenigstens  mit  einem  gewissen  Grade  der 
Annäherung  die  Richtung  zu  bestimmen,  in  welcher  sich  zu  einer  ge- 
gebenen Zeit  der  Planet,  von  der  Sonne  aus  gesehen,  befindet  Wir 
kennen  seine  heliocentrische  Länge  1.  Die  heliocentrische  Länge  der 
Erde  ist  aber  gleichfalls  bekannt;  die  Erde  befindet  6ich  doch  offen- 
bar von  der  Sonne  aus  gesehen  genau  in  der  entgegengesetzten 
Richtung,  wie  die  Sonne  von  der  Erde  aus  gesehen.  Diese  Länge 
ist  also  E =■  S 180°.  Der  Winkel  des  Dreiecks  an  der  Sonne 
ist  also  B = 1 — E.  Durch  die  Kenntnifs  dieser  beiden  Winkel  wird 
aber  der  dritte  auch  sofort  bekannt;  er  ist  C = 180°  — A — B. 
Wir  wollen  die  Sache  gleich  einmal  an  einem  bestimmten  Beispiele 
näher  darstellen. 

Am  16.  April  18883),  zur  Zeit  des  Greenwicher  Mittags,  betrug 
der  Beobachtung  zufolge  die  Länge  der  Sonne  = 26°. 88,  ferner  war 
die  geocentrischo  Länge  des  Planeten  Mars  um  diese  selbe  Zeit  gleich 
1990.90.  Wir  haben  also  A = L — S ==  199». 90  — 260.88  = 173». 02. 
Dieses  ist  der  Winkel  des  Dreiecks  bei  der  Erde.  Zur  Bestimmung 
des  Winkels  an  der  Sonne  haben  wir  zunächst  die  heliocentrische 
Länge  der  Erde  E --  26°. 88  4-  189  — 206°. 88.  Durch  ganz  dasselbe 
Interpolationsverfahren,  welches  wir  im  vorigen  Kapitel  angewandt 
haben,  um  dio  siderische  Umlaufszeit  des  Mars  zu  finden,  berechnen 
wir  leicht,  dafs  zu  der  gegebenen  Zeit  die  heliocentrische  Länge  des 
Mars  1 = 2040.26  war.  Wir  haben  also  B = 1 — E = 2040.26  — 2060.88 
= — 2°. 62.  Es  mag  an  dieser  Stelle  gleich  eingeschoben  werden,  dafs 
es  bei  der  hier  anzuwendenden  Formel  einerlei  ist,  ob  wir  einen  be- 
stimmten Winkel  negativ  oder  positiv  nehmen,  so  dafs  wir  das  Minus- 
zeichen vor  den  Winkeln  weglassen  können.  Wir  haben  endlich 
C = 180°  — 1730.02  — 2°.62  = 40.36. 

Die  drei  Winkel  unseres  Dreiecks  sind  uns  damit  bekannt  und 
es  handelt  sich  deshalb  nur  nooh  um  die  Kenntnifs  einer  der  Seiten, 
um  sofort  auch  die  Länge  der  beiden  andern  ermitteln  zu  können. 
Nennen  wir  von  diesen  Seiten  die  Entfernung  der  Erde  von  der 
Sonne  R,  die  Entfernung  des  Planeten  von  der  Sonne  r und  endlich 
die  Distanz  zwischen  dem  Planeten  und  der  Erde  d,  so  haben  wir  also 

M Ks  wurde  hier  ein  Beispiel  gowählt,  das  feldmesserisch  unzuläßig  wäre, 
wegen  der  kleinen  Winkel,  welche  die  Wirkungen  der  unvermeidlichen  Be- 
obachtungsfehler  bedeutend  vergrößern.  Wir  werden  später  sehen,  dafs  im 
anderen  Fallo  eines  Dreiecks  mit  größeren  Winkeln  durch  die  Interpolation  noch 
größere  Kehler  entstanden  wären.  Hior  soll  das  Beispiel  nur  die  Methode  erläutern. 


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538 


sin  1730.02 
r — K sin  4".36 

Da  wir  nun  vor  der  Hand  kein  Mittel  wissen,  eine  dieser  Ent- 
fernungen, z.  B.  R,  wirklich  auszumessen  und  es  uns  andererseits  auch 
vorläufig  nur  darum  zu  thun  ist,  die  relativen  Verhältnisse  dieser  Ent- 
fernungen kennen  zu  lernen,  damit  wir  zunächst  dio  Form  der  Bahn 
zu  bestimmen  im  stände  sind,  so  können  wir  uns  erlauben  für  dieses 
K eine  ganz  beliebige  Zahl  als  Entfernung  anzunehmen.  Wir  könnten 
z.  B.  rund  20  Millionen  Meilen  dafür  ansetzen,  weil  wir  wissen,  dafs 
die  Astronomen  anderweitig  in  Erfahrung  gebracht  haben,  dafs  die 
Entfernung  der  Sonne  von  uns  sich  etwa  auf  soviel  beläuft.  Unsere 
letzte  Formel  würde  dann  eine  bestimmte  Anzahl  von  Meilen  ergeben, 
welche  unter  dieser  Voraussetzung  der  Planet  Mars  von  der  Sonne 
entfernt  war.  Aber  einfacher  gestaltet  sich  offenbar  unsere  Rechnung, 
wenn  wir  statt  dieser  unverbürgten  20  Millionen  Meilen  nur  kurz  1 
setzen.  Die  Formel  ergiebt  dann,  um  wieviel  Mal  weiter  um  diese 
Zeit  Mars  von  der  Sonne  entfernt  stand  als  die  Erde.  Wir  erhalten 
auf  diese  Weise  r = 1.699.  Es  ist  damit  ganz  streng  bewiesen,  dafs 
Mars  am  Mittag  des  16.  April  1888  um  1.599  mal  weiter  von  der  Sonne 
abstand,  als  die  Erde  zu  derselben  Zeit.  Diese  erkannte  Wahrheit 
ist  offenbar  von  grofser  Bedeutung  für  uns,  denn  wir  sehen,  dafs  wir 
die  relativen  Entfemungs-  und  Bewegungsverhältnisse  der  Planeten 
unter  einander  nach  strenger  geometrischer  Methode  bestimmen  können. 
Denn  wir  brauchen  nur  diese  Methode  für  beliebige  Zeiten  zu  wieder- 
holen, um  durch  die  Vergleichung  die  periodischen  Veränderungen 
dieser  Verhältnisse  immer  genauer  zu  studiren. 

Zwar  liegen  für  die  unmittelbare  Verwendung  dieser  Methode 
zum  Zweck  der  Erkenntnifs  der  Formen  der  Planetenbahnen  zwei 
wesentliche  Schwierigkeiten  vor,  die  wir  noch  überwinden  müssen. 
Zunächst  zeigt  es  sich,  dafs  das  Interpolationsverfahren,  welches  wir 
anwandten,  um  die  heliocentrische  Länge  des  Planeten  für  eine  be- 
liebige Zeit  zu  finden,  nicht  völlig  exakt  ist.  Wir  würden,  wenn  wir 
zwischen  zwei  beobachteten  Oppositionen,  für  welche  ja  bekanntlich 
die  heliocentriseben  Längen  sofort  bekannt  sind,  eine  dritte  Oppositions- 
länge durch  Interpolation  bestimmen  wollten,  dieselbe  mit  der  wirklich 
beobachteten  Länge  niemals  ganz  genau  übereinstimmend  finden;  wir 
müssen  uns  von  diesem,  hierdurch  in  unsere  Rechnung  getragenen 
Fehler  zu  befreien  suchen,  indem  wir  nur  wirklich  beobachtete  Oppo- 
sitionslängen anwenden.  Wie  das  geschehen  kann,  soll  sogleich 
gezeigt  werden.  Die  zweite  Schwierigkeit  liegt  in  der  Erwägung,  dafs 


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539 


bei  einem  zweiten  Dreieck,  welches  für  eine  andere  gegebene  Zeit 
gilt  als  das  erste,  sich  inzwischen  zugleich  auch  die  Entfernung  der 
Erde  von  der  Sonne  in  vorläufig  noch  unbekannter  Weise  geändert 
hat.  Wir  bekommen  aber  durch  die  Auflösung  des  neuen  Dreiecks 
nur  das  Verhältnifs  zwischen  den  neuen  Entfernungen  der  Erde  und  des 
Planeten  von  der  Sonne.  Eine  direkte  Vergleichung  der  Resultate 
aus  beiden  Dreiecken  mit  einander  ist  deshalb  nicht  möglich. 

Ich  will  nun  das  Verfahren  auseinandersetzen,  durch  welches 
sich  Kepler  über  diese  Schwierigkeiten  hinweghalf. 

Zur  eigentlichen  Oppositionszeit  läfst  sich  unsere  Dreiecksmethode 
leider  nicht  anwenden,  weil  ja  dann  Sonne,  Erde  und  Planet  in  einer 
geraden  Linie  stehen,  d.  h.  überhaupt  kein  Dreieok  bilden.  Wir  können 
aber  unsere  früher  erworbene  Kenntnifs  von  der  siderischen  Umlaufs- 
zeit des  Planeten  benutzen,  um  uns  das  gewünschte  Dreieck  für  einen 
Moment  zu  verschaffen,  für  welchen  wir  die  heliocentrische  Länge  des 
Planeten  ebenso  genau  kennen  wie  zur  Oppositionszeit  selbst.  Wir 
wissen,  dafs  nach  einem  siderischen  Umlaufe  der  Planet  von  der  Sonne 
aus  gesehen  in  genau  dieselbe  Richtung  wieder  zurückkehrt.  Wir 
dürfen  auch  ohne  weiteres  annehmen,  dafs  die  vor  der  Hand  noch  un- 
bekannte Entfernung  des  Planeten  von  der  Sonne  jedesmal  nach  einem 
vollen  Umlauf  um  die  letztere  wieder  die  gleiche  ist.  Eis  ist  dies,  wie 
gesagt,  vor  der  Hand  nur  eine  Annahme;  sie  wird  jedoch  zur  Noth- 
wendigkeit,  wenn  wir  von  der  Ueberzeugung  ausgehen,  dafs  die  Pla- 
netenbahnen in  sich  geschlossene  Linien  bilden,  was  ja  fast  ohne 
weiteres  aus  dem  regelmäfsigen  Spiel  ihrer  Bewegungen,  auch  wie 
sie  sich  in  ihrer  scheinbaren  Verwickelung  von  der  Erde  aus  dar- 
stellen, hervorgeht. 

Sei  also  t irgend  eine  Oppositionszeit  des  Planeten  und  u seine 
siderische  Umlaufszeit.  Dann  wird  zur  Zeit  t + u die  heliocentrische 
Länge  1 und  die  Entfernung  des  Planeten  von  der  Sonne  r dieselbe 
sein,  wie  zur  Zeit  t Für  diese  letztere  ist  1 unmittelbar  durch 
die  Beobachtung  gegeben,  also  auch  für  t + u bekannt  Zu  dieser 
letzteren  Zeit  befindet  sich  aber  die  Erde  nicht  mehr  in  der  gleichen 
geraden  Linie  wie  zur  Oppositionszeit,  und  es  wird  also  durch  die  drei 
Körper,  Sonne,  Erde  und  Planet  ein  regelrechtes  Dreieok  gebildet, 
dessen  Winkel  ebenso  wie  in  dem  früher  speziell  betrachteten  Falle, 
durch  die  Beobachtung  gegeben  sind.  Wir  können  in  diesem  Dreieck 
also  r sofort  berechnen,  wenn  wir  R = 1 setzen.  Wir  bekommen 
dadurch  das  diesmal  ganz  genaue  Verhältnifs  zwischen  den  jeweiligen 
Entfernungen  der  beiden  betreffenden  Himmelskörper  von  der  Sonne. 


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540 


Wir  gehen  nun  weiter  und  lassen  noch  eine  siderische  Umlaufszeit 
des  Planeten  eintreten.  Zur  Zeit  t + 2 u sind  wieder  r und  1 dieselben 
wie  vorhin,  nur  die  Lage  der  Erde  zur  Sonne  ist  eine  verschiedene 
geworden.  Wir  bekommen  ein  neues  Dreieck,  in  welchem  wir  wiederum 
alle  Winkel  bestimmen  können  und  uns  zugleich  der  wichtige  Vor- 
Iheil  zu  statten  kommt,  dafs  auch  die  eine  Seite  r mit  der  vorhin  ge- 
wählten Einheit  gemessen,  genau  bekannt  ist.  Wir  können  deshalb 
diesmal  R,  die  Entfernung  der  Erde  von  der  Sonne,  ebenso  genau  be- 
rechnen und  bekommen  sie  jetzt  in  der  früheren  Einheit  ausgedrückt. 
Dieses  Verfahren  giebt  uus  also  genauen  Aufsohlufs  über  die  Ent- 
fornungsveränderungen  der  Erde  von  der  Sonne  in  einer  bestimmten 
Zwischenzeit  Wir  können  nun  offenbar  dieses  selbe  Verfahren  noch 
weiter  fortsetzen  und  die  betreffenden  Dreiecke  für  die  Zeiten  t 4-  3u, 
t + 4u  u.  s.  w.  berechnen.  Wir  bekommen  dann  jedesmal  ein  anderes 
R,  und  allo  diese  Entfernungen  sind  mit  einem  und  demselben  Mafs- 
stabe  gemessen;  wir  können  sie  rings  um  den  Punkt,  welcher  die 
Sonne  darstellen  mag,  aufzeichnen  und  bekommen  dann,  indem  wir 
die  Endpunkte  dieser  Linien  durch  eine  Kurve  verbinden,  ein  genaues 
Abbild  der  wahren  Form  der  Erdbahn.  Wir  wollen  auch  hier  wieder 
die  Sache  durch  ein  praktisches  Beispiel  erläutern. 

Nach  der  im  vorigen  Hefte  gegebenen  Tafel  fand  eine  Opposition 
des  Mars  1877  September  5.50  statt.  Die  Länge  des  Planeten  war 
nach  dieser  selben  Tafel  damals  1 = 343°.47.  Durch  Addition  der 


siderischen  Umlaufszeit  u = 686.98  Tage  zu  dem  soeben  angeführten 
Momente  finden  wir  t|u  = 1879  Juli  24.48.  Zu  dieser  Zeit  wurde 
nun  beobachtet  die  I Jingo  der  Sonne  S = 121  ».60  und  die  geocentrische 
Länge  des  Mars  L = 30°.71.  Die  heliocentrische  Länge  des  Planeten 
raufste,  wie  wir  wissen,  gleichzeitig  dieselbe  sein,  wie  zur  Oppo- 
sitionszeit, 1 = 343".47.  Wir  haben  deshalb  A = L — S = 90°.89, 
B = 1 — E = 41n.87,  und  demnach  C = 47°.24.  Indem  wir  nun  die 
Entfernung  der  Sonne  von  uns  in  diesem  Momente  R = 1 setzen,  er- 
halten wir  nach  der  oben  angegebenen  Formel 


_ sin  90».89  _ 

r sin  470.24“  = 1362 


Das  heilst  also,  Mars  befand  sich  um  diese  Zeit  um  1.362  mal 
weiter  von  der  Sonne  entfernt,  als  die  Erde.  Das  liefs  sich  mit  mathe- 
mathischer  Bestimmtheit  nachweisen.  Wir  gehen  nun  weiter  und  be- 
stimmen zunächst  die  Zeit  t + 2 u = 1881  Juni  10.46.  Um  diese  Zeit 
wurde  beobachtet  S = 80°.06  und  L = 22°.03.  Auch  diesmal  ist 


1 = 343 ».47.  Es  folgt  daraus  A = 58 »03,  B = 83 »41  und  C = 38 ».56. 


541 


Diesmal  wollen  wir  R für  diese  Zeit  bestimmen,  da  wir  r = 1.362 
bereits  aus  dem  vorher  bestimmten  Dreiecke  kennen.  Nach  den  früher 


gefundenen  trigonometrischen  Regeln  ergiebt  sich  diese  Entfernung 


R = 


sin  C 

r — — r 
sin  A 


1.362 


sin  38  °.5G 
sin  58  ».03 


1.001 


Es  zeigt  sich  also,  dafs  die  Entfernung  der  Erde  von  der  Sonne 
am  10.  Juni  1881  fast  genau  dieselbe  war,  wie  am  24.  Juli  1879.  Wenn 
wir  nun  diese  Rcohnung  noch  für  die  beiden  nächston  siderischen 
Umläufe  t + 3 u und  t + 4 u wiederholen,  so  finden  wir,  dafs  da- 
gegen diese  Entfernung  am  28.  April  1883  nur  0.993  derjenigen  vom 
24.  Juli  1879  betrug  und  dafs  endlich  dieses  Verhältnifs  am  15.  März 
1885  auf  0.980  herabgesunken  war. 

Indem  wir  nun  diese  Rechnungsmethode  auf  eine  zweite  Oppo- 
sition anwenden,  erhalten  wir  abermals  eine  Serie  von  Entfernungen 
der  Erde  von  der  Sonne,  welche  allerdings  in  einer  anderen  Einheit 
ausgedrückt  sind.  Diese  zweite  Opposition  liifst  sich  indefs  so  aus- 
wählen, dafs  eine  dieser  Entfernungen,  Radien  vectoren  genannt,  nahezu 
um  dieselbe  Zeit  stattfindet,  wie  eine  aus  der  ersten  Serie.  Diese  mufs 
also  in  der  That  jener  gleich  oder  doch  so  nahe  gleich  sein,  dafs  der 
sehr  kleine  Unterschied  so  zweifellos  gleichmäfsig  mit  der  Zeit  fort- 
schreitet, dafs  man  denselben  durch  eine  Interpolation  in  der  mehr- 
fach angewendeten  Weise  fortschaffen  kann.  Das  direkte  Rechnungs- 
resultat giebt  iudefs  verschiedene  Zahlen  für  diese  gleichen  Radien, 
weil  sie  sich  auf  verschiedene  Einheiten  beziehen,  d.  h.  mit  ver- 
schiedenem Mafse  gemessen  wurden.  Da  wir  nun  aber  wissen,  dafs 
diese  betreffenden  beiden  Radien  in  der  That  gleich  lang  sind,  so  läfst 
sich  unmittelbar  das  Verhältnifs  der  beiden  angewandten  Mafseinheiten 
unter  einander  bestimmen  und  alle  in  der  einen  Maßeinheit  angegebenen 
Größen  sind  auf  die  andere  zurückzuführen.  So  können  wir  es  mit  wei- 


teren Reihen  machen,  bis  wir  endlich  eine  genügend  große  Anzahl  von 
über  den  ganzen  Umkreis  vertheilten  Radien  der  Erdbahn  besitzen,  welche 
uns  völlig  genügende  Anhaltspunkte  für  unser  fortgesetztes  Studium  der 
genauen  Form  dieser  Bahn  gewähren.  Folgende  Tabelle  ist  das  Re- 
sultat einer  solchen  successiven  Berechnung.  In  der  ersten  Reiho 
sind  die  heliocentrischen  Richtungen  angegeben,  für  welche  die  be- 
treffenden Radien  gelten;  in  der  zweiten  befinden  sich  diese  letzteren 
selbst,  in  der  dritten  sind  die  direkt  zu  beobachtenden  mittleren  täg.- 
lichen  Bewegungsgeschwindigkeiten  der  Sonne  von  der  Erde  aus  ge- 
sehen (offenbar  identisch  mit  denen  der  Erde  von  der  Sonne  gesehen), 
hingeschrieben. 


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542 


E 

R 

▼ 

E 

R 

▼ 

10« 

1.000 

0 

».986 

190» 

1.000 

0< 

>.986 

40 

0.991 

1 

.003 

220 

1.008 

0 

.970 

70 

0.986 

1 

.015 

250 

1.014 

0 

.957 

100 

0.983 

1 

.020 

280 

1.017 

0 

.953 

130 

0.985 

1 

.015 

310 

1.015 

0 

.957 

160 

0.991 

1 

.002 

340 

1.008 

0 

.969 

Diese  Tafel  giebt 

uns 

sehr 

merkwürdigen 

Aufschlufs 

über 

gesetzmäfsigen  Veränderungen  unserer  Entfernung  von  der  Sonne. 
Sie  zeigt  zwar  keine  sehr  bedeutenden  Variationen,  d.  h.  die  Erdbahn 
ist  von  einem  Kreise  nicht  sehr  verschieden,  aber  die  doch  in  den 
Zahlen  deutlich  hervortretenden  Aenderungen  der  Entfernungen  zeigen 
sich  in  ganz  bestimmter  Weise  abhängig  von  der  Geschwindigkeit  der 
Erde  in  ihrer  Bahn;  wenn  diese  am  gröfsten  ist,  so  befinden  wir 
uns  der  Sonne  am  nächsten;  das  findet  etwa  bei  100°  heliocentrischer 
Erdliinge  statt,  welche  Lage  die  Erde  zur  Zeit  am  1.  Januar  jeden 
Jahres  einnimmt  Sechs  Monate  später,  bei  genau  180°  gröfserer  Länge 
(280°),  findet  bei  grofsester  Entfernung  die  langsamste  Bewegung  statt- 
Wir  haben  hier  also  in  streng  geometrischer  Beweisführung  eine  That- 
sache  nachgewiesen,  deren  erste  Vorahnung  sich  gewissermafsen 
bereits  in  jenem  excentrischen  Kreise  Hipparchs  verkörperte,  durch 
welchen  die  Sonne  uns  ja  in  der  That  in  jener  nun  exakt  gefundenen 
Richtung  ferner  gerückt  wurde.  Nach  Hipparch  war  allerdings  diese 
Abnahme  der  Geschwindigkeit  der  nach  ihm  in  dem  excentrischen 
Kreise  selbst  sich  gleichmäfsig  schnell  bewegenden  Sonne  nur  eine 
scheinbare. 

Aus  der  Diskussion  der  nach  der  eingehend  beschriebenen 
Methode  gefundenen  wirklichen  Bewegungen  und  dazu  gehörigen 
relativen  Entfernungen  geht  indefs  nunmehr  mit  Sicherheit  hervor, 
dafs  jener  selbst  noch  von  Copernikus  festgehaltene  excentrische 
Kreis  nicht  mehr  genügt,  um  die  hier  niedergeschriebenen  Thatsachen 
der  Beobachtung  und  mathematischen  Deduktion  zu  erklären.  Die 
Form  der  Bahn,  wie  sie  sich  aus  den  Zahlen  der  letzten  Tabelle  er- 
giebt,  ist  kein  Kreis,  sondern  eine  Ellipse. 

Wir  müssen  bei  diesem  wichtigsten  Satze  der  neuen  durch  Kepler 
reformirten  Astronomie  stehen  bleiben,  um  uns  zunächst  zu  vergegen- 
wärtigen, was  eine  Ellipse  ist  und  wie  sie  entsteht.  In  Form  einer 
Ellipse  stellt  sich  uns  jeder  Kreis  dar,  welchen  wir  unter  einem 
schiefen  Winkel  sehen.  Wir  erkennen  bei  der  Betrachtung  einer 
solchen  Figur  sofort,  dafs  dieselbe  einen  gröfsten  und  einen  klein- 


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543 


sten  Durchmesser  besitzt,  welcher  letztere  auf  dem  ersteren  senkrecht 
steht.  Bei  der  Ellipse  heilst  der  gröfste  Durchmesser  die  grofse, 
der  kleinste  die  kleine  Achse;  erstere  wird  bei  algebraischer  Rech- 
nung gewöhnlich  mit  a,  letztere  mit  b bezeichnet  Man  kann  sich  nun 
eine  Ellipse,  für  welche  diese  beiden  ihre  Form  völlig  bestimmt  aus- 
drückenden Gröfsen  a und  b gegeben  sind,  beinahe  ebenso  leicht  auf- 
zeichnen, wie  einen  Kreis.  Das  geschieht  folgendermafsen: 

Man  ziehe  zunächst  eine  Linie  von  der  Länge  der  grofsen  Achse 
und  errichte  senkrecht  auf  ihrer  Mitte  die  kleine  Achse,  so  dafs  beide 
durch  den  Kreuzungspunkt  in  zwei  gleiche  Hälften  getrennt  sind. 
Nun  nehme  man  zwei  Stecknadeln  und  einen  Faden  und  befestige  die 


ersteren  derart  an  demselben,  dafs  der  Faden  zwischen  ihnen  gerade 
ebenso  lang  ist,  wie  die  grofse  Achse.  Man  befestige  nun  zunächst 
die  Mitte  dieses  Fadens  an  einem  Ende  der  kleinen  Achse  und  darauf 
die  beiden  Stecknadeln  derart  auf  der  grofsen  Achse,  dafs  der  Faden 
straff  gespannt  ist  Nach  dieser  einfachen  Vorbereitung  ist  die  ge- 
wünschte Ellipse  sofort  zu  ziehen,  indem  man  die  Spitze  des  Bleistifts 
so  am  Faden  entlang  führt,  dafs  dieser  stets  straff  gespannt  bleibt4) 
Eine  so  entstehende  Ellipse  ist  nicht  etwa  nur  annäherungsweise  richtig, 
sondern  entspricht  (soweit  nicht  die  unvermeidlichen  Fehler  der  tech- 
nischen Ausführung  hinzukommen)  durchaus  den  strengen  Anforderungen, 
welche  die  Geometrie  an  eine  solche  Curve  stellt 

Diese  Anforderungen  können  natürlich  auch  durch  die  mathe- 

•)  Die  beiden  Stecknadeln  befinden  sich  alsdann  in  den  beiden  sogenann- 
ten Brennpunkten  der  Ellipse. 


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544 


matische  Rechnung  präcisirt  werden  und  auf  diese  kommt  es  uns  be- 
greiflicherweise bei  der  stets  mehr  nötbig  werdenden  Schärfe  der 
Prüfung  ganz  besonders  an.  Ich  darf  ruioh  jedoch  hier  bei  den  rein 
geometrischen  Betrachtungen  Uber  die  Eigenschaften  der  Ellipse  nicht 
länger  aufhalten  und  meine  Leser  müssen  es  mir  diesmal  aufs  gegebene 
Wort  allein  glauben,  dafs  man  die  Entfernung  eines  beliebigen  Punktes 
der  Peripherie  einer  Ellipse  von  einem  ihrer  Brennpunkte  durch  eine 
sehr  einfache  Berechnung  für  eine  beliebig  gegebene  Richtung  finden 
kann.  Durch  die  Vergleichung  solcher  Rechnung  mit  den  Resultaten 
jener  feldmesserischen  Thätigkeit,  durch  welche  wir  vorhin  die  relativen 
Entfernungen  der  Erde  von  der  Sonne  genau  zu  bestimmen  im  stände 
waren,  ergiebt  sich  sofort  mit  vollkommener  Sicherheit,  dafs  die  Erde 
sich  wirklich  in  einer  genauen  Ellipse  um  die  Sonne  bewegt,  oder 
umgekehrt  die  Sonne  um  die  Erde,  was  wir  ja  bisher  immer  noch 
nicht  definitiv  von  einander  unterscheiden  konnten,  und  dafs  sich  der 
ruhende  Körper  in  einem  der  Brennpunkte  jener  Ellipse  befindet 

Nachdem  wir  nun  die  Form  der  Erdbahn  genau  erkannt  haben, 
können  wir  auch  durch  Rechnung  den  Radius  vcctor  der  Erde  für  jede 
beliebige  Zeit  in  einer  bestimmten  Einheit  ausgedrückt  berechnen. 
Wir  kennen  also  dadurch  stets  ohne  weiteres  die  eine  Seite  eines 
durch  Sonne,  Erde  und  einen  anderen  Planeten  gebildeten  Dreiecks. 
Wir  sind  deshalb  auch  im  stände  für  irgend  eine  Zeit  für  welche  wir 
die  heliocentrische  Länge  des  betreffenden  Planeten  durch  die  oben 
angegebenen  Methoden  erfahren  haben,  seine  jedesmalige  Entfernung 
von  der  Sonne,  jetzt  nun  stets  mit  ein  und  demselben  Mafsstabe  ge- 
messen, zu  bestimmen.  Wir  erhalten  folglich  auch  die  Radien  vectoren 
r des  Planeten  für  beliebig  viele  seiner  heliocentrischen  Längen  1,  und 
können  nun  auch  dessen  Bahn  genau  bestimmen.  Wir  kommen  dabei 
zu  demselben  Resultate,  wie  bei  der  Erde,  dafs  sich  nämlich  unter 
den  gemachten  Voraussetzungen  jeder  Planet  in  einer  Ellipse 
um  die  Sonne  bewegt,  in  deren  einem  Brennpunkte  sich 
die  letztere  befindet.  Dieses  grundlegende  Resultat  unserer  geome- 
trisch strengen  Deduktion  bezeichnet  man  bekanntlich  mit  dem  Namen 
des  ersten  Keplerschen  Gesetzes. 

Das  sogeuannte  zweite  Keplersche  G esetz,  welches  für  unsere 
späteren  Entwicklungen  von  keiner  besonderen  Bedeutung  sein  wird, 
drückt  die  Beziehung  aus,  welche  wir  bereits  zwischen  der  Ver- 
änderung der  Entfernungen  in  jener  Ellipse  und  den  Geschwindig- 
keiten des  Planeten  in  seiner  Bahn  entdeckt  haben.  Es  besagt,  dafe 
die  von  den  Radien  vectoren  eines  Planeten  auf  seiner  Ellipse  gleichsam 


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545 


bestrichenen  Flächen  immer  der  dazu  verwendeten  Zeit  proportional 
sind.  Es  geht  daraus  hervor,  dafs  und  wieviel  der  Planet  in  seinem 
Perihel  schneller  laufen  mufs,  als  im  Aphel.  Denn  im  ersteren  sind 
dessen  Radien  kleiner  als  im  letzteren.  Die  Flächenräume  zwischen 
zweien  derselben  sind  also,  bei  gleich- 
bleibendem  Winkel  an  der  Sonne, 
kleiner  für  das  Perihel  als  für  das 
Aphel.  Da  nun  aber  nach  dem  aus- 
gesprochenen Gesetze  für  eine  gleiche 
Zeit,  welche  dem  Planeten  zu  seiner 
Bewegung  auf  der  Peripherie  seiner 
Ellipse  gegeben  wird,  die  beschrie- 
bene Fläche  die  gleiche  bleibt,  in 
welchem  Theile  seiner  Bahn  er  sich  auch  befinden  mag,  so  mufs  der 
Winkel  zwischen  den  beiden  begrenzenden  Radien  nothwendig  im 
Perihel  ein  gröfserer  sein  als  im  Aphel,  d.  h.  der  Planet  mufs  sich  in 
ersterem  schneller  bewegen.  Auch  dieses  Gesetz  folgerte  Kepler 
direkt  aus  den  Ergebnissen  seiner  Feldmefsarbeit  am  Himmel.  Er 
bestimmte  das  Areal  dieser  verschiedenen  Ellipsenabschnitte  ganz  wie 
ein  Geometer  die  Felder  absteckt. 

Diese  so  ungemein  einfache  Beziehung  zwischen  der  Entfernung 
eines  Himmelskörpers  von  dem  Central  punkte  seines  Systems  und  der 
Geschwindigkeit  seiner  Bewegung  mutete  in  dem  prophetischen  Geiste 
des  grofsen  Reformators  der  theoretischen  Sternkunde  die  innige 
Ueberzeugung  immer  mehr  befestigen,  dafs  eine  einheitliche  ewige 
Kraft  von  diesem  Mittelpunkte  mit  gleicher  Energie  die  Zügel  aller 
Planeten-Bewegungen  lenken  müsse.  Die  Bestätigung  dieser  hohen 
Anschauung,  welche  dem  Weltgedanken  von  der  Einheit  des  Ganzen 
erst  die  wahre  Universalität  verleihen  konnte,  lieferte  sein  drittes  und 
höchstes  Gesetz,  mit  dem  wir  uns  in  den  folgenden  Betrachtungen 
eingehender  zu  beschäftigen  haben. 


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Die  Photogrammetrie  oder  Bildmefskunst 

h 

c~  n diesem  Jahre  feiert  die  Photographie  das  Jubiläum  ihres  fünfzig- 
jährigen  Bestehens.  Am  10.  August  1839  übergab  die  franzö- 
sische Regierung  das  von  Daguerre  entdeckte  Verfahren,  Bilder 
auf  Silberplatten  herzustellen,  der  Oeffentlichkeit,  nicht  ohne  vorher 
dem  Entdecker  eine  lebenslängliche  jährliche  Pension  von  6000  Franken 
ausgesetzt  zu  haben.  Die  Daguerrotypie,  anfänglich  nur  Portraitir- 
kunst,  fand  sehr  schnell  allerorten  begeisterte  und  fähige  Jünger,  in 
deren  Händen  sie  allmählich  in  der  umfassenderen  Gestalt  der  Pho- 
tographie zu  einem  bedeutungsvollen  Zweige  der  Wissenschaft  und 
Technik  emporgewachsen  ist  Jetzt  erstreckt  sich  die  Anwendung  der 
Photographie  auf  fast  alle  Zweige  menschlichen  Könnens  und  Wissens. 
Dem  Astronomen  dient  sie  zur  Anfertigung  neuer  Himmelskarten 
von  ungeahnter  Vollständigkeit,  zur  Entdeckung  neuer  und  genaueren 
Kenntnifs  der  bereits  entdeckten  Welten,  dem  Physiker  oder  Me- 
teorologen überliefert  sie  schnell  vorübergehende  Naturerscheinungen 
zu  einem  späteren,  ruhigeren  Studium.  Dem  Zoologen,  Botaniker, 
Mineralogen  und  Geologen  fertigt  siegetreue  makro-  und  mikros- 
kopische Abbildungen  aus  dem  Thier-,  Pflanzen-  und  Steinreich.  Dem 
Geographen  hilft  sie  Karten  entwerfen.  Der  Künstler  selbst 
kann  ihrer  nicht  entratlien.  Sie  verbreitet  seine  Schöpfungen 
in  getreuen  Kopien,  die  Schätze  der  Museen  und  Kunsthallen  für 
jedermann  erschliefsend.  Die  verschiedenen  diesjährigen  photogra- 
phischen Jubiläumsausstellungen  zu  Berlin,1)  München,  Paris,  St.  Peters- 


’)  Die  photographische  Jubiläums-Ausslellung  zu  lierlin  wird  von  der 
„Deutschen  Gesellschaft  von  Freunden  der  Photographie  zu  Berlin“  unter  Mit- 
wirkung des  „Ilcrl.  Vereins  zur  Förderung  der  Photographie“  und  der  „Schle- 
sischen Gesellschaft  von  Freunden  der  Photographio  zu  Breslau“  in  den  Mo- 
naton  September -Oktober  veranstaltet  und  in  dieser  Zeitschrift  z.  Z.  eingehend 
besprochen  werden. 


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547 


bürg,  Washington,  Philadelphia  u.  s.  w.  werden  berufen  sein,  die  ge- 
steigerten Leistungen  der  Photographie  der  Neuzeit  einem  gröfseren 
Kreise  des  Publikums  darzuthun. 

Heute  wollen  wir  unsem  Lesern  von  einem  neuesten  Fortschritt 
auf  dem  Gebiete  der  Photogrammetrie  oder  Bi  ldmefskunst,  welche 
für  alle  diejenigen  der  obenerwähnten  Zweige  von  der  gröfsten  Bedeu- 
tung ist,  in  denen  zahle-nmiifsige  Beziehungen  eine  Rolle  spielen, 
kurz  berichten,  nämlich  von  Prof.  C.  Koppes  Phototheodoliten.  Die 
Photogrammetrie  ist  die  Lehre  von  der  Yerwerthung  von  Photographien 
zu  Messungszwecken,  insbesondere  zur  Landes-  und  Bau- Vermessung, 
und  diese  Yerwerthung  wird  durch  Koppes  Phototheodolit  in  sicher- 
ster und  einfachster  Weise  ermöglicht.  In  Bezug  auf  die  historische 
Entwickelung  der  Photogrammotrie  verweisen  wir  auf  Pizzighelli2) 
und  Pietsch3)  und  erwähnen  hier  nur  die  grofsen  Verdienste 
Meydenbauers  um  die  Einführung  der  Photogrammetrie  in  die 
Praxis.  Meydenbauers  Bestrebungen  haben  seitens  des  preußi- 
schen Cultusministers,  Herrn  Dr.  von  Gossler,  durch  Gründung  eines 
Institutes  zu  photogrammetrischen  Aufnahmen  vaterländischer  Bau- 
denkmäler zu  Berlin  eine  lebhafte  Förderung  gefunden. 

Koppes  Phototheodolit,  der  auf  dem  VIII.  deutschen  Geo- 
graphentage zu  Borlin  ausgestellt  war  und  in  einem  besonderen  Lehr- 
buch4) der  Bildmesskunst  näher  beschrieben  wird,  unterscheidet  sich 
von  Meydenbauers  und  Vogels  oder  Doergens  photogramme- 
trischen Apparaten  dadurch,  dafs  er  die  Winkelmessung  in  noch  ein- 
facherer Weiso  von  den  instrumentalen  Fehlerquellen  unabhängig  macht. 

Von  anderen  Theodoliten  unterscheidet  sich  der  Phototheodolit 
(Fig.  1)  nur  dadurch,  dafs  seine  horizontale  Fernrohraxe  konisch  aus- 

*)  „Handbuch  der  Photographie  für  Amateure  und  Touristen“,  Halle  1887 
Bd.  II  S.  26G  ff. 

3)  „Photogrammetrie“,  Vortrag  gehalten  im  Verein  zur  Beförderung  des 
Gewerbefleifses  zu  Borlin  am  1.  März  1886. 

4)  Prof.  Dr.  C.  Koppe:  „Die  Photogrammetrie  oder  Bildmefskunst“,  Weimar 
1889,  Verlag  der  deutschen  Photographen-Zeitung.  Dieses  Lehrbuch  ist  wegen 
seiner  klaren  Ausdrucksweise  und  Verständlichkeit  ffir  jedermann,  — es  setzt 
nur  die  Elemente  der  Mathematik  als  bekannt  voraus  — sehr  empfehlonswerth 
Wir  müssen  uns  hier  auf  eine  Wiodergabe  des  Inhaltsverzeichnirses  beschränken, 
da  eine  nähere  Besprechung  uns  zu  weit  führen  würde.  Kap.  I.  Photogram- 
metrische Konstruktionen.  II.  Dio  photographischen  Objektive.  III.  Der  Photo- 
theodolit. IV.  Ueber  einige  andere  photogrammetrischen  Apparate.  V.  Prüfung 
und  Berichtigung  des  Pholotheodoliten.  VI.  Die  Bestimmung  der  Bildwoite. 
VII.  Veber  den  Einflufs  verschiedener  Fehlerquellen.  VIII.  Die  photogram- 
metrische Aufnahme  des  Rofstrappefelsens  im  Harz. 


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548 


gedreht  ist  (Fig.  2),  um  die  photographische  Camera  aufnehmen  zu 
können.  Das  Instrument  ist  mit  und  ohne  Camera  genau  äquilibrirt. 
Auf  diese  Weise  kann  es  selbständig,  wie  jeder  andere  Theodolit,  zu 
allen  astronomischen  und  geodätischen  Messungen  benutzt  werden; 
zu  photogrammetrischen  Arbeiten  braucht  alsdann  nur  die  Camera 
eingesetzt  zu  werden,  was  in  wenigen  Sekunden  mit  voller  Sicherheit 
geschehen  kann.  Wiederholte  Versuche  haben  dargethan,  dafs  nicht 


Fig.  1.  Koppes  Phototheodolit  mit  Camera. 


die  geringste  Abweichung  der  optischen  Axe  der  photographischen 
Camera  nach  dem  Herausnehmen  und  Wiedereinsetzen  der  letzteren 
innerhalb  der  in  Betracht  kommenden  Genauigkeitsgrenzen  zu  er- 
kennen ist.  Die  unveränderte  Lage  der  Camera  wird  theils  durch  den 
starken  Konus  mit  den  zu  ihm  senkrechten  Auflagerflächen  FF  in 
Fig.  2,  theils  durch  die  vier  kleinen,  aber  starken  metallenen  Federn  (T 
in  Fig.  1 und  die  Berührung  des  Anschlagstiftes  der  photographischen 
Camera  mit  der  Stellschraube  b in  Fig.  2 gesichert.  Der  Verpack- 


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649 


knsten  des  Instrumentes  dient  zugleich  als  Dunkelkammer  für  den 
Plattenwechsel,  wodurch  nicht  nur  ein  besonderer  Wechselsack  erspart 
wird,  sondern  auch  die  sonst  üblichen,  stets  in  greiserer  Zahl  noth- 
wendigen  Doppelkassetten,  die  zudem  eine  neue  Fehlerquelle  bilden, 
in  Wegfall  kommen. 


Fig.  2.  Koppes  Phototheodolit  ohne  Camera. 


Durch  diese  Anordnungen  ist  erreicht  worden,  dafs  mit  ein  und 
demselben  Apparate  beliebig  direkt  oder  photogrammetrisch  bei  allen 
Neigungswinkeln  gleich  sicher  und  bequem  beobachtet  werden  kann. 
Zwei  gesonderte  Instrumente  zum  gleichen  Zwecke  wären  erheblich  un- 
bequemer und  kostspieliger,  und  photogrammetrisch  da  arbeiten,  wo  eine 
direkte  Beobachtung  sicherer  und  bequemer  ist,  hiefse  die  Photogram- 
metrie in  Milskredit  bringen.  Der  Phototheodolit  empfiehlt  sich  somit 
als  ein  bequem  zu  handhabendes  Universalinstrument,  gleich  gut 

Himmel  und  Erde.  I.  9.  39 


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560 


geeignet  für  geodätische,  astronomische,  meteorologische,  geographische 
und  architektonische  Messungen. 

Es  dürfte  für  unsere  Leser  noch  von  besonderem  Interesse  sein, 
dafs  auf  Veranlassung  des  Herrn  Prof.  Dr.  Foerster  photogramnietrische 
Apparate  nach  Angabe  des  Herrn  Jesse  bereits  angefertigt  werden,  um 
im  Juni  und  Juli  dieses  Jahres  korrespondirende  Höhenmessungen  der 
leuchtenden  Nachtwolken5)  auf  verschiedenen  Stationen  zu  erzielen.  Eine 
andere  nützliche  Verwendung  dürfte  der  Apparat  bei  der  bevorstehen- 
den Ausführung  eines  Planes  des  Amateur- Vereines  für  Luftschiff- 
fahrt Anden.  Herr  Ingenieur  v.  Siegsfeld  hat  kleine  Thermometer 
konslruirt,  die  bei  bestimmten  Temperaturen  durch  Schliefsung  eines 
elektrischen  Stromes  ein  Lichtsignal  geben.  Eis  sollen  nun  kleine 
Ballons  von  1 — 2 Meter  Durchmesser  mit  solchen  Thermometern  aus- 
gerüstet, Nachts  unter  elektrischer  Beleuchtung  aufgelassen  und  die 
Lichtsignale  der  Thermometer  mit  dem  Phototheodoliten  beobachtet 
werden,  um  photogrammetrisch  die  jeweilige  Höhe  der  Ballons  fest- 
zulegen. Auf  diese  Weise  wird  es  vielleicht  gelingen,  das  Gesetz  der 
Temperaturabnahme  mit  der  Höhe,  welches  in  so  vielen  meteoro- 
logischen, physikalischen  und  astronomischen  Fragen  eine  wichtige 
Rolle  spielt,  genauer  und  eingehender  studiren  zu  können. 

Während  die  Photogrammelrie  so  einerseits  gerade  für  Amateure 
eine  in  vielor  Beziehung  günstige  und  ergiebige  Gelegenheit  zur 
eigenen  Bethätigung  in  den  naturwissenschaftlichen  Forschungszweigen 
darbietet,  ist  sie  andererseits  berechtigt,  die  volle  Aufmerksamkeit  der 
Fachleute  zur  Verbesserung  und  Vertiefung  ihrer  Methoden  in  An- 
spruch zu  nehmen.  F.  S.  Are  lienhold. 

* 

Ausrüstung  der  Sternwarte  in  Nizza.  Nach  dem  Pariser  „ An- 
nuaire  pour  1889“  stehen  dem  von  Baron  Bischofsheim  gegründeten 
Observatorium  in  Nizza  derzeit  ausser  einem  reichhaltigen  Park  von 
spektralanalytischen,  magnetischen  und  meteorologischen  Apparaten 
folgende  grolse  Instrumente  zur  Verfügung:  ein  Aequatorial  von  78  cm 
(26")  Objektivöffnung,  ein  ebensolches  von  38  cm  (12"),  ein  grofscr 
Meridiankreis  von  Brunner,  ein  kleinerer  von  Gautier;  die  Mon- 
tirung  der  Aequatoriale  ist  von  Gautier,  die  Objektive  derselben  von 
Henry.  Die  Beleuchtung  der  Räume  geschieht  durch  Elektricität,  jene 
der  Mikroskope  auf  gleichem  Wege. 

<•)  Siehe  Heft  5,  S.  'iht— 8G. 


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551 


Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Slonat  Juni-Juli. 

(Sämtliche  Zeitangaben  gelten  für  Berliner  Zeit.) 


l.  Der  Mond. 

Aufgang 


20.  Juni 

Letztes  Viertel 

Oh 

33™  Mg. 

27.  „ 

Erdferne 

3 

2 

„ 

28.  „ 

Neumond 

8 

41 

6.  Juli 

Erstes  Viertel 

0 

25 

Nm. 

12.  . 

Erdnähe,  Vollmond 

8 

17 

Ab. 

Maxima  der  Libration: 
19.  Juni,  5.,  17.  Juli. 


Untergang 
11h  52»  Vm. 

7 43  Ab. 

8 36  „ 

Mttn. 

3 1 Mg. 


i.  Die  Planeten. 


Morkur 

Venus 

Rectas. 

Declin. 

Aufg. 

| Unterg. 

Rectas. 

Declin. 

Aufg. 

| Unterg. 

14.  Juni 

6k  4m 

i+20"45'| 
4-19  47 

4h  30»  1$. 

8h  36».«. 

2*»  39m 

'+12»  28' 

1h  58»  Ij. 

4h  18»  5«. 

18.  „ 

5 55 

4 14  „ 

1 8 8 „ 

2 50 

+13  4 

1 50  . 

4 16  . 

22-  „ | 

5 46 

+ 19  4 

3 56  . 

7 41  . 

3 2 

+13  46 

I 42  „ 

4 16  . 

26.  „ 

5 38 

j+18  43 

3 36  . 

7 14  _ 

3 14 

+14  32 

: 1 34  . 

4 18  . 

30.  „ 

5 35 

|+18  47 

3 16  . 

6 .54  „ 

3 28 

+ 15  21 

1 28  . 

4 20  . 

4.  Juli 

5 37 

+19  13 

2 59  . 

6 41  . 

3 43 

+16  10 

1 20  . 

4 24  . 

8.  . 

5 45 

+19  56 

2 44  . 

6 36  „ 

3 58 

+16  59 

1 14  . 

4 28  . 

12.  . 

5 58 

!+20  48 

2 »4  . 

1 6 38  • 

4 13 

+17  47 

1 9 » 

4 33  . 

16.  . 

6 17 

+21  39 

2 30  » 

6 46  . 

4 29 

+18  32 

1 4 " 

j 4 38  „ 

12.  Juli  gröfsto  westl.  Elongation. 

26.  Jur 
10.  Jul 

ii  Sonnenferne, 
i gröfste  westl.  Elongation. 

' 

M 

a r s 

Jupiter 

j Rectas.  j Declin.  j 

Aufg.  | 

Unterg. 

Rectas.  | 

Declin. 

Aufg.  | 

Unterg. 

12.  Juni  1 

5h30»‘+23»56'| 

3h  40»  lg. 

Sh  32»  U. 

18h21»' 

—23»  10' 

9h  9»«.  1 

4h  51»If. 

18.  . 

5 48 

+24  7 

3 38  „ 

8 27  . 

18  18 

-23  12 

8 42  , 

4 24  . 

24.  . 

6 6 

+24  11 

3 27  . 

8 23  . 

18  15 

—23  14 

8 15  . 

3 57  . 

30.  „ 

6 23 

+24  8 

3 20  „ 

8 17  . 

18  12 

—23  16 

7 49  „ 

3 30  . 

6.  Juli 

6 41 

:+23  57 

3 16  . 

8 10  „ 

13  8 

-23  18 1| 

7 22  . 

3 2 . 

12.  . 

6 .58 

1+23  40  3 12  „ 

l it  1 

8 2 „ 

18  5 

-23  19 

1 

6 55  . 1 

2 35  . 

Saturn 

Uranus 

1 Rectas. 

| Declin.  j 

| Aufg. 

j Unterg. 

Rectas. 

^ Declin.J 

Aufg. 

! Unterg. 

10.  Juni 

9h  16» 

'+17"  5' 

8h  21»  Ir. 

llh.39».«. 

13h  7» 

— 6»28’| 

2h  21»  Ha. 

1 h25“ lg. 

18.  „ 

i 9 19 

+16  52 

7 54  . 

11  8 . 

13  7 

j—  6 26 

1 49  . 

1 0 53  > 

26.  . ; 

9 22 

!+16  37 

i 7 27  . 

10  39  „ 

13  7 

— 6 26  i 

1 18  . 

0 20  . 

4.  Juli 

9 25 

+16  21 

7 1, 

10  9 . 

13  7 

!-  6 27 

0 46  . 

11  46  «. 

12.  . | 

! 9 29 

+16  4 

6 35  „ 

9 39  „ 

13  7 

'—6  30 

0 15  , 

1114  , 

39- 

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552 


N i 

3 p t u n 

1 Rectas.  Declin.  , 

Aufg. 

Unterg. 

15.  Juni 

■\  41. 

4™  + lVlff 

2h  41®  lg.  1 

6*  25»  5*. 

30.  . 

4 

7 ; + 19  16  !| 

1 43  . 

5 29  . 

15.  Juli 

4 

8 4- 19  20  i 

* 

O 

4 31  „ 

3.  Beobachtbare  Verfinsterungen  der  Jupitertrabanten. 


21.  Juni 

L 

Trab.  Verfinst  Eintritt 

1* 

18» 

Mg 

25. 

n. 

n 

Austritt  10 

41 

Ab. 

211. 

L 

« 

w 

11 

53 

m 

3. 

Juli 

II. 

„ 

n 

t> 

I 

17 

Mg. 

3. 

* 

in. 

m 

9 

28 

Ab. 

7. 

* 

1. 

n 

„ 

„ 

1 

48 

Mg. 

8. 

„ 

1. 

„ 

71 

8 

lfi 

Ab. 

11. 

„ 

in. 

„ 

* 

t 

29 

Mg. 

15. 

1. 

„ 

n 

n 

10 

11 

Ab. 

4.  Sternbedeckungen  durch  den  Mond. 

(für  Berlin  sichtbar.) 

Gröfse  Eintritt  Austritt 

20.  Juni:  *30  Piscium  4.8®»  3h  32»®  Mg.  3b  59®  Mg. 

(Sonnenaufgang  7®  nach  Eintritt  des  Sternes.) 


5.  Veränderliche  Sterne. 


a) 

Maxiina  variabler  Sterne: 

Maximum 

Helligkeit  im 

1889 

am 

Max.  Min. 

ltectas. 

Declin 

R Piscium 

7.  Juli 

7.8  Gr.  12—13  Gr. 

1 k 24»  55*  + 

2-  18' 

U Monoc. 

3-  , 

ß . 7 „ 

7 25  89  — 

9 33 

Z Virginis 

6.  . 

5 . 8 . 

14  4 22  — 

12  47 

U Cephei  . 
S Cancri  . 
0 Librae  . 
U Coronae  . 
U Ophiuchi 

Y Cygni  . 


b)  Minima  der  Sterne  vom  Algol-Typus: 

22.,  27.  Juni,  2.,  7.,  12.  Juli  Vra. 

24.  Juni  Mg.,  3.  Juli  Nm.,  13.  Mg. 

15.  Juni  Nm,  20.  Mg.,  24.  Ab.,  29.  Mtt,  4.  Juli  Mg.,  8.  Ab.,  13.  Mtl. 
19.  Juni  Mg.,  26*  Mg.,  2.  Juli  Ab.,  9.  Ab. 

(Jedes  4.  Min.):  15.  Juni  Mg.,  18.  Nm.,  22.  Mg.,  25.  Vm.,  28.  Ab., 
2.  Juli  Mg.,  5.  Mtt,  8.  Ab.,  12.  Mg.,  15.  Nm. 

(Jedes  3.  Min.):  16.  Juni  Ab.,  21.  Mg.,  25.  Ab.,  30.  Mg.,  4.  Juli 
Ab.,  9.  Mg.,  13.  Ab. 


T Monoc.  . 
ß Lyrao 
7)  Aquilae  . 
0 Cephei  . 


c)  Minima  einigor  Veränderlicher  kurzer  Poriode: 
. 8.  Juli. 

. 12.,  25.  Juni,  8.,  21.  Juli. 

. 4.,  11.,  18.,  25.  Juni,  3.,  10.  Juli. 

. 20.,  26.  Juni,  1.,  6.,  12.  Juli. 


6.  Meteoriten. 

Der  Monat  Juli  ist  ziemlich  reich  an  periodischen  Meteorschwärraen.  Die 
August-Perseiden  (Maximum  am  10.  August)  haben  nach  Denning  ihren  An- 
fang noch  in  der  ersten  Hälfte  des  Juli. 


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553 


Zwölf  Grad  Büdlich  von  dem  Radiationspunkte  dieses  Schwarmes,* ••)) 
zwischen  n und  £ des  Perseus,  liegt  nach  Dcntiing  der  Radiant  eines  etwa 
am  6.  Juli  beginnenden  Meteoritenstromes  von  sehr  kontinuirlieher  Dauer,  der 
bis  in  den  November  anhält  und  bisweilen  reichliche  Sternschnuppenfälle 
liefert.  Ebenfalls  noch  in  die  erste  Hälfte  des  Juli  fallend  und  bis  November 
reichend,  ist  ein  Schwarm,  der  seinen  Ausgang  von  einer  Position  etwa  l1/,  Grad 
nördlich  des  Sternes  ß Trianguli”)  nimmt. 

7.  Leuchtende  Nachtwolken. 

(Wir  beziehen  uns  betreffs  der  wünschenswerthen  Beobachtung  dieser 
Erscheinung  auf  unsere  Bemerkungen  im  Mai-Heft.) 

8.  Nachrichten  über  Kometen. 

Der  am  31.  März  von  Barnard  entdeckte  Komet  (s.  Maiheft),  der  sich 
anfangs  als  sehr  kleiner,  nur  10  Sekunden  grofser  Nebel  12.— 13.  Gröfse  zeigte 
und  einen  Schweif  von  15  Minuten  Länge  mit  sich  führte,  ist  der  Beobachtung 
bald  wieder  entzogen  worden.  Das  Gestirn  wird  nämlich,  wie  die  jetzt  vor- 
liegenden besseren  Bahnelemente***)  zeigen,  erst  um  Mitte  Juni  in  die  Sonnen- 
nähe gelangen;  es  näherte  sich  also  im  April  und  Mai  mehr  und  mehr  der 
Sonne,  verlor  rasch  an  Lichtstärke  und  hatte  in  der  Abenddämmerung  eine 
tiefe  Stellung  am  Horizonte,  so  dafs  es  kaum  länger  als  bis  Anfang  Mai  ver- 
folgbar blieb.  In  der  That  sind  verhältnifsrnäfsig  wenig  Beobachtungen  aus 
München,  Strafsburg,  Kopenhagen,  Algier,  Bordeaux  und  dem  Lick-Observa- 
torium  eingelangt.  Erst  nach  dem  Perihel,  mit  Anfang  August,  werden  die 
Sichtbarkeit» Verhältnisse  günstig,  der  Komet  wird  dann  an  Lichtstärke  bis  zu 
der  Helligkeit  wieder  zugenommen  haben,  die  er  bei  der  Entdeckung  besafs. 
Er  ist  zu  dieser  Zeit  bald  nach  2 Uhr  Morgens  beobachtbar  und  steht  im  nörd- 
lichen Theilo  des  Orion,  westlich  vom  Kopfe  desselben. 

* 

Duplizität  von  a Ursae  majori«.  Zu  don  neuesten  Leistungen  des 
Riesenfornrohrs  der  Lick-Stern warte  (s.  Maiheft  „Himmel  und  Erde“)  zählt  die 
Zerlegung  eines  der  bekanntesten  Sterne  unseres  nördlichen  Himmels,  des 
Sternes  a im  ..grofsen  Bären“,  in  ein  Doppelsternsystem.  Dieser  alte  Leitstern 
der  Araber  (von  ihnen  Dubho  genannt)  hat  nach  Burnham  neben  dem  Haupt- 
stern zweiter  Gröfse  noch  einen  schwachen  Begleiter  elfter  Gröfsenklasse. 
Die  Distanz  beider  Gestirne  ist  nur  0.9  Bogensekunden,  der  Positionswinkel 
328  Grad.  Im  Lick-Refraktor  soll  die  Trennbarkeit  dieses  wegen  des  grofsen 
Helligkeitsunterschiedes  der  Komponenten  fiir  andere  Fernröhre  kaum  zu- 
gänglichen Doppelsternpaares  bei  guter  Luft  nicht  allzu  schwierig  sein.  * 

$ 

Die  Mondbilder,  welche  in  vortrefflicher  hcliographischer  Wiedergabe 
eines  am  grofsen  Refraktor  der  Lick-Sternwarte  angefortigten  Photogramms 
diesem  Hefte  beigegeben  sind,  lassen  infolgo  besonders  günstiger  Verhältnisse 

*)  Der  Kadiationspunkt  der  I’orseiden  liegt  bei  A R = 46’,  D =:  + 57  •. 

••)  AR  =3 90*,  D = + 96* 

•••)  Die  Bahnbastimmungsverhkltnlsse  erwiesen  sich  fllr  die  Rechnung  wegen  der  ge- 
ringen geocentrischen  Bewegung  des  Kometen  als  ziemlich  ungünstig. 


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554 

in  Bezug  auf  die  Zeit  der  Aufnahmo  sehr  deutlich  die  sogenannte  sc  he  inbare 
Libration  dos  Mondes  erkennen,  worauf  wir  unsere  Leser  besonders  hinzu- 
weisen nicht  versäumen  wollen.  Nahe  dem  unteren,  nördlichen  Horne  wird  man 
z.  B.  im  Bilde  des  ersten  Viertels  zwei  gröfsere  Ringgebirge  (Eudoxus  und  Aristo- 
teles) bemerken;  ebendieselben  sind  auch  an  der  Lichtgrenze  im  Bilde  des 
letzten  Viertels  sichtbar,  erscheinen  aber  hier  sehr  merkbar  in  Bezug  auf  den 
Mondrand  nach  rechts  oben  verschoben.  Die  Ursache  hierfür  liegt  darin,  dafs 
der  Mond  uns  eben  nicht  stets  genau  dieselbe  Seite  zuwendet,  sondern  in 
seiner  Stellung  gegen  die  Erde  geringe  Schwankungen  aufweist,  die  man  als 
Libration  bezeichnet  hat  und  wrelche  bowirken,  dafs  wir  im  Laufe  der  Zeit 
4 : der  gesamten  Mondoberfläche  zu  sehen  bekommen,  während  uns  nur  */,  für 
immer  unsichtbar  bleiben.  Diese  Libration  entsteht  durch  besondere  Bewegungs- 
Verhältnisse  des  Mondes  in  seiner  Bahn.  Ob  es  aufsor  dieser  scheinbaren 
Libration  auch  eine  physischo  Libration  giobt,  dadurch  hervorgebracht,  dafs 
die  Rotationsdauer  des  Mondes  nicht  immer  genau  mit  seiner  Umlaufszeit  über- 
einstimmt,  ist  eine  noch  unentschiedene  Frage,  da  diese  wirkliche  Schwan- 
kung sicherlich  von  nur  sehr  geringer  Gröfse  sein  kann. 

$ 

Druck  fehlerberichtigung. 

Auf  Seite  44*2,  vorletzte  Zeile,  ist  leider  ein  sinnstörender  Druckfehler 
stehen  geblieben.  Statt  „Zoll“  muss  es  „Bogensekunden"  heissen. 


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Herrn  Oberlehrer  W.  Krüger  in  Tilsit  Ihre  sehr  interessanten  Mit- 
theilungen  über  die  Beobachtung  leuchtender  Wolken  im  vorigen  Sommer 
bringen  wir  sehr  gern  durch  theilweisen  Abdruck  zur  Kenntnifs  unserer  Leser, 
um  dadurch  von  neuem  zur  Beobachtung  dieses  interessanten  Phänomens  im 
gegenwärtigen  Monat  Juni  anzuregen.  Wir  weichen  damit,  wie  wir  hiermit 
ausdrücklich  hervorheben,  ausnahmsweise  von  unserem  Prinzipe  ab,  nach 
welchem  wir  im  allgemeinen  die  Publikation  von  Beobachtungen  den  hierfür 
speziell  bestimmten  Fachzeitschriften  überlassen,  wahrend  wir  uns  in  unserer 
Zeitschrift  vornehmlich  auf  gröfsere,  zusammenfassendere  Darstellungen  der  Be- 
obachtungs-  und  Forschungsergebnisse  beschränken. 

Beobachtung  leuchtender  Wolken  am  23.  Juni  1888  zu  Tilsit.  Von 
W.  Krüger,  Oberlehrer. 

Nachdem  ich  die  interessanten  Mittheilungen  des  Herrn  0.  Je sse-Steglitz 
im  Februarhefte  der  Zeitschrift  „Himmel  und  Erde“  1889  gelesen,  erscheint  es 
mir  angemessen,  meine  Beobachtung  leuchtender  Wolken  vom  vorigen  Jahre 
zu  veröffentlichen,  da  es  erwünscht  sein  mufs,  die  merkwürdige  Erscheinung 
von  möglichst  vielen  Seiten  her  kennen  zu  lernen. 

Ala  ich  am  23.  Juni  1888  Abends  10*»  25n»  mein  nach  NNW  gelegenes 
Zimmer  betrat,  präsentirte  sich  die  Erscheinung  der  leuchtenden  Wolken  in 
ihrer  vollen  Pracht  und  machte  einen  um  so  gröfsern  Eindruck,  als  ich  zum 
ersten  Male  Gelegenheit  erhielt,  derartiges  zu  beobachten.  Unmittelbar  über 
dem  Horizont  lag  noch  ziemlich  helle  Dämmerung  von  röthlicher  Farbe  bis 
zur  Höhe  von  etwa  10°. 

Darüber  hatte  der  sonst  klare  Himmel  eine  dunkelbleigraue,  ins  grünliche 
gehende  Farbe,  die  weiter  nach  oben  schwärzlich  olivenblaugrau  wurde  — ich 
konnte  mich  nicht  leicht  von  der  Vorstellung  losmachen,  dafs  hier  schweres 
dunkles  Gewölk  läge,  bis  ich  deutlich  sichtbar  auf  dem  dunklen  Grunde  Sterne 
wahrnahm;  auf  demselben  waren  gleichzeitig  sichtbar:  silberweifse,  hell  leuch- 
tende Cirruswolken.  Der  Mittelpunkt  der  Erscheinung  lag  boi  Beginn  der 
Beobachtung  ca.  35°  westlich  vom  astronomischen  Nordpunkte,  die  Wolken 
reichten  rechts  bis  an  den  Stern  ß Aurigae  (10h  30m),  von  dem  noch  weiter 
rechts  a Aurigae  sichtbar  wurde.  Die  leuchtenden  Wolken  wurden  nun  mit 
einem  zweizölligoti,  lichtstarken  Krimmstochor  von  8-maliger  Vergröfserung 
beobachtet,  in  welchem  die  zarte  Cirrusstruktur  aufs  schönste  sichtbar  wurde, 
nach  dem  äufseron  Rande  bin  war  die  Begrenzung  etwas  verwaschen;  nach 
innen  hin  waren  zahlreiche  Bcharfbogronzte,  theils  geradlinigte,  theils  wellen- 
förmige Schrafflrungen  sichtbar.  Alle  diese  Gebilde  zeigten  sich  in  stetiger, 
nicht  zu  schneller  Wandlung  begriffen,  sowohl  nach  Form  wio  nach  Licht- 
intensität. 

Das  Maximum  der  Lichtintensität  lag  zunächst  links  von  der  Mitte  in 
zwei  blendend  weifsen  etwas  gebogenen,  schräge  verlaufenden,  scharfbegrenzten 
Lichtlinien  a,  b der  Fig.,  in  welcher  die  zeitlich  etwas  getrennten  Phasen  der 


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556 


Erscheinung  in  ihren  Hauptmomenten  neben  einander  dargestellt  sind.  Die 
anfänglich  einfache  Linie  b theilt  sich  danach  in  zwei  starke  Lichtlinien,  welche 
nach  unten  einen  spitzen  Winkel  bilden.  Danach  bildet  sich  eine  neue  Linie 
c aus,  welche  nach  einiger  Zeit  nach  oben  hin  einen  nebligen  Pinsel  a bildet 
— gleichzeitig  wird  sie  blasser  und  verschwindet 

Um  ein  geringes  später  als  diese  Gruppe  bildet  sich  rechts  von  der  Mitte 
des  Meteors  die  Linie  d aus,  ebenfalls  mit  maximaler  Lichtintensität,  jedoch 
nicht  so  hell  als  b;  dieselbe  löst  sich  nach  einiger  Zeit  in  zwei  Linien  d und  d, 
auf;  letztere  setzen  wieder  nach  einiger  Zeit  neblige  Pinsel  nach  unten  an, 
wobei  sie  zugleich  blafa  werden  und  erlöschen.  An  andern  Stellen  wächst 
blauweifses  Licht  an,  aber  nicht  zu  derselben  Intensität,  wie  an  den  Stellen  a 
und  d,  und  schwindet  danach  wieder. 


Um  11*»  beginnt  die  Erscheinung  sich  von  der  Ostseito  her  aufzulösen; 
der  Streifen  a b hat  sich  ein  wenig  in  der  Richtung  0— W verschoben  und 
ist  matter  geworden;  um  11h  15m  sind  nur  noch  Spuren  der  leuchtenden 
Wolken  im  Krimmstecher  zu  sehen  — um  11h  30m  ist  von  der  Erscheinung 
nichts  mehr  wahrzunehmen  — der  Himmel  im  NW  und  N absolut  klar,  ohne 
Spur  von  fremder  Färbung  oder  Trübung. 

Die  Temperatur  war  während  der  Beobachtung  9,8®  R.,  der  Wind  NW 
1—2  (der  meteorologischen  Skala).  Einige  niedrige  Cirrocuraulusstreifen,  welche 
sich  über  das  Zenith  von  WNW— OSO  erstreckten,  verschoben  sich  während  der 
Beobachtungszeit  nach  S;  — sie  waren  allein  von  dem  niedrigstehenden  Voll- 
mond beleuchtet  und  erschienen  in  düster  röthlich  grauer  Färbung  — sie  bil- 
deten hinsichtlich  Lichtintensität  und  Farbe  einen  ansehnlichen  Kontrast  zu 
den  leuchtenden  Wolken  ira  NNW. 


Verlag  von  Hermann  l'aetel  in  Berlin.  — Druck  von  Wilhelm  Oronau’s  Buchdruckerei  in  Berlin. 
Kür  die  Rcdaction  verantwortlich:  Dr.  M.  Wilhelm  Moyer  in  Berlin. 
Unberechtigter  Nachdruck  aus  dem  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt. 
Uobersetzungsrecht  Vorbehalten. 


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JÜJßJJi 


Der  Fortschritt  in  der  Selenographie. ') 

Von  Professor  Dr.  L.  Weinek, 

Direktor  der  K.  K.  Stern  warto  in  Prag. 


£\\  allen  Zeiten  hat  der  Mond  durch  seine  glänzende  Scheibe, 
seine  scheinbare  Gröfso  und  wechselnde  Gestalt  die  Aufmerk- 
samkeit des  Menschen  auf  sich  gelenkt.  Er  ist  es,  welcher 
mit  dem  Untergange  des  blendenden  Tagesgestirnes  die  bescheidene 
Herrschaft  am  nächtlichen  Himmel  antritt;  auf  sterngesticktem  Grunde 
zieht  er  seine  stille  Bahn,  überfluthet  die  Erde  mit  mildem,  zauber- 
vollem  Silberlichte,  das  er  als  Gabe  der  Sonne  zu  uns  sendet,  und 
ist  dem  Wanderer  zu  Lande  wie  zur  See  ein  sicherer  Führer  durch 


die  Schrecken  der  Nacht,  bis  der  erste  Purpurschimmer  im  Osten  die 
Ankunft  der  Tageskönigin  verkündigt,  und  die  aufgegangene  Sonne 
ihm  wieder  das  Scepter  entreiföt. 

Die  dunklen  Flecken  der  vollen  Mondscheibe,  wolche  man  schon 
mit  freiem  Auge  deutlich  wahrnimmt,  haben  von  jehor  die  Phantasie 
des  Beschauers  erregt  und  auch  bald  die  Frage  veranlafst,  was  die- 
selben wohl  bedeuten  mögen.  Bei  fast  allen  Völkern  des  Erdenrunds 
findet  man,  dafs  die  Einbildung  sich  aus  den  Mondflecken  ein  Bild 
zurecht  gemacht  hat,  wobei  überraschender  Weise  an  oft  weit  von 
einander  entfernten  Orten  die  gleichen  Anschauungen  wiederkehren. 
Die  Meisten  erblicken  im  Monde  einen  Hasen  oder  eine  Antilope,  so 
die  Nordamerikaner,  Chinesen,  Japaner  und  Inder.  Daher  stammen 
auch  die  Sanskritnamen  für  den  Mond:  cacadhara,  ?a<;abhrt2)  = Hasen- 


1 ) In  dieser  historischen  Ueborsicbt  ist  im  wesentlichen  nur  dio  Ent- 
wickelung der  Mondabbildung  auf  dem  Wege  des  Zeichnens  behandelt,  also 
dio  Mondphotographie  aufser  acht  gelassen. 

-’)  Kathäsaritaägara  73,  250. 

Himmel  und  Knie.  I.  10.  40 


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558 


träger  und  mrgadhara3)  = Antilopenträger.  Andere  Völker,  wie  jene  in 
Südamerika,  Afrika  und  Europa  sehen  im  Monde  ein  menschliches 
Gesicht  oder  eine  ganze  menschliche  Figur  und  knüpfen  an  dieses 
vermeintliche  Aussehen  Legenden  und  Sagen,  theils  poetischer,  theils 
wenig  poetischer  Natur.4)  Am  ungezwungensten  erkennt  man  im 
Monde  ein  Gesicht  eil  face;  achtet  mau  aber  schärfer  auf  die  flecken- 
reiche Scheibe,  so  sieht  man  sehr  augenfällig  das  Profilbild  eines 
männlichen  Kopfes,  welches  nach  links  gewendet  und  etwas  nach 
aufwärts  gerichtet  ist.  Indem  die  Phantasie  demselben  noch  einen 
Frauenkopf  gegenüberstellte  und  die  Lippen  beider  sich  berühren 
liefs,  entstand  der  sogenannte  „Kufs  im  Monde“,  welcher  aber  mehr 
crrathen,  als  gesehen  wird. 

Das  Zunächstliegende  war,  dafs  man  zwischen  dem  Monde  und 
der  Erde  Analogieen  zog  und  die  dunklen  Flecken  für  Meere,  die 
hollen  Partien  für  Kontinente  hielt.  Die  verschiedenen  alten  An- 
sichten hierüber  stellt  Plutarch  in  seiner  Schrift  über  das  Gesicht 
im  Monde  zusammen,  welche  von  Kepler  unter  dem  Titel:  „Plutarchi 
philosophi  Chaeroncnsis  libellus  de  facie,  quae  in  orbe  Lunae  apparet“ 
ins  Lateinische  übertragen  wurde.5)  Er  selbst  vertritt  die  von  den 
griechischen  Philosophen,  namentlich  von  Anaxagoras,  schon  lange 
gelehrte  Anschauung,  dafs  der  Mond  nur  eine  andere  Erde  sei  und 
ebenso  wie  diese  Berge  und  Thäler  besitze.  Interessant  ist  Plutarch s 
Vergleichung  der  supponirten  Mondberge  mit  dem  Borge  Athos,6) 
welcher  bei  untergehender  Sonne  seinen  Schatten  700  Stadien  weit  über 
das  Meer  bis  zur  Insel  Lemnos  wirft,  so  dafö  das  Ende  desselben  die 
eherne  Kuh  auf  dem  Forum  der  Stadt  Myrine  erreicht.  Derselbe  führt 
auch  die  sonderbare  Vorstellung  von  Klearchos  und  Agesianax  an, 
nach  welcher  der  Mond  ein  metallner  Spiegel  wäre,  der  einfach  die 
Erde  mit  ihren  Ländern  und  Meeren  wiederspiegle,  ein  Glaube,  welcher 
noch  heute  im  Morgonlande  bestehen  soll.  So  erzählt  Humboldt  im 
Kosmos:")  „Ich  war  einst  sehr  verwundert,  einen  sehr  gebildeten 

3)  Vif  upälabadha  9,  34. 

* i Eine  Zusammenstellung  dieser  Phantasieen  der  Völker  findet  man  in 
Oscar  Pescheis  Schrift:  „Uebor  den  Mann  im  Monde“  (Abhandlungen  zur 
Erd-  und  Völkerkunde  1878,  S.  327 — 337). 

*)  Joannis  Kepleri  Astronomi  opera  omnia  ed.  Frisch  1870.  VoL  VIII, 
pars  1.  p.  76. 

“)  Derselbe  liegt  auf  dor  Landzunge  Hagion  Oros  der  Halbinsel  Chalkis 
(Macedonien,  Türkei)  und  ist  1935  Meter  hoch.  Lemnos,  jetzt  Limnos,  liegt 
östlich  davon  im  aegacischcn  Meere. 

’j  Stuttgart  1874  , 3.  Bd.  S.  362. 


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Perser  aus  Jspahan,  welcher  gewifs  nie  ein  griechisches  Buch  gelesen 
halte,  als  ich  ihm  in  Paris  die  Mondflecken  in  einem  grofsen  Fern- 
rohr zeigte,  die  erwähnte  Hypothese  des  Agesianax  von  Spiegelung 
als  eine  in  seinem  Vaterlande  viel  verbreitete  anführen  zu  hören. 
Was  wir  dort  im  Monde  sehen,  sagte  der  Perser,  sind  wir  selbst;  es 
ist  die  Karte  unserer  Erde.“ 

Wir  wären  auf  solche  Vermuthungen  beschränkt  geblieben,  wenn 
nicht  die  Erfindung  des  Fernrohrs  um  16U9  den  Blick  dos  Menschen 
in  ungeahnter  Weise  geschärft  und  die  gesamte  Astronomie  mit 
einem  Schlage  umgestaltet  hätte,  wobei  der  Gedanke,  das  Erschaute 
zugleich  abzubilden  und  festzuhalten,  besonders  nahe  lag.  Der  grofse 
Physiker  Galilei  richtete  als  Erster  dieses  wunderbare  Instrument 
auf  den  Himmel  und  gab  in  seinem  „Sternenboten“ 8)  der  staunenden 
Mitwelt  Kunde  von  dem  Gesehenen.  Er  entdeckte  sofort  die  ge- 
birgige Beschaffenheit  der  Mondoberfläche,  indem  er  den  veränder- 
lichen Schattenwurf  ihrer  Gebilde  erkannte,  lüste  die  Milchstrafso  in 
Sterne  auf  uud  fand,  dafs  der  Planet  Jupiter  von  vier  Monden  um- 
kreist wird.  Galilei  unternahm  es  auch,  die  Höhen  der  Mondberge 
zu  messen,  indem  er  beachtete,  wie  lange  einzelne  helle  Bergspitzeu 
an  der  Beleuchtungsgrenze  des  Mondes  bis  zu  ihrem  Verschwinden 
bei  untergehender  Sonne  sichtbar  blieben,  fand  jedoch  zu  grofse 
Höhen.  Er  versuchte  ferner  den  Mond  zu  zeichnen,  lieferte  aber 
ebenso  Unvollkommenes,  wie  seine  Zeitgenossen,  der  Jesuit  Scheiner 
und  der  Kapuziner  Schyrlaeus  de  Iiheita.  Besser  waren  die 
Zeichnungen  des  neapolitanischen  Edelmannes  Fontana,  welche  der- 
selbe seit  1630  angefertigt  und  in  seinem  Werke:  „Novae  coelestium 
terrestriumque  rerum  observationes“  1646  veröffentlicht  hat.  Auch 
Galileis  gelehrter  Freund  Sarpi,  der  berühmte  Gesohichtschreiber 
des  Tridentiner  Concils,  soll  sich  eifrig  mit  dum  Monde  beschäftigt 
haben.  Als  zur  selben  Zeit  Kepler  das  Fernrohr  auf  den  Mond 
richtete,  war  dieser  über  die  Regelmäfsigkeit  vieler  Mondgebilde,  die 
zumeist  einen  kreisförmigen  Wall  mit  kleiner  centraler  Erhebung 
zeigten,  erstaunt  und  hielt  sie  aus  diesem  Grunde  für  Werke  der 
Kunst,  für  Städte  der  Seienden,  welche  von  denselben  nach  bestimmtem 
Plane  ausgegraben  worden  wären,  wobei  der  aufgeworfene  Boden  zur 
Herstellung  des  Walles  gedient  hätte.9) 

*)  Sidereus  Nuncius  1610. 

*)  Joannis  Kepleri  Astronom!  opera  omnia  ed.  Frisch.  VoL  V1U, 
pars  1,  p.  67.  „Sed  ex  ipsa  cavilatum  liguratione  colligo,  loca  potius  esse 
palustris.  Atque  in  iia  eudymionidae  soleut  metari  spatia  suorum  oppidorum 

40* 


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Eine  der  ersten  Mondkarten  stammt  von  dem  Jesuiten  Van 
Langren,  dem  Mathematiker  des  Königs  Philipp  IV.  von  Spanien, 
welche  zwischen  1647  und  1657  zu  Brüssel  unter  dem  Titel: 
„Planisphaerium  lunae,  a se  mediantibus  telescopiis  observatum“  er- 
schien und  die  Mondformationen  mit  den  Namen  von  Heiligen  belegte. 
So  hiefs  das  jetzige  Ringgebirgo  Plato  der  heilige  Athanasius,  die 
Ringebene  Galilei  die  heilige  Genoveva  u.  s.  w.  Die  noch  gegen- 
wärtig bestehenden  Namen:  Catharina,  Cyrillus  und  Theophilus  datiren 
aus  jener  Zeit  Auch  Langrens  Karte  war  roh  und  übertrieben, 
wie  fast  alle  Abbildungen  der  damaligen  Selenographen. 

AU’  diese  Arbeiten  wurden  bei  weitem  übertroffen  durch  die 
„Selenographia,  sive  Lunae  Descriptio“  1647  des  Danziger  Rathsherm 
und  Brauereibesitzers  Hevelius,  welches  treffliche  Werk  495  Seiten 
Text  mit  40  von  ihm  selbst  gezeichneten  und  in  Kupfer  gestochenen 
Phasenbildern  dos  Mondes,  nebst  drei  Vollmond-Karten  (O,  P und  R) 
und  einer  schematischen  Mondkarte  mit  den  von  demselben  eingefuhrten 
Benennungen  enthält.  0 hat  einen  Durchmesser  von  16,3  cm,  P und 
R von  28,6  cm.  Die  beiden  letzteren  tragen  die  Jahreszahl  1645  und 
sind  bezeichnet:  P = Nativa  Lunae  Plenae  Facies  (ohne  Schatten- 
wurf der  Mondgebilde),  R — Tabula  Selenographica  Phasium  Generalis 
(mit  Schattenwurf  nach  Westen).  Diese  letzte  Generalkarte  dürfte 
hauptsächlich  gemeint  sein,  wenn  von  der  He ve Ischen  Vollmondkarte 
gesprochen  wird.  Sie  bietet  sich  dem  Auge  in  gefälligerer  Form  als 
P dar,  ist  wie  diese  in  Strichmanier  mit  mehr  oder  weniger  dichter 
Schraffirung  für  dunklere  oder  hellere  Partien  des  Mondes  ausgeführt 
und  blieb  etwa  100  Jahre  die  beste  Karte,  die  man  vom  Monde  über- 
haupt besafs.  Freilich  ist  sie  nach  heutigen  Begriffen  sowohl  hinsicht- 
lich ihrer  Ausführung  als  des  gebotenen  Details  eine  bescheidene 
Leistung;  doch  hat  man  zur  richtigen  Werthschätzung  derselben  die 
damalige  Zeit  mit  ihren  unvollkommenen  Fernrohren  und  beschränkten 
Hülfsmitteln  in  Betracht  zu  ziehen,  während  hingegen  die  Technik  des 
Kupferstiches  bereits  auf  dem  Standpunkte  hoher  Vollendung  war,  wie 
dies  die  acht  Engelsgestalten,  welche  die  beiden  gröfseren  Vollmond- 
Karten  umgeben,  und  besonders  das  dem  Werke  vorangestellte  Portrait 
Hevels  beweisen.  Diesbezüglich  schrieb  später  (1661)  Hevelius  an 
einen  Freund:10)  ..Die  Figuren  alle  mit  einander,  welche  in  meiner 
Selenographia,  Epistola  und  Dissertatione  de  nativa  Saturni  facie  vor- 

sui  muniondi  causa  tarn  contra  humorem  muscosum,  quam  contra  Solis  ardores, 
forto  etiam  contra  hostes.“ 

■"J  lt.  Wolf  .Geschichte  der  Astronomie-  1877,  S.  3-1. 


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handen,  sind  gar  nicht  geetzet,  sondern  habe  sie  alle  mit  meiner  Hand 
geschnitten,  gehet  zwar  viel  langsamer  zu,  ist  auch  viel  mühsamer, 
aber  man  kann  alles  viel  reinlicher  zu  wege  bringen.  Auch  alle  Fi- 
guren, die  in  meine  Cometographiam  und  machinam  coclestem  hinein 
sollen,  deren  ein  grofser  numerus,  gedenke  ich  wils  Gott  Selbsten  zu 
schneiden,  wozu  aber  viel  Zeit  gehört.“  — Das  genannte  Werk  ist  die 
Frucht  einer  fünfjährigen  Beobachtung  des  Mondes,  welche  Hevelius 
auf  seiner  eigenen  Sternwarte,  an  welcher  dessen  zweite  Frau  Marga- 
retha Koopmann  die  geschickteste  Gehülfin  war,  an  6-  und  12-rüfsigen, 
von  ihm  selbst  verfertigten  Fernrohren  bei  30-  bis  40-facher  Ver- 
gröfserung  ausführte.  Da  er  ein  Mikrometer  nicht  besafs,  so  beruhen 
die  Zeichnungen  nur  auf  Schätzungen.  Das  ganze  Unternehmen  wäre 
aber  fast  infolge  des  Umstandes  gescheitert,  dafs  Hevelius  zu  Beginn 
seiner  Arbeit  erfuhr,  es  habe  der  Pariser  Mathematiker  und  Astronom 
Gassendi  mit  Hülfe  eines  tüchtigen  Zeichners  und  Kupferstechers  eine 
gleiche  Mondaufnahme  in  Angriff  genommen.  Er  richtete  deshalb  eine 
bez.  Anfrage  an  Gassendi,  welcher  einige  Proben  seiner  Mondzeich- 
nungen beigefügt  waren,  und  deren  Erfolg  schliefslich  darin  bestand, 
dafs  Gassendi  solchen  Leistungen  gegenüber  zurücktrat  und  Hevelius 
dringend  auflbrderte,  das  Begonnene  fortzusetzen.  Die  Selenographia 
ist  Hevels  erstes  Werk  und  bleibt  für  alle  Zeiten  ein  ehrwürdiges 
Denkmal  ausdauernder  wissenschaftlicher  Thätigkeit.  Es  erregte  seiner 
Zeit  so  grofses  Aufsehen,  dafs  Papst  Innocenz  X.  darüber  den  Ausspruch 
gethan  haben  soll:  „Sarebbe  questo  libro  senza  pari,  se  non  fosse  scritto 
da  un’  eretico,“  '*)  und  der  berühmte  Mondtopograph  Mädler  sagt  wört- 
lich:12) „Dem  unermüdlichen  Eifer  und  der  grofscn  Geschicklichkeit 
des  unvergefslichen  Hevel  war  es  Vorbehalten,  ein  Werk  dieser  Art 
zu  erschaffen,  welches  für  die  damaligen  Ilülfsmittel  von  höchster  Vor- 
trefllichkeit  war,  und  aufser  seinen  anderen  astronomischen  Arbeiten 
ihm  allein  schon  die  Unsterblichkeit  sichert“  Leider  ist  von  seinen 
Kupferplatten  nur  die  Vollmoudkarto  erhalten  geblieben,  welche  noch 
gegenwärtig  in  der  Form  eines  Kaffeebrettes  existiren  soll. 

Hevelius  hatte  ursprünglich  die  Absicht  die  verschiedenen  For- 
mationen auf  dem  Monde  mit  den  Kamen  von  bedeutenden  Gelehrten 
zu  belegen,  kam  aber  schliefslich  von  dieser  Idee  ab,  da  man,  wie  er 
sagt  leicht  glauben  könnte,  er  wolle  damit  irgend  welchen  Dank  ein- 
ernten, und  da  andererseits  er  sich  dadurch  viel  Neid  und  Feindschaft  zu- 

,l)  .Dieses  Buch  würde  olmo  seines  Gleichen  sein,  wenn  es  nicht  von 
einem  Ketzer  geschrieben  wäre.“ 

**)  Beer  und  Mädler  .Der  Mond“  1837,  S.  181. 


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gezogen  haben  würde.'*)  Er  wählte  deshalb  Namen  aus  der  Geographie, 
ohne  jedoch  damit,  wie  er  sich  ausdrücklich  verwahrt,  Aehnlichkeiten 
zwischen  terrestrischen  und  lunaren  Objekten  andeuten  zu  wollen.  Auf 
p.  228—235  derSelenographia  kommen  bereits  die  Gebirgsnamen:  Alpen, 
Apenninen,  Haemus,  Karpathen.  Kaukasus,  Riphaeus,  Taurus  vor,  welche 
sich,  wie  die  von  ihm  bezeichneten  Meere:  Mare  Serenitatis,  Mare 
frigoris,  Oceanus  Procellarum  etc.  bis  heute  erhalten  haben.  Ob  Heve- 
lius  Langrens  Heiligen-Namen  überhaupt  nicht  kannte  oder  dieselben 
einfach  ignorirte,  ist  mit  Sicherheit  nicht  zu  entscheiden. 

Eine  andere  Vollmondkarte  findet  sich  in  dem,  von  dem  Jesuiten 
Riccioli  1651  herausgegebenen  „Almagestum  novum“  und  ist  von 
dem  Jesuiten  Grimaldi,  dem  Entdecker  der  Lichtbeugung  angefertigt 
worden.  Diese  Karte  hat  einen  Durchmesser  von  28,0  cm,  ist  in  ihrer 
Strichmanier  gröber  als  die  desllevelius  und  steht  derselben  überhaupt, 
wie  dieses  schon  der  blofse  Anblick  darthut,  durch  ihre  Uebertreibung 
und  geringere  Sorgfalt  bedeutend  nach.  Mit  ihrer  Veröffentlichung  ist 
aber  Riccio'is  Name  insofern  bekannter  als  der  anderer  Selenographen 
geworden,  <’a  jener  die  ursprüngliche  Idee  des  Hevelius  zur  Ausfüh- 
rung brachte  und  dio  Mondgebilde  mit  den  Namen  hervorragender 
Männer  bezeichnete,  eine  Nomenklatur,  die  sich,  Dank  der  menschlichen 
Eitelkeit,  bis  zur  Gegenwart  erhalten  hat  und  fast  von  jedem  Mond- 
forscher vermehrt  wird.  Miidler  äufsert  sich  darüber,  wie  folgt: '*) 
„Eine  weit  weniger  vollkommene  Mondkarte  (als  diejenige  von  Heve- 
lius) lieferte  1651  der  Pater  Riccioli  in  Bologna.  Diese  Erscheinung 
wäre  in  der  astronomischen  Welt  ziemlich  unbeachtet  vorübergegangen, 
hätte  der  Verfasser  nicht  durch  Autoreitelkeit  eine  den  späteren  Astro- 
nomen empfindliche  Verwirrung  angerichtet.  Um  nämlich  seinem 
eigenen  Namen  auf  dem  Monde  eine  Stelle  zu  verschaffen,  fand  er  sich 
bewogen,  die  durch  Hevel  eingeführte,  von  Ländern  und  Meeren  un- 
serer Erde  entnommene  Nomenklatur  umzustofsen,  und  den  Mondflecken 
die  Namen  berühmter  Gelehrten  beizulegen.1-11)  Ergänzend  ist  zu  be- 
merken, dafs  Riccioli  sich  selbst  mit  einer  der  gröfsten  Wallebenen 
am  östlichen  Rande  des  Mondes  und  seinen  Freund  Grimaldi  mit 
einer  ähnlichen  ebendaselbst  bedacht  hat. 

Noch  ist  hervorzuheben  eine  Mondkarte  von  20  Zoll  (54.1cm)  Durch- 

”)  Hevelii  Selenographia  1647,  p.  224:  „faiäle  fleri  possc,  ut  cum  nomen- 
clatura  ista  modo  designata,  gratiam  colligere  aliipmm  veilem,  invidiam  atque 
inimicitirm  mihi  f1  r'e  conflarem.“ 

M)  Beer  und  Miidler  -Der  Mond“  1837,  S.  184. 

'*)  Vgl.  X ei  so u „Der  Mond-  1878,  S.  60,  welcher  günstiger  über  Riccioli 
urtheilt. 


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messer,  welche  Dominique  Cassini  durch  einen  geübten  Zeichner 
Patigny  seit  1673  mit  einem  34-fiifsigen  Fernrohr  der  Pariser  Sternwarte 
anfertigen  liefs,  und  welche  1680  veröffentlicht  wurde.  Dieselbe  übertraf 
die  Hevelsehe  wohl  an  Vollständigkeit,  nicht  aber  an  Genauigkeit. 
Auch  sie  beruhte  in  der  Hauptsache  auf  Schätzungen  und  scheint  bald 
vergriffen  gewesen  zu  sein,  so  dafs  sie  sich  wahrscheinlich  gar  nicht 
nach  Deutschland  verbreitet  hat  Erst  1787  erschien  eine  neue  Aus- 
gabe derselben  von  Lalande.  Auch  Lahire,  welcher  vom  Maler 
und  Architekten  zum  Professor  der  Mathematik  in  Paris  avancirte, 
soll  sich  mit  einer  grofsen  Mondkarte  versucht  haben,  welche  aber 
niemals  gestochen  worden  ist. 

Eine  neue  und  grundlegende  Epoche  für  die  Darstellung  der 
Mondobarfläche  begann  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahrhunderts  durch 
die  Arbeiten  von  Tobias  Mayer.  Im  Jahre  1748,  als  derselbe  noch  Mit- 
arbeiter am  Homan  sehen  Landkarten-Institute  zu  Nürnberg  war,  empfand 
Mayer  bei  der  beabsichtigten  Vorausberechnung  der  verschiedenen 
Phasen  einer  Mondfinstemifs  desselben  Jahres  den  Mangel  von  ge- 
nauen Positionen  für  die  einzelnen  Mondtlecken  und  entschlofs  sich 
alsbald,  die  selenographische  Länge  und  Breite  mehrerer  Punkto  der 
Mondscheibe  mit  dem  Mikrometer  zu  messen.  Er  führte  dieses  Vor- 
haben innerhalb  1 1/2  Jahren  aus,  indem  er  fiir  eine  Generalkarte  des 
Mondes  im  Durchmesser  von  7 */2  Pariser  Zoll  (20,3  cm)  24  Mond- 
llecken  möglichst  scharf  und  wiederholt  mafs,  und  an  diese  noch  63 
Punkto  durch  sorgfältige  Schätzungen  anschlofs.  Andere  Arbeiten 
des  seit  1751  berühmten  Professors  der  Oekonomie  und  Mathematik 
in  Göttingen  und  sein  früher  Tod  1762  im  Alter  von  30  Jahren  ver- 
hinderten die  Herausgabe  dieser  zwar  kleinen,  doch  alles  Frühere 
an  Genauigkeit  übertreffenden  Mondkarte,  bis  sie  endlich  1775  durch 
Lichtenberg,  Professor  der  Physik  in  Göttingen,  unter  Mayers 
„Opera  inedita“  veröffentlicht  wurde.  Sie  blieb,  wie  vordem  die 
Hevelsehe,  die  vorzüglichste  Karte  bis  1824  und  war  die  Grundlago 
zahlreicher  Nachbildungen. 

Es  mag  wunder  nehmen,  dafs  Mayers  Vorgänger  nicht  eben- 
falls auf  den  Gedanken  der  Messung  verfielen.  Doch  ist  zu  beachten, 
dafs  früher  die  Mondtheorie  sich  noch  in  ihrer  Kindheit  befand,  und 
die  Herücksichtigung  der  scheinbaren  Schwankungen  der  Mondkugel 
gegen  die  Gcsichtslinie  (der  sogenannten  Libration)  zu  schwierig  er- 
schien. Wir  unterscheiden  bekanntlich  dreierlei  Arten  von  Libration 
(libraro  = schwanken,  schwingen):  1.  Die  Libration  in  Länge,  2.  die 
Libration  in  Breite  und  3.  dio  parallaktische  Libration.  Dio  erste 


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geht  aus  dem  Umstaude  hervor,  dafs  die  Rotationsgeschwindigkeit  des 
Mondes  und  die  Geschwindigkeit  seiner  elliptischen  Bewegung  um  die 
Erde  nicht  immer  gleioh  sind.  Erstere  ist  konstant,  letztere  nach  den 
Kepl ersehen  Gesetzen  veränderlich.  Derart  geschieht  es,  dafe  bei 
der  Fortbewegung  des  Mondes  auf  seinem  monatlichen  Wege  um  die 
Erde  nicht  auch  die  Mondkugel  sich  stets  um  ein  Gleiches  nach  der 
Gesichtslinie  zurückdreht  und  auf  diese  Weise  jener  Punkt,  welcher 
ursprünglich  in  der  Mitte  der  Monscheibe  lag,  nicht  immer  dort  ver- 
bleibt. Er  rückt  vielmehr  bald  östlich,  bald  westlich,  wodurch  neue 
Partien  am  Westrande  bezw.  am  Ostrande  des  Mondes  zum  Vorschein 
kommen,  dagegen  an  den  entgegengesetzten  Rändern  die  alten 
scheinbar  verschwinden.  Dieses  Spiel  wiederholt  sich  in  jedem  Mond- 
monate und  kann  mit  dem  Fernrohr  deutlich  verfolgt  werden.  Die 
Wirkung  iiufsert  sich  in  jener  Riohtung,  in  welcher  der  Astronom  die 
Längen  auf  dem  Mondo  zählt;  daher  der  Name.  Sie  wurde  zuerst 
von  Hevel  und  Riccioli  beobachtet.  — Die  zweitgenannte  Libration 
rührt  daher,  dafs  die  Utndrehungsaxe  des  Mondes  nicht  genau  senk- 
recht zur  Mondbahn  steht  Deshalb  ereignet  es  sich,  dafs  wir  zu- 
weilen über  den  Nordpol  des  Mondes  hinweg  oder  unter  den  Südpol 
desselben  sehen,  ähnlich,  wie  dies  für  einen  Beschauer  unserer  Erde 
von  der  Sonne  aus  der  Fall  sein  würde,  und  dafs  die  mittleren 
Partien  des  Mondes  kleine  Schwankungen  in  der  Breite  ausfiihren.  — 
Endlich  erklärt  sich  die  parallaktische  Libration  dadurch,  dafs  der 
Mond  nur  60  Erdhalbmesser  von  uns  entfernt  ist,  und  es  nicht  gleich- 
giltig  erscheint,  von  welchem  Punkte  der  Erde  aus  wir  ihn  betrachten 
oder  welche  Höhe  er  in  seinem  Tageslaufe  über  dem  Horizonte  des 
Beobachters  einnimmt  Letztere  beiden  Librationen  wurden  schon  von 
Galilei  entdeckt.  Aufser  diesen  drei  optischen  Librationen  lehrt  die 
Theorie  noch  eine  vierte,  thatsächliche  Schwankung  des  Mondes  (die 
sogenannte  physische  Libration),  über  welche  jedoch  ihres  geringen 
Betrages  wegen  die  Untersuchungen  noch  im  Gange  sind.  — Durch 
dieses  scheinbare  Hin-  und  Herpendeln  des  Mondes  um  die  Gesichls- 
linie,  zufolge  dessen  wir  in  jedem  Mondmonate  4/,  der  ganzen  Mond- 
oberfläohe  gewahr  werden,  während  eigentlich  nur  3 /,  derselben  uns 
stets  unbekannt  bleiben,  müssen  also  zahlreiche  perspektivische  Ver- 
kürzungen der  Mondgebilde  auflreten,  welche  zur  Erkenntnifs  der 
wahren  Gestalt  dieser  Formationen  in  Rechnung  zu  ziehen  sind.  Man 
entwirft  daher  eine  solche  Mondkarte  für  die  sogenannte  mittlere 
Libration,  und  das  ist  es,  was  zuerst  Mayer,  später  auch  Lambert 
tgost.  1777),  doch  mit  geringerem  Erfolge,  ausgefiihrt  hat. 


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Mayer  hatte  auch  einen  Mondglobus  in  24  Sektionen  in  Angriff 
genommen,  worüber  er  selbst  in  der  Schrift:  .Bericht  von  den  Mond- 
kugeln, welche  bei  der  Kosmographischen  Gesellschaft  in  Nürnberg  ge- 
fertigt werden“  1750  Erwähnung  thut,  vollendete  aber  nur  4 Sektionen 
bis  zu  seinem  Tode.  Aus  dessen  reichem  Nachlafs  ging  1881  durch 
Klinkerfues,  den  Direktor  der  Güttingener  Sternwarte,  eine  Vollmond- 
karte im  Durchmesser  von  35,0  cm  mit  zahlreichen  Abbildungen 
grüfserer  Einzelpartien  des  Mondes  unter  dem  Titel:  .Tobias  Mayers 
gröfsere  Mondkarte  nebst  Detailzeichnungen“  hervor.  Dieselbe  zeigt 
für  alle  Objekte  einen  kurzen  Schattenwurf  nach  Osten  und  bietet 
wohl  im  Vergleich  zu  späteren  Darstellungen  nicht  sehr  viel  Detail, 
überragt  aber  an  Feinheit  und  Genauigkeit  beträchtlich  die  Hevelsche 
Aufnahme  und  nähert  sich  bereits  den  neuesten  vorzüglichen  Arbeiten 
auf  diesem  Gebiete. 

In  ganz  anderer  Weise  als  Tobias  Mayer  beschäftigte  sich 
gegen  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  der  ileifsige  Oberamtmann 
Schröter  zu  Lilienthal  bei  Bremen  mit  dem  Monde.  Derselbe  beob- 
achtete auf  seiner  Privatsternwarte  mit  Instrumenten,  welche  nach  den 
Ilerschelschen  die  besten  der  damaligen  Zeit  waren,  und  s eilte  sich 
die  Aufgabe,  eine  Reihe  von  Mondpartien  mit  solcher  Treue  und  Aus- 
führlichkeit darzustellon,  dafs  man  in  späteren  Zeiten  durch  Verglei- 
chung mit  diesen  Zeichnungen  etwaige  Veränderungen  auf  dem  Monde 
nachweisen  könnte.  Derart  entstand  Schröters  umfangreiches  Werk: 
„Selenotopographische  Fragmente  zur  genauen  Kenutnifs  der  Mond- 
fläche“, dessen  erster  Band  1791  zu  Lilienthal,  der  zweite  1802  zu 
Göttingen  auf  Kosten  des  Verfassers  erschien.  Dasselbe  enthält 
75  Tafeln,  von  denen  Tab.  V die  Reproduktion  der  kleinen  May  er- 
sehen Vollmondkarte  in  einem  Durchmesser  von  19,1  cm  ist,  sechs 
Tafeln  geometrischen  Betrachtungen  dienen  und  08  Tafeln  der  Dar- 
stellung spezieller  Mondgegenden  gewidmet  sind.  Für  die  Aufnahmen 
vor  1792  wurden  4-fiifsige  und  7-füfeige  Spiegelteleskope,  letzteres 
mit  161 — 210-facher  Vergrößerung,  für  jene  nach  dieser  Zeit  13-füfsige 
und  27-füfsige  Reflektoren  mit  150 — 300-fachen  Vergröfserungen  ver- 
wendet. Bei  aller  Anerkennung  des  Fleifses  und  der  Ausdauer  dieses 
emsigen  Beobachters  kann  über  dessen  Detailzeichnungen  des  Mundes 
nur  wenig  Günstiges  gesagt  werden.  Der  Kundige  erkennt  auf  den 
ersten  Blick,  dafs  Schröter  im  Zeichnen  nur  ein  Dilettant  gewesen 
und  sich  eine  viel  zu  schwierige  Aufgabe  gestellt  hat.  Ueberall  ver- 
rnifst  man,  obwohl  der  Schattenwurf  der  Berge  und  Krater  dargestellt 
erscheint,  eine  der  Wirklichkeit  nur  einigermafsen  entsprechende 


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Plastik,  über  welchen  Mangel  Schröter  selbst  bemerkt16):  „Bey  der 
Zeichnung  der  Charten  kam  es  mir  zwar  eigentlich  nicht  auf  ein 
sanftes  Gemählde  und  mahlerische  Schattirung,  vielmehr  nur  Alles  auf 
Bestimmtheit,  Genauigkeit  und  Deutlichkeit  in  der  Bezeichnung  eines 
jeden,  selbst  des  kleinsten  Gegenstandes  an“  und  begegnet  einer  auf- 
fallenden Schattirungs- Willkür  und  Manirirtheit,  die  sich  namentlich  in 
derCharakterisirung  aller  Erhebungen,  besonders  der  Kraterwälle  äufsert, 
welch’  letztere  stets  wie  Rabatten  oder  Einfassungen  von  Blumenbeeten 
aussehen.  In  dieser  Beziehung  stand  Schröters  Können  entschieden 
hinter  seinem  Wollen  zurück.  Wenn  dessen  Abbildungen  trotzdem 
von  einzelnen  Mondforschern  als  treu l7)  bezeichnet  werden,  so  kann 
dies  nur  auf  die  allgemeinen  Umrisse  Bezug  nehmen.  Dem  ist  aber 
die  folgende  Mädlersche  Aeufserung  entgegonzuhalten IS) : „Ueber- 
haupt  aber  wäre  es  weit  fruchtbarer  gewesen,  vorerst  nur  das  ge- 
sehene Detail  möglichst  treu  in  Zeichnungen  wiederzugeben,  die  Orien- 
tirung  und  Reduktion  aber  nicht  seinen  Lesern  zu  überlassen, 
denen  dies  oft  ganz  unmöglich  ist,  dann  würde  für  nachfolgende 
Forscher  ein  sicherer  Anhaltpunkt  für  ihre  Beobachtungen  gewonnen 
worden  sein.“  Da  Schröter  aufserdem  keine  sclenographischen 
Längen-  und  Breitenbestimmungen  ausführte,  sondern  nur  eine  Pro- 
jektionsmaschine anwandte,  welcho  einer  gröfseren  Genauigkeit  nicht 
fähig  war,  so  hat  er  im  allgemeinen  durch  seine  Detailzeichnungen 
den  beabsichtigten  Zweck  nicht  erreicht;  immerhin  bietet  aber  der 
reiche  Text  mit  zahlreichen  Wahrnehmungen,  Beschreibungen,  Ilöhen- 
und  Tiefenmessungen  viel  Beachtenswerthes,  das  der  erfahrene  Sele- 
nograph  auch  mit  Vortheil  verwenden  wird.  In  diesem  Sinne  ist  wohl 
Schmidts  Urtheil,  wo  derselbe  von  Schröters  Höhenmessungen 
der  Randberge  des  Mondes  spricht,  zu  verstehen,  welches  lautet:111) 
„Was  Schröter  mit  seinen  angeblich  so  unvollkommenen  Hiilfsmitteln 
geleistet  hat,  ist  bewundernswerth.  Ein  geborener  Beobachter  gelangt 
auch  mit  geringen  Mitteln  zum  Ziele.“  — Während  Galilei  und 
Hevelius  die  Berghöhen  aus  dem  Abstande  der  Lichtinseln,  d.  i.  der 
beleuchteten  Bergspitzen  von  der  Lichtgrenze  ableiteten,  bediente  sich 
Schröter  einer  besseren  Methode  der  Höhenmessung,  deren  theo- 
retische Begründung  er  hauptsächlich  Olbers  verdankte,50)  und  welche 

>"■)  I.  Bd.  9.  73. 

”)  Neison  .Der  Mond“  1878,  S.  67. 

*•)  Beer  und  Mädlor  ,Der  Mond“  1837,  S.  185. 

*’)  Schmidt,  „Charte  der  Gebirgo  des  Mondes"  1878,  S.  23. 

»)  I.  Bd.  S.  89—102. 


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567 


noch  heute  im  Gebrauche  ist.  Er  mafs  nämlich  die  Länge  des  Schattens, 
welchen  die  Mondberge  werfen  und  verband  damit  die  Winkelhöhe 
der  Sonne  über  dem  Mondhorizonte,  welche  einfach  aus  der  Winkel- 
distanz des  Berges  von  der  Beleuchtungsgrenze  in  senkrechter  Rich- 
tung zu  dieser  hervorgeht,  ähnlich,  wie  wir  auch  auf  der  Erde  fiir 
einen  Ort,  welcher  in  der  Beleuchtungsgrenze  liegt,  sagen,  dafs  die 
Sonne  sich  in  dessen  Horizonte  (Höhe  = 0"),  fiir  einen  anderen  aber, 
der  90°  davon  entfernt  ist,  dafs  die  Sonne  sich  in  dessen  Zenithe 
(Höhe  = 90°)  befinde.  Diese  Messungen,  sowie  jene,  welche  aus  der 
Vergleichung  der  Randerhebungen  mit  dem  Monddurchmesser  erhalten 
werden,  gaben  ihm  gute  Resultate,  die  später  vielfache  Bestätigung 
fanden.  Für  die  Helligkeitsunterschiede  auf  dem  Monde  führte  Schröter 
zehn  verschiedene  Grade  oder  Stufen  ein  und  bezeichnete  mit  0 Grad 
Licht  die  schwarzen  Bergschatten,  mit  10  Grad  den  Lichtgianz  von 
Aristarch,  des  hollsten  Punktes  auf  dem  Monde;  auch  benannte  er 
zuerst  die  kleineren  Objekte  der  Mondscheibe  mit  lateinischen  und 
griechischen  Buchstaben.  Schröter  ist  ferner  der  erste  Entdecker  einer 
Mond-Rille  (Spaltes)  im  Jahro  1787,  deren  Anzahl  er  bis  1801  auf  11 
gebracht  hat.  — Wie  bekannt,  beobachtete  Schröter  auch  fleifsig  die 
Planeten  und  galt  seiner  Zeit  als  der  Herschel  Deutschlands;  auf  seiner 
Sternwarte  empfingen  Harding  und  Bessel  ihre  erste  Ausbildung 
in  der  praktischen  Astronomie.  Leider  ist  dessen  schönes  Obser- 
vatorium im  Jahre  1813,  als  der  französische  Feldherr  Vandamme 
Bremen  besetzte  und  das  nahe  Lilienthal  in  Flammen  aufging,  mit  der 
ganzen  Habe  an  Büchern  und  Schriften  vernichtet  worden.  Schröter 
überlebte  diese  für  ihn  besonders  schmerzliche  Katastrophe  nur  3 Jahre 
und  starb  zu  Erfurt  am  29.  August  1816. 

Bevor  auf  die  neuesten  und  mit  gröfster  Sorgfalt  ausgeführten 
Mondaufnahmen  übergegangen  werde,  sei  noch  kurz  Gruithuisens 
•gedacht,  welcher  zuerst  Feldchirurg,  später,  seit  1826  Professor  der 
Astronomie  an  der  Münchener  Universität  gewesen  und  sich  ebenfalls 
viel  mit  dem  Monde  beschäftigte.  Seine  Zeichnungen  sollen  nach 
Kleins  Urtheil21)  „eine Treue  und  Feinheit  besitzen,  welche  den  Kenner 
des  Mondes  in  Bewunderung  setzt“  Gruithuisen  kam  nur  in  Miß- 
kredit durch  seine  vermeintlichen  Entdeckungen  von  Bauwerken, 
Kunsterzeugnissen  und  dergl.  auf  dem  Monde,22)  welche  von  Be- 
wohnern desselben  herrühren  sollten. 

*')  Astr.  Nadir.  Bd.  95,  S.  297. 

a)  Vergl.  Gruithuisen  „Naturgeschichte  des  gestirnten  Himmels“  1S3G, 
S.  194-205. 


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568 


Den  gröfsten  Schritt  voilführte  die  Darstellung  der  Mondober- 
fläche durch  die  trefflichen  Arbeiten  des  sächsischen  Geodäten  und 
späteren  Inspektors  und  Direktors  der  Kgl.  sächs.  Kameralvermessung, 
W.  Gotthelf  Lohrmann,  des  Sohnes  eines  Ziegelmeisters.  Als  Kenner 
feiner  Messungsmelhoden  und  als  geübter  Zeichner  von  Landkarten, 
war  derselbe  besonders  geeignet,  die  sich  selbst  gestellte  Aufgabe:  „Die 
Mondberge  und  die  Mondfarbe  möglichst  treu  darzustellen,  Messungen 
und  Zeichnungen  auszufiihreu  nach  Methoden,  welche  von  der  Wissen- 
schaft anerkannt  sind“,  zu  lösen.  Er  wich  dabei  von  der  bis  dahin 
üblichen  Zeichnungsart  der  Mondgebilde  ab  und  wandte  dieselben 
Grundsätze,  welche  seit  dem  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  bei  der 
Abbildung  von  terrestrischen  Erhebungen  durch  den  sächsischen 
Major  Lehmann  (geb.  1765,  gest  1811)  zur  Geltung  gebracht  wurden, 
auf  den  Mond  an.0)  In  Lohrmanns  1824  erschienener  .Topographie 
der  sichtbaren  Mondoberfläche.  Erste  Abtheilung“  heifst  es  diesbe- 
züglich S.  35:  „Nach  dieser  (Lehmanns)  Theorie  denkt  man  sich 
bei  Ansicht  einer  Gegend  senkrecht  über  jedem  Punkte  derselben, 
und  sieht  alle  Berghäuge  in  den  horizontalen  Entfernungen  von  ein- 
ander, in  welchen  sie  einzig  und  allein  in  der  Charte  dargestellt  werden 
können.  Die  verschiedenen  Abdachungen  der  Berge  werden  dann 
nach  dem  Yerhältuifs  ihrer  Steilheit,  eine  grüfsere  oder  geringere 
Neigung  gegen  die  angenommene  vertikale  Gesichtslinie  haben.  Denkt 
mau  sich  nun  diese  Berge  senkrecht  erleuchtet,  so  werden  die  hori- 
zontalen Flächen  das  hellste,  die  schrägsten  Seiten  derselben  aber  das 
matteste  Licht  zurückwerfen.  Diese  Licht -Verschiedenheit  ist  daher 
für  ein  natürliches  Mittel  erkannt  worden,  die  Berge,  der  Wahrheit 
entsprechend,  durch  den  Uebergang  vom  Weifsen  zum  Schwarzen 
darzustellen.  Da  aber  eine  Bergparthie  in  ihrer  Lage  nur  erkannt 
werden  kann,  wenn  man  aufser  der  Steilheit  auch  die  Richtung 
des  Abhanges  weifs,  so  wählt  man,  um  beiden  Erfordernissen  aufs 
vollkommenste  Gnüge  leisten  zu  können,  schwarze  Striche  und 
zeichnet  die  Berge  mit  denselben  so,  dafs  sie  allemal  senkrecht  auf 
der  horizontalen  Ebene  stehen,  in  welche  man  sich  einen  Berg  zer- 
schnitten denkt  und  durch  ihre  Lage  die  Richtung,  durch  ihre  Stärke 
und  Nähe  aber  die  Steilheit  des  Abhanges  angeben.“  Während 
jedoch  Lehmann  für  die  Erdformationen  die  horizontale  Fläche  ganz 
hell,  dagegen  die  schiefe  Fläche  von  45°  bereits  vollkommen  schwarz 

-1)  Einen  Theil  der  Lohrmannscheu  Mondkarte  haben  wir  gegen  das 
Original  etwas  verkleinert,  im  4.  Hefte  unserer  Zeitschrift  Seite  220  reproducirt 

Die  Hed. 


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509 


darstellte,  mufste  beim  Monde  wegen  der  grofsen  Steilheit  seiner  Berge 
diese  Skala  bis  90°  ausgedehnt  werden,  so  dafs  die  horizontale  Fläche 
von  Lohrmann  weifs,  die  schiefe  Fläche  von  45°  halbschwarz  und 
der  senkrechte  Abhang  von  90°  ganz  schwarz  gezeichnet  wurde.  Für 
die  Abbildung  der  ganzen  Scheibe  benutzte  derselbe  die  sog.  ortho- 
graphische Projektion,  bei  welcher  der  mittelste  Meridian  eine  gerade 
Linie  ist,  die  durch  den  Nord-  und  Südpol  des  Mondes  geht,  während 
die  anderen  Meridiane  als  Ellipsen,  welche  gegen  den  Rand  hin  sich  all- 
mählich öffnen,  und  die  Parallelkreise  wieder  als  gerade  Linien  erschei- 
nen. Durch  diese  Darstellungsweise  wird  in  der  That  am  besten  dem 
Anblicke  des  Mondes  von  der  Erde  aus,  welcher  gleich  jenem  aus  der 
Vogelperspektive  ist,  entsprochen. 

Lohrmanns  Beobachtungsraum  befand  sich  im  4.  Stocke  eines 
Hauses  der  Pirnaschen  Vorstadt  zu  Dresden.  Seine  Instrumente  waren 
ein  gröfseres  sechsfüfsiges  Fernrohr  mit  54  Pariser  Linien  (121.8  mm) 
Oeffmmg  und  ein  kleineres  vierfüfsiges  mit  37  Pariser  Linien  (83.5  mm) 
Oeffnung,  welche  beide  Objektive  von  Fraunhofer  besafsen,  ferner 
ein  Fadenmikrometer,  das  an  jedes  dieser  Teleskope  für  die  beabsich- 
tigten Messungen  angebracht  werden  konnte.  Die  ersten  Versuche  im 
Messen  und  Zeichnen  machte  Lohrmann  im  Winter  1821 — 1822  an 
Eratosthenes  und  einem  Theil  der  Apenninen,  und  begann  die  fort- 
laufenden Beobachtungen  im  Herbste  1822.  Den  ursprünglichen  Plan 
für  eine  Karte  von  4 Fufs  Durchmesser  hat  derselbe  bald  wieder  auf- 
gegeben und  sich  schliefslich  für  eine  Karte  von  3 Pariser  Fufs 
(97.45  cm)  Durchmesser  in  25  Sektionen  entschieden.  Leider  sind 
davon  nur  die  4 ersten  Sektionen  in  dem  oben  genannten  Werke  (von 
je  19.2  cm  Gröfse  im  Quadrat,  nach  direkter  Abmessung)  von  ihm 
selbst  erschienen,  die  aber  alles  Vergangene  weit  zuriickliefsen, 
ebensowohl  in  Bezug  auf  dio  Sorgfalt  der  selenographischen  Ortsbe- 
stimmungen, welche  24  Punkte  in  diesem  Theile  der  Mondscheibe  um- 
fassen, als  auch  hinsichtlich  der  grofsen  Schönheit  der  nach  dem 
erwähnten  Prinzip  ausgeführton  Zeichnung.  Mädler  äufsert  sich 
darüber  folgendermaßen : -4)  „Durch  Lohrmanns  Darstellung  ist  ein 
Beobachter  wirklich  in  den  Stand  versetzt,  welchen  Schröter  ihm 
verschafft  zu  haben  wähnte,  von  seiner  Sternwarte  aus  mit  einem  guten 
Fernrohr  die  Mondländer  gewissermafsen  durchreisen  zu  können,  um 
ihre  Thäler,  Berge  und  sonstigen  Unebenheiten  kennen  zu  lernen.“ 
Zur  Reduktion  der  Messungen  auf  mittlere  Libration  bediente  sich 


34 ) Beer  u.  Mädler,  .Der  Mond*  1837,  S.  18C. 


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570 


Lohrmann  einer  ihm  von  Encke  mitgetheiltcn  Methode  der  Berech- 
nung, bei  welcher  ihn  der  Steuereinnehmer  Opelt  in  Wurzen  mit 
gröfstem  Fleifse  unterstützte.  Die  Höhen  der  Mondberge  hat  Lohr- 
mann  nicht  gemessen,  sondern  dort,  wo  er  sie  benöthigte,  die 
Schröterschen  Angaben  benützt  Im  Jahre  1824  hoffte  Lohrmann, 
die  ganze  Arbeit  in  weiteren  sechs  Jahren  vollendet  zu  haben,  wurde 
aber  durch  die  Erkrankung  seiner  Augen  mehrfach  daran  verhindert, 
so  dafs  dies  nicht  vor  1836  geschehen  konnte,  während  die  Veröffent- 
lichung aller  25  Sektionen  eist  1878  erfolgte.  Er  selbst  gab  nur  noch 
im  Jahre  1838  eine  kleinere  Generalkarte  des  Mondes  von  38.5  cm 
Durchmesser,  welche  von  Werner  in  Dresden  lithographirt  wurde, 
heraus,  die  aber  ein  reiches  Detail  in  vorzüglicher  Durchführung  aufweist, 
und  starb  1840  zu  Dresden. 

Lohrinauns  Bleistiftzeichnungen,  welche  derselbe  vor  dem  Fern- 
rohr angefertigt,  waren  schon  1854  nicht  mehr  vorhanden.  Von  seinen 
25  Sektionen,  welche  mit  der  Feder  gezeichnet  und  deren  Kolorit 
durch  Tuschirungen  und  Ziffern  angedeutet  worden,  sind  jedoch  24 
erhalten  geblieben  und  1874  der  Leipziger  Sternwarte  zur  Aufbe- 
wahrung übergeben  worden.  Ein  besonderes  Mifsgeschick  verzögerte 
durch  eine  Reihe  von  Jahrzehnten  das  Erscheinen  der  noch  ihrer 
Veröffentlichung  harrenden  21  Mondsektionen.  Zunächst  waren  es 
pekuniäre  Schwierigkeiten,  welche  jedoch  bald  von  der  Verlagsbuch- 
handlung W.  A.  Barth  in  Leipzig  behoben  wurden,  während  anderer- 
seits Finanzrath  Opelt  zu  Dresden  den  Fortschritt  des  Kupferstiches 
und  die  Korrektur  der  Tafeln  überwachte.  L'm  das  Werk  in  rascherer 
Weise  zu  fördern,  wurde  1851  die  Redaktion  desselben  dem  erfahrenen 
Mondbeobachter  Schmidt  in  Bonn  übertragen;  doch  noch  im  selben 
Jahre  starb  W.  A.  Barth.  Die  Verhandlungen  mit  dessen  Sohne 
A.  A.  Barth  nahmen  indefs  im  Jahre  1853  einen  günstigen  Verlauf, 
und  Schmidt  liefs  sich  von  da  an  die  Probetafeln  nach  Olrnütz,  von 
1858  an  nach  Athen  schicken.  Da  starb  aber  im  Jahre  18G3  Opelt 
Glücklicherweise  trat  au  dessen  Stelle  sein  Sohn,  der  Promierlieutenant 
Opelt,  unter  dessen  fernerer  Leitung  die  sämtlichen  Tafeln  allmählich 
ihrer  Vollendung  entgegengingen.  Das  nahe  Ziel  sollte  jedoch  durch 
den  Tod  von  A.  A.  Barth  im  Jahre  1869  und  den  Ausbruch  des 
deutsch-französischen  Krieges  im  Jahre  1870  wieder  hinausgeschoben 
werden.  Trotzdem  ruhten  die  Arbeiten  unter  dem  neuen  Chef  der  er- 
wähnten Verlagsbuchhandlung,  J.  A.  Barth,  dem  Bruder  des  Letzt- 
genannten, nicht  ganz,  und  gediehen  endlich  so  .weit,  dafs  im  Jahre 
1878  alle  25  Sektionen  mit  einem  von  Schmidt  verfafsten  Texte  unter 


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571 


dem  Titel:  „Mondkarte  in  25  Sektionen  und  2 Erläuterungstafeln  von 
Wilhelm  Ootthelf  Lohrmann“  das  Licht  der  Welt  erblickten.  Sie 
beruhen  auf  79  sorgfältigen  Positionsbestimmungen  Lohrmanns,  von 
denen  46  mindestens  fünfmal  zu  verschiedenen  Zeiten  wiederholt  worden 
sind.  Der  Stich  aller  Karten  ist  von  gleicher  Feinheit  und  Schönheit, 
das  Werk  ein  Muster  von  prächtiger  graphischer  Ausstattung.  Leider 
blieben  auch  an  diesen  Karten  einige  Mängel  haften,  über  welche  sich 
Schmidt  folgendermafsen  äufsert:3“)  „Weil  die  Sektionen  des  Werkes 
von  Lohrmann  erst  nach  und  nach  im  Laufe  eines  halben  Jahrhunderts 
hergestellt  wurden,  weil  5 oder  6 Kupferstecher  daran  arbeiteten  und 
die  von  Lohrmann  selbst  kolorirten  Originalblätter  keineswegs  das 
Yerhältnifs  der  Helligkeiten  überall  genügend  ausdrücken,  resultirt 
eine  merkliche  Ungleichförmigkeit  im  Ton  der  Platten,  die  schliefslich 
ohne  neue  bedeutende  Kosten  und  grofsen  Zeitverlust  nicht  mehr  zu 
beseitigen  war“;  ferner:56)  „Das  Kolorit  der  Lohrmannschen  Charte 
ist  weniger  befriedigend  als  bei  Mädler;  cs  wird  in  meiner  grofsen 
Charte  etwas  strenger  ausgeführt  sein,  ohne  doch  für  mehr  als  eine 
genügende  Annäherung  an  mittlere  Zustände  auch  hier  gelten  zu  wollen.“ 

Wie  erwähnt,  ist  der  Monddurchmesser,  welcher  aus  diesen  25 
Sektionen  hervorgeht,  3 Pariser  Fuss  d.  i.  eine  halbe  Toise.  Nun  ist 
der  wahre  Durchmesser  des  Mondes  gleich  468.4  geographischen  Meilen 
= 1783200  Toison.  Derselbe  ist  daher  in  Wirklichkeit  3566400  mal 
gröfser  als  jener  der  Karte,  woraus  sich  der  Mafsstab  der  letzteren  zu 
1 : 3566400  ergiebt  Hieraus  folgt,  dafs  auf  der  Lohrmannschen  Ab- 
bildung des  Mondes  1 mm  = 3566.4  Meter  oder  eine  geographische 
Meile  = 2.08  mm  ist.  Sie  bietet  nahezu  so  viel  Detail,  als  wenn  Oester- 
reich-Ungarn auf  einem  halben  Bogen  dargestcllt  würde.2*) 

**)  Im  Vorbericht  desselben  Werkes  S.  4. 

»)  Ibidem  S.  4. 

3T)  Andrees  Handatlas,  2.  Auflage,  18117,  Karte  45,  Mafsstab  1:4001)1)00. 

(Schlufs  folgt.) 


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Neuere  Theorieen  der  Luft-  und  Gewitter  - Elektricität. 

Von  Professor  L.  Sohncke  in  München. 

(Hchlufs.) 


- Catchen  wir  nun  gänzlich  ralhlos  den  räthselhaften  elektrischen 
y—'  Erscheinungen,  welche  sieh  in  der  Atmosphäre  abspielen,  gegen- 
über? Nach  meiner  Ueb  Urzeugung  keineswegs!  Mir  scheint  der 
Erklärungsversuch,  den  ich  selber  vor  einigen  Jahren  aufgestellt  habe, 
und  der  in  wesentlichen  Punkten  mit  demjenigen  des  Herrn  Luvini 
iiberoinstimmt,  noch  in  keinem  Punkte  widerlegt  zu  sein.  Er  hat  im 
Gegentheil  seither  noch  an  Wahrscheinlichkeit  gewonnen,  besonders 
durch  die  neueren  Messungen  \ron  Wolkenhöhen,  welche  man  den  Herren 
Ekholm  und  Hagström  verdankt.  Daher  scheint  es  mir  nicht  un- 
gerechtfertigt, diesen  Erklärungsversuch  noch  in  der  Kürze  zu  skizziren. 
Kr  gründet  sich  auf  die  Verknüpfung  einer  physikalischen  und  einer 
meteorologischen  Thatsache. 

Den  Ausgangspunkt  bildet  die  Farad  ay sehe  Entdeckung,  dafs 
durch  gegenseitige  Reibung  von  Wasser  und  Eis  ersteres  negativ, 
letzteres  positiv  elektrisch  wird.  Von  der  Richtigkeit  dieser  Thatsache, 
die  zwar  durch  Faradays  Namen  schon  vollständig  verbürgt  erscheint, 
habe  ich  mich  auch  noch  durch  eigene  zahlreiche  und  sorgfältige  Ver- 
suche überzeugt,  theils  nach  der  von  Farad  av  angegebenen,  tlieils 
nach  einer  ganz  abweichenden  Vorsuohsanordnting.  Die  erstere  er- 
scheint, gerade  mit  Rücksicht  auf  die  meteorologische  Anwendung,  be- 
sonders lehrreich;  sie  bestellt  in  folgendem.  Durch  schnelles  Oetfneu 
eines  Hahns  mit  weiter  Bohrung,  der  ein  Gefiifs  mit  verdichteter  Luft 
abgesperrt  hielt,  veranlagt  man  diese  Luft  zu  plötzlichem  Ausströmen 
ins  Freie.  Bei  solch  plötzlicher  Entspannung  kühlt  sich  komprimirte 


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573 


Luft  erheblich  ab;  infolge  dessen  verdichtet  sich  der  ihr  beigemengte 
Wasserdampf  zu  Tröpfchen:  es  tritt  Nebelbildung  ein,  und  zwar  mit 
besonderer  Leichtigkeit,  wenn  die  Luft  Staubtheilchen  enthält,  deren 
jedes  einem  sich  bildenden  Tröpfchen  als  Ansatzpunkt  oder  Kern  dient. 
Diesen  mit  kleinsten  Wassertröpfchen  beladenen,  heftig  hervorbrechenden 
Luftstrom  läfst  mau  gegen  ein  isolirt  aufgestelltes  Eisstück  stofsen, 
und  nähert  letzteres  dann  schleimigst  einem  metallischen  Aufsauge- 
kamm, der  die  etwa  entstandene  Elektricität  zu  einem  Quadranten- 
Elektrometer  leitet  So  überzeugt  man  sich  davon,  dafs  das  Eis  jeder 
Zeit  positiv  elektrisch  wird,  wenn  es  von  den  Wassertröpfchen  des 
Luftstroms  getroffen  worden;  dafs  hingegen  keine  Elektrisirung  ein- 
tritt,  wenn  der  Luftstrom  keine  Wassertröpfchen  mit  sich  führt,  wie  es 
z.  B.  leicht  geschieht,  wenn  die  benutze  Luft  zu  staubfrei  und  ihre 
Kompression  zu  gering  gewesen,  um  zur  Trüpfchenbildung  hinreichende 
Abkühlung  hervorzurufen.  Hiermit  ist  bewiesen,  dafs  durch  Reibung 
von  reiner  Luft  gegen  Eis  keine  Elektricität  entsteht,  sondern  dass 
eben  die  Reibung  des  Wassers  am  Eise  erforderlich  ist,  damit  letzteres 
positiv  elektrisch  werde. 

Die  Elektrisirung  bleibt  ferner  dann  aus,  wenn  das  Eis  bereits 
im  Schmelzen  begriffen,  also  mit  einer  Wasserschicht  überzogen  ist. 
Daraus  folgt,  dafs  — wie  vorauszusehen  — durch  Reibung  von  Wasser 
an  Wasser  keine  Elektricität  erzeugt  wird;  es  folgt  aber  auch  weiter, 
dafs  die  Tröpfchen  nicht  etwa  schon  beim  Ausströmen  durch  Reibung 
an  den  Wänden  des  Hahnkanals  elektrisch  geworden  sind;  sonst 
müfsten  sie  ja  diese  ihre  Elektricität  an  das  feuchte  Eis  abgegeben 
haben.  Die  positive  Elektrisirung  des  Eises  fällt  um  so  stärker  aus, 
je  kälter  das  Eis  ist,  offenbar  im  Zusammenhänge  mit  dem  Umstande, 
dafs  bei  fortschreitender  Abkühlung  das  Isolationsvermögen  des  Eises 
sehr  schnell  zunimmt.  Beiläufig  sei  noch  bemerkt,  dafs,  wenn  man 
den  mit  Tröpfchen  beladenen  Luftstrom,  statt  gegen  Eis,  gegen  eine 
(am  besten  vorher  erwärmte)  Metallplatte  troffen  läfst,  letztere  negativ 
elektrisch  wird. 

In  späteren  Versuchen  habe  ich  einen  zusammenhängenden  Wasser- 
strahl gegen  Eis  stofsen  lassen  und  auch  hierbei  bestätigt  gefunden, 
dafs  das  Eis  positiv,  das  Wasser  negativ  elektrisch  wird. 

Mit  dieser  physikalischen  Thatsache  verknüpfe  ich  nun  folgende 
meteorologische.  Es  ist  durch  zahlreiche  Beobachtungen  aus  älterer 
und  neuerer  Zeit  (z.  B.  von  Kiimtz,  Hann,  Assmann  und  vielen 
Anderen)  festgestellt,  dafs  bei  jedem  Gewitter,  besonders  nahe  vor 
Ausbruch  desselben  — solange  noch  eine  umfassendere  Himmels- 

Hinjmcl  und  Erde.  L 10.  41 


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574 


betracbtung  möglich  ist  — zweierlei  verschiedene  Wolkenarten  am 
Himmel  erscheinen:  solohe,  die  aus  Wassertheilchen  (Tröpfchen),  und 
solche,  die  aus  EiskryBtällchen  bestehen.  Erstere  sind  die  Haufwolken, 
letztere  die  Cirri-  und  Sohleierwolken,  die  entweder  als  gleichförmiger 
Cirrostratusschirm  den  Himmel  bedeoken,  oder  als  „falsche“  Cirri10), 
wie  sie  neuerlichst  genannt  werden,  aus  den  Gipfeln  der  hochgethürmten 
Haufwolken  auszufliefsen  scheinen.  Dafs  diese  cirrusartigen  Gebilde 
thatsächlich  aus  Eiskryställchen  bestehen,  ist  durch  Beobachtung  der 
bei  ihrer  Anwesenheit  um  Sonne  oder  Mond  auftretenden  Lichtringe 
von  etwa  21°  50'  Halbmesser  erwiesen;  denn  diese  Erscheinung  ist 
schon  von  Fraunhofer  zweifellos  auf  die  Brechung  in  sechsseitigen 
Eiskrystallsäulchen  zurückgeführt.  Das  Vorhandensein  von  Eis  in 
jenen  Höhen  darf  uns  nicht  Wunder  nehmen,  da  durch  vielfältige  Er- 
fahrungen bei  Luftreisen,  besonders  durch  die  sorgfältigen  Beobach- 
tungen von  J.  Glaisher  bei  seinen  mehr  als  dreifsig  wissenschaft- 
lichen Ballonfahrten  unzweifelhaft  festgestellt  ist,  dafs  in  unseren  Breiten 
auch  in  den  heifsesten  Sommermonaten  durchschnittlich  schon  in  3000 
bis  4000  m Höhe  die  Temperatur  des  Gefrierpunkts  angetroffen  wird. 

Wir  dürfen  nun  mit  Recht  voraussetzen,  dafs  diese  beiderlei 
Wolkenarten  beim  Gewitter  nicht  ruhig  neben  einander  schweben, 
sondern  in  lebhafter  gegenseitiger  Bewegung  begriffen  sind.  Die 
höheren  Luftschichten  besitzen  ja  fast  immer  eine  starke  Horizontal- 
bewegung (meist  von  West  nach  Ost),  auch  wenn  am  Erdboden  kein 
merklicher  Wind  geht;  und  die  Vertikalbewegung  der  aufsteigenden 
Luftströme,  welche  z.  B.  bei  den  sogenannten  Wärmegewittem  die  höher 
und  höher  sich  aufthürmenden  Haufwolken  bilden,  darf  auch  nicht  gering 
angeschlagen  werden.  Ist  man  doch  häufig  im  stände,  auch  bei  recht 
fernem  Ilauf- Gewölk  das  Emporquellen  der  traubigen  Gipfel  sogar 
zusehends  zu  verfolgen  1 Wenn  also  die  nachrückenden  Cumulusmassen 
die  oben  entstandenen  Frostnebel  oder  falschen  Cirri  wieder  durch- 
brechen, worden  sehr  heftige  relative  Bewegungen  Vorkommen  können. 
Zu  den  genannten  Bewegungen  der  verschieden  warmen  Luftmassen, 
deren  eine  mit  Eistheilchen,  deren  andere  mit  Wassertheilchen  beladen 
ist,  gesellt  sich  nun  sehr  wahrscheinlich  häufig  auch  eine  Wirbel- 
bewegung des  emporstrudelnden  warmen  Luftstroms,  vielleicht  auch 
gelegentlich  absteigende  Wirbelbewegung  der  kalten  Luft.  Daher 
scheinen  beim  Gewitter  alle  Bedingungen  nicht  nur  für  die  heftige 

10)  Durch  diesen  Namen  sollen  die  Gewittercirren  von  den  übrigen 
Cirruswolken  unterschieden  werden,  denen  durchschnittlich  eine  viel  grötsere 
Höhe  über  dem  Erdboden  zukommt. 


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575 


gegenseitige  Reibung  der  Wasser-  und  Eistheilchen,  sondern  auch  für 
ihre  sofortige  Trennung  nach  so  erlangter  elektrischer  Ladung  gegeben 
zu  sein.  So  müssen  fortdauernd  neue  Elektricitätsmengen  erzeugt 
werden,  so  lange  die  verschiedenen  Luftströme  in  hinreichend  heftiger 
gegenseitiger  Bewegung  begriffen  sind.  In  ähnlicher  Weise  scheint 
mir  auch  die  gewöhnliche  atmosphärische  Elektricität,  wenigstens  der 
Hauptsache  nach,  auf  die  Reibung  verschiedener  Luftströme,  die  theils 
Wasser-  theils  Eistheilchen  tragen,  zurückgeführt  werden  zu  können; 
doch  soll  hier  nicht  näher  darauf  eingegangen  werden. 

Um  möglichst  objektiv  zu  sein,  will  ich  nicht  unterlassen,  aus- 
drücklich darauf  hinzuweisen,  dafs  die  mitgetheilten  Versuche  zwar 
eine  annehmbare  Grundlage  für  die  Theorie  bilden,  dafs  sie  aber  zum 
vollkommenen  Beweise  derselben  noch  nicht  ausreichen.  Dazu  würde 
nämlich  erforderlich  sein,  die  Entstehung  von  Elektricität  durch  La- 
boratoriumsversuche nicht  nur  für  den  Fall  nachzuweisen,  dafs  ein  mit 
Tröpfchen  beladener  Luftstrom  gegen  festliegendes  Eis  stüfst,  sondern 
auch  für  den  Fall,  dafs  jener  Luftstrom  an  einem  zweiten,  mit  Eistheilchen 
beladenen  Luftstrome  reibend  hinfährt.  Solche  Versuche  sind  ja  nicht 
unausführbar,  aber  offenbar  ziemlich  verwickelt,  und  jedenfalls  bisher 
noch  nicht  ausgeführt. 

Für  einen  Vorgang  indessen,  und  noch  dazu  für  einen  solchen 
der  in  der  freien  Natur  ungemein  häufig  stattfindet,  genügen  die  bis- 
herigen Versuche  nach  Faraday  scher  Anordnung  bereits  als  un- 
mittelbarer und  vollständiger  Beweis,  worauf  ich  bisher  wohl  noch 
nicht  mit  dem  erforderlichen  Nachdruck  hingewiesen  habe.  Ich 
meine  die  Elek trisirung  der  Eiskörner  beim  Hagelfall. 
Denn  ob  der  mit  Tröpfchen  beladene  Luftstrom  gegen  ruhendes  Eis 
stufst,  wie  im  Laboratoriumsversuch,  oder  ob  sich  das  Eisstück  durch 
eine  mit  Tröpfchen  beladene  Luftschicht  schnell  hindurchbewegt,  wie 
beim  Hagelfall:  das  kommt  vollständig  auf  eins  hinaus,  da  für  die 

Elektrisirung  durch  Reibung  nur  die  relative  Bewegung  und  nach- 
herige  Trennung  der  beiden  sich  reibenden  Körper  mafsgebend  ist. 
Nun  ist  aber  die  Fallgeschwindigkeit  der  Hagelkörner  sehr  bedeutend 
und  durchaus  vergleichbar  mit  jener  Geschwindigkeit,  mit  welcher 
die  aus  dem  Kompressionsgefäfs  ausströmende  Luft  ihre  Tröpfchen 
gegen  das  davorgestellte  Eisstück  schleudert.  Es  ist  daher  nicht  zu- 
viel gesagt,  daTs  die  Ursache  der  Elektricität  von  Hagel- 
körnern, welche  durch  Tröpfchen  enthaltende  Luft  herab- 
fallen, durch  Laboratoriumsversuche  vollständig  nachge- 
wiesen ist  Boi  dieser  Gelegenheit  sei  noch  auf  eine  interessante 

41* 


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576 


Thatsache  hingewiesen,  welche  sich  den  Herren  Horn  und  Lang  bei 
Untersuchung  der  Hagel-  und  Gewitterhäufigkeit  in  Bayern  im  Jahre 
1887  ergeben  hat,  nämlich:  dafs  kein  einziger  Hagelschlag  ohne  Ge- 
witterentladung stattfand. 

Nach  allem  Mitgotheilten  will  es  mir  scheinen,  als  sei  in  dem 
Elektrisirungsvorgange  bei  der  Reibung  von  Wasser  und  Eis  die 
wahre  oder  doch  die  hauptsächlichste  Quelle  der  elektrischen  Er- 
scheinungen in  der  Atmosphäre  aufgedeckt 


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Unser  Wissen  über  das  Zodiakallicht 

Von  O.  T.  Sherman  in  Baltimore. ’) 


nachfolgenden  dankenswerthen  Mittheilungen  sind  uns  von  Mr. 
Sherman  aus  Baltimore  zugesandt  worden,  nachdem  die  in  unserem 
Januarheft  (No.  4)  enthaltenen  Darlegungen  des  Herrn  Prof. 
Foerster  über  denselben  Gegenstand  bereits  veröffentlicht,  aber  bevor  die 
letzteren  nach  Baltimore  gelangt  waren.  Die  in  den  beiden  Aufsätzen 
über  denselben  Gegenstand  geäufserten  Ansichten  sind  also  völlig 
unabhängig  von  einander.  Hiernach  dürfte  es  für  unsere  Leser  von 
Interesse  sein,  von  den  Verschiedenheiten  und  den  Berührungspunkten 
der  beiden  Auffassungen  Kenntnifs  zu  nehmen;  die  Sache  kann  dabei 
nur  an  Klärung  gewinnon. 

Nach  einer  kurzen  Einleitung,  welche  wir,  unter  Bezugnahme 
auf  den  Eingang  des  früheren  Aufsatzes,  übergehen  können,  sagt 
Mr.  Sherman  folgendes: 

ln  einem  Punkte  stimmen  alle  hinreichend  ausgedehnten  Unter- 
suchungen des  Zodiakallichtes  überein,  nämlich  in  dem  Nachweise  der 
Aenderungen,  welche  die  scheinbare  Elongation  desselben  (d.  i.  dor 
Winkel  zwischen  der  Richtung  zur  Sonne  und  der  Richtung  nach  dem 
Scheitel  der  Lichtsäulen  am  Himmelsgewölbe)  von  Monat  zu  Monat  erfährt. 
Schmidt,  Jones,  Dechevrens,  H eis  und  Weber  — sie  alle  liefern 
zahlenmäfsige  Belege  für  jene  Aenderungen,  obwohl  die  Gleichartigkeit 
der  wichtigen  Beobachtungsreihe  von  Jones  durch  die  wahrend  ihrer 
Dauer  eingetretene  Ortsveränderung  des  Beobachters  getrübt  ist. 
Näheres  läfst  die  nachfolgende  Zusammenstellung  erkennen,  welche  die 
Elongationen  in  Graden,  in  einigen  Fällen  bis  auf  Zehntel  des 
Grades  angiebt. 

')  Aus  dem  englischen  Original-Mamiscript  übersetzt  durch  die  Redaktion. 


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B78 


Monatsmittel  der  Elongationen  des  Zodiakallichts 
am  Abendhimmel. 


Beobachter 

Juli 

7> 

ä 

3 

< 

Septbr. 

Oktober 

Novbr. 

X 

K 

■ 

Q 

Januar 

Februar 

März 

April 

'S  1 

s 

Juni 

Schmidt  1843 — 55 

— 1 

- 1 





182.5 

153.1 

120.4 

94.3 

73.6 

70.8 

93.0 



Dechevrens  75—79 

— 

1 — 

58 

65 

126 

120 

93 

65 

82 

79 

68 

Heis  il  Weber  49 — 60 

— 

— 

— 

— 

81.8 

84.2 

80.8 

64.8 

: 63.0 

62.0 

— 

. 61-71 

— 

— 

— 

— 

— 

84.3 

89.0 

84. s 

76.8 

, 75.8 

70.7 

~ 

„ 72—83 

— 

— 

— 

— 

— 1 

106.9 

94.0 

92.1 

; 90.4 

100.6 

108.1 

— 

Jones  54 

102 

92 

78 

73 

69 

I94 

85 

87 

97 

99 

90 

104 

Monatsmittel  der  Elongationen  des  Zodiakallichts 
am  Morgenhimmel. 


Beobachter 

Juli 

August 

Septbr. 

Oktober, 

Novbr. 

*4 

X> 

N 

Q 

U. 

JS 

3 1 U 

3 W3 
ca  : 

1 ** 

März 

April 

1 

■3 

a 

Juni 

Dechevrens  1875 — 79 

— 

60  1 70 

65  I 90  | 

113 

103  | 65 

40 

— 

| 



Heis  u.  Weber  49—60 

— 

56.3  61.4 

69.8  57.2 j 

04.5 

67.2  — 

— 

— 

— 

- , 61-71 

— 

58.0  60.5 

74.7  84.0 ; 

68.3 

— — 

— 

— 

— 

— 

. . 72-83 

— 

- '104.9 

104.4  97.3 

1 98.3 

99.4)  — 

j — 

— 

— ■ 

— 

Jones  54 

130 

1 

128  138 

116  121 

132 

101  109 

94 

119 

135 

139 

In  einigen  Fällen,  in  welchen  von  einem  und  demselben  Beob- 
achter unmittelbar  auf  einander  folgende  Abend-  und  Morgenerschei- 
nungen des  Lichtes  gesehen  worden  sind,  vertragen  sich  die  aufge- 
zeichneten Begrenzungen  desselben  mit  der  Auffassung  von  einer 
elliptischen  Umgebung  der  Sonne.  Andererseits  ist  es  nicht  selten 
vorgekommen,  dafs  die  aufgezeichneten  Umrisse  der  beiden  korrespon- 
direnden  Erscheinungen  am  Abend  und  am  Morgen  eine  Zusammen- 
gehörigkeit in  diesem  Sinne  nicht  ohne  Zwang  möglich  erscheinen 
lassen.  Indessen  verliert  der  aus  letzteren  Fällen  zu  entnehmende 
Einwurf  gegen  die  vorerwähnte  Auffassung  der  unmittelbaren  Zuge- 
hörigkeit zur  Sonne  doch  an  Kraft,  wenn  wir  bedenken,  dafs  die 
Grenzen  des  Lichtes  sogar  in  kurzen  Zeiträumen  eine  sehr  veränder- 
liche Lage  haben.  Es  ist  schon  sehr  früh  beobachtet  worden,  dafs 
die  Lage  dieser  Grenzen  schnelle  Oscillationen  bis  zum  Betrage  von 
zwei  Graden  erfuhr,  und  Serpieri  hat  aus  den  Beobachtungen  von 
Jones  den  folgenden  Gang  der  stündlichen  Mittelwerthe  der  Elon- 
gationen abgeleitet.  Diese  Elongationen  der  Spitze  der  Lichtsäule 
hatten  hiernach  am  Abendhimmel  in  dem  Zeiträume  von  1 bis  zu  31  •> 
Stunden  nach  dem  Schlüsse  der  Dämmerung  folgende  Beträge: 


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579 


1 1 »/,  2 2 V,  3 3Va  Std. 

für  den  Lichtkern  64°  77°  87°  96°  99°  100° 

für  die  diffuse  Umhüllung  90°  107°  110°  116°  120°  — 

Die  entsprechenden  Beträge  in  der  Zeit  von  3 bis  1 Stunde 
vor  dem  Beginn  der  Morgendämmerung  waren  die  folgenden: 

3 »/*  3 2Vj  2 l‘/2  1 Std. 

für  den  Lichtkem  120«  108»  110°  104“  94"  — 

für  die  diffuse  Umhüllung  139"  133«  137"  132«  128«  — 

Andere  Beobachter  haben 
allerdings  etwas  solchen  systema- 
tischen Veränderungen  Aehn- 
liches  nicht  bemerkt,  aber  an 
Nachweisen  von  vereinzelten 
Schwankungen  ist  kein  Mangel, 

Archimis  in  Cadiz  berichtet  von 
einer  zu  Zeiten  auf-  und  ab- 
schwellenden Säule,  Hall  in  Ja- 
maica von  einer  plötzlich  erschei- 
nenden und  verschwindenden  Verlängerung  der  Spitze,  Schmidt  von 
einem  plötzlichen  Hervortreten  des  Lichtes,  während  dasselbe  vorher 
nicht  beobachtet  -werden  konnte.  Wir  möchten  also  die  erste  Auf- 
fassung von  einer  die  Sonne  umgebenden  und  Sonnenlicht  reflektirenden 
Massenansammlung  durch  eine  solcho  ersetzen,  bei  welcher  wenigstens 
theilweise  ein  Selbstleuchten  stattfindet. 

Es  ist  deshalb  von  Interesse  die  Beziehungen  darzustellen,  welche 
zwischen  den  Elongationen  und  gewissen  Stellen  der  Erdbahn  bestehen. 
Die  beigefügte  ideale  Skizze  veranschaulicht  die  bezüglichen  Beobach- 
tungen (1875 — 79)  von  Dechevrens.  Wenn  man  in  Betracht  zieht, 
dafs  die  Bewegung  der  Sonne  im  Weltenraum  nach  derjenigen  Seite 
gerichtet  ist,  auf  welcher  sich  die  Erde  in  ihrer  Bahn  im  Juli  befindet, 
so  läfst  diese  Darstellung  eine  Aehnlichkeit  mit  den  Umgebungen  der 
Hülle  eines  Kometen  erkennen. 

Da  ferner  in  obiger  ersten  Zusammenstellung  die  Beobachtungen 
von  Heis  und  Weber  ein  Anwachsen  der  mittleren  Elongationen  von 
Jahrzehnt  zu  Jahrzehnt  andeuten,  und  da  es  somit  wünschenswerth 
erschien,  aus  dem  gesamten  vereinzelten  und  zerstreuten  Beobachtungs- 
material mittlere  Werthe  dieser  Veränderungen  von  Jahr  zu  Jahr  ab- 
zuleiten, so  sind  die  oben  in  Monatsmitteln  gegebenen  einzelnen  Be- 
obachlungswerlhe  der  Elongationen  auf  den  wahrscheinlichsten  Betrag 
für  eine  Art  von  Normalmonat  reduzirt  worden,  indem  man  jeden 


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580 


Monats werth  mit  einem  Mittelwerthe  seines  Verhältnisses  zu  dem  Mo- 
natswerth für  den  März,  als  den  wegen  seines  Reichthums  an  Beob- 
achtungen am  meisten  hierzu  geeigneten  Normalmonat,  multiplizirt  hat. 
Der  Mittelwerth  aus  den  so  reduzirten  Monatswerthen  ist  für  jedes 
Jahr  als  das  von  jährlicher  Periode  thunlichst  befreite  Jahresmittel 
betrachtet  worden.  Die  auf  diese  Weise  zu  einzelnen  Jahresmitteln  ver- 
dichteten Beobachtungsreihen  von  Heis.  Weber,  Schmidt,  Back- 
house,  Birt,  Lowe,  Webb  und  Jones  sind  dann  mit  einander  ver- 
glichen und  vermöge  eines  ähnlichen  Verfahrens  auf  die  besonderen 
Umstände  der  Beobachtungen  von  Ileis  und  Weber  einheitlich  re- 
duzirt  worden. 

Eine  Darstellung  der 
auf  diese  Weise  gewonne- 
nen Reihe  von  Jahresmitteln 
der  beobachteten  Elongatio- 
nen und  eine  Vergleichung 
des  Verlaufes  dieser  Zahlen- 
werthe  mit  den  sogenannten 
Relativzahlen  von  Wolf  in 
Zürich,  welche  die  Häufig- 
keit der  Sonnenflecken  dar- 
stellen, ist  in  der  beigefügten 
Skizze  gegeben.  Die  obere 
Curve  enthält  hier  die  Dar- 
stellung des  Verlaufes  der 
beobachteten  Elongationen 
des  Zodiakallichtes  von  etwa  1846  bis  gegen  1885,  die  untere  Curve 
den  Verlauf  der  Häufigkeit  der  Sonnenflecken  für  denselben  Zeitraum. 

Da  sich,  besonders  gegen  Ende  dieses  Zeitraumes,  wo  die  Be- 
obachtungen zahlreicher  und  regelmiifsiger  geworden  sind,  eine  unge- 
fähre Uebereinstimmung  des  Eintrittes  des  Maximums  der  Elongationen 
mit  dem  Minimum  der  Sonnenflecken  erkennen  liefs,  so  ist  die  obere 
Curve  derartig  gezeichnet  worden,  dafs  die  Elongationen  von  oben  nach 
unten  wachsen,  so  dafe  die  tiefsten  Punkte  der  Curve  den  gröfsten 
Elongationen  entsprechen,  während  umgekehrt  in  der  Sonnenflecken- 
Curve  die  tiefsten  Punkte  den  geringsten  Fleckenzahlen  entsprechen. 

Aufser  jener,  in  den  letzten  drei  Jahrzehnten  deutlicher  hervor- 
tretenden Aehnlichkeit  zwischen  dem  Verlaufe  der  beiden  verschiedenen 
Arten  von  Erscheinungen  läfst  diese  Skizze  auch  erkennen,  dafs  mit 
der  Zeit  eine  allmähliche  Zunahme  der  Elongationen  des  Zodiakallichts 


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581 


stattgefunden  hat.  Auch  Cassinis  Beobachtungen  zwischen  den  Jahren 
1683  und  1688,  innerhalb  deren  im  Jahre  1684  ein  Maximum  der 
Sonnenflecken  eingetreten  ist,  ergeben  in  dem  letzteren  Jahre  den 
geringsten  Werth  der  Elongation,  während  dieselbe  vorher  und  nachher 
etwas  gröfsere  Werthe  gehabt  hat.  Cassinimacht  zwarselber  die  Be- 
merkung, dafs  zu  der  Zeit,  zu  welcher  gar  keine  Sonnenllecken  dage- 
wesen seien,  auch  das  Zodiakallicht  unsichtbar  geblieben  sei,  doch 
sind  die  zahlenmäfsigen  Angaben  seiner  Beobachtungen  mit  dieser 
Bemerkung  in  Widerspruch.  Allerdings  würde  es  mit  den  bei  totalen 
Sonnenfinsternissen  angestellten  Beobachtungen  über  die  Corona  in 
Uebereinstimraung  sein,  wenn  das  Zodiakallicht  zur  Zeit  des  Sonnen- 
fleckenmaximums gröfsere  Helligkeit  hätte. 

Das  in  nachfolgender  Zusammenstellung  enthaltene  Ergebnifs 
betreffend  die  relative  Häufigkeit  von  Zodiakallicht- Beobachtungen 
während  der  letzten  40  Jahre  liifst  ferner  die  Folgerung  zu,  dafs  die 
gröfste  Wahrscheinlichkeit  für  die  Wahrnehmung  des  Zodiakallichts 
in  unseren  Breiten  ungefähr  4 Jahre  vor  den  Zeitpunkten  eines 
Sonnenflecken-Minimums  und  die  geringste  Wahrscheinlichkeit  einer 
Entfaltung  des  Zodiakallichts  nahe  um  die  Zeit  der  Sonnenflecken- 
Maxima  stattfindet. 

Relative  Häufigkeit  von  Zodiakallioht-Beobachtungen: 
Im  dem  Jahre  des  Maximums  der  Sonnenflecken:  12 


1 

Jahr 

nachher 

11 

6 Jahre  nachher 

27 

2 

Jahre 

T4 

18 

7 „ 

r 

22 

3 

W 

w 

18 

8 „ 

23 

4 

26 

9 „ 

„ 

23 

5 

T» 

fl 

31 

10  „ 

14 

18 

Stellt  man  sodann  die  Ergebnisse  spektroskopischer  Beobachtungen 
des  Zodiakallichtes  mit  dem  Verlaufe  der  Sonnenflecken-Periode  zu- 
sammen, so  scheinen  sich  auch  hierbei  gewisse  Beziehungen  heraus- 
zustellen. 

Leider  müssen  wir  uns  an  dieser  Stelle  versagen,  in  die  Einzel- 
heiten dieser  Spektral -Wahrnehmungen  einzugehen,  und  können  nur 
darauf  hinweisen,  dafs  während  des  Anwachsens  der  Häufigkeit  der 
Sonnenflecken  und  um  die  Zeit  des  Maximums  derselben  das  Zodiakal- 
licht überwiegender  reflektirtes  Sonnenlicht  zu  enthalten,  dagegen  um 
die  Zeit  des  Sonnenflecken-Minimums  mehr  Eigenlicht  zu  entwickeln 
und  überhaupt  heller  zu  sein  scheint. 

Die  Charaktere  dieses  Eigenlichtes  scheinen  uns  auf  eine  Ver- 


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582 


wandtschaft  einestheils  mit  dem  Polarlicht  der  Erde,  andemtheils  mit 
der  Corona  der  Sonne  hinzudeuten. 

Auch  die  Polarisations-Beobachtungen,  obwohl  sie  noch  sehr 
vereinzelt  sind,  weisen  darauf  hin,  dafs  zu  den  Zeiten  der  Sonnen- 
flecken-Maxima  das  reflektirte  Licht,  zu  den  Zeiten  der  Minima  das 
Eigenlicht  in  dem  Zodiakallicht  überwiegt. 

Alles  dies  bedarf  noch  sehr  der  Vervollständigung  und  Ver- 
schärfung der  Beobachtungen  und  derselben  Aufmerksamkeit,  welche 
man  den  Sonnenflecken  selber  widmet,  besonders  wenn  inan  auch  die 
bereits  angedeuteten  Variationen  von  kürzerer  Periode  ergründen  will. 

Die  oben  gegebene  kometenartige  Skizze  läfst  erkennen,  dafs 
wahrscheinlieh  vom  November  bis  zum  März  unsere  Erde  von  den 
das  Zodiakallicht  bildenden  Massentheilchen  immer  umhüllt  ist.  Der 
den  ganzen  Thierkreis  entlang  sich  erstreckende  matte  Lichtstreifen 
und  der  „Gegenschein“  zeigen  an,  dafs  diese  Massen  sich  über  die 
Erdbahn  hinaus  erstrecken. 

Jede  Vorstellung  von  den  Ursachen  der  ganzen  Erscheinung 
müfste  sich  daher  einerseits  an  die  Corona,  andererseits  an  das  Polar- 
licht anschliefsen,  dabei  aber  im  stände  sein,  Massentheilchen  auf  der 
von  der  Sonne  abgewandten  Seite  der  Erde  zu  liefern  und  doch  mit 
den  Bewegungen  der  Himmelskörper  zwischen  uns  und  der  Sonne 
verträglich  bleiben. 

In  der  Baker-Vorlesung  von  1885  hat  Huggins  Vermuthungen 
über  die  Ursachen  der  Corona  der  Sonne  ausgesprochen,  welche  diesen 
Forderungen  am  besten  zu  entsprechen  scheinen.  Bei  einer  Betrach- 
tung der  Corona-Zustände  findet  er,  dafs  dieselbe  wesentlich  nur  aus 
feinen  Dustpartikeln  bestehen  könne,  welche  glühend  seion  und  unter 
denen  die  gasförmigen  Bestandtheile  keinen  atmosphärenartigen  Zu- 
sammenhang haben.  Alle  diese  Massentheilchen  werden  anscheinend 
von  der  Sonne  hinweg  durch  ebensolche  Kräfte  getrieben,  wie  sie  bei 
der  Bildung  der  Kometenschweife  wirksam  sind. 

Da  die  Sonnen-Oberfiäche  der  Sitz  unaufhörlicher  Konvulsionen 
und  Ausbrüche  ist,  welche  Schleudergesohwindigkeiten  hervorbringen 
von  eben  so  viel  Kilometern  in  der  Sekunde,  als  unsere  Stürme  in 
der  Stunde  durchlaufen,  ist  es  nicht  ungereimt  anzunehmen,  dafs  aus 
den  Sonnen-Hüllen  Theile,  welche  ein  gleichnamiges  elektrisches 
Potential  mit  der  Sonnenoberfläche  haben,  losgerissen  und  so  weit 
hinausgoschleudert  werden,  dafe  dann  die  elektrische  Abstofsung  ge- 
nügt, um  die  Wirkung  der  Massen-Anzieltung  der  Sonne  zu  über- 
winden und  diese  Theilchen  ganz  von  der  Sonne  hinwegzutreiben. 


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583 


Solche  Theilchen  konnten  nach  Huggins  auch  Material  fiir  das 
Zodiakallicht  liefern.  Sollten  die  auf  solche  Theilchen  wirkenden  An- 
ziehungen und  Abstofsungen  in  der  Nähe  der  Erdbahn  eine  Art  von 
Gleichgewicht  erreichen,  dann  würde  dieser  Rauch  des  grofsen  Sonnen- 
feuers, wie  man  dieselben  nennen  könnte,  sich  bei  und  nach  einem 
Sonnenflecken-Maximum  ansammeln  und  etwa  um  die  Zeit  des  Flecken- 
Minimums  seine  jeweilige  gröfste  Dichtigkeit  erreichen. 

Möglicherweise  können  jene  Ausströmungen  elektrischer  Partikel 
in  den  obersten  Schichten  unserer  Atmosphäre  elektrische  Erschei- 
nungen hervorrufen,  und  diejenigen  Theilchen,  welche  über  die  Erde 
hinausdringen,  können  dem  Gegenschein  und  dem  den  ganzen  Thier- 
kreis entlang  ziehenden  Lichtstreifen  die  Entstehung  geben. 

Dem  Beobachter  und  dem  Rechner  wird  das  letzte  Wort  über 
alle  diese  Fragen  gebühren. 


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Die  norwegische  Nordmeer-Expedition. 

Von  Prof.  Dr.  H.  Mohn. 

Direktor  des  Norwegischen  Meteorologischen  Instituts  in  Cbristisnia.  •) 
(Fortsetzung.) 

c^j^om  8.  bis  zum  13.  Juli  war  die  Expedition  in  Hammerfest,  wo- 
• selbst  astronomische  und  magnetische  Beobachtungen  gemacht 
wurden,  während  das  Schiff  zu  einer  Tour  nach  Westen  gegen 
das  grönländische  Eis  zugerüstot  wurde. 

Am  13.  Juli  verliefsen  wir  llamraerfest  wieder  und  nahmen  Kurs 
gegen  WNW.  Am  16.  waren  wir  schon  im  Polarstrom,  und  am  17. 
erreichten  wir  das  Grönländern,  welches  unserm  weiteren  Vordringen 
gegen  Westen  ein  Ziel  setzte.  Wir  dampften  alsdann  nördlich  längs 
der  Eisgrenze  und  lotheten  unsere  gröfste  diesjährige  Tiefe,  3630  m.  Von 
hier  wurde  wieder  ostwärts  gesteuert,  und  am  23.  befanden  wir  uns  nord- 
östlich von  Beeren-Eiland.  Nachmittags,  als  wir  südwärts  steuerten, 
wurde  die  Insel  sichtbar.  Mount  Miserys  Gipfel  war  in  Wolken  ge- 
hüllt. Unter  steifer  Brise  uud  zunehmender  See  passirten  wir  Beeren- 
Eiland  an  der  Ostseite  und  gingen  zur  Siidostseite  hinüber,  wo  wir 
am  4.  Juli  geankert  hatten.  Der  Wind  und  die  Soo  waren  inzwischen 
so  heftig  geworden,  dafs  sie  die  Landersteigung  hinderten.  Inzwischen 
waren  wir  so  nah  gekommen,  dafs  wir  im  Fernrohr  das  Russenhäus- 
chen und  seine  Umgebung  erkennen  konnten.  Die  Flagge,  welche 
die  Stelle  bezeichnete,  wo  wir  die  Post  an  die  holländische  Expedition 
niedergelegt  hatten,  war  nicht  mehr  zu  sehen,  so  dafs  wir  Grund 
hatten,  anzunehmen,  dafs  die  Holländer  dort  gewesen  und  ihre  Post 
geholt  hatten.  Bei  unserer  Rückkunft  nach  Hammerfest  erfuhren  wir, 
dafs  dies  der  Fall  gewesen.  Unter  Beeren-Eilands  Südostküste  blieben 

")  Aus  dem  norwegischen  Original  - Manuskripte  übersetzt  von  F.  8. 
Archen  hold  und  rovidirt  vom  Verfasser. 


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wir  ein  paar  Stunden  lang  liegen,  um  unsern  Kurs  um  10  Uhr  Abends 
unter  vollem  Dampf  und  aufgehifsten  Topsegeln  und  Fock  gegen 
Fruholmen,  den  nördlichsten  Leuchtthurm  Norwegens,  zu  nehmen. 
Der  Wind  blies  ziemlich  stark  im  Rücken  und  die  See  wuchs,  je 
mehr  wir  uns  von  Beeren-Eiland  entfernten.  Vöringen  lenzte  (ging 
mit  dem  Winde)  südwärts  — mit  einer  Geschwindigkeit  von  8 — 9 
Knoten  unter  dem  gröfsten  Rollen,  das  auf  der  ganzen  Expedition  seit 
der  Fahrt  von  Island  nach  Norwegen  vorgekommen  war.  So  ging  es  die 
ganze  Nacht  Am  andern  Morgen  und  Mittag  machten  wir  Sonnen- 
beobachtungen, welche  eine  Fahrt  von  8,6  Knoten  anzeigten.  Nach- 
mittags ging  es  noch  gleich  schnell  und  gleich  stark  rollend  südwärts. 


Beeren  Eiland  von  SW.,  12'  ab  Mount  Mlsery. 


Es  traten  Regenschauer  ein,  und  die  Luft  wurde  dick  (neblig).  Der  Hori- 
zont verhüllte  sich  von  Zeit  zu  Zeit,  eine  schlimme  Sache,  wenn  das 
Land  erreicht  werden  soll.  Im  Regenschauer  ging  es  so  einige  Stunden 
weiter  mit  derselben  Geschwindigkeit  und  wachsender  See.  Inzwischen 
war  das  grofse  Topsegel  festgemacht  und  das  Vordertopsegel  einge- 
refft.  Wir  wufsten  jetzt,  dafs  wir  uns  dem  Laude  näherten,  konnten 
aber  noch  nichts  davon  sehen.  Da,  um  10  Uhr,  grade  24  Stunden 
später  als  wir  Beeren-Eiland  verlassen  hatten,  sah  der  Lootse  im 
Nebel  plötzlich  den  Leuchtthurm  auf  Fruholmen  und  kurz  datauf  einige 
Inseln,  die  er  erkannte.  Wir  wufsten  sonach,  wo  wir  waren,  — in 
Rolfsösund.  Wir  hatten  aber  Fruholmens  Leuchtthurm  nicht  zur  Linken, 


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wie  es  unser  Besteck  voraussetzte.  Wir  hatten  ihn  zur  Rechten  und 
waren  demnach  von  der  Strömung  stark  nach  Osten  getrieben,  indem 
wir  uns  dem  Lande  in  der  dicken  Luft  näherten.  Wäre  die  Strömung 
weniger  stark  gewesen,  so  hätten  wir  leicht  in  dem  Nebel  auf  Land 
rennen  können.  Wir  fühlten  uns  jetzt  erleichtert  und  das  ruhige 
Wasser  auf  dem  Wege  nach  Hammerfest  liefs  uns  die  Mühseligkeiten 
des  vorangegangenen  Tages  vergessen. 

An  demselben  Tage  war  die  „Vega“  mit  Nordenskjöld  und 
Palander  auf  dem  Wege  nach  Osten,  und  bei  dem  Sturme,  der  uns 
von  Beeren-Kiland  bis  Fruholmen  verfolgte,  lag  „Vega“  in  Maasösund 
vor  Anker,  dessen  Hafen  so  nahe  bei  Fruholmen  liegt,  dafs  bei  uns 
sogar  die  Rede  davon  war,  diesen  Platz  für  die  Nacht  aufzusuchen. 
Aber  eine  Begegnung  zwischen  Vega  und  Vöringen  wurde  vereitelt, 
da  letzterer  des  Nachts  die  Reise  nach  Hammerfest  fortsetzte. 

Am  29.  Juli,  6 Uhr  Nachmittags,  lichtete  Vöringen  wieder  die 
Anker  und  verliefe  Hammerfest  für  immer,  indem  er  die  gastfreien 
Einwohner  der  Stadt  mit  4 Kanonenschüssen  zum  Abschied  grüfste. 
Wir  steuerten  nordwärts,  um  baldmöglichst  das  Fahrwasser  nördlich 
von  Beeren-Eiland  zu  erreichen.  Das  Meer  war  ruhig  und  das  Wetter 
schön.  Ungewöhnlich  viele  und  grofse  Wale  wurden  gesehen,  als  wir 
uns  der  Breite  von  Fruholmen  näherten,  theils  in  der  Feme,  wo  die 
Wassersäulen  derselben  wie  weifse  Segel  am  Horizont  standen,  theils 
so  nahe  am  Schiffe,  dafs  ihr  Athemzug  gehört  werden  konnte;  bis- 
weilen hatten  wir  auch  den  gewaltigen  Anblick  eines  Wales,  wie  er, 
mit  gehobenem  Hintertheil  und  Schwanz  hoch  über  Wasser,  untertaucht 
Inzwischen  wurde  uns  die  Gelegenheit  zu  einer  Beobachtung  genommen, 
die  für  uns  von  Interesse  war,  nämlich  die  einer  hier  grade  stattfinden- 
den Sonnenfinsternifs,  indem  Wolken  über  dem  nördlichen  Horizont  uns 
den  Anblick  der  Sonne  völlig  raubten.  Die  Sonnenfinsternifs  war 
von  unserem  Standpunkt  aus  nur  partiell,  und  ihre  Beobachtung  daher 
nicht  von  besonderer  Bedeutung.  Wären  wir  weiter  östlich  gewesen, 
so  würden  wir  vielleicht  das  Vergnügen  gehabt  haben,  sagen  zu  können, 
dafs  wir  eine  Sonnenfinsternifs  um  Mitternacht  gesehen  hätten. 

Am  31.  Juli  um  die  Mittagszeit  näherten  wir  uns  Beeren-Eiland. 
Das  Wetter  hatte  sich  inzwischen  geändert,  es  war  ziemlich  dick 
geworden,  so  dafs  wir  nur  mit  Mühe  die  Spitze  des  Mount  Misery 
sehen  konnten  und  der  Baokbord-Bug  durch  vorübertreibende  Wolken- 
raassen  sichtbar  wurde.  Als  wir  um  2 Uhr  in  dio  Nähe  der  Insel 
kamen,  wuchs  die  Windgeschwindigkeit  von  5 auf  13  m in  der  Sekunde, 
und  das  Barometor  begann  mit  einer  beunruhigenden  Schnelligkeit  zu 


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sinken,  während  gleichzeitig  sich  ein  Nebel  über  den  ganzen  Gesichts- 
kreis legte;  insgesammt  bedeutungsvolle  Anzeichen  eines  kommenden 
Sturmes,  die  wir  von  früheren  Touren  her  nur  allzu  gut  kannten. 
Der  Wind  bliefs  von  Südwest,  und  es  wurde  deshalb  beschlossen,  das 
Wetter  auf  der  Nordostseite  der  Insel  abzuwarten,  wo  wir  waren,  und 
die  auch  gegen  die  wachsende  See  Schutz  bot 

Nun  begann,  was  wir  unser  Gefängnifsleben  nennen  können. 
Volle  achtundfünfzig  Stunden  lang  wurden  wir  hier  festgehalten. 
In  ganz  langsamer  Fahrt  gingen  wir  unter  dem  Schutze  des  Mount 
Misery  hin  und  her,  aus  und  ein.  Unter  dem  Lande  war  die  See  ziem- 
lich ruhig;  aber  die  Windstösso,  die  vom  Gebirge  herunterkamen,  gingen 
heulend  durch  das  Tauwerk.  Trieben  wir  weiter  ab  vom  Lande,  so 
wurde  der  Seegang  gleich  merkbar  und  am  Horizont  tauchten,  gegen 
Süden  und  Norden,  grofse,  weifse  Schaumwellen  auf,  die  uns  stets 
Kundo  gaben  von  dem  Seegang,  der  draussen  auf  offenem  Meere 
herrschte.  Der  Himmel  war  von  dicken,  treibenden  Wolkenmassen 
verschleiert,  die  nicht  nur  den  Gipfel  jenes  Herges  des  Elends  ein- 
hüllten, sondern  uns  sogar  des  Anblicks  auf  das  niedrige  Land  be- 
raubten. Unter  diesen  Umständen  mufsten  wir  uns  glücklich  preisen, 
dafs  der  Sturm  uns  an  einer  Stelle  erreicht  hatte,  wo  wir  einigermafsen 
in  Sicherheit  waren. 

Draufsen  auf  dem  Meere  war  kein  Arbeitswettor,  aber  dennoch 
war  unsere  Lage,  um  einen  milden  Ausdruck  zu  gebrauchen,  „kummer- 
voll“ zu  nennen.  Wir  hatten  ein  grofses  Stück  Arbeit  vor  uns;  wir 
wollten  das  Meer  zwischen  Heeren-Eiland  und  Spitzbergen,  das 
Meer  zwischen  Spitzbergens  Westküste  und  dem  Grönlandeis 
und  dann  noch  Spitzbergens  Fjorde  und  Bänke  untersuchen  und 
zn  all  diesem  hatten  wir  nur  eine  begrenzte  Zeit.  Auf  unseren  beiden 
früheren  Touren  hatten  wir  ja  allerdings  die  vorausberechneten  Routen 
eingehalten,  waren  aber  auf  diesen  doch  nicht  so  weit  vorgedrungen, 
wie  wir  wünschten,  einestheils  weil  die  von  uns  gesuchten  Naturver- 
hältnisse näher  lagen,  als  vorauszusehen  war,  anderentheils  weil  eine 
mächtige  Eiswand  uns  Halt  gebot  und  uns  unserer  beiden  westlichsten 
Stationen  beraubte.  Aber  jetzt,  gleich  zu  Beginn  unserer  letzten  und 
längsten  Reise  wetterlahm  zu  liegen!  Mit  welchem  Intoresse  wurde 
nicht  jede  Stunde  nachgeforscht,  welche  Geschwindigkeit  der  Wind- 
messer aufwiefs,  wie  oft  nicht  das  Barometer  zu  Rathe  gezogen!  Das 
arme  Barometer,  sein  innerer  Mechanismus  zersprang  später  plötzlich, 
so  dass  es  vollkommen  invalid  wurde.  Wie  oft  richtete  sich  nicht  das 
Auge,  das  bewaffnete  sowohl  wie  das  unbewaffnete,  gegen  den  Horizont, 


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um  nachzuforschen,  ob  der  Himmel  sich  aufhelle  und  die  See  sich 
beruhige. 

Auf  dem  Lande,  wo  man  bei  schlechtem  Wetter  bequem  in  seiner 
Stube  sitzen  kann,  vergehen  die  Tage  schneller  als  auf  der  See  die 
Stunden  der  Sehnsucht  nach  besserem  Wetter,  die  nur  durch  den 
„Kojendienst*  angenehm  unterbrochen  werden.  Wir  wraren  erst  im 
Anfangsstadium  unserer  Fahrt.  Die  wenigen  Stationen,  auf  denen  wir 
seit  unserm  Fortgang  von  Hammerfest  gelotet  hatten,  genügten  nicht, 
um  uns  für  mehrere  Tage  an  Bord  in  Arbeit  zu  halten.  Die  wissen- 
schaftliche Arbeit  war  zu  Ende  und  viel  von  solcher  Arbeit  liefs  sich 
in  diesen  „kummervollen*  Tagen  nicht  machen;  dazu  ist  das  mensch- 
liche Gehirn  nicht  eingerichtet.  So  verstrichen  die  kostbaren  Tage 
für  uns  ohne  Arbeit,  ohne  Resultate,  ohne  dafs  wir  vom  Fleck  kamen. 
Das  ging  auf  die  Dauer  nicht,  etwas  mufste  geschehen.  Es  wurden 
die  Skizzenbücher  durchblättert.  Hier  fanden  sich  Studien  von  den 
vorhergehenden  Touren,  die  zur  Illustration  unserer  Fahrt  benutzt 
werden  konnten.  „Vüringens  Maler- Akademie“,  unter  der  Leitung 
unseres  vortrefflichen  Landschaftsmalers  F.  W.  Schiertz1)  aus  Leipzig, 
trat  in  volle  Wirksamkeit  Jedoch  war  die  Luft  so  feucht,  dass  die 
Wasserfarben  nicht  trocknen  wollten.  Aber  auch  hiergegen  gab  es 
Rath.  In  der  „Schiffsküche“  ist  es  allezeit  angenehm  und  warm,  und 
bald  sah  man  die  Schüler  der  Akademie  auf  der  Wanderung  vom 
Arbeitssalon  hinauf  zu  der  Kombüse2)  mit  den  nassen  Farben,  hin- 
unter mit  den  trocknen.  Dem  Aergerlichen  unserer  Lage  war  den 
Stachel  gebrochen,  die  Kunst  hatte  ihre  versöhnenden  Schwingen  dar- 
über gebreitet 

Mehr  als  30  Stunden  sind  auf  diese  Art  vergangen.  Es  ist  Abend. 
Die  Luft  ist  etwas  klarer  geworden,  die  Wolken  hängen  nicht  mehr 
so  weit  herab  über  Mount  Misery.  Der  Seegang  hat  nachgelassen. 
Sollen  wir  diese  Nacht  einen  Landungsversuch  machen?  Diese  Frage 
wird  am  Abendtisch  diskutirt  und  das  Resultat  ist,  dafs  ein  Versuch 
gemacht  werden  soll.  Ein  scharfes  Auge  hatte  an  der  Küste  eine 
Stelle  entdeckt,  wo  es  möglich  war,  mit  Booten  ans  Land  zu  kommen. 
Die,  welche  sich  zum  Landgang  gemeldet  hatten,  gingen  in  ihre  Kabine 
hinunter,  um  sich  für  die  Tour  zu  rüsten.  Lederjacke,  Seemannsrock, 
Seestiefel,  Taback,  Kompafs,  Hammer,  Taschenbarometer,  Beobachtungs- 
und Skizzenbücher,  Gewehr,  Botanisirtrommel,  — alles  dies  wurde 

1 1 Bemerkung  des  Uebersetzers.  Herr  F.  \V.  Schiertz  ist  inzwischen, 
für  seine  Kunst  zu  früh,  im  Jahre  18S8  zu  Balestrand  am  Sognefjord  gestorben. 

!)  Schiffsküche. 


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angelegt,  beziehungsweise  in  aller  Eile  mitgenommen;  ein  Boot  wurde 
heruntergelassen  und  war  schnell  gelullt  mit  Personen,  die  ans  Land 
steigen  wollten.  In  der  Nähe  des  Landes  war  das  Meer  anscheinend 
ruhig.  Wir  ruderten  auf  die  ausersehene  Landungsstelle  zu.  Ein 
weifser  Fleck  auf  dem  Lande  bezeichnete  die  Stelle.  Als  wir  dem 
Lande  näher  kamen,  zeigte  es  sich,  dafs  der  weifso  Fleck  ein  Wasser- 
fall war;  wir  befanden  uns  an  der  Mündung  des  englischen  Baches.  Er 
lief  in  eine  kleine  Bucht  aus,  rechts  begrenzt  von  einer  steilen  Fels- 
wand; zur  Linken  lagen  Untiefen,  über  welche  sich  das  Meer  mit 
Ungestüm  brach.  Eine  starke  Hebung  und  Senkung  des  Meeres  zeigte 
sich  an  der  Küste  und  in  der  Bucht.  Das  Landen  war  nicht  so  leicht, 
wie  es  vom  Schiffe  aus  den  Anschein  hatte.  Wir  waren  mittlerweile 
hierauf  vorbereitet.  Ein  Bootsanker  und  eine  hinreichende  Meter- 
zahl Tau  waren  mitgenommen.  Eine  Strecke  ab  vom  Lande  wurde 
der  Bootsanker  ausgeworfen  und  das  Boot  vermittelst  der  Ruder  mit 
dem  Steven  gegen  das  Land  gehalten.  Das  Tau  wurde  abgewickelt 
und,  indem  der  Vordersteven  das  Land  berührte,  sprangen  alle  Mann 
ans  Land,  durch  die  Seestiefel  vor  nassen  Fiifsen  geschützt.  Sodann 
wurde  das  Boot  selbst  aufs  Land  gezogen,  da  es  bei  dem  Heben  und 
Senken  des  Meeres  nicht  im  Wasser  bleiben  konnte,  ohne  voraussicht- 
lich in  Stücke  zerschlagen  zu  werden.  Da  wir  die  Ebbe-  und  Fluth- 
verhältnisse  auf  Beeren-Eiland  nicht  näher  kannten,  brachten  wir  das 
Boot,  um  es  nicht  zu  verlieren,  weit  landaufwärts,  indem  wir  Treib- 
holzstücke, die  am  Strand  umherlagerten,  als  Rollen  unter  den  Kiel 
schoben.  Hinter  der  höchsten  sichtbaren  Wassermarke  wurde  das 
Boot  an  einigen  gröfseren  Steinen  festgebunden.  Hierauf  begann  die 
Wanderung  und  die  Untersuchungen.  Alsbald  erreichten  wir  die  An- 
höhe und  genossen  einen  Ueberblick  über  das  niedrige  Land  von 
Beeren-Eiland.  Kleine  Steinkohlenstückchen  lagen  lose  zwischen  den 
Oberflächengesteinen.  Das  Plateau,  auf  dem  wir  wanderten,  war  im 
grofsen  und  ganzen  horizontal;  nur  hier  und  dort  zeigten  sich  kleine 
Erhebungen.  Es  lag  ungefähr  30  Meter  über  dem  Meere.  Wir  wan- 
derten der  nördlichen  Küste  entlang.  Die  Oberfläche  bestand  aus  lauter 
lockeren,  vom  Frost  losgesprengton  Steinen,  wie  ich  es  in  ähnlicher 
Weise  schon  früher  auf  mehreren  unserer  hohen  Gebirgsgipfel  gefunden 
hatte.  Die  losgesprengten  Steine  bildeten  an  vielen  Stellen  ein  scharf- 
kantiges Geröll,  so  dafs  wir  froh  waren,  Seestiefel  zwischen  den 
spitzen  Steinon  und  unseren  Füfsen  zu  haben.  An  andern  Stellen 
hingegen  gaben  die  bereits  zu  Staub  verwitterten  Gesteinarten  einen 
guten  Wegkörper  ab;  verschiedene  Pflanzen  lugten  verschämt  mit 
Himmel  und  Erde.  I.  10.  42 


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ihren  Blüthenküpfen  aus  dem  spärlichen  Erdreich  hervor.  Oröfsere 
und  kleinere  Stellen  von  Moos  bildeten  das  einzige  Grün,  dem  das 
Auge  auf  dieser  öden  Fläche  begegnete. 

Wir  folgten  der  eigenthümlich  geformten  Küste.  Ueborall  jähe, 
gerade  ins  Meer  gehende  Abhänge.  Wir  sahen  niedergestürzte  Berg- 
schichten, über  die  sich  die  Dünungen  (Schlagwellen)  so  lange  brachen, 
bis  sie  die  Felsen  entzwei  gemahlen  und  auf  den  Meeresgrund  abgelagert 
hatten.  Wir  sahen  die  obersten  Lagen  vorn  Überhängen,  nahe  daran, 
wie  ihre  Vorgänger,  ins  Meer  hinunter  zu  stürzen.  Nur  vorsichtig! 
Die  Schichten  liegen  schon  auf  der  Kante;  eine  klaffende  Kitze,  mehrere 
Meter  weit  in  das  Plateau  hineinragend,  hat  schon  das  für  den  nächsten 
Sturz  bestimmte  Stück  von  dem  Mutterfelsen  abgeschnitten. 

Der  nördlichste  und  gröfste  Theil  von  Beeren-Eiland  wird  von 
horizontalen  Schichten  gebildet,  die  der  Kohlenzeit  angehören;  einzelne 
Kohlenschichten  sind  von  Keilhau  nahe  den  Stellen,  die  wir  besuchten, 
nachgewiesen.  Das  Meer  übt  beständig  eine  ersichtliche  Wirkung  aus. 
Die  Brandung  untergrübt  die  höheren  Schichten,  indem  sie  die  untersten 
losbröckelt  und  zermahlt,  bis  die  orsteren  ihre  nothwendige  Stütze  ver- 
lieren und  plötzlich  vornüber  ins  Meer  stürzen.  Es  geht  mit  Beeren- 
Eiland  wie  mit  vielen  anderen  Küsten  und  auch  mit  dem  Niagara. 
Die  Ufer  rücken  stetig  landeinwärts.  Die  Insel  wird  kleinerund  kleiner, 
aber  die  Meerbänke  rings  herum  werden  gröfser  und  grüfser.  Wer 
weifs,  ob  die  Insel  nicht  einmal  landfest  mit  Spitzborgeu  verbunden 
war  oder  fast  bis  dahin  gereicht  hat?  Die  Landschaft  zeigt  noch  andere 
Eigenthümlichkeiten.  Die  Küstenlinie,  welche  vom  Meere  auB  völlig 
eben  aussieht,  ist  es  ganz  und  gar  nicht.  Vorsprünge  und  Buchten 
wechseln  mit  einander  ab.  Die  letzteren  bezeichnen  die  Stellen,  wo  das 
Meer  bereits  seine  nivellirende  Arbeit  ausgeführt  hat;  nach  diesen 
kommen  die  Vorsprünge  an  die  Reihe,  sobald  sie  zu  weit  in  das  alles 
verschlingende  Element  hineinragen.  Zwei  Vorsprünge  sind  die  merk- 
würdigsten und  zeigen,  wie  das  Aussehen  des  Landes  sich  stetig  ver- 
ändert. Hier  ragen  senkrechte  Säulen  aus  dem  Wasser  empor  und 
verrathen  durch  ihre  horizontalen  Bergschichten  ihre  frühere  Zugehörig- 
keit zu  dem  festen  I^ande,  von  dem  sie  jetzt  durch  die  Macht  der  Wellen 
gänzlich  getrennt  sind,  welche  das  Zwischenliegende  dem  Meere  über- 
liefert haben.  Diese  Säulen  waren  für  die  Seevögel  willkommene 
Brutplätze;  hier  konnte  der  Fuchs  weder  sie  noch  ihre  Nester  er- 
reichen. Auch  an  den  steilen  Wänden,  welche  die  Küste  sonst  gegen 
das  Meer  hin  bildete,  war  jeder  Schlupfwinkel  von  den  Seevögeln  be- 
setzt. Während  unserer  Wanderung  machten  wir  auch  kleine  Ab- 


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Stocher  in  das  Innero  der  Insel.  Hier  lag,  6 — 700  m von  der  Küsten- 
linie ab,  eine  lange  Reihe  von  kleinen,  untiefen  Gewässern.  Die 
Temperatur  dieser  Gewässer  betrug  9°  C.  Viele  Vögel  hielten  sich 
hier  auf,  lauter  Seevögel,  die  unsere  Jäger  vollauf  beschäftigten  und 
ihnen  eine  gute  Beute  ausgezeichneter  Exemplare  von  theilweise  sel- 
tenen Arten  verschafften. 

Inzwischen  hatten  die  Wolken  sich  so  weit  gehoben,  dafs  wir 
den  ganzen  untersten  Theil  von  Mount  Misery  deutlich  sehen  konnten. 
Wir  hofften  deshalb  auf  einigermafsen  gutes  Wetter  während  unserer 
Tour.  Aber  es  zeigte  sich  bald,  dafs  der  Meteorolog  auf  Beeren-Eiland 
ebenso  vielen  Täuschungen  ausgesetzt  ist,  wie  anderwärts.  Kaum  hatte 
unsere  Wanderung  über  die  Insel  recht  begonnen,  als  auch  schon 
ihre  klimatische  Kopfbedeckung,  der  Nebel,  sich  wieder  über  den 
niedrigen  Theil  der  Insel  ausbreitete.  Er  trat  so  stark  auf,  dafs  einen 
Augenblick  die  Rede  davon  war,  sofort  umzukehren,  bis  im  Kriegs- 
rath beschlossen  wurde,  die  Tour  fortzusetzen.  Es  ging  weiter  nord- 
wärts. Die  Aussicht  war  beschränkt  genug,  jedoch  gerade  ausreichend, 
um  sich  immer  wiederzufinden  und  nicht  die  jähen  Abhänge  hin- 
unterzustürzen. So  ging  es  einige  Stunden  lang.  Wir  waren  ungefähr 
7 — 8 km  weit  vorgedrungen,  als  die  Küste  sich  mehr  gegen  Nordwest 
wandte.  Unser  Ziel,  den  Kohlenhafen  mit  den  Steinkohlenlagern, 
hatten  wir  noch  nicht  erreicht  und  fingen  allmählich  an  zu  ahnen,  dafs 
wir  die  Stelle  verfehlt  hatten.  Ueberhaupt  war  er  von  der  Insel  aus 
kaum  zu  erreichen,  sondern  nur  bei  ganz  ruhigem  Wetter  in  Booten 
von  der  Soeseite  aus.  Weiter  vorzudringen  bis  zu  Tobiosens  Hütte, 
wo  dieser  bekannte  norwegische  Schiffer  einst  überwintert  hatte, 
lag  aufserhalb  unseres  Planes.  So  wurde  beschlossen  umzukehren. 
Es  war  2 Uhr  Morgens.  Alsbald  wurde  gemeldet,  dafs  wir  auf  Ver- 
steinerungen gestofsen  seien,  und  alle  Mann  begaben  sich  ans  Sam- 
meln. Endlich  begann  der  Rückmarsch  ernstlich,  er  war  lang  und 
beschwerlich.  Der  Kompafs  w'urde  zu  unserem  Wegweiser.  Die  stets 
unentbehrlichen  Brillen  beschlugen  von  dem  Nebel  derart,  dafs  sie  fast 
unbrauchbar  wurden.  Unter  solchen  Umständen  war  es  schwierig, 
über  die  scharfkantigen  Gesteine  des  Gerolles  glücklich  hinwegzu- 
kommen. Die  Uebung  half  bald  auch  dieses  Hindernifs  überwinden. 
Während  des  Rückmarsches  bemerkte  ich,  dafs  das  Barometer  wieder 
stark  sank  und  der  Wind  zunahm;  ein  neuer  Sturm  war  im  Anmarsch, 
die  alto  Regel  bestätigend:  „Ein  Wirbel  kommt  selten  allein.“ 

Wo  war  Vö ringen?  Als  wir  ihn  zuletzt  gesehen  hatten,  ging 
er  unweit  des  Landungsplatzes  hin  und  her,  aber  da  war  das  Wetter 

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noch  klar.  Was  hatte  unser  Kapitain  gemacht,  als  der  Nebel  wieder 
auftrat?  „Ich  will  wünschen,  dafs  er  geankert  hat,“  sagte  der  Nächst- 
kommandirende  zu  mir.  Plötzlich  kamen  wir  an  einen  Einschnitt,  an 
das  Thal  mit  dem  englischen  Bache.1)  Wir  stiegen  den  Abhang  hinunter 
und  sahen  zu  unserer  grofsen  Freude  „Vöringen“  vor  uns  vor  Anker 
liegen.  Unser  Boot  fand  sich  an  derselben  Stelle  vor,  wo  wir  es 
festgebunden  hatten  und  wir  konnten  unsere  Vorsicht  preisen,  die 
es  uns  hatte  so  hoch  ziehen  lassen,  da  die  Fluth  beinahe  bis  zum 
Kiel  gestiegen  war.  Sofort  drehten  wir  das  Boot  mit  dem  Steven 
gegen  die  See  und  zogen  die  Ankerleine  fest  an;  einige  stiegen  ins 
Boot,  während  die  übrigen  es  in  die  Brandung  hinausschoben  und 
alsdann  nachsprangen.  Wir  waren  sofort  flott  und  ritten  vor  unserm 
kleinen  Anker,  als  wir  zu  unserm  Erstaunen  bemerkten,  dafs  einer 
von  uns  am  Ufer  zurückgeblieben  war,  der  nicht  Platz  gefunden 
hatte,  sich  ins  Boot  zu  schwingen.  Die  Ruder  auslegen,  in  der  Anker- 
leine nachgebon  und  zurück  ans  Ufer  rudern,  war  die  Sache  eines 
Augenblickes,  und  im  nächsten  schon  stand  der  letzte  Mann,  Dank 
seiner  turnerischen  Fertigkeit,  im  Boot.  Es  wurde  aus  der  Brandung 
herausgerudert,  der  kleine  Anker  heraufgeholt  und  an  „Vöringen" 
herangerudert,  wo  unser  Kapitain  uns  mit  der  erquickenden  Nachricht 
empfing,  dafs  er  warmen  Kaffee  für  uns  bereit  habe. 

Das  allgemeine  Wohlbefinden  erreichte  seinen  Höhepunkt,  als 
die  nassen,  schweren  Kleider  mit  trockenen,  leichteren  gewechselt,  der 
Kaffee  getrunken  und  die  Pfeifen  angezündet  waren.  Es  war  bereits 
4 Uhr  Morgens  und  es  schien,  als  ob  die  Müdigkeit  sich  gar  nicht 
einstellen  wollte.  Da  wurde  gemeldet,  dafs  die  Mannschaft  fische.  Auf 
Deck  lagen  schon  mehrere  grofse  Dorsche  und  immer  wieder  wurde 
einer  nach  dem  andern  heraufgeholt.  Alle  Angeln  wurden  in  Thätig- 
keit  gesetzt;  Matrosen  und  Männer  der  Wissenschaft  fischten  um  die 
Wette.  Der  Meeresboden  lag  20  Meter  unter  uns.  Kaum  waren  die 
Angelschnüre  ausgeworfen  und  das  Senkblei  am  Boden,  so  bissen 
die  Fische  auch  schon  an  und  theilweise  so  stark,  dafs  man  die  Schnur 
mit  Macht  zurückhalten  mufste.  Mehrere  der  Mannschaft  hatten 
nichts  Anderes  zu  thun  als  alle  die  grofsen  Dorsche  zu  reinigen,  die 
jeden  Augenblick  von  den  Fischenden  auf  Deck  geworfen  wurden. 
Da  lagen  sie  in  so  grofsen  Haufen,  dafs  es  schwer  war  durchzukommen. 
Der  Magen-Inhalt  wurde  von  den  Zoologen  fleifsig  studirt. 

Während  des  Fischfanges  war  das  Wetter  veränderlich.  Bald 

')  Engelskeven. 


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593 


triefte  es  vom  Nebel,  so  dafs  alles  feucht  wurde,  bald  brach  die  Sonne 
durch  und  zeigte  Land,  Meer  und  Himmel  in  der  schönsten  Beleuch- 
tung, ein  immer  wechselndes  Panorama,  das  wohl  eine  ungetheilte 
Aufmerksamkeit  des  Auges  verdient  hätte.  Aber  der  Sport  des  Fischens 
nahm  die  damit  Beschäftigton  vollauf  in  Anspruch  und  theilweiso  der- 
art, dafs  hautlose  Finger  noch  drei  Wochen  lang  täglich  an  die  herr- 
liche Fischerei  von  Beeren-Eiland  erinnerten.  Es  war  ein  grofses  Ver- 
gnügen, den  Seevugeln  beim  Fischen  zuzusehen.  Wenn  ein  Stück 
Dorschleber  über  Bord  geworfen  wurde,  schlugen  sich  gleich  eine 
grofse  Menge  von  Sturmvögeln  (Procellariae)  darum  und  hier  und  dort 
sah  man  in  der  Schaar  der  Sturmvögel  eine  würdige  Bürgermeister- 
möve.  Der  Glückliche,  der  die  Beute  in  den  Schnabel  bekam,  suchte 
gleich  damit  zu  einer  abgelegenen  Stelle  zu  flüchten,  stets  gefolgt  von 
vielen  Neidischen,  die  ihm  noch  die  Beute  streitig  machen  wollten. 
Aeufserst  komisch  war  es,  zu  sehen,  wie  die  Sturmvögel,  die  schlechte 
Taucher  sind,  sich  bemühten,  ein  untersinkendes  Stück  Leber  zu  er- 
haschen. Um  7 Uhr  endlich  nahm  die  Zahl  der  Fische  ab  und 
infolge  dessen  auch  bald  die  der  Fischer.  Um  8 Uhr  war  die 
Fischerei  zu  Ende;  es  lagen  da  auf  Deck  200  grofse  Dorsche  von 
einer  Elle  Länge.  Welches  Blutbad  und  welche  Reinigungsarbeit! 
Der  Fang  hatte  keine  volle  vier  Stunden  gedauert  und  die  Beute  wäre 
auf  dem  Fischmarkt  von  Christiania  mit  400  Kronen  bezahlt  worden. 
Der  kleinste  Theii  wurde  frisch  verspeist,  der  Rest  von  der  Mann- 
schaft eingesalzen. 

Das  war  eine  Sommernacht  auf  Beeren-Eiland. 

(Fortsetzung  folgt.) 


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Ueber  das  Eindringen  des  Lichts  in  die  Tiefen  des  Meeres. 

Von  Adunralitatsralh  Rottok. 

Die  Frage  über  die  Tiefe,  bis  zu  welcher  das  Tageslicht  in  das  Meer- 
wasser einzudringen  yennag,  ist  nicht  nur  für  den  Seemann  von  beson- 
derem Interesse  und  praktischer  Bedeutung,  sondern  auch  für  dasStudium 
der  biologischen  Tiefseeforschung  von  hervorragender  Wichtigkeit.  Wenn 
man  trotzdem  bisher  zu  keiner  befriedigenden  Lösung  derselben,  zu 
keinem  sicheren  Resultat  gelangt  ist,  so  liegt  dies  zum  Theil  in  dem 
wenigen  uns  hierüber  zur  Verfügung  stehenden  Beobachtungsmaterial, 
zum  Theil  in  der  Schwierigkeit  der  Bestimmung,  an  der  Unvoll- 
kommenheit der  Methoden.  Ueber  den  Stand  der  Frage  giebt  eine  im 
Februar-Heft  der  Annalen  der  Hydrographio  veröffentlichte  Arbeit  von 
Professor  Krümmel1)  Aufschlufs,  in  welcher  er  das  wichtigste  hierüber 
bekannte  Material  zusammengotragon  hat. 

Die  bisher  fast  allgemein,  besonders  an  Bord  von  Schiffen  auf 
See  angewandte  Methode,  die  Durchsichtigkeit  des  Wassers  zu  be- 
stimmen, bestand  darin,  dafs  der  Beobachter  einen  Gegenstand  (ge- 
wöhnlich eine  weifse  Scheibe)  an  einer  abgemessenen  Leine  im  Wasser 
versenkte  und  die  Tiefe  feslstellte,  bis  zu  welcher  dieselbe  sichtbar 
blieb.  Auf  diese  Weise  erhielt  bereits  im  Jahre  1817  O.  von  Kotzebue 
an  Bord  der  Ilurik  bei  Anwendung  eines  Stückes  rothen  Tuches  eine 
Sichttiefe  von  29  m,  mit  einem  weifsen  Teller  von  50  m.  Kapitain 
Duperree  machte  auf  der  Coquillo  1823  und  1824  ähnliche  Beob- 
achtungen, wobei  er  als  Versenkungskörper  ein  weifses  66  cm  breites 
Brett  benutzte,  welches  schon  in  12  — 23  m Tiefe  dem  Auge  ent- 
schwand; Kapitain  Berard  (1841)  sah  einen  weifsen  Teller  noch  in 
40  m Tiefe. 

Die  ersten  systematischeren  und  zuverlässigeren  Untersuchungen 
hat  Wilkes  auf  seiner  Weltumsegelung  1838 — 42  angestellt,  wobei 
er  gleichzeitig  die  Sonnenhöhe  bei  den  einzelnen  Beobachtungen, 

')  Bemerkungen  über  die  Durchsichtigkeit  des  Meenvassers.  Annalen 
der  Hydrographie  uud  maritimen  Meteorologie,  Heft  II.  1889. 


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»S1 


595 


welcher  er  einen  besonderen  Einflurs  auf  die  Gröfse  der  Sichttiefe  zu- 
sprach, notirte;  abgesehen  von  einem  vereinzelten  Falle,  in  welchem 
der  weifse  Versenkungsgegenstand  bis  zu  59  m Tiefe  gesehen  wurde, 
war  die  gröfste  beobachtete  Sichttiefe  31  m bei  Sonnenhöhen  von 
50—80». 

Ungefahr  30  Jahre  später,  im  Jahre  1865,  machten  Secchi  und 
Cialdi  im  Mittelmeer  auf  der  päpstlichen  Korvette  ITmmacolata  Con- 
cezione  mehrere  Beobachtungsreisen  mit  an  Grefee  und  Farbe  ver- 
schiedenen Scheiben;  während  die  kleineren  Scheiben  von  43  cm 
Durchmesser  schon  in  geringeren  Tiefen  nicht  mehr  wahrgenommen 
werden  konnten,  blieben  die  grüfseren  von  2.37  m Durchmesser  bis 
zu  42.5  m sichtbar;  ebenso  wiesen  die  weifsen  Scheiben  eine  gröfsere, 
beinahe  die  doppelte  Sichttiefe  auf,  als  die  gelben  und  grünen;  die 
scheinbare  Farbe  der  weifsen  Scheiben  wechselte  übrigens  mit  der 
Tiefe,  sie  wurde  in  einer  gewissen  Tiefe  grünlich,  dann  bläulich-grün 
und  schliefslich  azurblau  wie  die  See,  um  dann  alsbald  nicht  mehr 
von  der  letzteren  unterschieden  werden  zu  können. 

Trotz  der  schlechten  Resultate,  welche  Secchi  mit  den  kleinen 
Scheiben  erhalten  hatte,  wurden  von  Luksch  und  Wolf  im  Jahre 
1880  zu  ähnlichen  Versuchen  im  Mittelmeer  noch  kleinere  Scheiben 
von  36  cm  Durchmesser  genommen,  von  welchen  drei  aus  blankem 
Metallblech,  Weifsblech,  Messing  und  Kupfer  bestanden,  zwei  weifs 
und  grün  bemalt  waren.  Die  gröfste  beobachtete  Sichttiefe  (der 
weifsen  Scheibe)  betrug  54  m bei  68 — 70°  Sonnenhöhe  auf  der 
Schattenseite  des  Schiffes  und  bei  3.5  m Augeshöhe  über  der  Meeres- 
oberfläche. Die  weifs  gemalte  und  die  Weifsblechscheibe  blieben  am 
längsten  sichtbar,  die  grüne  verschwand  zuerst,  dann  die  Kupferscheibe 
und  die  gelbe  Messingscheibe. 

An  Bord  Seiner  Majestät  Kadettenschulschiff  Niobe  wurde  im 
Sommer  1887  unter  Kommando  des  Kapitain  zur  See  Aschenborn 
in  der  Ost-  und  Nordsee  eine  Reihe  interessanter  Beobachtungen  mit 
weifsen  Scheiben  von  2 m Durchmesser  ausgeführt.  Als  Maximal- 
werthe  für  die  Sichttiefe  in  diesen  Meeren  erhielt  man  für  die  Ostsee 
16  m in  der  Kieler  Bucht,  15  m bei  Rügen  und  für  die  Nordsee  22  m 
(Irische  Sec).  Auf  Rheden  und  in  Häfen,  wo  das  Wasser  wahrschein- 
lich durch  den  Schiffsverkehr  aufgerührt  und  verunreinigt,  war  die 
Durchsichtigkeit  desselben  bedeutend  geringer  (das  Minimum  betrug 
ca.  4 m)  als  auf  offener  See. 

Wie  unvollkommen  die  bisher  besprochene  Beobachtungsmethode 
ist  und  wie  unsicher  und  relativ  die  Resultate  derselben  sind,  be- 


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r.96 

sveisen  zur  Genüge  die  graften  Differenzen  der  erhaltenen  Sichttiefen, 
auf  welche,  abgesehen  von  der  subjektiven  Sehschärfe  des  Beobachters, 
die  Beschaffenheit  der  Scheiben,  namentlich  ihre  Grüfte  und  Farbe, 
die  Höhe  des  Beobachters  über  dem  Meeresspiegel,  der  Zustand  der 
Wasseroberfläche,  ob  glatt  oder  bewegt,  die  Beleuchtung,  Bewölkung 
und  Sonnenhöhe  einen  namhaften  Einfluft  ausüben,  wie  dies  in  der 
Natur  der  Sache  liegt  und  auch  grüfttentheils  aus  den  Beobachtungen 
selbst  abgeleitet  werden  konnte.  Die  Beobachtungen  mit  zu  kleinen 
Scheiben  konnten  deshalb  nicht  maftgebend  sein,  weil  bei  bestimmter 
Entfernung  der  Gesichtswinkel  derselben  so  klein  wurde,  daft  die- 
selben dem  Auge  entschwinden  mufsten.  Bezüglich  des  Standpunktes 
des  Beobachters  konnte  konstatirt  werden,  daft  je  näher  das  Auge  dem 
Meeresspiegel,  desto  gröfser  die  Sichttiefe. 

Krümmel  macht  ferner  zum  Beweise  der  Unverläfslichkeit  der 
besprochenen  Methode  darauf  aufmerksam,  wie  wenig  sich  das  mensch- 
liche Auge  zu  solchen  photometrischen  Messungen  eignet,  weil  es  -wie 
andere  Sinnesorgane  die  Unterschiede  zweier  Reize  nur  dann  empfinde^ 
wenn  das  Verhiiltnifs  dieser  Reizintensitäten  ein  nahe  konstantes  Mafs 
(Visa)  überschreitet“.  Sowie  der  Unterschied  zwischen  der  Helligkeit 
und  Farbe  der  versenkten  Scheibe  und  derjenigen  des  Wassers  kleiner 
wird,  als  dieses  Maft,  so  wird  die  Scheibe  von  dem  Wasser  nicht  mehr 
unterschieden. 

Es  mufste  daher  eine  objektivere  Methode  der  Untersuchung,  die 
photographische,  wie  sie  zuerst  Forel  angewandt  hat,  sehr  willkommen 
sein.  Derselbe  versenkte  im  Genfer  See  Chlorsilber-  oder  Bramsilber- 
Gelatine-Papier,  welche  gegen  das  Sonnenlicht  sehr  empfindlich  sind, 
und  von  demselben  geschwärzt  werden;  er  fand  im  Sommer  eine  Licht- 
wirkung bis  zu  45  m,  im  Winter  bis  zu  100  m. 

Die  Versuche  wurden  in  ähnlicher  Weise,  aber  mit  verbesserten 
Apparaten  von  Fol  und  Sara  sin  im  Mittelmeere  fortgesetzt  und 
durch  dieselben  die  Lichtgrenze  weit  mehr,  bis  zu  400  m Tiefe, 
hinausgeschoben. 

Der  deutscho  Ingenieur  von  Petersen,  welcher  gegen  die  Fol- 
und  Sarasinsclien  Beobachtungen  den  Einwand  erhob,  daft  dieselben 
zu  nahe  der  Küste  angestellt,  wo  das  Wasser  weniger  durchsichtig 
sei,  als  in  offener  See,  und  daft  durch  vorheriges  Lethen  das  Wasser 
an  der  Beobachtungsstelle  getrübt  wäre,  vermied  bei  seinen  nun  fol- 
genden Untersuchungen  beide  Uebelstände  und  wies  auf  der  Höhe  von 
Capri  noch  in  500  und  550  m Tiefe  eine  deutliche  Schwärzung  der 
versenkten  Platten  nach. 


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597 


Dem  auch  gegen  die  photographische  Methode  zur  Bestimmung 
der  Eindringungstiefe  des  Lichtes  in  das  Wasser  erhobenen  Bedenken 
gegenüber,  dafs  bei  derselben  auf  den  Platten  nur  die  chemisch  wirk- 
sameren, d.  h.  die  blauen  und  violetten  resp.  ultravioletten  Licht- 
strahlen zum  Ausdruck  kämen,  während  es  nicht  ausgeschlossen  sei, 
dafs  die  Strahlen  gröfserer  Wellenlänge,  d.  h.  die  rothen,  noch  tiefer 
eindrängen,  ist  festgestellt  worden,  dafs  das  Seewasser  in  erster  Linie 
die  letzteren  absorbirt,  dagegen  die  blauen  und  violetten  Strahlen 
besser  durchläfst,  diese  demnach  in  gröfsere  Tiefen  einzudringen  ver- 
mögen als  die  rothen,  und  die  Lichtgrenze  zu  fixiren  wohl  geeignet 
sind.  Wenn  man  bedenkt,  dafs  gerade  von  diesen  eindringungsfähigsten 
blauen  Strahlen  ein  grofser  Theil  und  mehr  als  von  den  rothen,  von 
dem  Wasser  reflektirt  wird,  wodurch  demselben  ja  seine  blaue  resp. 
grüne  Farbe  gegeben  wird,  und  dafs  ferner  die  in  dem  Wasser 
schwebenden  Mengen  von  Sinkstoffen  und  kleinen  Organismen  in 
hohem  Grade  absorbirend  wirken  und  die  Lichtintensität  abschwiiohen 
müssen,  so  nimmt  es  nicht  Wunder,  dafs  die  Lichtgrenze  sich  so 
wenig  von  der  Oberfläche  entfernt. 

Auch  Salzgehalt  und  Temperatur  des  Wassers  haben  ihren  Ein- 
flufs  auf  die  Durchsichtigkeit  desselben.  Der  Salzgehalt  hat  die  Eigen- 
schaft, dafs  er  die  Abscheidung  der  in  dem  Wasser  schwebenden 
Sinkstoffe  begünstigt  und  beschleunigt,  und  zwar  nimmt  diese  klärende 
Wirkung,  mithin  auch  die  Eindringungstiefe  des  Lichtes,  mit  dem  Salz- 
gehalte zu. 

Durch  eine  hohe  Temperatur  des  Wassers  wird  die  Abscheidung 
der  Trübe  beschleunigt.  Andererseits  wird  jedoch  durch  eine  Er- 
höhung der  Temperatur  die  Lichtabsorptionsfähigkeit  des  Wassers  eine 
gröfsere,  die  Eindringungstiefe  also  wieder  vermindert,  und  es  ist  nicht 
ohne  weiteres  zu  entscheiden,  welche  von  diesen  sich  gegenüber- 
stehenden Wirkungen  der  Temperatur  die  Oberhand  hat. 

Als  Beweis  der  Richtigkeit  der  gefundenen  Lichtgrenze  mag 
schliefslich  noch  angeführt  werden,  dafs  dieselbo  übereinstimmt  mit 
der  Grenze,  bis  zu  welcher  man  in  den  Tiefen  des  Meeres  ein 
Pflanzenleben  angetroffen  hat,  dessen  Existenz  bekanntlich  das  Vor- 
handensein von  Licht  bedingt. 


* 


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am 

Klimatische  Eigentümlichkeiten  Persiens. 

Von  A.  ).  Ccyp. 

Für  ganz  Persien  ist  die  Geringfügigkeit  der  fast  ausschliefslich 
in  die  drei  Wintermonate  fallenden  atmosphärischen  Niederschläge, 
die  im  südwestlichen  Theile  höchstens  25  cm  pro  Jahr  betragen,  und 
die  excessive  Sommerhitze  bei  verhällnifsmälsig  kühlen,  ja  selbst 
kalten  Wintern  charakteristisch.  Besonders  im  südlichen  Persien, 
dem  eigentlichen  Gärmstr,  d.  h.  dem  heifsen  Laude,  steigert  sich  die 
Sommertemperatur  zu  einem  Grade,  dor  dasselbe  den  heifsesten 
Gegenden  des  Erdballes  ebenbürtig  anreiht.  Es  war  am  17.  Juni 
1886  in  KäzerQn,  an  der  Grenze  des  Gärmsir  gelegen,  900  m über 


dem  Meere  die  Temperatur: 

um  8 Uhr  Vormittags  . 

24,0»  C. 

9 , 

29,5»  , 

W 

10  „ 

32,7»  „ 

n 

12  * 

39,7»  „ 

2 „ Nachmittags  . 

40,2«  „ 

n 

4 „ 

39,4»  „ 

Millimaltemperatur  . 

17,8»  , 

Besonderer  Erwähnung  bedarf  die  Temperatur  auf  der  Halbinsel 
von  Bflshähr,  die  als  Typus  der  Temperaturen  am  persischen  Golfe 
dienen  kann.  Da  hier  über  l'/i  Jahre  sich  erstreckende,  genaue 
meteorologische  Beobachtungen  angestellt  wurden,  so  können  Durch- 
schnittszahlen gegeben  werden: 

durchschnittliche 


1886. 

Maximaltemperatur 

Minimaltemperatur 

Januar . . 

. . 14.4«  C. 

8,3»  C. 

Februar  . 

. • 17,1», 

10,4»  , 

März  . . 

. . 23,9»  „ 

14,3«  , 

April  . . 

. . 27,3»  , 

19,2«  „ 

Mai  . . . 

. . 34,3»  , 

24,6»  , 

Juni . . . 

. • 34,3«  „ 

27,2»  , 

Juli  . . . 

• • 34,4»  „ 

28,9«  , 

August.  . 

. . 34,3«, 

29,8»  , 

September 

. . 35,2», 

26,2»  , 

Oktober  . 

. . 31,9«, 

24,4»  , 

November 

. . 23,5»  , 

17,0«  , 

Dezember 

. . 19,8»  _ 

12,1»  , 

Man  könnte  nun  aus  diesen  Daten  schließen,  dafs  die  Sommer- 


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599 


temperauir  direkt  an  der  Küste  weniger  lästig  sei  als  im  Innern.  Das 
würde  indessen  ein  greiser  Irrtlium  sein.  An  der  Küste  des  persischen 
Golfes  nämlich  ist  die  Luft  während  der  heüsen  Jahreszeit  bei  voll- 
kommen klarem  Himmel  und  unverhüllter  Sonne  doch  so  mit  Feuchtig- 
keit gesättigt,  dals  des  Nachts  regclmäfsig  ein  sehr  starker  Thaufall 
eintritt,  und  dafs  am  Tage  die  leichteste  Bewegung  ein  Ausbrechen 
des  Schweifses  über  den  ganzen  Körper  zur  Folge  hat.  Büshiihr  ist 
deshalb  nicht  ganz  mit  Unrecht  unter  den  Europäern  im  hohen  Grade 
verrufen.  Nur  wenige  vermögen  dort  während  der  Sommermonate 
ruhigen  Schlaf  zu  linden,  und  meistens  wandern  sie,  von  der  uner- 
träglichen Schwüle  und  einem  oft  den  ganzen  Körper  überdeckenden, 
mückenstichartigen  Ausschlag  (prickly  heat)  geplagt,  den  gröfsten 
Theil  der  Nacht  schlummerlos  auf  dem  flachen  Dache  herum,  um  dann 
in  der  Mittagszeit,  wo  infolge  der  steigenden  Temperatur  die  Schwüle 
weniger  bemerklich  ist,  das  Versäumte  nachzuholen.  Ganz  anders  im 
Innern  des  Landes.  Schon  in  Tshäkutah  macht  sich  der  geradezu 
furchtbaren  Hitze  zum  Trotz  das  Abnehmen  des  Feuchtigkeitsgehaltes 
der  Luft  angenehm  bemerkbar,  indem  besonders  die  Nächte  eine 
relativ  sehr  bedeutende  Abkühlung  zeigen;  und  sobald  mau  die  Hoch- 
thäler  des  Plateaus  ersteigt,  wächst  die  Trockenheit  der  Luft  immer 
mehr,  und  die  Nächte  werden  immer  erquicklicher,  bis  zuletzt,  wenn 
man  die  Plateauhöhe  von  1700 — 1800  m erstiegen  hat,  die  gewöhn- 
lichen Sommertemperaturen  nur  selten  die  Blutwärme  erreichen  und 
somit  denen  sehr  heifser  deutscher  Sommertage  in  Bezug  auf  die 
absolute  Temperatur  etwa  gleichkommen.  Dennoch  ist  der  Eindruck, 
den  sie  auf  den  Körper  machen,  ein  durchaus  verschiedener.  Bei  der 
grofsen  Trockenheit  der  Luft  fehlt  ihnen  alles  Drückende,  und  man 
transpirirt  so  unbedeutend,  dafs  man  den  Eindruck  erhält,  als  wäre  es 
viel  kühler.  Freilich,  sobald  man  aus  dem  Schatten  in  die  fast  senk- 
rechten Strahlen  der  mit  unvergleichlichem  Glanze  leuchtenden  Sonne 
hinaustritt,  bemerkt  mau,  in  welch  kolossalen  Hitzegraden  man  sich 
bewegt;  und  der  Europäer,  welcher  seinen  Kopf  nicht  durch  einen 
Hut  mit  Isolirschicht,  am  besten  eine  indische  Sola-Topi  (vom  Mark 
der  Aischy-nomene  aspera),  schützt,  ist  sicher,  sich  einen  Sonnenstich 
oder  doch  mindestens  ein  heftiges  Fieber  zuzuziehen.  Diese  eigen- 
thümlichen  Tompcraturverhiiltnisse  haben  denn  auch  dem  ganzen  Ver- 
kehr ihren  Stempel  aufgedrückt  Es  fällt  in  den  hcifsen  Gegenden 
keinem  Perser  ein,  zur  Sommerzeit  anders  als  bei  Nacht  oder  höchstens 
Morgens  und  Abends  zu  reisen,  und  besonders  der  Karawanenverkehr 
fällt  fast  ausschliefslich  in  diese  Zeit  Wie  Schatten  sieht  man  dann 


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600 


in  den  breiton  Thälern  die  beladenen  Thiere  vorüberhuschen,  deren 
Herannahen  sich  schon  von  weither  durch  das  Geläute  ihrer  Glocken 
und  Schellen  ankündigt.  Um  während  der  Nacht  im  Freien  zu  lagern, 
ist  es  nothwendig,  freie  Stellen  in  der  Nähe  von  fliefsendem  Wasser 
zu  wählen  und  da,  wo  noch  kein  Lager  gestanden.  Für  jede  einzelne 
Person  ist  eine  Filzdecko  (nämäd)  von  der  Länge,  dafs  man  auf 
dem  Boden  liegen  kann,  nöthig.  Als  Brennmaterial  findet  man  häufig 
den  Sacksaul  und  die  Absynthwurzel,  die  ebenso  auch  den  Thieren 
als  Nahrung  dienen.  Was  speziell  die  Gegenden  um  Teheran  bis  über 
Ispahän  hinaus  anbelangt,  so  ist  auch  hier  zu  bemerken,  dafs  während 
des  Juni  und  Juli  die  Nächte  eben  so  warm  sind,  wie  in  den  Küsten- 
gegenden. Erst  Mitte  August  beginnen  leichte  Windbrisen,  die  eine 
nächtliche  Erfrischung  bringen.  Im  September  fängt  es  an  Nachts 
ordentlich  abzukühlen  und  im  Oktober  friert  man  oft  schon  in  den 
allzu  luftigen  Sommerwohnungen.  Vom  Juni  bis  Oktober  ist  ein  Regen 
eine  ungewöhnliche  Naturerscheinung.  Die  unerträglichsten  Sommer- 
tage sind  diejenigen,  an  denen  das  Firmament  umflort  ist  und  die 
Sonne  nicht  durchzudriugen  vermag.  Gegen  Ende  Oktober  oder  An- 
fang November  kommt  meist  eine  kurze  Regenzeit  bei  noch  milder 
Temperatur,  dann  aber  folgt  ein  wunderbarer  Späthorbst;  jedenfalls 
die  Perle  unter  den  Jahreszeiten  Irans.  Der  Winter  tritt  spät  ein,  ist 
jedoch  recht  strenge  und  dauert  glücklicherweise  selten  mehr  als 
acht,  höchstens  neun  bis  zehn  Wochen.  Der  Beginn  des  Frühjahrs 
ist  die  Zeit  der  langen  Regen  und  grofsen  Stürme,  darauf  folgt  ganz 
unvermittelt  eine  grofse  Tageshitzo  mit  starken  Gewittern;  im  ganzen 
könnte  ich  nicht  behaupten,  dafe  der  Frühling  zu  den  lieblichsten 
Zeilen  Irans  gehörte,  abgesehen  etwa  davon,  dafs  das  rasche  Wieder- 
grünen Herz  und  Auge  erfreut  Im  Winter  hatte  ich  bis  zu  16°  C. 
und  fast  jeden  Winter  wochenlang  jeden  Abend  und  Morgen  eine 
beträchtliche  Kälte.  Das  Mauerwerk  der  Häuser  ist  dünn,  Thüren 
und  Fenster  schliefsen  schlecht,  der  Lehmboden  der  Zimmer  durch- 
kältet, und  die  Kamine  sind  danach,  jeden  von  vorne  zu  braten  und 
von  rückwärts  erfrieren  zu  lassen.  Der  Europäer  kauft  6ich  doch 
wenigstens  Steinkohlen,  von  denen  der  Khärvär  = 294,4  kg.  fünf  bis 
sechs  Kerän  (1  Koran  = 1 Franc)  kosteL  Im  Durchschnitt  hat  der  Einge- 
borene nicht  die  Mittel  zu  solchem  Luxus  und  steckt  tagelang  unter  einer 
Decke  mit  einer  Art  Kohlenpfanne  (mängäl).  Man  sagt,  dafs  der  schöne 
Himmel  Iräns  jeden,  der  ihn  kennen  lernte,  immer  wieder  dorthin 
ziehe.  Ich  kann  gerade  nicht  behaupten,  dafs  ich  bisher  Sehnsucht 
danach  gefühlt  hätte,  aber  dafs  derselbe  einen  besseren  Eindruck 


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601 


macht  als  die  grauen  Nebel,  welche  während  zweier  Dritttheile  des 
Winters  über  Europa  hängen,  gebe  ich  gern  zu.  Der  Europäer  sieht 
in  den  Bazaren  und  Strafsen  mit  Ver-  und  Bewunderung,  welche 
schwere  Lasten  die  Hamäls  (Lasträger)  tragen,  welch  riesige  Ent- 
fernungen sie  im  Dauerlaufe  zurücklegen,  in  welch  jammervoller 
Kleidung  sie  im  Winter  ihre  Arbeit  verrichten,  wie  sie  selbst  im 
Norden,  wo  der  Schnee  nicht  selten  meterhoch  liegt,  den  ganzen  Tag 
im  Freien  zubringen  und  in  ihrer  Behausung  nur  eine  Hand  voll 
Holzkohlen  haben.  Doch  eine  Achillesferse,  wo  ihn  die  Kälte  über- 
windet, hat  auch  der  Perser,  das  ist  — die  Hand.  Der  Europäer  kann 
an  der  Hand  eine  ziemliche  Portion  Kälte  vertragen,  scheut  aber  nasse 
Füfse.  Der  Perser  fühlt  sich  im  Winter  mit  nackten,  eiskalten  Füfsen, 
auf  den  Teppichen  hockend,  behaglich,  so  lange  er  nur  ein  kleines 
mängäl  vor  sich  hat,  die  Hände  zu  erwärmen,  ja  er  friert  in  einem 
europäisch  geheizten  Zimmer,  weil  er  da  die  Hände  nicht  so  ausgiebig 
rösten  kann,  wie  über  einem  Kohlenfeuer  und  weil  die  Körperwärme 
in  seinem  faltigen  Gewände  weniger  zusamtnengehalten  wird,  wenn 
er  auf  dem  Stuhle  sitzt,  als  wenn  er  die  Beine  wie  Taschenmesser 
zusammenklappt  und  sich  oben  drauf  setzt  Die  Konstruktion 
seines  Anzuges  erleichtert  ihm  die  Warmhaltung  der  Hände  auf  der 
Strafse  insofern,  als  er  dieselben  aus  den  weiten  Aermeln  zurückziehen 
und  an  der  Brust  wärmen  kann.  Man  meint  lauter  Amputirten  auf 
der  Strafse  zu  begegnen,  die  Aermel  hängen  lose  am  Körper  herab, 
die  Glieder  sind  daraus  verschwunden  und  kommen  erst  wieder  zum 
Vorschein,  sobald  die  magische  Gewalt  eines  mängäls  sie  aus  ihrem 
Verstecke  lockt.  Ueber  die  Kohlenpfanne  wird  ein  hölzernes  Gestell 
gerückt  und  das  Ganze  mit  einem  gelim  (wollene  Fufsdecke)  oder 
einem  kälitshäh  (Teppich)  überdeckt  Beine  und  Hände  werden  auf 
diese  Weise  gegen  die  Kälte  geschützt;  das  Arbeiten  giebt  man  unter 
diesen  Verhältnissen  einstweilen  auf,  erzählt  sich  Geschichten  oder 
vertreibt  sich  die  Zeit  mit  Koran-Lesen.  Trotz  dem  mängäl  würde 
bei  kalter  Witterung  der  Körper,  aufser  im  Bette,  nie  recht  warm 
werden,  wenn  nicht  das  Bad  den  Ofen  unserer  Zimmereinrichtung  in 
gewissem  Grado  ersetzte.  Ist  der  Körper  in  dem  heifsen  Wasser 
ordentlich  durchgebrüht,  so  ist  er  auf  mehrere  Stunden  ziemlich  un- 
empfindlich gegen  die  Kälte,  während  ein  laues  Bad  leicht  Erkältung 
herbeiführt.  In  jedem  greiseren  Haushalt  befindet  sich  ein  Bad,  welches 
fast  jeden  Tag  vorgerichtet  wird.  Aufser  den  privaten  Bädern  giobt  es 
öffentliche  oder  gemischte.  Unter  gemischten  Bädern  versteht  man 
solche,  die  zwar  für  den  Privatgebrauch  bestimmt,  doch  zu  gewissen 


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602 


Stunden  fiir  Geld  auch  dem  Publikum  zugänglich  sind.  Jene  Europäer, 
welche  sich  bei  der  Akklimatisirung  oder  bei  Reisen  in  den  Tropen- 
gegenden, besonders  in  den  Provinzen  Gilän  und  Mäzänderän  Fieber 
holen,  werden  dasselbe  schwer  wieder  los.  In  der  gesamten  Lebens- 
weise mufs  man  sich,  wie  überall  im  fremden  Lande,  auch  in  Persien 
dem  Herkömmlichen  fügen  und  würde  man  vom  hartnäckigen  Ver- 
folgen mitgebrachter  Gewohnheiten  nur  Nachtheil  haben.  Man  schaue 
und  frage  daher,  wie  die  Andern  leben,  die  schon  lange  in  einem 
solchen  Lande  weilen,  und  mache  es  ihnen  nach;  es  ist  dies  gewifs 
die  vernünftigste  Diätvorschrift.  Die  Provinzen  Gilän  und  Mäzänderän 
soll  jeder  Europäer  meiden  oder  möglichst  rasch  zu  passiren  trachten, 
dort  leiden  selbst  die  Eingeborenen  an  fortwährendem  Fieber,  und  man 
sieht  nur  schwächliche,  fahle  und  hohläugige  Gestalten.  Das  Fieber 
vergiftet  den  Organismus  in  wenigen  Tagen  und  man  sieht  Individuen, 
welche,  zwar  ohnö  schnell  abzumagern,  ganz  blutleer,  schwankend, 
im  höchsten  Grade  kachektisch  sind.  Diese  Wahrnehmung  hatte  ich 
an  mir  selbst  gemacht.  Während  meines  dreijährigen  Aufenthalts  im 
Innern  dieses  Landes  war  ich  stets  gesund,  nur  eine  zwei  Monate 
währende  Reise  in  diesen  Provinzen  brachte  mich  körperlich  voll- 
ständig herunter. 

t 


Die  Lebensdauer  des  Genfer  Sees.  Die  Berechnungen,  welche 
F.  A.  Forel*)  auf  Grund  neuer  Mossungsresultate  der  Strömungsge- 
schwindigkeit und  Beschaffenheit  des  Wassers  der  Rhone  bei  ihrem 
Eintritt  angestellt  hat,  gestatten  eine  interessante  Schätzung  der  Länge 
von  geologischen  Perioden.  Zunächst  ist  die  Frage,  in  wie  langer 
Zeit  die  einströmende  Rhone  das  leere  Bocken  des  Genfer  Sees,  von 
etwa  90  ckm  Inhalt,  bei  einer  Oberfläche  von  578  qukm,  ausfiillen 
würde,  sehr  verschieden  beantwortet  worden;  einige  frühere  Rechnungen 
ergaben  Zeiträume,  die  in  Jahrhunderte  reichten.  Genaue  Pegelbeob- 
achtungen zu  Genf  im  Jahre  1874  ergaben,  dafs  man  als  mittlere  Zu- 
flufsmenge  der  Rhone  200  Kubikmeter  pro  Sekunde  anzunehmen  hat,  aus 
welcher  Zahl  sich  leicht  berechnen  liifst,  dafs  in  14  bis  16  Jahren  das  leere 
Becken  allein  durch  die  zuströmende  Rhone  angefüllt  werden  könnte.  In- 
dessen ist  mit  dieser  Zahl  über  die  Dauer  des  Aufenthaltes  des  Rhone- 
wassers im  Genfer  See  noch  nichts  ausgesagt,  da  es  sehr  wohl  denkbar  ist, 

*)  Arch.  sc.  pliys.  XXI.  1889  S.  128. 


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603 


dafs  einTheil  des  Flurswassers  ziemlich  rasch  wieder  austritt,  während  der 
andere  in  den  Tiefen  des  Sees  ungemossne  Zeiträume  verweilen  könnte. 
Dieses  zufliefsende  Wasser  ist  jedoch  nicht  völlig  rein,  sondern  fuhrt 
je  nach  der  Jahreszeit,  gröfsere  oder  geringere  Mengen  von  aufgelösten 
Stoffen  und  feinem  Detritus  mit,  welcher  sich  unter  der  Oberfläche  des 
Sees  an  der  Rhonemiindung  deltaförmig  ablagert.  Die  Untersuchung 
zahlreicher  Proben  des  Rhonewassers  im  Jahre  1886  ergab  das  Re- 
sultat, dafs  während  der  ersten  Hälfte  des  Jahres  in  einem  Liter  Wasser 
0,24  gr  gelöste  Stoffe  enthalten  sind,  welche  Menge  für  die  zweite 
Hälfte  auf  etwa  0,19  gr  herabsinkt.  Diese  Mineralsalze  müssen  sich 
auf  irgend  eine  Weise  im  See  niederschlagen,  da  sein  durchschnittlicher 
Salzgehalt  nur  0,17  gr  pro  Liter  beträgt.  Die  Menge  des  im  Wasser 
suspendirten  mineralischen  Schlammes  ist  jedoch  zeitweise  bedeutend 
gröfscr,  sie  schwankte  von  0,04  gr  im  März  bis  2,25  gr  im  Juli,  nach 
der  Schneeschmelze,  ln  dieser  Zeit  ist  das  Rhonowassor  graugelb 
und  völlig  undurchsichtig,  während  es  im  Winter  sehr  klar,  mit 
einem  leichten  grünlichen  Schimmer,  ist.  Als  mittlerer  Werth  ergab, 
sich  für  1886,  dafs  in  der  Sekunde  168  kg  Ablagerungen  bildender 
Stoffe  in  den  Genfer  See  eingeführt  wurden.  Dies  ergiebt  pro  Jahr 
5297 000000  kg!  Da  nun  das  spezifische  Gewicht  dos  rezenten  Thones 
vom  Seeboden  2,6  ist,  stellt  diese  Zahl  2038000  Cubikmeter  vor.  Da 
das  Verhalten  im  Jahre  1886  in  jeder  Beziehung  etwa  dem  normalen  Zu- 
stande, auch  der  Witterungsverhältnisse,  entsprach,  kann  diese  Zahl  als 
eine  dem  Mittelwerthe  nahe  kommende  angesehen  werden.  Berück- 
sichtigen wir  noch,  dars  die  Menge  des  gröberen  Detritus  hierbei  nicht 
mitgerechnet  wurde,  ebenso  wenig  auch  außerordentliche  Ereignisse, 
wie  Bergstürze,  Erdrutsch  in  den  See  u.  s.  w.,  so  kann  die  angegebene 
Zahl  nur  als  ein  Minimalwerth  angesehen  werden.  Sie  lehrt  uns  durch 
Division  in  den  Kubikinhalt  des  Beckens,  dafs  dasselbe  in  der  Zeit  von 
weniger  als  45000  Jahren  ausgefüllt  und  in  eine  Ebene  verwandelt 
sein  wird.  Wir  haben  hierbei  angenommen,  dafs  die  Grundfläche  etwa 
200  qukm  beträgt,  und  die  jährlich  zugeführte  Ablagerung  eino  Schicht 
von  etwa  1 cm  Dicke  bildet.  Sonach  nimmt  die  Tiefo  des  Sees  etwa 
1 m in  einem  Jahrhundert  ab,  nach  dem  oben  angegebenen  langen  Zeit- 
räume würdo  der  See,  dessen  gröfste  Tiefe  jetzt  noch  mehr  als  300  m 
beträgt,  in  eine  Ebene  verwandelt  sein,  welche  die  Rhone  durchfliefst 
Weitere  Betrachtungen  dieser  Art  würden  zu  dem  Schlüsse  führen,  dafs 
seit  der  Eiszeit  nur  weniger  als  lOOOOOJahre  verflossen  zu  sein  brauchen, 
wenn  man  Messungen  von  Alluvionsgeschwindigkeiten  zu  Grunde 
legen  darf.  Dr.  Wagner. 


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604 


Zur  Frage  der  Temperaturverhältnisse  des  Erdinnem.  Herr 
F.  Henrich  giebt  im  III.  Hefte  der  Zeitschrift  „Humboldt“  (März, 
1889)  eine  Diskussion  der  Temperaturbeobachtungen  in  den  drei  tiefsten 
Bohrlöchern  der  Erde,  nämlich : 1)  Sperenberg  in  der  Mark,  2)  Schlade- 
bach bei  Halle,  3)  Güschenen  Airolo  (Gotthardtunnel). 

Bekanntlich  haben  die  Dunk  ersehen  Beobachtungen  in  dem 
1269  m tiefen  Bohrloche  zu  Sperenberg  zu  überraschenden  Folgerungen 
bezüglich  der  Wärmeverhältnisse  im  Erdinnem  geführt;  man  hat  aus 
denselben  ebensowohl  auf  eine  „Centralwärme“  als  auf  eine  „Central- 
kälte“ geschlossen,  und  diese  Unsicherheit  bei  der  Auswerthung  eines 
mit  denkbar  gröfster  Sorgfalt  gewonnenen  Beobachtungsmaterials  stand 
im  geraden  Gegensatz  zu  den  Erwartungen,  die  man  hieran  geknüpft 
hatte,  und  zu  den  Ergebnissen,  die  bislang  anderweitig  durch  Wärme- 
messungen in  der  Tiefe  erzielt  worden  waren.  In  der  vorliegenden 
Abhandlung  zeigt  nun  Herr  Henrich,  dafs  diese  Widersprüche  ge- 
hoben werden  können,  wenn  man  bei  der  Auswerthung  der  Beobach- 
tungen d ie  mittle re  J ah restempera tu r des  Beobachtungsortes 
aufser  Betracht  läfst;  denn  dieses  Element,  auf  welches  bei 
früheren  Berechnungen  immer  Bezug  genommen  wurde,  ist  einmal  nur 
schätzungsweise  bekannt,  dann  aber  auch  wird  bei  einem  mit  Wasser 
gefüllten  Bohrloche  die  mittlere  Jahrestemperatur  wegen  der  Fort- 
führungsströmungen gar  nicht  in  gesetzmäfsiger  Form  anzutreffen  sein. 
Unter  Berücksichtigung  dieses  Umstandes  lassen  sich  auch  für  Speren- 
berg empirische  Formeln  aufstellen,  die  eine  stetige  Zunahme  der 
Wärme  mit  der  Tiefe  ergeben. 

Die  unter  diesem  Gesichtspunkte  bearbeiteten  neueren  Temperatur- 
beobachtungen aus  dem  Bohrloche  bei  Schladebach  (1716  m tief)  be- 
stätigen ebenfalls  den  Irrthum,  welcher  durch  die  Einführung  der 
mittleren  jährlichen  Oberflächentomperatur  begangen  wird,  und  führen 
zu  Ergebnissen,  welche  sich  mit  denjenigen  von  Sperenberg  in  genügender 
Weise  decken.  Schliefslich  sucht  Herr  Henrich  noch  zu  zeigen,  dafs 
die  Wärmeverhältnisse  im  St  Ootthardmassiv  nach  den  Beobachtungen 
von  Stapff  mit  den  anderweitigen  Ermittelungen  nicht  im  Widerspruche 
stehen,  wenn  auch  aus  zahlreichen  Gründen  eine  vollständige  Deckung 
hier  nicht  erreichbar  ist.  Er  kommt  zu  dem  Schlufs,  dafs  die  Tempe- 
ratur des  Erdinnem  überall  mit  der  Tiefe  eine  stetige  Steigerung  er- 
fährt, dafs  aber  die  geothermische  Tiefenstufe  mit  den  verschiedenen 
Lokalitäten  wechselt,  ein  Resultat,  welches  nicht  befremden  wird,  wenn 
man  bedenkt,  dafs  Modifikationen  in  der  Wärmefortpflanzung  durch 
ein  verändertes  Leitungsvermögen  des  Oberflächengesteins,  je  nach 


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605 


dessen  Beschaffenheit,  sowie  durch  chemische  Vorgänge  im  Innern 
und  selbst  durch  die  wechselnden  Niveau  Verhältnisse  der  Oberfläche 


eintreten  müssen. 


Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Monat  Juli -August. 

(Sämtliche  Zeitangaben  gelten  für  Berliner  Zeit.) 


1.  Der  Mond. 


19.  Juli  Letztes  Viertel 
24.  * Erdferne 

28.  * Neumond 

4.  Aug.  Erstes  Viertel 

9.  „ Erdnähe 

11.  „ Vollmond 

Maxima  der  Lihration 


Aufgang  Untergang 
11h  3*2®  Ab.  O1*  2®  Nm. 
1 4 Mg.  5 3G 

4 19  8 32  Ab. 

0 49  Nm.  10  58  n 

G 5G  Ab.  1 4G  Mg. 

8 12  * 4 21  „ 

: 17.  Juli,  *2.  Aug.,  14.  Aug. 


Partielle  Mondfinsternis  am  12.  Juli  (sichtbar  in  Europa,  Afrika,  Süd- 
asien und  Australien).  Beginn  8h  37“»,  Mitte  9h  47®,  Endo  10h  58m  Abends. 
Grobe  5.8  Zoll  (1  Zoll  = */l2  des  Monddurchmessers). 


a.  Die  Planeten. 


Merkur 

Venus 

Rectas. 

Declin.' 

1 Aufg. 

Unterg. 

Rectas. 

Declin.  1 

1 _ 1 

Aufg. 

I Unterg. 

Juli 

GM  7™ 

+21-39' 

2h  30“  lg. 

r,h 

1 4 6®  Nbl 

4h  49® 

+18"  32'! 

lb  4®lü. 

4k38®!(». 

20. 

1 6 42 

+22  17 

2 33  . 

6 

59 

„ 

4 46 

+19  13 

1 1 . 

4 43  . 

24. 

7 12 

+22  29 

2 43  « 

7 

13 

Ab. 

5 3 

+ 19  50 

|0  57  . 

4 49  . 

28. 

- ! 

1 7 45 

+22  4 

3 1 . 

'7 

27 

5 21 

+20  21 

0 56  . 

4 54  . 

1.  Aug.  1 

1 8 19 

+20  58 

3 27  . 

7 

41 

5 89 

4-20  46 

Io  55  , 

4 59  . 

5. 

* 

i 8 54 

+19  11 

3 57  . 

, 7 

49 

« 

5 57 

+21  4 

0 55  . 

5 5. 

9. 

„ 

9 27 

+16  53 

1 4 38  * 

7 

52 

6 16 

+21  15 

Io  57  . 

5 9. 

13. 

„ 

9 58 

+ 14  13 

5 9 „ 

! 7 

51 

6 35 

+21  18 

Io  59  . 

1 5 13  . 

17. 

• 

10  27 

+11  20 

[5  39  . 

7 

47 

- 

6 54 

+21  12 

1 3 . 

' 5 15  , 

28.  Juli  Sonnennähe. 

16.  Juli  Nm.  Venus  nabe  Aldebaran. 

M 

a r s 

Jupiter 

Rectas. 

Declin. 

Aufg.  j 

Unterg. 

Rectas. 

Declin. 

Aufg. 

Unterg. 

12.  Juli 

ßh  58™ 

+23-40' 

3k  12" 

8k 

2®  Ab, 

18k  5“ 

—23"  19' 

6k55*»lk. 

2k  35»  »f. 

18. 

„ 

7 15 

+23  15 

3 8. 

7 

52 

„ 

18  2 

-23  20 

6 29  . 

2 9 . 

24. 

„ 

7 32 

+22  44 

3 6 . 

7 

42 

18  0 

-23  21 

6 2. 

1 42  . 

30. 

„ 

1 7 49 

+22  6 

3 4 . 

7 

30 

« 

17  58 

-23  22 

5 3G  Nbl 

1 16  . 

5. 

Aug. 

: 8 5 

+21  23 

3 2« 

7 

18 

17  56 

-23  23 

.•>  11  . 

0 51  . 

11. 

„ 

I1  8 21 

+2034 

2 59  . 

7 

5 

n 

17  54 

-23  24 

4 46  „ 

0 26  , 

17. 

” 

8 37 

+19  40 

2 59  „ 

G 

51 

- 

17  54 

-23  24 

4 23  „ J 

II  57  Ab. 

Himmel  und  Erde.  I.  10.  43 


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606 


Saturn 

Uranus 

Rectas. 

Declin. 

| Aufg. 

| Unterg. 

Rectas. 

Declin.  Aufg. 

Unterg. 

12.  Juli 

91*  *29® 

+16“  4' 

1 6k  35™  lg. 

9‘39»ik 

13k  7a 

1—  6"30'1  0k  15"  5». 

1 1 k 1 4"  11. 

20.  „ 

9 33 

+15  46 

6 9. 

9 9 . 

13  8 

— G 33  11  45  V«. 

10  43  . . 

28.  . 

9 37 

+15  27 

5 43  . 

8 41  . 

13  9 

- G 38  1 1 14  „ 

10  12  . 

5.  Aug. 

9 41 

+15  8 

| 5 17  . 

S 11  . 

13  9 

— G 44  10  45  „ 

9 41  . 

13.  „ 

, 9 45 

+14  48 

4 51  ! 

1 1 

7 41  „ 

13  11 

-6  5110  14  „ 

il  1 

9 10  . 

Neptun 


Rectas.  Doclin. 

Aufg.  | 

Unterg. 

15.  Juli 

4k  8"  1 + 19°  20' 

0h  45m  lg. 

4k  31» 

30.  „ 

4 10  + 19  24 

11  43  ifc. 

3 35  , 

14.  Aug, 

4 11  j + 19  25 

* 

0 

2 37  , 

3.  Beobachtbare  Verfinsterungen  der  Jupitertrabanten. 


20.  Juli  IT.  Trab.  Verfinst.  Austritt  7*  47«»»  Ab. 


23.  „ 

t . 

ri 

0 G Mg. 

24.  . 

L . 

f«  n 

G 35  Ab. 

27.  . 

IL  „ 

n f> 

10  23  . 

31.  , 

I.  . 

* * 

8 29  „ 

7.  Aug. 

L „ 

» 

10  24  „ 

4.  Sternbedeckungen  durch 

den  Mond. 

(für 

Berlin  sichtbar.) 

Gröfso 

Eintritt 

Austritt 

13.  August:  *30  Piscium 

4.8» 

8k  37»  Ah. 

9h  8»  Ab. 

(Nur  der  Austritt 

13.  „ *33  Piscium 

5.0 

10  13  . 

11  2 

sichtbar). 

14.  „ *20  Ceti 

5.1 

8 49  . 

9 26 

(Austritt  8 Min. 

nach  Mondaufgang). 

5.  Jupiterbedeckung  durch  den  Mond  am  7.  August. 

Diese  Bedeckung  wird  bei  sehr  günstiger  Stellung  des  Mondes  gesehen 
werden  können,  da  letzterer  während  der  Bedeckung  ciüminirt 
Eintritt  des  Jupiter  am  Mondrando  8h  12.5,n  Ab. 

Austritt  n „ „ 9 15.7  * 

6.  Veränderliche  Sterne, 
a)  Maxima  variabler  Storno: 


Maximum 

Helligkeit 

im 

1889 

am 

Max. 

Min. 

Rectas. 

Declin. 

R Andromedae 

25.  Juli 

5.G" 

12—13» 

0k 

18» 

10'  + 

37» 

5? 

Mira  Ceti 

G.  Aug. 

2-5 

8-9 

2 

13 

44  — 

3 

28 

R Ceti 

3.  ., 

8 

13 

2 

20 

21  — 

0 

40 

R Canis  min. 

28.  Juli 

7 

10 

7 

2 

36  + 

10 

12 

s „ 

8.  Aug. 

7 

11 

7 

2G 

42  + 

8 

83 

R Ursae  maj. 

3.  ,. 

6 

12 

10 

3G 

46  + 

69 

21 

V Coronae 

11.  „ 

7.8 

10 

15 

45 

35  -f- 

39 

54 

R Lyrac 

21.  Juli 

4.3 

4.6 

18 

51 

57  4- 

43 

48 

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Die  Lick-Sternwarte  auf  Mt  Hamilton  zur  Winterszeit. 


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607 


U Cephoi  . 
o Librae 
U Coronae  . 
U OphiucUi 

Y Cygni 


T Monoc.  . 
ß Lyrao 
73  Aquilae  . 
0 Cephoi  . 


b)  Minima  dor  Sterne  vom  Algol-Typus: 

. 17.,  22.,  27.  Juli,  1.,  6.,  11.  August  Vm. 

. 18.  Juli  Mg.,  22.  Ab.,  27.  Vm.,  1.  Aug.  Mg.,  5.  Nm.,  10.,  15.  Mg. 

. IG.  Juli  Nm.,  23.,  30.  Nm.,  6.  Aug.  M.,  13.  Vm. 

. (Jedes  4.  Min.):  18.  Juli  Ab.,  22.  Mg.,  25.  Nm.,  28.  Ab.,  1.  Aug. 

Mg.,  4.  Nm.,  8.  Mg.,  11.  Vm.,  14.  Nm. 

. (Jodes  3.  Min.):  18.  Juli  Mg.,  22.  Nm.,  27.  Mg.,  31.  Nm..  5.  Aug. 
Mg.,  9.  Nm.,  14.  Mg. 

c)  Minima  einiger  Veränderlicher  kurzer  Poriodo: 

. 8.  Juli,  4.  Aug. 

. 21.  Juli,  3.,  16.  Aug. 

. 17.,  24.,  31.  Juli,  7.,  15.  Aug. 

. 17.,  22.,  28.  Juli,  2.,  8.,  13.  Aug. 


7.  Meteoriten. 

Der  periodische  Meteoritensehwarm  der  $- Aquaridon*)  nimmt  nach  dem 
23.  Juli  seinen  Anfang  und  erreicht  am  28.  Juli  sein  Maximum.  Er  ist  bald 
nach  Mitternacht  beobachtbar  und  wird  wegen  der  Abwesenheit  des  Mondes 
gut  wahrgenommen  werden  können.  Um  Ende  Juli  und  Anfang  August 
schwärmen  einige  Meteorströme  aus  Radianten  bei  u.  und  s Persci,  welche 
Aufmerksamkeit  verdienen;  ihnen  folgt  später,  mit  zunehmender  Stärke,  dor 
Hauptperseidenschwarm,  der  am  10.  August  sein  Maximum  erreicht.  Sein  Aus- 
gangspunkt liegt  bei  AR  = 46°,  D = -f-  56°.  Leider  wird  die  Sichtbarkeit  dieses 
Meteoritenstromes  durch  den  Vollmond  sehr  beeinträchtigt  werden. 


8.  Nachrichten  über  Kometen. 

Von  dem  Barnardschen  Septomberkometen,  dessen  Sichtbarkeit« -Ver- 
hältnisse sich  wieder  günstiger  gestalten  (s.  Maiheft)  und  der  gegenwärtig 
schon  vor  Mitternacht  beobachtbar  wird,  liegen  bereits  Beobachtungen  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  Monats  Mai  vor.  — 

Dor  Octoberkomet  wird  Anfang  Februar  von  der  Helligkeit  eines  Sternes 
13.  Gröfse  angegeben,  war  indessen  im  März  noch  gut  verfolgbar,  eine  Washing- 
toner Beobachtung  vom  1.  Mai  nennt  ihn  sehr  schwach. 

Der  Barnardsche  Märzkomet,  dessen  Erscheinung  erst  nach  seiner  sich 
gegenwärtig  vollziehenden  Sonnennähe  (s.  .Juniheft)  eine  glänzendere  zu  werden 
verspricht,  scheint  kaum  später  als  bis  Anfang  Mai  beobachtbar  gewesen  zu 
sein.  Die  meisten  Beobachter  nennen  ihn  um  diese  Zeit  sehr  schwach. 


Die  Abbildung  der  Lick -Sternwarte  zur  Winterszeit  ist  uns  vor 

einigen  Wochen  durch  Herrn  Prof.  Holden  übersandt  worden  und  glauben 
wir  den  Lesern  in  dem  stimmungsvollen  Landschaftsbilde  einen  nieht  uner- 
wünschten Nachtrag  zu  dem  in  den  vorigen  Heften  unserer  Zeitschrift  ver- 
öffentlichten Aufsatz  über  dieses  einzigartige  Institut  zu  bieten. 

Die  Red. 

•)  Radiationhpunkt  bei  AR  — 809",  D — 11°. 

«*>■ 

43* 


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v.  Xiessl,  Ueber  das  Meteor  vom  22.  April  1888.  (Aus  den  Annalen 
dos  k.  k.  naturhistorischen  Hofmuseums  in  Wion.) 

Unsere  Kcnntnifs  von  gut  bestimmten  Meteorbahnen  wird  durch  die 
vorliegende  Abhandlung  um  einen  interessanten  Fall  bereichert  Durch 
mehrere  Umstände  war  die  Beobachtung  des  am  22.  April  vorigen  Jahres  über 
Böhmen  und  Schlesien  erschienenen  Meteors  begünstigt  worden.  An  einem 
der  ersten  schönen  Frühlingssonntage  erglänzte  es  mit  wundervollem  Lichte 
an  einem  wolkenlosen  Himmel,  nachdem  soeben  dio  gröfseren  Sterne  sichtbar 
geworden  waren,  und  lenkte  in  seinem  majestätisch  langsamen,  etwa  vier 
Sekunden  währenden  Laufe  die  Blicke  sehr  vieler  Spaziergänger  auf  sich. 
Durch  die  vereinten  Bemühungen  des  Herrn  Prof.  v.  Niessl  und  der  Breslauer 
Sternwarte  gelang  es  unter  der  Mitwirkung  der  Tageszeitungen  Schlesiens 
und  Oesterreichs,  Berichte  aus  05  über  ein  weites  Gebiet  zerstreuten  Orten 
zu  sammeln,  ein  bis  dahin  wohl  noch  nie  vorgekommener  Glückszufall. 
Von  Klagenfurt  bis  Poln.  Lissa,  und  von  Franzensbad  bis  über  Teschen  hinaus 
ist  die  Erscheinung  vielfach  von  geeigneten  Persönlichkeiten  mit  recht  gutem 
Erfolge  beobachtet  worden.  Die  Rechnung  hat  ergeben,  dafs  die  Feuerkugel 
etwa  über  der  Gegend  von  Eisenstein  schon  in  einer  Höhe  von  188  km  durch 
den  Widerstand  der  Luft  zum  Erglühen  gebracht  worden  ist,  von  wo  sie  dann 
mit  der  beträchtlichen  geocentrischen  Geschwindigkeit  von  4.4geogr.  Meilen  die 
Atmosphäre  in  nordöstlicher  Richtung  durchflog,  bis  sie  in  der  Gegend  von 
Königgrätz  bei  einer  Höhe  von  Ö8  km  über  der  Erdoberfläche  vollständig  ge* 
hemmt  wurde  und  zerplatzend  zur  Erde  herabfiel,  ohne  dafs  jedoch  Bruchstücke 
derselben  bis  jetzt  aufgefunden  worden  wären.  Da  nun  das  Meteor  sich  mit 
der  Erde  im  Raume  in  fast  gleicher  Bewegungsrichtung  befand  und  diese  auf 
der  im  Laufe  nachfolgenden  Seite  eingeholt  hat,  so  mufs  die  kosmische  Ge- 
schwindigkeit vor  seinem  Eintritt  in  unsere  Atmosphäre  mindestens  8 Meilen 
in  der  Sekunde  betragen  haben,  was  nur  bei  hyperbolischen  Bahnen  in 
solcher  Entfernung  von  der  Sonne  Vorkommen  kann.  Auch  dieses  Meteor 
liefert  sonach  in  Bezug  auf  dio  Form  seiner  kosmischen  Bahn  das  gleiche 
Ergebnäfs,  wie  die  bei  weitem  meisten  aller  früheren  Meteorbahnbestimmun- 
gen und  vermehrt  dadurch  wieder  die  Argumente,  welche  der  Annahme 
eines  Zusammenhanges  zwischen  Meteoriten  und  Kometen  oder  der  Identität 
von  Meteoren  und  Sternschnuppen  entgegentrelon.  Das  Meteor  mufs  in 
irgend  einem  Fixstenisysteme  seinen  Ursprung  gehabt  haben,  wie  dies 
sich  auch  schon  durch  die  blofso  Lage  der  von  Niessl  gefundenen  Bahn 
mit  Bestimmtheit  ergiebt.  Will  man  durchaus  den  Meteoriten  einen  kometa- 
rischen Ursprung  zuschreiben,  so  bleibt  nnch  v.  Niessl  höchstens  die  Annahme 
übrig,  dafs  sie  von  Kometen  anderer  siderischer  Systemo  herrühren,  die  durch 
Störungen  schwach  hyperbolische  Bahnen  erhielten  und  darum  ihr  heimat- 
liches System  verlassen  konnten.  — Der  Punkt  am  Himmel,  von  welchem  das 
April-Meteor  scheinbar  herkam,  der  sog.  Radiationspunkt,  liegt  ungefähr  in 


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G09 


der  Mitte  zwischen  * Orionis  und  Procyon.  Zu  seiner  Bestimmung  konnten 
vielfach  auch  Angaben  verwerthet  werden,  welche  lediglich  die  scheinbare 
Neigung  der  gesehenen  Meteorbahn  gegen  den  Horizont  mit  einiger  Zuver- 
lässigkeit lieferten  und  mit  Hecht  lenkt  Herr  Prof.  v.  Niossl  die  Aufmerksam- 
keit auf  die  Yerwerthung  dieser  einfachen  und  auch  von  dom  Ungeübtesten 
ohne  allzu  grofse  Unsicherheit  ausführbaren  Bestimmung.  Selbst  unter  den 
ungünstigsten  Bedingungen  und  bei  einem  gänzlichen  Mangel  an  Oricntirung  in 
Bezug  auf  die  Himmelsrichtungen  läfst  sich  eine  Schätzung  der  Neigung  der 
scheinbaren  Bahn  ausführen  und  es  kann  unter  Umständen  eine  solche  Be- 
obachtung neben  anderen , welche  Höhe  und  Azimuth  von  Anfangs-  und 
Endpunkt,  sowie  die  Dauer  der  ganzen  Erscheinung  bestimmen  lassen,  ein 
sehr  willkommener  Beitrag  zur  Ermittelung  des  Radianten  worden. 

F.  Kbr. 

£ 

P.  Tacchini.  Ecllssi  total!  dtsolc  «lei  deoembre  1870,  del  maggio  1882 
e 1883,  e dell*  agosto  1886  e 1887.  Relazioni  e note.  Roma  1888. 
23(5  pag.,  22  Tafeln  8°. 

Der  bekannte  römische  Astronom  hat  in  vorliegendem  Buche,  dessen  Er- 
trag für  den  Fonds  zur  Errichtung  eines  Denkmals  für  Pater  Secch  i bestimmt 
ist,  nicht  nur  eine  Schilderung  seiner  bei  den  genannten  totalen  Sonnenfinster- 
nissen in  mehreren  Weltthoilon  Angestellten  astronomischen  Beobachtungen 
gesammelt  derOeffentlichkeit  übergeben,  sondern  auch  sein  dabei  geführtes  Reise- 
tagebuch veröffentlicht,  welches,  trotzdem  besondere  Abenteuer  nicht  darin 
erzählt  werden,  doch  als  Beschreibung  des  Lehens  und  Treibens  bei  wissen- 
schaftlichen Expeditionen  in  seiner  schlichten  Darstellungsweise  durchaus 
nicht  uninteressant  ist  Unter  vielfachen  Bemerkungen  über  Land  und  Leute 
finden  sich  auch  meteorologische  Beobachtungen.  Hervorzuheben  sind  3 Tafeln 
mit  seltsamon  Wolkenformen,  welche  auf  der  Insel  Carolina  gezeichnet  wur- 
den — ihre  phantastischen,  ganz  unmöglich  erscheinenden  Gestalten  würden 
der  Erfindungsgabe  eines  Böcklin  Ehre  machen!  Beigegehen  ist  aufserdera 
eine  petrographische  Studio  von  O.  Silvestri  über  alte  und  recente  Laven 
des  Vulkans  Kilanea  auf  Hawaii,  von  welchem  Tacchini  bei  einem  Besuch 
des  Kraters  zahlreiche  Gesteinproben  zur  Untersuchung  mitbrachte.  Die  far- 
bigen Tafeln  mit  Darstellungen  der  bei  Finsternissen  beobachteten  Corona  und 
Protuberanzen  sind  sorgfältig  ausgeführt.  E.  W. 

t 

II.  Wild.  Normaler  Gang  und  Störungen  der  erdmagnetiseben  Dekli- 
nation. 9161.  phys.  et  ebim.  XIII.  1.  Petersburg  1889. 

Die  neue  in  dieser  Abhandlung  von  Wild  angegebene  Methode  zur 
Berechnung  des  normalen  Ganges  der  erdmagnetischen  Elemente  hat  sich  zur 
Aufklärung  des  bisher  so  wenig  plausiblen  täglichen  Ganges  bereits  sehr 
geeignet  erwiesen,  da  es  durch  dieselbo  möglich  gemacht  worden  ist,  die  Ur- 
sache der  sogenannten  magnetischen  Störungen  genauer  als  bisher  festzustellen. 
Unter  Störungen  der  Deklination,  auf  welche  sich  die  neueste  Publikation  des 
Observatoriums  zu  Pawlowsk  zunächst  beschränkt,  versteht  man  allgemein 
die  bald  langsam,  bald  plötzlich  eintretendon  oft  erheblichen  Abweichungen, 
welche  die  Magnetnadel  von  ihrem  täglich  von  West  nach  Ost  und  zurück 


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610 


nach  West  langsam  erfolgenden  Gange  zeigt.  Gegenüber  den  älteren  Metho- 
den der  Berechnung  des  normalen  täglichen  Ganges  machte  Wild  18&4  den 
Vorschlag,  nur  die  ganz  ruhigen  Tage  als  Repräsentanten  des  normalen 
Ganges  in  Rechnung  zu  ziehen.  Hiernach  sind  die  Störungen  alsdann  alle 
Abweichungon  der  einzelnen  Deklinationen  im  Monat  vor  diesem  normalen 
Gange,  wodurch  auch  der  Begriff  der  „Störung“  deflnirt  ist.  Während  der 
14  Jahre  1870 — 1885  zeigten  sich  im  Mittel  pro  Jahr  72  Tage  als  absolut  störungs- 
frei und  zur  Herleitung  der  täglichen  Periode  geeignet.  Die  Anzahl  der  nor- 
malen Tage  pro  Jahr  nimmt  mit  erhöhter  Sonnenthätigkcit  ab,  zeigt  also  einen 
Zusammenhang  mit  der  Periode  der  Sonnenfleeke.  Es  zeigte  sich  der  normale 
Gang  in  allen  Jahren,  flockenreichen  sowohl  wie  fleckenarmen,  als  eine  einfach 
periodische  Curve  mit  einem  Maximum  westlicher  Deklination  zwischen  1 u.  2 t» 
Nachmittags,  einem  Minimum  zwischen  8—9  h Vormittags,  und  geringer  Aende- 
rung  von  9 t»  Abends  bis  3&  Morgens,  was  zu  beweisen  scheint,  dafs  die  Be- 
rechnung des  normalen  ungestörten  Ganges  richtig  ist.  Die  Gröfse  der  Aus- 
schlagsweite schwankt  von  G Bogenminuten  im  fleckenarmen  Jahre  1878  bis 
11,6  ira  fleckenreichen  Jahre  1S70,  worin  der  direkte  Zusammenhang  mit  solarer 
Thätigkeit  klar  hervortritt. 

Ganz  anders  zeigt  sich  der  gestörte  Gang,  wenn  alle  Tage  in  Rechnung 
gestellt  werden.  Es  erscheint  ein  zweites  Minimum  kurz  vor  Mitternacht,  ein 
zweites  Maximum  am  Morgen,  während  die  Zunahme  der  Amplitude  bei  ge- 
störtem Gange  in  derselben  Weise  erfolgt  wio  bei  ungestörtem.  Es  sind  dem- 
nach dio  Störungen  Formänderungen  der  täglichen  Periode,  welche  durch  eine 
Kraft  hervorgerufen  werden,  die  das  Nordende  der  Nadel  nach  Ost  ablenkt, 
und  das  Maximum  ihrer  Wirkung  vor  Mitternacht,  das  Minimum  Morgens 
hat.  Dieser  Gang  einer  störenden  Kraft  entspricht  aber  vollkommen  dem 
Gauge  des  in  Pawlowsk  1882/3  beobachteteten  Erdstromes,  welcher  zwischen 
den  versenkten  Nord -Süd -Platten  von  Süd  nach  Nord  gerichtet  war,  und  ein 
Maximum  seiner  Stärke  gegen  10h  Nachmittags,  ein  Minimum  zwischen  4 — 5 h 
Morgens  erreichte. 

Durch  die  Interferenz  der  Periode  des  normalen  Ganges  und  der  durch 
den  Erdstrom  bewirkten  Periode  der  Störungen,  deren  Amplituden  in  langer 
Periode  variiren,  entsteht  demnach  der  scheinbar  so  komplizirte  tägliche  Gang 
der  Deklination,  wio  er  aus  dem  Mittel  aller  Tage  zunächst  hervorgeht  Im 
Sommer  kompensiren  sich  positive  und  negativ©  Störungen  nahezu,  während 
im  Winter  die  negativen  überwiogen,  ebenso  heben  sich  im  Jahresmittel  beide 
Störungen  zur  Zeit  der  Minima  der  Sonnenflecken  nahezu  auf;  während  des 
Maximums  der  Sonnenflecken  überwiegen  jedoch  die  negativen  Störungen. 
Aus  der  Verschiedenheit  der  beiden  Perioden  ist  aber  zu  schliefsen,  dafs  die 
Ursache  des  normalen  täglichen  Ganges  eine  andere  sein  mufs,  als  die  der 
Störungen  — denn  da  sowohl  unregelmäßige  als  regelmäßige  Störungen  durch 
die  Erdströme;  entstehen,  kann  dio  normale  Variation  der  Deklination  nicht 
durch  den  Erdstrom  erzeugt  werden.  Dennoch  aber  weisen  beide  Perioden 
auf  dio  solare  Thätigkeit  als  letzte  Ursache  zurück,  in  welcher  Weise  jedoch 
sowohl  normale  Variation  wio  Schwankung  in  der  Intensität  des  Erdstromes 
gesondert  entstehen,  mufs  weiterer  Forschung  überlassen  bleiben. 

Dr.  Ernst  Wagner. 


Vorlag  von  Hermann  Paetel  in  Berlin.  — Druck  von  Wilholm  Gronau'ti  Buchdruckerei  in  Berlio. 
Für  die  Redaction  verantwortlich:  Dr.  M.  Wilhelm  Meyer  in  Berlin. 
Unberechtigter  Nachdruck  aus  dom  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt 
Ueborsotzungsrecht  Vorbehalten. 


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Die  Sternwarte  zu  Pulkowa  bei  Petersburg, 

begründet  vor  60  Jahren  am  19.  August  1839. 


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Das  fünfzigjährige  Jubiläum  der  Sternwarte 
zu  Pulkowa. 

S 

-^üi'.m  19.  August  1889  wird  ein  halbes  Jahrhundert  verflossen  sein 
seit  der  Begründung  der  hochberühmten  Sternwarte  zu  Pul- 
kowa bei  Petersburg.  In  diesom  halben  Jahrhundert  hat  die  von 
Kaiser  Nikolaus  glänzend  dotirte  und  von  Wilhelm  Struve  treff- 
lich eingerichtete  Sternwarte,  von  deren  stattlicher  baulicher  Gestaltung 
unser  Titelbild  eine  Vorstellung  giebt,  sich  um  die  Erforschung  der 
Ilimmelserscheinungen  nicht  genug  zu  rühmende  Verdienste  erworben, 
in  manchen  hochwichtigen  Zweigen  der  astronomischen  Arbeit  sogar 
die  allgemein  anerkannte  Führerschaft  übernommen. 

Die  astronomische  Welt  wird  daher  überall  an  der  Feier  dieses 
Jubeltages  den  dankbarsten  und  freudigsten  Antheil  nehmen  und  Kufs- 
land zu  dem  echt  wissenschaftlichen  Geiste,  in  welchem  dieses  grofse 
Institut  geleitet  worden  ist  und  noch  geleitet  wird,  aufs  wärmste  be- 
glückwünschen. 

Unsere  Zeitschrift  schliefst  sich  diesen  Glückwünschen  freudigst 
an  und  behält  sich  vor,  an  der  Hand  der  Dokumente,  welche  sicher- 
lich aus  Anlafs  der  Jubelfeier  über  die  Thätigkeit  der  Sternwarte  an 
die  Oeffentlichkeit  gelangen  wTcrden,  unserm  Leserkreise  einen  Ein- 
blick in  jenes  grofsartige  Wirken  zu  eröffnen. 


Himmel  und  Erde.  1.  11. 


44 


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Ueber  die  Bedeutung  der  photographischen  Methoden  in 
der  Astronomie.  * 

Von  Kr.  J.  Sflieincr. 

Astronom  am  astrophysikalischcn  Observatorium  bei  Potsdam. 


I ’Jem  menschlischen  Geiste  ist  in  der  Kulturent  Wickelung  der 
neueren  Zeit  vieles  gelungen:  die  rohen  und  gewaltigen  Natur- 
kräfte  hat  <>r  bezwungen  und  sie  dienstbar  gemacht  zu  seinen 
Zwecken,  und  bis  in  das  innerste  Weben  der  molekularen  Welt  ist 
er  cingedrungen,  um  die  dort  erforschten  Geheimnisse  zu  weiterem 
Forschen  anzuwonden. 

Die  minimalen  Stöfse  der  Atome  Uifst  er  sich  im  Wasserdampf 
einerseits  integriren  zu  den  gewaltigen  Kräften,  welche  die  Dampf- 
maschine in  geordneter  Weise  zur  Verwendung  bringt,  und  andererseits 
läfst  er  sie  in  dem  durch  seinen  Willen  gezwungenen  Lichtstrahl 
molekulare  Veränderungen  ausführen,  die  nachher  dem  Auge  sichtbar 
gemacht,  ein  Abbild  des  lichtaussendcnden  Körpers  geben.  Dem  Licht- 
strahl selbst  hat  er  den  Griffel  in  die  Hand  gedrückt,  um  ihn  automatisch 
und  objektiv  das  aufzeichnen  zu  lassen,  was  er  sonst  nur  durch  den 
physiologischen  Vorgang  des  Sehens  zur  Wahrnehmung  bringen  kann. 

Wie  fast  jede  neue  Entdeckung  oder  Erfindung  aus  kleinem 
Anfang  sich  weiter  entwickelnd,  ist  die  Photographie  von  einer  weit 
über  ihre  selbstständige  Bedeutung  hinausgehenden  Tragweite  geworden. 
Sie  ist  nicht  so  sehr  als  Kunst  oder  als  Zweig  der  Technik  von  Wich- 
tigkeit, denn  vielmehr  als  Hülfe  mittel  für  andere  umfangreicher« 
Zweige  der  Wissenschaft  und  Technik,  und  als  solches  ist  sie  heutzu- 
tage in  weit  ausgedehnten  Gebieten  zu  einem  unentbehrlichen  Werk- 
zeuge geworden. 

Die  Anwendung  der  Photographie  in  der  Astronom»  ist  so  alt. 
wie  die  Kunst  des  Lichtzeichnens  überhaupt  Schon  Daguerre  hat 
mit  den  ersten  Versuchen  begonnen,  die  Gestirne  des  Himmels  auf  der 
empfindlichen  Platte  festzuhalien;  natürlich  sind  seine  Resultate  noch 


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613 


sehr  unvollkommen,  entsprechend  dem  damaligen  Zustande  seiner 
geistvollen  Erfindung.  Von  Daguerre  an  sind  von  Zeit  zu  Zeit  immer 
neue  Versuche  in  dieser  Richtung  angestellt  worden,  und  man  hat 
bereits  vor  längeren  Jahren  in  Bezug  auf  die  photographische  Dar- 
stellung der  Sonnen-  und  Mondoberfläche  Resultate  erhalten,  die  den 
neuesten  Errungenschaften  sehr  nahe  kommen,  zum  Theil  noch  heute 
unübertroffen  dastehen.  Es  ist  der  Beginn  dieser  Zeit  markirt  duroh 
die  Entdeckung  des  nassen  Collodiumverfahrens  von  Le  Gray  im 
Jahre  1850,  ein  Verfahren,  durch  welches  die  Empfindlichkeit  der 
photographischen  Schicht  bis  zu  dem  30fachen  der  von  Daguerre 
erreichten,  gesteigert  werden  konnte.  In  Bezug  auf  die  Anwendung 
der  Photographie  in  der  Astronomie  ist  diese  Zeit  durch  die  Aufnahme 
der  hellsten  Gestirne  und  ferner  durch  Darstellungen  des  ultravioletten 
Theiles  des  Sonnenspektrums  ausgezeichnet. 

Eine  neue  und  die  wichtigste  Epoche  beginnt  im  Jahre  1871 
durch  die  Erfindung  des  Engländers  Maddox,  dem  es  gelang,  photo- 
graphische Platten  von  aufserordentlich  hoher  Empfindlichkeit  herzu- 
stellen, die  gleichzeitig  die  höchst  wichtige  Eigenschaft  besitzen,  beliebig 
lange  exponirt  werden  zu  können;  es  sind  dies  die  sogenannten  Brom- 
silber-Gelatine-Trockenplatten, mit  denen  es  unter  Benutzung  lichtstarker 
Kernröhre  gelingt,  weiter  in  die  Tiefen  des  Weltalls  einzndringen,  als 
dies  bisher  dem  Auge  vergönnt  gewesen  ist. 

Wenn  wir  nun  beabsichtigen,  dem  Leser  ein  Bild  des  heutigen 
Standpunktes  der  coelestischen  Photographie  vorzuführen,  so  müssen 
wir  uns  zunächst  in  die  Dunkelkammer  begeben,  um  nach  kurzem 
Verweilen  dort,  mit  ausreichendem  Verständnisse  uns  dem  Fernrohre 
nahen  zu  können. 

Sehen  wir  von  der  Aufnahme  des  hellsten  Gestirnes,  der  Sonne, 
und  im  gewissen  Sinne  auch  noch  von  der  des  Mondes  ab,  so 
ist  das  Haupterfordernifs,  welches  bei  der  Anwendung  der  Photographie 
in  der  Astronomie  zu  erfüllen  ist,  die  höchste  Empfindlichkeit  der 
photographischen  Schicht,  in  zweiter  Linie  kommt  dann  die  möglichste 
Feinheit  der  photographischen  Zeichnung.  Leider  lassen  sich  beide 
Bedingungen  nicht  gleichzeitig  erfüllen,  im  allgemeinen  ist  das  Silber- 
korn, von  dessen  mehr  oder  weniger  grofsen  Feinheit  die  Schärfe  der 
Zeichnung  abhängt,  um  so  gröber,  jo  empfindlicher  die  Platte  ist  und 
umgekehrt,  und  das  ist  ein  sehr  grofser  Nachtheil  der  jetzt  allgemein 
in  Gebrauch  befindlichen  Trockenplatten;  denn  bei  einigermafsen 
kräftiger  Vergrößerung  löfst  sich  eine  moderne  photographische  Auf- 
nahme in  ein  unverständliches  Gewirr  von  kleinen  schwarzen  Körperchen 

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auf,  ähnlich  einem  Sternhaufen  am  Himmel,  in  welchem  jegliche  feinere 
Darstellung  verloren  geht. 

Wohl  Jedermann  erinnert  sich  der  Stecknadelkopf  grofsen  Photo- 
graphien, wie  sie  in  Federhaltern  u.  s.  w.  angebracht  sind,  die  durch 
eine  sehr  scharfe  Lupe  betrachtet,  ein  Bildchen  von  aufserordentlicher 
Feinheit  und  Schärfe  darstellen;  eine  solche  Aufnahme  läfst  sich  auf 
einer  Gelatineplatte  überhaupt  nicht  erhalten;  die  erwähnten  Aufnahmen 
werden  nach  einem  dem  Collodiumverfahren  ähnlichen  Eiweifsverfahron 
hergestellt  Die  Ursache  des  Umstandes,  dafs  die  Vorzüge  der  einen 
Methode  diejenigen  der  anderen  ausschliefsen,  ist  mit  wenigen  Worten 
zu  erklären.  Bei  dem  nassen  Collodiumverfahren,  oder  bei  demjenigen 
mit  Eiweifs,  enthält  das  die  Schicht  bildende  Medium  eines  der  beiden 
Salze,  aus  deren  Verbindung  nachher  die  lichtempfindliche  Substanz 
entsteht,  in  Lösung.  Das  Collodium,  welches  auf  die  Platte  gegossen 
wird,  enthält  z.  B.  Jodkalium.  Legt  man  nun  diese  Schicht  in  die 
Lösung  eines  Silbersalzes,  in  salpetersaures  Silber,  so  bildet  sich 
innerhalb  der  Schicht  die  lichtempfindliche  Verbindung  Jodsilber  als 
Niederschlag,  und  ein  solcher  Niederschlag,  der  sich  auf  chemischem 
Wege  bildet,  tritt  stets  in  der  denkbar  feinsten  Vertheilung  auf,  so 
dafs  bei  Eiweifsbildem  sogar  eino  mehr  als  200fache  Vergrößerung 
dazu  gehört  um  überhaupt  zu  erkennen,  dafs  die  empfindliche  Schicht 
nicht  homogen  ist,  sondern  aus  kleinen  Körnchen  besteht. 

Bei  der  Herstellung  der  sehr  viel  empfindlicheren  Trockenplatten 
wird  der  wirksame  Bestandteil  — Bromsilber  — nicht  in  der  Schicht 
erzeugt,  sondern  vorher  dargestellt  und  dann  in  Form  einer  Emulsion 
möglichst  fein  mechanisch  vertheilt  Eine  mechanische  Vertheilung 
erreicht  aber  nie  die  Feinheit  der  natürlichen,  und  dabei  will  es  noch 
gerade  des  Schicksals  Tücke,  dafs  durch  dasjenige  eigenthümliche 
Verfahren,  durch  welches  die  Empfindlichkeit  der  Emulsion  gesteigert 
wird,  die  Bromsilberpartikelchen  immer  mehr  vergröfsert  werden,  so 
dafs  schliefslich  auf  der  empfindlichsten  Platte  bei  5 bis  8fachor  Ver- 
größerung das  Silberkorn  sehr  deutlich  zu  erkennen  ist,  d.  h.  man 
kann  eine  so  gewonnene  Photographie  durch  nicht  mehr  als  8 fache 
Vergrößerung  betrachten.  Die  Figur  auf  folgender  Seite  giebt  einen 
Begriff  von  dem  Anblick  einer  scheinbar  scharfen  Linie  bei  stärkerer 
Vergrößerung  auf  einer  Aufnahme  mittelst  Trockenplatte. 

Hiernach  steht  die  Schärfe  einer  Bromsilber-Gelatineaufnahmo 
zu  der  einer  Collodiuinaufnahme  etwa  im  Verhältnisse  wie  eine  Kreide- 
zeichnung zu  einer  feinen  Bleistiftzeichnung,  und  es  ist  daraus  wohl 
ohne  weiteres  ersichtlich,  daß  hiermit  ein  großer  Nachtheil  verknüpft 


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ist,  sobald  es  sich  um  die  Ausführung  von  Messungen  handelt;  dooh 
gelingt  es  auch  hier,  durch  Uebung  einen  Theil  dieser  Schwierigkeit 
unschädlich  zu  machen,  indem  man  z.  B.  bei  der  erwähnten  Linie  naoh 
der  Vertheilung  des  Korns  die  dunkelste  Stelle  und  damit  die  Mitte 
der  Linie  zu  beurtheilen  lernt.  Auch  zur  Ausmessung  einer  Photo- 
graphie bedarf  es  einer  gewissen  Beobachtungskunst,  die  allerdings 
von  derjenigen  am  Himmel  sehr  verschieden  ist.  Aufser  ihrer  hohen 
Empfindlichkeit  besitzt  aber  nun  die  Gelatineplatte  eine  vorzügliche 
Eigenschaft,  welohe  die  Unschärfe  des  Bildes  wohl  mehr  als  aufwiegt. 
Bei  dem  Collodiumverfahren  treten  nämlich  innerhalb  der  Schicht  in 
Folge  der  Entwickelungsmanipulationen  nach  der  Aufnahme  starke 
Verzerrungen  auf,  die  unter  Umständen  so  bedeutend  werden  können, 
dafs  jegliche  Messung  überhaupt  illusorisoh  wird. 

Solchen  Verzerrungen  oder  Verziehungen  ist  aber  die 
Gelatineschicht  nur  in  weit  geringerem  Mafse  unter- 
worfen, so  dafs  man  mit  Leichtigkeit  durch  Vorsicht  beim  Messen 
oder  durch  die  Anwendung  feiner  Gitter,  die  auf  die  Platte  mit 
aufkopirt  werden,  einen  Fehler  infolge  der  Verzerrungen  voll- 
ständig vermeiden  kann.  Dies  ist  aber  ein  aufserordontlicher  Vortheil; 
denn  es  ist  stets  besser  beim  Messen  die  einzelne  Einstellung  weniger 
genau  zu  haben,  als  die  Gröfse,  die  man  bestimmen  will,  durch  prin- 
zipielle Fehler  entstellt  zu  wissen. 

Doch  nun  wollen  wir  dem  Laboratorium  enteilen  und  uns  den 
Lichtregionen  zuwenden. 

Wie  schon  vorhin  angedeutet,  sind  photographische  Aufnahmen 
von  Sonne  und  Mond  zur  Zeit  des  Collodiumverfahrens  bereits  in 
vorzüglicher  Weise  gelungen,  und  es  darf  dies  auch  nicht  Wunder 
nehmen,  da  bei  diesen  Gestirnen  eine  solche  Lichtfülle  vorhanden  ist, 
dafs  es  keiner  grofsen  Empfindlichkeit  der  Platte  bedarf;  ja,  wenn  wir 
uns  zunächst  die  bei  Sonnenaufnahmen  erhaltenen  Resultate  vergegen- 
wärtigen wollen,  so  müssen  wir  hierbei  bedenken,  dafs  es  gerade  das 
Uebermafs  von  Licht  ist,  welches  Schwierigkeit  bereitet,  sodars  besondere 
Instrumente  zur  Herstellung  von  Sonnenphotographien  construirt  werden 
mufsten,  die  man  unter  dem  Narnon  der  Heliographen  zusammenfafst. 

Diese  Instrumente  bestehen  im  wesentlichen  aus  einem  Fernrohre 
mit  einer  Camera  am  Ocularende,  und  sind  mit  einem  sogenannten 
Momentvorschlusse  versehen.  Sie  sind  entweder  genau  wie  ein  ge- 
wöhnliches astronomisches  Fernrohr  beweglich  aufgestellt,  so  dafs  sic 
direkt  auf  die  Sonne  gerichtet  werden  können,  oder  man  giebt  ihnen 
eine  unveränderliche  feste  Richtung,  und  wirft  die  Sonnenstrahlen 


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durch  einen  guten  Silberspiegel,  der  beweglich  aufgestellt  ist,  in  das 
Fernrohr  hinein.  Beide  Aufstollungsarten  haben  ihre  besonderen  Vor- 
züge und  Nachtheile,  zu  Messungszwecken  dürfte  die  feste  Aufstellung 
mit  Heliostat  am  besten  sein,  wenn  es  sich  aber  nur  darum  handelt, 
schöne,  detailreiche  Aufnahmen  zu  erhalten,  verdient  wohl  die  beweg- 
liche Aufstellung  den  Vorzug,  da  die  Reflexion  des  Lichtes  an  dem 
Spiegel  für  die  Güte  der  Bilder  nur  schädlich  sein  kann.  Wegen  des 
grofsen  Lichtreichthums  nimmt  man  das  Sonnenbild  nicht  im  Focus 
des  Objektivs  auf,  vielmehr  kann  man  hier  mit  Vortheil  ein  ver- 
grüfserndes  Linsensystem  einschalten,  so  dafs  man  Sonnenbilder  von 
stärkerer  Vergröfserung  erhält,  auf  denen  sehr  viel  mehr  Detail  er- 
kannt werden  kann,  als  dies  bei  den  kleinen  Brennpunktsbildem 
möglich  ist.  Selbst  bei  den  stärksten  Vergrößerungen,  die  man  hier- 
bei noch  anwenden  kann,  ist  die  Lichtfülle  dos  Sonnenbildes  noch 
eine  so  enorme,  dafs  es  gar  nicht  möglich  ist,  die  Aufnahme  mit  der 
Hand  auszuführen,  etwa  durch  rasches  Oeffnen  einer  Klappe;  auch 
die  sogenannten  Momentverschlüsse,  wie  sie  neuerdings  bei  kleinen 
photographischen  Kammern  zur  Herstellung  der  Momentbilder  an- 
gebracht werden,  können  nicht  im  entferntesten  die  nöthige  Kürze  der 
Exposition  erzielen.  Im  allgemeinen  mufs  bei  Sonnenaufnahmen  die 
Expositionszeit  unter  Viooo  einer  Sekunde  liegen,  so  ist  z.  B.  die 
Sonnenaufnahme,  welche  demnächst  in  dieser  Zeitschrift  reproduzirt 
werden  wird,  am  grofsen  Heliographen  des  Potsdamer  Observatoriums 
in  V/oooo  Zeitsekunde  hergestollt  worden.  Die  gewöhnliche  Einrich- 
tung des  Momentverschlusses  besteht  bei  den  Heliographen  in  einem 
Schieber,  der,  sich  im  Brennpunkt  des  Objektivs  bewegend,  einen 
feinen  Spalt  enthält,  dessen  Weite  je  nach  der  Durchsichtigkeit  der 
Luft  und  nach  der  Höhe  der  Sonne  über  dom  Horizonte  regulirt 
werden  kann.  Dieser  Spalt  wird  durch  eine  starke  Feder  im  Mo- 
mente der  Exposition  vorbeigeschnollt,  so  dafs  also  das  Sonnenbild 
nicht  auf  einmal  aufgenommen  wird,  sondern  in  den  einzelnen  Theilen, 
die  dem  vorbeifliegenden  Lichtspalte  entsprechen  in  außerordentlich 
kurzer  Zeit  hintereinander.  Wollte  man  den  Spalt  so  weit  nehmen, 
dafs  das  ganze  Sonnenbild  auf  einmal  freigelassen  würde,  so  würde 
es  große  Schwierigkeiten  bereiten,  alsdann  noch  dem  Schieber  die 
nöthige  Geschwindigkeit  zu  crtheilen. 

Wie  bei  allen  astronomischen  Beobachtungen  ist  es  die  Unruhe 
der  Luft,  welche  auch  bei  den  photographischen  Aufnahmen  der 
Sonne  im  höchsten  Grade  störend  einwirkt,  aber  in  gänzlich  anderer 
Weise,  als  wie  dies  bei  direkten  Sonnenbeobachtungen  stattfindet. 


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Man  muß  überhaupt  zwei  Arten  von  Störungen  unterscheiden,  welche 
durch  die  Luftunruhe  verursacht  werden.  Einmal  findet  ein  beständiges 
Hin-  und  Herschwanken  der  Bilder  statt,  aber  nicht  in  dem  Sinne, 
daß  z.  B.  das  ganze  Sonnenbild  gleichzeitig  seine  Lage  etwas  ver- 
ändert, sondern  ganz  nähe  benachbarte  Theile  des  Bildes  führen  für 
sich  besondere  Bewegungen  aus,  man  könnte  dies  fast  dem  Gewimmel 
eines  Mückenschwarmes  vergleichen.  Ein  zweiter  Akt  der  Luftunruhe 
äufsert  sich  darin,  daß  sich  .,  Schlieren“  ungleich  warmer,  also  un- 
gleich dichter  Luft  bilden,  die,  da  sie  mit  nahe  kugelförmigen  Grenz- 
flächen versehen  sind,  ähnlich  schwachen  Linsen  vor  dem  Objoktivo 
wirken,  also  dessen  Brennweite  bald  verkleinern,  bald  vergrößern, 
so  dafs  das  Bild  meistens  unscharf  erscheint  und  scharfe  Bilder  nur 
momentan  auftreten.  Beide  Erscheinungen  sind  gleichzeitig  im  Fern- 
rohr vorhanden,  und  es  gehört  die  Beobachtungskunst  des  Astronomen 
dazu,  um  aus  diesem  ewigen  Wechsel  der  Gestalten  das  Feste  und 
Richtige  messend  zu  erfassen. 

Diese  Kunst  kann  die  photographische  Platte  nicht  erlernen,  sie 
zeichnet  getreu  das  Bild,  wie  es  in  dem  Momente  der  Exposition  sich 
darstellte,  mit  allen  seinen  Verzerrungen,  Verschiebungen  und  Un- 
deutlichkeiten. Scharf  wird  ein  solches  Bild  bei  einigermafsen  un- 
ruhiger Luft  nur  dann,  wenn  gerade  der  kurze  Moment  getroffen 
wurde,  wo  die  Luftschlieren  sich  nahe  aufheben,  so  dafs  die  Brenn- 
weite des  Objektivs  keine  wesentliche  Aenderung  erfahren  hat  Diesen 
Moment  aber  zu  treffen  ist  sehr  unwahrscheinlich,  und  so  kann  es 
kommen,  dafs  man  unter  20  Sonnenaufnahmen,  die  man  hintereinander 
anfertigt,  kaum  eine  erhält,  die  alle  Einzelheiten  der  Sonnenoberfläche 
mit  wünschenswertster  Schärfe  wiedergiebt. 

Die  besten  gröfseren  Sonnenbilder,  die  bis  jetzt  erhalten  worden 
sind,  sind  diejenigen  von  Janssen  in  Meudon;  sie  haben  interessante 
Phänomene  auf  der  Sonnenoberfläche  zu  Tage  gefördert,  dio  bei  Okular- 
betrachtung nicht  zu  erkennen  sind.  Bekanntlich  erscheint  die  Sonnen- 
oberfläche, auch  abgesehen  von  den  Flecken,  nicht  als  gleichmäfsig 
helle  Scheibe,  sondern  als  feinkörnig  granulirte  Fläche,  die  eine  ge- 
wisse Aehnlichkeit  mit  dem  Anblicke  eines  mit  Cirri  dicht  bedeokten 
Himmels  bietet;  die  Janssenschen  Photographien  haben  nun  ge- 
zeigt, dafs  bei  diesen  meist  ovalen  hellen  Gebilden  über  größere 
Strecken  hinüber  eigenthümliche  Verzerrungen  Vorkommen,  die  genau 
den  Eindruck  machen,  als  ob  ein  heftiger  Sturmwind  dort  herrsche. 
Es  sind  übrigens  nur  wenige  solcher  Aufnahmen  gelungen  und  leider 
infolge  der  oben  auseinandergesetzten  Schwierigkeiten  keine  kurz 


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aufeinanderfolgenden,  durch  welche  allein  aus  etwaigen  Veränderungen 
die  wichtigsten  Schlüsse  über  das  Wesen  der  beobachteten  Granula- 
tionsphänomene zu  ziehen  sein  würden. 

Auch  auf  dem  Potsdamer  Observatorium  sind  einige  vorzügliche 
Sonnenaufnahmen  gelungen,  die  den  Janssensohen  nur  sehr  wenig 
nachstehen,  dieselben  übrigens  inbetreff  der  Grauulationsverzerrungen 
vollständig  bestätigen.  Die  täglich  in  Potsdam  aufgenommenen  Sonnen- 
bilder, die  mit  nur  geringer  Vergröfsorung  erhalten  werden  — die 
Sonnenscheibe  hat  einen  Durchmesser  von  10  Centimetern  — haben 
infolge  der  geringen  Vergröfserung  durch  die  Luftunruhe  viel  weniger 
zu  leiden  und  sind  fast  durchweg  zu  guten  Messungen  brauchbar, 
zeigen  aber  naturgemüfs  nur  wenige  Einzelheiten  von  der  Sonnen- 
oberlläche.  Auch  auf  einigen  anderen  Sternwarten  werden  kleinere 
Sonnenaufnahmen  täglich  zu  statistischen  Zwecken  angefertigt,  so  z.  ü. 
in  Pulkowa  in  liufsland  und  bis  vor  kurzem  auch  in  Moskau. 

Wenden  wir  uns  nun  von  der  Sonne  zum  Monde,  um  die  Er- 
gebnisse der  Photographie  an  diesem  Gestirne  zu  besprechen,  so  mufs 
gleich  bemerkt  werden,  dafs  sich  bei  der  Darstellung  der  Mondober- 
fläche die  Photographie  nicht  der  direkten  Betrachtung  überlegen  ge- 
zeigt hat,  ja  dafs  sie  nicht  einmal  mit  letzterer  konkurrenzfähig  ist. 

Es  wird  nicht  schwer  halten,  die  Gründe  hierfür  auseinander  zu 
setzen.  Die  Intensität  dos  von  der  Mondoberfläche  reflektirten  Lichtes 
ist  im  Verhältnifs  zu  derjenigen  der  Sonnenoborfläche  eine  so  aufser- 
ordentlich  viel  geringere,  dafs  selbst  bei  der  Anwendung  iiufserst 
empfindlicher  Platten  von  einer  eigentlichen  Momentaufnahme  beim 
Monde  nicht  mehr  die  Kede  sein  kann.  Es  gelingt  allerdings,  das 
Fokalbild  des  Mondes  in  vielleicht  weniger  als  einer  Sekunde  aufzu- 
nehmen, sobald  man  aber  Vergröfserungen  anwendet,  wächst  die  Expo- 
sitionszeit mindestens  mit  dem  Quadrate  der  Vergröfserung,  so  dafs 
für  ein  viermal  vergröfsertes  Bild  ungefähr  16  Sekunden  zur  Auf- 
nahme nöthig  sind.  Hierdurch  treten  besondere  Schwierigkeiten  in 
der  Fortführung  des  Instrumentes  auf,  welches  der  scheinbaren  Be- 
wegung des  Mondes  genau  folgen  mufs.  Wie  grofs  diese  Schwierig- 
keiten sind  und  welche  Mittel  mau  zu  ihrer  Bekämpfung  erfunden, 
werden  wir  besser  bei  Gelegenheit  der  Fixsternaufnahmen  zur  Sprache 
bringen,  es  möge  hier  nur  auf  dieselben  hingewiesen  werden.  Be- 
sonders ist  es  nun  wieder  die  Luftunruhe,  welche  bei  Mondaufnahmen 
hindernd  in  den  Weg  tritt,  und  zwar  äufsert  sich  dieselbe  hierbei 
gänzlich  anders  als  bei  der  Sonne.  Bei  der  längeren  Dauer  der  Ex- 
position erhält  man  gleichzeitig  mit  dem  wirklichen  Bildo  des  coe- 


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lestischen  Objektes  ein  mittleres  Bild  aller  infolge  der  Luftunruhe 
während  der  Expositionszeit  stattgefundenen  Verzerrungen  und  Un- 
deutlichkeiten. War  es  also  bei  der  Aufnahme  der  Sonne  möglich, 
wenigstens  zuweilen  ein  recht  scharfes  Bild  zu  erhalten,  so  ist  dies 
beim  Monde  gänzlich  ausgeschlossen.  Selbst  wenn  die  Schwankungen 
und  Wallungen  deB  Bildes  bei  ausgezeichneter  Luft  so  gering  sind, 
dafs  sie  bei  der  direkten  Betrachtung  im  Fernrohr  kaum  noch 
stören,  indem  die  Momente  der  Ruhe  mehr  Zeit  umfassen  als  die- 
jenigen der  Unruhe  und  das  geübte  Auge  geringen  Schwankungen 
noch  gut  zu  folgen  vermag,  ist  doch  die  Photographie  von  ihnen  be- 
einflußt, da  sie  eben  mit  in  diesem  Falle  unerwünschter  Treue  alles 
wiedergiebt,  was  sich  unter  ihren  Augen  abspielt.  Wenn  beispiels- 
weise durch  die  Schwankungen  infolge  der  Unruhe  unserer  Atmosphäre 
das  Bild  eines  Punktes  nur  um  eine  Bogensekunde  aus  seiner  Mittellage 
herausgebraoht  wird,  erscheint  ein  sonst  scharfer  Rand,  etwa  der  eines 
Mondkraters,  in  einer  Breite  von  zwei  Bogensekunden,  es  gehen  also 
schon  eine  Menge  Einzelheiten  des  Mondgebildes  verloren. 

Wird  eine  solche  Aufnahme  noch  nachträglich  etwas  vergrößert, 
um  einigermaßen  die  Vergrößerung  zu  erhalten,  mit  welcher  man  den 
Mond  direct  zu  beobachten  pflegt,  so  erscheinen  die  Einzelheiten  der 
Mondoberfläche  weit  verwaschener,  als  bei  direkter  Beobachtung;  das 
Auge  sieht  thatsächlich  im  Fernrohr  mehr  als  auf  der  Photographie. 
Gewiß  gewähren  die  vorzüglichen  Mondphotographien  Rutherfurds 
oder  diejenigen,  welche  neuerdings  im  Brennpunkte  des  großen  Re- 
fractors  des  Lick-Observalory  in  Californien  erhalten  worden  sind, 
von  denen  letzteren  das  Heft  9 dieser  Zeißchrift  eine  wohlgelungene 
Wiedergabe  gebracht  hat,  einen  schönen  Anblick,  sie  sind  auch  als 
Mondkarten  zur  Orientirung  der  einzelnen  Mondgebilde  sehr  gut  zu  be- 
nutzen; aber  einen  streng  wissenschaftlichen  Werth  besitzen  sie  nicht; 
sie  haben  bis  jetzt  zur  Erweiterung  unserer  Kenntnisse  der  Mond- 
oberfläolie  keine  wichtigen  Beiträge  liefern  können. 

In  einer  noch  etwas  ungünstigeren  Lage  befindet  sich  die  Pho- 
tographie gegenüber  den  Aufnahmen  der  Oberflächen  der  großen 
Planeten.  Es  kommt  bei  diesen  der  Umstand  hinzu,  daß,  um  über- 
haupt Details  erkennen  zu  können,  ziemlich  kräftige  Vergrößerungs- 
systeme angewendet  werden  müssen,  wobei  die  vorhin  erwähnten 
Schwierigkeiten  in  gleichem  Maße  sich  mit  vergrössern.  Die  besten 
Aufnahmen  von  Planeten,  diejenigen  von  Jupiter  und  Saturn,  von  den 
Gebrüdern  Henry  in  Paris  angefertigt,  lassen  auch  nicht  annähernd 


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die  Feinheiten  und  Details  erkennen,  die  man  selbst  mit  mittleren 
Fernrohren  mit  Leichtigkeit  sehen  und  sogar  messen  kann. 

Es  scheint  auch  nicht,  als  ob  Aussicht  vorhanden  sei,  von  der 
Anwendung  der  Photographie  auf  diese  Himmelskörper  besondere 
Vortheile  zu  erhalten,  die  etwa  gar  mit  den  klassischen  Entdeckungen 
Schiaparellis  auf  der  Marsoberfliiche  konkurriren  könnten. 

Es  wird  sich  gewifs  mancher  wundern,  vorläufig  nur  wenig 
Rühmenswerthes  von  der  Anwendung  der  Photographie  in  der  Astro- 
nomie erfahren  zu  haben;  wir  wollten  aber  das  Geringere  vorweg 
nehmen,  um  uns  nachher  um  so  ungestörter  dem  Besseren  widmen  zu 
können.  Der  eigentliche  Schwerpunkt  der  Bedeutung  der  coelestischen 
Photographie  liegt  in  zwei  Gebieten  der  Astronomie,  in  der  Darstellung 
und  Ausmessung  des  Fixstemhiminels  und  der  Nebelwelten  und  in 
der  Spectralanalyse  der  Gestirne.  Auf  beiden  Gebieten  ist  sie  bereits 
epochemachend  aufgetreten  und  wird  sie  noch  weiterhin  zu  groß- 
artigen Entdeckungen  führen.  Es  wird  daher  nunmehr  unsere  Auf- 
gabe sein,  etwas  ausführlicher,  als  dies  bis  jetzt  geschehen  ist,  einer- 
seits die  technischen  Schwierigkeiten,  welche  zur  Herstellung  photo- 
graphischer Aufnahmen  in  diesem  Gebiete  zu  überwinden  waren,  her- 
vorzuheben, andererseits  aber  auch  die  Gesichtspunkte  festzustellen, 
die  durch  die  Einführung  der  Photographie  neu  gewonnen  worden  sind. 

Der  physiologische  Unterschied  zwischen  der  Empfindlichkeit 
einer  photographischen  Platte  und  derjenigen  unseres  Auges  beruht 
auf  dem  Umstande,  dafs  die  Netzhaut  ihr  Urtheil  über  die  Helligkeit 
eines  Gegenstandes  nach  der  Intensität  des  Lichtes  bildet,  die  pho- 
tographische Platte  dagegen  nach  der  Menge  des  Lichtes.  Durch 
diese  letztere  Eigenschaft  tritt  als  wichtiger  Factor  die  Zeit  hinzu;  ein 
Auge  sieht  bei  stundenlanger  Betrachtung  ein  schwaches  Sternchen 
nicht  besser,  als  binnen  wenigen  Secunden,  bei  der  photographischen 
Platte  dagegen  wächst  die  chemische  Einwirkung  der  Strahlen  zwar 
nicht  gerade  proportional  mit  der  Zeit,  wohl  aber  annähernd,  so  dafs 
man  innerhalb  gewisser  Grenzen  eine  Proportionalität  annehmen  kann. 
Während  also  die  direete  Empfindlichkeit  der  Photographie  thatsiich- 
lich  geringer  ist  als  diejenige  des  Auges  — man  erkennt  z.  B.  inner- 
halb eines  Zeitraumes  von  etwa  2 Sekunden  deutlich  im  Fernrohr  weit 
mehr  Sterne,  als  in  diesen  2 Sekunden  auf  der  empfindlichsten  Platte 
erscheinen  — kommt  die  Ueberlegenheit  der  Photographie  über  das 
Auge  erst  in  Betracht,  wenn  die  Zeit  summirend  hinzutritt.  Damit 
ist  ohne  weiteres  als  Bedingung  fiir  die  Herstellung  von  Sternauf- 
nahmen, die  mehr  geben  sollen,  als  das  Auge  zu  leisten  vermag,  die 


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Dauerexposition  getreten,  und  mit  ihr  die  Forderung,  die  vom 
Objective  des  Fernrohrs  erzeugten  Sternbilder  mit  einer,  sonstigen 
astronomischen  Messungen  entsprechenden  Genauigkeit  stundenlang 
auf  derselben  Stelle  der  Platte  festhalten  zu  können;  es  ist  dieselbe 
Forderung,  die  in  geringerem  Mafse  schon  bei  den  Aufnahmen  von 
Mond  und  Planeten  gestellt  war. 

Bei  der  aufserordentlichen  Vervollkomnung,  welche  die  parallak- 
tische Aufstellung  grofser  Instrumente  und  die  Herstellung  von  Trieb- 
werken für  dieselben  in  den  lotzten  Jahrzehnten  erfahren  hat,  sollte 
man  die  Erfüllung  der  obigen  Bedingung  für  nicht  so  schwer  halten; 
man  mufs  aber  bedenken,  dafs  die  Forderung  lautet,  die  Sterne  mit 
einer,  den  sonstigen  astronomischen  Messungen  entsprechenden  Ge- 
nauigkeit auf  derselben  Stelle  der  Platte  zu  erhalten.  Nehmen  wir 
hierfür  z.  B.  den  Werth  von  1 Bogensekunde  an,  so  würde  dies  bei 
einem  Fernrohr  von  etwa  3 '/,  Meter  Brennweite  in  Millimetern 
0.017  betragen,  d.  h.  während  der  ganzen  Expositionszeit  darf  die 
Platte  vom  scheinbaren  Laufe  des  Sternes  nicht  um  den  Betrag  von 
0.017  Millimetern  abweichen.  Eine  solche  Forderung  erfüllt  aber 
nicht  dio  beste  Aufstellung  und  nicht  das  beste  Uhrwerk,  ja  selbst 
wenn  dies  doch  der  Fall  wäre,  geben  doch  die  Veränderungen  der 
Refraction  in  unserer  Atmosphäre  infolge  von  Temperaturänderungen 
und  wechselnder  Höhe  der  Gestirne  über  dem  Horizont,  neue  Fehler- 
quellen von  diesem  Betrage. 

Es  mufs  also  doch  das  menschliche  Auge  helfend  hinzutreten 
und  durch  irgend  eine  Vorrichtung  bei  sehr  starker  Vergröfserung 
einen  der  abzubildendcn  Sterne  stets  genau  im  Durchschnittspunkto 
eines  Fadenkreuzes  halten.  Ais  einfachste  Vorrichtung  hierzu  kann 
man  den  Sucher  des  Hauptinstrumentes  benutzen,  falls  man  denselben 
mit  einer  starken  Ocularvorgrörserung  versieht.  Diese  Methode  hat 
sich  aber  in  vielen  Fällen  nicht  bewährt,  weil  die  Durchbiegung  von 
Hauptrohr  und  Sucher  je  nach  der  Lage  des  Instrumentes  eine  ver- 
schiedene ist  und  infolge  dessen,  wenn  der  Stern  auch  im  Sucher 
genau  gehalten  worden  ist,  dies  nicht  für  die  Platte  stattflndet.  Eine 
andere  Vorrichtung,  die  von  diesem  Fehler  gänzlich  frei  ist,  besteht 
darin,  seitlich  der  photographischen  Kassette  ein  Okular  anzubringen, 
um  so  neben  der  Platte  her  den  Stern  sehen  zu  können,  aber  auch 
diese  Methode  hat  ihre  Mängel,  und  gänzlich  einwurfsfrei  dürfte  wohl 
nur  diejenige  sein,  welche  zuerst  von  den  Gebrüdern  Henry  in  Paris 
in  Anwendung  gekommen  ist,  und  die  darin  besteht,  dars  in  einem 
gemeinschaftlichen  Rohre  sich  2 Objektive  von  gleicher  Brennweite 


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622 


befinden,  ein  greiseres  für  die  photographische  Aufnahme  und  ein 
etwas  kleineres  für  das  Halten  des  Sterns  bestimmt.  Bei  dieser  innigen 
Verbindung  zweier  Fernrohre  ist  natürlich  nun  die  Garantie  vorhanden, 
dafs  das  photographische  Instrument  genau  den  Bewegungen  des  an- 
dern folgt. 

Die  Aufgabe  des  Beobachters  besteht  bei  allen  Anordnungen 
übrigens  gleichmüfsig  darin,  vermittels  der  Feinbewegungen  einen 
als  Marko  ausgowiihlton  Stern  stets  auf  dem  Fadenkreuze  des  Beobaoh- 
tungsfernrohrs  zu  erhalten,  also  alle  Ungenauigkeiten  im  Gange  des 
Instrumentes  und  die  Wirkung  der  Refraktion  auf  den  Anhaltstern 
zu  korrigiren. 

Es  ist  klar,  dafs  bei  diesen  langen  Expositionszeiten  die  Unruhe 
der  Luft  eine  wenn  möglich  noch  stärkere  Wirkung  ausüben  wird, 
als  bei  den  Aufnahmen  von  Mond  und  Planeten,  und  doch  ist  sie  im  vor- 
liegenden Falle  sehr  viel  weniger  schädlich  als  bei  den  ersten  Objekten. 

Dieser  scheinbare  Widerspruch  löst  sich  sofort  auf,  wenn  man 
bedenkt,  dafs  es  sich  in  dem  einen  Falle  um  Darstellung  von  Zeich- 
nungen innerhalb  einer  Fläche,  in  dem  anderen  Falle  aber  nur  um 
Abbildung  eines  Punktes  ohne  weiteres  Detail  handelt  Der  Stern 
selbst  kann  wegen  seiner  aufserordentlichen  Entfernung  als  mathema- 
tischer Punkt  gelten,  sein  Bild  im  Fernrohr  ist  dies  nicht  und  zwar 
infolge  von  Ungenauigkeiten  in  der  Gestalt  und  Achromasie  des 
Objektives  und  der  Lichtbeugung  an  den  Rändern  desselben.  Das 
Bild  eines  Sterns  ist  also  stets  ein  Scheibchen,  umgeben  mit  Inter- 
ferenzringen, und  bei  photographischen  Aufnahmen  hat  ein  solches 
Scheibchen  immer  einen  mefsbaren,  beträchtlichen  Durchmesser,  der 
je  nach  der  Helligkeit  des  Sterns  oder  nach  der  Länge  der  Expo- 
sitionszeit sehr  grofs  werden  kann,  bis  zu  1 Bogenminute  und  darüber. 
Die  Unruhe  der  Luft,  durch  welche  der  Stern  in  einer  gewissen 
Amplitude  um  seinen  eigentlichen  Ort  herumpendelt,  bewirkt  also 
nur  eine  geringe  Vergrößerung  des  ohnehin  nicht  völlig  scharf  be- 
, grenzten  Scheibchens,  ist  also  bei  einigermafsen 
B?  nicht  zu  schlimmen  Luftverhältnissen  fast  ganz 
P,  ohne  störenden  Einflufs.  Das  wichtigste  ist  hier- 
bei, dafs  der  Mittelpunkt  des  Bildchens  natürlich 
auf  derselben  Stelle  bleibt,  dafs  also  die  Position  dos  Sterns  nicht 
geändert  wird. 

Es  dürfte  im  Anschluß  hieran  überhaupt  der  Ort  sein,  auf  das 
für  die  Größenbestimmung  der  aufgenommenen  Sterne  so  wichtige 
Verhalten  der  photographischen  Sternscheibchen  etwas  näher  einzugehen. 


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623 


Die  Ursache,  weshalb  das  photographische  Bild  eines  Sterns  stets 
gröfser  ist,  als  das  reelle  Bild  desselben  in  der  Brennebene,  und  weshalb 
bei  vermehrter  Helligkeit  oder  längerer  Expositionszeit  der  Durch- 
messer stark  zunimmt,  dürfte  nur  zum  wenigsten  in  dem  Umstande 
liegen,  dars  die  das  eigentliche  Scheibchen  umgebenden  Interforenz- 
ringe  allmählich  zur  Wirkung  kommen,  als  vielmehr  in  der  Reflexion 
des  Lichts  von  den  vom  Licht  getroffenen  Bromsilbertheilchen  auf  die 
benachbarten,  die  nicht  mehr  direct  im  Bereiche  des  Lichtschoibchens 
liegen.  Es  ist  hierbei  stillschweigend  vorausgesetzt,  dafs  das  Bild  des 
Sterns  mit  einem  Objektive,  welches  für  die  chemisch  wirksamen 
Strahlen  achromatisirt  ist,  oder  mit  einem  Hohlspiegel  aufgenommen  ist. 

Es  ist  dies  für  die  Herstellung  scharfer  und  zu  Messungen  brauch- 
barer Sternaufnahmen  absolut  nöthig;  denn  bei  einem  gewöhnlichen, 
an  und  für  sich  noch  so  guten  Fernrohrobjektive  werden  die  blauen 
und  violetten  Strahlen,  die  die  Hauptwirkung  hervorrufen,  so  wenig 
in  einem  kleinsten  Scheibchen  vereinigt,  dafs  man  von  einem  Stern 
nur  einen  ganz  verwaschenen,  nach  dem  Cenlrum  an  Dunkelheit  zu- 
nehmenden Flecken  auf  der  Platte  erhält.  Die  beistehende  Figur  wird 
dies  deutlicher  als  alle  Beschreibung  zeigen;  links  ist  das  photo- 
graphische Bild  eines  mit  gewöhnlichem  Objektiv  aufgenommenen  Sterns, 
rechts  dasjenige  desselben  Sterns,  mit  einem  für  die  chemisch  wirk- 
samen Strahlen  achromatisirten  Objective  aufgenommen,  wie  es  sich 
bei  einer  zum  Messen  brauchbaren  Vergröfserung  darbietet. 

Es  ist  hieraus  wohl  unverkennbar  zu  entnehmen,  dafs  eine  Ein- 
stellung auf  die  Mitte  eines  solchen  Scheibchens,  wie  dies  beim  Aus- 
raessen  von  Sternaufnahmen  geschehen  mufs,  im  zweiten  Falle  ungleich 
leichter  und  exakter  auszuführen  ist. 

Auch  ist  mit  der  grofsen  Verwaschcnheit  des  Bildes  eine  Ab- 
nahme der  Lichtstärke  verbunden,  da  sich  dieselbe  Lichtmenge  auf 
einer  beträchtlich  gröfseren  Fläche  verbreitet. 

Die  Photographie  stellt  den  Anblick  einer  Stelle  des  gestirnten 
Himmels  demnach  in  derselben  Weise  dar,  wie  dies  künstlich  bei  den 
meisten  Sternkarten  ausgeführt  ist;  die  Helligkeit  der  Sterne  oder  ihre 
Gröfse  ist  gegeben  durch  die  Gröfse  des  Scheibchens. 

Es  bereitet  keine  besondere  Schwierigkeit,  aus  dem  Durchmesser 
der  Sternscheibchen  die  Gröfse  der  betreffenden  Sterne  abzuleiten,  wenn 
man  sich  hierbei  mit  der  Genauigkeit  begnügt,  wie  sie  bei  Zonen- 
beobachtungen zu  erreichen  ist.  Es  hat  sich  nämlich  ergeben,  dafs 
die  Durchmesser  der  Sternscheibchen  nahe  proportional  mit  den  Gröfsen- 
klassen  wachsen,  wenigstens  ist  diesesGesetz  innerhalb  gewisser  Grenzen 


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als  gültig  anzunehmen.  Aber  die  sich  so  herstellende  Gröfsenordnung 
der  Sterne  stimmt  im  allgemeinen  nicht  mit  derjenigen  überein,  welche 
man  mit  dem  Auge  erhält  Es  ist  dies  eine  Folge,  der  verschiedenen 
Färbung  der  Sterne,  für  welche  das  menschliche  Auge  anders  empfindlich 
ist,  als  die  photographische  Platte.  Für  ersteres  liegt  die  stärkste 
Lichtwirkung  im  Gelben,  für  die  letztere  im  Blauen  oder  Violetten,  daher 
erseneint  dem  Auge  ein  rother  Stern  sehr  viel  heller  als  der  Platte. 
Genauer  ausgedrückt  hängt  der  Helligkeitsunterschied  nicht  so  sehr 
von  der  Farbe  ab,  als  von  dem  Spectraltypus  der  Sterne,  der  die 
Ursache  der  Färbung  ist,  und  dieser  Unterschied  kann  sehr  beträchtlich 
werden;  so  erscheint  z.  B.  der  rothe  Stern  a-Orionis,  der  dem  dritten 
Spektraltypus  angehört,  dem  Auge  etwa  eben  so  hell,  als  der  weifse 
Stern  a-Aquilao,  bei  einer  photographischen  Aufnahme  beträgt  aber 
der  Helligkeitsunterschied  beider  Sterne,  in  dem  Sinne,  dafs  a-Orionis 
der  schwächere  wird,  mehrere  Gröfsenklassen. 

ln  neuerer  Zeit  hat  man  nun  verschiedene  Verfahren  erfunden, 
duroh  welche  die  Empfindlichkeit  der  photographischen  Platten  in 
Bezug  auf  Farben  sich  mehr  derjenigen  des  Auges  nähert,  indessen 
werden  die  „orthochromatischen“  Platten  nur  mit  Unrecht  so  genannt, 
da  sie  sich  dem  gewünschten  Ziele  nur  nähern,  es  aber  wenigstens 
in  der  coelestisohen  Photographie  noch  lange  nicht  erreichen,  indem 
die  Empfindlichkeit  der  Schicht  nicht  dieselbe  für  allo  Farben  ist. 
Es  wird  nichts  anderes  übrig  bleiben,  als  eben  eine  neue  photographische 
Helligkeitsscala  in  der  Astronomie  einzuführen,  die  nur  in  Bezug  auf 
die  weifsen  Sterne  mit  der  jetzt  gebräuchlichen  übereinstimmen  würde. 


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Der  Fortschritt  in  der  Selenographie. 

Von  Professor  Dr.  L.  Weinek, 

Direktor  der  K.  K,  Sternwarte  in  Prag. 

(Schliffs.) 


kommen  nun  zu  den  ausgezeichneten  und  umfassenden  Ar- 
2J5'  beiton  Mädlers  über  den  Mond,  welche  derselbe  im  Vereine 
mit  Beer,  einem  reichen  Banquier,  auf  des  Letzteren  Privat- 
sternwarte im  Thiergarten  bei  Berlin  seit  1830  ausführte.  Miidler,  wel- 
cher der  hauptsiieh liehe  Beobachter  von  Beiden  war  und  an  genanntem 
Observatorium  von  1828  bis  zu  seiner  Berufung  nach  Dorpat  im  , Jahre 
1840  wirkte,  berichtet  selbst  über  die  Veranlassung  zu  diesen  Mond- 
studien. wie  folgt:5')  „Das  Vergnügen,  welches  uns  bei  Mondbeobachtun- 
gen die  Lohrmannsche  Karte  (in  den  damals  vorgelegenen  4 Sektionen) 
gewährte,  sowie  die  Unannehmlichkeit,  für  den  übrigen  bei  weitem 
gröfseren  Theil  seiner  Oberfläche  eines  solchen  Hülfsmittels  beraubt 
zu  sein,  bewogen  uns  im  Jahre  1830,  selbst  die  Lösung  der  Aufgabe 
zu  versuchen“,  und  an  anderem  Orte:-1)  „Ich  hatte  1829  die  4 Blätter, 
welche  Vorlagen  und  die  Mittelgegend  des  Mondes  einschlossen,  mit 
dem  Himmel  verglichen  und  mich  von  der  Korrektheit  in  Beziehung 
auf  die  Lage  der  Hauptpunkte,  zugleich  aber  auch  davon  überzeugt, 
dafs  hier  nicht  unerhebliche  Korrektionen  und  Zusätze  zu  machen  waren. 


Als  jedoch  auch  im  Jahre  1830  noch  immer  nichts  von  Lohrmann 
zu  hören  war,  machte  ich  mich  selbst  an  die  Arbeit  und  begann  im 
Marz  1830  mit  einer  Abzeichnung  und  vorläufigen  Messung  des  Mare 
Crisium.“  Die  Frucht  dieser  Arbeiten  war  eine  Aufnahme  des  ganzen 
Mondes  in  gleichem  Durchmesser  mit  der  von  Lohrmann  in  Angriff 
genommenen  Karte,  welche  etwa  600  Nachtw'achen  beanspruchte  und 
im  August  1836  vollendet  war,  so  dafs  das  erste  aus  der  lithographischen 
Presse  hervorgegangene  fertige  Exemplar  dieser  in  4 Sektionen  publi- 


'0  Beer  und  Mattier  „Der  Mond-  1837,  8.  IS?. 

Mädler  „Gew Mehle  der  Hintmelskundo-  1 87.1  1J,  Bd.,  8.  115. 


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626 


zirten  ..Mappa  Selenographica“  im  September  1836  der  Jenaer  Natur- 
forscher-Versammlung vorgelegt  werden  konnte.  Ihr  erstes  Blatt  war 
dagegen  schon  im  Jahre  1834  erschienen.  Das  hierzu  gehörige,  er- 
läuternde und  erschöpfende  Werk:  „Der  Mond  nach  seinen  kosmischen 
und  individuellen  Verhältnissen,  oder  Allgemeine  vergleichende  Sele- 
nographie“  erschien  1837,  während  im  folgenden  Jahre  noch  eine  kleinere 
Mondkarte  von  1 Fufs  (32.5  cm)  Durchmesser  und  1839  eine  „kurz- 
gefafste  Beschreibung  des  Mondes“  als  Auszug  aus  der  gröfseren 
Selenographie  von  Mädler  allein  veröffentlicht  wurde. 

Das  benutzte  Instrument  war  ein  Fraunhofersches  Fernrohr  von 
4'/ä  Fufs  Brennweite  und  43  Pariser  Linien  (97.0  mm)  Oeffnung  mit 
Fadenmikrometer,  welohes  für  die  Messungen  mit  140facher  Ver- 
gröfserung,  fürs  Zeichnen  mit  300facher  Vergrüfserung,  sofern  eine 
solche  der  Luftzustand  zuliefs,  versehen  wurde.  Die  Messungen  er- 
streckten sich  auf  die  selenographischen  Längen  und  Breiten  von  104 
Hauptpunkten  oder  sogenannten  Punkten  erster  Ordnung,  die  in  Bezug 
auf  den  Mondrand  auf  919  Einzelnbestimmungen  (vom  19.  April  bis 
20.  Dezember  1831)  beruhen  und  zu  welchen  Objekte  von  besonderer 
Deutlichkeit  gewählt  wurden,  sodann  auf  eine  grofse  Anzahl  von 
Punkten  zweiter  Ordnung,  die  einen  weiteren  Anhalt  für  die  Ein- 
tragung des  Details  in  die  Karte  bieten  sollten  und  im  Anschlufs  an 
nahegelegene  Hauptpunkte  durch  Distanz-  und  Positionswinkel-Be- 
stimmung fixirt  wurden,  ferner  auf  148  Durchmesser  von  Kratern, 
endlich  auf  1095  Berghöhen,  hergeleitet  aus  deren  Schatten wurf.  Zur 
Charakterisirung  der  relativen  Helligkeiten  auf  dem  Monde  bediente 
sich  Mädler  ebenso  wie  Schröter  und  Lohrmann  einer  Skala  von 
10  Graden,  deren  Unterabtheilungen  von  ihm  in  folgender  Weise  fest- 
gestellt worden.  Es  bezeichnet:  0°  den  schwarzen  Schatten  der  Berge, 
1 — 3°  einen  grauen  Ton,  4 — 6°  eine  lichtgraue,  6 — 7°  eine  weifso 
und  8 — 10°  eine  glänzend  weifse  Farbe.  Für  die  gröfseren  Objekte 
vermehrte  Mädler  die  von  Riccioli,  Schröter  und  Lohrmann 
eingeführten  Namen  um  etwa  ein  Drittel,  während  er  die  kleineren 
Gebilde  mit  Bezug  auf  das  zunächstliegende  benannte  Objekt  durch 
Buchstaben  und  zwar  die  Höhen  durch  griechische,  die  Vertiefungen 
durch  lateinische  kennzeichnete. 

Die  grofse  Beer-Mädlersche  Karte  zeichnet  sich  vor  der 
Lohrmannschon  trotz  des  gleichen  Mafsstabes  durch  ein  im  allge- 
meinen reicheres  Detail  aus,  ist  aber  im  Tone  weniger  kräftig  als  die 
letztero  gehalten.  Diesbezüglich  bemerkt  Mädler  selbst:30)  „Die 

*')  Beer  und  Mädler  „Der  Mond“  1837,  S.  187. 


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1 


Mondlandschaften 

der  Va*u!  * eze.cKr ri  vor  ?rof  L.V/einek 


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627 


Schröter-Lohrmannsche  Skala  für  die  Farben  behielten  wir  bei, 
glaubten  jedoch  bei  den  Böschungswinkeln  und  den  Höhen  der  Ge- 
birgszüge uns  so  naturgetreu  als  möglich  halten  zu  müssen,  selbst 
auf  die  Gefahr,  der  Schönheit  des  Bildes  Eintrag  zu  thun.  Allerdings 
treten  die  Berge  auf  den  Lohrmannsohen  Sektionen  dem  Auge 
kräftiger  entgegen,  wenn  man  aber  die  Böschungswinkel  und  Hori- 
zontalen genau  berücksichtigt,  so  findet  man  auf  ihnen  lange  Gebirgs- 
züge, deren  Gipfel  sämtlich  3 Meilen  Höhe  haben  müfsten“  und 
Schmidt  hebt  hervor31):  „Die  Wiedergabe  des  Individuellen  an  den 
Bergformen  des  Mondes  ist  schon  eine  höhere  Aufgabe  der  Kunst, 
und  konnte  bis  jetzt  nur  in  wenigen  Fällen  erreicht  werden.  Bei 
aller  Sorgfalt  hat  Lohrmann  doch  den  Hauptcharakter  der  Krater- 
gebilde verfehlt,  indem  er  die  Gipfelränder  zu  breit  zeichnete,  und 
fast  überall  den  wirklichen  Bestand  des  Zusammenhanges  und  der 
Regelmäfsigkeit  der  Kraterwälle  durch  die  Manier  seiner  Darstellung 
aufgehoben  hat.  Mädler  war  darin  glücklicher,  und  seine  Charte 
enthalt  ausgezeichnete  Beispiele,  indem  es  ihm  gelang,  besondere 
Eigenthümlichkeiten  zur  Anschauung  zu  bringen.“ 

Beer  und  Mädlers  Werk  giebt  einen  vollständigen  Bericht 
über  den  damaligen  Stand  unseres  Wissens  vom  Monde  und  die  erste 
angemessene  Beschreibung  und  Gesamtkarte  unseres  Trabanten. 
Wegen  der  darauf  verwandten  Sorgfalt  und  Gründlichkeit  wird  es 
lange  Zeit  den  Ausgangspunkt  für  fernere,  detailtirtere  Forschungen 
bilden  und  zur  Förderung  der  Selenographie  wesentlich  beitragen. 
Mädler  selbst  hielt  das  Gebotene  noch  keineswegs  für  einen  Ab- 
schlufs  dessen,  was  wir  vom  Monde  zu  erfahren  vermögen  und  be- 
merkt wörtlich:32)  „Wie  scheinbar  reichhaltig  übrigens  auch  dieser 
Theil  unseres  Werkes  (über  die  spezielle  mathematische  Selenographie) 
sei,  so  wird  es  doch  keinem  Sachkundigen  entgehen,  dafs  das  Ganze 
nur  als  ein  Anfang,  als  eine  Grundlage  für  weitergehende  Forschungen 
betrachtet  werden  könne.  Es  ist  nur  das  zur  Bearbeitung  einer  Karte 
in  dem  von  uns  gewählten  Mafsstabe  unumgänglich  Nothwendige. 
In  der  Folgezeit  werden  — wir  hoffen  es  — schärfere,  weiter  aus- 
gedehnte, häufiger  wiederholte  Messungen  die  unsrigen  verdrängen, 
selbst  strengere  Berechnungsmethoden  werden  in  Anwendung  kommen, 
wenn  erst  manche  jetzt  noch  schwebende  Frage  (z.  B.  die  über  dio 
physische  Libration)  entscheidend  gelöst,  manches  anzuwendende 
Element  der  Rechnung  mit  gröfserer  Sicherheit  bestimmt  sein  wird. 

3I)  Schmidt  „Charte  der  Gebirge  des  Mondes“  1878,  S.  VII. 

")  Beer  und  Mädler  „Der  Mond“  1837,  S.  IV. 

Himmel  und  Erde.  I.  il.  D 


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Was  insbesondere  die  Messungen  der  Berghohen  betrifft,  so  ist  dies 
in  Beziehung  auf  Genauigkeit  der  Resultate  noth wendig  der  schwächste 
Theil  und  hier  dürfte  noch  die  gröfste  Arbeit  bevorstehen“;  er  betont 
ferner  in  seiner  Geschichte  der  Himmels  künde,33)  dafs  die  Frage  nach 
Veränderungen  am  Monde  auf  Grund  seiner  Karte  nur  mit  Vorsicht 
zu  erörtern  sei,  theils,  weil  der  lithographische  Stein  infolge  seines 
langjährigen  Gebrauches  sehr  abgenutzt,  also  die  spätere  Reproduktion 
weniger  vollkommen  wurde,  theils,  weil  bei  Anfertigung  eines  nur 
auf  eigene  Arbeiten  basirten  Gesamtbildes  des  Mondes  den  einzelnen 
Objekten  nicht  die  ganze  Sorgfalt  gewidmet  werden  kann,  die  nur 
möglich  ist,  wenn  man  sich  mit  einem  allein  oder  mit  wenigen  speziell 
beschäftigt.  Eine  neue  verbesserte  Auflage  der  Mappa  Selenographica 
erschien  unter  Ilinzufügung  von  Mädlers  Dorpater  Beobachtungen 
im  Jahre  1869.  Wohl  hatte  Mädler  gehofft,  während  seines  Direk- 
torates an  der  Dorpater  Sternwarte  von  1840 — 1865  eine  gröfsere  und 
vollständigere  Mondkarte  herzustellen;  doch  war  das  Dorpater  Klima 
für  dieses  Vorhaben  zu  ungünstig,  auch  ging  Mädler  allmählich  dem 
traurigen  Geschicke  seiner  Erblindung  entgegen,  so  dafs  nur  wenige 
Zeichnungen  nach  dem  geplanten  grüfseren  Mafsstabe  ihre  Vollendung 
fanden,  was  sehr  zu  beklagen  ist  Die  Selenographie,  mit  welcher 
Mädler  seine  beobachtende  Thätigkeit  begonnen,  ist  auch  deren 
Schlufs  geblieben.  Er  starb  am  14.  März  1874  zu  Bonn. 

Neben  Mädler  ist  Julius  Schmidt  als  einer  der  gründlichsten 
Kenner  des  Mondes  zu  nennen.  Von  diesem  besitzen  wir  seit  1878 
die  gegenwärtig  gröfste  Mondkarte  von  6 Pariser  Fufs  f 1.949  m) 
Durchmesser  mit  32856  Kratorgebilden  (wenn  jede  Ringform  des  Ge- 
birges so  bezeichnet  wird),  und  348  Rillen,  während  die  Zahl  der 
ersteren  bei  Mädler  7735,  bei  Lohrmann  7178  (in  allen  25  Sektionen), 
der  letzteren  bei  Mädler  77  und  bei  Lohrmann  99  ist.  Schmidts 
Karte  ist  das  Resultat  einer  34jährigen,  unermüdlichen  Beobachtung 
des  Mondes  und  dürfte  die  Grenze  defsen  darstellen,  was  ein  Einzelner 
allein  während  seiner  kurz  bemessenen  Lebensdauer  auf  diesem  Ge- 
biete zu  erreichen  vermag.  Insofern  könnte  sie  als  Ganzes  nur  durch 
das  Zusammenwirken  Vieler,  deren  Jeder  eine  spezielle  Mondgegend 
behufs  detaillirtester  und  sorgfältigster  Wiedergabe  ins  Auge  fassen 
würde,  übertroffen  werden. 

Die  erste  Anregung  zu  seinen  Mondstudien  erhielt  Schmidt  1839 
im  Alter  von  14  Jahren,  als  er  bei  einer  Auktion  in  seiner  Heimalh 


«)  II.  Bd.,  S.  514. 


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629 


Eutin  das  Sohrötersche  Werk  über  den  Mond  in  die  Hände  bekam. 
Der  Anblick  von  schattenwerfenden  Bergen  und  Kratern  auf  den  zahl- 
reichen Tafeln  desselben  liefs  ihn  nicht  ruhen,  bis  er  seinen  Vater  zu 
bestimmen  wufste,  ihm  selbst  ein  Fernrohr  zu  schleifen,  welohes  denn 
auch  der  Knabe,  gelehnt  an  einen  Laternenpfahl,  sofort  auf  den  Mond 
richtete.  Da  er  die  Streifen  Tychos  zu  erkennen  vermochte,  schickte 
er  sich  alsbald  an,  den  Versuch  einer  ersten  Zeichnung  zu  machen. 
1840  beobachtete  er  bald  am  Hofplatze,  bald  am  Dachboden  und  Schorn- 
steine seines  Wohnhauses  und  begann  seine  Entwürfe  mit  Abbildungen 
von  ganzen  Phasen  des  Mondes.  Im  Frühling  1841  wurde  dieses 
Unternehmen  mit  einem  4fiifsigen  Dollondschen  Fernrohr  bei  15- 
bis  20-maliger  Vergröfserung  fortgesetzt.  Im  Juli  desselben  Jahres 
blickte  Schmidt  zum  ersten  Male  durch  ein  gröfseres  Fernrohr  der 
Altonaer  Sternwarte  und  erkannte  nun  erst,  indem  er  gleichzeitig  die 
grofso  Mädlersche  Karte  zu  Gesicht  bekam,  den  ungeheuren  Reich- 
thum an  Gebilden  auf  dem  Monde.  1842  kam  er  nach  Hamburg,  wo 
er  theils  Zutritt  zur  Sternwarte  erhielt,  theils  Gelegenheit  fand,  zu 
Hohenfelde  bei  Hamburg  an  einem  3füfsigen  Fernrohr  mit  90facher 
Vergröfserung,  das  einem  Herrn  Bartels  gehörte,  nach  Belieben  den 
Mond  zu  zeichnen.  Erst  von  dieser  Zeit  an  bekam  Schmidt  Ab- 
bildungen, die  zum  Theil  für  seine  grofse  Karte  benutzt  werden  konnten, 
weil  er  nun  das  Zeichnen  ganzer  Phasen  aufgegeben  und  nach  Schröters 
Vorgang  sich  auf  einzelne  Mondlandschaften  beschränkt  hatte.  Seit 
1845  finden  wir  Schmidt  an  den  verschiedensten  Instrumenten  in 
Bilk,  Bonn,  Berlin,  Olrnütz,  Wien,  Rom  und  Neapel  arbeiten,  bis  der- 
selbe am  2.  Dezember  1858  als  Direktor  der  Sternwarte  nach  Athen 
kam.  Die  Olmiitzer  Zeit  von  1853  — 1858  an  der  Sternwarte  des 
Prälaten  Unk  rech  tsb erg  war  besonders  fruchtbar  für  die  Vermes- 
sung zahlreicher  Höhen  und  Neigungswinkel  von  Mondgebirgon. 
In  Athen  benutzte  Schmidt  einen  öfufsigen  Plösslschen  Refraktor 
von  6 Zoll  Oeffnung  und  bediente  sich  bei  guter  Luft  einer  300 ma- 
ligen, in  ganz  seltenen  Fällen  auch  einer  500  bis  600  maligen  Ver- 
gröfserung. Das  im  Laufe  der  Zeit  bedeutend  angewachsene  Material 
begann  Schmidt  im  Januar  1865  für  die  Herstellung  einer  Mond- 
karte von  2 m Durchmesser  auf  4 Blättern,  in  welche  die  Hauptpunkte 
nach  Mädlers  Karte  eingetragen  wurden,  zu  verarbeiten.  Bei  diesem 
Versuche  konnto  er  indefs  bald  wahrnehmen,  wie  viel  ihm  noch  für 
das  gesetzte  Ziel  fehlte.  Er  bemerkt  dazu  selbst34):  „Dadurch  ward 

M)  Schmidt  „Charte  der  Gebirge  des  Mondes“  1878,  S.  V. 

45* 


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630 


ich  genöthigt,  die  Beobachtungen  in  solchem  Mafse  zu  vermehren, 
dafs  die  früheren  dagegen  nunmehr  wenig  in  Betracht  kommen  konnten. 
Neun  Jahre  sind  dieser  Arbeit  gewidmet  worden,  bis  ich  im  Juli 
1874  mich  dahin  entschied,  das  Werk  abzuschliefsen,  weil  auch  bei 
gleichbleibenden  äufseren  günstigen  Bedingungen,  sich  auf  unzweifel- 
hafte Weise  herausstellte,  dafs  eine  erschöpfende  Darstellung  aller 
Details,  welche  ein  sechsfüfsiger  Refraktor  erkennen  läfst,  eine  längere 
Lebensdauer  und  eine  viel  gröfsero  Arbeitskraft  erfordert,  als  dem 
Menschen  verliehen  ist.**  Im  April  1867  gab  Schmidt  seinen  ersten 
Entwurf,  bei  welchem  die  beträchtliche  Gröfse  des  einzelnen  Blattes 
zu  1 Quadratmeter  für  ein  exaktes  Zeichnen  viel  zu  unbequem  war, 
wieder  auf,  hatte  sich  aber  durch  diesen  Versuch  im  Zeichnen  mit 
der  Feder  nach  Lehmanns  Methode  erheblioh  geübt.  Er  behielt 
zwar  den  Durchmesser  von  6 Pariser  Fufs  = 1 Toise  (1.949  m)  bei, 
theilte  aber  das  Ganze  wie  Lohr  mann  in  25  Sektionen,  so  dafs  ein 
Blatt  sehr  nahe  die  Gröfse  von  39.0  cm  im  Quadrat  erhielt.  Hierzu 
entnahm  er  die  selenographischen  Positionen  der  Punkte  erster  und 
zweiter  Ordnung  ausschliefslich  der  Lohrmannscheu  Arbeit,  während 
das  gesamte  übrige  Detail  von  ihm  selbstständig  orientirt  und  ge- 
zeichnet wurde.  Der  Inhalt  der  Karte  umfafst  mehr  als  3000  Original- 
zeichnungen Schmidts  von  1842 — 1874  d.  i.  einer  32jährigen  Be- 
obachtung, während  die  früheren  von  1840 — 1842  ihrer  geringeren  Zu- 
verlässigkeit wegen  keine  Verwendung  gefunden.  Ueber  den  Impuls  zur 
Herausgabe  dieser  Karte  auf  Staatskosten  schreibt  Schmidt35):  „Im 
Dezember  1874  brachte  ich  die  Charte  auf  der  Berliner  Sternwarte 
zur  Aufstellung.  Das  Interesse,  welches  sie  dort  erregte,  führte  dann 
zu  glücklichen  Kombinationen,  so  dafs  die  Herausgabe  des  Werkes 
unter  Protektion  des  Staates  bald  als  gesichert  angesehen  werden 
konnte.  Auf  gnädige  Anregung  Sr.  Kais.  Hoheit  des  Kronprinzen, 
hatte  der  Feldmarschall  Graf  von  Moltke  die  Güte,  die  25  Tafeln  im 
Atelier  des  Grofsen  Generalstabes  photographiren  zu  lassen,  und  mir 
im  April  1875  zwei  Abzüge  zu  übergeben,  so  dafs  ich,  da  das  Original 
in  Berlin  blieb,  mit  Hülfe  jener  beiden  Photographien  die  Bearbeitung 
der  Beschreibung  zu  Ende  führen  konnte.“  Derart  erschien  das  gröfse 
Werk  im  Jahre  1878  unter  dem  Titel:  „Charte  der  Gebirge  des 

Mondes“  in  25  Blättern  mit  einem  Erläuterungsband  von  304  Seiten 
Text.  — Der  Umstand,  dafs  die  Karto  auf  heliotypischem  und  nicht 
auf  lithographischem  Wege,  wie  die  Mädlersche,  vervielfältigt  wurde, 

«)  Ibidem  S.  VI. 


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631 


veranlagt  Schmidt  zu  folgender  Bemerkung36):  „Mir  war  bekannt, 
dafs  meine  Handzeichnung  im  Laufe  der  Zeit  bleicher  werden  würde, 
und  da  ich  seit  1868  entschlossen  war,  die  Tafeln  durch  die  Photo- 
graphie zu  vervielfältigen,  so  mufste  ich  darauf  Rücksicht  nehmen* 
dafs  alle  Details  in  gleicher  Deutlichkeit  auftreten  könnten,  und  aus 
diesem  Grunde  habe  ich  absichtlich  die  an  sich  so  schwachen  Höhen- 
züge und  Adern  in  den  Maren  viel  schärfer  schraffirt,  als  es  zufolge 
ihrer  Neigungswinkel  hätte  sein  dürfen.  Demnach  giebt  also  meine 
Charte  nicht  den  richtigen  Eindruck  von  den  Unterschieden,  welche 
thatsächlich  auf  dem  Monde  stattfinden,  und  Mädlers  Charte  ist  in 
solcher  Rücksicht  getreuer.“  Mit  Bezug  auf  die  Darstellung  des  In- 
dividuellen in  den  Bergformen  sagt  ferner  Schmidt37):  „In  meiner 
Charte  herrscht  grofse  Einförmigkeit  in  der  Behandlung,  und  viel 
Charakteristisches  mufste  anderen  Zwecken  geopfert  werden;“  endlich 
hinsichtlich  der  Wiedergabe  der  Helligkeitsunterschiede  auf  dem 
Monde3*):  „Das  Kolorit,  die  sogenannte  Mondfarbe,  also  das  Aussehen 
des  Vollmondes,  in  einer  topographischen  Charte  gonau  darzustellen, 
ist  unmöglich,  und  demnach  beschränkte  ich  mich,  wie  meine  Vor- 
gänger, darauf,  das  Nöthige  hervorzuheben,  nämlich  die  graue 
Färbung  der  Ebenen  und  verschiedene  dunkle  Flecken.  Lichtstreifen 
zeichnete  ich  nur  in  den  Maren,  Lichtflecken  nur  dort,  wo  die  dunkle 
Umgebung  es  zuliefs.  Für  den  Vollmond  wird  einst  die  Photographie 
das  Beste  liefern.  Das  unendliche  Detail  der  Abstufungen  des  Lichtes 
im  Vollmonde  wird  man  niemals  auf  dem  Wege  der  gewöhnlichen 
Zeichnung  bewältigen.  Noch  weniger  konnte  ich  daran  denken,  die 
geringen  Farbenunterschiede,  die  auf  dem  Monde  Vorkommen,  zur 
Anschauung  zu  bringen.“ 

Es  war  bereits  die  Rede  von  dem  überaus  reichen  Detail,  welches 
die  Schmidt  sehe  Karte  im  Vergleich  zu  den  nach  halb  so  grofsem 
Marsstabe  angefertigten  Lohrmannschen  und  Mädlerschen  Karten 
bietet;  doch  steht  sie  an  Feinheit  der  Zeichnung  den  letzteren  nach. 
Hinsichtlich  ihrer  Genauigkeit  basirt  sie  auf  Lohrmanns  Positions- 
bestimmungen am  Monde,  welche  aber  für  einen  so  grofsen  Mafsstab 
(Schmidt  giebt  25  678  Ringgebirgformen  mehr  als  Lohrmann)  zu 
wenig  zahlreich  sein  dürften,  obwohl  im  übrigen  Schmidts  Zuver- 
lässigkeit und  Sorgfalt  im  Beobachten  bekannt  sind.  Seine  Messungen 
bezogen  sich  hauptsächlich  nur  auf  die  Höhen  der  Mondberge,  deren 

»)  Ibidem  8.  VII. 

")  Ibidem  8.  VIL 

’*)  Ibidem  8.  7. 


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632 


Anzahl  von  1844—1865  auf  3050  stieg.  Die  Nomenklatur  umfafst  bei 
Schmidt  646  Namen,  darunter  501  Personen-Namen,  bei  Lohrmann 
442  (auf  dessen  25  Sektionen),  bei  Mädler  416  Namen.  Der  Mafs- 
stab  der  Karte  ist  1 : 1783200,  woraus  hervorgeht,  dafs  auf  derselben 
1 mm  -=  1783.2  m ist,  also  eine  geographische  Meile  durch  4.1613  mm 
dargestellt  wird.  Sie  giebt  daher  eben  soviel  Detail,  als  wenn  ganz 
Böhmon  auf  einem  Quartblatt33)  oder  die  Insel  Corsica  auf  einer  Visit- 
karte40)  abgebildet  würde.  Sollte  beispielsweise  auf  Schmidts  Mond- 
karte die  Stadt  Wien  verzeichnet  werden,  so  müfste  deren  Längsaus- 
dehnung mit  4.6  mm,  die  Breitenausdehnung  mit  3.0  mm  eingetragen 
werden,  durch  welchen  Vergleich  die  Ausführlichkeit  derselben  wohl 
am  instruktivsten  erläutert  erscheint. 

Es  geschehe  noch  Erwähnung  der  folgenden  Bemerkungen,  welche 
Schmidt  bezüglich  der  bei  solchen  Aufnahmen  anzuwendenden  Fem- 
rohr-Vergröfserungen  macht.  Er  sagt:41)  „Sehr  starke  Vergröfserungen 
von  600 — 700  mal  sind  so  gut  wie  niemals  mit  Vortheil  zu  gebrauchen; 
auch  würde  man  sich  in  solchem  Falle  auf  die  Zeichnung  einer  sehr 
kleinen  Landschaft  beschränken  müssen.  Für  die  gewöhnlichen  kleinen 
Refraktoren  von  4 — 6 Fufs  Brennweite  sind  Vergröfserungen  von  200 
bis  300  mal  am  dienlichsten.  Will  man  das  Kolorit  des  Mondes  dar- 
stellen, so  ist  es  vortheilhaft,  sich  schwacher  Okulare  oder  kleiner 
Fernrohre  zu  bedienen“,  ferner:42)  „Wäre  es  möglich,  den  Mond  voll- 
ständig mit  Hülfe  einer  600  maligen  Vergrößerung  abzubilden,  so 
würde  man  gegen  100000  Krater  und  wohl  500  Rillen  darzustellen 
haben.“  Dies  werden  also  künftige  Selenographen  in  Betracht  zu 
ziehen  haben. 

Außer  zahlreichen  Schriften  über  spezielle  Gegenstände  der  Mond- 
topographie hat  Schmidt  auch  einen  Katalog  „Ueber  die  Rillen  auf 
dem  Monde“  1867  herausgegeben,  welcher  425  dieser  Formationen  auf- 
weist, von  denen  er  selbst  278  entdeckt  hat,  ferner  im  Oktober  1866 
die  Veränderung  des  Kraters  Linnö  im  Mare  Serenitatis  angezeigt, 
welche  seiner  Zeit  das  größte  Aufsehon  erregte  und  ebensowohl  durch 
Schmidts  Beobachtung  und  Argumentation,  als  auch  durch  diejenige 
Anderer  sehr  wahrscheinlich  gemacht  worden  ist  — Schmidt  be- 
schloß sein  reiches,  vornehmlich  der  Beobachtung  des  Mondes  ge- 
widmetes Leben  am  7.  Februar  1884  zu  Athen  im  Alter  von  59  Jahren. 

M|  Andrer»  Handatlas,  2.  Aullag«'.  1887,  Karte  49,  Marsstab  1:1500000. 

,0)  Ebendaselbst,  Karte  (11,  Marsstab  1:  1750000. 

*')  Schmidt  „Charte  der  Gebirgo  des  Mondes“  1878,  S.  X. 

4a)  Ibidem  S.  97. 


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633 


Die  hier  besprochenen  hervorragenden  Arbeiten  des  deutschen 
Dreigestirns  auf  selenographisehem  Gebiete:  Lohrmann,  Mädler, 
Schmidt  haben  Anregung  nach  allen  Seiten  hin  verbreitet,  besonders 
in  England,  wo  im  Jahre  1864  die  British  Association  eine  Kommission 
zur  Erforschung  der  physischen  Beschaffenheit  der  Mondoberfläche  und 
zur  Feststellung  der  besten  Methode  für  eine  möglichst  detaillirte 
Zeichnung  derselben  ernannte,  deren  Sekretär  der  verdiente  und  schrift- 
stellerisch sehr  thätige  Mondbeobachter  Birt  gewesen,  von  welchem 
später  auch  die  Selenographical  Society  zur  Förderung  des  Mond- 
studiums gegründet  wurde.  Von  dieser  Kommission  wurde  alsbald  eine 
grofse  Mondkarte  iin  Durchmesser  von  100  engl.  Zoll  (2.540  m)  in 
Angriff  genommen,  welches  Werk  aber  seit  1869,  wo  das  erwähnte 
Comitö  nicht  wieder  ernannt  worden,  nur  langsam  fortschreitet.  Bis 
zu  genanntem  Jahre  -waren  blofs  3 Sektionen  zu  je  5°  im  Quadrat  von 
1600  solchen  beabsichtigten  Sektionen,  in  welche  die  ganze  Karte  be- 
hufs leichterer  Bewältigung  durch  verschiedene  Beobachter  aufgetheilt 
wurde,  erschienen.  Dagegen  sind  die  indirekten  Früchte  jener  Bestre- 
bungen, welche  sich  in  der  Heranbildung  einer  englischen  selenogra- 
phischen  Schule  offenbarten,  besonders  hervorzuheben,  und  hauptsächlich 
zwei  englische  Werke  über  den  Mond  zu  nennen,  welche  in  den  Jahren 
1874  und  1876  an  die  Oeffentlichkeit  traten,  und  deren  jedes  in  seiner 
Art  vorzüglich  ist.  Das  erste  hat  den  Titel : Nasmyth  J.  und  Carpenter  J. 
„The  Moon  considered  as  a planet,  a world  and  a satellite“  1874; 
das  zweite:  Neison  E.  „The  Moon  and  the  condition  and  configurations 
of  its  surface"  1876.  Beide  sind  von  dem  eifrigen  Mondforscher  Klein 
in  Köln  ins  Deutsche  übertragen  worden.43) 

Das  Werk  von  Nasmyth  und  Carpenter  zeichnet  sich  durch 
seine  bestechend  schönen,  plastischen  Abbildungen  von  12  Mondland- 
schaften aus,  welche  aber  leider  nicht  direkt  nach  der  Natur  aufgenommen 
wurden,  sondern  Photographien  von  Modellen  sind,  die  nach  Zeich- 
nungen einer  30  jährigen,  zumeist  mit  einem  20  zölligen  Keflektor 
angestellten  Beobachtung  der  Autoren  angefertigt  und  sodann  mittelst 
Sonnenlicht  beleuchtet  worden.  Würden  daher  auch  die  Originale  von 
gröfster  Treue  sein  (dieselben  sind  nicht  mit  veröffentlicht),  so  kann 
doch  die  Umsetzung  derselben  in  ein  plastisches  Modell  bei  dem  man- 
nigfaltigen bestrickenden  Detail,  das  hier  geboten  wird,  Unwahrheiten 
mit  sich  bringen,  welche  den  Werth  dieser  Aufnahmen  wieder  herab- 

u)  1.  .Der  Mond,  betrachtet  als  Planet,  Welt  und  Trabant“  von  J.  N'as- 
myth  und  J.  Carpenter  187(1.  2.  -Der  Mond  und  die  Beschaffenheit  und 
Gestaltung  seiner  Oberfläche“  von  E.  Neison  1878. 


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G34 


mindern.  Immerhin  geben  diese  Bilder  die  Charakteristik  der  Mond- 
landschaften und  deren  bezaubernden  Anblick  besser  wieder,  als  dies 
bis  dahin  irgend  einem  Selenographen  gelungen  ist  Das  Werk  bringt 
auch  eine  Vollmondkarte  von  16,6  cm  Durchmesser,  welche  derart 
entstand,  dafs  die  Beer-Mädlersche  Karte  auf  6 Fufs  vergröfsert, 
dann  das  Detail  so  hineingezeichnet  wurde,  wie  es  dem  irdischen  Be- 
schauer bei  einem  bestimmten  Beleuchtungswinkel  der  Mondobjekte 
erscheint,  um  schliefslich  das  Ganze  in  dem  angeführten  verkleinerten 
Mafsstabe  zu  photographiren.  Sie  ist  ebenfalls  vorzüglich  und  wesent- 
lich für  den  Laion  bestimmt,  dem  es  im  Anfänge  stets  Schwierigkeiten 
bereitet,  die  nach  Lehmann  scher  Strichmanier  gezeichneten  Mond- 
karten richtig  zu  interpretiren.  In  seiner  populären  Form  wendet  sich 
das  Buch,  welches  sehr  eingehend  den  Vulkanismus  des  Mondes  ver- 
tritt, mehr  an  das  grofse  Publikum  als  an  den  Fachmann,  thut  dies 
aber  in  gründlicher  und  angenehm  lesbarer  Weise. 

Das  Neisonsche  Buch  hingegen  spricht  in  erster  Linie  zum 
Fachmann,  fufst  hauptsächlich  auf  der  Beer-Mädlerschen  Erfor- 
schung des  Mondes,  sucht  aber  dieselbe  streng  prüfend  zu  ergänzen 
und  zu  verbessern.  Es  vertritt  an  der  Iland  von  selbstständigen  Unter- 
suchungen, welche  Neison  an  anderem  Orte44)  gegeben,  namentlich 
den  Standpunkt,  dafs  der  Mond  noch  eine  merkliche  Atmosphäre  be- 
sitzt, welche,  obwohl  sie  nur  die  Dichtigkeit  von  1/400  — 1/300  unserer 
Erdatmosphäre  hat,  hinreicht,  um  die  Bildungen  der  Mondoberfläche 
zu  beeinflussen  und  zu  verändern.  Der  dem  Werke  beigegebene 
Atlas  in  Oktavform  enthält  eine  Mondkarte  in  22  Sektionen  mit  einem 
Durchmesser  von  61.0  cm,  welche  nach  Lehmanns  Schraffirmethode 
gezeichnet  ist  und  gegen  Beer  und  Mädlers  Karte  mehrere  tausend 
neue  Objekte  aufweist,  einschliefslich  vieler  neuer  Rillen,  welche  dem 
Schmidt  sehen  Kataloge  entnommen  worden.  Der  relativ  kleine 
Mafsstab  dieser  Karte  läfst  die  Schraffirung  der  Berge  nicht  zu  aus- 
reichender Charakteristik  kommen,  und  insofern  steht  dieselbe  hinter 
der  Lohrmannschen  und  Mädlerschen  Karte  zurück.  Auch  nimmt 
sie  auf  die  Mondfarbe  nicht  Rücksicht  und  fungirt  mehr  als  Orien- 
tirungskarte,  denn  als  treues  Abbild  des  Mondes.  Neison s Karte 
beruht  unter  Anderem  auf  dessen  achtjährigen,  unausgesetzten  seleno- 
graphischen  Beobachtungen,  welche  derselbe  zumeist  mit  einem  seohs- 
zölligen  Aequatoreal  ausführte,  darunter  auf  nahezu  400  neuen  Mes- 
sungen der  Lage  von  Punkten  erster  Ordnung  und  über  200  Messungen 


“)  Monthly  Notices  Vol.  XXXIV,  p.  15. 


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635 


von  fast  100  Punkten  zweiter  Ordnung,  außerdem  auf  vielen  Grüfsen- 
und  Höhen-Messungen  der  einzelnen  Objekte.  Der  Atlas  enthält  ferner 
eine  Uebersiohtskarte  des  Vollmondes,  5 Spezialkarten  in  Farbendruck, 
deren  plastisohe  Treue  jedoch  zu  wünschen  übrig  läfst,  und  drei  weitere 
in  Striohmanier  mit  vielfachem  Detail.  Der  begleitende  Text  im  Haupt- 
werke, welcher  alles  Bekannte  auf  dem  Gebiete  der  Mondbeschreibung 
kritisch  umfafst,  zeichnet  sich  durch  prägnante  Kürze  und  Klarheit  aus. 

Noch  möge  gedacht  werden  einer  in  letzter  Zeit  unter  Leitung 
Flammarions  in  Paris  von  Gaudibert  entworfenen  Vollmondkarte 
mit  einem  Durchmesser  von  64  cm  (1  mm  = 5433  m — 3 ".1)  welche 
die  Mondformationen  ähnlich  wie  Nasmyth  und  Carpenter  und 
früher  Mayer  und  Hevelius  mit  kurzem  Schattonwurfe  (nach  Osten) 
darstellt,  sehr  fleifsig  gearbeitet  ist  und  an  ihrem  Rande  ein  Verzeich- 
nis von  615  Mondbergen  mit  deren  Höhen  in  Motom  anführt  Sie 
giebt  ein  gutes,  plastisches  Bild  vom  Monde  und  dürfte  Laien  wie 
Astronomen  zur  schnellen  Orientirung  auf  unserem  Trabanten  von 
Nutzen  sein. 

Fragen  wir  zum  Schlüsse  dieser  Uebersicht,  in  welcher  Weise 
die  Darstellung  des  Mondes  durch  Zoichnung  weiter  fortschreiten  soll, 
so  kann  die  Antwort  kurz  dahin  präzisirt  werden,  dafs  das  Haupt- 
augenmerk nicht  auf  die  Quantität,  sondern  auf  die  Qualität  des  Dar- 
gestellten zu  richten  ist,  um  ein  möglichst  treues  Dokument  für  die 
Zukunft  zu  schaffen.  Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  kann  auch  mit 
kleineren  Instrumenten  Brauchbares  geleistet  werden.  Ne ison  spricht 
darüber  sehr  treffend45):  „Mit  Teleskopen  von  3 bis  6 Zoll  Oeffnung 
können  bei  richtigem  Gebrauche  Arbeiten  von  höchstem  selenogra- 
phischen  Werthe  erhalten  werden,  und  genügen  jene  Instrumente 
vollkommen,  die  Mondoberlläche  in  einer  Weise  darzustellen  und  zu 
zeichnen,  welche  bisher  weder  in  Hinsicht  der  Genauigkeit  noch  der 
Vollständigkeit  erreicht  worden  ist.  Auch  für  die  weniger  durch- 
forschten Theile  der  Selenographie,  nämlich  die  Positions-  und  Dimen- 
sions-Bestimmungen der  Mondformationen  sind  Teleskope  mit  einer 
Oeffnung  von  3 bis  6 Zoll  vollständig  geeignet.“  Natürlich  ist  von 
gröfseron  Instrumenten  ein  zahlreicheres  Detail  zu  erwarten,  das  aber 
auch  schwerer  zu  bewältigen  ist.  Objekte  dagegen  an  der  Grenze 
der  Sichtbarkeit  eines  Fernrohres  mit  Hartnäckigkeit  zu  verfolgen 
und  zu  diskutiren,  ist  fast  so  viel  wie  Zeitverschwendung,  weil  die 
Entscheidung  durch  Anwendung  eines  kraftvolleren  Instrumentes  mit 
einem  Schlage  zu  treffen  ist. 

«)  Neison  „Der  Mond“  1878,  S.  VIII. 


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636 

Durch  das  aufmerksamste  Detailstudium  der  Mondoberfläche 
innerhalb  des  Bereiches  des  betreffenden  Instrumentes,  verbunden  mit 
exakter  und  zuverlässiger  Messung,  soll  also  der  weitere  Aufbau  der 
Selenographie  erfolgen,  da  ein  solches  die  werthvollsten  Aufschlüsse 
über  gewisse  Entwicklungsphasen  der  Weltkörper  zu  geben  vermag. 

In  Deutschland  ist  es  vornehmlich  H.  J.  Klein  in  Köln, 
der  sich  diese  Richtung  bei  einer  mehr  als  20jährigen  Mondbe- 
obachtung gewählt  hat,  und  welcher  für  einzelne  Objekte  gleichsam 
Ephemeriden  vorbereitet,  die  alle  Tage  des  Mondalters  umfassen  sollen. 
Der  Eifer  und  die  Umsicht  desselben  sind  unter  Anderem  durch  die 
Entdeckung  (19.  Mai  1877)  einer  Neubildung  auf  dem  Monde  und  zwar 
einer  ausgedehnten  Kratergrube  westlich  von  Hyginus  belohnt  worden, 
für  deren  Thatsächlichkeit  als  gewichtigste  Richter  Schmidt  und 
Neison  eintreten. 

Seit  Beginn  des  Jahres  1884  habe  auch  ich  mich  entschlossen, 
der  Detaildarstellung  des  Mondes  einen  Theil  meiner  disponiblen  Zeit 
an  der  Prager  Sternwarte  zu  widmen,  da  mich  die  bisherigen  plastischen 
Zeichnungen  des  Mondes  — abgesehen  von  jenen  des  Nasmyth- 
Carpenterschen  Werkes,  welche  jedoch  nicht  unmittelbar  nach  der 
Natur  aufgenommen  sind,  und  allenfalls  den  15  Trouvelotschen 
Abbildungen  in  den  „Annals  of  the  Astronomical  Observatory  of 
Harvard  College“  Vol.  VIII,  welch’  letztere  aber  von  Manirirtheit  nicht 
frei  sind  und  die  Gebilde  so  darstellen,  als  wären  sie  aus  Teig 
geformt  — nicht  befriedigten.  Gestützt  auf  meine  langjährige 
Uebung  im  astronomischen  Zeichnen,  fafste  ich  den  Gedanken,  nur 
Objekte  an  der  Beleuchtungsgrenze,  wo  die  Kontraste  von  Licht  unil 
Schatten  die  wunderbarsten  Effekte  erzeugen  und  das  Bild  klar  und 
deutlich  zum  Beschauer  spricht,  mit  der  gröfsten  plastischen  Treue 
und  Feinheit  darzustellen,  welches  Vorhaben  insofern  nicht  überflüssig 
erscheint,  als  die  Photographie  noch  lange  nicht  so  weit  ist,  das  dem 
Auge  des  Astronomen  sich  darbietendo  Detail  ohne  Anwendung  von 
imaginären  Riegeninstrumenten  wiederzugeben.  Auch  wird  die  Photo- 
graphie über  einen  Punkt  nicht  hinauskommen  und  der  wirklich 
guten  Zeichnung  von  Monddetails  nachstehen,  nämlich  hinsichtlich  der 
Richtigkeit  der  relativen  Nuanzirung  solcher  Details  von  lebhafter 
Kontrastwirkung,  da  die  photographische  Platte  bei  bestimmter  Expo- 
sitionszeit nur  für  gewisse  Lichtintensitäten  abgestimmt  ist  und  hellere 
Partieen  überexponirt,  dunklere  unterexponirt  darstellt.  Eine  Reihe 
von  16  Mondkratern  und  Mondlandschaften  ist  bereits  unter  dem 
Titel:  „Astronomische  Beobachtungen  an  der  K.  K.  Sternwarte  zu  Prag 


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637 


im  Jahre  1884,  enthaltend  Original  Zeichnungen  des  Mondes“  1886  auf 
heliographischem  Wege  erschienen.  Acht  derselben  sind  diesem  Hefte 
beigegeben  und  stellen  die  folgenden  Partieen  dar:  1.  Mare  Crisium, 
2.  Sinus  Jridum,  3.  Theophilus,  Cyrillus,  4.  Gassendi,  5.  Colombo,  Magel- 
haens,  6.  Tycho,  7.  Fracastor  und  8.  Archimedes,  wobei  die  Bilder  mit 
dem  Schattenwurfe  nach  rechts  (im  umkehrenden  Fernrohr)  dem  Sonnen- 
aufgang am  Monde,  jene  mit  dem  Schattenwurfe  nach  links  dem 
Sonnenuntergänge  angeboren.  Bis  zum  August  1884  wurde  beim 
Zeichnen  ein  Fraunh  ofersches  Fernrohr  von  3.6  Zoll  (97.6  mm) 
Oeffnung  mit  160facher  Vergröfserung,  später  ein  Steinheilsches 
Aequatoreal  von  6 Zoll  (162.6  mm)  OefTnung  mit  139facher  Ver- 
gröfserung verwendet.  Die  Zahl  dieser  Abbildungen  ist  bis  Ende  1888 
auf  48  angewachsen,  von  denen  somit  32  noch  der  Publikation  harren, 
die  jedoch  in  kurzer  Frist  erfolgen  wird. 

Wünschenswerth  erscheint  es,  dafs  viele  Beobachter  sich  dem 
Detailstudium  des  Mondes  zuwenden  möchten  — im  Sinne  der  Worte 
Mädlers-f’):  „Es  wird  der  Selenographie  ergehen,  wie  es  der  Geo- 
graphie seit  Jahrtausenden  ergangen  ist  und  noch  heut  ergeht,  nur 
mit  dem  Unterschiede,  dafs  diese  sich  vom  Besonderen  und  Lokalen 
zum  Allgemeinen  erhebt,  jene  den  umgekehrten  Weg  einschlägt.“ 

“)  Beer  und  Mädler  „Der  Mond“  1837,  S.  VII. 


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Die  norwegische  Nordmeer -Expedition. 

Von  Prof.  Dr.  H.  Mohn, 

Direktor  des  Norwegischen  Meteorologischen  Institute  in  Cbristiania.1) 
oy,  (Fortsetzung.) 

A m nächsten  Tag  Sturm,  der  uns  wieder  festhielt;  aber  tags  darauf 
' kam  die  Stunde  der  Erlösung.  Am  3.  August,  Abends  7 Uhr,  wa- 
ren wir  wieder  auf  der  Arbeitsstation,  nördlich  von  Beeren-Eiland. 
Am  5.  August  hatte  die  Expedition  Spitzbergens  Südcap  erreicht.  Hier 
gingen  wir  südlich  um  das  Vorgebirge  und  die  vor  ihm  liegenden 
kleinen,  flachen  Inseln  herum,  ein  kleinos  Stück  in  den  Storfjord  hinein, 
so  dafs  wir  bei  dieser  Gelegenheit  die  zackigen  Gebirge  des  südlichen 
Spitzberges  und  einige  von  den  weit  in  das  Meer  bineinschiefsenden 
Gletschern  zu  sehen  bekamen.  Nachdem  wir  hier  auf  einer  Station 
magnetische  Beobachtungen,  Lothungen  und  Schleppnetzarbeiten  aus- 
geführt halten,  gingen  wir  wieder  westlich,  um  einen  Querschnitt  vom 
Siidcap  nach  dom  Grönlandeis  aufzunehmen.  Am  7.  Nachmittags  wurde 
im  Nordwesten  Eis  gesehen.  Es  war  aber  nicht  die  Eisgrenze.  Wir 
segelten  südlich  um  das  Eis  herum  und  verloren  es  bald  aus  den 
Augen.  Abends  passirten  wir  den  Meridian  von  Greenwich  und  lotheten 
auf  unserer  350.  Station  eine  Tiefe  von  1686  Faden  (3083  Meter).  Wir 
waren  in  der  Polarströmung.  Das  Travelnetz  wurde  20  Minuten  nach 
Mitternacht  ausgeworfen  und  sank  bis  4 Uhr  20  Minuten.  Das  Herein- 
holen begann  um  6 Uhr  50  Minuten.  Alles  ging  gut.  Ein  wiederholter 
Ruck  in  dem  Accumulator  zeigt  an,  dafs  der  Traveler  in  den  Boden 
eingreift,  Proben  aufnimmt  und  weiter  geht.  Aber  allmählich  geht 
das  Hereinholen  langsamer  und  langsamer.  Es  fangt  an,  bedenklich 
zu  werden.  Das  Travelnetz  ist  offenbar  ungewöhnlich  schwer.  Es 
ist  schon  10  Uhr.  Ein  Spleifs ?)  des  Travelnetztaus  hat  den  Accu- 
mulatorblock  passirt,  ist  glücklich  auf  den  Cylinder  gekommen  und 
hat  bereits  drei  Umgänge  auf  diesem  gemacht.  Da  entsteht  ein  Ruck, 

*)  Aua  dem  norwegischen  Original -Manuskripte  übersetzt  von  F.  S. 
Archenhold  und  revidirt  vom  Verfasser. 

2)  Eine  Tauverbindung  ohne  Knoten. 


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der  das  ganze  Schiff  erschüttert.  Die,  welche  unter  Deck  safsen,  ahnten 
etwas  Schlimmes  und  die  das  Hereinholen  mit  den  Augen  verfolgt 
hatten,  sahen  das  Tau  an  der  Stelle  des  Spleifses  zerreifsen,  in  den 
Rillen  des  Cylinders  sich  umwälzen  und  das  Ende  des  Taus  aus  dem 
Accumulatorblock  heraus  in  die  Tiefe  des  Meeres  fahren.  Dies  war 
das  Werk  weniger  Sekunden.  Glücklicherweise  hatte  Niemand  so  auf 
Deck  gestanden,  dafs  er  von  dem  herausfahrenden  Tau  gefafst  werden 
konnte.  Es  glitt  auch  nicht  so  schnell  von  dem  Cylinder  ab,  dars  die 
Maschinen  nicht  hätten  gestoppt  werden  können,  ehe  die  Kraft  von 
dem  Cylinder  genommen  war.  Mit  dem  über  Bord  fahrenden  Tau- 
ende gingen  3900  Meter  Tau,  ein  Travelnetz,  mehrere  eiserne  Lothe, 
alle  Thiere,  die  in  dem  Netz  waren,  und  10  Stunden  anstrengender 
Arbeit  verloren.  Wir  waren  um  so  mehr  betroffen,  als  ein  solches 
Unglück  uns  nur  selten  heimgesucht  hatte.  Ein  Trost  war  es,  dafs  wir 
unsere  Reserven  hatten.  Sofort  wurden  die  Leute  angehalten,  ein  neues 
Tau  zusammenzufügen  und  ein  neues  Travelnetz  anzufertigen,  wozu 
glücklicherweise  in  Hammerfest  ein  Querbaum  eingekauft  und  Eisen- 
gänge geschmiedet  waren.  Alle  diese  Vorbereitungen  nahmen  viel  Zeit 
in  Anspruch,  so  dafs  nicht  die  Rede  davon  sein  konnte,  so  lange  auf 
derselben  Station  zu  verweilen.  Wir  beschlossen  daher,  weiter  zu  gehen. 
Was  war  aber  geschehen,  während  unsere  Aufmerksamkeit  auf  das 
unglückliche  Travelnetz  gerichtet  war,  das  sich  entweder  in  den  un- 
reinen Boden  festgekeilt  oder  mit  Steinen  angefüllt  hatte?  Gegen  Westen 
Eis,  gegen  Norden  Eis,  gegen  Osten  auch  Eis.  Wo  das  Travelnetz 
war,  mufsten  wir  auch  sein,  so  lange  es  am  Tau  hing  und  mit  einem 
Travelnetz  am  Boden  in  einer  Tiefo  von  3080  Meter  und  6000  Meter 
Tau  über  Bord,  segelt  man  nicht  weit  So  war  das  Eis  näher  ge- 
kommen und  hatte  uns  umringt,  ohne  jedoch  eine  undurchdringliche 
Mauer  zu  bilden  oder  uns  sonstige  Ungelegenheiten  zu  bereiten.  Aber 
mit  unserer  Weiterfahrt  nach  Westen  war  os  vorbei;  wir  hatten  die 
Eisgrenze  erreicht.  Das  Wetter  war  schön,  die  See  ging  ruhig  und 
ehe  wir  weitersegelten,  wurde  eine  Deviationsprobe  und  Declinations- 
beobachtung  gemacht,,  indem  die  Sonne  und  der  Kompass  in  allen  16 
Strichlagen  beobachtet  wurde.  Wir  wollten  nördlich  der  Eisgrenze 
entlang,  aber  zunächst  galt  es,  überhaupt  aus  dem  Eise  zu  kommen. 
Wir  steuerten  nordöstlich  und  fanden  alsbald  ohne  weitere  Schwierig- 
keit unter  einigen  Kursabweichungen  aus  dem  Treibeise  heraus.  Unser 
Lotse  säte  beständig  im  Mast,  um  die  beste  Rinne  für  uns  auszu- 
spähen. Hier  hatte  man  Gelegenheit,  die  Formen  des  Grönlandoises 
eingehend  zu  studiren.  Während  des  ganzen  Tages  hatten  wir  das 


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herrlichste,  klarste  Wetter,  so  dafs  die  Fahrt  im  Eise  ein  Genufs  war,  — 
anders  wäre  es  gewesen,  wenn  wir  Nebel  gehabt  hätten.  Nachmittags 
kamen  wir  glücklich  aus  dem  Eise  heraus  und  steuerten  nunmehr 
nördlich  und  nordwestlich,  um  so  weit  als  möglich  gegen  Westen  vor- 
zudringen. Am  folgenden  Morgen  um  4 Uhr  hatten  wir  den  nächsten 
Querschnitt  unweit  des  78.  Breitegrades  erreicht  und  zählten  9 Minuten 
westliche  Länge  von  Greenwich.  Die  Tiefe  betrug  1640  Faden  (3000 
Meter).  Die  Temperaturreiho  ergab,  dafs  wir  mitten  im  Polarstrom 
waren.  Wir  segelten  jetzt  wieder  ostwärts.  Um  1 Uhr  Nachmittags 
wurden,  noch  immer  im  Polarstrom,  1686  Faden  (3083  Meter)  ge- 
lothet.  Um  7'/2  Uhr  Abends  waren  wir  auf  5 Grad  östlicher  Länge. 
Das  Loth  ergab  1333  Faden  (2438  Meter),  eine  Zahl,  die  uns  durch 
ihre  Kleinheit  in  Erstaunen  setzte.  Wir  hatten  mindestens  3000 
Meter  erwartet;  die  geringere  Tiefe  war  besonders  für  die  Zoo- 
logen eine  Enttäuschung,  die  jetzt,  nachdem  das  neue  Travelnetz 
fertiggestellt  war,  auf  Ersatz  für  das  in  3080  Meter  Tiefe  Ver- 
lorene gehofft  hatten.  2438  Meter  war  freilich  noch  eine  ganz  anständige 
Tiefe,  zumal  hier  das  Wasser  ebenso  kalt  am  Boden  war  wie  früher. 
Eine  neue  Temperaturreihe  zeigte,  dafs  wir  in  den  warmen  Strom  ge- 
kommen waren.  Erst  in  680  Meter  Tiefe  wurde  Null  Grad  gemessen; 
oberhalb  bis  zu  200  Meter  Tiefe  hatte  das  Wasser  weniger  als  einen 
Grad  Wärme,  so  dafs  die  Grenze  zwischen  dem  kalten  und  warmen 
Strom  nioht  weit  westwärts  liegen  konnte. 

Um  10'/a  Uhr  Abends  wurde  das  neue  Travolnetz  unter  den  besten 
Wünschen  für  eine  glückliche  Fahrt  über  Bord  gelassen.  Um  4 Uhr 
Morgens  fing  man  an,  es  hercinzuholen.  Mit  gespannter  Aufmerksam- 
keit folgte  das  Auge  des  wachthabenden  Officiers  den  Bewegungen 
des  Accumulators.  Dieser  dehnt  sich  allmählich  mehr  und  mehr  aus; 
schon  wieder  drückt  eine  ungewöhnlich  grofso  Kraft  auf  das  Tau. 
Die  Kautschuckstränge  des  Accumulators  weiten  sich  bis  zu  ihrer 
dreifachen  Länge,  der  Block  ist  ganz  unten  auf  der  Lothungsbrücke; 
wird  das  Tau  wieder  zerreifsen?  Ist  der  Boden  wieder  so  gefährlich 
rauh?  Plötzlich  fängt  der  Accumulator  an  ohne  Ungestüm  sich  wieder 
zusammenzuziehen.  Der  Traveler  hat  den  Boden  losgelassen  und 
das  Einholen  vollzieht  sich  ohne  jeden  Zwischenfall.  Um  ’/210  Uhr 
war  das  Travelnetz  hereingokommen.  Nun  zeigte  es  sich,  was  vor- 
gefallen war.  Der  20  Centimeter  dicke  Querbaum  war  in  der  Mitte 
durchgebrochen  und  in  dem  Netz  lagen  mehrere  grorse  Steine,  wovon 
einer,  ein  Marmorblock,  so  schwer  war,  dafs  ein  starker  Mann  ihn 
kaum  heben  konnte.  Sonst  war  das  Travolnetz  unbeschädigt  und  ver- 


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041 


schaffte  den  Zoologen  eine  willkommene  Ausbeute  von  Thieren  aus 
eiskalter  Tiefe,  worunter  auch  einige  Fische  waren. 

Wir  segelten  weiter  ostwärts  und  näherten  uns  dem  Theile  des 
Meeres,  wo  die  schwedische  Expedition  auf  „Sofia“  unter  Norde nskiiild 
und  von  Otter  im  Jahre  1868  Tiefseemessungen  vorgenommen  hatte. 
Die  schwedische  Expedition  hatte  westlich  und  nördlich  von  Spitz- 
bergen viele  Lothungen  ausgeführt  und  zwar  an  Stellen,  die  wir  mit 
„Vöringen“  nicht  erreichen  konnten,  theils  wegendes  vorgelagerten  Eises, 
theils  wegen  ihrer  hohen  nördlichen  Breite.  Es  wrar  deshalb  für  uns  von 
höchstem  Interesse,  einen  Anknüpfungspunkt  und  Vergleich  zwischen 
den  Lothungen  der  Schweden  und  den  unsrigen  zu  erhalten.  Freilich 
waren  die  Tiefmefsapparate  1868  noch  nicht  so  vollkommen  wie  die 
von  uns  benutzten.  Nach  der  Extrapolation  aus  den  schwedischen 
Lothungen  hätten  wir  auf  unserer  letzten  Station  eine  Tiefe  von  1500 
Faden  (3000  Meter)  erwarten  können,  wir  hatten  aber  nur  1333  Faden 
(2438  Meter)  gefunden.  Deshalb  fingen  wir  mit  nicht  geringer  Span- 
nung auf  der  nächsten  Station  die  Lothung  an.  Diese  lag  nur  2 See- 
meilen östlich  von  der  entsprechenden  schwedischen  Station.  Da  wir 
eine  gröfsere  Tiefe  als  2000  Meter  erwarteten,  benutzten  wir  die 
Baillie-Maschine.  Es  wurden  die  ersten  200  Faden  von  der  Ma- 
schine abgewickelt,  dann  losgelassen  und  die  Lotliloino  lief  frei  von  der 
Rolle.  Während  die  Marke  für  jede  100  Faden  ins  Wasser  lief,  wurde 
die  Zeit  notirt  Als  die  1000  Faden-Marke  ins  Wasser  ging,  waren  10 
Minuten  nach  den  Kommandoworten  „Laufen  lassen“  verstrichen.  Die 
Spannung  steigt,  1100  Faden,  1200  Faden  laufen  aus;  ein  Gefühl  der 
Freude  und  Erleichterung  dämmert  in  uns  auf.  1300  Faden  gehen  ins 
Meer.  Nun  gilts.  Die  schwedische  Lothung  hatte  1350  Faden  (2469 
Meter)  ergeben.  Die  Leine  läuft  immer  noch.  Plötzlich  wird  gerufen 
„Grund“.  Eine  vorläufige  Rechnung  ergiebt  1347  Faden  (2464  Meter.) 
Die  Leine  ruht  auf  dem  Spill.  Das  Hereinholen  fängt  an,  die  Anzahl 
der  Faden  von  der  letzten  100  Faden-Marke  an  werden  genau  aus- 
gemessen.  Das  Resultat  ist  1343  Faden  (2456  Meter),  also  nur  7 Fa- 
den (13  Meter)  von  der  schwedischen  Lothung  verschieden  und  der 
Unterschied  geht  nach  der  richtigen  Seite;  wir  waren  östlicher,  also 
näher  an  Spitzbergen  und  mufsten  deshalb  auch  eine  geringere  Tiefe 
finden.  Die  Freude  über  diese  Uebereinstimmung  fand  ihren  beredten 
Ausdruck  in  einem  vielstimmigen  llurrah  für  die  Schweden,  Hurrali 
für  Nordenskiöld,  Hurrali  für  von  Otter,  die  von  Vöringens  Deck 
aus  weit  über  das  stille  Eismeer  hinausklangen. 

Die  Fahrt  wurde  fortgesetzt  bis  wir  die  Mündung  vom  Eisfjord 


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(Spitzbergen)  hinter  uns  hatten,  alsdann  gingen  wir  westlich  bis  das 
Thermometer  am  Meeresgrund  Kältegrade  zeigte  und  darauf  unter  starkem 
Gegenwind  und  Seegang  nordwärts,  bis  der  80.  Breitegrad  passirt  war. 
Hier  zeigten  sich  ab  und  zu  einzelne  Eisstücke ; wir  näherten  uns  also 
der  Eisgrenze.  Unser  Endpunkt  war  erreicht  Aber  die  Frage  — wie 
und  wo  endigt  der  warme  atlantische  Meeresstrom,  dem  wir  nun  im 
dritten  Jahre  von  der  Nordsee,  den  Färöern  und  Island  aus  gefolgt 
waren,  dessen  Tiefe,  Temperatur  und  Fauna  von  uns  untersucht  waren, 
— zu  beantworten,  war  uns  nicht  beschieden.  Dies  war  für  mich  eine 
grofse  Enttäuschung.  Meine  Blicke  waren  unverwandt  gegen  Norden, 
die  Gegend  gerichtet,  wohin  die  Strömung  ging  und  woher  das  Eis 
kam,  bis  ich  mir  endlich  klar  darüber  wurde,  dafs  mit  unsem  Mitteln 
nicht  daran  zu  denken  war,  den  warmen  Strom  weiter  zu  verfolgen. 
Es  war  offenbar,  dafs  der  Strom  sich  unter  dem  Polareis  fortsetzte  und 
dafs  dieses  auf  dem  Kücken  des  warmen  Stromes  allmählich  abschmolz, 
ebenso  wie  die  Gletscher  im  Thal  durch  die  Sommerwärme  ihren  Ab- 
schlufs  finden. 

Hier  auf  dem  80.  Breitengrade  waren  die  Verhältnisse  offenbar 
ganz  andere  wie  auf  der  westlichen  Grenze  des  warmen  Stromes  in 
der  Richtung  gegen  den  grönländischen  Polarstrom.  Auf  dem  letzteren 
war  überall,  wo  wir  Gelegenheit  zu  Beobachtungen  fanden,  ein  breiter 
offener  Gürtel  von  einer  Tagesreise  zwischen  der  Grenze  des  Polar- 
stromes  und  des  Eises.  Hier  im  Norden  dagegen  kam  das  Eis  in 
grofsen  Massen  auf  dem  Rücken  des  warmen  Stromes  einhergeflosser, 
getrieben  von  demselben  anhaltenden  Nordwind,  der  uns  in  den  letzten 
Tagen  zurückgehalten  hatte.  Dort  war  der  Polarstrom  ohne  Eis  und 
liier  der  warme  atlantische  Strom  mit  Eis.  Wir  konnten  nicht  daran 
denken,  mit  „Vüringon“  einen  Versuch  des  Vordringens  ins  Eis  zu 
machen,  um  unsere  Untersuchungen  fortzusetzen.  Zu  einer  Fahrt  im 
Polareis  mufs  ein  Fahrzeug  besonders  gebaut  sein.  Wir  durften  uns 
nicht  der  Gefahr  aussetzen,  das  Schiff  zu  beschädigen  oder  die  Schrauben- 
flügel durch  die  umherschwimmenden  Eisstücke  zu  verlieren,  da  wir 
noch  einen  grofsen  Theil  Arbeit  bei  Spitzbergen  vor  uns  hatten.  Es 
lag  auch  aufserhalb  unseres  Planes,  nördlich  vom  80.  Breitengrade 
Untersuchungen  anzustellen.  Wir  hatten  ihn  erreicht  und  nachgr- 
wiesen,  dafs  der  grofse  warme  Strom,  der  in  dem  tropischen  atlantischen 
Meer  seinen  Ursprung  hat,  bis  zum  nördlichsten  Punkt  von  Wes:- 
spitzbergen  seine  Wärme  behält  und  hier  noch  in  einer  Tiefe  von 
800  Meter  Wärmegrade  aufweist.  Mit  diesem  Resultat  konnten  wir 
zufrieden  sein.  Noch  ein  Blick  der  Sehnsucht  nach  der  Gegend,  die 


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043 


zu  erreichen  uns  nicht  vergönnt  war,  und  der  Kurs  wurde  gegen 
Osten,  gegen  Spitzbergen  genommen.  Wir  segelten,  zuerst  unter  Nebel 
und  später  in  der  herrlichsten  arktischen  Abendbeleuchtung,  dann  und 
wann  Lothungen  und  Schleppnetzarbeiten  ausführend,  zu  den  nor- 
wegischen Inseln  an  der  Nordseite  von  Westspitzbergen. 

Am  15.  August  lag  die  Expedition  zwischen  den  norwegischen 
Inseln. 

Hier  trafen  wir  mehrere  norwegische  Fahrzeuge,  die  die  Dorsch- 
fisoherei  betrieben,  unter  denen  die  in  der  arktischen  Entdeckungs- 


Alpenlandschaft  aus  Nordwest-Spitzbergen. 


Geschichte  bekannte  Schlupe  „Isbjörn“.  Der  Eisgang  war  lästig  in 
dem  Sund,  in  dem  wir  lagen.  Im  Boot  wurden  mehrere  interessante 
Excursionen  gemacht,  auf  denen  wir  manche  der  sehenswerthen  Glet- 
scher- und  Alpenlandschaften  von  Nordspitzbergen  zu  sehen  bekamen. 

Am  16.  August  Nachmittags  wurde  der  Anker  gelichtet,  aufs 
olTene  Meer  hinausgefahren,  gelothet  und  mit  dem  Schleppnetz  gearbeitet. 
Hierauf  dampften  wir  in  den  Smeerenberg-Su nd  hinein,  dessen 
Gletscher  sich  prächtig  ausnahmen,  besonders  die,  welche  am  Ende 
der  Meerenge  von  South  Gat  lagen.  Hier  sahen  wir  auch  den 
gröfsten  Eisberg  unserer  ganzen  Fahrt.  Durch  South  Gat  segelten 
wir  nach  der  von  Beechy  und  Franklin  im  Jahre  1818  aufgenom- 
menen Karte  und  steuerten  hierauf  in  die  interessante  Magdalena- 

Himmel  und  Erde.  1.  11.  40 


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Bay  hinein,  wo  wir  den  folgenden  Tag  zubrachten.  Die  arktischen 
Schönheiten  dieser  Bucht,  mit  ihren  zahlreichen  Gletschern,  sind  sowohl 
von  französischen  als  auch  schwedischen  Expeditionen  beschrieben 
und  gezeichnet  worden.  Hier  fanden  wir  Gelegenheit,  zu  sehen,  wie 
die  Gletscher  kalborten*),  und  in  der  Tiefe  der  Bucht  die  niedrigste 
Meorestemperatur  unserer  ganzen  Reise  — 2“  C.  zu  messen,  an  einigen 
Stellen  ein  reiches  arktisches  Thierleben  vorzufinden  und  verschiedene 
Arten  von  Seehunden  zu  schiefsen. 

Nachdem  wir  draufson  auf  den  Bänken  mit  dem  Loth  und  Schlepp- 


Smcerenberg-Sund,  Spitzbergen. 


netz  genügend  gearbeitet  hatten,  gingen  wir  am  18.  August  in  den 
Eisfjord  hinein  und  ankerten  in  der  Advent-Bay.  Hier  blieben  wir 
wir  bis  zum  22.  Es  wurde  eine  genaue  Karte  von  diesem  Fjordarm  auf 
genommen,  durch  Breiten-,  Längen-  und  Azimuthbestimmuugen,  Grund- 
linie, Dreieck  und  Loth.  Es  wurden  in  mehreren  Jagdpartieen  Exkursionen 
ins  Landinnero  gemacht  und  Renuthiere  und  Sclineehühner  geschossen. 
Die  Nordseite  und  Südseite  des  Eisljords  zeigten  einen  merkwürdigen 
Kontrast.  Die  erstere  war  vollständig  vergletschert,  so  dafs  es  an 
mehreren  Stellen  unmöglich  war,  einen  Uebergang  vom  Gletscher  zum 
Meeresspiegel  zu  bemerken;  die  letztere  hingegen  ein  nacktes  Tafel- 


*J  Kalbern  — Eisstücke  abstofsen. 


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land,  besät  mit  Stücken  von  Steinkohlen,  die  von  den  hoch  oben  von 
der  Gebirgsseite  ausgehenden  Flötzen  herrührten. 

Unser  Wunsch,  auch  Beisund  zu  besuchen,  blieb  wegen  Nebel 
unerfüllt  Auf  unserer  Fahrt  gegen  Süden  sahon  wir  einen  Schimmer 
vom  Südcap.  Um  Mitternacht,  d.  23.-24.  August,  beobachteten  wir 
unsere  letzte  Temperaturreihe,  südlich  von  Spitzbergen.  Am  26.  und 
27.  war  die  Expedition  in  Tromsö,  am  4.  September  in  Bergen  und 
am  10.  in  Christiania. 

(Schlafs  folgt.) 


4fi' 


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Versuch  einer  beweisführenden  Darstellung  des  Welt- 
gebäudes in  elementarer  Form. 

Von 

Dr.  M.  Wilhel«  Mfjfr  Bfrlin. 

IX.  Die  Schwerkraft  und  das  dritte  Keplersche  Gesetz. 

T H 

K ‘j\]achdom  Kepler  gefunden  hatte,  dafs,  einmal  die  Bewegung  der 
;T£i  Erde  um  die  Sonne  vorausgesetzt,  es  sich  mit  der  absoluten 
Sicherheit  des  Feldmessers  nachweisen  liefs,  dafe  die  Sonne 
<lann  auch  im  Brennpunkte  aller  übrigen  Planetenbewegungen  steht 
und  folglich  von  ihr  eine  gemeinsame,  weltregierende  Kraft  aus- 
gehen müsse,  und  nachdem  ferner  Galilei  die  allgemeinen  Prinzipien 
der  Schwerkraft  unter  irdischen  Bedingungen  festgestellt  hatte,  lag  es 
offenbar  nahe,  zu  fragen,  ob  diese  von  der  Erde  so  allgemein  und  mit 
so  unerschütterlicher  Konstanz  ausstrahlende  Kraft  vielleicht  auch  zur 
Erklärung  der  himmlischen  Bewegungen  herangezogen  werden  könne. 
Bekanntlich  war  es  Newton,  welcher  zuerst  diese  Frage  aufwarf  und 
rechnerisch  mit  glänzendem  Erfolgo  verfocht.  Wir  wollen  hier  nicht 
im  Speziellen  der  historischen  Entwickelung  dieser  Untersuchungen 
folgen,  sondern  nur  in  möglichster  Kürze,  welche  uns  der  Raummangel 
leider  unerbittlich  auferlegt,  die  logische  Schlufereihe  darstellen,  welche 
zur  Entdeckung  der  universellen  Wirksamkeit  der  Schwerkraft  führen 
mufete. 

Zunächst  mag  es  dem  unvorbereiteten  Leser  seltsam  und  undenkbar 
erscheinen,  dafe  diese  Schwerkraft,  welche  hier  auf  der  Erde  alle  Körper 
zum  Boden  herabzieht  und  sie  liier  träge  und  schwerfällig  festhält,  dort 
am  Himmel  die  lebendigen,  ewigen  Bewegungen  des  Kreislaufs  der 
Gestirne  hervorbringen  solle.  Wenn  die  Planeten  wirklich  gegen  die 
Sonne  schwer  sind,  so  sagt  sich  der  einfache  Menschenverstand,  so 


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müssen  sie  doch,  wie  jeder  Stein,  den  man  bei  uns  frei  lafst,  auf  die 
Erde  fallt  — eben  nothwendig  in  die  Sonne  stürzen.  Das  geschieht 
nicht,  folglich  kann  es  nicht  die  Schwerkraft  sein,  welche  diese  Kreis- 
bewegungen (denn  als  solche  können  und  müssen  wir  der  Einfachheit 
wegen  im  Folgenden  die  sehr  schwach  elliptischen  Bewegungen  der 
I’laneten  auffassen)  erzeugt.  So  einfach  und  deshalb  fraglos  richtig 
dieser  Schlufs  erscheint,  so  leicht  glaube  ich  bei  uur  einigermafsen 
tieferem  Eindringen  in  die  interessante  Frage  zeigen  zu  können,  dafs 
der  naive  Menschenverstand  auch  diesmal  recht  trügerisch  war. 

Ueberall  auf  der  Erde  nehmen  wir  wahr,  dafs  die  Schwerkraft 
unter  allen  Umständen  ihren  Tribut  verlangt;  das  heifst  jeder  frei- 
fallende Körper  durchläuft  in  jeder  Lage  in  der  ersten  Sekunde 
eine  Strecke  von  4.89  m infolge  der  Schwerkraft.  Wenn  wir  demnach 
einen  Körpor  fallen  lassen,  so  befindet  er 
sich  nach  Ablauf  der  ersten  Sekunde  um 
4.89  m tiefer  als  vordem.  Ferner:  Wenn 
wir  einen  Körper  derart  in  den  Kaum 
hinaus  schleudern,  dafs  er  beispielsweise 
in  gerader  Linie  aufsteigen  und  in  die- 
ser nach  Ablauf  der  ersten  Sekunde 
sich  um  50  m über  die  horizontale  Richtung  erhoben  haben  müfste, 
so  werden  wir  in  der  That  konstatiren,  dafs  der  Körper  sich  dann 
nur  um  50— 4.89  m erhoben  hat.  Schleudert  man  endlich  denselben 
genau  in  horizontaler  Richtung,  so  hat  er  sich  nach  Ablauf  der  ersten 
Sekunde  um  4.89  m von  derselben  nach  unton  hin  entfernt,  wie 
grofs  oder  wie  gering  auch  seine  horizontale  Geschwindigkeit  ge- 
wesen sein  mag.  Dies  sind  Thatsaclien,  an  welchen  nicht  ge- 
rüttelt werden  kann.  Sie  sind  von  höchster  Wichtigkeit  für  den  Fort- 
gang unserer  Betrachtungen.  Wir  müssen  sie  mathematisch  genauer 
präzisiren. 

In  der  obigen  Figur  bedeuto  v die  horizontale  Geschwindig- 
keit, mit  welcher  ein  Körper  geschleudert  worden  ist,  das  heifst,  ein 
vorher  in  a befindlich  gewesener  Körper  würde  sich,  wenn  die  Schwerkraft 
nicht  auf  ihn  eingewirkt  hätte,  nach  Ablauf  einer  Sekunde  in  b befunden 
haben.  Die  Schwerkraft  hat  ihn  aber  inzwischen  nach  c herabgezogen. 
Der  Weg  bc  bezeichnet  also  die  Fallstrecke  in  der  ersten  Sekunde. 
Wir  wollen  dieselbe  hier  g nennen,  obgleich  schulmässig  der  dop- 
pelte Werth  mit  diesem  Buchstaben  bezeichnet  zu  werden  pflegt.  Der 
Körper  hat  also  in  der  That  den  Weg  ac  = s beschrieben.  Nach 
dem  pythagoreischen  Lehrsätze,  welcher  beweist,  dafs  in  einem  recht- 


Fig.  1. 


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648 


winkligen  Dreiecke  die  Summe  der  Quadrate  der  beiden  kürzeren 
Seiten  (Katheten)  gleich  dem  Quadrate  der  längeren  (Hypotenuse)  ist, 
findet  man  diesen  Weg  aus  den  beiden  früher  genannten  Gröfsen  durch 
die  bekannte  Formel 

s*  = vä  + g* 

Machen  wir  hiervon  sogleich  einmal  eine  Anwendung.  Gesetzt 
den  Fall,  eine  Kanone  sei  in  einer  Entfernung  von  20  m über  dem 
Erdboden  so  aufgestellt,  dafs  die  Kugel  genau  in  horizontaler  Richtung 
aus  dem  Rohre  fliegen  mufs.  Die  Kugel  besitzt  eine  Geschwindigkeit 
von  600  m in  der  Sekunde.  Dann  ist  (abgesehen  natürlich  von  den 
Störungen,  welche  durch  unsere  atmosphärische  Luft  hervorgerufen 
werden)  der  mit  sich  selbst  multiplizirte  Weg,  welchen  die  Kugel  in 
Wirklichkeit  durchlaufen  hat 

s*  = 500  X 500  -f  4.89  X 4.89  = 260023.91 
Der  Weg  selbst  s ergiebt  sich  daraus  gleich  500 . 02  m.  Er  wird 
also  nur  um  ein  sehr  Geringes  gegen  v verlängert 

Aber  eine  andere  seltsame  Erscheinung  würde  sich  hier  zeigen, 
wenn  wir  das  Experiment  mit  aller  gewünschten  Präzision  ausführen 
könnten.  Die  Kugel  hat  sich  um  die  oft  erwähnten  4.89  von  der 
Horizontalen  entfernt.  Da  sie  sich  bei  Beginn  ihres  Fluges  20  m 
über  dem  Erdboden  befand,  so  sollte  man  meinen,  sie  müfste 
nun  noch  genau  um  20  — 4.89  = 15.11  m über  demselben  schweben. 
Statt  dessen  würde  man  dagegen  konstatiren,  dafs  sie  um  ein  Weniges, 
und  zwar  um  2 cm  höher  steht.  Hätte  dagegen  beispielsweise  die 
Geschwindigkeit  in  der  ersten  Sekunde  1000  m betragen,  so  würde 
sich  diese  scheinbare  Erhöhung  auf  8 cm  gesteigert  haben.  Sie  wächst 
dann  rapid,  so  dafs  sie  bei  10  000  m Geschwindigkeit  auf  nicht  weniger 
als  7.85  m steigen  würde,  d.  b.  die  Kugel  befände  sich  unter  solchen 
Umständen  20  — 4.89  -4-  7.85  = 22.96  m über  dem  Erdboden.  Sie  hätte 
sich  also  dann  trotz  der  niederdrückenden  Schwerkraft  und  trotzdem 
sie  genau  horizontal  abgeschossen  war,  um  2.96  m über  den  Erdboden 
erhoben. 

Diese  scheinbare  Unregelmäfsigkeit  ist  sehr  leicht  erklärt.  Sie 
ist  die  unmittelbare  Folge  der  Kugelgestalt  der  Erde.  Wenn  wir  in 
der  folgenden  Figur  2 den  Kreisbogen  a d als  Thoil  der  Erdoberfläche 
ansehen,  und  uns  in  a befinden,  so  wird  doch  ein  Gegenstand,  welchen 
wir  völlig  horizontal  bis  b schleudern,  in  b ankommend,  um  eine  be- 
stimmte Gröfse  x sich  von  der  Oberfläche  entfernt  haben  müssen,  weil 
eben  die  Erdoberfläche  gekrümmt  ist.  Der  Körper  befindet  sich  also, 
abgesehen  von  der  Wirkung  der  Schwerkraft,  obgleich  horizontal 


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649 


fliegend,  bei  b entfernter  vom  Mittelpunkt  der  Erde,  als  in  a.  Hier 
war  sein  Abstand  gleich  dem  Erdhalbmesser  r;  in  b ist  er  gleich  r + x. 
Ist  uns  nun  die  Strecke  a b bekannt  — sie  sei  gleich  v — , so  können 
wir  x,  die  oben  für  verschiedene  Geschwindigkeiten  v angegobone  Er- 
hebung über  die  Erdoberfläche  aus  der  wieder  unmittelbar  durch  den 
pythagoreischen  Satz  bedingten  Formel  berechnen 
r-  + v*  = (r  x)2 

Diese  Formel  erlaubt  aber,  wegen  der  offenbar  sehr  geringen 
Grüfse  von  x im  Vergleich  zum  Erdradius  in  den  gegenwärtig  in  Be- 
tracht kommenden  Fällen,  eine  wesentliche  Vereinfachung.  Wenn  wir 
die  rechte  Seite  der  Formel  ausmultipliziren,  erhalten  wir  bekanntlich 

r2  4-  v2  = r2  4-  *2  + 2 r x 

oder,  indem  wir  zu  beiden  Seiten  das  gleiche  und  daher  überflüssige 
r2  wegstreichen, 

v2  = x2  4-  2 r x 

Wir  wollen  einmal  für  einen  uns  bekann- 
ten Fall  die  Zahlen  in  diese  Formel  einsetzen. 

Wir  hatten  vorhin  behauptet,  dafs,  wenn 
v = 10  000  m ist,  x = 7.85  in  würde.  Dabei 
ist  r,  der  Erdhalbmesser,  gleich  6 370  000  m. 

Es  wird  also 

10  000  X 10  000  = 7.85  X 7.85  4-  1 5.70  X 6 370  000 

Wenn  wir  diese  Formel  ausrechneten,  würden  wir  nur  eine  sehr 
mangelhafte  Uebereinstimmung  der  beiden  Seiten  finden,  weil  wir  vor- 
hin die  Zahl  x nicht  auf  genügend  viele  Dezimalstellen  genau  ange- 
geben hatten.  Das  letzte  Glied  15.70  X 6 370  000  verändert  sich  sofort 
um  nicht  weniger  wie  63  700,  wenn  wir  die  Zahl  15.70  nur  um  eine 
einzigo  Einheit  ihrer  letzten  Stelle  vergröfsern.  Das  vorhergehende 
Glied  7.85  X 7.85  = 61.7  verschwindet  offenbar  völlig  innerhalb  dieser 
anderen  Unsicherheit.  Es  ist  gleichgültig,  ob  wir  es  berücksichtigen 
oder  ganz  weglassen,  so  lango  es  sich  um  die  Bestimmung  der  kleinen 
Gröfse  x selbst  handelt.  Wir  erkennen  daraus,  dafs  wir  in  der  letzt  auf- 
geschriebenen algebraischen  Formel  x2  einfach  streichen  dürfen,  ohne 
einen  merklichen  Fehler  zu  begehen.  Dann  erhalten  wir 

v2  = 2 r x 

oder,  wenn  wir  x ünden  wollen 

v2 

X~  2r 

Durch  diese  unvermeidliche  Betrachtung  streiften  wir  das  Gebiet 
der  höheren  mathematischen  Analyse,  der  Differentialrechnung.  Die 


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letztere  zeigt,  dafs  unter  den  hier  in  Betracht  kommenden  Umständen 
die  Streichung  jenes  Quadrates  aus  der  Formel  keine  irgendwie  merk- 
liche Vernachlässigung,  also  keine  Ungenauigkeit  bedeutet.  Diesen 
Beweis  mufs  ich  allerdings  an  dieser  Stello  schuldig  bleiben. 

Wir  kehren  zu  unserem  Versuch  mit  der  horizontal  geschleuderten 
Kugel  zurück.  Wir  sahen,  oder  können  nun  sehr  leicht  aus  der  zu- 
letzt hingeschriebenen  Formel  berechnen,  dafs  sich  dieselbe  bei  einer 
Anfangsgeschwindigkeit  von  10000  m in  der  Sekunde  trotz  der  wir- 
kenden Anziehungskraft  um  beinahe  3 m über  die  Erdoberfläche  er- 
heben mufs.  Wir  können  nun  offenbar  auch  umgekehrt  die  Aufgabe 
sehr  leicht  lösen,  diejenige  Anfangsgeschwindigkeit  zu  finden,  welche 
stattßnden  mufs,  damit  die  Kugel  nach  Ablauf  der  ersten  Sekunde 
wieder  genau  ebenso  hoch  über  dem  Erdboden  schwebt,  wie  im  Augen- 
blicke des  Abganges  von  der  Anfangsstaliou.  Dann  mufs  x offenbar 
gleich  der  Fallstrecke  in  der  ersten  Sekunde,  also  4.89  m sein.  Es  ist  also 
V2  = 2 r g = 2 X 6 370  000  X -4.89  = 62  290  000 
oder,  indem  man  die  Quadratwurzel  aus  dieser  letzten  Zahl  zieht 
v = 7891  m.  So  geschwind  müfste  also  die  Kugel  fliegen,  damit  sie 
der  Schwerkraft  gowissermafsen  das  Gleichgewicht  halten  könnte.  Da 
sie  nun  aber  nach  Ablauf  der  ersten  Sekunde  von  ihrer  Geschwindig- 
keit nichts  verloren  hat  (weil  wir  sie  uns  natürlich  im  luftleeren  Baume 
denken),  so  beginnt  nun  offenbar  dasselbe  Spiel.  Nach  der  zweiten 
Sekunde  ist  die  Kugel  abermals  um  7891  m vorwärts  geeilt,  dabei  um 
4.89  m gefallen,  während  die  Erdoberfläche  um  diese  selbe  Distanz  sich 
von  der  geraden  Linie  abgekriimmt  hat.  Folglich  befindet  sich  die 
Kugel  auch  nach  2 Sekunden  wieder  ebenso  weit  von  der  Erdober- 
fläche entfernt  wie  zu  Anfang  ihres  Laufes,  und  so  fort.  Die  Kugel 
fällt  niemals  auf  die  Erde  herab,  sondern  läuft  fortwährend  rings  um 
dieselbe  herum;  sie  ist  ein  Satellit  unseres  Planeten  geworden,  ein 
wirklicher  Mond.  Könnten  wir  also  eino  so  grofse  Geschwindigkeit 
erzeugen  — unsere  Kanonenkugeln  fliegen  im  besten  Falle  immer 
noch  zehn  mal  langsamer  — so  würden  wir  unserer  Erde  nach  Be- 
lieben neue  sekundäre  Weltkürper  schaffen  können,  weiche  sie  in 
den  festen  Banden  der  Schwerkraft  beständig  um  sich  kreisen 
lassen  müfste. 

Es  ist  dadurch  der  strenge  und  hoffentlich  auch  dem  mathemati- 
schen Laien  genügend  durchsichtige  Beweis  geliefert,  dafs  und  wie 
die  Bewegung  von  Himmelskörpern  um  einander  in  der  That  durch 
die  Schwerkraft  erklärt  werden  könnte.  Es  fragt  sich  nur  noch,  ob 
in  einem  bestimmten  und  bekannten  Falle  diese  Erklärung  wirklich 


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zutrifft.  Zur  Durchführung  dieses  Beweises  eignet  sich  offenbar  am 
besten  unser  Mond.  Nach  allen  Weltansichten  bewegt  sich  derselbe 
um  die  Erde,  deren  Schwerewirkung  wenigstens  auf  ihrer  Oberfläche 
wir  genau  kennen.  Die  Frage  ist  also:  Erklärt  dieselbe  auch  den 
beständigen  Umschwung  des  Mondes  um  unsern  Planeten  nach  der 
soeben  entwickelten  Theorie? 

Um  diesen  Beweis  antreten  zu  können,  haben  wir  jedoch  zunächst 
noch  eino  andere  höchst  wichtige  Frage  zu  entscheiden,  nämlich  die: 
Wirkt  die  Schwerkraft  in  allen  Entfernungen  von  der  Erde  mit  gleicher 
Kraft,  oder  nimmt  sic  wie  alle  übrigen  Wirkungen  von  Kräften,  welche 
wir  sonst  auf  der  Erde  kennen,  mit  der  Entfernung  ab,  endlich,  wenn 
dieses  Letztere  stattfindet,  in  welchem  Verhältnifs  steht  diese  Abnahme 
zur  Entfernung? 

Auch  diese  Antworten  sind  leichter  gegeben,  als  man  es  sich 
wohl  zunächst  vorstellen  mag.  Die  Schworkraft,  welche  von  der  kugel- 
förmigen Erde  ausstrahlt,  ist  rings  um  dieselbe  herum  genau  die  gleiche 
und  bleibt  durch  alle  Zeiten  völlig  konstant.  Das  ist  durch  unzählige 
Experimente  zu  beweisen.  Es  geht  also  von  der  Erde  eine  bestimmte, 
unveränderliche  Kraftwirkung  aus,  ebenso  wie  von  einem  leuchtenden 
Punkte  eine  bestimmte  Lichtmenge  ausströmt.  Nennen  wir  diese  ge- 
samte, nach  allen  Punkten  ausgestrahlte  Schwerewirkung  in  einer 
bestimmten  Entfernung  r,  beispielsweise  der  des  Mittelpunktes  der 
Erde  von  ihrer  Oberfläche,  hier  G,  so  mufs  diese  Summe  doch  offen- 
bar in  einer  anderen  Entfernung  2 r genau  dieselbe  bleiben,  weil  es 
gänzlich  unerfindlich  wäre,  dafs  dio  Gesamtkraft,  welche  in  der  Ent- 
fernung r überall  und  stets  konstant  gefunden  wurde,  stärker  oder 
schwächer  werden  könnte,  wenn  wir  uns,  ohno  irgend  welche  Ver- 
bindung mit  dem  Schwere  ausstrahlenden  Körper  zu  besitzen,  blos  von 
ihm  entfornen.  Es  ist  dabei  keinerlei  Einflufs  auf  ihn  ausgeübt,  folg- 
lich mufs  er  die  gleiche  Eigenschaft  beibehalten.  Die  Gesamtwirkung, 
welche  er  ringsherum  überhaupt  ausüben  kann,  ist  also  in  der  dop- 
pelten Entfernung  nothwendig  die  gleiche  geblieben.  Folglich  ist 
aber  auch  die  Arbeit,  welche  er  in  allen  Punkten  der  gröfseren  Kugel- 
sphäre im  ganzen  überhaupt  zu  leisten  vermag,  dieselbe.  Da  aber 
nun  die  gröfsere  Kugelfläche  von  dem  Halbmesser  2 r,  wie  mathematisch 
leicht  nachzuwoisen  und  wohl  allgemein  bekannt,  nicht  2 sondern  2X2 
mal  gröfser  ist  als  die  der  Kugel  mit  dem  Halbmesser  r,  so  mufs  die 
Wirkung,  welche  auf  einen  bestimmten  Punkt  oder  eine  bestimmte 
Fläche  dieser  doppelt  so  grofsen  Kugel  ausgeübt  wird,  nothwendig 
auch  4 mal  kleiner  sein,  damit  eben  dio  Gesamtwirkung  auf  die  Ge- 


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samtfliiche  die  gleiche  bleibt  wie  vorhin.  I)a  nun  eine  3 mal  gröfsere 
Kugel  eine  3X3  mal  gröfsero  Oberfläche  besitzt  und  eine  4 mal 
gröfsere,  4X4  mal  in  der  orsteren  enthalten  ist,  und  so  fort,  stets 
im  Quadrat  des  Halbmessers  woiterschreitend,  so  ist  damit  logisch  er- 
wiesen, dafs  die  Wirkung  der  Schwere  auf  einen  bestimmten  Punkt 
im  Quadrat  seiner  Entfernung  von  dem  anziehenden  Körper  abnimmt. 
Mit  dem  Lichte  und  allen  anderen  strahlenden  Wirkungen  verhält  es 
sich  genau  ebenso,  wie  das  Experiment  direkt  beweist  Wenn  von 
einem  Lichte  eine  Fläche  in  einer  bestimmten  Entfernung  mit  be- 
stimmter Intensität  beleuchtet  wird,  so  wird  diese  Beleuchtung  in  der 
doppelten  Entfernung  um  genau  das  Vierfache,  in  der  dreifachen  um 
das  Neunfache  abnehmen  u.  s.  w.  Mathematisch  drückt  sich  dieses 
Gesetz  wie  folgt  aus.  Es  sei  g die  oben  definirte  Fallstrocke  eines 
Körpers  in  der  Entfernung  r,  und  gt  die  für  die  Entfernung  rt.  Dann 
gilt  die  Formel: 

ß _ JPj* 

fft  r'-' 

Kennen  wir  also,  wie  es  in  der  That  der  Fall  ist,  das  Mats  der 
Schwerkraft  g in  der  Entfernungr(gleich  dom  Erdhalbmesser)  vom  Mittel- 
punkte der  Erde,  von  welchem  ja  ersichtlich  nach  allen  Seiten  diese 
Kraft  gleichmäfsig  ausstrahlt,  so  können  wir  auch  die  Wirkung  in 
einer  anderen  Entfernung  rh  also  beispielsweise  der  des  Mondes  aus- 
rechnen. 

Um  dieses  Rechenexempol  auszulühren,  müssen  wir  diese  Ent- 
fernung r,  selbst  genau  kennen.  In  einem  der  ersten  Abschnitte  der 
gegenwärtigen  Artikolfolge  ist  diese  Entfernung  allerdings  nur  in 
roher  Annäherung  bestimmt  worden.  Aber  durch  die  trigonometrischen 
Betrachtungen  unserer  letzten  feldmesserischcn  Arbeiten  am  Himmel, 
welche  uns  die  relativen  Entfernungs-Verhältnisse  der  Planeten  und 
die  Form  ihrer  Bahnen  genau  ermitteln  halfen,  wird  man  die  Gewiß- 
heit geschöpft  haben,  dafs  diese  Methoden  ein  ganz  vorzügliches  Mittel 
an  die  Hand  geben,  die  wahre  Entfernung  des  Mondes  und  auch  der 
anderen  Himmelskörper  in  uns  bekannten  Maßeinheiten  kennen  zu 
lernen.  Wir  brauchen  ja  zu  diesem  Ende  nur  zwischen  zwei  Punkten 
der  Erde,  deren  genaue  Entfernung  wir  ausgemessen  haben,  eines 
jener  Dreiecke  zu  bilden,  wie  es  Kepler  zu  den  früher  ausgeführten 
Untersuchungen  benutzte.  Die  beiden  Visirlinien  nach  dem  Monde 
von  diesen  beiden  Standpunkten  aus  bilden  mit  der  gemessenen  Ver- 
bindungslinie zwischen  denselben  Winkel,  deren  Größe  jederzeit  zu 
bestimmen  ist.  Man  kennt  also  durch  die  Beobachtung  drei  Stücke 


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des  betreffenden  Dreiecks  und  folglich  auch  alle  übrigen:  Eine  der 
Seiten  des  letzteren  ist  offenbar  gleich  der  Entfernung  des  Mondes, 
welche  damit  gefunden  ist  Sie  beträgt  51 800  geographische  Meilen 
oder  384400000  m*). 

Nach  der  vorher  logisch  entwickelten  Formel  erhalten  wir  also 
die  Schwerkraft  in  der  Entfernung  des  Mondes: 

_ 4.89  X 6 370  000  X 6 370  000  _ 
g|  — 384'  400  0Ö0  X 384  400  ÖÖO  U’UU130 

Das  heifst,  ein  Körper  durchläuft  infolge  der  Anziehungskraft 
der  Erde  in  der  Entfernung  des  Mondes  nur  wenig  mehr  als  ein 
Millimeter,  gegen  4.89  m auf  der  Erdoberfläche.  Dies  alles  ist  noth- 
wendige  Thatsache. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  der  Mond  in  Wirklichkeit  in  jeder  Sekunde 
um  die  soeben  gefundene  Gröfse  gegen  die  Erde  hin  fällt,  oder  mit 
anderen  Worten,  ob  seine  Dahn  in  der  Weise  gekrümmt  ist,  dafs  er 
in  seinem  durchschnittlich  beschriebenen  Kreise  in  jeder  Sekunde  um 
0.00135  m von  der  geraden  Linie,  die  als  Tangente  an  diesen  Kreis 
gezogen  ist,  abweicht. 

Wir  haben  früher  gesehen,  dafs  man  diese  Abweichung  der 
geraden  Linie  vom  Kreise  (siehe  Fig.  1)  durch  die  Formel 

v2 

X"2r 

finden  kann,  wo  v die  Länge  der  geraden  Linie,  also  der  Tangente, 
bedeutet,  deren  Entfernung  vom  Kreise  x an  ihrem  Endpunkte  man 
sucht  Der  Halbmesser  des  Kreises  r ist  in  unsenn  Falle  gleich  der 
Entfernung  des  Mondes  von  der  Erde.  Die  Länge  v ist  aber  offenbar 
(vergl.  abermals  die  Fig.  1)  gleich  der  Strecke,  welche  der  Mond  in 
seiner  Bahn  im  Laufe  einer  Sekunde  zurücklegt,  da  doch  auch  die 
Abweichung  x für  eine  Sekunde  gesucht  wird.  Völlig  genau  stimmt 
allerdings  diese  Definition  von  v abermals  nicht  Sie  gilt  eigentlich  für 
die  Gröfse  s in  Fig.  1.  Wir  sahen  aber  schon  vorhin,  dafs  in  diesem 
Falle  eine  Verwechselung  zwischen  v und  s durchaus  berechtigt  ist, 
da  wir  für  die  Erdoberfläche  bei  einem  v von  500  m Länge  s nur  um 
2 cm  verschieden  fanden.  Je  gröfser  aber  r wird,  je  geringer  wird 
dieser  Unterschied  werden  müssen. 

*)  Es  sind  hier  überall  mit  Absicht  nur  runde  Zahlen  angegeben,  aus 
denen  auch  nur  angenäherto  Werthe  der  gesuchten  Gröfsen  zu  finden  sinct 
Genaue  Zahlen  über  dieso  Verhältnisse,  welche  hier,  wegen  nothwendiger  Weg- 
lassung complicircnder  Details,  durch  die  Rechnung  nicht  gefunden  werden 
konnten,  darf  man  defshalb  in  diesem  Artikel  nicht  suchen.  Jede  beschreibende 
populäre  Astronomie  giebt  dieselben. 


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Wie  finden  wir  also  nun  den  Weg  v,  welchen  der  Mond  in  seiner 
Bahn  in  einer  Sekunde  zurücklegt?  Die  Aufgabe  ist  wieder  sehr 
leicht  zu  lösen.  Wir  dividiren  einfach  den  Umfang  der  Mondbahn 

durch  die  Anzahl  von  Sekunden,  welche  unser  Trabant  gebraucht,  um 

eben  diese  Hahn  zu  durchlaufen.  Der  Umfang  jedes  Kreises  ist  aber 
gleich  seinem  Durchmesser  2r,  multiplizirt  mit  der  bekannten  Zahl 
— = 3.1416.  Der  Mond  durchläuft,  wie  die  direkte  Beobachtung  zeigt, 
seine  Bahn  in  27  Tagen  7 Stunden  43  Minuten  und  11.5  Sekunden 
oder  rund  in  2 361  000  Sekunden.  Wir  wollen  diese  Zahl  u nennen. 
Wir  haben  also 

2rs  _ 4 r-  r? 

u ’ u- 

also,  indem  wir  diese  Zahl  in  die  vorhin  aufgeschriebene  Formel  für 
das  gesuchte  x einsetzen  und  die  möglichen  Kürzungen  vornehmen 
_ 2 r-'-’  _ 2 X 384  400  000  X 3.1416  X 3.1416 

x—  u*  — 2 861000  X 2 861000 

Die  Ausrechnung  ergiebt  0.00136  m,  um  welche,  nach  feld- 
messerisch strenger  Methode  bestimmt,  der  Mond  in  der  That  per 
Sekunde  gegen  die  Erde  hin  von  der  geraden  Fluglinie  abweicht,  d.  h. 
gegen  die  Erde  hinfällt.  Mit  grofser  Genugthuung  sehen  wir,  dals 
diese  Zahl  mit  der  vorhin  aus  dem  Gesetze  der  quadratischen  Abnahme 
der  Schwerkraft  ermittelten  bis  auf  ein  Hunderttheil  eines  Milli- 
meters übereinstimmt,  eine  Differenz,  die  bei  Berücksichtigung  ver- 
schiedener hier  nicht  vorzubringender  Nebenumstände  ganz  verschwin- 
den würde.  Es  ist  durch  diese  Uebereinstimmung  der  strenge  Beweis 
geliefert,  dafs  der  Mond  wirklich  nur  infolge  der  Schwerkraft  seine 
Bahn  um  die  Erde  beschreibt,  ganz  ebenso  wie  die  Kanonenkugel, 
die  wir  durch  eine  einmal  auf  sie  wirkende  Schleuderkraft  von  be- 
stimmter Gröfse,  im  Geiste  wenigstens,  zwangen,  über  der  Oberfläche 
der  Erde  beständig  als  Satellit  zu  kreisen. 

(Schilds  folgt.) 


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Der  achte  deutsche  Geographentag. 

Am  24.,  25.  und  20.  April  dieses  Jahres  versammelten  sich  in 
Berlin  die  Theilnehmer  des  achten  deutschen  Geographentages.  Der 
Kongrefs  wurde  durch  den  Ehrenpräsidenten  Staatsminister  Exoellenz 
Dr.  von  Qofsler  mit  einer  Ansprache  eröffnet,  in  welcher  derselbe 
namentlich  auf  die  veränderte  und  gewichtige  Stellung  hinwies,  welche 
die  Geographie  im  preußischen  Unterrichtswesen  in  den  letzten  Jahren 
erworben  hat.  Nachdem  sodann  Herr  Geheimrath  Dr.  Hardeck  aus 
Karlsruhe  die  Versammlung  begrüßt  und  ein  kurzeB  Bild  der 
bisherigen  Arbeiten  entworfen  hatte,  sprach  Freiherr  Professor 
von  Richthofen,  als  Vorsitzender  des  Ortsausschusses,  über  die  zu- 
künftigen Aufgaben  des  Geographentages.  Nicht  Spezialforschungen 
seien  in  den  Kreis  der  Vorträge  hineingezogen,  sondern  wie  die 
Wissenschaft  stets  der  wechselnden  Zeitströmung  folgen  muß,  so  habe 
man  auch  diesmal  die  Aufmerksamkeit  auf  jene  allgemeinen  Probleme 
der  physischen  Erdkunde  gelenkt,  welche,  wie  die  Frage  nach  den 
geologischen  Klimatcn,  nach  der  Ursache  der  Eiszeit,  der  Stellung  der 
Geographie  im  Unterrichtswesen,  die  regste  Theilnahme  weiterer  Kreise 
erwecken  dürften. 

Die  eigentlichen  Sitzungen  begannen  mit  einem  überaus  fesselnden 
Vortrag  des  Herrn  Dr.  von  den  Steinen  „über  Erfahrungen 
zur  Entwicklungsgeschichte  des  Völkergedankens“.  Aus 
der  reichen  Fülle  seiner,  während  der  Heise  durch  Uentralbrasilien 
und  durch  den  Insel-Archipel  des  Südpacific  angesammelten  Beobach- 
tungen gestaltete  Redner  ein  klares,  anziehendes  Bild  von  dem  Ent- 
wicklungsgänge der  Menschheit  und  zeigte  in  erschöpfender  Dar- 
legung, daß  die  Entstehung  der  Kulturvölker  nicht  an  der  geschicht- 
lichen Entwicklung  dieser  selbst,  sondern  nur  an  den  heutigen  Natur- 
menschen, den  lebenden  Geschöpfen  in  der  freien  Welt,  erkannt  wer- 
den könne. 


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65G 


An  zweiter  Stelle  sprach  Herr  Geheimrath  Professor  Neumayer 
aus  Hamburg1  „über  das  gegenwärtig  vorliegende  Material 
für  die  erd-  und  weltmagnetisehe  Forschung“.  Auf  diesem 
Gebiete  hat  nicht  allein  die  deutsche  Wissenschaft  seit  den  letzten 
Jahrzehnten  grofse  Erfolge  zu  verzeichnen  gehabt,  sondern  auch  durch 
den  Wetteifer  aller  civilisirten  Nationen  ist  in  der  Erkenntnifs  des 
erdmagnetischen  Zustandes  ein  überaus  wichtiger  Fortschritt  gemacht 
worden.  Alle  Unternehmungen,  wie  die  Polarexpeditionen,  die  mari- 
timen magnetischen  Forschungen  des  Challenger,  der  Gazelle  und  des 
Yöringen,  die  magnetischen  Landesaufnahmen  der  amerikanischen 
Geodetic-Survey,  die  Beobachtungen  auf  den  Observatorien  und  festen 
Warten  — sie  alle  bezwecken  in  erster  Linie  die  genaue  Feststellung 
der  erdmagnetischen  Elemente,  der  Deklination,  Inklination  und  Inten- 
sität, sowie  dio  Ergründung  ihrer  Säkularveränderungen.  Wenn  man 
sich  auf  dieses  kleine  Forschungsgebiet  beschränkt  und  nicht  weiter 
auf  die  zwischen  den  Weltkörpem  obwaltenden  kosmischen  Be- 
ziehungen zurückgreift,  so  ergiebt  sich  schon  jetzt  aus  dem  Beobach- 
tungsmaterial als  besonders  wichtiges,  freilich  negatives  Ergebnifs, 
dafs  die  erdmagnetische  Theorie  von  Gauls  dio  Erscheinungen  nicht 
in  vollem  Umfange  zur  Darstellung  bringt,  — mit  andern  Worten,  dafs 
die  Isogonen,  Isoklinen  und  Isodynamen  aus  den  24  durch  Beobach- 
tung abgeleiteten  Konstanten  dieser  Theorie  sich  nicht  mit  Sicherheit 
bestimmen  lassen.  Zunächst  mufs  dem  dringenden  Bedürfnifs  nach 
weiterem  Ausbau  der  Gau  faschen  Theorie  durch  den  Mathematiker 
abgeholfen  werden,  dann  aber  steht  nach  Mafsgabe  des  vorliegenden 
Beobachtungsmaterials  zu  erhoffen,  dafs  die  magnetischen  Kräfte  des 
Erdballs  der  Wissenschaft  nicht  mehr  all  zu  lange  verborgen  bleiben 
werden. 

In  der  nachmittags  stattflndeuden  Berathung  über  ein  Denkmal 
für  Dr.  Gustav  Nacht igal,  den  Begründer  der  deutschen  Geo- 
graphentage, wurde  dem  Vorschläge  des  Freiherrn  von  Richthofen 
gemäfs  die  Aufstellung  einer  Büste  im  Museum  für  Völkerkunde  und 
dio  Errichtung  eines  Standbildes  in  seiner  Vaterstadt  Stendal  be- 
schlossen. Nach  Erledigung  dieser  geschäftlichen  Angelegenheit  ent- 
warf Herr  Professor  Kirchhoff  aus  Halle  ein  Bild  von  der  jüngsten 
Thätigkeit  des  Central aussch usses  für  wissenschaftliche 
Landeskunde  von  Deutschland.  Redner  machte  unter  anderem 
der  Versammlung  dio  erfreuliche  Mittheilung,  dafs  eine  der  wesent- 
lichsten Arbeiten,  die  magnetische  Aufnahme  des  Harzes,  von  Dr. 
Eschenhagen  nunmehr  vollendet  sei.  Eine  Abhängigkeit  zwischen 


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657 


den  alten  geologischen  Bruchlinien  und  der  Verkeilung  des  irdischen 
Magnetismus,  wie  sie  vorher  von  Naumann  für  Japan  erwiesen 
wurde,  liefs  sich  im  Harzgebirge  nicht  feststellen.  Dr.  Eschenhagen 
wird  indefs  seine  Forschungen  über  den  ganzen  nordwestlichen  Theil 
Deutschlands  ausdehnen,  und  durch  Verbindung  dieser  mit  ähnlichen 
Veranstaltungen  in  Oesterreich -Ungarn  dürfte  unsere  Kenntnifs  des 
Erdmagnetismus  im  Gebiete  Centraleuropas  eine  bedeutungsvolle  Be- 
reicherung erfahren. 

Die  zweite  Tagung  wurde  durch  einen  Vortrag  des  Herrn  Pro- 
fessor Penck  (Wien)  „über  das  Endziel  von  Erosion  und 
Denudation“  eröffnet.  Redner  gab  zunächst  Erklärungen  mit  Hülfe 
mathematischer  Betrachtungen  über  die  verschiedene  Wirksamkeit 
des  fliefsenden  Wassers  auf  die  Umgestaltung  der  Strombetten.  Selbst 
in  den  härtesten  Felsboden  arbeitet  sich  das  fliefsende  Wasser  theils 
durch  Auswaschen  theils  durch  Ausschleifen  langsam  ein,  und  je 
stärker  das  Gefälle  der  Stromrinne  ist,  desto  grörser  ist  die  Ge- 
schwindigkeit der  Wassorabführung,  von  welcher  sich  wiederum  die 
mechanische  Thätigkeit  des  Stromes,  d.  h.  dessen  Fähigkeit  abhängig 
erweist,  Geschiebemassen  fortzuführen  und  Schlammtheile  schwebend 
zu  erhalten.  Aber  nicht  nur  bei  den  unmittelbar  vom  Gebirge  herab- 
kommeuden  Gewässern,  den  sogenannten  „Wildwässern“,  wie  die  Isar, 
bemerkt  man  die  Wirkungen  der  Erosion  und  Denudation,  — diese 
müssen  sich  auch  bei  solchen  Strömen  kundgeben,  welche,  wie  der 
Rhein  und  die  Weichsel,  nur  geringes  Gefälle  aufweisen  und  daher 
im  Gegensatz  zu  ersteren  „Stillwässer“  genannt  werden.  Flüsse  mit 
einem  Gefälle  von  4 cm  auf  1000  m gehören  bereits  zu  den  letzteren; 
bei  ihnen  wird  der  grörstc  Theil  ihrer  mechanischen  Kraft  zur  Ueber- 
windung  des  Reibungswiderstandes  an  den  Uferrändem  verbraucht, 
wobei  indefs  gelegentlich  doch  verwitterte  Theilchon  mit  fortgeschwemmt 
und  anderswo  abgelagert  w'erden.  Ein  Gefalle  von  16  cm  auf  den  Kilo- 
meter bringt  gerade  noch  die  geringste  direkte  meclianischo  Wirkung 
auf  ein  Strombett  hervor,  sodafs  dieses  schliefslich  in  einen  Beharrungs- 
zustand gelangen  mufs,  wo  die  Schnelligkeit  des  Fliefsens  im  Gleich- 
gewicht mit  der  Form  und  dem  Widerstand  des  Bodens  steht.  Ist 
dieses  „untere  Denudationsniveau“  bei  der  Gesamtheit  aller  die  Erd- 
oberfläche durchfurchenden  Stromrinnen  erreicht,  so  werden  nur  noch 
schmale  Felskämme  und  schroffe  Bergpyramiden  an  den  Wasserscheiden 
übrig  bleiben,  während  alle  sonstigen  Unregelmiirsigkeiten  des  Fest- 
landes, Höhen  und  Tiefen,  sich  ausgeglichen  haben  müssen.  Die  schliefs- 
liche  Abtragung  auch  dieser  Ruinen  durch  den  Einflufs  der  Atmo- 


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658 


sphärilien  ist  das  Ziel  des  langsam,  aber  rastlos  thätigen  Erosions-  und 
Denudationsprozesses. 

Darauf  ergriff  Herr  Prof.  Brückner  aus  Bern  das  Wort  zur 
Behandlung  des  Themas  .in  wie  weit  ist  das  heutige  Klima 
constant  ?-  Die  geographische  Vertheilung  der  vorgeschichtlichen 
Thier-  und  Pflanzenwelt  im  Gegensatz  zu  ihrer  jetzigen  Verbreitung, 
sowie  die  allerorten  beobachteten  Spuren  einer  einstigen  Vereisung 
haben  die  Wissenschaft  zu  der  Annahme  geführt,  dafs  die  nämlichen 
Regionen  der  Erdoberfläche  in  den  verschiedenen  geologischen  Epochen 
unter  dem  Einflüsse  wechselnder  Temperaturverhältnisse  gestanden 
haben.  Es  friigt  sich  nun  aber,  ob  derartige  klimatische  Schwankungen 
von  allgemeinerem  Charakter  und  Umfang,  die  sich  von  den  Witterungs- 
schwankungen der  Jahresperiode  unterscheiden,  noch  heute  bestehen 
oder  sich  doch  wenigstens  für  historische  Zeiträume  erweisen  lassen. 
Während  der  Geologe  und  Geograph  diese  Frage  gern  bejahen,  hält 
der  Meteorologe  die  Beständigkeit  des  Klimas  innerhalb  gewisser 
Grenzen  für  einen  feststehenden  Glaubenssatz.  Nach  den  Ausführungen 
des  Redners  liegen  dagegen  in  der  That  eine  Reihe  von  Wahr- 
nehmungen vor,  welche  für  eine  noch  jetzt  andauernde  Aenderung 
des  Klimas  sprechen.  Hierhin  gehören  die  von  Richter,  Forel 
und  Lang  in  den  Alpen  beobachteten  Gletscherschwankungen,  sowie 
die  periodischen  Höhenänderungen  im  Wasserspiegel  des  schwarzen 
Meeres,  der  Ostsee  und  des  Kaspimeeres,  bei  denen  hydrographische 
Untersuchungen  erkennen  liefsen,  dafs  der  Wechsel  im  Wasserstande 
mit  Säkularschwankungen  der  meteorologischen  Verhältnisse  Hand 
in  Hand  geht.  Redner  hat  sich  nun  der  Aufgabe  unterzogen,  den 
Charakter  dieser  Kliraaschwankungen  und  ihre  mulhmafsliche  Perio- 
dicität  festzustellen  durch  Verarbeitung  der  Beobachtungen  von  mehr 
als  600  meteorologischen  und  hydrographischen  Stationen,  welche 
insgesamt  das  gewaltige  Material  von  etwa  30  U00  Jahren  umfassen 
sollen.  Als  Resultat  dieser  Arbeit  ergab  sich,  dafs  die  Jahre  von 
1840 — 50  regenreich  waren,  dafs  um  das  Jahr  1860  eine  allgemeine 
Abnahme,  dagegen  schon  um  1870 — 80  eine  Zunahme  der  durch- 
schnittlichen jährlichen  Niederschlagsmengen  eintrat.  Wenn  auch 
keine  genaue  Uebereinstimmung  der  Eintrittsepochen  für  die  ver- 
schiedenen Gebiete  vorhanden  ist,  so  zeigt  doch  die  genügende 
Deckung  der  Maxima  und  Minima,  so  wie  die  deutliche  Verschärfung 
derselben  gegen  das  Innere  der  Festlande,  dafs  man  es  hier  mit 
thatsächlichen  Perioden  zu  thun  hat.  Ausnahmen  hiervon  bilden  aller- 
dings einige  Gebiete  Südeuropas  und  die  Ostküste  von  Amerika, 


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659 


wo  sich  der  Einflurs  des  atlantischen  Oceans  geltend  zu  machen 
scheint.  Besonders  auffällig  ist,  dafs  die  Temporaturbeobacli- 
tungen  sich  mit  den  Niedersehlagsboobachtungen  decken,  sodafs 
trockenen  Periodon  auch  warme,  feuchten  kalte  entsprochen.  Als 
weiteres  Hülfsmittel  zur  Ergründung  der  Klimaschwankungen  hat 
der  Vortragende  die  Erträge  der  Weinernten  in  Frankreich  und  der 
Schweiz  herangezogen  und  auch  hier  seine  Schlüsse  bestätigt  gefunden. 
Jedenfalls  ist  die  Feststelhuig  des  Verlaufes  derartiger  Klimaschwan- 
kungen und  die  Aufdeckung  ihrer  zur  Zeit  noch  dunklen  Ursachen 
für  das  gesamte  Kulturleben  der  Menschheit  von  äufserst  praktischer 
Wichtigkeit. 

Zu  diesem  Vortrage  bemerkte  Herr  Prof.  Hahn,  dafs  schon  vor 
Jahren  von  ihm  und  Herrn  Prof.  Fritz  ähnliche  Untersuchungen  an- 
gestellt seien,  um  eine  Abhängigkeit  der  irdischen  meteorologischen 
Zustiindo  von  der  1 1 jährigen  Sonnenfleckenperiode  zu  begründen. 
Prof.  Brückner  erwiederte,  dafs  er  bei  seinen  Arbeiten  von  wesentlich 
anderen  Gesichtspunkten  ausgegangen  und  auch  zu  andern  Resultaten 
gelangt  sei,  da  die  Dauer  der  von  ihm  ermittelten  Periode  etwa  36 
bis  37  Jahro  beträgt. 

Im  Zusammenhänge  mit  dem  vorigen  Vortrag  stand  der  folgendo 
dos  Herrn  Prof.  Part soh  aus  Breslau  „über  Klimaschwankungen 
in  den  Mittelmeerländern“.  Redner  führte  aus,  wie  die  äufserste 
Vorsicht  am  Platze  sei,  wenn  man  aus  historischen  Ueberlieferungen 
über  Aenderungen  in  der  Vegetation  und  Wanderungen  der  Thierwelt 
Schlüsse  auf  etwaigen  Klimawechsel  ziehen  will.  Die  klimatischon 
Verhältnisse  seien  nicht  die  einzigen  maßgebenden  Faktoren  bei  der 
Verbreitung  der  Lebewesen  und  Vegetationsformen,  oft  käme  hier 
auch  der  Wille  des  Menschen  als  mitentscheidend  in  Betracht  Indem 
Redner  die  geschichtlichen  Zeugnisse  unter  diesom  kritischen  Ge- 
sichtspunkte prüfte,  kam  er  zu  der  Ueberzeugung,  dafs  in  historischen 
Zeiten  merklicho  Klimaänderungen  im  Mediterrangobieto  nicht  statt- 
gefunden haben. 

Alsdann  theilte  Herr  Dr.  Götz  aus  München  kurz  die  Ergebnisse 
seiner  Untersuchungen  über  „die  dauernde  Abnahme  dos 
fliefsenden  Wassers  auf  dem  Festlands“  mit.  Den  Grund 
für  die  langsame  Verminderung  des  irdischen  Wasserreichthums  er- 
blickt der  Vortragende  in  der  unausgesetzten  Erzeugung  von  Wasser 
verbrauchender  Humusmaterie,  sowie  in  der  Bildung  von  Hydraten 
beim  Verwitterungsprozefs  der  Gesteine.  Immerhin  sei  aber  zum 
Himmel  und  Erde.  I.  II.  47 


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660 

Glück  für  die  Menschheit  die  Gefahr  einer  Austrocknung  noch  auf 
Jahrtausende  hinaus  nicht  zu  befürchten. 

In  der  Nachmittagssitzung  desselben  Tages  sprach  der  Landes- 
geologe Herr  Ur.  Wahnschaffe  „über  die  Bedeutung  des 
Baltischen  Höhenrückens  für  die  Eiszeit.“  Redner  führte 
aus,  wie  der  ältere  Gesteinskern  dieser  Bodenerhebung  unseres  nord- 
deutschen Flachlandes  zur  Zeit  der  Vergletscherungen  für  die  von 
Norden  vordringenden  Eisströme  ein  Hindernifs  abgeben  mufste,  an 
dem  sich  die  gewaltigen  Eismassen  aufstauten  und  so  Veranlassung 
zu  beträchtlichen  Scliicklenstürungen  und  an  Bergabhängen  beob- 
achteten Ueberkippungen  wurden.  Andererseits  bewirkten  sie  durch 
die  Ablagerungen  des  vorwärts  geschobenen  Steingerölles  umfang- 
reiche Diluvialaufschüttungon  und  die  Bildung  der  sogenannten 
„Grundmoränen“,  welche  als  charakteristische  Zeugen  einer  einstigen 
Vereisung  unserer  norddeutschen  Ileimath  an  vielen  Orten  des  Bal- 
tischen Höhenzuges  erhalten  sind.  Ausflüge  nach  den  Rüdersdorfer 
Kalksteinbrüchen  und  nach  Chorin  boten  den  Mitgliedern  der  Ver- 
sammlung Gelegenheit,  die  dort  befindlichen  Spuren  der  Eiszeit  in 
Augenschein  zu  nehmen;  an  erste  rem  Orte  waren  es  namentlich  die 
von  der  Bergbauverwaltung  frisch  aufgedeckten  Gletscherschliffe  und 
Gletschertöpfe,  am  letzteren  dio  Moränenbildung,  welche  das  Interesse 
auf  sich  lenkten.  In  dem  sich  anschliefsenden  Vortrage  „über 
Glacialerscheinungen  in  Südafrika“  zeigte  Herr  Dr.  Schenck, 
dars  für  dieses  Gebiet  Spuren  einer  diluvialen  Eiszeit  und  früheren 
Meeresbedeckung  nicht  nachweisbar  sind,  nur  in  der  Karooformation 
finden  sich  Conglomerate , welche  die  Thätigkeit  des  Eises  er- 
kennen lassen. 

Ein  Problem  von  mehr  theoretischer  Tragweite  behandelte  Herr 
Dr.  v.  Drygalsky  aus  Berlin  in  seinem  Vortrage  „über  die  Be- 
wegungen der  Continente  zur  Eiszeit  und  ihren  Zusammen- 
hang mit  den  Wärmeschwankungen  der  Erdrinde“.  Die 
Frage  nach  der  Entstehung  der  Niveauänderungen  zwischen  Festland 
und  Meer  beim  Uebergang  der  Tertiär-  zur  Glacialperiodc  ist,  wie 
Redner  bemerkte,  eine  brennende  geworden,  seitdem  Suefs  und  die 
neuere  Forschung  L.  v.  Buchs  Elevationstheorie  verlassen  und  zur 
Erklärung  in  grofsem  Mafsstabe  sich  vollziehende  Schwankungen  der 
Weltmeere  geltend  gemacht  haben.  Da  aber  zur  Stütze  der  letzteren 
Anschauung  keine  stichhaltigen  wissenschaftlichen  Belege  erbracht 
werden  können,  hat  Redner  den  Versuch  gemacht,  die  Höhenände- 
rungen der  Festlande  mit  einer  allseitig  anerkannten  Kraftäufserung 


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661 


unseres  Planeten,  der  Zusammenziehung  durch  die  fortschreitende 
Abkühlung,  in  Beziehung  zu  setzen.  Auf  die  Einzelheiten  dieser 
Theorie  näher  einzugehen,  können  wir  uns  hier  versagen,  weil  die 
Veröffentlichung  einer  gröfseren  Arbeit  übor  diesen  Gegenstand  vom 
Redner  in  Aussicht  gestellt  worden  ist. 

Herr  Prof.  Reyer  aus  Wien,  der  einen  Vortrag  „über  Typen 
der  Eruptivmassen  und  Gebi  rgsty pen  mit  Demonstrationen“ 
angekündigt  hatte,  war  wegen  Kürze  der  Zeit  zu  einer  wesentlichen 
Einschränkung  dieses  interessanten  Themas  gezwungen.  Durch  Vor- 
führung einer  stattlichen  Anzahl  geologischer  Karten , Durchschnitte, 
Photographien  und  farbiger  Wandbilder  unterstützte  er  seine  Erläute- 
rungen über  den  inneren  Bau  und  die  Schichtungsverhältnisse  des 
Erdballs  und  erörterte  in  anschaulicher  Weise,  wie  die  experimentelle 
Geologie  durch  Versucho  mit  plastischen,  zähflüssigen  Substanzen 
(Thon  und  Seifenfladen)  über  die  Entstehung  der  Pressungen,  Ver- 
werfungen und  Faltungen  in  den  Gebirgsmassiven  Licht  verbreitet  hat 

Herr  Überberghauptmann  Dr.  Iluyssen  berichtete  „über  den 
gegenwärtigen  Stand  der  Frage  nach  den  Wärmeverhält- 
nisson  des  Erdinnern“.  Bei  früheren  Temperaturmessungen  der 
Erdrinde  hat  man  mit  Schwierigkeiten  zu  kämpfen  gehabt,  deren 
theilweise  Beseitigung  nunmehr  der  Technik  durch  Anwendung  eines 
neuen  Bohrverfahrens  gelungen  ist.  Bei  Herstellung  des  Bohrloches 
zu  Schladebach,  des  gegenwärtig  tiefsten  der  Erde,  wo  man  sich 
dieses  Verfahrens  bediente,  hat  man  denn  auch  durchaus  günstigere 
Resultate  erzielt,  als  bei  Sperenberg,  wo  noch  die  ältere  Methode 
benutzt  wurde.  Es  hat  sich  hierbei  ergoben,  dafs  die  mittlere  geo- 
thermische Tiefenstufe  nicht  zu  40“  für  1°R.,  wie  früher,  sondern 
etwas  gröfser  zu  4G  “ anzusetzen  ist,  ferner  dafs  eine  regelmäfsige 
Wärmezunahme  mit  der  Tiefe  nur  in  ganz  gleichgestalteten  Erd- 
schichten angetroflen  wird.  Ueberall  da,  wo  ein  Wechsel  im  durch- 
bohrten Gesteinsmaterial  stattflndet,  wird  das  veränderte  Leitungs- 
vermögen Unregelmäfsigkeiten  im  Gange  der  Wärmezunahme 
bedingen , welche  noch  verstärkt  werden  durch  das  unablässige 
Hinzuströmen  bald  wärmerer,  bald  kälterer  Quellwässer.  Es  ist 
daher  erklärlich,  dars  dio  für  die  einzelnen  Bohrlöcher  gefundenen 
Zahlenwerthe  erheblich  von  einander  abweiohen,  dafs  z.  B.  die  geo- 
thermische Tiefenstufe  in  dem  wasserdurchlässigen  und  leioht  Wärme 
leitenden  Steinsalzlager  zu  Sperenberg  sich  zu  40“  ergab,  während 
bei  Schladebach , dessen  Untergrund  schlechtes  Leitungsvermögen 
besitzt,  für  diese  Gröfse  46,9  “ gefunden  wurde. 

47' 


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G62 


Herr  Prof.  Jordan  aus  Hannover  hielt  hiernach  einen  Vortrag 
„über  die  Methode  und  Ziele  der  verschiedenen  Arten  von 
Höhenmessungen“,  in  welchem  er  die  gegenseitige  Werthstellung 
der  drei  gangbaren  Verfahren  der  Höhenmessung,  des  Nivellements,  der 
trigonometrischen  und  barometrischen  Messung  eingehend  erörterte. 
Sohliefslich  sprach  Herr  Dr.  Böhm  aus  Wien  „über  die  Genauig- 
keit orometrisoher  Mafsbestimmungen“  auf  Grund  eigener 
Untersuchungen  des  Uachsteingebirges. 

Die  letzte  Sitzung  war  wiederum  geschäftlichen  Angelegenheiten 
gewidmet,  sowie  der  Wahl  des  nächsten  Versammlungsortes,  für  den 
auf  Vorschlag  Prof.  Pencks  für  das  Jahr  1891  Wien  in  Aussicht 
genommen  wurde.  Dr.  P.  Sch  wahn. 

* 


Mittlere  Höhe  der  Kontinente  und  mittlere  Tiefe  der  Meere. 

Von  F.  S.  Archonhold. 

Unter  Berücksichtigung  aller  bekannten  Landhöhen- und  Meertiefen- 
Messungen  hat  Herr  General  A.  von  Tillo  im  „Bulletin  de  la  Societe  de 
Geographie  de  Russio  du  8.  decerabre  1888“  folgende  Werthe*)  für 
die  mittlere  Höhe  der  Festlande  und  mittlere  Tiefe  der  Meerestheile 
abgeleitet 

Mittlere  Höhe 


Meter 


von  Europa 317 

„ Asien  957 

„ Afrika 612 

„ Nordamerika 622 

„ Südamerika Gl  7 

„ Australien 240 

der  Kontinente  der  nördlichen  Halbkugel  . . . 713 

,,  .,  „ südlichen  Halbkugel  . . . 634 

aller  Kontinente  über  dem  Meerespiegel  . 693 


Mittlere  Tiefe 


Meter 

des  Stillen  Ozeans 438Ü 

,.  Atlantischen  Ozeans  ....  4022 

.,  Indischen  Ozeans 3674 

„ Nordmoeres 3627 

.,  Südmeeros 3927 

der  gosamten  Meere  ....  3803 


•)  Comptcs  Rendus  1889  T.  CV1H  No.  2.i  S.  1324. 


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603 


Diese  Zahlen  gewähren  uns  einen  interessanten  Einblick  in  die 
Gestaltung« Verhältnisse  der  Erdoberfläche.  Sie  zeigen  uns,  dafs  die 
mittlere  Höhe  sämtlicher  Kontinente  5*/2  mal  geringer  ist  als  die  mitt- 
lere Tiefe  aller  Meere.  Hieraus  folgern  wir  ohne  weitoros,  da  sich 
der  Flächenraum  der  Festlandsmassen  der  Erde  und  der  Ozeane  be- 
kanntlich wie  1 : 2.76  oder  annähernd  wie  3 : 8 verhält,  dafs  sich  die 
Volumina  der  Kontinente  über  dom  Meeresspiegel  zu  denen  der  Ozeane 
wie  1 : 16  verhalten.  Man  könnte  also  die  über  der  Meeresfläche  her- 
vorragenden Festlandsmassen  15  mal  infolge  unserer  Rechnung  in  dio 
ozeanischen  Wassermassen  hineinschütten.  Würden  alle  Unebenheiten 
dor  Kontinente  wirklich  abgetragen  und  ins  Meer  versenkt  worden, 
so  würde  sich  die  Tiefe  des  Meeres  doch  nur  um  250  m verringern. 

Dor  grofse  Unterschied  der  Tilloschen  Zahlen  von  den  bisherigen 
bestbestimmten  Angaben,  440  m für  dio  mittlere  Höhe  dor  Kontinente 
von  Dr.  Leipoldt  und  3440  m für  die  mittlere  Tiefe  des  Ozeans  von 
Prof.  Krümmel,  darf  uns  nicht  befremden,  da  seit  den  Leipoldt- 
Krümmelschcn  Berechnungen*)  nicht  allein  die  Höhenmefs-  und 
Tiefseeloth-Apparate  eine  grofso  Vervollkommnung  erfahren,  sondern 
auch  die  erforderlichen  Messungen  in  der  Neuzeit  eine  ungeahnte  Aus- 
dehnung erlangt  haben. 


Erscheinungen  ain  Sternenhimmel  Im  Monat  August-September. 

, (Sämtliche  Zeitangaben  gelten  für  berliner  Zeit) 


i.  Der  Mond. 


18.  August  Letztes  Vicrtoi 
21.  w Erdferne 

2G.  , Neumond 

2.  Sept.  Erstes  Viertel 

6.  „ Erdnähe 

0.  „ Vollmond 

Maxima  der  Lihration:  28. 


Aufgang 
10h  30  Ab. 
Mittern. 

4 23  Mg. 

1 18  Nm. 

5 34 

7 0 Ab. 


Untergang 
lh  17“  Nm. 
4 25  . 

7 2<i  Ab. 

9 58  „ 

0 38  Mg. 

1 4»  , 


Aug.,  11.  Septembor. 


•)  Nach  den  Lcipoldt-Krümmolschon  Daten  verhalten  sich  dio  Volu- 
mina der  Fcstlande  Uber  dem  Meeresspiegel  zu  donen  der  Ozeane  wie  1 : 21, 
so  dafs  hiernach  durch  eine  Versenkung  aller  Unebenheiten  der  Kontinente 
ins  Meer  dio  Tiefe  des  letzteren  nur  um  IGO  m abnehmen  würde. 


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664 


2.  Die  Planeten. 


Merkur 

Venus 

Rectas. 

Declin. 

Aufg.  , 

Unterg. 

Rectas. 

Declin.  1 Aufg. 



j Unterg. 

17.  Aug. 

10»27m  +11*20' 

5k  39»  Ip. 

"h  47®  Ab. 

Gk  54®|+21*  12'  1"  3®lg. 

15® Nn 

21-  . 

10  53 

+ 8 21 

6 5 „ 

7 41  . 

7 18 

+20  53  1 9 . | 

5 18  . 

25.  . 

11  18 

+ 5 20' 

0 31  . 

7 83  . 

7 33 

+20  34  1 15  . 

5 18  . 

29.  . 

11  41 

+ 2 20 

6 54  „ 

7 26  . 

7 52 

+20  0 1 21  „ 

5 19  . 

2.  Sept. 

12  3 

— 0 35 

7 15  . 

7 17  _ 

8 12 

+19  21  I 29  „ 

5 19  . 

G.  . 

[12  23 

— 3 23 

7 34  „ 

7 6 . 

8 31 

+18  31  1 38  . 

5 16  . 

10.  . 

12  43 

- 6 2 

7 52  . 

6 56  „ 

8 50 

+17  33 1 1 48  . 

5 14  . 

14.  „ 

13  0 

|—  8 30  j 

8 7 . 

16  45  . 

9 9 

+16  27  1 58  . , 

5 10  . 

10.  Sept,  Sonnenferne. 

M 

a r s 

Jupiter 

i 

Rectas. 

Declin.] 

Aufg. 

Unterg. 

Rectas. 

Declin.  j 

Aufg. 

Unterg. 

17.  Aug. 

8k  37» 

+19*40'  2k  59» Ip. 

Gh  51m?f«. 

17h54» 

—23*24' 

4b23»J«. 

1 1»  57»  14. 

23.  „ 

8 53 

+ 1841  12  57  » 

6 37  „ 

17  53 

—23  25 

3 58  . 1 

1 1 32  . 

29.  . 

9 9 

+ 17  38 

2 56  „ 

6 22  . 

17  53 

—23  26  | 3 35  . 

11  9 . 

4.  Sept. 

9 24 

+ 16  31 

2 54  „ 

6 6 . 

17  54 

-23  27 

3 12  . 

10  46  . 

10.  „ 

9 39 

|+15  20 1 

2 52  „ 

5 50  . 

17  55 

—23  28 

2 49  . 

10  23  . 

16.  . 1 

9 54 

1+14  G1' 

2 51  „ 1 

5 35  „ 

17  57  1 

—23  28* 

1 2 27  . 

10  1 . 

Saturn 

Uranus 

Rectas. 

Declin.; 

Aufg. 

Unterg. 

Rectas. 

Deelin. 

Aufg. 

] Unterg. 

13.  Aug. 

9h  15»  i 14’4S 

4h  5 ln  lg. 

7h41®3m. 

13kl 1» 

— G°5r 

,10»  14»*p. 

1 9»  10®  11. 

21.  . 

9 49 

+14  29 

4 29  „ 

7 15  „ 

13  12 

— 6 59 

9 45  . 

8 39  . 

29.  „ 

9 53 

+14  9 

4 3 . 

1 6 46  . 

13  13 

— 7 8 

9 16  . 

8 8 . 

6.  Sopt. 

9 56 

+13  49 1 

3 38  „ 

1 6 16  n 

13  15 

-7  18 

8 47  . 

7 37  . 

14.  . 

10  0 

1 

+13  30 

3 12  „ 

5 46  „ 

13  16 

— 7 28 

! j 

8 IS  „ 

7 6 * 

I 

N 

o p t u n 

Rectas. 

Declin. 

Aufg.  Unterg. 

14.  Aug.  | 

4»  11» 

+ 19*25* 

10»  45»  AI.  1 2»  37«  Sa. 

29.  . 

4 12 

+ 19  26 

9 46  „ 1 38  . 

13.  Sept  j 

4 12 

+ 19  26 

8 47  „ | 0 39  , 

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665 


3.  Beobachtbare  Verfinsterungen  der  Jupitertrabanten. 


lß. 

Aug. 

I.  Trab.  Verfinst.  Austritt 

ci> 

48®  Ab. 

31. 

n 

n. 

»» 

„ 

7 

34  . 

23. 

1. 

„ 

„ 

8 

43  . 

28. 

„ 

ir. 

„ 

n 

„ 

10 

11  . 

30. 

L 

„ 

m 

„ 

10 

38  , 

8. 

Sept. 

I. 

*1 

<1 

7 

2 . 

15. 

I. 

„ 

„ 

8 

57  . 

4.  Sternbedeckungen  durch  den  Mond. 

(Zwischon  dem  15.  Aug.  und  15.  Sept.  finden  keine  in  Berlin  sichtbare  Stern- 
bedeckungen statt.) 


5.  Veränderliche  Sterne, 
a)  Maxirna  variabler  Sterne: 


Maximum 

Helligkeit 

im 

1889 

am 

Max. 

Min. 

Rectas. 

Deel  in. 

R Arietis 

7.  Sept. 

7.8® 

12® 

2k 

9®  48«  + 24“ 

32' 

U Monoc. 

19.  Aug. 

6 

7 

7 

25 

29—9 

33 

R Leo  minor. 

18.  „ 

6 

11 

9 

38 

56  + 35 

1 

R Comao 

26.  . 

7.8 

13 

11 

58 

34+19 

24 

T Ursae  maj. 

5.  Sept. 

7 

12 

12 

81 

20  + 60 

6 

R Bootis 

2-  „ 

6 

12 

14 

32 

17  + 27 

13 

R Lyrae 

5.  „ 

4.3 

4.6 

18 

51 

57  + 43 

48 

R Vulpec. 

11.  . 

7.8 

13 

20 

59 

28  + 23 

83 

U Cephoi  . 

Algol 
5 Librao 
U Coronae  . 
U Ophiuchi 

Y Cygni  . 


T Monoc.  . 
ß Lyrao 
rj  Aquilae  . 
$ Cephei  . 


b)  Minima  der  Storno  vom  Algol-Typus: 

. 16.,  21.,  26.,  31.  Aug.,  5.,  10.,  15.  Sept  Morg. 

. 16.,  22.  Aug.  Mg.,  27.  Ab.,  2.  Sept  Nra.,  8.  Mg.,  14.  Mg. 

. 19.  Aug.  Nm.,  24.  Vra.,  28.  Mttn.,  2.  Sept.  Nm.,  7.  Vm.,  11.  Ab. 

. 20.  Aug.  Mg.,  27.  Mg.  3.  Sept.  Mg.,  9.  Ab. 

. (Jedes  4.  Min.):  18.  Aug.  Mg.,  21.  Vm.,  24.  Ab.,  28.  Mg.,  31.  Mitt, 
3.  Sept.  Ab.,  7.  Mg.,  10.  Nm.,  13.  Ab. 

. (Jedes  3.  Min.):  18.  Aug.  Nm.,  23.  Mg.,  27.  Nm.,  1.  Sept.  Mg., 

5.  Nm.,  10.  Mg.,  14.  Nm. 

c)  Minima  einiger  Veränderlicher  kurzer  Periode: 

. 31.  Aug.,  27.  Sept. 

. 29.  Aug.,  11.  Sept. 

. 22.,  29.  Aug.,  5.,  12.  Sept. 

. 18.,  24.  29.  Aug.,  3.,  9.,  14.  Sept. 


6.  Meteoriten. 

Der  Monat  September  ist  für  Sternschnuppenbeobachtungen  nicht  be- 
sonders wichtig.  Einige  Aufmerksamkeit  in  den  letzten  Tagen  des  August 
verdient  nach  Denning  das  Auftreten  von  Meteoriten  aus  der  Himmelsgegend 
hei  t Aurigae,  etwa  3 Grad  östlich  von  diesem  Stern.  Diese  sporadischen 
Sternschnuppen  sind  nur  in  den  Morgenstunden  beobachtbar.  (Radiant  hei 
AR  = 76°,  D = -f  33°). 


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666 


7.  Nachrichten  über  Kometen. 

Der  Barnard’sche  Septemberkomet  zeigt  nach  einer  Beobachtung  vom 
3.  Juni  eine  neue  gegen  dio  Sonne  gerichtete  Ausstrahlung,  eine  bei  der  bereits 
grofsen  Entfernung  des  Kometen  sehr  bemerkonswortho  Erscheinung.  — In  der 
Nacht  vom  23.  zum  24.  Juni  hat  Barnard  einen  neuen  Kometen  im  Stembilde 
der  Andromeda  gefunden.  Der  Komet  war  schwach  und  hatte  eino  nördliche 
Bewegung. 

t 

Astronomisch-photographischer  Congrefs.  Die  Astronomen,  welche 
sich  zur  Theilnahine  an  den  Arbeiten  betreffs  der  photographischen  Aufnahme 
des  Himmels  entschlossen  haben,  werden  am  15.  September  in  Paris  zu  einer 
abermaligen  Berathung  zusammentreten.  Hauptsächlich  wird  über  die  Gröfse 
der  Platten  verhandelt  worden.  Auf  Gills  Vorschlag  sollen  auch  schon  die 
Fragen  über  die  Vcrthoilung  dos  Himmels  an  die  theilnchmenden  Observatorien, 
über  dio  Gattung  der  Platten,  und  über  die  Controlo  der  Exposition,  welche  zur 
Erreichung  der  Aufnahmen  der  einzelnen  Grüfsenklassen  von  Sternen  noth- 
wondig  ist,  erörtert  werden. 


Vorlag  von  llormann  l’aetel  in  Berlin.  — Druck  von  Wilhelm  Gronau's  Buchdruckcrei  ln  Berlin. 
Für  dio  Rodaction  verantwortlich : Dr.  M.  Wilhelm  Moyer  in  Berlin. 
Unberechtigter  Nachdruck  aus  dem  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt 
Uebersetxungsrecht  Vorbehalten. 


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Ueber  die  Bedeutung  der  photographischen  Methoden  in 
der  Astronomie. 

Von  Dr.  J.  Silieiner. 

Astronom  »m  astrophysikalischon  Obsonratorium  bol  Potsdam. 

V (Schlufs.) 

H ine  getreue  Wiedergabe  einer  Pariser  Stemaufnahme,  eine  Stelle 
•*fc,  des  Himmels  aus  dem  Sternbilde  dos  Schwans  darstellend,  ist 
auf  Seite  669  beigefügt;  sie  kann  als  eine  der  besten  Stern- 
aufnahmen gelten,  welche  bisher  überhaupt  erhalten  worden  sind.  Es 
ist  auf  dieser  Aufnahme  kein  Stern  enthalten,  der  mit  blofsem  Auge  zu 
sehen  wäre,  die  schwächsten  Sterne,  welche  auf  dieser  Reproduktion  zu 
erkennen  sind,  mögen  etwa  der  12.  bis  13.  Oröfsenklasse  angehüren,  das 
Original -Negativ  enthält  noch  fast  die  doppelte  Anzahl  von  ganz 
schwachen  Sternen  bis  zur  14.  Gröfse,  die  wogen  ihrer  Feinheit  auf 
der  Kopie  nicht  mehr  mitgekommen  sind.  Am  besten  dürfte  dem 
Leser  eine  Anschauung  von  dom  Sternreichthum,  der  auf  dieser 
Photographie  vorhanden  ist,  gegeben  werden,  wenn  wir  bemerken, 
dafs  eine  derartige  Aufnahme  über  den  ganzen  Himmel  ausgedehnt, 
etwa  20  bis  30  Millionen  Sterne  umfassen  würde!  Nur  die  Vor- 
stellung, wirklich  dermaleinst  eine  solche  Karte  des  Himmels  zu  be- 
sitzen, mufs  jeden  Astronomen  auf  das  höchste  erfreuen;  ist  doch 
schon  die  Astronomie  mit  Recht  stolz  auf  die  Katalogisirung  und 
Mappirung  des  für  uns  benutzbaren  Theiles  des  Himmels,  vom  Nordpol 
bis  zum  23ten  Grade  südlicher  Deklination,  die  in  einer  langen  Reihe  von 
Jahren  mit  fast  unglaublichem  Fleifse  und  gröfsester  Ausdauer  auf  der 
Bonner  Sternwarte  hergestellt  ist,  und  unter  dom  Namen  der  Bonner 
Durchmusterung  für  alle  Zeiten  ein  Denkmal  astronomischen  Schaffens 

Himmel  und  Erde.  I.  12.  13 


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668 


bleiben  wird.  Diese  Durchmusterung  umfafst  auf  dem  angegebenen 
Theile  des  Himmels  die  Anzahl  von  nahe  einer  halben  Million  Sterne 
bis  etwa  zur  10.  Grörsenklasse. 

Die  Ausführung  einer  photographischen  Karte  über  den  ganzen 
Himmel  ist  nicht  ein  leeres  Hirngespinst  mehr,  sie  ist  bereits  vor 
zwei  Jahren  auf  dem  Pariser  Astronomen -Kongresse  als  ein  inter- 
nationales Unternehmen  der  grofsartigsten  Art  beschlossen  worden, 
und  die  hierfür  bestimmten  Instrumente,  nach  den  oben  angedeuteten 
Prinzipien  konstruirt,  sind  bereits  in  der  Ausführung  begriffen  oder 
schon  vollendet  Auch  Deutschland,  speziell  das  Potsdamer  Ob- 
servatorium, wird  sich  an  dieser  Arbeit  betheiligen. 

Es  ist  keine  Frage,  dafs  mit  der  Uebernahme  dieser  Arbeit  eine 
neue  Epoche  der  Fixsternastronomie  beginnt  Wenn  wir  von  der  Be- 
deutung, die  eine  derartige  Himmelskarte  schon  allein  als  Orientirungs- 
mittel  am  Himmel  beim  Aufsuchen  kleiner  Planeten,  bei  der  Unter- 
suchung über  neue  Sterne,  eventuell  auch  bei  der  noch  immer  nicht 
positiv  zu  beantwortenden  Existenzfrage  eines  transneptunischen  Pla- 
neten besitzt,  auch  gänzhch  absehen,  eröffnet  sich  dennoch  in  weiter 
Perspektive  ein  Arbeitsfeld  von  hoher  Bedeutung,  dessen  wesentliche 
Früchte  aber  erst  unsere  Nachkommen  ernten  werden.  Wir  meinen 
die  Erforschung  der  Konstitution  unseres  Fixsternsystems. 

Dieser  Zweck  kann  aber  nicht  durch  die  Karte  selbst  erreicht 
werden  oder  wenigstens  doch  nur  unvollkommen,  hierzu  ist  eine  Aus- 
messung der  Aufnahmen  nöthig.  Die  Arbeit,  die  sämtlichen  Sterne 
der  Himmelskarte,  also  etwa  60  bis  40  Millionen  auszumessen,  ist  eine 
so  enorme,  dafs  selbst  der  Fleifs  des  Astronomen  davor  zurück- 
sohreckt; sio  würde  in  absehbarer  Zeit  nicht  auszuführen  sein.  Da- 
gegen ist  man  fest  entschlossen,  einen  Theil  der  Sterne,  nämlich  die- 
jenigen bis  zur  11.  Gröfse  auszumessen  und  zu  katalogisiren,  mit 
einer  Genauigkeit,  die  diejenige  der  Meridianbeobachtungen  wohl 
noch  etwas  übertrifft.  Der  „photographische“  Sternkatalog  würde 
alsdann  etwa  3 Millionen  Sterne  enthalten,  die  mit  gröfster  Genauig- 
keit festgelegt  wären,  ein  kaum  zu  fassender  Fortschritt  gegen 
unseren  jetzigen  Standpunkt,  da  die  Anzahl  der  im  Meridian  be- 
stimmten Sterne  auch  nach  Fertigstellung  des  grofsen,  seit  etwa 
25  Jahren  in  Arbeit  befindlichen  Zonenuntemehmens  200,000  nicht 
übersteigen  dürfte.  Ein  solcher  Katalog  wird  in  seinen  Folgen  von 
völlig  umgestaltendem  Einflüsse  auf  die  meisten  astronomischen  Unter- 
suchungen sein,  besonders  auch  dann,  wenn  gleichzeitig  die  Hellig- 
keit der  Sterne  mit  bestimmt  wird.  Dafs  unsere  Naclikommen  erst 


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669 


den  Hauptnutzen  hiervon  haben  werden,  weil  einerseits  die  Fertig- 
stellung des  Katalogs  Jahrzehnte  in  Anspruch  nehmen  dürfte,  anderer- 
seits die  wesentlichsten  Resultate  erst  aus  einer  späteren  Wieder- 
holung der  Arbeit  nach  50  oder  100  Jahren  zu  erhalten  sein  werden, 
kann  den  Eifer  und  die  Freude  an  dieser  Arbeit  nicht  erlahmen 


Copic  einer  Himmelsphotographie  aus  dem  Sternbilde  des  Schwans 


lassen;  der  Astronom  ist  an  derartige  Arbeiten  gewöhnt:  serit  arbores 
quae  prosint  saeclo  altero. 

Es  ist  bei  Gelegenheit  eines  Aufsatzes  im  4.  Hefto  dieser  Zeit- 
schrift, über  die  Ermittelung  der  Eigenbewegungen  der  Fixsterne  im 

48* 


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670 


Visionsradius,  bereits  auf  die  Wichtigkeit  des  in  Krage  tretenden 
Punktes  hingewiesen  worden,  und  wir  dürfen  wohl  kühn  behaupten, 
ilafs  vielleicht  hier  wie  da  die  Photographie  den  Schlüssel  zu  den 
Kiithseln  der  Sternenwelt  dem  Astronomen  aushiindigen  wird. 

Außerhalb  der  im  Verhältnifs  zum  unendlichen  All  engbegrenzten 
Kixsternwelt  vertheilt  sich  nun  die  Welt  der  Sternhaufen  und  Nebel- 
flecke, zum  Theil  selbst  solche  Fixsteminseln  bildend,  wie  diejenige, 
der  unser  Sonnensystem  angehört,  zum  Theil  ein  Chaos  gasförmiger 
Materie  darstellend.  Zu  Tausenden  sind  sie  am  Himmel  zerstreut, 
mannigfach  an  Form  und  Helligkeit,  dem  blofsen  Auge  sichtbar  und 
nur  dem  stärksten  Fernrohr  sich  erschliefsend.  Ehe  noch  der  Astro- 
nom die  Zusammensetzung  des  eigenen  Fixsternsystems  gefunden  hat, 
will  er  auch  schon  die  Nachbarwelten  ergründen,  indem  er  hofft,  durch 
Messung  und  Zeichnung  Veränderungen  in  diesem  Gebilde  nachweisen 
zu  können.  Aber  die  Ausmessung  von  Sternhaufen  ist  eine  mühsame 
und  langwierige  Arbeit  und  diejenige  von  Nebelflecken  ist  wegen  der 
Verwasclienheit  und  Lichtschwäche  dieser  Objekte  nur  bei  wenigen 
Exemplaren  auszuführen.  Auch  hier  tritt  die  Photographie  epoche- 
machend zur  Hülfe  und  zwar  ganz  besonders  bei  den  eigentlichen 
Nebelflecken.  Sie  zeigt  hier  weit  mehr,  als  das  Äugt;  erblicken 
kann;  sie  zeigt  es  nicht  blos,  sondern  sie  hält  es  auch  auf  der  Platte 
fest  als  untrügliches  Dokument  für  spätere  Zeiten;  die  Ausmessung 
einer  photographischen  Aufnahme  eines  Nebelflecks  bereitet  nicht 
entfernt  die  Schwierigkeiten,  wie  diejenige  einer  direkten  Messung 
am  Himmel  und  ist  von  unvergleichlich  grüfserer  Genauigkeit  als  die 
letztere. 

Es  ist  wirklich  interessant,  die  Zeichnungen  mit  einander  zu 
vergleichen,  die  von  demselben  Nebelfleck  von  verschiedenen  Astro- 
nomen oder  an  verschiedenen  Instrumenten  erhalten  worden  sind.  Sie 
sind  gemacht  worden,  um  Veränderungen  im  Nebel  konstatiren  zu 
können,  aber  sie  zeigen  zuweilen  solche  Unterschiede,  dufs  es  gar 
nicht  möglich  ist,  dasselbe  Objekt  in  ihnen  zu  erkennen. 

Es  war  bekanntlich  lange  Zeit  hindurch  eine  Streitfrage,  ob  der 
berühmte  Spiralnebel  in  den  Jagdhunden  wirklich  eine  spiralförmige 
Anordnung  seiner  Tlieile  hat,  oder  ob  dies  nur  auf  Täuschung  be- 
ruht; eine  einzige  photographische  Aufnahme  mit  einem  verhältnifs- 
mäfsig  sehr  kleinen  Instrumente  vermochte  diese  Krage,  die  vorher 
nur  dio  stärksten  Instrumente  mit  Sicherheit  entscheiden  konnten, 
ohne  weiteres  dahin  zu  beantworten,  dafs  thatsächlich  der  Nebel  spiral- 
förmig gewunden  ist.  Besonders  bei  den  chaotisch  gestalteten 


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671 


schwächeren  Nebeln  ist  eine  photographische  Aufnahme  von  gröfserer 
Bedeutung,  als  alle  vorhergehenden  mit  gröfster  Anstrengung  und 
Mühe  gefertigten  Zeichnungen. 

Es  giebt  Sterne,  die  gleichsam  wie  in  einer  Atmosphäre  ein- 
gehüllt  erscheinen,  die,  sei  es  zufällig,  sei  es  in  physischem  Zusammen- 
hang, sich  in  einem  Nebel  resp.  auf  demselben  projizirt  zeigen.  Nur 
wenige  solcher  Nebelsteme  waren  bis  vor  kurzem  bekannt,  die  Photo- 
graphie hat  jetzt  schon  eine  ganze  Anzahl  neuer  derartiger  seltsamer 
Gebilde  entdeckt,  so  z.  B.  die  berühmten  Nebel  in  den  Plejaden,  die 
theilweise  allerdings  auch,  nachdem  einmal  ihre  Existenz  bekannt 
ist,  mit  grofsen  Instrumenten  direkt  wahrgenommen  werden  können. 
Das  Auge  wird  durch  den  Stern  geblendet,  so  dafs  es  unempfäng- 
lich für  die  schwachen  Lichteindrücke  in  der  Nachbarschaft  wird,  die 
photographische  Platte  hat  nicht  unter  diesem  physiologischen  Uebel 
zu  leiden. 

Als  bestes  Beispiel  für  die  Leistungen  der  Photographie  auf  dem 
Gebiete  der  Nebelflecke  wollen  wir  eine  Aufnahme  anführen,  die  neuer- 
dings Roberts  bei  einer  Expositionszeit  von  4 Stunden  vom  Andro- 
meda-Nebel erhalten  hat.  Diese  Aufnahme  zeigt  innerhalb  des  dem 
blofsen  Auge  sichtbaren  Nebels  eine  Anordnung  der  Nebelmaterie, 
welche  die  Anschauung,  die  man  nach  dem  bisherigen  Anblicke  dieses 
Nebels  von  seiner  Konstitution  haben  mufste,  völlig  umwirft  und  da- 
für eine  neue,  sehr  viel  verständlichere  setzt.  Der  Nebel  besteht  aus 
einer  Reihe  von  konzentrischen  Ringen,  die  einen  hellen  Nebelknoten 
umgeben,  und  gegen  welche  wir  schräg  hineinsehen.  Es  ist  eine 
Ihatsächliche  Aehnlichkeit  mit  dem  Anblicke  Saturns  vorhanden;  auch 
planetcnartige  Verdichtungen,  die  man  früher  als  isolirte  Nebel  betrachtet 
hatte,  vervollständigen  das  Bild  eines  Nebels,  der,  vollkommen  passend 
mit  der  Kantschen  Weltbildungshypothese,  in  der  Entwickelung  zu 
einem  Sonnensystem  begriffen  ist 

Die  erfolgreiche  Anwendung  der  Photographie  auf  die  Nebelflecke 
ist  noch  sehr  jungen  Datums,  es  sind  noch  kaum  Messungen  ange- 
stellt, und  doch  läfst  sich  schon  jetzt  ohne  Uebertreibung  sagen,  dafs 
sie  einen  ähnlichen  Aufschwung  in  der  Astronomie  der  Nebelwelt 
hervorbringen  wird,  wie  ihn  Herschel  durch  seine  klassischen  Arbeiten 
geschaffen  hat. 

Wenn  wir  uns  nun  zu  dem  zweiten  Gebiete  der  Astronomie  wenden, 
auf  welchem  die  Photographie  in  hervorragender  Weise  den  Beobachter 
unterstützt,  zur  Spektralanalyse,  so  möchten  wir  in  erster  Linie  auf 
die  bereits  im  vierten  Hefte  dieser  Zeitschrift  ausführlich  dargelegten 


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672 


Errungenschaften  verweisen,  die  bei  der  Ermittelung  der  Bewegung 
der  Sterne  im  Visionsradius  durch  die  Anwendung  der  Photographie 
erreicht  worden  sind.  Es  würde  dies  allein  genügen,  um  die  Bedeutung 
der  Photographie  für  die  Spektralanalyse  zu  beweisen,  der  \ ollstän- 
digkeit  halber  müssen  wir  aber  auch  auf  andere  photographisch-spektral- 
analvtische  Arbeiten  eingehen,  doch  dürfte  es  im  Hinblick  auf  den 
erwähnten  Aufsatz  nicht  erforderlich  scheinen,  die  Gründe,  welche  den 
Vortheil  der  photographischen  Methode  bedingen,  hier  auseinander- 
zusetzen. 

Es  wäre  hier  zunächst  dio  photographische  Darstellung  des 
Sonnenspektrums  von  Kowland  zu  nennen,  die  das  ganze  sichtbare 
Spektrum  von  B bis  H umfafst,  und  sich  auch  noch  weiter  in  das 
Ultraviolett  hinein  erstreckt.  Die  Genauigkeit,  mit  welcher  in  diesem 
Spektrum  die  Lage  der  einzelnen  Linien  bestimmt  ist,  ist  zwar  jeden- 
falls nicht  gröfser,  sondern  eher  geringer  als  diejenige  in  der  bis  dahin 
umfangreichsten  Darstellung  des  Sonnenspektrums,  welche  auf  dem 
Potsdamer  Observatorium  angefertigt  worden  ist;  auch  der  Reichthum 
an  Linien  ist  nur  ganz  unbedeutend  gröfser;  der  Vorzug  dieser 
photographischen  Darstellung  liegt  auf  einem  anderen  Felde,  nämlich 
in  der  Treue,  mit  welcher  die  Stärke  und  das  Aussehen  der  Linien 
wiedergegeben  ist,  eine  Treue,  die  eben  auf  keine  andere  Weise  er- 
reicht werden  kann,  und  die  in  gewissen  Fällen  die  gröfste  Wichtig- 
keit besitzt. 

Die  Beobachtung  und  Messung  eines  Fixsternspektrums  am 
Himmel  ist  unstreitig  eine  der  schwierigsten  Aufgaben  der  Beobach- 
tungskunst, wegen  der  Lichtschwäche  und  der  flatternden  Bewegungen 
des  Spektrums.  Bei  den  genannten  Messungen,  welche  bis  jetzt  an 
Spektren  heller  Sterne  erhalten  wurden,  hat  man  im  günstigsten  Falle 
eine  Genauigkeit  erreicht,  welche  etwa  dem  sechsten  Theile  des  Ab- 
standes der  beiden  D-Linien  entspricht,  und  nur  ganz  wenige  Spektra 
sind  thatsächlich  mit  dieser  Genauigkeit  gemessen.  Mit  Hülfe  der 
Photographie  aber  kann  man  nunmehr  sehr  viel  stärkere  Dispersionen 
anwenden,  so  starke,  dafs  bei  Betrachtung  mit  dem  Auge  wegen  der 
Lichtschwäche  des  Spektrums  nicht  mehr  die  Spur  einer  Linie  zu  er- 
kennen ist;  die  photographische  Platte  aber  registrirt  sie  alle  und 
gewährt  nachher  ein  Spektrum,  dessen  Linienreichthum  bei  sonnen- 
ähnlichen  Sternen  den  bis  vor  wenigen  Jahren  besten  Darstellungen 
des  Sonnenspektrums  selbst  von  Ängström  nur  sehr  wenig  nachsteht. 
Die  in  Ruhe  auszuführende  Messung  dieser  Linien  gewährt  eine 
Genauigkeit,  welche  die  vorhin  bei  Stemspektren  angegebene  um 


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673 


das  10-  bis  20  fache  übersteigt  und  den  feinsten  Messungen  am  Sonnen- 
spektrum sehr  nahe  kommt  Dooh  dies,  was  wir  hier  eben  berichten, 
ist  noch  allemeuesten  Datums  und  befindet  sioh  augenblicklich  über- 
haupt erst  auf  dem  Potsdamer  Observatorium  in  Arbeit  Verfasser 
hofft  später  einmal  dem  Leser  über  die  Resultate  dieser  von  ihm 
unternommenen  Arbeit  ausführlicher  berichten  zu  können. 

Es  sind  auch  schon  anderwärts  photographische  Aufnahmen  von 
Sternspektren  bei  stärkerer  Zerstreuung  aufgenommen  worden  — 
allerdings  ist  man  dabei  noch  nicht  so  weit  gegangen  wie  in  Potsdam 
— bei  deren  Ausmessung  man  jedenfalls  schon  eine  sehr  bemerkens- 
werthe  Genauigkeit  erreicht  haben  würde;  es  ist  aber  über  die  Aus- 
messung solcher  Spektra  nooh  nichts  verlautet  Es  läfst  sich  bei 
dieser  Gelegenheit  eine  Bemerkung  schwer  unterdrücken  über  eine 
gewisse  Gefahr,  welche  die  Photographie  durch  ihre  Anwendung  in 
die  Astronomie  hineinbringt.  Es  kann  nicht  genug  betont  werden, 
dafs  es  nur  die  grofse  Exaktheit  und  die  strenge  Anwendung  der 
Mathematik  gewesen  ist  und  noch  ist  welche  die  Astronomie  auf  ihren 
erhabenen  Standpunkt  gebracht  hat  Die  blofse  Betrachtung  durchs  Fern- 
rohr hat  noch  niemals  viel  Nutzen  gebracht,  sondern  nur  die  Messung 
und  ihre  nachherige  rechnerische  Verwerthung.  Die  Freude  aber, 
man  möchte  sagen,  ein  gewisses  ästhetisches  Behagen,  welche  das 
Gelingen  einer  coelestischen  Photographie  gewährt,  und  gleichzeitig 
der  Gedanke,  dafs  eine  solche  Aufnahme  ja  späterhin  zu  jeder  Zeit 
eine  Ausmessung  erlaubt  verleitet  zu  dem  Streben,  immer  mehr  Auf- 
nahmen anzufertigen,  und  sich  mit  dem  Messen  nicht  zu  befassen.  Eine 
nicht  ausgemessene  Photographie  einer  Himmelsregion  hat  aber  meistens 
wissenschaftlich  keinen  gröfseren  Werth  als  ein  unabgelesener  Re- 
gistrirstreifen,  und  ein  derartiges  Verfahren  widerspricht  den  Grund- 
prinzipien der  Astronomie.  Es  mufs  wohl  bedacht  werden,  dafs  dio 
Anwendung  der  Photographie  in  der  Astronomie  auf  die  Dauer  nur 
dann  von  Nutzen  sein  kann,  wenn  sie  sich  mit  aller  Strenge  den 
konservativen  astronomischen  Anschauungen  über  Exaktheit  und 
mathematische  Forschung  unterwirft 

Doch  kehren  wir  von  dieser  Abschweifung  wieder  zu  unserm 
eigentlichen  Thema  zurück.  Besondere  Beachtung  verdienen  auch 
die  spektroskopischen  Durchmusterungsarbeiten  auf  photographischem 
Wege  mit  Hülfe  des  Objektivprismas,  die  auf  der  Harvard  College 
Sternwarte  in  Cambridge  U.  S.  ausgeführt  werden.  Man  kann  be- 
kanntlich von  Fixsternen  dadurch  Spektra  erzeugen,  dafs  man  vor 
dem  Objektive  eines  grofsen  Refraktors  ein  grofses  Prisma  mit  ge- 


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<>74 


ringem  brechendem  Winkel  anbringt;  alle  Sterne,  die  sonst  im  Ge- 
sichtsfelde als  Punkte  erscheinen,  stellen  sich  dann  in  ihre  Spektra 
ausgezogen  dar,  und  selbst  bei  recht  schwachen  Sternen  liifst  sich 
die  Natur  der  Spektra  noch  erkennen.  Zu  detaillirten  Untersuchungen 
sind  sie  indessen  ihrer  geringen  Dispersion  wegen  nicht  geeignet. 
Auf  der  genannten  Sternwarte  sind  nun  sehr  gut  gelungene  Versuche 
unter  Anwendung  der  Photographie  gemacht  worden;  man  erhält  auf 
der  Platte  bei  einer  einzigen  Aufnahme  in  sternreichen  Gegenden 
hunderte  von  Spektren  gleichzeitig  und  kann  die  letzteren  auch,  da 
sie  gleichzeitig  die  Sternkonstellation  getreu  wiedergeben,  leicht  mit 
den  betreffenden  Sternen  identifiziren.  Es  sind  auf  diese  Weise  schon 
viele  schwächere  Sterne  mit  interessanten  Spektren  aufgeftindeu  worden. 

Wir  haben  bis  hierher  dem  Leser  eine  Skizze  von  der  Bedeutung 
der  Photographie  in  der  Astronomie  vorgefuhrt  und  haben  auch  schon 
hie  und  da  Punkte  angedeutet,  bei  denen  die  Photographie  ohne 
wesentlichen  Nutzen  bei  ihrer  Anwendung  sein  würde.  Eis  ist  leicht 
zu  verstehen,  dafs  bei  der  aufserordeutlichen  Bedeutung  dieses  modernen 
Hülfsmittels  in  der  Astronomie,  diese  Bedeutung  denn  doch  zuweilen 
überschätzt  wird,  und  dafs.  wie  einerseits  noch  immer  Astronomen 
existiren,  die  sich  dieser  Bedeutung  gerne  verschliefsen  möchten,  es 
andererseits  nicht  an  Stimmen  fehlt,  die  in  der  entgegengesetzten 
Richtung  zu  weit  gehen  und  dann  erst  eine  goldene  Zukunft  der 
Astronomie  erwarten,  wenn  einmal  überall  die  Netzhaut  durch  die 
Bromsilbergelatineschicht  ersetzt  sein  wird. 

Wir  glauben  der  Bedeutung  der  photographischen  Methode  in 
der  Astronomie  keinen  Abbruch  zu  thun,  wenn  wir  nunmehr  zum 
Schlüsse  unter  der  Leitung  der  Wahrheitsliebe  noch  auf  diejenigen  Zweige 
der  Beobachtungskunst  kurz  eingehen,  auf  die  nach  dem  jetzigen 
Stande  der  Wissenschaft  die  Photographie  voraussichtlich  keinen  um- 
gestaltenden Einflufs  ausüben  wird. 

Es  ist  dies  zunächst  aus  dem  Gebiete  der  Mikrometermessungen 
das  wichtige  und  interessante  Kapitel  der  Doppelsteme.  Bei  dem  grofsen 
Durchmesser  der  Slernscheibchen  werden  engere  Doppelsterne  niemals 
genügend  scharf  von  einander  getrennt,  besonders,  wenn  die  beiden 
Componenteu  sehr  verschieden  an  Helligkeit  sind,  im  letzteren  Falle 
ist  die  Photographie  durchaus  unbrauchbar;  es  bleiben  also  nur  die 
Mikrometermessungen  bei  mittleren  und  weiten  Distanzen  für  die 
Photographie  offen. 

Wohl  für  immer  ausgeschlossen  wird  die  Photographie  bleiben 
von  den  sogenannten  Fundamentalbestimmungen  mit  Hülfe  der  Meridian- 


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Passagen-  und  Hüheninstrumente,  überhaupt  allgemein  ausgedrüekt  von 
allen  astronomischen  Messungen,  sofern  sie  nicht  Mikrometerbestim- 
mungen sind,  wobei  allerdings  in  letztere  Kategorie  dann  die  Zonen- 
beobachtungen mit  Meridianinstrumenten  einzuschliefsen  sind. 

Qewifs  wird  man  auch  hierbei  zum  Tlieil  das  Auge  ersetzen 
können,  indem  man  z.  H.  Kreiseinstellungen  erst  photographirt  und  dann 
später  abliest;  vielleicht  ist  es  auch  sogar  möglich  die  Auge-Ohr-Me- 
thode,  oder  das  elektrische  Registriren  von  Durchgängen  irgendwie 
auf  photographische  Weise  zu  ersetzen.  Zunächst  bliebe  es  hierbei 
noch  zweifelhaft,  ob  hiermit  ein  wirklicher  Vortheil,  ein  Zuwachs  von 
Genauigkeit,  verbunden  wäre,  aber  auch  wenn  dies  der  Fall  wäre, 
so  würde  hiermit  keine  wesentliche  Umgestaltung  der' astronomischen 
Methode  verbunden  sein.  Das  Meridianinstrument  bleibt  immer  noch 
Meridianinstrument  und  die  Fundamentalbestimmung  der  astronomischen 
Constanten  wird  ihrem  Wesen  nach  ungeändert  bleiben.') 

')  Im  ersten  Abschnitte  dieses  Artikels  ist  auf  Seite  263  ein  sinnstorender 
Druckfehler  stehen  geblieben.  Zeile  19  von  oben  mufs  es  statt  „links“  heifsen 
„rechts“,  und  Zeile  21  statt  „rechts“  „links“. 


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Die  norwegische  Nordmeer -Expedition. 

Von  Prof.  Dr.  H.  Mohn, 

Direktor  des  Norwegischen  Meteorologischen  Instituts  in  Christianiau  ) 

(Schlufs.) 

Wissenschaftliche  Ergebnisse  der  Expedition. 

•t'-'T’ 

ZA  jif  den  drei  Reisen  der  Nordmeer-Expedition  in  den  Jahren  1876, 
cfi^.  1877  und  1878  sind  im  ganzen  375  Lothungen,  119  Temperaiur- 
reihen  und  87  Würfe  mit  dem  Schleppnetz  oder  Travelnetz  aus- 
geführt worden.  Der  norwegische  Reichstag  hat  zu  diesen  Reisen  die 
schöne  Summe  von  251308  Kronen  (280000  Reichsmark)  bereitwilligst 
hergegeben. 

Der  Generalbericht  über  diese  norwegische  Nordmeer-Expedition 
fing  im  Jahre  1880  zu  erscheinen  an,  und  bis  jetzt  sind  18  Hefte  theils 
zoologischen,  thoils  geophvsischen  Inhalts  herausgekommen.  Von  den 
zoologischen  Abhandlungen  stehen  noch  mehrere  aus;  die  geophvsischen 
hingegen  sind  abgeschlossen.  Die  Titel  derselben  sind : 

H.  Tornöe:  „lieber  den  Luft-,  Kohlensäure-  und  Salzgehalt  des 

Meerwassers,“ 

I.  Schmelck:  „lieber  die  festen  Bestandteile  des  Seewassers." 

„lieber  die  Ablagerungen  des  Meerwassers.“ 

C.  Wille:  „Historischer  Bericht“  „Die  Apparate  und  deren 
Gebrauch.“  „Magnetische  Beobachtungen.“ 

H.  Mohn:  „Astronomische  Beobachtungen.-  „Geographie  und 

Naturgeschichte.“  „Meteorologie.“  „Die  Tiefe,  Temperatur 
und  Strömungen  des  Nordmeeres.“  „Das  Piezometer  als 
Tiefenmesser.“ 

Unter  Zugrundelegung  dieser  Resultate  der  norwegischen  Nord- 
meer-Expedition werde  ich  versuchen,  im  folgenden  eine  kurze  Schilde- 
rung der  physikalischen  A'erhiihnisse  unseres  Nordmeeres 
zu  geben. 

')  Aus  dem  norwegischen  Original-Manuskripte  übersetzt  von  F.  S 
Archonhold  und  revidirt  vom  Verfasser. 


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Der  Boden  des  Nordatlantischen  Meeres  erhebt  sich  aus  einer 
Tiefe  von  über  3000  Meter  hinauf  bis  zu  den  Bänken  westlich  von 
Irland,  Schottland  und  Färöer,  südlich  und  westlich  von  Island. 
Die  britischen  Inseln  liegen  sämtlich  auf  der  Bank,  die  den  Boden  der 
Nordsee  bildet  und  gegen  Westen  einen  jähen  Absturz  zeigt.  Zwischen 
der  südlichen  Farö-Bank  und  der  Nordsee-Bank,  im  Norden  der 
Hebriden,  im  Nordwesten  der  Orkney-Inseln,  giobt  es  einen  zu- 
sammenhängenden schmalen  Rücken,  Wy ville-Thomson-Rücken 
genannt,  der  in  einer  Tiefe  von  mehr  als  600  Meter  die  Tiefe  des 
nordatlantischen  Meeres  von  der  unseres  Nordmeeres  trennt.  Diese 
Trennung  setzt  sich  ohne  Unterbrechung  durch  tiefere  Stellen  über 
die  Farö-Bänke  und  weiter  gegen  Nordwest  über  Island  bis  Grön- 
land fort  Zwischen  der  Farö-Bank  und  Ost-Island  erhebt  sich 
ein  breiter  Rücken  in  ungefähr  450  Meter  Tiefe.  Sein  tiefster  Punkt 
liegt  507  Meter  unter  der  Oberfläche  in  der  Nähe  der  Farö-Bank. 
In  der  Dänemark-Strafse,  zwischen  Island  und  Grönland,  liegt 
auch  ein  Rücken  ungefähr  mitten  in  der  Strafse,  auf  66°  nördlicher 
Breite,  wo  die  Tiefe  nur  583  Meter  erreicht  Das  europäische  Nord- 
meer ist  sonach  unten  vollständig  von  der  Tiefe  des  atlanti- 
schen Meeres  abgeschlossen;  nur  in  den  obersten  600  Metern 
können  diese  Meere  ihre  Wassermassen  austauschen. 

Die  Nordsee  ist  im  ganzen  genommen  untief;  in  dem  südlichen 
Theil  beträgt  die  Tiefe  nur  ungefähr  40  Meter,  in  dem  nördlichen  100 
bis  200  Meter.  Längs  der  Westküste  Norwegens,  von  den  Bänken 
aufserhalb  der  Küste  von  Romsdal  an,  erstreckt  sich  eine  wohl  be- 
grenzte tiefere  Rinne  — die  norwegische  Rinne  — mit  ihrer 
innem  Böschung  immer  nahe  bei  der  norwegischen  Küste,  um 
Lindesnes  herum  in  das  Skagerak  hinein  bis  zur  schwedischen 
Küste.  Im  Skagerak  hat  sie,  aufserhalb  Arendal,  ihre  gröfste  Tiefe, 
810  Meter.  Ihre  flachste  Stelle,  250  Meter,  liegt  aufserhalb  Bömmelö. 

Zwischen  Shetland  und  Färöer  erstreckt  sich  die  Farö-Shetland- 
Rinne  gegen  Südwest  von  der  Tiefe  des  Nordmeers.  Der  Boden  der 
Rinne  liegt  1100  Meter  tief.  Sie  wird  gegen  Siidwest  von  dem  Wyville- 
Thomson-Rücken  begrenzt. 

Die  Tiefe  des  Nordmeers  ist  durch  den  von  Jan-Mayen  aus 
gegen  Ost-Nord-Ost  in  der  Richtung  von  Beeren-Eiland  gehenden  unter- 
seeischen Rücken,  den  ich  Querrücken  genannt  habe,  in  zwei  Becken 
getheilL  Die  tiefsten  Stellen  des  Rückens  liegen  2380  Meter  unter  der 
Meeresfläche.  Das  südliche  Becken  entspricht  am  meisten  dem  norwe- 
gischen Meer.  Seine  tiefste  Partie  — die  norwegische  Tiefe  — 


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liegt  westlich  von  Norwegen,  nordöstlich  von  Island  und  südöstlich 
von  Jan-Mayen.  Ihre  Tiefe  beträgt  3667  Meter.  Die  Axe  der  Tiefe 
geht  hier  südnördlich;  aber  zwischen  Jan-Mayen  und  Lofoten-Ves- 
teraalen  erstreckt  sich  ihre  unmittelbare  Fortsetzung  gegen  Osten  in 
einer  Tiefe  von  2900  bis  3300  Meter.  Diesen  Theil  nenne  ich  die 
Lofoten-Tiefe.  In  dem  Winkel  zwischen  der  Lofoten-Tiefe  und 
der  norwegischen  Tiefe  schiefst  die  Fortsetzung  der  norwegischen 
Küstenbänke  nach  der  Tiefe  zu  wie  eine  Bastion  ab.  Gegen  Westen  steht 
das  grönländischeMeer  durch  die  Jan-Mayen-Rinne,  in  2000  Meter 
Tiefe,  in  direkter  Verbindung  mit  der  norwegischen  Tiefe. 

Nördlich  des  Querrückens  senkt  sich  die  gröfste  Tiefe  des 
grönländischen  Meeres,  westlich  von  Spitzbergen,  über  4850  Meter 
welche  Tiefe  von  der  schwedischen  Expedition  auf  „Sofia“'  im 
Jahre  1868  gelothet  worden  ist  Ich  nenne  sie  die  schwedische 
Tiefe.  Der  westliche  Theil  ist  noch  gänzlich  unbekannt,  da  das  Meer 
hier  vom  Gröndlandeis  bedeckt  ist,  das  in  diesen  hohen  Breiten  noch 
von  keiner  Tiefsee-Expedition  durchsegelt  ist.  Nordnordwestlich  von 
Jan-Mayen  zeigt  das  grönländischeMeer  eine  Tiefe  von  2600  Meter, 
eine  Partie,  die  ich  nach  der  deutschen  Nordfahrt  von  1869 — 1870, 
welche  hier  gelothet  hat,  die  deutsche  Tiefe  nenne;  sie  setzt  sich 
theils  in  die  Dänemark -Strafse,  theils  in  die  Jan-Mayen- 
Uinne  fort. 

Oestlich  von  der  Linie  Westspitzbergen-Vesteraalen  nähert 
sich  der  Meeresgrund  im  Barentz-Meer  auf  einige  hundert  Meter  der 
Oberfläche.  Dies  Meer  ist  verhältnifsmäfsig  untief,  etwa  200 — 400  Meter. 
Von  der  murmanischen  Küste  bis  nach  Novaja-Semlja  hält  sich  die 
Tiefe  unter  200  Meter.  Von  Ostspitzbergen  erstreckt  sich  die 
Beeren  - Eiland-Bank  mit  ihren  ausgedehnten,  untiefen  Flächen 
südwärts  bis  ein  wenig  südlich  von  dieser  Insel. 

Der  Abfall  des  Bodens  verläuft  von  der  Küste  aus  gegen  die 
Tiefe  hin  in  der  Kegel  nicht  gleichmäfsig.  Das  erste  Stück  aufser- 
halb  der  Küste  wird  im  allgemeinen  von  einer  schwach  absteigenden, 
verhältnifsmäfsig  ebenen  Fläche,  der  Küstenbank,  gebildet,  welche 
in  greiserem  oder  kleinerem  Abstande  vom  Lande,  in  einer  gröfseren 
oder  kleineren  Tiefe  vermittelst  einer  Schneide  in  stärkere  Senkung 
übergeht.  Eine  bemerkenswerthe  Schneide  (Egge)  ist  in  Norwegen 
die  grofso  Schneide  (Storeggen)  aufserhalb  der  Küste  von 
Komsdal,  wo  der  Boden  sich  in  einer  kurzen  Strecke  von  200  auf 
1000  Meter  senkt  und  in  noch  höherem  Mafse  die  Vesteraalen- 
schneide,  wo  der  Boden  von  200  auf  3000  Meter  in  die  Lofoten- 


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liefe  hinabschiefst.  Zwischen  diesen  Stellen  geht  die  400 -Meter- 
Linie  außerhalb  der  Küste  Norwegens  weit  in  das  Meer  hinein  und 
die  Schneide  ist  nicht  sehr  scharfkantig.  In  ähnlicher  Weise  haben 
Shetland,  Färöer,  Island,  Jan-Mayen,  Grönland  und  West- 
spitzbergen ihre  Bänke  mit  mehr  oder  weniger  ausgeprägten  Schneiden 
als  Begrenzung.  An  der  Küste  von  Finnmarken  sinkt  der  Boden 
schnell  bis  zu  200  Meter,  aber  aufserhalb  bildet  der  Meeresboden  eine 
ausgedehnte  Ebene  mit  nur  schwacher  Wellenform. 

Die  Temperatur  des  Xordmeeres.  Seitdem  ich  im  Jahre 
1869  zum  ersten  Mal  eine  kartographische  Darstellung  der  Temperatur 
der  Oberfläche  unseres  Nordmeeres  gegeben  habe,  habe  ich  stetig 
gesucht,  diese  Karten  zu  verbessern.  In  diesen  ist  die  Vertheilung  der 
Temperatur  dargestellt  durch  Jsothermen  für  jeden  Grad  Celsius. 
Diese  Jsothermen  zeigen  durchgehends  starke  Biegungen,  sie  bilden 
zungenförmige  Linien.  Aus  der  Richtung  dieser  Zungen  oder  deren 
Axen  kann  man  auf  die  Richtung  und  Beschaffenheit  der  Strömungen, 
welche  ihre  Ursache  sind,  schliefsen.  Es  giebt  zwei  Arten  von  Zungen, 
Wärmezungen  und  Kältezungen.  Beiden  Wärmezungen  sind  die 
Wurzeln  wärmer  als  die  Spitzen,  bei  den  Kältezungen  sind  die  Wurzeln 
kälter  als  die  Spitzen.  Die  Karten  zeigen  nun,  dafs  die  Wärmezungen 
ihre  Wurzeln  in  dem  atlantischen  Meere  haben,  die  Kältezungen  die 
ihrigen  in  dem  von  Eis  starrenden  Grönlandsmeer  oder  in  dem  Eismeer 
östlich  von  Spitzbergen.  Eine  Wärmeaxe  geht  mit  ihren  Wärmezungen 
von  Shetland  nördlich  aufserhalb  der  Küste  N orwegens  und  sendet 
einen  Arm  östlich  in  das  Barentz-Moer  längs  der  Küste  Finnmarken s 
und  einen  anderen  Arm  nördlich  bis  zu  Spitzbergens  Westküste 
und  Nordküste.  Eine  Kiilteaxe  kommt  mit  ihren  Kältezungen  von 
Ostspitzbergen,  eine  andere  aus  dom  Grönlandmeer  östlich 
von  Jan-Mayen  und  eine  dritte  aus  demselben  Meer  südlich  längs 
der  Ostkiiste  Islands.  Im  August  ist  die  Wärmeaxe  sozusagen 
auf  die  Westküste  Norwegens  geworfen,  so  dafs  nur  die  westlichen 
Hälften  der  Zungen  auf  dein  Meere  zu  sehen  sind ; sonst  pafst  die  Be- 
schreibung auf  alle  Jahreszeiten.  Im  Meere  östlich  von  Spitzbergen 
und  im  westlichen  Theile  des  grönländischen  Meeres  zeigt  das  Thermo- 
meter immer  Kältegrade.  Bei  Shetland  beträgt  die  Temperatur  der 
Oberfläche  7°  im  März,  13°  im  August  und  10"  im  Durchschnitt 
während  des  ganzen  Jahres.  In  unserem  Nordmeer  liegt  sie  zwischen 
den  soeben  angegebenen  Grenzen.  Die  jährliche  Variation  der  Temperatur 
der  Oberfläche  ist  am  gröfsten  an  den  Küsten,  am  geringsten  draufson 
im  Meere.  Im  Skagerak  geht  sio  bis  über  lu°,  an  der  Westkiisto 


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Norwegens  bis  11°,  draufsen  in  dem  norwegischen  Meere  bis  5°. 
Im  grönländischen  Meer  und  östlich  von  Spitzbergen,  wo  es  stets 
Treibeis  giebt,  beträgt  die  jährliche  Variation  nur  1° — 2°,  während 
die  Meerestemperatur  selbst  sich  zwischen  0°,  dem  Schmelzpunkt  des 
Eises  und  — 2°,  dem  Oefrierpunkt  des  Meerwassers  hält. 


Karte  der  Isothermen  des  Nordmeeres. 


Die  Temperatur  des  Meeres  in  der  Tiefe.  In  grofsen  Zügen 
läfst  sich  die  eigenthümliche  Vertheilung  der  Temperatur  in  unserm 
Xordmeer  wie  folgt  beschreiben.  Im  nordatlantischen  Meere  trifft  man 
überall  Wärmegrade  von  der  Oberfläche  bis  zum  Boden.  Die 
Temperatur  ist  am  höchsten  an  der  Oberfläche,  am  niedrigsten  am 
Boden.  Sie  nimmt  am  schnellsten  mit  der  Tiefe  ab  in  den  oberen 
Schichten,  am  langsamsten  in  den  allertiefsten.  Im  Nordmeer  nimmt 
die  Temperatur  in  gleicher  Weise  mit  der  Tiefe  ab,  aber  mit  dem  grofsen 


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Unterschied,  dafs  das  Wasser  im  Nordmeer  in  den  tieferen  Schichten 
unter  einer  gewissen  Grenze  eiskalt  ist  und  zwar  unter  0°.  Zwischen 
den  Wärmegraden  des  atlantischen  Meeres  und  den  Kältegraden  des 
Nordmeeres  in  der  Tiefe  ist  eine  bestimmte  Grenze  gesetzt.  Das  ist 
der  zusammenhängende  unterseeische  Rücken,  der  ohne  Unterbrechung 
die  Nordseebänke  mit  Grönland  verbindet  und  auf  welchem  die 
älteren  und  jüngeren  vulkanischen  Bergmassen  von  Färöer  und  Island 
ruhen.  An  der  Oberfläche  erstreckt  sich  das  warme  Wasser  in 
dem  südlichen  Theil  des  Nordmeeres  von  der  Dänemarkstrafse  bis  Nor- 
wegen, aber  weiter  gegen  Norden  wird  seine  Ausdehnung  von  Westen 
nach  Osten  kleiner,  indem  das  eiskalte  Wasser  des  grönländischen 
Meeres  sich  weiter  ausdehnt.  Auf  dem  70.  Breitengrade  reicht  das 
warme  Wasser  an  der  Oberfläche  kaum  bis  Jan-Mayen  und  west- 
lich von  Spitzbergen  ist  es  noch  weniger  vertreten.  Auf  der  öst- 
lichen Seite  dagegen  reicht  das  warme  Wasser  bis  Norwegen,  bis 
weit  hinein  in  das  Barentz-Meer,  ungefähr  bis  Novaja  Semlja  und 
bis  zu  Spitzbergens  Westküste.  Gegen  Norden  reicht  es  bis  zum 
81.  Breitengrade  westlich  von  Spitzbergen  und  bis  zum  76.  Breitengrade 
im  Barentz-Meer.  In  der  Tiefe  wird  das  Areal,  welches  das  warme 
Wasser  einnimmt,  wenn  man  weiter  nördlich  kommt,  nach  und  nach 
oingesohränkt,  namentlich  auf  der  westlichen  oder  Grönlandsseite.  Die 
Fläche,  welche  im  Nordmeer  die  Grenze  zwischen  dem  warmen  und 
dem  eiskalten  Wasser  bildet,  — die  isothermo  Fläche  für  0°  — 
liegt  bei  weitem  nicht  überall  in  derselben  Tiefe.  Im  grönländischen 
Meer  erreicht  sie  die  Oberfläche.  An  der  Küste  von  Norwegen  und 
Spitzbergen  liegt  die  isotherme  Fläche  zumeist  etwas  höher  als  draufsen 
in  der  Mitte  des  Meeres,  da  hier  das  kalte  Bodenwasser  über  die 
äufseren  Abhänge  der  Bänke  hinaufgesaugt  wird.  Draufsen  im  Meere 
liegt  sie  nicht  am  tiefsten  im  südliohen  Theile  desselben.  Im  Gegen- 
theil.  In  der  Farö-Shetland-Rinne,  welche  1200  Meter  tief  ist, 
findet  sich  eiskaltes  Wasser  schon  in  einer  Tiefe  von  600  Metern  und 
es  drängt  sich  herauf  bis  zum  Wyville-Thomson-Rücken,  ja  über- 
schreitet diesen  möglicherweise  an  einer  einzelnen  Stelle,  aber  in  einer 
so  dünnen  Schicht,  dafs  sich  dieselbe  bald  in  dem  warmen  Wasser  des 
atlantischen  Meeres  verliert  Weiter  nördlich  im  Meere  liegt  0°  tiefer 
bis  zum  70.  Breitengrade,  wo  das  warme  Wasser  ganz  bis  zu  1200  Meter 
hinuntergeht;  alsdann  aberhebt  sich  dieGrenzscheidebis  zum  80. Breiten- 
grade, aufserhalb  Spitzbergens,  wo  sie  doch  noch  ganze  800  Meter  tief 
liegt.  Drinnen  an  den  Küstenbänken  Norwegens  und  Spitzbergens 
senkt  sich  die  Nullgradslinie  zuerst  bis  800  Meter  unter  dem  64.  Breiten- 


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grade,  hebt  sich  alsdann  bis  640  Meter  aufserhalb  Helgeland,  senkt 
sich  wieder  bis  1020  Meter  unter  dem  70.  Breitengrade,  steigt  von  hier 
bis  660  Meter  unter  dem  74.  Breitengrade  und  senkt  sich  wieder  bis 
900  Meter  unter  dem  78.  Breitengrade  aufserhalb  Spitzbergens.  Hier 
liegt  sie  auf  dem  80.  Breitengrade  noch  700  Meter  tief.  Xoch  stärkere 
Biegungen,  auf  ungefähr  denselben  Breitengraden,  zeigt  die  Isotherme 
für  — 1 °.  In  der  oberen  warmen  Schicht  senken  sich  die  Isothermen 
von  West  gegen  Ost  in  der  Richtung  der  Westküste  Norwegens  und 
Spitzbergens.  Doch  sind  die  Verhältnisse  nahe  an  der  Küste  etwas 
andere,  indem  liier  eine  Abkühlung  vom  Lande  aus  eintritt.  Die  gröfste 
Wärmemenge  hat  sich  also  in  den  oberen  Schichten  aufserhalb  dieser 
Küsten  angesammelt.  Das  untiefe  Barentz-M eer  hat  auf  dem  Boden 
noch  Wärmegrade  bis  zu  einer  Linie,  die  im  grofsen  genommen  von 
Südspitzbergen  bis  zum  weifsen  Meere  geht 

Der  gröfste  Theil  der  Tiefe  des  Nordmeeres  ist  also  mit  eiskaltem 
Wasser  angefüllt.  Die  niedrigste  Temperatur  desselben  geht  jedoch 
nicht  bis  zum  Gefrierpunkt  des  Meerwassers,  bis  — 2°,  hinab,  sondern 
allerhöchstens  bis  — 1°,7>  nämlich  nördlich  von  Jan -Mayen.  Die 
norwegische  Tiefe  ist  etwas  weniger  kalt  als  die  schwedische. 
Das  grönländische  Meer  ist  von  der  Oberfläche  bis  zum  Boden 
kalt,  ebenso  der  nördliche  Theil  des  Barentz-Meeres.  Merkwürdig  ist 
eine  Meeresbodenstrecke  zwischen  Jan-Mayen  und  Norwegen,  wo  die 
Temperatur  — 1°,2  beträgt,  während  sie  rund  herum  niedriger  ist, 
— und  eine  kalte  Gegend  östlich  von  der  Jan-May en-R inne, 
wo  die  Temperatur  sogar  — 1°,3  beträgt,  während  sie  noch  weiter 
südlich,  gegen  die  Farö  - Shetland-Rinne  hin,  bis  — 1°,  1 steigt. 
Diese  Vertheilung  der  Bodentemperatur  entspricht  dem  merkwürdigen 
Befund  unseres  Chemikers,  II.  Tornöes,  dafs  das  Meerwassor  gerade  an 
den  relativ  wärmer  bezeichnten  Stellen  am  Boden  einen  geringeren  Luft- 
gehalt und  gröfseren  Salzgehalt,  also  einen  mehr  atlantischen  Charakter 
hat  als  an  den  relativ  kälter  bozeichneten  Stellen,  wo  der  Luftgehalt 
ein  gröfserer  und  der  Salzgehalt  ein  geringerer  ist,  und  so  das  Wasser 
eine  mehr  polare  Beschaffenheit  zeigt.  Alles  dieses  entspricht  den 
Biegungen,  die  die  isotherme  Fläche  für  — 1°  zeigt  Wo  die  isotherme 
Fläche  sich  hinunterbiegt,  hut  das  Meerwasser  ein  Maximum  dor  Tem- 
peratur und  des  Salzgehaltes  und  ein  Minimum  des  Luftgehaltes  (die 
Luft  ist  nach  Tornöe  bei  einer  höheren  Temperatur  an  der  Oberfläche 
von  dem  Meereswasser  aufgenoinmon) ; w'o  sie  sich  hinaufbiegt,  hat  es 
ein  Minimum  der  Temperatur  und  des  Salzgehaltes  und  ein  Maximum 
des  Luftgehaltes.  Hierdurch  werden  niedergehende  Strömungen  von 


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warmem  (atlantischem)  und  aufsteigende  Strömungen  von  kaltem 
(polarem)  Wasser  angedeutet. 

Die  Bänke  um  Island  und  Färöer  herum,  die  Nordseebänke, 
die  Küstenbänke  Norwegens,  der  südliche  und  westliche  Theil  des 
Barentz-Meeres,  die  Bänke  Westspitzbergens  bis  zum  81.  Breitengrade 
und  vielleicht  ein  kleiner  Theil  der  Bänke  von  Jan -Mayen,  südlich 
der  Insel,  — sind  von  warmem  Wasser  bedeckt. 

Die  auf  den  norwegischen  Bänken  und  in  den  norwegischen 
Fjorden  gemachten  Beobachtungen  sind  von  besonderem  Interesse. 
Die  Bänke  schrägen  sich  von  der  Küste  langsam  nach  aus- 
wärts ab,  um  alsdann  aufserhalb  der  Schneiden  sich  rascher  nach 
der  Meerestiefe  zu  senken.  Sie  bilden  also  einen  W all  zwischen 
der  Küste  und  der  Meorestiefe,  aber  dieser  Wall  lehnt  sich  direkt  an 
die  Küste  an  ohne  eine  dazwischenliegende  zusammenhängende  Rinne. 
Am  innem  Theil  der  Bänke  finden  sich  stellenweise  gröfsere  oder  klei- 
nere abgeschlossene  Vertiefungen.  Die  Fjorden  bilden  zumeist  ähnliche 
Vertiefungen,  indem  ihre  Böden  gewöhnlich  tiefer,  theilweise  sogar 
mehrere  Hundert  Meter  tiefer  liegen  als  die  Oberfläche  der  Bänke. 
Der  Sognefjord  ist  z.  B.  1200  Meter  tief,  während  die  Bank  an  seiner 
Mündung  nur  400  Meter  tief  ist.  Das  Allermerkwürdigste  ist,  dafs 
keines  der  Tiefbassins,  die  sioh  in  den  Fjorden  oder  auf  den  Bänken 
befinden,  seine  Ausmündung  durch  die  Bänke  zu  den  Meerestiefen  hat. 
Der  Wall  der  Bänke  ist  immer  ohne  Unterbrechung.  Der- 
selbe hält  dergestalt  das  eiskalte  Wasser  von  unsern  Küsten  ab  und 
hindert  es,  in  die  Tiefen  unserer  Fjorde  zu  dringen.  Ueberall  auf 
den  Bänken  und  in  den  Fjorden  hat  das  Wasser  Wärmegrade.  Auf  den 
Bänken  beträgt  die  Temperatur  von  7°  ausserhalb  der  Küste  Romsdals, 
bis  4°  aufserhalb  der  Küste  Finnmarkens.  In  den  Tiefbassins  ist  die 
Temperatur  in  der  Tiefe  von  7°, 2 im  Foldenfjord,  bis  3°, 4 im 
Saltenfjord.  Der  Sognefjord  und  Wrestfjord  haben  6°, 5 in 
der  Tiefe. 

Vergleichen  wir  die  Temperatur  in  den  Tiefbassins  mit  der 
mittleren  Jahrestemperatur  der  Luft,  so  finden  wir,  dafs  es  in  der 
Tiefe  am  wärmsten  ist,  ausgenommen  in  dem  der  Winterkälte  des 
Landes  mehr  ausgesetzten  Skagerak.  Vergleichen  wir  die  Tiefen- 
temperatur mit  der  mittleren  Wintertemperatur  der  Luft,  so  finden  wir, 
dafs  die  Tiefentemperatur  überall  mehrero  Grade  höher  ist,  von  5° 
im  Skagerak  bis  zu  11°  höher  im  Altenfjord.  Und  stellen  wir 
hiernach  die  Temperatur  der  Meeresoberfläche  mit  der  der  Luft  zu- 
sammen, so  finden  wir,  dafs  im  Durchschnitt  für  das  ganze  Jahr  dio 

Himmel  und  Erde.  1.  12.  40 


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Temperatur  des  Meeres  2°  höher  ist,  als  die  der  Luft.  Es  sind  nur 
ein  paar  Sommermonate,  in  denen  die  Luft  wärmer  ist.  Im  Januar 
ist  die  Meeresoberfläche  überall  wärmer  als  die  Luft  und  zwar  mit 
einem  Ueberschufs  von  3°  an  der  Skagerakküste  und  von  ganzen 
7°  am  Nordkap.  Aus  allen  diesen  Vergleichungen  können  wir  den 
Schlufs  ziehen,  dafs  es  das  Meerwasser  ist,  welches  Wärme  an  die 
Luft  abgiebt  und  dafs  das  Meer  seine  Wärmegrade  an  anderen  Stellen 
erhalten  haben  mufs,  wo  die  Luft  wärmer  ist.  Dieses  deutet  un- 
widerstehlich darauf  hin,  die  Wärmequelle  in  südlicheren  Gegenden 
zu  suchen,  aus  denen  das  Wasser  auf  unsere  Bänke  und  in  unsere 
Fjorde  durch  Strömungen  hergeführt  ist  — ebenso  wie  die  Zungen- 
form der  Isothermen  der  Oberfläche  hierauf  hindeutet. 

In  vollkommener  Uebereinstimmung  hiermit  steht  auch  die  von 
Tornöe  dargestellte  Vertheil ung  des  Salzgehaltes  des  Meerwassers. 
Je  näher  dem  atlantischen  Meere,  um  so  gröfser  ist  der  Salzgehalt 
und  um  so  geringer,  je  näher  dem  eiserfiillten  Polarmeer  und  den 
niederschlagsreichen  Küsten. 

Der  Wechsel  der  Temperatur  im  Nordmeer  im  Laufe  eines 
Jahres  ist  ganz  eigenthümlich.  Im  Sommer  ist  überall  im  Nordmeer 
die  Oberfläche  am  wärmsten,  aber  im  März  wird  die  Oberfläche 
überall  kälter  als  das  Wrasser  in  200  Meter  Tiefe.  Wir  müssen 
ganz  hinunter  bis  nach  Shetland  gehen,  um  die  Oberfläche  in  dieser 
Jahreszeit  ebenso  warm  zu  finden  wie  die  tieferen  Schichten.  Die 
höchste  Temperatur  während  des  Winters  findet  sich  im  Nordmeer 
gleichfalls  in  ungefähr  200  Meter  Tiefe.  In  grösseren  Tiefen  nimmt 
die  Temperatur  zu  jeder  Jahreszeit  mit  der  Tiefe  ab  und  ihre  jähr- 
liche Veränderung  ist  unmerklich.  Der  Gegensatz  zwischen  der 
niedrigen  Temperatur  der  Oberfläche  und  der  höheren  der  unteren 
Schichten  im  Winter  ist  an  den  Küsten  und  an  der  Eisgrenze  am 
stärksten.  Dieses  zeigt  auch  die  L’rsache  an.  Sie  geht  vom  Lande 
oder  von  der  in  meteorologischer  Hinsicht  damit  äquivalenten  festen 
Eisdecke  aus.  Es  sind  die  im  Winter  hier  herrschenden  kalten  Land- 
winde, dio  ihre  Kälte  durch  die  starke  Ausstrahlung  des  Erdbodens  oder 
der  Eisflächen  in  den  langen  Winternächten  erhalten  haben,  welche 
dio  Oberfläohe  des  Meeres  abkühlen.  Ihre  Wirkung  ist  am  stärksten 
in  der  Niiho  des  Landes  und  wird  weiter  ab  vom  Lande,  wo  die  Luft 
auf  ihrem  Wege  über  dem  wärmeren  Meere  erwärmt  wird,  schwächer. 
Die  warme  Meeresströmung,  die  sich  in  dem  norwegischen  Meere 
nordwärts  bewegt,  wird  im  Winter  an  der  Oberfläche  von  der  kalten 
Luft  abgekühlt,  so  dafs  ihre  wärmsten  Theile  in  200  Meter  Tiefe 


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liegen.  Es  sieht  so  aus,  als  ob  der  warme  Strom  unter  die  Oberfläche 
taucht,  aber  dies  ist  Täuschung.  Man  braucht  nicht  gleich  einen 
„Polarstrom“  anzunehmen,  wenn  man  an  der  Oberfläche  kälteres  Wasser 
als  in  der  Tiefe  findet. 

Die  Landkälte  erklärt  Alles.  Sie  ist  auch  die  Ursache  des 
hohen  Luftdrucks  über  dem  Lande  und  dadurch  die  der  Richtung 
der  herrschenden  Winde.  In  dieser  Beziehung  ist  das  Land  dem 
Meere  überlegen. 

In  der  Nähe  des  Landes,  auf  den  Bänken  und  in  den  Fjorden, 
und  da,  wo  das  Polareis  während  des  Sommers  verschwindet,  zeigt 
sich  durchgehende  die  Wirkung  der  Landkälte  während  des  Winters 
in  einem  Minimum  der  Temperatur  in  einer  gewissen  Tiefe  zwischen 
der  Oberfläche  und  der  200  Meter-Tiefe,  das  auch  im  Sommer  zu  er- 
kennen ist  und  noch  nicht  überall  im  Horbst  verschwunden  ist. 

Die  eigenthümliche  Vertheilung  der  Temperatur  und  des  Salz- 
gehaltes im  Nordmoer  beruht,  aufser  auf  den  klimatischen  Verhältnissen, 
auf  der  Lufttemperatur  und  den  Niederschlägen,  am  meisten  jedoch  auf 
den  Strömungen,  die  im  Meere  stattfinden.  Das  Wesen  dieser  Strö- 
mungen habe  ich  nach  einer  Methode  zu  erforschen  gesucht,  die  im 
wesentlichen  dieselbe  ist  wie  die,  welche  wir  in  der  Meteorologie 
an  wenden,  um  die  Richtung  und  Stärke  der  Winde  zu  studiren. 
Ebenso  wie  die  Bewegungen  in  der  Atmosphäre  von  der  verschiedenen 
Gröfse  des  Luftdruckes  an  verschiedenen  Stellen  abhängig  sind,  so  sind 
die  Bewegungen  des  Meerwassers  bedingt  durch  den  Unterschied  des 
Wasserdruckes  in  einer  und  derselben  Horizontalen  oder,  wie  man  sie 
nennen  kann,  Niveaufläche. 

Die  Bewegungen  des  Meerwassers  werden  hervorgebracht  und 
unterhalten  hauptsächlich  von  zwei  Faktoren,  nämlich  den  herrschen- 
den Winden  und  den  Ungleichheiten  in  der  Dichtigkeit  des  Meerwassers. 

Um  die  Richtung  und  Stärke  der  herrschenden  Winde  zu  finden, 
wie  sie  für  das  ganze  Jahr  im  Durchschnitt  auftreten,  habe  ich  zu- 
nächst nach  den  Barometerbeobachtungen  im  Nordmeer  und  denen 
der  umliegenden  Länder  die  Vertheilung  des  Luftdruckes  über  dem 
Nordmeer  berechnet  und  hieraus  die  entsprechende  Richtung  und  Ge- 
schwindigkeit der  Winde.  Es  liegt  ein  Minimum  dos  Luftdruckes  im  Süd- 
westen von  Island  und  ein  anderes  schwächeres  Minimum  erstrockt 
sich  über  das  norwegische  Meer  von  Ost-Island  bis  hin  nach  dem 
Nordkap.  Um  diese  Minima  kreisen  die  herrschenden  Winde  in 
umgekehrter  Richtung  des  Ganges  der  Zeiger  einer  Uhr.  So  gehen 

4!>‘ 


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die  südwestlichen  Winde  westlich  von  Norwegen,  die  nordöst- 
lichen östlich  von  Grönland. 

Diese  Winde  treiben  das  Wasser  der  Meeresoberfläche  mit  sich 
und  halten  es  in  Bewegung,  und  diese  Bewegung  theilt  sich  den 
tiefer  liegenden  Schichten  mit  Die  Richtung  der  Bewegung  wird 
immer  durch  die  Form  des  Festlandes,  der  Küsten  und  des  Meeres- 
bodens und  deren  Lago  in  Bezug  auf  die  Richtung  der  herrschenden 
Winde,  modificirt.  Das  Resultat  ist  eine  kreisende  Bewegung,  die  das 
Wasser  nördlich  längs  der  Westküste  Norwegens  und  südlich  längs 
der  Ostküste  Grönlands  fuhrt. 

Die  Geschwindigkeit,  welche  die  herrschenden  Winde  der  Meeres- 
oberfläche zu  geben  vermögen,  habe  ich  aus  britischen  Schiflsbeob- 
achtungen  der  Windstärke  und  Stromgeschwindigkeit  in  dem  aequatorialen 
atlantischen  Meer  und  aus  Sir  Leopold  M’Clintocks  Treiben  mit 
der  „Fox“  im  Polareis  der  Baffins-Bai  zu  berechnen  versucht 

Auf  diese  Weise  konnte  ich  aus  den  herrschenden  WTinden  die 
daraus  folgenden  wahrscheinlichen  Strömungen  ableiten  und  eine  Karte 
derselben  entwerfen,  die  für  jede  Stelle  im  Nordmeer  die  Richtung 
und  Geschwindigkeit  der  Strömungen  angiebt 

Aber  diese  Karte  konnte  gleichzeitig  etwas  anderes  ausweisen, 
nämlich  die  von  der  Niveaufläche  abweichende  Form,  welche  die 
Oberfläche  des  Meeres  während  der  Bewegung  annehmen  mufs.  Eine 
Niveaufläche  ist  eine  Fläche,  die  in  jedem  Punkte  auf  der  Richtung 
der  Schwerkraft  senkrecht  steht  Wenn  das  Meer  in  Ruhe  wäre,  so 
würde  seine  Oberfläche  eine  Niveaufläche  bilden.  Aber  sobald  es  in 
Bewegung  ist,  entstehen  auf  Grund  der  Trägheit  des  Wassers  Kräfte, 
die  der  Oberfläche  eine  von  der  Niveaufläche  abweichende  Form  zu 
geben  bestrebt  sind.  Solche  Kräfte  sind  die  sogenannte  Centrifugal- 
kraft  und  die  auf  der  Umdrehung  der  Erde  um  ihre  Axe  beruhende 
Kraft,  die  auf  der  nördlichen  Halbkugel  immer  bestrebt  ist,  einen  auf 
der  Erdoberfläche  bewegten  Körper  nach  rechts  zu  treiben.  In  unserm 
Nordmeer  wirken  diese  beiden  Kräfte  von  der  Mitte  des  Meeres  nach 
aufsen  gegen  die  Küsten  und  stauen  das  Wasser  gegen  diese  auf, 
so  dafs  es  hier  höher  steht  in  Bezug  auf  die  Niveaufläche  als  in  der 
Mitte  des  Meeres.  Die  Oberfläche  des  Meeres  wird  so  gewissertnafsen 
hohl.  Es  ist  dasselbe  Phänomen  wie  das,  welches  man  beobachten 
kann,  wenn  man  das  Wasser  in  einem  runden  Kübel  herumdreht. 
In  letzterem  Falle  ist  es  die  Centrifugalkraft,  welche  wirkt;  im  Nord- 
meer ist  es  hauptsächlich  die  Erdrotationskraft.  Die  Wirkung  der 
herrschenden  Winde  verbindet  sich  also  mit  der  Umdrehung  der  Erde 


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um  ihre  Axo,  um  eine  Oborfläche  zu  gestalten  und  zu  erhalten,  die 
sich  von  der  Mitte  des  Meeres  aus  gegen  die  Ufer  hin  mehr  und  mehr 
über  die  Niveaufläche  erhebt,  welche  durch  deren  tiefste  Punkte  geht. 
Diese  Fläche  nenne  ich  die  Windfläche;  sie  kann  dargestellt  werden 
mit  Hülfe  von  Linien,  die  als  Linien  gleicher  Höhen  auf  einer  Karte 
durch  die  Punkte  gezogen  sind,  welche  dieselbe  Höhe  über  derselben 
Niveaufläche  haben.  Diese  Linien  geben  die  Richtung  der  Strömung 
an,  und  je  dichter  sie  liegen,  desto  gröfser  ist  die  Geschwindigkeit 
der  Strömung. 

All  das  Süfswasser,  das  als  Niederschlag  oder  durch  die  Flüsse 
und  Gletscher  ins  Meer  dringt,  legt  sich  über  das  salzige  Meerwasser 
und  erhöbt  so  die  Oberfläche.  Da  der  Niederschlag  an  don  Küsten 
grösfer  ist  als  draufeen  im  Meere,  so  arbeiten  alle  droi  genannten 
Faktoren  daran,  das  Niveau  des  Meeres  an  den  Küsten  zu  erhöhen. 
Hier  haben  wir  aber  noch  eine  Ursache,  die  die  Meeresoberfläche  in 
Hezug  auf  die  Niveaulläche  hohl  macht.  Die  durch  das  Süfswasser 
hervorgerufene  Oberfläche  nenne  ich  die  Dichtigkeitsfläche.  Sie 
ist  berechnet  nach  der  Vertheilung  der  ungleichen  Dichtigkeit  des 
Meerwassers,  die,  wie  die  Beobachtungen  zeigen,  an  den  Küsten  am 
geringsten  ist.  Auch  aus  dieser  hohlen  Meeresfläche  folgt  eine  ent- 
sprechende kreisende  Bewegung,  die  in  derselben  Richtung  vor  sich 
gehen  mufs,  wie  die,  welche  der  Windfläche  zugehört. 

Vereinigen  wir  nun  die  Windfläche  und  die  Dichtigkeits- 
fläche zu  einer  einzigen,  indem  wir  in  jedem  Punkt  deren  respective 
Höhen  über  der  Niveaufläche  addiren,  so  erhalten  wir  eine  neue  Fläche, 
die  ich  die  Stromfläche  nenne,  und  welche  uns,  die  Ungleichheiten  des 
Luftdruckes  abgerechnet,  die  wirkliche  Oberfläche  des  Meeres  in  Bezug 
auf  die  Niveaufläche  angiebt.  Die  Stromfläcbe  hat  ihren  tiefsten  Punkt 
zwischen  Jan -Mayen  und  Norwegen  in  GS'/j0  Breite  und  1° 
westlicher  Länge  von  Greenwich.  Sie  erhebt  sich  über  die  Niveau- 
fläche dieses  Punktes  an  der  Westküste  Norwegens  und  Ska- 
geraks  sowie  bei  Grönland  bis  über  1,4  Meter,  bei  Novaja 
Semlja  bis  1,2  Meter,  bei  Schottland  bis  ein  wenig  über  1 Meter,  bei 
Spitzbergen  bis  1 Meter,  bei  Finnmarkens  Küste  bis  0,9  Meter, 
bei  der  Nordküste  Islands  und  bei  Jan-Mayen  bis  0,6  Meter  und 
bei  Boeren-Eiland  bis  0,3  Meter. 

Ein  Wasserpartikelchen,  das  auf  der  Stromfläche  hegt,  befindet  sich 
also  auf  einer  Hohlfläche,  die  nach  der  Mitte  zu  abfällt,  folglich  wird  die 
Schwere  bestrebt  Bein,  es  die  schräge  Fläche  hinab  zu  treiben.  Indem  es 
sich  aber  bewegt,  wird  es  nach  rechts  abgelenkt  Die  Kraft,  welche  es 


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nach  rechts  treibt,  ist  gleich  grofs  und  entgegengesetzt  der  Komponente 
der  Schwere,  die  es  nach  links  treibt;  sie  geht  den  Linien  gleicher 
Höhen  der  Stromfläche  entlang.  Je  dichter  diese  liegen,  je  gröfser 
also  die  Schrägheit  ist,  desto  gröfser  ist  die  Schnelligkeit  der  Strömung. 
Die  Karte  giebt  so  ein  anschauliches  Bild  von  den  allgemeinen  Strömun- 
gen in  der  Oberfläche  des  Nordmeeres. 


Die  ungleich  grofsen  Höhen  des  Wassers  in  der  Stromfläche 
stellen  die  Druckunterschiede  in  der  Niveaufläche  dar,  und  die  Richtung 
und  Geschwindigkeit  der  Bowegung  könnten,  wie  in  der  Meteorologie, 
leicht  hierauf  zurückgefiihrt  werden.  Bei  meinen  Berechnungen  der 
Bewegungen  in  dor  Tiefe  des  Nordmeeres  bin  ich  der  letzten  Methode 
gefolgt,  indem  ich  den  Druck  in  Atmosphären  in  einer  Reiho  von 


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Punkten  der  Niveauflächen  berechnet  habe,  welche  in  einer  Tiefe  von 
800,  500,  1000  und  1500  Faden  liegen,  und  hiernach  die  entsprechenden 
Isobaren  oder  Linien  gleichen  Drucks  construirt  habe.  Hiermit  ist  die 
Aufgabe  auf  eine  in  der  Meteorologie  den  synoptischen  Karten  ent- 
sprechende Basis  gebracht  Nur  mufs  man  noch  berücksichtigen,  dafs 
das  Wasser  sich  in  seinen  Bewegungen  uach  der  Form  des  Beckens, 
in  dem  es  eingeschlossen  ist,  richten  mufs.  Aber  im  Meere  wie  in 
der  Luft  wird  ein  Mininum  von  Druck  von  aufsteigenden  Bewegungen, 
ein  Maximum  von  Druck  von  niedersteigenden  Bewegungen  begleitet 
sein  und  diese  vertikalen  Bewegungen  werden  das  Wasser  von  unten, 
beziehungsweise  von  oben  an  sich  saugen  und  so  auf  die  horizontale 
Bewegung  einwirken;  ein  hohler  Raum  kann  im  Wasser  nicht  statt- 
haben. 

Bis  zu  einer  Tiefe  von  1000  Meter  finde  ich  draufsen  im  Meere 
zwischen  Jan-Mayen  und  Norwegen  ein  Druck-Minimum.  Um 
dasselbe  kreisen  die  Wassennassen  cyklonisch,  während  in  den  obersten 
600  Metern  die  Strömung  an  der  Ostkiiste  Grönlands  unaufhörlich 
von  dem  inneren  Eismeer  hin  zu  der  Dänemark-Strafse  geht. 

In  den  Tiefen  von  2000  Metern  bis  zum  Boden  findet  sich  ein 
ganz  anderes  Drucksystem  vor  als  in  den  obersten  1000  Metern,  nämlich 
mehrere  Druckmaxima  und  mehrere  Druckminima.  Die  ersten 
geben  niedersteigende,  die  letzten  aufsteigende  Strömungen.  Durch 
dieso  werden  alle  Strömungen  in  der  Tiefe  ausgeglichen,  so  dafs  ebenso 
viel  Wasser  auf-  wie  niedersteigt.  Durch  diese  wird  der  Tiefe  auch 
die  Luft  zugeführt,  welche  die  Thiere  zu  ihrem  Leben  gebrauchen; 
es  sind  die  Ventilatoren  des  Meeres.  Wir  finden  niedersteigende 
Strömungen  auf  dem  64.,  dem  70.  bis  71.  und  dem  77.  Breitengrade, 
die  das  atlantische  warme,  salzreiche  und  luftarme  Wasser  auf  Kälte- 
grade bringen,  indem  es  in  der  Tiefe  von  dom  umgebenden  kalten 
Wasser  abgekühlt  wird.  Wir  finden  aufsteigende  Strömungen  auf  dem 
67.  bis  68.  und  dem  74.  Breitengrade,  wo  das  kalte  Bodenwasser,  das 
ursprünglich  in  das  Grönländische  Meer  hinabgestiegen  ist,  unter  ab- 
kühlender Wirkung  emporsteigt  Wo  in  den  vertikalen  Querschnitten 
die  Isothermen  und  die  Linien  für  gleichen  Salzgehalt  sich  nieder- 
biegen, da  haben  wir  die  niedersteigenden,  wo  diese  Linien  in  die 
Höhe  gehen,  die  aufsteigenden  Strömungen,  völlig  in  Uebereinsümmung 
mit  Tornöes  Resultaten.  Eine  andere  interessante  Uebereinstimmung 
ist  es,  dafs  der  kohlensaure  Kalk  am  Meeresboden,  der  hauptsächlich 
in  den  Schalen  der  Foraminiferen  vorkommt,  die  mit  den  Strömungen 
aus  dem  atlantischen  Meer  hereingeführt  werden,  in  dem  kalten  Nord- 


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meer  aber  absterben  und  niedersinken,  — nach  den  Bestimmungen  des 
Chemikers  Schmelck  gerade  an  den  Stellen  am  häufigsten  sich  vor- 
findet, wo  niedersteigende  Strömungen  in  Druckmaxima  das  atlantische 
Wasser  in  die  Tiefe  führen. 

Das  milde  Klima  Norwegens  wird  verständlich,  wenn  wir  an 
dessen  Küstenbänke  denken,  welche  den  warmen  Meeresstrom  vor 
Abkühlung  von  unten  beschützen  und  gleichzeitig  das  Eindringen 
des  eiskalten  Wassers  in  die  Fjorde  verhindern.  Die  Winterkälte 
des  Landes  erzeugt  Landwinde,  die  an  der  Westküste  südliche  Richtung 
haben  und  das  warme  Wasser  aus  dem  atlantischen  Meer  emportreiben. 
Die  Frühlingssonne  vermag  schon  des  Winters  Eis  und  Schnee  zu 
schmelzen,  so  dafs  die  Sommersonne  mit  voller  Kraft  wirken  kann. 
— Welcher  Kontrast  gegen  Grönland,  das  namentlich  auf  der  Ostseite. 
aber  theilweiso  auch  auf  der  Westseite  von  einem  kalten  cisführenden 
Meeresstrom  umflossen  wird  und  das  mit  seinen  grofsen  Höhen  ein 
Land  ist,  wo  Schnee  und  Eis  nie  vor  den  Strahlen  der  Sonne  ver- 
schwinden! 


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Unser  Wissen  über  das  Thierkreislicht 

Von  Prof.  Dr.  Wilhelm  Koerster  zu  Berlin. 


f nlGjie  im  Juni-Hefte  dieser  Zeitschrift  enthaltenen  Darlegungen  des 
’tcy  Herrn  Sherman  in  Baltimore  über  das  Thierkreis-Licht  bieten 
nach  zwei  Richtungen  hin  eine  sehr  dankenswerthe  Vervollständi- 
gung meiner  eigenen  in  dem  November-Heft  (1888)  dieser  Zeitschrift  ent- 
haltenen Mittheilungen  über  diesen  Gegenstand.  Erstens  hinsichtlich  einer 
jährlichen  Periode  der  sogenannten  Elongation  des  Thierkreis-Lichtes, 
nämlich  der  Strecke,  um  welche  dasselbe  sich  von  der  Sonne  aus  in 
der  Richtung  nach  dem  der  letzteren  gegenüberliegenden  Punkte  des 
Thierkreises  ausdehnt;  zweitens  hinsichtlich  der  Beziehungen,  welche 
zwischen  den  jährlichen  Mittelwerthen  dieser  Elongationen  und  der 
Häufigkeit  der  Sonnenflecken  zu  bestehen  scheinen. 

In  Bezug  auf  die  ersterwähnten  Ergebnisse,  nämlich  die  jährliche 
Periode  der  Elongationen,  erlaube  ich  mir  jedoch  von  der  Deutung 
des  Herrn  Sherman  abzuweichen. 


Es  ergiebt  sich  nämlich  aus  seinen  offenbar  sehr  umsichtig  ab- 
geleiteten Zahlenwerthen.  dafs  die  gröfste  Ausdehnung  des  Thierkreis- 
Lichtes  von  der  Sonne  nach  dem  sogenannten  Gegenschein  hin,  und 
zwar  ganz  überwiegend  auf  Grund  von  Beobachtungen,  welche  in  der 
gemiifsigten  Zone  der  nördlichen  Halbkugel  angestellt  worden  sind, 
in  den  Dezember  fallt. 


In  diesem  Monate  aber  erhebt  sich  der  Thierkreis  und  der  Ort 


des  Gegenscheines  in  den  Nachtstunden  am  höchsten  über  den  Horizont 
dieser  Erdgegenden,  und  es  ist  deshalb  wohl  sehr  wahrscheinlich, 
dafs  die  Vergrößerung  der  Ausdehnung  des  Thierkrcis-Liehtes  nach 
dom  Gegenschein  hin,  welche  gegen  den  Monat  Dezember  ihr  Maxi- 
mum hat,  nicht  sowohl  der  Erstreckung  des  Thierkreis-Lichtes  selber, 
sondern  den  viel  günstigeren  Bedingungen  der  Wahrnehmbarkeit  zu- 
zuschreiben ist,  welche  mit  der  gröfseren  Höhe  des  Thierkreises  über 
dem  Horizonte  verbunden  sind.  Von  der  Einwirkung  dieser  lokalen 
Sichtbarkeits-Bedingungen  wird  man  erst  dann  frei  werden,  wenn  man 


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ganz  entsprechende  Reihen  von  Beobachtungen  auch  von  der  süd- 
lichen Erdhalbkugel  besitzen  wird,  weil  in  diesen  Gegenden  der  Erde 
im  Dezember  die  ungünstigsten  Sichtbarkeits-Bedingungen  hinsicht- 
lich der  Lage  des  Thierkreis-Lichtes  zum  Horizonte  stattfinden  müssen. 
Erst  dann,  wenn  die  Mittelwerthe  aus  den  Elongationen,  wie  sie  aus 
Beobachtungen  auf  beiden  Erdhalbkugeln  folgen,  dieselbe  jährliche 
Periode  zeigen,  welche  von  Herrn  Sherman  bisher  nur  in  den  Mittel- 
werthen  aus  weit  überwiegenden  Beobachtungen  in  der  nördlichen 
Erdhalbkugel  abgeleitet  ist,  wird  man  an  eine  objektive  Erklärung 
solcher  jährlichen  Veränderungen  der  Elongationen  zu  denken  haben. 

Es  ist  sodann  einleuchtend,  dafs  ähnliche  Einwirkungen  der 
klimatischen  Sichtbarkeits-Bedingungen  auch  die  Beziehungen  zwischen 
dem  Gange  der  Jahresmittel  der  Elongationen  und  dem  Gange  der 
Sonnenflecken-Häufigkeit  verursacht  haben  können,  insofern  die  Sonnen- 
Vorgänge  auch  durch  Vermittelung  der  meteorologischen  Verhältnisse 
die  blofsen  Sichtbarkeits-Bedingungen  des  Thierkreis-Lichtes  beein- 
fiufst  haben  könnten.  Auch  hier  wird  man  die  objektive  Bedeutung 
jener  Uebereinstimmung  erst  dann  behaupten  können,  wenn  durch 
Verbindung  von  gleichwerthigen  Beobachtungen  des  Thierkreis-Lichtes 
in  den  verschiedensten  Zonen  der  Erde  gewisse  Besonderheiten  der  kli- 
matischen Schwankungen  von  Jahr  zu  Jahr,  welche  selber  vom  Sonnen- 
flecken-Stand  abhängig  sein  können,  aus  den  Vergleichungsergebnissen 
ausgeschieden  sind. 

Ferner  sei  mir  gestattet  zu  bemerken,  dafs  die  Andeutungen  des 
Herrn  Sherman  hinsichtlich  einer  Entstehung  des  Thierkreis-Lichtes 
aus  schweifartigen  Loslösungen  von  der  Sonnenkorona  für  einen  der 
wesentlichsten  und  zweifellosesten  Grundzüge  der  bisherigen  auf  das 
Thierkreis-Licht  bezüglichen  Beobachtungs-Ergebnisse  keinerlei  Er- 
klärung geben,  nämlich  für  die  Gebundenheit  dieser  Lichtstreifen  an  den 
Verlauf  des  Thierkreises.  Herr  Sherman  unterläfst  jede  nähere  An- 
deutung darüber,  wie  die  von  ihm  angenommenen  Ausströmungen  der 
Sonne  sich  gerade  in  der  Ebene  der  Erdbahn  ausbreiten  sollen ; denn 
die  wahrscheinlichste  Ausbreitungsebene  derselben  würde,  wie  mir 
scheint,  die  Ebene  des  Sonnenäquators  sein,  welche  bekanntlich  eine 
so  erhebliche  Neigung  gegen  die  Erdbahn-Ebene  hat,  dafs  jene 
schweifartigen  Ausströmungen  der  Sonne  in  die  Erdbahn  eigentlich 
nur  in  diejenigen  Gegenden  fallen  könnten,  nach  welchen  die  Durch- 
schnittslinie der  Ebene  des  Sonnenäquators  und  der  Erdbahn  gerichtet 
ist.  In  allen  übrigen  Gegenden  der  Erdbahn  könnten  jene  Aus- 
strömungen der  Sonnenkorona  nicht  in  der  Erdbahn,  also  am  Himmel 


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693 

nicht  in  der  Thierkreislinie  ausgebreitet  zu  sein  scheinen.  Die  mit  voller 
Sicherheit  und  Ausschliefslichkeit  den  Thierkreis  entlang  beobachtete 
Ausbreitung  des  in  Iiede  stehenden  Leuchtens  erklärt  sich  aber  in 
der  einfachsten  Weise  nach  den  in  meiner  Darlegung  gemachten 
hypothetischen  Annahmen. 

Schliefslich  möchte  ich  noch  darauf  hinweisen,  dafs  letztere  An- 
nahmen in  allerneuester  Zoit  eine  gewisse  Bestätigung  dadurch  zu  er- 
fahren scheinen,  dafs  man  bei  einer  der  letzten  Mondfinsternisse  eine 
Fortsetzung  der  Begrenzung  des  Erdschattens  über  den  Mondrand 
hinaus  in  den  scheinbar  leeren  Raum  beobachtet  hat.  Diese  Fort- 
setzung würde  sich  dadurch  erklären  lassen,  dafs  die  von  mir  ange- 
nommene von  der  Sonne  abgekehrte  Ausströmung  aus  den  höchsten 
Atmosphären-Schichten  der  Erde  die  Umgebung  des  Mondes  gerado 
in  der  Finsternifs-Stellung  mit  feinen  Massentheilen  erfüllen  könnte, 
welche  im  allgemeinen  theils  mit  zurückgestrahltem  Sonnenlicht,  theils 
mit  einem  dem  Polarlicht  ähnlichen  Eigenlichte  zu  leuchten  scheinen. 

Diejenigen  dieser  Theilchen,  welche  innerhalb  des  Erdschattens 
liegen,  würden  dann  natürlich  etwas  weniger  hell  erscheinen,  und  so 
liefse  sich  die  bei  der  Mondfinsternis  beobachtete  Fortsetzung  der 
Begrenzung  des  Erdschattens  über  den  Mondrand  hinaus  eiuigermafsen 
erklären;  denn  es  ist  eine  bekannte  Erfahrung,  dafs  man  derartige 
feine  Lichtuuterschiede,  welche  unter  gewöhnlichen  Verhältnissen  sich 
der  Wahrnehmung  entziehen,  deutlich  bemerkt,  wenn  man  durch  ge- 
gebene Oestaltverhältnisse  einen  gewissen  Anhalt  für  die  Erfassung 
derselben  empfängt.  Dieser  bei  den  Mondfinsternissen  gegebene 
Anhalt  könnte  möglicherweise  eine  Gegenwirkung  gegen  den  un- 
günstigen Einflufs  bieten,  welchen  das  N'ebenlicht  des  unverfinsterten 
Theiles  der  Mondscheibe  auf  die  Sichtbarkeit  feiner  Lichtunterschiede 
in  der  Nähe  des  Gegenscheines  des  Thierkreis-Lichtes  ausüben  müfste. 

Jedenfalls  erscheint  es  rathsatn,  diese  Wahrnehmung  bei  den 
verschiedensten  Mondfinsternissen  in  Verbindung  mit  sonstigen  Unter- 
suchungen über  das  Thierkreis-Licht  aufmerksam  zu  verfolgen,  man 
kann  behaupten,  dafs  hierdurch  das  Interesse  an  der  sorgfältigen 
Beachtung  aller  bei  den  Mondfinsternissen  hervortretenden  Erscheinungen 
um  ein  Bedeutendes  gestiegen  ist. 


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Versuch  einer  beweisführenden  Darstellung  des  Welt- 
gebäudes in  elementarer  Form. 

Von 

Dr.  M.  Wilhelm  Meyer-Berlin. 

(Schiufa.) 

llie  Schwerkraft  der  Erde  regiert  den  Mond.  Das  ist  bewiesen. 
> i£X  Diese  selbe  Kraft  strahlt  auch  noch  weit  über  den  Umfang  der 
Mondbahn  in  den  Raum  hinaus.  Sollte  deshalb  nicht  auch  die 
Bewegung  der  Sonne  dadurch  erklärt  werden  und  die  Gelehrten  des 
Alterthums  Recht  behalten  können,  welche  die  Erde  im  Mittelpunkte  des 
Weltalls  festhielten  und  alle  Gestirne  nur  um  sie  kreisen  liefson?  Der 
offenbare  Augenschein  zeigt  ja  unzweifelhaft,  dafs  nur  Eines  von  Beiden 
siattfinden  kann:  entweder  bewegt  sich  die  Sonne  in  der  That  um  die 
Erde,  so  wie  es  uns  scheint  — und  dann  stellen  sich  die  Bewegungen 
aller  übrigen  Planeten  recht  komplizirt  und  schwer  verständlich  heraus 
— oder  es  ist  umgekehrt,  d.  h.  die  Erde  bewegt  sich  um  die  Sonne, 
worauf  sich  sofort  die  himmlischen  Bewegungen  ganz  wesentlich  ver- 
einfachen und  die  Sonne  zum  gewaltigen  Kraftmittelpunkte  eines  ein- 
heitlich regierten  Systems  wird.  Bis  jetzt  war  die  Entscheidung 
zwischen  diesen  beiden  Alternativen  nicht  möglich;  wir  mufsten  uns 
mit  der  allerdings  sehr  viel  grüfseren  Wahrscheinlichkeit  für  die  Be- 
wegung der  Erde  begnügen.  Aber  unsere  gegenwärtig  absolvirten 
mathematischen  Betrachtungen  geben  uns  nunmehr  die  Entscheidung 
darüber  in  die  Hand;  die  Rechnung,  die  Zahlen  allein  können  das 
grofse  Urtheil  fällen,  ob  die  Erde  aus  dem  Mittelpunkte  der  Welt  ver- 
drängt worden  soll  oder  nicht  Gehen  wir  an  diesen  Urtheilsspruch; 
er  ist  reif. 

Die  erste  peinliche  Frage,  welche  wir  zu  diesem  Examen  an  die 
N'atur  stellen,  ist  die:  Wie  grofs  ist  die  Anziehungskraft  der  Erde  in 


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695 


der  Entfernung  der  Sonne?  Die  letztere  ist  inzwischen  nach  bekannten 
Methoden  ausgemessen  und  gleich  20  023  000  Meilen  oder  rund  148  600 
Millionen  Meter  befunden.  Aus  dem  Gesetz  der  quadratischen  Abnahme 
der  Schwerkraft  folgt,  nach  der  früher  gefundenen  Formel 

rä 


: 


in  welcher  g die  oft  benützte  Schwerkraft  auf  der  Oberfläche  der  Erde, 
r der  Halbmesser  der  letzteren  und  r,  ihre  Entfernung  von  der  Sonno 
bedeutet,  dafs  ein  Körper  in  dieser  Entfernung  von  der  Erde  in  einer 
I 


Sekunde  nur  um 


111300000 


Meter  durch  ihre  Schwerkraft  ihr  genähert 


wird.  Um  diese  höchst  geringfügige  Gröfse  fällt  also  wirklich  die 
Sonne  in  einer  Sekunde  gegen  die  Erde  hin.  Dies  ist  nicht  anzuzweifeln. 

Nun  fragt  es  sich  ob  die  Sonne,  wenn  sie  sich  in  der  oben  ge- 
nannten Entfernung  wirklich  um  die  Erde  bewegt,  um  so  viel  auf  ihrer 
Bahn  von  der  Tangente  an  dieselbe  nach  der  Erde  hin  abweicht,  mit 
anderen  Worten,  ob  das  nach  der  früher  angewendeten  Formel  ge- 
fundene x gleich  dem  oben  ermittelten  g,  ist  oder  im  algebraischen 
Ausdrucke  ob 


r*  2 r,  -2 

S|=*V=-G*-  = X 

ist.  Hier  ist  u gleich  der  Umlaufszeit  der  Sonne  um  die  Erde  oder 
umgekehrt;  also  u = 365.26  Tagen  oder  rund  31  560  000  Sekunden. 
Die  Rechnung  ergiebt  mit  diesen  Zahlen,  dafs 

x = 0.002945  = 5 i . Meter 
oov.o 


ist,  ein  Resultat,  welches  mit  den  vorhin  gefundenen  & = - . 

111  olHJ  UUU 

Meter  absolut  nicht  übereinstimmt.  Unsere  Theorie,  welche  in  bezug 
auf  den  Mond  zu  so  triumphirendem  Einklang  führte,  versagt  hier 
vollständig:  Die  Erde  regiert  nicht  die  Sonne,  os  ist  umgekehrt;  Die 
Sonne  strahlt  eine  gewaltige  Anziehungskraft  aus  und  macht  die  Erde 
und  alle  Planeten  sich  ewig  unterthan. 

Alle  Planeten?  Ist  das  nicht  voreilig  ausgesprochen?  Können 
wir  in  der  eben  vorgetragenen  Theorie  nicht  noch  direktere  Beweise 
hierfür  finden,  als  die  früher  entwickelten  Betrachtungen  von  der  Ver- 
einfachung der  Bewegungen  enthalten,  sobald  wir  die  Bewegung  der 
Erde  um  die  Sonne  einmal  mit  Gewifsheit  erkannt  haben?  In  der 
That  sind  wir  diesen  Beweis  noch  schuldig,  und  auch  zugleich  den, 
dafs  die  ungleich  gewaltigere  Anziehungskraft  der  Sonno  denselben 


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696 


Gesetzen  unterthan  ist,  wie  die  der  Krde.  Sie  mufs  an  sich  konstant 
sein  und  deshalb  das  Gesetz  der  quadratischen  Abnahme  mit  der 
Entfernung  zeigen.  Um  dies  zu  ermitteln,  können  wir  jeden  Pla- 
neten in  derselben  Weise  behandeln  wie  vorhin  den  Mond  und  müssen 
dabei  für  eine  bestimmte  Entfernung  stets  auf  die  gleiche  Gröfse  der 
Anziehungskraft  stofsen.  Sehen  wir,  ob  dies  zutrifft. 

Wir  müssen  zu  diesem  Ende  zunächst  bestimmen,  wie  grors  die 
Anziehungskraft  der  Sonne  überhaupt  ist.  Die  mangelnde  Ueberein- 
stimmung  der  letztgefundenen  Zahlen  x und  g,  zeigte,  dafs  diese 
Kraft  der  Sonne  sehr  viel  gröfser  ist  als  die  der  Erde.  Das 
Verhültnifs  beider  zu  einander  ist  offenbar  sofort  gefunden,  indem  wir 
diese  beiden  Zahlen  durch  einander  dividiren.  Denn  das  früher  ge- 
fundene g,  ist  doch  die  effektive  Anziehungskraft  der  Erde  in  der 
Entfernung  der  Sonne:  das  x dagegen  bedeutet  nach  unserer  neuen 
Erkenntnifs  die  Gröfse,  um  welche  die  Erde  durch  die  Sonne  in  jeder 
Sekunde  wirklich  von  ihrer  gerade  fortschreitenden  Richtung  zu  einer 
kreisförmigen  Bahn  abgelenkt  wird,  d.  h.  x ist  die  wirkliche  Fall- 
strecke der  Erde  oder  die  Schwerkraft  der  Sonne  in  derselben 
Entfernung,  in  Metern  und  für  eine  Sekunde  ausgedrückt,  wie  es  auch 
für  g,  der  Fall  war.  Das  Verhültnifs  der  Schwerkraft  der  Sonne  zu 
der  der  Erde  ist  also  gleich 


- = — = 327  800 

g,  339.6 

Das  hoifst  also,  die  Sonne  strahlt  eine  um  beinahe  den  dritten 
Theil  einer  Million  mal  gröfsere  Kraft  in  das  Weltall  hinaus  als  die 
Erde:  Das  ist  die  ungeheure  Centralgewalt,  durch  welche  die  Ord- 
nung in  unserm  schönen  Systeme  wohlthätig  aber  zugleich  mit  un- 
erschütterlicher Konsequenz  erhalten  wTird,  und  mit  der  die  Allein- 
herrscherin sich  ihre  unbedingte  Autorität  über  ihre  Unterthanen  sichert. 


Von  dieser  ungeheuren  Kraft,  welche  aus  dem  Centrum  unseres 
Systems  strahlt,  können  wir  uns  keine  Vorstellung  machen.  Würde 
die  Erde  eine  gleiche  Kraft  besitzen,  so  müfsten  die  Körper  auf  ihrer 
Oberfläche  nicht  4.89  in  in  der  erston  Sekunde,  sondern  4.89  X 32780(1 
oder  rund  1 600  000  m herabstürzen  und  ein  winziger  Gegenstand,  etwa 
ein  Papierschnitzelchen  von  10  mm  quadratischer  Seitenlänge,  ■welches 
bei  uns  ungefähr  ein  Centigramm  wiegt,  würde  durch  die  Anziehungs- 
kraft der  Sonne  horabgezogen,  in  unserer  Hand  zu  einem  schweren 
Gewichte  von  327800X0.00001,  also  3'/4  Kilo  werden:  Ein  Papier- 
stückchen, das  sechs  Pfund  wiegt:  Welch  ungeheurer  Druck  muss  die 


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097 


Massen  in  der  Sonne  zusammenpressen ! Welche  unvorstellbar  grofsen 
inneren  Kräfte  arbeiten  in  diesem  Centralherdo  unseres  engeren  Welt- 
gebäudes und  versorgen  uns  durch  den  Uebergang  dieses  ganz  un- 
ermefslichen  Druckes  in  Wärme  und  Licht  mit  unversiegbarer,  wunder- 
voller Lebenskraft! 

Allerdings  auf  der  Oberfläche  der  Sonne  ist  dieser  Druck  bei 
weitem  nicht  so  bedeutend,  als  wir  es  soeben  gefunden  hatten.  Der 
Durchmesser  der  Sonne  ist  sehr  viel  gröfser  als  der  der  Erde  und 
wir  hatten  vorhin  unsere  Rechnung  für  die  Entfernung  des  Erdhalb- 
messers vom  Mittelpunkt  ausgefiihrt,  um  überall  für  den  Vergleich 
dieselben  Einheiten  einzuführen.  Aus  der  bekannten  Entfernung  der 
Sonne  und  ihrem  scheinbaren,  von  der  Erde  aus  gemessenen  Durch- 
messer können  wir  aber  nach  früher  erläuterten  Methoden  ihre  wahre 
(irörse  leicht  bestimmen  und  finden,  dafs  die  Sonne  unsere  Erde  um 
das  108.6  fache  im  Durchmesser  übertrifft.  Dio  Anziehungskraft  nimmt 
mit  dem  Quadrat  der  Entfernungen  ab;  folglich  müssen  wir,  um  die 
Schwerkraft  auf  der  Sonnenoberfläche  zu  finden,  die  oben  ermittelte 
Verhältnifszahl  327  800  durch  108.6  X 108.6  dividiren,  um  die  ge- 
wünschte Zahl  gleich  27.8  zu  erhalten.  Ein  Gegenstand,  der  hier  ein 
Kilo  wiegt,  würde  also  auf  der  Oberfläche  der  Sonne  27.8  Kilo  schwer 
sein.  Liefsen  wir  diesen  Körper  frei  fallen,  so  würde  er  in  der  ersten 
Sekunde  offenbar  27.8  X 4.89  = 136  m herabfallen.  Das  sind  That- 
sachen,  die  wir  von  Schlufs  auf  Schlufs  weiter  vordringend  und  nur 
wirklich  Beobachtetes  als  Prämissen  einführend,  entdeckt  haben.  Un- 
sere Geisteskraft  überzeugte  uns  von  Dingen  und  Eigenschaften  der 
Materie  mit  aller  logischen  Bestimmtheit,  welche  in  vielen  Millionen 
von  Meilen  Entfernung,  für  uns  gänzlich  unerreichbar,  nothwendig 
vorhanden  sind. 

Aber  noch  andere  interessante  Schlufsfolgerungen  können  wir 
aus  den  ermittelten  Thatsachen  ableiten.  Es  stellt  sich  nämlich  heraus 
und  ist  auch  beinahe  unmittelbar  verständlich,  dafs  jeder  Körper  in 
demselben  Verhältnis  mehr  Anziehungskraft  ausübt,  als  er  schwer 
ist  oder  Masse  enthält.  Das  ist  im  physikalischen  Laboratorium  zu 
konstatiren.  Es  folgt  daraus  erstens,  dafs  die  Sonne  327  400  mal 
schwerer  ist  als  die  Erde.  Wir  haben  die  Sonne  auf  die  Waagschale 
gelegt;  sie  hat  uns  ihr  Riesengewicht  verrathen  müssen.  Ans  der 
Masse,  welche  sich  in  der  Sonne  vereinigt,  könnte  man  folglich  327  400 
Kugeln  von  der  Gröfse  der  Erde  und  der  gleichen  mittleren  Dichtig- 
keit der  irdischen  Gesteinschichten  formen.  Nun  verhält  sich  aber 
bekanntlich  der  Rauminhalt  zweier  Kugeln,  wie  die  dreimal  mit  sich 


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selbst  multiplizirten  Durchmessor  derselben.  Da  also  die  Sonne  im 
Durchmesser  108.6  mal  gröfser  ist  als  die  Erde,  so  erhalten  wir  ihr 
Volum  gleich  108.6  X 108.6  X 108.6  = 1280  000.  Da  sich  auf  diesen 
Raum  die  nur  um  327  800  mal  gröfsere  Masse  verbreiten  mufs,  so  folgt 
also,  dafs  die  Materie  der  Sonne  in  ihrem  Körper  weniger  dicht  ge- 
drängt neben  einander  lagert  wie  bei  uns.  Die  Dichtigkeit  der  Sonne 
im  Vergleich  zu  der  der  Erde  ist  folglich 


327  800 

1 280  ÖbcT 


= 0.256 


oder  der  vierte  Theil  derselben.  Trotz  des  gewaltigen  Druckes,  wel- 
cher die  Massen  der  Sonne  Zusammenhalt,  ist  die  Materie  derselben 
doch  viermal  lockerer  vertheilt  wie  bei  uns.  Da  man  jedoch  an- 
nehmen mufs,  dafs  die  Dichtigkeit  nach  dem  Innern  der  Sonne  sehr 
beträchtlich  zunimmt,  wofür  die  Oberflächenschichten  also  — wir 
können  ja  nur  eine  mittlere  Zahl  für  die  Dichtigkeit  Anden  — um 
so  lockerer  sein  müssen,  so  ist  wohl  aus  diesem  Grunde  allein  der 
Schlufs  .berechtigt,  dafs  in  der  Nähe  der  uns  sichtbaren  Oberfläche 
der  Sonne  sich  leichte  Gase  befinden,  wie  es  das  Zcugnifs  des  Spek- 
troskops ja  in  dor  That  bestätigt 

Ich  bin  nun  noch  den  Beweis  dafür  schuldig  geblieben,  dafs 
diese  Schwerkraft  der  Sonne,  über  deren  besondere  Wirkungen  wir 
uns  soeben  unterhalten  haben,  auch  allen  anderen  Planeten  gegenüber 
demselben  Gesetze  folgt,  wie  die  der  Erde,  das  heifst,  dafs  sie  gleichfalls 
mit  dem  Quadrat  der  Entfernung  abnimmt.  Erst  wenn  dieses  durch 
die  Beobachtung  endgültig  bewiesen  ist,  sind  auch  die  übrigen  Schlüsse 
unantastbar  richtig.  Der  Beweis  ist  mit  unserm  inzwischen  angesam- 
melten  werthvollen  Material  sehr  leicht  geliefert  Wenn  nämlich  dieses 
Gesetz  der  quadratischen  Abnahme  statttindot,  so  mufs  offenbar  für 
jeden  Planeten  das  für  ihn  geltende  g mit  dem  zugehörigen  x über- 
einstimmen. Also  in  algebraischer  Schreibweise  mufs  sein: 


und  für  einen  zweiten 


Hieraus  folgt: 


g _ ru2, 
gi  ~ ft  u3 

Nach  dem  Gesetz  der  quadratischen  Abnahme  der  Schwerkraft 
mufs  nun  aber  auch  noch  das  Verhältnite  stattfinden: 


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699 


_g  _ £,3 

gi  r- 

P* 

Tragen  wir  diesen  letzeren  Ausdruck  für  — auf  der  linken 

gi 

Seite  der  vorangehenden  Formel  ein,  so  erhalten  wir  endlich 

£is  - L . "•* 
rä  r,  u2 


ein  berühmter  Ausdruck,  der  besagt,  dafe,  wenn  das  quadratische 
Gesetz  der  Schwerkraft  auch  für  die  Sonne  gilt,  die  dreimal  mit  Bich 
selbst  multiplizirte  Entfernung  jedes  beliebigen  Planeten  von  der 
Sonne,  dividirt  durch  seine  zweimal  mit  sich  selbst  multiplizirte  Um- 
laufszeit eine  für  unser  ganzes  System  konstante  Zahl  sein  mufs.  Wir 
haben  das  sogenannte  dritte  Keplersche  Gesetz,  welches  der  grofse 
Reformator  als  ein  wunderbares  Faktum  entdeckt  hat,  ohne  es  erklären 
zu  können,  als  eine  nothwendige  Folge  des  Sohweregesetzes  erkannt. 
Sein  Wortlaut  ist  bekanntlich:  Die  Cuben  der  halben  grofsen 
Axen  der  Planetenbahnen  verhalten  sich  wie  die  Quadrate 
dor  Umlaufszeiten. 

Dafs  es  sich  in  der  That  so  verhält,  können  wir  aus  dem  uns 
vorliegenden  Beobachtungsmaterial  sofort  auf  das  Leichteste  nachweisen. 
Im  8.  Hefte  dieser  Zeitschrift  haben  wir  gezeigt,  wie  man  durch  die 
irdische  Beobachtung  allein  die  Umlaufszeiten  der  Planeten  um  die 
Sonne  ermitteln  kann.  Auf  Seite  485  sind  dieselben  angegeben.  Im 
darauf  folgenden  Hefte  ist  ferner  auch  die  Methode  ausführlich  be- 
schrieben, welche  uns  in  den  Stand  setzt,  auch  die  Entfernungen  der 
Planeten  wenigstens  in  Einheiten  unseres  Abstandes  von  der  Sonne 
zu  finden.  Ich  will  die  Resultate  der  betreffenden  Beobachtungsreihen 
hier  neben  einander  stellen.  Es  ist  für 


p 

u 

Merkur  = 

0.3871  . 

. . . . 87.97  Tage 

Venus 

0.7233  . 

....  224.70 

« 

Erde  = 

1.0000  . 

....  365.26 

*1 

Mars  = 

1.5237  . 

....  686.98 

M 

Jupiter  = 

5.2028  . 

....  4332.58 

N 

Saturn  = 

9.5389  . 

....  10759.22 

n 

Uranus  -= 

19.1833  . 

....  30686.51 

Neptun  = 

Himmel  uod  Erde,  I.  19. 

30.0551  . 

....  60186.64 

n 

50 

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700 


Welche  Reihe  wir  auch  hier  herausgreifen  mögen,  wir  werden 
immer,  wenn  wir  die  erste  zum  Cubus,  die  zweite  zum  Quadrat  er- 
heben und  die  erhaltenen  Produkte  durch  einander  dividiren.  ein  und 
dieselbe  sehr  kleine  Zahl  erhalten,  welche  als  gemeiner  Bruch  nieder- 
geschrieben  den  Zähler  1 und  den  Nenner  1334000  hat.  Letztere 
Zahl  giebt,  wTenn  man  die  Quadratwurzel  aus  derselben  zieht,  365.26, 
d.  h.  die  Umlaufszeit  der  Erde  um  die  Sonne,  aus  leioht  ersichtlichen 
Gründen. 

Mit  der  Ableitung  dieses  alle  Planeten  verbindenden  wunderbaren 
Gesetzes  ist  das  in  so  überwältigend  großartigem  Stylo  einheitlich 
errichtete  Weltgebäude  gekrönt.  Unsere  Aufgabe  ist  erledigt  Wir 
haben  uns  überzeugt,  und  zwar  auf  dem  unerschütterlich  festen  Fun- 
dament der  logisch  mathematischen  Kombination  von  Thatsachen  augen- 
scheinlicher Beobachtung,  dafs  ein  einheitliches,  ewiges  Gesetz  die 
Bewegungen  des  weiten  Weltalls  regiert.  Denn  auch  überall,  wo 
wir  außerhalb  unseres  Systems  bis  in  die  letzten  Tiefen  des  un- 
ergründlichen Universums  Bewegungen  von  Himmelskörpern  mit 
genügender  Sicherheit  prüfen  konnten,  befolgten  sie  ganz  ausnahmslos 
diese  großen  drei  Gesetze  Keplers,  die  der  nothwendige  Ausfluß 
von  dem  einen  größesten  sind,  dem  Ne wtoni sehen  Gesetze  von 
der  Abnahme  der  Anziehungskraft  mit  dem  Quadrate  der  Ent- 
fernungen. 

Zum  Schluß  jedoch  bin  ich  genötliigt,  diejenigen  meiner  Leser 
um  Entschuldigung  zu  bitten,  welche  in  diesen  Aufsätzen  nicht  ge- 
funden haben,  was  sie  sonst  in  meinen  Schriften  wohl  zu  finden  ge- 
wohnt sind.  Namentlich  die  letzten  Kapitel  sind  von  schwerwiegenden 
Betrachtungen,  die  dem  Geiste  einigermaßen  angestrengte  Thiitigkeit 
zumutheu,  erfüllt  gewesen,  und  Zahlen,  sehr  viele  und  sehr  lange,  die 
allein  beweisen  können,  durften  nicht  weggelassen  werden.  Dennoch 
bin  ich  kühn  genug  zu  behaupten,  daß  diese  Lektüre  für  alle  die- 
jenigen, welche  die  Wollust  des  Erfindens  kennen,  von  weit  größerem 
Genuß  gewesen  ist,  als  irgend  eine  leichtfertige  feuilletonistische  Plau- 
derei über  Verhältnisse  der  Himmelsräume,  die  man  wohl  anstaunen, 
aber  nicht  begreifen  kann,  und  welcho  folglich  das  jedem  denkenden 
Geiste  unerträglich  bittero  Gefühl  des  Zweifels  zurücklassen  muß. 
Wer  den  hier  vorgetragenen  Betrachtungen  und  Schlüssen  aufmerksam 
folgte,  wird  fortan  dem  Himmel  viel  näher  stehen.  Seinem  Geiste  ist 
der  Weg  erschlossen,  welcher  zu  den  Wundern  der  Verwaltung  dieses 
ewigen  Gebäudes  geführt  hat.  Er  wird  mit  großer  Genugtliuung  dem 
slemdurcliwebten  Firmamente  seine  Augen  zuwenden  und  tiefere,  er- 


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701 


hebendere,  andachtvollere  Gedanken  von  der  Einheit  und  ordnenden 
Kraft  des  Ganzen  werden  sich  ihm  an  diesen  Anblick  knüpfen.  Und 
er  empfindet,  wie  die  Erde  klein,  unendlich  klein  und  noch  kleiner  der 
Mensch  ist,  der  dennoch  mit  der  unergründlichen  Kraft  seines  logisohen 
Geistes  alle  diese  Unendlichkeiten  erleuchtend  umspannt.  Schande 
Dem,  der  diese  ihm  allgütig  verliehene  göttliche  Kraft  des  Gedankens 
schmählich  verkümmern  und  verkommen  läfsL 


30* 


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Das  Okularende  des  groben  Refraktors  der  Sternwarte  zu  Pulkowa. 

Unser  Titelbild,  welches  das  Okularende  des  groben  Refraktors 
der  Sternwarte  zu  Pulkowa  darstellt,  zeigt  deutlich  die  grofse  Anzahl 
von  Hülfsinstrumenten,  mit  welchen  ein  gröfseres  Fernrohr  ausgerüstet 
sein  mufs,  um  in  bequemer  und  nutzbringender  Weise  gebraucht  werden 
zu  können.  Das  Okular  selbst  nimmt  nur  den  kleinen  Mittelpunkt 
des  ganzen  Apparates  ein.  Es  ist  zunächst  umgeben  von  dem  wich- 
tigsten Mefsinstrument,  einem  Positions-Mikrometer.  Zur  Rechten  von 
diesem  bemerken  wir  kreisförmige  Handhaben,  welche  zur  Festklem- 
mung und  zur  feinen  Bewegung  des  Fernrohrs  dienen;  links  dagegen 
sehen  wir  oberhalb  und  unterhalb  kleinere,  schmalo  Fernrohre,  welche 
die  Ablesung  der  an  den  beiden  Drehungsaxen  befindlichen  einge- 
theilten  Kreise  vom  Platze  des  Beobachters  aus  ermöglichen.  Das 
dickere  Rohr,  welches  sich  vom  Mikrometer  aus  nach  links  hin  erstreckt, 
trägt  am  Ende  eine  Lampe,  deren  Licht  durch  eine  Drehscheibo  mit 
verschiedenfarbigen  Gläsern  beliobig  abgeschwächt  werden  kann  und 
dann  durch  den  weiten  Tubus  mit  Hülfe  kleiner  Spiegel  nach  den 
verschiedensten  Stellen  am  Instrument  hingeleitet  wird,  wo  immer  eine 
Erleuchtung  für  die  Beobachtungen  zur  Nachtzeit  erforderlich  ist.  — 
Das  kurze  Fernrohr  oberhalb  des  Beleuchtungstubus  steht  dem  groben 
Refraktor  parallel  und  dient  als  Sucher,  indem  es  bei  sehr  schwacher 
Vergröberung  ein  weit  gröberes  Gesichtsfeld  hat,  als  das  Hauptrohr, 
und  deshalb  geeignet  ist,  die  zu  betrachtenden  Objekte  leicht  aufzu- 
finden und  in  die  Mitte  des  Gesichtsfeldes  zu  bringen.  — Das  Haupt- 
Fernrohr  selbst  erscheint  in  unserer  Abbildung  stark  verkürzt,  deut- 
lich sind  aber  rechts  die  beiden  Axen  zu  sehen,  um  welche  es  dreh- 
bar ist.  Die  mehr  hervortretende  dieser  Axen  steht  steil  empor  ge- 
richtet und  bildet  mit  der  Horizontalebene  einen  Winkel  von  59°  40', 
der  geographischen  Breite  von  Pulkowa.  Diese  Axe,  Stundenaxe  ge- 
nannt, steht  parallel  der  Erdaxe  und  mithin  senkrecht  zur  Ebene  des 


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"lZ-TV 


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Das  Ocularende  des  grofsen  Refractors  zu  Pulkowa. 


703 


Aequators,  weswegen  ein  derartig  aufgestelltes  Instrument  als  „Aequa- 
toreal“  bezeichnet  wird.  Die  andere  Axe  dagegen  heifst  Deklinations- 
Axe,  weil  durch  Drehung  um  sie  die  Deklination  des  Punktes,  nach 
welchem  das  Fernrohr  hinzeigt,  geändert  wird.  Nur  bei  Aequatorealen 
ist  es  möglich,  das  Fernrohr  durch  gleichmässige  Drehung  um  die 
Stundenaxe  vermittelst  eines  Uhrwerks  dem  einmal  eingestellten  Stern 
so  nachzufdhren,  dafs  er  trotz  der  täglichen  Bewegung  beständig  in 
der  Mitte  des  Gesichtsfeldes  bleibt. 

Das  Objektivglas  des  erst  vor  wenigen  Jahren  fertig  gestellten 
45  Fürs  langen  Fernrohrs  besitzt  30  Zoll  (81  cm)  im  Durchmesser 
und  ist  an  Gröfse  bis  jetzt  nur  von  dem  Refraktor  der  Licksternwarte 
übertroffen  worden.  Die  Glasmasse  wurde,  nachdem  ein  von  Cliauce 
Brothers  in  Birmingham  gelieferter  Block  bei  der  Bearbeitung  ge- 
sprungen war,  von  der  berühmten  Pariser  Firma  Feil  unter  der  Auf- 
sicht des  zu  diesem  Zweke  aus  Amerika  herübergereisten  Herrn 
Alvan  Clark  hergestellt  und  erst  nach  zwei  Jahren  war  der  Gufs 
einer  vollständig  fehlerfreien  Masse  gelungen.  Clark  brachte  nun 
bei  der  Konstruktion  des  Objektivs  die  wichtige  Neuerung  an,  dafs 
er  die  beiden  Linsen  des  achromatischen  Systems  nicht  nahe  an 
einander  legte,  sondern  durch  einen  gröfseren  Zwischenraum  von  ca. 
C Zoll  trennte,  wodurch  eine  leichtere,  völlig  gefahrlose  Reinigung 
der  Innenflächen,  sowie  auch  ein  schnellerer  Temperaturausgleich 
ermöglicht  wurde.  — Die  gesamte  Montirung  endlich  ist  von  Gebrüder 
Repsold  in  Hamburg  verfertigt  worden  und  für  die  Bedachung  des 
Instrumentes  ist  wegen  des  schneereichon  winterlichen  Klimas  von 
Pulkowa  an  Stelle  der  sonst  üblichen  Kuppelform  ein  55  Fufs  hoher 
Drehthurm  gewählt  worden.  F.  Kbr. 

t 


Die  submarinen  Tiefebenen  in  ihrer  Beziehung  zur  vulkanischen 
Thätigkeit.  Die  Untersuchung  der  Frage,  ob  die  vulkanische  Kraft  bei 
der  Umgestaltung  der  Meeresbecken  betheiligt  ist,  bildet  den  Gegen- 
stand einer  von  E.  S.  Dana  in  der  letzten  Märznummer  des  American 
Journal  of  Science  veröffentlichten  Abhandlung. 

Die  in  der  Nähe  vulkanischer  Inselgruppen  vielfach  beobachteten 
Tiefseethiiler  von  bedeutender  Ausdehnung,  legen  auf  den  ersten  Blick 
die  Vermuthung  nahe , dafs  zwischen  solchen  unterseeischen  Ein- 
senkungen der  Erdrinde  und  der  vulkanischen  Thätigkeit  Beziehungen 
irgend  welcher  Art  bestehen.  Man  könnte  etwa  solche  Einsenkungon 


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704 


auf  Unterminirungen  der  Erdkruste  zurückfuhren,  welche  nach  Mafs- 
gabe  der  Erhebung  vulkanischer  Inseln  über  den  Meeresboden  augen- 
scheinlich von  bedeutendem  Umfange  gewesen  sein  müssen,  oder 
auch  auf  einen  aus  der  Schwere  erwachsenden  vermehrten  Druck  der 
Erdkruste  in  der  Umgebung  vulkanischer  Gegenden,  eine  Spekulation, 
die  das  Empordringen  schmelzflüssiger  Lava  alsdann  dadurch  erklären 
dürfte,  dafs  die  sich  senkenden  Erdschollen  in  die  zähflüssige  Median- 
zone hineinragen  und  durch  ihre  pressende  Kraft  Gluthmassen  an 
den  benachbarten  schwächeren  Stellen  zum  Ausbruch  bringen. 

Allerdings  giebt  es,  wie  Dana  zeigt,  eine  Reihe  von  Thatsaohen, 
welche  die  Hypothese  des  vulkanischen  Ursprunges  der  Tiefseemulden 
begünstigten,  aber  denen  gegenüber  steht  eine  andere  Reihe  von 
Fällen,  die  mit  grüfserer  Wahrscheinlichkeit  dafür  sprechen,  dafs  die  Ge- 
staltung des  Meeresbodens  in  der  Nähe  von  Eruptionscentren  durch  diese 
nicht  beeinflufst  worden  ist.  Fälle  der  ersten  Art  werden  im  Stillen 
Ozean  besonders  häufig  angetrolTen.  Die  Lothungen  haben  hier  die 
Existenz  zweier  kontinuirlich  sich  ausdehnender  muldenförmiger  Ver- 
tiefungen der  Erdrinde  in  unmittelbarer  Nähe  der  grofsen  Krater 
Mauna-Loa  und  Mauna-Kea  auf  den  Hawaii-Inseln  erwiesen;  eine 
derselben  liegt  nordöstlich  von  Oahu  und  besitzt  eine  Tiefe  von  5.53  km, 
die  andere,  östlich  von  Hawaii,  hat  5.23  km  Tiefe.  Hier  werden  also 
in  unmittelbarer  Nähe  der  Insel  Abgründe  angetroffen,  deren  Tiefe  die 
mittlere  Tiefe  der  Weltmeere  bedeutend  übersteigt1) 

In  dem  westlichen  Theile  des  Stillen  Ozeans,  und  zwar  an  dem 
südlichen  Ende  der  vulkanischen  Gruppe  der  Ladronen,  haben 
die  Lothungen  der  britischen  Korvette  Challenger  erst  in  8.19  km 
Grund  ergeben2),  und  östlich  von  dem  japanischen  Insel-Archipel  und 
den  Kurilen,  eine  Gegend,  die  mächtige  Kettenvulkane  aufweist,  be- 
findet sich  die  am  meisten  ausgedehnte  und  tiefste  Einsenkung  des 
Ozeanbodens;  ihre  Länge  beträgt  1800  engl.  Meilen  und  ihre  Tiefe 
schwankt  zwischen  7.32  und  8.51  km.  Mehr  östlich  in  der  Nähe  der 
Aieuten-Gruppe  trifft  man  eine  Vertiefung  von  gegen  7.32  kin  an,  welche 
sich  wahrscheinlich  von  den  Kurilen  bis  nach  der  vulkanischen  Kette 
der  Aleuten  hinzieht  und  in  diesem  Falle  eine  Länge  von  2500  engl. 
Meilen  erreichen  würde. 

Aehnliche  Beziehungen  zwischen  vulkanischen  Ketten  und  Ein- 


*)  Nach  neueren  Berechnungon  von  General  Tillo  beträgt  die  mittlere 
Tiefe  der  Ozeanbecken  3.80  km,  siehe  Heft  11,  S.  662. 
s)  Vergl.  „Himmel  und  Erde',  Hoft  5,  S.  318. 


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705 


Senkungen  des  Meeresbodens  wird  man  bei  genauerer  Betrachtung 
der  Tiefseekarten  vielfach  auffinden,  doch  dürften  wohl  wenige  Fälle 
mit  mehr  Gewifsheit  zu  Gunsten  des  vulkanischen  Ursprunges  solcher 
ozeanischen  Depressionen  sprechen,  als  die  hier  in  Betracht  ge- 
zogenen. 

Andererseits  bietet  der  Stille  Ozean  längs  der  Küstenlinien 
von  Nord-  und  Süd-Amerika  überzeugende  Belege  für  die  Ab- 
wesenheit von  unterseeischen  Thälern  gerade  in  Gegenden  aufser- 
ordentlich  starker  vulkanischer  Tlüitigkeit.  Die  südamerikanischen 
Küstenvulkane  sind  zahlreich  und  von  bedeutender  Höhe,  und 
doch  hat  der  Stille  Ozean  längs  des  ganzen  Geländes  hier  nur 
zwischen  3.68  und  4.94  km  Tiefe.  Die  einzigen  Ausnahmen,  welche  bis 
jetzt  gefunden  wurden,  sind  eine  wenig  umfangreiche  Einsenkung  von 
5.49  bis  6.16  km  in  der  Nähe  der  Küstenlinien  von  Peru,  sowie  eine 
weitere  unter  der  Breite  von  St.  Franziska  an  der  Nordküste  Amerikas. 
An  der  europäischen  Küste  des  Atlantischen  Ozeans  waren  die  Vul- 
kane wenigstens  seit  der  sibirischen  Epoche  reichlich  vertreten,  und 
doch  weist  die  nichtvulkanische  Seite  von  Nordamerika  bei  weitem 
gröfsere  Sonkungsfelder  und  mittlere  Tiefen  auf,  als  die  europäische. 

Die  vorgefiihrten  Thatsachen  sprechen  nach  Dana  durchaus  nicht 
für  einen  mafsgebenden  Ein  Hufs  der  vulkanischen  Thiitigkeit  auf 
die  Bildung  unterseeischer  Thiiler.  Auch  die  Annahme,  dieselben 
könnten  irgend  welchen  oberflächlich  wirkenden  Kräften  ihre 
Existenz  verdanken,  mufs  zurückgewiesen  werden,  da  die  über  den 
Meeresboden  sich  erstreckende  Erosionsthätigkeit  wohl  kaum  fähig 
war,  stellenweise  Thiiler  von  solchem  Umfange  in  die  Erdrinde  ein- 
zugraben. 

Der  Umstand,  dafe  die  Entstehung  der  vulkanischen  Inselgruppen 
des  grofsen  Weltmeeres  wahrscheinlich  auf  gewaltige  Dislokationen 
der  Erdrinde,  d.  h.  Verschiebungen  ihrer  Niveauflächen,  zurückzu- 
führen ist,  macht  es  nach  Dana  annehmbar,  dafs  gerade  in  ihrer  Nähe 
die  schwächsten  Stellen  der  Binde  angetroffen  werden.  Vielleicht  sind 
langsame  Verschiebungen  längs  alter  Bruchlinien  und  die  dort  vor- 
handene geringe  Widerstandsfähigkeit  der  Erdschollen  die  Ursache  der 
Einsenkungen.  Schw. 


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706 


Spektroskopische  Beobachtungen  am  Eiffelthurm. 

Nachdem  der  Eiffelthurm  kaum  vollendet  ist,  wird  er  bereits  von 
den  Gelehrten  für  Forschungen  von  höchstem  Interesse  benutzt.  Am 
Sonntag  den  12.  Mai  hat  Janssen  einen  Versuch  angestellt,  der  einen 
glänzenden  neuen  Beweis  fiir  seine  Theorien  über  die  Beschaffenheit 
der  Sonnenatmosphäre  liefert. 

Die  Luftlinie  von  der  Spitze  des  Thurmes  bis  zum  Observatorium 
von  Mcudon  beträgt  7800  Meter,  ebensoviel  wie  die  Dicke  der  Erd- 
atmosphäre betragen  würde,  wenn  die  Dichtigkeit  der  ganzen  Lufl- 
inasse,  welche  sie  bildet,  anstatt  abzunehmen,  wenn  man  sich  vom 
Mittelpunkte  des  Planeten  entfernt,  gleichmäfsig  wäre,  und  gleich 
der  der  Luft  auf  der  Oberfläche  der  Erde;  infolge  dessen  ist  die 
Anzahl  der  Luftmoleküle,  denen  ein  vom  Eiffelthurm  auf  das  Obser- 
vatorium von  Meudon  gerichteter  Strahl  begegnet,  gleich  derjenigen, 
welchen  ein  von  der  Sonne  ausgehender  Strahl  im  Sommer  um  Mittag 
begegnet. 

Janssen  war  schon  seit  langer  Zeit  durch  theoretische  Erwägungen, 
die  hier  weiter  keinen  Platz  finden  sollen,  die  aber  durch  die  auf  dem 
Pic  du  Midi  und  den  Grands  Mulets  angestellten  Versuche  noch  be- 
stärkt wurden,  zur  Ansicht  gekommen,  dafs  die  Sonnenatmosphäre  keinen 
Sauerstoff  besiifse,  und  dafs  die  Sauerstofllinien,  die  das  Spektroskop 
im  Sonnenlicht  zeigt,  nicht  diesem  Licht  eigenthüinlich,  sondern  einzig 
und  allein  der  Veränderung  zuzuschreiben  sind,  die  dasselbe  beim 
Durchgang  durch  die  Luftmoleküle  erleidet. 

Bei  dem  Versuche  des  12.  Mai  ward  die  Linie  B,  das  wuchtigste 
Merkzeichen  des  Sauerstoffs,  in  dem  Spektrum  des  in  Meudon  aus 
einem  der  mächtigsten  elektrischen  Reflektoren  des  300  Meter-Thurmes 
erhaltenen  Strahles,  der  genau  dieselbe  Macht  hatte,  als  wenn  er  von 
der  Sonne  ausgegangen  wäre,  gefunden;  nun  ist  aber  nach  einem 
bekannten  Gesetz  der  Spektralanalyse  die  Intensität  der  charak- 
teristischen Linien  eines  Gases  proportional  zu  der  Anzahl  der  vom 
Lichtstrahl  begegneten  Moleküle;  es  ist  daher  einleuchtend,  dafs 
die  durch  das  Vorhandensein  der  Linie  B angedeutete  Modifikation 
einzig  und  allein  dem  Sauerstoff  der  Luft  zuzuschreiben  ist  Wenn 
man  daher  ein  Spektroskop  an  der  äufsersten  Grenze  unserer  Atmos- 
phäre aufstellen  könnte,  so  würde  der  Sonnenstrahl,  den  es  bei  dessen 
Austritt  aus  dem  zwischen  dem  Himmelskörper  befindlichen  leeren 
Raum  auffängt,  keine  Spuren  von  Sauerstoff  anzeigen. 

Dieser  Versuch  ward  am  19.  Mai  unter  Verhältnissen  erneuert, 
die  ihn  noch  unbestreitbarer  machen,  indem  das  Prisma  fiir  die 


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707 


photographischen  Versuche  durch  ein  Gitter  von  3000  Parallellinien 
welche  mit  dem  Diamanten  auf  eine  Glasplatte  von  0,1  m Länge,  deren 
sich  Janssen  schon  bedient  hatte,  um  auf  einer  der  Karolinen  die 
totale  Sonnenfinsternifs  von  1880  zu  studiren,  gravid  waren,  ersetzt 
wurde.  Die  Resultate  waren  denen  vom  12.  Mai  identisch,  die  erhaltenen 
Beweise  aber,  die  am  20.  Mai  der  Akademie  der  Wissenschaften  vor- 
gelegt wurden,  zeigen  einen  noch  höheren  Grad  von  Vollkommenheit. 

Janssen  beabsichtigt,  sich  als  Gegenprobe  mit  seinen  Apparaten 
auf  einem  der  Thürme  des  Trokadero  aufzustellcn,  d.  h.  auf  eine  Ent- 
fernung vom  Eiffelthurm,  die  gering  genug  ist,  dafs,  da  die  Luftschicht 
eine  unbedeutende  ist,  die  Sauerstofflinien  fast  vollständig  verschwinden; 
ferner  soll  er  noch  die  Absicht  hegen,  den  Kriegsminister  zu  bitten, 
ihm  einen  der  beweglichen  Projektoren,  die  einen  Theil  der  Armirung 
der  pariser  Forts  bilden,  und  dio  noch  mächtiger  als  die  des  300  Meter- 
Thurmes  sind,  zur  Verfügung  zu  stellen,  um  ein  Lichtbündel  von 
äufserster  Stärke  durch  seine  100  Meter  lange  Röhre,  die  reinen  Sauer- 
stoff unter  dem  Druck  von  200  Atmosphären  enthält,  fallen  zu  lassen. 

Diese  Versuche  sind  von  äufserstem  Interesse  für  das  Studium 
der  Astrophysik,  die  schon  so  viel  den  Arbeiten  Janssens  verdankt; 
und  es  sind  sicherlich  nicht  die  letzten,  denen  dieses  Monument, 
das  bisher  seines  Gleichen  nicht  gehabt,  infolge  seiner  Ausnahme- 
stellung eine  ebenso  kostbare  wie  ungehoffte  Unterstützung  leihen  wird. 

Berghaus,  Major  a.  D. 

f 

Entstehung  der  elliptiseheu  Bcweguug  der  Kometeu. 

Wir  kennen  gegenwärtig  bereits  eine  Reihe  von  Kometen,  (etwa  14  wiederholt 
beobachtete)  deren  Bewegung  iin  Sonnensystem  elliptisch  ist,  die  also  in  be- 
stimmten Perioden  zum  selben  Punkto  ihrer  Bahn  zurückkehreu  und  dann  von 
der  Erde  aus  unter  mehr  oder  weniger  günstigen  Verhältnissen  wieder  gesehen 
werden  können.  Die  weitaus  gröfsero  Zahl  der  Kometen  hat  parabolische  Be- 
wegung, durchwandert  also  nur  unser  Sonnensystem,  ohne  jemals  wieder  dahin 
zurückzukehren.  Man  hat  die  Entstehung  der  elliptischen  Bewegung  einzelner 
Kometenindividuen  aus  Störungsursachen  in  den  Bahnen  parabolischer  Kometen 
erklärt,  indem  vermöge  der  Anziehungskraft  der  Planeten  von  grofser  Masse 
(namentlich  durch  Jupiter)  so  bedeutende  Störungen  parabolischer  Bewegungen 
stattfinden  können,  dafs  die  Bahn  dieser  Kometen  eine  ganz  wesentliche  Ver- 
änderung erleidet.  Tisserand  hat  nun  vor  kurzem  speciell  die  Einwirkung 
des  Jupiter  auf  den  Lauf  parabolischer  Kometeu  näher  untersucht,*)  die  dieser 
Planet  unter  Umständen  durch  seine  Bahnstörungen  ausüben  kann.  Er  be- 
trachtet unter  Zugrundelegung  des  mittleren  Abstandes  von  Sonne  und  Jupiter, 
der  Masse  und  Bewegungsverhältnisse  des  letzteren  die  Bahn,  welche  entsteht, 

•)  Compt.  rend.  23.  April  189P. 


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708 


wenn  ein  mit  parabolischer  Geschwindigkeit  in  die  Attraktionssphäre  des  Ju- 
piter eingedrungener  Komet  diese  Sphäre  wieder  verläfst.  Es  zeigt  sich,  dafs 
die  Halbaxcn  der  neuen  Bahnen  einen  bestimmten  Werth  wohl  kaum  je  über- 
schreiten können.  Den  Kometen  kommt  dann  auch  immer  eine  gewisse  Ex- 
contricität  zu,  die  ebenfalls  in  Grenzen  eingeschlossen  ist.  Tisserand  findet, 
dafs  für  die  Halbaxo  einer  Kometenbahn 

von  3.0  die  Exentrieität  gröfser  als  0.Ö0 
„ 3.8  „ „ 0.5*2 

sein  müsse. 

Seit  geraumer  Zeit  vermuthet  man,  dafs  die  Entstehung  der  elliptischen 
Kometenbahnen  nicht  blofs  in  grofsen  Störung« Wirkungen  des  Jupiter  ihre 
Ursache  haben  dürfte,  sondern  dafs  dabei  wahrscheinlich  Bewegungsvorgänge 
im  Innern  der  Kometen  selbst  Anlafs  zu  Bahnveränderungen  geben.  Allbe- 
kannt ist  die  Theilung  des  Bielaschen  Kometen  in  zwei  Körper,  die  ver- 
schiedene Bahnen  verfolgt  haben;  oder  die  des  Kometen  Liais  im  Frühjahre 
1K60.  Die  aufmerksame  Verfolgung  einer  lieihe  hellerer  Kometen  der  neueren 
Zeit  hat  zur  Entdeckung  merkwürdiger  Veränderungen  und  Neubildungen  in 
Kometenköpfen  geführt,  von  welchen  hier  nur  auf  die  Kometen  Sawerthal 
(.Himmel  und  Erde'  Oktoberheft)  188*2  II  (Aprilheft)  und  Brooks  1880 
(vorlieg.  Heft)  verwiesen  sei.  Es  liegt  sehr  nahe  anzunehmen,  dafs  die 
so  grofso  Erscheinungen  bewirkenden  Kräfte  auch  auf  die  Bahn  des 
Körpers,  in  welchem  sie  auftreten,  Störungen  ausüben  und  diese  also 
verändern  könnten.  Diesen  Gedanken  hat  neuestem»  Bredichin  in  einem 
Aufsatze  »Sur  lorigine  des  Coindtes  plriodiques**)  verfolgt.  Er  sieht  in 
der  Theilung  und  in  den  grofsen  Veränderungen  der  Kometenköpfe  das  Re- 
sultat einer  eruptiv  wirkenden  Kraft,  die  nach  ihrer  Stärke  und  Richtung  bis- 
weilen geeignet  sein  kann,  Kometentheile  in  elliptische  Bahnen  zu  schleudern. 
Die  diesbezügliche  von  ihm  vorgonomracne  mathematische  Untersuchung  der 
Frage  zeigt,  dafs  man  die  Aehnlichkeit  der  Bahnelemente  zweier  Kometen  von 
der  Gröfse  des  Stofses  ableiten  kann,  welcher  die  Theilung  des  Urkometen 
bewirkt  hat;  diese  Stofsstärke  selbst  aber  hängt  wieder  vornehmlich  von  der 
Periheldistanz  des  erzeugenden  Kometen  ab.  Die  Rechnung  unter  Annahme 
einer  bestimmten  Gröfse  der  theilbildenden  Kraft  ergiebt,  dafs  mail  mit  ge- 
wissen Werthen  derselben  für  die  mittleren  Periheldistanzen  der  Kometen- 
bahnen ^tatsächlich  die  ungefähren  Verhältnisse  der  existirenden  elliptischen 
Kometen,  nämlich  Halbaxeu  und  Umlaufszeiten,  erhalten  kann.  Bei  jenen 
Kometen,  deren  Durchschnitts -Periheldistanz  kleiner  als  0.1  ist,  würde 
man  mit  der  Stofsstärke  0.0375  eine  Halbaxe  von  3.7  und  eine  Umlaufszeit  von 
7.1  Jahren  bekommen,  also  damit  die  mittleren  Verhältnisse  dieser  Kometen 
treffen.  Bredichin  hat,  ura  die  Anwendung  seiner  mathematischen  Theorie 
auf  dio  uns  gegenwärtig  bekannten  Kometenhahnen  zu  zeigen,  letztere 
in  4 Gruppen  getheilt:  in  jene  zwischen  60— 7G  Jahre  Umlaufszeit,  jene  von 
22 — 33,  10—14  und  5—7  Jahre.  Unter  Voraussetzung  der  Periheldistanz 

O.tH  würden  für  diese  vier  Gruppen  folgende  Geschwindigkeiten  nothwendig 
gewesen  sein  und  folgende  Halbaxcn  sowie  Uralaufszeiten  hätten  darin  auf- 
treten müssen: 


Geschwindigkeit 

Halbaxe 

Umlaufszeit 

In  der  ersten  Gruppe 

0.008 

17.6 

73.8  Jahre 

» „ zweiten  „ 

o.ou 

10.3 

83.1  . 

» „ dritten 

0.024 

5.8 

14.1  „ 

- „ vierten  , 

0.0« 

3.3 

6.0  . 

'•)  Bullet,  de  1«  eociet»1  imp.  des  Nat  de  Moscou.  18*9. 

Xo.  2. 

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709 


Aus  diesen  und  anderen  Ausführungen  schliefst  Brcdichin,  dafs  der  Ge- 
danke, aus  der  Aehnlichkeit  der  Bahnelemente  mehrerer  elliptischer  Kometen 
untereinander  auf  einen  gemeinsamen  Ursprung  derselben  aus  einem  Ur- 
kometen  zu  schliefscn,  wissenschaftlich  ganz  berechtigt  sei.  Trotz  der  oft 
nicht  unbeträchtlichen  Abweichung  der  Periheldistanzen  und  Bahnneigungen 
mehrerer  elliptischer  Kometen  von  nahe  gleicher  Umlaufszeit  dürft«  diesen 
Kometen  eine  und  dieselbe  Entstehungsquelle  zugesprochen  werden.  So  ist 
Bredichin  geneigt,  für  die  Kometen  Lexell  (Umlfszt.  5.63  Jahre),  de  Vico 
(5.47),  D’ Arrest  (6.69)  und  Tempel  II  (5.21)  einen  Urkometen  anzunehmen, 
welcher  diese  Haarsterne  durch  Theilung  erzeugte.  Die  elliptischen  Kometen 
1815  III,  1S57  IV,  1861  I,  1840  IV  (zwischen  250—400  Jahren  Umlaufszoit)  und 
andere  wären  seiner  Meinung  nach  ein  Eruptionsresultat,  weungleich  auch  dio 
deformirende  Kraft  Jupiters  auf  diese  Bahnen  bei  dergleichen  Betrachtungen 
nicht  zu  läugnen  und  zu  vernachlässigen  sei.  Dio  Kometen  von  1672,  Tuttle 
und  Pons  Brooks  entstammen  demselben  Objecte,  der  Enckescho  Komet 
endlich  hätte  möglicherweise  seinen  Urahnen  in  dem  grofsen  Kometen  von  1231 
zu  suchen.  — Den  Bredichinschen  Ausführungen  kann  selbstverständlich 
manches  entgegengehalten  worden,  immerhin  aber  ist  es  werthvoll,  die 
interessante  Frage  über  den  Ursprung  der  elliptischen  Kometen  von  diesem 
Standpunkte  aus  betrachtet  zu  sehen.  , 

* 

Erscheinungen  am  Sternenhimmel  im  Monat  September-Oktober. 

(Sämtliche  Zeitangaben  gelten  für  Berliner  Zeit.) 

1.  Der  Mond. 

Aufgang  Untergang 


17.  Sept. 

Letztes  Viertel 

10* 

12®  Ab. 

2h 

17® 

Nm. 

18.  , 

Erdferne 

10 

59 

„ 

3 

11 

„ 

25.  „ 

Neumond 

a 

49 

Mg. 

6 

28 

„ 

1.  Oktob. 

Erdnäho 

l 

41 

Nm. 

9 

25 

Ab. 

2. 

Erstes  Viertel 

2 

41 

„ 

10 

26 

n 

9-  » 

Vollmond 

5 

59 

6 

15 

Mg. 

15.  , 

Erdferne 

8 

49 

Ab. 

1 

4 

Nm. 

Maxima  der  Libration:  24.  September,  9.  Oktober. 

a.  Die  Planeten. 


Merkur  I Venus 


1 

Rectas. 

Deel  in. 

Aul#. 

Unter#. 

Rectas.  1 Declin.  Aufg. 

Unterg. 

14. 

Sept. 

131  0m 

— 8°  30' 

8» 

7™lp. 

fih  45™  Al. 

9k 

9® 

+16*27'  lo  58®  lp. 

5*  10“  In. 

18. 

0 

13  17 

-10  43 

8 

20  „ 

6 34  . 

9 

89 

+15  14  2 9 . 

.57. 

22. 

0 

13  31 

1-12  3S 

8 

20  . 

6 21  . 

9 

47 

+ 13  53  2 20  . 

1 5 2 . 

26. 

0 

13  43 

—14  10 

8 

34  „ 

6 8. 

10 

6 

+12  26  2 31  . 

4 57  . 

30. 

13  51 

-15  9 

8 

32  . 

5 54  Sn. 

10 

25 

+ 10  53  2 43  . 

4 51  . 

4. 

Okt. 

13  53 

—15  25 

8 

20  . ! 

5 40  „ 

10 

43 

+ 9 14  2 54  . 

4 44  . 

8. 

n 

13  49 

—14  40 

7 

55  . 

5 23  . 

11 

*> 

,+  7 31  3 6 . 

4 38  . 

12. 

n 

13  37 

-12  44 

7 

IG  . 

5 8. 

11 

20 

+ 5 45  3 19  . j 

4 31  . 

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Jupiter 


710 


Mars 


Kectas. 

, Declin. 

Aufg. 

Unterg. 

Hectas. 

Declin. 

Aufg. 

Unterg. 

lß. 

Sept. 

fik 

54  m 

+ 14"  ff 

2‘ 

5l»Ig. 

;»h 

1 35”  5«. 

171* 

57® 

—23« 

2b27».\». 

IO* 

1 »IV. 

22. 

n 

10 

8 

+12  40 

2 

.‘>0  * 

5 

18  . 

17 

59 

-23 

29 

2 ß . 

9 

40  . 

28. 

„ 

10 

23 

i+1 1 30 

2 

47  „ 

5 

1 . 

18 

1 

—23 

30; 

1 44  „ ! 

9 

18  . 

4. 

Okt 

10 

37 

+10  9 

2 

4ß  . 

4 

44  . 

18 

4 

—23 

30 

1 24  . 

8 

58  . 

10. 

„ 

10 

:.i 

+ 84ß 

2 

44  . 

4 

26  „ 

18 

7 

—23 

31  i 

1 S . 

8 

37  . 

iß. 

* 

io 

|+  7 22; 

2 

42  . 1 

4 

10  . 

18 

11 

1-23 

30 

0 43  » 

8 

17  . 

Saturn 

Uranus 

Rectafi. 

Declin. 

Aufg. 

U nterg. 

Hertas.  Declin.  Aufg. 

Unterg. 

14. 

Sept. 

I0<> 

0® 

+13*30' 

3h  12”*  ■*. 

5b  4 6”  \n 

ISMßm  .—  7*28'  8b  ISmIr. 

7k  6®  IV. 

22. 

„ 

10 

4 

+13  11 

2 4ß  . 

5 lß  . 

13  IS  —7  3!l!  7 49  . 

6 33  * 

30. 

* 

10 

7 

+12  53 

2 20  . 

4 4ß  . 

13  20  —7  50  7 21  . 

6 5 5*l 

8. 

Okt 

10 

11 

+12  37 

1 53  . 

4 17  „ 

13  22  —8  1 ß 52  . 

5 36  , 

Iß. 

- 

10 

14 

+12  21 

1 25  „ 

3 47  . 

13  24  — 8 12  ß 2ß  „ 

1 II 

6 8«. 

Neptun*) 

Hertas.  Dcclin.  ! Aufg.  Unterg. 


13.  Sept  4H  12«  | + 19*25'  Sk  47»  kb.  0h39»5«. 

28.  . I1  4 11  -f  *9  24  | 7 48  . j 11  40  V«. 

13.  Okt.  4 10  + 19  20  ß 48  . 10  38  „ 


3.  Beobachtbare  Verfinsterungen  der  Jupitertrabanten. 

22.  Sept.  II.  Trab.  Verfingt.  Austritt  7h  24™  Ab. 

1.  Oktob.  I.  „ * 7 IG  * 


4.  Sternbedeckungen  durch  den  Mond. 

(Für  Berlin  sichtbar.) 

Oröfse  Eintritt  Austritt 


17.  Septemb.  *CTauri  3.3® 

2 ß“ 

Morg. 

2b 

29” 

Morg. 

20.  *'l‘Ophiuchi  5.0 

ß 9 

Ab. 

7 

12 

Ab. 

13.  Oktober  *1  Tauri  5.5 

7 5ß 

„ 

8 

49 

15.  „ *r(  Gemin.  3 — 4 

4 21 

Morg. 

5 

38 

Morg. 

•)  Kitiigu  bemerkengwerthe  scheinbare  Annäherungen  der  Planelen  an  Regulus  und 
Spioa  finden  am  19.,  20.  und  25.  Sept.  statt  u.  *.  steht 

am  19.  Sept.  Morg.  Merkur  nahe  bei  Spiea 
• 19-  . . Saturn  . * Regulus 

■ 9°-  - • Mars  . . • 

■ 25.  . Nachm.  Venus  » . . 


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711 


5-  Veränderliche  Sterne, 
a)  Maxima  variabler  Sterne: 


Maximum 

Helligkeit 

im 

18S9 

am 

Max. 

Min. 

Rectas. 

Declin. 

S Ceti 

1.  Oktob. 

7m 

10.11* 

0h  18"> 

25* 

— 

9° 

56' 

U Monoc. 

4.  T> 

6 

7 

7 

25 

29 

— 

9 

33 

U Virginia 

26.  Sept. 

7.8 

12.13 

12 

45 

28 

+ 

6 

10 

S Librae 

22.  . 

8 

12.13 

15 

15 

1 

— 

19 

59 

W Herculis 

20.  . 

8 

12 

16 

31 

18 

+ 

37 

34 

S „ 

29.  „ 

6 

12 

16 

46 

50 

+ 

15 

8 

R Scuti 

3.  Oktob. 

5 

8.9 

18 

41 

34 

— 

5 

49 

R Cygni 

4.  . 

6 

13 

19 

33 

50 

+ 

49 

57 

R Delphini 

1-  „ 

7.8 

13 

20 

9 

34 

+ 

8 

45 

T Aquarii 

15.  Sept. 

6.7 

12.13 

20 

44 

5 

— 

5 

33 

s 

14.  Oktob. 

8 

11.12 

22 

51 

9 

— 

20 

56 

U Cephei  . 
Algol 

U Coronae  . 
U Ophiucbi 

Y Cygni  . 


b)  Minima  der  Sterne  vom  Algol-Typus: 

20.,  25.,  30.  Sept.,  5.,  10.,  15.  Oktob.  Morg. 

19.  Sept.  Ab.,  23.  Nm.,  1.  Okt.  Mg.,  6.  Mttn.,  12.  Ab. 

16.  Sept.  Ab.,  23.  Ab.,  30.  Nm.,  7.  Oktob.  Nm.,  14.  Mttg. 

(Jedes  4.  Min.):  17.  Sept.  Mg.,  20.  Nm.,  23.  Ab.,  27.  Mg.,  30.  Nm., 
4.  Okt.  Mg.,  7.  Mg.,  10.  Ab.,  14.  Mg. 

(Jedes  3.  Min.):  19.  Sept.  Mg.,  23.  Nm.,  28.  Mg.,  2.  Okt  Nm., 
7.  Mg.,  11.  Nm. 


T Monoc.  . 
3 Lyrae 
7)  Aquilae  . 
$ Cephei 


c)  Minima  einiger  Veränderlicher  kurzer  Periode: 
. 27.  Sept. 

. 24.  Sept,  6.  Okt. 

. 19.,  27.  Sept.,  4.,  11.  Okt 
. 20.,  25.  30.  Sept,  6.,  11.  Okt 


6.  Meteoriten. 

Den  Hanptschwarm  des  Monats  Oktober  bilden  die  „Orionidon",  welche 
vom  9.  bis  29.  aus  einer  Himmelsgegend  naho  der  Keule  des  Orion  schwärmen 
und  ihr  Maximum  um  den  18.  Oktober  zeigen.  (Radiationspunkt:  AR=92®, 
D=-j-15°).  Der  Schwarm  wird,  da  der  Mondschein  nicht  mehr  störend  ist 
gut  verfolgt  werden  können.  Die  Oktobernächte  verdienen  übrigens  auch  in 
Bezug  auf  einigo  andere  sporadisch  auftretende  Meteorströme  die  Aufmerk- 
samkeit der  Beobachter. 


7.  Nachrichten  über  Kometen. 

Der  ßarnardsche  Märzkomet,  auf  dessen  jetzt  günstigere  Sichtbarkeit 
wir  im  Junihefte  hingewiesen  haben,  erreicht  mit  Anfang  September  bei  fort- 
während südlicher  Bewegung  den  nördlichen  Theil  des  Sternbildes  Eriilanus; 
seine  Helligkeit  beträgt  dann  um  ein  Drittel  mehr  als  bei  der  Entdeckung. 

Der  Komet,  den  Barnard  am  23.  Juni  aufgefunden  hat,  ist  nach  den 
übereinstimmenden  Berichten  der  Beobachter  sehr  schwach.  Die  Sonnenhöhe 
dieses  Gestirns  dürfte  um  den  21.  Juni  eingetreten  sein;  es  bewegte  sich  im 
Juli  und  August  mit  sehr  geringer  Deklinationsveränderung  quer  durch  das 
Sternbild  des  Perseus  und  wird  Anfang  September  in  den  nördlichsten  Theil 
des  Fuhrmanns  treten ; die  Entfernung  von  der  Erde  nimmt  zu  und  die  Hellig- 
keit sinkt  dann  auf  ein  Drittel  jener  bei  der  Entdeckung. 


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712 


Am  ß.  Juli  wurde  von  Brooks  in  den  „Fischen“  ein  Komet  gefunden, 
welchen  die  Beobachter  als  etwas  länglich  oder  kurz  geschwänzt  bezeichneten. 
Der  Komet  war  nicht  zu  schwach  und  besäte  eine  nördliche  Bewegung.  Laut 
einer  telegraphischen  Nachricht  ist  am  1.  August  auf  dem  Lick-Observatoriura 
an  diesem  Objekte  das  merkwürdige  Phänomen  einer  Dreitheilung  wahrge- 
nominen  worden. 

Aus  Queensland  wird  von  Davidson  die  Entdeckung  eines  hellen 
Kometen  am  21.  Juli  gemeldet.  Der  Komet  stand  in  dem  südlichen  Sternbild 
des  Centaur  und  bewegte  sich  nordwärts. 

* 

Bezüglich  der  in  unserem  neunten  Hefte  wiedergegebenen  Mondphoto* 
gramme  erfahren  wir  nachträglich  von  Herrn  Prof.  Holden,  date  dieselben 
von  Herrn  Prof.  Burnham,  Astronomen  der  Lick-Sternwarte,  aufgenommen 
worden  sind. 


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A.  Blytt.  The  probable  cause  of  displacement  of  boaehlities,  with 
two  additional  liotes.  Christiania,  1889,  in  Kommission  hoi  Jakob 
Dy  b w ad. 

Ho worth  sowohl  wie  Suefs  haben  aus  dem  Vorkommen  paralleler 
Strandlinien  und  Terrassenbildungen  an  den  Küsten  des  hohen  Nordens  und 
Südens  den  Schlufs  gezogen,  dafs  die  Pole  des  Erdballs  Zentralpunkte  seien, 
um  welche  die  Landmassen  seit  der  jüngsten  geologischen  Epoche  in  aufstei- 
gender Bowegung  begriffen  sind.  Die  Erklärung  dieses  Vorganges  sucht  Suefs 
in  einem  dauernden  Abströmon  der  Meeresgewässer  von  den  höheren  nach 
den  niedrigeren  Breiten  und  bezeichnet  gelegentlich  als  möglicho  Ursache 
solcher  ozeanischen  Wasserversetzung  eine  Vermehrung  der  Schwungkraft 
des  Erdballs,  die  eine  Beschleunigung  der  Rotation  in  der  letzten  geolo- 
gischen Zeitepocho  bedingen  würde. 

Hiergegen  bemerkt  A.  Blytt  mit  vollem  Recht,  dafs  die  Astronomie 
keine  Gründe  für  eine  Verkürzung  der  Rotationsdauer  unseres  Weltkörpers 
anzugoben  weifs;  vielmehr  macht  sie  uns  mit  einer  anderen,  durch  die  Erfah- 
rung noch  nicht  hinlänglich  verbürgten,  aber  theoretisch  doch  gesicherten 
Lehre  vertraut,  welche  gerade  zu  entgegengesetzten  Folgerungen  fuhrt.  Es 
ist  dies  die  Lehre  von  der  Verzögerung  der  Erdumwälzung  durch  die  soge- 
nannto  „Fluthreibung“.  I)a  nämlich  unser  Weltkörper  vermöge  der  täglichen 
Drehung  unter  der  durch  die  Mond-  und  Sonnenanziehung  zuriickgchaltenen 
Ozeanfluth welle  fortrollt,  mufs  ein  Theil  der  lebendigen  Kraft  des  Umschwungs 
durch  die  Reibung  dieser  Welle  gegen  den  Meeresboden  in  Warme  umgesetzt 
werden,  und  in  dem  beständigen  Wirken  der  Gczcitcnreibung  liegt  somit  eine 
Ursache  für  eine  dauernde  Zunahme  der  Tagesliinge.  Diese  von  Kant  zuerst 
ausgesprochene  Idee  ist  von  R.  Mayer,  Thomson,  Dolan nay  und  Ferrel 
als  folgerecht  anerkannt  worden,  während  ihre  tiefere  Behandlung  durch  G.  II. 
Darwin  für  die  Kosmogonie  Gesichtspunkte  von  weittragender  Bedoutung 
eröffnet  hat. 

In  der  oben  genannten  Schrift  hat  nun  der  Verfasser  mit  dieser  Lehre 
eine  Hypothese  zur  Erklärung  der  Niveauänderimgen  zwischen  Festland  und 
Meer  in  Verbindung  gebracht  Dabei  geht  er  von  der  durch  Darwin  (Nature, 
188ß,  S.  4*22)  naher  begründeten  Vorstellung  ans,  dafs  die  Abnahme  der 
Schwungkraft  Spannungen  im  Innern  der  plastischen,  nicht  absolut  starren 
Materie  unseres  Weltkörpers  erzeugt,  durch  deren  zeitweise  erfolgende  Aus- 
gleichungen die  Erdgestalt  sich  mehr  und  mehr  der  Kugelform  zu  nähern 
sucht.  In  der  hiermit  verbundenen  Anschwellung  des  festen  Erdganzen  rings 
um  die  Pole  und  in  der  sie  begleitenden  Zusammenstellung  am  Aequator  sucht  der 
Verfasser  die  wahrscheinliche  Ursache  der  Veränderlichkeit  in  den  Grenzlinien 


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zwischen  Festland  und  Meer.  Allerdings  werden  bei  verminderter  Fliehkraft 
auch  die  Wassermassen  der  Oceane  nach  den  Polen  zu  strömen,  die  ungleiche 
Widerstandskraft  der  festen  Erdschollen  kann  indessen  unter  dem  Einilufs 
der  inneren  Kräfte  stellenweise  Erhöhungen  des  Festlandes  gegen  den  See- 
spiegel bedingen,  so  dal's  die  in  höheren  Breiten  beobachteten  negativen  Ver- 
schiebungen der  Strandlinien  sich  mit  dieser  Hypothese  sehr  wohl  verein- 
baren lassen. 

In  Uebercinstimmung  mit  Lapparent  spricht  sich  Blytt  für  die  Mög- 
lichkeit einer  regelmäßigen  Wiederkehr  der  Schwankungen  zwischen  dem 
festen  und  dem  flüssigen  Elemente  aus,  und  will  dies  theoretisch  dadurch 
begründen,  dafs  die  Intensität  der  Fluthwelle  und  folglich  auch  die  Rotations- 
dauer mit  der  Excentricitüt  der  Erdbahn  periodischen  Veränderungen  unter- 
worfen ist;  innerhalb  des  größten  und  kleinsten  Werthes  der  Excentricität  soll 
die  flutherregende  Kraft  um  1 m ihrer  Oröfso  variiren  können. 

Wesentliche  Schwierigkeiten  erwachsen  dem  Verfasser  dadurch,  dafs 
er  bei  plausiblen  Voraussetzungen  über  die  Verlängerung  des  Sterntages  aus 
soincr  Hypothese  nur  auf  Schwankungen  zwischen  Festland  und  Meer  von 
wenigen  Metern  schließen  kann,*)  womit  in  anbetracht  der  bedeutenden 
NiveaudifTerenzirungen,  welche  seit  der  Tertiärepoche  stattgefunden  haben,  der 
geologischen  Wissenschaft  wenig  gedient  ist.  Aus  diesem  Grunde  erscheint 
auch  der  Versuch  des  Verfassers  etw'as  gewagt,  jene  gewaltigen  Katastrophen, 
von  denen  die  marinen  Ablagerungen  verschiedener  Perioden,  sowie  die  häu- 
figen Wechsellagerungen  rein  mariner  Schichten  mit  Land-  und  Süßwasser- 
bildungen  Zeugnifs  ablegcn,  auf  periodische  Veränderungen  der  Rotation  infolge 
der  geringen  Exccntricitätsschw7ankungen  der  Erdbahn  und  der  Gezeitenreibung 
zurückzuführen. 

Ein  weiterer  Theil  der  Schrift  hat  die  Vergleichung  der  astronomischen 
Excentrieitätspcriode  mit  der  Reihe  geologischer  Formationen  zum  Gegenstand. 
Es  w’ird  hier  der  Versuch  gemacht,  an  der  Hand  eines  Curvenzuges,  welcher 
die  Schwankungen  der  Exentricität  in  ihrer  Abhängigkeit  von  der  Zeit  vor- 
flihrt,  Mafsbestimmungen  für  die  Dauer  der  hauptsächlichsten  geologischen 
Epochen  zu  erzielen. 

Dr.  P.  Sch  wahn. 

$ 

Jahrbuch  der  Naturwissenschaften,  1888  — 89,  herausgegeben  von  Dr. 

Wildermann.  Verlag  von  Herder,  Freiburg  i./Br. 

Das  vorliegende  Jahrbuch  der  Naturwissenschaften  bietet  in  knapper 
und  klarer  Darstellung  einen  zusammenfassenden  Bericht  über  die  Fortschritte 
in  den  gesamten  Naturwissenschaften  irn  Laufe  des  letzten  Jahres  und  ist 
darum  ganz  besonders  jenen  Lesern  unserer  Zeitschrift  zu  empfehlen,  weiche 
auch  auf  den  von  derselben  nicht  vertretenen  Gebieten  der  Naturwissenschaften 
über  die  neuesten  Forschungsergebnisse  unterrichtet  zu  bleiben  wünschen. 
Die  Redaktion  läßt  an  Sorgfalt  und  Vollständigkeit  nichts  zu  wünschen  übrig 
und  die  Korrektheit  des  Inhaltes  ist  dadurch  verbürgt,  daß  die  einzelnen  Dis- 
ziplinen von  namhaften  Spezialforschern  bearbeitet  worden  sind. 

•)  Nach  il.  RTotlti  mufa  bei  lOSectimlen  Verlängerung  der  RotaUonspcriodc  der  Ae.jua- 
torealradius  der  Erde  um  5.6  Meter  abnehmen  und  dio  Verlängerung  der  Polaxe  ILS  Meter 
betragen.  (Geologieal  Effects  of  a varying  Rotation  of  tho  Enrth,  Amor.  Naturalist  XVII,  1683). 


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Neben  den  theoretischen,  experimentellen  und  beschreibenden  Natur- 
wissenschaften sind  in  besonderen  Abschnitten  auch  die  angewandte  Mechanik, 
die  Forst-  und  Landwirtschaft,  die  Anthropologie  und  Urgeschichte,  Gesund- 
heitspflege und  die  medizinischen  Wissenschaften,  Handel,  Industrie  und  Ver- 
kehr, und  endlich  auch  die  Länder-  und  Völkerkunde  behandelt  Zum  Schlüsse 
finden  wir  noch  einige  sehr  willkommene  Zugaben  in  einem  Bericht  über  die 
61.  Naturforscher -Versammlung,  einem  astronomischen  Jahreskalender  für 
1889/90,  und  endlich  noch  einem  leider  ziemlich  reichhaltigen  Todtenbuch. 
Der  überaus  reiche  und  mannigfaltige  Inhalt  des  36  Bogen  starken  Bandes 
wird  jedem  Leser  eine  Menge  interessanter  Mittheilungen  bieten.  Wir  wünschen 
dem  verdienstvollen  Unternehmen  auch  ferner  den  guten  Erfolg,  welchen 
bereits  der  vorangegangene  Jahrgang  errungen  hatte. 

* 

Verzeichnifs  der  vom  1.  Februar  bis  zum  1.  August  1889  der  Redaktion 
zur  Besprechung  eingesandten  Bücher. 

A.  B 1 y 1 1 , The  probable  cause  of  the  displacemcnt  of  beach-lines  (Second 
additional  nole).  Christiania,  A.  W.  Brogger,  1889. 

F.  Busch,  Beobachtungen  über  die  Polarisation  des  Himmelslichtes,  insbe- 
sondere zur  Zeit  der  Abenddämmerung.  Meteorologische  Zeitschrift,  1889. 
P.  Car us,  Fundamental  Problems.  The  Mothod  of  Philosophy  as  a systematic 
Arrangement  of  Knowledge,  Chicago,  Open  Court  Publishing  Company, 
1889. 

K.  K.  Central-Anstalt  für  Meteorologie  und  Erdmagnetismus,  Jahrbuch,  1887. 
Wien,  W.  Braumüller,  1888. 

K.  Geodätisches  Institut,  Polhöhenbestimmung  aus  dem  Jahre  1886  für 
zwanzig  Stationen  nach  dem  Meridian  des  Brockens  vom  Harz  bis  zur 
dänischen  Grenze.  Berlin,  Stankiewicz,  1889. 

J.  Hann,  Untersuchungen  über  die  tägliche  Oscillation  des  Barometers.  Wien, 
K.  K.  Hof-  u.  Stautsdruckerei,  1889. 

P.  Hayn,  Der  Ursprung  der  Gruben wasser.  Mit  6 graphischen  Darstellungen. 
Freiberg  i/S.»  Graz  & Gerlach,  1887. 

H.  Helmholtz,  Ueber  die  Erhaltung  der  Kraft,  No.  1 von  Ostwalds  Klassiker 
der  exakton  Wissenschaften.  Leipzig,  W.  Engelmann,  1889. 

F.  Hoffmann,  DerSinu  für  Naturschönlieiten  in  alter  und  neuer  Zeit.  Hamburg, 
A.  G.  vorm.  J.  F.  Richter,  1889. 

E.  S.  Holden.  Publications  of  the  Lick  Obscrvatorv  of  the  University  of  Cali- 
fornia. Sacramento,  J.  D.  Young,  1887. 

Jahrbuch  der  Naturwissenschaften  1888 — 1889.  Mit  18  in  den  Text  gedruckten 
Holzschnitten.  Freiburg  i/B.,  Herder,  1889. 

M.  Kirchner,  Die  geographische  Länge  und  Breite  von  Duisburg.  Altenburg, 
Pierer’scho  Hofbuchdruckerei,  1889. 

C.  Koppe,  Ueber  die  Prüfung  von  Aneroiden,  Sonderabdruck  aus  der  Zeit- 
schrift für  Instrumentenkunde.  Springer,  Berlin,  1889. 

C.  Koppe,  Die  Photogrammetrie  oder  Bildmefskunst.  Weimar,  Deutsche  Photc- 
grapheu-Zcitung,  1889. 

A.  Krebs,  Beiträge  zur  Kenntnifs  und  Erklärung  der  Gewitter-Erscheinungen 
auf  Grund  der  Aufzeichnungen  über  die  Gewitter  Hamburgs  in  den 
Jahren  1878-1887.  Stuttgart,  J.  Maier,  1889. 

A.  Lancaster,  Le  Climat  de  la  Belgique  en  1888.  Bruxelles,  F.  Hayez,  188*. 

Himmel  und  Erde.  1.  12.  Öl 


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R.  Lepsius,  Geologie  von  Deutschland  und  den  angrenzenden  Gebieten.  Erster 
Band,  Lieferung  1 und  II.  (Mit  einer  geologischen  Karte  und  zahlreichen 
Profilen  im  Texte.  Stuttgart,  J.  Engel horn,  1887. 

R.  Paarmann,  Die  Schöpfung  und  das  Geistige  in  derselben.  Eine  natur- 
wissenschaftliche Studie.  Königsberg,  Hartung,  188!). 

J.  Palisa,  Wie  man  sich  die  Zeit  bestimmen  kann.  Vortrag,  gehalten  im 
Wissenschaftlichen  Club  in  Wien  am  21.  März  18S9. 

E.  Pasquier,  De  l’Unification  des  heures  dans  le  Service  des  chemins  de  fer. 
Bruxelles,  Economie  finaneiöre,  1889. 

E.  Pasquier,  Apropos  du  „Canon  des  Eclipses-  d’Oppolzer,  Extrait  de  la 
Revue  Ciel  et  Terre,  1889. 

E.  Pasquier,  Encore  le  Canon  des  Eclipses,  Reponso  äM.  Flammarion,  Extrait 
de  la  Revue  Ciel  et  Terre,  1889. 

B.  Peter,  Monographie  der  Sternhaufen  G.  C.  44G0  und  G.  C.  1 440,  sowie  einer 
Sterngruppe  bei  o Piscium.  Mit  2 Tafeln  und  2 Holzschnitten.  Leipzig, 
S.  Hirzel,  1889. 

J.  Radanyi,  Die  Rotation  der  Himmelskörper  oder  das  Gesetz  der  Axcn- 
drehung  und  Bahnbowegung.  Kronstadt,  Alexi,  1889. 

A.  Ritter,  Untersuchungen  über  die  Constitution  gasförmiger  Weltkörper. 
Leipzig,  J.  A.  Barth,  1889. 

R.  Röttger,  Erdbeben.  Hamburg,  A.-  G.  vonn.  J.  F.  Richter,  1889. 

J.  L.  Sanguet,  Tables  trigonomötriques  cent£simales.  Paris,  Gauthier-Villars 
et  Fils,  1889. 

J.  V.  Sch  iaparelli,  Sulla  Distribuziono  App ar oute  Delle  Stelle  Visibili  Ad 
Occhio  Nudo.  Milano,  Ulrico  Iloepii,  1889. 

J.  F.  H.  Schulz,  Zur  Sonnenphysik  I,  Separatabdruck  aus  dem  Repertorium 
der  Physik.  Wien,  1888. 

Schweizerische  Geodätische  Com  miss  io  u,  Das  Schweizerische  Dreiocks- 
netz,  Band  IV,  Die  Anschlursnetzc  der  Grundlinien.  Zürich,  S.  Höhr,  1889. 

Scientific  Transactions  of  the  royal  Dublin  Society,  Volume  IV, 
Observation«  of  the  Planet  Jupiter,  mado  with  the  Reflector  of  three  feet 
aperture  at  Birr  Castle  by  O.  Boeddicker,  1889. 

P.  Tacchini,  Eclissi  totale  di  Sole  del  1870,  1883,  18S6  e 1887.  Roma,  Eredi 
Botta,  1888. 

M.  Tejera,  Origen  y Constituciön  Mecänica  del  Mundo.  Barcelona,  L.  T.  Sorra 
1889. 

R.  Thommen,  Unser  Kalender.  Hamburg.  A.-  G.  vorm.  J.  F.  Richter.  1889. 

W.  Val  entiner,  Veröffentlichungen  dor  Grofsherzoglichen  Sternwarte  zu  Karls- 
ruhe, Heft  III.  Karlsruhe,  Braun,  1889. 

E.  W eifs,  Annalen  der  K.  K.  Universitäts-Sternwarte  in  Wien,  Band  V und  VI, 
Jahrgang  1885  und  1886,  Wien  1887  und  1888. 

H.  Wild,  Normaler  Gang  und  Störung  der  erdmagnetischen  Declination. 
Kaiserliche  Akademie,  St.  Petersburg,  1889. 


Verlag  von  Hermann  Paetfl  In  Berlin.  — Druck  von  Wilhelm  Gronau*«  Buchdruckerei  in  Berlin. 
Fllr  die  Hedaction  verantwortlich : Dr.  M.  Wilhelm  Moyor  in  Berlin. 
Unberechtigter  Nachdruck  aus  dem  Inhalt  dieser  Zeitschrift  untersagt 
l'eberaotzungsrecht  Vorbehalten. 


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