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WHITNEY LIBRARY,
IIARVARD UNIVERSITY.
THE GIFT OF
J. I). WHITNEY,
Stuvgit ffooptr Pnifruor
IX THE
MUSEUM 01 OOMPAEATIVE ZOÖLOGY
SCIENCES LIBRARY
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M
Himmel und Erde.
Illustrirte
naturwissenschaftliche Monatsschrift
Herausgegeben
von der
GESELLSCHAFT URANIA.
Redacteur: Dr. M. Wilhelm Meyer.
I. Jahrgang.
BERLIN.
Verlag von Hermann Paetel.
1881).
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Unberechtigter Nachdruck aus dom Iuhalt dieser Zeitschrift untersagt,
Uebcrsetzungsrecht Vorbehalten.
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Verzeichnifs der Mitarbeiter
am L Bando der illustrirten naturwissenschaftlichen Monatsschrift
„Himmel und Erde“.
Archenhold, F. S., in Berlin Iftl.
•233. 1H1I üiL. 662*
Beck, Dr. R., Scctionsgeologe in Leip-
zig 347.
Bergbaus, Major a. D. 70(1.
Brauns, Prof. Dr. D., in Halle 6 2.
Coyp, A. J., in Wien .308.
Förster, Prof. Dr. Wilhelm, Director
der Kgl. Sternwarte zu Berlin 18»
228. 826, 631*
Ginzel, F. K., Astronom am Rechen-
institut zu Berlin 60. 130. 131. 133.
•200. 2 58. 488.
Holden, Prof. Edw'ard, S., Director
der Lick-Sternwarto auf Mount-Ha-
milton 437. 501.
Josse, O., in Steglitz 263. 428.
Kleiber, Joseph, in St Petersburg
53* 117.
Lehmann-Filhds, Dr. M., in Berlin
421*
Meyer, Dr. Max Wilhelm, in Berlin
3L 103. 162* 216* 235* 333* IRL 415.
532. 646* 634.
Mohn, Prof. Dr. IL, Director des nor-
wegischen meteorolog. Instituts in
Christiania 383. 437. 300. 3,84. 638. 676.
Rottok, Admiralitätsrath E., in Berlin
356* 524.
Samter, Dr. Heinrich, in Wolfenbüttel
46* 282*
Schoinor, Dr. J., Astronom am Astro-
physikal. Observatorium zu Potsdam
107. Gl 2. 667.
Schiaparelli, Prof. J. V., Director
der Kgl. Sternwarte in Mailand L
85. UI.
Schwahn, Dr. P., in Berlin 110. 121.
633. 7 13.
Seeliger, Prof. H.. Director der Kgl.
Sternwarte bei München 323. 304.
Sherman, O. T., Baltimore 377.
Sohncke, Prof. L., in München 445.
313. 372.
Stolzner, Prof. A.W., in Freiberg 160.
Wagner, Dr. Ernst, Assistent des Kgl.
meteorolog. Institus zu Berlin 64*
3RL 313* 402* 463* 432* 603.
Weinek, Prof. Dr. L., Director der
K. K. Sternwarte in Prag 337. 625.
Weinstein, Dr. B., Privatdozent in
Berlin 234. 360.
Zittel, Prof. R. v., Director der paläon-
tologischen Staats - Sammlung in
München 413.
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Inhalt des ersten Bandes.
Essais.
•Ueber die beobachteten Erscheinungen auf der Oberfläche des Planeten Mars.
Seit«
Von Prof. J. V. Schi aparelli, Direktor der Künigl. Sternwarte zu
Mailand 1. 85.
147
l’eber die Ziele der l’oiiularisirung der Naturwissenschaften im Hinblick auf
die Zeitschrift ..Himmel nnd Erde“. Von Prof. Dr. Wilhelm Foerster.
Direktor der Kgl. Sternwarte zu Berlin
18
•Der Strand von Pozznoli nnd der Serapis-Tempel im nenen Lichte dargestellt.
Von Prof. Dr. D. Brauns in Halle
fi7
•Ueber historische Sonnenfinsternisse. Von K. K. Uinzel. Astronom am
Recheninstitut der Kgl. Sternwarte in Berlin 133.
206
Die Stenographische Bestimmung der Bewegung der Himmelskörper in der
Gesichtslinie. Von Dr. .1. Sc ho in er, Astronom am astrophysikalischen
Observatorium zu Potsdam
137
"Die leuchtenden Nachtwolken. Von O. Jesse in Steglitz
263
Ueber einige Aufgaben der l’hotometrie des Himmels. Von Prof. H. Seeligor,
Direktor der Kgl. Sternwarte hei München 323.
* Pit1 norwegische Nord in ecr-f, Spedition. Von Prof. Dr. H. Mohn, Direktor
des norwegischen metoorologisclion Institut» in Christiania. 385. 437.
■riUi>. 584. 638. 676
* Die ungewöhnlichen atmosphärischen Erscheinungen nach dem Ansbrnehe des
Krakalan. Yon Dr. Ernst Wagner, Assistent des Kgl, meteorologischen
Instituts in Berlin 402. 463
*Die Lick- Sternwarte, Vom Direktor derselben. Professor Edward
S. Holden 437. 501
Neuere Theorieen der Lnlt- uiul tiewillcr-Kleklricität- Von Prof. I., Sohnchc
in München . I l.'i. 313. 372
“Der Fortschritt in der Selcnographie. Von Professor Dr, I.. Weineck,
Direktor der lc 1< . Sternwarte in Prag 557. 625
•Unser Wissen über das Zodiakallieht. V»n O. T. Sherman in Baltimore 577
•Das fünfzigjährige Jubiläum der Sternwarte zn 1‘nlkowa tili
•l'eber die Bedeutung der photographischen Methoden in der Astronomie. Von
Dr. J. Soli einer, Astronom am aslrojthysikalischen Observatorium
bei Potsdam ..... . 612. 667
Das Wissen über das Thierhreislicht. Von Prof, Dr. Willi. Foerster, Di-
rektor der Kgl. Sternwarte zu Berlin 631
Feuilleton.
"Die Veranstaltungen der Urania. Von Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin 31
•Astronomische Neuigkeiten. Von Dr. Heinrich Samter 40
Versuch einer beweisfuhrendrn Darstellnng des Weitgehendes in elementarer
Form. Von Dr. M. Wilhelm Moyer in Berlin:
I. Einleitung- 103
II. Die Gestalt und Gröfse der Erde 107
•III. Die Sphären 216
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VIII
Inhalt
Seit«
•IV. Die scheinbaren Bahnen der Himmelskörper *295
•V. Der excentrische Kreis und die Epicykeln 333
•VI. Das System des Copernikus 419
VII. Die heliocentrische Bewegung 475
* VIII. Die himmlische Feldmefskunst 53*2
•IX. Die Schwerkraft und das dritte Keplerache Gesetz .... 646
X. Schlüte 694
•Der Werkotseh bei Aussig 160
Wissenschaftliche Lnternehmangen in Amerika. Von Dr. Heinrich Samter
in Wolfenbüttel 287
•Der Yellowstone Park. Von Prof. R. v, Zittel. Direktor der palaeonto-
logischen Staats-Sammlung in München 413
Die Fundstätte des isländischen Kalkspates. Aus dem Isländischen des Thor-
valdur Thoroddsen (Heise im Ostlande im Sommer 188*2). Uebersetzt
von AL Lehmann -Filhäa . . . . . . . . . . . . . . . 471
Pro |> ho teilt hum und Hierarchie in der Wissenschaft. Eine zeitgeschichtliche
Skizze von Prof. Wilhelm Koerster. Direktor der _KgL_ Stern warte
zu Berlin 326
Mittheilungen.
•Ufr Komet Sawerlhal . . , . . . . . , . . . . . . . . . : ; 5ä
Die Sonnenflnglernifg vom 19. Anglist 1887. Von Joseph Kleiber in
St. Petersburg 53
•Erscheinungen am Slernenliim mel im Monat Ortober 54
Welche Vcränilernngen erführt noch jetzt die läge der Drehungs-Axe drr Erde?
Von Dr. P. Schwalm in Berlin HO
•Die Sonnentinsternifg vom 10, Anglist und die Sonneneoron». Von Joseph
Kleiber in St. Petersburg • 117
•Erscheinungen am Slernenhimnifl im Monat November 12 Ihr Nachts , . , 12i
•Ueber die Verschiedenheiten der Wahrnehmung nnd llarstellnngvon Nebeldecken 179
Heber das Stcrnschwanken- Von K. S. ArchonhoUl in Berlin. . , . . 1S1
•Erscheinungen am Sternenhimmel im .Monat Dezember IM
•Pits Zodiakal- oder Thierkreisliclit. Von Prof, Willi. Koerster. Direktor
der Kgl, Sternwarte zu Berlin 228
•Das Polarlicht. Von [)r. II Weinstein , , . 360
Allgemeine l'ehersicht der beobachte ii-.wcrthcn llimme isersclieinnngen iin
■fahre 1889 34S
lieber eine neue Messung der Drehnngsgeschwindigkeit der Sonne anf spetlro-
metrischem Wege 253
Die Säcniarversehiehnng der Strandlinien an den schwedischen Küsten . . . 307
Verzeiehnifs der bekannten Doppelsternbalinen nml berechneten Parallaxen
von Fixsternen . . . . . 310
Ergcheitmngen am Sternenhimmel im Monat Februar ’ü-t
•Die Ausbrüche des Krakntan im Jahre 1S83. Von Dr. R. Beck, Sections-
geolnif in Leipzig 347
Flnthwellen in der Ostsee nnd an den Rügten dentscher Kaloniaigebiete. Von
Admiralitaterath Koltok in Berlin . „ . , . . , . , . , , = , , 356
•Zur Theorie der tiebirgskcttcn-Dildnng infolge der Särnlar-Ahknhlnng der Erde 370
Erscheinungen um Sternenhimmel im Monat März 37-1
Von den lenchtenden Naclitwolken. Von O. Jesse in Steglitz ..... 428
Ergänzung zn dem Verzeiehnifs der Doppelatcrnhnhnen 121»
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Inhalt.
IX
Seit«
Erscheinungen am Sternenhimmel im Monat April 430
Sternwarte in Tokio. — Wilhelm Tempel f 432
•Wilhelm Ernst Tempel f 486
Die tägliche Xntation oiier Erdagen-Schwanknng 489
Grönlands erste Durchquerung 490
Spectroskopisrhe Expedition anf den Mont Blanc 492
Erscheinungen am Sternenhimmel im Monat Hai 493
J. 1». Saret, Winkelmessendes Fernrohr 497
“Die Photogrammetrie oder Bildmefsknnst 546
Ansriistnng der Sternwarte in Nizza 550
Erscheinungen am Sternenhimmel im Monat Jnni-Jnü 551
Duplicilät von * l'rsae majoris . . , . 553
Die Mundliililer . . . . 553
Ueher das Eindringen des Lichts in die Tiefen lies Meeres Von Admiralitats-
rath Huttok . . . . . . . . . . . . . . , . . , . Ö34
Klimatische Eigentümlichkeiten Persiens. Von A. J. Ceyp 5t)8
Die Lebensdauer des Deuter Sees . . . . . . . . . . . . . , , , . G£B
Znr Frage der Teinperatnrverliiiltnisse lies Erdinnern 601
Erscheinungen am Sternenhimmel im Monat Juli-Angnst 005
•Die Eick-Sternwarte anf Wt. Hamilton , , . . . £07
Der achte deutsche Geographcntag 655
Mittlere Hiihc der Kontinente und mittlere Tiefe der Meere. Von F. S.
Archonhnld 602
Erscheinungen am Sternenhimmel im Monat Angnst-Septemher 663
Astronomisch-photographischer l'ongrefs 606
•Das Okularende des greisen Refraktors der Sternwarte zu Pulkuwa . . . 702
Die submarinen Tiefehenen in ihrer Beziehung zur vnlkanischen Thiitigkeit . '03
Spectroskapische Beubaehtungen am Eiflelthurui 706
Entstehung der elliptischen Bewegung der Kumeten 707
Erscheinungen am Sternenhimmel im Monat September- Oktober 709
Bibliographisches.
Stanbfiille 56
Dichtigkeitsmessnngen des Meereswassers 57
Periodicität der Gewitter 53
Analogieen in den Gestaltungsverhältnissen der l'ontinente 50
Xeumaver. Anleitung zu wissenschaftlichen Beohachtnngen anf Reisen, Be-
sprochen von F. K. Ginzel 60
Woeikof, Die Klimate der Erde. Besprochen von Dr. Ernst Wagner . . 64
Ans der Spectralanalyse 124
Der Ausbruch des Bandai-San aul' Japan 127
Beobachtung der Höhe, Länge und (iesrhwindigkeit der Ocranwellen .... 128
H. C. E. Martus, Astronomische Geographie. Zweite Auflage. Besprochen
von F. K. Ginzel 180
D. 0. Dziobek, Die mathematischen Theorieen der Planctenbewegnngen. Be-
sprochen von F. K. Ginzel 181
Luftschifffahrt und Meteorologie 186
Warme Winde in Grönland 189
lieber den muthmafsliehen Zusammenhang der mikroseismisrhen Erderschütte-
rungen mit dem Luftdruck und Winde 189
Modelle der Oceanbetten 191
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X
Inhalt.
Seil«
Alfred Ritter v. Irljanitzky, Die Elektricilat des Himmeln und der Erde. Be-
rn »rochen von Dr. P. Sr li wahn 191
Schnrig, „Tahnlae Caclestes“ Himmelsatlas l'.>3
Messer, Sternatlas fiir Himinelsbeobachtungen 193
Verzeichnis der bis zum 16. Xaveaiber der Redaktion rar Besprechung ein-
gesandten Micher 135
•Das Spiegelbild der Sonne am Meereshurizonl. Von V. S. Archonhold ■ 223
A. M. Clerke, (ieschiehte der Astronomie während des nennzehnten Jahr-
hnnderts. Dcntsrhe Ausgabe von II. Maser. Besprochen von F. K. Qi nzel 258
(Inifse Meerestiefen 318
Helgaland 318
X. Ekliolm et K. L. Hagström. Mensuren des hantenrs et des monvements des
nnages. Besprochen von Ur. Ernst Wagner 319
Amerikanische Krfalge und Bestrebungen bei der Beobachtung neuerer totaler
Sonnenfinsternisse . . . . . . A , . , . . , . . . . , , . , ■ 377
K. Marchand, Relations des pheuoinrnes solaires et des pertnrhalions du
magnetisme terrestre. Besprochen von Dr. Wagner 379
Verzeietmifs der vom 16. November 1888 bis 1. Februar 1889 der Itedakliun
znr Besprechung eingesandten Bücher 380
Zwei liemerkenswertlie Bearlieitnngen von Kometenerselieinuiigen .... 433
K. raspary, Oonrs d'Astrnnomie practiqne. 2. vol. Paris. Ganthier-Villars, 1889 498
v. Xiessl, lieber das Meteor vom 22. April 1888 G08
P. Tacchini, Eelissi totali disole del deeemhre 1870, del inaggio I8S2 e 1883.
e delP agoslo 1886 e 1887. Relazioni e note 609
II Wild, Noimaler Hang nnd Störungen der erdmagnetisehen Deklination . , 609
A. Illvtt. Tlic probable ranse of displarenient of hcachlines. Von Dr.P. Hell wahn 713
Jahrbuch der Naturwissenschaften 1888/89 714
Verzeichnis der vom I. Februar bis zum 1. August 188!) der Kcdaktion zur
Besprechung eingesandten Bücher "15
SprerlMHMl GG. 132. 196. 261. 321. 382. 433. 300. 353
Den mit einem • versehenen Artikeln sind erläuternde Abbildungen
beigegeben.
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Namen- und Sachregister
zum ersten Bande.
a Ursae majoris, Duplicität von 553.
Amerika, wissenschaftliche Unter-
nehmungen in. Von Dr. Heinrich
Sarater in Wolfenbüttel 287.
Astronomische Neuigkeiten. Von
Dr. Heinrich Samter 40.
Astronomisch - photographisch.
Congrefs 666.
Bandai-San auf Japan, der Ausbruch
des 127.
Blytt, A.. The probable cause of dis-
placement of beachlines. Von Dr.
P. Schwahn 713.
Bücher, Verzeichnifs der bis zum
15. November der Redaktion zur Be-
sprechung eingesandten 195.
Bücher, Verzeichnifs der vom 16. No-
vember 1888 bis 1. Februar 1889 der
Redaktion zur Besprechung einge-
sandten 380.
Bücher, Verzeichnifs der vom 1. Fe-
bruar bis zum 1. August 1889 der
Redaktion zur Besprechung einge-
sandten 715.
Caspary, E., Cours d’Astronomie
practique. 2. vol. Paris, Gauthier-
Villars 1889, 498.
Clerke, A. M., Geschichte der Astro-
nomie während des neunzehnten
Jahrhunderts. Deutsche Ausgabe von
H. Maser. Besprochen von F. K.
Ginzel 258.
Doppelsternbahnen, Ergänzung zu
dem Verzeichnifs der 429.
Doppelstornbahnonund berechnete
Parallaxen von Fixsternen, Ver-
zeichnifs der bekannten 310.
Drehungs-Axe der Erde, welche
Veränderungen erfährt noch jetzt
die Lage der. Von Dr. P. Schwalm
in Berlin 110.
Drehungsgeschwindigkoit der
Sonne auf spektrometrischem Wege,
über eine neue Messung der 253.
Dziobek. D. O., die mathematischen
Theorieen der Planetenbewegungon.
Besprochen von F. K. Ginzel 131.
Eiffelthurm, spectroskopische Beob-
achtungen am 706.
N. Ekholm et K. L. Hagström, Mes-
sures des hauteurs et desmouvements
des nuages. Besprochen von Dr. Ernst
Wagner 319.
Elliptischen Bewegung der Ko-
meten, Entstehung der 707.
Erdinnern, zur Frage der Tempo*
raturverhältnisso des 604.
Fl uth wellen in der Ostsee und an
den Küsten deutscher Kolonialge-
biete. Von Admiralitätsrath Rottok
in Berlin 356.
Gebirgsketten-Bildu ng, zur Theo-
rie der, infolge der Säcular-Ahktih-
lung der Erde 370.
Genfer Sees, die Lebensdauer des
602.
Geographentag, der achte deutsche
655.
Gewitter, Periodieität der 58.
Ge witter - Elektricität, neuere
Theorieen der Luft- und. Von Prof.
L. Sohncke in München 445. 515. 572.
Grönland, warme Winde in 189.
Grönlands erste Durchquerung 480.
Helgoland 318.
Himmelserscheinungen, allge-
meine Uebersicht der beobachtens-
werthon, im Jahre 1889, 248.
K alk spates, die Fundstätte des islän-
dischen. Aus dem Isländischen des
Thorvaldur Thoroddsen (Reise im
Ostlande im Sommer 1882). Uebcr-
setzt von M. Lchmann-Filhös 471.
Kometenerscheinungen, zwei be-
merkenswerthe Bearbeitungen von
433
Kontinente, Analogieen in den Ge-
staltungsverhältnissen der 59.
Digitized b)
xir
Inhalt.
Kontinente, mittlere Höhe der, und
mittlere Tiefe der Meere. Von F. S.
Archenhold C62.
Krakatau, die Ausbrüche des, im
Jahre 1883. Von Dr.R. Beck, Sections-
geolog in Leipzig 347.
Krakatau, die ungewöhnlichen atmo-
sphärischen Erscheinungen nach dein
Ausbruche des. Von Dr. Ernst
Wagner, Assistent des Kgl. metoro-
logischen Instituts in Berlin 40*2. 463.
Lick-Sternwarte, die. Vom Direk-
tor derselben Edward 8. Holden
437. 501.
Lick-Sternwarte auf Mt Hamilton,
die 607.
Luftschifffahrt und Meteorologie 186.
March and, E., Relations des phftio-
menes solaires et des perturbations
du magngtisme terrestre. Besprochen
von Dr. Wagner 379.
Mars, über die beobachteten Erschei-
nungen auf der Oberfläche des Pla-
neten. Von Prof. J. V. Schiaparelli,
Direktor der Königl. Sternwarte zu
Mailand 1. 85. 147.
Mart us, H. C. E., astronomische Geo-
graphie. Zweite Auflage. Besprochen
von F. K. Ginzel 130.
Meere s tiefen, grofse 318.
Meeres Wassers, Dichtigkeitsmes-
sungen dos 57.
Messer, Stematlas für Himmelsboob-
achtungen 193.
M i k r o so ismisch e n Erdorschüt-
terungen, über den muthmafs-
lichen Zusammenhang der, mit dem
Luftdruck und Winde 189.
Mondbilder, die 555.
Mont Blanc, spektroskopische Expe-
dition auf den 492.
Nachtwolken, die leuchtenden. V on
O. Jesso in Steglitz 263.
Nachtwolken, von den leuchtenden.
Von O. Jesse in Steglitz 428.
Natur wisse n schäften, Jahrbuch
der, 1888, 89, 713.
Nebelflecken, über die Verschieden-
heit der Wahrnehmung und Darstel-
lung von 179.
Neumayer, Anleitung zu wissen-
schaftlichen Beobachtungen auf Rei-
sen. Besprochen von F. K. Ginzel 60.
Niessl, v„ über das Meteor vom
22. April 1888, 6)8.
Nizza, Ausrüstung der Sternwarte
in 550.
Nordmoer-Expoditon, die norwe-
gische. Von Prof. Dr. H. Mohn, Di-
rektor des norwegischen meteoro-
logischen Instituts in Christiania 385.
457. 509. 58». 638. 676.
Nutation, die tägliche, oder Erd-
azen-Schwankung 489.
Oceanbetten, Modelle der 191.
O c e a n w e 1 1 e n , Beobachtung der Höhe,
Länge und Geschwindigkeit der 128.
Persiens, klimatische Eigentümlich-
keit. Von A. J. Ceyp 598.
Photogrammetrie, die, oder Bild-
mefskunst 546.
Photographischen Methoden,
über die Bedeutung der, in der Astro-
nomie. Von Dr. J. Sch einer, Astro-
nom am astrophysikalischen Obser-
vatorium bei Potsdam 612. 667.
Photometrie des Himmels, über
einige Aufgaben der. Von Prof. H.
Soeliger, Direktor der Kgl. Stern-
warte bei München 323. 394.
Polarlicht, das. Von Dr. B. Wein-
stein 234. 360.
Populariairung der Naturwis-
senschaften, über die Ziele der,
im Hinblick auf die Zeitschrift „Him-
mel und Erde**. Von Prof. Dr. Wilhelm
Foerster, Direktor der Kgl. Stern-
warte zu Berlin 18.
Pozzuoli, der Strand von, und der
Serapis-Tempel im neuen Lichte dar-
gestellt. Von Prof. Dr. D. Brauns in
Halle 67.
Prophetenthum und Hierarchie in
der Wissenschaft. Eine zeitgeschicht-
liche Skizze von Prof. Wilhelm
Foerster, Direktor der Kgl. Stern-
warte zu Berlin 526.
P u 1 k o w a , das fünfzigjährige Jubiläum
der Sternwarte zu 611.
Pulkowa, das Okularende desgrofsen
Refraktors der Sternwarte zu 702.
Sa werth al, der Komet 52.
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Inhalt.
XIII
Schurig, „Tabulae Caelestes“ Hirn-
mclsatlas 193.
Selenographi e, der Fortschritt in
der. Von Prof. Dr. B. Weineck,
Direktorder k. k. Sternwarte in Prag
557. 625.
Sonn o nfiuste rnifs, die, vom 19.
August 1887. Von Joseph Kleiber
in St. Petersburg 53.
S onnenfinsternifs, die, vom 19.
August und die Sonnencorona. Von
Joseph Kleiber in St. Petersburg 117.
Sonnenfinste r n is so, amerikanische
Erfolge und Bestrebungen bei der
Beobachtung neuerer totaler 377.
Sonnenfinsternisse, über histori-
sche. Von F. K. Ginzel, Astronom
am Rccheninstitut der Kgl. Stern-
warte in Berlin 133. 206.
Soret, J. L., Winkelmessendes Fern-
rohr 497.
Spektralanalyse, aus der 124.
Spcktograp bische Bcsti in in nng,
die, der Bewegung der Himmels-
körper in der Gesichtslinie. Von
I)r. J. Scheiner, Astronom am astro-
physikalischen Observatorium zu
Potsdam 197.
Spiegelbild, das, der Sonne am
MeereahQrizQnh Von F. S. Arriien-
huld 225,
Sprechsaal 66. 132. 196. 261.321.382.
431 500, 555,
Staubfälle 56.
Sternenhimmel, Erscheinungen am,
im Monat Oktober 54.
Sternenhimmel, Erscheinungen am,
im Monat November 122.
Sternenhimmel, Erscheinungen am,
im Monat Dezember 1S4.
Sternenhimmel, Erscheinungen am,
im Munal Februar 314,
Sternenhimmel, Erscheinungen am,
im. -M.unaL.M.ärz.. 37.1
Ste rncnli im mol, Erscheinungen am,
im Monat April 430.
Sternen himmel, Erscheinungen am,
im Monat Mai 493.
Sternenhimmel, Erscheinungen am,
im Monat Juni-Juli 551.
Sternen himmel, Erscheinungen am,
im Monat Juli-August 605.
Sternenhimmel, Erscheinungen am,
im Monat August-September 663.
Sternenhimmel, Erscheinungen am,
im Monat September-Oktober 709.
Sterilschwanken, über das. Von F.
S, Archcnhgld in .Berlin 13h
Strandliuien, die Säcularverschie-
bung der, an den schwedischen
Küsten 307.
Tacchini, P., Eclissi totali disole dol
deccrabrc 1870, del maggio 1882 c
1883, o doll’ agosto 1886 e 1887.
Rclazioni e note 609.
Tempel f, Wilhelm 432.
Tempel f, Wilhelm Ernst 486.
Thierkroislicht, das Wissen über
das. Von Prof. Dr. Willi. Foerster,
Direktor der Kgl. Sternwarte zu Ber-
lin; siehe auch Zodiakallicht 691.
Tiefebenen, die submarinen, in ihrer
Beziehung zur vulkanischen Thätig-
kejt 7Q3.
Tiefen des Moores, über das Ein-
dringen des Lichts in die. Von
Admiralitätsrath Bottok 594.
Tokio, Sternwarte in 432.
Urania, die Veranstaltungen der. Von
Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin 31.
Urbanitzky, Alfred Bitter v., die
Elektricität des Himmels und der
Erde. Besprochen von Dr.P. Sch wahn
191
We 1 1 ge b ä u d e 8, Versuch einer be weis-
fii h re nden Darstel 1 ung d es, in elemen-
tarer Form. Von Dr. M. Wilhelm
Meyer in Berlin:
I. Einleitung 103.
II. Die Gestalt und Grüfse der
Erde 167.
III. Die Sphären 216.
VI. Die scheinbaren Bahnen der
Himmelskörper 295.
V, per excentrische Kreis und die
Epicykeln 333.
IV. Das System des Copornikus 419.
VII. Die heliocentriseho Bewegung
iÜL
VIII. Die himmlische Fcldmcfskunst
532.
IX. Die Schwerkraft und das dritte
Keplersche Gesetz 646.
X. Schlufs 694.
Digitized by Google
XIV
Inhalt.
Wer kotseh, der, bei Aussig 160.
Wild, H., normaler Gang und Störun-
gen der erdmagnetisehen Deklina-
tion 609.
Woeikof, die Klimale der Erde. Be-
sprochen von Dr. Ernst Wagner 64.
Yellowstone Park, der. Von Prot
R. v. Zittel, Direktor der pulaeonto-
1 ogisehen Staats-Sammlung in Mün-
chen 413.
Zodiakal- oder Thierkreislicht,
das. Von Prot Wilh. Foerster, Direk-
tor der Kgl. Sternwarte zu Berlin;
siehe auch ThierkreisLicht 22s.
Zodiakal licht, unser Wissen über
das. Von O. T. Sherman in Balti-
more ; siehe auch Thierkreislicht 577.
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Ueber die beobachteten Erscheinungen auf der
Oberfläche des Planeten Mars.
Von
Prof. J. V. Srhiaparelli,
Direktor der königl. Sternwarte an Mailand.*)
c'&oschon seit mehr als zwei Jahrhunderten ist die Oberfläche des Mars
ji.U, der Gegenstand teleskopischer Beobachtungen gewesen, und die
ersten Zeichnungen seiner Flecke stammen bereits von Huygens
und Hooke. Diese Flecke wurden anfänglich zur Bestimmung der Um-
drehungsgeschwindigkeit des Planeten um seine Achse oder seiner
Tageslänge verwendet; aber sie scheinen seitdem nicht mehr der
Gegenstand fleissigen Studiums gewesen zu sein, obschon Cassini,
Maraldi und Bianchini sehr bemerkenswerthe Beobachtungen über sie
angestellt haben. Die ersten, welche don Planeten einer einigermassen
fortgesetzten und sorgfältigen Durchforschung unterzogen, waren
W. Herschel und Schröter. W. Herschel hat sich jedoch hauptsächlich
darauf beschränkt, die Richtung der Achse, die Dauer der Umdrehung
und die Erscheinungen der weissen Polargebiete zu studiren, scheint
aber nicht beabsichtigt zu haben, in ein Spezialstudium der Flecken
und ihrer Eigenthümlichkeiten einzugehen. Ein solches Spezialstudium
ist dagegen der Hauptzweck von Schröters ausgedehnten Arbeiten
gewesen, welche sicherlich eine epochemachende Wichtigkeit in der Mars-
beschreibung oder Areographie hätten erlangen können, wenn sie mit einer
besseren Methode ausgeführt und von weniger vorgefassten Ideen geleitet
worden wären. Ueberzeugt, in den Mars fl ecken nichts Anderes als fort-
während veränderliche Bildungen von meteorologischem Charakter zu
') Aus dem italienischen Texte des Manuskriptes übersetzt durch die
Redaktion und revidirt vom Vorfasser.
Himmel UDd Krde. 1S8& I. 1
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sehen, mass der Beobachter von Lilienthal der topographischen Er-
forschung der verschiedenen Regionen des Planeten keinen so hohen
Grad von Wichtigkeit hei, wie erwünscht gewesen wäre; die Art, wie
er seine Zeichnungen auslegte, war oft irrig, und wir können wohl
behaupten, dass wir diese Zeichnungen weit besser verstehen, als es
ihm unter solchen Umständen möglich war.
Als wahren Begründer der Marsbeschreibung müssen wir
dagegen J. H. Mädler ansehen, der mit einem kleinen Fraunhofer-
sehen Fernrohre von 3 '/a Zoll Oeffnung die Hauptflecken des Mars
weit besser als alle seine Vorgänger sah und beschrieb. Mädler war der
erste, der durch geeignete Beobachtungen die Lage einiger Hauptpunkte
des Planeten bestimmte und im Jahre 1830 eine Karte derselben ver-
öffentlichte, die, obwohl noch sehr unvollständig und nothwendiger-
weise auf wenige Hauptflecken beschränkt, als ein beachtenswerthes
Denkmal von Fleiss und Sorgfalt angesehen werden muss und für die
Topographie des Mars das vorstellt, was die Karte des Eratosthenes
für die irdische Geographie war. Diese Karte blieb mehr als 30 Jahre
lang nicht allein die beste, sondern sogar die einzige: erst um das Jahr
1860 fing man an neue Fortschritte von einiger Wichtigkeit in der
Erforschung des Planeten zu machen, und zwar hauptsächlich durch die
Arbeiten von Secchi, Dawes, Kaiser und Lockyer. Seit jener Zeit,
und speciell wohl seit der so gut beobachteten und so günstigen
Opposition des Jahres 1862, begann ein sehr emsiges Studium, welches
noch jetzt fortdauert, und, wie wir hoffen wollen, erst dann aufhören
soll, wenn die vielfachen sonderbaren Mysterien dieses Planeten völlig
entschleiert sein werden.-’)
Aus der Vergleichung aller alten und neuen Beobachtungen
hat sich als erstes wichtiges Resultat ergeben, dass man die dunklen
Flecken des Mars als fest in ihrer relativen Lage und als unveränderlich
in ihren allgemeinen Umrissen betrachten kann. Wir können z. B. noch
sehr wohl die „Syrtis Magna" in den Zeichnungen von Iluygens (1659),
das .Mare Cimmerium“ und das .Mare Sirenum" in denen Maraldis (1704)
und die als „Hesperia“ bezeichnete Gegend in denen Bianchinis (1719)
wiedererkennen; die im Vergleich zu dem, was man jetzt sieht, ge-
fundenen Unterschiede, kann man gänzlich der Unvollkommenheit der
*) Eine vollständige Auseinandersetzung der sreographischcn Arbeiten
bis zum Jahre 1873, begleitet von einer kritischen und vergleichenden Erörte-
rung aller bis zu jener Epoche erlangten Resultate, findet man in dem wichtigen
Werk von Tcrb.v: Aröographie ou etuile comparative des observations faites sur
l’aspect physique de la planötc Mars depuis Kontana (1636) jus ju ii nos jours
(1873) (M4m. Acad. Belg. Sav. Etrang. vol. XXXIX 1875).
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Fernrohre jener Zeit zuschreiben. Auch die Lage der Hauptpunkte,
welche in drei verschiedenen Kpochen von Miidler (1830), von Kaiser
(1862) und von mir (1877) bestimmt wurden, ist völlig' übereinstimmend,
und die kleinen Unterschiede überschreiten nicht die wahrscheinliche
Wirkung der Irrthümer, die man bei solchen Beobachtungen er-
warten kann.
Aber die Unveränderlichkeit der Marsflecken darf nicht absolut
und etwa in so strengem Sinne verstanden werden, wie sie z. B. für
den Mond stattfindet. Die fortgesetzte Beobachtung hat gezeigt, dass
viele Theile der Oberfläche des Planeten ihre Farbe innerhalb gewisser
Grenzen ändern und die Sonnenstrahlen je nach der Zeit mit verschie-
dener Intensität zurückwerfen können. Die Umrisse der dunklen
Flecke können Verschiebungen erleiden, die freilich sehr gering im
Vergleich mit den Dimensionen des Planeten und der Flecke selbst,
aber gleichwohl unzweifelhaft sind, und dieselben Umrisse können
auch manchmal mit grösserer und manchmal mit geringerer Schärfe
begrenzt sein. Viele feine Einzelheiten sind in gewissen Epochen
mehr sichtbar als in gewissen anderen, auch wenn man von dem
unvermeidlichen Einfluss der verschiedenen Umstünde der Beob-
achtungen absieht, und können auch relativ bemerkenswertho Aende-
rungen in ihrem Aussehen erleiden, die jedoch nicht genügen, um die
Identität des betrachteten Gegenstandes zweifelhaft zu machen. End-
lich hat Mars eine Atmosphäre und über seiner Oberfläche spielt sich
eine Gesammtheit von Erscheinungen ab, die man nach Analogie mit
irdischen Verhältnissen als meteorologische bezeichnen kann, obwohl
sie allem Anschein nach sehr verschieden von allen derartigen Phä-
nomenen, die wir auf der Erde beobachten, angeordnet sind. Die Ge-
sammtheit aller dieser Abwechselungen verleiht dem Studium des Pla-
neten ein viel grösseres Interesse, als wenn alles auf ihm unveränderlich
und unbeweglich wäre. Der Planet ist keine Wüste trockenen Gesteins,
er lebt, und die Entwiokelung seines Lebens offenbart sich in einem sehr
complicirten System von Erscheinungen, und ein Theil dieser Erschei-
nungen umfasst Gebiete von genügender Ausdehnung, um sie den
Erdbewohnern sichtbar zu machen. Da giebt cs eine ganze Welt von
neuen Dingen zu erforschen, die in hervorragendem Masse geeignet
sind, die Wissbegierde der Forscher herauszul'ordern, und in der Arbeits-
stoff für viele Fernrohre und viele Jahre im Ueberfluss vorhanden
sein wird. In der That sind diese Erscheinungen so verschieden und
mit unendlich vielen Kleinigkeiten derart vorwickelt, dass nur ein ge-
naues und vollständiges Studium derselben wird in denselben das
Gesetzmüssige erkennen lassen und das Mittel geben, mit einiger
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Wahrscheinlichkeit bestimmte Schlüsse über die Ursachen der
Phänomene und die physische Beschaffenheit des Planeten zu
ziehen.
Man darf sich jedoch nicht verheimlichen, dass einem solchen
genauen und vollständigen Studium Schwierigkeiten mannigfacher Art
in den Weg treten. Von den Veränderungen an der Marsoberfläche
sind einige langsamen Charakters (wie z% B. die periodischen Zu- und
Abnahmen der weissen Polarflecken) und die Phasen derselben lassen
sich relativ leicht verfolgen. Aber es giebt noch andere raschere
Veränderungen, die sich im Zeitraum weniger Tage vollziehen, und
wieder andere gewissermassen plötzliche, deren Wirkung von einem
Tage zum andern sehr sichtbar ist: derartig ist z. B. das räthselhafte
Phänomen der Verdoppelungen. Und endlich kommen Erscheinungen
vor, deren Periode sich augenscheinlich nach der täglichen Umdrehung
des Planeten richtet. Um den Mechanismus aller dieser Veränderungen
gut zu verstehen, würde es nöthig sein, auf dem Mars eine Reihe
ununterbrochener Beobachtungen anzustellen, wenigstens während eines
Zeitraums, der genügt, um den Planeten in allen Theilen seines tro-
pischen Umlaufs um die Sonne prüfen zu können. Diese Bedin-
gung wird nicht allein durch die Nothwendigkeit auferlegt, die nörd-
lichen und südlichen Polarflecke in den Epochen zu erforschen, in
denen die Neigung der Achse am günstigsten ist, sondern auch noch
durch die wohl nicht mehr zweifelhafte Thatsache, dass ein Theil der
in Frage stehendeu Phänomene sich nach der Periode der Jahreszeiten
des Planeten richtet.
Nun ist freilich eine derartige erschöpfende Prüfung überhaupt
gar nicht möglich, nicht nur für einen isolirten Beobachter, sondern
auch für mehrere, wenn sich dieselben in einer enge begrenzten Region
der Erdoberfläche, wie in Europa, vereinigen sollten. Ich werde in
Bezug hierauf dasjenige sagen, was sich aus meiner eigenen Erfahrung
ergiebt An den so spärlichen Tagen, an denen diese höchst schwie-
rigen Beobachtungen möglich sind, dauert die Periode guter Fernrohr-
bilder im allgemeinen nicht mehr als zwei oder drei Stunden in der
Abenddämmerung und im Anfang der Nacht Hieraus folgt, dass es
an einem gegebenen Tage selten glücken wird, mit genügender Ix'ichtig-
keit mehr als ein Viertel der Oberfläche des Planeten beobachten zu
können. Und da sich ja die Rotation dos Mars sehr wenig von der
der Erde unterscheidet, so vollzieht sich die Veränderung der Gegenden,
die der Beobachtung zugänglich sind, langsam von einem Abend zum
andern, so dass ein und derselbe Punkt des Planeten acht oder zehn
Abende hinter einander beobachtet werden kann. Dieser Vortheil wird
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jedoch durch den höchst schwer wiegenden Nachtheil aufgewogen,
dass die Rückkehr desselben Anblicks der Flecke zu denselben
Stunden mittlerer Sonnenzeit sich in der sehr langen Periode von un-
gefähr 38 Tagen vollzieht. Folglich wird jenes Gebiet, das man 8
oder 10 Tage lang hinter einander hat studiren können, (wenn die
irdische Atmosphäre es gestattet hat,) nach diesen einen ganzen Monat
lang der Beobachtung unzugänglich bleiben; und nach seinem Vor-
übergang wird eine sorgfältige Forschung manchmal sehr bedeutende
Veränderungen zur Gewissheit machen, deren Epoche anzugebeu und
deren Gang zu studiren nicht möglich gewesen sein wird. Wenn
dann (wie es oft geschieht) in den acht oder zehn Tagen, die zur Er-
forschung jenes Gebiets hätten dienen können, das Wetter schlecht
war, so werden vielleicht mehr als zwei Monate vergehen, bevor man
dasselbe von neuem prüfen kann; und so wird es sich sogar manchmal
ereignen, dass eine ganze Opposition vorübergeht, ohne dass man
günstige Gelegenheit gehabt hat, ein gegebenes Gebiet ausreichend zu
erforschen. Um allen diesen Schwierigkeiten zu begegnen, giebt es
nur ein einziges Hilfsmittel, nämlich über verschiedene Stellen der
Erde eine gewisse Zahl von Beobachtern so zu vertheilen, dass
in jedem gegebenen Augenblick wenigstens einer von ihnen den
Planeten in genügender Höhe und zu einer Ortszeit über dem
Horizonte hat, die für die Erlangung eines guten Bildes desselben
günstig ist
Dies ist indessen noch nicht alles. Man kann auf dem Mars zweck-
dienliche Beobachtungen nur dann anstellen, wenn er der Erde ge-
nügend nahe steht, und für die Erforschung der schwierigsten Einzel-
heiten (die zugleich die interessantesten sind) muss sein scheinbarer
Durchmesser mindestens 10" bis 12* betragen. Diese Bedingung ist
nur wenige (drei oder vier) Monate hindurch um die Oppositionszeiten
herum (d. h. wenn Mars der Sonne gerade gegenübersteht) erfüllt,
welche sich nachher nur in Zwischenräumen von ungefähr 26 Monaten
wieder darbieten. Jede Opposition kann uns also nur über den Zustand
des Planeten während eines geringen Bruchtheils seines periodischen
Umlaufs in Kenntniss setzen. Glücklicherweise ist dieser Bogen der
Bahn nicht immer derselbe, weil, wenn eine gegebene Opposition in
einen gewissen Punkt der Marsbahn fällt, die folgende Opposition in
einem um ungefähr 48 0 heliocentrischer Länge weiter vor uns
liegenden Punkte erfolgt. Hieraus ist leicht zu ersehen, dass, um den
Planeten unter allen möglichen Neigungen der Achse und in allen
seinen Jahreszeiten zu verfolgen, ein Cjclus von sieben bis acht
Oppositionen hinter einander nöthig ist, welcher C.vclus einmal ums
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andere 16 Jahre datiert.3) Wenn nun die Erscheinungen des Mars
alle genau periodisch wären und sich nach der tropischen Umlaufszeit
richteten, so Hesse sich hoffen, eine Geschichte derselben mit ge-
nügender Vollständigkeit und Genauigkeit mit den über einen oder
einige jener Cyclcn ausgedehnten Beobachtungen zu erlangen. Wenn
man aber nach alle dom urtheilen soll, was man bisher gesehen hat,
so scheint e6, dass die angeführte Periodizität nur im grossen und
ganzen stattfmde und in Bezug auf die kleinsten Einzelheiten nicht
strenge constaut sei, ungefähr wie es mit den meteorologischen Er-
scheinungen auf der Erde geschieht, wo die Veränderungen des
Wetters von einem Jahre zum andern sich nur im allgemeinen gleichen.
Und auf diese Art ist es möglich, dass die Aufgabe, eine fortgesetzte
und zusammenhängende Geschichte der Marsphänomene zu erlangen,
nur auf unvollkommene Weise zu lösen sei.
Dies sind Hindernisse rein astronomischen Charakters. Viel schwer-
wiegender noch sind diejenigen, welche von der schlechten Beschaffen-
heit des Wetters und der Ruhelosigkeit der irdischen Lufthülle abhiingen.
Die von mir hier in Mailand gemachte Erfahrung zeigt, dass man kaum
alle 8 oder 10 Abende hoffen darf, einmal eine hinreichend gute Atmos-
phäre zu haben, und manchmal vergehen volle Monate, ohne dass mau
eine genügende Beobachtung erlangen kann. Viel seltener noch sind die
Abende mit vollkommen guten Bildern, in denen man die ganze Kraft
eines Instrumentes, wie es unser Merzscher Achtzehnzöller ist, ausnutzen
kunu. Gleichwohl steht zu erwarten, dass, wenn man etwas besser, als es
bisher geschehen ist, die Beschaffenheit der Klimate in Beziehung auf
die Bestimmtheit der Femrohrbilder studirl, man mit der Zeit dahin
gelangen wird, derartige Hindernisse auf ein Minimum zu reduciren.
Schliesslich hat die Erfahrung gelehrt, dass die Schwierigkeit, die
von verschiedenen Beobachtern mit verschiedenen Instrumenten er-
langten Resultate zusammen zu ordnen und unter einander vergleichbar
zu machen, an sich ein sehr schwer wiegendes Hinderniss bildet, welches
vielleicht wird verschwunden können, wenn die Himmelsphotographie
bis dahin fortgeschritten sein wird, dass sie sich auf so feine Einzel-
heiten anwenden lässt, wie jene, die wir auf dem Mars mit unseren
heutigen guten Fernrohren enthüllen können.
Ich habe mir erlaubt, die Schwierigkeiten, welche ein sorgfältiges
und erschöpfendes Studium der Marsphänomene bietet, so weitläufig
auseinanderzusetzen, in der Absicht, zum Verständnis» zu bringen, wie
unvollständig und fragmentarisch die Resultate eines einzigen Beobachters
3) Die Periode, welche die Opposition des Mars zum selben Punkte seiner
Bahn zurüekfiihrt, beträgt 15,92 Jahre.
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sein müssen, selbst wenn er mit einem ausgezeichneten Instrumente
versehen und entschlossen ist, alles zu opfern, um sich keine gute
Gelegenheit entgehen zu lassen. Das lässt sich in erster Linie auf
die Resultate anwenden, von denen ich auf den folgenden Seiten eine
Zusammenstellung zu geben wage, und über welche man zum grossen
Theil unglücklicherweise keine bestätigenden oder wenigstens vergleich-
baren Forschungen von anderen Beobachtern besitzt.
II.
Betrachtet man die Regionen des Planeten im allgemeinen, so
kann man sie in zwei Klassen eintheilen. Die erste ist diejenige, deren
Theile in einer hell leuchtenden Farbe erscheinen, welche für ge-
wöhnlich dunkelgelb oder orange, jedoch zeitweilig und je nach der
Oertlichkeit, einerseits wechseln kann zwischen allen Nuancen von
Gelb bis zum reinen Weiss, andererseits zwischen allen Tönen, die
zwischen Rothorange und einem tiefen Roth denkbar sind, das man
mit dem des stark gebrannten Ziegelsteins oder vielleicht besser mit
der Farbe von stark abgenutztem Leder vergleichen kann. Die
zweite Klasse ist diejenige der dunklen Regionen, welche die Flecken
im eigentlichen Sinn bilden, und deren Grundfarbe als eine Art
Eisengrau erscheint, in allen irgend möglichen Abstufungen von
tief Schwarz bis zu einer Farbe, welche sich wenig von Aschgrau unter-
scheidet. Im allgemeinen machen die Regionen der zweiten Klasse
den Eindruck grösserer Dunkelheit als die ersteren, aber es kommt
auch vor, dass in dem Farbenwechsel, welohem viele Theile des Pla-
neten unterworfen sind, die Regionen der ersten Kategorie eine ebenso
tief rothe Färbung und jene der zweiten Kategorie einen ebenso hellen
Ton annehmen, dass man nicht sagen kann, ob die einen oder die
andern dunkler sind: mit einem Worte, es ist dann weniger die Rede
von verschiedener Lichtintensität, als vielmehr von verschiedenen Far-
ben. Demungeachtet bleibt der Unterschied zwischen beiden Arten von
Regionen ziemlich permanent, mit einigen Ausnahmen, auf welche
wir später zurückkommen werden. Und auf diese Unterscheidungen
stützen sich die Benennungen .Länder" oder .Continente“, welche in
den Mars-Karten den Gebieten der ersten Art gewöhnlich beigelegt
werden, und „Meere", welche den Gebieten der zweiten Art gegeben
sind. Bei dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntniss von der phy-
sischen Beschaffenheit des Planeten dürfen solche Benennungen nur
als Hilfsmittel für unser Gedäehtniss betrachtet werden, und als eine
Art, den Vortrag klarer und priiciser zu machen, gerade wie es mit
den sogenannten Meeren des Mondes der Fall ist Es genügt, einen
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Blick auf die diesem Artikel beigefüg^ten Karten zu werfen, um zu
begreifen, welche Leichtigkeit und Genauigkeit des Verständnisses man
erlangt, indem man zum Beispiel eine kleine gelbe Stelle, welche rings
von dunklen Stellen umgeben ist, „Insel“, oder eine kleine dunkle
Stelle, welche rings von hellen Stellen umgeben ist, „See“ nennt; oder
„Meerenge“ eine schmale und lange Zone zwischen zwei gelben
Gebieten; oder „Landenge“ eine enge gelbe Zone zwischen zwei
dunklen Theilen. Ebenso ' schnell werden sich unserer Einbildungs-
kraft die entsprechenden Begriffe für „Meerbusen“, „Vorgebirge“,
„Halbinsel“, „Canal“ etc. einprägen, deren Bezeichnung sich sonst
nur auf sehr unbequeme und ungenaue Weise durch Umschreibungen
geben liesse. Für jetzt ist es also zweckmässig, für den Mars Bezeich-
nungen geographischer Begriffe in derselben Weiso zu adoptiren, wie
dieses bei dem Monde geschehen, indem wir es dabei einem genaueren
und vollständigeren Studium des Thatsächlichen überlassen, zu ent-
scheiden, ob und bis zu welchem Punkte und unter welchen Bedin-
gungen jene Namen für den Mars der Wirklichkeit oder einer An-
näherung an die Wirklichkeit entsprechen.4)
Der Complex der Oberflächentheile der beiden Klassen, welche
wir unter der angeführten Reserve Meere und Continente nennen
werdon, nimmt den grössten Theil des Planeten ein. Eis giebt
aber verschiedene Regionen, die, so viel wir bis jetzt wissen kön-
nen, wenig ausgedehnt sind, deren Natur wechselt, weil sie zu-
weilen den Charakter von Meeresflächen, zuweilen von Continenten,
zuweilen selbst von beiden zu gleicher Zeit repräsentiren. Solche
sind unter anderen im „Mare Erythraeum“ die beiden mit „Deu-
calionis regio“ und „Pyrrhae regio“ bezeichneten Zonen und die
„Hellas“ und „Noachis“ genannten Inseln. Von dieser Natur sind
auch in der „Syrtis magna“ die Inseln „Japygia“ und „Oenotria“ und im
allgemeinen alle jene Meerestheile, welche auf der Karte eine hellere
Farbe als der übrige Theil haben. Das „Mare Cimmerium“ und das
„Mare Acidalium“ haben jedes in ihrer Mitte eine derartige Fläche.
Solche Regionen können je nach den verschiedenen Stellungen und
Gesichtswinkeln ganz oder zum grossen Theil die verschiedenen
Farbennüancen zeigen, welche auf den Continenten so wie auf den
Meeren des Mars zu beobachten sind, indem sie derart eine Reihe von
*) Die auf unsere beiden Planigloben eingezeichneten Namen sind die-
selben, von welchen ich in meinen Abhandlungen über Mars, veröffentlicht in
den Atti deH’Academia dei Lincei, Gebrauch gemacht habe. Sie müssen als
provisorisch betrachtet werden. Hoffen wir, dass mit der Zeit, wenn der Planet
besser bekannt sein wird, alle Areographen eine übereinstimmende passende
und besser erwogene Nomenklatur festzustellen im stände sein werden.
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Uebergängen von erstereu zu den letzteren bilden. Ihr Charakter
scheint, so weit ich bis jetzt beobachten konnte, nicht unter einander
gleich zu sein. Einige scheinen sich mehr der Natur der Meere
andere hingegen jener der Continente zu nähern. Die Begrenzung
zwischen solchen Regionen und den Continenten und umgebenden
Meeren ist nicht immer bestimmt, sondern oft gehen dieselben durch
unmerkliche Abstufungen von Licht und Farbe in einander über, so
wie es in unseren Karten an verschiedenen Beispielen zu sehen ist.
Eine der hervorragendsten ist „Deucalionis regio“, welche in
einer zu einem rechten Winkel umgebogenen Halbinsel sich im „Mare
Erythraeum“ ausbreitet. Sie ist scharf begrenzt auf der an den Con-
tinent stossenden Seite, während sie sich auf allen andern Seiten allmählich
in Schatten verliert Ihre Farbe hält die Mitte zwischen derjenigen
der Continente und jener der Meere und ist bald gelblicher, bald mehr
ins Graue spielend. In der Nähe des Randes sah man sie bisweilen eine
weissgraue Färbung annehmen. Immerhin jedoch schien sie mir hell
genug, um sie auf dem umgebenden dunklen Grunde deutlich zu er-
kennen. Ein Gleiches kann man von der „Pyrrhao Regio“ nicht sagen,
welche so dunkel werden kann (besonders in dem nahe dem Continent
gelegenen Theile), dass man sie zu Zeiten nicht vom Grunde des „Mare
Erythraeum“ unterscheiden kann. Mehr als alle andern in dieser Hin-
sicht bemerkenswert!! ist die „Insula Cimmeria“, ein langer Streifen,
welcher auf Tafel II einen bedeutenden Theil des „Mare Cimmerium“
der Länge nach einnimmt Im Jahre 1877 s) erschien dieses ganze
h) Ea dürfte den Leser interesairen zu erfahren, welche Stellung des
Mars mit jeder der verschiedenen Beobachtungen, von denen in diesem Artikel
die Rede ist, correspondirt Man kann das leicht aus nachfolgender Tafel ersehen,
welche die Epochen der Solstitien und der Aequinocticn des Mars für den
ganzen Zeitraum meiner Beobachtungen von 1877 — 88 angiebt.
1877 27. Sept. Süd Solsliz. 1883 19. Mai Süd Solstiz.
1878 6. März Aequinoct. j 1883 26. Octob. Aequinoct
1878 21. Sept. Nord Solatiz. 1884 13. Mai Nord Solstiz.
1879 22. März Aequinoct. 1884 10. Nov. Aequinoct.
1879 14. Aug. Süd Solstiz. • 1886 5. April Süd Solstiz.
1880 22. Jan. Aequinoct. j 1885 12. Septb. Aequinoct.
1880 8. Aug. Nord Solstiz. 1886 31. März Nord Solstiz.
1881 6. Febr. Aequinoct 1886 28. Sept. Aequinoct.
1881 2. Juli Süd Solstiz. 1887 21. Febr. Süd Solstiz.
1881 9. Decbr. Aequinoct. 1887 31. Juli Aequinoct.
1882 26. Juni Nord Solstiz. 1888 16. Febr. Nord Solstiz.
1882 25. Decbr. Aequinoct. 1888 15. Aug. Aequinoct.
In den sechs von mir angeführten Oppositionen sind die Perioden der
wirklich brauchbaren Beobachtungen folgende:
Opp. 1877 Sept u. Octob. Opp. 1884 Jan., Febr. u. März.
* 1879 Octob*., Nov. u. Decbr. „ 1886 März u. April.
* 1881 — 82 Docb., Jan. u. Febr. , 1888 Mai u. Juni.
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Meer von sehr dunkler Farbe und wurde sogar damals als eine der
dunkelsten Stellen auf der ganzen Marsoberfläche bezeichnet Im
Jahre 1879 war dort keinerlei Veränderung wahrzunehmen, und es
wurde nur bemerkt, dass die Farbe, obgleich immer noch sehr dunkel,
es jedoch weniger war, als im Jahre 1877. Noch gegen Ende des
Jahres 1881 machte dieser Fleck mit dem sie umschliessenden Selb
den lebhaftesten Contrast. Am 3. Februar 1882 aber, als jener Theil
des Planeten sichtbar wurde, sah man zum ersten Male einen langen
Streifen von gelbbrauner Farbe wie ein Komet geformt, welcher sich
zwischen dem 205° und 235° Länge über mehr als 30° ausdehnte.
Diese Beobachtung wurde an den aufeinander folgenden Tagen des
4., 5., 6. und 7. Februar deutlich wahrgenomtncn, während später
sich keine Gelegenheit bot, jene Oertlichkeit gut zu beobachten.
Während der Opposition von 1884 findet man über die „Insula Cira-
moria“ in meinen Tagebüchern gar keine Erwähnung mehr. In den
Jahren 1886 und 1888 war jene Gegend unter sehr schiefem Winkel
zu sehen, weshalb die Beobachtungen keine grosse Genauigkeit boten;
der erhaltene Eindruck war der, dass die „Insula Cimmeria“ sicht-
bar war.
Verwickelter, aber nicht weniger bemerkenswert!! , sind die
Veränderungen der grossen „Hellas“ benannten Insel. Im Jahre 1877,
gegen die Zeit des Südsolstitiums des Mars bildete diese Gegend
eine runde oder sehr wenig längliche Insel von ganz regelmässiger
Rundung, deren Durchmesser nicht w'eniger als 30° des grössten
Kreises auf dem Mars betrug. Ihre Farbe war für gewöhnlich
gelb und glänzender, wenn sie sich mehr am Rande der Scheibe
als gegen den mittleren Meridian hin befand. Einmal (am 16. Docem-
ber 1877) habe ich sie fast so weiss und leuchtend gesehen wie die
Polargegend; am 21. December jedoch war die ursprüngliche Farbe
bereits wieder hergestellt. Während der Opposition 1879 — 1880
hatte sie noch eine annähernd runde Form, aber statt einer glänzenden
Oberfläche zeigte sich ein getrübter und ungleichmässiger Glanz, der
nach dem oberen linken Theile zu (im umgekehrten teleskopischen
Bilde) matter wurde. Sie war von zwei deutlich sichtbaren Canälen oder
dunklen Streifen durchkreuzt, deren einer etwa dem Meridian, deren
anderer dem Parallelkreise parallel lief. (Von diesen Canälen wurde
im Jahre 1877 nur der erstere schwach gesehen.) So erschien die Insel
in vier Quadranten getheilt, von denen im Januar 1880 nur die unteren
zwei gelb waren, während die anderen eine sehr viel dunklere Färbung
hatten; von letzteren wiederum war der linke dunkler als der rechte.
Auch in dieser Opposition (1879 — 1880) zeigte sich „Hellas“ glänzen-
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der (zuweilen weiss) gegen den Rand als gegen die Mitte der Scheibe
hin. — Nach dem Augenmass erschien sie 1879—80 ein wenig kleiner
als 1877. — Während der Opposition 1881 — 1882 zeigte es sich, dass
sie bedeutend an Glanz verloren hatte; ihre Farbo war hellaschgrau, die
Umrisse unbestimmt, und zuw'eilen erschien sie nur als eine ver-
schwommene Wolke. Nur in wenigen Fällen und gegen den mittleren
Meridian hin nahm sie eine gelbbraune Farbe an, wie die „Regio
Deucalionis“. Noch wurde sie von den beiden gekreuzten Canälen
getheilt, aber ihre Dimensionen waren sehr vermindert, and das Meer
hatte ihre Grenzen an verschiedenen Stellen mehr oder weniger ein-
genommen, so dass sie in eine trapezoide Form umgewandelt erschien,
deren Ecken abgerundet waren, wie in Tafol I und II zu sehen ist. —
ln den folgenden Oppositionen zeigte sich „Hellas“ in immer schieferer
I^age zur Gesichtslinie; sie erschien gewöhnlich als ein weisslicher
Fleck von nebligem Aussehen und wenig bestimmter Form. Ihr Durch-
messer betrug gewiss nicht mehr als 12 — 15°. Zuweilen weisser und
glänzender als gewöhnlich, hätte inan sie mit dem südlichen Polar-
Ueck vertauschen können.
Auch die „Libya" benannte Gegend scheint in gewisser Hinsicht
zur Gattung der zuvor beschriebenen Regionen zu gehören; sie befindet
sich unter dem Aequator und kann deshalb mit Leichtigkeit bei allen
Oppositionen beobachtet werden, welches auch immer die Neigung der
Achse dos Plauoten sein mag. Diese Gegend hatte im Jahre 1877 gegen
das „Mare Tyrrhenum“ und die „Syrtis magna" hin eine von einem
eleganten und regelmässigen Bogen gebildete Begrenzung, die gegen
Nonien in einer langen und dünnen Spitze ihren Abschluss fand (Osi-
ridis promontorium). Die Oberfläche dieser Spitze war von einem
Schatten bedeckt, welcher um so stärker wurde, jemehr er sich dem
äussersten Ende näherte. Gegen Norden war die „Libya“ von einem
beinahe halbkreisförmigen Canal begrenzt (Nepenthes), auf dessen Mitte
oder Scheitelpunkt etwas wie ein grosser dunkler Punkt sichtbar wurde,
welchem ich den Namen „Lacus Moeris“ gab. (Siehe Abbildung auf
Seite 12.) Im Jahre 1879 fand ich, dass ein Theil der „Libya“ von der
„Syrtis Magna“ eingenommen war, so dass letztere bis an die Linie
A B reichte; die Strecke der „Libya“ rechts der Linie A B ursprüng-
lich von gelber Farbe, war völlig schwarz geworden und in der
grossen Dunkelheit des benachbarten Golfes verschwunden: das „Pro-
montorium Osiridis“ also abgeschnitten und gleichsam in nichts ver-
sunken, der Lauf des „Nepenthes“ war ubgekürzt und seine Mündung
nach B verlegt, das Ufer an der „Syrtis Magna“ zu einer anderen
Krümmung reducirt und dem „Lacus Moeris“ bedeutend näher ge-
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rückt Endlich war der verwaschene Schatten, welcher 1877 das „Osiridis
promontorium“ bedeckte, bis zur Mitte der „Libya“ vorgeschritten,
indem er zugleich den „Lacus Moeris“ einhüllte, der vorher ganz
ausserhalb desselben lag. Der übrige Theil der „Libya“ (d. h. die
linke Hälfte) hatte eine viel dunklere rothe Farbe als während der vor-
hergehenden Opposition. In den Jahren 1881 — 82 schienen mir die Dinge
ungefähr auf demsel-
ben Punkte zu stehen;
ich bemerkte, dass die
Oberfläche der „Libya“,
immer ins Rothe gehend,
etwa aussah wie ein rau-
hes Gewebe, welches den
Eindruck machte, als ob
es voller ganz kleiner
Flecke wäre, die jedoch
nicht deutlich von ein-
ander zu trennen waren.
Bei der Opposition von
1884 war das Ueber-
treten der „Syrtis“ weiter
fortgeschritten bis zur
Linie C D F, wie aus der
Zeichnung zu ersehen ist,
sodass sie die „Libya“ um
ein grosses Gebiet, wie
auch die „Regio Isidis“
um ein geringes verkleinert hatte. Der „Lacus Moeris“, welcher
sich im Jahre 1877 in der Mitte des „Nepenthes“ befand, lag nunmehr
fast unmittelbar an dessen Mündung. Statt eines schön gekrümmten
Bogens bildete die „Libya“ zwischen der „Syrtis Magna“ und dem
„Mare Tyrrhenum“ einen Vorsprung, welcher nunmehr einem Winkel
mit abgestumpfter Ecke glich. Auch im Jahre 1884 behielt sie, ab-
gesehen von der dunkleren Farbe, welche sie vor den uraschliessen-
den Continenten auszeichnete, das gewebeartigo oder flockige Aussehen,
gerade als ob jenes Gebiet von unzähligen kleinen Flecken bedeckt
wäre, welche in einander verschwammen. — Während der Opposition
von 1886 erschien mir die Sachlage iin allgemeinen von der 1884 be-
obachteten nicht verschieden; ich muss jedoch bemerken, dass die
Beobachtungen dieses Theiles vom Wetter nicht sehr begünstigt waren.
Im Mai 1888 endlich erschien die „Libya“ nahe dem mittleren
Die Landschaft Libya auf dem Planeten Mars.
Beobachtet von J. V. 8chiaparelli.
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13
Meridian sehr verdunkelt, wie solches auch bei den von Herrn Perrottin
in Nizza gemachten Beobachtungen zu sehen ist6) In der Nähe
des rechten Randes der Marsscheibe jedoch war sie in den Tagen
des 6., 7. und 8. Mai von schmutzig weisslicher Farbe, welche Er-
scheinung die Uebereinstimmung dieser Region mit anderen kurz zu-
vor besprochenen vervollständigt Der „Lacus Moeris“ blieb, wenn-
gleich nur sehr schwer, sichtbar; er befand sich ganz nahe an der
rechten unteren Ecke der „Libya“, nahe bei der Mündung des„Nepenthes“
in der „Syrtis Magna“. Zu verschiedenen Malen zeigte sich die „Isidis
Regio“ (unterhalb des „Nepenthes“) sehr hell, und der Contrast
mit der bräunlichen Farbe der „Libya“ wurde dadurch um so auf-
fälliger. Während dieser selben Opposition war die Farbe der „Syrtis
Magna“ nicht so schwarz wie bei den vorangegangenen Oppositionen
von 1877—1884, sondern von einem mehr hellen Grau (ausser in
einigen kleinen Streifen, auf welche näher einzugehen jetzt nicht an-
gezeigt ist), so dass zwischen der „Libya“ und der „Syrtis Magna“
wohl eigentlich kein grosser Unterschied in Bezug auf Helligkeit be-
stand, wenn auch die Färbung nicht dieselbe, und die Grenzlinie
zwischen beiden immer ziemlich deutlich war.
Ich könnte aus meinen Tagebüchern mehrere andere Berichte
von analogen Fällen ausziehen; aber die beiden angeführten Bei-
spiele von „Hellas“ und „Libya“ ^dürften einen hinreichenden Be-
griff von dieser Art von Veränderungen geben. Die Reihenfolge der
berichteten Ereignisse ist in beiden Fällen in der Zeit zwischen den
sechs Oppositionen, welche elf Jahre umfassen, beobachtet worden.
Man möge jedoch hieraus nicht den Schluss ziehen, dass diese Um-
wälzungen langsame und von säcularer Natur d. h. von langen Perioden
seien. Vielmehr ist es möglich, ja, in einzelnen Fällen sehr wahr-
scheinlich, dass die angeführten Thatsachcn sich bei jeder Umdrehung
des Mars periodisch wiederholen. Da aber jede Opposition des
Mars diesen an einem um 48° der Länge gegen die vorhergehende
Opposition vorgeschrittenen Punkte der Bahn finden lässt, (wie man
oben gesehen hat.) so sind von einer Opposition zur anderen die
Jahreszeiten des Planeten um circa ein Achtel der ganzen Periode fort:
geschritten; und dadurch ist uns die Möglichkeit geboten, die Er*
scheinungen auf dem Mars Schritt für Schritt zu verfolgen, obgleich
ja allerdings ein Theil der beobachteten Erscheinungen einer Um-
drehung, und der folgende der nächsten Umdrehung angehört. Auf
gleiche Weise könnte ein Meteorologe die jährliche Bewegung des
•) Comptes Rendus de l'Acad&nie des Sciences 14. Mai, 18. Juni und
16. Juli 1888.
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14
Klimas einer Region studiren, indem er die Beobachtungen der ein-
zelnen Monate auf verschiedene Jahre vertheilt und zum Beispiel seine
Notirungen im Januar 1888, im Februar 1889, im März 1890 u. s. w.
und die letzten im December 1899 macht.
UI.
Die in den Gebieten zweifelhaften Charakters bemerkte Eigentüm-
lichkeit, dass sie manchmal in den schiefen I^agen in der Nähe der
Ränder des Planeten heller sind als im Centralmeridian, erstreckt sich
auch auf einige Gebiete von rein continentalem Charakter. In
dieser Hinsicht sind die beiden polygonalen oder fast runden Gebiete,
welche auf der Karle mit den Namen „ Elysium“ und „Tempe“ be-
zeichnet sind, einer besonderen Hervorhebung würdig. Viel häufiger
werden diese Gebiete weiss mit einem mehr oder weniger leuchtenden
Glanze, wenn sie auch immer viel weniger als die weissen Polargebiete
glänzen. Aber ein derartiges Weiss ist häufiger, wenn diese Regionen
in der Nähe des Randes der Marsscheibe sich befinden, und oft habe
ich es selbst dann beobachtet, wenn wenige Stunden vorher oder nach-
her dieselben Gebiete bei ihrem Durchgänge durch den Centralmeridian
nichts Ungewöhnliches gezeigt hatten. Ganz besonders interessant sind
die analogen Veränderungen der Insel - Argvre”, die zu gewissen
Gelegenheiten am Rande so glänzend geworden ist, dass sie die Be-
obachter täuschte, welche oft geglaubt haben, in ihr einen Polarfleck
wahrzunehmen. Diese Insel und ihr starker Glanz war bereits von
Dawes im Jahre 1862 bemerkt worden und sie wird von den eng-
lischen Marsforschern mit dem Namen „Dawes’ Snow Island“ be-
zeichnet. In der Nähe des Centralmeridians habe ich sie dagegen
oft von gelber und auch von dunkelrother Farbe gesehen. Für
ähnlich halte ich die Natur der anderen kleineren und südlicheren
Nachbarinsel, die auf der Karte mit dem Namen „Argvre II“ be-
zeichnet ist, deren Dasein sich mir am 8. November 1879 offenbarte,
als sie am linken Marsrande nur wenig schwächer als das Polargebiet
erglänzte, während sie sich beim Durchgang durch den Centralmeridian
von trüber rother Farbe und von sehr geringer Helligkeit zeigte.
Ausser diesen Farbenänderungen, die von der täglichen Um-
drehung abhüngen, bemerkt man in den continentalen Gebieten noch
andere ähnliche Aenderungen von langsamerem Charakter, welche
manchmal sehr ausgedehnte Regionen umfassen. So z. B. leuchtete
in den Jahren 1877 — 79 die ganze grosse Region, die unter dem „Mare
Sirenum“ zwischen den Meridianen von 120° und 170° sich bis 40°
nördlicher Breite erstreckt, weit mehr als die anderen continentalen
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15
Gebiete, besonders in dem oberen dem eben genannten Meere benach-
barten Theile. Spuren von dunkleren Streifen waren ausserordentlich
unbestimmt und schwer erkennbar. Im Jahre 1882 erschien dieser
Theil mehr gelb, und es war möglich, darin (obschon mit grosser Mühe)
ein verwickeltes System dunkler Linien zu erkennen, wie auch (obwohl
weniger vollkommen) in den Jahren 1884 und 1886. Dagegen war
dieselbe Region im Jahre 1888 von neuem heller und weisser, und
nicht ohne Mühe war es möglich, eine Spur der in den vorhergehen-
den Oppositionen beobachteten Linien zu erkennen.
Zu dieser Klasse gehören auch die von mir in den Jahren
1877 — 82 über einen kleinen hellweissen Fleck angeslellten Beobach-
tungen, welcher an dem linken Ende des „Xepenthes“ unter einer
Länge von 269° und unter einer nördlichen Breite von 17° lag. Ich
sah diesen Fleck zum ersten Mal am 14. September 1877 unter einem
Durchmesser von ungefähr 8" und in beinahe quadratischer Gestalt; er
war glänzender, als irgend ein anderer Theil des Planeten, dabei wohl
begrenzt, und ich habe kein Bedenken getragen, ihn an Weisse mit
den südlichen Polarflecken zu vergleichen; er war noch am darauf-
folgenden 14. October sichtbar. Genau dasselbe an derselben Stelle
wurde während der folgenden Opposition vom November 1879 bis zum
Januar 1880 beobachtet: die Grösse war ungefähr dieselbe, nur erschien
mir seine Figur beinahe rund. Erstaunt über seine Beständigkeit
gab ich ihm den Namen „Nix Atlantiea“. In der Opposition 1881 — 82
wurde er von neuem gesehen, vom November bis zum Marz jedoch
nicht immer mit gleicher Leichtigkeit; er zeigte Unterschiede im Aus-
sehen und Schwankungen im Glanz, die vielleicht nicht immor dem
verschiedenen Zustande des Femrohrbildes zuzuschreiben waren. Aber
in den folgenden Oppositionen habe ich ihn vergeblich aufgesucht, und
er war auch im gegenwärtigen Jahre wieder unsichtbar. Wenn sein Er-
scheinen sich nach derPeriode der Jahreszeiten des Mars richtet, so sollten
wir erwarten, ihn in den Oppositionen 1892 — 97 wieder zu sehen,
und es lässt sich leicht beurtheilen, von welcher Wichtigkeit sein
Wiedererscheinen für die Erforschung der physischen Konstitution
des Planeten würde worden können. — Es zeigte sich auch noch ein
ähnlicher, wiewohl viel kleinerer und schwieriger zu sehender Fleck
(„Nix Olympica“) mit grosser Dauerhaftigkeit während der Opposition
von 1879 an der mit 129° Länge und 21° nördlicher Breite bezeich-
neten Stelle; sein Durchmesser konnte 4" oder nicht viel mehr be-
tragen. Er ward in anderen Oppositionen nicht gesehen, weder vorher
noch später. Andere Flecke von mehr oder weniger lebhafterem und
mehr oder weniger reinerein Weiss pflegen sich bald hier, bald dort in
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verschiedenen Theilen der continentalen Gebiete zu zeigen, im allge-
meinen wenige Tage lang und ohne irgend welches in die Augen
fallende Gesetz. Das hat sich wälirend der letzten Oppositionen
öfters längs des rechten Ufers der „Syrtis Magna“ ereignet, und an der
Küste, die von diesem zum „Sinus Sabaeus“ geht, sowie an mehreren
anderen Stellen. Manchmal zeigt sich ein bemerkenswerther Theil
der Planetenscheibe mit weissen Flecken gesprenkelt, wie es z. B.
am 18. und 19. Januar 1882 in den Ländern zwischen dem „Ganges“
und der „Iris- und am 31. Januar desselben Jahres in dem zwischen
„Nilosyrtis“ und „Indus“ enthaltenen Raume sich ereignet hat; auch
ist es vorgekommen, dass weisse Streifen sich in der Gestalt von
regelmässigen Gürteln mit gleichförmiger Breite, die etwas schief von
Nordost nach Südwest unter geringer Neigung gegen die Meridiane
gerichtet waren, ausbreiteten: Erscheinungen, über welche mehr ins
Einzelne gehende Bemerkungen in meiner dritten Denkschrift nach-
zulesen sind.5)
Auch die Meere bieten sehr merkliche Aenderungen in der
Färbung, aber langsamer und regelmässiger. Soweit die von mir
angestellten Studien gelangt sind, wage ich zu behaupten, dass sie
beim Uebergang vom Centralmeridian zu den schiefen Stellungen unter
dem Einfluss der täglichen Bewegung ihre Farbe nicht wechseln.
Wieder und wieder habe ich die Farbenänderungen der Insel „Argyre“
verfolgt, die mit zunehmender Schiefe der Gesichtslinie von dunkel-
roth zum glänzendsten Weiss überging, ohne dass irgend welcher
Wechsel in der Farbe und der Dunkelheit der umliegenden Meere
sich bemerkbar gemacht hätte. Dasselbe habe ich auch mehr als ein-
mal beim Inselchen „Oenotria“ in der „Syrtis Magna“ beobachtet. Diese
Thatsache beweist, dass die Oberflächen der sogenannten Meere in
gewissem Sinne verschiedenartig von den anderen bisher betrach-
teten Regionen sind, und jedenfalls muss man dieselbe als eine
fundamentale bei der Erforschung der physischen Natur des Mars
ansehen. Aber es ist nicht weniger gewiss, dass man von einer
Opposition zur andern in den Meeren sehr merkliche Farbenverände-
rungen wahrnimmt. So sind das „Mare Cimmerium“, das „Mare Sirenum“
und der „Lacus Solis“, dio man in den Jahren 1877 — 1879 unter die
dunkelsten Räume des Planeten rechnen konnte, in den späteren Oppo-
sitionen fortschreitend immer weniger schwarz geworden, und neulich
(1888) waren sie von einem Hellgrau, das kaum genügte, um sie bei
der in weit höherem Grade schiefen Stellung, in der sich alle drei be-
fanden, zur Sichtbarkeit zu bringen. In den vorgenannten Jahren
’) Atti Acad. Lincei Serie IV. Vol. III; §§ 556, 557, 563, 567.
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Beilage zu , Himmel und Erde! lJahr^ang. l.Hefl, Tafel I.
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Uebersichts-Kartc des Planeten Mars
mit seinen dunkeln Limen im einfachen (nicht verdoppelten) Zustande,
beobachtet wahrend der sechs pposi'ionen von 1877-1888
von J V' Schiaparelll. C*o^rhtklnilu3t«rdivVH5rmKj;Hinii)iBfT,.ir
Beil «gr zu .Himmel und Krdr' 1. Jahrgang 1 HeJl, Tafel U
hth Instu £t*i»dr vVfi.' iwe.KjR Hofli'Jj B«lin
17
1877 — 1879 waren die „Syrtis Magna“ und die „Nilosyrtis“ sehr schwarz,
aber im Jahre 1888 war die „Nilosyrtis“ unverändert, während die
„Syrtis Magna“ (bis auf einen kleinen Strich unterhalb der Mündung
des „Nepenthes“ und einige andere sehr eng begrenzte Zonen) so hell
geworden war, da6s sie sehr wenig gegen die umliegenden Gebiete,
namentlich gegen „Libya“ abstach. Sehr hell war auch das „Mare
Erylhraeum“ geworden, mit Ausnahme seiner drei Meerbusen „Sinus
Sabaeus“, „Margaritifer Sinus“ und „Aurorae Sinus“, welche daher nicht
als drei Meerbusen desselben, sondern vielmehr als drei grosse iso-
lirte Seen hätten bezeichnet werden können. Zu demselben Zeitpunkte
waren dagegen das „Mare Acidalium“ und der „Lacus Hyperboreus“
sehr dunkel; dieser letztere schien in der That ganz schwarz, obwohl
er unter einer nicht geringeren Schiefe wie die „Syrtis Magna“ und die
obenerwähnten südliohen Meere erschien. Es ist also unzweifelhaft,
dass der Zustand derjenigen Gebiete, welche man „Meere“ nennt,
nicht constant ist, und vielleicht findet auch hier eine Veränderung
statt, welche mit den Jahreszeiten des Planeten im Zusammenhänge steht.
('Schluss folgt.)
Himmel und Erde. 1.
s
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Ueber
die Ziele der Popularisirung der Naturwissenschaften
im Hinblick auf die Zeitschrift „Himmel und Erde.“
Von
Prof. Dr. Wilhelm Foerster,
Director der königlichen Stern wart* su Berlin.
■< ine neue Zeitschrift auf populär-naturwissenschaftlichem Gebiete!
Giebt es nicht deren in Deutschland schon so viele, dass sie sich
gegenseitig' die Existenz verkümmern? Und nun gar auf dem
litterarisohen Weltmärkte? Sind nicht die trefllichen Weltblätter,
welcho in England, Frankreich, Nordamerika die Fahne der Natur-
wissenschaften hoch halten, auch in Deutschland so beliebt und so
verbreitet, dass für alle Richtungen naturwissenschaftlichen Interesses
in der Laienwelt und für alle Bedürfnisse nach bequemer und stetiger
Orientimng, weiche auch der naturwissenschaftliche Fachmann ausser-
halb seines eigentlichen Arbeitsgebietes hat, ausreichend gesorgt zu
sein scheint?
Es würde einer neuen Zeitschrift übel anstehen, auf Bemerkungen
und Fragen obiger Art mit einer Kritik der vorhandenen Organe
populär-naturwissenschaftlicher Darstellung zu antworten. Gewiss sind
unter allen diesen Organen viele ganz ausgezeichnet geleitete, welche
in ihrer Weise zu erreichen, geschweige denn zu übertreflen, sehr
schwer sein würde.
Und ob unsere Ansichten über die Lücken und Mängel der in
Deutschland bestehenden periodischen Litteratuf auf populär-natur-
wissenschaftlichem Gebiete und unsere eigenen Absichten hinsichtlich
dessen, was auf diesem Gebiete noth thut, berechtigte und gesunde
sind, wird an erster Stelle der Erfolg zu beweisen haben.
Ich will mich daher aller ins Einzelne gehenden Seitenblicke auf
die litterarisohen Erscheinungen, in deren Kreis unsere Zeitschrift ein-
tritt, enthalten und mich darauf beschränken, im allgemeinen die Ge-
sichtspunkte darzulogen, welche bei ihrer Begründung massgebend
gewesen sind.
Die am 3. März 1888 zu Berlin ins Lehen getretene Gesellschaft
Urania hat sich laut Statut die Verbreitung der Freude an der Natur-
Erkenntniss zur Aufgabe gestellt.
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Diesem Zwecke soll auch die vorliegende von der Gesellschaft
herausgegebene Zeitschrift dienen und zwar in einer nach manchen
vorliegenden Erfahrungen zweckmässig erschienenen Einschränkung
auf die Gebiete der Astronomie, der Geodäsie, Geophysik, Geographie
und Geologie, sowie auf diejenigen physikalischen und chemischen
Forschungen, welche mit jenen Zweigen der Naturwissenschaft oder
mit den experimentellen Veranstaltungen der Gesellschaft in näherer
Beziehung stehen.
Die besondere Fassung der Ziele der Gesellschaft, durch welche
die Haltung der Zeitschrift bestimmt sein wird, beruht auf Erwägungen
folgender Art
Zur Erkenntniss gehört Denk-Arbei t, und der Verbreitung der
Erkenntniss selber können daher nur solche Veranstaltungen un-
mittelbar dienen, welche mehr oder minder systematisch in pädago-
gischem Sinne zu der bezüglichen geistigen Arbeit anleiten, sei es
der organisirte Unterricht von seinen Anfängen bis in seine höchsten
idealsten Zweige, sei es der freie Selbstunterricht mit Hülfe der Litte-
ratur von den strengston Lehrbüchern bis zu den populärsten Lehr-
darstollungen.
Aber dazu, dass diese Arbeit wirklich vor sich gehe und als ihr
Ergebniss wachsende Erkenntniss, d. h. sowohl das Verständniss des
bereits von der Menschheit Erworbenen, als die Fähigkeit zur Mit-
wirkung an weiteren Erwerbungen sich verbreite, genügt es nicht,
dass die vorerwähnten pädagogischen Veranstaltungen vorhanden sind
und die ihnen zugewiesenen Verrichtungen ausführen, sondern es
muss auch bei denjenigen, denen man mittelst der Anregung zu an-
haltender und strenger eigener Arbeit Erkenntniss zuführen will, ein
gewisser Grad von anhaltender Neigung zu der Leistung dieser Ar-
beit, ein gewisser, die natürlichen Hindernisse überwindender Zug zu
derselben vorhanden sein oder hervorgerufen werden.
Mit anderen Worten, die aus der Erkenntniss gewinnbare Glückes-
Empfindung, die Freude an derselben, muss die zur Erwerbung und
Erweiterung der Erkenntniss unerlässliche Arbeit auf allen ihren
Stufen wecken und beleben helfen. In den Anfängen kann diese
Anregung nur durch solche Arten von Freude an der Natur-Erkenntniss,
welche einen entsprechend geringen Grad von Kenntnissen voraus-
setzen, oder in der Pädagogik durch Zuhiilfenahme anderer Wohl-
gefühle und innerer Belohnungen, insbesondere durch die Anrufung
des Pflichtgefühls, geschehen; aber eine Pädagogik, welche unablässig
mit blossen Anforderungen an letztere Quelle inneren Glückes, d. h.
mit Autorität und Zwang zur Erkenntniss-Arbcit anspornt und es ver-
2*
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säumt oder verschmäht, den „umwölkten Blick“ des Lernenden zu
öffnen „über die tausend Quellen neben dem Durstenden in der
Wüste“, wie sie auf jeder neu erstiegenen Stufe der Erkenntniss rinnen,
eine solche Pädagogik wäre eine Thorheit und eine Versündigung
gegen die Menschen-Natur.
Möge es uns gestattet sein, letztere Betrachtung durch die Ein-
schaltung eines der Praxis entnommenen Beispiels etwas näher zu
erläutern.
Es giebt nicht viele allgemeinere Klagen in der Kulturwelt als
diejenige über die „entsetzliche Dürre“ und die entsprechende Erfolg-
losigkeit des Mathematik-Unterrichtes in den Schulen.
Unzweifelhaft ist diese Klage im ganzen und grossen berechtigt.
Es giebt zwar eine nicht geringe Anzahl von Lehrern, welche ihren
begabteren Schülern echte Freude an der Entwickelung mathematischer
Denk-Arbeit zu bereiten vermögen, und es giebt auch eine kleine
Anzahl von Schülern, welche sogar bei der durchschnittlichen Art des
gegenwärtigen — an sich tüchtigen und sachverständigen — Mathe-
matik-Unterrichtes Freude an dieser Denk-Arbeit gewinnen; aber die
ausserordentliche Kleinheit dieser Minoritäten von Lehrern und von
Schülern ist das sicherste Zeichen, dass ein ernster Uebelstand auf
diesem Gebiete wirklich besteht.
Für alle Ztveige menschlicher Thätigkeit ist dies zu beklagen,
aber am meisten für die Natur-Erkenntniss, für deren volles Verständ-
niss und für deren Weiter-Entwickelung die Einführung in mathema-
tische Denk-Arbeit die wesentlichste Voraussetzung bildet.
Gerade hier wird aber eine gesteigerte Verbreitung und Verwer-
thung der Freude an der Natur-Erkenntniss bei den Lehrern und bei
den Schülern entscheidende Hülfe bringen.
Der Mathematik ist es eigen, dass sie ihren Jüngern, mit Aus-
nahme der in besonderem Sinne mathematisch begabten, erst auf
ziemlich hohen Stufen des Lernens aus eigener Fülle heraus dasjenige
Wohl- und Kraft-Gefühl gewährt, welches in anderen geistigen Dis-
ciplinen, insbesondere in den Naturwissenschaften, schon viel früher
die Arbeit belohnt.
Grosse Mathematiker haben es deshalb schon längst für rathsam
erachtet, beim mathematischen Lernen möglichst schnell von den Ele-
menten zu höheren Stufen emporzusteigen uud lieber von dort aus
späterhin durch Rückschau und Wiederholung die Kenntniss der Ele-
mente zu vervollständigen, als bei diesen gleich im Anfänge zu lange
zu verweilen und dadurch bei vielen Lernenden den unverwischbaren
Eindruck der Oede uud Willkür hervorzurufen.
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Es steht dahin, wie weit jenes schnelle Emporsteigen beim Massen-
llnterricht durchführbar ist. Dagegen ist es erfahrungsraiissig schon
bei den Elementen der Mathematik durchführbar, durch Anwendungen
derselben auf praktisches Leben und Technik, ganz besonders aber
auf die Natur-Erkenntniss in den Gebieten der Astronomie und Erd-
messung, aber auch im allgemeinen in Physik und Chemie, das Lernen
im hohen Grade zu beleben und zu belohnen, sobald der Lehrer selber
von einer freudigen Anschauung der naturwissenschaftlichen Erfolge
durchdrungen und in der I^age ist, einige ihrer eindrucksvollsten
Ergebnisse auch bei den Lernenden unmittelbar zur Anschauung zu
bringen.
Die mathematische Denk- und Forschungs-Arbeit selber hat sich
zur Zeit im grossen und ganzen von der Anwendung auf die Natur-
Erkenntniss entfernt und wenigstens in ihren Höhen eine Zeitlang
solchen Gebieten mit Vorliebe zugewendet, welche man in besonderem
Sinne als die „reine Mathematik“ bezeichnen kann, weil sie sich in
entzückender Folgerichtigkeit des Gedankens mit der Hervorbildung
und Anordnung einer aus den Tiefen des Geistes an das Licht des
Bewusstseins empordringenden unerschöpflichen Fülle von Gebilden
und Formen beschäftigt, von denen viele zur Zeit für die Anordnung
und Bemeisterung entsprechender Erscheinungen der Aussenwelt,
also für die Natur-Erkenntniss, noch keine unmittelbare Bedeutung
haben, wenngleich man auch bei diesen Forschungen, wie bei allen
Ergebnissen konsequenten Denkens, auf künftige hohe Productivität
selbst im unmittelbar praktischen Sinne vertrauen darf.
Die ganz eigenartigen Wohlgefühle jenes inneren mathematischen
Schaffens haben aber jedenfalls aus naheliegenden Gründen für den
Schulunterricht nur eine äusserst geringe Bedeutung, und man darf es
daher als eine der wesentlichsten Ursachen der trotz aller Fortschritte
der Mathematik noch immer so unbefriedigenden Erfolge des mathe-
matischen Schulunterrichts betrachten, dass eine grosse Zahl der ma-
thematischen Lehrer in den letzten Jahrzehnten von der reichen und
geistvollen Entwickelung jener mathematischen Forschung, die ihnen
im Universitäts-Unterricht mit besonderem Glanze entgegentrat, vor-
zugsweise ergriffen worden ist. Es wurde ihnen dadurch nicht blos
das Interesse für die Anwendungen und die Erfolge der Mathematik
in der Natur-Erkenntniss, sondern häufig sogar die Kenntniss der
naturwissenschaftlichen Methoden und Ergebnisse und damit auch die
Fähigkeit, ihren Unterricht in obigem Sinne zu beleben, verkümmert.
Dies sind oben Entwickelungs-Erscheinungen, die man von höheren
Gesichtspunkten ruhig verstehen kann, deren Uebel man indessen
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nicht mit blosser Resignation betrachten darf, sondern mit Offenheit
bekämpfen und zu heilen versuchen muss.
Und zu dieser Heilung werden eben solche Veranstaltungen bei-
tragen, welche es auch den Unterrichts-Anstalten und der Lehrerwelt
näher legen und erleichtern, auch die mathematische Heranbildung
ihrer Schüler zur Erkenntniss-Arbeit durch die Freude an der Natur-
Erkenntniss zu fördern.
Bevor ich dus Wesen solcher Veranstaltungen näher erörtere,
bitte ich mir noch für eine andere Nebenbetrachtung kurze Aufmerk-
samkeit zu schenken, welche mir an dieser Stelle nothwendig er-
scheint, um gewisse Einwürfe zu entkräften, welche schon bei den
vorangehenden Darlegungen hinsichtlich der Freude an der Erkennt-
niss manchem Leser vor die Seelo getreten sein werden.
„Freude“ im Sinne von Schillers Hymne gilt auch hei dem
strengsten Moralisten als der Ausdruck für eine etwas höhere Ord-
nung von Antrieben und Wirkungen verglichen mit den für ganz
niedrig erachteten Gebieten von Lust und Unlust; aber immer noch
haftet auch der Freude etwas von dem Makel au, welcher in den
Anschauungen der Ethik seit den Tagen der Epikuräer auf allen in
Lust oder Unlust wurzelnden Beweggründen menschlichen Handelns
lastet.
Nicht um der Freude, des Wohlgefühls, des Glückes willen,
welches das gesetzmiissige Erkonnen der Menschenseele bereitet, soll
man die zur Erkenntniss unerlässliche Arbeit auf sich nehmen, son-
dern, so lehrt man, wie das Guto lediglich um des Guten willen oder,
in der Sprache der Religion, aus Liebe zu Gott gethan werden soll,
ist auch die Wahrheit lediglich aus Liebe zur Wahrheit zu suchen.
Wenn mau näher zusieht, ist in diesen weihevollen und durch
ihr Alter ehrwürdigen Worten, welche aber mit den Gefahren der in
allen absoluten Fassungen liegenden Intoleranz behaftet sind, kein
anderer Gedanke enthalten, als dass es in der menschlichen Seele
Wohlgefühle und Schmerzgefühle von sehr verschiedenem Grade der
Vornehmheit und Würde je nach ihrer Reinheit, ihrer Stärke und
besonders nach ihrer Dauer giebt, und dass die allervornehmsten die-
jenigen sind, welche sich aus der Harmonie der umfassendsten und
dauerndsten Gestaltungen unseres Gedankenlebens, mit anderen Worten
aus den höchsten Idealgebilden desselben auferbauen.
In die Fähigkeit und in die offenbare Bestimmung des Menschen,
sich unter den Schutz dieser erhabenen Mächte des Seelenlebens vor
dem niederen Zwange veränderlicher Lust und Unlust zu flüchten und
dort höheren Frieden zu linden, setzt auch der Naturforscher den
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höchsten Adel der Menschennatur, und zu jenen Mächten gehört mit
einer unbeschreiblichen sättigenden Kraft die Freude an der Erkenntniss,
im besondern auch diejenige an der Natur-Erkenntniss.
Es ist also jedenfalls ein tief sittliches Ziel, die Freude an der
Natur-Erkenntniss in obigem Sinne zu pflegen und zu verbreiten. Ich
denke sogar, um mich jetzt nicht allzulange bei so schwer wipgenden
Betrachtungen aufzuhalten, später einmal in diesen Blättern zu zeigen,
dass diese Fassung der Popularisirungs -Aufgabe überhaupt für die
Beurtheilung der pädagogischen Bedeutung und des Kulturwerthes der
Naturwissenschaften von Bedeutung ist.
Welches sind nun die oben erwähnten Arten jener Freude, welche
auch den ersten Stufen jener Erkenntniss schon zugänglich sind?
Die voraussetzungsloseste Freude geniesst der Mensch auf dem
Gebiete des Schönen. Wie aus einem gemeinsamen Glückesquell der
Menschheit entspringend, geht diese Freude fast ohne bewusste Arbeit
des Geniessenden aus dem blossen Eindruck auf die Sinne hervor.
Aber auch die Natur-Betrachtung bietet den Sinnen und der Ein-
bildungskraft unmittelbar beglückende Eindrücke dar, welche zwar von
denjenigen des vom Menschen geschaffenen Sohönen sehr verschieden,
oftmals viel mächtiger und grösser als diese, aber ihnen jedenfalls
darin verwandt sind, dass die vorausgegangene und die gleichzeitige
Denk-Arbeit, die ihr voller Genuss voraussetzt, nur sehr gering und
einfach zu sein braucht
Man kann sogar die Behauptung hören, dass die mit ernster
Arbeit erworbene Natur-Erkenntniss das Glück des Naturgonusses
vermindere, und dass demgemäss auch in rückwirkendem Sinne ein
belebender Einfluss dieses Genusses auf jene Arbeit nicht stattfinde.
Bei näherer Erwägung der in dieser Beziehung leicht zu machen-
den Erfahrungen werden aber beide Behauptungen als gänzlich hin-
fällig befunden.
Sehr schwere und anstrengende Erkenntniss- Arbeit kamt aller-
dings die körperlichen Voraussetzungen einfachen Naturgenusses trüben
oder schwächen; aber die geistigen Voraussetzungen desselben werden
durch jene Arbeit so gesteigert und bereichert, dass auch die Macht
und Innigkeit reiner und einfacher Natur-Eindrücke dadurch in einem
Grade wächst, welcher unzweifelhaft auch die belebenden Rückwir-
kungen der letzteren auf die Erkenntniss-Arbeit verbürgt.
Wirkungen dieser Art auf den Kulturmenschen werden noch da-
durch erhöht, dass ihm solche Genüsse im allgemeinen seltener zu
theil werden.
Es wird daher schon als eine in hohem Grade erhebende und
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anregende Veranstaltung zu betrachten sein, wenn z. B. dem Gross-
städter, welcher den gestirnten Himmel sonst fast gar nicht mehr zu
sehen bekommt, zum Anblick desselben unter günstigen oder wenigstens
unter solchen Verhältnissen und Umgebungen, welche die Ungunst
gewisser natürlicher Bedingungen durch sonstige begleitende An-
regungen aufwiegen, Anlass und Gelegenheit geboten wird. Schon
hierdurch wird ihm eine Erhebung und Erquickung bereitet, welche
erfahrungsmässig weitreichende Anregungen zu ernsterer Beschäftigung
mit den diesen Eindrücken verwandten Gegenständen zur Folge hat.
Natur-Eindrücke von nicht so unmittelbarer und voraussetzungs-
loser aber wohl noch nachhaltigerer, dem Genüsse des menschlich
Schönen näher kommender Wirkung vermag die Naturforschung mit
ihren durch jahrhundertlange Arbeit errungenen mächtigen Hülfsmitteln
der Verfeinerung und Bereicherung der Wahrnehmung sowie der experi-
mentellen Nachbildung von Natur-Erscheinungen, ja der Hervorrufung
von Erscheinungen, die in der Natur in solcher Eigenart und Vollen-
dung noch gar nicht wahrgenommen wurden, schon jetzt immer weiteren
Kreisen der Menschen zu bieten.
In der Gewährung aller dieser edlen Genüsse, fiir welche die
Gesellschaft Urania ihre Sternwarte, ihre mikroskopischen und experi-
mentellen Veranstaltungen und ihr naturwissenschaftliches Theater oin-
richtet, über welche Einrichtungen Herr Dr. Meyer weiter unten näher be-
richtet, lässt sich nun eine Vielartigkeit und eine gewisse Stufenfolge
von Wirkungen erzielen, welche dem Zwecke des Ganzen, durch die
Pflege der Freude an solchen Eindrücken zur Erkenntniss-Arbeit anzu-
regen, für die allerverschiedensten Vorbildungsstufen und Geistesbe-
dürfnisse Erfüllung zu verheissen gestattet. Und zwar gilt dies von
dem grossen oder sogenannten Sonntags-Publikum beginnend, welches
blossen Lehr-Vorträgen naturwissenschaftlicher Art notorisch so abgeneigt
ist, und welches nun in dem wissenschaftlichen Theater zunächst mit
Bild- und Licht- Wirkungen ergreifender oder anmuthiger Art, bald unter
diskretester, bald unter spannendster rednerischer Erläuterung unver-
merkt in den Reichthum der Natur-Erkenntnisse eingeführt wird, bis
hinauf zu den Schülern der höheren Schulen sowie zu der Lehrerschaft
derselben, welcher letzteren in unsorn Einrichtungen der Jungbrunnen
zur zwanglosesten Erfrischung und Fortbildung ihrer naturwissenschaft-
lichen Orientirung geboten werden kann, und bis zu den vielen einsam
arbeitenden Freunden der Natur-Erkenntniss, denen bisher die Mittel und
Wege fehlten, zu allen den Veranschaulichungen zu gelangen, nach
denen ihre eifrigen Studien hindrängten, und aus denen sie die entschei-
dendsten Förderungen ihres Selbstunterrichtes schöpfen werden.
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Was unsere Zeitschrift in dieser Richtung zur Förderung des
Zweckes der Gesellschaft zu thun hat, wird wesentlich darin bestehen,
dass sie von den bezüglichen Veranstaltungen, von ihren Leistungen
und ihrer Weiterentwickelung fortlaufend auch einem weiteren Kreise
Kunde giebt und hierdurch zugleich eine grössere Anzahl von
Forschem und Fachgenossen auf die dabei zur Sprache kommenden
Erfolge und Aufgaben der Experimentir-Kunst im grossen aufmerksam
macht und zur Mitarbeit anregt. Ausserdem wird die Zeitschrift auch
an der unmittelbar genussreichen Veranschaulichung der Ergebnisse
verfeinerter Wahrnehmungen und tieferer Forschungen durch Dar-
stellung in Wort und Bild Antheil zu nehmen haben.
Selbstständigere Aufgaben aber werden der Zeitschrift in der
Richtung des Gesellschafts-Zweckes im Sinne folgender Erwägungen
zufallen.
So oft es gelingt, in den Ergebnissen sorgfältiger und aus-
dauernder Wahrnehmungen, Zählungen und Messungen gewisser noch
räthselvoller Erscheinungen deutliche Beziehungen zu bekannteren
und verständlicheren Erscheinungen oder auch nur eine Spur von
Ordnung nach Folge oder Wiederkehr in Anknüpfung an bestimmte
Punkte der Zeit oder des Raumes zu entdecken, und nun gar, sobald auf
Grund aller solcher Beziehungen dio Voraussagung des weiteren Ver-
laufes oder die Hervorrufung der Erscheinung gewagt wird und die
Natur dann hält, was der Geist verspricht, wird die Seele von einem
Wohlgefühl ergriffen, dessen Reinheit und Tiefe der sicherste Beweis
dafür ist, dass hier eine höhere Bestimmung des Menschengeistes
vorliegt
Dies ist der schlichte unendlich fruchtbare Kern des sogenannten
himmelstürmenden Wesens der Naturforschung.
Auf dem Wege, auf den die Leuchte jenes Wohlgefühls den
Menschen seit Jahrtausonden gewiesen hat, wurden allmählich immer
grössere Erfolge in der gedanklichen Nachgestaltung und der that-
sächlichen Bemeisterung der Aussonwelt gewonnen, auf diesem Wege
wurde eine umfassende Natur - Erkenntniss [angestrebt, deren Grösse
und deren Segen nicht den mindesten Abbruch dadurch erfahrt, dass
ihr in weitester Ferne des Denkens Grenzen gesetzt sind, Grenzen,
innerhalb deren aber noch eino namenlose Fülle des Zugänglichen
und sicher Erfassbaren jener sogensvollon, ordnenden Arbeit des
Menschengeistes harrt.
Die Ziele dieser unbestimmt begrenzten, aber sich stetig er-
weiternden Arbeit benennen wir mit dem hohen Namen „Wissen“ und
„Erkennen“, und nicht etwa das Streben ins Absolute, wolches die
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Kindheitsstufen der Erkenntniss erfüllt, eben weil sie an Wohlgefühlen
jener wahrhaft erquicklichen, fruchtbaren Art noch arm sind.
Was kann nun eine populäre Zeitschrift zu der Pflege und Ver-
breitung dieser Freude an methodischem Natur - Erkennen beitragen,
welche anscheinend nur der strengen, hochentwickelten Forschung
selbst zu theil wird und daher viel grössere Voraussetzungen hin-
sichtlich vorangegangencr Denk-Arbeit macht als die vorher erörterten,
den Eindrücken des Schönen nahestehenden Freuden.
Zunächst ist hier zu bemerken, dass lebenswarme Darstellungen des
Entwickelungsganges bedeutsamer Forschungsergebnisse — und zwar
nicht blos immer der neuesten, sondern aus allen Zeiten entnommener
bis zu manchen in der Ferne der Zeiten fast entschwundenen hin —
mit der Schilderung der bei allen Nöthen und Enttäuschungen doch
so beseligenden Mühen bis zum endlichen Erfolge, sehr wohl geeignet
sind, wahrhaft beglückend und anregeud zu wirken. Um so stärker
und nachhaltiger werden die sympathischen Wirkungen solcher Dar-
stellungen sein, je besser es gelingt, geschichtliche und lebensgeschicht-
liche Blicke damit zu verbinden.
Aber auch ein grosses Gebiet von unmittelbaren Frohgefühlen
obiger Art, reich an Anregungen zu förderlichster Arbeit, von eifriger
Verständniss-Erwerbung bis zu nützlicher Mitarbeiterschaft an der
Forschung selber, kann die Zeitschrift kultiviren helfen, indem sie un-
ablässig darauf hinweist, dass es nicht blos die hohen Probleme, nicht
blos die besonders gelehrter Vorstudien und schwieriger Veranstaltungen
bedürftigen Erkenntniss - Arbeiten sind, welche jene wunderbar er-
greifenden Forscher-Freuden gewähren.
In den verschiedensten Forschungszweigen werden, wie man
leicht zeigen kann, stets zahllose Aufgaben vorliegen, bei deren Lösung
man sich auch nach geringster Vorbereitung lediglich durch geordnete Auf-
zeichnung gewissenhafter Wahrnehmungen oder durch blosse Zählungen
und sonstige einfachste Massbestimmungen in der nützlichsten Weise
bethätigen kann. Und man kann dadurch ganz derselben Art von
Glück, derselben Art von Körperlosigkeit und von Durchgeistigung
ohne Leidenschaft theilhaftig werden, wie bei der tiefsten Forscher-
Arbeit, bei welcher nur die Intensität dieser Wirkungen eine ge-
steigerte ist.
Das litterarische Organ der Gesellschaft Urania, welche übrigens
in ihren eigenen Veranstaltungen auch Gelegenheit zur Erwerbung
einer gewissen Kenntniss und Uebung in naturwissenschaftlicher
Technik darzubieten beabsichtigt, wird im Sinne vorstehender Hin-
weisungen gern Hath ertheilen und Anschlüsse vermitteln, wenn Jemand
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den Wunsch hegt, sich innerhalb des von dieser Zeitschrift umfassten
naturwissenschaftlichen Gebietes an irgend einer Forschungs-Arbeit
entweder mit voller Kraft oder auch nur in Mussestunden zu bethei-
ligen und sich dadurch in die edle Gemeinschaft der eigentlichen
Forscher-Freude einzufiigen.
Ein noch am wenigsten angebautes grosses Gebiet der Thätig-
keit für eine Zeitschrift, welche die Freude an der Natur-Erkenntniss
verbreiten helfen will, besteht endlich in einer massvollen Gegen-
wirkung gegen alles dasjenige, was sowohl innerhalb der Wissen-
schaft als innerhalb der weiten Kreise, die an ihren Ergebnissen
theilnehmen, dem Gedeihen und der Wirksamkeit jener vorerwähnten
echten und reinen Frohgefühle hinderlich ist.
Der gegenwärtige Zustand ist in dieser Beziehung nicht gerade
erfreulich. Der mächtige Eindruck des Glanzes, von welchem die
Vorausbestimmungen der Astronomie und die grossen technischen
Leistungen der gesammten Naturforsohung umflossen werden, dauert
zwar fort; aber die in allen Grenzgebieten dieser Forschung unver-
meidlich obwaltenden Unklarheiten, Widersprüche und Unsicherheiten
haben infolge des bedeutend gestiegenen Interesses an allen diesen
Dingen in weiteren Kreisen eine Art von Ueberdruss erzeugt, welche
in mannigfachen Zeichen zu Tage tritt, unter anderm in dem Anklange,
welchen beim grossen Publikum gerade solche Stimmen finden, die
sich mit einem gewissen Muthe von der Fachgenossenschaft loslösen
und gegen dieselbe ankämpfen.
Im allgemeinen sind dies wohl Erscheinungen, die in dem grossen
Drama der menschlichen Entwickelung niemals ganz fehlen dürfen;
aber wenn dieselben eine unverhältnissmässige Geltung finden, kann
man daraus stets auf das wirkliche Bestehen gewisser Uebelstände,
wenn auch vielleicht ganz anderer, als der vorzugsweise bekämpften,
schliessen. — Die Laienwelt nimmt den eifrigsten Antheil gerade an
solchen Problemen dor Erkenntniss, welche die schwierigsten und
höchsten sind. Wäre die strenge Naturforschung nicht ganz andere
Wege gegangen als dieses Laien-Intercsse, und hätte sie nicht schritt-
weise zuerst die einfachsten und unscheinbarsten Aufgaben zu lösen
gesucht, so gäbe es überhaupt noch keine solide Grundlage des Natur-
Erkennens. Andererseits ist nicht zu verkennen, dass jener allgemein
menschliche Drang nach den höchsten Dingen noch öfter und stärker
fördernd als hemmend und trübend in die schlichte Arbeit der Wissen-
schaft eingegrifTen hat.
Wie hat sich nun die Wissenschaft in solchen Grenzgebieten zu
verhalten, in welchen sie zwar ebenfalls unablässig klärend arbeitet,
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aber diejenigen Antworten, um welche sie unaufhörlich angegangen
wird, unmöglich mit einiger Zuverlässigkeit und Uebereinstimmung
ertheilen kann? Blosses Achselzucken hilft da nicht. Auch würde
es nicht das Richtige sein, wenn innerhalb einer gewissen Fachge-
nossenschaft eine Art von Uebereinkommen über die Art und Weise
geschlossen würde, in welcher solche Fragen zu beantworten wären;
denn ein solches Uebereinkommen, obwohl dasselbe einen Theil der
Uebelstände, nämlich die Widersprüche der Aeusserungen verschie-
dener Fachmänner über jene unsicheren Grenzgebiete vermindern könnte,
würde andererseits bedenkliche Elemente der Unwahrhaftigkeit und
Unfreiheit in sich bergen.
Das Beste wird es immer sein, wenn bei dieser unvermeidlichen
I-age der Dinge gerade in einer populären Zeitschrift die verschiedenen
Ansichten offen und eingehend zur Sprache gebracht und sorgfältig
abgewogen werden, ohne dass man sich zu einer vorzeitigen Entschei-
dung hinreissen lässt, und wenn bei solchen Erörterungen vorzugs-
weise darauf Bedacht genommen wird, dass der Leser gleichzeitig mit
der Unbefriedigung über eine solche Sachlage sich auch des schönen
und frohen Besitzes gemeinsam errungener fester Grundlagen des
Wissens bewusst wird, von welchem festen Boden aus selbst aben-
teuerliche Flüge in das Unbekannte gewagt werden dürfen.
Zu den wirklich vorhandenen und vermeidbaren Uebelständen,
uuf welche zeitweise ein übermässiges Anschwellen des Verdrusses
über die unvermeidlichen Unsicherheiten hinw’eist, gehören, wie mir
scheint, in erster Linie Mängel der Ausdrucksweise der Wissenschaft
selber, welche in den weiten Kreisen des Lebens erschwerend und
verstimmend wirken.
Jede Wissenschaft und jede Technik hat ein unabweisbares Be-
dürfniss nach einer grossen Anzahl schärfster und womöglich kürzester
Bezeichnungen, welche am allerzweckmässigsten aus dem gemein-
samsten Wort- und Zeichen- Vorrath der Kulturvölker entnommen
werden.
Wer an einer Wissenschaft als Mitarbeiter theil haben will,
muss sich wenigstens innerhalb des besonderen Gebietes, in welchem
er thätig sein möchte, diesem Bezeichnungswesen fügen.
Ganz anders steht es in dieser Hinsicht mit der Formulirung
wissenschaftlicher Ergebnisse für das nichtfachmännische Interesse der
Mitlebenden. Hier ist der wissenschaftliche Jargon so weit als irgend
thunlich in seine logischen und sprachlichen Elemente aufzulösen, und
wo dies ohne übermässige Umständlichkeit oder ohne Undeutlich-
werden des Sachverhalts nicht angeht, thut man besser, mit einer
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gemeinfasslichen Darstellung noch zu warten, bis die Dinge sich
weiter geklärt haben, oder die Grösse der Sache und die Zweckmässig-
keit ihrer wissenschaftlichen Terminologie ein näheres und strengeres
Eingehen auf dieselbe rechtfertigt.
In dieser Beziehung wird von der populären Litteratur sehr
häufig gefehlt, indem sie sich in dem Konkurrenzbestreben, von allem
und jedem Neuesten der Forschung mitzureden, häufig sogar damit abgiebt,
sehr unvollkommene und in der Entwickelung begriffene technische Aus-
drücke der bezüglichen Forschungsgebiete, welche nur für die Technik,
nicht für die Logik der Sache förderlich sind, mühsam zu erklären
und dann unter Einführung derselben in einer höchst unerquicklichen
Sprache zu reden, wie es z. B. nicht selten bei meteorologischen Dar-
stellungen der Fall ist
Es kommt hinzu, dass die Terminologie der Wissenschaften selber
keineswegs immer etwas sehr vollkommenes ist. Die Technik der
Forscher gewöhnt sich allmählich auch an sehr ungeeignete, im engsten
Arbeitsgebiete ungefährliche, aber für weitere Kreise mit vielen Er-
schwernissen und Missverständnissen beladene Bezeichnungen. Die be-
treffenden Uebelstände innerhalb der Technik der Forschung sind in
der Regel so gering, und die Organe zur erfolgreichen gemeinsamen
Durchführung von Abänderungen althergebrachter Bezeichnungen noch
so unentwickelt, dass Niemand an dieselben zu rühren wagt Gerade
hier können populäre Darstellungen auch für die Wissenschaft selber
förderlich werden, indem sie bei Erörterungen, die für weitere Kreise
bestimmt sind, die logischen und sprachlichen Unvollkommenheiten der
wissenschaftlichen Bezeichnungsweise mittelbar oder unmittelbar ans
Licht bringen.
Es ist nach allen vorstehenden Erörterungen kaum nöthig hinzu-
zufügen, dass die Nothwendigkeit, bei populären Darstellungen nicht
blos im sprachlichen Ausdrucke, sondern auch in der gedanklichen
Durchbildung den wissenschaftlichen Methoden und Ergebnissen den
staubigen Arbeitsrock auszuziehen und eine gewisse Reinigung ihres
Gewandes vorzunehmen, auch für das wissenschaftliche Denken selber
nicht anders als höchst förderlich sein kann.
Indem ich Erörterungen dieser Art, denen sich noch vieles hinzu-
fügen liesse, deren wesentliche Ziele aber wohl hinreichend zum Aus-
druck gelangt sind, hiermit abbreche, darf ich wohl noch die Bemerkung
hinzufügen, dass es nach allen menschlichen Erfahrungen sicherlich nicht
gelingen wird, in der Zeitschrift „Himmel und Erde" alle vorstehend
erläuterten Absichten und Verheissungen sofort und ausnahmslos zur
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Erfüllung zu bringen. Sehr oft wird selbst der wohlgeneigte Leser
unserer Zeitschrift den Eindruck haben, dass Absicht und Aus-
führung weit auseinander liegen, aber wir hoffen, dass Erfahrung und
Uebung und der Beistand eines reichen und erleuchteten Kreises von
Mitarbeitern allmählich dazu verhelfen werden, wenigstens einen Theil
der Absichten, die uns vorschweben, zu verwirklichen.
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Die Veranstaltungen der Urania.
/Q-n. Von Dr. M. Wilhelm Mever-Berlin.
(OnlRjie mit gegenwärtigem Hefte ins Leben tretende Zeitschrift bildet
. y bekanntlich nur einen Theil des Programmes der Gesellschaft
Urania, welche zum Zwecke der „Verbreitung der Freude an
der Naturerkenntniss“ am 3. März laufenden Jahres orduungsmässig als
Aktien-Gesellschaft conslituirt worden ist. Es erscheint deshalb nach
den vorangegangenen allgemeinen Betrachtungen des Herrn Prof.
Foerster über die pädagogische Nothwendigkeit einer solchen
Schöpfung hier wohl am Platze, unseren Losem einen kurzen Ueber-
blick über die concrete Ausgestaltung jener Ideen zu geben, wie sie
sich in den Veranstaltungen der Urania bereits im kommenden Früh-
jahr darstellen wird.
Das Schaugebäude der Gesellschaft, welches gegenwärtig im
Landes -Ausstellungspark am Lehrter Bahnhof errichtet wird, zeigt
nach dem Park hin die auf der umstehenden Seite abgebildete
Fa^ade. Der hier nächst folgende Grundriss vom ersten Stockwerke
(das Erdgeschoss enthält ausschliesslich Verwaltungs- und Dienst-
räume) zergliedert sich deutlich in drei wesentlich verschiedene
Abtheilungen, von denen die erste, vordere, als schwer massiver Bau,
gekrönt von der grossen Kuppel, die eigentliche Sternwarte darstellt.
Der zweite, in Eisenconstruktion ausgeführte Theil, welcher seine
einfacher gestaltete aber grössere Front längs der Fluchtlinie der
Invalidenstrasse hinerstrockt, enthält im wesentlichen einen grossen
Saal, in welchem die Ausstellung von physikalischen Instrumenten
und die Vorführung eindrucksvoller Experimente, schliesslich eine
Reihe von Mikroskopen Platz finden soll; endlich der dritte Abschnitt
des etwa 1050 qm umfassenden Gebäudes bildet das „wissenschaftliche
Theater“ und wird gleichfalls aus Eisenconstruktion hcrgestellt.
Entsprechend dem Programm unserer Gesellschaft, möglichst ver-
schiedenen Kreisen der Bevölkerung die Freude an der Natur und das
Verständniss für die tausendfältigen Vorgänge in derselben, von denen
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unser Wohl und Wehe so unmittelbar und doch in den bei weitem
meisten Fällen so wenig bewussterweise abhängt, zu erschliessen,
wird dieses Theater die unterste Stufe bezeichnen, auf welcher die Er-
rungenschaften strenger Forschung in möglichst reizvollem Rahmen zum
Zwecke der ersten Anregung zur Naturbetrachtung geboten werden
sollen. Sonnen- und Mondfinsternisse, Sternschnuppenschauer, riesige
Kometen, von deren Erscheinen uns die Annalen der Sternkunde
wunderbaren Aufschluss geben, ziehen hier, in ihren wechselnden
Phasen lebendig dargestellt, inmitten malerischer Landschaften des
/ ««4
Erdballs am Auge des Beschauers vorüber und erwecken die Begier,
diese angestaunten Erscheinungen, die vor wenigen Jahrhunderten
noch als unmittelbare Eingriffe göttlicher Gewalt in das Naturgeschehen
gefürchtet wurden, in ihrer natürlichen Entstehung begreifen zu lernen.
Begleitende Vorträge, denen diese deeorativen Darstellungen als glanz-
volle Illustrationen von plastisch natürlichster Wirkung beigesellt
werden, geben eine erste noch völlig skizzenhafte Andeutung zur Er-
klärung der mit dem Auge des wissenschaftlich durchgebildeten
Künstlers gesehenen Naturereignisse. Wir wollen uns hier damit be-
gnügen aus dem reichen bereits der speziellen Bearbeitung vorgelegten
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Schaugebäude der Urania.
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Programm dieser Abtheilung des Urania-Unternehmens nur auf den
astronomischen Bildercyklus hinzuweisen, dem meteorologische und
geologische Cyklen folgen werden.
Zu Beginn des Vortrages versetzt uns die Scene in eine Land-
schaft der Umgebung Berlins während des Eintritts jener denkwürdigen
Sonnenfinstemiss vom 19. August 1887, welche unser Land in ihre
Schatten hüllte, ohne jedoch der zahlreich harrenden Menge alle die
seltsamen Erscheinungen zu offenbaren, auf welche die astronomischen
Schriftsteller vorher in lebendigen Schilderungen aufmerksam gemacht
hatten. Enttäuscht, entmuthigt, erschlafft von der durchwachten Nacht
mussten die llunderttausende wieder heimkehren. Solcher Ent-
täuschung wird man sich in unserem „wissenschaftlichen Theater“
nicht aussetzen und dieselben Erscheinungen unabhängig von den
Launen des Wetters in ihrer natürlichen Reihenfolge an sich vor-
überziehen sehen. Eiteret wird die Landschaft in dem dämmernden
Lichte des nahen Sonnenaufgangs erscheinen; die Sonne wird dann
in ihrer damalig’«! sichelförmigen Gestalt langsam zwischen dunkel-
rothen Wolken über den Horizont emporsteigen; die Sichel wird
immer kleiner werden, bis endlich die schweren Gewitterschatten der
Finsterniss über uns hereinbrechen. Nach kaum mehr als zwei
Minuten, der damaligen Wirklichkeit entsprechend, verändert sich da-
gegen bereits wieder die Beleuchtung der Soenerie und bald darauf
sehen wir diese selbe Landschaft im sonnigsten Lichte erglänzen.
Was hier an uns vorüberzog, bildete aber nur eine einzelne Scene
des astronomischen Schauspiels, das dem Besucher hier geboten wird.
Während der Vortragende sich noch weiter über das seltene Ereigniss
verbreitet, von welchem man soeben Zeuge gewesen zu sein glaubt,
verwandelt sich die Scene, und der Beschauer wähnt sich auf einen
Punkt im freien Raume versetzt. Die ungeheuere Erdkugel schwebt
rotirend empor vor den strahlenden Thierkreis-Sternbildern des Hinter-
grundes. Der Mond, durch das Sonnenlicht vorüberziehend, wirft
seinen Schatten auf unseren Planeten und lässt ihn über den euro-
päischen Continent hinstreichen: Wir begreifen sofort, wie die Finster-
niss zu stände kommen musste. Dann setzen wir unsere Reise fort
und gelangen in die Nähe des Mondes; seine öden Gebirgsketten
starren uns an. Das hierneben wiedergegebene Bild versetzt uns
dorthin zu derselben Zeit, als wir auf der Erde die Sonnenfinstemiss
sahen. Die Mondlandschaft liegt zum grössten Theil in tiefer
Dunkelheit. Nur die höchsten Bergspitzen des Vordergrundes sind
bereits grell von der Sonne beschienen. Am sternbesäeten Himmel
leuchtet die Erde und wirft ihr Licht zurück auf den umnachteten
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Mond. Der kleine schwarze Punkt auf der leuchtenden Scheibe der
Erde bezeichnet die Stelle, wohin soeben die Spitze des Mondschattens
fällt, wo also die vorhin beobachtete Sonnenflnsterniss herrscht. Unsere
Reise geht inzwischen weiter zur Sonne selbst und zu den Planeten,
deren Oberflächen nach den Ergebnissen der wunderbaren Forschungen
unserer neuen Zeit dargestellt, an uns kreisend vorü bersch weben;
doch wollen wir die flüchtige Schilderung hier abbroehen.
Den nach dem Theater grössten Raum nimmt der „Ausstellungs-
saal“ ein. Hier sollen Instrumente, Apparate, Einrichtungen ver-
schiedenster Art aufgestellt werden, welche die physikalischen Er-
scheinungen möglichst unmittelbar verständlich darlegen. Ganz be-
sonders soll hier Rücksicht genommen werden auf diejenigen Vorgänge,
durch welche die Naturkräfte dem Getriebe des täglichen Lebens
dienen. Wir erkonnen hier an geistvoll zusammengesetzten Apparaten,
wie sich durch vielfältige Kreuzung der Schallwellen die Laute unserer
menschlichen Sprache zusammensetzen. Alle die wunderbaren Erschei-
nungen des Lichts, seine unausdenkbar grosse Geschwindigkeit, seine
Zerlegbarkeit in die tausend Farbenniiancen, welche uns die umgebende
Natur in so überaus reizvollem Gewände erscheinen lässt, die spektro-
skopischen Wunder, w'elche uns die chemische Zusammensetzung der
Himmelskörper verriethen und andererseits heute schon längst für viele
gewerbliche Thätigkeitsgebiete , wie im Bessemerprozess (Stahlfabri-
kation), bei der Untersuchung der Weine und anderer Flüssigkeiten auf
ihre chemische Reinheit, eine immer wichtiger werdende Rolle spielen,
und nicht minder die so herrlich farbenreichen Polarisationserschei-
nungen, die ebenfalls, beispielsweise bei der Zuckerfabrikation, in-
dustriell verwerthe! werden, alle diese leuchtenden Dinge sollen in
reizvoll durchsichtigem Gewände hier vor den Augen der Beschauer ein-
dringlich von der Schönheit und Kraft der grossen Natur erzählen. Dann
folgen die allüberall im Leben angewandten Erscheinungen der Wärme,
welche in einem anderen Theile des grossen Ausstellungssaales ihre
Wunder entfalten. Auseinanderlegbare Modelle von Wärmemaschinen
erklären deren rastlos schaflende Thätigkeit; Eismaschinen ihre selt-
same Wirkung. Und nun weiter die magnetische und elektrische
Abtheilung, wo riesige Elektro-Magnete ihre mysteriöse Kraft über
den Raum ausbreiten und die Elektrizität, die geschmeidige, ätherisch-
glanzerfüllte Fee herrscht, die unsichtbar alles mit der unüberwind-
lichen Macht ihres Feuergeistes durchdringt und die Gedanken
der Menschen verbrüdernd über alle Lande 'und den brausenden
Ocean hin zum grossen Weltconcerte zusammenklingen lässt! Das
elektrische Licht, welches ohnedies alle Räume des Urania-Gebäudes
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erhellt, wird hier über seine Entstehung das eigene Licht verbreiten.
Die chemischen Wirkungen des elektrischen Stromes, die Elektrolyse,
Galvanoplastik, deren Produkten wir überall im täglichen Leben be-
gegnen, werden hier Jedem verständlich erklärt.
Aber damit sind die Sehenswürdigkeiten dieses Ausstellungs-
saales noch hei weitem nicht erschöpft. Eine ganze Welt von
Wundern eröffnet sich uns hier durch die Vermittelung einiger
fünfzig Mikroskope, welche den staunenden Blick in den ganz uner-
schöpflichen Reichthum an zierlichsten Formen, sinnreichen und zweck-
mässigen Organisationen oder abenteuerlich bizarren Einfällen aller
Art dringen lässt, womit hier im unsichtbar kleinsten Raume die Natur
wie spielerisch schafft und doch gerade hier das Grossartigste aufbaut
und die furchtbarsten Geissein webt, welche über ganze Nationen
Krankheit und Tod verbreiten. Auch das wichtige Gebiet der mikro-
skopischen Untersuchung gefälschter Nahrungsmittel wird hier dem
allgemeinen Verständniss näher gerückt w'erden.
Endlich soll der grosse Saal, welcher nach der Seite der Inva-
lidenstrasse hin eine Frontlänge von 33 Metern bei einer theilweisen
Tiefe von 15 Metern aufweist, eine permanente Ausstellung der Pro-
dukte unserer aufblühenden Präcisions- Mechanik beherbergen. Eine
solche Ausstellung tliat längst noth, da die grossen Welt- oder Landes-
ausstellungen diesen Industriezweig, dessen Ausbildung von fundamen-
talster Wichtigkeit für die Entwickelung der gesammten Naturforschung
ist, der die praktische Mechanik ja das unentbehrlichste Handwerks-
zeug liefert, doch immer nur allzu nebensächlich behandeln konnten;
denn es stellt sich für diese Produkte mehr als für alle übrigen die
Nothwendigkeit der sachgemiissen Erklärung ihres Gebrauchs heraus,
für die im Rahmen der übrigen Einrichtungen des Urania-Unternehmens
gebührend gesorgt werden kann. Die deutsche Präcisions-Mechanik,
welche in den letzten Jahrzehnten die allerwichtigsten Fortschritte zu
verzeichnen hat, bedarf durchaus einer solchen Heimstätte, in welcher
der weite Umfang ihrer sinnreichen Erfindungen und minutiösen Aus-
führungen im Ueberblicke dargestellt werden kann. Diese Ausstellung
und die damit zu verbindende Prüfungsstation für die ausgestellten
Instrumente wird unstreitig von segenbringeuder Rückwirkung auf
diesen Industriezweig sein, in dessen Gebieten menschlicher Scharfsinn
und Erfindungsgeist bereits so grosse Triumphe gefeiert haben.
Aus dem grossen Ausstellungssaale führt der Weg zur Stern-
warte, welche auf der Plattform des Gebäudes errichtet ist, nicht ohne
bestimmte Absicht am sogenannten „ Projektionssaale“ vorüber. Den
Besuchern werden hier durch die erstaunlichen Hülfsmittel der neuen
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Projektionskunst noch einmal im allergrössten Massstabo die mikro-
skopischen Wunder und die des gebrochenen Lichtes, durch fort-
laufende Vorträge erläutert, vorgeführt, ganz besonders aber getreue
photographische Nachbildungen der himmlischen Objekte dargestellt,
an denen man vorweg auf alle diejenigen subtilen Details aufmerksam
machen kann, die man oben auf der Sternwarte in natura, jedoch oft
nur unter seltenen atmosphärischen Bedingungen nach nötliiger Schu-
lung des Auges zum astronomischen Sehen zu beobachten im stände
ist. Die Darstellungen des Projektionssaales halten deshalb alle die-
jenigen schadlos, welche vielleicht früher schon einmal eine Stern-
warte enttäuschten Muthes verlassen haben, da es eben immerhin eine
Glückssache mit der direkten Beobachtung des Himmels bleibt Diese
Vorsicht, die Wunder des Weltraums auf alle Fälle wenigstens in Pro-
jektionen den Schaulustigen vorführen zu können, wird unser Unter-
nehmen über die gefährliche Klippe hinwegbringen, an welcher alle
bereits vorher unternommenen Versuche, eine populäre Sternwarte zu
begründen, scheitern mussten, und wird desshalb bereits die Abtheilung
der Sternwarte mit den Projektionseinrichtungen auch allein, ohne die
übrigen vielverzweigten Anlagen des Urania-Unternehmens, zu einem
finanziell bestandfähigen gestalten.
Jene ersten Versuche zur Begründung einer , Volksstern warte“,
welche verschiedentlich in Berlin unternommen und bald wieder uuf-
gegeben worden sind, waren, abgesehen von den Calamitäten, welche
das Wetter allen Sternwarten bereitet, auch namentlich aus dem
Grunde nicht bestandfähig, weil diese Anstalten mit unbedeutenden
In strumenten ausgerüstet und nicht immer mit voller Sachkenntniss
bedient worden sind.
Die Sternwarte der Urania dagegen wird neben geringeren das
grösste und vollkommenste Instrument seiner Art besitzen, welches
Berlin überhaupt aufzuweisen hat, und zu dessen Gebrauch bewährte
Astronomen vom Fach anstellen. Die Linse des grossen Refraktors
wird einen Durchmesser von 12 pariser Zollen haben und die
Länge des Fernrohres 5 Meter betragen. Letzteres wird durch ein
feines Uhrwerk dem täglichen Laufe der Sterne nachgeführt Ein
Mikrometer, nach allen Regeln der modernen Präcisions- Mechanik
zu den subtilsten Messungen eingerichtet, fehlt selbstverständlich so
wenig, wie alle Vorrichtungen zu spektroskopischen und photo-
graphischen Ilimmelsuntcrsuchungen. Ueber diesem Kunstwerke
wölbt sich ein Kuppelbau von 8 Metern Durchmesser, der durch
einen Druck gegen einen elektrischen Knopf seine Spalten selbst-
thätig öffnet und in diejenige Richtung dirigirt, nach welcher man
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mit dem Uiesenfernrohr ausblicken will. Ferner werden gegenwärtig'
Studien gemacht, um den ganzen Fussboden, auf welchem der
Beobachter steht, zugleich mit allen auf ersterem befindlichen Neben-
apparaten in die betreffende Augenhöhe emporzuheben, auf welche
das Instrument jeweilig eingestellt ist, um auf diese Art den für den
Ungeübten recht unbequemen sogenannten Beobach t u ngsstuh 1 “ ver-
meiden zu können. So wird dieser Kuppelraum mit seinem grossen
weltdurchdringenden Glasauge ein mechanisches Kunstwerk eindrucks-
vollster und überraschendster Art werden.
Neben diesem grössten Instrumente soll noch ein zweites von
6 Zoll Oeffnung gleichfalls unter einer drehbaren Kuppel von 4 Metern
Durchmesser aufgestcllt werden, und auch dieses immerhin noch zu
den Fernrohren mit bedeutender Kraft zählende Instrument wird mit
allen Feinheiten des Mechanik, Uhrwerk, Mikrometer ausgestattet sein.
Dann folgt in der Stufenfolge der Priicision ein gleichfalls parallaktisch
aufgestellter und mit Uhrwerk versehener Refraktor von 4 Zoll Oeff-
nung, ferner ein nach ganz eigenartigen, von Gauss zuerst angegebenen
optischen Principien gebauter sogenannter .Kometensucher" von 5 Zoll
Oeffnung, endlich noch ein (izölliges Spiegelteleskop, ein Passagen-
instrument und mehrere kleinere Fernrohre, welche letztere auch
eventuell als Austeilungsobjekte gelten können.
Man sieht, dass die Anstalt sich darauf vorbereitet, auch den An-
forderungen der strengen Wissenschaft zu genügen, damit die reichen
Mittel, welche hier verwendet werden, auch der letzteren direkt zu
statten kommen können. Indirekt wird aber der Nutzen unserer hier
flüchtig skizzirten Institutionen für die Wissenschaft unstreitig ein
ganz wesentlicher werden müssen durch die lebendige, befruchtende
Anregung, welche sie in jene weiten Schichten eines grossen Laien-
publikums streuen werden, aus dem oft genug grosse Männer er-
wachsen sind, deren glühendes Interesse für die Naturforschung und
deren durchdringender Erfindungsgeist ihre Keime und erste Nahrung
keineswegs auf hohen Akademien gefunden haben. Man denke nur
an die Herschel, Bessel, Faraday, Edison u. s. w. Wenn es neben
der vielseitigen Freude an der Naturbetrachtung und der hohen Er-
quickung, welche die Befriedigung der Wissbegierde auch in den ein-
fachsten Gemüthern erweckt, den Institutionen der Urania gelingen wird,
im Laufe der kommenden Jahrzehnte Viele zu erwärmen und zu erfreuen
und auch einige Samenkörner auf fruchtbaren Boden auszustreuen,
dass sie in selbsständiger Schaffenskraft segenbringend aufkeimen,
so ist unsere schönste Aufgabe erfüllt.
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Astronomische Neuigkeiten.
Von Ur. Heinrich Samter in Berlin.
ist eine der grossen Fragen, welche die Geister in den letzten
Jahrzehnten bewegt haben, wo die Sonne wohl den Ersatz her-
nimmt für die grossen Verluste, die ihre Energie durch ihre
enorme Ausstrahlung fortwährend erleidet. Pouillets Messungen
ergeben, dass unsere Erde von dem Tagesgestim alljährlich nicht
weniger Wärme empfängt, als zur Erzeugung von 300 Billionen
Pferdekräften nüthig sind, dass die im laufe eines Jahres ver-
ausgabte Sonnen wärme genügt, um einen 30 Meter dicken Eishimmel
in der Entfernung der Erde zu schmelzen. Und Eanglcys Messungen
mit dem Bolometer haben vor wenigen Jahren zu Angaben geführt,
welche diejenigen l’ouillets noch weit übertreffen, indem sie den
grossen Bedarf zeigten, welchen die Atmosphäre bei der Aufnahme der
Strahlungen aus dem Ilimmelsraume absorbirt. Noch wunderbarer als
die ungeheure Wärmeabgabe ist aber die Thatsache, dass sich dieselbe,
soweit sich unsere Studien in dieser Beziehung erstrecken, nicht
merklich geändert hat Zu den Zeiten der Pharaonen waren die Kultur
der Dattelpalme und des Weinstocks in Aegypten und Palästina zu
Hause, und sie sind es heute noch, obgleich nach Aragos berühmten
Beweise, hinter welchen zwar jüngst durch Woeikof ein starkes Frage-
zeichen gemacht worden ist (siehe auch S. 64), 1 * weniger im jährlichen
Durchschnitte der Temperatur die Datteln nicht zur Reife kommen liesse
und 1° mehr die Früchte des Weinstocks ausdörren würde. Auch Herr
Aitkeu in Ediuburg hat neuerdings gezeigt, dass man bei der Erörterung
dieser Fragen einige Voraussetzungen gemacht bat, welche nicht durchaus
nothwendig sind. Um nämlich jene merkwürdige Beständigkeit der
Sonnenstrahlung während langer Zeiträume zu erklären, hat man bisher
angenommen, dass dieTemperatnr der Sonne selbst im Verlaufe derselben
ziemlich dieselbe geblieben sei. Und nun hat man nicht ganz mit Recht
sich nach den Ursachen umgesehen, die eine solche Constanz der Sonnen-
hitze ermöglichen könnten, indem sie gegenüber den Verlusten durch
Ausstrahlung fortwährend auf eine Vermehrung derselben hinarbeiten.
Robert Maver hat aus dem Fall von Meteormassen in die Sonne und llelrn-
holtz aus der allmählichen Contraction desSunnenballs diese Gegenwirkung
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hergeleitet; Sir William Thomson aber hat unter der letzteren Annahme
kürzlich bewiesen, dass, wenn Pouillets Messungen richtig sind, eine
jährliche Zusammenziehung der Sonne um 35 Meter stattfinden müsse,
falls hierdurch die ausgestrahlte Energie ersetzt werden soll; und die
Langleyschen Arbeiten würden eine noch viel stärkere Oontraction ver-
langen. Indess die Beständigkeit der Strahlung erfordert keineswegs, dass
auch die Temperatur des Sonnenkörpers dieselbe bleibe. Diese kann nach
Aitkens Ansicht sinken, während der Betrag der ausgestrahlten Energie
sich nicht zu ändern braucht, ja sogar zunehmen kann. Die physi-
kalische Beobachtung lehrt, dass bei derselben Temperatur die che-
mischen Elemente weniger Wärme als ihre Verbindungen ausstrahlen,
und dass der Betrag der Strahlung zu wachsen scheint, wenn die Ver-
bindungen beständiger werden. Wie aber haben wir uns die chemischen
Zustände der Sonne zu denken? Soviel wissen wir, dass die innere
Hitze des Sonnenkörpers viel zu hoch ist, als dass chemische Ver-
bindungen sich bilden und bestehen könnten; nur in den äusseren
Schichten des Sonnenballs ist diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen,
aber bei der immerhin kolossalen Ilitze, die dort herrscht, werden die
Verbindungen von keinem innigen Bestände, sondern locker genug
sein, um sich bei geringen Erhöhungen der Temperatur wieder in
Elemente zu spalten, sie werden sich — wie die Physiker sagen —
im Zustande der Dissociation befinden. Auf der Sonne sind also
sämmtliche Substanzen wegen der ungeheuren Temperatur in einer
weniger innigen Verbindung ihrer kleinsten Theilchen vorhanden, als
auf Erden. Je heisser die einzelnen Theile des Sonnenkörpers sind, desto
lockerer werden ihre chemischen Verbindungen sein, und damit wird auch
ihre Ausstrahlung geringer werden. Und so fällt die bisher gemachte
Annahme, dass die uns von der Sonne zugesandte Wärmemenge im
Verhältniss zu ihrer Temperatur stehen müsse. Die Temperatur kann
sehr wohl im Abnehmen begriffen sein, und doch kann der Betrag
ihrer Ausstrahlung wachsen, weil ja mit der Aenderung in der Temperatur
eine Aenderung in der chemischen Zusammensetzung der Sonne
nebenher geht. Man braucht also nicht mehr nach Erscheinungen zu
suchen, welche die Temperatur der Sonne vermehren; ein Anwachsen
ihrer Energie trotz der Abkühlung kann aber auch auf anderem
Wege stattfinden. So gestattet die sinkende Temporatur der Sonne
die Bildung immer innigerer Verbindungen, es können Verbrennungen
stattfinden, und diese erzeugen wieder eine vermehrte Hitze. Herrn
Aitkens Spekulationen, wiewohl sie nicht zwingender Natur sind,
zeigen also, dass die strahlende Energie der Sonne sich sehr wohl
von Zeit zu Zeit — etwa in geologischen Zeitepochen — geändert
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haben kann, dass ihr Betrag sich aber nicht nolhwendig direkt mit
der Temperatur zu ändern braucht, und dass wir die Resultate unserer
Laboratoriumsversuche über die Strahlung nicht ohne weiteres auf
die in ihrem Wesen allen irdischen Experimenten so unzugängliche
Natur der Sonne übertragen dürfen.
Auch der Begriff der Verbrennung, den ich oben brauchte, kann
nicht unmittelbar von der Erde auf die Sonne übertragen werden. Wir
verstehen darunter im allgemeinen die Verbindung eines Körpers mit
dem Sauerstoff. Hier wollte ich jede chemische Verbindung überhaupt
darunter verstehen, denn ob es Sauerstoff auf der Sonne giebt, das
ist bis vor kurzem eine offene Frage gewesen. Heute dürfen wir sie
mit Ja beantworten. Bereits 1877 glaubte freilich der Astrophysiker
Henry Draper in New-York im Sonnenspektrum die Spuren des
Sauerstoffs gefunden zu haben. 18 helle Linien, welche die um-
gebenden Theile des Spektrums besonders überstrahlten, sollten die
Zeugen seiner Existenz sein. Helle Linien im Sonnenspektrum? Das
wäre ja etwas ganz Ausserordentliches. Zwar zeigt die Sonne bei
totalen Finsternissen, in dem Momente, wo ihre Sichel verschwindet
und die Corona sichtbar wird, ein Spektrum, das aus lauter hellen
Linien besteht, aber sonst sieht man nur jenes farbige Band, das von
den dunkeln Fraunhoferschen Linien durchzogon ist. Draper meinte,
dass der Sauerstoff in der leuchtenden Hülle der Sonne sich in einem
derartig erhöhten Stadium des Glanzes befinde, dass er alle anderen
Theile der Photosphäre überstrahlte und seine „Emission1- stärker
wäre als die des Hintergrundes; daher musste er statt der dunkeln
Absorptions-Linien die hellen Emissions-Linien liefern. Aber seit
Drapers Entdeckung hat man das Sonnenlicht immer genauer ana-
lysirt, indem man es über immer breitere Flächen zertreute. So haben
jüngst die Herren Trowbridge, Ilutchins und Holden in Amerika
eine grosse Photographie des Sonnenspektrums mit Hülfe eines vorzüg-
lichen concavcn Gitters von Rowland erhalten, und diese enthielt
nicht das geringste Zeichen einer Wirkung des Sauerstoffs, weder
helle noch dunkle Linien. Drapers heile Linien waren als solche
nur erschienen durch die Contrastwirkung, welche schmale Theile des
farbigen Hildes zwischen dunklen Linien ganz besonders hell hervor-
hebt; sie waren eine optische Täuschung. Vor einigen Jahren hat in-
dessen Herr Dr. Schuster eine Reihe von dunklen Linien des Sauerstoffs,
die einem kälteren Zustande desselben entsprechen, in dem Spektrum
der Sonne aufgefunden, und seine Beobachtung ist bisher unwiderlegt
geblieben. Es ist eben schwer, die interessante Frage, ob dieses
für unser Leben so wichtige Element dort oben vorkommt, in bün-
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diger Weise zu entscheiden, weil der Sauerstoff bei verschiedenen Zu-
ständen die verschiedensten Spektra liefert, und bislang nicht weniger
als vier solche als ihm zugehörig erkannt waren; wenn also eine
Reihe der charakteristischen Linien im Sonnenspektrum fehlt, so kann
sehr wohl eine andere entdeckt werden, und der Existenzbeweis wird
immer ein schwieriger sein. Eins steht fest, dass nämlich noch keine
von diesen vier Reihen in dem Spektrum jener glühenden Gase und
Dämpfe, welche die Protuberanzen bilden, entdeckt wurde, und man
hatte schliesslich angenommen, dass der Sauerstoff vielleicht gar kein
Element sei, sondern bei der grossen Hitze der Sonne dort in einer
Reihe von Destandtheilen vorkomme , deren besondere Spektra
sämmtlich von denen des irdischen Sauerstoffs verschieden seien.
So hat Professor Grünwald in Prag vor Jahresfrist den Nachweis zu
führen versucht, dass der Wasserstoff auf der Sonne zwar als solcher
vorhanden sei, abor auch in zwei besondere Bestandtheile zerlegt
vorkomme, die beide ihre besonderen Spektrallinien besitzen, deren eine
— die des Coroniums — im Spektrum der Corona vorkomme, während die
andere — diejenige des Heliums — in dem der Chromosphäre erscheine.
Neuerdings hat aber Janssen in Meudon bei Paris ein gewisses
Spektrum des Sauerstoffs, das aus einer Reihe von Banden besteht,
als Bestandtheil des Sonnenspektrums nachweisen können, womit
die Frage nach der Existenz dieses Elements als entschieden anzu-
sehen ist Die bereits genannten amerikanischen Forscher glauben
ferner im Sonnenspektrum Spuren von Linien gefunden zu haben,
welche für das Vorhandensein gasförmigen Kohlenstoffs in der Sonnen-
photosphäre zeugen würden; sie haben ferner die Anwesenheit des
Platins in der Sonne zur Evidenz gebracht, eines der wenigen irdischen
Elemente, die man bisher noch nie in einem kosmischen Körper ge-
funden hatte; auch Wismuth, Cadmium und Cerium bilden nach ihnen
Bestandtheile der Sonne, während sich die Anwesenheit von Blei,
Molybdän, l'ran und Vanadium dort oben noch nicht nachweisen liess.
Auch über die Bewegungen innerhalb des Sonnenkörpers haben
wir neuerdings genauere Aufschlüsse erlangt, welche für die Kritik
jeder Theorie dieses räthselhaften Körpers eine wesentliche Handhabe
bieten werden. So meint der bekannte Pariser Astronom Herr Faye, dass
jene besonders hellen Stellen der Photosphäre, welche man die Fackeln
nennt, und die in der Nähe des Sonnenrandes sich als Erhöhungen
der Lichthülle erweisen, ein Erzeugniss benachbarter Flecken sind.
Diese sollen den Wasserstoff der Chromosphäre herabreissen, der
wieder einporsteigend die Flocken der Photosphäre in die Höhe hebt
und so die Fackeln bildet. Die nettesten Forschungen auf dem astro-
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physikalischen Observatorium zu Potsdam zeigen umgekehrt, dass die
Flecken von den Fackeln abhängen, dass diese bei der Entstehung
der Flecken schon vorhanden und auf deren Bildung von wesent-
lichem Einflüsse sind.
Die grosse Ausdauer der Fackeln, welche die Beobachtungen von
Herrn Wilsing in Potsdam lehrten, lässt schliessen, dass sie nur „die sicht-
bar hervortretenden Merkmale von Vorgängen sind, die vermuthlich in
tiefer liegenden Schichten des Sonnenkörpers ihren Ursprung haben.“ Es
scheint sogar, als ob die sonderbare Erscheinung der Fackeln an ganz be-
stimmte Punkte der Photosphäre gebunden sei, und dass sie sich da-
selbst nach gewissen Zeiträumen periodisch oder intermittirend wieder-
hole. Dass es wirklich die Fackeln sind, von denen der Ursprung
der Flecken sich herleilet, hat Herr Professor Spürer in Potsdam durch
eingehende Untersuchungen dargethan. Stets bildet sich ein Fleck in
der Niihe einer Fackel aus, und bleibt nachher wegen seiner Eigen-
bewegung gegen die Fackel zurück. Oft entsteht dann zwischen ihm
und der erzeugenden Fackel eine ganze Reihe von neuen Flecken,
die sämmtlich auf einem Parallelkreise angeordnet sind, und so schreitet
die Ausbildung der Flecke von Osten nach Westen fort. Ferner zeigte
sich, worauf auch Secchi bereits hingewiesen hatte, dass ein Fleck bei
seiner Ausbildung weit weniger hinter seiner Umgebung zurückbleibt,
als wenn er bereits in das höchste Stadium der Entwickelung gelangt
ist, und auch das findet seine einfache Erklärung darin, dass der Fleck
in der Richtung wächst, nach welcher die Ursache seiner Ausbildung
liegt, also — um mich kurz auszudrücken — auf der Fackelseite. So
wird er scheinbar weniger stark gegen die Umgebung zurück bleiben,
weil sein Wachsthum auf der Rückseite seiner Eigenbewegung statt-
findet. „Keinen Aufschluss freilich geben die neuen Arbeiten über
die eigenartigen Bewegungsgesetze der Flecke,“ sowie über deren
räthselhafte innere Natur. Und ungelöste Räthsel birgt auch die Art,
wie sie auf tellurische und kosmische Erscheinungen einwirken. Von
beiden je ein neueres Beispiel. Herr Andre in Lyon hat die Beobachtung
gemacht, dass diejenigen magnetischen Störungen, von denen man längst
weiss, dass sie sich gleichzeitig auf dem ganzen Erdball vollziehen
und in der Sonne ihre Ursache haben, stets dann eintreten, wenn ein
Herd erregter Thiitigkeit die scheinbare Mitte der Sonnensoheibe
passirt. Die Thätigkeitsherde können von Flecken und Fackeln, aber
auch von Fackeln allein gebildet sein. Man findet, dass diejenigen
dieser Regionen, welche mehrere Rotationen der Sonne, also mehrere
Monate hindurch denselben Platz auf der Sonne behalten, in unseren
automatisch registrirten magnetischen Curven gerade in dem Augen-
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blick ihres Durchgangs durch den Mittelpunkt der Sonnenscheibe
eine Störung erzeugen, und dass im allgemeinen die Magnetstäbe ihre
regelmässigen täglichen und jährlichen Schwankungen nur dann un-
gestört vollziehen, wenn in der Nähe des bezeichneten Punktes sich
kein derartiger Herd bemerken lässt. Dieses Zusammentreffen ist ein
so regelmässiges, dass man, sobald eine Region mit Fackeln am Ost-
rande der Sonne heraufkommt, für den Tag, wo sie sich auf der
Sonnenscheibe genau der Erde gegenüberstellen wird, eine magnetische
Störung Voraussagen kann.
Das andere Beispiel hat Herr Berberich angegeben. Es betrifft
den Enckeschen Kometen, der bei seiner diesjährigen Erscheinung am
3. August von Finlay auf der Cap-Sternwarte entdeckt wurde.*) Dieser
in vieler Beziehung so merkwürdige Weltkörpor war bisher seit mehr
als hundert Jahren in 24 Erscheinungen sichtbar gewesen. Es zeigte
sich, dass dabei seine Helligkeit in seiner grössten Sonnennähe von
einem Male zum anderen merkwürdige Aenderungen durchgemacht hatte.
Sie ist keineswoges seit früheren Erscheinungen bis heute in einer Ab-
nahme begriffen, die auf einen allmählichen Verfall des Kometen schliessen
lassen sollte, sondern sie bewegt sich auf- und abwärts und scheint
ihren höchsten Grad zu den Zeiten einer besonders hohen Sonnen-
thätigkeit zu erreichen, in den Jahren also, auf welche die Maxima der
Sonnenflecke fallen. So zeigt die Helligkeit des Kometen vielleicht das-
selbe periodische Verhalten, wie u. a. die Polarlichter der Erde. Und das
wird begreiflich, wenn man das Leuchten des Schweifsterns als eine
elektrische Erscheinung auffasst, wie es das der Polarlichter sicher ist
Die Sonne mit ihren ungeheuren elektrischen Gewalten wird jenes
Phänomen beeinflussen, wenn nicht hervorrufen, und cs nimmt dann
nicht wunder, dass in den Zeiten einer hohen Erregung des Central-
körpers, wenn die Elektrizität desselben vielleicht eine höhere Span-
nung erreicht, die Lichterscheinungen der Kometen besonders glänzende
werden. Die Vermuthung des Herrn Berberich, dass darum zu diesen
Zeiten die Entdeckungen von Kometen wegen ihrer gesteigerten Hellig-
keit sich häufen müssten, ist zwar nicht unwahrscheinlich, aber wegen
der vielen anderen Umstände, welche diese Zahlen beeinflussen, schwer
statistisch zu belegen.
Die Sonne verlassend wenden wir unsern Blick dem Chor ihrer
Begleiter zu, und zwar vorerst dem grössten unter ihnen, dem mäch-
tigen Jupiter. Der bekannte rothe Fleck auf seiner Oberfläche hat vor
einigen Jahren auch Herrn Lohse in Potsdam dazu gedient, die Rotation
*) Nach spiitcren Nachrichten hat Herr Tebbutt zu Windsor in Neusiid-
wales den Kometen bereits am 8. Juli beobachtet
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des Planeten aufs neue abzuleiten. Neuerdings hat Herr Denning in
Bristol analoge Bestimmungen auf eine sehr grosse Anzahl von Beob-
achtungen des rothen Fleckes gegründet, und es hat sich dabei gezeigt,
dass die hieraus abgeleitete Rotationszeit des Planeten in verschiedenen
Jahren verschieden war. So betrug sie im Jahre 1885 bis 86 nach der
Berechnung aus 659 Rotationen 9 Stunden 55 Minuten 41,1 Sekunden,
und sie hatte sich seit dem Jahre 1879 um 7 Sekunden vermehrt;
augenblicklich scheint sie wieder in der Abnahme begriffen zu sein.
Sollen wir daraus schliessen, dass Jupiter wirklich mit ungleichförmiger
Geschwindigkeit um seine Axe schwinge? Das wäre etwas ganz Abnormes,
denn bisher hat man die Rotationsperiode der Planten, besonders die-
jenige der Erde, welche einem Sterntage gleich ist, für die constantesten
Grössen gehalten, die sich der Beobachtung darbieten. Vielmehr scheint
aus jenen Beobachtungen zu folgen, dass der rothe Fleck gegen seine
Umgebung nicht ruht, sondern sich im Laufe der Zeit langsam dagegen
verschiebt, und zwar nicht fortwährend in derselben Richtung, sondern
bald in der einen, bald in der entgegengesetzten. Vielleicht ergeben
fernere Beobachtungen des interessanten Gebildes Näheres über diese
Bewegungen, sowie auch Aufschlüsse über sein eigentliches Wesen.
Jupiter wird freilich bald eine zu südliche Lage annehmen, als dass
inan ihn mit Vortheil auf den Sternwarten unserer Halbkugel beob-
achten könnte.
Ueber merkwürdige bisher nirgends bemerkte Lichterscheinungen
in der Nähe des zweitgrössten Wandelsterns, des mit dreifachem Ringe
umgürteten Saturn, berichtet Dom Lamey. Derselbe hat bereits im
Jahre 1868 zu Strassburg mittelst eines vierzölligen Refraktors jenseits
dieser unmittelbaren Umgebung etwa zwischen den Bahnen des ersten
und sechsten Trubanten, Mimas und Titan, gewisse ringförmige Licht-
(iguren bemerkt, und seit 1884 auf dem Gipfel des Grignon, begün-
stigt von einer besonders klaren Atmosphäre und einem kräftigeren
Instrumente, ihro ganz bestimmten Formen öfters wahrzunehmen ge-
glaubt. Diese Lichtringe sind nach seiner Angabe in der Zahl von
vier vorhanden, aber man kann sio nur selten in ihrer vollen Ausdehnung
erkennen. Da ihr Glanz gerade dort am stärksten ist, wo sie Tra-
banten benachbart sind, so lässt sich die Erscheinung nicht durch eine
Contrastwirkung erklären, kommt es doch vor, dass sie an Glanz den
nächsten Trabanten iibertreffen. Bisher ist diese interessante Wahr-
nehmung allerdings von keiner Seite bestätigt worden. Vielleicht
wenden die Besitzer grösserer Fernrohre diesen zweifelhaften Objekten
nach diesem Hinweis eingehender ihre Aufmerksamkeit zu.
Mit dem Planeten Mars beschäftigen sich viele neuere Beob-
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achtungeu. Da dieselben in der vorliegenden Nummer dieser Zeit-
schrift eine eingehende Betrachtung durch Herrn Schiaparelli erfahren,
der wie kein anderer dazu berufen erscheint, so kann ich sie füglich
übergehen und wende mich desshalb ohne weiteres zu unserm
Monde, der nach Langleyschen Messungen zwar nicht ganz so ent-
setzlich kalt zu sein scheint, wie man bisher glaubte, aber trotz-
dem wegen des Mangels einer unserer Atmosphäre entsprechenden
Umhüllung immer noch, ganz entgegen unserm lieben Nachbar Mars,
höchst unwohnlich erscheint. Aber warum hat der Mond keine der
unsrigen an Dichtigkeit auch nur entfernt gleichende Atmosphäre? Dies
erklärt Herr Grenstedt aus der geringen Dichtigkeit des Mondkörpers.
Sowohl die Erde, wio der Mond verhalten sich wie meteorische
Massen, die der Luft ausgesetzt, sich oxydiren, aber wegen der ge-
ringeren Dichtigkeit des Mondes verbreitete sich die Oxydation in
seinem Innern leichter als in der Erde, und noch als sein jugendliches
Feuer nicht erloschen war, werden das Wasser und die Luft seiner
Oberfläche an die Gesteine chemisch gebunden worden sein.
Eine interessante Arbeit über diejenigen zur Erde herabgekommenen
Meteorsteine, deren Erscheinen am Himmel man vorher beobachtet
hatte, ist von Herrn Newton in Newhaven veröffentlicht worden. Aller-
dings lauteten die Nachrichten Uber diese Körper zum Theil recht dürftig.
Ein für ihre Bahnbestimmung sehr wesentliches Stück, die Geschwindig-
keit, ist für keinen der von Herrn Newton untersuchten durch die
Beobachtung bekannt gewesen, und liess sich nur beiläufig durch die
Annahme bestimmen, dass sie derjenigen der Kometen in der Nähe
der Erde gleich sein müsse, und diese variirt nur zwischen 42 und
07 Kilometer in der Sekunde. Auch die Richtung des Falls war
bei den meisten Meteoriten nicht genau zu erfahren, und vielfach
musste es genügen, einen beliebigen Punkt, der zur Beobachtungszeit
über dem Horizonte lag, als die Stelle ihres Ausgangs anzusehen.
Herr Newton gelangt trotzdem zu folgenden Ergebnissen:
Mit nur sieben Ausnahmen bewegten sich die in Betracht gezo-
genen — also die in Museen aufbewahrten und bei ihrem Fall beob-
achteten — Meteoriten in rechtläuflgen Bahnen um die Sonne. Der
Grund hiervon könnte ein dreifacher sein. Einmal könnten die Me-
teorsteine im Sonnensystem überhaupt mit wenigen Ausnahmen recht-
läufige Bahnen durchmessen. Oder die rückläufigen Meteore können
aus irgend welchem Grunde nur selten in fester Form auf den Erd-
boden gelangen, etwa weil ihre Geschwindigkeit gegen die Erde eine
so ungeheure ist, dass sie sich bereits in der Luft aufzehren müssten.
Und schliesslich wäre es möglich, dass die rückläufigen Meteore.
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welche die irdische Lufthülle durchschneiden, gerade zu derZeit fallen,
wo die Menschen in stiller Kammer Nachtruhe pflegen, und dass sie
deshalb unbeobachtet bleiben. Kurz gesagt, der Grund kann über, in
oder unter der Luft liegen. Indess liess sich statistisch nachweisen, dass
von diesen drei Gründen der letzte der allein massgebende nicht sein
kann, der wahre Grund muss hauptsächlich entweder über oder in
der Luft liegon. Aber die Luft wird selbst Steinen, die nachweisbar
mit den kolossalen Geschwindigkeiten von 40 bis 72 Kilometern in
die Atmosphäre eintreten, nicht so verhängnissvoll, dass sie dieselben
völlig aufzehrte, und somit hält Herr Newton es für wahrscheinlich,
dass die Meteoriten überhaupt als Klasse in rechtläuiigen Bahnen um
die Sonne laufen, also wohl einst gemeinsam mit den Körpern unseres
Systems aus demselben Urmaterial entstanden sind. Eis zeigt sich ferner,
dass die geringste Entfernung, in welcher diese Körper an der Sonne
hätten vorübergehen müssen, wenn sie nicht in die Wirkungssphäre
der Erde gelangt wären, nicht grösser als unser mittlerer Abstand vom
Tagesgestirn und nicht kleiner als dessen Hälfte war. Nach alledem
hätten die Meteoriten viel mehr Aehnlichkeit mit der Gruppe der Ko-
meten mit kurzen Umlaufszeiten, als mit denjenigen, deren Bahnen
parabolisch sind. Denn alle bekannten Kometen, die in weniger als
33 Jahren ihren Umlauf vollenden, bewegen sich in rechtläufigen
Bahnen mit geringen Neigungen um die Sonne, während unter den
übrigen Kometen allo Neigungen ziemlich gleichmässig vertreten sind
und auch rückläufige nicht seltener als rechlläufige Vorkommen. Zu
der ganzen immerhin werthvollen Untersuchung des Herrn Newton
ist aber zu bemerken, dass sie ein wahres Muster von Einseitigkeit
ist; denn was können selbst 116 solcher Bahnbestimmungen, bei denen
in keinem einzigen E'all ausreichende Daten für Geschwindigkeits-
bestimmungen vorhanden waren, aussagen gegen die sämmtlichen be-
reits vorhandenen vollständigen und sicheren Bahnbestimmungen von
Meteorsteinen, bei denen man Bewegungsrichtungen und Geschwindig-
keiten gefunden hat, welche sich mit irgend welcher Zugehörigkeit zu
unserm Sonnensystem gar nicht vertragen, sondern in Verbindung
mit sehr wichtigen Untersuchungen des Herrn von Niessl in Brünn
auf die mit sehr grossen Anfangsgeschwindigkeiten erfolgte Aus-
schleuderung jener Massen aus grossen fernen Welten sicher liinweisen.
Zu den grossen Rüthsein, welche die Natur dieser Weltkörper
noch in sich birgt, hat sich neuerdings noch eins gesellt Man hat
nämlich in einem Meteorstein, der vor zwei Jahren zu Nowo Urei im Gou-
vernement Pensa niedcrgefallen war, eine Menge heller grauer Körper
gefunden, welche Korund ritzten und aus reinem Kohlenstoff bestanden,
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also nichts Anderes sein können, als Diamanten. Sie machten etwa
1 Procent des ganzen Steines aus. Das ist eine durchaus neue Thatsache,
die mit den Funden von Graphit und einem anderen graphitähnlichen
Minerale, wie es bereits Haidinger im Arva-Eisen und Fletcher in dem
Meteoriten von Youngdogin in Australien gefunden hatten, nichts zu
thun hat Diamanten in Meteorsteinen! Was hält uns noch ab, von
einem wirklichen diamantenen Regen zu träumen, der uns vom Himmel
herab in den Schooss lallt! Dieses Vorkommen des Diamanten weicht von
den irdischen Lagerungen des kostbaren Minerals so vollständig ab,
dass dadurch auch auf dessen noch unergründetes Wesen Licht fallen
könnte.*) Der bekannte Geologe Herr Daubree macht die Bemerkung,
dass die Temperatur des Meteoriten, seitdem die Diamanten sich darin
entwickelt haben, nicht sehr hoch gewesen sein kann, weil sie sonst
wohl verbrannt wären.
Mit den Sternschnuppen beschäftigt sich eine Arbeit des Generals
Tillo in St. Petersburg, welche von der Vertheilung der Radiations-
punkte am Himmel handelt. Dieses Problem ist bereits von Herrn
Schiaparelli der Theorie nach vollständig gelöst worden; leider
genügten aber die Beobachtungen von Zezioli, die er allein seiner
Statistik zu Grunde legte, nicht, um die Gesetzo zahlenmässig zu
erkennen. Tillo verfügte über ein viel grösseres Material, das vor
vier Jahren von Kleiber in St Petersburg publizirt worden und von
nicht weniger als 1490 Radiationspunkten gebildet ist, die an 26049
Tagen beobachtet wurden. Zunächst ist es interessant gewesen, zu
erfahren, ob die Sternschnuppen vielleicht auch Zougniss ablegen für
jene Bewegung, die unser ganzes Sonnensystem in der Richtung nach
dem Stembilde des Herkules ausführt. Gehören die Sternschnuppen
nicht mit zu unserem System, so müssen uns natürlich bei dieser
Reise durchs Weltall vorn mehr als auf der Rückseite erscheinen.
Aber da sich jene Gegend um das genannto Sternbild nicht durch
besonderen Reichthum an fallenden Sternchen ausgezeichnet erwies,
so dürfen wir auch hieraus schliessen, dass die Sternschnuppen mit
zu unserem Systeme gehören. Merkwürdig aber war der besondere
Reichthum jener Gegenden des Himmels, welche die Milchstrasse
durchzieht. Wir dürfen hieraus freilich noch keinen Schluss auf den
Einfluss dieses sternenreichen Gürtels ziehen. Es zeigt sich nämlich,
•) Nachträglich entnehme ich einem Sitzungsbericht der Ac. of Nat. Sc.
Philad., dass Prof. Lewis bereits vor Jahren auf die Aehnlichkeit des Diamanten
führenden Kimberlits in Südafrika mit Meteoriten, sowohl im Kau als in der
Zusammensetzung, hingewiesen und angesichts dieser Thatsache die Suche naeh
Diamanten in Meteoriten empfohlen hat. I). V.
Himmel und Erde. ISH& I. 4
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dass jener Punkt, auf den die Knie in ihrem l imlauf um die Sonne
hinzielt, im Laufe eines halben Jahres eben jene besonders reichen
Gegenden des Himmels durchwandert. L’111 diesen Punkt aber müssten
nach Schiaparelli die Ausgangspunkte unserer Sternschnuppen sich
häufen. Das hat freilich die neue Arbeit nicht ganz bestätigt, sie
zeigte vielmehr, dass jene Regionen, die dem Stande der Sonne genau
entgegengesetzt liegen, sich durch einen weit grösseren Reichthum
auszeichnen; aber das ist wohl auf die überwiegend ungünstige Lage
jenes Punktes zurückzuführen, der nur in den Morgenstunden über
dem Horizonte liegt.
Befreien wir uns aus den engen Schranken unseres Sonnen-
systems, und erheben wir uns in die Sphäre der Fixsterne! Dieselben
erfreuen sich rücksichtlich ihrer physikalischen Natur bei dem stetigen
Fortschritte der Beobachtungsmittel eines immer genaueren Studiums.
Spektralanalyse und Photographie haben in der Spektralpliotographio
sich zusammen gethan und Wunder vollbracht in der Fixirung jener
Geheimschrift, welche, längst entziffert, die chemische Natur und den
physikalischen Zustand der fernsten Welten sofort ablesen lässt. In
Potsdam hat man zuerst diese Methode angewendet, um aus den geringen
Abweichungen der Spektrallinien von denen, die einem unbewegten
Körper angchören, die Geschwindigkeit einiger besonders hellen
Sonnen zu bestimmen, und die jetzt bereits erreichte Genauigkeit von
einer geographischen Meile lässt hoffen, dass diese Beobachtungen uns
einst auch die sichere Kenntniss unserer Bewegung mit dem Sonnen-
system nach Richtung und Geschwindigkeit ergeben werden, deren
bisherige Bestimmung aus englischen Messungen vorläufig nur den
Werth einer ersten Näherung an die Wahrheit besitzt. Aeusserst
thätig auf diesem Gebiete ist auch der Direktor des mit der Har-
vard-Universität verbundenen astrophysikalischen Instituts zu Cam-
bridge in Nord-Amerika, Herr Pickering, auf dessen grosse Leistungen
ich wohl bei einer anderen Gelegenheit zurückkomme. Er hat dem ver-
änderlichen Sterne Algol im Perseus seine besondere Aufmerksamkeit
zugewendet und sein Spektrum sowohl zur Zeit des höchsten, wie des
geringsten Glanzes photographirt. Dieser Stern und alle, die seine sonder-
bare physikalische Natur tlieilen, — die Veränderlichen vom Algoltypus —
besitzen Wasserstoff- Absorptionsbanden im Spektrum. Aber zwischen
den beiden Bildern ist kein anderer Unterschied als einer in der all-
gemeinen Helligkeit des Spektrums, und so bietet die Spektralanalyse
in diesem Falle noch kein Mittel, um die Frage nach der inneren Natur
des Lichtwechsels zu entscheiden. Diesen selbst hat Herr Chandler zum
Gegenstände einer Abhandlung gemacht, in der er ein Gesetz für die
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merkwürdigen Sohwankungen ableitet, denen die Periode des Licht-
wechsels unterliegt. Dieses Gesetz schliesst sich an die säramtlichen
Beobachtungen der Lichtstärke an, die, seit Goodricke vor mehr als
einem Jahrhundert die Eigentümlichkeiten dieses Sterns entdeckte,
von mehr als fünfzig Astronomen bisher notirt sind. Bekanntlich
meint man bis jetzt nach Gylden, dass die Veränderlichkeit der Periode
in Schwankungen der Rotationsachsen dieser Gestirne ihre Er-
klärung findet
Die bekannte Ilimmelsforscherin Fräulein Clerke hat sich mit den
veränderlichen Doppelsternen beschäftigt, von denen der Stern f in
der Jungfrau wohl der bekannteste ist; sie findet das Spektrum dieser
Sterne zumeist von dem Typus, den auch das Siriusspektrum zeigt.
Es sind siimmtlich Doppelsterne, die in sehr excentrischen Bahnen
laufen, und speciell bei dem genannten Sterne sind die raschesten
Aenderungen im Glanze erfolgt, als er seinem Begleiter am nächsten
stand. Vielleicht lassen sich die Schwankungen des Algol auch ein-
mal so erklären, wenn man ihm erst einen Begleiter gefunden hat.*)
Dass bei dem eifrigen Studium der Sterne auch fortwährend neue
Veränderliche und neue Sterne entdeckt werden, die sich dann meist
als variabel erweisen, kann uns nicht wunder nehmen, ist es
doch wahrscheinlich, dass kein Stern wirklich stets genau seinen
Glanz beibehält. Vorläufig kennen wir zwar schon die Veränder-
lichkeit sehr vieler Sterne, aber bei den meisten wird erst die Zukunft
das Mass dieser Aenderungen zu konstatiren haben, wenn die genügenden
Instrumente vorhanden sein werden. Hier ist dankbare einfache Arbeit
für noch viele Geschlechter.
*) Nicht als ob dieser — wie einige meinen — vor den Algol tretend, uns
zeitweise einen Theil seines Lichtes entzieht, soudorn die Veränderlichkeiten in
der Bahngeschwindigkeit können vielleicht in Verbindung mit einer Rotation
den merkwürdigen Lichtwechsel und seine Unregelmässigkeit zur Folge haben.
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Der Komet Sawerthal. Besondere Räthsel für den Witz der Astronomen
stellte in diesem Jahre der Komet, den Herr Sawerthal am 16. Februar mit
blossem Auge wahrnahm, als er früh am Morgen die photographische Abthei-
lung der Cap-Sternwarte verliess. Vom 12. März an ist dieser Weltkörper
auch in Kuropa zu beobachten gewesen, als er seine ursprünglich stark süd-
liche Stellung verlassend in raschem Laufe nördlichen Regionen zustrebte. An
diesem Tage wurde er zuerst in Palermo gesehen ; später ward er auch in den
höheren Breiten unseres Krdtheils der Beobachtung zugänglich, und wurde
allenthalben ein willkommenes Objekt für die verschiedensten astronomischen
Studien. Seine Bahn wurde durch dio Beobachtungen als eine Ellipse be-
stimmt, freilich als eine sehr lang gestreckte, zu deren Durchmessung der
Komet nicht weniger als *2370 Jahre gebrauchen wird. Sein Aussehen war
durchaus kein auffallendes, selbst der Besitz von zwei Schweifen, deren einer
schwächer war und nur wenig bemerkt wurde, ist nichts Ungewöhnliches, man
hat sogar unter diesen Himmelsgästen solche gesehen, die nicht weniger als
drei Schweife zur Schau trugen. Der Kern des Kometen freilich zeigte, dass
in seiner Masse nicht alles in so schöner Ruhe und Ordnung war, wie wir sie
in den ziemlich starren und wenig veränderlichen Massen der Planeten zu finden
gewöhnt sind. Derselbe brach nämlich im Laufe der Beobachtungen in drei
Stücke, die sämmtlich etwa in gerader Linie nach der Sonne hin gereiht lagen.
Auch das ist kein neues Ereigniss. Zelin Jahre nach der Erfindung des Fernrohrs
hat man bereits in dem Kometen von 1018 einen allmählichen Zerfall des Kerns
!SM litt. Mai Bi
Der Komet Sawerthal.
(iezclchnet von L. Watscbichowski. t Astronomische* Nachrichten Bd. 11J.)
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erst in drei und dann in sehr viele Theile wahrnohmen können, und in un-
serem Jahrhundert hat z. B. der Bielasche Komet vor aller Augen eine Zwei-
theilung durchgeinacht. Man meint, dass die Sonne durch ihre Wärmestrahlung
und vielleicht auch durch elektrische Wirkungen an diesem Zerreissen der
Kometenmaterie die Schuld trage. Das Ansehen, wie der Komet es bis zum
20. Mai gehabt hat, zeigt dio erste Figur. Aber zwischen diesem Tage und dem
21. war eine Veränderung mit ihm vorgegangen, die ihn kaum mehr wieder-
erkennen liess. Der Komet hatte bereits am 17. März seine grösste Nähe zur
Sonne erreicht, und entfernte sich mit grosser Geschwindigkeit; dabei nahm
seine Helligkeit bedeutend ab. Bereits war der Korn, den man zur Zeit der
Sonnennähe mit blossem Auge wahrnehmen konnte, zu einem Sternchen von
der 8. bis 9. Grösse geworden. Da auf einmal leuchtete er in vermehrtem
Glanze auf und machte dio HimmelBforscher zweifelhaft, ob sie es überhaupt
noch mit demselben Kometen zu thun hätten. Herr Dr. Franz in Königsberg
glaubte anfänglich einen hellgelben Fixstern an Stelle des Kometen zu sehen,
den die Beobachter bisher als blassrotli geschildert hatten, und der nun ganz
verschwunden schien; aber die Bonner Sternkarten zeigten, dass die betreffende
Gegend des Himmels keinen helleren Stern enthielt, und die Beobachtungen
ergaben, dass der helle Himmelskörper seiner Stellung und seinem Laufe nach
nur der Komet sein konnte. Der Kern war nach der Schätzung des Herrn
Franz zu einem Sterne fünfter Grösse geworden, also erschien das Licht um
3'/a GrÖssenklassc vermehrt. Nun strahlen dio Sterne jeder Grössenklasse
das 2Vjfacho von dem Glanzo der nach der Nuraerirung nächstfolgenden oder
nächst licht schwächeren aus. Demnach zeigt eine einfache Rechnung, dass
das Licht des Kometen etwa auf 2l/a zur Potenz 3*/j, also auf das 25 fache
des vorherigen gestiegen war. Zudem waren die Schweife sehr schwach ge-
worden, es war kaum eine Andeutung mehr davon vorhanden, aber aus dem
Kerne gingen zwei sichelförmige Lichtausströra ungen hervor, die ziemlich
senkrecht gegen den Hauptschweif standen; ihre Richtung, vom Kerne aus
der Sonne zugekehrt, wand sich allmählich rückwärts dem Schweife zu, und
dessen Glanz wurde von demjenigen der Lichtausfliisso bedeutend überstrahlt.
Diesen neuen Anblick des Kometen zeigt die zweite Figur. Mail hat diese Ver-
änderung ausserdem in Schlesien, in Russland, in der Schweiz und zuerst
wohl in Ungarn wahrgenommen, und überall stimmen die Schilderungen mit
einander überein.
Ganz neu ist freilich auch ein solcher Lichtausbruch bei einem Ko-
meten nicht. Bereits vor fünf Jahren Bah man an dem periodischen Kometen
Pons-Brooks zwischen dem 22. und 23. September einen ähnlichen Vorgang
sich abspielen: auch liier war die Helligkeit des Kometen eine stark vermehrte,
auch hier zeigten sich fächerförmige Lichtbögen, die der Koineteninatorie ent-
strömten.
Zur Erklärung solcher Vorgänge wird es noch vollständigerer Beob-
achtungen, insbesondere auch spektrometrischer Art, bedürfen, als bis jetzt
vorliegen. Wir kommen später einmal darauf zurück, indem wir uns für heut
mit einer Darstellung des Sacliverlaufes begnügen. Sm.
*
Die Sonnenfinsternis« vom 19. August 1887. Die Vorbereitungen für
die Beobachtung der totalen Sonnenfinsternis vom 19. August 1887 sind, wie
bekannt, alle durch schlechtes Wetter vereitelt worden. Eine grosse Zahl von
Stationen war in Russland längs der Linie der Contralität sowohl von
Digiti;
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russischen, wie auch ausländischen Astronomen besetzt worden, aber alle sind
wegen ungünstiger Witterungsverhültnisse mehr oder weniger verhindert worden,
die projektirten Beobachtungen auszuführen.
Um so mehr Interesse bieten die Beobachtungen von Laien, welche in
vielen Orten des europäischen und besonders asiatischen Russland sich eines
günstigen Wetters erfreuen konnten. Die physikalische Abtheilung der
russischen physico- chemischen Gesellschaft in St. Petersburg hatte eine In-
struktion für Beobachtungen erscheinen lassen, welche von Laien ohne In-
strumente oder mit Hilfe der einfachsten Vorrichtungen ausgeführt werden
können: mehr als 100 Mittheilungen sind an die Gesellschaft aus der Totalitäts-
zone allein eingelaufon, in welchen eine grosse Zahl von Zeichnungen der
Sonnencorona enthalten ist Die Beobachter sind auf der ganzen Strecke
der Totalität von der westlichen Grenze Russlands bis an die östliche Küste
von Sibirien vertheilt, und ihre Berichte geben daher ein continuirliches Bild
von dem ganzen Verlaufe der Finsterniss während mehrerer Stunden.
Ein Theil der cingelaufenen Mittheilungen wird gegenwärtig im Journal
der phyaico-che mischen Gesellschaft (in russischer Sprache) publicirt Dieselben
werden samt Auszügen aus den übrigen Mittheilungen und einer Bearbeitung
des gesamten erhaltenen Materials in dem detuillirten Berichte erscheinen,
welchen Professor Egerof von der Universität zu St Petersburg gegenwärtig
vorbereitet und bald der OefTentlichkeit übergeben wird. Wir werden seiner
Zeit darüber Näheres mitzutheilen haben.*)
Aus den Resultaten der Expeditionen, welche von der physico-che-
mischon Gesellschaft selbst ausgerüstet und nach verschiedenen Ortschaften
im europäischen und asiatischen Russland ausgesandt wurden, sind besonders
die 10 ausgezeichneten photographischen Aufnahmen hervorzuheben, welche es
Herrn Chamantof gelang in Krasnojarzk (Gouv. Jenisseisk, Ostsibirien) von
der Sonnencorona während der kurzen Dauer der Totalität zu erhalten. Die-
selben gewinnen noch viel an Wichtigkeit und Interesse durch Vergleich mit
einigen anderen einzelnen Aufnahmen, welche an anderen Orten, in Mohilew,
Petrorsk, Kuschwa, Possjet etc. erhalten und der Gesellschaft zugesandt worden
sind, denn sie erlauben es, die oft bestrittene Frage über die Stabilität der
Form der Sonnencorona zu beantworten.
Joseph Kleiber, St. Petersburg.
£
Erscheinungen am Sternenhimmel iin Monat öetober.
In der vorliegenden Rubrik, welche in jedem folgenden Hefte unserer
Zeitschrift wiederkehren wird, gedenken wir nur auf alle diejenigen Erschei-
nungen am gestirnten Himmel aufmerksam zu machen, welche an sich neu und
deshalb in den astronomischen Jahrbüchern nicht aufgeführt sind. Höchstens
sollen seltenere Erscheinungen an den permanenten Himmelskörpern, welche
das besondere Interesse eines grösseren Publikums in Anspruch zu nehmen be-
rechtigt sind, in besonderer Weise hier behandelt werden. — Dementsprechend
haben wir für den Monat October nur über eine Anzahl noch sichtbarer Kometen
zu berichten:
1. Der periodische Fayesche Komet (entdeckt am 22. Nov. 1843; Um-
laufszeit etwa 2700 Tage), dessen Rückkehr für den Herbst dieses Jahres er-
•j Bereits im nächsten Jleflo werden wir unsern Lesern einige jener Zeichnungen der
Ooron* vorfuhren können.
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ÜU
wartet wurde, ist am 9. August von Perrotin in Nizza aufgefunden worden.
Der Komet steht Anfang Octobcr nahe der südlichen Fackel der „Zwillinge“ und
geht für Berlin etwa s/« Stunden vor Mitternacht auf; im Laufe des Monats
nimmt er seinen Weg durch den nördlichen Theil des „kleinen Hund“ und
tritt im November, an Helligkeit zunehmend, in die „Wasserschlange“. Seine
Lichtstärke erreicht dann etwa das Doppelte von jener, die er bei seiner Auf-
findung im Jahre 1873 gezeigt hat. Das folgende Bild veranschaulicht seine Lage
zum Horizont für unsere Breiten während der für den Kometen günstigen
Beobachtungszeit im October.
io" 70* **" so* +o
O'tCUA.
Ort und Lauf des Kometen Faye im October um 3 Uhr Morgens Berliner Zeit
2. Der allbekannte periodische Enokesche Komet, der während der
Zeit seiner Entdeckung (178(1) bis zu der für dieses Jahr erwarteten Rückkehr
den 31sten Umlauf um die Sonne vollführt hat, ist am 3. August auf der
Sternwarte der Capstadt aufgefunden worden.*) Er verbleibt bei seiner dies-
jährigen Erscheinung auf der südlichen Hemisphäre des Sternhimmels.
3. Der Komet Sawerthal, der uns durch seine plötzliche Helligkeits-
änderung sehr merkwürdig geworden ist, von dessen plötzlichen Licht-
ausbrüchen weiter oben die Rede war (S. 5*2), steht im October im nördlichen
Theile des Pegasus, ist aber nunmehr nur sehr kräftigen Fernrohren zugänglich.
4. Ein telescopischer von W. R. Brooks in Nordamerika am 7. August
entdeckter Komet durchläuft im October das Sternbild „Bootes“ mit abnehmender
Helligkeit.
5. Ein anderer, noch schwächerer teleskopischer Komet ist am 2. Sept.
von Barnard auf dem neuen Lick-Observatorv in Califomien entdeckt worden.
Er wird in dem vorliegenden Kabeltelegramm 11. Grösse angegeben, mit leid-
lich gut sichtbarem Kern, ohne Schweif. Während der Entdeckung befand sich
der Komet ungefähr an der Grenze der Sternbilder der Zwillinge und des Kleinen
Hund. Er ist seitdem in Strassburg wieder gesehen und bewegt sich gegen-
wärtig sehr langsam südlich. Ueber seinen zukünftigen Lauf liess sich bei
Abschluss des gegenwärtigen Heftes noch nichts ermitteln.
* Siehe hierüber auch unseren Artikel „Astronomische Neuigkeiten“ S. 4T>.
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Staubfälle. Ueber die am h. und 0>. Februar 1888 in einzelnen Thoilen
Schlesiens. Mährens und Ungarns mit Schnee nicdcrgofallenen Staubmassen
giebt Freiherr v. Camerlan in dem gegenwärtig vorliegenden Jahresberichte
der k. k. geologischen Reichsanstalt zu Wien interessante Mittheilungen, aus
denen wir Folgendes entnehmen. Seit einigen Jahren ist in wissenschaftlichen
Kroisen vielfach die Frage nach der Möglichkeit einer Massenbereicherung
unseres Erdballs durch die Aufnahme kosmischer Staubteilchen erörtert
worden. Angeregt wurde diese Frage, wie es scheint, durch NordenskiÜld,
der zu der Annahme einer ausserirdischcn Zufuhr solcher kosmischen Be-
standteile durch Untersuchungen gebracht wurde, die er mit Schnee grön-
ländischen und Bcandinavisclien Ursprungs anstellte, indem er nach dem
Schmelzen desselben einen besonderen Rückstand, namentlich aber ein eigen-
artiges, anderweitig nicht bekanntes Silicat, das sogenannte „Kryokonit“, als
hauptsächlichsten Bestandteil jenes Staubes nachweiaen konnte. Die Ergeb-
nisse des nordischen Forschers haben zu weiteren Untersuchungen Veranlassung
gegeben; so bat Silvestri auf Sicilien den Regen, v. Lasaaulx in Norddeutsch-
land niedergegangenen Schnee einer eingehenden Prüfung unterworfen, ohne
dass sich dabei mit Bestimmtheit Anzeichen ergeben hätten, die auf eine
meteorische Abstammung der darin enthaltenen festen Stofftheilo Hinweisen;
denn die von Letzterem gefundenen spärlichen Mengen von Eisen, Kobalt und
Nickel können wohl kaum als ein genügender Beweis hierfür gelten.
Der in den bezeichneten Gebieten gefallene Sclinco war dadurch be-
sonders bemerkenswert, dass ihn eine Staubschicht von stellenweise 3 bis
4 Centimeter Höhe bedeckte, deren auffällig gelbe Färbung das Vorliegen eines
ausserordentlich seltenen Phänomens auf den ersten Blick andeutete und
eine nähere Untersuchung wünschenswert erscheinen liess. Eine solcho
wurde nun von Herrn v. Camerlan auf dem doppelten Wege der Mikroskopie
und der chemischen Analyse mit aller Sorgfalt durch geführt, wobei die erster©
Methode das Vorhandensein von besonders vielen, stark lichtbrechenden Quarz-
krystallen feststellte, daneben fanden sicli auch teils organische Reste vor,
wie Diatomeen, teils vegetabilische wie Trigonien, und ausserdem eino grosse
Anzahl farbiger Mineralsubs tanzen als Thonthoilcbcn , Hornblende, Turmalin,
Epidot, Rutil, Granat, Calcit u. s. w. Die chemische Prüfung dagegen ergab,
dass metallische Bestandteile in dem Staube gar nicht vertreten sind. Ueber
die wichtige und interessante Frage nach der Heiinath dieser Stoffmengen
glaubt nun v. Camerlan — freilich mit aller Reserve — einige Vermutungen
aussprechen zu können. An einen kosmischen Ursprung zu denken hält er
von vornherein für ausgeschlossen; aber auch die am nächsten liegende Er-
klärung, dass es sich hier um Löstheilcben handelt, welche aus den benach-
barten Ebenen aufgcwirbelt sind, muss zurückgewiesen werden, weil einmal
die Masscnhaftigkoit und Ausdehnung der Erscheinung ihr das Kennzeichen
des Lokalen benimmt — eine Schätzung ergiebt, dass auf die 140 Quadrat-
raeilen umfassende Schneedecke 1401 Cubikklafter Staub kommen -- dann aber
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auch, weil vom geologisch-petrographischen Standpunkte aus die Abstammung
der Staubmassen aus dem norddeutschen Flachlande nicht zulässig erscheint.
Nach einer Mittheilung von Herrn Prof. Hann in Wien bewegte sich nun an
den betreffenden Tagen ein Barometerminimum von der scandinavischon Halb-
insel in südöstlicher Richtung, welches sich am schwarzon Meere auflöste und
zu dem Entstehen eines orkanartigen Sturmes in der bezeichneten Richtung
Veranlassung gab. Mit Rücksicht hierauf glaubt Herr v. Camerlan, die Hei-
math der Staubmassen in den krystallinischen Hochgebirgen von Schweden
und Norwegen suchen zu müssen. Der in den bedeutenden Höhen jener
Berge aufgowirbelte Staub kann über die preussische Tiefebene in höheren
Luftschichten dahin geflogen sein, bis das schlesische Gebirge sich ihm gegen-
über stellte und ihn zum Fall brachte. Schw.
Dichtigkeitsinessungen des Meereswassers. Ueber lokale Ungleich-
heiten in der Dichtigkeit des Meereswassers berichtet A. Th o ulet, Prof, an
der Facultät der Wissenschaften zu Nancy in den Annales de Chimie et de
Physique, 6 Sörie, torae XIV, Juli 1888.
Die Oberfläche der Wasserhülle unserer Erde hat bekanntlich keine regel-
mässige geometrische Gestalt, d. h. sie entspricht nicht genau einem sogenannten
Rotationsellipsoide. Abgesehen von den dauerdon Unregelmässigkeiten an den
Küsten, welche durch die Anziehung der Continentalmassen hervorgerufen
werden, finden auf offenem Meere auch solche statt, die in einer zeitweisen
Störung der Niveauflächen der Oceanbecken bestehen und ihren Ursprung in
lokalen Dichtigkeitsverschiedenheiten des Wassers haben* Letztere sind aber
wiederum bedingt durch örtliche Ungleich mässigkeiten in der Temperatur und
durch den wechselnden Stand des Salzgehaltes, indem mit zunehmender
Temperatur oine Ausdehnung des Wassers und mit gesteigertem Salzgehalte
eine Vermehrung der Dichte verbunden ist. Wo aber örtliche Defecte in der
Dichte eintreten, da muss nach der Theorie des Gleichgewichtes an solchen
Punkten eine Hebung des Meeresniveaus und sodann ein Abströmon der
speeiflsch leichteren Wassermengen nach den dichteren und daher niedri-
geren Stellen erfolgen, so dass Meeresströmungen hervorgerufen werden können.
Für die Kenntniss dieser Strömungen ist es also von Wichtigkeit, das speci-
flscho Gewicht des Wassers an verschiedenen Punkten der Meeresbecken fest-
zustellen, und dies wird wenigstens in erster Näherung dadurch erreicht
werden können, dass man für Monate und Jahreszeiten dio Resultate der
Messungen gruppirt und vergleicht, die an denselben Orten erzielt worden sind.
Die Untersuchung dieser Verhältnisse hat sich Thoulet zur Aufgabe
gemacht, indem er während des Sommers 1886 am Bord der französischen
Fregatte »La Clorinde“ auf einer Reise von Brest nach Cap Breton (auf Neu-
fundland) Dichtigkeitsmessungen des Meereswassers mit Hülfe des Aräometers
angestellt hat Aus dem hierbei gesammelten Erfahrungsmaterial und dein
schon früher am Bord des .Challenger“ durch ßuehanan erzielten lassen sich
nun einige wichtige Folgerungen über die Entstehung des Golfstromes ableiten.
Es wurde nämlich sowohl auf der Hin- als auf der Rückreise festgcstcllt, dass
der nördliche atlantische Ocean eine Abschrägung des Niveaus von Westen
nach Osten aufweist, w'eleho ein Abfliesscn des Wassers in dieser Richtung
erwarten lässt. Dio Beobachtungen haben in der That gezeigt, dass die Meeres-
strömungen in diesen Gegenden vorherrschend in der Richtung von Westen
uach Osten erfolgen; kurz die Niveauverhältnisse des Oceans, wie sie durch
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verschiedene Dichtigkeit mit Rücksicht auf den Salzgehalt und die Temperatur
bedingt werden, lassen sich leicht in Uebereinstiinmung mit dem setzen, was
bisher über die Meeresströmungen bekannt ist, und rechtfertigen durchaus die
Anschauung, welche die letzteren den lokalen Unterschieden im specifischen
Gewichte des Meeres wassere, als den hauptsächlich beeinflussenden Faktoren,
zuschreibt, während eine Reihe anderer Erscheinungen, wie die Erdrotation,
die Gestaltung der Küsten, die Gezeiten, das Wehen der Winde, die Wasser-
zufuhr durch Flüsse und dergleichen wohl nur in geringerem Masse mitbe-
stiinmend wirken.
Wir erhalten hierdurch ein ganz ähnliches Bild von den Strömungen in
dem flüssigen Mantel der Erde, wie wir es von dem luftigen besitzen, nur
dass die ersteren sich als constanter erweisen. Auch die grossen Strömungen
der Atmosphäre werden durch die Aenderungen des specifischen Gewichtes
in Folge von Erwärmung oder wechselndem Feuchtigkeitsgehalte hauptsächlich
bedingt. Im Meere wird die Feuchtigkeit durch den Salzgehalt vertreten.
Schw.
*
Periodicität der Gewitter. Ueber Beziehungen, welche zwischen den
elektrischen Vorgängen in der Erdatmosphäre und der 2fitägigen Rotations-
dauer der Sonne statt Anden, hat Herr v. Bezold in dem Julihefte 1888 der k.
prcussischen Akademieberichte interessante Aufschlüsse gegeben. Bekanntlich
ist eine Beeinflussung der erdmagnelischen und erdelektrischen Erscheinungen
durch die Rotation unseres Centralkörpers fast in einer jeden Zweifel aus-
schliessenden Weise festgcstellt worden. Es lag daher der Gedanke nicht all-
zufem, dass sich eine gleiche periodische Abhängigkeit der Gewitter bezüglich
ihror Häufigkeit und Heftigkeit feststellen lassen werde. Wie v. Rczold be-
richtet, ist denn auch schon vor geraumer Zeit von ihm der Versuch gemacht
worden, das ausserordentlich reiche Material der Gewitterbeobachtungen, welches
seit 1879 auf der meteorologischen Centralstation zu München gesammelt worden
ist, für die Untersuchung der Periodicität in diesen Erscheinungen unter dem
angegebenen Gesichtspunkte auszu wertli en. Aber trotz der nicht ungünstigen
Resultate wurde damals von einer Veröffentlichung Abstand genommen; die
Vorstellung eines Einflusses der Sonnenrotation auf unsere atmosphärischen
Vorgänge war oben noch zu fremd, besonders da man sich noch gar keine
Erklärung über die Art und Weise solcher Einwirkungen hatte geben können.
Neuerdings sind nun aber einige Thatsachen fcstgestollt worden, die wohl ge-
eignet erscheinen, in das Dunkel der Beziehungen zwischen den anscheinend so
wenig zusammenhängenden Phänomenen einige Klärung zu bringen. Versuche
der Physiker Herz, Wiedemann, Ebert und Arrhenius haben nämlich
gezeigt, dass das Leitungsvermögen der Luft durch Bestrahlung mit ultra-
violettem Lichte eine wesentliche Aenderung erfährt. Hiermit ist wenigstens
eine Aussicht zur Erklärung eines durch Strahlung vermittelten, indirekten
Einflusses der Sonnenrotation auf die elektrischen Zustände in der Atmosphäre
eröffnet worden.
Mit Rücksicht auf diese Verhältnisse hat nun Herr v. Bezold das vor-
liegende Er Tahrungsniaterittl von Gewitterbeobachtuugen aus Bayern und Würt-
temberg, welches sich über die Jahre 1880 bis 1887 erstreckt, daraufhin einer
Prüfung unterzogen, ob eine nahezu regelmässige Periode in diesen Erschei-
nungen sich auflinden lässt Er gelangte zu dem überraschenden Resultat
dass in der Thal eine Periode vorhanden ist, deren wahrscheinlichste Dauer
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25,85 Tage beträgt, und die folglich mit der .Sonnenrotation in Beziehung
stehen muss.
Man kann also jetzt annehmen, dass auch die elektrischen Erscheinungen
in der Atmosphäre in engem Zusammenhänge mit solaren Vorgängen stehon,
ohne freilich ausschliesslich durch diese bedingt zu werden. Denn für dio
Gewitterbildung bleiben an erster Stelle die hohen Temperaturen massgebend ;
wohl aber kann dio Rotation der Sonne bei der Erzeugung solcher Phänomen o
in untergeordnetem Grade mitbcstimmend sein. Nun ist die Coincidenz der
Perioden zwar eine rein äussere Beziehung, aber der Nachweis einer solchen
ist bei allen diesen Erscheinungen das Wichtigste; ein Eingehen in Einzel-
heiten oder Ergehen in Hypothesen dürfto gegenwärtigen Augenblicks, wie
v. Bezold bemerkt, mindestens als verfrüht zu bezeichnen sein.
Schw.
Analogien in den Gestaltungsverhältnissen der Contiueute. lieber
gewisse gesetzliche Analogien in den Umrissen und dem geologischen Bau der
Continente berichtet A. Karp insky in dem Bull, de l’Acad. imp. des Sciences
de St. P6tersbourg, tome XXXII, Juni 1888.
Dieser Gegenstand gehört in das Gebiet derjenigen geographisch - geolo-
gischen Betrachtungen construktiv-spekulativer Natur, die in der Neuzeit immer
häufiger angestellt werden, und die auch in den Lehrbüchern — z. B. in Suess
klassischem Werke „das Antlitz der Erde“ — mehr und mehr Eingang gefunden
haben.
Die Aehnlichkeit der verschiedenen Continente und ihrer Theile hat be-
kanntlich schon längst die Aufmerksamkeit der Gelehrten erweckt. Be-
merkungen hierüber finden sich zuerst bei Bacon; seine Ideen sind dann
weiter entwickelt worden von Buffon, Förster, Steffens, Humboldt,
Carl Ritter, Arnold Guyot, und in der Neuzeit habon sich hiermit dio
Geologen Dorr, Th. Fuchs und Zieglor beschäftigt, während die Frage nach
den Ursachen einer gewissen Regelmässigkeit in der Vertheilung und Form
der Festlandsmassen den Gegenstand der Untersuchungen von Green, de
Lapparent, v. Habenicht und des Grafen 0. v. Reichenbach bildet.
Nach einem Hinweise auf den Umstand, dass auf der Erdoberfläche eine
durch gleichmässige geologische Anordnung bedingte Richtung darum noch
nicht an allen Theilen die gleiche Lage zu den Himmelsgegenden zu bewahren
braucht — es könnten ja die Faltungon der Erdschichten z. B. in der Richtung
eines Kreises parallel oder schräg zu irgend einem Meridian stattgefundeu
haben, ohne dass der Kreis ein grösster zu sein braucht — hobt Karpinsky
die Aehnlichkeit in den Umrissen der Continente hervor, die aber zum Theil
dadurch getrübt sein kann, dass sich gegenwärtig gesunkene Fesllandsmassen
unter dem Meeresspiegel befinden, wie dies zwischen Asien und Australien in
Hinblick auf dio sie verbindende Inselgruppe wohl anzunehmen ist. Er be-
trachtet in der Hauptsache dio etwas schräg zum Meridian gerichtete Fest-
landszone, welche mit Nord- und Südamerika beginnend, auf der östlichen
Halbkugel durch die Massen von Austral-Eurasien — worunter hier Australien,
Asien und Europa verstanden wird — fortgesetzt und durch die freilich etwas
hypothetische Antarktis vervollständigt wird. Indem nun Karpinsky den
bezeiclineten Landgürtel durch ein Polarschema darstcllt und die Umrisse
des europäisch - asiatischen Continentes dadurch erweitert, dass er Australien
durch hypothetische Grenzlinien in den Bereich desselben hineinzieht, werden
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die vier Hauptcontinentc: Austral-Eurasien, Nordamerika, Südamerika und die
Antarktis mit einander verglichen und hierbei oft recht merkwürdige geogra-
phische Analogien entdeckt. Es sollen zum Beispiel nach dem Verfasser ent-
sprechen Corea-Japan und Californien, ferner Arabien und Labrador, sowie die
Ostecko Südamerikas; unter den Nebenfestländern sollen sich Ähnlich-
keiten zeigen zwischen Afrika, Grönland und den Antillen. Auch in
orogenetiseher Beziehung und geologischem Zusammenhänge sucht der Ver-
fasser Analogien in den llauptcontinenten nachzuweisen, obwohl, wie er be-
merkt, die GebirgssjBteme desto kompliziiter auftreten, je grösser der Con-
tinent ist. Die längste Gebirgskette von vorwiegend vulkanischem Charakter
zieht sich an der Küste des stillen Oceans über den gesamten, bezoichneten
Landgürtel hin und ist mithin allen vier Hauptcontinenten gemeinsam. Von
den Innengebirgen sollen etwa die brasilianischen Gebirge, die Alleghanies und
diejenigen Scandinaviens einander entsprechen. Die Abhandlung beschränkt
sich auf den Nachweis einer Reihe von geographischen Analogien, wie denn
der Verfasser überhaupt die Regelmässigkeit der Continente für eine normale
Erscheinung hält, die erst allmählich mit dem Alter unseres Planeten verloren
gegangen ist. Die Ursachen einer derartigen Aehnlichkeit in der Struktur
der einzelnen Erdtheile werden nicht näher berührt.
G. Neuniayer: Anleitung zu wisfvenschaftl ichen Beobachtungen auf
Reisen in Einzelabhandlungen verfasst von Tie tjen, Jordan, v. Richt-
hofen, Wild, Hann, Weiss u. a. Zweite unbearbeitete und vermehrte
Auflage in i Bänden. Berlin, R. Oppenheim 1888.
Das Erscheinen dieses für die moderne Forschung so wichtigen Werkes
ist schon im Jahre 187.') von wissenschaftlichen Kreisen überall mit hoher Be-
friedigung be grösst worden. Bildet doch das Buch mit seiner Fülle von An-
leitungen, Winken, Krfahrungsätzen und Anregungen zur Beobachtung alles
dessen, was den Reisenden in unerforschten Gebieten umgiebt, eine uner-
schöpfliche Fundgrube und zugleich den verlässlichsten Führer. Der vier-
zehnjährige Zeitraum, der seit dem Erscheinen des Buches verflossen ist,
hat unendlich viel Neues gebracht. Nicht nur hat die continentale Forschung
im Innern von Asien und Afrika eine Menge von Anregungen auf allen Gebieten
des Wissens erzeugt, sondern auch die Expeditionen des „Challenger“, der
„Gazelle“ und «1er „Vega" haben ein ausserordentlich grosses Material natur-
wissenschaftlicher Erkenntniss zu Tage gefördert; ausserdem sind so mannig-
fache Verbesserungen an den Hilfsmitteln der Forschung, an Apparaten und
Instrumenten erfolgt, sowie neue Hinweise theoretischer Art gefunden worden,
dass eine Neubearbeitung des Stoffes der in den 28 Kapiteln des Buches ver-
tretenen Wissenschaften von selbst zur Xothwendigkoit werden musste. Das
Ergebniss dieser von den einzelnen Autoritäten der Abhandlungen sorgfältig
und gloichmässig durchgeführten Neugestaltung des Buches liegt uns nunmehr
als zw'oite Auflage vor.
Bei der Ueberfülle des Inhaltes eines jeden der einzelnen Kapitel kann
rs nicht unsere Sache sein, das Gesamtwerk durch Beschreibung seiner Theile
zu zergliedern, was auf beschränktem Raum unmöglich wäre, noch bestimmte
Abschnitte besonders hervorzuheben, da das Hervorheben des einen eine Unge-
rechtigkeit gegen die Vortrefflichkeit des andern sein würde. Wir dürfen bei
dem grossen Beifallc, den sich das Buch gleich bei seinem ersten Erscheinen
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erworben hatte, den Gesamtinhalt und die Methode der Behandlungsart viel-
mehr beim wissenschaftlichen Publikum als bekannt voraussetzen und glauben
bei der Besprechung unser Augenmerk wesentlich auf dieV e riindcrunge n und
Verbesserungen richten zu sollen, die in der Neubearbeitung zu Tage treten.
Einen sehr wünschenswerten Beitrag hat die neue Auflage zunächst
durch die Abhandlung Jordans.Topographischo und geographische Aufnahme"
erhalten. Während der früher an dieser Stelle gestandene Aufsatz Kieperts
sich nicht wesentlich über das topographische Zeichnen hinaus erstreckte und
also dem Reisenden namentlich in Bezug auf jene Beobachtungen an^ die Iland
ging, die dieser während der Märsche an den terrestrischen Objecten machen
und zum Entwurf topographischer Karten benutzen soll , instruirt der gegen-
wärtige über grössere Aufgaben der Vermessungskunst. Die Darlegungen be-
troffen die genaue Aufnahme der vom Reisenden zurückgelegten Route: den
Gebrauch des Schrittzählers, der Zeit, des Stahlbandes zur Bestimmung der
Längen, die Verwendung des Compass (samt Ermittelung der Abweichung)
für die Winkeli'ichtungen, die Berechnung der Route hieraus, deren Anschluss
an astronomisch festgestellte Punkte und die Verbindung mit topographischen
Details. Ferner die Aufnahme von Landestheilcu durch Triangulirung mittelst
des Theodolit-Compasses und die trigonometrische Höhenmessung. Hieran reihen
sich noch sorgfältige Anweisungen über barometrische Bestimmung der Höhen :
die Behandlung der Barometer, Kochtherniomoter, der Aneroide (samt Be-
stimmung ihrer Stand-, Temperatur- und Theilungs-Correctionen), die Ermitte-
lung der Lufttemperatur, die Verwendung der Höhen-Formel an der Hand der
die Rechnung ausserordentlich abkürzenden Tafeln, schliesslich die Beziehung
ermittelter Höhendifferenzen auf «las Meeresniveau nebst Bemerkungen über
barometrische Hypsometrie im allgemeinen.
Gewissermassen eine Ergänzung zu dieser Abhandlung ist der Artikel
, Nautische Vermessungen- von Hoffmann, der speziell jene Vorfahrungsarten
zum Gegenstände hat, die bei Küsten-Vermessungen und dem Entwerfen von
Seekarten brauchbar sind. Den Anfang macht die Auswahl und Markirung der
Stationen an der zu bestimmenden Küstenlinie, die Triangulirung derselben
mittelst des Theodoliten oder Heliotropen. Dann folgen die Beslimmungsarten
des Azimutes der Hauptstationen mittelst Sonnenbeobachtungen am Theodoliten,
woran sich die Besprechung der Methoden zur Messung einer gewählten Basis
schliessen. Da bei Küstenvermessungen die Verhältnisse zu einer genauen
Basismessung meist ungünstig sind, so werden nur empfohlen: Messung mittelst
Stahlband, oder Berechnung der Basis aus gemessenen kleinen Winkeln und
kleinen gegenüberliegenden Katheten, oder die Ermittelung der Zeit (durch
Chronometer oder Terzienzähler), welche der Schall braucht, um von einem
Endpunkte der Basis zum andern zu gelangen. Nach der Feststellung des Drei-
ecksnetzes durch Zeichnung beginnen die Begehungen der Kiistenliuie mit dem
Theodoliten und die Eintragungen topographischer Details. Für die Wasser-
standsheohachtungen an der Küste empfiehlt der Verfasser eine einfache Latte
mit metrischer Theilung als Regel, für die Strömungsbeobachtungen ein
grösseres Schiffslog mit Mctertheilung. Die Bestimmung von Berghohen er-
folgt durch Messung von Höhenwinkeln vom Schiffe oder Strande aus. Schliess-
lich wird die zweck massigste Eintheilung der Arbeit bei den Lothungen des
Küstenwassers besprochen.
Als eine neue Eiuschiebung in dem Buche repräsentiren sich .Einige
ocea nographische Aufgaben- von Krümmel. Die darin gegebenen Hinweise
betreffen Beobachtungen, die sich von dem Reisenden während der Seereisen
vom Schiffe aus machen lassen. Sie leiten die Aufmerksamkeit des Beobachters
auf die im Meere treibenden Gegenstände, Eisberge und Seetangfelder, auf das
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Vorhalten der Meeresströmungen, deren Grenzen, Richtung, Geschwindigkeit
und Temperatur und heben eine Anzahl jener Strömungen als Untersuchungs-
objecte hervor, über welche unsere derzeitigen Kenntnisse noch lückenhaft sind
(die problematische Renne llsche Strömung, die westlichen Grenzen des Guinea-
stroms, die Strömungen im südlichen Theile des indischen Oceans u. m. a.).
Die Ausrührungen des Aufsatzes erstrecken sich weiter auf die Messung der
Wellenlängen durch das Log oder durch Zeitnotirungen, der Wellenhöhen
mittelst sehr empfindlicher Aneroide, der Tiefe der Wellenbewegung, ihrer
Geschwindigkeit, und auf eine Reihe Fragen über die Einwirkung des Windes
auf Wellen. Auch Untersuchungen in Golfen und Baien über die dort bisweilen
auftretenden als „stehende“ Wellen bekannten regelmässigen geringen Niveau-
schwankungen des Meeres werden der Beobachtung empfohlen. Der Verfasser
schliesst mit Beispielen über die Wichtigkeit der Notirungen über Farbe und
Durchsichtigkeit des Seewassers.
Neumayers frühere Abhandlung „Hydrographie und Oceanographie“
erscheint in der neuen Auflage des Buches in wesentlich veränderter Gestalt.
Durch die Aufsätze „Nautische Vermessungen“ und „Einige oceanographische
Aufgaben“ ist ein Theil dieser Abhandlung in schon erweiterter Form gegeben.
Der Verfasser beschränkt sich deshalb im ersten Abschnitte auf die hydro-
graphische Meteorologie und hat beim Entwürfe des überaus reichhaltigen Frage-
bogens namentlich die durch die Expeditionen und Forschungen seit 1874 zu
Tage geförderten Resultate über maritime Meteorologie, Meeresströmungen,
Treibproducte u. s. w. berücksichtigt; hieran schliesst sich, wie früher, als
zweiter Abschnitt die magnetische Beobachtung am Bord.
Eine sehr willkommene neue Boigabe des Buches, namentlich für jene
Reisende, die auf sehr wenig erforschten Flüssen in das Innere von Ländern
Vordringen, bildet die Untersuchung Lorcnz-Liburnuus „Beurtheilung des
Fahrwassers in ungeregelten Flüssen.“ Der Verfasser sucht darin aus einer
allgemeinen Betrachtung des Baues grösserer Ströme die Erfahrungssätze ab-
zuleiten, wo mau in den Flussbetten das Fahrwasser, die Untiefen und Bänke
zu suchen hat; er findet, dass diese Factoren von dom Gefälle des Wassers
und von der Gestaltung der Ufer (ob parallel, auseinanderlaufcnd, durch Vor-
sprünge des einen Ufers unterbrochen, geraden Laufs, eine starke Krümmung
beschreibend u. s. w.) abhängen, welche Bedingungen wesentlich den Ort der
sich ablagcrndcn Stoffe bestimmen. — Eine sehr anregende vortreffliche Studie
ist Lindemanns Aufsatz .Andeutungen für die Beobachtung des Verkehrs-
lebens der Völker.“ Sie verfolgt den Zweck, die Aufmerksamkeit des Reisenden
auf die Beobachtung des Verkehrswesens zu lenken, ein Gebiet, das wir
in Heisebüchern bisher nur selten vertreten Anden. Der Aufsatz beschäftigt
sich zunächst mit einer Darlegung der Entwickelung unserer modernen Ver-
kehrsmittel, des Post-, Eisenbahn- und Telcgraphcnwesens und des Dampfschiff-
verkehrs. Der Verfasser giebt eine auf zahlreiche statistische Daten gegründete
Uebersieht namentlich des Weltpostvereins, einen Bericht über die grossen
Ueberland bahnen in Amerika, eine Zusammenstellung der wichtigsten Dainpf-
schifTverbindungen zwischen europäischen Häfen und den überseeischen Ländern,
endlich eine Darlegung der gegenwärtigen Ausdehnung der Telegraphenlinien
und unterseeischen Kabel und der Eisenbahnlinien auf der Erde überhaupt.
Weiter erläutert er die Art und Weise des Reisen» und des Postdienstes in
aussereuropäischen Ländern durch charakteristische Beispiele (in Island, Grön-
land, China, Persien, Südamerika u. s. w. ), und indem er hiervon Schilderungen
giebt, erwartet er von dem Reisenden die Verfolgung ähnlicher Beobachtungen
und Sammlung statistischen Materials aus den durchreisten Gebieten.
Ferner bringt die neue Auflago drei Aufsätze, die als Ergänzungen zu
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03
den Kapiteln „Landwirtschaft“, „Linguistik4 und „Säugetiere“ zu betrachten
sind. Dererste derselben „Land wirtschaftliche CuUurpflanzen“ (von Wittmack)
giebt Anleitung zum Sammeln der Getreide- und Futterpflanzen, Obst- und
Gemüsearten u. s. w. mit den nötigsten Details über deren Varietäten und
Sorten. Der zweite «Das Zählen“ (von Schubert) lenkt die Aufmerksamkeit
des Reisenden auf die Zahlen begriffe und die Bildungsweise der Zahlwörter
bei den Naturvölkern. Der dritte „Waltiere“ (von Bohl au) ist namentlich in
Bezug auf die in mancher Hinsicht noch sehr mangelhafte Naturgeschichte der
Wale verfasst; der Verfasser giebt Anleitung zur Vornahme von Messungen
an Thierkörpern, dem Conscrviren der Häute, dem Präparircn der Wal-Skelete
und fordert namentlich auch zur Beobachtung der Lebensweise der Wale auf.
Der Artikel „Erdbebenkunde4 der ersten Auflage ist in das umfang-
reichste Kapitel des Buches „Geologie“ (von Rieht hofen) aufgenommen, dieses
Kapitel selbst zweckmässiger angeordnet und auf die Höhe modernen Wissens
gestellt worden.
Ganz entfallen sind in der zweiten Auflage der seinerzeit namentlich mit
Rücksicht auf den Venusdurchgang von 1874 abgefasste Artikel „Ueber die Be-
stimmung der Abstände der Himmelskörper von der Erde“ von Förster,
ferner der für Forschungsreisende entfernt liegendere Aufsatz „Ueber Samm-
lung und Aufbewahrung chemisch wichtiger Naturproductc“ von Oppenheim,
und der für Anweisungen zu richtiger geographischer Definition geschriebene
Beitrag «Allgemeine Rückblicke auf die Erforsehungsgebiete der Continente“
von Koner.
Selbstverständlich sind auch die Autoren der übrigen hier nicht weiter
hervorgehobenen und der Materie nach unverändert gebliebenen Artikel durch-
aus bemüht gewesen, dem seit der ersten Auflage nun 14jährigen Fortschritte
des Wissens zu entsprechen und durch Berücksichtigung modernster Fragen
jede einzelne Disciplin der Gegenwart anzupassen. Beispielweiso finden wir
in verschiedenen Kapiteln die vielfältigen Fortschritte der Photographie zur
Unterstützung von Forschungszwecken empfohlen. Nicht minder werden an-
regende Fragen aus bedeutsamen Naturerscheinungen der letzten Jahre ge-
zogen: Die Erschütterungen durch die Krakatau-Eruption finden in der „Geologie“
ebenso so sehr ihre Würdigung, wie dio durch das gleiche vulkanische Er-
eigniss hervorgerufenen Dämmmerungserschein ungen und der rostbraune Ring
um die Sonne im Kapitel „Anweisung zur Beobachtung allgemeiner Phänomene
ain Himmel.“
Wenn es dem Referenten gestattet ist, schliesslich den Hunderten von
Fragen und Anregungen des Werkes auch eine aus eigener Initiative anzu-
fügen, so wäre dies folgende: Seit Nordens kjölds kühner Umseglung Asiens
auf der „Vega“ ist durch seine Wahrnehmung von ausserirdischen Staub-
Niederschlägen auch das Vorhandensein von Staubmassen kosmischer Art
augenscheinlich geworden. Wenn nun auch Nordenskjöld in seinen Schluss-
folgerungen über die Wichtigkeit dieses Stoffes an der Bildung der Erd-
rinde wohl zu weit geht, so scheint es doch namentlich für den Polar-
reisenden geboten, auf den jeder Cultur weit entrückten Schneefeldern Be-
obachtungen unter gehörigen VorsichLsinassregeln über die Menge des in einer
bestimmten Zeit niederfallenden Staubes und dessen mineralogische Beschaffen-
heit anzustellen, um diese noch problematische Frage der Entscheidung näher
bringen zu können. Die so nachgewiesene Thatsache kann ausserdem einige
Wichtigkeit für die theilweise Erklärung der säeularen Acceleration der Mond-
bewegung erlangen, wie Oppolzer vor mehreren Jahren durch Rechnung an-
gedeutet hat. F. K. Ginzel.
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04
A. Woeikof, Die Klimate der Erde. Nach dem Russischen. Mit 10 Karten,
13 Diagrammen nebst Tabellen, 2 Vol. XXIII. u. 336, und XXIV. u.
424 Seiten. Jena 1887, Hermann Costenoble.
Durch die vom Verfasser selbst besorgte, bedeutend vermehrte und ver-
änderte deutsche Bearbeitung des zuerst 1884 erschienenen Werkes hat die
meteorologische Literatur eine Bereicherung erfahren, die um so höher anzu-
schlagen ist, wenn inan erwägt, dass dieses Handbuch der Klimatologie neben
dem etwas früher erschienenen von Julius Hann durchaus gleichwertig
und selbständig dasteht, so dass das eine durch das andere in glücklichster
Weise seine Ergänzung findet, denn die Behandlung des Stoffes ist bei beiden
Forschern eine durchaus verschiedene. Einerseits finden wir bei Woeikof,
mit Ausnahme weniger Zeilen, keinerlei klimatische Schilderungen von Reisen-
den, welche zwar durch ihre unmittelbare Anschaulichkeit stets das Interesse
zu fesseln vermögen, aber doch von dem systematischen Fortschritte der Dar-
stellung abzulenken geeignet sind, andererseits behandelt er eine ganze Reihe
von Gegenständen mit besonderer Sorgfalt, welche meist der physikalischen
Geographie zugerechnet werden, aber wie aus seiner Darstellung hervorgeht,
für dio Klimatologie von besonderem Interesse sind, namentlich in Band I.,
Kap. 3 — 7. Da der Inhalt dieses ersten Bandes ursprünglich meist in Form
einzelner Abhandlungen erschien, welche erst später zu einem Ganzen ver-
bunden wurden, ist der Zusammenhang der einzelnen Kapitel oft ein ziemlich
loser; jedoch hat das Verfahren, das weitschichtige Material in geeigneter Weise
in kleineren Abtheilungen erschöpfend zu behandeln, den grossen Vorzug, dass
man bei dem Studium specieller Fragen alles Wesentliche beisammen findet,
und nicht aus vielen Kapiteln sich zusammenzusuchen gezwungen ist
Der erste Band behandelt den Einfluss der verschiedenen meteorologischen
Elemente auf das Klima; er beginnt mit den allgemeinen Begriffen von
Luftdruck und Wind, und betrachtet sodann das Wasser in der Atmosphäre.
Die Specialstudien des Verfassers finden wir in den folgenden Kapiteln; Flüsse
und Seen als Produkte des Klimas veranlassen ihn zur Aufstellung von 7 Fluss-
typen, um die Wirkung von Menge, Form und Periodicität der Niederschläge
auf die Flussläufe auszudrücken.
Bei der Untersuchung des Einflusses einer Schneeober fläche auf das Klima,
welcher Woeikof besondere Aufmerksamkeit zuwandte, zeigt sich die Wichtig-
keit einer systematischen Beobachtung der Erstreckung und Veränderung der
Schneedecke für Russland, um die Wahrscheinlichkeit von Ueberschwemmungen
zeitig feststellen zu können. Sehr interessant sind die sich hieran anschliessen-
den Betrachtungen über die klimatischen Verhältnisse des beständigen Schnees
und der Gletscher.
Nicht minder interessant und für die vergleichende Klimatologie von
fundamentaler Bedeutung ist der grosse Einfluss des Bodeureliefs auf die
tägliche Periode und Amplitude der Temperatur, welchen wir in folgendem
Satze zusammenfa.ssend so formuliren können: „Wenn die Verhältnisse der
täglichen Amplitude bei einer vollkommen ebenen Oberfläche als normale an-
gesehen werden, so verkleinert eine konvexe Oberfläche (Hügel, Berg) dieselbe
entsprechend der Zunahme der vertikalen Dimensionen im Verhältnis zur
horizontalen, eine konkave Oberfläche (Thal, Mulde) vergrössert sie, aber nur
bis zu einem bestimmten Verhältnis der vertikalen und horizontalen Dimen-
sionen.- Weiterhin ergieht sich, dass die Luft über einer konvexen Oberfläche
in der Nacht und iin Winter wärmer, am Tage und im Sommer kälter ist,
also auch die jährliche Amplitude kleiner ist, als bei einer konkavon Oberfläche.
Diese Sätze belegt Woeikof durch zahlreiche Beispiele, welche nalurgeinäss
vielfach von den Gipfelstationen geliefert werden, daher er auch für diesen
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65
Theil der Klimatologie von der Vermehrung der Bergobservatorien besonders
grosse Fortschritte erhofft.
ln zwei Kapiteln wird der Einfluss des Klimas auf die Vegetation und
umgekehrt der Vegetation auf das Klima besprochen, welche allgemeine Auf-
merksamkeit verdienen. Woeikof zeigt hier, dass äusserste Vorsicht um Platze
ist, wenn man aus Veränderungen in der Vegetation Schlüsse auf etwaigen
Klimawechsel begründen will, sei es aus historischen Zeugnissen, sei es aus
paläontologischen Untersuchungen. Wie wenig auch aus dem Verhalten von
Kulturpflanzen geschlossen werden kann, lehrt Woeikofs Widerlegung des
bekannten Beweises von Arago betreffs des Klimas von Palästina, das sich
nach dem damaligen Vorkommen von Dattelpalme und Weinrebe zu schliessen,
innerhalb 3000 Jahren nicht geändert haben könnte. Eine genauere Betrach-
tung der Mitteltemperaturen jener Gegenden lässt jedoch leicht die Hinfälligkeit
der Aragoschen Beweisführung erkennen. Der Einfluss der Wälder auf das
Klima findet in Woeikof einen eifrigen Verfechter; der Beweis, dass ausge-
dehnte Waldkomplexe nicht nur in der tropischen, sondern auch in den ge-
mässigten Zonen oine merkliche Erniedrigung der Temperatur der wärmsten
Monate bewirken können, gelang ihm vollständig, der Einfluss der Wälder auf
die Vermehrung der Niederschlagsmenge, den er ebenfalls für gut konstatirt
und durchaus annehmbar ansieht, wird jedoch mit seltenen Ausnahmen immer
weniger wahrscheinlich, je mehr das hierauf bezügliche Boobachtungsraaterial
anwächst
Der zweite Band ist der speciellen Darstellung der Klimate der Länder
und Meere gewidmet, und gerade in der eingehenden Beschreibung der
klimatischen Provinzen des Erdballes ist es dem Verfasser besonders geglückt
aus der Menge des Materials überall das Wesentliche und Charakteristische
auszusondern, und in 20 Kapiteln eine vollständige Darstellung des Typischen
eines jeden Theiles der Erdoberfläche mit Vermeidung alles Ueberfliissigen zu
geben. Während West- und Centraleuropa in einom Kapitel knapp behandelt
sind, theils wegen dos geringen Raumes, den sio auf dor Erdoberfläche ein-
nehmen, thcils weil sie so genügend und oft geschildert sind, dass man nur
Bekanntes wiederholen könnte, umfasst das europäische und asiatische Russ-
land Kapitel 2G— 35, allein fast ein Drittel des ganzen zweiten Theiles.
Dies kann jedoch nicht wunder nehmen, da das Werk ursprünglich für
russische Leser und die Bedürfnisse russischer Universitäten geschrieben war,
ausserdem das nöthige Material dem Verfasser am reichlichsten zuströmte,
und von ihm der schärfsten kritischen Sichtung unterworfen werden konnte
umsomehr, da er aus persönlicher Anschauung Ostasien und Sibirien kennen
gelernt hat. Dio ausführliche Behandlung eines so ausgedehnten Gebietes wie
das russische Reich, das fast für alle klimatischen Typen Beispiele liefern kann,
hat für den deutschen Leser den Vortheil, klimatologischo Untersuchungen
auf ein Beispiel allergrösster Dimension angewendet zu sehen, wobei er sich
auf einen umfassenderen Standpunkt zu erheben genöthigt ist, als er ihn bei
der Betrachtung engerer Komplexe sonst gewohnt ist. Wir lernen Ostsibirion
als die kälteste Gegend des Erdballes kennen, in den Thälern bildet dort die
wegen ihres grösseren spezifischen Gewichts sich in der Thalsohle ansammelnde,
durch beständige Ausstrahlung immer mehr erkaltende, wenig bewegte Luft voll-
ständige Seen. Nach den neuesten Untersuchungen hat Werchojansk im Thale
der Jana den zweifelhaften Ruhm, dio grösste Winterkälte der Erde aufzu-
weisen, und ist daher dem Meteorologen eine klassische Stätte — aber welche
Vorstellung können wir Bewohner gemässigter Zone uns von einem Januar
machen, dessen Mitteltcmperatur nach 4jährigen Beobachtungen — 53° C. be-
trägt! Im December und Januar stieg bisher das Minimumthermometer nicht
Himmel und Erde, 1898. I. 5
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66
über — 60 °, und doch kann in dem kurzen Sommer das Maximum 30° C.
überschreiten, wonach die jährliche Amplitude der Extreme fast 100° erreicht.
Das letzte Kapitel ist den Meeren der südlichen Hemisphäre gewidmet,
und die mangelhafte Kenntnis» des antarktischen Oceans veranlasst Woeikof,
die Erforschung der höheren südlichen Breiten auch seinerseits für eine der
wichtigsten Aufgaben unserer Zeit zu orklären. „Viele Probleme der Wissen-
schaft können nicht gelöst werden, so lange wir diese Breiten nicht kennen;
bei den jetzigen Mitteln der Wissenschaft und Technik ist es wirklich be-
schämend, wie wenig wir über die südlichen Breiten jenseits des 44° 8. Br.
wissen. Man bedenke nur, dass wir keine Beobachtungen im Winter südlich
vom 55 Vs 9 8* haben, und dass die höchsten südlichen Breiten mehr als
40 Jahre vor unserer Zeit erreicht wurden, und zwar in Segelschiffen!-
Die boigegehonen Curventafeln sind klar ausgeführt, ein Inhalts-
verzeichniss nebst Index erleichtern die Benutzung des Werkes wesentlich.
Dr. Ernst Wagner.
Sprechsaal.
Diese Rubrik muss in unserer ersten Nummer naturgemäss offen
bleiben. Wir können uns seihst in der Auseinandersetzung der hier zu
vorfolgenden Ziele sehr kurz fassen, indem wir auf die bezügliche Stelle in
unserem zweiten Artikel (S. 18) hinweisen und nur allgemein wiederholen, dass
wir gern jede Auskunft auf Fragen aus unserem Leserkreise von fachmännisch
competenter Seite geben werden. Es sei jedoch die aus praktischen Gründen
nothwendige Einschränkung gestattet, Fragen, welche durch den blossen Hin-
weis auf allbekannte populäre Werke erledigt werden können, eben durch
diesen Hinweis zu beantworten, während andere, die von zu speciellem In-
teresse sein würden, um einem grösseren Leserkreise nützlich werden zu
können, auf direktem PoBtwego zu erledigen sind.
Verlag von Hermann Paetel ln Berlin. — Druck von Wilhelm Qronau's Bucbdruckeroi ln Berlin.
Für die Redaction verantwortlich : ür. M. Wilhelm Meyer ln Berlin.
Unberechtigter Nachdruck aua dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt.
Ucbersetzungsrecht Vorbehalten.
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Der Strand von Pozzuoli und der Serapis-Tempel
in neuem Lichte dargestellt.
ctV Von Professor !>r. !). Brauns in Halle.
cA/m, den wichtigsten Erscheinungen auf dem Qebiete der Geologie
gehören ohne Frage die Schwankungen des Niveaus der Meere,
ein oft erörterter Gegenstand, dessen Tragweite sich Jedermann
leicht vergegenwärtigen kann, sobald er das Vorkommen vorweltlicher
Seemnscheln und anderer versteinerter Reste von Seethieren auf hohen
Bergen ins Auge lässt. Infolge der hohen Bedeutung dieser Er-
scheinung hat man auch mit vollem Recht ein grosses Gewicht auf die-
jenigen allgemeiner verbreiteten Schwankungen des Spiegels der Ozeane
— oder sogenannten siicularen Landsenk ungen und -Hebungen — gelegt,
welche gegenwärtig zti beobachten sind und uns deshalb das Zustande-
kommen vorweltlicher Vorgänge dieser Art zu veranschaulichen ver-
mögen. Da viele solcher Veränderungen des Meeresniveaus sich aus
vergangenen Epochen der Erdgeschichte bis in tlie Gegenwart fort-
gesetzt haben, so zeigen sie trotz der ausserordentlichen Langsamkeit,
mit dpi- sie sich vollziehen, oft sehr augenfällige Resultate und sind
daher auch meistens im grossen und ganzen ohne Schwierigkeit fest-
zustellen. obgleich über die Einzelheiten bei diesen Vorgängen immer
noch mancherlei Widersprüche herrschen. Hinsichtlieb des Masses
aber, welches dieselben in einer gegebenen Zeit erreichen können,
möchte insoweit kein Zweifel herrschen, als dasselbe für kürzere
Zeiträume immer nur äusserst gering, für historische Zeiten meist
ein kaum in die Augen fallender Betrag sein kann. Alle raschen
Bewegungen des Landes unter oder über das Meeresniveau oder gar
in abwechselnder, bald aufwärts, bald abwärts sich bewegender Richtung,
welche in einen historisch begrenzten Zeitraum eingeengt werden sollen,
halien sich bei genauerer Untersuchung stets als irrthümlich heraus-
gestellt So war es mir z. B. während eines längeren Aufenthaltes in
der Hauptstadt Japans vergönnt, das äusserst rasche Mass des „An-
Himmel und Erde. 1888. II.
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Wachsens der Ebene von Tokio", welches man aus gewissen Ver-
änderungen an der Küste daselbst folgern wollte, als irrthümlich
nachzuweisen und jene Veränderungen zum grössten Theil auf soge-
nannte „Verlandung" zurückzuführen, d. h. auf den Transport von
Schuttmassen in die See und auf das dadurch hervorgebrachte Ein-
engen des flachen Strandes, also auf Vorgänge, welche an allen Berg-
abhängen namentlich in und neben grösseren Ortschaften eine be-
deutende Rolle spielen. Aehnliche Beispiele Hessen sich leicht in
Menge herbeischnffen und finden sich in grösserer Zahl namentlich
in dem umfassenden, noch im Erscheinen begriffenen Werke von
Eduard Suess, „Das Antlitz der Erde“ ; manche davon habe ich selbst
in meiner „Einleitung in das Studium der Geologie“ hervorgehoben.
Wichtiger als der Nachweis einzelner Fälle ist aber unbedingt die
Feststellung gewisser Gesichtspunkte für die Beurtheilung der Frage
von den säcularen Landhebungen und -Senkungen, und in dieser Be-
ziehung möchte namentlich ein Satz, der in beiden Schriften gebührend
hervorgehoben ist, besondere Beachtung verdienen, der nämlich, dass
das Einsinken von allerhand Bauwerken an der Meeresküste niemals
als Beweis für eine allgemeine Senkung des Landes angesehen werden
darf. Gerade in der Gegend, welche hier in Betracht kommt, finden
sich infolgo des häufigen Vorkommens von Ruinen antiker Bau-
anlagen sehr viele Belege für diese Erscheinung, und ich werde in
der Folge noch mehrfach auf dieselbe zurückkommen. Zu bestreiten
möchte es unbedingt nicht sein, dass die antiken Bauten gerade so
wie jedes moderne Gobäude sich „setzen“, d. h. in den Boden ein-
sinken mussten, sobald dieser ihnen keinen genügenden Widerstand
entgegensetzte, und da in und um Pozzuoli die vorherrschende Ge-
steinsart ein etwas mürber, thonhaltiger und durch das Wasser er-
weichender vulkanischer Tuff ist, so kann uns das häufige Vorkommen
von Bauresten unter dem Meeresspiegel hier weder überraschen noch
zu dem Schlüsse veranlassen, als sei seit der Römerzeit eine Land-
senkung vor sich gegangen. Aber auch umgekehrt hat man infolge
einer falschen Auffassung von Nachrichten aus dem Alterthum ohne
genügenden Grund Hebungen des Bodens folgern wollen, wovon das
beste Beispiel wohl die voreilige Annahme ist, als ob ehedem sich
das Meer bis hart an die Mauern von Pompeji erstreckt hätte, während
die unter vulkanischer Asche verschütteten Reste dieser Stadt in einer
direkten Entfernung von 3 Kilometern vom Meere aufgefunden sind.
Jene Annahme, welche im übrigen mit zahlreichen antiken Funden
aus der Umgebung Pompejis im Widerspruch steht, stützt sich lediglich
auf eine in den Schriften der Alten enthaltene Nachricht, dass jene
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Ortschaft einen Hafen besessen habe. Nun wird aber gewiss Niomand
in Abrede stellen wollen, dass ein Hafen auch in einiger Entfernung
von der Stadt, zu der er gehört, sich befinden kann, und obendrein
wird ausdrücklich berichtet, dass dieser Hafen den beiden Städten
Stabiae und Pompeji gemeinsam diente. Da nun die erste Ortschaft
ohne Frage hart am Meere sich befand, so liegt sicherlich nicht die
mindeste Unwahrscheinlichkeit darin, wenn man diesen gemeinschaft-
lichen Hafen in die Nähe von Stabiae versetzt, wo er auch von
Pompeji nur eine Entfernung von 5 Kilometern hatte.
Neben dem Interesse, welches die zahlreichen Reste des Alter-
thums den Gestaden Campaniens verleihen, beanspruchen dieselben
aber auch noch in anderer Ueziehung unsere Aufmerksamkeit, indem
sie eines der lehrreichsten Beispiele vulkanischer Thätigkeit darstellen.
Die Gegend nördlich von Bajae und Pozzuoli, von welcher Figur 1
den für die folgenden Untersuchungen wichtigsten Thoil in einer
Kartenskizze darstellt, ist mit einer Gruppe von Kraterringen bedeckt
Fig. 1. Karte der Umgegend Pozzuolis
nach offiziellen Aufnahmen und dem Atlas zu Beiochs Campanien im Massstabe
von 1 : 75000 entworfen, mit Höhenangaben in Metern.
und zoigt nicht nur fortwährend — wenn auch in geringem Masse —
Spuren vulkanischer Thätigkeit, sondern es sind auch Beispiele heftigerer
Ausbrüche vorgekommen, namentlich im Jahre 1538, wo innerhalb
weniger Tage, vom 29. September an, vor den Augen glaubwürdiger
Berichterstatter ein Berg von etwa 130 m maximaler Höhe, allerdings
mit einer beträchtlichen Vertiefung innerhalb eines Kraterwallcs, der
Monte nuovo (vgl. Karte) aus losen, mit Wasser gemengten vulka-
nischen Aschen und Steinen aufgethürmt wurde. Es geschah dies an
6'
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einer Stelle, wo bis zu genanntem Tage in völlig ebener Gegend ein
Schwefelbad, Tripergole, gelegen hatte. Nehmen wir zu diesem wohl-
verbürgten Falle noch den — wohl ohne genügenden Grund ange-
zweifelten — Ausbruch der östlich von Pozzuoli befindlichen berühmten
„Solfatara“ (s. Karte) hinzu, welcher im Jahre 1198 n. Chr. stattfand,
so ergiebt sich, dass auch heftigere vulkanische Erscheinungen hier
zu verschiedenen Zeiten vorgekommen sind, während in den Ruhe-
pausen das Ausstossen von Schwefeldämpfeu der Solfatara, das Aus-
strömen heisser Dämpfe an verschiedenen Punkten der Gegend von
Bajae und Kumae, sowie in dem (östlich von dem Bereiche unserer
Karte belegenen) kleinen Krater von Agnano — in dem sich auch
die bekannte Hundsgrotte mit ihren Ausdünstungen von Kohlensäure
befindet — ununterbrochen andauert
Es ist keiner Frage unterworfen, dass eben diese vulkanische
Thätigkeit für viele Geologen einen Grund dafür abgegeben bat, hier
ausnahmsweise mancherlei Vorgänge lind namentlich Schwankungen
des Bodens für möglich zu erklären, welche man anderswo durchaus
für unstatthaft halten würde, und es ist nicht zu verkennen, dass auch
E. Suess, welcher dem .Serapis-Tempel von Pozzuoli“ ein eigenes
Kapitel widmet, sich diesem Standpunkt bedenklich nähert. Indessen
lässt sich doch diese ganze Anschauungsweise, nach welcher der
Boden vulkanischer Gebiete gewissermassen als hohl hingestellt und
die Möglichkeit angenommen wird, als könne sich bei Gelegenheit
vulkanischer Ausbrüche die Erdoberfläche wie eine Blase ausdehnen
und emporheben, als durchaus veraltet bezeichnen. So gewichtige
Autoritäten sich auch zu Anfang unseres Jahrhunderts für diese Ideen
ausspracben und Beispiele für solche „Blasenhebungen" beizubringen
suchten — Autoritäten, unter denen Hutton, Leopold von Buch, Elie
de Beaumont, Dufrönoy zu nennen — , so hat man doch immer klarer
erkannt, dass kein Vulkan durch solche innere Aufblähung des Erd-
reichs entstanden oder gewachsen ist, sondern dass es immer nur eine
Art des Entstehens und des Wachsthums der Vulkane gegeben hat,
nämlich das Ueberlagern von Massen, die aus dem Schlunde des
feuerspeienden Kraters emporstiegen und dann — als Aschenregen
oder I-avastrom — über den in seiner alten Lage verbleibenden Erd-
boden aufgelagert wurden.
Dass übrigens auf diesem Wege nicht unbedeutende Berge ge-
bildet werden können, davon giebt nicht nur der Vesuv mit seinen
seit dem Jahre 79 n. Chr. und namentlich seit 1631 oft wiederholten
Ausbrüchen ein naheliegendes Beispiel, sondern auch der schon er-
wähnte Monte nuovo, welcher von Pozzuoli nur etwa 3 Kilometer in
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westnordwestlicher Richtung entfernt ist, ein vulkanischer Berg, der
so, wie er vor uns liegt, durch eine einzige Eruption gebildet ist.
Es sind gerade hier die Behauptungen, als ob eine innere Auf-
treibung des Bodens vor der Eruption stattgofunden habe, aufs bündigste
widerlegt, so dass auch die Gründe, welche Suess neuerdings für die-
selbe geltend machen will, den Auseinandersetzungen von Poulet
Scrope, Roth, Lyell, Fuchs und vielen anderen gewichtigen Autoritäten
gegenüber als durchaus unzureichend erscheinen. ')
Fragt man nun aber nach dem eigentlichen Grunde, weshalb manche
Geologen so sehr darauf bedacht waren, für den Strand von Pozzuoli
die Möglichkeit einer ungewöhnlich starken, in historischer Zeit vor
sich gegangenen Bodenbewegung zu begründen, so ist es im wesent-
lichen immer nur ein Gegenstand, dem zu Liebe man eine Abweichung
von allen sonst festgestelltun Gesetzen zulassen wollte, nämlich das
eigenthiimliche Verhalten eben der Ruinen, welche gewöhnlich als die
des Serapis-Tempels von Pozzuoli bezeichnet werden und unter diesem
Namen in fast alle, auch in die elementarsten Lehrbücher der Geologie
übergegangen sind.
Es ist allerdings richtig, dass man neben diesem Serapeum noch
verschiedene andere Belege für eine schwankende Beschaffenheit des
Grundes und Bodens der Umgebung Pozzuolis berbeizusehaffen ver-
sucht hat; augenscheinlich aber hat man sie nur zur Unterstützung
der weitgehenden Folgerungen künstlich zusammen gesucht, welche
man durch jenen Gegenstand allein zu begründen doch eine gewisse
Scheu trug. Wie wir sofort sehen werden, sind sie nichts weniger
als stichhaltig.
Zunächst möchten unter ihnen die eisernen Ringe zum Befestigen
der Schiffe an den antiken Kaimauern von Nisida, von Pozzuoli selber
und von Miseno zu erwähnen sein, welche an ersterem Orte etwa 3 m,
') Das von Suess (II, S. 4*2) reproduzirte rohe Bild in Vogelperapectivo
und sehr kleinem Massstabe mit üliertricbenen Höhen, welches einem Abdrucke
des Berichtes von Falconi, eines der Zeitgenossen, welche (len Ausbruch des
Monte nuovo beschrieben, boigegeben war, beruht auf phantastischer Com-
hinalion und hat deshalb selbstverständlicher Weise nicht die mindeste Be-
weiskraft. Die Angabe, dass die „Trockenlegung des .Strandes“ auf 200 Schritt,
von welcher mehrere Augenzeugen reden, schon vor der Eruption erfolgt sei,
ist so zu verstehen, dass sie allerdings vor dem Aufsteigen des Berges statt-
fand, aber doch erst nach Beginn des Aschenregens, der ihre wahre Ursache
war; der Beginn der Katastrophe wird übereinstimmend in allen Berichten als
ein „Bersten- des Bodens bezeichnet, dem sofort der heftige und vom nördlich
wellenden Winde bis in das benachbarte seichte Meer getriebene Aschen-
ausbnich folgte. Auch ist zu beachten, dass die Trockenlegung des Strandos
nur von sehr kurzer Dauer war. —
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bei Pozzuoli 2 m und bei Miseno 1 m unter dem Meeresspiegel liegen,
während sie zur Zeit der Erbauung dieser Kais sich ohne Frage etwa
1 m über dem Wasser befunden haben müssen. Dieser Umstand ist
aber einfach die Folge des Einsinkens des ganzen Gemäuers in den
nachgiebigen Untergrund und erledigt sich daher ohne Schwierigkeit
in der oben ausgesprochenen Weise, und ganz das Nämliche gilt von
den Pfeilern des gewöhnlich als Ponte di Caligola bezeichnelen alten
Molo von Pozzuoli, der von der Stadt aus in westsüdwestlicher Richtung
weit in die See vorsprang. Diese Pfeiler, deren Reste noch zum Theil
erhalten sind, haben ebenfalls Schiffsringe in einer Tiefe von 2 in unter
Wasser, sind also seit dein Alterthum um ungefähr 3 m gesunken,
was auch mit der niedrigen Lage der Bogenanfänge, die theilweise
noch an ihnen zu sehen, vollkommen übereinstimmt. Nichtsdesto-
weniger hat man gerade diese Pfeiler als Belege für eine Bodenhebung
benutzen wollen, welche seit der Römerzeit hier vorgegangen sein
sollte, weil nämlich an zweien derselben — auffallender Weise nur
an zweien und noch dazu in ungleicher Höhe, nämlich bei dem einen
1,3 m über dem Meeresniveau, bei dem andern 3 m darüber — sich
Steinschichten finden, an welchen Bohrmuschellöcher, Wurmröhren
und andere Spuren von Seethierresten zu sehen sind. Offenbar be-
fanden sich also diese Steinlagen früher einmal unter Wasser: bedenkt
man aber, dass — nach ausdrücklichen Angaben der Alten — gerade
dieser Molo in den Zeiten der römischen Kaiser wiederholten Repara-
turen unterworfen werden musste, so kann dem Umstande un-
möglich irgend welche Bedeutung beigelegt werden. Es versteht sich
ja von selbst, dass bei jedem derartigen Reparaturbaue Steinschichten,
die zuvor sich unter Wasser befanden, von den Arbeitern in einem
beliebigen höheren Niveau angebracht werden konnten, und daher
darf man unmöglich dem englischen Geologen Babbage beipflichten,
der gerade aus diesem Vorkommen sehr weitgehende Schlüsse auf
ein Auf- und Abwärtssteigen des Bodens hat ziehen wollen. — Der
zweite hier zu erörternde Punkt ist das Verhalten der flachen Ufer-
strecke im Nordwesten von Pozzuoli und insbesondere des Thoiles
derselben, welcher unter dem Namen la Starza bekannt und so auch
auf der Karte bezeichnet ist. Die hier reichlich vorhandenen unter
das Meeresniveau gesunkenen antiken Mauer- und Säulenreste können
selbstverständlich nach allem, was über diesen Gegenstand bemerkt
wurde, keineswegs als ein Beweis für ein Steigen des Meeres seit
den Römerzeiten angesehen werden; ebensowenig aber darf man aus
dem Umstande, dass hier zu verschiedenen Malen schmale Ufer-
strecken dem Meere abgewonnen wurden, ohne weiteres auf eine
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eigentliche Landhehung oder gar auf ein hohes Mass derselben
schliessen. Sehen wir die Verhältnisse, welche hier vorliegen, mit un-
befangenen Augen an, so ergiebt sich, dass bei Pozzuoli ebensowenig
wie bei Bajae und Neapel seit dem grauen Alterthum irgend welche
bedeutende Veränderung vorgegangen ist. Und dennoch finden wir
in manchen Schriften — geologischen und archäologischen Inhalts —
die wahrhaft ungeheuerliche Behauptung, dass etwa seit dem Beginne
der Völkerwanderung die ganze untere Sladt Puteoli „unter das Meer
gesunken sei-*, um erst nach dem Jahre 1500 wieder emporzutauchen.
Diese phantastische und offenbar auf sehr unklare geologische Vor-
stellungen begründete Annahme findet sich zum ersten Mal in einer
Schrift aus dem Jahre 1580, Antichitä di Pozzuoli betitelt, welche von
einem gewissen Loffredo herrührt; er stellt die Vermuthung auf, dass
50 Jahre früher das Meer bis an den Steilhang gereicht hätte, welcher
landeinwärts von der flachen Uferstrecke liegt, und dass man von den
Höhen dieses Abhanges habe -in der See fischen können“. Die Un-
möglichkeit dieser Behauptung liegt im Grunde schon an und für sich
klar auf der Hand; zu allem Ueberfluss aber existiren gerade aus den
ersten Decennien des 16. Jahrhunderts bündige Urkunden, aus denen
sich mit völliger Bestimmtheit das Gegentheil erweisen lässt Diese
Urkunden sind Schenkungen des Königs Ferdinand von Aragonien
aus den Jahren 1503 und 1511, durch welche einmal der Stadt
Pozzuoli, das andere Mal der Universität Uferstrecken, die kürzlich
dem Meere abgewonnen, überlassen werden. Die Beweiskraft dieser
Aktenstücke ist in der That so gross, dass sich Suess dagegen mit
der Ausflucht zu behelfen sucht „das Gebiet von Pozzuoli habe sich
damals viel weiter nach Westen erstreckt als jetzt es hätten also
andere Uferstrecken gemeint sein können, als die Starza“. Da nun
aber nirgend anders als au eben dieser .Starza oder in ihrer nächsten
Nähe — namentlich nicht an dein westlich von Punta Caruso bc-
legenen Ufer — irgend nennenswerthe Verlandungen beobachtet sind,
so möchte dieser Einwand von selber fortlällen. — Der dritte Punkt,
auf welchen insbesondere Suess hinweist, ist eine kleine warme Quelle,
le Cantarelle genannt, welche ganz nahe bei deif Ruinen selbst etwas
landeinwärts, aber in gleichem Niveau mit ihnen liegt. Wie wir sehen
werden, ist die Höhe des Pflasterbodens jener Ruinen ungefähr die
des Meeres, so dass bei einem Ansteigen desselben — wie es infolge
anhaltender Süd- und Südwestwinde oft in nicht ganz unbedeutendem
Masse stattfindet — der Meeresspiegel höher steigt. Ganz dasselbe
gilt nun auch von der Therme, so dass in früheren Zeiten bei unvoll-
kommenem Schutze nicht selten eine Ueberfluthung derselben statt-
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finden musste. Genau dieses Verhalten schildern nun einige lateinische
Verse, welche Suess einem vermuthlich von einem gewissen Petrus
de Ebulo im Beginne des 13. Jahrhunderts verfassten Gedicht ent-
nimmt, und auf welche er sich sonderbarer Weise beruft, um einen
wesentlich höheren Meeresstand zu jener Zeit daraus zu folgern.
.Wenn das Meer aufbraust-, so heisst es in jenen Versen, „so wird
die Quelle von den Wogen umstürmt" 2); ein Ausspruch, der gewiss
nicht gerechtfertigt gewesen wäre, wenn zu jener Zeit das Meer be-
ständig ein höheres Niveau gehabt hätte, als heutigen Tages. Ueber-
haupt hätten dann die Verse des Petrus de Ebulo keinen rechten Sinn
gehabt, und so dürfen wir gerade aus ihnen den Schluss ziehen, dass
zu der Zeit, wo sie verfasst wurden, eine auffallende Uebereinstimmung
mit den jetzigen Verhältnissen geherrscht hat. Diese Zeit aber fällt,
wie wir sehen werden, gerade in die Jahrhunderte, während deren
inan aus dem Verhalten der Ruinen des Serapeums eine sehr intensive
Landversenkung hat folgern wollen.
Diese Ruinen und besonders die noch aufrecht stehenden drei
Säulen derselben sind es also, auf welche im wesentlichen unser
Augenmerk zu richten ist. Sie liegen, wie aus der Karte Fig. 1 zu
sehen, im tieferen Theile Pozzuolis nahe dem Meere und nach Norden
zu; den gegenwärtigen Zustand der Ueberreste dieses vielbesprochenen
Baues stellt Fig. 2 nach einer neuen photographischen Aufnahme
dar.3) Die Gestalt ist nahezu ein Quadrat von etwa 40 m Seitenlänge,
das von einem Systeme von gemauerten Zellen umgeben ist, welche sich
abwechselnd nach aussen und innen mit gewölbten Thoren öffnen. In
dem Innenraume, parallel den Seiten desselben, befanden sich ehedem
28 monolithische Säulen aus Cipollin von korinthischer Ordnung, ohne
Cannelirung, deren Schäfte mit Basis — die Kapitiile sind herunter-
gestürzt — nahezu 1 2 '/2 m hoch waren. Nur drei dieser Säulen —
dieselben, welche schon der oben genannte laiffredo erwähnt — stehen
noch; sie befinden sich an der nördlichen Seite, links von dem Ein-
gänge, der an der westlichon Seile, nach dem Meere zu liegt. Das
Gemäuer der Zellen enthält, wie es in allen Beschreibungen hervor-
gehoben wird, Reste eines künstlichen Köhrensystems, das offenbar
die Zuleitung grösserer Wassermengen ermöglichen sollte, und slcssen
Bedeutung noch zu erörtern sein wird. Die drei Säulen stehen auf
5) Cum marc Iremescit, locus oppugnatur ab undis. Vgl. Suess, II, S. 477.
3) Die im Innern [zusammengcstollten Werkstücke gehören säramtlich
nicht zu den Ruinen des Baues selbst, sondern sind willkürlich zusammen-
gelesen. Der Mittelbau selbst, ein hoher Rundbau, der oben IG Säulen und
darüber eine Kuppel trug, ist gänzlieh zerstört.
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Figur 2. Ruinen des sogenannten Tempio di Giove Serapide von Pozzuoli von NW. her gesehen, nach einer photographim-hen Aufnahme.
7<i
einem Boden mit Mosaikpflaster und weisen in der Höhe von etwa
3 •/j bis 6 m über demselben sehr zahlreiche, aber streng auf diese Zone
beschränkte Bohrlöcher auf (vgl. Abb. Fig. 2), welche von Bohr-
musclieln herrühren. Das Thier, welches sie hervorbrachte, war
Lithodomus lithophagus L., eine im Mittelmeer häufige, etwa 10 cm
Länge erreichende und bei gehöriger Grösse als Speise geschätzte
Muschel, welche ausschliesslich in ganz geringer Tiefe nahe der Ober-
fläche des Meeres und mit Vorliebe in der Nähe des Strandes auftritt.
Fig. 3 stellt die Schale dieser unseren gemeinen Miesmuscheln
(Mytilus edulis L.) nahe verwandten Art dar. Das Thier unter-
scheidet sich von der Miesmuschel nur
dadurch, dass der am vordem Theile der
Schale belegene Fuss nicht, wie bei
dieser, feste Stränge oder Fäden (Byssus)
hervorbringt, an denen das Thier sich
befestigt, sondern zum Drehen der Schale
benutzt wird und auf diese Weise, wenn
Fig Die Schalen von Lithodo-
mu. lithophagus L. Sp. 1,1,1 nicht zu har,es Matenal vorhegt, eine
In v, der natürlichen drüsse, die Bohrung hervorbringt Die gewundenen
obere von aussen, die untere von Bohrkanäle erstrecken sich von der
innen gesehen. stark nngefressenen Oberfläche ziemlich
weit nach innen, wie Bruchstücke einiger Säulen, die beim Zerstören
des Gebäudes umgestürzt wurden, deutlich ersehen lassen. Indessen
ist wohl zu bemerken, dass nie eine Bruchfläche angebohrt wurde,
sondern dass alle Bohrgäuge von der ursprünglichen Oberfläche
ausgehen. Bin solches angebohrtes Säulenfragment zeigt unsere Ab-
bildung rechts von den drei aufrechten Säulen.
Es ist allerdings einzuräumen, dass dieses Auftreten lebender
Seethiere in so beträchtlicher Höhe über dem Meere, das offenbar
erst nach der Erbauung des sogenannten Serapistempels stattgefunden
haben kann, etwas Auffallendes und Räthselhaftes an sich hat. Eis
ist auch sehr wohl erklärlich, wenn man dabei zunächst an eine allge-
meine Landhebung gedacht und diu Bohrmuschelgiinge der drei Säulen
mit ganz ähnlichen — und auoh in ähnlichem Niveau auftretenden —
Anbohrungeu gewisser fester Schichten in den natürlichen oder „ge-
wachsenen“ Gesteinen des öfter erwähnten, das Ufer in einiger Ent-
fernung begleitenden Steilhanges in Verbindung gebracht hat. Eine
sehr einfache Betrachtung muss aber alsbald diese Idee als völlig un-
zulässig hinstellen, denn die Anbohrungen in jenen Felspartien können
unbedingt in eine viel ältere als die historische Zeit versetzt werden
— sie können hunderttausend Jahr alt und noch älter sein, ja man
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darf sagen, dass für sie die Zeitbestimmung kaum mit der Dauer der
gegenwärtigen geologischen Epoche abgeschlossen ist. In der That
sind solche alte Strandlinien an den Küsten Italiens, welche man in
verschiedenen Gegenden bis zur Höhe von mindestens 25 in über
dem Meere gefunden hat, für den Geologen von grösster Wichtigkeit;
sie beweisen, dass seit unvordenklichen Zeiten, weit vor dem ersten
Aufdämmem der Geschichte des Menschengeschlechtes, ein äusserst
langsames Emporsteigen der apenninischen Halbinsel und Siciliens
über das Meer stattfand, und wir dürfen aus manchen Anzeichen
schliessen, dass diese Bewegung heutzutage noch nicht ihr Ende er-
reicht hat. Sie ist indessen so wenig intensiv, so unmerklich, dass
seit der Römerzeit, ja seit der ersten Besiedelung des Gestades von
Cumae durch griechische Colonisten vor nahezu 3000 Jahren kaum
eine mit Sicherheit messbare Spur derselben zu ersehen ist Wie
lange Zeit nun vergangen sein mag, seit die Bohrmuschelgänge und
anderen Seethierspuren an dem Felshange bei Pozzuoli, welcho man
jetz in etwa 6 in Höhe wahrnimmt, sich im damaligen Meere bildeten,
darüber möchte es sehr schwer halten irgend welche Angaben zu
machen; allein im Hinblick auf den augenfällig niedrigen Betrag der
Landhebung in den letztverflossenen Jahrtausenden und der an
manchen anderen Orten gemachten Beobachtung, dass für solche Ver-
änderungen des Meeresniveaus ein Bruchtheil eines Centimeters in
einem Jahrhundert schon ein ganz namhaftes Mass darstellt, kann
ein Zeitraum von reichlich 100 000 Jahren dafür kaum als zu hoch
gegriffen erscheinen. Hieraus aber ergiebt sich mit Entschiedenheit
dass die Bohrmuschelzone der drei Säulen von Pozzuoli, deren Er-
richtung mit Sicherheit in das erste oder zweite Jahrhundert nach
Christo zu setzen ist unmöglich mit jenen Muschelbohrungen an den
gewachsenen Felsen unter einen Gesichtspunkt gebracht werden kann.
Die Säulen hätten vielmehr erst gegen Ende der Römerherrschaft all-
mählich unter das Meer sinken müssen, um sich dann entweder, etwa
um das Jahr 1000 n. Chr., in ähnlicher Weise nach und nach wieder
zu heben, oder es müsste jene allmähliche Senkung bis etwa 1500
n. Chr. angedauert haben, um dann einer sehr raschen Hebung Platz
zu machen. Da aber der letzteren Annahme, obwohl sie von Autori-
täten wie Charles Lyell vertreten wird, selbst abgesehen von allen
bereits angeführten Gründen auch noch der Umstand widerspricht,
dass die drei noch vorhandenen Säulen ruhig in vertikaler Lage ver-
blieben sind, was bei einer raschen und gewaltsamen Bewegung rein
unmöglich gewesen wäre, so würde nichts übrig bleiben, als — in
der Weise, wie es Roth thut — eine allmähliche Bewegung erst
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nacli abwärts, dann wieder nach oben anzunehmen. Bei dieser Art
der Bodenschwankung', deren Beginn man überdies, wie noch zu er-
wähnen sein wird, infolge einer falschen Auffassung des Charakters
des Gebäudes schon in die Römerzeit verlegen zu müssen glaubte,
würde nun das Mass derselben sich auf mehr als 1 m in einem
Jahrhundert stellen — also auf einen Betrag, welcher der Beobachtung
Kig. 4. Bewegungen des Landes bei Pozzuoli
in Bezug auf des jetzige Meeresniveau seit 2000 Jahren,
<uiunifM nach don Annahmen von Koth.
— — • — • — — nach Lyell, Nircollni, Sucws u» A.
ungefähr«** Mas.« der höchstens zulässigen Annahme.
(Hohen in Metern.»
Fig. 5. Veränderungen des Meeresspiegels gegen das Land bei Pozzuoli
seit 2000 .Jahren,
mmiiooi. nach der Annahme von Roth.
— — — • — nach Lyell, Xiecolini, Suess u. A.
ungefähres Mass dor zulässigen Annahme.
(Mit vorachiedenon auf diesen Gegenstand bezüglichen IlöheuanfrAben in Metern.»
der Zeitgenossen unmöglich hiilte entgehen können. Um die Ver-
änderungen, welche dabei hätten stattflnden müssen, noch deutlicher
zur Anschauung zu bringen, habe ich zwei graphische Darstellungen
derselben beigefugt4), welche die dir jedes Jahrhundert entfallende
4) In beiden Figuren erscheinen die Zeiten auf der Abscissenlinie, die
wahrend derselben statlgehabten Höhenunterschiede als Ordinatcn.
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Differenz sowohl hei Zugrundelegung der ersteren, wie der letzteren
Annahme erkennen lassen, lind zwar die erste so, dass das Meer
als unveränderlich, das laind als fallend und steigend gedacht
wird, die zweite — in welcher zugleich die flöhe der Bohrmuschel-
zone der Säulen, die der Schilfsringe von Pozzuoli, Nisida und Miseno
u, s, w. eingetragen ist — in der Weise, dass das I<and als fest-
stehend, das Meer als auf- und absteigend angenommen ist. Es geht
aus denselben ferner noch hervor, wie wenig die ganze Theorie von
einer ausgiebigen Landesversenkung jener Gegenden mit verschiedenen
Nachrichten über die Erbauung mittelalterlicher Kirchen in Neapel
u. s. w. in Einklang zu bringen ist, unter denen die Kirche San
Giovanni a mare, nur etwa 2'/, in über dem Meere und aus dem
Jahre 1270 herrührend, wohl die wichtigste sein dürfte.
Ueberhaupt möchte in dem Mangel an Uebereinstimmung mit
allen vorhandenen Nachrichten und Ueberlieferungen unstreitig
der schwächste Punkt aller jener Annahmen liegen, nach welchen
eine volkreiche, seit dem Altertlium ununterbrochen mit grösseren
Niederlassungen verschiedenster Art bedeckte Küste auf Jahrhunderte
spurlos aus der Welt verschwunden sein soll. Diesen Punkt hebt
Niemand treffender hervor, als Goethe, welcher bereits im Jahre 18211
— zur Zeit, als die Versenkungstheorie Verbreitung zu finden begann
— in einem besonderen Aufsatze, „ein architektonisch-naturhistorisches
Problem“.5) die Unmöglichkeit dargelegt hat, dass Veränderungen von
solcher Intensität, wie sie mit einem Steigen des tyrrhenischen Meeres
um 20 Fuss hätten verknüpft sein müssen, selbst während der
dunkelsten Pfaffen- und Ititterzeit hätten unbeachtet bleiben können.
Man darf unbedingt hiuzufügen, dass diese Worte auch dann noch
ihre volle Berechtigung behalten, wenn man — wie dies Suess ver-
sucht — an Stelle eines allgemeinen Steigens des Meeresspiegels
eine Landsenkung setzen wollte, welche sich auf die nähere Umgebung
der Stadt Pozzuoli beschränkt hätte, da nächst Neapel gerade dieser
Ort der bedeutendste der ganzen Gegend ist und sein Verschwinden
selbst unter den Wirren der Völkerwanderung keinenfalls mit Schweigen
übergangen sein würde.
Wenn diese Auseinandersetzungen Goethes bei den damaligen
Geologen nicht die gebührende Beaohtung und Anerkennung fanden,
so liegt der Grund davon ohne Zweifel zu einem grossen Theil in der
mangelhaften Art und Weise, wie er das Vorkommen der Bohr-
muscheln (die er, wie dies früher oft geschah, irriger Weise als
*) Im 40. (letzten) Bande der Pottaschen Ausgabe von 1840, S. 114 ff.
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Pholaden bezeichnet) nun seinerseits zu erklären versucht. Er meint,
die Ruinen seien durch vulkanische Asche verschüttet, inmitten dieses
Aschenhaufens habe sich eine Stagnation süssen Wassers gebildet,
und diese sei die Veranlassung geworden, dass Meeresmuscheln sich
in so hohem Niveau ansiedeln konnten, denn der Salzgehalt des See-
wassers habe durch die Auslaugung von allerhand Salzen aus jenen
vulkanischen Aschen ersetzt werden können. Es liegt auf der Hand,
dass diese Erklärung, so scharfsinnig sie auf den ersten Blick zu sein
scheint, doch gekünstelt ist und Unmögliches voraussetzt; namentlich
möchte der Umstand gegen sie geltend gemacht werden können, dass
eine derartige Ansammlung angesalzenen Wassers, wenn sie längere
Zeit hindurch Zufluss erhielt, sehr bald ausgesiisst und für die Existenz
von Seemuscheln ungeeignet hätte worden müssen, während sie bei
mangelndem Zustrom frischen Wassers in ganz kurzer Zeit ausge-
trocknet sein müsste.
Ebensowenig befriedigend, wie diese Erklärung, darf unbedingt
wohl auch die Vermuthung genannt werden, dass die Säulen des
Serapeums früher schon einmal, und zwar im Meere, Verwendung ge-
funden hätten, bevor sie ihre jetzige Stelle erhielten. Ein solches
Vorfahren steht mit den sonstigen Gewohnheiten der Alten und mit dem
Luxus, den sie bei ihren grösseren Bauten zu entfalten liebten, in zu
schroffem Widerspruch, als dass man jene Annahme ernsthaft befür-
worten könnte.
Es bleibt also nichts Anderes übrig, als eine neue Antwort auf
die Krage zu suchen, wie denn ein solches Auftreten lebender Litho-
domen in einer Höhe von 6 m über dem Meeresspiegel während der
Römerzeit möglich war. Bei dieser Untersuchung aber springt uns
vor allen Dingen eine Thatsache in die Augen, welche sonderbarer
Weise noch fortwährend von sehr vielen — namentlich geologischen
— Schriftstellern unbeachtet gelassen wird, wiewohl sie archäologisch
über allem Zweifel feststeht, nämlich die, dass das sogenannte Serapeum
durchaus kein Tempel, weder des Jupiter Serapis noch irgend eines
anderen Gottes, gewesen sein kann.
Die Gründe, weshalb man überhaupt diese Bezeichnung für die
in Frage kommenden Ruinen wählte, sind entschieden der allerleicht-
fertigsten Art. Es ist nämlich in einem Dokument aus der Römerzeit
— aus dem Jahr 105 vor Christo — , in der viel genannten, auch
von E. Suess 1. c. S. 476 horangezogenen lex parieti faciundo, von
einem Serapis-Tempel die Rede, welcher im unteren Theile von Puteoli,
dem alten Pozzuoli, nahe am Meoresstrande lag. Als man nun um
die Mitte des vorigen Jahrhunderts die Ruinen bioslegte, von denen
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bis dahin nur die drei Säulen aus Schutt und Buschwerk emporgeragt
hatten, und in ihnen oder in der Nähe eine Büste des Jupiter Serapis
fand, da glaubte man — wie das in solchen Fällen zu geschehen
pflegt — sofort mit Sicherheit das in jenem alten Aktenstücke genannte
Bauwerk aufgefuuden zu haben. Es bedarf indessen nicht einmal
eines Hinweises auf den immerhin nicht unbeträchtlichen Zeitunterschied
— die Erbauung des hier in Frage kommenden Gebäudes ist etwa
zwei Jahrhunderte später zu setzen als jenes Dokument — , um darzu-
thun, wie voreilig ein solcher Schluss war, denn das Aussehen und
die Bauart der Ruinen lässt mit Bestimmtheit erkennen, dass hier ein
antiker Profanbau vorliegt. Was in dieser Beziehung namentlich
Beloch in einem archäologischen Werk über „Campanien“ (Berlin
1879) bemerkt, ist völlig überzeugend. Beloch legt dabei in ganz
richtiger Weise einen grossen Werth auf die Aehnlichkeit des so-
genannten Serapeums von Pozzuoli6) mit dem antiken Schlachthause,
dem Maccllum in Rom, dessen Bauart aus alten Münzen und Ab-
bildungen ziemlich vollständig bekannt ist. Hier wie dort findet sich ein
viereckiger Bau aus Zellen mit einem Iunenraum, dessen Seiten mit
einer Reihe von Säulen besetzt waren, hier wie dort ein nicht sehr
umfangreicher aber hoher, kuppeltragender Mittelbau. Was letzteren
anlangt, so muss er bei dem Gebäude in Pozzuoli mit besonderer
Sorgfalt hergestellt sein, da man bei der Ausgrabung um die Mitte
vorigen Jahrhunderts sechzehn unversehrte Säulenschäfte aus gelbem
Marmor im Schutte fand, die bei dem Bau einer Kapelle für das
Schloss von Caserta Verwendung fanden. Sie standen ohne Frage
auf einem gemauerten Rundbau in ziemlicher Höhe und stützten in
ähnlicher Weise, wie dies durch Abbildungen und Münzen für das
römische Macello nachgewiesen, eine Kuppel. Indessen geht dooh
Beloch augenscheinlich zu weit, wenn er aus solchen Aelmliclikeiten
mit Bestimmtheit folgern will, dass das sogenannte Serapeum von
Pozzuoli auch ein Maceilum gewesen sein müsse. Ein ähnlicher
Zweck genügte offenbar, um eine derartige Uebereinstimmung im all-
gemeinen Charakter der Bauwerke zu bedingen, und deshalb dürfen
wir aus letzterem zunächst nur die profane Natur des angeblichen
Serapis-Tempels folgern.
Um die eigentliche Bestimmung desselben genauer festzustellon,
müssen wir jedenfalls auf verschiedene Nebenumstände Rücksicht
nehmen, unter denen zuvörderst das bereits erwähnte Röhrensystem
6) Auch des sogenannten Serapeums von Pompeji, das man nur wegen
seiner Aehnlichkeit mit unseren Ruinen mit diesem Namen belegt hat.
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so
in «lein umgebenden üemiiuer in Betracht kommt. Unbedingt muss
dasselbe die Idee berrorrufen, dass es sich hier um die Füllung eines
grösseren Wasserbassins handelte, und dieser Umstand hat denn auch
— wohl in Verbindung mit der Nachbarschaft einer warmen Quelle
— die Verniuthung veranlasst, dass die Ruinen einer Badeanlage an-
gehört hätten. Indessen ist der Grundriss des Gebäudes hiermit durch-
aus nicht in Einklang zu bringen, und es möchte schwerlich eine
andere Annahme übrig bleiben, als die, dass es sich um einen Wasser-
behälter zu Tafelzwecken, für Austern oder Fische, um eine der bei
«len Römern so häufigen Piscinen handelt. Für diese Vermuthung
spricht denn auch in hohem Grade ein zweites Moment, nämlich die
Höhe, welche man für das Mosaikpflaster wählte. Wie schon bemerkt,
befindet sich dasselbe ungefähr im Niveau des Meeres, und das wat-
offenbar für einen Wasserbehälter, der zu Zeiten gereinigt werden
musste, eine sehr zweckmässige Einrichtung; man konnte stets ohne
Schwierigkeit nicht nur das Wasser aus dem Behälter, sondern auch einen
zum Ausspülen erforderlichen Wasstirstrom ins Meer abfliessen lassen.
Keine andere Bestimmung des Gebäudes giebt eine so einfache Er-
klärung für diese Lage des gepflasterten Bodens; die Annahme, als
ob ein Tempel vorläge, hat. wie ich schon oben andeutete, die merk-
würdigsten Folgerungen hinsichtlich einer Höhenveränderung schon
zur Römerzeit veranlasst, welche ebenso unhaltbar sind, wie die Hypo-
these von dem Versinken der ganzen Gegend während des Mittel-
alters. Wenn wir dagegen die Deutung unserer Ruinen als die einer
Piscina festhalten, so erklärt sich auf ebenso einfache Weise auch
noch ein amlerer Umstand, welcher sonst immerhin befremdlich er-
scheinen könnte, obgleich man auch ihn mit Hülfe der Hypothese einer
Laudsenkung in alten Zeiten hat beseitigen wollen, nämlich das Vor-
handensein eines älteren Mosaikpflasters etwa 1 1 /, m unter dem jetzigen.
Nimmt man an, dass die Anlage dieses tieferen Pflasters, welche
offenbar eine leichtere Füllung, aber eine um so schwierigere Ent-
leerung und Reinigung des Behälters zur Folge haben musste, sich
eben aus letzterem Grunde nicht bewährte, und dass mim sie deshalb
durch das Anbringen eines neuen Bodens in der ungefähren Höhe
des Meeresspiegels ersetzte, so ist jede Schwierigkeit gehoben. Vor
allen Dingen aber sind nun die Bohrungen der Lithodomen an den
Säulen so einfach wie nur möglich erklärt; denn eine Füllung «les
Innenraumes dieser Piscina mit Seewasser, welche man selbstverständ-
licher Weise für gewöhnlich auf einer nicht unbeträchtlichen Höhe
halten musste, gab von selbst alle Be«lingungen für die Existenz von
Seethieren in den ihnen zukommenden Höhenschichten der Piscina.
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So konnte denn auch die Ansiedelung der Bohrmuscheln an den
Säulen ganz von selbst in dem ihnen naturgemiissen Niveau zu stände
kommen, obwohl man sie an dieser Stelle gewiss nicht wünschte oder
gar absichtlich herbeiführte ; es ist sogar für das Zustandekommen jener
Bohrungen gleichgültig, ob man die Lithodomen überhaupt in dem
Bassin zu haben wünschte, oder ob sie oder ihre Larven nur zufällig
mit dem Seewasser hineingeriethen. Da diese Thiere sich ausschliess-
lich nahe der Oberfläche des Meeres aufhalten, so wird es auch ganz
von selbst verständlich, weshalb nur eine gewisse Zone der Säulen
angebohrt wurde, denn der Wasserstand in dem Behälter muss doch
in der Regel in einem bestimmten Niveau gehalten und nach jeder
Reinigung und vorübergehenden Kntleerung möglichst rasch wieder
hergestellt sein. So blieb nothwendiger Weise der untere Theil der
Säulen frei von Bohrlöchern, denn in grösserer Tiefe fanden diese
Thiere ihre Lebensbedingungen nicht mehr. Gerade dieser L’mstand
aber würde bei der Annahme einer allmählichen Versenkung des
Gebäudes unter den Meeresspiegel völlig unerklärt bleiben, denn wie
wäre es möglich gewesen, dass alsdann die Lithodomen von Anfang
an nicht schon die Säulenschäfte angebohrt haben sollten, welche
unter den obwaltenden Umständen weder von Schlamm hätten bedeckt
sein können, noch auch so rasch unterzusinken vermochten, um eine
Ansiedelung der Bohrmuschel auszuschliessen?
Das Vorhandensein eines solchen antiken Seewasserbehälters im
unteren Theile von Pozzuoli hat nun aber ohne Frage nichts Be-
fremdendes. Dass solohe Piscinen überhaupt für die Römer etwas
Alltägliches waren, erhellt aus den zahlreichen Ruinen derselben, die
man in der ganzen Umgegend findet, und nimmt man dazu die
Ostrearien oder Austernbehälter an der Küste, deren Vorhandensein
durch antike Abbildungen verbürgt ist, so möchte nicht zu bezweifeln
sein, dass die Bedingungen für eine derartige Anlage hier in besonders
hohem Masse vorhanden waren. Die Römer machten freilich von
allen diesen Dingen nicht viel Aufhebens, so dass weder die gross-
artigen Piscinen, die sogenannten Labyrinthe, im oberen Theile von
Pozzuoli, in der Nachbarschaft des Amphitheaters, noch auch die be-
rühmte Piscine von Miseno in ihren Schriften, so weit sie uns er-
halten sind, erwähnt werden. Andererseits aber kann uns ein grösseres
Seewasserbassin fiir Fische und Muschelthiere gerade an der Stelle,
wo die Ruinen des sogenannten Scrapeums liegen, nicht im mindesten
überraschen; wenn man berücksichtigt, dass die in der oberen Stadl,
in der Nähe des Circus belegenen Piscinen ohne allen Zweifel für
Süsswasserfische bestimmt waren, so bildet das Reservoir für Seethiore
Himmel und Erde. HÖR. II. 7
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in der Nähe des Meeresstrandes ganz naturgeinäss eine Ergänzung
dieser Anlagen, welche hei der Lebensweise der alten Römer geradezu
als geboten erscheint.
So gelangen wir, wenn wir nur den Irrthum abgostreift haben,
als müsse hier ein Tempel vorliegen, ganz von selbst zu einer ein-
fachen und sachgemnssen Erklärung des Vorkommens der Lithodomen
an den drei alten Säulen von Pozzuoli, zu deren Rechtfertigung kaum
noch ein Wort hinzuzufügen sein möchte, während jede andere Deutung
dieses Vorkommens die unnatürlichsten Annahmen zur Folge hatte.
Der wesentlichste Gewinn jener neuen Erklärung möchte jedenfalls
der sein, dass sie die Geologie von einer unnatürlichen Behauptung
befreit, welche zu allen wohlbegründeten Thatsachen und Gesetzen
in offenbarem Gegensätze steht, deren grosse Verbreitung in den Lehr-
büchern daher als ein empfindlicher Schaden für diese Wissenschaft
bezeichnet werden muss.
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Ueber die beobachteten Erscheinungen auf der
Oberfläche des Planeten Mars.
Von
Prof. J. V. Schiaparelli,
Direktor der kdnigt. Sternwarte xu Mailand.*)
(Fortsetzung.)
1V'
•*. ZY.iif der dem ersten Hefte beigelegten Tafel I erkennt man, dass der
1 ' ; grosse Meerbusen, welcher unter dem Aequator des Planeten in der
Umgebung des 290. Längengrades gelegen ist, sich gegen Norden
hin bis über den 45. Parallelkreis hinweg durch ein langes Anhängsel,
die Nilosyrtis, verlängert. Es isl ein gewöhnlich sehr dunkler Streifen,
der sogar (möglicherweise infolge einer Contrastwirkung, welche die
umgebenden leuchtenden Gebiete hervorrufen) zuweilen ganz schwarz
erscheint. Seine Breite beträgt etwa 4* bis 5° (1° = 60 km.) und scheint
in seinem nördlichen Theile vom 20. Grade nördlicher Breite beginnend,
völlig die gleiche zu bleiben. Seine Ränder sind scharf begrenzt und in
ganz regelmässiger Weise gekrümmt. Sie haben zwar den Anschein,
als ob sie sehr fein ausgezackt seien, aber es ist mir doch niemals
gelungen, diese vermutheten Zacken wirklich einzeln zu sehen. Wenn
inan nun die dunklen Flecke auf dem Planeten Meere nennt, so muss
man füglich eine wie oben beschriebene Gestaltung als einen Kanal
bezeichnen; wir wählen diesen Namen unter der in unsertn voran-
gegangenen Artikel ausgesprochenen Reserve, ohne uns über die
wahre Natur dieser Gegenstände auszusprechen. Die Nilosyrtis ist
nicht der einzige Kanal auf dem Mars, aber der bei weitem grösste
und am leichtesten sichtbare unter ihnen. Man findet ihn deshalb
bereits in den Zeichnungen von Schröter®) verzeichnet, während er
*) Aus dom Originaltext« übersetzt durch die Redaktion und revidirt
vom Verfasser.
"I Areographische Beiträge, herausgegeben von H. G. van de
Sande Hakhuyzen, Leipzig 188t. Man betracht« beispielsweise die Zeichnung
No. 10Ö (20. November 1 TOS).
7*
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iu den letzten dreissig Jahren von einer grossen Zahl von Beobachtern
gesehen worden ist. Im Jahre 1858 erkannten Secchi und Dawes
das Vorhandensein anderer ähnlicher Bildungen mit mehr oder weniger
Sicherheit, während deren Zahl sich in letzter Zeit in unerwarteter
Weise vermehrt hat. Heute kann man nicht mehr daran zweifeln, dass
diese Kanäle alle contiuentalen Regionen des Planeten mit einem sehr
complicirten Netzgewebe überziehen.
Der Planiglobus I. im ersten Hefte dieser Zeitschrift stellt eine
schematische Uebersichtskarte dieses Netzes dar und enthält nahezu
alle Kanäle, deren Existenz ich mit Sicherheit durch die Beobachtungen
während der sechs Oppositionen des Planeten zwischen 1877 und 1888
nachweisen konnte. Durch das Wort .schematisch“ will ich andeuten,
dass die Linien oder Streifen des Netzes auf der Karte so gezogen
sind, dass sie ungefähre Iiinge und Richtung aller dieser Kanäle, ihre
Lagenverhältnisse zu einander und die Formen der vieleckigen Ge-
bilde angeben, welche durch diese Linien begrenzt sind, ohne jedoch
auf die Niiancirung der Karbe oder der Helligkeit, ihre Breite (mit
Ausnahme der ungewöhnlich breiten Nilosyrtis) oder endlich ihre
mehr oder weniger bestimmte Begrenzung an den beiden Rändern
und ihre Verdoppelung Rücksicht zu nehmen, welche letztere bei vielen
derselben zu bestimmten Epochen stattfindet. In Wirklichkeit sind
diese Sichlbarkeitsumstünde, die Breite und die Form der Kanäle von
einer Opposition zur andern, und selbst von einer Woche zur andern
während derselben Opposition, mehr oder weniger veränderlich. Und
zwar sind diese Veränderungen nicht gleichzeitig für alle Kanäle,
sondern können in derselben Region und zu derselben Epoche von
einem zum benachbarten Kanal sehr verschieden auftreten. Daraus
folgt, dass man wohl eine Darstellung dieser Kanäle für einen be-
stimmten Zeitpunkt, aber unmöglicherweise eine Karte derselben geben
kann, welche für alle Zeiten gilt Man darf deshalb nicht erwarten,
dass der wirkliche Anblick der Kanäle des Mars der Wiedergabe auf
unserer Tafel I. genau oder auch nur ungefähr gleiche; denn solche
Aehulichkeit ist weder in absoluter Weise noch für eine etwas längere
Zeitspanne möglich. Jeder Kanal bezeichnet deshalb auf unserer
Karte nur eine Linie oder vielmehr einen schmalen Streifen, auf
welchem sich zu gewissen Zeiten jene verschiedenen Erscheinungen
entwickeln können, welche sich auf einen bestimmten Kanal des
Planeten beziehen. Man sieht also, dass diese Karte, soweit sie sich
auf die Kanäle bezieht, nur eine Art von topographischem Index ab-
geben soll, welcher für das Verständnis» und die Hinweisung auf die
sehr zahlreichen und sehr veränderlichen Details nöthig ist, die man
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jeden Augenblick in den verschiedensten Gebieten wahrnimmt. Eine
solche Darstellung kann deshalb nicht zur Beschreibung des physischen
Anblicks der Kanäle dienen, aber sie genügt vollständig, uns die geo-
metrischen und topographischen Eigenthümlichkeiten dieses Netzes
und der Elemente, welche es zusammensetzen, zu zeigen.
Mau erkennt zunächst, dass die meisten Kanäle ungefähr in Thei-
len grösster Kreise auf der Oberfläche des Planeten verlaufen, von
welcher Hegel es jedoch Ausnahmen giebt, wie bei dem Phasis, dem
Simois, Gehon, Indus, dor Boreosyrtis und ganz besonders bei
der Nilosvrtis hervortritt
Ferner bemerkt man noch eine andere Eigenthümlichkeit, die
völlig allgemein auftritt: Jeder Kanal mündet an seinen beiden Enden
entweder in ein Meer oder in einen See, oder auch in einen anderen
Kanal oder schliesslich in eine Kreuzung mehrerer derselben. Ich
erinnere mich nicht, jemals eine dieser Linien plötzlich inmitten eines
continentalen Gebietes abgebrochen beobachtet zu haben, so dass sie
einen isolirten Zweig ohne weitere Verbindung bildete. Diese That-
sache ist von der grössten Wichtigkeit für die Erkenntniss der
Natur dieser Gebilde.
Die Kanäle können einander unter allen möglichen Winkeln
schneiden. Es giebt auf dem Planeten mehrere Stellen, wo sich drei,
vier, selbst sechs und sieben derselben auf einem engen Raume treffen;
dieser letztere ist dann gewöhnlich durch eine dunklere Stelle ausge-
zeichnet, durch einen See, dessen Ausdehnung und Aussehen zwischen
gewissen Grenzen variiren können. Ein besonders ausgezeichneter
Knotenpunkt dieser Art ist der Laous Phoeniois (Länge 108°, süd-
liche Breite 16°), welcher durch das Zusammentreffen von sieben
Kanälen, dem Agathodaemon, Eosphoros, Phasis, Araxes,
Eumenides, Pyri phlegethon und Iris, gebildet wird, so dass
dieselben von jenem See in ziemlich regelmässiger Sternform aus-
strahlen. Ein anderer etwas weniger regelmässiger Knotenpunkt,
Trivium Charontis genannt (unter 195° Länge und 17° nördlicher
Breite gelegen), entsteht durch die mehr oder weniger centrale Be-
gegnung des Cerberus, Laestrygon, Tartarus, Orcus, Erebus,
Hades und Styx. In den Laous Ismenius (335° Länge und 40°
nördlicher Breite) münden der Euphrates und seine nördliche Ver-
längerung, ferner der Protonilus, der Deuteronilus, Astaboras,
Hiddekel und Jordanis. Man kann endlich noch mehrere andere
ähnliche Beispiele auf der Karte bezeichnen, wie die Propontis, den
Lacus Niliacus, den Lacus Tithonius, den Lacus Luna« und
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den Nodus Gordii, welcher letztere der ausgedehnteste aber zugleich
der am wenigsten deutliche unter diesen Knotenpunkten ist.
Weiter zeigt das Studium der Karte, dass die Länge der Kanäle
sehr verschieden sein kann; einige derselben sind kaum mehr als
10° bis 15° lang (Xanthus, Scamander, Eosphoros, Nectar,
Ambrosia, Issedon). Andere hingegen dehnen sich ohne jede Un-
regelmässigkeit längs einer Linie aus, die oft den vierten Theil des
ganzen Planetenumfanges einnimmt; zu diesen gehört der Euphrates,
der sich mit seiner nördlichen Verlängerung vom Aequator bis bei-
nahe zum Nordpol erstreckt, und der Erebus- Acheron, welcher
mindestens 90° umfasst: ja, wenn man einerseits den Dardanus,
andererseits den Cerberus als dessen Verlängerungen ansieht, welche
sich in der That ohne merkliche Unstetigkeit ihm anschliessen, so
bilden diese zusammen eine Linie von mehr als IGO" Ausdehnung,
vom Lacus Niliacus bis zum Mare Cimmerium.
Die grosse Gleichförmigkeit und die Zusammensetzung dioses
Kanalsystems ist so seltsam und überraschend, dass man unwillkürlich
dazu gedrängt wird, in der Vertheilung dieser Linien irgend ein ein-
faches Gesetz zu suchen, ähnlich so wie Elie de Beaumont ehemals
den Verlauf der grossen Gebirgszüge der Erde seinem berühmten
pentagonalen Liniensysteme glaubte unterordnen zu können. Ich bin
jedoch der Meinung, dass eine solche Untersuchung gegenwärtig noch
wenig Aussicht auf Erfolg haben würde, um so mehr als man nicht
vergessen darf, dass unsere zu Grunde liegende Skizze zu solchem
Zwecke durchaus noch nicht genau und vollständig genug sein würde.
Ich will es im Folgenden versuchen die verschiedenen physischen
Zustände, unter welchen ein beliebiger Kanal auf dem Planeten er-
scheinen kann, ganz allgemein zu charakterisiren.
a) Ein Kanal kann längere oder kürzere Zeit unsichtbar sein;
w'ozu bemerkt werden muss, dass es sich dabei nioht um die Un-
sichtbarkeit wegen ungünstiger Beobachtungsumstände, sondern um
eine wirkliche L’nsichtbarkeit handelt, welche auch bei solchen Fern-
rohrbildern bestehen bleibt, die denselben Kanal zu anderen Zeiten
genügend gut gezeigt haben würden. Ferner sind bei dieser Frage
des Unsichtbarwerdens die optischen Mittel in Betracht zu ziehen,
über die ich bei diesen Untersuchungen verfügen konnte;9) die Mög-
ft) Während der Oppositionen von 1877, 1879 — 80, 1881 — 8*2 und 1884
wurde ein Merzscher Refraktor von 8 Zoll Oeffnung, während der Opposition
von 1888 ein solcher von 18 Zoll von demselben Verfertiger angewendot. Die
Opposition von 1880 wurde thcils mit dem einen theils mit dem andern In-
strumente beobachtet, welche beide wohl zu den vorzüglichsten unter den
existirenden Instrumenten von gleichen Dimensionen zu zählen sind.
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89
lichkeit ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass man diese selben Ob-
jekte [trotzdem noch mit kräftigeren Instrumenten sehen kann. Hier
ein besonders auffälliges Beispiel einer solchen Unsichtbarkeit. Während
der beiden Abende des 2. und 4. Oktober 1877 bei ganz vorzüglicher
Luft und einem Durchmesser des Planeten von 21" war das Land-
gebiet zwischen dem Margaritifer Sinus und dem Aurorae Sinus
völlig hellleuchtend und durch keinen Kanal oder irgend eine Spur
von Flecken unterbrochen. Von Indus, Hydaspes, Jamuna, Hy-
draotes war keine Spur zu sehen. Dieser selbe Zustand blieb noch bis
zum 7. November bei einem Durchmesser des Planeten von 15" bestehen.
Vier Monate später, am 24. — 26. Februar 1878, war der Indus leicht
sichtbar, nachdem sich die scheinbare Planetenscheibe bis auf 5".7
verkleinert hatte.10) Während der Opposition von 1879 blieb der
Indus immer zweifellos sichtbar; am 21. Oktober (bei 19" scheinbarem
Durchmesser) erschien der Hydaspes zum ersten Male, und am 27. No-
vember (17".ö Durchmesser) bemerkte ich zuerst die Jamuna, immer in
derselben Region. Am 28. November waren alle drei, Indus, Hy-
daspes und Jamuna breit, schwarz und auf den ersten Blick zu er-
kennen. DerHydraotes wurde 1882 entdeckt, bei einem scheinbaren
Durchmesser von 14". Alle diese Kanäle sind mehr oder weniger
während aller folgenden Oppositionen des Planeten sichtbar geblieben;
doch sind letzthin (1888) der Indus und Hydaspes wieder sehr
schwierig geworden. — Um den Leser nicht durch Aufzählung weiterer
Beispiele zu ermüden, mag es hier als bewiesen gelten, dass die Kanäle
des Mars zu bestimmten Epochen unsichtbar werden können, und ich
will dem noch mit aller Reserve hinzufügen, dass nach meinen Be-
obachtungen diese Epoche des leichtesten Unsichtbarwerdens die des
südlichen Solstizes des Planeten11) zu sein scheint: eine Meinung,
welche durch künftige unter günstigeren Umständen und mit kräftigeren
Instrumenten anzustellende Beobachtungen zu bestätigen sein wird.
b) In vielen Fällen machte sich die Gegenwart eines Kanals
dem Auge in sehr unbestimmter Weise durch einen leichten Schatten
,0) Für unsere weniger ein geweihten Leser erlauben wir uns hier einzu-
schalten, dass durch die wechselnde Entfernung des Mars von uns sein schein-
barer Durchmesser solchen Schwankungen unterworfen ist, wie hier namentlich
deswegen angegeben wurde, um ‘zu zeigen, dass gerade während alles Detail
auf dem Planeten durch seine wachsende Entfernung sich allmählich verkleinerte
und folglich schwerer sichtbar wurde, dagegen jene neuen interessanten Details
ganz unerwartet erschienen, die ehedem unter weit günstigeren Verhältnissen
unsichtbar geblieben waren. Anm. d. Red.
'*) Wenn also die Sonne am höchsten über der südlichen Halbkugel
des Mars, unserm Wintersanfang entsprechend, Bteht Anm. d. Red.
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«0
bemorklicli, welcher eich unregelmässig längs desselben hinerstreck tc.
Dieser Zustand ist schwer genau zu beschreiben; er bildet in gewissem
Sinne die Grenze zwischen der Sichtbarkeit und der Unsichtbarkeit
des betreffenden Objektes. Manchmal habe ich wahrzunehmen ge-
glaubt, dass diese Schatten eigentlich nur infolge einer Verdunkelung
der riithlichen Farbe der umgebenden I-anddistrikte entstehen, welche
Verdunkelung zuerst nur gering ist und sich deshalb nur wegen ihrer
ziemlich bedeutenden Breitonausdehnung bemerkbar macht, deren
Grösse oder Grenzen man jedoch nicht angeben könnte. Bei anderen
Gelegenheiten erschien dagegen ein grauer, verwaschener Streifen,
wie eine leichte, langgestreckte Wolke. Durch die eine oder die
andere dieser unbestimmten Formen habe ich im Jahre 1877 zuerst
die Existenz des Fhison (4. Oktober), Ambrosia (22. September),
Cyclo ps (15. September), Eunostos (20. Oktober) und vieler anderer
Kanäle erkannt und ähnliche Beispiele wären auch aus den folgenden
Oppositionen aufzuweisen.
c) Sehr oft haben die Kanäle das Aussehen eines grauen an
beiden Seiten verwaschenen Streifens, welcher in der Mitte ein
mehr oder weniger scharf ausgesprochenes Maximum der Dunkelheit
darbietet. Dieser Zustand kann variiren, je nachdem dieses centrale
Maximum vorherrscht oder die nebelhafte Umgebung zu beiden
Seiten, und zwar sowohl in Bezug auf die Breite wie die In-
tensität. Die so geformten Streifen sind gewöhnlich ziemlich regel-
mässig, ohne dass jedoch gewisse Anomalien in der Breite und der
Tiefe dos Schattens ausgeschlossen wären, welche die Kraft des ange-
wandten Fernrohrs gewöhnlich wohl muthmassen, selten aber mit
Sicherheit nachweisen kann. Eine zu beiden Seiten verschiedene
Struktur ist sehr selten; dieser Fall ist unzweifelhaft nur am JO. Ja-
nuar 1882 beim Gehon konstatirt, dessen linke Seite15) allein nur
verwaschen war, während die andere scharf begrenzt erschien;
fomer auch noch beim Euphrates am 19. desselben Monats, der
sich nebelhaft links und scharf begrenzt rechts zeigte. Im Jahre
1879 besassen mehrere Kanäle ihrer Länge nach eine ungleiche
Struktur, welche nach und nach von einem Ende zum andern
wechselte; Laestrygon, Tartarus, Titan, Gigas, Gorgon,
Sirenius waren schmal, schwarz und scharf begrenzt an ihrem süd-
lichen Endo, welches in das Mare Ciminerium oder in das Mare
Sirenum mündet; indem sie dagegen weiter nach Norden in das
,a) Das Bild ist immer umgekehrt zu denken, wie man cs im astrono-
mischen Fernrohr sicht und wie es auch die Karte zeigt.
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91
Landgebiet cindringen, erweiterten sie sich zu einer Art von Kometen-
schweif und endeten auf ihrem nördlichen Endpunkte als breiter, schlecht
begrenzter Schatten. Im selben Jahre verliess der Astapus die Nilo-
syrtis sehr schmal und scharf begrenzt. Er verbreiterte sich darauf
bedeutend und verlor sich dann in der Nähe des Alcyonius als
ausgedehnter und sehr leichter Schatten. Namentlich infolge solcher
Ungleichheiten in den umgebenden Kanälen nimmt das helle Gebiet,
welches Elysium benannt wurde, oft eine kreisförmige Gestalt an,
obgleich diese Kanäle, als geometrische Linien betrachtet, einen pen-
tagonalen Kaum einschliessen.
d) Der vollkommene Typus der Kanäle, wie ich ihn als Ausdruck
ihres normalen Zustandes betrachte, ist eine dunkle, manchmal völlig
schwarze, scharf begrenzte Linie, welche wie mit der Feder auf
die gelbe Oberfläche des Planeten gezogen zu sein scheint. Das
Aussehen der Kanäle in dieser Phase ihrer Existenz ist mit sehr
wenig Ausnahmen völlig gleichförmig auf ihrer ganzen Länge; ihr all-
gemeiner Lauf ist regelmässig und während seltener Gelegenheiten,
welche mir gestatteten die beiden Ränder doutlich getrennt wahrzu-
nehmen, habe ich daran sehr kleine Krümmungen oder Zacken be-
merkt. Dieser Fall zeigte sich 1879 bei Euphrates und Triton
und beim Ganges 1888. Jeder Rand ist im übrigen scharf gezogen,
ebenso scharf wie die Ränder der Continente gegen die Meere. I3) Die
Breite der Kanäle untereinander ist sehr verschieden. Die Nilosyrtis
erreicht oder übersteigt selbst 5° (300 Kilometer), während andere
Kanäle wie der Galaxias, Issedon, Anubis und Erinnys im
Jahre 1882, der Aethiops im Jahre 1888 zu blossen Linien ohne
bemerkliche Breite zusammenschrumpften, demnach also wahrschein-
lich kaum mehr als 1° (60 Kilometer) breit sind. Diese Breite ist mit
sehr wenigen Ausnahmen gleichförmig, doch waren Jamuna und
Iris im Jahre 1879, Hades und Athyr 1882 und endlich Nilokeras
1886 sichere Beispiele von Kanälen, welche an einem Ende breiter
waren als am andern.
Die Breite desselben Kanals kann mit der Zeit zwischen sehr
verschiedenen Grenzen wechseln; von einem kaum bei den besten
atmosphärischen Umständen sichtbaren Faden bis zum breiten schwar-
,s) Diese scharfe Begrenzung zwischen den Continenten und den Meeren
des Mare wird von einigen Beobachtern völlig geleugnet. Ein Blick auf den
Planeten, so wie ihn unsere beiden Refractoren in Mailand zeigen, würde ge-
nügen, um ihre Zweifel zu vertreiben. Jedoch sind hiervon jene Regionen,
deren Natur zwischen denen der Meere und Continente schwankt , ausge-
nommen. Man sehe deswegen unsern Artikel II.
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92
zen, auf den ersten Blick sichtbaren Streifen. Hierfür liefert die
Entwickelungsgeschichte des Simois ein merkwürdiges Beispiel. Im
September 1877 war derselbe unsichtbar, stellte sich im Oktober als
eine ungemein feine Linie dar, während er dagegen 1879 schwarz und
breit genug erschien, um zu den bedeutenderen Kanälen gezählt zu
werden. Zu Anfang Januar 1879 war der Simois fast ebenso breit
und schwarz wie die Nilosyrtis (geschätzte Breite 4°). Zu gleicher
Zeit erschien zur Hechten des Simois der mit Askanius bezeichnete
Kanal, und der Abschnitt des continentalen Gebietes, welcher zwischen
Askanius und Simois liegt (siehe die Karte), nahm zugleich eine
viel dunklere Färbung an als die benachbarten Kegionen. Unglück-
licherweise konnte dieser Theil des Planeten während der folgenden
Oppositionen nicht mehr gut beobachtet werden, da seine Lage zu
südlich wurde und er dem Planetenrande zu nahe rückte.
Einen ganz ähnlichen Fall bot der Triton dar, von dem ich
1877 nur die rechte Hälfte zwischen dem Lethes und dem Nepenthes
sehen konnte. In den folgenden Oppositionen konnte man ihn mehr
oder weniger leicht auf seinem ganzen Verlaufe vom Nepenthes bis
zum Mare Cimmerium verfolgen. Letzthin, im Mai 1888, wurde er
dagegen ausserge wohnlich breit und bildete eine ausgedehnte Meerenge.
Sehr bemerkenswert!! war es ferner, wie zugleich die Syrtis Parva
sich erheblich verbreiterte auf Kosten der Libya, während diese
letztere sich stark verdunkelte, wie ich bereits weiter oben ausein-
andergesetzt habe. Diese Gleichzeitigkeit der Verbreiterung des Simois
und Triton mit der Verdunkelung einer ausgedehnten benachbarten
Region ist wahrscheinlich kein blosser Zufall. Es ist überhaupt an-
zunehmen, dass alle Kanäle des Planeten ähnlichen Veränderungen
unterworfen sind. Die N ilosyrtis selbst schien mir 1882 ein Maximum
ihrer Breite, 1886 ein Minimum derselben zu besitzen; aber der LTnter-
schied zwischen beiden war in diesem Falle nicht sehr bedeutend. Wir
wissen auch durch Beobachtungen von Dawes und Secchi, dass in
den Jahron 1864 und 1858 der Ilydaspes einer der sichtbarsten
Kanäle war, was während der Zeit meiner Beobachtungen von 1877 bis
1888 nicht mehr der Fall gewesen ist. Auch Herr van de Sande
Backhuyzen erkannte in den Zeichnungen Schröters das Vorhanden-
sein grosser dunkler Flecke, welche in unseren Tagen nicht wieder-
gesehen und wahrscheinlich durch Phänomene derselben Art hervor-
gerufen worden sind.
Eine ähnliche Thatsache ist auch in grossem Massstabe in der
Umgebung des Nordpols während der Oppositionen von 1884 — 1886
hervorgetreten. Rings um die weisse Polarcalotte herum waren die
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Kanäle sehr schwarz und breit geworden, während gleichzeitig die
zwischenliegenden Strecken sich verdunkelt hatten. Wenn dann das
teleskopische Bild nicht genügend deutlich war, so entstand durch die
Vermischung all dieser Details eine graue, die weisse Polarcalotte um-
schliessende Zone und es ist wahrscheinlich, dass eine ähnliche Be-
obachtung zu der Voraussetzung eines nördlichen Polarmeores Anlass
gegeben hat, welches nicht existirt.
Die Breiten- und Dunkelheits-Aenderungen eines scharf gezogenen
Kanals umfassen gleichzeitig seine ganze Länge. Wenn derselbe je-
doch durch die Kreuzung mit anderen Kanälen in mehrere Theile zer-
fällt, so kann es sich ereignen, dass die für jede Abtheilung gleiche
Breite und Intensität von einer zur andern Abtheilung verschieden ist.
Wir haben schon mitgetheilt, dass der Triton im Jahre 1877 nur zur
rechten des Lethes sichtbar, dagegen unsichtbar war in der Abtheilung
zwischen dem Lethes und dem Mare Ciminerium. Im Jahre 1879 war
der Phison sehr schwarz innerhalb seines nördlichen Theiles zwischen
der Nilosyrtis und dem Astaboras, während er in seinem süd-
lichen Theile zwischen Astaboras und dem Sinus Sabaeus viel
weniger deutlich war. Im Jahre 1882 erschien der Hydraotes sehr
fein in seiner Abtheilung links von der Jamuna, dagegen breit und
gut sichtbar (sogar doppelt) auf der rechten Seite desselben Kanals. In
solchem Falle findet der Wechsel der Breite und der Intensität von einer
Abtheilungzur andern sprungweise statt ohne merklichen Uebergang,und
jede Abtheilung bleibt dann gleichförmig auf ihrer ganzen Ausdehnung.
V.
Wir wollen nun die letzte und merkwürdigste Veränderung der
Kanäle des Mars betrachten, durch welche die Verdoppelungen entstehen.
Diese Erscheinungen sind wahrlich geeignet dem Aufschwünge unserer
Einbildungskraft Zügel anzulegen, wenn dieselbe es versuchen will beim
Studium der physischen Natur des Mais nach Vergleichen mit That-
sachen zu suchen, die wir auf der Erde wahrnehmen. Ein beliebiger
Kanal wurde unter einer der vorhin beschriebenen Formen oder auch
nach einander unter verschiedenen derselben beobachtet; wenige Tage
(oder vielleicht Stunden) darauf zeigt er sich nach einem Umformungs-
prozesse, dessen Details uns bis jetzt nicht aufgedeckt wurden, plötzlich
doppelt, also aus zwei sehr nahe beieinander befindlichen Streifen zu-
sammengesetzt, die gewöhnlich gleichförmig und parallel laufen;
leichte Divergenzen oder Verschiedenheiten der Dicke sind ziemlich
selten. In vielen Fällen konnte man durch eine genaue Ver-
gleichung mit den umgebenden Details nach weisen, dass einer der
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beiden Streifen genau oder doch ungefähr die Stelle des früheren
einfachen Kanals behauptet hat. Doch habe ich mich letzthin (1H88)
überzeugen können, dass diese Hegel nicht allgemein ist, dass also
in einzelnen Fällen weder die eine noch die andere der neuen
Bildungen mit dem alten Kanäle coineidirt. Die Uebereinstimmung der
Ilauptrichtung und der Lage ist dann nur eine beiläufige: jede Spur
des alten Kanals verschwindet, um den beiden neuen Linien Platz zu
machen.
Die Entfernung zwischen den beiden parallelen Linien ist von
einer zur andern Verdoppelung sehr verschieden; die obere Grenze
kann auf 10" oder 12°, bei gewissen, sehr langen und unbestimmten
Verdoppelungen selbst auf 15* geschätzt werden, wie es beispielsweise
beim Titan 1882 und beim Gigas 1884 geschah. Was die untere
Grenze betrifft, so kann dieselbe natürlich nur mit Bezug auf die
Kraft des angewandten Fernrohrs und die Beobaehtungsumstiinde
bestimmt werden. 1888 waren Protonilus und Callirrhöe, mit
einem Zwischenraum von höchstens 3°, trennbar. Oft kann man jedoch
nur aus dem eigenthümlichen Aussehen einer Linie muthmassen. dass
sie doppelt ist, ohne jedoch die beiden sie zusammensetzenden Linien
wegen ihrer sehr geringen Entfernung von einander trennen zu können.
Die Verdoppelung einer Linie kann deshalb selbst einem aufmerk-
samen Beobachter leicht entgehen, wenn die beiden Linien zu schwach
und einander zu nahe sind.
Die gewöhnlich gleichförmige und gleiche Breite der beiden
Streifen ist jedoch von einer Verdoppelung zur andern sehr verschieden
und variirt von einer kaum wahrnehmbaren Linie bis zu einer Aus-
dehnung von ungefähr 3°; das Verhültniss dieser Breite der Streifen
zu dem leuchtenden Zwischenräume, weloher sie trennt, ist aus diesem
Grunde sehr verschieden. Gewöhnlich ist der Zwischenraum breiter
als jeder der Streifen; manchmal war er denselben gleich und selbst
schmäler, hauptsächlich wenn die Streifen sehr breit waren.
Die Farbe beider Streifen ist immer die gleiche, sowohl was
ihre Art, als ihre Intensität betrifft; doch zeigt sie erhebliche Ver-
schiedenheiten von einer zur andern Verdoppelung. Bei den aus
sehr schmalen Linien gebildeten Verdoppelungen ist sie gewöhnlich
schwarz oder doch dunkel: die breiteren Streifen sind dagegen selten
schwarz oder braun (einen bemerkenswerthen Fall bot die Ver-
doppelung des Cyclops von 1882 dar, die so kräftig und bestimmt
hervortrat, dass sie sonst auf der Plauetenscheibe beispiellos dastand),
sondern vielmehr von einem mehr oder weniger dunklen Ziegelroth.
Einige Streifen waren so blass, dass man ihre Gegenwart kaum auf
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dem gelben Grunde des Planeten nach weisen konnte, trotzdem sie die
beträchtliche Breite von mehreren Graden besassen. ln mehreren
Fällen habe ich gesehen, dass an der Stelle, wo solch ein blasser
Streifen von einem andern Kanäle durchschnitten wurde, eine merk-
liche Verstärkung der Färbung entstand. Es scheint mir, dass bei
allen doppelten Kanälen die Art der Farbe dieselbe ist und dass die
beobachteten Verschiedenheiten nur der Intensität der Färbung zuzu-
schreiben sind.
Wenn ein doppelter Kanal durch einen andern in zwei Ab-
theilungen geschnitten wird und einer der Streifen breiter und heller
auf einer Seite des Schnittpunktes ist als auf der andern, so ist es
der andere verdoppelnde Streifen auch, wie es die folgende Figur
zeigt. Dies zeigte der Antaeus-Eunostos
im Jahre 1882 und Euphrates 1888.
Wenn einerderseiben sehr dünn und schwer
sichtbar auf einer Seite des Schnittpunktes
ist, so wird der andere auch sehr dünn
und schwer sichtbar sein und in diesem
Falle kann es sich ereignen, dass einer
derselben völlig fehlt oder unsichtbar bleibt.
Dann tritt das Beispiel eines Kanales auf, welcher in der einen Ab-
teilung seines Laufes doppelt, in der andern einfach ist. Cerberus,
Hydraotes und Acheron befanden sich 1882 in diesem Falle.
Oft sind die beiden Linien, die sich sonst regolmässig und mit
völlig parallelen Axen darstellen, von einer Art Halbschatten einge-
hüllt, wie 1882 der Cerberus und 1888 der Ilebrus. Aber in den
bei weitem meisten Fällen sind die beiden Linien mit absoluter, völlig
geometrischer Regelmässigkeit gezogen; die Gleichförmigkeit der Breite,
der Farbe und des Zwischenraumes ist vollkommen. Ihr Studium bei
ausgezeichneten Umständen mit 322 bis 650fachor Vorgrösserung hat
nicht die kleinste Unregelmässigkeit, selbst keine Spur derselben auf-
gedeckt: alles scheint mit Lineal und Zirkel gezogen. So zeigten sich
u. A. 1882 Cyclops, Euphrates, Phison, Jamuua, Hephaestus;
1886 Ilydraotes; 1888 Euphrates, Phison, Astaboras, Proto-
nilus, Callirrhüe. Wenn einige Unregelmässigkeit in dem einfachen
Kanäle vorhanden war, so verschwindet sie vollständig nach der Ver-
doppelung. Deutlich gekrümmte Kanäle haben sogar völlig gerade
Verdoppelungen hervorgerufen, wie die Jamuna im Jahre 1882 und
die Boreo-Syrtis 1888. Es ist mit einem Worte eine ausgesprochene
Neigung zur vollkommensten Gleichförmigkeit und zur Unterdrückung
jedes unregelmässigen Elementes vorhanden.
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Das Aussehen einer Verdoppelung kann mit der Zeit wechseln.
Im Jahre 1882 zeigten die beiden Streifen des Euphrates nach Norden
hin eine deutliche Convergenz. Einer derselben verlief nahezu in der
Richtung eines Meridians des Planeten; 1888 jedoch waren beide
Streifen völlig gleich weit von einander entfernt auf ihrer ganzen
Ausdehnung zwischen dem Sinus Sabaeus und dem Lacus Isme-
nius; sie bildeten in ihrer Mitte ungefähr einen Winkel von 8° oder
10° mit dem Meridian. Sie waren 1882 schmal und scharf begrenzt,
während 1888 die beiden Ränder jetles derselben verwischt erschienen
und ihre Farbe heller, auch ihr Zwischenraum merklich geringer war
als 1882. — Ebenso waren die 1882 beobachteten beiden breiten röth-
lichen Streifen des Hephaestus 1888 feiner und von dunklerer Farbe
geworden und der mittlere Zwischenraum hatte sich auf die Hälfte
vermindert. Eine ähnliche Verengung scheint auch bei dem Proton ilus
stattgefunden zu haben.
Die Verdoppelung der Kanäle findet in verhältnissmiissig kurzer
Zeit und in schnellem Wechsel statt. Oft ist es durch sichere Be-
obachtungen möglich gewesen, die Grenze dieser Dauer auf wenig
Tage festzusetzen. Einige Male hat sich die Verwandlung in der Zeit
von 24 Stunden zwischen zwei auf einander folgenden Beobachtungen
vollzogen. So viel ich beurtheilen konnte, fand diese Erscheinung
zugleich auf der ganzen IAnge des verdoppelten Kanales statt.
In seltenen Fällen ist es möglich gewesen, einige Phasen dieses
Verdoppelungsprozesses zu verfolgen. Im Januar 1882 war der
Euphrates bis zum 18. d. M. sichtbar, ohne etwas Merkwürdiges zu
zeigen. Am 19. erschien er bedeutend breiter und etwas nebelhaft
auf der linken Seite. Am 20. machte ein dichter Nebel mir die Be-
obachtung unmöglich. Am 21. war die Verdoppelung völlig un-
zweifelhaft und vollständig. — In demselben Monat Januar 1882 war
der Ganges einfach bis zum 12. Am 13. schien er rechts von einem
leichten nebelhaften Streifen begleitet, welcher sich ihm in ungefähr
5° Entfernung auf seiner ganzen Länge zwischen dem Lacus Lunae
und dem Fons Juventae anschloss. Dieser Streifen wurde am 18.
und 19. unsichtbar; das ganze umgebende Gebiet war mit weissen
Flecken übersiit. Diese Flecke waren am 20. nicht mehr vorhanden,
aber der neue Streifen war wieder erschienen und zeigte sich dieses-
mal noch schwärzer, schmäler und besser begrenzt. Er war dem
Ganges ähnlich, obgleich etwas schwächer. Nunmehr war also der
Ganges verdoppelt und veränderte sich nicht mehr bis zum Schluss
meiner Beobachtungen i. J. 1882.
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«J7
Das Auftreten einer weissen oder weisslichen Färbung um einen
Kanal zur Zeit seiner Verdoppelung ist wiederholt zu verzeichnen, so
1882 beim Thoth, 1888 beim Protonilus und dem N'epenthes.
Diese weisse Färbung zeigte sich sehr deutlich zwischen den beiden
Linien der Verdoppelung.
Ziemlich häufig habe ich gesehen, wie sich die beiden Linien
aus einer grauen, mehr oder weniger dichten in der Richtung des
Kanales sich ausbreitenden Nebelmasse gleichzeitig loslösten und mir
scheint es fast, dass dieser nebelhafte Zustand eine hauptsächliche Er-
scheinung bei der Bildung der Verdoppelungen ist. Aber man darf
daraus nicht schliessen, das cs sich hier um Objekte handelt, welche
hinter einer Art von Nebel verborgen bleiben und dann nach desson
Verschwinden sichtbar werden. So weit ich die Sache beurtheilen
konnte, ist das, was hier als Nebel erscheint, keineswegs ein Hinder-
niss, vorher vorhandene Objekte zu sehen, sondern vielmehr eine
Materie, in welcher sich die vorher nicht vorhandenen Formen nach und
nach abzeichnen. Um meinen Gedanken deutlicher auszudrücken, möchte
ich sagen, dass der Prozess nicht zu vergleichen ist mit dem deut-
licher werdenden Hervortreten von Objekten aus einem sich auf-
lösenden Nebel, sondern vielmehr mit einer Menge unregelmässig
vertheilter Soldaten, welche sich nach und nach in Reihen und Ko-
lonnen ordnen. Ich muss hier hinzufügen, dass dieses nur als ein
Eindruck zu betrachten ist, und nicht etwa als durchdachtes Resultat
eigentlicher Beobachtungen.
Da es für die Verdoppelungen eine Zeit des Erscheinens giebt,
so muss auch eine Epoche existiren, zu welcher sie verschwinden
oder auf irgend eine Weise vergehen. Unglücklicherweise habe ich
noch nichts Sicheres in Bezug auf diese Phase der Erscheinung be-
obachten können; ich kann nur sagen, dass einige Verdoppelungen
von 1882 in den folgenden Oppositionen nicht mehr sichtbar waren.
Der Kanal war einfach oder selbst völlig unsichtbar geworden. In
vielen Fällen konnte die grössere Entfernung des Planeten, oder der
ungenügende Zustand der irdischen Atmosphäre eine annehmbare oder
doch mögliche Erklärung für diese verschwundenen Verdoppelungen
abgeben. — Ich glaube, dass diese Erscheinungen einen periodischen
Charakter besitzen, doch kann man eine solche Periodicitiit erst ohne
Zögern behaupten, nachdem man diese Verdoppelungen mehrere Male
nach einander erscheinen und wieder verschwinden gesehen haben
wird, während allerdings die bis jetzt angestellten Beobachtungen sie
genügend wahrscheinlich machen. Im Jahre 1877 konnte keine
Spur der Verdoppelungen während der Wochen nachgewiesen werden,
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98
welche dein südlichen Solstiz voran gingen oder folgten. Ein ver-
einzelter Fall wurde 1879 bemerkt. Am 26. Dezember habe ich den
doppelten Zustand des Xilus zwischen dem Lacus Lunae und dem
breiten, Ceraunius genannten Streifen nachgewiesen und zwar
einen Monat vor der Frühlingsnachtgleiche. M) Diese Wahrnehmung
überraschte mich ein wenig, aber ich nahm sie für etwas Zu-
fälliges. Während der Opposition von 1881 — 82 habe ich die
Wiederholung dieser Wahrnehmung erwartet. Sie fand in der That
statt, aber einen Monat nach der Frühlingsnachtgleiohe, am 12.
.Januar 1882. Zu dieser Zeit waren schon mehrere andere Verdoppe-
lungen sichtbar geworden und bald darauf war der Planet davon er-
füllt: im Laufe zweier- Monate, vom 19. Dezember bis zum 22. Februar
habe ich etwa dreissig Verdoppelungen nachweisen können. Während
der Opposition von 1884 habe ich deren nur einige deutlich sehen
können: mehrere andere schienen vorhanden zu sein, aber sie waren
nicht deutlich genug. Das war zwei bis drei Monate vor dem nörd-
lichen Solstiz. Im Jahre 1886 (zur Zeit des nördlichen Solstizes, einen
Monat vorher und einen Monat nachher) war die grösste Zahl der
Verdoppelungen nicht mehr vorhanden. Viele Kanäle waren einfach
geworden, andere verschwunden, doch waren mehrere noch deutlich
doppelt, u. a. auch der H.vdraotes mit seltener Bestimmtheit. Einige
dieser Verdoppelungen wurden zur gleichen Zeit auf der Sternwarte
zu Nizza von Herrn Perrotin und seinen Mitarbeitern nachgewiesen.
Endlich begannen im Mai bis Juni 1888 (zwei und drei Monate nach
dem nördlichen Solstiz) die Kanäle sich von neuem zu verdoppeln,
darunter einige, welche bis dahin einfach geblieben waren, während
andere einfach blieben, welche 1882 doppelt waren. Die Gesamtheit
der Beobachtungen giebt der Meinung einiges Gewicht, dass die Er-
scheinung sich nach der Periode der Jahreszeiten des Mars richtet,
und das ihre grösste Fülle ein wenig nach der Frühlingsnachtgleiohe
und ein wenig vor der Herbstnachtgleiche stattfindet, und dass endlich
die Verdoppelungen, nachdem sie einige Monate gedauert haben,
grösstemheils zur Zeit des nördlichen Solstizes vergehen und zum
südlichen Solstiz sämtlich verschwinden. Die Bestätigung dieser
Ansicht wird nicht lange auf sich warten lassen. Die erste Gelegen-
heit dazu wird sich im Jahre 1892 darbieten. Die Opposition dieses
Jahres findet ungefähr unter den gleichen Bedingungen wie die von
1877 statt. Man hat also eine völlige Abwesenheit der Verdoppe-
lungen zu erwarten.
>*) Ich nenne hier Friihlingsnnchtgleiche den Uebergang der Sonne von
der südlichen zur nördlichen Halbkugel des Planeten.
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99
Die Tafel II im ersten Hefte dieser Zeitschrift giebt einen Ueber-
blick über die allgemeine Vertheilung der 1882 und 1888 beobachteten
Verdoppelungen. Es ist kaum nöthig, den I/eser darauf aufmerksam
zu machen, dass diese Karte den Zustand des Planeten zu keiner be-
stimmten Epoche darstellt; denn die Verdoppelungen geschehen nicht
alle zugleich. Wir geben auch hier nur einen geographischen Index
dieser Bildungen, welcher nahezu alle enthält, die ich bisher wahr-
nehmen konnte. Die doppelten Streifen sind auf dieser Karte, in-
folge der oben gemachten Bemerkungen, mit mehr Gleichförmigkeit
und mehr geometrischer Genauigkeit gezogen, als die andern. Es wäre
über das Mass des Möglichen gegangen, die verschiedenen Formen
und Färbungen genau darzustellen, uin so mehr, als Form, Breite,
Farbe, Richtung und Zwischenraum nicht völlig konstant bleiben.1')
Wir haben schon oben erfahren, dass auf dem Planeten eine ge-
wisse Anzahl von Knotenpunkten existirt, d. h. Stellen, gegen welche,
mehr oder weniger genau, mehrere Kanäle convergiren. Das Aus-
sehen dieser Knotenpunkte verändert sich in ähnlicher Weise wie das
der Kanäle. Wenn die Kanäle, welche in diesem Knotenpunkte
endigen, unsichtbar sind, so ist es der Knotenpunkt auch, oder kündigt
sich höchstens durch einen leichten diffusen Schatten an. Das Er-
scheinen der Kanäle als einfache oder doppelte Linien von bestimmter
Richtung bringt in dem Knotenpunkte ein Liniennetz hervor, dessen
Beschaffenheit gewöhnlich wegen der grossen Menge von Einzelheiten,
die sich dann auf einen relativ kleinen Raum zusammendrängen, un-
möglich festzustellen ist. Die Verwirrung vermehrt sich in den meisten
Fällen noch durch eine Art von ziemlich starkem und verschwommenem
Schatten, welcher den Knotenpunkt umgiebt und ihn wie einen mehr
oder weniger deutlichen Fleck erscheinen lässt, der sich manch-
mal in einen eigentlichen See von schwarzer Farbe und deutlicher
Umgrenzung verwandelt (Lacus Niliacus 1879 — 1886, Trivium
Charontis 1882 u. A.). Von diesem Schatten löst sich endlich zu ge-
wissen Zeiten ein doppelter, langgestreckter Fleck, der eine Art von Ver-
doppelung aus zwei kurzen und breiten Streifen bildet, welche letztere
lä) Hier ist noch hinzuzufügen, dass man, um die Verdoppelungen in
ihren wahren Verhältnissen zu zeigen, einen Planiglobus ohne Verzerrung be-
sitzen müsste, was nicht möglich ist, wio man weiss. Alle bekannten Pro-
jektionen verändern den Parallelmmus der Linien. Die von mir gewählte
(welche wenig von der homolographisch genannten Projektion des Professors
Moll weide abweicht) ist in dieser Beziehung vielleicht weniger unvollkommen
wie die andern. Um jedoch den Charakter der Verdoppelungen nicht zu
stören, habe ich den Parallelismus der Linien trotz der Projektion beibe-
halten.
Himmel und Erde. 1HRR. II. $
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100
ungefähr die Ausdehnung des fraglichen Schaltens oder Sees einnimmt.
Man sehe deswegen auf Tafel II das Trivium Charontis und den
Lacus Lunae in dieser Form. So viel ich bis jetzt sehen konnte,
(doch sind diese Beobachtungen von der grössten Schwierigkeit)
verändert sich die Richtung dieser Verdoppelungen von einer Epoche
zur andern wesentlich, und stimmt oft mit der einen, oft mit der
andern der doppelten Kanäle, welche in der fraglichen Gegend endi-
gen, zusammen. Da diese Thatsache von der grössten Wichtigkeit
für die Entwickelungsgeschichte der Verdoppelungen ist, werde ich
einige der beobachteten Beispiele detailirt mittheilen.
Der Lacus Ismenius besteht in seinem gewöhnlichen Zustande
aus einem dunklen Fleck von ovaler in der Richtung des Parallele
verlängerter Gestalt. Am 23. Dezember 1881 fand ich ihn in zwei
Striche getrennt, welche eine kurze in der Richtung des ebenfalls
verdoppelten Protonilus verlaufende Verdoppelung bildeten. Pro-
tonilus und Ismenius hätten wohl als eine einzige Verdoppelung
gelten können, wenn die Streifen des Ismenius nicht viel breiter gewesen
wären, so wie es die folgende Figur a angiebL Am 27. Mai 1888 fand eine
ähnliche Erscheinung statt, aber die Theilung in zwei Streifen folgte
dieses Mal der Richtung des verdoppelten Euphrates; man sehe
deswegen die hier folgende Figur b.
b
Pro f o
nitus
Da die Ausdehnung des Ismenius in der Richtung des Euphrates
unbedeutend war, so erschienen die Streifen nicht länger als breit, d. h.
die Verdoppelung nahm die Gestalt zweier beinahe runder Flecke an,
die in der Richtung des Protonilus gleiclunässig neben einander
gereiht waren. Später, als sowohl ProtoniluB wie Euphrates
verdoppelt waren, erwartete ich den Ismenius in vier Theile getrennt
zu sehen, doch ist dies keineswegs eingetroffen. Am 4. Juni hatte
der See seine frühere ovale Gestalt mit seinen verwaschenen Umrissen
wieder angenommen.
Das Trivium Charontis war im Jahre 1879 nur als Knoten-
punkt der Kanäle Laestrygon, Styx, Cerberus und Tartarus
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101
vorhanden, die einzigen in dieser Gegend damals sichtbaren Kanäle.
Im Jahre 1881 — 82 vermehrten sich die Schnittpunkte der Kanäle an
diesem Orte und das Ganze war in einen verworrenen, ziemlich ausge-
dehnten, doch schlecht begrenzten Schatten eingeschlossen. 1884 theilte
sich dieser Schatten in zwei sehr starke und genau in der Richtung des
Orcus verlängerte Streifen. 1886 war es nicht möglich, diese Gegend
gut zu beobachten. 1888 (13. bis 16. Juni) existirte die Theilung in
zwei Streifen noch, aber ihre Lage folgte dor Richtung des Erebus.
Beide Streifensysteme sind auf unserer Tafel II eines über dem andern
wiedergegeben, doch ist. eine solche Uebereinanderlagerung nicht
beobachtet
Eine gleiche Erscheinung hat der Lacus Lunae dargeboten,
welcher 1879 und 1882 in zwei starke Streifen, dem doppelten Nilus
folgend, getrennt war, während diese 1884 in der Richtung des
Uranius orientirt waren. Beide Gestaltungen befinden sich in unserer
Tafel II übereinander. Der Nodus Gordii hat ähnliche, doch
schwieriger zu beobachtende Erscheinungen gezeigt.
Es scheint aus allem diesem zu folgen, dass das hervorbringende
Prinzip der Verdoppelungen nioht nur längs der Richtung der Kanäle des
Mars angreift, sondern auch auf den dunklen Oberflächen beliebiger
Form, falls diese nicht zu ausgedehnt sind, und dass in diesem letzteren
Falle die Richtung derselben Verdoppelung von einer zur andern
Epoche sehr verschieden sein kann, während sie bei den Kanälen
nur zwischen engen Grenzen schwankt. Dieses Prinzip scheint sich
sogar noch auf die permanenten Meere auszudehnen ; denn das Auf-
treten der Insula Cimmeria inmitten des Mare Cimmerium ist
am Ende nichts Anderes als eine Verwandelung dieses Meeres in eine
grosse Verdoppelung, die sich aus zwei, zu beiden Seiten der ge-
nannten Insel übrig bleibenden, dunkeln Streifen zusammensetzt. Eine
ähnliche Erscheinung scheint auch im Mare Acidalium, wenn auch
weniger evident und regelmässig, aufzutreten.
Dieses Bestreben, einen dunkeln Raum durch einen gelben
Streifen zu theilen, scheint sich auch in der Ilervorbringung gewisser
Diafraginen oder leuchtenden Landengen von erstaunlicher Regel-
mässigkeit zu bekunden, welche sich an gewissen Stellen der nörd-
lichen Halbkugel des Planeten bilden: Derart ist der Achillis Pons,
welcher 1882 — 84 den Lacus Niliacus vorn Mare Acidalium
trennte und 1888 theilweise unsichtbar wurde; ferner auch die Unter-
brechung, welche bisweilen die Nilosyrtis von der Boreo-
Syrtis trennt, eine Unterbrechung, die auftritt, wenn der Pro-
tonilus doppelt und eine Art Fortsetzung des hellen Streifens ist,
8*
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102
welcher die beiden, den Proton ilus zusammensetzenden Linien, trennt.
Eine andere ähnliche 1882 vorhanden gewesene Unterbrechung im
Verlaufe der Boreo-Syrtis, ist später nicht wieder gesehen. Endlich
scheint das doppelte Horn des Sinus Sabaeus und die doppelte
Halbinsel Atlantis, welche das Mare Cimmerium von dem Mare
Sirenum trennt, von Erscheinungen derselben Art abzuhängen.
(Ein Schlussartikel folgt.)
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Versuch einer beweisführenden Darstellung des Welt-
gebäudes in elementarer Form.
Von
Dr. M. Wilhelm Meyer-Berlin.
"j.. I. Einleitung.
cf -ibgleich unsere neue Zeitschrift dem allgemein Gebildeten und
i)& keineswegs nur dem Fachgelehrten unmittelbar verständliche
r-' “
Darstellungen aus den von ihr cultivirten Wissenszweigen zu
geben beabsichtigt, so wird es doch begreiflicherweise oft genug ge-
schehen, dass gewisse Vorkenntnisse vorausgesetzt werden müssen,
deren besondere populäre Darlegung im Rahmen der betreffenden Be-
trachtung auf zu ausgedehnte Seitenwege abführen und dadurch den
Faden der Entwicklung des Hauptgegenstandes nothwendig verwirren
müsste. Um jedoch auch das volle Verständniss dieser Betrachtungen
so viel als möglich zu fördern, wird die Redaktion bemüht sein, in
längeren Serien von Artikeln nach und nach ein logisch sich aus den
ersten Anfängen naiver Naturbetrachtung aufbauendes Weltbild dar-
zustellcn, in welches sich eben jene besonderen, gelegentlich auch
einmal schwieriger verständlichen Betrachtungen tiefer vordringender
Forscher, die sich in unserer Zeitschrift direkt einem grösseren Publikum
zuwenden wollen, einordnen lassen.
In diesem Geiste will ich eB versuchen, in einer Reihe von
Artikeln eine Art von populärer Astronomie vorzutragen. Doch soll
diese populäre Astronomie nicht in der gewöhnlichen Weise be-
schreiben, was die Astronomen von den Vorgängen am gestirnten
Himmelsgewölbe gesehen, was sie darüber erdacht und mit krausem,
allen Laien tief geheimnissvollen Formelkram berechnet haben, sondern
wir wollen das Bild des grossen Kosmos in seiner wundervoll har-
monischen, ewigen Ordnung und Schönheit, Element an Element ge-
reiht, vor uns sich logisch entwickeln sehen und den Weg noch einmal
miteinander durohwandern, den die denkende Menschheit seit den Jahr-
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104
tausenden langsam Schritt vor Schritt weiter dringend durchmass, um
das strahlende Geheimniss der still über uns hinwandelnden Gestirne
zu entziffern.
Ist in der That nicht dieses gewaltige, eherne Gebäude über
unsern Häuptern, in dessen über alles imposantem Kuppelbau wir
wohnen, den Meisten unter uns ein Geheimniss geblieben? Nicht
auch denen, welche sich Gebildete nennen und die in ihrem wohl ab-
solvirten Schulkursus über die hauptsächliche Einrichtung des Weltge-
bäudes unterrichtet worden sind, oder selbst jener nicht geringen
Zahl von wirklichen Gelehrten, welche wohl wissen, was alles sich
in diesen unermesslichen Räumen, soweit wir sie übersehen, befindet
und wie es sich bewegt und Eines sich zum Andorn drängt, aber in
dem Gewirr tausendfältiger Details längst wieder den Faden verloren
haben, welcher die Schlüsse folgerichtig miteinander verbindet, aus
denen sich die imzweifelhafte Gewissheit darüber, dass diese unerreich-
baren Dinge wirklich so sein oder sich bewegen müssen, wie man es
uns sagt, allein ergiebt? Geht es uns nicht auch mit vielen ganz nahe-
liegenden Dingen oder täglich angewandten Kenntnissen ganz ebenso,
die wir genau -auswendig“ wissen und über die wir uns dennoch vor-
geblich den Kopf zerbrechen würden, wenn wir Schluss auf Schluss den
Beweis für ihre Richtigkeit liefern sollten? Ich wette, dass es nicht
viele Astronomen vom Fach giebt, welche sogleich den Weg angeben
könnten, auf welchem die logische Kette der stufenwoisen Erkennt-
niss bis zur Gewissheit über die Gesetze der Bewegungen am Himmel
verläuft, wenn man ihnen, dem Laien gegenüber, das meistens und
nothwendigerweise handwerksmässig angewandte Werkzeug mathe-
matischer Formeln nimmt.
Ohne solche, meinen die Meisten, sei diese Beweisführung nicht
möglich, und doch ist die mathematische Formel nur die Uebersetzung
logisch absolut richtiger Scldüsse, welcher wir uns nicht mehr bewusst
werden. Die Rückübersetzung in die Sprache des Laien muss also
in allen Fällen möglich sein, wenngleich allerdings diese letztere
Sprache sicher sehr viel weitläufiger, schwerfälliger und unklarer ist
als die mathematische und eine Menge von Umschreibungen nöthig
macht, welche den Gedankengang leicht verwirren. Es verhält sich
deshalb mit der Mathematik ganz umgekehrt, als es der Laie glaubt,
welcher ihre Sprache überhaupt für schwer verständlich hält, während
sie im Gegentheil unserer Denkarbeit eine unberechenbare Erleichterung
schafft. Die mathematische Formel ist ein wahrer Faullenzer für
unsern Geist, und indem ich mich hier anheischig machen möchte,
dem Leser die Nothwendigkeit der kosmischen Ordnung ohne jenes
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105
Hülfsmittel auseinander zu setzen, muss ich vorweg sagen, dass ich
dadurch viel schwieriger zu genügende Anforderungen an die Fassungs-
kraft des Lesers stelle, als wenn ich demselben, nach einem kurzen
Vorkursus im mathematischen Unterricht, die Sache durch Formel-
entwicklungen darstellen würde. Es scheint mir aber, dass die Ueber-
zeugung von jener Nothwendigkeit, eben wegen jenes Nichtmehrbewusst-
werdens der logischen Schlüsse durch Vermittlung der Formel in dem
nicht völlig mathematisch geschulten Geiste — der ja selbstverständlich
trotzdem völlig scharf zu denken im stände sein kann — nicht un-
erschütterlich befestigt werden könnte. Aus diesem Grunde will ich
also in der Folge Formeln nur dann anwenden, wenn die darin ent-
haltenen Schlüsse durch anderweitige Mittel im Geiste völlig befestigt
sind. Dann dient eben diese Zeichensprache nur noch als wohlbe-
kannte Abkürzung der Rede, als eine Art Stenographie der Logik.
Nur allein den Lehrsatz des Pythagoras von der Gleichheit der
Summe der Quadrate über den kürzeren beiden Seiten eines recht-
winkligen Dreiecks mit dem Quadrat über der dritten Seite will ich
als erwiesen annehmen. Es sind mehr als zwei Jahrtausende, dass
die Menschheit von dessen Richtigkeit überzeugt ist. Sollten trotzdem
— was ich in Bezug auf die grössere Ueberzeugungskraft der späteren
Folgerungen für sehr rathsam erachten würde — meine Leser daran
zweifeln, so mögen sie ihren Elementarleitfaden der Geometrie noch
einmal auf ein paar Minuten aus dem staubigen Winkel bervorholen,
wo er als Andenken an qualvolle Stunden der Jugendzeit vielleicht
noch aufzufinden ist, und sich den Beweis dieses fundamentalsten
Satzes, mit welchem die ganze Mathematik steht und fallt, aus jenen
ersten unbeweisbaren Axiomen herstellen, welche au beiden Enden
all unserer logischen Schlussketten stets übrig bleiben, hier unten bei
den unfassbar einfachen Elementen des Denkens oder der Gestaltung,
und dort oben in der unausdenkbaren Unendlichkeit. Für uns gilt
eben ein für allemal nur die greifbare Mitte.
Das vorgesteckte Programm wird es unumgänglich machen von
Dingen zu reden, die jedem Kinde geläufig sind, weil eben kein Glied
in der Schlusskette fehlen soll. Während ich mich dabei nach Kräften
bemühen will, von flacher Trivialität fern zu bleiben, wolle man mich
auf der anderen Seite nicht missverstehen oder sich gar wegen des
geringen Masses vorausgesetzten Wissens in gewissem Sinne be-
leidigt fühlen.'
Wir wollen in allen Dingen zunächst dem Augenschein glauben,
der uns zwar, wie wir Alle wissen, schon recht oft bitter getäuscht
hat, aber doch immer die Grundlage bildet, auf welcher sich all unser
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106
Wissen aufbaut Am Ende stellt auch der Augenschein, wenn wir
mit diesem Worte verallgemeinernd das Urtheil unserer wahrnehmenden
Sinnesorgane bezeichnen wollen, das einzig von uns erkennbare Bild
der Welt dar, wenn wir ihn nur genügend verschärfen, sei es durch
langjährige Erfahrung und Verfeinerung unserer Sinne selbst oder
durch ihre künstliche Verschärfung mit Hülfe von Werkzeugen, welche
den vorhandenen Effekt scheinbar vergrössern oder die genaue Messung
in anderer Weise erleichtern. Was wir über diesen Augenschein hinaus
von dem Aufbau der Welt glauben in Erfahrung bringen zu können,
bleibt immer und ewig Speculation, welche der Bestätigung eben durch
den Augenschein bedarf, ehe man mit völliger Ueberzeugnng daran
glauben wird.
Ausgenommen sind allein hiervon die Wahrheiten der mathe-
matischen Wissenschaft, so lange sie sich auf völlig abstrakte Dinge
beziehen. Sobald aber in ihre Schlussfolgerungen Concretes einge-
führt wird, das noch der Bestätigung durch den Augenschein bedarf,
so werden auch sie wiederum schwankend, unsicher, ja oft nach-
weisbar völlig falsch. Die angewandte Mathematik bildet zwar eine
Art Brücke, welche von der sichtbaren Welt des Augenscheins in die
des Gedankens, oder auch in die „Welt an sich" hinüberzuführen scheint.
In der That gelingt es ihr oft, ganz besonders auf dem Gebiete der
Himmelsforschung, wo sie ihre grössten Triumphe gefeiert hat, von
Gegebenem ausgehend unsem Geist in Gebiete zu führen, von Dingen
in Kenntniss zu setzen, welche unserer Sinneswahrnehmung völlig
entgegen, also nicht mehr der Welt des Augenscheins angehören, aber
nichtsdestoweniger so sicher existiren, als die in unsere mathematische
Scblusskette vorn eingesetzten concreten Grössen augenscheinlich vor-
handen sind. Dann befinden sich aber doch immerhin beide Enden
der Brücke, welche durch die mathematische Formel dargestellt wird,
auf festem Boden, von welchem der eine Theil nur zufällig un-
sichtbar bleibt, sich dagegen irgendwann einmal dem Augenschein
wirklich darzubieten vermögen wird. Führt man dagegen zur einen
Seite übersinnliche Betrachtungen ein. welche niemals duroh den
Augenschein controllirt worden Bind, wie die Unendlichkeit oder das
Absolute in irgend einer Form (denn dieses kommt in der sinnlichen
Welt nicht vor), so darf man sich nicht darüber wundern, wenn man
am andern Ende der Brücke in einer Welt ankommt, welche, wie die
der vierten Dimension, all unseren Erfahrungen Hohn spricht und
unserer Phantasie Spielraum zu den abenteuerlichsten Träumen bei
offenen Augen lässt. Beide Enden der Brücke befinden sich dann
eben im Leeren, das der Geist nicht minder fürchtet wie die Natur
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und mit Gestalten seiner Einbildung ausfüllt, wenn es den Sinnen
nichts Greifbares bietet.
Mit dieser Abschweifung wollte ich hauptsächlich betonen, wie
gut es in allen Stücken ist, von dem Augenscheine stets auszugehen
und dessen Angaben immer als festen Grund unter den Füssen zu
behalten, von welcher Regel abzuwoichen nur zu viel Gelegenheit ge-
boten ist, sobald wir, wie es in unsern folgenden Betrachtungen ge-
schehen soll, unsern Gedanken von dem festen Boden unseres mütter-
lichen Planeten weit empor zu den Welten erheben, welche über
unsern Häuptern, von unsichtbaren Gewalten getrieben, den Raum
durchmessen.
Freilich müssen wir dagegen alles thun, was uns über die
falschen Eindrücke hinweghelfen kann, welche der oberflächliche
augenblickliche, von Vorurtheilen getrübte, Augenschein über
die Ansichten der Natur verbreitet. Wir dürfen nicht dem ersten
Eindrücke Glauben schenken, sondern müssen die uns interessirenden
Dinge aufmerksam unter den verschiedensten Gesichtspunkten ver-
folgen, die Vorgänge immer wieder unter veränderten Bedingungen
beobachten, damit wir in der Erscheinungen Flucht den ruhenden Pol,
das ewige Gesetz des Geschehens, erkennen. Denn der erste Augen-
schein trügt allerdings gewöhnlich wegen unseres sehr langsamen und
unvollkommenen Auffassungsvermögens und der eigenthümlichen Zu-
sammensetzung unseres Geistes aus Logik und Phantasie, welche
letztere sofort einspringt, wo die eretere nicht sogleich die Erklärung
geben kann, und unter solchen Umständen den Sinneseindruck direkt
zu fälschen im stände ist.
Sehr frappant ist in dieser Hinsicht das Beispiel der sich schein-
bar bei ihrer Annäherung an den Horizont vergrösseruden Mond-
scheibe, wenngleich dabei ausser den angedeuteten psychologischen
Momenten auch unzweifelhaft noch physiologische treten, welche uns
in die Irre führen. Sobald wir das unerreichbare Gestirn hoch oben
am Firmamente sehen, und kein Vergleichsgegenstand gleichzeitig
mit ihm in unserem Auge sich abspiegelt, erscheint er uns unbedeutender,
kleiner, als wenn wir ihn mit der uns gross bedünkenden Ausdehnung
eines hohen Gebäudes, hinter welchem 8eine rothe Scheibe eben
hervorlugt, direct vergleichen können. Freilich hat es sich gezeigt,
dass auch in einem völlig dunklen Raume zwei leuchtende Punkte
viel weiter von einander entfernt zu sein scheinen, wenn sie
in horizontaler Richtung vor uns stehen, als wenn man sie aus der
gleichen Entfernung über unserem Haupte sieht. Dass hier also unser
Augenmass uns stets in ganz bestimmter Weise täuscht, lässt sich
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durch den unveränderlich festen Massstab, mit welchem wir in beiden
Lagen, einmal die gleichgebliebone Entfernung der leuchtenden Punkto
unter einander und dann von unserm Auge, kontroliren können, beweisen.
Diese Messung giebt dann offenbar einen augenscheinlicheren Beweis von
der gleich gebliebenen Entfernung, als der Eindruck unseres Auges
zu liefern im stände ist, welcher dementgegen völlig grundlos behauptet,
die beiden Punkto müssten, da sie einander näher zu stehen scheinen,
wenn sie sich über uns befinden, dann entsprechend weiter von unserem
Auge entfernt sein, als im anderen Falle.
Wie hier die direkte Messung ohne weiteres für unsere l'eber-
zeugung den Ausschlag giebt, so muss sie es auch in allen astro-
nomischen Dingen thun. In unserer Frage von der scheinbaren Ver-
grösserung der Mondscheibe zeigte die genaue Messung, dass die
Sache sich in Wirklichkeit gerade umgekehrt verhält, als es der
oberflächliche Augenschein angiebt: Der Mond ist immer kleiner am
Horizonte als im Scheitelpunkte oder Zenith und zwar um ein so Be-
trächtliches, wie unsere heutigen Messungsmittel mit ! .Dichtigkeit nach-
weisen können. Der Unterschied beträgt etwa den sechzigsten Theil
des Monddurchmessers selbst. Das heisst, wenn man eine völlig
kreisförmige Scheibe an ihrem Rande in eine bestimmte Zahl gleicher
Theiie zerlegt hat, in unserem Falle in 360 Grad und die bekannten
Unterabtheilungen, und nun mit einem Fernrohr, das über der Mitte
dieses Kreises sich dreht, einmal auf den einen Rand des Mondes
hinvisirt, die Kreistheilung abliest und dann mit dem anderen Rande
dieselbe Operation vornimmt, so bekommt man als Zwischenraum
beider Kreisablesungen eine kleinere Zahl von Bogen-Minuten und
Sekunden, wenn die Messung mit dem Monde am Horizonte vorge-
nommen war, gegen eine Messung im Zenith. Man kann nun, um sich
völlig von jeder Täuschung auszuschliessen, wie es in der That im
Prinzip auch geschieht, das Instrument selbst auf etwaige Fehler (die
das Auge ja, wie wir sehen, besitzt) zu prüfen, untersuchen, ob ein
irdischer Gegenstand von bestimmter Ausdehnung in allen Lagen zur
Horizontalen bei gleichbleibender Entfernung die gleiche scheinbare
Winkelgrösse auf unserem getheiltcn Kreise ergiebt, was natürlich
stattfinden wird, wenn das Instrument mit genügender Perfection her-
gestellt ist. Es bleibt uns darnach nichts weiter übrig, als augen-
scheinlich für bewiesen zu betrachten, dass der rohe Eindruck des
Auges uns über die scheinbare Grösse des Mondes völlig täuscht und
dass dieser sich in der That, wenn er am Horizonte steht, weiter von
uns entfernt befindet, als wenn er über unsorn Häuptern schwebt
Später werden wir erkennen, dass auch andere Betrachtungen diese
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109
Thatsache (obgleich sie keines weiteren Beweises bedürfte, als welchen
ich hier gegeben habe) bestätigen. Zwischen dem Monde am Horizonte
und unserm Standpunkte auf der Erdoberfläche liegt nahezu ein Erd-
halbmesser mehr, als wenn das Gestirn sich gerade über uns befindet.
Dieses wohlerwogen und hinzugefügt, dass die Messung jene Differenz
gleich einem Sechzigstel der ganzen Ausdehnung ergiebt, genügt dann
zum strengen Beweise, dass der Mond sich von uns otwa sechzig Erd-
halbmesser entfernt befindet.
Obgleich dieses Beispiel, um es in diesen einleitenden Be-
trachtungen vorführen zu können, aus der Mitte einer Kette von Be-
weisen herausgegriffen werden musste und wegen hier unbewiesen
gebliebener Praemissen noch nicht völlig überzeugend zu wirken im
stände ist, so wird man doch durch dasselbe auf die Mittel und Wege
hingewiesen worden sein, welche uns später zu unsern Zwecken dienen
sollen.
Ganz besonders oft wird dabei der Resultate unserer Messungen
mit den erstaunlich feinen Präcisions-Inslrumenten der Gegenwart ge-
dacht werden, die überall als unanfechtbare Voraussetzungen zu den
folgenden Schlussentwicklungen dienen müssen. Dass diese Resultate
direkter Messung von Winkeln und scheinbaren Grössen wirklich und
mit Ausschluss jedes möglichen Fehlers erhalten wurden, muss der
Leser mir allerdings aufs Wort allein glauben, wenn er sich nicht
etwa entschliessen will, auf unserer nun bald ins Leben tretenden
öffentlichen Sternwarte der Urania einem Kursus über die Messkunst
der praktischen Astronomie beizuwohnen, zu welchem die feinen
Instrumente dieses Institutes uns in den Stand setzen und von Seiten
unserer Beamten alle Bereitwilligkeit vorhanden sein wird.
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Welche Veränderungen erfährt noch jetzt die Lage der Drehung«- Axe
der Erde?
Von Dr. P. Sch wahn in Berlin.
Die Drehungsgeschwindigkeit der Erde und die Lage ihrer Axe ist für
das ganze Erdenleben, für seine Vergangenheit und Zukunft, für Tag und
Nacht, Jahreszeiten. Klima, Strömungen in Luft und Meer, und für die
unablässigen kleinen Gestaltänderungen der Erde, deren Wirkungen von Zeit
zu Zeit in Krd-Erschütterungen zu Tage treten, von so hoher Bedeutung, dass
es gewiss in weiteren Kreisen willkommen sein wird. Einiges von den Ergeb-
nissen neuerer Forschungen Uber obige Frage zu hören.
Insbesondere ist auch die gesamte Messkunst, nicht blos die Astronomie
und die Erdmessung, dabei sehr nahe interessirt, denn der Beständigkeits-Grad
des Winkels zwischen der Richtung der Erd-Axe und der Lothrichtung am
Beobachtungsort ist eine der wichtigsten Angelegenheiten alles Messens auf
Erden.
Wenn unsere Leser von den überaus bedeutungsreichen Ergebnissen
der neueren astronomischen Arbeiten über diesen Gegenstand eine deutliche
Vorstellung gewinnen wollen, dürfen sie es allerdings nicht scheuen, einige
kurze Strecken hindurch einem etwas lehrhaften Gedankengange zu folgen,
der indessen von schulmässiger Strenge und Trockenheit möglichst fern
bleiben soll.
Bei den meisten Drehungs-Erscheinungen, welche die gewöhnliche Erfah-
rung vor Augen hat, ist die Lage der Drehung«- Axe sowohl an dem sich
drehenden Körper als zu der Umgebung desselben durch besondere Einrich-
tungen möglichst unveränderlich gemacht, und zwar am Körper durch fest
mit ihm verbundene sogenannte Drehungs-Zapfen und zu der Umgebung durch
sogenannte Zapfenlager oder dergleichen.
Anders verhält es sich mit der sogenannten freien Drehung. Wird ein
Körper z. B. durch einen Stoss, dessen Richtung nicht durch den Schwerpunkt
desselben geht, in Bewegung gesetzt, oder erfährt ein in ursprünglich drehungs-
loser Bewegung befindlicher Körper eine Hemmung, deren Richtung ebenfalls
nicht durch den Schwerpunkt des Körpers geht, oder sind überhaupt die Be-
wegungs-Bedingungen des Körpers derartige, dass auf die verschiedenen
Massentheile, die ihn zusammensetzen, Kräfte von verschiedener Stärke und
Richtung wirken, so tritt im allgemeinen eine Art der Bewegung ein, welche
sich am einfachsten darstellt als das gleichzeitige Bestehen einer gemeinsamen
Fortbewegung aller Theile des Körpers und einer Folge von freien Drehungen
desselben um eine durch den Schwerpunkt gehende Axe.
Ist die Gestalt und Zusammensetzung des Körpers eine sehr regelmässige,
z. B. die einer gleichmässig dichten Kugel, so ist eine unter den vorerwähnten
Bedingungen entstehende freie Drehung um eine durch den Schwerpunkt
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gehende Axe, während sich gleichzeitig die ganze Kugel fortbewegt, eine Er-
scheinung von entsprechender Regelmässigkeit und Dauer, solange die äusseren
und inneren Bewegungs-Bedingungen sich nicht ändern. Die freie Drehungs-
Axe bewahrt in solchem Falle sowohl im Körper als im Raume eine ebenso
unveränderliche Lage, als wenn der Körper gezwungen wäre, sich um feste
Zapfen in festen Lagern zu drehen.
Die Voraussetzungen einer solchen freien, aber äusserst beständigen
Drehungs-Bewegung sind beim Erdkörper sehr nahe, aber doch keineswegs
mit voller Strenge erfüllt.
Wenn nun im Verlaufe einer mit freier Drehung verbundenen Bewegung,
wie diejenige der Erde ist, die äusseren Bewegungs-Bedingungen sich ver-
ändern, aber, wie es bei der Erde der Fall ist, im Vergleich zu den vorhan-
denen mittleren Bewogungs-Bedingungen nur um sehr kleine Beträge, so treten
zwar, wie sich leicht erweisen lässt, Lagen-Aenderungcn der durch den Schwer-
punkt gehenden Drehungs-Axe sowohl gegen feste Richtungen im Körper
als im umgebenden Raume ein, aber es sind unter obigen Voraussetzungen die
Lagen- Aenderungen der Drehungs-Axe im Körper verschwindend klein gegen
diejenigen, welche diese Axe zugleich mit dem Körper selbst gegen feste Rich-
tungen im umgebenden Raume erleidet.
Wenn dagegen im Verlaufe der Bewegung dio inneren Bedingungen
derselben, nämlich dio Massenvertheilung und die Gestalt des bewegten
Körpers, sich verändern, aber ebenfalls nur um Beträge, welche im Vergleich
zu den obwaltenden mittleren Bedingungen dieser Art sehr geringfügig sind,
so tritt das Entgegengesetzte ein, d. h. die Lagen- Aenderungen der Drehungs-
Axe gegen feste Richtungen im Raume sind dann verschwindend klein, und
es überwiegen ihre Lagen- Aenderungen gegen feste Richtungen im Körper.
Bisher hatte man mit Sicherheit nur solche Lagen-Aenderungen der
Drehungs-Axo der Erde erkannt, welcho dio Folge äusserer Störungen der
Erd-Drehung sind.
Diese äusseren Störungen, bestehend in den Anziehungen seitens der be-
nachbarten Himmelskörper, insbesondere des Mondes und der Sonne, wirken
auf die verschiedenen Massentheile, welche den Erdkörper zusarnmensetzen, je
nach ihrer Lage zum Monde und zur Sonne in etwas verschiedener Stärke und
Richtung.
Und infolge der Abweichungen der Erdgestalt von der Kugel, sowie
der Abweichungen der Massenvertheilung im Erdkörper von einer gleich-
mässigen Dichtigkeit entsteht aus diesen Störungen ein unablässiges, zu der
schon vorhandenen Drehung hinzukommendes Drehungs-Bestreben des ganzen
Erdkörpers um eine durah don Schwerpunkt gehende, aber nicht mit der Axe
der vorhandenen Drehung zusammenfallcnde Axe.
Hierdurch aber, und zugleich durch die mit den veränderlichen Stellungen
des Mondes und der Sonne zur Erde zusammenhängende Veränderlichkeit der
bezüglichen Störungen, wird eine zusammengesetztere Bewegung der Erde
hervorgebracht, bestehend in einer langsamen Lagen-Aenderung ihrer Drehungs-
Axe gegen feste Richtungen im Raumo, und zwar gemäss obigen Erläuterungen
verbunden mit sehr kleinen und völlig unbemerklich bleibenden periodischen
Lagen-Aenderungen derselben im Erdkörper.
Ein sehr anschauliches und einfaches Bild solcher Drehungsstörungen
oder zusammengesetzten Drehungsbewegungen bietet der gewöhnliche Kreisel
dar, bei welchem die künstlich crtheilto Drehung durch die Schwerkraft der
Erde eine äussere Störung ganz derselben Art erfährt, wie die Drehung der
Erde im ganzen und grossen im Laufe der Jahrhunderte durch die Anziehung
der Sonne und des Mondes, als deren mittleren dauernden Sitz man sich ge-
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wissermassen Massenringe in der Ebene der Erdbahn denken kann. Ganz so,
wie die Axe des Kreisels in einer kegelförmigen Fliehe sich langsam um die
Richtung der Schwerkraft — kurz gesagt die Lothlinie -- bewegt, besehreibt
auch die Drehungs-Axe der Erde eine ebensolche Fläche um die Richtung
der störenden Kraft, welche man in diesem Falle gewissermassen als recht-
winklig zur Ebene der Erdbahn annehmen kann.
Die Gesararntheit der durch alle äusseren Störungen hervorgebrachten
Bewegungen der Drehungs-Axe der Erde gegen feste Richtungen im Raume,
von denen die vorstehend erläuterte Erscheinung nur den sogenannten mittleren
Verlauf — die sogenannte Präcessions-Bcwegung oder den 26000jährigen Umlauf
des Poles am Sternenhimmel — darstellt, wird gegenwärtig bis in ihre feinsten
Züge hinab, welche die Astronomie durch unablässige Bestimmungen der
Lage des Ruhepunktes der scheinbar täglichen Drehung des Sternenhimmels
erforscht, so lichtvoll und erschöpfend dargestellt und so zutreffend voraus-
berechnet, dass man schon dieses kleine Gebiet astronomischer Erfolge als
einen der glänzendsten Triumphe menschlichen Erkennens feiern könnte, und
dass jeder, welcher von dieser täglichen Bewährung einer komplicirten
Theorie nähere Kenntniss nimmt, ein für allemal gegen Zweifel an dor Solidität
der astronomischen Grundlehren gewappnet ist.
Während die Astronomie und die Erdmessung mit vollem Rechte sich
dieses Verständnisses der äusseren Störungen der Erddrehung rühmen, nehmen
sie keinen Anstand zu erklären, dass ihr Wissen auf dem Gebiete der inneren
Störungen dieser Drehung noch ein sehr unvollkommenes ist.
Streng genommen muss bei der Erde jede Veränderung der Massen ver-
theilung eine sogenannto innere Störung der Drehungs-Erscheinungen, und
zwar obigen Erläuterungen gemäss überwiegend eine Lagen-Aenderung der
Drehungs-Axe gegen Richtungen, die zum Erdkörper fest sind, bei ver-
schwindend kleiner Lagen-Aenderung gegen Richtungen, die im umgebenden
Räume eine unveränderliche Lage haben, hervorbringen. Es fragt sich nur,
ob die auf der Erde unablässig vorkommenden Veränderungen der Massen-
vertheilung erheblich genug sind, um für die feinsten Winkelmessungen, mit
denen wir die Lago der Drehungs-Axe im Erdkürper bestimmen können, er-
kennbar zu werden.
Besässen diese Winkelmessuugen unbegrenzte Feinheit, so müssten alle
Ortsveränderungen irgend eines Masaentheils des Erdkörpere auch in Lagen-
Aenderungen der Erd-Axe zur Erscheinung kommen.
Welche Wirkungen dieser Art aber durch andauernde Ortsveränderungen
grösserer Massen -Bestandtheile der Erde hervorgebracht werden können, will
ich unten durch einige Beispiele näher erläutern.
Aber auch ohne Ortsveränderungen von Bestandthcilen des Erdkörpers
kann schon eine gesetzmässige Aenderung der Lage der Drehungs-Axe im Erd-
körper eintreten. Die Theorie der freien Drehung beweist nämlich, dass in
Körpern von beliebiger Gestalt und Zusammensetzung die Lage der durch den
Schwerpunkt gehenden Drehungs-Axe (selbst bei Abwesenheit nicht blos von
äusseren Störungen, sondern auch von inneren Störungen durch Veränderung
der Massenvertheilung im Körper) nur dann als unveränderlich betrachtet
werden darf, wenn die Drehungs-Axe mit einer der drei durch den Schwerpunkt
gelegten, sogenannten Ilauptträgheits-Axen zusammenfällt. (Wir wollen die-
selben mit manchen Autoren kürzer als dio Haupt-Axon bezeichnen.)
Die Lage dieser Haupt-Axen in einem Körper von beliebiger Gestalt
und Zusammensetzung wird durch mathematische Bedingungen bestimmt, deren
Erörterung hier zu weit führen würde. Experimentell kann man die Lage
derselben unter Umständen gerade mit Hilfe der vorerwähnten besonderen Be-
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deutung bestimmen, welche sie für die Beständigkeit einer freien Drehung
besitzen.
Bei einem gleichmässig dichten Ellipsoid mit drei ungleichen Figur-Axen
fallen die drei Haupt-Axon mit den drei Figur-Axen zusammen. Bei einem
zweiaxigen Ellipsoid, welchem die Krdgestalt am nächsten zu entsprechen
scheint, fallt unter der Voraussetzung gleichmässigor Dichtigkeit eine derHaupt-
Axen mit dem kleinsten, durch den Mittelpunkt des Ellipsoids gelegten Durch-
messer der Figur zusammen, während die beiden anderen Haupt-Axen recht-
winkelig dazu und rechtwinklig unter einander jede beliebige Lage haben
können.
Die Drehungs-Axe des Erdkörpors scheint jedenfalls, wie man nach dem in
der Vergangenheit beobachteten Beständigkeitsgrade ihrer Lage in diesem Körper
schüessen durfte, mit einer der Haupt-Axen der Erde sehr nahe zusamroenzu-
fallen. Man drückte dieses bisherige ßeobachtungscrgebniss gewöhnlich so
aus, dass man sagte: Die Gestalt der Erde entspricht sehr nahe derjenigen eines
zweiachsigen Ellipsoides, dessen kleinere Axe mit der Drehungs-Axe der Erde
zusammen fällt.
Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat man aber auf mehreren Sternwarten,
mit besonderer Stetigkeit und Sorgfalt in Pulkowa, mit Hülfe sehr zahlreicher
und verfeinerter Messungen des zwischen dem Ruhopunkt der scheinbar täg-
lichen Drehung des Sternenhimmels und dem Scheitelpunkt des ßeobachtungs-
ortos stattfindenden Abstandes, mit andern Worten des Winkels zwischen der
Drehungs-Axe und der Lothrichtung, begonnen, die ganze Frage an der Hand
der Drehungs-Theorie noch eingehender als früher zu untersuchen.
Die Theorie zeigt nämlich, dass kleine Abweichungen der Lage der
Drehungs-Axe von der benachbarten Haupt-Axe sich durch periodische Be-
wegungen der erstoren um die letztere, welche selber bei der Voraussetzung
der Unerheblichkeit aller vorkommenden Veränderungen der Massenverthei-
lung eine feste Lage im Körper haben würde, erkennbar machen müssen, und
zwar durch Bewegungen in einer kegelförmigen Fläche, deren Axe die benach-
barte Haupt-Axe bildet, und mit einer Umlaufszeit von nahezu 10 Monaten.
Da nun die Lothrichtungen an solchen Orten der Erdoberfläche, in deren
Nähe keine erheblichen Veränderungen der Massenvertheil ung, z. B. keine
starken periodischen Veränderungen der Wasserhöhe durch Ebbe und Fluth
stattfinden, als nahezu unveränderlich betrachtet werden dürfen, sogar in
etwas höherem Grade als die Lago der Haupt-Axen, so könnte jene zehnmonat-
liche Bewegung der Drehungs-Axe in einer entsprechenden Schwankung des
Abstandes des Ruhepunktes der scheinbaren täglichen Drehung des Sternen-
himmels vom Scheitelpunkte (welcher Abstand nichts Anderes als die Ergänzung
der geographischen Breite zu einem rechten Winkel ist) Hehr wohl zu Tage treten.
Mehr oder minder deutliche Spuren solcher Veränderungen haben sich
nun in den letzten Jahrzehnten aus feinen Messungen ergeben, aber zugleich
gewisse Unregelmässigkeiten des Verlaufes derselben, welche man bisher noch
nicht enträthseln konnte. Das ganze Spiel der Veränderungen schien jedenfalls
in der zchDmonntlichen Periode dio Grenze von einigen Hundcrtoln der Sekunde
nicht zu überschreiten, so dass es vollkommen erklärlich war, dass dieselben
früher noch nicht beachtet worden waren. Dagegen zeigten sich, als man nun
neuere Bestimmungen der geographischen Breiten mit älteren, um ein Jahr-
hundert oder mehrere Jahrzehnte zurückliegenden, verglich, Spuren von fort-
schreitenden Veränderungen derselben, welche etwa eine Sekunde im Jahr-
hundert zu erreichen schienen, aber wogen gewisser Unsicherheiten des bei
den früheren Beobachtungen ausschliesslich befolgten Verfahrens noch nicht
als vollkommen beweiskräftig gelten konnten.
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114
Indessen wurde durch alle diese Andeutungen die Frage nahe gelegt,
ob denn nicht schon die augenscheinlich auf der Erdoberfläche vorgehenden
Ortsveränderungen grösserer Massen, ganz abgesehen von der Ebbe und Fluth,
bei welcher schon infolge der schnellen Periodicität der Bewegungen die
Sache anders liegt, merkliche Lagen-Aenderungen der Drehungs-Axe im Erd-
körper verursachen könnten. Scherzweise ist einmal von Dovc geäussert worden,
einer etwaigen Zunahme der Anschwellung der Erde nach dem Aequator hin
werde durch den überwiegenden Export von Kaffee, Zucker u. dergl. aus den
Tropen nach den gemässigten Zonen entgegenwirkt Aber es sind über ver-
wandte Fragen auch schon ganz ernste Untersuchungen von den hervorragend-
sten Forschern angestellt worden (u. A. von Bosse 1 im 5. Band der Zeitschrift
für Astronomie).
Nun, was der Mensch transportirt, wird wohl noch auf lange Zeit hinaus
keine für unsere feinsten Winkclmcssungon merklichen Lagen-Aenderungen
der Erd-Axe hervorbringen. Qanz anders steht es mit den Maasen-Transporten,
welche das grosse System der Strömungen in Luft, Meer und Flüssen auf der
Erde, einschliesslioh der GcBtaltänderungen der sogenannten festen Bestand-
theilo selber, sowohl unablässig fortschreitend, als mitunter auch, so zu sagen,
akut in gewaltigen Katastrophen zu Wege bringt, ohne dass letzteren Falles in
kurzer Frist eine Ausgleichung durch Transporte entgegengesetztenSinnes erfolgt.
Zu don chronischen Wirkungen dieser Art sind vorzugsweise zu rechnen
langsam fortschreitende oder rückgängige Entwickelungen der Vereisung der
Polargegenden, ferner die enormen Ablagerungen, welche die Flüsse von den
Gebirgen herab bis in die Nähe der Mündungen transportiren. Um eine Idee
von der Grösse der Massen-Transporto zu geben, welche z. B. durch grosse
Flüsse bewirkt werden, erwähne ich nur, dass der Mississippi alljährlich in der
Nähe seiner Mündung etwas mehr als 200 Millionen Kubikmeter ablagert
Hinsichtlich der akuten Wirkungen ist besonders zu denken an mächtige
Regengüsse und vor allem an so weit verbreitete und massenhafte Schneefälle,
wie sie z. B. in den letzten Wintern stattgefunden haben. Dieselben stellen
die Ueberführung und andauernde Ablagerung sehr grosser Wassermengen
aus den tropischen Meeren über grosse Flächen der gemässigten und polaren
Zonen dar.
Theoretische Untersuchungen und Berechnungen über die möglichen
Wirkungen, welche solche Veränderungen der Massenvertheilung auf die Lago
der Drehungs-Axe im Erdkörper haben können, sind vorzugsweise von Herrn
Prof. Gylden, jetzt in Stockholm, sodann von Sir William Thomson in
Glasgow und von Herrn G. H. Darw'in in Cambridge (England), endlich in
besonders lichtvoller Weise von Herrn Prof. Helmert, jetzt in Berlin, ausge-
führt worden. (Nach diesen Vorgängen habe auch ich diese und verwandte
Fragen in einer kleinen Monographie behandelt.)
Die Rechnung orgiebt mir unter anderem, dass, wenn auf einmal die
ganze Fläche des europäisch-asiatischen Russlands mit einer Wasser- oder
Eisschicht von 10 Centimeter Höhe bedeckt wird, die Drehungs-Axe der Erde
hierdurch allein eine mittlere Lagen-Aenderung von nahezu A Hundertein der
Sekunde in solchem Sinne erfahren muss, dass sich die mittlere Lage des
Nordpols der Axe, bedingt durch die Lage der benachbarten Haupt-Axe, uni
etwa 1 Meter nach der Seite der Hudsons-Bai hin bewegt, während ihre Lago
im Raume, also auch die Lage des Ruhepunktes der scheinbaren täglichen
Drehung des Sternenhimmels am Firmament unverändert bleibt. Erfolgte jene
Ablagerung in der Form von Schnee, so müsste die Höhe jener Schicht, wegen
der geringen Dichtigkeit des letzteren, namhaft grösser sein, um dieselbe
Wirkung hervorzubringen.
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115
Eine andere Rechnung ergiebt, dass eine zeitweise Erhöhung des Wasser*
Standes im Mittelmecro um 1 Meter eine Lagen- Aenderung der Drehungs-Axe
um 3 bis 4 Hundertel der Sekunde verursachen würde, ein Betrag, der gerade
an der Grenze des zur Zeit Messbaren liegt.
Das Gesamt- Ergebnis» aller solcher bisherigen Rechnungen besteht
darin, dass Wirkungen jener Art allerdings bis in das Gebiet des für uns
Messbaren empordringen können, dass es aber dazu doch ausserordentlich ge-
waltiger Vorgänge bedarf, welche jedenfalls nicht häufig und selten derartig
Vorkommen, dass nicht eine gewisse Ausgleichung durch Gegenwirkungen in
anderen Theilen der Erde erfolgen könnte.
Bei dieser Sachlage musste es um so wichtiger erscheinen, alle Messungen,
welche Licht auch auf solche Veränderungen der Lage der Erd-Axe werfen
konnten, aufs eifrigste fortzusetzen und womöglich zu verfeinern.
Unsere Zeitschrift freut sich in weiteren Kreisen ausserhalb der Fach-
genossenschaft die ersto Mittheilung machen zu können, dass dies mit beson-
derem Erfolge neuerdings auf der Berliner Sternwarte geschehen ist und zwar
von Seiten des zweiten Observators derselben, Herrn Dr. Friedrich Kästner,
ln einer soeben veröffentlichten Arbeit desselben „Ueber eine neue Methode
zur Bestimmung der Aberrations-Constanto nebst Untersuchungen Uber die
Veränderlichkeit der Polhöhe“ ist mit einer bisher nicht erreichten Strenge
der Messung der Nachweis geführt, dass sowohl in dem Zeiträume vom Früh-
jahr 1 8S1 zum Frühjahr 18S2, als vom Frühjahr 1884 zum Frühjahr 1885 eine
Veränderung der geographischen Breite von Berlin um nahezu *20 Hundertel
der Sekunde und zwar in beiden Fällen eine Abnahme derselben stattgefunden
hat. Damit ist nicht gesagt, dass die beiden gleichgerichteten Acnderungen
sich addirt haben müssen, denn es können sehr wohl in der Zwischenzeit,
aus welcher noch keine genauen Beobachtungen dieser Art vorliegen, Gegen-
wirkungen, bestehend in kleiaen Vergrösser ungen der geographischen Breite,
stattgefunden haben, w’orauf die Berliner Beobachtungen dadurch hindeuten,
dass der mittlere Worth der geographischen Breite in der Epoche 1881/1882
fast genau mit dem mittleren Werthe derselben in der Epoche 1 884/1 88. >
übereinstimmt.
Der Sachverhalt bei allen akuten (oder stossweison) Anlässen zu
Lagen-Aenderungen der Drehungs-Axe im Erdkörper ist im wesentlichen
der folgende: Durch die Veränderung der Massen vertheilung ändert zunächst
das Haupt-Axen-System seine Lage im Erdkörper, und nun beginnt sich im
Erdkörper die Drehungs-Axe um die neue Lage der benachbarten Haupt-Axe
in der zehnmonatlichen Periode in einer kegelförmigen Fläche zu bewegen,
während sie zugleich im Raume eine beständige Lage bewahrt. Etwas anders
liegt die Sache dagegen bei regelmässigen fortschreitenden Aenderungen der
Massenvertheilung, welche die Wirkung haben, dass die Lagen-Aenderungen
der fraglichen Haupt-Axe »ich der unveränderlichen Lage der Drehungs-Axe
im Raume nahezu anpassen, so dass durch solche Lagen-Aenderungen im
Körper die Spannweite der zehnmonatlichen Bewegung nicht erheblich ge-
ändert werden kann, obwohl dabei die Lago der Lothrichtungen gegen
die der Bewegung der Haupt-Axe folgende Drehungs-Axe sich im allgemeinen
fortschreitend ändern muss.
In allen Fällen knüpft sich also die Veränderung des mittleren, niclit-
periodischcn Werthes der geographischen Breite an die jeweilige neue Lago
der bezüglichen Haupt-Axe.
Was nun die obigen akuten Wirkungen betrifft, so kann man hinsichtlich
des Verlaufes der aus denselben hervorgehenden, jeweilig verstärkten oder ein-
geschränkten periodischen Veränderungen der geographischen Breiten unter
Himmel und Erde, 1868. II. 9
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allen mögliche» Fällen zwei Huuptgruppeu unterscheiden, l»ei denen der Ver-
lauf sich verhältnissmässig einfach darstollt.
Hat die Lagen-Aenderung der Haupt-Axe in der Richtung des Meridians
des Beobachtungsortes, gleichviel ob nach ihm hin oder von ihm hinweg,
stattgefunden, so wird die sofort beginnende sehnmonat liehe Bewegung
der Drehungs-Axe um die neue Lago der Haupt-Axe 5 Monate nach dem
Kintritt der Veränderung der Massenvorthoilung die grösste Aenderung
der geographischen Breite bewirken, und zwar gleich dem Doppelten des Be-
trages, welcher in den obigen Beispielen für die Lagen-Aenderung der Haupt-
Axe oder die grösste dadurch mögliche Veränderung der mittlerem geo-
graphischen Breite eines Beobachtungsortes gefunden worden ist. Zehn Monate
nach dem Kintritt der Störung wird dagegen unter vorstehenden Voraus-
setzungen die geographische Breite wieder ihren früheren Worth haben. Hat
dagegen dio Lagen-Aenderung der Haupt-Axe rechtwinklig zu der Meridian-
Ebene des Beobachtungsortes stattgefunden, so wird in der geographischen
Breite die grösste Wirkung der Störung 2 1/2 und 71/, Monate nach dem Eintritte
der letzteren sich zeigen, aber die Abweichungen von dem A nfangswerthe
werden das eine Mal positiv, das andere Mal negativ, sich nur gleich dem Be-
trage der Lagen-Aenderung der Haupt-Axe selber ergeben.
Anders wird es sich mit den Veränderungen der geographischen Längen
verhalten, welche inan aber jetzt noch kaum genau genug für Untersuchungen
vorliegender Art bestimmen kann.
Der ganze eben dargelegle Verlauf der Sache kann aber in beliebigen
Zeitpunkten wieder dadurch abgeändert werden, dass eino neue Störung ähn-
licher Art. aber von anderer Richtung und Grösse eintritt. Hierdurch kann
der weitere Fortgang der zehnmonatlichen Bewegung unter Umständen zur
Ruhe gebracht, unter Umständen aber auch erweitert werden, je nachdem die
neue Störung eine Annäherung oder eine Verstärkung der Abweichung der
neuen Lage der Haupt-Axe von der im Erdkörper in jener Bewegung begriffenen
I )rehungs-Axo hervorbringt.
Man erkennt sofort, dass das ganze Erscheinungs-Gebiet nur durch un-
ablässige, möglichst gleichzeitige Beobachtungen an zahlreichen wohl vertheilten
Punkten der Erdoberfläche zu umfassen sein wird, dass dasselbe fast uner-
gründlich reich sein wird an weiteren Problemen, zugleich aber auch an Auf-
schlüssen über viele bekannte und noch unbekannte Veränderungen der
Massenvertheilungen in den verschiedensten Regionen des Erdkörpers.
Es leuchtet ein, dass auch für die ganze Beobachtungskunst der Astro-
nomie und der Erdmessung diese Angelegenheit epochemachend ist.
Die Wissenschaft hat sich zu beglückwünschen, dass es gelungen ist,
die internationale Organisation der Erdmessung vor zwei Jahren vor dem Zer-
fall zu bewahren und sogar zu kräftigen und zu erweitern: denn ohne diese
Organisation, welche schon im Jahre ISSÖ in ihrer General-Konferenz zu Rom
die ersten Schritte zu einer geordneten, gemeinsamen Behandlung der vor-
liegenden Frage gethan hat, würde es nicht möglich sein, dio ganze wichtige
Untersuchung in einigermassen Erfolg vet sprechender Weise baldigst weiter-
zuiühren.
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Beilage zu .Himmel und Erder 1-Jalirgaivg 2.H*rft
117
Die Sonnenfinsternis* vom 19. August 1887 und die Sonneucoroua.
Der helle Lichtschimmer, welcher wahrend der totalen Sonnenfinsternisse die
dunkle Mondscheibe umgiebt, bleibt bis jetzt eine ganz unerklärte Erschei-
nung — ein Räthsel für den Astronomen und Physiker. Viele Hypothesen
sind in den letzten Jahrzehnten, seitdem man die Corona zu beobachten an-
gefangen hat, für die Erklärung dieses seltsamen Phänomens von verschiedenen
Astronomen vorgeschlagen worden, aber keine derselben lässt sich init der
Gesamtheit der über die Corona bekannten Thatsachen gut in Einklang
bringen. Desshalb wird jede neue totale Sonnenfinsterniss mit immer steigendem
Eifer aufs sorgfältigste beobachtet; keine Gelegenheit wird versäumt, um die
Ergebnisse der früheren Untersuchungen zu vervollständigen und zu prüfen,
lind neue Data zu gewinnen, welche über die Natur dieses Lichtschimmers
Aufschluss zu geben vermögen.
Dio totale Sonnenfinsterniss vom 19. August 1S87 erregte viele Hoffnungen
in den Kreisen der Astrophysiker. In der That waren die astronomischen
Verhältnisse derselben ganz ausnahmsweise günstig. Da der grösste Theil des
Erdballs von Weltmeeren eingenommen wird, so ist es sehr natürlich, dass
gewöhnlich die Totalitätszone einer Sonnenfinsterniss über dem Ocoan liegt,
so dass uur wenige Punkte (Inseln u. dgl.) dieser Zone von Beobachtern benutzt
werden können, und sehr oft befinden sich die für dio Beobachtung günstigen
Gegenden in weit entfernten, uncivilisirten Ländern, so dass die Aufgabe der
Astronomen sehr beträchtlich erschwert wird. Bei der Finsterniss des vorigen
Jahres verlief im Gegentheil die Total itätszo ne auf einer Strecke von über
1000 Kilometern inmitten des europäischen Continents; in wenigen Tagen konnte
man aus einer europäischen Sternwarte jeden beliebigen Punkt dieser Zone
1 *is weit in Sibirien hinein, auf Eisenbahnen und Flussdampferti erreichen;
die Zahl der Stationen, auf welchen wohlausgerüstete Expeditionen am Morgen
dieses Tages bereit waren, die Umgebungen der Sonne mit vortrefflichen In-
strumenten zu durchforschen, war eine ungemein grosse, und inan konnte noch
einen wichtigen Beitrag zu diesen speciellen Untersuchungen von Seiten der
Tausende von Laien erwarten, welche in dieseu dicht bevölkerten Gegenden
die Finsternis« zu Hause sehen sollten, oder derjenigen, welche für den Tag
der Sonnenfinsterniss aus Nord und Süd in die Totalitätszone übergewandert
waren.
Nun ist, wie bekannt, die grösste Zahl der geplanten Untersuchungen
wegen unglücklichen Wetters ganz vereitelt worden. Trotzdem bezeichnen
aber die wenigen Resultate, welche man doch an einigen Orten erhalten konnte,
einen wichtigen Schritt in unserer Erkenntnis« der Corona, wie wir es gleich
sehen werden. Bevor wir aber die Ergebnisse dieser Sonnenfinsterniss besprechen,
wollen wir einen kurzen Ueberblick über die gegenwärtig in Bezug auf die
Beschaffenheit der Sonnencorona herrschenden Ansichten werfen.
Dio Gesamtheit der für die Erklärung der Corona vorgeschlagenen
Hypothesen lässt sich in drei Gruppen vereinigen.
Einige glauben, dass die Corona eine die Sonne umhüllende Atmosphäre
ist, welche sich auf sehr beträchtliche Entfernungen von der Oberfläche der
Sonne ausbreitet. Diese Atmosphäre besteht aus glühenden leichten Gasen,
von denen einige auf unserem Planeten fehlen, und vielleicht noch viel dünner
sind als das leichteste der uns bekannten Gaae — der Wasserstoff. Heftige
Bewegungen durch wühlen diese feurige Masse, und die Vorgänge auf der
Sonnenoberfläche haben einen nicht zu verkennenden Einfluss auf den Zu-
stand dieser dünnen Gashülle: auf sehr grosse Höhen, weit von der strahlenden
Photosphäre, entstehen in der Corona chemische Verbindungen zwischen den
sie bildenden Gasen; einige von ihnen können dabei in den flüssigen oder
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sogar festen Zustand übergehen, in welchem sie auf die Oberfläche der Sonne
herabfallen, einen fortwährenden Hegen bildend, welcher aber beim Nieder-
fallen wieder zerlegt, verdampft, verflüchtigt und in grosse Höhen zurück-
geschleudeit wird.
Andere sehen in der Corona das von den die Sonne umkreisenden
Meteorschwärmen rcfloktirte Sonnenlicht, zu welchem sich noch das eigene
Licht der in unmittelbarer Nachbarschaft der Sonne kreisenden und von ihr
bis zum Glühen erhitzten Partikeln des kosmischen Staubes gesellt. Die
Meteore, welche uin die Sonne parabolische oder hyperbolische Bahnen be-
schreiben, bilden in ihrer Gesamtheit um dieselbe eine Art immer wechselnder
Staub-Atmosphäre, welche uns das Licht der Sonne reflektirt und so während
der Sonnenünsterniss als Corona erscheint.
Einige dieser kosmischen Meteore können dabei nicht nur erhitzt, sondern
auch wohl geschmolzen und verdampft werden, so dass wir in der meteorischen
Wolke, welche die Corona bildet, alle drei Aggregationszustände treffen können.
Endlich behaupten einige Astrophysiker, dass eine Sonnencorona über-
haupt gar nicht existire, dass diese ganze Erscheinung nur ein optisches Phä-
nomen sei und also gar nicht die Aufmerksamkeit verdiene, welche ihr von
so vielen Beobachtern gewidmet wird. Die Anhänger dieser Theorie wollen
in den DifTractions- oder ähnlichen Erscheinungen die Erklärung der Sonnen-
corona Anden.
Um nun zwischen diesen so verschiedenen Meinungen entscheiden zu
können und das Räthsel der Beschaffenheit der Corona zu lösen, wird während
der wenigen Minuten, in welchen uns eine totale Sonnenflnstcrniss die Um-
gebung der Sonne zu sehen erlaubt, das Licht der Corona mit allen der
Wissenschaft zu Gebote stehenden Hilfsmitteln untersucht. Die Form und
Struktur der Corona wird teleskopisch beobachtet, sie wird gezeichnet und pho-
tographirt, die Intensität ihres Lichtes wird photometrisch gemessen, ihre che-
mische Zusammensetzung und physikalische Beschaffenheit mittelst des Spectro-
scops untersucht und die Polarisation ihres Lichtes mit Hilfe von Polariscopen
und Polarimetern nach ihrer Richtung bestimmt und nach ihrer Quantität
gemessen. Für die Sonnenfinsternis des vorigen Jahres hatte man noch Vor-
bereitungen getroffen, um aus der Verschiebung der spectrischen Linien im
Spectrum der Corona über ihre Bewegung Aufschluss zu erhalten.
Für die Begründung oder Verurtheilung der ersten der drei oben ange-
deuteten Hypothesen würde es von ausserordentlicher Wichtigkeit sein, die
Richtung und Geschwindigkeit der Bewegung in verschiedenen Theilen der
Corona, am Aequator und an den Polen, dicht am Sonnenrande und in einiger
Entfernung von demselben, zu messen; so könnte sogar diesos ein „Experi-
mcntuin crucis- für diese Hypothese werden. Leider konnte Prot Egorof in
Nikolskoie (Gouv. Moskau) sein Spcctroscop, welches für diesen Zweck einge-
richtet war, nicht benutzen, weil die Sonne sich mit ihrer Corona während
der Finsterniss hinter einer dicken Wolkenschicht verborgen hatte, welche
jegliche Beobachtung verhinderte.
Für die Beurthcilung der zweiten Hypothese würden polarimetrische
Messungen, welche die Quantität des in dem coronalen Lichte enthaltenen
reflectirten Sonnenlichtes ergeben können, von grosser Wichtigkeit sein. Aber
es konnte auch das Polarimeter, mit welchem u. a. ich in SorviBhskaia (Gouv.
Viatka, Ostrusslund) die Polarisation des Lichtes der Corona in verschiedenen
Punkten derselben zu messen beabsichtigte, auch wegen sehr ungünstiger
Witterung nichts leisten.
Endlich ist für die dritte Hypothese wichtig die Form der Corona und
die Stabilität dieser Form kennen zu lernen, und in dieser Hinsicht geben
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uns tlie photographischen Aufnahmen und die Zeichnungen der Corona reich-
liches Material.
Es ist Herrn N. Chamantof gelungen, in Krasnojarsk (Ost-Sibirien)
eine Reihe von 14 vortrefflichen photographischen Aufnahmen der Sonnen-
corona zu erhalten, deren wissenschaftliche Bedeutung noch in hohem Masse
erhöht wird durch den Vergleich mit einigen anderen einzelnen Photographien,
welche während derselben Finsterniss an der Küste des stillen Ocoans (Buchte
Possjet), auf dem Ural, in West-Russland (Polozk) etc. erhalten worden sind.
Mit denselben können noch die vielen Haudzeichnungcn (etwa 100) verglichen
werden, welche an die russische physikalische Gesellschaft von der ganzen
Strecke der Totalität eingelaufen sind.1)
Vergleicht man nun die Photographien von Hern» Chamantof mit-
einander und mit anderen, welche in tausenden von Kilometern von Krasnojarsk
nach Westen und nach Osten entfernten Ortschaften aufgenommen wurden, so
Findet man zwischen ihnen eine so grosse Aehnlichkoit, wie man es kaum
nach den herrschenden Ansichten über die Unbestimmtheit und Unstabilität
der coronalen Formen erwarten konnte. Dieses liefert aber, nach unserer
Meinung, einen entschiedenen Beweis gegen die dritte, optische Hypothese
über den Ursprung der Corona.
Freilich könnte man aus einem flüchtigen Blicke auf die vielen einge-
sandten Zeichnungen der Corona zu einer ganz entgegengesetzten Schluss-
folgerung gelangen, denn in der Thal giebt jede Zeichnung ein von allen
anderen abweichendes Bild der Corona. Aber wenn man das in den Zeich-
nungen enthaltene Material behandeln will, so muss man die Umstände nicht
vergessen, bei welchen sie entworfen worden sind. Es ist nicht leicht, ja kaum
möglich, in dem Zustande der Nervosität, welche sich beinahe aller Menschen
während einer totalen Sonnenfinsterniss bemächtigt, im Dunkel der kaum 2 — 3 Mi-
nuten andauernden Finsterniss, nach der Natur ein Bild zu skizziren von einer so
wunderlichen Erscheinung, wie die Sonneucorona, die man zum ersten Male im
Leben sieht, deren Gestalt so unbestimmt dem Auge erscheint, deren Licht so
allmählich mit der Entfernung von dem Sonnenrande schwindet. Man weiss
nicht, was man beobachten soll: Einer wird die allgemeinen Umrisse der Co-
rona abzubilden versuchen, einem Anderen wirft sich irgend ein langer oder
breiter Strahl derselben in die Augen, und er zeichnet ihn, ohne den anderen
Eigentümlichkeiten der Corona Aufmerksamkeit zu schenken; ein Dritter
findet, dass die nicht radiale Richtung einiger Strahlen das Merkwürdigste des
ganzen Phänomens sei, und er bemüht sich, dieselbe auf seinem Bilde schaiT
zu betonen; — so entstehen Zeichnungen, aus welchen man kaum über die
richtige Form und Struktur der Corona belehrt zu werden hoffen kann.
Unterwirft man aber diese Zeichnungen einem genaueren Studium, so
sieht man, dass trotz der localen Unterschiede, welche bisweilen sehr gross
Ausfallen, doch in vielen Abbildungen charakteristische gemeinsame Züge sich
wiederflnden, welche einen weiteren Beweis liefern, dass die Corona in allen
nicht verschieden sein konnte, eine Schlussfolgerung, zu der man aus den
Photographien mit viel grösserer Sicherheit gelangt.
Wir werden ein anderes Mal die Beweiskraft der über die Sonnencorona
bekannten Thatsachen für die verschiedenen Hypothesen über ihre Beschaffen-
heit prüfen und die Gründe auseinandersetzen, welche uns für die meteorische
Hypothese entscheiden.
London, den 7. October 18M. Joseph Kleiber.
‘) Einige dieser Zeichnungen sind auf Seile 120 u. 12t roproducirl worden. Man lludot
darüber Näheres ln dem diesem Artikel folgenden Zusätze der Redaktion. Anm. *1. Red.
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Zusatz der Redaktion zu obigem Aufsatze. Wir sind in der bevor-
zugten Lage zu dem obigen Aufsatze über die SonneufinBterniss des verflossenen
Jahres, welcher so durchaus allgemein das allseitigste Interesse entgegcngv-
bracht wurde, hier unten einige Photographien und Zeichnungen veröffent-
lichen zu können, welche am 19. August 1888 von russischen Beobachtern
herrühren, und sonst noch nicht erschienen sind. Wir verdanken dieselben
Herrn Kleiber, welchem als Sekretär der Sonnenflnsterniss-Commission der
Petersburger physikalischen Gesellschaft alles damals gesammelte Material
direkt durch die Hände ging. Diese selben Zeichnungon sollen demnächst
einem in russischer Sprache verfassten Berichte über jene Sonnenfinsternis«
beigefügt werden.
Die ersten beiden Abbildungen sind Facsimiles von Photographien der Sonne
während der Totalität der Finsterniss, welche zu verschiedenen Zeiten von Herrn
Chnmantof in Krasnojarsk aufgenommen wurden, und von denen auch der
obige Aufsatz handelt. Die genaue Uebereinstimmung der verschiedenen Lichtaus-
wüchse rings um die verfinsterte Sonne herum auf beiden Photographien ist
in der That angethan, die Ueberzougung einiger Forscher, dass die Corona nur
eine optische Erscheinung, gewissermassen eine falsche Vorspiegelung nicht
existirender Materietheile sei, durch den Augenschein zu widerlegen. Denn
zu den beiden Zeiten, in welchen diese Photographien entstanden, waren durch
die veränderte Stellung der beiden Himmelskörper die optischen Bedingungen
wesentlich verändert worden.
Die vier mittleren Abbildungen sind getreue Wiedergaben von Haml-
zoichnungen, welche von gebildeten Beobachtern, die zum Theil sogar Fach-
leute sind, herrühren, und zwar wurde die erste von Herrn Fedosiejef in
Korzov (Gouv. Vladimir), die zweite (rechts danebenstehende) von Herrn
Suchof in Tomsk, die dritte von Herrn Korotkiewicz in Turinsk (Gouv.
Tobolsk) und die vierte von Herrn Rüdiger in Buchte Possjet am Stillen
Ocean ausgeführt. Das letzte Bild stellt eine offenbar erst nach der vorüber-
gegangenen Erscheinung auf Grundlage der während der Totalität erhaltenen
Skizze ausgeführte Zeichnung, also nicht mehr den unmittelbaren Eindruck
dar. Ihr Autor ist ein Herr Buschujef in Werch neudinsk.
Von den mittleren vier Zeichnungen legt Herr Kleiber das meiste
Gewicht auf die letzte, weil dieselbe von einem mit astronomischen Beobach-
tungen vertrauten Marineoffizier herrührt und auch der beigegebene Original-
bericht besonderes Verständniss für den Gegenstand bekundet. In der That
zeigt auch diese Abbildung vor allen übrigen die meiste Aehnlichkeit mit den
völlig objektiven Photographien: man betrachte desswegen beispielsweise den
Ausläufer rechts etwas unten. Die anderen Zeichnungen beweisen offenbar
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nur, dass man mit ihnen kaum etwas beweisen kann, sind aber eben deswegen
von Interesse.
Anschliessend au diese Betrachtungen über die rüthsei hafte Corona können
wir unsern Lesern, neben den wiedergegebenen Zeichnungen dieses Phänomens
allein, ein gelungenes farbig-landBehaftliehes Bild einer Sonnenfinsternis dar-
bieten, welches den Gesamteindruck der seltenen Erscheinung sehr wirkungs-
voll zum Ausdruck bringt und durch das der Künstler, so viel als es eben in
feiner Macht steht, die am 19. August durch das Wetter bitter getäuschten
Schaulustigen zu entschädigen sucht. (Siehe das Titelbild.)
Das Bild ist durchaus nicht allein aus der Phantasie des Künstlers ent-
sprungen. Derselbe hatte sich in der kritischen Nacht einer astronomischen
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122
Expedition angeschlossen, welche sich, von Bnaucliweig kommend, unter
der Leitung1 des Herrn Professor Koppe auf einem Berge am Ostrande
des Harzes sorgfältig eingerichtet hatte, um die Einzelheiten der seltenen Er-
scheinung möglichst vollständig zu fixiren. Nun, ich brauche nicht noch ein-
mal zu wiederholen, dass alle diese so schön durchdachten Vorbereitungen
vergebens gewesen sind. Nur der Maler ging doch nicht ganz leer aus.
Während die Sonne allerdings hinter dichten Wolken dort gänzlich verhüllt
blieb, konnte Herr Kranz wenigstens von der wechselnden Beleuchtung und
den veränderten Farbentönen der Wolken, auf deren Beobachtung wissen-
schaftlicherseits diesmal besonderes Gewicht gelegt worden war, eine schnelle
Skizze entwerfen, uud diese Studie liegt dem beigehefteten Bildd in Bezug
auf die Wiedergabe der Wolkenpartien und der Beleuchtung des Horizontes
zu Grunde. Hie nächste Umgebung der Sonne ist dagegen nach den Er-
innerungen Anderer etwa so aufgefasst, wie man dioselbe in der Umgegend
Berlins, in Marienfelde oder Hoppegarten, damals sah, als die Sonne zur
Zeit der Totalität aus einer tiefroth beleuchteten Wolkenlücke, zum Theil
hervorbrach. Nur ist die Lucke im Bilde etwas grösser dargestellt, um eben
den mysteriösen Eindruck der verfinsterten Sonne mit ihrer Corona besser
hervortreten zu lassen.
Man sieht also, dass hier Wahrheit und Dichtung gemischt ist, um ein
wirkungsvolles Bild zu schaffen, das jedoch nur insofern von der Wahrheit
abweicht, als es Zustande nach bestem Wissen so naturgetreu wiedergiebt, wie
sie unter günstigeren Beobochtungsbedingungen wirklich gesehen worden
wären. Unter diesem Gesichtspunkte ist das Bild zugleich auch als eine Er-
gänzung unseres im ersten Hefte dieser Zeitschrift abgedruckten Artikels über
die Veranstaltungen der Urania aufzufassen, indem das farbige Bild jenen Augen-
blick daivtellt, von welchem dort auf Seite ö4 bei Gelegenheit der Beschreibung
einer Vorstellung in dem einzurichtenden .wissenschaftlichen Theater- die
Rede ist. ln der That ist die vorzügliche chromo-lilhographische Reproduktion
nach einem Oelgomäldo hergestellt, welches seinerseits wieder dem Decorations-
inaler für seine Darstellung im grossen Massstabe zu Grunde liegen wird. Nur
durch die Verbindung dieser verschiedenartigen günstigen Umstände sind wir
hier in den Stand gesetzt, unseren Lesern diese Reproduktion zu bieten.
*
Erscheinungen am Sternenhimmel im Monat November.
Von den im Octob Jilieft (S. 54, 55) aufgeführten gegenwärtig sichtbaren
Kometen nimmt der letztentdeckte von Uarnard besonderes Interesse in An-
spruch. Dieses Gestirn wird nämlich erst Ende Januar in die Sonnennäht*
kommen, also wahrscheinlich noch sehr lange sichtbar bleiben und dadurch
eine ansehnliche Reihe von Beobachtungen veranlassen. Das folgonde Bild ist
auf Grund der bis Anfang October vorgelegenen Elemente des Kometen con-
struirt. Es zeigt die Stellung des Gestirns gegen den Horizont um Mitte
November, zwölf Uhr Nachts. Am 2. November steht der Komet fast in der
Verbindungslinie zweier wohlbekannter Sterne des „Orion“, durchläuft den
nördlichsten Theil des „Eridanus“, tritt am 11. November in das kleine Stern-
bild der „Georgsharfe", passirt dieses zwischen zwei Sternen vierter Grösse,
und langt mit immer schneller werdender Bewegung Ende Novomber im
.Wallfisch“ an. Die Helligkeit nimmt stetig zu und beträgt Anfangs November
das achtfache. Ende des Monats das dreizehufache jener bei der Auffindung am
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123
Stellung des Barnard’achen Kometen
gegen den Horizont Mitto November 12 Uhr Nacht».
; , , ,/»,
.39 ,
7'
'•/•Bäke.
2. September. Mitte November ist das Object bereits in den ersten Abend-
stunden beobachtbar.
Um an dieser Stelle
auf das alljährlich wiedor-
kehrende Sternschnuppen-
schauer um den 13. No-
vember, die Leoniden,
hinzu weisen , bemerken
wir, dass die Beobachtung
diesmal durch die Abwe-
senheit des Mondes be-
günstigtwird. Bekanntlich
tritt das Maximum der
Sternschnuppenfälle stets
erst in der zweiten Hälfte
der Nacht, gegen 3 Uhr
morgens ein. Um diese
Zeit nun ist der störende
Mond in jenen Nächten
längst untergegangen ( in
der Nacht vom 12. auf «len
13.: Mond -Untergang in
Berlin 1 Uhr 9 Min., in
«ler folgenden Nacht 2 Uhr
19 Min.). ^
Hagegen wird man von etwa noch auftretenden Nachzüglern des merk-
würdigen, am 27. Nov. 1S72 u. 1385 eingetretenen und «lern Zerfall des Biela'schen
Kometen zugeschriebenen Schwarme diesmal höchstens in den Abendstunden
einige aus dem Sternbilde der Andromeda radiirende Spuren wahrnehmen, da
an diesem Tage der Mond bereits um 12 Uhr 30 Min. Nachts aufgeht.
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Aus der Spektralanalyse. — Prof. Langley hat neulich vor der
amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft einen interessanten
Vortrag über die Entwickelung der Lehre von der strahlenden Energie ge-
halten. Der berühmte Gelehrte erzählt dabei unter anderem, wie man bis vor
fünfzehn Jahren allgemein an ein Dogma geglaubt habe, das sich auf die Wir-
kung der irdischen Lufthülle bezog. Man meinte nämlich bis dahin, dass die-
jenigen Strahlen der Sonne, welche jenseits des rothen Endes des Spektrums
liegen, — kurz die ultrarothen genannt — einen vorzüglich wärmenden Rin-
fluss besitzen. Die Atmosphäre — so meinte man ferner — verschluckt gerade
diese Strahlen in bedeutendem Masse und wirkt aus diesem Grunde ebenso
wie das Glasdach eines Treibbeetes, welches auch ein beträchtliches Absorptions-
vermögen gerade für die ultrarothen dunklen Strahlen besitzt, also Schloss und
Hiegel bildet, um den Wärmestrahlen den Rückweg nach aussen abzusperren.
Zum Verständnisse dvr letzteren Wirkung ist folgendes hinzuzufügen. Die
Erwärmung der Erdoberfläche geschieht durch die Absorption eines grossen
Theiles sämtlicher Strahlungen der Sonne, die Rückstrahlung dieser Wärme
in den Weltenraum aber ausschliesslich in der Form ultrarother dunkler Strah-
lungen von grossen Wellenlängen. Eine Schicht, welche vorzugsweise die
Strahlen letzterer Art absorbirt, ist also insofern eine warmhaltende, als sie
von der Wärmezufuhr durch Einstrahlung nur einen Theil wegnimmt, dagegen
in demselben Verhältnis» wie auf diesen Theil auf die gesamte durch Rück-
strahlung erfolgende Wärme-Abgabe einschränkend wirkt.
Auffallender Weise zeigten Langlevs mit grossem Fleisse jahrelang
fortgesetzte Beobachtungen auf Beigeshöhen gerade das umgekehrte Verhalten
der Atmosphäre. Sie liess die ultrarothen dunklen Strahlen passiren und sie
verschluckte gerade diejenigen Wärmestrahlen in hervorragendem Masse, welche
den hellsten Theilen des Spektrums entsprechen. Damit schien das lang ge-
glaubte Dogma widerlegt, das sich hei näherem Zusehen auf oiuen Aus-
spruch Fouriers zurückführen liess. Dieser hatte zwar, auf Saussuresclie
Versuche gestützt, nichts Amines behauptet als dass die Atmosphäre, wenn
sie fest wäre, gerade so wie Glas wirken würde: aber diesen hypothetisch aus-
gesprochenen Satz hatten Fon riers Nachfolger ohne die noth wendige Voraus-
setzung wiederholt, und so kam es, dass er überall geglaubt wurde. Wenn
man näher zusieht, sind aber das alte Dogma und die neue Lehre gar nicht
so weit auseinander, wie es nach Langley den Anschein hat. Es sind näm-
lich die untersten Luftschichten, welche, wenn sie nahezu mit Wasserdampf
gesättigt sind, die Rolle des Glases der Treibhäuser wirklich spielen, während
die oberen trockenen Luftschichten sich in der Thal ganz Anders verhalten.
Ueber das Instrument, mit welchem alle diese merkwürdigen Untersuchun-
gen gegenwärtig ausgeführt werden, das sogenannte Bolometer, in welchem
die Elektricität die feinsten Massbcstimmungcn von Lichtwirkungen, überhaupt
von Strahlungen liefert, soll demnächst Eingehendes mitgetheilt werden. Ist
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ja doch die Strahlung« nergie der Sonne, welche nach Langley für jedes
Quadratmeter der Erdobei fläche nahezu eine Pferdekraft her geben kann, für
uns die Wurzel alles Lebens und alles Reichthums.
Herr Langley hat ferner gefunden, dass die wärmende Wirkung der
Sonnenstrahlung sich zwar sehr viel weiter in das Ultrarot h hinein erstreckte, als
inan bisher angenommen hatte, dass aber bei den Strahlen, deren Wellenlänge
gleich 0,(027 mm gefunden wurde — eine bis dahin noch ungeahnte Grösse — die
Wärmewirkung plötzlich abbrcche, .wie wenn das Spektrum auf einmal durch
eine kalte Wand von unbestimmter Ausdehnung ersetzt würde.“ Freilich hat
Langley seilst sich noch eigens dagegen vei wählt, als ob er behaupte, dass
jenseits dieser Region gar keine Wärme mehr existiren könne, aber wenn dort
deren noch voi banden ist, so meint er, sei sie sehr, sehr gering. Ganz neuerdings ist
nun aber dieses Langloysehe Ergebniss von dem plötzlichen Abbrechen des
Wäi inespektrums widerlegt worden, und die Beobachtungen, auf denen es
fusste, haben eine sehr wahrscheinliche Erklärung gefunden. Bekanntlich ver-
schlucken nämli( h die Gase gerade diejenigen Strahlen, die sie selbst auszu-
senden vermögen. So kommen ja die dunklen Fraunhoferschen Linien zu
Stande, gerade an den Stellen des Spektrums, an welchen die absorbirenden
Gase selbst Strahlen „emittiren“ und an welchen daher helle Linien erscheinen
würden, wenn sie heisser wären, als der durchscheinende glühende Körper.
Wäre es nicht denkbar, dass auch das scheinbare plötzliche Abbrechen des
Sonnenspektrums an der angegebenen Stelle die Folge einer Absorption ist,
hervorgebracht durch einen Dampf, der einen Bestandteil unserer oder der
Sonnen -Atmosphäre ausmacht? Diesem Dampf müssten dann andererseits,
wenn er leuchtend ist, eben jene Strahlen eignen, die er absorbirt. Nun hat
sieh bei einer Untersuchung des ultrarothcn Spektrums, die Herr Julius
in Utrecht, unterstützt von Buys- Ballot, ausgeführt hat, iTl der That ge-
zeigt, dass solche Spektrallinien im Ultraroth Vorkommen, die ganz bekannten
Dämpfen entsprechen. Verbrennt man z. B. einfache oder zusammengesetzte
Gase irgend welcher Art, bei denen Wasserdampf eines der Verbrennungs-
produkte ist, so zeigt das Spektrum dieser brennenden Gase gerade an derjenigen
Stelle des Ultraroth eine vorzüglich wärmende Wirkung, welche einer Wellen-
länge von 0,00*27 mm entspricht — eine Wirkung, die an Intensität nach beiden
Seiten von dieser Stelle in einer bestimmten Cui ve abfiel. Hier liegt also, um
uns anders auszudi iicken, eine unsichtbare Kmissionsbande, die dem Wasser-
dampf entspricht Und da nun Wasserdampf einen wesentlichen Bestandtlieil
der irdisi hen Lufthülle bildet, so kann man gar nichts Anderes erwarten, als dass
die Wirkung der Sonnenwäime gerade an dieser Stelle durch Absorption aus-
gelöscht erscheint Wir sollten freilich jenseits dieser Region wiederum wär-
mende Stiahlcn vcimutbcn, welche die Ei dobei fliehe erreichen, und Langley
hat in der That eine Spur davon zu bemerken geglaubt; er drückt sich aller-
dings daiiiber noch reservirtor aus, indem er sagt: „Es giebt freilich einige
zweifelhafte Anzeichen von Wäime jenseits dieses Punktes.“ Es bedarf jeden-
falls noch weiterer Foischungen, um diese Anzeichen sicher zu konstatiren,
aber wir dürfen hoffen, dass dies gelingen werde, um so mehr als die Julius sehe
Untersuchung noch weit jenseits dieser Stelle die wärmende Wirkung anderer
Verbrennungsprodukte nach weisen konnte. So zeigte sich, dass die Kohlensäure
Strahlen von der (fast möchte man sagen ungeheuren, wenn sie nicht so winzig
klein wäre) Wellenlänge 0,0046 mm aussendet. An dieser Stelle also sollten
wir ein nochmaliges Aufhören jeder Wäimewiikung des Sonnenspektrums er-
warten infolge der Absorption durch die Kohlensäureschätze der Atmosphäre,
für deren foilwährende Erneuerung die Organismen der Erde Sorge tragen.
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Es bleibt der Zukunft Vorbehalten, da« Sonnenspoktrum jenseits der Wasser -
dampfhanden genauer zu studiren.
Wenn wir die Pfade der Wissenschaft rückwärts gehen, um die Aus-
gangspunkte aller neueren Fortschritte in der Spektrometrie ausfindig zu machen,
so werden wir auf zwei ganz verschiedenen Wogen demselben Manne begegnen
als dem Vater der beiden Haupt-Methoden dieser Wissenschaft. Der eine Weg
führt uns in Fraunhofers Studirzimmer und zeigt ihn uns, den in Gläsern
gebrochenen und in tausend Farben zerstreuten Lichtstrahl untersuchend, der
andere führt uns schliesslich — in die Ktostersohenke zu Beuediktbcurcn.
Dort sitzt Fraunhofer mit dem langjährigen Genossen soiner Arbeiten, mit
Georg Merz und wirft zufällig durch dio Fahne einer Gänsefeder seinen Blick
nach einem brennenden Lichte. Die bekannten Regenbogenfarben, dio er dabei
sieht, regen ihn zu genaueren Versuchen über diese Erscheinungen an. Er
erreicht cs schliesslich durch eifrige Verbesserungen an den Reichen hach -
sehen Maschinen für zarte Theilungen, tausend Striche genau parallel in dem
engen Raume von drei Millimetern auf Glas zu ritzen. Und wie er nun das durch
dieses Gitter fallende Sonnenlicht mit dem Fernrohr betrachtet, so erblickt er
eine Erscheinung, mit der er durc h seiue früheren Arbeiten wohl vertraut ge-
worden ist, das Spektrum ra:.t all seinen dunklen Linion. Dieses durch Beugung
erzeugte farbige Bild hat vor dem Brechungsspektrum mannigfache Vorzüge.
Einmal liegen bei diesem die einzelnen Farben nicht in ihrer natürlichen Breite
da, sondern die eine ist starker zerstreut als die andore, und daher sind die
Beobachtungen und Messungen dabei erschwert. Andererseits wird dio Natur
des Lichtes selbst bei seinem Durchgänge durch das brechende Prisma geändert,
Wärme und Licht worden vom Glase verschluckt, und zwar die einzelnen
Farben in verschiedenen Verhältnissen, so dass Langlcys Untersuchungen
über die absorbireuden Eigenschaften der Atmosphäre nur mit Hülfe des Gitter-
Spektrums ausgeführt werden konnten. Dieses ist aber in den letzten Jahren
durch die vollendete Technik der Amerikaner zu einer geradezu staunens-
werten Vollkommenheit gebracht worden. Immer genauer wurden die zarten
Theilungen, die man dem Glase einzuritzen vermochte; ein wesentlicher
Schritt zur Vollkommenheit aber war es, als man statt des durchscheinenden
Lichtes rofloktirtes einzuführen anfing. Statt der Glasplatten nahm man nun-
mehr solche von Metall und auf diesen wurden die allerfeinsten Striche in
engem Abstande oingeritzU Am weitesten in dieser Technik ist jetzt Prof.
Rowland gelangt Derselbe ritzt die Gitter auf konkave Metallplatten oin,
was für die Beobachtung der Spektren wesentliche Vortheile bietet Bereits
vor zwei Jahren hatte er auf diese Art eine schon sehr genaue Karte des
Sonnenspektrums entworfen, die sich vom Roth bis in das äusserste Ultraviolet
hinein erstreckte, ’) mit Hülfe einer Theilmaschine, die 43 000 Striche auf den Raum
eines Zolls in gonau gleichon Abständen vertheilen musste. Aber die Theil-
maschinen haben seitdem wieder wesentliche Verbesserungen erfahren, denn
die bisherigen eigneten sich nur zur Horateiluug kleiner Gitter, während Row-
land jetzt solche von sechs Zoll Breite anzufertigen im stände ist Diese
geben nun eine Bestimmtheit in dem Bilde des Spektrums, von der man sich
bisher nichts träumen liess. Die Karte wird mit Hülfe der Photographie her-
gestellt; nur so ist es ja möglich, die ultravioletten Theile des Spektrums in
die Betrachtung zu sieben, aber die Photograrame von 1886, die schon ur-
sprünglich keine guten wareu, hatten im Laufe der Zeit Verunstaltungen er-
fahren, so dass die späteren Vervielfältigungen den Ansprüchen auf Genauigkeit
') Einige schöne Resultate, die man mit dem Rowland schon tlitterspaktrum erlangt
hat, II ndeo sich S. 42 des ersten Heftes erwähnt.
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nicht mehr genügten. Nun hat Prof. Rowland Jahre lang an der Verfertigung
von empfindlichen Platten gearbeitet, und er hat sowohl gewöhnliche, dio für
die ultravioletten Strahlen am empfindlichsten sind, als auch orthochromatische,
d. h. solche, auf welche die hellsten Theilc des Spektrums besonders einwirken,
hergestellt, die seihst den höchsten Anforderungen genügen. So ist er denn
jetzt genügend vorbereitet, uin die Anfertigung der Karten nochmals aufzu-
nehmen. Bereits hat er auf den ersten neuen Photogrammen genaue Messungen
der Haupt- Wellenlängen vorgenommen, die sich bis in das Ultra violet aus-
dehnen, und die Sorgfalt, mit der er dies ausgefülirt hat, übertrifft allo früheren
Messungen, denn man kann wetten, dass die gemessenen Grössen um kaum
zwei Millioutheile ihres Werthes falsch sind.
Aber freilich ist das schon wieder nicht das letzte, was für dio heutige
Forschung erreichbar ist. Es kommen bereits Nachrichten von Amerika über
ein Instrument, das noch genauer als Row Lands Gitterspektra nur Fehler
von dem vierten Theile des obigen Betrages zu lässt. Der „Interferential-
Refraktometer“ — so heisst das neue Instrument — zeigt seine Ueberlegcnheit
über die Rowl andschen Gitter schon dadurch, dass es die rothe Wassorstoff-
linie, die man bisher stets einfach gesehen hat, als aus zwei sehr nahen Linien
zusammengesetzt zeigt. Ueber die Aufgaben, die diesem feinen Apparate zur
Lösung zufallen, hat sich Michelson in einem Vortrag vor der physikalischen
Sektion der oben erwähnten amerikanischen Gesellschaft ausgesprochen. Sie
beziehen sich auf das Studium des Einflusses, welchen die Temperatur, Dicke
und Dichtigkeit der Lichtquelle und die Zusammensetzung des strahlenden
Körpers auf eine symmetrische oder unsymmetrische Verbreiterung der Spek-
trallinicn ausübt. Diese Frage ist neuerdings u. a. von Herrn Ebert in An-
griff genommen worden, und er ist dabei schon zu viel versprechenden Er-
gebnissen gelangt. Auf diese Arbeiten kommen wir wohl ein andermal zurück.
Sni.
*
Der Ausbruch des Baudai-San auf Japan. Ueber den am 15. Juli
d. J. erfolgten Ausbruch des Bandai-San im nördlichen Theile der japanischen
Hauptinscl entnehmen wir aus der „Nature“ im Auszüge die folgende Schil-
derung eines Augenzeugen. Der Vulkan, von 1900 Meter Höhe, galt seit Menschen-
gedenken als erloschen. Um so unerwarteter trat an dem verhängnissvollen
Tage morgens 8 Uhr die furchtbare Katastrophe ein, welche den nordöstlichen
Vulkan (den kleinen Bandai-San) in einem einzigen Augenblicke zertrümmerte
und vom Erdboden verschwinden liess, woboi ein Flächenraum, halb so gross
wie London, mit einem Dutzend blühender Dörfer in ein wüstes Trümmerfeld
verwandelt wurde. Trotz der gewaltigen Explosionen wurde doch in der vor-
hältnissmässig geringen Entfernung von 20 engl. Meilen weder eine Erschüt-
terung noch ein Getöse wahrgenommen, nur ein siehenstündiger Aschenregen,
der nach dem Niedersinken ein Centimeter hoch die weitere Umgebung be-
deckte, gab den entfernter Wohnenden Kunde von dem schrecklichen Ereigniss.
Eine von Tokio ausgehende Gesellschaft erstieg den neu entstandenen
Krater und fand nach einem Aufstieg von 1000 Meter frische Einsenkungen im
Boden vor. Ein stinkender Dampf umlagerte den Berg, von dessen Hohe aus
mau die Verwüstung, die jeder Beschreibung spottet, überblicken konnte.
Eine steile, zerklüftete, nach innen gebogene Klippenwand von 200 Meter Höhe
bildete den am Platze stehengebliebenen Rest des Feuerberges; die ganze
übrige gewaltige Masse war über das Land hingeschleudert worden, so dass
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von dessen früherer Gestaltung unter den gowaltigen Schuttmasjon nichts mehr
zu entdecken ist Am Fusse der Klippe brachen unter Brausen aus zwei Erd-
spalten erstickende Dampfwolken hervor. Die durch den Ausbruch freigelegte
Fläche, welche ehemals die Basis des Vulkans bildete, mochte wohl ein Areal
von etwa 8 bis 10 Quadr.-Kilometer umfassen, während die 5 Meter mächtige
und über 120 Quadr.-Kilometer verbreitete Trümmerdecke sich auf mindestens
700 Millionen Tons schätzen lässt. Dor am Fusse des Bandai-San hinfliessende
Nakasegawa, von mächtigen Steinhaufen aufgehalten, bildete allenthalben weite
Wasserflächen. Kein lebendes Wesen war zu entdecken, wohl aber Hunderte
entstellter Leichen, die Opfer der furchtbaren Naturgewalt. Der Ausbruch
muss in einer ziemlich starken Neigung zur Senkrechten seine volle Krad
geäussert haben, sonst könnte mau sich die grosse Entfernung, bis zu welcher
die Stein- und Schlaminmengen geschleudert worden sind, bei der Kürze der
Zeit, in welcher sie den mehrere Meilen langen Weg zurücklegten, nicht recht
erklären. Der die Eruption begleitende Luftdruck war so gewaltig, dass er
ausgedehnte Wälder niedorris«. Stellenweise inachte das Chaos den Eindruck
eines plötzlich gefrorenen, sturmerregten Meeres; so hatte sich an einem
Orte ein Steinwall von 2 bis 3 Meter Höhe angehäuft; ein plötzlich zum Still-
stand gokommencr Wall von Aschenschlamm bildete sogar einen steilen Ab-
sturz von GO Meter Höhe.
Wenn auch bereits einige Tage vor dem Ausbruch sich schwache Erd-
stössc und ein Erzittern des Bodens bemerklich gemacht hatten und die hoisson
Quellen eine Steigerung der Temperatur und der Wasserfülle aufwiesen, kein
Zeichen war ernstlich genug, um die so verheerende Katastrophe vermuthen
zu lassen, bis am 15. Juli um 7l/a Uhr ein heftiger Stoss, dem nach einer
Viertelstunde ein zwoiter stärkerer folgte, ein Erdbeben einleitete, dessen
Gewalt den Boden hob und senkte, so dass alles niedergoworfen wurde. Ein
grausenvolles Krachen erhob sich, als wenn hunderte von Dontierschliigen
gleichzeitig erfolgten, ein Getöse von wahrhaft übernatürlichem Eindruck. Unter
orkanartigem Sturme verdunkelte sich dio Luft, ein Regen von Asche, glühender
Schlacken und kochenden Wassers ergoss sich über die unglückliche Land-
schaft, während dahinrasendo Schlamm- und Schuttlawiuen das Zerstörungs-
werk vollendeten. Zweifellos waren angespannte Dämpfe die Ursache der Ex-
plosion. Die zur Zeit in Japan anwesenden Seisraologon worden unter Leitung
von Prof. Milne im Aufträge der japanischen Regierung das Phäuomen ein-
gehenden Untersuchungen unterziehen, und man darf hiervon werthvolle Auf-
schlüsse über dio Natur der Krdorschütterungen erhoffen. Schw.
Beobachtung der Höhe, Länge und Geschwindigkeit der Oceanwellen.
Die äusserst schwierige Messung der Höhe und Länge der Meereswogon
inmitten eines sturmerregten Oceans, wo die störenden Einflüsse der Inseln
und Contincnte ihrer freien Entfaltung kein Hinderniss bieten, ist erst in
neuester Zeit durch Anwendung geeigneter Messapparate auf eine grössere
Genauigkeit gebracht worden. Musste man sich bislang mit Schätzungen be-
gnügen, welche die Höhe nach dem Augcnmass, etwa an vorbeisegelnden
Schiffen, die Länge der Wellen nach derjenigen des Schiffskörpers und die
Zeitdauer ihres Fortschreiteus vermittelst eines gewöhnlichen Chronometers
bestimmten, so ermöglicht heutzutage das feinfühlige Aneroidbarometer eine
zuverlässige Angabe der Wellenhöhen bis auf Bruehtheile des Meter, während
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der Chronograph die Dauer der scheinbar fortschreitenden Bewegung auf V* Se-
kunde genau registrirt, so dass der Beobachter seine ungestörte Aufmerksam-
keit dem Gegenstände der Untersuchung zuwenden kann.
Solcher neueren technischen Hülfsrnittel bediente sich Ralph Aber-
crombv im Jahre ISS.'» auf einer Fahrt des _ Tonga riro“ in verschiedenen
Gegenden des südlichen Stillen Oceans, zwischen Neuseeland und Cap Horn,
zur Messung der Elemente der Meereswogen. Eine Reihe von zahlreichen Be-
obachtungen, deren Resultate in den Prot*, of the Pliys. Soc. of Lond., Vol. IX,
Juli 1888 mitgetheilt worden sind, ergab für die grössten Wellen eine durch-
schnittliche Höhe zwischen Wellenberg und Wellenthal von 14,0 Meter, eine
Länge von 2-*>3,2 Meter und eine stündliche scheinbare Fortpflanzungsgeschwin-
digkeit von etwas mehr als 75 Kilometer oder rund 10 geograph. Meilen; für
die Periode der Oscillation wurde eine Zeitdauer von 16,5 Seeunden als mitt-
lerer Werth festgestellt Da diese Messungen bei ruhigem Wetter, während
die See von vorangegangenen Stürmen noch in Bewegung war, angostellt
worden sind, so kann man mit Abercromby sehr wohl annehmen, dass die
Wogen zeitweise im südlichen Ocean eine Höhe von 20 Meter erreichen.
Nur auf weiten und tiefen Meeren, wo alle die Bewegung verstärkenden
Ursachen längere Zeit hindurch einwirken können und keine Widerstände
diese Wirkung schwächen, begegnet man solchen mächtigen Wellen, w'ie sie
auf kleineren Meeren niemals angetroffen werden. Aber selbst auf freiem
Oceane wird die Höhe und Ausdehnung der Wasserberge je nach den lokalen
Bedingungen, als Tiefe, Meeresströmungen, Dichtigkeit, und den temporären
meteorologischen Verhältnissen, wie Winde und Luftdruck, ein sehr wechsel-
volles Verhalten zeigen. Aus diesem Umstände erklärt sich die Verschieden-
artigkeit der folgenden, von mehreren Beobachtern des Wellenphänomens er-
zielten Ergebnisse, die — aus der bekannten Üceanographie von Dr. Krümmel
entnommen — eine interessante Vergleichung darbieten, wobei indessen die
Unsicherheit der älteren, auf blosser Schätzung beruhenden Zahlen, wohl zu
beachten ist.
Tafel der W
ollen-Ele mente.
Beobachter.
r» .
Ort.
Höhe
Stundl. r ..
. Lange
Periode
in
Metern.
, .4 in
digkeit
® Metern,
in Meilen.
in Zeit-
secundcn.
Lieut. Päris ....
Indischer Ocean .
1
7.:; 114.0
7.5
Adm. Moltcr . . .
—
—
17.4 823.8
23.0
Cap. Ross
Capd.gut.Hoflfug.
7.0
1SI..3 57S).7
—
Cap. Chüden . . .
33° 8., 107« \\\ .
10.1 — 11.0
— 300—400
—
Dumont d’Urville
Cap d gut. Hoffng.
30.0
— , —
—
Scoresby
Atlant. Ocean . .
12.8
1 — *
„Novara“
110
„Challenger** ....
—
7.0
— —
—
Abercromby ....
Süd-Paciftc ....
14.0
10.0 233.2
16.3
Bei der Erdumsegelung der „Bonito1* und „Venus- fand man keine
grösseren Wellenhöhcn als 7l/2 Meter. In der Bai von Biscaya sollen nach
französischen Beobachtungen die Wellen bis zu 11 Meter Höhe erreichen; für
das Mittelmeer wird als Maximum 4,3 Meter, für die Nordsee 4 Meter ange-
nommen. Schw.
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II. (\ E. Martus, Astronomische Geographie. Zweite Auflage. Leipzig,
Koch, 1888. Preis M. 7,50.
Der Verfasser dieses vortrefflichen Buches macht es sich zur Aufgabe,
einem nur mit elementaren mathematischen Kenntnissen versehenen Leser-
kreise in populären Abrissen die Hauptbegriffe der sphärischen und theo-
retischen Astronomie und der Geodäsie vorzuführen ; er behandelt zu diesem
Zwecke im ersten Abschnitte die Begriffe und Aufgaben der sphärischen
Astronomie (Polhöhe, Zeitbestimmung, Auf- und Untergang der Gestirne, Re-
fraktion u. s. w.), im zweiten dio geodätischen Fragen (geographische Orts-
bestimmung, Gradmessung, die Betrachtung der Erde als Sphäroid, Abplattung,
Schwerkraft u. s. f.) und die Bo wegungserschein ungen der Erde und der
Planeten (Keplers Gesetze, Mondbahn, Finsternisse u. s. w.). Trotzdem er nur
elementares Wissen, etwa noch die Kenntniss der ebenen und sphärischen
Trigonometrie, in Anspruch nimmt, gelingt ihm dio verständliche Darstellung
auch der schwierigeren Kapitel. Neben Kürze und Klarheit in den Definitionen
hat das Buch einen besonderen Vorzug vor Werken ähnlicher Art, nämlich
jenen einer überaus geschickt gehandhabten Anschaulichkeit, in welcher der
Verfasser nicht selten zu originellen Mitteln greift. Musterstücke dieser Art
sind beispielsweise die Erläuterungen über die Bewegung des Mondes mit der
Eitle um die Sonno und das Entstehen der Finsternisse. Ebenso anschaulich,
-packend“ möchte ich sagen, wirken seine Rechnungsbeispiele. Hier eine
Probe zum Kapitel .Krümmung dor Erdoberfläche-: „Die Friedrichstrasse in
Berlin ist .'1:240 m lang, sie hat die Richtung der Magnetnadel : an ihrem Nord-
ende ist mithin die Polhöhe schon 1*/« Minuten grösser als an ihrem Südende.
— Würde ein Astronom sein Fernrohr in der Richtung der Mittagslinie nur
um .‘1 m verschieben, so würde er damit schon die Zehntelsekunden seiner Pol-
höhe geändert haben“. Oder zum Kapitel von der Länge des Erdhalbmessers
für einen gegebenen Ort: „ln einem Hause am Nordende der Friedrichstrasse
würde man dem Mittelpunkte der Erde um 10, fl m näher sein als am Südende
der Strasse, also um drei Treppen steigen müssen, um mit den Leuten am Südende
gleichweit vom Erdcentruin zu sein.*4 Bei den geodätischen Messungen geht der
Verfasser auch ziemlich in Details ein: wir finden hier eine genaue Beschreibung
des Basismessapparates, seines Gebrauches, des Nivellements u. s. f. Dio Aus-
führungen der einzelnen Paragraphen sind von reichhaltigen historischen An-
merkungen begleitet und bei den Angaben meist die neueren Arbeiten zuge-
zogen. Unter den Beweisen übet die Rotation der Erde findet sich auch der
neuere, durch weitere Beobachtungen aber jedenfalls noch zu erhärtende aus
dem „Seitendruck“ der Eisenbahnzüge. Dieser Beweis ist nach dem Verfasser
der folgende: „Auf doppelgleisigen Strecken, auf welchen die Schienen nur
durch neben denselben in die Schwellen eingelassene Hakennägel befestigt
sind, findet durch den Druck der Züge eine Fortschiebung der Schienen, eine
Schienenwanderung statt; sie trifft nach den Erfahrungon der Hamburg-Har-
burger Eisenbahnverwaltung jene Schiene in stärkerem Masse, welche in der
Richtung des fahrenden Zuges die rechtsseitige ist (diese ist, wegen des Erd-
umschwungcs von West nach Ost, im Nachtheil), und soll in einem Vierteljahre
den Betrag von 8 Centimetorn erreichen. — Bei den Lokomotiven zeigen, da
die Räderpaaro in Folge des Umwondens der Maschine auf der Drehscheibe
ihre Lage wechseln und der Druck auf der Rechtsseite dor Fahrtrichtung immer
grösser ist als auf der Linksseite, die rechtsseitigen Lokoinotivräder im Laufe
der Zeit eine grössere Abnützung als die linksseitigen.“ F. K. Ginzel.
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O. Dziobek, Die mathematische u Theorien der Planetenbewegungen.
Leipzig, J. Amb. Barth, 1888. Preis Mk. 9,— .
Dieses Werk, dessen Herausgabe vom Kultusministerium unterstützt
worden ist, verfolgt vornehmlich den Zweck, dem mathematisch Ausgebildeten
die schnellere Einführung in die astronomischen Theorien der Störungen zu
ermöglichen. Der Verfasser giebt hierzu im ersten Abschnitte die Hauptsätze
der Himmelsmechanik, die uöthigen Definitionen über die Charakteristik der
Bahnen der Himmelskörper, und nach Darlegung der bei der Bewegung
mehrerer Körper stattfindenden mechanischen Prinzipien eine allgemeine Dar-
stellung des Problems der drei Körper und der Spezialfälle desselben. Der
zweite Abschnitt ist von wesentlich mathematischen Interesse. Er giebt die
Integration der Differentialgleichungen der Bewegung nach Poisson und
Lagrangc und die Entwicklung dieser Sätze für die elliptischen Planeten-
bahnen, ausserdem beschäftigt er sich noch namentlich mit der Hamilton-
Jacob i sehen partiellen Differentialgleichung und deren Anwendung auf die
elliptische Bewegung der Planeten. Der dritte, für Astronomen interessanteste
Abschnitt endlich enthält die „Theorie der Störungen“. Er beginnt mit der
Entwicklung der absoluten Störungen (mit besonderer Rücksichtnahme auf
Laplace), verfolgt die Entwicklung der Störungsfunktion nach Leverrier u.A.
und ihrer Verwendungsart in der Störungstheorie. Darauf wendet sich der
Verfasser zu der durch Euler begründeten Methode der Variation der Kon-
stanten, und giebt eine Ableitung der auf Grund dieser fruchtbringenden
Methode von Laplacc und Lagrange gewonnenen wichtigen Sätze und
deren Bedeutung bei der Frage über die Stabilität unseres Planetensystems.
Hieran schliesst sich die Untersuchung des Einflusses der säkularen Glieder
in der Störungsfunktion nach Leverrier, und des Auftretens der Glieder
langer Periode. Diesem folgt die Beriicksiehtigungsweise der aus den zweiten
Potenzen der Massen hervorgehenden Glieder und der Laplacesche Beweis
über die Unveränderlichkeit der grossen Bahnachsen der Planeten. Den Schluss
bildet der Hinweis auf die Wichtigkeit einiger Sätze, welche für die Coefflcienten
hei der Entwicklung der Coördinaten in trigonometrische Reihen erlangt werden
können. Jeder Abschnitt wird mit einem historischen Uobcrblicke abgeschlossen.
Um den Verfasser in seiner Absicht nicht misszuverstehen, darf der
astronomische Leser, der das Werk kennen lernen will, den Standpunkt des-
selben nicht vergessen. Dieser Standpunkt ist ein rein mathematischer, der
das Problem in seiner Allgemeinheit, namentlich von dieser Seite aus betrachtet
und demgemäss den Fortschritt in der Lösung des Problems der drei Körper
in Bezug auf das Sonnensystem berücksichtigt. Darum liegt jene Darstellung
der Ueberwindung der Schwierigkeiten ausserhalb des Interesses des Autors,
welche in der numerischen Berechnung der Störungen bei den Asteroiden und
Kometen durch die Arbeiten von Hansen, Encke, Tietjen, Oppolzer u.A.
ebenfalls einen mathematischen Fortschritt, allerdings einen wesentlichen Fort-
schritt anderer Art repräsentiren. Obw'ohl zur Zeit die Ueberzahl der Astronomen
gerade die Entwicklung dieses letzteren Gegenstandes der Störungstheoric
verfolgt, wird das verdienstvolle Werk Dziobeks auch in astronomischen
Kreisen mit Interesse gelesen werden. F. K. Ginzel.
Himmel uud Erde. 1888. II.
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Herrn Amtmann E. in N. Sie wünschen, dass die Redaktion nächstens
auch eine Mondkartc veröffentlichen möge. Zunächst veranlasst uns dieser
Wunsch im Interesse aller derjenigen Liebhaber der Astronomie, welche sich
mit Vorliebe dem Monde zuwenden, und deren Thätigkeit in dieser Richtung
auch für die Wissenschaft sehr werthvolle Früchte tragen kann, eine Ueber-
sicht über die vorhandenen guten Mondkarten zu geben. Die grösste und
vollständigste derselben ist die einen Durchmesser von etwa 190 cm besitzende
Karte von Julius Schmidt, welche auf Kosten des Kgl. proussischen Unter-
richtsministeriums herausgegeben und bei Dietrich Reimer in Berlin zu
haben ist Am nächsten stehen derselben in Ausführlichkeit und Zuverlässig-
keit die Mondkarten von Lohrmann, welche vor einiger Zeit bei Job. Atnbr.
Barth in Leipzig neu erschienen sind, und die Mondknrteu von Maedler,
welche dem Verlag von Simon Schropp in Berlin angehören. Noch kleinen*
Karten, welche aber in den meisten Fällen den in Rede stehenden Bedürf-
nissen nicht mehr genügen worden, sind den besten vorhandenen Lehrbüchern
der populären Astronomie beigegeben. Der neueste Standpunkt der Mond-
forschung findet aber in allen diesen Karten, obwohl mindestens eins jener
Kartenwerke für den Mondbeobachtor unentbehrlich ist, kein volles Genüge
mehr und verlangt speziellere Darstellungen einzelner Gegenden des Mondes,
wie sic u. a. in dem berühmten Werke von Nasmvth und Carpenter, sowie an
einzelnen Stellen in den Fachzeitschriften enthalten sind. Wir werden uns
im Verlaufe der Zeit bemühen, gerade in letzerer Richtung durch Spezial-
Darstellungen einzelner für die gegenwärtige Forschung besonders wichtiger
und interessanter Mondgegenden den weitergehenden Wünschen entgegen-
zukommen.
Herrn W. L. II. in Berlin. Verzeichnisse der bisher festgestellten
Fixstcrnpuralluxcn und der berechneten Doppelsternbahnen finden Sie aller-
dings wohl in fast allen populären Astronomien. Wir wollen jedoch gern auf
Ihren Wunsch in einem der nächsten Hefte ein möglichst vollständiges und
bis auf die heutige Zeit ergänztes Verzeichniss der wichtigsten Ergebnisse
dieser Art mit allen nöthigen Nebenangaben veröffentlichen.
Verlag vou Hermann Paetol in Borliu. — Druck von Wilhelm Gronau's Buchdruckerei in Berlin.
Für die Redaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin.
Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt.
Uebersetzungsrecht Vorbehalten.
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0>
Ueber historische Sonnenfinsternisse.
Von
F. K. (finzel,
Astronom am RechenioHtitat der K6nigl. Sternwarte in Berlin.
«n allen Himmelserscheinungen haben die Verfinsterungen des
Vf.'. Mondes und der Sonne die meiste Popularität. Unterrichtet
ja jeder Zehnpfennig-Kalender schon alle Welt von dem Ein-
tritt und der Dauer der Finsternisse (wenn auch bisweilen fohlerhaft);
nicht mindere Aufmerksamkeit widmen ihnen die Zeitungen und
bereiten die Leser darauf vor, so dass man sagen kann, dass heutzu-
tage wohl kaum die erheblicheren Finsternisse des Mondes und der
Sonne völlig unbemerkt bleiben können. Die grossen seltenen Ver-
finsterungen der Sonne vollends haben in unserer Zeit allgemeines
Interesse und werden von allen Schichten des Volkes mit Spannung
erwartet, wie wir dies bei der totalen, in Deutschland leider zumeist
verregneten Sonnenlinsterniss des vorigen Jahres zu constatiren vollauf
Gelegenheit hatten. Die leuchtende Corona um die vom Monde ver-
hüllte Sonne und die rothen flammenden Protuberanzen sind durch
die Bemühungen einer Reihe populärer astronomischer Schriftsteller
(nicht wenig namentlich durch die Werke von Secchi und Lockyer)
so bekannte Dinge geworden, dass man bei der eben genannten vor-
jährigen Finsterniss in den Strassen Berlins gute und schlechte Bilder
jener Erscheinungen gewissermassen als Textbücher für die zu erwar-
tende himmlische Vorstellung ausbieten sah. Jeder halbwegs Gebildete
weiss über die Bedeutung dieser Phänomene soviel, dass die unzer-
trennlichen Begleiter totaler Sonnenfinsternisse, die Corona und die
Protuberanzen, für die Erkenntniss der Beschaffenheit der Sonne die
wichtigsten Behelfe liefern und darum deren Erforschung zu den
interessantesten Kapiteln der beobachtenden Astronomie gehört. Nie-
mand wundert sich mehr, wenn die Astronomen um der paar Minuten
willen, innerhalb welcher bei den totalen Sonnenfinsternissen jene
Himmel und Erde, 188a III. ] I
134
Erscheinungen sich abspielen, kostbare Expeditionen ausrüsten und
lange Reisen nicht scheuen, um die Totalitiitsphiinomene für die Wissen-
schaft möglichst auszunützen. Das Vcrständniss, welches das gebildete
Publikum den Zielen, die von der Astronomie bei grossen Sonnen-
finsternissen verfolgt werden, entgegenbringt, ist also ein lebhaftes
und im allgemeinen richtiges. Namentlich finden die fiir die Physik
des Sonnenkörpers gewonnenen spectralanalytischen und photographi-
schen Resultate schnelle Würdigung. Der Freund und Interessent der
Himmelskunde liefe indess Gefahr, in den auf physikalische Aus-
beutung bestrobten Anstrengungen unserer heutigen Astronomie die
einzige Wichtigkeit grosser Sonnenfinsternisse zu erblicken. Jene
grossen Naturschauspiele bergen nicht nur physikalische, sondern
auch geometrische Erkenntnisse in sich. Der Nutzen, den wir aus
der Beobachtung der Sonnenfinsternisse ziehen können, bezieht sich
auch auf Thatsachen in der Bewegung des Mondes, und zwar ist
dieser Nutzen ein doppelter: er erstreckt sich nicht nur auf eine ver-
besserte Kenntniss der Mondbewegung, sondern verhilft uns auch, wie
wir später sehen werden, zur Sicherstellung resp. Aufklärung über
geschichtliche Facta, kommt also der theoretischen Astronomie und
gleichzeitig den historischen Wissenschaften zu gute. Die bisweilen
allzu starke Betonung der Wichtigkeit grosser Sonnenfinsternisse für
die astrophysikalische Forschung lässt das Publikum die eben ange-
deuteten anderweitigen Ziele wissenschaftlicher Arbeit nicht selten ganz
übersehen. Es wird daher gerecht und billig sein, wenn auch die
Bedeutung der grossen Sonnenfinsternisse für die Verbesserung unserer
Kenntniss der Mondbahn und ihrer Wichtigkeit für historische Fragen
hier einmal eine populäre Darstellung erfahrt. Bei der Schwierig-
keit, diesen seiner Natur nach mathematischen Gegenstand in allgemein
verständlicher Weise zu behandeln, muss ich allerdings meine Leser
um Entschuldigung bitten, wenn ich Lücken in ihrem Verständnisse
lassen sollte.
Die Einsicht in die Resultate, die sich aus centralen Sonnen-
finsternissen für die Verbesserung der in unsern Rechnungen ange-
nommenen Mondbewegung erreichen lassen, wird am klarsten durch
einen Blick auf die geometrische Bedeutung der Finsternisse selbst.
Der Mond erzeugt vermöge der auf ihn fallenden Strahlen der Sonne
einen Schattenkegel, welcher, wenn die mathematischen Bedingungen
für das Eintreten einer centralen Sonnenfinsterniss statthaben, die Erde
auf ihrer Oberfläche mit einer gewissen Breite irgendwo trifft, wie
dies in der folgenden Figur ersichtlich gemacht ist. Da der Mond seine
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Hahn um die Erde in schneller Bewegung1 weiter verfolgt, die Erde sich
um ihre Axe dreht und mit dem Monde um die Sonne, so wird die Lage
des Schatten kegels auf der Erde jeden Augenblick eine andere: er
schreitet über die Erde fort. Auf diese Weise entsteht auf der Erd-
oberfläche bei jeder centralen Sonnenfinstemiss eine mehr oder minder
breite Zone, innerhalb welcher die Verfinsterung an den in ihr gele-
genen Orten m, n, o, der Reihe nach sichtbar wird und zwar als
totale, ringförmige oder ringförmig-totale (sog. annulare) Finsterniss,
je nach der Lage des Schattenkegels gegen die Erdoberfläche.1) Die
ausserhalb dieser „Centralitätszone“ gelegenen Orte A und B können,
wie übrigens von selbst klar ist, die Erscheinung nur partiell sehen
und zwar desto beträchtlicher, je näher sio der Nord- oder Südgrenze
der Centralitätszone liegen; aber nur jene Beobachter werden die Cen-
traiität der Verfinsterung wahrnehmen, die sich in der Zone befinden,
nur diese werden also bei einer totalen Sonnenfinstemiss alle jene
merkwürdigen Phänomene beobachten können, welche mit dem Ein-
tritte dieser Naturerscheinungen verbunden sind.
Für jede vorgelegte Finsterniss lässt sich die Lage ihrer Cen-
tralilätszone berechnen. Das Fundament zu dieser Rechnung liefern
unsere Sonnen- und Mondtafeln, nämlich jene Tabellenwerke, in denen
die aus der Theorie der Bewegung der Sonne und des Mondes gezo-
genen Zahlenwerthe enthalten sind. Aus diesen Tafeln werden zuerst
eine Reihe von Grössen bestimmt, welche im allgemeinen die Stellung
des Mondes und der Sonne zur Zeit der Conjunction (bei welcher
Sonne. Mond und Erde in eine gerade Linie treten) und die Ver-
änderungen dieser Beträge während gewisser Zeit ropräsentiren,
worauf aus diesen die „Elemente*- der Finsterniss hergestellt werden,
nämlich eine Anzahl von Grössen, die zu der Lösung der Aufgabe,
aus der Lage des Schatten kegels die näheren Verhältnisse der Sicht-
barkeit der Verfinsterung zu berechnen, gebraucht werden. Sind die
’l Die totalen Finsternisse haben zumeist sehr breite Centralitätszonen,
die ringförmig-totalen dagegen ein auffallend enges Sichtbarkeibsgebiet; so
hatte die später zu erwähnende totale Sonnenfinsternis? vom 2. Aug. 11:53 eine
Centralitätszone von 370 Kilometer Breite.
11
136
Finsterniss-Elemente ermittelt so hat die Erledigung der Fragen nacl
dem Lauf der Centralitiitszone, nach der Dauer der Totalität in diese •
Zone, nach der Zeit und Grösse der verfinsterten Phase für einet,
bestimmten Punkt der Erdoberfläche und die Lösung anderer ver-
wandter Aufgaben der Theorie der Finsternisse keine weitere Schwierig
keit Von letzteren Aufgaben interessiren uns hier vornehmlich nur
die Centralitiitszonen der Finsternisse; (mehrere dieser Zonen findet,
ich auf der hier nächstfolgenden Karte eingetragen).
Der Leser sieht leicht, dass die Rechnungsresultate über den
Verlauf der Sonnenfinsternisse von der Richtigkeit der dabei befolgten
Theorie und von der Correctheit unserer Sonnen- und Mondtafeln ab-
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hängen. Die heutige Berechnung} weise der Finsternisse, als der erste
in Frage kommende Factor, lässt in der ihr durch Hansen gegebenen
Oestalt wenig zu wünschen übrig und gestattet, die Ermittelungen der
.Sichtbarkeit« Verhältnisse mit beliebigem Grade von Schärfe duroh-
zufiihren; von dieser Seite sind also Abweichungen gegen die Wahr-
heit nicht zu fürchten. Auch aus unseren Sonnentafeln kann für jene
Bestimmungen kein nennenswerther Fehler erwartet werden. Zwar
litten derartige Tafeln noch zu Anfang unseres .Jahrhunderts an beträcht-
lichen UDgenauigkeiten, haben aber durch Leverrier ein so exactes
Fundament erlangt, dass die aus ihnen berechneten Orte der Sonne
mit jenen, welche wir aus der Beobachtung der Sonne an den besten
Instrumenten (Meridiankreisen) erhalten, eine ganz befriedigende Ueber-
einstimmung zeigen. Einen viel schwierigeren Stand haben die Mond-
tafeln gegenüber den Finsternissen und namentlich gegenüber den
Finsternissen alter Zeiten. Geber diesen Punkt gestatte mir der Leser
eine besondere Darlegung,
Die Bewegung des Mondes bietet der Astronomie aus vielen
Gründen ein überaus schwieriges Problem. Seit einem Jahrhundert
haben die bedeutendsten Astronomen ihren Scharfsinn daran versucht,
ohne bisher eine völlig befriedigende und erschöpfende Lösung zu
erreichen. Das Genie Laplace gab in seiner unsterblichen .. M6ca-
nique celeste u zuerst eine streng mathematische Durchführung der
Theorie der sehr verwickelten Bewegung unseres Trabanten, mit Rück-
sichtnahme auf die Störungen, die letzterer von der Sonne und den
Planeten erfährt Die auf diese Theorie gegründeten Mondtafeln von
Bürg gaben eine bessere Uebereinstimmung mit den beobachteten
Orten des Mondes, als man bis dahin erlangt halte. Zu Anfang unseres
Jahrhunderts waren es Lagrange und Bouvard, später Damoiseau
und Plana, welche sich an diesem Problem versuchten und es in
gewissen Richtungen weiterzuführen trachteten. Aber erst seit den
Erfolgen des ehemaligen Uhrmachers, späteren Astronomen in Gotha,
Hansen, ist die Vollkommenheit der Mondtafeln der Höhe unserer
Anforderungen entsprechend geworden. Die Mondtafeln dieses be-
rühmten Analytikers werden gegenwärtig für die Berechnung der
Bewegung unseres Trabanten allgemein angewendet und befriedigen
in hohem Grade. Ihre völlige Uebereinstimmung mit der Wirklich-
keit herzustellen, hat in neuerer Zeit der Amerikaner New comb sich
bemüht. Allein immer noch bleiben zwischen den beobachteten und
berechneten Orten des Mondes kleine Differenzen, über deren Ursache
die Astronomie bis jetzt nicht ins Klare gekommen ist, so dass das
138
Auftauchon der Meinung nicht befremdend erscheint, welche annimmt,
dass das allgewaltige in unserem Sonnensystem überall gütige Gravi-
tationsgesetz für die Erklärung aller Eigenthiiinlichkeiten der Mond-
bewegung nicht zureiohend sein möge. Eine der wichtigsten dieser
Eigenthiiinlichkeiten ist die veränderliche Bewegung des Mondes in
seiner Bahn, die sogenannte säculare Beschleunigung. Man erkannte
vor fast zweihundert Jahren, dass sich der Mond innerhalb gewisser
Perioden schneller bewege als zu anderer Zeit. Diese und andere
Ungleichheiten, auf die anfangs zumeist aus der Vergleichung mit den
Beobachtungen der Alten geschlossen ward, wurden später durch die
rein mathematische Untersuchung der Bewegung dos Mondes, durch
die Mondtheorie, bestätigt Es zeigte sich zum Beispiel, dass unser
Erdbegleiter sich von der Zeit der Babylonier bis ins Mittelalter lang-
samer bewegt hat, als im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert
unserer Zeitrechnung; aus Newcombs Untersuchungen ergab sich,
dass diese Bewegung im laufenden Jahrhundert eine langsamere ist
als im verflossenen. In Bezug auf den numerischen Werth der säcu-
laren Beschleunigung ist es nun interessant, dass die von verschiedenen
Forschern ausgeführte theoretische Bestimmung dieses Betrages ab-
weichende Resultate zu Tage gefördert hat. Während Adams und
Delaunay fanden, dass die hundertjährige Beschleunigung der Mond-
bewegung ungefähr 6" (Bogensekunden) betrage, kam Hansen auf
dem Verfolge seiner Theorie zu der Acceleration von 12"; in seinen
Mondtafeln adoptirte er den Betrag von 12"1S. Welcher Werth der
richtige ist, darüber liegt bis jetzt keine Entscheidung vor, aber die
Gewissheit hat man erlangt, dass es nur mittelst des Hansenschen
Beschleunigungsbetrages oder doch eines demselben nahe kommenden
Worthes gelingt, dio heutigen Beobachtungen des Mondes mit denen
der Alten halbwegs in Einklang zu bringen. Ueber die Ursachen
der Differenz von 6" der Theorie gegen den Betrag von 12", der aus
den Beobachtungen gezogen wird, sind verschiedene Hypothesen auf-
gestellt worden. Ferrel und Delaunay zogen die Phänomene der
Flutherscheinungen zur Erklärung heran. Andere wiesen auf eine
möglicherweise eingetretene Aenderung in der Geschwindigkeit der
Erdrotation hin; Oppolzer zeigte vom rechnerischen Standpunkte
aus, inwiefern durch die Existenz eines cosmischen Staubes die Be-
wegung der Erde verändert werden könne. Aber es existirt bis jetzt
noch keine völlig erschöpfende und einwurfsfreie Durchführung der
Theorie der Mondbewegung, so dass man die Hoffnung aufrecht
erhallen darf, es werde in dieser Entscheidung schliesslich noch die
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139
Mathematik, diese treue Helferin des Astronomen, das letzte Wort
sprechen.
Von einer ideellen Vollkommenheit unsrer Mondtafeln sind wir,
wie mein aufmerksamer Leser sieht, zur Zeit noch entfernt. Die
Tafeln genügen für die Gegenwart; bei der Anwendung auf ver-
schwundene Epochen aber zeigen sich Differenzen gegen die Wahr-
heit Gehen wir nämlich in solch ferne Zeit zurück und berechnen
mittelst der Hansen sehen Tafeln die Centralitätszone einer der
alten Finsternisse, so können wir leicht die Wahrnehmung machen
müssen, dass die berechnete Zone Orte nicht überdeckt, aus denen
wir sichere Nachrichten haben, dass daselbst von Augenzeugen
alle Zeichen der Totalität beobachtet worden sind. Beispielsweise
fand im Jahre 29 n. Chr. in Bithynien eine grosse Sonnenfinsterniss
statt, welche zu Nicaa gesehen wurde und von einem furchtbaren Erd-
beben gefolgt war; es ist dieselbo, welche die Kirchenvater irrthüm-
Iicher Weise mit der Finstemiss bei Christi Tode identificirt haben.
Die Rechnung nach den Hansen sehen Grundlagen führt die Cen-
tralitätszone zwar nach Kleinasien, aber letztere verbleibt viel zu
westlich vom eigentlichen Bithynien, und Nicäa liegt ganz ausserhalb
der Zone. Der Grund dieser Nichtübereinstimmung von Rechnung
und Beobachtung liegt darin, dass die siieularen Aenderungen der
Mondbahn im allgemeinen desto stärker hervortreten, je mehr wir
uns von der Gegenwart entfernen, und dass also beispielsweise ein
kleiner Fehler in der säeularen Beschleunigung der Mondbewegung
in dieser Zeit sein Vorhandensein in unangenehmer Weise verrathen
wird. Da dieser Fehler auf die Tafelgrössen und von diesen auf die
„Elemente“ der Finstemiss wirken muss, letztere aber wieder auf die
Lage der Centralitätszone Einfluss haben, so können wir unter Um-
stünden diese Zone an Orten finden, wo die wirkliche nicht gelegen
hat. Derartige Abirrungen der Hansonschen Tafeln sind selbst bei
Finsternissen des Mittelalters zu finden und auch noch in dieser
Epoche bei feineren Untersuchungen Irrungen schwer vermeidlich.
Aus den bisherigen Auseinandersetzungen eröffnet sich uns nun
eine wichtige Ansicht der Sache. Indem wir nämlich bisweilen finden,
dass bei den Rechnungen über ältere Finsternisse Differenzen in den
Lagen der berechneten und jenen von der Natur beschriebenen Cen-
tralitätszonen auftreten, können wir diese Wahrnehmung zum Nutzen
umkehren, dadurch, dass wir von diesen Differenzen zur Erkenntniss
der richtigen säeularen Beschleunigung Gebrauch machen. Wissen wir
in einem vorgelegten Falle mit hinreichender Sicherheit, die Finsterniss
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140
wurde an einem Orte unter allen Zeichen der Totalität gesehen, und
bleibt die berechnete Zone von diesem Orte entfernt, so werden wir
an der theoretischen Mondbahn resp. an den sie bestimmenden Tafel-
grössen solche Aenderungen vornehmen, dass die Zone, wenn wir sie
dann abermals mit den geänderten Grössen bestimmen, nun über den
Ort hinweggeht, an welchem die Verfinsterung total gesehen worden
ist Daraus ist nun die Wichtigkeit der historischen Sonnenfinsternisse
für die Astronomie sofort klar. Treten uns nämlich derartige historische
Nachrichten entgegen, welche den Beweis liefern, dass die an einem
Orte auffällig gewesene Totalität mit der Rechnung nicht übereinkommt,
so liefern diese Fälle wichtige Behelfe für die Verbesserung unserer
Kenntniss der Mondbewegung. Die Richtung, welche die wissen-
schaftliche Arbeit bei der Behandlung des Gegenstandes zu nehmen
hat, folgt aus dem Gesagten von selbst. Man hat zuerst ein historisch
möglichst sicher begründetes Material beobachteter grosser Sonnen-
finsternisse zu sammeln, die Centralitätszonen der letzteren zu be-
rechnen und mit jenen zu vergleichen, die aus den historischen An-
gaben etwa folgen; Aufgabe der Rechnung ist es dann, die sich
ergebenden Unterschiede derartig zu verwerthon, dass aus ihnen die
wahrscheinlichsten, diesem empirischen Verfahren entsprechenden
Correctionen der Mondtafeln gezogen werden können.
Solch historisches Material aber bietet uns die Geschichte des
Mittelalters in Fülle. Die Aufzeichnungen der Klöster namentlich sind
es, wo wir die Nachrichten zu suchen haben. Als im 5. Jahrhundert
n. Chr. das Klosterwesen im christlichen Europa rasche Ausdehnung
gewann, fand in den Klöstern der durch die Vorbilder clussischer
Geschichtsschreiber wiedererweckte Sinn für die Aufzeichnung histo-
rischer Thatsachen eifrige Pflege. Die Darstellung politischer Er-
eignisse innerhalb der bei manchen Klöstern nicht geringen Maoht-
sphäre, die Wahrnehmung merkwürdiger und allgemein auffällig
gewesener Naturerscheinungen, die Begebnisse des Alltagslebens und
persönliche Erinnerungen bilden den Gegenstand der schreibenden
Mönche. Die Klosterbücher erhielten sich durch Jahrhunderte an
demselben Orte oder sie gelangten infolge Aufhebung oder Zerstörung
ihrer Entstehungsorte in andere Klöster oder Bisthiimer, in welchen
die annalistischen Berichte fortgesetzt wurden oder dort durch Ver-
bindung mit localen Nachrichten mannigfache Veränderungen und
Compilationen erfuhren. Diese reichen Materialien für die mittelalter-
liche Geschichtsforschung, an deren kritischer Bearbeitung und Druck-
legung gegenwärtig die meisten civilisirten Staaten Europas theil
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141
haben, entspringen den fränkischen Klöstern von Dijon, Fleury, Fla-
vigny, Beze, Metz, Nevers, Sens, Angoulerae u. s. w., den deutschen
von Fulda, Trier, Erfurt, Regensburg, Pegau, Altzelle, Cöln, Corvey,
Zweifalten u. s. f., den österreichischen von Prag, Melk, Königsaal,
den englischen von Waverley, Osney, Dunstable, Bermondsey u. a.,
den belgischen von Lüttich, Fosse, Egmunde, Yburg, den italienischen
von Monte Cassino, Fossa nuova, Salerno, einer Reihe von nord-
ländischen auf Seeland, in Jütland, Schweden, Livland und Ostproussen.
Nicht minder werthvoll ist dem Historiker die Geschichte der Städte,
von denen sich namentlich in Italien frühzeitige Anfänge vorfinden.
Endlich sind auch nicht zu verschmähen die famosen Weltchroniken
der mittelalterlichen Mönche, jene ersten Versuche über universale
Darstellung der Geschichte, die, womöglich bis auf die Erschaffung
der Welt zurückgehend und über die Schöpfungstage bisweilen mit
nicht geringer Gelehrsamkeit sich verbreitend, in wunderlichem Zick-
zack Römer und Griechen absolviren und nach einigen kühnen
Sprüngen durch das Mittelalter vom Olymp der Universalität zur
Localgeschichte herabsteigen.
Von diesen umfangreichen geschichtlichen Materialien zur Aus-
beutung über beobachtete Finsternisse haben die Astronomen bisher
wunderlicher Weise (den Versuch von Celoria2) ausgenommen) keinen
Gebrauch gemacht Man hat das Fundament für die Rechnung meist
in verschiedenen Ueberlieferungen lateinischer und griechischer
Classiker über mehrere grosse Sonnenfinsternisse des Alterthums ge-
sucht Allein von diesen Beobachtungen sind, obwohl sie den Vor-
teil haben, uns in eine entlegene Epoche zurückzuführen, nur einige
wenige für Zwecke der vorliegenden Art brauchbar; denn, wie aus
den früheren Darlegungen hervorgeht, ist es gerade für diese Zwecke
von Wichtigkeit, mit Sicherheit den Ort der beobachteten Totalität
zu kennen; ein Umstand, der sich aus den classischen Nachrichten
eines Livius, Tacitus, Dio Cassius, Julius Obsequens u. a.
nur ausnahmsweise feststellen lässt und oft durch kaum mehr als
blosse Vermuthungen ersetzt wird. Zudem ist die Beschaffenheit und
die Zusammensetzung dieser antiken Geschichtsquellen, wie aus der
Art ihrer Entstehung erklärlich, einer modernen historischen Kritik,
in der Weise, wie sie von den Historikern an den Klosterannalen
durchgeführt wird, nicht mehr zugänglich. Die hieraus liervorgehende
überlegene Brauchbarkeit der mittelalterlichen Finstcrnissbeohachtungcn
*) Sugli eclissi solari totali del ;t. (iiuguo 123Ü e del <i. Ottobrc 1241.
(Public, del reale osserv. di Brera. XL)
142
gegenüber denen des Alterthums wird aber noch durch den Umstand
gesteigert, dass bei den letzteren fast ausnahmslos über die beobachtete
Finsterniss nur ein einziger Bericht irgend eines Autors beibringbar
ist, wahrend es bei den mittelalterlichen Finsternissen vielfach gelingt,
für ein und dieselbe Finstemiss eine ganze Serie von Beobachtungen
in den Annalen aufzufinden, die die Beobachtungserscheinungen an
zahlreichen Orten übersehen lassen.
Bei meinen eigenen Untersuchungen über diesen Gegenstand 3)
bin ich deshalb den Finsternissen der Classiker ganz aus dem Wege
gegangen und habe namentlich für die Grundlagen der Rechnung
das Material nur aus mittelalterlichen Finsternissen zu bilden gesucht,
indem ich hoffen durfte, es würden sich in den Annalen der Mönche
und Städte so zahlreiche und brauchbare Aufzeichnungen über beob-
achtete Finsternisserscheinungen vorfinden, dass aus diesen gewisser-
massen eine Reconstruction des Totalitiitsgebietes möglich werden
könnte. Diese Voraussetzung hat sich namentlich bei solchen Sonnen-
finsternissen bestätigt, deren Centralitiitszonen die christlichen Abend-
länder unter günstigen Zeitumständen berührten und darum der all-
gemeinen Aufmerksamkeit kaum entgehen konnten. Bei den meisten
dieser Sonnenfinsternisse fanden sich bei meiner Quellendurch-
musterung über jede zwanzig bis dreissig Berichte vor, bei der
grossen Sonnen finsterniss vom 2. August 1133 sogar über achtzig
Xotirungen. In diesen Meldungen über die beobachteten Erschei-
nungen treten, was sie uns hisweilen besonders werthvoll macht, auch
Augenzeugen oder doch verlässliche Berichterstatter hervor. Zu
solchen Zeugen gehören beispielsweise die Bischöfe Idacius von
Chiaves (f 408) und Gregor von Tours (•{• 594), eine Reihe gebildeter
Mönche, wie Paulus Diaconus von Monte Cassino (787), der be-
rühmte Einhard (f 844), ein Freund Karls des Grossen, Nithard
(841), der Abt von St. Riquier, Krieger und Schriftsteller zugleich,
Gl aber, Mönch zu Cluny (um 1000 n. Chr.), der Geschichtsschreiber
Liudprand, Erzbischof von Cremona, der Weltchronist Sigebertus
von Gemldoux, mehrere byzantinische Hofbeamte und Schriftsteller,
wie Leo Diaconus, Glykas, Zonaras u. A.
Um einige Anschauung über die Beschaffenheit der mittelalter-
lichen Finstemissberichte zu geben, hebe ich die Meldungen über
mehrere der bedeutendsten Sonnenfinsternisse, welche für die Be-
*) Astronomische Untersuchungen über Finsternisse. 3 Abhandlungen,
(Sitzbcr. der K. Acad. d. W. Wien Bd. 85, März 1882; Bd. 88, Juli 1883;
Bd. 89, März 1884.)
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143
Stimmung empirischer Verbesserungen der Mondtafeln benützt werden
können, jetzt hervor. — Zum neunten Jahre Justinian II. melden
byzantinische Annalen, dass in der dritten Tagesstunde eine Sonnen-
finsterniss eintrat, bei welcher die Sterne am Firmaraente sichtbar
wurden. Diese Finsterniss fallt auf den 5. October 693 n. Chr. Alte
englische Aufzeichnungen notiren nach der Einnahme von Soinerton
durch den König Aethelbald eine grosse Sonnenfinsterniss (14. August
733), der Mond bedeckte die Sonne „gleich einem schwarzen Schilde“.
Am 5. Mai 840 zog um die Mittagszeit der breite Schattenkegel einer
totalen Sonnenfinsterniss über das centrale Frankreich, die Schweiz
und das nördliche Italien; sie wird vielfach auf den Tod Ludwigs dep
Heiligen gedeutet, und das Andenken an sie findet sich namentlich in
fränkischen Berichten erhalten; zu Lyon, Dijon, Como brach tiefe Däm-
merung ein und nach Andreas von Bergamo richtete diese unter demVolke
grosse Verwirrung an. Nicht minder bedeutend war die Verfinsterung am
29. Octobcr 878, über deren Totalitiilserscheinungen die Braunschweiger
und belgischen Annalen, die Jahresbücher von Fulda, S. Amand, Dijon
u. s. w. berichten. Die Sonnenfinsterniss vom 19. Juli 939 sah man haupt-
sächlich in Süditalien, zu Bari traten die Sterne hervor und die alten
Klosterannalen von Monte Cassino berichten: „Wir sahen die Sonne
ohne Kraft, ohne Glanz, ohne Wärme.“ Neunundzwanzig Jahre später
rief in Unteritalien die Verfinsterung vom 22. Dezember 968 einen noch
bedeutenderen Eindruck hervor. Mehrere bischöfliche Begleiter des
Kaisers Otto, der in Calabrien eben den Feldzug gegen den Byzantiner
Nicephorus begonnen hatte, berichten in ihren Aufzeichnungen, dass die
in Mitte des hollen Tages einbrechende Finsterniss ein allseitiges Ent-
setzen im kaiserlichen Lager verursachte, viele glaubten den jüngsten
Tag gekommen; die Dämmerung soll so bedeutend gewesen sein und
so anhaltend, dass das Vieh seine Ställe aufsuchte, wie am Abend, und
die Vögel ihre Nester. Der Bischof Liudprand, der als Brautwerber
des Kaisers auf einer Reise nach Byzanz begriffen war, sah auf Corfu
diese Verfinsterung mit allen Zeichen ihrer Totalität. Zu Byzanz war
die Sonnenfinsterniss ebenfalls total; Leo Diaconus hat uns als
Augenzeuge einen vortrefflichen Bericht hierüber hinterlassen, der be-
sonders dadurch interessant ist, weil er mit Deutlichkeit zum ersten
Mal die „Corona“ erwähnt, einer Erscheinung, die erst nahe neun-
hundert Jahre später von der forschenden Menschheit ihrer Wichtig-
keit nach gewürdigt worden ist. Der Bericht lautet: „Nach diesen
Ereignissen in Syrien war um die winterliche Sonnenwende eine so
grosse Sonnenfinsterniss, wie sie sich vorher nie ereignet hat, ausser
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liei jener, welche am Leidenstage unser« Herrn eintrat durch die
Thorheit der Juden, mit welcher die Verblendeten den Schöpfer ans
Kreuz nagelten. Die Finsternis» aber war von solcher Beschaffenheit.
Man führte den 22. Tag des Monats Dezember, als um die vierte
Tagesstunde bei heiterein Himmel sich Finsterniss verbreitete und die
Sterne sich deutlich zeigten. Ein Jeder konnte die Sonne ohne Schein
sehen, ihres Lichtes beraubt und einen Kreis von feinem Glanz, wie
ein schmales Band, an den äussersten Theilen über den Rand des
Kreises ringsum leuchtend. Nach und nach aber Hess die Sonne
auf den Mond ihre früheren Strahlen fallen und erfüllte die Erde von
neuem mit Licht Und die durch solch neues und ungewohntes Schau-
spiel verwirrten Menschen suchten die Gottheit mit Bitten zu be-
sänftigen.“ Auffallende Beleuchtungserscheinungen berichten die frän-
kischen Annalen gelegenthch der ringförmigen Finstemiss vom 29. Juni
1033. Zu Fleurv und Dijon erschien der Himmel bleifarbig, um die
Sonne schillerte ein Kroisring vom Grünen ins Gelbe, während sieh
ein safrangelbes Licht über alle Gegenstände ergoss und diese un-
gewohnt erhellte. Ein Jahrhundert später, am 2. August 1133, hatte
Deutschland die bedeutendste Sonnenfinsternis» während des Mittel-
alters. Eine breite Zone, von den Küsten der Niederlande bis in die
Ebene Ungarns ziehend, hüllte die Ortschaften in Dämmerung: zu
Aachen, Cöln, Disibodenberg, Fulda, Keichersberg, Wiirzburg, Heil-
bronn, Freising, an mehreren Orten Niederösterreichs und Steiermarks
traten die Sterne hervor. Von den überaus zahlreichen Zeugen dieser
Finsternis« seien hier nur die Heilbronner Klosteraunalen citirt: „Die
Sonne erschien in einem Augenblicke pechschwarz, der Tag kehrte
sich um in Nacht, viele Sterne wurden sichtbar, die Dinge auf der
Erde erschienen wie in der Nacht, und das Wasser der Flüsse hielt
inne in seinem Laufe.“ — Gelegentlich der ringförmigen Sonnen-
finsterniss vom 2G. October 1147 vergleicht der Chronist von Geui-
hlnux das Aussehen des verfinsterten Sonnenkörpere mit „der gött-
lichen Majestät, wie sie von den Malern in den Büchern abgebildet
wird“, im Braunschweigischen wurde die Sonne so klein „als eyn
seckelin“. Zu weiteren sehr bedeutenden Finsternissen gehören jene
vom 3. Juni 1239, die namentlich in Oberitalien grosses Aufsehen
hervorrief, und jene vom 6. October 1241, über die zahlreiche Berichte
aus Deutschland sich erhalten haben. Zu Byzanz waren die Finster-
nisse vom 25. Mai 1267 und 16. Juli 1330 sehr bedeutend, die letztere
sah man auch in Böhmen und l’reussen. Von ihr gibt Jaroschins
„Kronike von Pruzinlant“ Kunde mit den Worten:
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-darnach di sunne leit gebrist
in dem heümande so man list
an des tagis sechzender stunt
wart irre gebreche kunt.“
Die totale Sonnenfinsterniss vom 1. Januar 1386 brachte in mehreren
italienischen Städten eine solche Dunkelheit hervor, dass man in der
dritten Tagesstunde in den Kirchen und Palästen die Dichter anzünden
musste. Sie ging der Ermordung des Karl von Durazzo voraus, der
an diesem Tage zum König von Ungarn gekrönt ward, und dessen
Umgebung in der Sonnenflnstemiss den Vorboten seines baldigen
Endes erblickte. Dunkelheit brachte auch die totale Finstemiss vom
16. Juni 1406, so dass im Braunschweigischen -de lüde eyn den ander
nicht bekennen konden.“ Bei der am 7. Juni 1415 namentlich für
Baiem, Mähren und Böhmen denkwürdigen totalen Sonnenfinsterniss
strahlte hinter der Mondscheibe das Licht -gleich einem Kreuze“, in
Prag war die Dunkelheit so gross, dass man die Messen nicht ohne
Licht zu lesen vermochte, und Magister Brezina sieht in dieser Finsterniss
ein drohendes göttliches Zeichen, das Gott dem Concile erscheinen
lasse, welches nach dem Tode des Johannes Huss dürste.
Die wenigen hervorgehobenen Beispiele sind hinreichend, den
Werth der mittelalterlichen Finsternissberichte für die Bestimmung der
Verbesserung der Mondtafeln zu zeigen. Das aus den Annalen gezo-
gene Material wird nun sofort brauchbar, sobald es der schon früher
angedeuteten historischen Kritik über die Selbständigkeit der Quellen
unterworfen worden ist. Diese Kritik wird nämlich zeigen, inwieweit
man in den gesammelten Nachrichten selbständige Aufzeichnungen
oder blos überkommene Notizen zu sehen hat. Die auf dieso Weise,
den Beobachtungsorten nach möglichst sicher gestellten Ueberlieferungen
lassen sich sogleich mit der Rechnung vergleichen, sobald man über
das Fundament der letzteren schlüssig geworden ist. Ich hatte bei
den 22 Finsternissen, die als Grundlage der Untersuchung dienten und
die auf etwa 400 Quellenberichte gestützt wurden, die Opp olzerschen
„Syzygientafeln“ als Basis der Rechnung genommen; selbstverständlich
mussten also Mondbahncorrectionen resultiren, die nur auf eben dieso
Tafeln Beziehung haben. Die Bestimmung des Unterschiedes zwischen
Rechnung und Beobachtung bei jeder Finsterniss will ich sogleich an
zwei Beispielen klar machen, indem ich den Leser bitte, der Karte auf
Seite 136 zu folgen. — Die Berechnung der Centralitiitszone der früher
erwähnten merkwürdigen Sonnenfinsterniss vom 22. Dezember 968 mit-
telst der Op polz ersehen Tafeln ergiebt die in der Karte durch lichte
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Schraflirung ersichtlich gemachte Lage dioser Zone. Wie aber schon
erzählt worden ist, haben wir Augenzeugen, welche die Totalitäts-
phiinomene beträchtlich südlicher von dieser Zone, nämlich zu Byzanz.
Corfu und in Calabrien bemerkten. Dies beweist (mehrere andere
italienische Annalen sprechen ebenfalls dafür), dass die Zone etwa
um 1 Grad 20 Minuten südlicher zu logen, also in die auf der Karte
angezeigte I^age zu bringen ist Ein anderes Beispiel bietet die eben-
falls schon erwähnte berühmte Finsterniss vom 2. August 1133, deren
berechnete Totalitätsgrenzen in der Karte ersichtlich sind. Hier deuten
mehrfache Beobachtungen darauf hin, dass diese Finsternisszone nach
der Kechnung zu östlich liegt. Neun englische Annalen zeigen die
grosse Auffälligkeit der Finsterniss in Südengland; auf der Insel Man
wurde Totalität beobachtet; zu Gembloux, Floreffe, Lüttich und Fosse
in Belgien, zu Disibodenberg, Aachen, Hirschau und zum Theil im
Eisass wurden ebenfalls die Totalitätserscheinungen wahrgenommen,
während man bemerken wird, dass diese Orte alle ausser der berech-
neten Zone liegen, woraus zu schliessen sein wird, dass die letztere
um eine Verschiebung von 55 Minuten nach W esten corrigirt werden muss.
Auf diese Weise ergiebt sich also bei jeder Sonnenßnsterniss
durch Vergleichung der berechneten Centralitätszonen mit den histo-
rischen Berichten eine eventuelle Ueboreinstimmung oder nothwendig
werdende Verschiebung, und Aufgabe der weiteren Hechnung ist es
nun, aus den gefundenen Verschiebungen die geforderten Verbesse-
rungen der Mondtafeln derart abzuleiten, dass bei einer Neuberechnung
der Centralitätszonen nach Zuziehung der gefundenen Verbesserungen
alle diese Zonen sich nunmehr den Berichten möglichst gut anschliessen.
Die Entwicklung dieser Hechnungsvorschriften entzieht sich, wegen
ihrer rein mathematischen Natur, einer populären Darstellung. Nach
den Eingangs des vorliegenden Artikels gegebenen Erläuterungen wird
aber klar sein, dass man hauptsächlich die Frage zu beantworten hat,
inwiefern Aenderungen in der Lage der berechneten Centralitätszonen
auch Aenderungen in den Wertlien der zu Grunde liegenden Fiuster-
nisselemente bedingen und wie letztere wiederum auf die die Bahn
des Mondos darlogenden Bestimmungsstücko wirken.
(Schluss folgt.)
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Ueber die beobachteten Erscheinungen auf der
Oberfläche des Planeten Mars.
Von
Prof. J. V. Schiaparelli,
Direktor der kfalgl. Sternwarte xa Mailand.*)
(Schluss.)
cPä> VI.
c-' go verschiedenartig', wie wir in unseren vorangegangenen Re-
traclitungen gesehen haben, stellt sich uns das Aussehen der
Kanäle dos Mars und der ihnen verwandten Gebilde dar. Bin
jeder derselben zeigt seine Metamorphosen und besitzt seine besondere
Geschichte; und diese Geschichte ist ohne Zweifel mit der der be-
nachbarten Kanüle verbunden, obgleich dieser Zusammenhang nicht
immer deutlich erkennbar ist. Die zahlreichen Fragen, welche uns
hier aufgegeben werden, können in befriedigender Weise nur durch
das unermüdliche Studium einer unendlichen Menge von Einzelheiten
aufgeklärt werden. Es wird zu diesem Ende zunächst nöthig sein,
die Reihenfolge der Verwand el ungen für jeden Kanal festzustellen und
zu untersuchen, ob diese Reihenfolge beständig ist und sich nach einer
mehr oder weniger glcichbleibendcn Periode regelt. Dann müsste
man den Zusammenhang zwischen den Erscheinungen studiren, welche
sich gleichzeitig in den Kanälen derselben Gegend ereignen. Endlich
müsste man es versuchen, den Einfluss lokaler Bedingungen zu er-
kennen und dieselben von jenen Einflüssen allgemeineren Charakters
zu trennen, welche von der Stellung der Sonne zu den Solstitien und
den Xaclitgleichen des Planeten abhiingen.
Die minutiösen und zahlreichen Details, welche solchen Unter-
suchungen zur Grundlage dienen müssten, können in diesem kurzen
überblickenden Aufsätze keinen Platz finden. Dennoch will ich, um
dem Leser eine Idee von der Art und Weise zu geben, in welcher
•) Aus dem Originaltexte übersetzt durch die Redaktion und revidirt
vom Verfasser.
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148
sich die Erscheinungen der Marskaniilo in ihrer Reihenfolge ent-
wickeln, ein einziges Beispiel unter fünfzig auswählen. Es handelt
sich hier um den llydraotes genannten Kanal und seine Verlängerung,
den Nilus. Aus Gründen, welche ich zu Anfang dieser Arbeit aus-
einandergesetzt habe, kann man keine vollständige Geschichte der
beobachteten Veränderungen geben; sie bleibt immer eine Reihenfolge
von Fragmenten, die sechs verschiedenen Umläufen des Planeten an-
gehören. Um den Zusammenhang der Thatsachen mit den Jahres-
zeiten auf dem Mars klarzulegen, habe ich neben den Beobachtungen
die Zeiten der Solstitien und Nachtgleichen angegeben, indem ich mit
Frühlingsnachtgleiche den Augenblick bezeichne, in welchem die
Sonne von der südlichen auf die nördliche Seite der Aequalor-Ebene
des Planeten übergeht. Grösserer Deutlichkeit wegen werde ich die
verschiedenen Abtheilungen des Hyd raotes-Nilus mit Buchstaben
bezeichnen, wie man auf der folgenden schematischen Skizze sieht.
Dieser Kanal mündet auf der einen Seite in den Ceraunius,
der bald das Aussehen eines breiten nebligen Streifens besitzt, bald eine
unvollkommene Verdoppelung bildet, welche sich im Norden rüssel-
artig ausbreitet; auf der andern Seite erreicht sein Ende die Ufer des
schönen Meerbusens, genannt Margaritifer-Sinus. Die drei Kanäle
Jamuna, Ganges, Ch rysorrhoas, theilen ihn in vier Abschnitte,
AB, BC, CD, DE. Es scheint, dass der Kanal sich noch weiter nach
rechts hin über den Ceraunius hinaus durch den Phlegethon ver-
längert; aber wir beschränken unsere Untersuchung auf den Theil
AE. Gegen die Umgebungen der Abtheilung CD hin convergiren in
excentrischer und unvollkommener Weise vier andere Kanäle, der
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149
(langes, Chrysorrhoas, Nilokeras und L’ranius. Hier befindet
sich also einer jener Knotenpunkte, von denen wir schon weiter oben
gesprochen haben und dem der Lacus Lunae, ein schattenhafter
Fleck von wechselnder Grösse und Leuchtkraft, seine Entstehung ver-
dankt. Hier folgt nun ein Auszug aus meinen Beobachtungen über
den Hydraotes-Nilus und seine Beziehungen zu den Kanülen,
welche ihn durchsetzen oder mit ihrem Endpunkte berühren.
Opposition von 1877.
Sept. 27. Südliches Solstiz.
Sept 28. Okt 4. Alle Kanäle sind unsichtbar, mit Ausnahme des
Ganges: dieser ist ein grauer, schlecht begrenzter Streifen, doch
gut sichtbar vom Aurorae-Sinus bis zum 10. nörd. Parallel-
kreise.
Xov. 4. Erste Beobachtung des Chry sorrhoas: breit und nebelhaft.
Bildet einen schlecht begrenzten aber ziemlich kräftigen Fleck, wo
er mit dem Ganges zusammentrifft: dies ist die erste Andeutung
des Lacus Lunae. Hydaspes, Jamuna, Hydraotes, Nilus
immer noch unsichtbar.
Febr. 21. Erste Beobachtung des Nilokeras und des Nilus in
Form eines breiten dunklen Streifens, in der Nähe des unteren
Bandes der Marsscheibe. Schwierige Beobachtung, der scheinbare
Durchmesser des Planeten ist auf 5", 7 vermindert
Febr. 24. — 25. Erste Beobachtung des Indus. Ganges noch in
seiner ganzen Ausdehnung sichtbar; er bildet bei seinem Zu-
sammentreffen mit Nilokeras und Nilus einen kräftigen drei-
eckigen Fleck, den Lacus Lunae.
März 6. Frühlingsnachtgleiche.
Opposition von 1879—80.
Aug. 14. Südliches Solstiz.
Okt. 13. — 14. — 18. Ganges breit. Chrysorrhoas und Nilus sehr
deutlich. Lacus Lunae: formloser, sehr dunkler Fleck.
Okt 21. Erste Beobachtung des Hydaspes.
Nov. 27. — 28. Erste Beobachtung der Jamuna. Nilokeras sehr
deutlich. Nilus gut sichtbar.
Doc. 21. Lacus Lunae sehr gross und sehr schwarz.
Dec. 22. Erste Beobachtung der Fortuna; ist jedoch sehr schwierig,
Dec. 23. Der Lacus Lunae hat die Form eines Trapezes CC' DD'
angenommen, das aus vier schwarzen Streifen gebildet wird. Die
Streifen CD C'D' sind viel breiter als die andern, aber CD noch
Himmel und Erde. ISSS. III. I’-
150
mehr als C'D'. Die leuchtende Insel in der Mitte ist deutlich
begrenzt und von der gewöhnlichen gelben Farbe. Nilus breitet
sich in der Richtung D' E' als grauer, schlecht begrenzter Streifen
aus. Ceraunius hat dasselbe Ansehen. An der Stelle ihres
Zusammentreffens E grosser, dunkler, nebliger Fleck.
Dec. 26. Nilus unzweifelhaft doppelt, die beiden Striche völlig gleich,
ziemlich gut begrenzt und folgen der Richtung D E D' E' der
beiden parallelen Seiten des Trapezes, welches den Lacus Lunar
bildet; aber sie sind nicht so breit und dunkel wie diese beiden
Seiten.
Jan. 1. Nilokeras schwarz und gut sichtbar.
Jan. 22. Frühlingsnachtgleiche.
Opposition von 1661—82.
Dec. 9. Frühlingsnachtgleiche. Ganges und Lacus Lunae gut
markirt. Nilus C'D' schlecht sichtbar; CD nicht mehr vorhanden.
Dec. 14. Hydaspes, Jamuna, Ganges; Nilok eras schlecht sicht-
bar, breit und verwaschen, scheint nicht doppelt zu sein.
Jan. 10. Nilus und Lacus Lunae durch einen leichten Schatten
angedeutet; erste Beobachtung des Uranius.
Jan. 11. — 12. Nilus sicher doppelt. Die beiden Linien erscheinen
etwas neblig. Nilokeras unvollkommen verdoppelt
Jan. 13. — 20. Verdoppelung des Ganges.
Jan. 13. Erste Beobachtung des Hydraotes AB, unter dem Aussehen
eines nebligen und sehr dünnen Fadens.
Jan. 19. Der Lacus Lunae hat seine trapezoidische Gestalt, mit
seiner leuchtenden Insel in der Mitte, wieder angenommen. Nilus
bildet zwei leicht erkennbare Linien DE D'E', welche sich recht
gut von einem weisslicheu Grunde abheben. Die Disposition
scheint mit der des vergangenen Jahres gleich: Hydraotes AB
gut sichtbar. Jamuna doppelt
Febr. 18. Nilus noch doppelt; die obere Linie scheint sich durch
den Phlegethon fortzusetzen.
Febr. 22. Hydraotes durch die Jamuna in zwei Theile AB BC ge-
theilt, von denen BC breiter und sichtbarer ist als AB.
Febr. 23.-24. Hydraotes verdoppelt in seiner Abtheilung BC B'C',
aber immer noch einfach in der Abtlieilung AB. Die beiden
Linien von BC liegen auf der Verlängerung der beiden Seiten
CD C'D' des durch den Lacus Lunae gebildeten Trapezes, sind
aber etwas schwächer. Die einfache Linie AB liegt auf der Vor-
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löl
liingerung von BC. ist aber schwächer als letztere Linie. Ja-
tnuna und Ganges bleiben doppelt.
Juni 26.
OkL 26.
Dec. 31.
nichts vom Hydraotes: I.acus Lnnae verworrener Fleck; Nilus
sehr undeutlich, möglicherweise doppelt.
Jan. 2. Ich glaube den ganzen Hydraotes AC undeutlich zu er-
kennen, ohne sagen zu können, ob er einfach oder doppelt ist:
die Abtheilung BC ist bestimmter ausgedrückt. Ganges schön.
Chrysorrhoas schwach; Jamuna breit, möglicherweise doppelt.
Jan. 29 — 30. Urauius doppelt. Xilus einfach. Man sieht nur D‘K'.
Der Lacus Lunae bildet einen verworrenen Schatten, in welchem
man zwei schwärzere, in der Richtung des L' ran ins verlängerte
Flecke wahrnimmt, die zugleich die Verlängerung seiner beiden
Streifen bilden. Nilokeras dunkel aber einfach, Ganges und
Chrysorrhoas schwach, Jamuna besser sichtbar.
Febr. 3. — 4. Hydraotes wie am 2. Januar.
Febr. 3. Uranius verschwunden, aber der Lacus Lunae ist noch
in zwei Streifen getrennt, welche der Richtung des ersteren folgen.
Xilus doppelt aber sehr schwach. Hydraotes verdoppelt im
Theile BC B'C', einfach bei AB.
.März 9. Lacus Lunae immer noch doppelt in der Richtung des
Uranius; dieser letztere ist einfach, man sieht davon nur die
obere Linie; Xilus doppelt. Vom Hydraotes sieht man nur die
12*
Nördliches Solstiz.
Opposition von 1883 -84.
Frühlingsnachtgleiche.
Jamuna, Ganges, Xilokeras sehr gut sichtbar: dagegen
%
Di
152
Linio AC. Chrysorrhoas selir breit, höchstwahrscheinlich
doppelt, ebenfalls Jamuna; Ganges ziemlich schwach.
April 5. Trotz des sehr verkleinerten Durchmessers des Planeten
scheint der Xilus noch doppelt.
Mai 13. Nördliches Solstiz.
Opposition von IHN*),
März 26. Erste unvollkommene Beobachtung des Xilus und des
Lacus Lunae.
März 27. llydraotes und N i lu s deutlich doppelt, bilden eine einzige
riesenhafte Verdoppelung, welche sich auf den ersten Blick vom
Margaritifer Sinus bis zum Ceraunitis verfolgen lässt, wie
es die hierunter wiodergegebene Zeichnung darstellt. Die beiden
Streifen siml sehr breit (vielleicht 4°), von rüthlicher Farbe,
dunkler als der umgebende gelbe Grund. Ihr Zwischenraum
(zwischen den Mittellinien der beiden Streifen) beträgt t)° oder 10"
Nilokeras schwarz und sehr stark, endigt in einem dicken
schwarzen Punkte bei C'. Die andern Kanäle Ilydaspes, Ja-
muna, Ganges, Chrysorrhoas, Fortuna sind sichtbar, aber
keiner derselben scheint doppelt zu sein.
März 31. Nördliches Solstiz.
April 2. Die beiden Linien des llydraotes noch sichtbar, obgleich
sehr blass; sie sind ein wenig dunkler in der Abtheilung BC B'C'.
Jamuna scheint einfach.
Mai 7. Der Streifen Nil us-Hvdraot es scheint noch doppelt zu sein,
wenigstens ist er sehr breit, obgleich undeutlich: schlechte Luft.
Mai 8 — 6. Die Abtheilung BCB'C' des llydraotes ist sicher dop-
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153
pelt; sie ist leiditer zu erkennen, als die andere Abtheilung AB,
über welche ich mich nicht auszusprechen wage.
Opposition von IKSK.
Febr. 1(1. Nördliches Solstiz.
Mai 20. Den N'ilus zum ersten Male gesehen. Verdoppelung völlig-
klar, von matt-röth liehet- Farbe. Lacus Lunar ziemlich dunkel-
rother formloser Fleck. Jamuna. Ganges, Chrysorrltoas
leidlich sichtbar.
Mai 23. Ich glaube die Abtheilung BC des llydraotes wiederzu-
erkennen; sie scheint ziemlich dunkel, vielleicht doppelt; aber die
Luft ist schlecht.
Mai 24. llydraotes ganz sichtbar. Die Abtheilung BC ist dunkler.
Ich kann nicht sagen, oh sie einfach oder doppelt ist. Aber der
Ni Ins ist sicher doppelt.
•luni 27. Ni Ins immer noch doppelt. Die beiden Linien erscheinen
gegen ihre Mitte hin etwas schwächer.
Juli 2. Die Abtheilung BC des llydraotes recht dunkel und sicht-
bar: die andere Ahthcilung AB ist zweifelhaft. Schlechte Luft.
Aug. lö. Herbstnachtgleiche.
Diese am Nilus-lly d raotes von 1877— 1888 beobachteten Ver-
änderungen zeigen eine gewisse regelmässige lieihenfolge, und es ist
desshalb wohl möglich, dass sie seine periodische Geschichte geben,
welche bei jedem Umlauf zwischen dem südlichen Solstiz und der
Herbstnachtgleiche wiederkehrt. Um den C’yelus (wenn ein solcher
wirklich existirti vollständig zu machen, müsste man noch die Beob-
achtungen von 1800 hinzulügen ; aber es ist wenig Hoffnung vorhanden,
dass diese Opposition uns sichere Besultate über so schwierige Gegen-
stände liefern wird: während der Opposition von 1800 wird Mars
eine südliche Declinatüm von 24" cinnchmen und deshalb werden
wohl solche feine Details dir die Beobachter der nördlichen ge-
mässigten Zone fast unerreichbar sein.
VII.
Ich will die Geduld des Lesers nicht langer mit der Anhäufung
anderer minutiöser lind ermüdender Details in Anspruch nehmen. Doch
muss ich, bevor ich diesen Aufsatz bescldiesse, diese Darstellung der
Veränderungen auf dem Planeten Mars durch die Mitthciluiig der Ilesul-
tate neuerer Beobachtungen vervollständigen, welche ich über jene
Polar-f'alolten gemacht habe, die man mit einem gewissen Grade von
Wahrscheinlichkeit für etwas unserni irdischen Polareise Vorgleich-
f —
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ir»4
bares hält. Xacli den letzten Bestimmungen stellt die Pol-Axe des
Mars ungefähr senkrecht auf den Ebenen der beiden Satellitenbahnen;
die Neigung der ersteren gegen die Ebene der Marsbahn beträgt
65°8'; es folgt daraus, dass die Schiefe der Ecliptik für einen Beob-
achter auf diesem Planeten gleich 24" 52' sein wird. Infolge dieser
Schiefe wird die Vertheilung der Jahreszeiten auf dem Mars der der
Jahreszeiten auf der Erde ziemlich ähnlich und man hat schon seit
langer Zeit bemerkt, dass durch den Einfluss dieser Jahreszeiten die
Polarflecke des Mars periodische Veränderungen erleiden, deren
Schwankungen denjenigen ungefähr ähnlich sind, welche mun an dem
irdischen Polareise während der analogen Jahreszeiten bestätigt findet.
Seit 1877 habe ich diesen Flecken besondere Aufmerksamkeit zuge-
wendet und mich überzeugt, dass diese fraglichen, periodischen
Veränderungen wirklich auftreten. Es kommen dabei indess gewisse
Eigentümlichkeiten vor, welche sich als Abweichungen von demr
was wir auf der Erde sehen, darstellen. Wir dürfen sie nicht ver-
nachlässigen. Betrachten wir zuerst den südlichen Polarflecken.
Diesen habe ich nur in zwei Oppositionen beobachten können, und
zwar nur während der Periode seiner Abnahme. Hier folgt eine Zu-
sammenstellung der 1877 und 18711 beobachteten Durchmesser.
Datum
_ 1 vor
Tage
1 nach +
Scheinbarer
Durchmesser des sü<
dem sädlichen Solstiz
liehen Polarflecks
1877. 2). August
— IJ5
2H°
— 22. September
— 5
15
— 1. November
~ vlS
7
1.S7H. 21. Oktober
-f- 5‘J
i
— 28. November
+ 10ti
ä
— 27. Dccember
-f- l.*S5
U
Nach Anfang Januar 1880 begann der Polarfleck sich auf der
verdunkelten Halbkugel des Planeten zu verlieren und während der
folgenden Oppositionen blieb er fortwährend unsichtbar, da er sich
auf der uns abgewandten Seite des Planeten befand. Mau hat wohl
oftmals am obern Hände der Planetenscheibe weisse oder weissliche
Flecke gesehen, doch waren dieses bekannte Inseln, welche nur vor-
übergehend mit dieser Farbe überzogen waren, wie es bereits in dem
ersten Theil dieser Schrift erwähnt wurde.
Die Abnahme des südlichen Flecks fand in ziemlich regel-
mässiger Weise statt. Aber die Form desselben war in der Periode
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155
seines Kleinerwerdens nicht rund; wahrend der zweiten Hälfte des
Oktober 1877 war er vielmehr im grossen und ganzen dreieckig: es
ereignete sich sogar, dass zu einer gewissen Zeit ein kleines Stück
von der Hauptmasse abgetrennt erschien {Beobachtung des Mr. Green).
Es ist noch wichtig hinzuzufügen, dass dieser Fleck sich nicht genau
über dem Siidpole befand. Während der Oppositionen von 1830, 1862,
1877 und 187‘J befand sich die Mitte des Fleckes ungefähr constant
auf einem Punkte, dessen Länge etwa 20° und dessen südliche Breite
etwa 84° beträgt.
Es wäre sehr interessant gewesen, den Zeitpunkt der geringsten
Ausdehnung dieser südlichen Calotte festzulegen. In meinen früheren
Veröffentlichungen glaubte ich dieses Minimum auf ungefähr vier Mo-
nate nach der südlichen Sonnenwende (Solstiz) zu fixiren, aber die
(•rundlagen dieses Schlusses scheinen mir jetzt nicht ganz sicher. In der
Thal glaube ich durch annehmbare Betrachtungen bezeugen zu können,
dass dieser Fleck während der Tage vom 17.— 22. .lanuar 1882 (also
200 Tage nach der südlichen Sonnenwende) keinen 10° übersteigenden
Durchmesser haben konnte, wenn er diesen überhaupt erreichte.16) Es
ist also möglich, dass das Minimum mehr als vier Monate nach der
südlichen Sonnenwende .stattfindet, und es ist jedenfalls sicher, dass
es 187!* sich um mindestens vier Monate verspätete.
Wir wollen nun den nördlichen Fleck näher betrachten. Sein
Kleinerwerden fand wie beim südlichen ziemlich regelmässig und
gradweise statt. Es wäre ganz natürlich gewesen, eine ähnliche lang-
same Hegel miissigkeit während der zunehmenden Phase vorauszusetzen,
welche man beobachten konnte. Das hat sich keineswegs bewahr-
heitet. Der nördliche Fleck, welcher noch Anfang Januar 1882 sehr
klein war, hatte schon am Ende dieses selben Monats seinen maximalen
Durchmesser von etwa 45° erreicht, um gleich darauf einer gradweisen
Abnahme zu unterliegen. Diese wichtige Thatsache verdient einige
detaillirte Auseinandersetzungen.
Während der Oppositionen von 1877 und 1870 blieb der Nord-
pol auf der uns unsichtbaren Halbkugel des Mars beständig ver-
borgen. Es war deshalb im Jahre 1877 keine Beobachtung anzustellen,
welche sich auf den nördlichen Polarfleck bezieht. Dagegen bemerkte
man während der ganzen Dauer der Beobachtungen von 1879 oft nahe
dem unteren Rande der Planetenscheibe einen, manchmal auch zwei,
weissliche Flecke, die man vielleicht als Abzweigungen der fraglichen
** I Siche meine weiter oben citirten Denkschriften 4:?t! uixl .V*8-
au 4
ir,r>
Polar-Calotle ansuhen konnte. Diese weisslichen Flecke waren bis zu
HO1* — 40" Entfernung vom Nordpol ausgebreitet. Die wirkliche Zahl
derselben war fünf; infolge der Dotation des Planeten wurde bald
der eine, bald der andere sichtbar, bisweilen auch zwei zu gleicher
Zeit. Aber sie waren weder so deutlich hervortretend, noch so scharf
begrenzt, oder nach Lage und Umrissen so constant, als es die
Polarilecke gewöhnlich zu sein pflegen. Ihre südlichen Endpunkte
waren im Kreise zwischen 30° und 40° Poldistauz geordnet; ihre Ver-
bindung untereinander in den höheren Breiten oder mit einem centralen
Polarilecke, oder selbst die Existenz dieses centralen Polarllecks, konn-
ten wegen der ungünstigen Lage der l’lanetenaxe nicht Gegenstand
der Beobachtung werden. Das hier Gesagte bezieht sich auf die Zeit
vom Oktober 1879 bis Februar 1880, also vier Monate vor und einen
Monat nach der Friihlingsnaclilgleiche auf Mars.
Während der folgenden Oppositionen von 1881— Sä befand sich
der Nordpol immer fast genau auf der Grenze der sichtbaren Halb-
kugel; wenn die nördliche Polar-Calotle damals nur 10" — 16" Durch-
messer gehabt hätte, so würde sie zweifellos an der Stelle, welche ihr
tlie Rechnung verschrieb, sichtbar geworden sein. Thatsüchlich konnte
zwischen dem 20. Oktober 1881 und dem 25. Januar 1882 kein per-
manenter Polarlleck in der Umgebung des Polos beobachtet werden.
Es folgl daraus, dass wahrend dieses Zeitraumes die nördliche Calotte
(wenn sie überhaupt existirte) im Durchmesser keinesfalls 10" — 15"
überschreiten konnte. Wohl haben sich fast täglich im nördlicheren
Tlieile des Planetenrandes gewisse weissliche Erscheinungen gezeigt.
Aber auch dieses Mal war es wie im Jahre 1879 leicht zu erkennen,
dass diese Erscheinungen nicht durch einen festen Polarlleck hervor-
gebracht werden konnten. Sie waren nicht nur gewöhnlich blass,
schlecht begrenzt, veränderlich an Leuchtkraft und Grösse, sondern es
liess sich ebenso wie im Jahre 1879 durch den merklichen Wechsel
ihrer infolge der Rotation des Planeten hervorgebrachten Lage,
auf eine ziemlich grosse Entfernung derselben vom Pole schliessen.
und diese letztere sich sogar annäherungsweise bestimmen. Die
unregelmässige Folge ihres Auftretens und das gleichzeitige Sicht-
barwerden zweier ähnlicher Flecke in geringer gegenseitiger Ent-
fernung bewies mit der grössten Bestimmtheit, dass es sich hier
nicht um ein einzelnes Objekt handelte, sondern um mehrere weiss-
liche Abzweigungen, denen vergleichbar, welche man 1879 gesehen
hatte. Eine sorgfältige Untersuchung hat selbst erkennen lassen, dass
die verschiedenen Zweige ungefähr dieselben Liingenpnsitionen be-
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sasson, wie die Flecke von 1871t, doch war l*-s I — 8 2 die Poldistanz
vielleicht ein wenig' kleiner.
Gegen Anfang .Januar 1882 begann man. in diesem ganzen System
weisser Flecken, die Anzeichen einer fortschreitenden Concentratiun nach
dem Pol zn erkennen. Mir sich verkürzenden und dabei an In-
tensität zunehmenden Zweige vereinigten sich schliesslich mit ein-
ander und bildeten eine einzige zusammenhängende, zum Pol eon-
zentrische Calotte. Am 211. .Januar, nachdem das Weiter einige Tage
schlecht gewesen war, erschien zum ersten Male der eigentliche Polar-
fleck, so wie man ihn bis zum Ende dieser Opposition stets wietier-
gesehen hat. Er bestand aus einer einzigen glänzenden, unge-
fähr runden Masse von etwa Io 0 Durchmesser mit scharfen regel-
mässigen Umrissen. Diese schnelle Zusammenfügung des Fleckes
fand also einen Munal nach der Friihlingsnachtgleiehe oder etwas später,
und fünf Monate vor der nördlichen Sonnenwende statt. Man muss
gestehen, dass hier der Vergleich mit dem irdischen Polareise nur in
sehr unvollkommener Weise unterstützt wird. Die allmähliche Ab-
nahme nach dieser Epoche ist in der folgenden Tabelle gleichzeitig
mit den scheinbaren Durchmessern dargeslellt. Jeder Durchmesser
ist das Mittel aus den Beobachtungen mehrerer Tage.
... 1 vor
Tage
1 naeli |-
Scheinbarer
L) a 1 ii in
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.■*1 hwer Achtbar
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158
Im Juli 1888 nahm die Helligkeit des Flecks wegen der sehr
schrägen Sonnenbeleuchtung schnell ab, und bald darauf tauchte er
in die Polarnacht ein, welche für den Pol selbst am 15. August, dem
Tage der Ilerbstnachtgleiche, eintrat.
Genaue Messungen haben gezeigt, dass der nördliche Fleck i. J.
1882 mit dem Pole genau conzentrisch war. Nahezu dasselbe scheint
während der folgenden Oppositionen stattgefunden zu haben. Die
Herren Perrotin und Terby haben 1888 daran eine Trennung in
zwei sehr ungleiche Theile wahrgenommen, welche ich gleichfalls
durch meine Beobachtungen bestätigt fand. ,7) Der Fleck ist fast
immer von einer schmalen, mehr oder weniger dunklen Zone umgeben
gewesen, welche theilweise einer Contrastwirkung zugeschrieben werden
kann. Aber diese Umrahmung war nicht immer überall gleichförmig
und oft völlig oder doch beinahe schwarz, was auf eine wirkliche
Färbung der Oberfläche in der unmittelbaren Umgebung des Fleckes
schliessen lässt. Die Zone schien den Fleck während seines Zusam-
menschrumpfens zu begleiten; wenn diese Beobachtung sich bestätigen
sollte, so haben wir es hier mit einer sehr wichtigen Thatsaehe zu
thun. Im übrigen haben die letzten Oppositionen dargetlian, dass
die Gegend des Nordpols von keinem grossen Meere eingenommen
wird; es giebt hier nur ein Netz von Kanälen und kleinen Seen. Es
ist deshalb möglich, dass dio meteorologischen Bedingungen der
beiden Mars-Halbkugeln sehr verschieden sind.
Man könnte tragen, ob die weissen Polarflecke Erscheinungen
derselben Natur sind, wie die weisse Färbung, welche man an andern
Orten, selbst unter dem Aequator wahrnimmt, und von denen wir
detailürt genug in den Artikeln 11 und III dieser Schrift geredet haben.
Meine Meinung davon (wenn es erlaubt ist, eine Meinung über solche
Dinge zu haben) ist die, dass diese Gebilde verschiedener Natur sind.
Diese nicht polaren Färbungen sind nicht immer glänzend weiss, sondern
öfters schmutzig weiss, weissgrau oder weissgelb. Wenn diese Färbungen
sich auf den kontinentalen Gebieten bilden, besitzen sie gewöhnlich
schlecht begrenzte Umrisse. Sie sind von unregelmässiger und vorüber-
gehender Existenz. Endlich ist die Helligkeit dieser Färbungen immer
grösser gegen den Planetenrand zu als in der Nähe seines centralen Me-
ridians, das ist genau umgekehrt wie bei den Polarflecken. Besonders deut-
lich tritt dies bei dem südlichen Polarfleck hervor, welcher, da er zum
Pol merklich excentrisch steht, seine Entfernung vom Planetenrande im
kaufe einer Dotation bedeutend ändern kann und dabei immer seine
IT) Diese Theilung ist auf unser» beiden Planiglobe» angegeben.
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159
grösste Helligkeit zeigt, wenn er sich der Mitte der Scheibe am
nächsten befindet. Ich möchte auch noch hervorheben, dass der süd-
liche Polarfleck während seiner grössten Ausdehnung einen beträcht-
lichen Theil des Meeres einnimmt, während dagegen jene weisslichen
Färbungen sich stets nur auf den Continenlen oder Inseln bilden,
niemals auf dem Meere, wie wir es auch oben gesehen haben.
Was die weissen Flocke betrifft, welche wir weiter oben als
Abzweigungen des nördlichen Polarflecks beschrieben haben und die
1881 — 82 der Bildung dieses Flecks vorangingen, so wagen wir
darüber nichts zu sagen; aber es ist doch sicher, dass ihre leichteste
Sichtbarkeit mit ihrem Durchgang durch den centralen Meridian
zusatmnenßel und dass sie am Planetenrande völlig unsichtbar
wurden. Diese Beobachtung könnte uns veranlassen, ihre Natur mit
<ler des Polarfleckes für identisch zu halten. Ks wären dann die
zerstreuten Materialien, welche, zu einer kompakten Masse vereinigt,
den eigentlichen Polarfleck gebildet hätten. Infolge ähnlicher Be-
trachtungen bin ich geneigt zu glauben, dass die permanenten und
gut begrenzten Flecke, die 1877, 78, 7!» unter den Namen Nix Atlan-
tica und Nix Olympica gesehen wurden, ähnlicher Natur wie die
Polarflecke waren; in der Thal erschienen auch diese Bildungen deut-
licher in der Nähe des Centrnl-Moridians als in der tles Randes.
Es würde nicht schwer sein eine Reihe von Hypothesen zu er-
finden, welche im stände wären, diese Erscheinungen der weissen pola-
ren oder nicht polaren Flecke in glaubhafter Weise zu erklären, in-
dem man sie mit der Verdampfung der angenommenen Meere und mit
der Atmosphäre des Mars in Verbindung brächte, welche letztere
unzweifelhaft existirt. Ich halte es dagegen fdr nützlicher, daraufhin-
zuweisen, dass die weissen Flecke jeder Art unter den Erscheinungen
auf dem Mars die am leichtesten zu beobachtenden sind; sie erfordern
nur ein Instrument von mittlerer Kraft, und eine sehr ausdauernde
Aufmerksamkeit. Die Eigeuthiimlichkeiten. welche ich über diese
Flecke angeführt habe, beweisen, dass sich hier ein Feld für höchst
interessante l'ntersuchungen darbiotet, deren Wichtigkeit für das
Studium der physischen Beschaffenheit des Mars unverkennbar ist
und auf welchem Fehle sich auch solche Beobachter nützlicherweise
beschäftigen können, welche es nicht dazu bringen, die viel schwieri-
geren Details der Kanäle und ihrer Verdoppelungen zu entziffern.
Druckfehler: In den ersten Aufsatz des Herrn Professor Seliia parel 1 1
liat sieh, wie letzterer uns tnittheilt, leider ein sinnentstellender Kehler ein-
gesehliehen: Ks muss S. 10 Z. IS „unsirhtbar" statt .sielttbar* heissen. !► Heil.
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Der Werkotsch bei Aussig.
Gezeichnet von Olof Winkler in Dresden, erläutert von Prof. A. W. Stelziier
in Frriberg.
crÄ^^chandau iint! HerniskreUclten , Rastei und Prebischfhor, Roden-
&r
bach und Aussig, Millesohauer, Teplilzor Schlossberg und
Mückenthürmchen — das sind im Kreise der Naturfreunde
Namen von gutem Klang. Bei Tausenden rufen sie Erinnerungen au
genussreiche Wandertage zurück, anderen Tausenden sind sie ein lang
ersehntes Ziel, l'nd das mit Hecht! Denn auf dem Gebiete, dessen
Marksteine jene Dunkle abgeben, drängt sich eine seltene Fülle von
ebenso reizvollen als Mannigfaltigen Xaturbildern zusammen: das reich-
belebte Elbthal, wilde l-’elseiischluchteu, lauschige Waldeinsamkeit,
zahlreiche ..Steine1- und ..Berge“ mit herrlichen Ausblicken auf Erz-
gebirge, Sächsische Schweiz und Böhmisches Mittelgebirge.
Suchen wir uns Itechenschaft zu geben über die Ersuchen dieser
wechselvollen Gestaltung- eines nur wenige Quadi-almeilen umfassenden
I.andstiickes, so bietet uns die Geologie klare und bündige Auskunft:
denn sie lehrt uns, dass jene drei Gebirge, in deren Knotenpunkt
wir uus bewegen, nicht nur dem Namen, sondern auch dem Wesen
nach, in Hinsicht auf ihr Gesteinsmalerial und auf ihre Entstehungs-
geschichte. durchaus verschieden sind, su dass sich mm jedes in an-
derer Weise au der Config uration der Landschaft betheiligt.
Folgen wir der trefflichen Eiutlieilung. welche I-’rh. von Biclit-
holen kürzlich über die 1 laitptformen der Bodenplastik entwickelt
bat, so können wir zunächst das Erzgebirge, eine vom Elbthale aus
flach nach Südosteii hin ansteigende, dann auf der böhmischen Seite
jiili abgebrochene Gneisspluttc, als ein tektonisches Gebirge be-
zeichnen, speciellcr noch als ein .einseitiges Schollengebirge“, d. h.
als ein Gebirge, das im wesentlichen durch Kräfte entstand, welche
ihren Sitz im Erdinnern haben. Diese geheimuissvollen Kräfte der
Enterwelt, von denen wir nur verimitheu können, dass sie mit dem
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u>i
in unserem Planeten aufgespeicherten Wärmeschatze und mit der durch
allmähliche Ausstrahlung dieser Wärme Hand in Hand gehenden Ab-
kühlung der festen Erdkruste Zusammenhängen, bewirkten zunächst
das Aufreissen der „Erzgebirgsspalte", weiterhin das Absinkon des
südlich dieser Spalte gelegenen Theiles der uralten Gneisssoholle.
Wesentlich anders verhält es sich mit der Shell si sehen Schweiz.
Diese ist, trotz ihres stolzen Namens, doch nur ein Flachboden,
ein „Tafelland“, das aus nahezu horizontal gelagerten Schichten von
Quadersandstein besteht. Die räumliche Ausdehnung dieses Sand-
steines und die hier und da reichlich in ihm vorkommenden Verstei-
nerungen bekunden, dass er während der sogenannten Kreidezeit in
einer Bucht abgelagert wurde, die sich von einem das heutige Böhmen
weithin bedeckenden Meere aus zwischen dem Erzgebirge und dem
granitischen Lausitzer Gebirge westwärts bis in die Gegend von
Meissen abzweigte. Nach dem Hückzugo dieses Meeres blieb der
auf dem Grunde abgelagerte Sand in Gestalt eines einförmigen „Flach-
bodens" zurück und dieser letztere wurde nun erst später, durch
äussere Agenden, durch Frost und Regen sowie durch die fliessenden
Gewässer des allmählich sich herausbildenden Elbthaies gefurcht, durch-
schluchtet und an seinem Rande sogar in einzelne „Steine“ und „Berge“
gegliedert. Wer seinen Blick von der Bastei aus über Königstein
und Lilienstein, Ffaffenstein und Tschirnstein mit ihren nahezu in einem
und demselben Niveau liegenden Scheitelflächen schweifen lässt, wird
sich leicht die ursprüngliche Beschaffenheit, die einstmalig stetige.
Entwickelung unserer Sandsteinplatte vergegenwärtigen können und
nicht minder leicht verstehen, dass alle die einzelnen vor ihm liegen-
den „Berge“ nur als Theile, gewissermassen als Ruinen eines einheit-
lichen Ganzen aufzufassen sind.
Eine dritte, von den beiden soeben betrachteten gänzlich ver-
schiedene Entstehungsgeschichte offenbart uns das Böhmische Mittel-
gebirge.
Durch seine allgemeine Form mag uns zwar der Teplitzer
Schlossberg noch an den Königstein oder Lilienstein erinnern, aber
durch sein Material giebt er sich ohne weiteres als eine ganz andere
Bildung zu erkennen. Nirgends sehen wir an seinen Felsenmassen
wahre Schichtung, nirgends finden wir Versteinerungen; der Berg be-
steht vielmehr seiner ganzen Masse nach aus plattig zerklüftetem
I'honolith.
Zu einem im allgemeinen gleichen Resultate führt uns die Unter-
suchung des grossen und kleinen Milleschauers, des Biliner Borschen,
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1U2
des Briixer Schlossbcrges und seiner Nachbarn — überall stossen
wir auf Basalle und Phonolithe, also auf Gebirgsartcn, die innig ver-
wandt mit Eruptionsproducten der heutigen Vulkane, und dabei voll-
ständig verschieden sind von jenen Gesteinen (Quarzporphyr, Pliiner-
kalk, Schichten der Braunkohlen-Formation), welche das zwischen den
Kuppen und Kegelbergen des Mittelgebirges sich ausbreitende Nieder-
land zusammcnsctzen und aller Wahrscheinlichkeit nach auch jenen
Kegelbergen selbst zur Basis dienen. Die Berge des Mittelgebirges
müssen daher als .aufgesetzte“ oder „parasitische“ bezeichnet werden.
Jeder derselben entspricht einem ehemaligen Vulkane, jeder von ihnen
hat seine eigene Eulwickelungsgeschichte und lässt sich mithin, ganz
im Gegensatz zu den „Steinen“ der Sächsischen Schweiz, als ein
selbständiges Gebilde, als ein geologisches Individuum bezeichnen.
Das Mittelgebirge ist sonach ein vulkanisches Kuppen- oder
Ausbruchsgebirge.
Sobald wir aber von einem Vulkan reden hören, denken wir an
einen aus losen Schlacken und Aschen aufgeschiitteten Berg, aus dessen
Krater Bauchwolken emporsteigen und Ströme glutliflüssiger Kava
sich ergiessen. Wer etwa derartiges bei Aussig und Teplilz zu sehen
erwartet, wird freilich arg enttäuscht werden, denn die Vulkane des
Mittelgebirges sind längst erloschen und der Zahn der Zeit, in unserem
Falle die zerstörende Kraft der Atmosphärilien und der (liessenden
Gewässer, hat auch au ihnen seit Jahrtausenden genagt, das lose Ma-
terial der Krater forlgeschwemmt und selbst die alten, aus härterem
Basalt bestehenden Lavaströme arg zerstört.
Als letzte ansklingende Regungen der einstmals stark entwickelten
vulkanischen Kraft sprudeln heute nur noch die heilkräftigen Thermen
von Teplilz empor.]
Aber die Enttäuschung auf der einen Seite wird ausgeglichen
durch eine dem Geologen und Naturfreunde hochwillkommene Ueber-
raschung auf der anderen: derselbe Zahn der Zeit, welcher die ver-
gä> glichen Gebilde der CH>erfläche zerstörte und die alten Krater im
engeren Sinne des Wortes bis zur Unkenntlichkeit verwischte, hat
dafür lehrreiche Querschnitte durch die alten lavaströme ausgearbeitet
und sich weiterhin auch in das Grundgebirge der vulkanischen Pa-
rasiten tief eingewühlt, dadurch aber die an einem noch heute thütigvn
Vulkane der direkten Beobachtung entzogenen Caniilp freigelegt, durch
welche daB geschmolzene basaltische und phonolilhischc Material ans
der Tiefe empordrang. Diese Canäle und Spalten, welche bei dem
Absterben der vulkanischen Activität mit den zuletzt emporgepressten.
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163
steinig erstarrenden Lavamasseu erfüllt blieben, erscheinen uns nun
als Gänge inmitten nichtvulkanischer älterer Gesteine; als Gänge, die
hier und da sogar noch in unmittelbarem Zusammenhang mit den
gluthflüssig bis zur Oberfläche emporgedrungenen und auf dieser
letzteren stromartig ausgeflossenen Massen zu stehen scheinen.
In seltener Klarheit kann man derartige Verhältnisse auf einer
zwei- bis dreistündigen Wanderung in jenem tiefsten Einschnitte be-
obachten, den die Elbe zwischen Aussig und dem nächst oberhalb
gelegenen Dorfe Waunov in die vulkanischen Gebilde des Mittel-
gebirges und ihres Untergrundes eingearbeitet hat.
Zu diesem Zwecke folgen wir der Strasse, welche sich von
Aussig aus auf dem linken Elbufer stromaufwärts hinzieht. Sobald
wir die Stadt verlassen haben und freieren Ausblick gewinnen, wird
das Auge unwillkürlich von der Ruine Schreckenstein gefesselt, die
uns trotzig von einer steilen phonolithischen Felsenklippe des rechten
L'fers entgegeuschaut. Prüfen wir jedoch, wie es nüchterner Forschung
geziemt, auch das linke, landschaftlich zunächst weniger reizvolle
Thalgehänge, welches von unserer Strasse nur durch’ eine Häuserreihe
und durch die Eisenbahn getrennt ist, so sehen wir mehrfach, dass
der untere Theil desselben aus horizontalen Schichten weisseu Sand-
steines besteht, der obere dagegen aus einer dem Sandsteine auf-
gelagerten und säulenförmig gegliederten Basaltplatte; das linke Ge-
hänge zeigt uns also den Querschnitt durch einen jener basaltischen
Lavaströme, die sich hier in der tertiären Zeit über älteren Sandstein
ergossen. Die Säulen, in welche sich dieser Basaltstrom durch das
Schwinden seiner erstarrenden Masse gliederte, stehen, wie sich schon
vom Thale aus beobachten Hess und auch bei dem Aufstiege zur
Ferdinandshühe constatirt werden kann, vertikal, also rechtwinklig
zur Oberfläche des Sandsteines, da diese abkühlend auf die Lava wirkte.
Nach etwa halbstündiger Wanderung führt uns die Strasse unter
der Eisenbahn hindurch und nun stehen wir plötzlich vor einer jäh
ein porsteigenden basaltischen Felsenmauer, die wiederum säulenförmige
Absonderung zeigt, aber in einer neuen, staunenerregenden Weise.
Von links und rechts her tauchen die Säulen aus dem Boden auf
und neigen sich einander zu, an die Gruppirung der Holzscheite eines
Meilers oder an die Haarsträhne eines Zopfes erinnernd. Den letzteren
Vergleich haben die czeohischen Umwohner gezogen, denn sie nennen
den Felsen Wrkoo, d. i. eben Haarzopf. In deutschen Büchern steht
darnach Werkotsch.
Die Trennung von dem merkwürdigen Bilde, dem sich im ganzen
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Der Werkotsch. Nach der Natur gezeichnet von Olof Winkler.
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ll!3
Mittelgebirge kein ähnliches an die Seile setzen lässt, fällt schwer,
aber endlich muss sie doch erfolgen. Ein rechter Hand stehender
Wegweiser lenkt unsere Schritte einer Xebenschluchl zu, in der wir
mm emporsteigen, um daun auf der Höhe nach Aussig zuriickzukehreit.
Schon nach wenigen Minuten, und noch im Niveau des Werkotsch,
gelangen wir jetzt an eine aus weissem Sandstein bestehende Fels-
wand. Da eine ganz analoge Entblüssung auch in einem, unmittelbar
Elbaufwärts vom Werkotsch gelegenen Steinbruch vorhanden ist, so
ergieht sich, dass jener wenigstens au seiner Basis eine links und
Die atrahligen Basaltbildungcn des Werkotsch.
Nach der Natur aufgeuomtucu ven Olol' Winkler.
rechts von Sandstein eingeschlossene Basaltmasse ist, oder, geologischer
ausgedriiekt, ein Basaltgang im Sandstein. Er lehrt uns also die
Ausfüllung einer jener Spalten kennen, welche ehemals dem vulka-
nischen Materiale zum Ausfluss dienten und ihm die Bildung krater-
förmiger Aufschüttungen oder stromartiger Ausbreitungen an der Ober-
fläche gestatteten. Der Grund zu der vorhin bewunderten säulen-
förmigen Gliederung des in der Spalte zurückgebliebenen Materials
Himmel und Erde 1889, III. J;5
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A
Hifi
muss abermals in der Contraktion gesucht werden, welche mit der
Erkältung untl Erstarrung des letzteren Hand in Hand ging.
Wer sich die Mühe nicht verdriessen lässt, von dem einge-
schlagenen Fusswege aus noch eine kleine Xebenexcureion zu unter-
nehmen, der möge au dem vor ihm fliessenden, von der Podlaschilier
Mühle herahkommenden Wässerchen emporsteigen. Er wird am
rechten Gehänge unserer Schlucht zunächst auf weiteren Sandstein
treffen, dann, inmitten des letzteren, auf einen neuen, diesmal weil
kleineren, dafür aber auch mit einem einzigen Blicke deutlich zu
übersehenden Uasaltgaug stossen und endlich, nach einem letzten
kurzen Anstieg, jene Basaltdecke erreichen, die wir schon von Ausaig
her kennen und die nach unseren seither gemachten Wahrnehmungen
in einem innigen Zusammenhänge mit der Werkotsch-Spalte stehen
dürfte.
Damit ist unsere Nebenexcursion zum Abschluss gelangt: denn
wir stehen jetzt in einem ganz eigenartigen, von unübersteiglichen
Säulen der Basaltdecke umrahmten Amphitheater. Der Architekt des-
selben ist der kleine Podlaschiner Mühlbach. Seit langer Zeit schon
hat er an der Basaltdecke gefeilt und immer weiter geht sein Trachten.
In jähem Falle stürzt er sich von der Säulenwand herab, rastlos
arbeitend an der Zerstörung ihres Untergrundes, immer tiefer ein-
schneidend in die Werkstätle Vulkans.
Herr 0 1 o f W i n k 1 e r hat den Werkotsch nach der Natur gezeichnet
und mich aufgefordert, sein treffliches Bild mit einigen Erläuterungen
zu versehen. Seinem Wunsche nachkommend, glaubte ich mich nicht
nur auf den schönen Felsen seihst beschränken, sondern auch die
nähere und weitere Umgebung desselben kurz besprechen zu sollen.
Möchte es mir dadurch gelungen sein, den freundlichen I-eser zu einer
Wanderung durch einen der schönsten Theile des Elbthaies angeregt
und ihm die Erkenntiiiss dessen angehahnt zu haben, was uns hier
die Felsen erzählen.
Freiberg i. Sachsen, Octobor 1888.
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Versuch einer beweisführenden Darstellung des Welt-
gebäudes in elementarer Form.
Von
Pr. M. Wilhelm Meyer-Berlin.
i II. Die Gestalt und Grösse der Erde.
V H'
«-oT^iichtlicherweile treten wir hinaus ins Freie und lassen unsern
Blick hinschweifen über das weite, sternübersäete Gebiet,
dessen wunderbare Erscheinungen, dessen Wesen und Natur
zu erklären, wir uns kühn zur Aufgabe gestellt haben.
Welche Fülle von ergreifenden Eindrücken strömt uns von dort
her entgegen! Kein wilder Volksstamm, nicht der roheste unter den
Bewohnern unserer civilisirten Länder gellt an diesen wahrhaft über-
irdischen Schauspielen, die der Himmel uns bietet, gefühllos vorüber.
Freilich, die Gebildeten unserer Grossstädte dürfen wir nach diesem
Eindrücke nicht fragen. Sie sehen zwischen hohen Häuserzeilen kaum
mehr als einen schmalen Streifen des Himmels durch Staub- und
Duustwolken matt herabschimmern, und der zitternde Strahl der wenigen
Sterne erlischt beinahe völlig in dem aufdringlichen Glanze der blen-
denden Beleuchtung, mit welcher die Civilisation den Sonnen des
Himmels Concurrenz zu machen versucht. Hier, in dem Gewühl der
Stadt ist es unmöglich, den unbeschreiblichen Zauber des gestirnten
Firmamentes auch nur ahnend zu empfinden, der in freier Natur
unsere Seele allgewaltig ergreift, wenn wir über der schlafenden Erde
den stillen Zug der Sterne auf- und niedersteigen sehen dort in der
endlosen Feme hinter dem dämmernden Horizonte, wo der allum-
fassende Himmel, das Unerreichbare, das Göttliche, sich herabneigt
zu unserm irdischen Kreise, und sichtbarlich mit leuchtenden Fäden
uns mit jenem Ueberirdischen verknüpft. Jedermann, der Urmensch
sowohl, in welchem soeben die ersten religiösen Ideen aufkeimen, die
sich noch stets zuerst anbetend den Himmelslichtern zugewendet haben,
— wie der nüchternste Gelehrte, empfand unbewusst oder durch
logische Ueberzeugung, dass ein inniger Zusammenhang zwischen den
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unerreichbaren Dingen dort oben in den Himmelsräumen lind uns
hin- und wieder zurückstrahlen muss, der uns als Theil, als schlechteres,
unbedeutenderes Stück dieses Himmels selbst, ihm abhängig, unter-
thiinig schuf, und dass etwas unsagbar Grosses, Majestätisches, Gött-
liches über diesem Sternenzelte wohnt Nur die Namen wechselten
für diese Ueherzeugung, und wenn die Zeit Zweifler hervorbrachte,
in deren Köpfen der Name Gott keinen Kaum mehr findet, so müssen
sie am Himmel jene alles gleich wohlthätig ordnende unwandelbare
Gesetzlichkeit doch stehen lassen, welche für die Glaubenden der
Ausfluss göttlicher Gerechtigkeit ist.
L'nd doch wird dieser erhabene Eindruck, welcher uns ohne
alle logischen Schlüsse unmittelbar, wie mit göttlicher Eingebung die
grosse Wahrheit von der unwandelbaren Einheit des Weltganzen ver-
rieth, hervorgerufen durch aussen* Wirkungen ungemein einfacher
Natur. Da sind ein paar flimmernde Lichtpunkte, bei weitem nicht
so glänzend, wie die elektrischen Lichter, welche überall in unseren
Strassen das Licht des Tages zu ersetzen suchen, und auch bei weitem
nicht so reich an Zahl, wie die, welche man beispielsweise in einem
festlich illuminirten öffentlichen Garten oft beisammen sieht (denn die
Zahl der gleichzeitig sichtbaren Sterne übersteigt für das beste Auge
nicht 3000); und diese zitternden Lichter, die oft ein Windhauch
dir Angenblicke auszublaseu scheint, sind an eine grosse dunkle
Wölbung festgeheftet. Dieselbe dreht sich, wie wir nach einiger Zeit
aufmerksamer Beobachtung bemerken, im langsamen Schwünge um
einen festen Punkt.
Was ist daran so Merkwürdiges oder Uebematürliches, wenn wir
dem unmittelbaren Augenschein Glauben schenken? Ware nicht der
erfindungsreiche Mensch leicht im stände, ein treues Abbild dieser
Erscheinung zu schaffen, eine ungeheure Kuppel über einen duften-
den Lustgarten zu wölben, die tausend glühenden Sterne seiner Er-
findung daran zu heften und schliesslich dieses Ganze an einer festen
Axe umzudrehen, dass die Sterne von Aufgang zu Niedergang ihre
unwandelbaren Kreise ziehen, wie dort oben am Himmel?
In der That war ein Weltsystem so einfacher Einrichtung das
erste, welches ein civilisirtes Volk, die Hellenen, sich ausgedacht
hatte, und das zur glücklichen homerischen Zeit, als noch keine
Zweifel des W issenden die reine Poesie des Naturgenusses in naiven
Gemütbern erschütterte, zur Erklärung der oberflächlich gesehenen
Vorgänge genügen konnte. Damals lenkte noch Apoll seine Sonnen-
rosse, aus dem Ocean emporsteigend, mächtig über das Hiramels-
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109
gewülbe hin, um Abends wieder in die glühenden Wogen des Meeres
hinabzutauchen. Er zog das ganze Heer der Sterne am umwälzenden
Gewölbe hinter sich her und schwamm mit seinen Rossen nächtlicher
Weile auf dem Ocean, der rings die Erdscheibe umgab, wieder zu
der östlichen Seite seines Aufstiegs zurück.
Wenn sich die Sache wirklich so verhält, wie es hier den Augen-
schein hat, und dort am fernen Horizonte das Himmelsgewölbe auf die.
Erde stüsst, so wäre zu wünschen, dass wir uns von der Wahrheit
dieses Augenscheines überzeugten und es versuchten, bis zu diesem
Scheidepuukte zwischen Himmel und Erde vorzudringen; denn wir
wollen immer unserer Aufgabe eingedenk bleiben, dass wir unsere
Schlüsse zwar zunächst von dem ersten Augenschein ausgehen lassen
wollen, den wir dagegen durch tieferes Eindringen in den Gegenstand
zu bestätigen oder zu widerlegen haben.
N'un, wir wissen Alle, wohin uns dieses Experiment führt; indem
wir diesen Berührungspunkt zu erreichen suchen, weicht er vor uns
zurück, und wir gelangen endlich, in welche Richtung wir auch
unsere Schritte lenken mögen, an irgend ein Meergestade, von welchem
aus wir das Gewölbe auf dem wogenden Ocean ruhen sehen.
Wir kommen dadurch, weiter keine Kenntnisse vorausgesetzt, zu
der Ueberzeugung, dass die Erde eine weite, etwa kreisförmige Scheibe
sei, welche als kleine Insel auf dem endlosen Weltmeere schwimmt.
Das war auch die Weltansicht jener ältesten Hellenen, bevor
deren grosse philosophische Denker das erste Licht über eine bessere
Ordnung der Welt verbreiteten. An den Begriff einer wahrhaften
Unendlichkeit wagte man noch nicht vorübergehend zu denken.
Unter jener Erdscholle breiteten sich für sie die Tiefen des Meeres
grundlos bis zu einer Grenze hinab, über welche hinaus man nicht
zu denken wagte. Ueber diese Weltinsel aber hatten die Götter jene
gewaltige Kristallhalbkugel gedeckt, um wohlthiitig den Blicken wie
den Gedanken des Menschen eine Grenze zu setzen, damit diese sich
nicht in einer leeren kalten Unendlichkeit gänzlich verloren.
Die Frage aber, ob wir jene letzten Grenzen des Horizontes
nicht am Ende doch erreichen könnten, ist damit nicht entschieden.
Der rastlos strebende Mensch wollte diese Grenze erreichen, die sich
unserm Auge in scharf abgeschnittener Linie der Meeresfläche gar
nicht als zu weit entfernt darstellt Es ist kaum zweifelhaft, dass der
erste tollkühne Versuch mit schwankem Fahrzeug in diese Unendlich-
keit des Meeres vorzudringen, der Frage galt, was dort hinter der
Seehöhe Wunderbares verborgen sei.
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170
Heute wissen wir, dass auch dieser Versuch, den Horizont zu
erreichen, auf dein Meere ebenso vergeblich ist, wie er es auf dem
Lande war. Ueberall weicht der Himmel zurück, wo wir ihn schon
zu erfassen glaubten.
Aber wollen wir in jenem naiven Geiste, dessen wir uns be-
fleissigen, unsere Untersuchungen über die Grenzen des irdischeu
Gebietes vorsichtig fortsetzen, so stösst uns, auf offenem Meere ange-
langt, eine grosse Schwierigkeit auf, welche die Ursache bedenklicher
Zweifel werden muss: Es fragt sich nämlich, wie wir uns versichern
können, dass wir immer in gerader Richtung unsern Weg fortsetzen
und ob es am Ende nicht möglich sei, dass wir auf unserm Schilt
Stetig im Kreise* herumsegeln, während doch vielleicht irgendwo jener
Berührungspunkt zwischen Oceau und Himmel existirt.
In dieser Verlegenheit müssen wir unsere ganze Hoffnung auf die
leuchtenden Fixpunkte am Himmel setzen, da es auf dem wogenden
Meere nichts giebt, von welchem aus wir unsere Schlüsse fest an die
Erde heften könnten. Wir müssen uns, um unser Ziel zu erreichen,
an eine Erfahrung halten, welche wir vorher auf dem Lande selbst
gemacht haben, wo es au irdischen Fixpunkten, deren Unwandelbar-
keit nicht bezweifelt werden kann, nicht fehlt. Wiederholte aufmerk-
same Beobachtung zeigt hier, dass sich während eines Tages alle Sterne
um einen festen Funkt am Himmel drehen, der seinerseits, wenn wir uns
selbst auf der Erde nicht fortbewegen, um eine ganz bestimmte un-
veränderliche Winkelgrösse über dem Horizont erhaben bleibt. Wir
nennen diesen Punkt den Ilimmelspol. Die tägliche Bewegung der
Sterne um diesen Pol geht so vor sich, als ob die letzteren an einer
Hohlkugel befestigt wären, während diese Hohlkugel sich um eine
feste Axe dreht, deren eines Ende sich in unserem Standpunkte, das
andere im Himmelspole befindet. Diese Thatsache der Unbeweglich-
keit des Iliinmelspols gegen feste Richtungen auf der Erde war be-
reits den ältesten seefahrenden Völkern bekannt, und der Leser wird
es mir wohl unbedingt glauben, dass auch die neuesten, mit unsern
subtilsten Präoisions-Instrumenten ausgeführten Messungen diese Unbe-
weglichkeit konstatirt haben, gewisse ganz kleine Abweichungen unge-
rechnet, welche höchstens einen Hunderttheil einer Haaresbreite ‘) be-
tragen, und von denen unter andern auch in dem zweiten Hefte
unserer Zeitschrift erzählt worden ist (S. 1 10 u. f.).
') Eine Haaresbreite aus der Entfernung mittlerer Sehweite betrachtet,
repräsentirt ungefähr einen Winkel von Iß — 18 Bogensekunden. Die Pol-
Schwankung alier, welche man auf der Berliner Sternwarte nuchgewiesen hat,
beträgt 0,"2.
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171
Allerdings befindet sich in diesem Pole nicht unmittelbar ein
Stern, auf welchen wir unser Augenmerk richten könnten, um eine
vollständig geradlinige Fortbewegung auf dem Lande oder dem Meere
zu erzielen. Der nächste, der sogenannte Polarstern, befindet sich zur
Zeit immer noch 1 '/4° vom Pol entfernt; andere, näher stehende Sterne
sind mit blossem Auge nicht erkennbar. Da aber die Abstände aller
Sterne vom Pole immer die gleichen bleiben (ich nehme hier und im
Folgenden gewisse kleine Abweichungen, die erst in späteren Stadien
der Welterkenntniss entdeckt wurden, um die Einfachheit der Be-
trachtung nicht zu stören, aus) und die Umdrehung sich in einem
Tage weniger vier Minuten immer in gleicher Weise wiederholt, so
kann man, nachdem diese Abstände und Bewegungen durch die Be-
obachtung bekannt geworden sind, durch geeignete Messapparate aus
der Lage irgend eines bekannten Sternes die Lage des Poles ermit-
teln, wie der Leser ohne weiteros ciusehen wird. Die Beobachtung
der Sterne auf offenem Meere erlaubt uns also, stets eine gewisse
gerade Richtung in unsern Bewegungen strict inne zu halten, und
wenn der Horizont überhaupt zu erreichen wäre, so müssten wir
folglich unser Ziel durch eine solche geradlinige Bewegung sicher
finden.
Dass uns dies mit jenen bessem Hilfsmitteln und Erfahrungen,
die uns nun zu Gebote stehen, nicht gelingt, wissen wir; ja es zeigt sich,
dass wir, konsequent stets in gleicher Richtung fortschreitend, so viel
wir uns auch aus den Sternen versichern, dass wir nicht etwa im
Kreise herumgegangen sind, auf unsern Ausgangspunkt wieder zurück-
kehren. Wir wissen auch, dass dieses Experiment oft von den Welt-
umseglcm ausgeführt worden ist.
Beweist uns dies nun unmittelbar, was wir diese Zeit her beweisen
wollten, dass nämlich die Erde keine Scheibe, sondern eine Kugel sei?
Wir wollen uns von dem in der Schule auswendig gelernten Wissen
hier nicht verleiten lassen, irgend ein Glied aus unserer Schlusskette
zu verlieren, und behaupten, dass dieses Experiment, ein mal ausgeführt,
nur eine Walzenform der Erde naohwoist. Erst wenn wir das Experi-
ment mindestens zweimal und zwar so ausgeführt haben, dass die
beiden rund um die Erde herum führenden Kreiso sich rechtwinkelig
schneiden, und dabei beide gleich gross befinden, können wir unsere
Behauptung als genügend erwiesen erachten.
Dass man in der That zuerst, nachdem man die Idee der Scheiben-
form aufgegeben hatte, an eine walzenförmige Erde glaubte, haben
uns sichere Ueberlieferungen bewiesen. Anaximander, ein Schüler
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tfl
des Thaies, lehrte diese Weltansicht um das Jahr 550 v. Chr. Wir
sehen, dass wir den Weg- der Erkenntnis« in nothwendiger Konsequenz
Schluss an Schluss heftend, in derselben Richtung- schnell noch ein-
mal durch wandeln, den die Menschheit im Laufe der Jahrtausende
langsam und mühselig, mit tausend Irrungen kämpfend, durchschreiten
musste, um his zu der heutigen unerschütterlichen L'eberzetigung von
der wahren Weltordnung zu gelangen. Wir werden auch in den folgen-
den Betrachtungen staunend erkennen, wie völlig logisch der geistige
Entwickelungsgang der Menschheit auf diesen Gebieten fortschrilt und
wie wir mit jeder netten, streng gefolgerten Konsequenz auch in der
geschichtlichen Entwickelung um einige Jahrhunderte vorwärts eilen.
Der Schritt von der Scheibenform der Erde zu der einer Walze
war übrigens ein ganz ungemein kühner, geradezu revolutionärer und
deshalb wohl dazu angethan, dem menschlichen Geiste zunächst ein
Hall zu gebieten, um die gewaltigen Konsequenzen, welche sich hieraus
ergaben, auszudenken, ehe man Zeit gewann, einen weiteren Schritt
vorwärts zu tliun. Während es his dahin ein unbedingtes Oben und
Unten gab — oben wölbte sich umkreisend das sternbedeckte Firma-
ment, unter uns brausten die Wasser des Oceans bis an die Grenzen
der Unendlichkeit hinab — so schwebt nunmehr die Erde in einem
freien Raume, und was für uns oben war, wurde für die unerreichbare
Welt unterhalb der irdischen Walze, unten. Die Idee der Antipoden
war geschaffen, ein nicht so leichter Begriff, welcher noch heute in
manchen Kopf nicht passen will. Unterhalb unseres Horizontes wölbte
sich nun eine gleiche himmlisohe Halbkugel, wie über uns. Es
schien, als seien wir in einer Ungeheuern kristallenen Kugel eingc-
schlosseu, durch deren Oeffnung uns der ewige Glanz der Götterwoh-
nung entgegenstrahlte, über deren Einrichtung nachzudenken dem
Menschen ewig versagt bleiben musste. Unter dein Horizonte hesass
also die Halbkugel offenbar noch einen andern Fol und zwischen
beiden lag die Welt-Axe, um welche sich in der Mitte der Kugel die
irdische Walze legte. Die Erde blieb folglich im Mittelpunkte des
Weltganzon als dessen hauptsächlichster Theil, um welchen sich das
Uebrigo wie ein Geschenk der Götter zu unserer Freude in hehrem
Reigen bewegte.
Die so entwickelte Form des Weltgebäudes liess offenbar immer
noch die Möglichkeit zu, das ersehnte Ziel, jene Grenze zu erreichen,
wo der Himmel die Erde berühren sollte, denn es erschien ja auders
ganz unmöglich, als dass ilie grosse irdische Walze durch irgend
welche feste materielle Bande an das Kugelgewölbe des Himmels ge.
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schmiedet sei; dass sie etwa in demselben frei schwebe, erscheint ja
noch nach dem Standpunkte, welchen unsere bisher entwickelte Welt-
ansicht einnimmt, ganz unmöglich. Zur weiteren Entwickelung unserer
Erkenntniss wird es deshalb offenbar höchst interessant sein, weiter
in der Richtung des Weltpoles vorzudringen, wo ja nach dem Augen-
schein des sich umwälzenden Himmelsgewölbes diese Verbindung
aufzutlnden sein müsste. Aber auch indem wir unsere Weltreise in
dieser Richtung wiederholen, stossen wir auf unüberwindliche Schwie-
rigkeiten, und der Himmel bleibt uns unerreichbar. Nach Norden in
der angegebenen Richtung auf der Erde vordringend, kommen wir
in stets rauhere und unwirthsainere Gegenden. Undurchdringliche Eis-
wildnisB hindert jedes weitere Vordringen von einer Grenze an, die,
wie wir aus gleich zu erörternden Gründen schliessen können, noch
etwa hundert Meilen, oder den 54. Theil des ganzen Erdumfanges,
von diesem ersehnten Berührungspunkte entfernt liegt, wenn ein
solcher überhaupt existirt
Wir müssen uns deshalb zu der Ueberzeugung bequemen, dass
wir den Himmel in Wirklichkeit niemals erreichen können und also,
wenn wir seine Einrichtung überhaupt kennen lernen wollen, zu an-
deren als jenen handgreiflichen Mitteln unsere Zuflucht nehmen
müssen, die dem vollkommen naiven Geiste zwar allein als Beweise
giltig erscheinen. Wie aber auch diese Mittel zur Erforschung des
Himmels beschaffen sein mögen, wir werden von vornherein davon
überzeugt sein, dass wir damit anfangen müssen, zuerst unsere Erde
genauer kennen zu lernen, da alle Ausgangs- und Ankerpunkte für
unsere folgenden Schlussreihen über die Einrichtung des Weltgebäudes
grenzenlos weit über unsere materielle Wirkungs-Sphäre hinausgreifen
sollen und gerade deshalb zur sicheren Kuntrole nur die Erde und
was wir auf ihr direkt prüfen und erreichen können, übrig bleibt.
Wir sehen sofort ein. dass wir, um beispielsweise über die Grösse
der Himmelskörper und über die Entfernung von Sonne und Mond,
die wir mit unserer Messkette nicht erreichen können, Aufschluss zu
gewinnen, dies nur durch ihre Betrachtung von verschiedenen Stand-
punkten der Erde aus erfahren können, in einer Weise, welche später
näher auseinandergesetzt werden soll. Da aber, wie wir uns leicht
überzeugen, durch eine Verschiebung unseres Standpunktes um wenige
Meilen, beispielsweise zwischen einer oder der nächsten Ortschaft, die
Grössen- und Lagenverhältnisse jener Himmelskörper nicht merklich
verändert werden, so müssen wir ohne weiteres schliessen, dass die-
selben jedenfalls sehr weit von uns entfernt sind, ganz ungemein viel
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174
weiter wohl, als der Abstand jener Ortschaften von einander beträgt:
wir sehen also, dass wir zur näheren Begründung der Grössen und
Entfernungen, unsere Beobachtungen zwischen viel weiter abstehenden
Orten wiederholen müssen, und es zunächst nöthig wird, den Abstand
dieser Orte von einander kennen zu lernen. Wir müssen unsere Erde
ausmessen.
Wie stellen wir es aber an, einen so grossen Körper wie die
Erde, mag sie nun Walzen- oder Kugelform besitzen, mit unserer Mess-
kette zu umspannen, um schliesslich angeben zu können, wieviel Ein-
heiten eines beliebigen, uns bekannten und in unsern Händen befind-
lichen Massstabes auf den Erdumfang in einer bestimmten Richtung
kommen? Die direkte Ausmessung mit diesem Massstabe würde, selbst
wenn wir die Ausdauer dazu besässen, nicht möglich sein, da wir da-
mit ja nicht die Oceane überbrücken können. Diese neue Schwierig-
keit wird indess durch die ingeniöse Verwerthung jener eigentümlichen
Wahrnehmungen aufgehoben, die wir hei Gelegenheit unserer Erd-
umsegelung machen konnten. Wir sahen nämlich, dass der himm-
lische Pol. indem wir in der Richtung nach demselben die Erdober-
fläche durchwanderten, ganz regelmässig höher und höher über dem
Horizonte emporstieg, und zwar entsprach eine bestimmte Winkeler-
hebung stets einer bestimmten immer gleichbleibenden Fortsclircitimg
auf der Erde. Indem wir tiefer und tiefer iu den hohen Norden vor-
drangen bis in die Nähe jenes Punktes, wo die Himmelsaxt' die Erde
berühren musste, also dem sogenannten Nord pole, je mehr näherte
sich der himmlische Nordpol mit seinen uns wohl bekannten Sternen
dem Scheitelpunkte des Himmels, welcher genau senkrecht über unsern
Häuptern Stellt.
Wenn wir dagegen unsere Reise um die Erde in umgekehrter
Richtung einschlagen, so dass wir dem himmlischen Nordpol genau
den Rücken kehren, so senkt sich tierseihe mehr und mehr zu dem
Horizont hinab und wir kommen schliesslich zu einer Stelle, wo der-
selbe den Horizont seihst berührt. Auf der entgegengesetzten Stelle,
nach welcher wir uns bis jetzt binbewegten, erscheint gleichzeitig ein
anderer Himmelspol, ein anderer Punkt, um welchen sich neue unbe-
kannte Sternbilder in derselben Weise bewegen, wie unsere nordischen.
Auf diesem Gebiete augelangt — wir nennen es, wie wir aus der
Schule noch wissen, den Aequator tler Erde — scheint das Himmels-
gewölbe sich um eine Axr zu drehen, welche horizontal auf der Erd-
oberfläche liegt. Alle Sterne, welche der Himmel überhaupt besitzt.
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175
werden hier nacheinander sichtbar, gehen auf und unter in ewig
gleichmtissigen Zwischenräumen von je zwölf Stunden.
Indem wir uns nun weiter nach demjenigen Punkte hinbewegen,
welchen wir nach dem Vorangegangenen den himmlischen Südpol
nennen müssen, wiederholen sich dieselben Erscheinungen, wie wir
sie vorher am Nordpol bemerkt hatten. Der Südpol steigt mehr und
mehr über den Horizont empor, während inzwischen der Nordpol unter
denselben hinabgesunken ist, um niemals für unsern Standpunkt wieder
aufzutauchen. Sterne in der Umgebung des Südpols, welche früher
stets für uns unsichtbar blieben, gehen nun während des täglichen
Umschwungs des grossen Gewölbes niemals mehr unter, weil der
Kreis, welchen sie um den über den Horizont erhabenen Südpol be-
schreiben, wegen ihrer Nähe zu demselben so klein ist, dass der Kreis
beim niedrigsten Stande der Sterne höchstens den Horizont berührt.
Derartige Sterne nennt man circumpolare; sie gehen für einen be-
stimmten irdischen Standpunkt weder auf noch unter. Man ersieht
unmittelbar, dass die Zone der Circumpolar-Sterne ein immer
grösseres Gebiet umfasst, je mehr wir uns einem der irdischen Pole
nähern, weil eben gleichzeitig der Himmelspol um so höher empor-
steigt. Unter dem Pole selbst sind alle überhaupt sichtbaren Sterne
circumpolar; nur die eine halbe Kugel des Himmelsgewölbes bleibt
im Laufe aller Tageszeiten sichtbar; kein Stern geht auf, keiner geht
unter.
Vergegenwärtigen wir uns genau diese merkwürdige Erscheinung
des Auf- und Niedersteigens der himmlischen Pole, während wir in
ihrer Richtung auf der Erde vorwärtsschreiten und fügen wir hinzu,
dass direkte Ausmessungen stets ergeben haben, dass bei einem gleich-
grossen Vordringen in der genannten Richtung die Winkelverschiebung
des Poles auch immer und unter allen Erdstrichen dieselbe bleibt,1)
so sehen wir leicht ein, dass dieselbe durch die runde Gestalt der
Erde in dieser nordsüdlichen Richtung herrührt, und dass wir also,
indem wir von dem Punkte, in w'elchem der Nordpol des Himmels
genau über unsern Häuptern steht, zu demjenigen hingewandert wären,
in welchem der Südpol diese selbe Lage einnimmt, auch genau einen
halben Umlauf um unsern Erdkörper in dieser Richtung vollendet
haben müssen. Wenn wir dagegen bloss von dem Punkte, wo der
Nordpol genau über unserm Scheitel steht, bis zu demjenigen wandern,
wo er sich im Horizonte befindet, also bis zum irdischen Aequator,
*) Von den kleinen systematischen Abweichungen, welche durch die
Abplattung der Erde entstehen, ist hier natürlich abzusehen.
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176
so haben wir offenbar den vierten Theil des Erdumfanges zurückgelegt;
ferner, indem wir weiter Vordringen, bis der Südpol gerade um 45°
über dem Horizonte stellt, so betragt unser Weg den achten Theil
des Erdumfanges; oder endlich, wenn wir nur so weit gehen, dass
sioh einer der himmlischen Pole um einen einzigen Grad, d. h. den
360. Theil des ganzen Himmelsumfanges fortbewegt hat, so sind wir
sicher, dass wir auch auf der Erdoberfläche den 360. Theil ihres
ganzen Umfanges durchmessen haben.
Die Beobachtung zeigt, dass diese Bedingung, den Himmelspol
durch unser Fortbewegen um einen Grad scheinbar zu verschieben,
ziemlich leicht zu erfüllen ist. Wir brauchen zu diesem Zwecke keine
allzu grosse Reise zu machen, damit wir die Entfernung zwischen
diesen beiden Punkten auf der Erdoberfläche, sei es durch unsere
Messkette, oder durch andere verfeinerte Methoden, der sogenannten
Triangulation beispielsweise, von welcher bei anderer Gelegenheit aus-
führlicher geredet sein mag, direkt auszumessen ira stände sind. Es
zeigt sich nämlich, dass zwei derartig gewählte Punkte gerade um
15 geographische Meilen oder 111 111 1/B Einheiten eines idealen Meter-
stabes, der sich von unserem Gehrauchsmeter nur um ein sehr Ge-
ringes unterscheidet, abstehen; wobei jedoch hinzugefügt werden muss,
dass sowohl die Grösse jener geographischen Meile als dieses Meters
erst nach dem ganzen Erdumfänge bestimmt worden ist. Es hätte
uns jedoch nichts gehindert, die Entfernung jener beiden Punkte, für
welche der Himmelspol eine, um genau einen Grad verschiedene
Höhe über dem Horizonte besitzt, mit irgend einer anderen Masseinheit
auszumessen, um selbstverständlich zu denselben Schlussfolgerungen
zu gelangen. Ich betone dies, um den Verdacht abzuweisen, dass hier
ein Element in unsere Schlussfolgerungen oingeführt werde, welches
das sogleich zu ermittelnde, nämlich den Erdumfang, eigentlich bereits
enthält.
Nachdem nun die Ausmessung der Entfernung dieser beiden
Punkte geschehen ist, und wir uns durch die Beobachtung der Höhe
des Poles über dem Horizonte (Poihöhe) überzeugt haben, dass wir
dabei gerade den 360. Theil des Erdumfanges zurückgelegt haben, so
ist ja offenbar der ganze Erdumfang zugleich ermittelt. Wir brauchen
eben diese 15 Meilen oder die daneben angegebene Zahl von Metern
nur mit 360 zu multipliziren, um zu erfahren, dass die ganze Erd-
oberfläche in dieser Richtung 5400 Meilen oder 40 Millionen jenes
Meters umfasst. Unsere Aufgabe ist damit gelöst.
Noch mag interessant sein hier anzuführen, dass eine Aus-
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.
messung der Erde nach diesen selben Prinzipien von dem griechi-
schen Astronomen Eratosthenes in Aegypten um 28(1 v. Chr.
und später genau nach obigem Schema von arabischen Astronomen
i. J. 827 unter dem Kalifen Al-Mamoum ausgeführt worden ist.
Die Einzelheiten dieser ersten Messungen sind uns überliefert worden.
Das Ergebniss des Eratosthenes scheint, so weit wir es trotz einiger
Unsicherheit über die von ihm angewandte Massliinge beurtheilen
können, der Wahrheit schon ziemlich nahe gekommen zu sein. Von
der arabischen Messung sind wir leider nicht im stände über den
Grad dieser Annäherung irgend etwas anzugeben, weil uns die ge-
nügenden Angaben darüber fehlen, wie gross die Masseinheit, in
welcher der Grad auf der Erdoberfläche ausgemessen worden ist,
war. Wir wissen nur nach jener Ueberlieferung, dass man den
3(10. Thcil des Erdumfangs gleich 56 s/, arabischen Meilen fand. Eine
arabische Meile, hiess es, sei gleich 4000 Ellenbogenlängen, welche sich
wiederum in L'nterabtheilungen zu acht Fäusten, die Faust zu vier
Fingern gerechnet, eintheilten, während man eine Fingerdicke gleich
sechs Gerstenkörnern und diose wieder gleich sechs Mauleselhaaren
schätzte. Nach diesen Angaben würde also der ganze Erdumfang
etwa gleich 2600 Millionen Fingerdicken sein. Nimmt man nun an,
dass eine Fingerdicke, wie es dem Durchschnitt etwa entspricht,
16 mm beträgt, so gehen nach unsern heutigen Kenntnissen 2500
Millionen Fingerdicken auf den Erdumfang, und es scheint hiernach,
dass auch die arabischen Erdmesser in der That nicht allzuweit von
der Wahrheit entfernt blieben und dass wir ihrer Kunst alle Achtung
zu zollen haben.
Zugleich geht aus diesem historischen Beispiel hervor, wie noth-
wendig es ist dass man das angewandte Urmass so sorgfältig
wie möglich aufhebe, damit die ganze mühsame Arbeit, den Un-
geheuern Erdumfang mit unserm Geiste messend zu umspannen, für
kommende Jahrhunderte nicht vergebens ausgeführt sei. Die heutigen
Erdmesser oder Geodäten, welche sich seit langen Jahrzehnten zu
einer internationalen Gradmessungs-Organisation vereinigt
haben, um die Gestalt- und Grössenverhältnisse der Erde so er-
schöpfend als möglich zu bestimmen, gebrauchen in der That alle
Vorsicht, um das angewandte Urmass so sorgfältig wie möglich durch
die Jahrhunderte hindurch vor allen Gefahren zu schützen. Man ver-
birgt dieses Urmeter in Paris in einem tiefen Kellergewölbe und fester
hinter Schloss und Riegel, wie eine Weltbank ihre Goldbarren. Nur
während einer Vereinigung der über den ganzen Erdball vertheilten
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178
Mitglieder einer internationalen überwachenden Behörde kann man zu
diesem kostbaren Oute gelangen, das in Wirklichkeit das Resultat
einer Riesenarbeit ist, indem es ja mit Berücksichtigung kleiner zahlen-
müssig festsetzbaren Verbesserungen einen ganz bestimmten und
bekannten Bruchtheil des Erdumfangs, einen gewissermassen in
40 Millionen Theile mit aller denkbaren Sorgfalt zerlegten Erd-
meridian bedeutet
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Veber die Verschiedenheiten der Wahrnehmung und Darstellung von
Nebelflecken.
Herr Tempel, Astronom der Sternwarte zu Arcetri bei Florenz, hat
unserer Zeitschrift einige seiner höchst sorgfältigen und kompetenten Dar-
stellungen von Nebelflecken anvertraut, von denen wir eine Probe in der
diesem Hefte vorgehefteten lithographischen Tafel geben.
Durch die Hinzuftigung der Abbildungen, welche für dieselben Nebel-
flecke von anderen Beobachtern herrühren, will Herr Tempel, wie er es
schon vielfach in sehr verdienstlicher Weise gethan hat, die kritische Be-
urtheilung derartiger Darstellungen fordern.
Er ist nämlich der Ansicht, dass bei der graphischen Nachbildung solcher
zarten Erscheinungen sehr häufig blosse Spuren oder vielleicht ganz zufällige
Andeutungen von besondere interessanten und regelmässigen Formen, z. B.
von Ringen, von Spiralen und nach Art einer Schiffsschraube gewundenen
Flügeln, wesentlich durch die Phantasie mancher Beobachter zu schönen und
einleuchtenden Bildern entwickelt werden, welche dann irrige Vorstellungen
von jenen fernen Welten erwecken.
Es wird für unsere Leser voraussichtlich von Interesse sein, an der Hand
der vorliegenden Darstellungen diesen gewiss sehr beachtenswerthen Bedenken
des Herrn Tempel zu folgen, wobei wir noch vorausschicken, dass das Vor-
kommen wirklicher Veränderungen der Gestalt und der Helligkeitsvertheilung
bei solchen Nebelflecken innerhalb so kurzer Zeiträume, wie selbst mehrere
Jahrzehnte in Betracht der enormen Dimensionen dieser so w'eit entfernten
Gebilde bedeuten, fast ganz ausgeschlossen ist.
Betrachtet man zunächst die vier verschiedenen Darstellungen des mit a
bezeichneten Nebelfleckes (Nr. 4892 dos sogenannten Generalkataloges der
Nebelflecke), so sieht man zunächst, dass die älteste Darstellung desselben
durch J. Herscbel noch recht unentwickelt ist. Bedeutend vollständiger
und schärfer begrenzt ist diejenige von D 'Arrest. Endlich lässt diejenige
von Lord Rosse, ganz abweichend von den beiden vorerwähnten, sehr merk-
würdige Details, insbesondere deutliche Ansätze von Spiral- oder Wirbel-Bil-
dungen erkennen, welche sich an die von den beiden anderen Beobachtern
geseheue fischförmige Gestalt anschliessen. Vergleicht man damit die links
stehende, von Herrn Tempel selber herrührende Darstellung, so bemerkt man
sofort, dass dieselbe die grossen Umrisse der übrigen Darstellungen in sich
vereinigt, aber von den wirbel artigen Gebilden der Darstellung von Lord
Rosse keine Spur mit Sicherheit erkennen lässt.
Dass diess nicht an einer geringeren Lichtstärke des Terape Ischen
Instrumentes liegt, kann man daraus abnehmen, dass Herr Tempel rechts
neben dem grösseren Nebelfleck noch einen kleineren deutlich gesehen hat,
von w’elchem die anderen Abbildungen keine Spur enthalten.
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1
, 18»
«
IGanz ähnlich scheint cs sich hinsichtlich derjenigen beiden Darstellungen
des mit b bezeichnetcn Nebelfleckes (Nr. 28iH) de» Gcncralkataloges) zu ver-
halten, welche von Herrn Lasse 11 herr Uhren, wenn man dieselben mit der
links daneben stehenden, von Herrn Tempel aufgenoinmencn Abbildung ver-
gleicht. Auch liier wird die Stärko der optischen Mittel des Herrn Tempel
dadurch bezeugt, dass die vier kleineren Nebelflecke, welche recht» und unter-
halb von b stehen, von Lusseil nicht wahrgenommen sind (was nicht sowohl
aus den vorliegenden, auf eine kleinere Fläche beschränkten Darstellungen nach
Lassell, sondern aus den Angaben von Lass eil selber erhellt). Man sieht
aber hier in der T p m pe Ischen Darstellung wenigstens Spuren der spiraligen
Linien, welche Lassell in so merkwürdiger Deutlichkeit hinzeichnet, wahrend
sonst bei Las Bell von der ganzen Nebelmasse viel weniger gesehen worden
ist. (Wir haben kaum niithig, hierbei zu bemerken, dass die dunkelsten Partien
aller dieser Abbildungen den hellsten Stellen am Himmel entsprechen.!
Die Abbildungen des Herrn Tempel und seine daran geknüpften Be-
trachtungen Anden eine gewisse Ergänzung durch Darlegungen und Abbil-
dungen, welche jüngst in den - Astronomischen Nachrichten“ von dem Direktor
der Potsdamer Sternwarte, Herrn Prof. H. C. Vogel, veröffentlicht worden sind.
Dort werden nämlich einige ausgezeichnet schöne Abbildungen von Nebelflecken,
wie sie mit Hülfe des Herrn Vogel aus den photographischen Aufnahmen des
ungarischen Astronomen Herrn v. Gothard hervorgegungen sind, mit ander-
weitigen Abbildungen derselben Nebelflecke, weicht* auf Grund von Wahr-
nehmungen mit dem Augo hergestellt wurden, insbesondere mit Abbildungen
von Lord Rosse verglichen.
Diese Vergleichungen fallen aber etwas günstiger für die Altbildungen
von Lord Rosse aus, als die von Herrn Tempel herrührenden; denn die
photographischen Ergebnisse, welche von der ergänzenden Wirkling der Phan-
tasie ganz frei geblieben sind, zeigen gerade von den interessanteren und merk-
würdigeren Einzelheiten noch viel mehr als die Darstellungen von Lord Rosse.
Doch bestätigt sich die Kritik des Herrn Tempel insofern, als diese Einzel-
heiten in den Abbildungen von l^ord Rosso in einer merklich grösseren Regel-
mässigkeit, sozusagen mathematisch idealer, verlaufen, als in der von der Photo-
graphie sicherer wiedergegebenen Wirklichkeit, was ja auch ganz erklärlich
int Jedenfalls enthüllt aber auch die zweifellosere photographische Darstellung
die sehr merkwürdigen spiraligen Strukturen, welche in derartigen Nebelflecken
i Vorkommen, mit grosser Deutlichkeit.
Hinsichtlich der von Herrn Tempel betonten starken Verschiedenheiten
der Darstellungen ist übrigens im allgemeinen noch zu bemerken, dass neben
den sehr erklärlichen kleinen Zuthaten und Idealisirungen, welche aus der
Phantasie mancher Beobachter hervorgehen, und neben den Unterschieden,
welche durch die grössere oder geringere Geschicklichkeit des Zeichners be-
dingt werden (Herr Tempel ist in letzterer Beziehung ein anerkannter Meister),
auch noch andere erhebliche Einflüsse vorhanden sind, welche Verschieden-
heiten dpr erwähnten Art verursachen können. Hierauf deuten auch schon die
beiden etwas verschiedenen Darstellungen eines und desselben Objekts durch
Lassell.
Bei der Wahrnehmung jener mitunter an der Grenze der Leistungsfähig-
keit der Fernrohre stehenden feinsten Details kann es nämlich auch noch sehr
wesentlich auf gewisse Besonderheiten der Beobach tungvmittel und -Umstände
nnkommen, und zwar nicht blos auf die summarische Lichtstärke des Fernrohres,
sondern auf seine Leistungen hinsichtlich der Vereinigung der Lichtstrahlungen
BeiltieV zu Himmel und Erde’
l.Ja hr^anc 3.1left.
b, c. Temptl
K Las teil
6» Vll Imtu.'UflTidrvV/ Gr»« W. H ifbäl BerlsTi.
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_J81_
in den verschiedenen Wellenlängen, aus denen das Lieht des Nebelflecks zu-
sammengesetzt ist.
Ein grosses Spiegel-Instrument, wie dasjenige von Lord Rosse, kann
in dieser Bezi eh ung ganz anders wirken, als ein noch so ebenbürtiges Linsen*
Femrohr, und auch verschiedene Fernrohre letzterer Gattung können sich
hierbei verschiedenartig genug verhalten, um gerade bei dem Lichte der Nebcf-
llecke, welches aus sehr wenigen einzelnen und von einander der Wellenlänge
nach in manchen Fällen recht verschiedenen Lichtarten zusammengesetzt ist,
hinsichtlich der Abbildung der feinsten Einzelheiten erheblich abzuweichen,
wenn sie auch sonst an Leistungsfähigkeit einander sehr nahe stehen.
Auch ist die Leistung eines Fernrohres hinsichtlich der Sichtbarmachung
sehr schwacher ausgedehnter Lichtflächen mitunter gerade infolge der vor-
erwähnten Umstände sehr verschieden von dem Grade seiner Leistung im Ge-
biete sehr feiner Bild-Details. Auch die Stärke der angewandten Vergrösserung
kann bei solchen Vergleichungen verschiedener Arten der Leistungsfähigkeit
mitunter eine Rolle spielen.
Schliesslich wird es auch bei der photographischen Aufnahme von sehr
zarten Gebilden der iu Rede stehenden Art von Bedeutung sein, wie sich die
Empfindlichkeit der Platte und die Abbildungsschärfo des Fernrohrs gerade
hinsichtlich derjenigen verschiedenen Licht-Wellenlängen verhält, aus denen
das Licht eines Nebelflecks besteht; auch hierin könnte eino Quelle von kleiner
Untreue selbst dieser sonst treusten Art der Wiedergabe solcher Erscheinungen
liegen, zumal wenn die Intensität der verschiedenen Lielitarten an verschie-
denen Stellen des Nebelflecks verschieden ist. W. F.
*
Feber da« Sternschwanken.
Von Fr. S. Archen hold in Berlin.
Das wechselvolle Spiel des scheinbaren Verlöschens und Wicderauf-
blilzens der Sterne ist eine Erscheinung, die selbst dem gleichgültigsten Be-
obachter nicht entgehen kann. Der gestirnte Himmel erhält durch diese schnelle
Helligkeitsschwankung des Lichtes, die zumeist von einem lebhaften Wechsel
»ler Farbe und einem scheinbaren kleinen Hin- und Herspringen der Sterne
begleitet ist, eine eigenartige Belebung.
Dieses Erzittern, Scintilliren oder auch Funkeln der Sterne genannt, ist
atmosphärischen Ursprungs, abhängig von der Höho der Gestirne über dem
Horizonte, ihrer Helligkeit und der liehtzerstreuenden Kraft der Atmosphäre.
Die interessanten Erklärungsversuche dieses Stemfunkelns von Arago,
Secchi, Montigny u. A. mögen einer späteren Besprechung in dieser Zeit-
schrift Vorbehalten bleiben.
Von diesem Phänomen, das bereits den Alten ein Unterscheidungsmerkmal
der Fixsterne von den in ruhigem, gleichmässigem Lichte erglänzenden Planeten
abgab, — ist das Phänomen des Sternschwankens wesentlich verschieden.
Alexander v. Humboldt war der erste und ein halbes Jahrhundert
lang der einzige, der dies seltene Phänomen beobachtet hat. Er schreibt hier-
über in seinem Kosmos Bd. III. S. 73: „Es ist hier der Ort, wenigstens beiläufig
einer anderen optischen Erscheinung zu erwähnen, die ich auf allen meinen
Bergbesteigungen nur einmal und zwar vor dem Aufgange der Sonne, den
22. Juni us 1791) am Abhänge des Pies von Teneriffa, beobachtete. Im Malpays,
Himmel und Erde. 18SS. III. 14
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182
ohngcfähr in einer Hohe von 10700 Fuas über dem Meere, sah ich mit un*
bewaffnetem Auge tief stehende Sterne in einer wunderbar schwankenden Be-
wegung. Leuchtende Punkte stiegen aufwärts, bewegten sich seitwärts und
fielen an die vorige Stelle zurück. Das Phänomen dauerte nur 7 bis 8 Minuten
und hörte auf lange vordem Erscheinen der Sonnenscheibe am Meereshorizonte.
Dieselbe Bewegung war in einem Fernrohr sichtbar: und es blieb kein Zweifel,
das» es die Sterne selbst waren, die sich bewegten." Fast 50 Jahre später ist
dieselbe Erscheinung genau an demselben Orte im Malpays, wieder vor Sonnen-
aufgang, von dem Prinzen Adalbert von Preussen mit blossen Augen
und im Fernrohr beobachtet worden, ohne dass derselbe von Humboldts
Beobachtungen unterrichtet war.
Zufolge einer Nachrirht des Herrn Prof. Flesch (Berichte der Acad. d.
Wiasenst-h. zu Berlin 1851) nahen der Oberprimaner Keune und der Sattler-
melater Thugutt in Trier zwischen 7 und 8 l*hr Abends am ‘20. Januar 1851
den Sirius bald auf-, bald abwärtsgeben, bald nach der linken, bald nach der
rechten Seite hinschwanken, ja bisweilen sich im Kreise bewegen. Herr
Keune sah, mit dem Kopfe an eine Mauer gelehnt, den Sirius in geringer
Höhe über einem Hause stehen und hinter dem Dache desselben bald ver-
schwinden, bald wieder zum Vorschein kommen. Die Beobachter glaubten
zuerst, jenes bekannte Spielzeug der Knaben, einen fliegenden Drachen, mit
einer brennenden Laterne versehen, vor Augen zu haben. Auch schien der Stern
an Glanz bald zg-, bald abzunehmen, bisweilen sogar auf Augenblicke ver-
schwunden zu sein, obgleich der Himmel heiter war.
Die folgenden Jahre 1852, 53, 54 bringen eine Reihe von Beobachtungen
und Erklärungsversuchen des Sternschwankens, die in Jahns „Unterhaltungen
für Dilettanten und Freunde der Astronomie, Geographie und Meteorologie*
niedergelegt sind. Eine Besprechung jeder einzelnen dieser Beobachtungen
würde uns hier zu weit führen und können wir um so eher hierauf verzichten,
als Herr Schweizer1) an die Publizirung seiner mit Herrn Üredichiu ge-
meinschaftlich ausge führten Beobachtungen eine Discussion aller früheren
Beobachtungen des Stemsehwankens angeschlossen hat.
Es sind zumeist nur an Sternen unweit des Horizontes Schwankungen wahr-
genotnmen worden. Entweder schienen die Sterne in einer horizontalen, be-
ziehungsweise vertiefen Richtung ruckweise eine Strecke weit bis zu einem
Haltepunkte vorzugehen, hier eine Zeit lang zu verweilen und dann in grader
Richtung dem Ausgangspunkte wieder zuzueilen, — odpr Kreise, beziehungs-
weise Ellipsen von Durchmessern bis zu mehreren Vollraondbreiten zu be-
schreiben, — mler endlich, freilich etwas seltener, geschlängelte Linien nach
verschiedenen Richtungen in geschlossenem Wege zuriirkzulegen.
Die Erscheinung ist, je nachdem sieh der Stern auf die eine oder andere
Weise bewegte, von den verschiedenen Beobachtern verglichen worden mit
dem plötzlichen Niedcrfallen einer langsam aufgestiegenen Rakete, mit «lein
»pi ingrnden Lichte einer in dunkler Nacht von einer ängstlich hin uiul her-
suchenden Person getragenen Laterne oder, wie von «lern Afrikareisenden
K. Vogel, mit dem Lichte eines in stürmischer See auf- und uhlänzclndcn
Leuchtschiffes.
Die folgenden Jahrzehnte sind arm an Beobachtungen des Stern-
schwankens, bis Herr Prof. Weyer in Kiel das Phänomen in diesem Sommer
den Astronomen wieder in Erinnerung gebracht hat.2) Er sah «len Antares
) Bulletin dt U Sottet* de * naltiraltste« «1* ilosrao, «our. Mos rau IS5T T. XXX.
J p. 440—57 und IW T. XXXI. 1 p. 477- m
Astronom. Nfcchr. Nr. 2*41
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183
in einer Höhe von 4 bis "» Grad (ein Grad ist nahe gleich zwei Vollmonds-
Durchmesser) eine fast eben so viel Grade betragende seitliche Bewegung aus-
fiihren, verbunden mit einer geringen Auf- und Abwärtsbewegung. Im festen
Fernrohr wurde hierauf von diesen Schwankungen nichts gesehen, während
das unbewaffnete Auge gleich nachher wieder, wenn auch in schwächerem
Grade als zuvor, die seitliche Bewegung wahrnahm. Der Beobachter bemerkt
besonders, dass an jenem Abend seine Augen durch längeres Arbeiten er-
müdet waren.
Herr Searle vom Harvand College Observatory in Amerika*) hat im
September dieses Jahres an der Capella ein gleiches Schwanken beobachtet
und gemeinsam mit Herrn Gerrisc h festgestellt, dass der Sinn der von beiden
zugleich gesehenen Bewegung zumeist verschieden war.
Wie lassen sich nun alle diese Beobachtungen erklären? Wir brauchen
wohl nicht zu erwähnen, dass wirkliche Bewegungen der Sterne diesen akuten
Orts Veränderungen nicht zu Grunde liegen können. Welche ungeheure Be-
wegung müsste schon der uns nächste Stern, der hellste im Bilde des Cen-
tauren, ausführen, um in wenigen Sekunden einige ganze Grade zu beschreiben,
geschweige denn Sterne, deren Entfernungen für uns bis jetzt unmessbar sind.
Es bleibt nur zu untersuchen übrig, ob diese Bewegungen durch atmo-
sphärische Zustände sich erklären lassen, oder ol» sie rein persönlicher Natur
sind. Wir werden beide Erklärungen zulassen müssen, um allen Beobachtungen
gerecht zu werden. Herr Schweizer, der das Sternschwanken zu jeder
Nachtzeit und in jeder Höhe über dem Horizont sehen konnte, wenn er nur
den Stern einige Minuten lang flxirt hatte, glaubte alle Beobachtungen durch
rein physiologische Wirkungen erklären zu können. Freilich werden sich in
allen Fällen, wo das Schwanken nur mit blossem Auge, dagegen im Fernrohr
nicht wahrgenommen werden konnte, die scheinbaren Bewegungen des Steines
durch die Annahme entsprechender unbewusster Bewegungen des Augapfels
ungezwungen erklären lassen. Zu dieser Art gehören unbedingt alle Beobach-
tungen von Herrn Schweizer und die neueren von Herren Weyer und
Searle. Bei den letzten insbesondere ist dies dadurch völlig evident gemacht,
dass zwei Beobachter gleichzeitig verschiedene Bewegungen sahen.
Das unbewusste Spiel der Augenmuskeln, welches bei sehr ermüdetem
Auge in krampfartiger Weise stattfinden kann, verursacht aber nur dann eine
scheinbare Bewegung der Sterne am Nachthimmel, wenn nicht gleichzeitig im
Gesichtsfelde feste und deutliche Anhaltspunkte vorhanden sind, von deren
Unbeweglichkeit man instinktiv überzeugt ist. Die subjektiven Täuschungen
gehen in dieser Beziehung sogar soweit, dass Hinnnclsobjekte, die man durch
einen ziemlich gleichmässigen Wolkensehleier sieht, zu schwanken scheinen,
während die Wolkeniläche ruhig zu bleiben scheint, und erst dann, wenn sieh
in der Nähe des Himmelsobjektes sehr deutliche Wolkenkonturen befinden,
sieht man, dass das Bild der Wolke mit im Schwanken ist, und dass es eine
l’rtheilstäuschung war, wenn vorher die gloichmässige Wolkenschicht zu ruhen
und bloss der Mond oder die Sterne zu schwanken schienen.
Sobald man sich dieses Mitschwankens der Wolken bewusst geworden
ist. weis man natürlich sofort, dass die ganze Bewegung eine Augentäuschung
ist, weil derartige schnell hin- und hergehende Wolkenbewegungen in Wirk-
lichkeit nicht Vorkommen.
Es ist sogar beobachtet worden, dass der Vollmond, welcher durch eine
Schicht von ganz gleichmässigen Schäfchenwolken gesehen wurde, um mehrere
’> Astronom. Xachr. Nr. äsEI.
14*
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1K4
Grade hin- und hersprang; während «lie Wolken zu ruhen sehie neu und erst
hei starker Conzeiitralion <ier Aufmerksamkeit sah der Beobachter, dass
die Schäfchen-Umrisse, in deren unmittelbarer Nähe der Mond sich befand,
dieselbe Schwankung miterfuhren und diose Bewegung der Schäfchen wegen
der gleich massigen Vertlieilung derselben nur nicht gesondert empfunden
wurde.
Sind hingegen im Kernrohr dieselben Schwankungen wie mit blossem
Auge wahrgenommcn worden, so sind sie durch atmosphärische Wallungen
oder schnell veränderliche Kimmungen, hervorgerufen durch die verschieden
warmen Luftströmungen, zu erklären.
Hierher gehören A. v. Humboldts, des Prinzen Adalbert und die
in Jahns Unterhaltungen niedergelegten Beobachtungen des Herrn v. Parpart,
der, je nachdem er seinen Standpunkt hinter einer mit dichtem Rohr be-
wachsenen Insel oder frei nahm, die Wega schwanken sah oder nicht. Dieses
objektive Stemschwankeu ist weit seltener als das subjektive und tritt, an eine
besondere Oertlichkeit gebunden, zumeist kurz vor oder nach Sonnenunter-
gang ein.
Die beiden, äusserlich ähnlichen aber ursächlich ganz verschiedenen Er-
scheinungen, denei» man vielfach unnötigerweise durch Unterlegung einer
und derselben Erklärung Zwang angethan hat, sind jede für sich interessant
genug, um weitere Beachtung zu rechtfertigen. Gerade deshalb haben wir
geglaubt, au dieser Stelle darauf aufmerksam machen zu sollen.
*
h
*
Erscheinungen am Sternenhimmel Im Monat Dezember.
Der am 2. Septbr. von Barnard entdeckte Komet (s. Novemberheft S. 122)
scheint nach den vorliegenden Beobachtungen nicht so hell werden zu wollen,
als es nach seinen Bahnelementen zu schließen war. Bei der Entdeckung
von der Helligkeit eine« Sternes nur
11. Grosse, war er am 1. October nicht
Stellung des Barnardschen Kometen
gegen den Horizont
im Dezember 12 Uhr Nachts.
über die von IO1 ; hinausgewachsen;
die den Keni umgehende Nehelhiille
wurde auf 3 Minuten iin Durchmesser
geschätzt, und gegenwärtig ist ein kur-
zer Seh Wertansatz bemerkbar; da «lie
Entwickelung der Kometen aber er-
füll rungsgemüss meist zur Zeit ihrer
Sonnennähe eine lebhaftere wird, und
der Barnardsehe Komet diesen Stand
erst Ende Januar erreicht, so werden
physische Beobachtungen, die jetzt von
den Sternwarten fast ganz fehlen, noch
zu erwarten sein. Positionsbestimmun-
gen sind auf zahlreichen Observatorien,
zu Palermo, Strassburg, Hamburg, Dres-
den, Königsberg, Rom, Bordeaux, Besan-
\on, Berlin, Kiel, Madison, Mount Ha-
milton u. in. a. gemacht worden. — Unsere Karte zeigt die Stellung des Kometen
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in) Dezember, geltend für den Berliner Horizont, 12 I hr Nachts. Anfangs die*
•es Monats ist der Komet besonders leicht zu finden: über ihm, kaum 6 Grad
höher, steht nämlich der bekannte veränderliche Stern „Mira- des Wallfisches.
Dm zweite Kärtchen verfolgt die scheinbare Bahn des Gestirnes bis zu seinem
Verschwinden im Octol*er nächsten Jahres; um diese Zeit wird die Helligkeit
wieder zu jener herabgesunken »ein, die der Komet Ihm seiner Entdeckung
besessen hat.
Lauf des Kometen Barnard
vom Dezember 1888 bis zu seinem Verschwinden im Oktober 1888.
Ein neuer Komet ist übrigens von Barnard am 30. October aufgefunden
worden. Nach den vorliegenden rohen Bahnelementen tritt derselbe Anfang
Dezember wenig nördlich vom Sterne ). der Wasserschlange in das Sternbild
des Sextanten: er wird gegenwärtig der 10. Grösse gleichgeschätzt und bildet
einen Nebel von 2 Minuten Durchmesser. Da seine Sonnennähe schon »m
1*. September erreicht war, nimmt seine Helligkeit bereits ziemlich ab.
Die auf den nächsten Neujahrstag fallende totale Sonnenfinsternis» hat
fiir die Bewohner Europas kein Interesse, wohl aber für jene der Vereinigten
Staaten und des englischen Nordamerika; zu San Francisco wird man sie um
halb 2 Uhr Nachmittags wahrnehraen und die grosse Sternwarte auf den»
Mount Hamilton dürfte sich ihre Beobachtung kaum entgehen lassen.
Schliesslich richten wir die Aufmerksamkeit unserer Freunde des Himmels
auf das bisweilen zahlreichere Erscheinen von Sternschnuppen zwischen dem
I. und II. Dezember, auf die sogenannten „Geniiniden". Nach Denning ist
das Maximum dieses zuerst von Greg bemerkton Schwarmes am 10. Dezember
zu erwarten; der Hauptausgangspuukt liegt nahe dem Sterne Cnstnr in den
Zwillingen. *
* *
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Luftschifffahrt uml Meteorologie.«! Das Schauspiel einer Hallon-
auffahrt besitzt heutzutage durchaus nicht mehr den Heiz der Neuheit,
seitdem dasselbe vieler Olten als regelmässige Nummer in das Programm
der Sonntags Vergnügungen aufgenommen worden ist; wie wenigen der
Zuschauer mag jedoch dabei der Oedanke aufdämmern, dass die Erfindung
Montgolfiers und Charles' viel erhabeneren Zwecken, als dem, einem unter-
halt ungs bedürftigen Publikum einen interessanten Anblick zu gewähren,
die wichtigsten Dienste zu leisten berufen ist. Die Meteorologie haupt-
sächlich hat von einer verständnissvollon Anwendung des Luftballons die denk-
bar grösste Förderung zu erwarten, da die Kenntnis.* der Zustände in den
höheren Schichten der Atmosphäre die Lösung vieler Probleme herbeizuführen
vermag, denn die Beobachtungen auf Berggipfeln können allein das fehlende
Material aus dem einfachen Grunde nicht liefern, da sie noch zu sehr von der
Nähe der Erdoberfläche und vielen, den Gebirgen eigenen Besonderheiten der
Luftströmungen beeinflusst werden, um die aus ihnen erlangten Resultate ohne
weiteres als die in gleicher Höhe in der freien Atmosphäre thatsiiclilieh statt-
findenden hinzustollen. So hätte denn bald nach seiner Erfindung der Luit»
ballon für die Meteorologie der werthvollste Apparat werden müssen: merk-
würdiger Weise jedoch geschah nach viel versprechenden Anfängen bei den
zahlreichen Auffahrten Jahrzehnte lang so gut wie nichts für wissenschaft-
liche Zwecke, und erst in den Jahren lfttt bis IStVj inaebten Ulaisher
und Welsh eine Reihe von Fahrten in der ausschliesslichen Absieht, spcciell
die Temperaturvcrhältnisse der höheren Luftschichten genauer zu untersuchen.
Bis jetzt ist inan auf ihre Resultate noch immer fast einzig angewiesen, trotz-
dem sie nicht ausreichen, um für die verschiedenen Witterimgscharaktere in
«ler warmen und kalten Jahreszeit ein zutreffendes Bild von der Temperatur*
ändern ng mit der Höhe entwerfen zu können. In «len letzten Jahren hat sich
endlich «las Verständnis* für die Nothweudigkeit planmäßiger meteorologischer
Beobachtungen auf Luftfahrt«’!! alh’rorten Bahn gebrochen. und auch von Seiten
«ler zur Königl. preußischen Militnrhift>«’hiffi>r-Ahtheilung gehörend«'!! < jfficiere
wird den meteoi*ologischen Fragen «las regste Interesse entgegengebracht, «loch
liegen die Interessen der Militäracrouaulik denen der Meteorologie zu fern, um
von ersterer eine Lösung meteorologischer Probleme erwarten zu können.
Ks ist daher um so höh«*r zu schätzen, dass im I^iuf«’ dies«'* Jahres,
unseres Wissens zum ersten Male, von Berlin aus eine Auffahrt unb'riiQmmen
wurde, um hei einer bestimmten Wetterlage die Ycrtlieiliing der Temperatur
nach «ler Höhe mit den neuesten Apparaten und nach exakten Methoden zu
untersuchen, da eine grössere Genauigkeit der Zahlcnwertlic sehr wünschen*-
•> Nach cinrai Vmlrag, pcbalii-ii von In. Krem «er, in «ler 3J«*<rr<tiilogi*i'hen
«•«■!» »ft zu Berlin.
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werth erscheint, und man jetzt in der Lage ist, die grosse Anzahl der Fehler-
quellen, welche einer Ermittelung der wahren Lufttemperatur im Hallon die
grössten Hindernisse bieten, völlig beseitigen zu können. Es erschien zunächst
wesentlich, nur ein bestimmtes Phänomen näher zu untersuchen, und nicht
durch die Menge verschiedenartiger Beobachtungen die Zuverlässigkeit der-
selben auf ein viel geringeres Mas« herabzudrücken. Als erstes Untersuchungs-
objekt einer Keihe von Witterungszuständen sollte das Verhalten der Tempe-
ratur und Feuchtigkeit in den höheren Luftschichten während eines sommer-
lichen Luftdruckinaxiniums untersucht werden. Die Fahrt fand am 2:5. Juni
188$ statt, und hat sehr beachtenswerthe Resultate geliefert.
Der von dem Ingenieur Herrn von Siegsfeld aus eignen Mitteln her-
gestellte Ballon war nach den neuesten Erfahrungen der Ballontechnik con-
struirt, sein Durchmesser betrug ca. 14 m, sein Volumen 15Öfi Kbm; er vermochte
ca. 1000 Kgr Leuchtgas zu fassen, die von ihm verdrängte Luftmenge wog
demnach ca. 2000 Kgr. Die Beobachtungen wurden von Herrn Dr. Kremser,
Mitglied des Königl. preussischen meteorologischen Instituts mit Unterstützung
des Herrn von Siegsfeld ausgeführt, während die Führung des Ballons der
bewährten Kraft des Luftschiffers Herrn Opitz anvertraut war. Die Aullährt
erfolgte um 91/* Uhr Morgens von «1er Schönebergor Gasanstalt bei Berlin, bei
massigem Ostwinde und völlig heiterem Himmel. Das Gebiet höchsten Luft-
drucks lag im Nordwesten, und erstreckte seinen Einfluss über ganz Central-
e ui opa. Der Ballon bewegte sich in fast genau westlicher Richtung mit «*inor
durchschnittlichen Geschwindigkeit von 9.7 m pro Sekunde fort, passirte um
2 Uhr Nachmittags Gardelegen, und gelangt«* um 4 Uhr Nachmittags in die
Gegend von Celle, woselbst bei Bunkenburg die Landung unter den durch
harken Wind aufs äusserste gesteigerten Schwierigkeiten bewerkstelligt wurde,
indem die Insassen eine Viertelstunde lang von dem schon entleerten Ballon
durch Wald und Feld geschleift wurden, ohne indessen Schaden zu nehmen.
Sämmtliche Instrumente bis auf das Quecksilberbarometer, welches nur einen
unbedeutenden Sprung im Glasrohre erhielt, wurden zerbrochen, und di<» ge-
waltige lebendige Kraft der dahinfliegenden Gondel richtete im Walde unter
«len Baumstämmen die schlimmsten Verheerungen an.
Für die Vergleichung der in der Höhe gemachten Beobachtungen war
»*s von grossem Werthe, dass durch die zu Berlin und Hamburg funktionirenden
Registrirapparate Temperatur und Luftdruck an der Erdoberfläche in der in
Betracht kommenden Gegend genau bekannt waren, ausserdem lieferte die
meteorologische Station Gardelegen eine Mittagsbeobachtung direkt unterhalb
des Ballons, es konnte sonach die tägliche Perüxle «Jer meteorologis«*hen Ele-
mente genau berücksichtigt werden. Als wesentlichstes Resultat ergab sich
zunächst die Thatsache, dass alle früheren Temperaturbeobachtungeil im Ballon
mit Vorsicht zu verwenden sind, da die ausserordentliche Sonnenstrahlung die
Thermometer aufs äusserste beeinflusst. Zwar hatten schon Welsh und
Glaisher ein Thermometer angewendet, das durch silberne Umhüllungen
und Anwendung bewegter Luft vor Strahlungswirkungen möglichst geschützt
war; aber das hier verwendete, von Herrn Dr. Assmann von seinen Vor-
gängern unabhängig erfunden«* Aspirationsthermometer erwies sieh als be-
sonders zweckmässig, indem es durch seine compendiöae Form gestattete, Ab-
lesungen weit ausserhalb der Gondel zu machen. Wiewohl die Ablesungen
der Temperatur an dem 2 m von der Gondel entfernten Thermometer gemacht
wurden, war ja dennoch eine Einwirkung des Ballons auf dasselbe immerhin
denkbar; zur Controle wurde daher mit einem Fernrohre ein auf einem II m
langen Bambusstabe angebrachtes zweites AspiratioiiBthermometer abg»* lesen,
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ein merklicher Unterschied in den Ablesungen aber nicht wahrgenonunen
Welche Differenzen in den Ablesungen aber möglich sind, zeigt die Thatsache.
dass ein gewöhnliches Thermometer, welches neben dem Aspirationsthermo-
meter angebracht war, meist 5 — 7° C. höher zeigte, das Thermometer am Queck-
Bilberbarometer zwischen 18 — 22° schwankte und ein im Inneren des Ballons
angebrachtes Luftthermometer, welches in der Gondel durch eine sinnreiche
Einrichtung abgelesen werden konnte, Temperaturen bis zu 58° C. erreichte.
Während bei der Abfahrt am Erdboden 24° C. abgelesen wurden, ergaben
die Ablesungen (Mittel aus mehreren Beobachtungen) in 1703 m 9,6°, 2800 m
7,6°, 2400 m G,8°, in 2420 m Höhe war 5,5° die niedrigste während der Fahrt
beohachteto Temperatur.
Hieraus ergiebt sieh, mit Berücksichtigung der täglichen Periode an
der Erdoberfläche die Abnahme der Temperatur mit der Höhe fiir folgende
Intervalle auf je 100 m. nach
Höhe Abnahme Höhe Abnahme
Kremser: 0 — 1134 m 0,99° Glaisher: 402 m 0,88°
1184— 1763 m 0,88° 1475 m 0,G0°
1763 — 2250 m 0,75® 2459 m 0,49°
2250 — 2405 m 0,41® 3442 m 0,42°
Die Zahlen von Kremser zeigen also anfangs eine viel schnellere Ab-
nahme der Temperatur mit der Höhe, und nähern sich erst in grösserer Höhe
den Werthen von Glaisher, wobei jedoch zu beachten ist, dass die Angaben
Gla ishers Mittelwerthe aus einer grösseren Anzahl Sommerfahrten sind, ohne
Sonderung für bestimmte Wetterlagen.
Da auch das feuchte Thermometer abgelesen wurde, konnte die Luft-
feuchtigkeit ebenfalls untersucht wrerden. Trotz der grossen Trockenheit w'ar
der häufige Wechsel sehr auffallend. So wurde hei gleichmässigem Dahin-
fliegen in 2400 m Höhe einmal beobachtet eine relative Feuchtigkeit von 47%,
einige Minuten später eine solche von 8%, worauf in etwa 200 m Entfernung bald
darauf plötzlich Wolkenbildung eintrat. Dieser plötzliche Wechsel, der auch
auf anderen Führten beobachtet worden ist, erklärt sich wohl dadurch, dass
in dieser Höhe der absteigende Luftstrom des Maximums von dem, von der
erwärmten Erdoberfläche aufsteigenden dampfreicheren Luftstrom säulenartig
durchsetzt wird. Die von der Erdoberfläche ausgehende Strömung machte
sich auch in anderer Weise fühlbar, indem jeder grössere Waldkomplex und jede
Wasseransammlung dem Ballon eine Tendenz zum Sinken gab und ihn aus
seiner gradlinigen Bahn ablenkte. Diese seltsame Erscheinung erklärt sich
ungezwungen aus dem Umstande, dass über Wald und Wasser im Sommer
eine kleine anticyklonale Luflbew'egung stattfinden muss, welche den Ballon
in der beschriebenen Weise bewegt; ira Winter findet das umgekehrte statt.
Dieser Einfluss wird in mehr als 2000 m Höhe aber schon sehr gering.
Es wird nun von äusserstem Interesse sein, die Fortsetzung dieser wissen-
schaftlichen Luftreisen genannter Herren kennen zu lernen. Zunächst ist
eine Auffahrt während eines winterlichen Luftdruckmaximums in Aussicht
genommen, w'elche sicherlich ganz neue Resultate ergeben wird, da der Cha-
rakter dieser Maxima im Winter und Sommer ein sehr verschiedener ist.
Während einer solchen Luftdruckvertheilung in der kalten Jahreszeit sind
jedoch Teraperaturbeobaclitungen im Ballon bisher noch nicht gemacht worden.
W.
T
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Warme Winde in Grönland. An den meteorologischen Stationen der West-
küste Grönlands werden fast in jedem Winter eine oder mehrere Perioden von
mehrtägiger Dauer beobachtet, während welcher die Temperatur plötzlich die nor-
male Wintertemperatur um 20 und mehr Grad C. überschreitet, trotzdem die Winde
ineist aus östlicher Richtung, also aus dem unter ewigem Schnee und Eis begrabe-
nen ßinnenlandc stammen. Diese seltsame Erscheinung, zu deren Erklärung man
früher schon die Theorie des Föhns herbeizog, indem die Ostwinde, das grön-
ländische Binnenland übersteigend, an der Westküste sich durch Herabsiuken
erwärmen sollten, iindet jetzt durch eine Untersuchung A. Paul so ns (de mildo
Vinde om Vinteren i Grönland, Googr. Tidskrift IX, pag. 100) eine ganz un-
gezwungene Aufklärung. Denn da die Föhnerscheinungen stets nur lokal
beschränkte bleiben können, da zur Hervorbringung derselben das Herab-
sinken der Luft an einem steilen Gebirgsrücken erforderlich ist, kann man
ein so ausgedehntes Gebiet wie ganz Grönland nicht wohl als Gebirgsrücken
betrachten. Die Vergleichung der Mitteltemperaturen sämtlicher Winde in
den Wintermonaten zeigt nämlich, dass, wenn ganze Monate verglichen werden,
der Südwind am wärmsten, aber feucht ist, während der Ostwind etwas
weniger warm aber trocken ist. Da bei dem Eintritt der warmen Winde
gleichzeitig das Barometer stets im Fallen begriffen ist, so können dieselben
nur von dem Meere herstammen. Wenn nämlich das Centrum einer Cyklone
südlich von Cap Farewell vorübergeht, so weht der Wind ursprünglich aus
Süd, ändert aber wegen der spiralförmig nach dem Centrum gerichteten Be-
wegung der Winde in einem Luftwirbel allmählich seine Richtung in der
Weise, dass er für die mehr nördlich gelegenen Stationen mehr und mehr
aus Osten weht. Diese Krümmung der Windhahnen erzeugt die Täuschung,
als ob der Wind direkt aus dem schneebedeckten Binnenlande stammte, während
sein Ursprung vielmehr im Süden zu suchen ist. Dass diese Erklärung die
richtige ist, geht auch daraus hervor, dass von den vier untersuchten Sta-
tionen: Ivigtut, Godtliaab, Jakobshavn und Upernivik, welche vom 61—751° n. Br.
an der Westküste vertheilt sind, die nördlicheren den Eintritt der warmen
Winde stets etwas später als die südlicheren zu verzeichnen haben. Uebrigens
kommt eine föhnartige Erwärmung des Ostwindes in begrenztem Masse da-
durch zu stände, dass der zum Ostwind gewordene Südwind seine Feuchtigkeit
beim Aufsteigen an den hohen Inseln lind Fjorden des Westens verliert, und
warm und trocken an der Westküste anlangt, während der direkt aus Süd
die Küste treffende Wind noch keine Veranlassung zum Abgeben seines mit-
geführten Wasserdampfes gehabt hat, daher als feuchtwarmer Wind er-
scheinen muss. W.
*
lieber den mutlimassliehen Zusammenhang der mikroseismischen
Erderschütterungen mit dem Luftdruck und Winde. Unser Erdboden,
welchen wir, abgesehen von den grossen, die Menschheit zeitweise er-
schreckenden Katastrophen — den Erdbeben — gewöhnlich als das Symbol
des absolut Festen und Unveränderlichen betrachten, ist weit öfter von Er-
schütterungen heimgesucht, als man gemeinhin annimmt. Die Erschütte-
rungen, von denen hier die Rede ist, sind aber wenig betleutend; sie
erreichen nur ein so geringes Maas, dass sie in den meisten Fällen der un-
mittelbaren Wahrnehmung unzugänglich bleiben, und nur mit den verfeinerten
Hiilfsmitteln, welche die moderne Technik der Wissenschaft darbietet, ist es
in der Neuzeit gelungen, die leiseston, unsere Erdrinde durchzuckenden Puls-
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inn
1
schlüge — die sogenannten mikroseiMniM'hcn Beben — zu entdecken und ihrer
Natur nach niiher zu erforschen. Ein solches Hilfsmittel ist der Seismograph,
ein die feinsten Bewegungen des Erdbodens selbstthätig regist rirender Apparat,
welcher vor einigen Jahren zuerst in Japan zur Anwendung kam, und den
seilet in den Dienst der Technik zu stellen, jüngst in England mit Erfolg ver-
sucht worden ist, Kwing hat den Doppelpendel -Seismograph (Proe. of the
Kov. Soc. of Lond., No. 270, l$88) zur Prüfung der kleinen Vibrationen benutzt,
welche technische Konstruktionen unter dem Einflüsse äusserer mechanischer
Störungswirkungen ausgesetzt sind, so unter andern die neue Tay-Brücke beim
Pas« Iren eines Kisenbuhnzuges oder beim Anprall des Sturmwindes, und es
sind hierbei hochinteressante Aufzeichnungen erzielt worden, die aus einem
vielfach verschlungenen Kurvenzug bestehen. Bei näherer Untersuchung kön-
nen dieselben vielleicht sehr wesentliche Beiträge für die Beurtheilung der
Stabilität der Bauwerke liefern.'
Einen anderen, mehr der reinen Wissenschaft angehörigen Erfolg, ver-
dankt man gleichfalls diesem Seismographen. Wie aus einer Schrift von Prof.
Milnc: „Ueber die Erdbeben in Ontraljapair* (TransucL of Seismolog. Soc. of
Japan, Jokohamu 1887, Bd. XI) hervorgeht, ist dieser Forscher zu dem Er-
gebnis* gelangt, dass die mikroseismisclien Bodenersrhutterungeu bezüglich
ihrer Häufigkeit und Starke in einem eigenthtimlirhen Zusammenhänge mit
den jeweiligen Acnderungrn in der Vertheilung des Luftdrucks auf der Erd-
oberiläehe stehen. In Japan, dessen Boden ein ausgiebiges Feld für derartige
Untersuchungen bietet, fanden unter 177 solcher Erschütterungen 72 bei hohem
lind HK» bei niedrigem Luftdruck statt: lind es ergab sieh weiter, dass ganz
allgemein die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer solchen Erschütterung
mit der plötzlichen Abnahme des auf der Enle lastenden atmosphärischen
Druckes wächst.
Die nahe Beziehung zwischen Haromctcrdmck und den Luftströmungen
führte nun unmittelbar zur Annahme eine« Zusammenhanges der letzteren Vor-
gänge mit den hezeichneten Phänomenen, und hierauf gerichtete Untersuchun-
gen waren von Erfolg begleitet. Es ergab sich, dass bei Windstille die Wahr-
scheinlichkeit einer Erschütterung des Bodens nur 0,07. bei Wind aber 0,52 ist,
und dass sich dieselbe mit zunehmender Windstärke steigert. Bei orkanartigem
Sturme trat fast regelmässig ein Beben ein. Niemals oder doch nur selten
wurden dagegen Bodeusch WAnkun ge» bemerkt, wenn der Wind von dem Oceau
herwehte. Wie ferner die Beobachtungen auf dem Fujiiiovama lehren, ist das
Beiden auf hohen Berggipfeln nicht minder stark als in den Ebenen.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass die überwiegende Mehrzahl dieser
mikroseismisclien Schwankungen direkt durch den Druck des Windes auf den
nachgelienden, elastischen und folglich vibrlrenden Erdboden erzeugt wird;
eine kleine Zahl mag unterirdischen Ursprungs sein, aber sie sind alsdann
weniger intensiv und von kürzerer Dauer. Ihr einziger Berührungspunkt mit
den wirklichen Erdbeben besteht darin, dass sie ebenfalls im Winter am häufig-
sten und im Sommer am seltensten auftreten.
Wenn weitere Beobachtungen diese von Mi Ine erzielten Ergebnisse
bestätigen sollten, «o wird man hieraus sehr wichtige Aufschlüsse über die
Stfucturverhältnisöe der Erdrinde erwarten dürfen. Da keine der uns bekannten
Substanzen eine absolute Starrheit besitzt, sondern unter der Wucht genügend
grosser Druckkräfte mehr oder minder eine Form Veränderung erleiden muss,
so wird unsere Erde, trotz des hohen Grades der Festigkeit, die ihr nach «lern
Urtheile der englischen Geophysiker Sir William Thomson und G. H. Darwin
durchgehend eigen sein soll, dennoch soviel Klasticität und Plaeticität besitzen,
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IUI
dass sic nicht nur dem deformirendon Einiluss der anziehenden Himmelskörper
ausgesetzt ist, sondern auch den verhältnissmässig so geringfügigen lokalen
Druckwirkungen der auf ihr in ungleicher Vertheilung lastenden Atmosphäre
in noch messbarem Grade nachgiebt. Diese, auf Grund der Theorie schon vor
einigen Jahren von G. H. Darwin ausgesprochene Ansicht (Phil. Mag. of Lond.
series ö, Vol. 14. 188 2) scheint durch die neueren Resultate von Prof. Mi Ine,
denen sich übrigens auch ähnliche von Bertelli und M. S. de Rossi (in
seiner Meteorologia endogena II, 1882 Milano) in Italien zur Seite stellen lassen,
vollauf Bestätigung zu finden
Sch.
*
Modelle der Oceaubetteu. Auf der diesjährigen Ausstellung der amerika-
nischen Küsten-V ermessung zu Cincinnati befanden sich unter den sonstigen von
dem hydrographischen Amt der Vereinigten Staaten eingesandten Gegenständen
auch zwei interessante Objecte, welche die Aufmerksamkeit der Besucher ganz
besonders auf sich lenkten. Es waren dies zwei Thonmodelle, welche das sub-
marine Bodenrelief des atlantischen Oeeans und dasjenige des Caraibischeu
Meeres plastisch veranschaulichen. Hergestellt sind dieselben unter Berück-
sichtigung der neuesten Tiefsee Vermessungen nach Karten, die von dem Com«
modore J. R. Bartlett und Licut. J. L. Dyck, dem ehemaligen, bezüglich
dem jetzigen Leiter des hydrographischen Amtes revidirt worden sind. Das
erste Modell zeigt die Gestaltung des Seebodens des atlantischen Oeeans von
00® nördl. bis 40° südl. Breite, d. h. von Grönland bis zu den unbekannten ant-
arktischen Regionen, und umschliesst das mittelländische Meer im Osten, das
Caraibische Meer nebst einem Theil des Golfes von Mexiko im Westen. Vieles
befindet sich auf demselben, was den Laien mit Erstaunen erfüllen muss,
z. B. die bedeutende Höhe der gleichsam wie steile Kegel aus dem Meeres-
boden herauswachsenden Eilande. Solche Modelle würden für Unterrichts-
zwecke von grossem Werth sein. Denn während an der Hand der Tief-
seekarten der erfahrene Hydrograph sich mit den Gestaltungsverliältnissen der
Oceanbecken wohl vertraut machen kann, wird die grössere Laienwelt hierbei
Schwierigkeiten begegnen; vermittelst des Modells dagegen kann sieh ein
Jeder leicht eine klare Vorstellung von diesen Verhältnissen verschaffen.
Schw. (Auszug aus dem Journal of Science.)
f
Die Elektricität des Himmels und der Erde von Dr. Alfred Ritter von
l'rbanitzky, Wien, Pest, Leipzig; A. Hartlebens Verlag, 1888. Voll-
ständig in 20 Lieferungen ä 00 Pf.
Der Verfasser, bekannt durch sein sehr verbreitetes Werk »Die Elektri-
cität im Dienste der Menschheit", hat sich in dem vorliegenden Werke die
Aufgabe gestellt, die hochinteressanten elektrischen und magnetischen Erschei-
nungen, welche sich in der Natur abspielen, dem Leser in eingehender und
dabei doch übersichtlicher und allgemein verständlicher Weise vorzuführen.
Die beiden ersten Hefte geben eine physikalische Einleitung; cs werden hier
die wichtigsten Grundlehren aus dem Gebiete der Elektricität und des Magne-
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102
tiamus behandelt, und die Mesranatnunentc, soweit sie für das Folgend o in
Betracht kommen, erklärt, unter andern die berühmten Versuelie von Flaute
mit seiner rheoetati sehen Maschine, welche ganz besonders geeignet sind, so
manche elektrische Naturerscheinung verständlich zu machen. Nach einem
historischen l'eberblick, in dem die Kenntnisse der alten Volker über «lic Go-
witteiTracheinungen im Vergleiche zu jenen des Mittelalters und der Neuzeit
betrachtet werden, wendet sich der Verfasser zur Behandlung dieser Phänomene
auf Grundlage des gegenwärtigen Standes der Wissenschaft Wir werde«
mit den Methoden und Apparaten, welche Thomson, Mascart und Palmieri
zum Studium der Luftelektricität angewandt haben, vertraut gemacht, wobei
die unmittelbare Einführung des Lesers in das Observatorium des letzten
Forschers — an der Hand zweckmässiger Illustrationen — ganz liesonders zur
Belebung der Darstellung und zur Anregung beiträgt- Hieran reihen sich die
Versuche, welche zur Erklärung der atmosphärischen Klektricilät bisher unter-
nommen worden sind, die Erfahrungen, welche zu Gunsten der Kondensation*»
und der Reibungshypothese sprechen, sowie die neusten Untersuchungen von
Larroquc, die eine Vermittlung zwischen den Theorien zu erkennen geben.
Dem weiteren Kapitel über das Gewitter geht eine detaillirto Betrachtung über
Form, Aussehen und Verhalten der Gewitterwolken voraus. In Hinblick auf
den bedeutenden Erfolg, welcher in Bayern und Württemberg durch die Orga-
nist rang eines regelrechten Gewitterbeobachlungsdienstes unter Betheiligung
des grösseren Publikums erzielt worden ist, sucht der Verfasser in dem folgen-
den Abschnitte unter Hinweis auf die Vortheile, welche die Wissenschaft von
einer genauen Kenntniss der zeitlichen und örtlichen Vcrtheilung dieser atmo-
sphärischen Erscheinungen zu erwarten hat, weitere Kreise hierfür zu interes-
»iren und zu thätiger Mitwirkung anzuregen. Auch jene Vorgänge, welche
mit den elektrischen Entladungen der Atmosphäre im Zusammenhang stehen,
oder für welche ein solcher Zusammenhang vermittelt wird, linden eingehende
Behandlung. Nachdem der Verfasser diesen Haupit heil seines Werkes mit
Erläuterungen über Blitzgefahr und Blitzschutzvorrichtungcn beendet hat, wen-
det er sich dem Erdmagnetismus, dem Erdstrom und den Polarlichteracheinun-
gen zu. Auch hier wird bei dem Leser das Interesse für den Gegenstand
dadurch gesteigert, dass er unmittelbar mit den Einrichtungen des berühmten
erdmagnetischen Observatoriums zu Saint- Maur bekannt gemacht wird, sowie
in Bezug auf den Erdstrom mit denjenigen zu Pawlowsk l»ei Petersburg, wo
Wild seit einer Reibe von Jahren eine für die Wissenschaft hoch bedeutsame
Tbätigkeit entfaltet. Bei der Behandlung dieses Kapitels muss es aber befrem-
dend erscheinen, dass der Verfasser, während er den neueren Betrachtungen
von Naumann über die Abhängigkeit des Erdmagnetismus von dem geolo-
gischen Bau der Erdrinde und dem Grstciiismagtictismus durch eingehende
Besprechung gerecht zu worden sucht, nur ganz nebensächlich einmal auf die
causalen Beziehungen zwischen den elektromagnetischen Erscheinungen der
Erde und den solarem Vorgängen hinweist. Gründen sieh diese Beziehungen
zur Zeit im wesentlichen auch nur auf einer Xehcucinatulerordnuug zweier
anscheinend weit auseinander liegender Erscheinungskreise, so liegt doch viel
Wahrscheinlichkeit vor, dass diese Phänomene, welche man bislang nur für solche
von blos lokaler Bedeutung hielt, nicht nur von irdischen, sondern auch von
kosmischen Verhältnissen sich abhängig erweisen werden. Vielleicht wird
der Verfasser sich diesen Gegenstand einer weiteren Behandlung Vorbehalten
wollen und dadurch den Oyclus seiner Werke zum Alwhluss bringen, welche
dann das ganze ausgedehnte Gebiet einer noch vielfach goheimnissvollen Natur-
kraft zu einem grossen und umfassenden Gesamtbilde vereinigen werden. Für
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die Bemühungen de« Vcrtuien, dureh sein Werk einem grösseren Kreise
Gelegenheit zu bieten, sieh über die neuen Errungenschaften einer schwieriger»
Di«cipliu zu unterrichten, wird man ihm allgemein Dank schuldig sein.
Dr. P, Sch wahn.
Srhiirlg, „Tabulae Caelestes*4 Hinimelsatlas enthaltend alle mit blossen
Augen sichtbaren Sterne beider Hemisphären. — Leipzig 1886, Karl
Fr. Pfau. Preis kartonirt .*> M.
Messer, Sternatlas für Himmel «beobacht urigen. Darstellung aller bis zum
.'15. Grade südlicher Deklination mit blossen Augen sichtbaren Sterne etc.
Eine grosse UebersiclilÄkarte und 26 Spezialkartell mit 12 Bogen er-
läuterndem Text und Ö7 Abbildungen. St. Petersburg 1888. Carl
Kicker Preis 10 M.
Die Aufgabe einen Himmelsatlas für diejenigen Zwecke der Hinuuels-
beohaebtungen herauszugeben, welche ohne bedeutende optische HülfsmiUel
angestellt werden können, ist deshalb keine leichte, weil man an ein solches
Werk zwei hauptsächliche Forderungen stellen muss, welche einander in ge-
wisser Hinsicht widerstreiten, so dass der einen nur mit theilweiser Zurück-
setzung der andern entsprochen werdeu kann. Der Atlas soll nämlich einer-
seits ein möglichst treues Bild des Himmels wiedergeben, so dass mau sich
bei Vergleichung der Karte mit dem Himmel auf den ersten Blick hier oder
dort zurechtzuflnden weiss, andererseits soll dagegen der Atlas sogleich bei den
Sternen all jene Details enthalten, welche zu ihrer Identiflzirung nöthig, oder
sonst zu erfahren wünschenswerth sind. Die Aufgabe des Herausgebers einer
Sternkarte besteht also, abgesehen von der fundamentalen Forderung der
Korrektheit und Vollständigkeit, in der geschickten Anbringung dieser speziellen
Angalien, welche sich auf die Eintheilung des Sternreichthums in die bekannten
Gruppen der Konstellationen, die Unterordnung unter das Koordinatensystem,
die Benennung. Grössenklasse, Eigenschaft als veränderlicher oder Doppol-
stern etc. beziehen, so dass diese den Totaleindruck nicht stören.
Die beiden vorliegenden Werke suchen dieser Aufgabe auf verschiedene
Art zu genügen. In beiden hat man die veraltete Methode, die wirklichen
Sternbilder einzuzeichnen, verlassen und dieselben nur durch schwache Grenz-
linien markirt. Auf beiden Atlanten werden die Grösseukla&sen durch ver-
schieden grosse Scheiben bezeichnet. Sch urig fügt diesen Scheiben noch
besondere Sternauszackungen bei, welche dureh die Verschiedenaiiigkeit der
Figur siebenzehn Helligkeitsstufen unter den sechs Grüsscnklasson unter-
scheiden lassen. Messer verzichtet dagegen auf diese unmittelbare Unter-
scheidbarkeit zu Gunsten der grösseren Natürlichkeit völlig runder Scheiben,
als welche sich ja bekanntlich die Sterne auch auf den photographischen Auf-
nahmen darstellen. Bei Sch urig werdeu die Doppelsterne und die Veränder-
lichen durch besondere Strahlen- oder gewöhnliche Kreise um die Sternzeichen
herum angedeutet, wodurch diese Sterne sofort in dem Eindrücke des ganzen
Sternbildes besonders au Ballen. Messer dagegen bezeichnet die Doppelsterne
nur durch einen ganz feinen Strich quer durch die Stemscheibe gezogen, so
dass man — ganz wie am Himmel — erst näher hinsehen muss, um die An-
deutung der Doppelstern natur zu erkennen. Die Veränderlichen werden durch
in der Mitte wTisse Ringt* bezeichnet, so dass also bei ihnen etw\is an der
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vollen hervorstechenden Kraft fehlt und sie dadurch heim ersten Ue herb lick
mehr der Wahrheit entsprechend auffallen, als die Bchurigschen noch ver-
grüsseilen strahlenden Scheiben. Die Sternbezeichnungen sind beim letzteren
Werke matt rot h, l»ei Messer schwarz beige druckt Sie stören bei beiden
Werken den Totalei ndruck, wie das bei dem jetzt angewandten Arrangement
gänzlich unvermeidlich ist, doch hei Sch urig weniger wie bei Messer.
Ka mag in dieser Beziehung für spätere Herausgaben eiu Vorschlag ge-
macht werden, der möglicherweise den beiden bisher widerstreitenden An-
forderungen vereinigt genügen wird. Man zeichne die Sterne, wie es ähnlich
schon geschehen ist, als weisse Scheiben auf tiefblauem Grunde ein, ohne
irgend welche Zusätze, so dass solc he Karte ein völlig treues Bild des Himmels
giebt Darüber breite man eine andere Karte aus Pausepapier, welche die
Stenn» schwarz auf weissein Grunde und mit allen erwünschten Nebenangalten
enthält. Von diesen Pausen gebe man jeder Karte einige mit, damit der Be-
obachter darauf nach Belieben eigene Einzeichnungen und Bemerkungen vor-
nehmen und die verbrauchte Karte durch eine neue ersetzen kann ohne den
Atlas selbst zu beschädigen.
Das Format beider vorliegenden Atlanten ist sehr verschieden, während
der Massstab der Karten selbst bei Messer nur unerheblich grösser ist als
bei Sch urig. Letzterer in gewöhnlichem Folioformat ist immer noch handlich,
ersterer, in einem langen Oktav nach Alt der Taschenbücher, kommt einem
Bedürfnisse entgegen, das viele praktische Beobachter, welche zu verschiedenen
Zwecken Kometcnsucher verwendeten, gewiss gleich dem Referenten lebhaft
empfunden haben. Man kann den Atlas auf dem Tische oder Pfeiler, auf
welchem das tragbare Instrument ruht, bequem neben anderen Dingen vor
»ich hinlegen und findet sich auf der jeweilig auffeerchlagenen Karte von ge-
ringem Umfange sofort leicht zurecht. Für solche Zwecke ist die Auswahl
der stark in einander übergreifenden Karten mit grosser Umsicht getroffen.
Um ein zusammenfassendes Urtheil über beide Werke hier anzugeben,
müssen wir beiden besondere Vortheile einräumen. Der Schurigsehe Atlas
enthält den ganzen Himmel, während der M esse r sehe sich auf die in Kuropa
sichtbaren Sterne beschränkt. Das erster© Werk ist offenbar für den grossen
Kreis der gebildeten Laien, die» Schule und die Manne bestimmt, das heisst
für ein Publikum, das mit freiem Auge oder doch nur sehr geringen optischen
Mitteln gelegentlich sich am Himmel orientiren möchte. Dementsprechend ist
auch der für die sorgfältige Ausführung ungemein billige Preis von .*» Mark
gewühlt. Das M es s ersehe Werk wendet sich dagegen zunächst an den engeren
Kreis von astronomischen Beobachtern, welche ernsteren, wissenschaftlichen
Zielen mit Hülfe mittlerer Fernrohre nachgehen und der erfreulicherweise
nicht mehr geringen Zahl astronomischer Dilettanten, denen eine nähere Be-
kanntschaft mit den himmlischen Objekten am Herzen liegt. Für diese ist der
ausführliche, vortrefflich disponirte Text von grossem Werth®. Dieser Text
enthält alles zum Verständnis der in dem Atlas aufgeführten Gegenstände
Erforderliche. Er bildet also eine kurzgefasst© Astronomie der Fixsterne,
die ihrerseits mit einer grossen Zahl von trefflichen Abbildungen himmlischer
Objekte geziert ist.
\\\ M.
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1115
Verzeichnis* der bis zum 15. November der Redaktion zur Besprechung;
eingesandten Bücher.
K. Angströra, Sur une nouvelie Methode do faire des me.su re 9 absolues de
la chaleur ravonnante ainsi qu’un Instrument pour enregiatrer la radiatiou
solaire, Upsal, Edv. Berling, 1 88*5.
A. M. Clerke, Geschichte der Astronomie während des neunzehnten Jahr-
hunderts, deutsch von Maser, Berlin, Jul. Springer, 1889.
*0. Dziobek, Die mathematischen Theorien der Planetcnbewegungen, Leipzig,
J. Amb. Barth, 1888.
X. Ekholm und H. L. Hagström, Mesures des Hauteurs et des Mouve-
ments des Nnages, Upsal, Edv. Berling, 1885.
*H. C. E. Mart us, Astronomische Geographie. Zweite Auflage, Leipzig,
Koch. 18SS.
•J. Messer, Stern -Atlas für Himmelsheobachtungen. Darstellung aller bis
zum 35. Grade südlicher Declination mit blossem Auge sichtbaren
Sterne etc. Eine grosse Uebersichtskarte und 26 Specialkarten mit
12 Bogen erläuterndem Text und 37 Abbildungen. St. Petersburg,
C. Ricker, 1888.
H. Mohn und II. Hildebrand H ildebrandsson, Les Drages dans la
P6ninsule Scnndinave, l'psal, Edv. Berling, 1888.
•G. Neumaver, Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen,
Zweite umgearbeitete und vermehrte Auflage in zwei Bänden, Berlin,
R. Oppenheim, 1883.
•Schurig, Tabulae Caelestes, Himmels-Atlas, enthaltend alle mit blossen Augen
sichtbaren Sterne beider Hemisphären. Leipzig. Karl Fr. Pfau, 1886.
G. Gabriel Stokes, Das Licht, Zwölf Vorlesungen, deutsch von Dr. O.Dziobek,
Leipzig, J. A. Barth, 1888.
•A. v. Urban itzky. Die Elektrizität des Himmels und der Erde. Zwanzig
Lieferungen, Wien, A. Hartleben, 1887.
•A. Woeikof, Die Klimate der Erde. Nach dem Russischen vom Verfasser
besorgte, bedeutend veränderte deutsche Bearbeitung mit 10 Karten,
13 Diagrammen nebst Tabellen. Zwei Bände, Jena, H. Costonoble, 18S7.
• Sind bereits im gegenwärtig abgeschlossenen Quartal besprochen.
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1
Horm L. II. in Nürnberg. Die Anschauungen der Geologen, Physiker
und Astronomen über die innere Nuturbesohaffenheit der Erde sind dem mo-
dernen Standpunkte der Wissenschaft gemäss um besten dargcstellt in einem
Vortrug: „lieber die Mittel und Wege zur besseren Kenntniss des Erdinnem
zu gelangen“, den Prof. Zöppritz auf dem ersten deutschen Geographentage
1*81 hielt (Verhdlg. des ersten deutsch. Geographentuges, Berlin, Reimer/.
Eine vollständige Darstellung der Argumente, welche für die drei gangbaren
Hypothesen der Erdgestaltung — geologische Fluiditätshypothese, astronomische
Rigidilätsliypotliese und die zwischen beiden vermittelnde Conccption einer
gluthtlüssigen Medianschicht bei festem Kern und fester äusserer Rinde —
vorgebracht sind, giebt auch Prof, von Lasaulx in dem von Kenngott
herausgegebenen Handwörterbuch der Mineralogie, Geologie und Palaeontologie
Bd. [, pag. 256 (der Erdball als Ganzes und seine Beschaffenheit). Ferner ist
in Bezug auf diesen Gegenstand beachtenswert!! das Werk von Pilar: Abysso-
dynamik. Agram 1881, das Werk von de Lapparent: Trait$ de Geologie,
Paris 1883 et 1885, und dasjenige von Green: Manual of Geolog.v. Eine voll-
ständige Litteraturangahe der Monographien findet man in den geographischen
Jahrbüchern, herg. von Behm unter den Artikeln „Fortschritte der Geophysik”.
Herrn Dr. O. K. In Cassel. Bei Ihrer Wahrnehmung eines steniartigcu
Punktes in der Nähe von Aristareli scheint es sich, wie Sie auch selbst
vermutheii, uni jene Phänomene zu handeln, wie solche von Hcrschel, Hart
u. A. in der Mondoberlläche zuweilen beobachtet worden sind. Die starke
Rcllcximisfähigkcit des Mondflecks Aristareli dürfte zur Erklärung ausreichen:
diese kann nämlich hinreichend sein, auch auf der Nachtseite des Mondes bei
reflektirtem Erd lichte einzelne Punkte auf leuchtend zu machen, lieber ein
ähnliches Phänomen berichtete die Zeitschrift -The Observatory • neulich
(November): Wohb und G. Hunt sahen 1863 einen Hügel in der Nähe
von Tiraochari* schimmern -wie einen strahlenden Stern.“ Wir behalten
' uns indes» vor, über Ihn* Beobachtung das Urtheil von Beobachtern eiitzu-
4 holen, die den Mond in dieser Beziehung anhaltend verfolgt haben. Inzwischen
registriren wir dieselbe hier in Kürze: Drei Tage nach dem Neumonde, bei
klarer Luft, wurde im dunklcu durch das Erdlicht erhellten Theil der Mond-
oberfläche, in der Gegend von Aristareli, ein feiner scharfer Lichtpunkt walir-
genommen, der auch bei apälcmi Gelegenheiten in den ersten Tagen nach
Neumond mit Sicherheit constatiri werden konnte.
Herrn v. Sp. in Winkel« Nach den Beobachtungen des geehrten Herrn
Einsenders zeigt sich die innere Fläche des Mondkraters Endymiou, entgegen
den Wahrnehmungen von Schmidt und Neison, nicht glatt, sondern von
einem in der Richtung zum Mare crisium laufenden Striche (Rille?) durch-
zogen. Dieser je nach der Beleuchtung hellere oder dunklere Strich ist in
seiner oberen Hälfte stärker als in der unteren. — Wir bitten jene Beobachter,
die sieh mit Detailuntersuchiingen der genannten Mondgegend beschäftigt*», im
Interesse der Sache um die Mittheilung ihrer Wahrnehmungen in unserem Blatte.
Die Sternwarte der Urania wird hei solchen Anlässen künftig gern mitwirken.
Verlag von Hertnaun Partei tu Berlin. — Druck von Wilhelm ürouau'd Buchdruckerei in Berlin.
Für die Redaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin.
Unberechtigter Nachdruck au» dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt.
Uebrrsftxungvrerhl Vorbehalten.
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Die Spektrographische Bestimmung der Bewegung der
Himmelskörper in der Gesichtslinie.
Von l»r. J. Scheiner.
Astronom am Aatrophjraik&l. Observatorium zu Potsdam.
piaklteit der Messungen und eine der erreichten Genauigkeit der
fr , Beobachtungsresultnte entsprechende reclinerische Verwerthung
gehören zu den llauptfaktoren, welche die Astronomie auf den
hohen Punkt ihrer jetzigen Vollendung gebracht haben. Diese beiden
Grundbedingungen gewähren in ihrer richtigen Vereinigung nicht blofs
die Möglichkeit, staunenswerthe Resultate zu erhalten, sondern, was
noch wichtiger ist, sie stellen gleichzeitig auch den Grad von Gewifs-
heil fest, mit welchem man dio gewonnene Einsicht als wahr be-
trachten darf.
Die Astrophysik, jene mächtig emporbliihende Zweigwissenschaft
der Astronomie, ist diesen beiden Forderungen weit weniger zugäng-
lich gewesen, hauptsächlich wegen der gröfseren Schwierigkeit und
Vielartigkeit ihrer Probleme, dann aber auch, weil wegen der kurzen
Zeit ihres Bestehens sich zuerst ein grofses Feld reicher Entdeckungen
hot, die, allerdings schon mit Ausnahmen, ohne besonderen Aufwand
des für die Astronomie erforderlichen mathematischen Apparates zu
erhalten waren. Das ist heute schon anders geworden und wahrlich
nicht zum Schaden der Astrophysik, denn je mehr sie sich, um es
kurz auszudrücken, iu Bezug auf Exaktheit der Astronomie nähert,
um so vollkommener kaun sie den Forderungen strenger Wissenschaft-
lichkeit entsprechen.
Das hier angedeutete Streben iu Verbindung mit dem mächtigen
Hillsmittel der coelestischen Photographie hat nun vor kurzem zu
einer Entdeckung geführt, die es möglich macht, die Astrophysik
ohne weiteres mit aller wünscheuswerthen Exaktheit in ein Gebiet der
Himmel und Erde L 4.
l'.IS
eigentlichen Astronomie hineingreifen zu lassen, in das Gebiet der
Fixsternbewegungen, welches, verhöltnifsmäfsig noch wenig erforscht,
dereinst Aufschlufs über die Konstruktion des Fixsternsystems zu
geben verspricht. Es möge aber hier gleich erwähnt werden, dafs
das (irundprinzip, auf welchem diese Entdeckung beruht, durchaus
nicht neu ist, dafs vielmehr eine gröfsere Anzahl betreffender Beob-
achtungen schon existiren; das wichtige der neuen Methode liegt, wie
oben angedeutet, in der Einführung der nöthigen Exaktheit, wodurch
die Resultate erst neben den auf rein astronomischem Wege erhaltenen
stimmfähig werden.
Die in der L'eberschrift ausgesprochene Aufgabe, die Geschwin-
digkeiten zu bestimmen, mit welchen sich infolge der Bewegungen der
Erde und der übrigen Himmelskörper die Entfernungen der letzteren
von unserer Erde ändern, beruht auf dem nach seinem Entdecker so
genannten IJopplerschen Prinzipe, dessen Erklärung eine sehr
schwierige ist. Die Wahrheit dieses Prinzips zu beweisen ist experi-
mentell bereits vor Jahren gelungen, und zwar zum ersten Male
II. C. Vogel durch Beobachtungen an der Bonne, während ein ein-
wurfsfreier mathematischer Beweis für dasselbe noch nicht erbracht ist.
Das Dopplersche Prinzip basirt auf der Wellentheorie des
Lichts, nach welcher das Licht aus außerordentlich rasch verlaufenden
Schwingungen des Aethers besteht, wobei die Farbe des Lichts ab-
hängig ist von der Länge der Wellen, und zwar in dem Sinne, dafs
die Farben in der Reihenfolge wie im Regenbogen, roth, orange, gelb,
grün, blau und violett, aufeinander folgen, wenn die Iiingen der Wellen
abnehmen, oder, was dasselbe bedeutet, wenn die Schwingungen des
Aethers rascher verlaufen. Daß diese beiden Ausdrucksweisen iden-
tisch sind, hat seinen Grund in dem Umstande, daß die Geschwindig-
keit des Lichts im Weltenraum für alle Farben dieselbe ist; verlaufen
die Schwingungen rasoher, so müssen die Wellen entsprechend kürzer
sein, um konstante Geschwindigkeit zu ergeben.
Sendet nun eine Lichtquelle Strahlen von einer bestimmten Wellen-
länge — monochromatisches Licht — aus, wir wollen z. B. annehmen
von der Wellenlänge der Fraunhoferschen Linie F im blauen Theile
des Spektrums, und entfernt sich die Lichtquelle mit einer gewissen Ge-
schwindigkeit von uns, so wird die Anzahl der uns treffenden Licht-
wellen eine kleinere, und die Farbe der Strahlen und scheinbar also
auch die der Lichtquelle nähert sich mehr dem Roth, Die Aende-
rung der Farbe ist um so stärker, je rascher die Fortbewegung der
Lichtquelle ist. Nähert sich uns dagegen die Lichtquelle, so findet
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109
genau das Umgekehrte statt, die Farbe geht mehr nach dem Violett
über. Diese Eigentümlichkeit ist nun allgemein gültig überhaupt für
Abstandsänderungen zwischen Lichtquelle und Beobachter, wobei es
ohne Bedeutung ist, ob die Lichtquelle oder der Beobachter die Be-
wegung ausführt, oder ob beides stattfindet. Der Einfachheit des Aus-
drucks halber soll im Folgenden nur immer von einer Bewegung der
Lichtquelle gesprochen werden.
Sendet die Lichtquelle Licht aus, welches ans allen Strahlen-
gattungen zusammengesetzt ist und also dem Auge als weifs erscheint,
so liegt die Sache wesentlich anders. Wenn sich in diesem Falle die
Lichtquelle nähert, so ändert sich zwar jede Strahlengattung für sich
durch Uehergang nach dem Violett hin; zerlegt man aber das Liebt
durch das Spektroskop in die einzelnen Farben, so hat sich itn An-
blicke des Spektrums nichts geändert, da das Roth, welches mehr zum
Orange übergegangen ist, aus dem nicht sichtbaren Ultraroth ergänzt
wird und das überschüssige Violett in das unsichtbare Ultraviolett
übergeht. Es ist thatsiichlich also im Spektrum keine Veränderung
vor sich gegangen, auch durch etwaige Messungen ist nichts zu kon-
statiren, und ebenso wenig hat sich die Farbe der Lichtquelle ver-
ändert Der wichtigste Fall ist nun der, wie er bei unserer Sonne
und bei fast siimmtlichen Fixsternen vorliegt, dal's nämlich die Licht-
quelle wohl weifses Licht ausseudet, dafs in demselben aber durch
elektive Absorption in den diese Himmelskörper umgebenden Gas-
atmosphären eine Anzahl spezieller Strahlengattungen fehlen. Diese
fehlenden Strahlen erscheinen im Spektroskope als mehr oder minder
feine schwarze Linien auf dem Grunde des sonst kontinuirlichen Spek-
trums. Wie wir gesehen haben, ändert sich in diesem kontinuirlichen
Spektrum bei einer Entfernungsänderung der Lichtquelle des Sternes
nichts, wohl aber würde der Strahl, der z. B. der Linie F entspricht,
etwas inehr nach dem Roth zu geändert worden sein, die durch das
Fehlen des Strahles im Spektrum entstandene Lücke, die Linie F also
ebenfalls, d. h. die Linie F liegt nun nicht mehr an ihrer eigentlichen
Stelle, sondern sie liegt mehr nach dem Rothen zu: si o ist nach dem
rothen Ende des Spektrums zu verschoben.
Nach dieser Erklärung wird der eigentliche Wortlaut des
Dopplerschen Prinzips, gleich auf Sterne angewandt, wohl verständlich
sein: Nähert sich uns ein Fixstern, so sind seine sämmtlichen
Spektrallinien um geringe Beträge nach dem Violett hin verschoben;
entfernt er sich von uns, so findet dies nach der rothen Seite des
Spektrums statt. Je gröfser die Geschwindigkeit ist, mit welcher sich
15*
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200
der Stern von uns entfernt oder sich uns nähert, je stärker also
seine Bewegung in der Gesichtslinie ist, um so stärker ist auch die
resultirende Verschiebung der Spektrallinien.
Die Berechnung der Geschwindigkeit ans der gemessenen Ver-
schiebung ist eine sehr einfache. Man drückt allgemein die Wellen-
länge des Lichts in Milliontel Millimetern aus und mifst die Ver-
schiebungen ebenfalls in dieser Maßeinheit. Hat man z. B. an der
Linie F, deren Wellenlänge 486 Milliontel Millimeter ist, eine Ver-
schiebung in der Wellenlängenreihe im Betrage von 0,1 Milliontel
Millimeter gemessen, so ergiebt sich die dieser Verschiebung ent-
sprechende Geschwindigkeit der Stembewegung in der Gesichtslinie
aus dem Bruche
300 000 X 0,1
486
, wenn wir die Lichtgeschwindigkeit
zu 300 000 Kilometern in der Sekunde annehmen. Das würde in
diesem Beispiele 62 Kilometer pro Sekunde betragen. Es ist hieraus
zu sehen, dafs selbst bei für unsere Begriffe ganz enormen Geschwindig-
keiten die eintretenden Verschiebungen noch immer sehr gering sind ;
denn der oben angenommene Betrag von 0,1 Milliontel Millimeter
Wellenlänge entspricht etwa nur einem Sechstel des Abstandes der
beiden Natriumiinien. Noch ist zu erwähnen, dafs in einer im
Spektroskope in dieser Weise bestimmten Geschwindigkeit noch der
Betrag der Geschwindigkeit enthalten ist, mit welcher sich unsere
Erde wegen ihres l'mlaufs um die Sonne periodisch einem Sterne
nähert oder entfernt Will man die Größe der Fixstembewegung
selbst erlangen, bezogen auf unsere Sonne, so muß der durch die
Erdbewegung verursachte Betrag der Geschwindigkeit in Rechnung
gezogen werden.
Wegen der Beobachtungsschwierigkeiten und der verwickelten
Beschaffenheit der Apparate, die zur Beobachtung der Linienver-
schiebung nöthig sind, wird es nur sehr wenigen der Leser möglich
sein, sich durch die Anschauung von der Wirkung des Dopplerschen
Prinzips zu überzeugen; glücklicher Weise aber gelingt dies sehr
leicht bei der Anwendung dieses Prinzips auf den Schall; Licht und
Schall sind beides Wellenbewegungen von merkbarer Fortpflanzungs-
geschwindigkeit, und in demselben Verhältnisse, in dem die Schall-
geschwindigkeit geringer als die Lichtgeschwindigkeit ist, ist die
Aeußcruug des Dopplerschen Prinzips eine merklichere. Eine Dar-
stellung des Vorganges beim Schalle wird auch gewiß das Verständnifs
der Wirkung beim Lichte deutlicher machen.
M enn eine Tonquelle sich uns nähert, wird der Ton derselben
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20 t
höher, als wenn sie in Ruhe ist, entfernt sie sich von uns, wird der
Ton tiefer. Der Unterschied der Tonhöhe ist um so stärker, je rascher
die Bewegung1 ist. Dasselbe findet auch statt, wenn die Tonquelle
ruht, und wenn sich der Beobachter rasch auf sie zu oder von ihr
weg bewegt. Beide Erscheinungen sind sehr leicht auf der Eisen-
bahn zu beobachten. Es kommt häufig vor, dafs man eine Station
durchführt, wenn das elektrische Läutewerk in Thiitigkeit ist. Itn
Momente, wo man das Läutewerk passirt, hört man dann den Ton
sich in sehr mifsklingender Weise erniedrigen, weil in diesem Augen-
blicke die Annäherung in eine Entfernung übergeht. Auch kann
man dieselbe Erscheinung beobachten, wenn man neben dem Geleise
steht und eine Lokomotive pfeifend vorbei fährt.
Aehnlich wie beim Lichte die Farbe von der Anzahl der
Aetherwellen pro Zeiteinheit abhängt, hängt die Höhe des Tones von
der Anzahl der Schallwellen ab, die unser Ohr treffen. Nähert sich
uns eine Tonquelle rasch, so verkürzt sich die Entfernung derselben
von uns und mit ihr die Zeit, welche der Schall braucht, um zu uns
zu gelangen: solange also diese Bewegung anhält, treffen mehr
Schwingungen unser Ohr als vorher, und zwar so viele mehr, als in
der Zeit entstehen, die der Schall braucht, um den Weg, den die
Tonquelle in der Zeiteinheit zurückgelegt hat, selbst zu durchlaufen.
Wie oben angedeutet, kann sich Jedermann nun leicht von der
Wirkung und Wahrheit dieser Erscheinung überzeugen.
Wus die Beobachtung der Linienverschiebung im Spektrum
der Fixsterne angeht, so verfahrt man hierbei in der Art, dafs gleich-
zeitig mit dem Sternspektrum durch Einschaltung einer passenden
Lichtquelle das Spektrum eines Stoffs erzeugt wird, der auch im
Stern enthalten ist Am besten verwendet man hierzu den Wasser-
stoff, dessen Spektrum leicht durch Anwendung einer Geifslerschen
Röhre erhalten werden kann, und der gleichzeitig den Vortheil
gewährt, dafs fast alle Sterne sein Spektrum zeigen. Man sieht dann
z. B. die F Linie, die dem Wasserstoff angehört, im Spektrum des
Sternes als mehr oder weniger verwaschenes breites dunkles Band
und durch dasselbe hindurch gehend die helle Wasserstofflinie der
unbeweglichen irdischen Lichtquelle. Die Beobachtung besteht nun
darin, eine etwa vorhandene Verschiebung der dunklen Linie gegen
die helle zu beurtheilen und zu messen. Dies ist nun außerordentlich
schwierig, und zwar aus verschiedenen Gründen. Einmal ist bei der
nöthigen starken Zerstreuung des Spektroskopes das Sternspektrum
sehr schwach, dann ist die Verschiebung der Linie, wie wir gesehen
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■20-2
habi'ii, überhaupt sehr gering, vor allem aber stört das beständige
Wallen des Spektrums, verursacht durch kleine Luftbewegungen,
welche auch das sogenannte Scintillireu der Sterne bedingen. Das
Spektrum ist infolge dessen iu ständiger flatternder Bewegung, die
sich manchmal so steigert, dafs die Linien momentan ganz verschwinden;
nur bei besonders ruhiger Luft ist eine derartige Beobachtung über-
haupt möglich. Ein weiterer, für diese Beobachtungsart sehr schädlich
wirkender Faktor ist die nicht zu vermeidende Prädisposition des
Beobachters, die selbst beim besten Willen des letzteren die Möglich-
keit von einander unabhängiger Beobachtungen sehr fraglich macht.
Es ist nun ein äufserst glücklicher Gedanke von H. C. Vogel, dem
Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums zu Potsdam, gewesen,
auf diese Art der Beobachtungen die Photographie anzuwenden.
Von welcher Wichtigkeit diese Anwendung zu sein verspricht, wird
am Schlüsse dieses Artikels kurz gezeigt werden; es handelt sich
hier zunächst darum, die Vortheile, welche diese neue Methode ge-
währt, zu erklären.
Bei der langen Expositionsdauer, die bei der photographischen
Aufnahme von Steruspektren mit starker Dispersion nöthig ist, giebt die
Photographie gleichsam ein Schlufsresultat aller einzelnen Momente
während dieser Zeit. Alle kleineren Schwankungen und Unregelmiifsig-
keiten kommen auf der Platte nicht einzeln zur Darstellung, sondern
diese wirken nur in dem Sinne, das sonst durchaus scharfe Bild der
Linien ein klein wenig verwaschen erscheinen zu lassen. Die Mittel-
lagen der Linien bleiben völlig unverändert, und nachher tritt bei Be-
obachtung der Photographie unter dem Mikroskope kein störendes
Flackern mehr hinzu; in voller Buhe und gänzlicher l'nabhängigkeit
von äufseren Einflüssen kann der Beobachter nun sehen und messen.
Das ist der eine grofse Vortheil der neuen Methode, der zweite liegt
darin, dafs ein geringerer oder stärkerer Grad von Unruhe der Luft
überhaupt nicht von Bedeutung ist, dafs man jetzt also alle Nächte
mit durchsichtiger Luft zu diesen Beobachtungen verwenden kann,
während früher nur Nächte mit aufserordentlich ruhiger Luft einiger-
mafsen Erfolg versprechen konnten. Mit diesem Fortschritt aber ist
die Aufgabe iu das Stadium gerückt, wie andere astronomische Mefs-
arbeiten, Zonen und dergl., als ständige Arbeit einer Sternwarte be-
handelt zu werden. Es ist dies zwar schon seit Jahren auch mit den
Ocularbeobachtungen der Linienverschiebungen auf einer gröfseren
Sternwarte Englands versucht worden, die Resultate aber zeigen sich
den oben auseinandergesetzten Schwierigkeiten entsprechend.
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203
Es kann liier nicht unsere Aufgabe sein, eine Beschreibung des
in Verbindung mit dem groben Refraktor des Potsdamer Observatoriums
lienutzten Spektroskopes zu geben, mit welchem die photographischen
Aufnahmen gemacht werden, und die Schwierigkeiten, welche sieh der
Konstruktion desselben entgegenstellten, zu beschreiben. Es sei nur
darauf hingewiesen, dafs als Vergleichslinio die dritte Linie des Wasser-
stoffs. II*;, gewählt worden, und dafs dio meisten Stemspektra so
linienreich ausfallcn, dafs mau hei den Messungen nicht Idols auf die
Wasserstotl'linio des Stornspeklnmis angewiesen ist, sondern auch be-
nachbarte Linien mit hinzuziehen kann. Hierdurch wird natürlich das
Gewicht der Messungen sehr erhöht, ein neuer Vortheil der spektro-
graphisehen Methode gegenüber der früheren spektroskopischen.
Jetzt schon Resultate der lleobachtungeu mitzntheilen, dürfte
auch wenig in den Rahmen dieses Aufsatzes passen, und müssen wir
dies einer späteren Mittheilung Vorbehalten, wenn die zunächst ge-
plante grössere Arbeit, nämlich die Linienrerschielmng an allen hellen
."'tenien bis zur 3. Gröfse herab festzustellen, vollendet Bein wird.
Wie man bei jeder Entdeckung oder Erlindung zunächst nach
dem Nutzen derselben fragt, so wird dies auch liier wohl schon längst
von Seiten des Lesers geschehen sein, und es bleibt uns also noch
•lie Aufgabe, kurz zu zeigen, von welch gwlser Bedeutung die Lösung
unseres Problems für die Entwickelung der Astronomie, speziell der
Fixsternastronomie zu werden verspricht.
Während nach Jahrhunderte langem Streben uud Kämpfen end-
lich seit Copernicus der Erde definitiv ihre Stellung und ihr Rang
innerhalb des engbegrenzten Sonnensystems angewiesen ist, befinden
wir uns heute in Bezug auf dio Stellung unseres Sonnensystems zu
den übrigen Fixsternen oder vielmehr auf deren Zusammenhang unter-
einander noch immer im Zustande grofser l'nkeniitnils. Ltie Fort-
schritte der letzten hundert Jahre auf diesem Gebiete sind zwar sehr
grofs, und unsere Detailkenntniss im Fixsternsystein ist schon eine
überraschend reiche: aber man kann nicht sagen, ilafs man in der Er-
forschung des Endzieles, der Ermittelung der Konstitution des Fix-
siernsvstems, über das Anfstellen von mehr oder weniger wahrschein-
lichen Hypothesen hinweggelangt sei. .Jeder Fortschritt dieserForschung,
der neue Gesichtspunkte mit der nüthigen Sicherheit eröffnet, ist
daher von grofser Bedeutung, und wenn mich das Ziel durch ihn
noch nicht erreicht wird, er bringt uns ihm doch immer beträchtlich
näher.
So stellt es auch mit der besprochenen neuen Methode. Alle
204
bisherigen Schlüsse über den Bau des Fixsternsystems sind gezogen
aus der Verkeilung der Sterne und aus ihren scheinbaren Bewegungen
am Himmelsgewölbe. Diese Bewegungen werden durch wiederholte
Ortsbestimmungen der Sterne ermittelt, wobei es wegen der schein-
bar sehr geringen Bewegungen der Fixsterne erforderlich ist, dafs
zwischen den aufeinanderfolgenden Beobachtungen desselben Sternes
grofse Zeiträume liegen. Derartige Beobachtungen ergeben nur den
Betrag der Bewegungen, der auf das Himmelsgewölbe projicirt ist,
also nur die Komponente, die in der zur Gesichtslinie senkrechten
Kbene liegt.
Die wahre Bewegung im Baume bleibt gänzlich unbekannt,
und auch der in diese Ebene fallende Theil der Bewegung ist
in den meisten Fällen nur im Winkelmafse bestimmt, und nur bei
den wenigen Sternen, deren Entfernung oder Parallaxe bekannt ist,
kann man die Bewegungen in einem uns greifbaren Mafse, in Meilen
oder Kilometern pro Sekunde ermitteln. Wir müssen also wohl unter-
scheiden, dafs die astronomische Beobachtung mit Ausnahme des er-
wähnten Falles nur Bewegungen und nicht Geschwindigkeiten giebt.
So ist es zwar möglich gewesen, aus den scheinbaren Sternbewegungen
die Richtung, nach welcher sich unser ganzes Sonnensystem innerhalb
der Fixstcmwelt bewegt, mit ziemlicher Genauigkeit zu bestimmen,
dagegen sind die Angaben über die Geschwindigkeit, mit welcher
diese Bewegung vor sich gebt, noch recht unsicher.
Die spektrographisebe Methode leistet nun gerade das, was der
astronomischen fehlt: sie giebt die Bewegungskomponente, welohe
in die Gesichtslinie fällt; die Verbindung der astronomischen und
spektrographisehen giebt also die wahre Bewegung der Sterne
im Raume. Den Betrag dieser Bewegung giebt sie nicht im Winkel-
mafse, sondern als wahre Geschwindigkeit. Hierzu kommt noch das
interessante Faktum, dafs die spektrographisehe Methode der Linien-
verschiebung die Geschwindigkeit der Sternbewegungen in etwa
einer Stunde ermitteln liifst, während bei der astronomischen Be-
stimmung der anderen Komponente Zeiträume von vielen Jahren
nüthig sind.
L’m hier von den vielen auf die Anwendung der neuen Methode
harrenden Problemen nur kurz einige aufziizählen, wollen wir zunächst
die Bestimmung der Bewegung unseres Sonnensystems erwähnen.
Wie oben angegeben, kennen wir die Richtung dieser Bewegung
schon recht genau, aber nicht so ihre Grofse; die spektrographisehe
Bestimmung wird neben der Richtung vor allem die Geschwindigkeit,
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mit welcher unser ganzes Sonnensystem seine unennefsliche Bahn
durchläuft, geben, eine Gröfse, die nicht nur für sich interessant ist,
sondern auch für andere Probleme der Astronomie ihre Bedeutung
hat. Unter gewissen Voraussetzungen werden sicli die Entfernungen
der Sterne auf neue Weise bestimmen lassen, und bei Doppelsternen
ganz besonders wird man zu interessanten Resultaten gelangen: ein
weites Feld neuer Forschung ist der Thätigkeit der Astronomen
erschlossen.
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Ueber historische Sonnenfinsternisse.
Von
I K. üinzel.
A - 1 n - 1 ■ »tu *ter K6ni(cl. in tl-rini.
J*^er hohe Nutzen, welchen jene Nachrichten über totale Sonnen-
finsternisse der Astronomie gewähren, deren Ursprungsorl man
nachzuweisen im Stande ist, wird durch die im voraiurefra He-
ilen Aufsätze angeführten Thatsacln-n hoffentlich klar dargolegt sein.
Allein ich habe schon in der Einleitung darauf aufmerksam gemacht,
dafe auch eine andere Wissenschaft aus den Finsternifsmeldungen der
Alten bedeutsame Krgobnisse schöpfen kann, nämlich die Wissenschaft
der (ieschichle.
Es ist gewifs nach allen bisherigen Auseinandersetzungen sofort
klar, dafs ein Kall, wo aus einem bestimmten Orte eine Finslernifs-
nach rieb; vorliegt, das Datum derselben aber unbekannt und durch
anderweitige damit zusammenhängende Fakta nur ganz ungefähr
bestimmbar ist, durch den rechnenden Astronomen eine befriedigende
Lösung Hilden kann. Der Weg zu dieser Lösung erhellt von selbst:
mau wird zuerst durch Aufsuchung historischer Daten, und wenn
nötliig, durch eine geschichtliche I ntersuehung, die Zeitgrenzen fest-
zustellen suchen, in welche die Meldung der Finsternifs eingeschlossen
sein kann; dann wird man die innerhalb dieses Zeitraumes möglichen
Finsternisse im allgemeinen bestimmen und hierauf die (Vntralilüls-
zonen jener berechnen, die überhaupt in die Nähe des Ortes fallen
können, von welchem die Nachricht hrrstainmt. Kitte Diskussion der
Umstände, welche die Nachricht begleiten, wird entscheiden, welche
der Finsternisse man hier vor sich hat. Je genauer diese Umstände
detaillirt sind, desto leichter wird die Entscheidung zu l reifen sein,
und es ist zugleich klar, dafs man mit der Auffindung einer totalen
Sonnenlinstornils weit weniger Schwierigkeiten haben wird, als mit
Finsternissen geringerer Auffälligkeit, da die Zahl der totalen für
einen gegebenen Ort innerhalb einer grölseren Epoche zumeist klein
ist. während sieb partielle, an diesem Orte sichtbare Finsternisse in
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‘207
derselben Epoche viele ereignen können. Ein geschichtlich, wie astrono-
misch interessanter Fall, bei dem eine von mir angestellte Untersuchung ')
von vollem Erfolge gewesen ist, soll dies erläutern. In dem von
Plutarch verfafsten Gespräche „lieber das Gesicht in der Mond-
scheibe- kommt folgende Stelle vor: _L)afs von allen Erscheinungen
an der Sonne nichts so ähnlich ist, als eine Sonnenfinsternifs dem
Sonnenuntergänge, gebt ihr mir zu, wenn ihr euch der neulichen
Zusammenkunft von Sonne und Mond erinnert, welche, nachdem sie
gleich nach Mittag begonnen hatte, viele Sterne an vielen Punkten
des Himmels sichtbar machte und der Luft eine Färbung gleich der
Dämmerung verlieh“. Man weifs über Plutarcbs Person, dafs er
gegen Mitte des ersten Jahrhunderts nach Christi zu Chäronea
geboren war, dafs er zu der Zeit, als Nero sich in Griechenland auf-
hielt (60 — 07 n. Chr.), noch zu den jungen Männern gerechnet wird;
ferner, dafs er den griifsten Theil seines Lebens in seiner Vater-
stadt zubrachte und später, nach Rückkehr von einer Reise nach Rom,
Priester am Tempel des Apollo zu Delphi geworden ist. Es handelt
sich also hier um eine Sonnenfinsternifs, die in der zweiten Hälfte
des ersten Jahrhunderts n. Chr. in Griechenland und zwar kurz nach
Eintritt des Mittag vorgelällen sein murs und zu Delphi oder Chäronea
alle Erscheinungen der Totalität gehabt bat. Da nach der Finsternirs
von anderer Seite bisher vergeblich gesucht worden war, so wurde
eine systematische Durchmusterung eines gröfseren Zeitraumes auf
Finsternisse nothwendig; ich führte dieselbe für die Epoche vom Jahre
27 — 103 n. Chr. durch, indem ich dabei wieder die Oppolzerschen
Tafeln als Grundlage nahm; von den Centralitiitszonen der Finster-
nisse kamen überhaupt nur drei in Frage, von denen sich zwei wegen
ihrer Lage uml Zeit sofort ausschlossen und nur die dritte vom
20. März 71 n. Chr. als die gesuchte gelten konnte. Diese ist zu
Chäronea und Delphi um die Mittagszeit eingetreten und war daselbst
11,0 Zoll (1 Zoll = 1 ,j Sonnendurchmesser), also sehr nahe total.
Plutarch würde danach etwa 20 Jahre alt gewesen sein, als er im
Vereine mit Anderen diese Finstemil's beobachtet hat. Damit ist für
die klassische Philologie ein bemerkenswerthes Faktum gewonnen,
und gleichzeitig für die Astronomie ein wichtiger Anhaltspunkt zur
besseren Kenntnifs der Mondtafeln, denn wie man aus der auf der
Karte (Seite 130) eingetragenen Zone der Finstemifs ersieht, bleibt
die letztere von Chäronea noch etwas entfernt statt, dort total zu
0 Astroii. Unters, iili. Einst. I. Ablulig. png. 40 und Hl. Ablidlg. pag. 18.
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208
sein, und die nothwcndige Verschiebung der Zone von ungefähr
1 1 Grad nach Osten bietet somit einen willkommenen Behelf bei
der Bestimmung der Verbesserung unserer Tafeln.
Die Fälle, wo man Sonnenfinsternisse dazu benützen kann, um
für geschichtliche Ereignisse einen Anhaltspunkt zu gewinnen, sind
übrigens nicht, wie man meinen könnte, blofs auf die entfernt liegenden
Zeiten des Alterlhums beschränkt, sondern kommen bis ins Mittelalter
vor. Beispielsweise melden die byzan tischen Geschichtsschreiber
Glykas und Cedronus eine in den ersten Uegierungsjahren Leo
des Weisen (886— 912 n. Chr.l vorgefallene Sonnenfinsteraifs, die in
der sechsten Tagesstunde stattfand und bei welcher Sterne sichtbar
wurden. Bei der Uechuung zeigt sich, dafs die meisten der von
8811 n. Chr. ab möglichen Finsternisse von Byzanz viel zu entfernt
liegen, als da ('s sie • dort total gewesen sein könnten, und dafs erst
die ringförmige Finsternifs vorn 8. August 891 diese Bedingung
nahezu erfüllt. Es müssen somit die von den oben genannten
Historikern um die Zeit der Finsternifs erzählten anderweitigen
Ereignisse in das sechste Regierungsjahr Leos gesetzt werden. Auch
hier gewinnt die Astronomie durch die sich nötliig zeigende geringe
Verschiebung der Centralitätszoue einen kleinen Beitrag zur Ver-
werfung fiir die Rechnungen bei der Ableitung der „Verbesserungen“.
In anderen Fällen geht sie leer aus und das Ergebnifs kommt nur
der Geschichte zu gute, nämlich da, wo der l'rsprungsort des Berichtes
zweifelhaft ist und also ein Sohlufs auf den Ort der Beobachtung
nicht gewagt werden darf. Rodericus Toletanus (13. Jalirh.), ein
historischer Schriftsteller, dem verschiedene spanische Geschieht*-
quellen zur Benutzung Vorgelegen haben, giobt uns Kunde von einer
Finsternifs zu Zeiten des westguthischen Herrschers Reoosoindus:
„ln seiner Zeit ereignete sich in ganz Spanien eine Sonnenfinsternifs
und die Sterne wurden zu Mittag sichtbar“. Während der Kegierungs-
zeit des genannten Königs (649—1172 n. Chr.) haben nach meiner
Untersuchung1) vier bedeutende Finsternisse in Spanien statlgefunden:
eine totale 12. April 655, eine ringförmigtotale 28. Januar 659, eine
totale 4. November 666 und eine ringförmige 7. Dezember 671. Da
mit einiger Sicherheit vermutbet werden darf, dafs es sich um eine
in der Residenz Toledo bemerkte Finsternifs handelt, so wurden di*'
Zonen der angegebenen Finsternisse und die Maximalphasen derselben
für Toledo bestimmt; als wahrscheinliche Finsternifs bleibt nur jene
*1 fel>er einige histor. besnnd. in altspanisetien Gescliiehtsquellen er-
wähnte SnnneuHnst. (Silzber. d. k. preufs Arad. d. W, 1K87 XL1V pag. 10.)
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20! I
vom 4. November 666, die in Toledo total war und Nachmittag statt-
hatte. Hier ist der Gewinn nur ein historischer, da wegen der
Bedenken über den Beobachtungsort nicht völlige Sicherheit darüber
gewonnen werden konnte, ob nicht auch die Finstcrnifs vom
12. April 655 zu berücksichtigen sei, wenn nämlich die Nachricht
einem nördlicher als Toledo gelegenen Orte entsprungen wäre.
Es wird nun auch das leise Mifetrauensvotum, das ich früher
gegen die Verwendung gewisser altklassischer Sonnenfinsternisse bei
der Ermittelung der „Verbesserungen“ laut werden liefe, gerecht-
fertigter erscheinen. Mehrere dieser Finsternisse, deren Gebrauch sonst
wegen ihres hohen Alters sehr wiinschenswerth wäre, lassen sich
nämlich betreffe des Beobachtungsortes nur mit Zweifeln feststellen,
während wir aus den bisherigen Darlegungen gesehen haben, dafe
dieser möglichst sicher bestimmbar sein soll. Diese Unsicherheit
liegt beispielsweise vor bei zwei alten Finsternissen, von denen man
gerne Gebrauch gemacht hat: die eine ist jene, welche sich ereignete,
als der syracusanische König Agaüiocles vor den ihn verfolgenden
Schiffen der Karthager die Flucht ergriff, die andere ist die von
Herodot gemeldete, welohe während einer Schlacht zwischen den
Lydern und Medern eingetreten sein soll. Während die Festsetzung
der ersten dieser beiden Finsternisse auf den 14. August 310 v. Chr.
zweifellos richtig und der zweiten auf den 28. Mai 548 v. Chr. zum
mindestens recht wahrscheinlich ist, kann man darüber sehr streitig
sein, bei welcher Küste Siciliens Agathocles von der Finsternifs über-
rascht worden ist, und andererseits, in welcher Gegend des Halys-
flnsses die Schlacht zwischen den Lydern und Medern stattgefunden
haben mag. Derartige Finsternisse wird man also, wenn auch nicht
abweisen, so doch erst in zweiter Linie, nach Herstellung eines
bessern Fundaments, bei der Verbesserung unsrer Kenntnifs der Mond-
tafeln verwenden.
Dafe man übrigens zur richtigen Auffindung solch alter Finster-
nisse mit den auf Grund der bisherigen Mondthooricn verfafelcn Tafeln
nicht ausreicht, sondern hierzu selbst schon eine hinreichende Kenntnifs
der Mondbewegung nöthig hat, geht daraus hervor, dafe eben diese
in die Tafeln eingeführten Aenderungen die Lage der Zonen der
Finsternisse verschieben, wie wir in don früheren Darlegungen zur
genüge gesehen haben. Richtige „Verbesserungen“ dieser Tafeln
werden die gleiohmiifeige Uebereinstimmung der Rechnung und der
historischen L'eberlieferung herbeiführen, zweifelhafte und gewagte
„Verbesserungen“ dieser Art aber nur desto grüfeere Verwirrung
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2 ln
nach sich ziehen. Die Verwendung der Hansensohen Mondtafeln ohne
alle Correctionen läßt darum die Iclcntifioiriing mehrerer wichtiger
.Sonnenfinsternisse des Alterthums, beispielsweise jener des I’lutarch
oder jener am I lalysflusse, nicht gelingen1). Ks ist ein grobes Ver-
dienst des der Wissenschaft leider so früh entrissenen Oppolzer,
durch die Herausgabe seines .Canon der Finsternisse" die Aufsuchung
der Verfinsterungen der Sonne und des Mondes ganz außerordentlich
erleichtert zu haben. Dieses Werk enthält auf ltiu Karten die näherungs-
weisen Kurven der Centralitüt sämmtlicher centralen Sonnenfinsternisse,
die zwischen 1208 v. Chr. bis 2101 n. Chr. auf der nördlichen Hemi-
sphäre möglich sind, ferner alles Detail, um für jede andere centrale
oder partielle Finsternifs dieser Epoche Rechnungen ans te llon zu
können. Die dort gegebenen Zahlen stützen sich, ein nicht zu unter-
schätzender Vortheil, auf Correctionen der Mondtafeln, die den alten
Finsternissen genügen und sich von den Hansensohen Tafeln nicht
ühermiifsig entfernen. Das Ziel meiner eigenen, bereits früher an-
geführten Arbeiten ist namentlich auf die Verbesserung dieser empiri-
schen Correctionen gerichtet gewesen3).
Ich möchte mein Thema nicht verlassen, ohne noch jener Sonnen-
finsternisse zu gedenken, welche nur geschichtliches Interesse haben
und die für die Verbesserung unserer Mondtafeln entweder keinen
Beitrag liefern können oder hierzu nur mit vielen Bedenken ver-
wendbar sein würden. Dies sind zum Theil solche Finsternisse, bei
denen der Beobachtungsort fraglich ist, noch mehr aber solche, wo
i die Worte der Uelierlioferung unklar und verschiedener Deutung
1 fähig sind. Der wichtigste dieser Finsternifsberiehte ist wohl jener.
welcher auf einer der assyrischen Thontäfelchen enthalten ist, deren
* ') Kine treffliche Erläuterung dafür, was willkürliche Manipulationen in
Bezug auf die Mondbahnvorbaaseruug für Folgen haben ktinneu, liefern die
astronomischen Reformationsvorsuehe des Theologen Seyffarth. Dieser kehlt
durch .Corrertionen“ beinahe die ganze alte Geschichte um. Mit einem Beispiele
werden meine Fachgenossen genug haben: Die Nicäische Sonnenfinateniifs
(24. November 211 n, Chr.). welche nach Hansens Tafeln immer noch nicht zu
den schlechtest durgeatelltcii gehört (wenngleich die HansenscheZone zu westlich
von Niciia verbleibt) wird durch Serffarths Correctionen mit einer Finsternifs vom
12. September IIS n. Chr. identifirirt, die durch Sibirien und die Mongulei gehl,
während wir wissen, dafs es sieh bei Verbesserungsversuchen des heutzutage
allgemein angenommenen Hauseuschen Fundaments nur lim einen Fehler der
Zone von wenigen Graden handeln kann. Aber man sieht, .Correctionen- können
etwas leisten, wenn sie sieh nur aufmaclien!
-) Aus diesen Rechnungen ergiebt sich für die särulare Beschleunigung des
Mondes ein Betrag von 11,47 Uogousocundcn, nur um <1.74 Secunden geringer als
der von Hansen für die Mondtafeln adoplirte Werth. (8. Seite 1118.)
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211
in neuerer Zeit so viele schon ilrr altersgrauen Vergangenheit ent-
rissen worden sind. Diese Keilschrift stammt aus der Hegiertmgszeil
des Königs Assurlmnipal und lulltet: Im Monate Tnimnoz fand eine
Finsteruifs des Herrn de- Taues, des Duttes des Lichtes statt; die
untergehende Sonne liefs uh zu leuchten, und ich liels davon ah . . .
in . . . Tagen den Krieg gegen Klutn zu beginnen.“ Ein zweites
Täfelchen rührt nach Talhut von dem Hcfehlshaher einer militärischen
Kxpeilition nach Aegypten her: dieser meldet dein Könige, dafs hei
der Hinstemifs seine Soldaten _lür die Wohllahrl Assyriens in ihren
Herzen bestürzt wurden- und vor dem himmlischen Ereignisse aus
den Reihen gewichen seien. Die Lntersuehung hat hier nur drei
Anhaltspunkte: die ntuthmafsliche Regierungszeii Assurlmnipals tilis
bis 625 v. Chr., die Bedingung, dats es sich sehr wahrscheinlich um
eine bei Sonnenuntergang vorgefallene Finsternil's handelt, und die
aus den Einrichtungen des assyrischen Kalenders hervurgehende An-
nahme, dafs der Monat Tammuz. mit unserem Juni oder Juli zu
identiliciren ist. Zweifelhaft hleiht der Ort der Iteolmchtung: man
mufs sich mit der Muthmalsung auf Ninive, der I lauptstadt Assyriens,
oder auf Susa, der Capitale Elauts, begnügen. Dennoch sind diese
wenigen Behelfe hinreichend gewesen, diese alle Soiinenllnsierttifs
mit völliger Sicherheit rechnerisch uaelizuweiseii. B. Schwarz hat
dargethan, dafs es sich hier mir um dio ringförmige Finsternil's vom
27. Juni ö61 v. Chr. handeln kann Hiermit ist für die Chronologie
der Zeit des Assurbanipal ein höchst wichtiger Markstein gewonnen
worden. Weniger entscheidend hat sich ein anderer Fall erledigen
lassen, der in einem Fragmente der Schriften des jonischen Dichters
Archiloehos vorliegt. Es heilst dort unter andern: „Kein Ding ist un-
erwartet oder zu verschwören oder wunderbar, seitdem Zeus, der Vater
der Olympier, den hellen Tag in Nacht verwandelte, indem er das
Licht der leuchtenden Sonne verhüllte: entsetzlicher Schreck kam iiher
die Menschen.“ Nach neueren Forschungen tmithmafst man. dal's
Archiloehos zwischen 7t m— 64<l v. Chr. mul zwar wahrscheinlich zu-
meist auf Faros gelebt hat: erst in späterem Alter soll er nach Tltasos
übersiedclt sein. B. Schwarz und Oppolzer, welche sieh mit der Auf-
suchung der in obigem Texte jedenfalls vorliegenden sehr bedeutenden
Sowienfinsternifs beschäftigt haben, linden zwei grofse Finsternisse
(14. April 657 und 5. April (14s v. t'lir.t, zwischen denen tlie Ent-
scheidung einigertnarsen schwierig ist, da die Totalitiitszonen beider
') Aslr. Unters üli. e. v \rrldlocliii* u. «•. in einer assyr In-i-ltr. erwähnt*-
SonncntlnM (Sitzt». <1. k. Arad Wien, SJ. Itil A| til 1 ’SCt, i
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i:
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der Auffälligkeit der Finsternirserscheinungen auf Paros und Thasos
gleich günstig liegen. L'in hier völlige Sicherheit zu erlangen, muteten
wir also derartige Werthe der Mondtafeln besitzen, date wir deren
Richtigkeit für eine so weit zurückgreifende Zeit ohne weiters ver-
bürgen könnten. Noch schwieriger gestalten sich die Verhältnisse
bei einigen anderen Finsternitenachrichtcn von offenbar sehr hohem
Alter, beispielsweise einer wahrscheinlich der Zeit des Assyrers
Asurnazirhabal angehörenden Finsternifs, wo der König davon spricht,
date im ersten Jahre seiner Herrschaft -die Sonne, die Herrscherin
der Welt, ihren günstigen Schatten über ihn warf"; oder bei der
ältesten aller Sonnenfinsternisse, welche die Astronomie kennt, der im
Schuking der Chinesen erwähnten. Den dunklen Worten mancher
Ribelstellen endlich, mit denen Experimente auf Finsternisse gemacht
worden sind, geht der Rechner am besten andächtig aus dem Wege.
Ein lebhafteres Interesse haben gegenwärtig mehrere übrigens
schon längst rechnerisch festgestellte Sonnenfinsternisse, welche sich
von römischen Schriftstellern erwähnt finden, und namentlich sind
über sie jene Debatten wieder in Flufs gerathen, welche mittelst dieser
Finsternisse feste Haltepunkte in den Fragen über die sehr verworrene
Zeitrechnung der Römer zu gewinnen trachten. Es sind dies nament-
lich einige Finsternisse, von denen Livius, Obsequens und Dio Cassius
uns Nachrichten Unterlassen haben. Ich will nur die wichtigste der-
selben, dio sogenannte Ennius-Finsternifs, hervorheben. Darüber heifst
es bei Cicero (de repub. I. 25); -Dies entging später auch unserem
Ennitts nicht, wie derselbe ungefähr 350 Jahre nach der Gründung
Roms also schreibt: .„In den Nonen des Juni hinderte der Mond die
Sonne und die Nacht.-- Dieser Sache nun wohnt' solche Bedeutung
bei, dafs man von diesem Tage, den wir bei Ennius und in den annales
maximi verzeichnet finden, die übrigen Sonnenfinsternisse hat be-
stimmen können bis zu jener, *) welche in den Nonen des Quinctilis
unter Romulus statlgefunden hat." Um diese Finsternifs hat sich ein
scharfer Streit unter den Philologen erhoben. Zunächst erfahren schon
die Worte des Ennius eine verschiedene Interpretirung; während Einige
darin eine bei Sonnenuntergang vorgefallene Finsternifs sehen, glauben
Andere, dafs nur gemeint sei, der Mond habe sich vor die Sonne ge-
stellt und auf diese Weise -Nacht" (resp. eine bedeutende Verdunke-
lung) erzeugt. Endlich sind von einer Seite Zweifel gegen die von
Cicero angegebene Jahreszahl erhoben worden. Auf diese Weise ist
‘j Nämlich durch Zuriiekrechumig mittelst der chaldäisclieu Periode.
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cs erklärlich, wenn nun gleichzeitig- vier Sonnenfinsternisse den An-
spruch erheben, fiir die Finstemils des Ennius gelten zu dürfen.
Die ältere Ansicht, die von der Annahme einer bei Sonnenunter-
gang stattgefundenen Finsternifs ausgeht und auch die Bedenken gegen
die Jahreszahl zurückweist, bleibt bei der Finsternifs vom 21. Juni
400 v. Chr. stehen, die in der That in Rom höchst bemerkenswerth
gewesen sein mufs, da im Momente des Untergehens der Sonne fast
10 Zoll bedeckt waren. Eine andere Meinung kommt auf die eben-
falls bei Sonnenuntergang stattfindende Finsternifs vom 12. Juni 301
v. Chr., die in Rom 8 Zoll betrug. Die freieren Auffassungen der
ciceronischen Stelle wenden sich der Finsternifs vom 0. Mai 203
v. Chr. zu, die in Rom um 3 Uhr 18 Minuten Nachmittag eintrat und
nur 6l/j Zoll grofs war; endlich plädirt Jemand gar für die Finsternifs
vom 4. Mai 249 v. Chr., obwohl diese zu Rom fast ganz unsichtbar
gewesen sein ruurs. Man sieht, klar ist die Sachlage nicht! - — Es
wäre hier noch der Sonnenfinsternisse vom 17. Februar 478, 15. Sep-
tember 340, 11. Februar 217, 14. März 190 v. Chr. u. e. a. zu gedenken,
auf welche mehrere Stellen bei Livius bezogen werden und in denen
man Stützen für den Gang des römischen Kalenders gesucht hat. Bei
diesen Identifizirungsversuchen ist es nicht immer gerade astronomisch
zugegangen; namentlich findet man die Gefahr wenig vermieden, dafs
Sonnenfinsternisse zu Trägern chronologischer Systeme gemacht werden
die von einem auf die Beobachtung mittelst freiem Auge hingewiesenen
Volke, wie es die Römer waren, kaum haben bemerkt werden können.1)
Ich schliefen meinen Aufsatz mit einer Sonnenfinsternife, die
einigen Gelehrten des vorigen Jahrhunderts nicht weniges Kopf-
zerbrechen verursacht hat, nämlich mit der angeblichen Finsternifs,
die nach der Bibel (Matthäus XXVII 50) bei der Kreuzigung Christi
statlgefunden haben soll. Obwohl diese Bibelstelle durchaus nicht
klar spricht und ohne jeden Zwang auf meteorologische Vorgänge
gedeutet werden darf, haben schon einige der ersten Kirchenväter in
der übrigens hier schon erwähnten Xicäischen Finsternifs (24. No-
vember 29 n. Chr.) eine astronomische Bestätigung sohen zu müssen
geglaubt Die Forschungen des Mittelalters beschäftigten sich haupt-
sächlich damit, wie die Schwierigkeit, nach welcher die Sonnen-
') Den Interessenten empfehle ich meinen „Fiustornifs-Canon für (Ins
Untersuchungsgebict der römischen Chronologie“ (Sitzungsber. <1. K. prenfs.
Akad. d. VV. 18-S7. LII.) und den Artikel „Ueher die Möglichkeit Sonnenfinster-
nisse mit freiem Auge zu sehen, mit besonderer Rücksicht auf die Römer.“
(Wochenschr. f. klass. I’hilol. Berlin ISS* Nr. 7.)
Himmel und Erde. I. 4. hi
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Gnsternifs bei Vollmond statt bei Neumond eingetreten sein midiste,
zu beseitigen sei, da an der Thatsache, dafs Christus vor dem l'assah-
feste der Juden gekreuzigt worden ist, dieses Fest aber nur bei
Vollmond gefeiert wird, nicht gerüttelt werden konnte. Da hilft nun
kein anderes Argument, als dars die Finsternifs „gegen den natür-
lichen Lauf der Dinge“ eingetreten sei, wie schon Andreas Müller
(1685) behauptet, indem er sie mit der von chinesischen Annalen aus
dem 7. Jahre des Kuang-wu-ti als sehr bedeutend gemeldeten Sonnen-
finsternifs vom 10. Mai 31 n. Chr. identiGzirt. Nach den kritischen
Untersuchungen unseres Jahrhunderts, namentlich von Ideler und den
neueren von Zumpt und Sepp, inufs das Kreuzigungsjahr zwischen
2!) — 32 n. Chr. gesetzt werden, und es könnte wohl sein, dars die
SonnenGnsternifs vom Jahre 20 n. Chr. auf jene der Bibel eine
Beziehung hat; dem stellt aber die nicht leicht zu beseitigende Angabe
entgegen, dafs der Todestag Christi ins Frühjahr gefallen ist, und der
14. Nisau (3. April) des jüdischen Kalenders ein Freitag gewesen sein soll
Nun fällt auf den 3. April 33 n. Chr., wie schon Calvisius gesehen,
eine MondHnsternifs, und Ferguson (1756), der die Vollmonde von
28 — 36 n. Chr. bei derselben Frage berechnet, macht darauf auf-
merksam, dafs der 3. April 33 thatsiichlich ein Freitag ist. Ist also
die traditionelle Anschauung der Kirche, den TodesUig Christi vor
Eintritt des Passahfestes zu setzen, die richtige, so ist sehr grofse
Wahrscheinlichkeit, dnfs der Tod Christi von dieser MondesGnsternifs
begleitet gewesen ist. Die Finsternifs, die übrigens schon Gegenstand
. vielfältiger Berechnung gewesen ist, war zu Jerusalem partiell und
1 nur das Ende derselben sichtbar: nach meiner Rechnung würde das
J| Ende um 6 Uhr 54 Minuten Abends stattgefunden haben.
^ Zuletzt noch ein kurzer Blick auf die verschiedenen Ausdrucks-
weisen, mit welchen die historischen Quellen die SonnenGnstemisse
bezeichnen. Die griechischen Schriftsteller verwenden für die Anzeige
einer Sonnentinstornirs fast ausschliefslich das Wort „eclipsis-, die
lateinischen Autoren die Bezeichnung „ defectio solis " ( Abnahme
der Sonne), nur dann und wann wird „obscuratio“ (Verdunkelung)
gebraucht; partielle Finsternisse werden als eine .Verminderung
(Verkleinerung) der Sonnenscheibe“ hingestellt. Die mittelalterlichen
Annalen der lateinisch schreibenden Mönche fuhren überwiegend den
griechischen Ausdruck .eclipsis-; partielle VerGnsterungen werden
zumeist durch Vergleich mit dem Alter der Mondsichel charakterisirt
(„die Sonne erschien wie die 3. Mondsichel“); die mittelhochdeutsch
geschriebenen Berichte sprechen von einem „Vergehen“ oder „Ver-
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wandeln" der Sonne, die böhmischen Chronisten vom „Verlöschen-.
Wesentlich anders verhalten sich die chinesischen Annalen. Obwohl
wir bei den Gelehrten Chinas schon frühzeitig eine richtige Vor-
stellung' von der Entstehung der Sonnenfinsternisse finden fz. 11. bei
Tu-ju im 3. Jahrh. n. Ohr.), gebrauchen <lie Schriften vielfach Aus-
drücke wie für eine Bedrohung der Sonne, namentlich das Zeichen
.Ki“, das für die Beendigung einer Mahlzeit gilt und womit definirt
werden soll, dafs die Sonnenscheibe f bisweilen ..tsin" = vollständig)
aufgegessen oder ausgeschüpft worden sei 1 1. Seltener angewendel
werden die Prinzipien ..Jang" und ..Jin", die in der alten Philosophie
Chinas eine grofse Bulle spielen, und in deren Gegenwirkung man
die Ursache der Finsternisse sah. Kür beide Bezeichnungsarten folgen
hier zwei Beispiele aus dein 1 leu-haii-sehu: ..Am Tage ping-jin dauerte
die Finstcrnils lange, denn viel wurde von der Sonne aufgezelirl" :
und: „Am Tage der Finsternifs wurde ...Jang", das lacht, geschwächt
und die Fiusternifs („Jin •) trachtete sieh einporziischwingen". 1'elirigeits
ist bei den Chinesen jede Kinsternirs ein ..Unglück“, wenn auch oll
nur im astrologischen Sinne und mnls darum durch Opferungen ver-
hütet werden. Wir nehmen es ihnen nicht übel: können sich doch
die christlichen Mönche Europas eines gewissen Aberglaubens nicht
erwehren, indem sie nicht wenige Sonnenfinsternisse gerne mit Pest
oder „grofsen Sterben der Menschheit", l’ltilhen und Stürmen, zu-
sammenreimen.
l) Die Chinesen folgen darin mir einer hei den meisten nslasiatisehen
Völkerschaften gangbaren Auffassung- 1 toi den Indern ist es eine Verfolgung der
Sonne durch ein Ungothiini; ähnlich bei den Mai ossären auf Celebes; bei den
Hewohnern von Sumatra ein Kampf der Sonne mit item Monde, der aut
gegenseitiges Auffresson hinaasläuft. Achnfiehc Mvlhen treffen wir bei den
Tübetanern und Mongolen
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Versuch einer beweisführenden Darstellung des Welt-
gebäudes in elementarer Form.
Von
l»r. M. Wilhelm Meyer-Berlin.
. 111. Die Sphären.
lUjiliere letzten Betrachtungen, durch «eiche wir der Einrichtung
des Weltgebiimles niilier zu kommen suchten, haben uns zur
Erdausmessung geführt, ila es unsern Bemühungen nicht ge-
lang', einen direkten Berührungspunkt zwischen dein Himmel und un-
serer irdiscliiui Scholle zu erreichen. Durch die Betrachtung der Ge-
stirne in ihrer veränderlichen Stellung zum Horizonte war es uns (Re-
llingen, jene Gröfse der Knie zu bestimmen, wahrend wir doch nur
einen kleinen Theil ihrer Oberfläche dabei zu durchwandern brauchten.
Jene ersten Krdausmesser aus vorchristlicher Zeit mögen in nicht
geringe Verwunderung geralhen sein, als ihre logischen Schlu fsfol ge-
rungen einen fiir ihre Hegriffe so ungeheuer gmfsen Erdumfang er-
gaben. Di«1 primitiven [Hilfsmittel der Fortbewegung, welche ihnen
damals zu Gebote standen, die Schwierigkeiten der topographischen
Beschaffenheit des Landes, welche ihre Ingenieure noch nicht zu über-
winden vermochten, hatten den Umfang der damals bekunuteu Welt
in recht geringe Grenzen eingeschränkt, die sieh tim den damaligen
Mittelpunkt der Civilisation wohl kaum mit einem Radius von 41 M»
Meileu ausbreitote. Da es nun eine alte Erfahrung ist, dafs der Mensch,
je beschränkter seine Kenntnisse sind, um so hochmüthiger von sich
selbst den kl, so mochten wohl beispielsw eise die Zeitgenossen eines
Alexander des Grofsen glauben, dafs sein Schwert nahezu die ge-
samte Welt erobert habe, während doch Eratosthenes, auf dem Resul-
tate seiner Erdmessung fufsend, leicht hätte beweisen können, dafs diese
bekannte Erdscholle kaum den 400<)sten Theil der wirklichen Erd-
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217
Oberfläche ausniacht. Staunend erzählte mau sich damals, um sich
einen ungefähren Begriff von dieser Gröfse zu verschaffen, dafs ein
Fufsgänger mehr als ein Jahr unausgesetzt Tag und Nacht wandern
müsse, um die Erde zu umkreisen. Heute sind wir, was diese An-
schauung über die Gröfse der Erde betrifft, bei weitem blasirter
geworden und Tausende sehen jetzt, was früher als den sichern Tod
bringende Tollkühnheit erschienen wäre, als eine amüsante Spazier-
fahrt an und führen die Heise um die Erde nötigenfalls in 80 Tagen
aus. Ja, wollte irgend ein reicher Engländer seine Millionen dazu
hergeben, geradlinig sich fortsetzende Schienenstränge in bestimmter
Richtung um die Erde zu schlagen, und ihre Endpunkte an den
Meeresküsten durch direkte Dampferlinien verbinden, so könnte er
sich das Vergnügen erlauben, im Verlaufe unseres kürzesten Monats,
d. h. in nicht mehr als 28 Tagen, die Erde mit Eiizuggeschwindigkeit
zu umkreisen. Unser Planet ist in dem Aufschwünge, welchen wäh-
rend der beiden letzten Jahrhunderte unsere Fassungskraft genommen
hat, einerseits durch die Entdeckung der neuen Weltteile, anderer-
seits durch den verschärften Blick, den uns das Fernrohr in die Un-
endlichkeit des Weltgebäudes gewährt hat, wahrlich sehr klein ge-
worden und die Menschheit wird bald sehnlichst nach einem neuen
Columbus verlangen, der ihr den Weg zu einer andern gröfsern Erde
überbrückt. Freilich wird sie danach wohl ewig vergebens suchen
müssen. Unsere Fiifse bleiben an unsern Planeten gebunden und nur
unser Geist kann darüber hinaus sich in die Organisation fremder
Welten hinüberdenken. Diese höhere Colurabusaufgabe ist es eben,
weiche uns zu dieser Betrachtung veranlafst hat.
Indem wir deshalb unsere Schlufskette weiter zu spinnen trachten,
müssen wir uns in die Beobachtung des Himmels, den wir niemals
mit unsern Händen erreichen können, näher vertiefen und heften unser
Augenmerk zu diesem Ende zunächst auf Sonne und Mond, die beiden
auffälligsten und in unsere Lebensbeziehungen offenbar mannigfaltig
eingreifenden Himmelskörper.
Wir sehen, dafs es kreisrunde Scheiben zu sein scheinen, welche
an die umkreisende Himmelsdecke irgendwie geheftet sind. Dafs diese
Himmelskörper in Wirklichkeit sehr grofs soin müssen, konnten wir
schon aus früheren Betrachtungen ableiten, da sie uns bei unserer
eigenen Ortsveränderung unveränderlich grofs erscheinen und folglich
sehr weit von uns entfernt sind. Es kommt uns nun zunächst darauf
an, durch augenscheinliche Beweise zu konstatiren, dafs diese Himmels-
körper sogar an Gröfse mit der Erde mindestens wetteifern; denn erst
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218
durch solche Ueberzeugung kann sich unsere vorläufig noch enge
Weltanschauung vorbereitend erweitern. Zwar ist das bisher aus ober-
flächlicher Betrachtung gesammelte Material allein noch zu gering, um
wirkliche Ausmessungen von den Entfernungen und Gröfsen am Himmel
vornehmen zu können und wir wollen vorläufig auch nur eine obere
Grenze bestimmen, von welcher aus wir schrittweise zu genaueren
Resultaten gelangen werden. Auf diesem selben Wege der Annäherung,
welchen wir jetzt einschlagen, sind in der That alle astronomischen
Resultate nach und nach ermittelt w’orden.
Bereits in unserm ersten Artikel (S. 108 und 9) haben wir gesehen,
wie man die Entfernung des Mondes durch die genaue Bestimmung
seiner scheinbaren Gröfse ermitteln kann: wenn man ihn einmal
während seinor Stellung genau über unserm Scheitel ausmjfst, ein
anderes Mal, wenn er sich im Horizont befindet. Als damals die
Methode solcher Messungen kurz erklärt wurde, war zwar die Richtig-
keit der angenommenen Prämissen noch nicht bewiesen; wir kannten
die Gestalt und Gröfse der Erde noch nicht. Das ist jetzt nachgeholl,
und eine Zeichnung, die sich Jedermann selbst sofort entwerfen kann,
zeigt ohne weiteres, dafs der Mond im Scheitelpunkte oder Zenith uns
beinahe um den Halbmesser der Erdkugel, d. h. also um ca. 860 Meilen
oder rund 3100 Kilometer näher steht, als wenn wir ihn im Horizonte
sehen. Da nun, wie wir uns jederzeit überzeugen können, jeder Gegen-
stand in genau demselben Verhältnifs gröfser oder kleiner erscheint,
in welchem wir uns von ihm entfernen, oder ihm näher rücken, und
da wir ferner mit unsern Mefsinstrumonten entdeckt haben, dafs die
scheinbare Gröfse des Mondes zwischen Zenith und Horizont um etwa
ein Sechzigstel seines Durchmessers schwankt, so können wir daraus
ohne weiteres entnehmen, dafs der Mond 60 mal 860, also rund
52 000 Meilen von uns entfernt steht. Ja, wir können nun noch weiter
gehen und die wahre Grösse des Mondes ausmessen, indem wir seine
scheinbare (iröfse mit der eines bekannten Gegenstandes vergleichen,
der sich in bekannter Entfernung von uns befindet. Um ebenso viel
nämlich, wie dieser bekannte Gegenstand uns näher steht, als die eben-
falls bekannte Entfernung des Mondes beträgt, um eben so viel wird
offenbar der Mond gröfser sein als dieser Gegenstand, wenn letzterer
in der gegebenen kleineren Entfernung den erstereu gerade verdeckt.
Führen wir einmal das Experiment in Wirklichkeit aus.
Wir müssen zu dem Ende zunächst die scheinbare Gröfse des
Mondes möglichst genau bestimmen; wie das durch Winkelinstrumente
ermöglicht wird, mag meinen Lesern völlig klar sein; ich will aber
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der gröteern Durchsichtigkeit der Methode wegen ein einfacheres Mittel
anwenden und eine kleine runde Scheibe nehmen, die ich so lange
vor den Augen hin und her bewege, bis sie in einor bestimmten Ent-
fernung den Mond genau verdeckt. Wir werden finden, dato uns dies
gelingt, wenn wir die Scheibe genau 9 mm. groto nehmen und sie in
einer Entfernung von einem Meter von den Augen aufstellen. Dann
repriisentirt die Ausdehnung dieser Scheibe einen Winkel von etwa
31 Bogenminuten oder eben den Durchmesser des Mondes. Diese Er-
kenntnis genügt nun völlig, nachdem die Entfernung des Mondes be-
kannt geworden ist, um die Grösse desselben mit zwingender Logik
zu bestimmen, denn der Mond mufs offenbar um eben so viel grösser
als 9 mm. sein, wie die Entfernung unseres Scheibchens von unserem
Auge geringer ist als die des Mondes. Wir hatten vorher gefunden,
dato der Mond etwa 5*2000 Meilen von uns absteht. Rechnen wir
diese Zahl in Meter um, indem wir sie mit 7410 multipliziren, so finden
wir, dato der Mond ca. 385 Millionen Meter von uns absteht. Diese
Zahl multipliziren wir mit 9 mm., um den Durchmesser des Mondes
unmittelbar gleich 3405000 Meter oder 400 Meilen zu erhalten, was
haarscharf zu beweisen war.
Diese neue Erkenntnifö, welche wir vom Himmel abgelesen haben,
eröffnet uns sofort eine bedeutend erweiterte Anschauung vom Welt-
gebäude, denn wir erkennen nun, dato zum mindesten die beiden Ilaupt-
gestime, welche Tag und Nacht regieren, an Grütee unserer Erde bei-
nahe ebenbürtig sind; der Durchmesser unserer Erde übertrifft den
iles Mondes in der That nur um etwa 3 >/, mal. Die Sonne aber ist
zweifellos noch viel gröfser, wie wir nun gleichfalls leicht erkennen,
da dieselbe offenbar viel weiter von uns entfernt steht als der Mond.
Das lätot sich sofort während der Sonnenfinsternisse erkennen, weil
wir immer nur die Sonne hinter den Mond treten sehen, niemals um-
gekehrt. Nun zeigt es sich ferner, dato die Methode, nach welcher
wir bisher die Entfernung des Mondes ausgemessen hatten, bei An-
wendung auf die Sonne gänzlich versagt, da sich ihre scheinbare Grösse
für unsore Meteinstrumente während ihrer täglichen Reise vom Auf-
gang zum Untergang durch die ldotee Verschiedenheit der Entfernung
vom Beobachter nicht merklich verändert. Es lätot sich daraus leicht
absehen, dato die Sonne nicht bloto etwa ein- oder zweimal, sondern
mindestens zehn oder noch viel mehrmal so weit von uns absteht als
der Mond und folglich, da sie nahezu ebenso groto erscheint wie der
letztere, auch noch mindestens zehn- oder mehrmal so groto in Wirk-
lichkeit sein tnufä als dieser. Sie ist also auf jeden Fall ein grüföerer
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Himmelskörper als unsere Erde und bei dieser Erkenntnis wollen
wir es zunächst bewenden lassen.
Der unmittelbare Anblick der Mondoberfliiche durch ein leidlich
"Utes Fernrohr läfst aber des weiteren erkennen, dafs derselbe nicht
etwa, wie es der oberflächliche Augenschein vielleicht muthmafsen
liefse und wie dem ganz naiven Beobachter auch unsere Erde erscheint,
eine Scheibe ist, sondern gleichfalls eine Kugel. Wir erkennen nämlich
ia
Ein Theil der Mondobe rfläche nach Lohrmann.
auf der Oberfläche des Mondes eine grofse Anzahl von Uneben-
heiten, welche, nachdem wir uns von der bedeutenden Gröfse dieses
Himmelskörpers überzeugt haben, sofort den Eindruck von Gebirgen auf
uns machen. Viele tausende dieser eigenthütnlichcn Gebirgsformationen.
von denen eingehender zu reden hier nicht der Ort ist, haben die
deutlich ausgeprägte Form von Kraterwällen und sind, wenn man sie
auf der Mitte der Mondscheibe findet, fast völlig kreisrund. Niemals
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trifft man hier langgestreckte ovale Gebilde dieser Art. Je mehr
man aber das Auge gegen den Rand des Mondes hinschweifen liifst,
je elliptischer slellon sich diese Gebilde dar und zwar stets so, dafs
der kleinste Durchmesser dieser Ovale oder Ellipsen senkrecht gegen
den Kamt des Mondes gerichtet ist. Auf der hier beigefügten Repro-
duktion eines Theiles der berühmten Lobrmannschen Mondkarte füllt
diese eigentümliche Erscheinung dem ersten Blicke auf. Es bedarf
nur einer sehr geringen geometrischen Vorstellungsgabe, damit uns
dieser Augenschein sofort von der Kugelgestalt des Mondes überzeuge, ,
da offenbar diese Gebilde gegen den Mondrand hin in Wirklichkeit
ebenso kreisförmig sind wie in der Mitte und nur durch die schiefe
Richtung, iu welcher die Gesichtslinie diese Gegenden trifft, in eben
dieser Richtung verkürzt erscheinen.
Ganz ähnliche Wahrnehmungen kann man auch auf der Sonne
machen, wenngleich es auf derselben keine festen beständigen Objekte
giebt; doch bemerkt man auf ihr gelegentlich die sogenannten Sonnen-
flecke, welche öfters mehrere Wochen lang nicht allzu wesentlich ihre
Form ändern, aber offenbar infolge einer Umdrehung der Sonne um
sich selbst in bestimmten Bahnen über die scheinbare Scheibe derselben
hinziehen und dabei, sobald sie dem Rande sich nähern, ähnliche per-
spektivische Verkürzungen darbieten, wie wir sie auf dem Monde so
deutlich wahmehmen.
Unsere Anschauungen vom Weltgebäude haben sich durch diese
neuen Erfahrungen abermals ganz wesentlich erweitert: Wir haben
erkannt, dafs es aufser der Erde noch zwei grofsc Körper giebt, welche
ihr an kugelförmiger Gestalt völlig gleich sind und sie an Ausdehnung
sogar im Falle der Sonne übertrefl'en. Welche ganz gewaltigen Vor-
kehrungen iniifs hier die göttliche Macht getroffen haben, um diese
ungeheuren Körper hoch über unsern Häuptern in gewaltigem Schwünge
um die Erde kreisen zu lassen! Dafs so ungemein grofse Kugeln nicht
etwa frei über uns schweben könnten , ohne vernichtend auf uns
herab zu stürzen, ist, so weit unsere Kenntnifs von der Weltordnung
bis jetzt reicht, absolut undenkbar. Es bleibt, wenigstens vorläufig',
nichts Anderes übrig, als auch ihnen je einen grofsarligen Sphärenban
anzuweiseu, wie es derjenige ist, welcher die Schar der Fixsterne im
Schwünge um die himmlischen Pole führt. Denn dafs diese Fixstern-
Sphäre selbst nicht genügt, um etwa daran Sonne und Mond zu be-
festigen, zeigt die am Monde unmittelbar, an der Sonne wenigstens
indirekt anzustellende Beobachtung, dafs beide Himmelskörper noch
eine besondere, von den Fixsternen unabhängige Bewegung besitzen,
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weicht' den Mond in etwa einem Monat, die Sonne in einem .Jahre
einmal so vor der Fixstern-Sphäre herum fuhrt, dafs sie erst nach
Ablauf der genannten Frist auf dieselbe Stelle jenes zuerst noth wendig
befundenen Gewölbes zurüekkehren. Wir müssen also mindestens drei
.Sphären annehmen, welche konzentrisch mit demselben Mittelpunkte
der Eitle sich über einander wölben.
Zu diesen Sphären können wir sogleich mindestens noch Fünf
andere hinzufügen, au welche fünf überaus helle Sterne zu heften
sind, die sich von den übrigen selbst bei oberflächlicher Beobachtung
dadurch auffällig unterscheiden, dafs sie unter ihnen umherwandelu
und nicht wie die übrigen am Gewölbe wie festgenagelt sind. Wir
kennen diese Sterne längst und nennen sie die Planeten Merkur, Venus,
Mars, Jupiter, Saturn. Wir wissen heute selbst, dafs es aufser diesen
alten Planeten noch zwei gröfsere, l'rauus und Neptun, und eine Schar
von einigen 2ri0 kleineren gieht, welche letzteren alle nur mit dem Fern-
rohr erkennbar sind. Wir wollen indefs alle diese hier ignoriren.
um die Parallele der historischen Entwickelung der Weltansicht nicht
zu verlassen.
Da die oberflächliche Beobachtung ergiebt, dafe die Bewegung
jener älteren fünf Planeten verschieden schnell statfiudet, und zwar
bei Merkur und Venus nur im Durchschnitt ebenso schneit wie die-
jenige der Sonne, aber mit gröfsereu, vom Merkur zur Venus zu-
nehmenden Schwankurgen, dagegen für die folgenden drei in derselben
Reihenfolge langsamer, wie ihre Namen oben angeführt wurden, so
nahm man schon früher mit einem gewissen Grade von Berechtigung
an, dass der schnellen' dieser Himmelskörper auch der uns näher
stehende sei und dafs mau demnach die Sphären etwa in der Reihenfolge
Mond, Sonne, Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn, übereinander
setzen müsse, um den ganzen himmlischen Bau endlich mit der Fixstem-
sphäre, dem sogenannten Primum mobile zu krönen. Diese Sphären
dachte mau sich aus durchsichtigstem Krvstall, aber so fest gebaut,
dafs sie eben jene grofsen Himmelskörper zu tragen und mit ihnen
um eine feste unsichtbare Axe umzusebwingen vermochten.
Diese neue Weltansicht der Sphären bringt uns in der historischen,
mit der logischen Entwickelung parallel verbundenen Stufenfolge, gegen
die einfachere Ansicht von Anaximauder um etwa l'/s Jahrhunderte
vorwärts. Die Idee der Sphären wird zuerst mit völliger Deutlichkeit
von Kudoxus, sowie von seinem Zeitgenossen und Freunde Plato in
dessen ..Republik" gelehrt, während es allerdings zweifellos ist, dafs
bereits Pythagoras oder doch seine Schüler an dieselbe gedacht hatten.
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Man leitete bekanntlich aus dieser Idee die der Sphärenmusik
ab, indem man zunächst jede der sieben Planetensphären mit einem
der sieben Töne der Octave verglich; der achte, die höhere Octave,
stellte eben das Primum mobile, die Fixsternsphäre, dar. Man war
davon überzeugt, dafs der Umschwung dieser gewaltigen llohlkugeln,
an denen so grofse Körper wie Sonne und Mond befestigt waren,
ebenso wie die schnell umschwingenden Räder irgend einer mecha-
nischen Vorrichtung einen Ton von sich geben müfste und dafs das
Zusammenklingen der verschiedenen, so erzeugten Töne, (indem mun
gelegentlich auch das Verhültnifs der einzelnen Planetenbewegungen
sich wie das von Terzen oder Quarten zu einander nach Belieben
anordnete), zu einer wundervollen Harmonie zusammenklingen müfste,
welche das ganze Universum mächtig durchdringt. Nur wir unvoll-
kommenen Erdgeborenen, so meinte man, können diese himmlische
Musik nicht hören, welche das ewige Entzücken der Olympier ist.
Die Pythagoräer, welche, angeregt durch die merkwürdigen Ent-
deckungen einfacher Zahlenverhältnisse für die Längen von schwin-
genden Saiten, die zusammenklingend einen wohlgefälligen Einklang
für unser Ohr erzeugen, in solchen Zahlenverhältnissen das ganze Ge-
heimnifs der Weltordnung verborgen glaubten, haben offenbar zugleich
einen ganz besonders nachhaltigen Anstois zur nähern Beobachtung
der Bewegung der Himmelskörper gegeben. Ja, diese oft belächelte
Mystik der Zahlen, die sich in seltsamen Spielereien in alle Wissens-
zweige der Natur einzudrängen verstand und bis in das hohe Mittel-
alter hinein die philosophische Naturbetrachtung beherrschte, trug
dennoch den Keim in sich, welchem wir das Aufblühen und die Ent-
wickelung unserer modernen exakten Naturforschung und zwar nicht
nur auf dem Gebiete der Astronomie verdanken. Kepler selbst, der
grosse Reformator der theoretischen Astronomie, stand auf dem Boden
dieser Zahlenmystik, als er seine so viel Licht über die Weltordnung
verbreitenden Untersuchungen begann; und die in seinem Erstlings-
werke, dem Mysterium cosmographieum, niedergelegten Resultate sind
noch nichts weiter als mathematisch verfeinerte Variationen über dieses
selbe Thema mystischer Zahlenverhältnisse; er setzte nur für die Zahlen
die bekannten geometrischen Hauptkörper. Wie er dann später zu
seinen umwälzenden Grundregeln der Planetenbewegung gelangte,
werde ich in einem spätem Abschnitte dieser Betrachtung näher aus-
einandersetzen; an dieser Stelle kam es mir nur darauf an zu zeigen,
wie selbst für uns so seltsam wie möglich erscheinende Ideen in
mystischer und dunkler Umhüllung tiefe und fruchtbringende Wahrheit
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enthalten können. In der Harmonie der Weltspliären ahnte das kindlich
naive (iemiith, dem in der Naturhetrachtung noch wenig Erfahrungen
Vorlagen, den gewaltigen Gedanken von der Einheit der weltregierenden
N'aturkräfle. welchen uns jede neuo Entdeckung im weiten Bereiche
der N'atur immer lebendiger vorfiihrt und der die gesamte Natur-
forsch ung unserer Zeit erfüllt und lenkt.
Der Drang, Näheres über die Ordnung der Welt zu erfahren,
regte, mit je mysteriöseren Ideen man das Wallen der Natur umgab,
desto lebhafter und unwiderstehlicher zur Beobachtung an. Als man
deshalb die Anzahl der Sphären erkannt hatte, war es begreiflich,
dafs man es versuchte, die näheren Beweguugsbodingungen derselben
zu ergründen. Man machte dabei die Wahrnehmung, dafs der Mond
etwa nach einem Monat, die Sonne nach eiuem Jahr. Mors nach zwei,
Jupiter nach zwölf und endlich Saturn nuch dreifsig Jahren wieder
zu derselben Stelle des Fixsternhimmels zurückkelirten, und nahm
tlemgemäfs an, dafs diese Planeten (denn man belegte selbstverständlich
Sonne mul Mond damals gleichfalls mit diesem Namen) ungefähr in
demselben Verhältnis, wie sie sieh langsamer bewegten, von uns ent-
fernt stehen miilsten. Merkur und Venus zw ar sind in dieses Sphären-
system schwer einzuordnon wegen der Eigcnthiimlichkeit ihrer Be-
wegung, welche uns später noch viel zu denken gehen wird. Nehmen
wir aber die gröfsteu beobachteten Geschwindigkeiten der Himmels-
körper als Mafsstah für ihre Entfernung, so iniifstcu wir wohl diese
beiden Planeten zwischen Mond und Sonne raugireu. Eine andere
direkte Art der Entfernungsbestimmungen stund den Astronomen des
Allerthums heim gänzlichen Mangel an feineren Mefsinstrumenten nicht
zu Gebote.
Inzwischen aber hatte man noch manche anderen merkwürdigen
Beobachtungen, ganz besonders an Sonne und Mond, gemacht. Dafs
der Mond Phasen zeigt, konnte natürlich den allerersten Beobachtern
nicht entgehen; aber man bemerkte auch sehr bald, dafs die I-age des
Mondes während seiner verschiedenen Phasen in ganz bestimmten
Beziehungen zur Sonne steht. Ich will mich hier nicht länger bei der
Beschreibung dieser jedem Kinde bekannten Thatsachon uufhalten.
Man kann Bich den Beweis dafür, dafs dies*' Phasen eine Folge der
Sonnenbeleuchtung der au sich dunkeln Mondkugel sind, leicht durch
den Augenschein seihst verschaffen, indem mau eine weifse Kugel
rings um eine Lichtquelle herum führt, wobei sich die Mondphasen
auf dieser Kugel zeigen werden. Diese Erscheinung bildet also einen
nachträglichen Beweis von der Kugelgestalt dos Mondes.
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Manchmal jedoch sehen wir die Beleuchtung- des Mondes in ganz
verschiedener Weise sich verändern. Es scheint, als ob sich, und
zwar in viel schnellerem Tempo als sonst die Phasen regelmäfsig
wechseln, bereits im Laufe von wenigen Stunden ein dunkelrothcr.
kreisrunder Schatten über den Mond hinzieht, durch welchen meistens
die verdeckten Theilo desselben noch mattröthlich hindurchschimmern.
Wir wissen, dafs man eine solche Erscheinung eine Mondfinsternifs
nennt. In der beifolgenden Reihe von Mondbildern, welche oben die
bekannten Phasen des Mondwechsels, unten die entsprechenden einer
Mondfinsternifs zeigen, erkennt man sofort die charakteristische Ver-
schiedenheit des Anblicks dieser beiden Phänomene.
Phasen des Mondwechsels und der Mondfinsternifs.
Jedermann hat bereits eine Mondfinsternifs gesehen. Wer sich
jedoch diesen Anbliek in nächster Zeit noch einmal verschaffen will
und es nicht scheut deswegen ein wenig frühe aufzustehen, der kann
bei günstigem Wetter in der Nacht vom lti. auf den 17. dieses gegen-
wärtigen Monats Januar eine solche in Berlin beobachten, hei welcher
allerdings nur etwa sieben Zehntel der ganzen Mondscheibe verdeckt
werden. Die näheren Umstände derselben findet der Leser in einem
anderen Theile dieses Heftes angegeben.
Wir machen hierbei eine merkwürdige Wahrnehmung, welche
w ir in unsere Weltordnung einzureihen versuchen müssen. Den ältesten
Völkern mag die Erklärung dieser Thatsache wohl recht viel vergeb-
liches Kopfzerbrechen gekostet haben, da wir bei ihnen manchen
seltsamen Aberglauben, so beispielsweise auch von Unthiercn, welche
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den Mond fressen, und die sie deshalb, sei’s durch Gebet oder durch
höllisches Geschrei oder endlich durch Gewalt mit Hilfe ihrer Schiefs-
waffen zu vertreiben suchen, vorfindeu. Aber in jener Zeit blühenden
Helleneuthutns, das uns hier schon vielfältig' beschäftigt hat, und bis
auf welches die Kette unserer logischen Schlüsse uns bisher führte,
keimten auch hierüber klare und richtige Gedanken auf.
Es war wiederum jener grofse Denker Pythagoras, welcher wahr-
scheinlich auf Grund noch viel älterer babylonischer Beobachtungen
und Theorien, darauf aufmerksam machte, dafs jener Schalten, der
bei Mondfinsternissen das schöne Gestirn überdeckt, nichts anderes
als unser eigener Erdschatten sein könne, da die Mondfinsternisse
ausschlierslich nur stattllnden, wenn die Scheibe des Mondes voll be-
leuchtet ist, d. h. wenu er genau der Sonne, die ihn beleuchtet, gegen-
übersteht. Die undurchsichtige Erde raufs natürlich um diese Zeit
ihren Schattenkegel in der Kichtung des Mondes in das Universum
hinauswerfen, welche Ansicht man auch über die Welteinrichtung
sonst haben mag, und es war eigentlich nur zu verwundern, dafs nicht
jedesmal bei Vollmond eine Mondfinsternifs stattfindet. Dies war eben
nur dadurch zu erklären, dafs der Mond dann manchmal unter und
manchmal über dem Erdschatten vorüberzieht, seine Balinebene also
nicht völlig mit der Sonne übereinstimmt. Pythagoras wies auch
darauf hin, dafs die weitere Wahrnehmung von der stets kreisrunden
Begrenzung des Erdschattens, welcher auf den Mond fällt, einen an
sich völlig strengen Beweis von der Kugelgestalt der Erde abgiebt.
Denn wäre beispielsweise die Knie eine Scheibe oder eine Walze, wie
es einst Anaxitnauder gelehrt hatte, so müfste bei den verschiedenen
Mondfinsternissen die Begrenzungslinie des Erdschattens offenbar sehr
verschiedene Formen annehmen ; nur eine Kugel allein wirft unter
dun obwaltenden Beleuchtungsverhältnissen immer einen gloichge-
formten Schatten.
So hat uns die immer mehr eingehende Beobachtung der Himmels-
erschoinungen unvermuthet neue, gewissermafsen überschüssige Be-
weise von Thatsachen, wie die Kugelgestalt der Erde und des Mondes,
gegeben, welche schon mit logischer Kraft erbracht wurden waren.
Dieser Umstand ist uns vou hohem Interesse, indem er gleichzeitig
zeigt, dafs auch die übrigen Ansichten vou der Weltordnung, so weil
sie zum Zustandekommen dieser Beweise nölliig sind, richtig Sein
müssen.
Die aufmerksame Verfolgung der eindrucksvollen Erscheinung
einer Mondfinsternifs giebt uns auch noch eine andere Bestätigung
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einer vorhin schon gefundenen Thatsache. Wir können nämlich da-
durch direkt vom Himmel ablesen, dafs die Sonne gröfser sein mufs
als die Erde.
Dieser Beweis ist folgendermaßen leicht zu führen: die direkte
Anschauung zeigt unmittelbar, dafs der Schattenkegel, welchen eine
dunkle Kugel hinter sich wirft, spitz zuläuft, wenn der leuchtende
(legenstand grösser ist als diese Kugel, dagegen sich nach hinten er-
weitert, wenn die Lichtquelle kleiner ist als der Schatten werfende
Körper. Mau kann dieses Experiment jederzeit im eigenen Zimmer
ausrühren. Nun zeigt es sich bei den Mondfinsternissen, dafs die
kreisförmige Begrenzung des Schattens, welcher dann in den Mond
vortritt, zu einem vollen Kreise ausgezogen, eine Scheibe ergiebt, die
am Himmel eine etwa 21 mal im Durchmesser grössere Fläche be-
deckt, als die scheinbare Mondscheibe. Es ist also eine Thatsache,
dafs der Erdschatten in der Entfernung des Mondes um ebenso viel
mehr im Durchmesser hält, als der Mond selbst.
Wissen wir nun, was ja die direkten Messungen uns in der That
ergeben haben — während wir über die Entfernung und die (Iröfse
der Sonne keine solchen anstellen konnten — dafs die Erde 3’/amal
grösser ist als der Mond, während doch der Schatten in der Entfernung
des letztem nur 2 ,/2 mal so grofs auftritt, so ergiebt sich daraus, dafs
der Schattenkegel der Erde in der That spitz zuläuft, dafs also die
Sonne, in welcher Entfernung von uns sie sich auch befinden mag,
gröfser ist als die Erde.
Dieses als Beispiel dafür, wie die denkende Betrachtung der
Himmelserscheinungen ganz unmittelbaren und deutlichen Aufschluß
über die allgemeine Weltordnung zu geben vermag. Mit der Häufung
der entdeckten Einzelheiten, mit der Verschärfung unserer Beobach-
tungen durch subtile Meßinstrumente und der nothwendigen Ausdauer,
mit welcher die Menschheit durch die Jahrhunderte hindurch die
regelmäßige Wiederkehr bewunderter Himmelsschauspiele konstatirt
hat, wachst, verfeinert und verschönt sich, wie wir sehen werden, immer-
mehr das Bild des wundervollen Weltganzen.
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! llUl«
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Da* Zodinkal* oder Th ierkrei*»- Lieht.
Von Professor Wilhelm Foerstor in Berlin.
Die merk würdige Himmslaentcheinung, welche den Namen Thicrkreis-
Lieht führt, ist in ihren eigenthümlichsten Zügen in dem diesem Hefte vom
boigegcbnien Bilde, welche» wir der Qüto lieft Herrn Prof. Dr. Weinek, Di-
rektors der Sternwarte zu Prag, verdanken,1} so dwrgcstellt, wie es unter
günstigen Bedingungen, z. B. in den tropischen und den benachbarten sub-
tropischen Zonen der Erde nach Sonnenuntergang um Abcndhinimel nnc! vor
Sonnenaufgang am Morgenhimmel unverkennbar in die Augen fällt, wogegen
es in u Ilse re n Breiten im ullgemeincn einer ungewöhnlich durchsichtigen Luft,
sowie eines kundigen und für feilte Lichtreise genügend empfindlichen Auges
bedarf, um dasselbe in dieser Gestalt deutlich wahreunehmen.
fn unseren Breiten hat man im allgemeinen die beste Gelegenheit zur
Beobachtung dieser Erscheinung, sobald die Dämmerung zu Ende ist, in den
Abendstunden von Mitte Februar bis Ende März.
Da man auf das Thierkreis-Licht schon seit nahezu 250 Jahren aufmeik-
vHm geworden ist und eine groffte Anzahl der verschiedensten Erklärungen
für dasselbe aufgestellt hat, so könnte es fragwürdig erscheinen, weshalb in
dieser Zeitschrift gonule jetzt die Aufmerksamkeit wieder darauf gelenkt wird.
Die Beweggründe hierzu liegen eincsthoihs darin, dafs es trotz des langen
Zeitraums, innerhalb dessen man das Thierkreis« Licht beobachtet und zu er-
klären versucht hat, noch gar sehr au Klarheit über viele Besonderheiten der
Erscheinung und demgemnfs auch noch ganz und gur an einer hcfriedigeud»*n
Deutung derselben gebricht, und dafs es daher in hohem Grade wiinschen*-
wertli ist, auch unsere Landsleute, die sich jetzt in noch gröfserer Anzahl als
früher in tropischen Gegenden befinden, auf diese anziehende Hiiumelsersehei-
nung um) auf die grofseu wissenschaftlichen Verdienste hinzuweisen, welch**
sic sich durch zahlrciohe und sorgfältige Aufzeichnungen dieses seltsamen
Leuchten» erworben können. Da sie hierzu keines anderen Apparates als einer
leidlich guten Sternkarte bedürfen, ao werden Aufzeichnungen dieser Art gerade
gegenwärtig zu den geeignetsten Können der Mitwirkung von Naturfreunden
au der wissenschaftlichen Deutung himmlischer Rallisel gehören. Gerade solche
Beobachter, welche fern von gi öfteren Ansammlungen menschlicher Wohnun-
'I DasM'll't' wurde von Profeuor Weineck am H. MSm IS75 M l*br Abend* auf PfliDCV
Umkreise von *le*r Ki-rpuelcn-Inxrl im li*“ 4J' «Udlirhflr Breit« und 3K östlicher I_angc von
• irrenwich ( zwischen Mauritius» und den Seychellen -Tn«seln) vom l'a*j;»|fl»*rdnnit'fei‘ aus »igp*-
uommou. Die Spitze dos Zodinkal- Liebln* konnte noch Uber dlo Linie PlftJadWD-AUIebaran v*r-
tolpt weiden. Die l5offi-irn?ung de Licht***, im* weit v*jd einer solchen die Rede Min kann, ww
im Allgemeinen eine ziemlich deutliche; die IntomdljM plich beinah« Jener dor ffTilfccnrn l'*p-
wutko und liaili! ihr Maximum iu etwa iwel Drittel grepeu dio PUuwleu blu. Ins Auge Mlrod
irbien das Abblvgvn <l«*r Beirr* Murunp ruitb ftuf-cn tu der Nfthe den Horizonte*,
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Google
Zodiakal - Licht.
Beobachtet und Kozeichnot von Prof. L. Weinek.
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gen den Himmel betrachten können, werden hierfür geeigneter sein, als die
Beobachter an den südlichen und tropischen Sternwarten, denen leicht sehr
feine und tlarum besonders wichtige Einzelheiten der Erscheinungen durch
die Wirkungen künstlicher Beleuchtung in der Nähe oder Ferne sowie durch
LufttrUbungen selbst geringfügiger Art, wie sie mit der Nähe einer gröfseren
Anzahl menschlicher Wohnungen verbunden sind, verhüllt werden können.
Anderntheils wurzeln die Beweggründe vorliegender Mittheilung darin,
dafs sich in der Fülle der Zeiten manche, durch Forschung» - Ergebnisse
anderer Art befruchtete Gesichtspunkte zusammengefunden haben, welche,
unterstützt durch zahlreichere, möglichst gleichzeitige Beobachtungen an den
verschiedensten Orten der Erdoberfläche, vielleicht einen Weg zu der endlichen
befriedigenden Deutung des Thierkreis-Lichtes weisen könnten.
Obwohl diese Gesichtspunkte noch etwas unentwickelt sind, könnten
sie möglicherweise den Reiz der Erscheinung und die Antriebe zur Mitarbeit
an ihrer Erforschung erhöhen, ohne dafs sie in ihrer hypothetischen Form die
Gefahr mit sich bringen, durch vorgefafste Meinung die Beobachtung zu stören.
Thierkreis -Licht hat man die Erscheinung genannt, w'eil die Lagt» der
Mittellinie dieser Lichtflächen, deren ungefähre Gestaltung und Begrenzung
die Abbildung erkennen läfst, sich im allgemeinen dem Zuge des Thierkreises
(der Ekliptik oder scheinbaren Sonnen-Bahn) am Himmel anschliefst.
Früher hat mau deshalb ziemlich allgemein die Ansicht gehegt, dafs
das Thierkreis-Licht aus der Zurückstrahlung dos Sonnenlichtes von einem
Ringe sehr kleiner Massenlheile bestehe, welcher nahezu iti der E beno der
Erdbahn oder scheinbaren Sonnenbahn liegend, die Sonne umgebe. Die Ebene
dieser Bahn fällt nämlich überhaupt mit einer gewissen mittleren Bahn-Ebene
aller ständigen Mitglieder unseres Sonnensystems ziemlich nahe zusammen, so
dafs man auch für gewisse Scharen kleinerer Masseutkeile, welche, nicht mehr
einzeln erkennbar, sondern nur in ihrer Gesamtheit in reflectirtcm Sonnen-
lichte wahrnehmbar, sich vielleicht zwischen den Bahnen der grösseren Pla-
neten um dio Sonne bewogen, nahezu dieselbe Bahn -Ebene wie für die Erde
aunehmen konnte.
Schiaparelli batte zuerst mit zusammenfassender Kritik vor etwa acht-
zehn Jahren diese Deutung des Thierkreis-Lichtes, als vielen gut beobachteten
Einzelheiten der Erscheinung widersprechend, endgültig abgewiesen. Trotzdem
ist dieselbe, weil keine andere einleurhtond« Erklärung an ihre Stelle gesetzt
werden konnte, bis in die neueste Zeit gerade in populären Darstellungen er-
halten geblieben.
Dem nordamerikanischen Geistlichen Jones verdanken wir aus den
Jahren 1853 bis 1855 eine grofse Reihe auf längeren See-Reisen ausgeführter
sorgfältiger Aufzeichnungen des Thierkreis-Lichtes, zu denen leider nur gleich-
zeitige Beobachtungen in andern Thcilen der Erde fehlen.
Aus diesen seinen Beobachtungen hatte Jones bereits dio Folgerung ge-
zogen, dass das Thicrkrcis-Licht einem die Erde umgebenden, aus sehr kleinen
Massentheilen bestehenden und in rellektirtem Sonnenlicht leuchtenden Ringe,
ähnlich dem Saturusringe, entstamme: aber er hatte dieser Hypothese eine
entscheidende Durchführung nicht zu geben vermocht Insbesondere stellte
sich dem Erklärungsversuche von Jones die Schwierigkeit entgegen, dafs wäh-
rend beim Saturn die Ring- Ebene sehr nahe mit der Ebene seines Aequators
zusammenfällt, der Erd-Ring eine von der Ebene de9 Erd -Aequators ebenso
stark abweichende Lage haben müfste, wie die Ebene der Erdbahn.
Was ganz erklärlich und natürlich erschien, wenn der Ring zur Sonne
gehörte, wurde seltsam und unwahrscheinlich, wenn derselbe die Erde umgab :
Himer»! und Erde. L 4. |7
230
denn die Annahme, durch welche wir cs uns eimgürmafscu deuten, dass die
Hahn-Ebeno unseres Mondes der Ebene der Erdbahn näher liegt, als derjenigen
des Erd - Aequators, könnte für die Lage eines dem Saturnsringe ähnlichen
Ergebnisses zahlreicher centifrugaler Ablösungen kleinster Massentheile von
der Erde schwerlich Verwendung finden.
Auch bedingten manche Einzelheiten der wohlverbürgten Aufzeichnungen
von Jones einen so grofsen Abstand eines solchen Erd-Ringes von seinem Mittel-
punkte, dafs noch andere erhebliche Bedenken jener Annahme entgegentreten
mussten.
Was Jones am unmittelbarsten zu seiner Hypothese Anlafs gab, war die
von ihm und gleichzeitig von dein deutschen Astronomen Brorsen (um 18-H)
gemachte Entdeckung, dafs du Thierkreis -Licht nicht blos aus solchen nach
oben schmaler verlaufenden Lichtstreifen besteht, wie unsere Figur darstellt,
und von denen der eine am Abendhimmel, der andere am Morgenhimmel sich
ein Stück des Thierkreises entlang erstreckend gesehen wird, sondern dass
unter besonders günstigen Bedingungen den ganzen Thierkreis entlang vom
Westhorizont bis zu dem gegenüberliegenden Punkte des Osthorizontes ein
Lichtstreife n sichtbar ist, welcher offenbar die beiden am Abcud- und am
Morgen- Himmel erscheinenden Lichtflächen verbindet, viel lichtschwächer als
diese ist, aber in der Mitte zwischen ihnen, nämlich an dem der Sonne nahezu
gegenüber liegenden Punkte des Himmels, eine Verstärkung der Helligkeit,
den sogenannten Gegenschein, erkennen llfet
Erwägt man dieses vollständigere Bild der ganzen Erscheinung in Ver-
bindung mit den Ergebnissen der Spektral- Analyse ihres Leuchten» etwas näher
und hält mail damit alles dasjenige zusammen, was man bis jetzt über die
Wirkung der abstofsonden Richtkraft der Sonne auf die Gashüllen der Kome-
ten, sowie über die Wirkung der magnetischen Richtkraft der Erde auf das
Material der Polar-Licht-Erscheinungen bis in die höchsten Schichten unserer
Atmosphäre, endlich über die Erfüllung dieser Schichten mit den Bestandtei-
len der daselbst zerstiebenden Sternschnuppen schon erkundet hat, so baut
sich im Geiste das Lu fisch lofs einer Hypothese auf, das möglicherweise in dem
holleren Tageslichte einer noch genaueren Krgrüudung des Thierkreis-Lichies
durch Messung und Rechnung wieder zerfliefet, aber zur Zeit nicht ohne Be-
rechtigung und nicht ohne Interesse ist.
Jedenfalls wird man zu Gunsten dieser Hypothese sagen können, dafs
sie geeignet ist, die Erforschung der Erscheinung neu zu beleben und dadurch
einige noch sehr fragwürdig«' Punkte derselben aufklären zu helfen.
Man weifs zunächst, dafs die Sonne nicht blos in grösserer Nähe, son-
dern bis in Entfernungen, welche ihren Abstand von der Erde bedeutend über-
steigen, auf die Gase, die sich aus den kleinsten Theilen der Kometen -Keime
unter der Sonnenwirkung entwickeln, eine intensive Abstofsungs-Kraft ausiibt,
und dafs unter der Wirkung dieser Kruft und der sonstigen die Bewegungen
eines Kometen regierenden Kräfte die Bildung des Schweifes und die Aus-
breitung desselben in der Bahn-Ebene des Kometen stattßndet.
Nach den neueren Forschungen, deren Erfolge man vorzugsweise Schia-
parelli, aber auch dem nordamerikanischen Astronom Newton verdankt,
kann man kaum daran zweifeln, dass die Sternschnuppen — welche alltäglich
zu vielen Millionen in die höchsten Schichten der ganzen Erdatmosphäre ein-
dringen und dort infolge der Gegenwirkungen der letzteren gegen die grofsen
Geschwindigkeiten ihres Eindringens erglühen und schliefeiieh zerstieben —
Körperchen von ganz derselben Art sind, wie die kleinsten Theile, aus denen
die Kometen - Kerne sich zusammensotzen, und in die sich die letzteren auch
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in manchen Fällen theilweise oder ganz wieder auflösen. (Bekanntlich nehmen wir
in allen Fällen, in denen die Erde die Nähe einer Kometen -Bahn nicht zu
lange vor oder nach dem Vorübergange des Kometen selber passirt, ungewöhn-
lich reiche Sternsehnuppen-Erscheinungen wahr.)
Was liegt nun näher als dio Annahme, dafs die Sonne auf die kleinsten
Theile und die Gase, welche aus dem Zerstieben solcher Kometen -Materialien
in den höchsten Schichten unserer Atmosphäre hervorgehen, sowie über-
haupt auf die kleinsten Theilchen dieser Schichten, dieselbe Art von Ab-
stofsungs kraft ausübt, w'elcho bei den Kometen selber die Ausbreitung von
Schweifen in der Bahn-Ebene in der von der Sonne abgewandten Richtung
hervorrufL
Allerdings liegt die Sache in einem Punkt bei der Erde ganz anders,
als bei den Kometen. Die Kerne der letzteren äufsern nämlich selber nur
üusserst kleine Massen-Anziehungen, wogegen die Anziehung der Erde die zu
ihrer Atmosphäre gehörigen oder in dieselbe eingedrungenen Massentheile
mit bedeutender Kraft an sich zu fesseln vermag.
Eine nicht geringe Anzahl neuerer Wahrnehmungen legen es uns aber
nahe, in den höchsten Schichten der Atmosphäre gewisse im Einzelnen noch
unerklärte Bewegungs-Ursachen und gewisse noch räthselhafte Gegenwirkungen
gegen die blosse Massen - Anziehung der Erde anzunehmen, wodurch jener
Einwand bedeutend vermindert werden könnte.
Es sind insbesondere die elektrischen Zustände der höheren Atmosphären-
schichten, welche hierbei in Frage kommen.
Dass die verhältnissmäfsig so schwache Richtkraft des Erdmagnetismus
bis in Höhen von mehreren hundert Kilometern über der Erdoberfläche die
Polarlicht - Krone aus kolossalen Säulen elektrischer Lichterscheinungen auf-
baut — ein Vorgang, dessen strenge Gesetzmäfsigkeit festgestellt, aber auch
noch nicht befriedigend erklärt ist — , würde noch nicht gerade unmittelbar
beweisend sein für die Möglichkeit, dafs die vorerwähnte Abstofsungskraft,
welche die Sonne auf die kleinsten Theilchen kometarischen Materials aus-
übt, auch die Theilchen in jenen Schichten der Erdatmosphäre aus der Wir-
kungssphäre der Massenanziehung der Erde lösen und in den Weltenraum
hinaustreiben könne. Aber das Vorhandensein jener zweifellos dem elektrischen
Gebiete im weitesten Sinne angehörigen Erscheinungen in solchen Höhen läfst
jedenfalls für die fraglichen Sonnenwirkungen Möglichkeiten offen, die man
nicht durch den blofsen Hinweis auf gewisse Schwierigkeiten der Erklärung
beseitigen kann, sondern demnächst auf mannigfaltige Weise untersuchen mufs.
Aehnlich wie die magnetische Richtkraft der Erde bis in gewisse Höhen
«len Bau der Polarlicht-Säulen bestimmt, könnte in noch größeren Abständen
von der Erdoberfläche die Richtkraft der Sonne, aus den feinsten Theilen der
höchsten Atmosphären-Schichten der Erde, theils im Zustande eines dem Polar-
licht entsprechenden Glühens, theils außerhalb des Erdschattens in reflektir-
tem Sonnenlicht leuchtend, weit ausgedehnte Lichtstreifen oder Lichthüllen
zartesten Glanzes, verwandt mit den kometarischen Phänomenen, auf der von
der Sonne abgewandten Seite der Erde in der Ebene ihrer Buhn ausbreiten.
Hierdurch aber würden sich manche wesentlichen Züge des Thierkreis-
Lichtes ziemlich einfach erklären lassen.
Insbesondere wäre der Gegenschein nichts anderes als der scheinbare
Konvergenzpunkt dieser Lichthüllen oder Lichtstreifen, deren Mittellinie oder
Axe die nach der Nachtseite verlängerte Verbindungslinie des Sonnen- und
des Erd-Mittelpunktes bilden würde.
Die Entstehung einer scheinbaren Lichtanhäufung in einem solchen per-
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spektivischen Konvergenzpunkte von nahezu gleichlaufenden Lichtstreifen ist
ganz ähnlich dem Erscheinen einer Art von Gegensonne,, welche man infolge
der Zurückwerfung der Sonnenstrahlen an der Wasserfläche von Alpenseen
bei zeitweise besonders grofser Ruhe und Klarheit der Luft in derselben Höhe
wie die Sonne und gerade gegenüber derselben wie ein mattes Lichtwölkcben
erblicken kann.
Wenn man aunimmt, dafs ein rechtwinklig zu dieser Mittellinie um den
Mittelpunkt der Knie beschriebener und die Grenzschichten der Atmosphäre
berührender Kreis die Basis bildet, von welcher jene Lichthüllen ausgeben
miifsten, und wenn man ferner annimmt, dafs die Sonne ringsum an der Pe-
ripherie dieses Kreises Wirkungen der in Rede stehenden Art in gleichmüfsiger
Intensität erzeugt, würde der Verlauf jener Lichthüllen die Gestalt einer krois-
formig-cylind rischen oder ein wenig konischen Fläche zeigen müssen. Sowohl
wenn die aus der Erdatmosphäre abgestofsenen Ilcstamltheile der Lichthüllen
bloa mit reflektirtem Sonnenlicht leuchten, als unter der Annahme, dafs zu-
gleich die Entwickelung eines gewissen Selbstleuehtens derselben cintritt, wie
es auch in ähnlichen Fällen bei den Kometon-Ph¬nenen gemischt mit reflek-
tirtem Sonnenlicht vorkommt, würde hieraus, unter Berücksichtigung bekannter
photometrischer Gesichtspunkte und Erfahrungen, abzulcitcn sein, dafs die
Erscheinung für den Beobachter, der »ich innerhalb dieser Lichthüllen auf der
Nachtseite der Erde befindet, »ich folgendermaßen darstellen müfste.
In dem Gegenpunkt zur Sonno müfste die grösste Helligkeit aufireten
und von diesem ausgehend würde sich der Lichtschein mit schnell abnehmen-
der Helligkeit nach allen Seiten gleichmäßig ausbreiten, was aber offenbar
den im Eingänge dieser Mittheilungen geschilderten Besonderheiten der beob-
achteten Erscheinung nicht entspricht.
Es ist jedoch zu bedenken, dafs ähnlich wie bei den Sch weif bild ungen
der Kometen, die Abstofsungs- Wirkungen der Sonne auf die feinsten Bestand-
theile der oberen Atmosphären-Schichten in Verbindung mit den Bewegungen,
welche die letzteren vorher in ihrer Zugehörigkeit zur Ei de empfangen haben
und auch weiterhin infolge der gleichzeitig seitens der Erde und der Sonne
noch fortgehenden Massenanziehung erfahren, eine bedeutende seitliche Aus-
breitung jener Lichtstreifen und Lichthüllen in der Bahnchene der Erde her-
vorbringen müssen. Hiernach wird aber die Helligkeit des vorerwähnten von
dem Gegenpunkt zur Sonne sich ausbreitenden Lichtscheines in der Nähe des
Thierkreises in der That ansehnlich griifser sein müssen, als in gröfsereii
Abständen vom Thierkreise, was dann mit der beobachteten Erscheinung in
wesentlicher Uoberoinstinimuiig ist
Wie ist aber unter jenen Voraussetzungen das starke Anw’achsen der
Helligkeit des Thierkreis -Lichtes in noch gröfscren Abständen vom Gegen-
punkte, nämlich gerade am Abendhimmel und am Morgeuhimmel zu erklären,
also gerade diejenige Erscheinung, welche in der Figur dargestellt ist und
welche friiherhin ausschließlich als das Thierkrois-Licht bezeichnet wurde?
In den Abend- und in den Morgenstunden ist allerdings der Beobachter
gerade diesen Gegenden der Lichthüllen erheblich näher, als er sich um die
Mitternachtsstunde, wo der Gegenschein seine größte Höhe über dem Horizont
erreicht, den diesen Gegenschein umgebenden Theilen des Phänomens befindet.
Aber dieser Umstand scheint nach photometrischen Gesichtspunkten
allein zur Erklärung der gröfscren Helligkeit der Erscheinung am Atand*
und am Morgeuhorizonte nicht Auszureichen.
Indessen verbindet sich hier mit den obigen Erklärung» - Elemente:»
ziemlich zwanglos die Erwägung, dafs voraussichtlich gerade die selbstleuch-
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tenden Theile der Lichthüllen in der Nähe der Erde eine stärkere Licht-
Intensität haben werden als in grofaeren Abständen, weil die irdischen Zu-
stände die Ursache ihres Selbstleuchtens enthalten.
Aufserdera kommt hier der für die Erklärung der Lage und Gestalt-
verhältnisse des Lichtscheines am Morgen* und am Abendhimmel und über-
haupt für die Ausbreitung des Leuchtens in der Nähe dos Thierkreises recht
wichtige Gesichtspunkt hinzu, dafs eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine
stärkere Entwickelung solcher selbstleuchtenden Emanationen in gröfscren
Abständen von den Polen der Erde, also in den tropischen Gegenden slattfiudct.
In letzteren Gegenden fehlt es bekanntlich fast ganz an einer Entwicke-
lung polarlichtähnlicher Erscheinungen, weil, wie es scheint, die elektrischen
Zustände in den höchsten Atmosphären-Schichton in den Polargegenden für
die Hervorbildung der letzteren bedeutend günstiger sind, wogegen dieselben
Elektricitäts- Ansammlungen, deren Verlauf in den Polargegenden das Erschei-
nen der Polarlichter begünstigt, in den obersten Atmosphären-Schichton der
äquatorialen Gegenden der Hervorbildung von Gegenwirkungen gegen die
Massenanziehung der Erde, also der Wirksamkeit der Abstofsungen seitens
der liiehtkraft der Sonne förderlich sind.
Wie sich nämlich immer deutlicher herausstellt, bestehen in den oberen
Atmosphären - Schichten jenseits einer Höhe von .r>0 km Strömlings - Be-
wegungen in Geschwindigkeiten, welche diejenigen der grüfsten Stürme an
der Erdoberfläche beträchtlich übersteigen, und nach elektrischen Theorien,
welche bereits von Farad ay ausgesprochen sind, müssen alle derartigen
Gegcnbewcgungcu gegen die Drehung der Erde angesichts der magnetischen
Wirkungen der letzteren erhebliche Elektrisirungs-Ersclieinungeii zur Folge
haben, welche ihrerseits die vorerwähnten Wirkungen gerade in den Aoqua-
torial-Gegenden befördern würden.
Mit allen oben dargelegtcn hypothetischen Beziehungen steht nun der
Befund der Spektral-Analyse hinsichtlich der Zusammensetzung des Thier-
kreis-Lichtos keinesfalls in Widerspruch, vielmehr in manchen Punkten im
auffallenden Einklänge.
Das Spektroskop hat nämlich enthüllt, dafs das Thierkreis-Licht thoils
reflektirtes Sonnenlicht, thoils Eigenlicht von dem Charakter elektrisch glühen-
der Gase enthält, noch mehr, dato sogar der hervorstechendste Zug dieses
Eigenlichtes mit einem der am ausnahmslosesten vorhandenen und stets am
hellsten entwickelten Spektral- Charaktere des Polarlichtes in Uebereinsltm-
mung ist.
Diesem Befunde würde es auch entsprechen, wenn zwischen den perio-
dischen Schwankungen der Intensität des Thierkreis-Lichtes und den periodi-
schen Schwankungen der Sonnen -Zustände eine Beziehung existirte, wie sie
zwischen letzteren Zuständen und den periodischen Schwankungen der Inten-
sität der Polarlicht -Erscheinungen bereits sicher konstatirt ist. In neuester
Zeit liegt eine derartig«; Untersuchung über das Thierkreis - Licht vor, welche
behauptet, eine Beziehung zwischen einer Periode der Intensitäts-Schwankungen
desselben und der Periode der Sonnnonflecken gefunden zu haben, aber kaum
als beweiskräftig genug gelten kann. Merkwürdig ist es aber, dafs schon im
17. Jahrhundert der Pariser Astronom Cassini, einer der ersten und eifrigsten
Beobachter des Thiorkreis- Lichtes, auf einen derartigen Zusammenhang der
jeweiligen Intensität dieses Lichtes mit den Sonnenflecken-Erscheinungen auf-
merksam geworden ist.
Ich glaube, dafs es vorläufig genügen wird, auf obige Zusammenhänge
hingewiesen zu haben, um die Beobachtung dieser wichtigen Erscheinung neu
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beleben zu helfen. Eine vollständige mathematisch-physikalische Durchbildung
obiger noch »ehr unentwickelter Gedanken ist zur Zeit noch nicht möglich,
weil wir uns in betreff der Zustände in den obersten Schichten der Erdatme -
Sphäre gerade in einem überaus anziehenden Stadium der Forschung» -Ent-
wickelung befinden, in welchem jeder Tag Neues bringt, aber noch zu wenig
feste Anhaltspunkte für eine eigentliche Theorie gegeben sind.
Dafa man bei andern Planeten, auch bei den Sonnennähen und sicher
von einer Atmosphäre umhüllten, wie Venus, nicht Aehnliches, wie unser
Thierkreis-Licht nach obiger Hypothese sein würde, wahmimmt, kann man
leicht dadurch erklären, dafs so zarte Lichterscheinungen durch die gleich-
zeitigt« Wahrnehmung des von jenen Himmelskörpern reflektirten Sonnenlichtes
für uns vollständig verdeckt werden können.
Was scltliefslich die im Eingänge erwähnte Mitwirkung bei der Beobach-
tung des Thierkrois-Lichtes angcht, so würde, wio dort schon angedeutet, diese
gerade von Seiten der Laien sehr wünscheuswertho und »ehr wohl mögliche
Mitarbeiterschaft in einfachen Aufzeichnungen der von ihnen entweder am
Morgen- oder am Abendhiraxncl gesehenen Umrisse des in unserer Figur dar-
gestellten Leuchten» mit Eintragung derselben in eine leidlich gute Sternkarte
und sodann in den mittleren Nachtstunden darin bestehen, dafs man in der
Nähe des Gegenpunkte» zur Sonne und auf beiden Seiten desselben in der
Richtung des Thierkreis-Verlaufes auf das Erscheinen von matten unbestimmt
begrenzten Lichtllächen achtet und dieselben ebenfalls mittels der Sternkarte
zu fixiren sucht.
Die jeweilige Lage diese» Gegenpunktes und des an denselben an-
schlicfacndcn Verlaufes des Thierkrcises wird inan mit Hilfe der Sternkarten,
welche diesen Verlauf meistens angeben, leicht feststellen können. Für die
Auffindung der ungefähren Lage des Gegenpunktes im Thierkroise enthalten
ilie gewöhnlichen Kalender wohl genügende Anhaltspunkte; auch kann er
dadurch bestimmt werden, dafs er etwa die Mitte entnimmt zwischen den-
jenigen Thierkreisbildern, welche jeweilig bald nach Sonnenuntergang in der
Nahe des West- Horizontes, und denjenigen, welche kurz vor Sonnenaufgang
in der Nähe des Ost- Horizontes sichtbar sind.1)
f
Das Polarlicht
Von Dr. B. Weinstein, Privatdozent in Berlin.
lieber das , wohl manchem unserer Leser aus eigener Anschauung
bekannte, Polarlicht ist schon viel gesprochen und geschrieben worden; fast
jede« Land hat eino Reihe bedeutender Abhandlungen oder umfangreiche
Werke über dasselbe aufzuweisen. Indessen ist unser Wissen von dieser
merkwürdigen Erscheinung noch hei weitem nicht als abgeschlossen zu
betrachten, weder die Gesetze derselben noch selbst ihr Verlauf in den einzelnen
Phasen ihrer Entwickelung ist uns vollständig bekannt. Unter solchen Ver-
hältnissen ist cs gut, wenn von Zeit zu Zeit das neu erfahrene mit dem bereits
■> Wahrend wir soeben diesen Artikel dem Drucke Überleben, erhält dio RedakUoo eia
Schreiben de« Herrn Sherman in UalUmnre. in welchem derselbe Mitthoilung von «ingeben*
den rntcrxuchungen über dag Zodiakal- Dicht macht und ein Diagramm beifügt, das den Zu«
Mammenhang der Hclliffkeitxschwaakungen dieses Dichte» und der IläuJigkeit der Sonnen fleck«-
deutlich zeigt. Die Redaktion Rieht sich der Hoffnung hin, von genanntem Herrn dunmilchsi
Naher«!« Ober dies« interessanten tn Versuchungen zu erfahren.
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bekannten zusammengestellt und verglichen wird, denn, wie in so vielen
andern Gebieten der Naturwissenschaft lassen sich auch hier eine grobe*
Menge von Hypothesen über das Wesen der Erscheinung aufstellen, und wir
können kaum anders zur Klarheit gelangen, als indem wir an der Hand stets
neuer und neuerer Erfahrungen, die vielen Ansichten eine nach der andern
prüfen, um die Zahl derselben nach und nach zu verringern. Eine solche
neue Uebersicht dürfte aber gerade jetzt am Platze sein, wo die schönen
Arbeiten von Wolflf, Fritz und Tromholt über die Perioden des Polarlichts,
die prächtigen und in ihrer Art einzigen Beobachtungen Nordenskjölds auf
der Vega in der Nähe der Beringstrafse, Kochs, des Beobachters der deutschen
Polar-Expedition in Labrador und Lemströms im nördlichen Finnland eine
ungeahnte Fülle neuer Thatsachen an den Tag gebracht haben und Hoffnung
gewahren, daf9 wir doch endlich auch hier die Natur des Schleiers, wenigstens
theilweise, werden berauben können.
Früher war in unsern Breiten für diese Erscheinung der Name Nord-
licht üblich, weil dieselbe für uns vornehmlich am nördlichen Horizont auftritt.
Da jedoch derartige Lichter auch auf der südlichen Halbkugel und zwar
zumeist im Süden erscheinen und dieselben andererseits selbst bei uns nicht
immer auf den Nordhimmel beschränkt sind, ist der Name Polarlicht besser,
wenngleich auch nicht ganz zutreffend.
Die Erscheinung beginnt bei uns meist mit einer, in unsern Breiten der
Hegel nach im Nordwesten, am Horizont aufsteigenden, oben kreisbogenförmig
begrenzten dunklen Wand, welche als das dunkle Segment bezeichnet
wird und wahrscheinlich auf einer später genauer darzulogenden Kontrast-
wirkung beruht Schon während dos Aufsteigcns oder bald nachher zeigt
sich der obere Rand des Segments leuchtend, und es bildet sich an demselben
ein vollständiger, nach innen scharf begrenzter, nach aufsen etwas ver-
waschener, mehr oder weniger breiter Lichtbogen von gelblichem Farbenton,
unten roth, oben grün gesäumt. Nun schiefsen aus dem Bogen Strahlen her-
vor und vereinigen sich allmählich bei voller Entwickelung anscheinend in
einem Punkte südöstlich vom Scheitel des Beobachters zu einer blutrothen
Krone. Der Vereinigungspunkt fällt meist in denjenigen Punkt des Himmels,
nach welchem das obere Ende einer frei aufgehängten Magnetnadel an dem
betreffenden Orte hinweist, in den magnetischen Scheitelpunkt des Ortes,
oder doch nicht w’eit davon. Oft gesellt sich zu dem Bogen iin Nordwesten
des Himmels noch ein zweiter im Südosten, wir haben dann ein Nordlicht
und ein Südlicht, und es streben die Strahlen der beiden Lichter nach dem-
selben Punkt, wieder dem magnetischen Zenith. Es scheint dann der ganze
Himmel von Lichtsäulen gebildet zu sein, die sich zu einem Zelt anorduen;
die Spitze dos Zeltes nimmt die Krone ein, und erglänzt oft in so wunder-
barer Pracht, dafsdie Beobachter nicht Worte genug sie zu preisen finden, sie
auch wohl wegen des goheimnifsvollen Glanzes, der sie umgiebt, das Iliminels-
auge nennen, und sich nicht selten in den poetischsten Ergüssen bei ihrer Er-
wähnung ergehen. Häufig steigen, ohne dal's sich ein besonderes Südlicht
zeigt, von verschiedenen Punkten rings um den Horizont besondere Licht-
säulen auf, die zusammen mit den vom Bogen hervorgegangenen wieder ein
tlammendes Zelt darstellen. So kann der Himmel mehr oder weniger von
Lichtsäulen erfüllt erscheinen. Dein entsprechend ist auch die Krone bald
vollständig nach allen Seiten begrenzt, bald von Lücken durchbrochen oder
gar nur zur Hälfte vorhanden. Dio Mitte der Krone ist meist von Licht gänz-
lich frei und gewährt den Eindruck, als ob inan durch die Spitze des flam-
menden Zeltes in die nächtliche Dunkelheit hinausblickt.
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Mit dt»r Ausbildung der Krone lut die Erscheinung den Höhepunkt
ihrer Entwickelung erreicht; allmählich beginnen jetzt die Strahlon zu ver-
blassen, die Umrisse werden verschwommen, und zuletzt ist von der ganzen
Erscheinung nichts übrig geblieben, als ein allgemeines röthlichcs oder grün-
lich-gelbes Leuchten des Himmels, welches auch nach und nach abklingt.
Nicht immer ist damit auch die ganze Erscheinung abgeschlossen, oft erwacht
das Polarlicht unmittelbar zu neuer Thätigkcit, bildet wieder Bogen, Strahlen
und Krone, und so setzt sich das Spiel des Entstehens und Vergehens mit
kurzen Unterbrechungen viele Stunden, ja viele Tage lang fort
Das sind die Hauptzüge iu der Entw*ickelung des Polarlichts. Sie
kehren mit einer gewissen Gleichförmigkeit immer wieder; in den Einzelheiten
herrscht aber eino so außerordentliche Mannigfaltigkeit, daß nur die Arbeit
vieler Hunderte von Beobachtern und in den verschiedensten Zonen uns ein
einigermaßen vollständiges Bild von dem Reichthum an Formen, Bewegungen
und Farben in den Polarlichtern hat gewähren können.
Fig. 1.
Der Hauptheil der Erscheinung Hind die Lichtbogen mit den zugehörigen
Strahlen; sie entstehen nicht immer als Begrenzungen der dunklen Segmente;
steigen besondere Lichtsäulen empor, so können, indem zwei von ihnen sich ver-
einigen oder eine Lirhtaäule den ganzen Himmel überzieht, neue Bogen gebildet
werden, und oft zerlegen sich bereits bestehende Bogen scheinbar iu 2 oder
Bogen. So können unter Umstäuden bis zu Ö und mehr Bogen den Himmel
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überspannen. Koch, dessen Beschreibungen der Polarlichter, die derselbe
während der internationalen Polarexpcdition rn Nain in Labrador beobachtet
hat, zu den schönsten und eingehendsten Darlegungen und Resultaten über
unser Phänomen führen, hat diese Entstehung von Bogen und Liehtsäulen
und diese Zerspaltung einzelner Bogen in mehrere, oft genug wahrgenommen,
er hat aber auch bemerkt, dafs manchmal zwei Bogen wieder in einen Bogen
übergehen, wie über ein Jahrhundert vor ihm der bekannte schwedische
Forscher Celsius. Sind am Himmel mehrere Bogen vorhanden, so können
dieselben von verschiedenen Punkten des Himmels ausgehen und in ver-
schiedenen Punkten desselben enden, sie theilen dann den Himmel in Parallel-
streifon (Fig. 1) ; oft aber besitzen alle oder einzelne Gruppen gleichen Ausgangs-
und Endpunkt, so dafe sie sich am Horizont zu durchschneiden scheinen. Nor-
denskjöld hat auch Bogen beobachtet, welche von derselben Stelle am Horizont
ausgingen aber nach entgegengesetzten Seiten den Himmel überspannten, und
I^emström hat Bogen mitten am Himmel sieh scheinbar durchkreuzen sehen.
Die Bogen sind auch nicht immer vollständig, sie brechen manchmal plötzlich
ab, und nicht selten scheint ein Bogeustiick überhaupt frei in der Luft zu
schweben, indem es nach keiner Seite den Horizont berührt. Solche Stücke
von Bogen treten namentlich beim Zerfall des Polarlichts nach Ueberschreitung
der Stufe höchster Entwickelung auf und bringen den Eindruck hervor, als
ob die Erscheinung gewaltsam zerstört und in einzelne Fetzen zerrissen wäre.
Die Bogen haben meist die Gestalt von Kreisabschnitten, man bemerkt jedoch
eine grofse Wandelbarkeit der Formen. Einige sind elliptisch gestaltet, andere
biegen sich in der Nähe des Horizonts nach innen ein, um dann wieder nach
aufsen zu gehen (Fig. 2). Es sind auch vollständige Ringe von Kreis- oder
Ellipsenform beobachtet worden. Solche Ringe stellt unsere Fig. 8 dar;
hier deutet freilich die schweifartige Lichtentwickelung nach dem Horizonte
darauf hin, dafs wir es nicht wirklich, sondern nur scheinbar mit geschlossenen
Figuren zu thuu haben. Während der gewaltigen Polarlichtentwickelungen
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Kegen Ende August und Anfang September des Jahres 1859 ist aber auch
einmal ein völlig frei schwebender Lichtring von Howe in Halifax gesehen
worden, es soll derselbe aus der Vereinigung zweier Lichtbogen entstanden
sein. Vor Celsius Augon spaltete sich ein Bogen in zwei Theile, welche
auseinandergiugen und sich zu einem Ringe vereinigten, der sich oscillirend
stetig verengte. Derselbe Forscher sah auch eine einfache Lichtsäule sich zu
einem Ringe zusammenkrilmmen. In andern Fällen wieder beobachtet man
Lichtbogen sich ganz oder an einem Endo spiralig aufwinden (Fig. 4), in
vielfachen schlangenartigen Krümmungen hin und hergehen oder sich zu
prachtvollen, völlig frei schwebenden Schleifen gestalten.
Sind dio Lichtbogen breit, so machen sio mehr den Eindruck von Vor-
hängen, Mänteln und Draperien, sie zeigen dann häufig Falten, scheinen
wirklich vom Himmel herabzuhängen und gehören mit zu den schönsten
Erscheinungen des Polarlichts (Fig. *2).
Fig. 4.
Die Bogen bieten oft den Anblick einor stetig zusammenhängenden
Lichtbrücko; gehen sie in Draperien über, so ist dio strahlige Struktur der-
selben meist unverkennbar; aber auch einfacho Bogen zeigen an einzelnen
Stellen oder in ihrer ganzen Ausdehnung, dafs sie eigentlich aus sich anein-
ander reihenden Lichtsäulcn gebildet sind, und oft sind dieso Lichtsäulen von
einander so scharf getrennt, dafs die Zwischenräume zwischen ihnen tief
dunkel erscheinen und zu der Annahme schwarzer Strahlen geführt haben.
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I
Ganz wunderbare Bildungen hat zweimal Celsius zu beobachten Gelegenheit
gehabt. Am 19, Februar 1731 sah derselbe eine kreisförmige Lichtanhäufung
im Zen itli und von dieser einen leuchtenden Schweif in mannigfachen Win-
dungen dem Horizont zustreben. Die Erscheinung hielt sich etwa eine halbe
Stunde und schwand dann nach Norden hin. Einige Wochen später, am
3. März, erschien eine Reihe concentrischer Ringe, die längere Zeit flammend
und undulirend Uber dem Scheitel des Beobachters standen.
Es ist sehr schwor, in dio grofse Mannigfaltigkeit von Formen Systpm
zu bringen, denn du wir, wie später genauer darzulegen sein wird, ja nicht
die Erscheinungen so sehen, wie sie wirklich sind, sondern nur so, wie sie sieb
um Himmel projiciren, kann ein und dasselbe Gebilde je nach seiner Stellung
zuin Beobachter die aUerverschiedcnsten Gestalten annehmen. So kann ein
Kreisring bald iu seiner eigentlichen Gestalt, bald als Ellipse oder gar gerade
Linie erscheinen, und eine gewöhnliche (pfropfenzieherartige) Spirale den An-
blick einer flachen in sich aufgerollten Spirale oder einer Schleife oder eines
verbogenen Bandes oder einer schlaugenartigen Figur und seihst den eines Ringes
gewähren. Daraus erklärt sich, weshalb die Beschreibungen getrennter Be-
obachter bei einem und demselben Polarlicht immer nur in den grofson Zügen
iibereinstimmen, in den Einzelheiten aber bedeutende Abweichungen aufweisen
können. Aber auch die geographische Lage des Ortes scheint für die Ge-
staltung des Polarlichts bestimmend zu sein; in der eigentlichen Ilcimath der
Polarlichter ist der Forinenreichthum viel größer als bei uns, und manche von
Nordpolfahrern geschilderten Gebilde sind so abenteuerlich, daß wir, weil sie
in niederen Breiten nicht auftreten, sie für der Phantasie entsprungen zu
halten geneigt sind.
Payer hat den Versuch gemacht, die versc hiedenen Formen der Polar-
lichter zu klassiflziren; wir sind seiner Bezeichnungsweise im vorstehenden
größtenlhcils gefolgt. Dünn glaubte Nordcnskjöld, die nördliche Halbkugel
wenigstens in Zonen cintheilen zu können, innerhalb deren gewisse Formen sich
ganz besonders zeigen sollen. Er nimmt .r> derartige Zonen an, die wir an
anderer Stelle noch zu betrachten haben werden.
Der Mannigfaltigkeit in den Formen entspricht eine ebenso grofse Viel-
seitigkeit hinsichtlich der Bewegungen. Neben einfachen Translationen von
Strahlen und ganzen Bogen finden wir Drehungen und Oscillatiouen, welche
bald ein ganzes Gebilde als solches ergreifen, bald sich nur auf einzelne Thoile
erstrecken; oft auch sicht man am Himmel Wellensysteme sich fort pflanzen
und die Bogen, Strahlen und Draperien durchziehen.
Die am längsten bekannte Bewegung besteht in dem Aufsteigen des
dunklen Segments und mit ihm des Bogens über dem Horizont. Es kann
dieses Aufsteigen so langsam vor sich gehen, dafs der Bogen am Himmel
fcstzuslehen scheint. Dann ist beobachtet worden, wie manchmal ein Bogen
sich quer zu »einer Ebene am Himmel vor und zuriickschiebt. Geht ein
solcher Bogen durch den magnetischen Zenith, dann findet meist eine Kronen-
bilduug statt, indem zugleich die Zusammensetzung des Bogens uus Lichtsäulen
klar hervortritt. Ein Bogen kann sich über den Himmel auch noch in der
Weise schieben, dafs seine Fufspunkle auf dem Horizonte fest aufzuruhen
scheinen; er dreht sich wie um ein Charnier und kann so den ganzen Himmel
durvhluufen, wobei wieder beim Durchgang durch den magnetischen Zeuith iu
der Regel eine Krone hervortritt. Derartige Hin- und Ilerschicbungen und Vor-
und Rückdrehungen von Bogen hat Koch in Naiu (Labrador) und Celsius iu
Schweden außerordentlich oft beobachtet, nicht selten trat der Fall ein, dafs
mehrere Bogen gleichzeitig sich verschoben und drehten und ein Bogen mehr-
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mals den Himmel hin und zurück durchquerte und so bald dem südlichen,
bald dem nördlichen Firmament angehörte. In unsern Breiten scheinen diese
ins Gewaltige gehenden Translationen und Drehungen seltener bemerkt zu sein,
sie sind aber bei grofsen Polarlichtentfaltungen auch hier gesehen worden.
Kino andere Bewegungsart ist während des grofsen Polarlichts von 1859 mehr-
fach beobachtet worden; man sah Bogen in ihrer eigenen Ebene hin und
her gehen, so dafs ihr Scheitel um eine gewisse Mittellage zu oscilliren schien.
Diese Bewegungen betreffen die Bogen als solche, wobei letztere sich wie
starre Gebilde verhalten, und dürfte vornehmlich in den nördlicheren Regionen
Vorkommen. Die Bewegungen innerhalb der Bogen selbst werden überall ge-
sehen, sie lassen dieselben wie elastische Bänder erscheinen, welche von
Wellen durchlaufen werden. Irgend wo in einem Bogen zeigt sich eine Licht-
vermehrung, und diese lauft mit grofser Geschwindigkeit durch den Bogen
nach der einen oder andern Seite. Eine besondere Richtung für diese Wellen-
bewegung ist nicht herauszuerkennen, sie geht bald nach rechts bald nach
links, wenngleich an manchen Abenden eine Richtung bevorzugt zu werden
scheint. So sah man bei dem Polarlicht vom ersten zum zweiten Sep-
tember 1859 in Nordamerika und den Antillen die Bewegungen eine ganze
Zeit lang von West nach Ost gehen, dann aber ihre Richtung ändern und von
Ost nach West forteilcn, während aus Südamerika in dem dort beobachteten
Südlicht nur Bewegungen von Ost nach West erwähnt werden. Wie aber
auch die Richtung dieser Wellen sein mag, immer ist eine Welle an ihrer
vorschreitenden Seite roth, an ihrer nachfolgenden grün gefärbt. — Auf diese
Konstanz der Farbenorientirung sowohl in Bezug auf die Säume der Bogen
als in Bezug auf die Wellen hat Humboldt grobes Gewicht gelegt, und sie
wird vielleicht später zur Einsicht in das Wesen der Polarlichter beitragen.
Nach der Beschreibung der meisten Beobachter scheint es sich hier nur
um die Fortpflanzung einer Lichtvermehrung zu handeln, aus manchen An-
gaben könnte man schliefsen, dafs auch wirkliche Faltungen in dieser Weise
die Bogen durcheilen.
Entsprechende Bewegungen finden wir bei den Strahlen und Lichtsäulen.
Manche Strahlon steigen von einem Bogen oder vom freien Horizont so rasch
empor, dafs die Bezeichnung emporsch ie fsen sehr wohl am Platze ist; sah
doch Bravais einmal einen Strahl in weniger als einer halben Minute den
halben Himmel durchqueren, und Celsius sagt, dafs man den Strahlenbewegungen
oft durchaus nicht zu folgen vermöge. Andere fahren pendelnd hin und her
und drehen sich um gewisse Punkte, und indem ihre einzelnen Stellen nach
einander aufleuchten und dunkeln, gewähren die Strahlen den Anblick
zuckender und lodernder Flammen. Lemström hat in Lappland Lichtan-
häufungen heobachtet, die ganz und gar einer wild bewegten Feuersbrunst zu
vergleichen sind.
Der Eindruck, welchen diese und ähnliche Bewegungen auf den Be-
schauer machen, wird noch dadurch erhöht, dafs dieselben häufig mit beson-
deren Fonnveränderungen verbunden sind. Ergreift eine Bewegung ein
ganzes Gebilde, so kann es dasselbe zu dem Beobachter in eine neue Lage
bringen, es wird ihm gewissermafsen von einer andern Seite gezeigt, und so
wird scheinbar eine eingreifende Umgestaltung oft in so kurzer Zeit vollzogen,
dafs das Auge der scheinbaren Formänderung kaum zu folgen vermag.
Natürlich können aber auch wirkliche Formveränderungen Vorgehen, gerade
Lichtsäulen krümmen sich und nehmen Schlangengestalt an, Bogen reiben
und rollen sich zu Spiralen oder Ringen auf. Diese mannigfachen Bewegungen,
das Durcheinanderfahren der einzelnen Gebilde, die mächtigen Lichtpulsationen
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und momentanen, oft mit Zerstörung ganzer Glieder verbundenen Formver-
änderungen haben wohl vornehmlich Veranlassung zu der Annahme der
eigenthümlichen Spukgestalten gegeben, welche die Alten und unsere Vorfahren
in den Polarlichtern zu erblicken vermeinten. Die Römer sahen Waffen hin-
und herzucken und Kampfer in wilder Schlacht sich gegenseitig niedermetzeln,
und die nordischen Germanen glaubten die Walküren auf glühenden Rossen
von Walhall hervorstürmen zu sehen, um Wotans Saal mit Helden zu füllen.
Noch im Anfang des 17. Jahrhunderts beschreibt ein französischer Kdelmann
zwei von ihm am 13. und Io. September 1606 beobachtete I’olarlichter so, als
ob cs sieh um einen blutigen Kampf am Himmel gehandelt hätte. Da werden
Reiter als gegen einander fechtend erwähnt; der stürzt, sucht sich zu erheben
und wird wieder niedergeschlagen. Lanzen und Piken fahren gegeneinander,
und Schlachtwagen und Kämpfer bilden ein verwirrendes und unentwirrbares
Durcheinander.
Ob alle diese so gewaltigen Bewegungen mit irgend welchen hörbaren
Geräuschen verbunden sind, oder ganz lautlos vor sich gehen, ist nicht aus-
gemacht. Celsius erwähnt in seinen Beobachtungen sehr oft ein Summen.
Zischen oder ein Rauschen wie das eines Gebirgsbaches gehört zu haben,
und auch von vielen Seefahrern und Reisenden werden mannigfache Geräusche
während der einzelnen Bewegungen hervorgehoben. Aber weit grüfser ist die
Zahl derer, welche trotz gespanntester Aufmerksamkeit niemals irgend einen
Ton vernommen haben, der dem Polarlicht selbst unzweifelhaft zugeschrieben
werden könnte. Humboldt meint, die Polarlichter seien schweigsamer geworden,
seitdem man sie genauer beobachte und belausche. Täuschungen sind ja hier
aufserordentlich leicht, denn jedes Geräusch, welches zufällig eine Bewegung
einer Polarlichtsäule begleitet, wird ganz natürlich, da alte Sinne ganz auf
die besondere Erscheinung gerichtet sind, auf dieso Bewegung bezogen; und
Geräusche sind fast zu jeder Zeit, sei es von den atmosph arischen Strömungen,
sei es von Bewegungen in den umgebenden Körpern herriihrend, ja selbst in
unseren Ohren durch die Blutbewegung vorhanden. Indessen kann man nicht
gut direkte Angaben eines Forschers wie Celsius und Zeugnisse hervor-
ragender Beobac hter in grofser Zahl ohne weiteres bei Seite legen und sämtlich
als auf Täuschungen beruhend erklären, und wenn andere Forscher, wie
zura Beispiel auch Koch, ausdrücklich erklären, Polarlichter stets in absoluter
Stille sich entwickeln gesehen zu haben, müssen wir vorläufig noch annchmen.
d*fs allerdings Geräusche im allgemeinen die Polarlichtbewegungen nicht
begleiten, in einzelnen Fällen — wahrscheinlich wenn die Polarlichter sich
in den tieferen Regionen der Atmosphäre ubspielen — aber selir w’ohl diese
Bewegungen nicht ganz lautlos vor sich gehen.
Einen weiteren wohlthuenden Gegensatz zu dem wilden Durcheinander
in den Bewegungen bildet die Milde des Lichtes, welches die einzelnen
Gebilde ausstrahlen. Greller Glanz kommt wrohl niemals vor, das Licht ist sanft
wie das des Mondes. Die Helligkeit ist sehr variabel, sie kann so bedeutend
werden, dafs selbst der kleinste Druck deutlich gelesen zu worden vermag,
dürfte jedoch die einer Nacht bei Vollmondbeleuchtung nur selten erreichen.
Lemström erw'ähnt, dafs man in Lappland in manchen Nächten unter dem
Schein des Polarlichts durch don dichtesten Wald zu reisen vermag. In der
langen Winternacht der cireumpolaron Regionen helfen diese Lichter den
Menschen die Abwesenheit der Sonno wenn auch nicht vergessen aber doch
weniger schmerzlich ertragen.
Nicht immer natürlich bieten die Polarlichter gleiche Grofsartigkcit an
Formenreichthum und Bewegungen. In hohen Breiten, wo in manchen
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243
Regionen das Polarlicht fast ständig zu sehen ist, zeigt es sich oft als Licht-
masse, welche don Himmel überall oder an einzelnen Stellen erfüllt, den
Namen Polarlichtdunst führt und nur hier und da einige Struktur erkennen
läfst Dann wieder sioht man es sich auf einen einzelnen Logen oder wenige
Strahlen oder eine kurze Draperie beschränken, wobei die Lichtprozesse sich
in gröfster Ruhe abspielen. Nordonskjöld sah im Polarmeer in der Nähe der
Beringstrafse tagelang einen Lichtbogen in majestätischer Erhabenheit und
Unbewegtheit den Himmel umspannen. Mit der Mannigfaltigkeit an Einzel*
grbilden nimmt gewöhnlich der Reichthum an Bewegungen zu, doch sind in
unseru Breiten solche Entwickelungen, welche auf die Gemüther der Menschen
so gewaltig einwirken, dafs sie zu der Idee gespenstorhafter Kämpfe fuhren
können, selten und, wie wir später schon werden, an bestimmte Perioden
gebunden.
Die Höhe, in welcher die Polarlichter ihren Glanz entfalten, ist eine
sehr veränderliche, scheint aber um so bedeutender zu sein, je weiter man sich
von den Polen entfernt ln den arktischen und wohl auch in den antarktischen
Gegenden sieht man nicht selten Polarlichtsäulen sich fast von dem Boden
oder von Bergspilzcn erheben. Lcmström führt sogar aus seinen Unter-
suchungen in Lappland Fälle an, in welchen Lichter über Häusern erschienen
und der Beobachter selbst Bich in Polarlichtdunst befand. Aus Südamerika
wird gemeldet, dafs die Spitzen der Cordilleren manchmal Licht ausstrahlen,
und Saussure sah auch einige Alpenspitzen plötzlich leuchtend werden. Auf
die Theorie des Polarlichts wird in einem zweiten Artikel eingegangen werden,
hier sei jedoch hervorgehoben, dafs bei diesem Leuchten aus der Erdoberfläche
hervorragender Gegenstände es sich meist um eine einfache Ausströmung von
Elektrizität zur Ausgleichung mit Ladungen über der Erdoberfläche handelt,
ähnlich wie bei dem den Schiffern auf Segelschiffen wohlbekannten, die
höchsten Mastspitzen krönenden Sanct Elmsfeuer, und dafs möglicher Weise
diese Art der elektrischen Ausströmung nichts mit dom eigentlichen Polarlicht
zu thun hat. Die Hohe der über der Erdoberfläche schwebenden unzweifel-
haften Polarlichter kann anscheinend bis zu 1000 und mehr Kilometer erreichen,
aber auch bis auf wenige Kilometer herabgehen. Freilich ist die Berechnung
dieser Hohe eine äufserst unsichere, sie wird aus der Verschiedenheit der
Lage am Himmelszelt eines und desselben Gebildes für zwei verschiedene Be*
obachtungsorte abgeleitet, hat also zur Voraussetzung, dafs dieses Gebilde an den
beiden Beobachtungsorten in gleicher Form gesehen wird. Das letzere braucht
aber, selbst wenn die Beobachtungen genau zu derselben absoluten Zeit aus-
geliihrt worden, durchaus nicht der Fall zu Bein, weil wir, wie schon bemerkt,
die Gebilde nicht so sehen, wie sie wirklich sind, sondern wie sie sich am
Himmel projiciren, die Projectionsform aber von dem Standpunkt des be-
trachtenden Beobachters abhängt, mit der Veränderung dieses Standpunktes also
nicht allein eine Veränderung in der Lage, sondern meist auch in der Gestalt
des betreffenden Gebildes eintritt. Soviel darf aber wohl aus den mannigfachen
Messungen, welche bereits vorliegen, geschlossen werden, dafs die meisten
Polarlichter selbst in ihrer eigentlichen Heim&th hoch über allen Wolken
schweben. Celsius erwähnt in seinen vieljährigen Beobachtungen keinen ein-
zigen Fall, wo eine Wolke durch ein Polarlichtgebilde von unten erleuchtet
worden wäre, also über diesem Gebilde sich befunden hätte. Koch hebt aus-
drücklich hervor, dafs dio vielen von ihm gesehenen Polarlichter alle über
deo Wolken sich entfaltet hätten, und ähnlich lauten die Versicherungen
weitaus der meisten andern Beobachter. Ja Ferner leitete aus Messungen in
l’paala für dio Höhe der Polarlichter mehr als 1500 Kilometer ab; andere
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244
geben geringere Zahlen an, Thorbern Bergmann aus eigenen und fremden
Messungen gegen NOO Kilometer, Bravais aus «len so eingehenden und schönen
Untersuchungen der französischen Kommission , welche den Winter von
1838 auf 1839 zu Bosse kop mehr als 130 Polarlichter zu beobachten Gelegen-
heit hatte, etwa 120 bis IAO Kilometer u. s. w. Das sind alles immerhin nicht
unbedeutende Höhen. Aber andere Beobachter haben Polarlichter in sehr
viel geringeren Erhebungen über der Erdoberfläche gesehen. -Henry M.
Banniatcr beobachtete 186r> am *21. August zu St. Michael (KJ0 nördlicher
Breite) zwischen Alaska und der Beringstrafse ein nach allen Seiten strahlendes
Nordlicht mit Korona, während eine Wolke die ganze südliche Himmels-
gegend überlagerte. I)»o Strahlen erschienen vor diesem dunkeln Hinter-
gründe heller als in den andern Himmelsgegenden, so <Ufs nach seiner
Ansicht die Strahlen zwischen ihm und dem dunkeln Gewölke sich be-
fanden.“ Aehnliche Beobachtungen sind von mehreren andern Seefahrern ge-
macht worden, so von Parry, welcher einmal einen Strahl zwischen seinem
Schiff und dem nicht mehr als etwa 3 Kilometer entfernten Ufer leuchten sah,
von Ross, von Franklin, demzufolge die Nordlichter in hohen Breiten bis-
weilen die Seiten der Wolken erleuchten sollen, Richardeon u. a. m. Wahr-
scheinlich handelt es sich hier und in vielen ähnlichen Fällen um Er-
scheinungen, welche den früher erwähnten von Lemström in Lappland und
von siidamerikanischcn Beobachtern in den Cordilleren gesehenen entsprechen.
Im allgemeinen scheinen di«? Polarlichter um so höher sich zu erheben, in je
niedere Breiten man herabsteigt, wenngleich auch für Mitteleuropa Beobach-
tungen vorliegen, welche Polarlichtern ganz besonders geringe Höhen (von
I Kilometer etwa) zuschreiben.
Die Höhenangaben sind insofern relativ, als die Lichtsäulen selbst noch
eine gewiss«* Ausdehnung besitzen und gegen den Horizont geneigt sind. Die
Länge dieser Säulen ist beträchtlichen Schwankungen unterworfen, erreicht
jedoch mitunter mehrere hundert Kilometer.
Weniger unsicher als hinsichtlich der Höhen der Polarlichter sind wir
in Bezug auf «lio Oricntirung derselben. In ganz niederen Breiten werden
Polarlichter auf der Nordhemisphäre nur in nördlicher, auf der Südhemisphäre
nur in südlicher Richtung gesehen. Geht man auf der nördlichen Halbkugel
weiter nach Norden, so kommen Zonen, in welchen das Polarlicht zwar gröfs-
tentheils der nördlichen Hälfte des Himmels angehört, oft aber auch «len ganzen
Himmel überzieht oder nur in südlicher Richtung sichtbar ist. So erscheinen
im mittleren Europa schon bisweilen Südlichter allein oder in Verbindung mit
Nordlichtern. Entsprechendes gilt von den Polarlichtern, welche sich in den
Vereinigten Staaten von Nordamerika und in Sibirien zeigen. Im Weiter-
schreiten nach Norden gelangt man in eine Zone, in welcher die Polarlichter
ebenso häufig in nördlicher Richtung erscheinen als in südlicher. Fritz, viel-
leicht der grösste Kenner der räumlichen und zeitlichen Vertheilung der Polar-
lichter, hat diese Zone als neutrale bezeichnet. Sie hat nach ihm folgenden
Verlauf. Von der Barrowspitze in «las nördliche Amerika tretend zieht sie sich
zwischen dem Bärensee und der Yorkbai durch «lio Hudsonstrafsc, trifft die
Südspitze von Grönland un«l die Nordspitze von Island, geht dann zwischen
Spitzbergen und dem Nordkap nördlich an Nowaja Semlja vorbei und nähert
sich über der Mitte Sibiriens dem astronomischen Pol bis auf 7°, dann
wendet sie sich nach Süden, bleibt jcdo«'h dom sibirischen wie dem nach der
Beringstrafse folgenden amerikanischen Festlande bis zur Barrowspitze immer
noch fern. Sie schliefst hiernach einen Tlieil von Labrador, ganz Grönland,
Spitzbergen und diejenigen Inseln, welche etwa den Pol unmittelbar umgeben.
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ein. Tm Innern dieser Zone, »Iso in den genannten Ländern, werden die Polar-
lichter häufiger am SUdhimmel als am Nordhimmel gesehen. Für die Polar-
lichter der Südhalbkugel lassen sich so genaue Angaben nicht machen; in
Melbourne, Rio de Janeiro umziehen die Lichter vornehmlich den Südhimmel,
steigen zwar manchmal über den Zcnith hinweg, erreichen jedoch selten
den nördlichen Horizont. Und soweit man bis jetzt in die eiserfüllten Regionen
des antarktischen Meeres gelangt ist, haben sieh immer die Südlichter als
vorherrschend erwiesen.
Das betrifft die Orientirung der Polarlichter im ganzen; aber auch die
einzelnen Gebilde derselben halten gewisse Richtungen ein, die in einem
bedeutsamen Zusammenhänge mit gewissen, durch den Magnetismus der Erde
l»estimmten Richtungen stehen.
Hängt man eine Magnetnadel in ihrem Schwerpunkt an einem Faden
frei auf, so stellt dieselbe sich bekanntlich an jedem Orte in ganz bestimmter
Richtung ein, indem zum Beispiel ira mittleren Europa ihr Nordende ein w enig
□ach Westen und zugleich nach unten weist. Eine Ebene durch den Scheitel-
punkt des betreffenden Ortes und die Längsrichtung der Nadel wird als mag-
netischer Meridian bezeichnet, der Winkel dieser Ebene mit dem astronomischen
Meridian dieses Ortes heisst die magnetische Deklination. Indem die Nadel
sich mit einem Ende nach unten senkt, bildet sie mit dem Horizont einen
Winkel, die Inklination; ihr anderes Endo weist nach oben, und der Punkt des
Himmels, nach welchem dasselbe hinzeigt, ist der früher schon erwähnte magne-
tische Zcnith. Ist die Nadel wirklich nach allen Richtungen frei beweglich,
so stellt sie sich genau in diejenige Richtung, in welcher die magnetische
Kraft der Erde auf sie wirkt, und zeigt somit die Richtung dieser Kraftwirkung
selbst an. Deklination und Inklination variiren von Ort zu Ort, und, wie wir
an anderer Stelle noch anzugeben haben worden, von Zeit zu Zeit.
Es stellen sich nun die Polarlichtbogen, wenigstens in nicht zu hohen
Breiten, im allgemeinen so, dafs ihre Ebene an dem betreffenden Ort© senk-
recht scheint zu der magnetischen Meridianebene und der Scheitelpunkt der-
selben in dieser Ebene oder doch nicht weit davon ab zu liegen kommt. Wir
sehen also bei uns die Bogen, wenn sie den nördlichen Himmel überspannen,
ein wenig nach Westen, wenn sie über den Südhimmel wegziehen, nach Osten
abweichen In hohen Breiten sind die Verhältnisse verwickelter. Koch hat
zwar in Nain die Bogenebenen auch meist quer zum magnetischen Meridian
dieses Ortes gerichtet gesehen, aber die Scheitel sehr oft und stark aus diesem
-Meridian heraustretend gefunden. Fritz wieder führt an, dafs in Nordsibirien
nach Krmans und Gmelins Beobachtungen die Parlarlichter bald nordöstlich
bald nordwestlich vom Meridian erscheinen, bemerkt jedoch, dafs die eigent-
liche Bogengestalt mehr den nordwestlichen Lichtern zukommt. Ebenfalls
stark veränderlich sind die Richtungen der Polarlichter im nördlichen Labra-
dor, in Grönland und dem Norden des Atlantik; und an manchen Orten sollen
die Polarlichter den Himmel nach allen möglichen Richtungen durchziehen
können.
Konstanter in ihren Richtungen sind di© Polarlieh tsäulen; diese erstrecken
sich an jedem Ort in Richtung der daselbst wirkenden magnetischen Kraft
der Erde, schlagen also die Richtung der Inklinationsnadel ein; Schwankungen
in dieser Richtung und Abweichungen von derselben kommen natürlich auch
bei diesen Gebilden vor, scheinen jedoch in sehr viel engere Grenzen einge-
schlossen zu sein als bei den Bogen. Es ist schon bemerkt worden, dafs die
Lichtsäulen eine Krone bilden; aus der obigen Angabe über di© Richtung dieser
Säulen erhellt sofort, dafs diese Krone ein rein perspektivisches Phänomen ist,
Himmel und Erde. I. 4. 18
246
i
i
S
&3i
denn wie eine Reihe von Linien, welche alle dieselbe Richtung verfolgen (ein-
ander parallel sind) für den Beobachter in einem Punkt zusammen zu laufen
scheinen — so müssen auch die Polarlichtsäulen am Himmel sich zu durch-
schneiden scheinen, und dieses scheinbare Zusammentreffen vieler glanzender
Einzelerscheinungen bringt den prachtvollen Eindruck der Kronenbildung her-
vor. Es wird auch klar, warum dio Krone sich im magnetischen Zenilh ent-
faltet, es ist ja die Richtung nach diesem Zenith hin die der Magnetnadel,
und zugleich auch dio der Lichtsäulen. Dafs die Krone nichts anderes ist,
erkennt man am besten daran, dafs jeder Ort seine besondere Krone sieht,
das mufs auch so sein, weil die Richtung der magnetischen Kraft von Ort zu
Ort variirt.
Wären die Lichtsäulen einander genau parallel, so müsste bei den grofsen
Entfernungen die Krone in der Mitte auch hell sein; sie ist aber daselbst wie
früher bemerkt, meist dunkel, das lässt darauf schliessen, dafs die Säulen
wegen Divergenz der Richtungen der magnetischen Kraft auf einem Kegel-
mantel angeordnet sind, der seine Grundfläche nach oben, seine Spitze nach
unten zukehrt, doch weicht dieser Kegelmantel nur sehr wenig von einem
Cylinderraantel ab.
Von der Orientirung der andern Lichtgebilde, die noch Vorkommen kön-
nen, namentlich der Ringe, Schleifen und Spiralen weisa ich nichts Genaues
anzugeben, wahrscheinlich sind auch hier die Ebenen im wesentlichen senk-
recht zum magnetischen Meridian und die Axen parallel mit den Inklinations-
richtungen des betreffenden Ortes. Die hohe Bedeutung dieses Zusammen-
hanges der Polarlichtrichtungen mit den Richtungen der magnetisekeo Kraft
der Erde wird an anderer Stcllo hervortroteu.
Endlich habe ich in diesem beschreibenden Theil noch über die Ver-
breitung der Polarlichter zu sprechen. Es handelt sich dabei sowohl um die
Sichtbarkoitsgrunzen eines und desselben Polarlichtes als überhaupt um die
Häufigkeit der Polarlichter an verschiedenen Orten der Erde. Vorgreifend
mufs gleich hier bemerkt worden, dafs alle Polarlichter sich in zwei Klassen
ointheilen lassen. Gewisse Polarlichter haben einen sehr beschränkten Sicht-
barkeitskreis, sie werden nur an wenigen, nahe neben einander liegenden
Orten gesehen und hängen in jeder Beziehung von den Verhältnissen der
Region ab, in welcher sie aufgetreten sind, sie sind lokaler Natur. Weitaus
der griifste Theil der beobachteten Polarlichter gehört dieser Klasse an;
namentlich die Polargegenden sind reich an solchen Lichtern, und hier besitzt
fast jeder Ort seine besonderen Erscheinungen, welche nur an diesem Orte
selbst gesehen werden. Andere Polarlichter dagegen haben einen aufser*
ordentlich bedeutenden Verbreitungskreis, sie werden in grofsen I.ünder-
strecken zugleich gesehen, und wenn dieselben auch an den einzelnen Orten
sich nur so darstellen, wie sie daselbst an dom Himmel projicirt erscheinen,
und für die einzelnen Gebilde das Sichtbarkeitsgebiet naturgemäfs durch deren
Hoho über der Erdoberfläche begrenzt sein mufs, so bilden sio doch jedesmal
ein bestimmtes, mitunter die ganze Erde auf einmal ergreifendes Phänomen.
Die Polarlichter von Ende August bis Anfang September von 1850 sind, auf
der Südhalbkugel in Südaustralion (Melbourne, Sidney, Adelaide, Brisbane,
Ballaarat}, Südamerika (Kap Horn, Chile, Concepcinn, Santiago, Valparaiso),
in den südlichen Theilen des atlantischen, pazifischen und indischen Meeres;
auf der Nordhalbkugel, in Mittelamerika (San Salvador), den Antillen, Buharoa-
und Bermuda-Inseln (Guadeloupe, Portorico, .Jamaica, Cuba). Nordamerika
(alle Staaten der Union, Canada, New-Foundland), Nordafrika und Europa
beobachtet worden. Einen entsprechend grofsen Verbreitungskreis hatten die
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I
Poliirlichter von 187*2. Gomäfs ihrer umfassenden Verbreitung tragen der-
artige Erscheinungen auch allgemeineren rharakter, sie sind weniger von
lokalen Verhältnissen beeinflußt und machen sich überall fast zu gleicher
Zeit bemerkbar. Gewöhnlich sind sie auch in ihrer Entwickelung von aufser-
ordentlicher Großartigkeit und dauern unter Umständen mit kurzen Unter-
brechungen viele Tage an.
Die Häufigkeit der Polarlichter an den einzelnen Orten der Erde hängt
zunächst von deren geographischer Lage ab. Unter dem Aequator und wohl
in den angrenzenden Zonen bis 5° oder 10° sind, soweit unsere bisherigen
Erfahrungen reichen, Polarlichter noch niemals beobachtet worden. Die Polar-
lichter von 1850 haben sich auf der nördlichen Halbkugel etwa bis zu 12°, auf
der südlichen bis zu 24° dem Aequator genähert. Andere Polarlichter sind
«lern Aequator auch von der Südseite nähergekommen, so dos 1741 beobachtete,
welches in Cuzco, in 12° südlicher Breite, gesehen wurde. Auch mögen manche
Polarlichter überhaupt geringere Abstände vom Aequator erreicht haben, ins-
besondere vielleicht das Licht von 1117, welches selbst in Asien bis nach
Palästina hin beobachtet wurde. Wir haben aber keine Nachricht, welche das
Erscheinen von Polarlichtern in unmittelbarer Nähe des Aequators verbürgen
könnte. Die Häufigkeit der Polarlichter steigt zunächst jo weiter man sich
von dem Aequator entfernt; wir führen zum Beispiel nach Lemstrom an, dafs
für Orte auf dem Meridian durch Washington unter 40° nördlicher Breite 10,
unter 45° 20, unter 50° 10, unter 55° 100 Lichter im Jahre durchschnittlich
erscheinen, und zwischen 55° und 02° wird fast jede Nacht das Polarlicht
gesehen. Indessen ist die Zunahme der Polarlichter mit wachsender Breite
durchaus keino gleichmäßige; sie ist zum Beispiel viel stärker in Amerika als
in Europa und hier wieder bedeutender als in Asien. Verbindet man also mit
Fritz die Orte gleicher Polarlichthäufigkeit durch Liniensysteme, Kurven,
welche man als Isochasmen bezeichnet, so erhält man nicht Linien, welche *
den Breitenkreisen parallel laufen, sondern solche welche diese durchschnciden
und in eigentümlichem Verlauf die Erde umziehen. Entsprechend der Lage
des magnetischen Nordpols erreichen sie auf der Nordhalbkugel im östlichen
Theil von Nordamerika ihre gröfste Annäherung an den Aequator und steigen •
im westlichen Nordasien am höchsten zum Pol hinauf. Die Häufigkeit der
Polarlichter wächst auch nicht stetig bis zu den Polen der Erde an, es giobt
vielmehr eine Zone größter Polarlichthäufigkeit, welche wir als die eigentliche
Heimath des uns hier beschäftigenden Naturphänomens bezeichnen können.
Diese Zone verhält sich in der Form wie die andern Isochasmen; auch sie
kommt in Nordamerika dem Aequator am nächsten, dir Verlauf ist ganz
ähnlich dein der früher beschriebenen neutralen Zone, nur dafs sie diese
letztere anscheinend überall umschließt. Sie tritt in die nordwestliche Spitze
von Nordamerika ein, durchschneidet den Bäreusee, die Hudsonsbai und Nord-
labrador, geht südlich von Grönland und Island vorbei, streift den nördlichen
Theil der skandinavischen Halbinsel und vmi Nowaja Semlja und bleibt über-
all oberhalb der sibirischen Küste. Nördlich von dieser mehrere Grad breiten
Zone gröfster Häufigkeit werden die Polarlichter, soweit man bisher gekommen
ist, wieder seltener, sie nehmen an Zahl und wie cs scheint auch an Glanz und
Formenreichthum ab. und während hei der deutschen internationalen Polar-
expedition Koch zu Nain in Labrador fast jede Nacht Polarlichter und meist
in grofser Pracht und Lebendigkeit sich entfalten sah, hatte die in Kingtia
Fjord im nordwestlichen Grönland stationirte erste deutsche Abtheilung nur
wenige bedeutende Lichter zu konstatiren. Dieser eigenartige Gang der Polar-
lichthäufigkeit ist zuerst von dein als Physiker und Philosoph lange nicht
IS*
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genug gewürdigten Herausgeber von Gehlere Physikalischem Lexikon, Muneke.
klar erkannt worden.
Auf der Südhalbkugel scheinen auch in dieser Beziehung ähnliche
Verhältnisse zu herrschen wie auf der Nordhalbkugel, die Isochasmeti umziehen
al>er hier den Pol vielleicht enger als dort.
Selbstverständlich haben die obigen Angaben nur auf den allgemeinen
Gang der Erscheinung auf der ganzen Erde Bezug, im einzelnen kommen
bedeutende Abweichungen vor, welche durch lokale Verhältnisse bedingt zu
sein scheinen. Namentlich in den Polargegenden, in welchen die Polarlichter
lokalen Churakters diejenigen allgememeiner Bedeutung an Zahl so stark
überwiegen, können selbst in nicht weit von einander entfernten Orten er-
heblichere Unterschiede in der Polarlichthäuflgeit Vorkommen. In einem an-
deren Artikel bei der Diskussion der Perioden der Polarlichter werden wir
auch sehen, dafs die lsochasmen durchaus keine festen Linien sind, dafs sie
vielmehr selbst in kurzen Zeitabschnitten sich auf der Erdoberfläche verschieben.
f
i
9
Allgemeine l'ebersicht der beobaclitenswertken Hinimelserscheinungen
Im Jahre 1889.
In der folgenden Aufstellung eines astronomischen Kalenders für das
Jahr 1889 soll vornehmlich auf solche Erscheinungen am Sternenhimmel hin-
gowiosen werden, an deren Beobachtung sich der mit den nöthigen Kennt-
nissen ausgerüstete und mit der Behandlung des Fernrohrs vertraute Freund
der Sternkunde betheiligen und Verdienste erwerben kann. Wir werden in
unserer Zeitschrift von Fall zu Kall auf derartige beobachtenswerthe Phäno-
mene aufmerksam machen und die nöthigeu Zahlenangaben beibringen. Be-
treffs eines brauchbaren Handbuches über das Zweifelhafte und der Erforschung
noch Bedürftige verweisen wir auf H. J. Kleins „Anleitung zur Durchmuste-
rung des Himmels-* Braunschweig 1882.
l. Die Planeten.
Für die Kenntnifs dos Standes der Hauptplaneten wird, vielfachen
Wünschen zufolge, in vorliegender Zeitschrift vom Februar ab durch Ver-
öffentlichung monatlicher Ephemeriden Sorge getragen werden, welche die
Auf- und Untergangszeiten und die sonst nöthigen Hinweis« über die Sicht-
barkeit der Planeten enthalten sollen. Wir begnügen uns deshalb hier vor-
läufig mit einer allgemeinen Darstellung des Planetenhimmels im Jahre 1889.
Merkur erscheint bei meist sehr niedriger Stellung am Horizonte in
der Sonnennähe bald als Morgen-, bald als Abendstern. Ende Januar und von
Mitte Mai bis Anfang Juni wird er am Abendhinunel, sodann von Mitte März
bis Mitte April, von Mitte Juli bis Mitte August und schliefslich von Ende
Oktober bis Mitte November am Morgenhimmel sichtbar sein. Den größ-
ten Glanz zeigt er am 28. Januar, 1. Mai, 30. Juli und Ende Oktober, das
Minimum seiner Helligkeit am 15. Februar, 20. Juni und 13. Oktober.
Venus ist bis nach Mitte April Abendstern und erreicht am 2*2. März
ihren gröfsten Glanz. Darauf geht sie von Tag zu Tag früher unter, wird
Morgenstern und ist als solcher Ende Juli schon zwei Stunden nach Mitter-
nacht beobachtbar; am 8. Juni erreicht sio das zweite Maximum ihres Glanzes,
ln den Herbstmonaten geht sie allmählich später auf und wird zur Beobach-
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tung ungünstig. Die Gröfse der Venussichel ist aus folgenden Zahlen ersicht-
lich, welche den Durchmesser der Phasen in Theilen der Planetcnscheibc
Ausdrücken :
1. Januar
0.71
1. Juli
0.44
1. Februar
0.60
1. August
0.60
1. März
0.45
1. September
0.73
1. April
0.21
1. Oktober
0.82
1. Mai
0.00
1. November
0.90
1. Juni
0.22
1. Dezember
0.95
Einer aufmerksamen Verfolgung zu empfohlen sind die Verlängerungen
der Sichelspitzen und die Polarflecke des Planeten, die Unregelmäfsigkeiten
an der Beleuchtungsgrenze und das aschfarbige Licht in der Nachtseite der
Venus.
Mars kommt im Jahre 1889 nicht in Opposition und steht für die Beob-
achtung ungünstig. Im Januar und Februar ist er noch in den ersten Abend-
stunden am Westhimmel zu sehen, culminirt dann näher der Mittagszeit und
verschwindet in den Sommermonaten mit der Sonne; im November und De-
zember kann er wieder Morgens, 2 Stunden nach Mitternacht, am Osthimmcl
aufgefunden werden.
Jupiter ist bis Anfang April nur am Morgenhimmel aufflndlich, geht An-
fang Mai um 1*2 Uhr, Ende Mai um 10 Uhr Nachts auf, Anfang Juli um 8 Uhr
Abends. Im August und September wird er in den Abendstunden noch beob-
achtbar, und steht im Oktober und November am Taghimmel. Der Planet
bewegt sich das ganze Jahr im Sternbilde des Schützen und kommt am 24. Juni
in Opposition.
Erfolgreiche und werthvolle Beobachtungen über die Oberflächenbe-
schaffenheit des Jupiter, seine Flecke, Streifen u. s. w. erfordern grüfsero optische
Hilfsmittel. Sohr empfehlensworth dagegen sind den Besitzern mittelgrofscr
Fernröhre die Beobachtungen der verschiedenen Phänomene der vier .Jupiter-
satelliten, nicht blofs der Verfinsterungen der Monde, sondern namentlich deren
Vorübergänge vor der Jupitersclieibe.
Dio weiter folgenden Hefte unserer Zeitschrift werden monatlich Zu-
sammenstellungen über die am bequemsten beobachtbaren Verfinsterungen der
Jupitertrabanten bringen.
Saturn kommt am 5. Februar in Opposition und bewegt sich nördlich
vom Sterne Regulus, dem Sternbilde des grossen Löwen sich mehr und mehr
nähernd; nach Mitte September ist er dem Regulus am nächsten. Im Januar geht
er um 7 Uhr Abends auf und ist im Februar die ganze Nacht sichtbar. Ende
Mai bis Mitternacht. Von Mitte Juni bis Ende Juli sind nur Tagbeobachtungen
möglich, im September ist der Planet Morgens beobachtbar, im Herbste geht
er um Mitternacht auf, um Mittag unter.
Das Ringsystem des Saturn ist im Jahre 1889 der Beobachtung nicht
mehr günstig gelegen; der Planet nähert sich mehr und mehr dem Theile
seiner Bahn, in welchem die RingöfTnung von der Erde aus gesehen ver-
schwindet. Wir sehen deshalb gegenwärtig von der (südlichen) Ringlläche
nur eine sehr wenig geöffnete Ellipse, die allmählich, bis zum Jahre 1892 eine
gerade Linie bilden und dann für schwächere Fernrohre verschwinden wird.
Von den 8 Monden des Saturn dürfte der hellste, Titan, für Fernrohre
mittlerer Grösse der interessanteste sein. Er hat 15 Tage *2J Stunden Umlaufs-
zeit; die Elongationen des Mondes, bei denen derselbe am besten aufsuchbar
ist, sind für Januar folgende:
Ü!
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250
5. Januar westl. Elong.
13.
* östl.
21.
m westl.
29.
. östl.
*
Uranus hält sich das ganze Jahr nördlich vom Sterne Spica im Stern-
bild der Jungfrau auf und kommt am 9. April in Opposition. Er gleicht einem
Sterne sechster Grösse.
Neptun steht im Stier zwischen den Plejaden und dem Aldebaran und
hat seine Opposition am 25. November.
a. Der Mond.
Die Erweiterung des Kreises freiwilliger Mitarbeiter an der Erforschung
topographischer Details der Mondoberfläche ist nur erwünscht. Besitzer vier-
zölliger Fernröhre können bei ausdauernder, richtiger Verwendung des Instru-
ments schon ganz Erhebliches auf diesem Gebiete leisten. Wir empfehlen bei
der Arbeit die Verwendung des Neisonsehen Positionsmicrometers (Seleno-
graphical Journal I 14, II 25) und als Führer die Karten und das Buch von
E. Neison «Der Mond" 2. Aufl. (deutsche Ausgabe) Braunschweig 1881. Wir
lieben hier nur einige Mondgegenden hervor, bezüglich deren sorgfältige Detail-
studien bei möglichst verschiedenen Beleuchtung«- und Librationsverhältnissen
wünschenswert sind: das Rillensystem westlich vom Krater Ramsden, die
beiden Ringgebirge Messier, den Krater Linn6, den Krater A im Posidonius,
Hyginus N, Kudoxus, sowie die beiden dunklen Flecken im Innern des Ring-
gebirges Atlas; aufserdein empfehlen wir die Untersuchung der dunklen Punkte
zwischen Gambart und Copernikus bei hoher Beleuchtung. — Leuchtende
Punkte im dunklen Theil des Mondes (vor und nach Neumond) verdienen
Beachtung und sollten durch Positionsbestimmungen gesichert werden.
3. Finsternisse.
a. Totale Sonnenfinsternifs am 1. Januar. Die Central itätszone die-
ser Finsternifs erstreckt sich von den Aleuten über den stillen Ocean bis in
den englischen Theil Nordamerikas und streift wenig nördlich von San Fran-
cisco; daselbst wird sie in den ersten Nachmittagsstunden sichtbar sein.
b. Partielle Mondfinsternifs am 17. Januar. Diese Finsternifs wird
in ganz Westeuropa, Afrika und Amerika zu sehen sein.
Anfang der Verfinsterung in Berlin 4 Uhr 5 2 Min. Morgens
Mitte * „ „6„23.
Endo „ „ , 7 , 54 . „
Gröfse „ 7 Zehntel des Monddurchmessers.
c. Ringförmige Sonnenfinsternifs am 28. Juni. Dieselbe fällt auf
die Südhemisphare der Erde; ihre Centralitätszone läuft durch Südafrika von
der Wallfischbay zum Cap Delgado, im weitern Verlaufe über die Comoren-
inseln. Sie wird Vormittags am Cap der guten Hoffnung und Mittags auf Mada-
gascar auffällig werden.
d. Partielle Mondfinsternifs am 12. Juli. Eine in Mittel- und Süd-
europa, Afrika und Australien sichtbare Verfinsterung.
Anfang der Finsternifs in Berlin 8 Uhr 37 Min. Abends.
Mitte „ . 9 * 47 „
Ende - „ 10 „ 58 -
Grösse * 48 Hundertstel des Monddurchmessers.
e. Totale Sonnenfinsternifs am 22. Dezember. Ihre Centralitätszone
streift längs der Nordküste Brasiliens über den Ocean und das portugiesische
Westafrika. Sie wird um Mittag namentlich zu St. Helena sehr bemerkbar sein.
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4. Sternbedeckungen durch den Mond.
Da sich dieso Phänomene für jede geographische Breite anders gestalten,
so müssen wir uns damit begnügen, die Interessenten auf die specielle Berech-
nung aus den Angaben der astronomischen Jahrbücher zu verweisen.
5. Sternbedeckungen durch Planeten.
Den Besitzern grofser Fernröhre empfehlen wir dringend die Beobach-
tung von Sternbedeckungen durch Venus, Jupiter und Saturn, da hierüber
Erfahrungen noch fehlen und solche Beobachtungen für die Parallaxen- und
Durchmesserbestimmungen dieser Planeten werthvoll werden können.1) Einige
der bemerkenswerthesten dieser Bedeckungen hoben wir hier hervor, indem
wir des Näheren auf No. 2868 der „Astron. Nachr.“ verweisen.
Stern Eintritt Austritt
a. Venus: 7. Januar 9.0 Grösse, 4 Uhr 10 M., 4 Uhr 16 M. Nachm. (Berl. Zt.)
13. März 8.9 „ 9 7 .. 9 25 Abends
(beide Eintritte am dunklen Rande der Venussichel).
21. Juli 7.0 Grösse, 1 Uhr 25 M., 1 Uhr 33 M. Morgens
(Eintritt am hellen Rande).
b. Jupiter: 17. Oktob. 8.5 Grösse, 7 Uhr 9 M., 9 Uhr 49 M. Abends
19. .. 9.0 4-31-7 .. 9 h
c. Saturn: 7. Juli 9.2 - 10 - 23 - 11 „ 21 *
6. Beobachtenswerthe veränderliche Sterne, Doppelsterne und Nebel.
a. Veränderliche. Die Angaben über leicht sichtbare veränderliche
Sterne sollen in dieser Zeitschrift von jetzt ab regelmäfsig gemacht worden.2)
Hier folgen zunächst die Veränderlichen für den Monat Januar:
Maximum
Helligkeit im
Periode
1889
am
Max.
Min.
(Tage)
Reetas.
Declin.
R
Rootis
3. Januar
6.0 Gr.
12 Gr.
222
14>
, 32«
18 s
27»
13.1'
S
Ursae. maj.
6.
7.8 ..
11 .
225
12
39
5
4- 61
42.1
T
„
15.
7.0 .
12 .
257
12
31
20
4- 60
6.0
R
Virginia
22.
6.7 .
11 .
146
12
32
52
+ 7
36.0
S Serpentis
29.
7.8 .
12-13 ..
362
15
16
37
+ H
42.7
b. Doppelsterne. Die folgenden Doppelsterne können zur Prüfung
für die Güte der Fernrohre verwendet werden; cs sind darunter, wie aus dem
im nächsten Hefte folgenden Verzeichnisse der berechneten Doppelsternbahnen
ersichtlich sein wird, eine Zahl solcher, deren Weiterbeobachtung an kräfti-
geren Instrumenten zur Vermehrung des Rechnungsmaterials derzeit vieles
Interesse hat.
1
. '
*) Es sollten möglichst boi de Momente der Bedeckung. Eintritt und Austritt, beobachtet
werden. Gelingt nur der eine, so ist eine träte Bestimmung dos .Standes der verwendeten Sekon-
denubr unerläßlich. Der Beobachter thut am besten, wenn er sich geraume Zeit vor dem
Storneintritte ans Fernrohr begiebt. die Bewegung des Stornos mittelst des Kadens eines Positions-
kreises feststellt und den Punkt am Rande des Planeten zu markiren sucht, an welchem der
Stern wieder aufblitzen muss. Ein mehrmaliges Verschwinden und Wiederorscheinen des
Sternes am Planetenrande konnte bisweilen stattfinden und es sind daun alle dieso Zeitmo-
mente zu notiren, um Uber die wahren Momente ein unbefangenes Urtheil bilden zu können.
— Westlich von Berlin wohnende Beobachter sehen die Bedeckungen um den Betrag der Län-
gendifferonz gegen Berlin früher, östliche später.
9 Eine Anleitung zur Beobachtung der Veränderlichen gieht Argelandor in Schumachers
Aatr. Jahrbuch f. 1Ö84.
/
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252
Struves
1889
1889
Gröfse des
Katalog.
Hertas.
Declin.
Posit
Win.
Di- Haupt-
stanz i sterns
Be-
gleit
Zur Prüfung für Fernrohre von 1 Zoll Objectivöffnung:
1744
* Urs. maj. [Mizar] .
13k 19.4®
+ 55-30'
148-
14.3"
2
4
2727
7 Delph
20 41.5
+ 15 42
271
11.2
4
5
180
7 Arietis
1 47.4
+ 18 43
359
8.5
4
4.5
205
7 Androm
1 57.0
+ 41 48
63
10.3
3
5
2737
e Equul. (C.)1) . . .
20 53.4
+ 3 52
74
10.7
5.6
7
Von 2 bis 3 Zoll Objectivöffnung:
1998
S Librae (C> . . . .
15k 58.3»
— 11- 3'
64°
7.5"
*
7
1864
r. Bootis
14 35.5
+ 16 54
104
6.0
5
6
1110
a Gemin. (Castor) . .
7 27.5
+ 32 8
230
5.8
2.3
3.4
1965
£ Coron. .....
15 35.2
+ 37 0
302
6.3
4
5
1196
; Cancri (C) . . . .
18 5.8
+ 17 59
131
5.4
5
5.6
1670
7 Virginis
12 36.0
— 0 50
337
5.0
3
3
2140
a Herculis
17 9.6
+ 14 31
117
4.7
3
6
1888
; Bootis
14 46.3
; 19 34
279
4.2
4.5
6.7
2909
C Aquar
22 23.0
— 0 35
329
3.4
4
4
1954
h Serpentis ....
15 29.5
+ 10 55
185
3.3
3
4
202
a Pisc
1 56.2
-j-2I3
322
2.9
3
4
1424
7 Leonis
10 13.8
+ 20 24
113
3.5
2
3.4
2032
s Coronae
16 10.5
+ 34 9
214
4.0
5
6
2382
£ Lyrae 1 4 )
18 40.7
+ 39 34
14
3.1
4.5
6.7
1877
e Bootis
14 40.1
-j 27 33
329
2.8
3
6.7
60
tj Cassiop
0 42.3
+ 57 14
160
5.0
4
7
2383
5 Lyrae (i*( ....
18 40.7
+ 39 30
134
2.5
5
.5
2130
[x Draconis
17 3.0
-f* 54 37
161
2.4
5
5
1523
? Urs. maj
11 12.2
+ 32 9
275
2.0
4
5
Von 4 unc
5 Zoll Objectivöffnung:
2262
r Ophiuchi (C) . . .
17k 56.9oi
— 8-10'
2.55-
1.8"
5
5.6
2055
X Ophiuchi ....
16 25.3
+ 2 14
35
1.6
4
6
73
36 Androm
0 48.9
4- 2H 2
1.3
6
7
948
12 Lyncis (A, B.) . .
6 36.3
+ 59 31
124
1.5
5
6
333
e Arietis
1 2 52.9
+ 20 53
201
1.6
5.6
6
299
7 Ceti
2 37.4
| 2 46
292
2.8
3
7
1865
£ Bootis
14 35.8
+ 14 13
21)5
0.8
3.4
*
460
49 Cephei
3 51.2
+ 80 23
37
0.7
1 5
6
262
i Cassiop. (A. B.) . .
2 19.9
1
66 54
264
1
2.0
! 4
7
c. Nobelflecke und Sternhaufen. Das folgendo Verzeichnis beson-
dere auffallender, grofser oder sonst merkwürdiger Nebel ist für Besitzer mit-
telgrofser Fernrohre ausgewählt worden. Wir verweisen die Interessenten zur
näheren Instruktion auf die eingangs des Kalender*» schon erwähnte „Anlei-
tung zur Durchmusterung des Himmels“ und empfehlen namentlich die des
•) C bezeichnet in dreifachen Sterncnsystomon dun zweiten, vom Uauptatern ferneren. B
den ersten, näheren Begleiter.
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253
Helligkeitswoehsels verdächtigen Objecte (wie H. II 278 im Wallfisch, H. I. 20
bei i Leonis, Hinds variablen im Stier, d’Arrests und Chacornacs Nebel in
demselben Sternbilde, den Tom pe lachen Nebel in den Plejaden) einer viel-
fachen und aufmerksamen Untersuchung mit verschiedenen Fernrohren und
verschiedenen Vergrößerungen. Entwürfe von Zeichnungen gröserer Nebel
mit Positionsbestimmungen der die Ausdehnung der Nebel markirendon Sterne
sind wünschenswert!].
Herschels I
1889
Catalog
Rectas.
Declinat.
116
0h36.5®
+ 40° 40'
Andromeda-Nebel, l1/*® lg., ,/2 9 brt.
:«2
1 27.5
+ 30 5
Im Triangel; 30' grofs.
512
2 11.2
+ 56 38
30' grofs ^ zwei prachtvolle Sternhaufen in»
521
2 14.fi
+ 56 37
15* „ 1 Perseus.
1157
5 27.8
+ 21 56
1 Rosses „Crab*-Nebel im Stier, 51/.,' Ig-, 3Vj brt.
1179
5 29.8
- 5 28
OrionnebeL
1295
5 44.9
.
32 31
Dichter reicher Sternhaufe im Fuhrmann,
24' grofs.
1564
7 36.7
— 14 34
i Sternhaufe mit Nebel im Argo, 30’ grofs.
1681
8 33.8
+ 20 21
Stern gruppe „Praesepe- im Krebs.
1712
8 45.2
+ M 14
1 Sternhaufe im Krebs.
3572
13 25.1
+ 47 46
Spiraluebel in den Jagdhunden (am Schwanz-
j ende des gr. Bären).
4230
16 37.8
+ 36 40
| Sehr heller, prachtvoller Sternhaufe im
Hercules.
4355
17 55.6
— 23 2
Unregelmäfsiger, dreispaltiger Nebel i. Schütz.
4361
17 57.0
— 24 21
Zerstreuter Sternhaufe mit Nebel im Schützen.
4403
18 14.2
— IC 13
Omeganebel im Sobieskischen Schild (Ver-
änderungen?)
4447
| 18 49.4
+ 32 54
! Ringnebel der Leyer.
4532
19 54.8
+ 22 24
j! Dumbhell-Nebel, 3* nördl. von 7 Sagittae.
4628
20 58.0
11 48
PlanctariBcher Nebel im Wassermann.
*
Heber eine neue Messung der Drehungsgeschwindigkeit der Sonne
auf spektrometrischem Wege. Ganz nach den Grundsätzen desjenigen
Messu ngs Verfahrens , welche» an der Spitze dieses Heftes von Herrn
Dr. Sc lieiuer auseinaudergesetzt ist, aber zunächst ohne Anwendung der
Photographie hat neuerdings Herr Prof. I)un6r in Lund, der neue Direktor
der Sternwarte zu Upsala, Mafsbestimimiugeu über die Drehungsbewegung der
Sonne ausgeführt, welche von sehr hohem Interesse sind und iin wesentlichen
die Folgerungen bestätigen, die Herr Prof. Spocrcr auf dem Observatorium zu
Potsdam aus seinen langjährigen Sonncnfleckcn-Heohachtungeii gezogen hatte*.
Nähere Mittheilungen über die Messungen des Hern» Dun6r, sowie
über die allgemeinere Bedeutung der dabei erreichten Genauigkeit behalten
wir uns vor.
/* .
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|JjwF!?$fa
I
254
Einstweilen sei nur bemerkt, dafs diese Messungen in einer mikro-
metrischen Vergleichung der Lage der abwechselnd vom linken und vom
rechten »Sonnenrand entnommenen Sjiektra mit der von der Drebungsge-
schwindigkeit der Sonne nicht abhängigen Lage gewisser durch Absorption
in der Erd -Atmosphäre hervorgebrachter dunkler Linien iin Spektrum be-
standen haben.
Die Zerlegung des Lichtes geschah dabei nicht durch Prismen, sondern
durch Beugungs- Gitter, und die gewaltige Intensität des Sonnenlichtes ge-
stattet«* bei dieser Zerlegung eine so grofse Ausbreitung der Beugungs-
Spektra höherer Ordnung, dafs Prof. Dun6r glaubt, Geschwindigkeiten auf
der Sonne in der Richtung der Gesichtslinie mit einem sogenannten wahr-
scheinlichen Fehler von 20 Meter in der Sekunde (einer Grüfse, die den
Grenzen unserer Eisenbahn-Geschwindigkeit entspricht) gemessen zu haben.
Eine ähnliche Untersuchung, wie diejenige des Herrn Dun6r, aber nicht von
demselben Erfolge, war übrigens vor einiger Zeit auch in Baltimore an-
geführt worden.
Welche außerordentliche Bedeutung die obigen Genauigkeiten für die
Erforschung der Sonne gewinnen werden, läfst sich noch gar nicht ermessen.
Es ist jedoch ausdrücklich daran zu erinnern, dafs solche Ergebnisse nur
für Lichtquellen von der enormen Intensität des Sonnenlichtes erreichbar sind.
Derselbe Messimgsprozefs wird sich zunächst auf die Ermittelung der
Stern -Bewegungen nicht mit Vortheil anwenden lassen. Vielmehr hat Herr
Prof. Vogel hei den spektrographischen Aufnahmen der Geschwindigkeiten
von Stern he wegungen in der Gesichtslinie wohlweislich die prismatische Zer-
legung des Lichtes vorgezogen, welche gerade auf derjenigen Seite des Spek-
4 trums, wo die günstigsten photographischen Wirkungen liegen, die größte
n Schärfe der Geschwindigkeits-Bestimmung ergiobt, wenn auch bei der viel ge-
ringeren Intensität des Fixstern-Lichtes bei weitem nicht eine solche Schärfe,
wie beim Sonnenlicht erreichbar ist.
Die wissenschaftliche Welt wird Herrn Dun6r große Anerkennung
zollen, über auch das Potsdamer OiMsorvatoriuin Iwwährl hier wieder seinco
in der wissenschaftlichen Welt erworbenen Ruf, indem es sich der schlichteren
aber umfassenderen Aufgabo zugewandt hat, deren wirksame Förderung die
Stetigkeit einer grofsen, von echt wissenschaftlichem Geiste erfüllten Institution
beansprucht. W. F.
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Das Spiegelbild der Sonne am Meereshorizont.
Von F. S. Archen hold.
Die Untersuchungen des italienischen Astronomen Ricco über das
Spiegelbild der Sonne auf der Meeresoberfläche beweisen von neuem, dafs
sehr nahe liegende Erscheinungen oft erst sehr spät einer wissenschaftlichen
Beachtung und Erklärung gewürdigt werden.
Herr Ricco hat seit Juli 1886 von der östlichen Terrasse des Obser-
vatoriums zu Palermo1) aus, in einer Höhe von 7*2 Metern über dem Meeres-
spiegel, vermittelst eines Fernrohres die aufgehende Sonne und ihr Spiegelbild
in verschiedenen Lagen photographisch aufgenommen.
Nach den einfachen Gesetzen der Spiegelung würde, wenn die Meeres-
oberfläche eben wäre, bei klarem Horizont und ruhiger See unterhalb des
Segments der aufgehenden Sonnenscheibe ein zweites Segment, als Spiegelbild
des enteren, in gleicher Gröfse und in symmetrischer Lage in Bezug auf die
Begrenzungslinie des Meeres am Horizont sichtbar werden.
Von der Richtigkeit dieses Schlusses können sich die geehrten Leserinnen
und Leser leicht überzeugen, wenn sie einen Spiegel in eine horizontale Lage
etwa auf einen Tisch bringen und einen in der Mitte durchschnittenen Apfel
mit der Flachseile auf den Rand desselben legen. Das Spiegelbild des kreis-
förmig begrenzten Apfels wird alsdann in gleicher Gröfse und symmetrischer
Lage unterhalb des wirklichen gesehen werden, so dafs der Apfel ganz zu
sein scheint
In Wirklichkeit wurde aber der Sonnenaufgang von Herrn Ricco nicht
in der weiter oben geschilderten Weise gesehen, sondern wrio Fig. 1 — 8 darstellen.
So lange das sichtbare Segment der Sonne kleiner war als die Hälfte
der ganzen Sonnenscheibe sah Herr Ricco ein Spiegelbild (siehe Fig. I), das
an Gröfse von dem wahren Sonnensegment um mehr als das Doppelte über-
troffen wurde, sich aber durch seinen Glanz nicht stark von demselben unterschied.
Wie erklärt sich dieso abweichende Gröfse des Spiegelbildes des Sonnen-
segments von dem wahren? Ganz einfach dadurch, dafs, wie wir bereits wissen*),
der Meeresspiegel, als ein Theil der Erdoberfläche, keine ebene, sondern eine
kugelförmige Fläche darstellt. Für eine kugelförmig gekrümmte Fläche sind
die Gesetze der Spiegelung aber ganz andere und nicht so einfache wie für
eine ebene Fläche.
Herr C. Wolf1) hat für die Krümmung der Erde und einen Beobachter,
der sich 100 Meter über dem Meeresspiegel befindet, nach der Theorie die
Gröfse und Gestalt des Spiegelbildes der Sonne berechnet und ist zu denselben
Resultaten gelangt wie Herr Ricco durch seine Beobachtung der Erscheinungen.
') Corapte« Kendus Tome CVH Nr. 15. Pari» 1888.
*) Vergleiche die Ausführungen de» Herrn Dr. M. W. Meyer Uber die Gestalt und Grobe
der Erde. Heft I II.
•) Comptes Kendus T. CVII Nr. 10, Paria 1888.
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257
Aua Fig. 2 frsehen wir, dafs die Erscheinung »ich ändert, sobald mein*
als die Hälfte der Scheibe aus dem Meere aufgetaucht ist, da das Spiegelbild,
dessen horizontaler Durchmesser stets gleich dem der Sonnenscheihe ist, jetzt
an jeder Seite über die obere Begrenziitigsliuic des Segments liinausragt bis
zu den von den Händen» der Scheibe gelallten Verlicalon, Es entwickelt siel»
allmählich ein Bild des griechischen Buchstaben 11, dessen unterer l'licil sich
immer mehr einsehnürt.
Wenn sich schliefslich die Sonne von dem Horizonte loslöst, so trennt
sich djis Spiegelbild von der Scheibe derselben und bleibt in Gestalt eines
glänzenden Streifens auf dem Meereshorizont zurück. (Fig. I.) — Dies dauert
gewöhnlich so lange, bis der untere Hand der Sonne sich bis zu einem vierten
Theile ihres Durchmessers über der Meeresliuic erhoben hat. Alsdann ver-
schwindet das Spiegelbild zumeist, indem es sich mit dem über der Moeres-
lläche ausgebreiteten glänzenden Scheine vermischt. — - Nur wenn da« Meer
vollkommen ruhig ist, sieht man das Bild deutlich langsam vorrücken, gröfscr
werden und eine mehr oder weniger regelrnäfsige elliptische, nämlich in ver-
tikaler Richtung zusammengedrücktr Gestalt annehuieu tFig. '»), bis es sich
endlich in dem blendenden Scheine verliert, der das Meer in der Richtung
zum Beobachter durchzieht
Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, dafs alle Erscheinungen für
die untergehende Sonne in ganz derselben Weise, nur in umgekehrter Reihen-
folge der Figuren, vor sieh gehen.
Geht die Sonne hinter der Spitze einer der kleinen von Palermo sicht-
baren Liparischen Inseln, Alicuri, Fi licuri oder Satiua auf. so nimmt das
Spiegelbild nach der Seite der Insel zu di»* Gestalt einer spitzen leuchtenden
Zunge an (Fig. 6). Diese Zunge ist das Bibi des oberhall» der Insel sichtbaren
Theiles der Sonnenscheibe; sie wird um so kleiner, je mehr die Sonn»« aus
«lern Meere auftaucht (Fig. 7).
Wenn hingegen die Sonne hinter einer Lnidschuft aufgeht. z. B. hinter
der Madonischen Gebirgskette und dem schneeigen Actna-Hügol. so kommen
alle oben geschilderten Phänomene in Wegfall (Fig. £). was zur Genüge be-
weist, dato jene Erscheinungen in der Thal nur durch die Spiegelung des
Wassers bewirkt werden.
Wir wollen noch erwähnen, dafs die Herren Dufour und Forel1) für
den Genfer See ähnliche Untersuchungen über die Spiegelung irdischer Objecte
an der Seeoberfläche an gestellt haben.
Es ist auf den ersten Blick auffällig, dafs vor Ricco keiner der vielen
Beobachter des entzückenden Schauspieles eines Sonnenaufgangs, beziehungs-
weise Sonnenuntergang» an der See bemerkt hat, dafs diese alltägliche Er-
scheinung in so einfacher Weise die Kugel gestalt der Erd«* lehrt.
Wenn man näher zusieht, wird »lies verständlicher; denn erstlich gehört
ein aufserordentlich ruhiger Sce»pi«*gel dazu, lim «lie geschilderten Erscheinun-
gen in ihrer vollen geometrischen Reinheit walirzuiiehinen, sodann aber
kommt es dabei auch »ehr wesentlich auf db’ Höhe des Beobachters iib»*r dem
Seespiegel an.
Erhebt sich das Auge nur wenige Meter bis zu wenigen Zehnem des
Meter über diesem Spiegel, dann ist die Kisclieinung viel weniger deutlich ent-
wickelt; ist dagegen die Höhe des Auges viel gröfscr als hundert bis einige
hundert Meter, dann unterscheidet «ich der Verlauf der Spiegelungen immer
weniger von den Erscheinungen der gewölmlielicii diffusen Reflexion in be-
wegter See.
•) CoropL Rond. T. CVII1 Nr. 17.
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A. M. €lerke. Geschichte der Astronomie während den neunzehnten
Jahrhunderts. Deutsche Ausgabe von II. Maser. Berlin. J. Springer,
1689 Preis 10 Mark.
I)or Versuch, die gewaltigen Errungenschaften unseres Jahrhunderts auf
dem Gebiete der Astronomie in einem gemeinverständlichen Werke zusammen-
zufassen, ist in Deutschland bis jetzt nicht gemacht worden. Die Bücher, die
sich mit der geschichtlichen oder sachlichen Entwicklung moderner Astronomie
befassen, wie jene von Mädler, Wolf, Klein, reichen nicht bis in die neueste
Zeit oder lassen die Darstellung gewisser Zweige der Sternkunde vermissen.
Es wäre also jedenfalls eine vollständige Darstellung des wissenschaftlichen
Erfolges, den die Astronomie seit den Zeiten Wilhelm HerscheU zu verzeichnen
hat, mit höchstem Interesse zu begrüfsen. Auch das vorliegende Werk erfüllt
diese Hoffnung nicht ganz, denn das Buch hält nicht, was sein Titel verspricht. Es
handelt sich der gelehrten Verfasserin, wie sie im Vorworte selbst hervorhebt, um
eino Darlegung der „modernen“ Astronomie, worunter sie das versteht, was wir
gewöhnlich als beschreibende und physikalische Astronomie bezeichnen; die
Vorführung der analytischen Entdeckungen der Astronomie unsers Jahrhunderts,
die Entwicklung der Rechenkunst und ihrer Erfolge, die Ausbildung der astro-
nomischen Mefskunst u. s. w., bleiben von ihrem Plane ausgeschlossen. Dies
soll kein Tadel für die Absicht der Verfasserin sein, um so weniger, als sie
ihre Aufgabe mit vielem Geschick zu lösen verstanden hat. In einer lebendigen,
nicht selten begeisterten Sprache führt sie den Leser von Kapitel zu Kapitel,
und weife unser Intcregse bis zur letzten Seite wachzuhalten. Zudem ist die
Uebersetzung von Maser eine so vorzügliche, dafs kaum irgendwo der englische
Ursprung des Werkes merkbar wird. So vereinigt das Buch Vieles, um seine
Lectüre für den Freund der Hiinmelskundo zu einer ebenso lehrreichen wie
angenehmen zu gestalten. Eine schärfere Kritik allerdings läfst Mängel sehen,
die zu rügen kaum umgangen werden kann. Bevor ich hierauf eingehe, sei
eino kurze Angabe des Inhaltes gestattet.
Der erste Abschnitt des Buches behandelt die Entdeckungen der beiden
Herschol, dio Auffindung des Neptun, der ersten Asteroiden und der periodischen
Cometen, unsere Kenntnisse über die Sonne, und die Fixsternenwelt bi« zur
Mitte des gegenwärtigen Jahrhunderts. Der zweite Theil bringt zunächst in
fünf Kapiteln eine Darstellung der astrophysikalischen Erforschung des Bonnen-
körpers bis zur neuesten Zeit, darin dio Theorien über die Sonne, sowie die
aus der Spcctroscopio und den neueren Finsternissen gewonnenen Ergebnisse,
die Messungen der Sonnentemperatur, und in einem sechsten Kapitel dio aus
den neueren Methoden hervorgegangenen Bestimmungen der Entfernung der
Sonno von der Erde. Hieran schliefst sich die Betrachtung der neueren Forschung
über die Oberflächen der Planeten und der Theorien ihrer Entstehung. Zwei
weitere Kapitel sind den Coraetenersrhcinungen und den aus denselben gezo-
genen Schlüssen gewidmet, das vorletzte Kapitel enthält dio spectral analytische,
photographische und photometrische Untersuchung der Sterne, dio Veränder-
lichen u. s. w., und das letzte eine Uobersicht über die bemerkonswerthesten
Hilfsmittel der gegenwärtigen Forschung.
Den Mangel des Buches finde ich nun in einer gewissen Un Vollständig-
keit der Berücksichtigung wissenschaftlicher Arbeiten. Namentlich sind die in
den Academiess hriften des Auslandes gedruckten sowie dio selbständig erschie-
nenen Memoiren so wenig genannt, dar« ich der Verfasserin den Vorwurf nicht
ganz ersparen kann, als habe sie es zuweilen gänzlich vergessen, dafs hinter
dem Wasser auch noch Leute wohnen. Man kann nicht verlangen, dafs sie in
einem Buche, das einen so gewaltigen .Stoff bewältigen soll, jedem unbedeutenden
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r~-T ■ ^
25«
astronomischen Traktätchen zur Anerkennung verhelfe, aber wichtige, wissen-
schaftlich wohlbegründete Ansichten sowohl solcher, die noch keine Autoritäten
sind, als auch die der bedeutenden Forscher, müssen in einem derartigen Werke
erwähnt werden, auch wenn die Verfasserin eine Gegnerin dieser Ansichten oder
Ergebnisse wäre. So zum Beispiel erwähnt sie bei der Frage nach der Ursache des
Lichtwechsels der veränderlichen Sterne nicht der Hypothese Gyldöns;1) mit
Befremden vermissen wir in demselben Kapitel die Begründung der genauen
Beobachtung der Veränderlichen durch Schönfold und Schmidt; bei der
Photometrie der Sterne sind beide Hörschel als Urheber dieses Zweiges ge-
nannt, aber die Namen von Zöllner und Seidel, der Begründer genauoror
photometrischer Methoden, glänzen durch ihre Abwesenheit. Zöllners Ansicht
über den verschiedenen Abkühlungszustand der Sterne nennt die Verfasserin
eine „unreifo Vorstellung“ und opponirt gegen Vogels Classification der Fix-
sterntypen, indem sie dieselben als unvollständig bezeichnet und behauptet, dafs
wir über das Alter der Sterne nichts wissen. Die Arbeit von Kitter „Unter-
suchungen über die Constitution gasförmiger Weltkörper“ *) kennt sie nicht
Man kann ruhig darauf hinweiseu, dafs wir von vielen Dingen, die die Ver-
fasserin als sicher hinstellt, noch weniger wissen, als über die Schlufsfolge-
rungon betreffs der Abkühlungsprozesse der Sterne; nicht wenig möchte das
die cosmogenischen Hypothesen und vielleicht auch manche der Sonnentheorien
treffen, welche die Verfasserin für vollständig aufzuführen der Mühe w'erth ge-
halten hat Eine ziemlich stiefmütterliche Behandlung haben die neueren Er-
gebnisse über Meteoriten erfahren; die Arbeiten von Niossl, Galle, Witt-
stein, Schmidt, sind nicht erwähnt. Die Verfasserin beschränkt sich auf das,
was über den Zusammenhang von Meteoriten und Cometcn aufgestellt worden
ist; Sch i apart'1 lis Ansichten sind aufgeführt, aber wunderlicher Weise wird
sein epochemachendes Werk „Entwurf einer astronomischen Theorie der Stern-
schnuppen" nicht genannt. Wenn das Buch der Doppelsternbahnen erwähnt,
die in neuerer Zeit in England ziemlich schablonenhaft abgethan worden sind,
dann verdient Seeligers Untersuchung über ' Cancri3), vielleicht die genaueste
Arbeit auf dem Gebiete der Doppelsterne, auch einen Platz, umsomehr, da die-
selbe einen Hinweis auf die rechnerische Entdeckung noch nicht gesehener
Körper iin Welträume enthält, den sich die Verfasserin auf diese Weise ent-
gehen lüfst Dafs unter dem Kapitel über dio neueren Hilfsmittel der Forschung
das Aequatorial coudö erwähnt wird, ist ganz in Ordnung, nur darf man das
Instrument nicht mit der Wichtigkeit hinstellen, wie die Verfasserin, bevor sich
die Astronomen aus den zu erwartendem Arbeiten nämlich haben ein Urtheil
bilden können.
Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir noch eine Bemerkung, die zur
Hälfte mit dem Buche zusammenhängt. Es scheint mir nämlich, dafs die
Kunst der Popularisirung dadurch, dafs sie (wie es namentlich in England ge-
schieht) das Hauptgewicht zu sehr aut die Darstellung der Resultate astrophy-
sikalischer und beschreibender Forschung legt, einen Weg betritt, der zur
richtigen Würdigung der astronomischen Erkenntnisse im weitereu Sinne für
das Publikum nicht ohne Gefahr ist. Selbstverständlich bin ich weit davon
entfernt, die Bedeutung dieser Zweige für die Wissenschaft zu unterschätzen,
allein ich glaube, dafs bei der einseitigen Betonung nur dieser Richtungen das
•) .Versuch einer mal hem. Theorie *ur Erklärung des l.ichtwechaeb veränderlicher
Sterne* (Acta Soc. Fennicae XI. Comptes rend. T. 84).
*) Poggendorffs Annalen IW.
*) rntemuchungcn über die Bewegung^verhjfcltnisae in dem dreifachen Stcrn»VBtcm
Z Cancri. iDenkschr- d. K. Acad. d. W. Wien l^il. 44. Bd )
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Publikum leicht geneigt wird, über diesen blendenden und imponirenden Resul-
taten den Werth der anderen Ergebnisse zu vergessen, welche die astronomische
Forschung des gegenwärtigen Jahrhunderts zu Tage gefördert hat. Auch aus
dem vorliegenden CI er ko sehen Werke wird der Laie solche Vorstellungen
entnehmen, die er bei einer ohjectivcn Kritik wird ändern müssen; das Publi-
kum sieht eben zu wenig die Fäden, aus denen die wissenschaftlichen Ergeb-
nisse gewebt sind, die ihm vorgelegt werden, und kann sich nur in einzelnen
Fällen eine eigene Ansicht bilden. Zum mindesten wird durch das Vernach-
lässigen der anderen astronomischen Forschungsgebiete in populären Büchern,
namentlich der rechnenden und messenden Astronomie, nicht das erreicht, was
meines Erachtens nach die Hauptaufgabe populärer Darstellung sein sollte:
nämlich die Verbreitung richtiger BegrifFo über das Wesen der wissenschaft-
lichen Arbeit Ueber die eigentliche Entsteh ungs weise astronomischer Erkennt-
nisse, die Methode der dabei befolgten Arbeit, die Bildung eines Resultats und
die Art der daneben ausgeübten Kritik, vermögen sich nur Wenige Rechen-
schaft zu geben. Und gerade hierin liegt der einzige Schutz gegen das Zu-
sammenwerfen von Halbheit mit strenger Forschung. Würden solche richtige
Begriffe über die Bedingungen des Entstehens einer wissenschaftlichen Arbeit
im Publikum derzeit allgemeiner verbreitet sein, so hätte beispielsweise Fal bs
wissenschaftliche Thätigkeit dieses wunderliche Conglomcrat von Wahrheit
und Schein, nicht soviel Staub aufzuwirbeln vermocht; denn bei nur einigem
kritischen Blick würde man an dessen Theorie die Abwesenheit einer wirklich
strengen wissenschaftlichen Darlegung der Grund lagen von selbst hcrausgefunden
haben und viel weniger allgemeine „Verblüffung“ wäre möglich gewesen.
Man wird mich jetzt verstehen, wenn ich schliefslich den Wunsch notire.
den ich lebhaft fühlte, nachdem ich das Clerkesche Buch gelesen: dafs mir
nun sofort ein Werk zur Hand sein möchte, welches in ebenso trefflicher über-
zeugender Weise auch den anderen, strengeren und für das Publikum schwie-
rigeren Richtungen gerecht wird, auf welchen die Astronomie des neunzehntem
Jahrhunderts mit Ehren einen nicht minder grofsen Fortschritt verzeichnet.
F. K. Ginzel.
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Herrn II. Bll. in Münster. Der Stern der heiligen drei Könige,
iler gegenwärtig wie alljährlich unter den vielen anderen sinnreichen symbo-
lischen Bildern wieder erscheint, welche der frohen Weihnachtszeit ihr feier-
liches Gepräge gehen, und nach dessen Natur und Herkunft Sie fragen, wird
der Wissenschaft wohl stets hypothetisch bleiben. Am wahrscheinlichsten ist
es vielleicht, dafs er zu den sogenannten „neuen Sternen“ gehörte, welche
plötzlich aullodcrn, um dann nach einigen Monaten wieder zu verseil winden.
Unter dieser Annahme wäre es, wie einige Astronomen glauben, nicht unmög-
lich. dafs dieser mysteriöse Stern in ungefähr gleichen Perioden wieder auf-
glüht. Mau findet nämlich in den Annalen das Auftreten ähnlicher Sterne in
den Jahren 945 126-4 lind 1572 verzeichnet; die letzte Krschcinung betrifft den
berühmten sogenannten Tychonischen Stern, welcher, ganz ebenso wie es die
Bibel von dem Sterne der drei Könige mittheilte, am hellen Tage leuchtend
am Himmel sichtbar blieb. Die Intervalle zwischen den drei oben angegebenen
Jahreszahlen sind 319 und 308, während zwischen dem problematischen Sterne
der Weisen und dem von 1)4.» dreimal 315 Jahre liegen. Alle diese Zahlen
sind nahezu gleich; sie schwanken durchaus innerhalb der Grenzen, in denen
auch der stets etwas veränderliche Lichtwechsel solcher Sterne eingesc blossen
ist. Bestätigt sich defshalh diese Vermuthung — und von mehr als einer Ver-
muthung kann hier keine Bede sein — so ergield eine hlofse Addition dieses
Intervalle» von 310 bis 320 Jahren zu 1572, dafs der schöne Stern nun sehr
bald und zwar bis spätestens zum Jahre 1892 wiederkehren mUfete, welcher
die Geburt des Heilands der Welt mit triumphirendeni Lichte zu verkünden
l»enifen schien. — Noch Ausführlicheros über diese Angelegenheit finden Sie
übrigens in dem Buche des Redakteurs dieser Zeitschrift „Spaziergänge durch
das Reich der Sterne“ (Wien 1885) S. 76 bis 86.
Herrn Dr. J. F. in Budapest. Sie fragen unter andern! : „Sind die pla-
netaren Umlaufshahnen in der That elliptisch und ist die Ellipse in der That
so unwiderstehlich nachgewiesen, dafs ein anständiger Mensch sich schämen
sollte, diese Frage zu stellen?“ Ihre Zweifel defswegen liehen dann bei der
völlig zweifellos richtigen Thatsache an, dafs Kreise unter jedem anderen als
einem rechten Winkel gesehen, wie Ellipsen erscheinen, während wir ja noth-
wendig die Planetenbahnen unter solchen Winkeln betrachten. Sie fügen
schliefslich hinzu, dafs die i>opulärcu Schriftsteller, welche Ihnen von all den
Wunderdingen am Himmel erzählten, Sie „tief in der Seele beunruhigt“ hätten
durch solche und viele andere Fragen, welche dem „recht intelligenten Igno-
ranten“ aufstofsen, von ihm aber nicht beantwortet werden konnten. Wir er-
widern darauf mit Freuden, dafs wir die Entstehung derartiger zweifelnder
Fragen vorausgesehen haben und eben defshalh in jener längeren Serie von
Artikeln die Beweise für die mit unzweifelhafter Sicherheit erkannte Welt-
ordnung, einem denkenden Laien ohne Vorkemitnisse verständlich, liefern.
Auch auf Ihre Fragen wird in diesen Artikeln an rechter Stelle die Antwort
Himmel u&d Erde. I. 4. 19
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262
gegeben; wir müssen Sie darauf vertrösten. Doch können wir schon jetzt hin-
zufügen, dafs die Planetenlaufbahnen uns von der Erde aus gesehen weder
elliptisch noch kreisförmig, sondern als sehr verwickelte, sich vielfach durch-
kreuzende Linien au (treten, deren mathematische Behandlung in der That ganz
unwiderstehlich ihre in Wahrheit elliptische Form verräth. Davon, wie erwähnt,
später in einem unserer nächsten Feuilletons.
Herrn A. G. in München. Eine bis 1881 reichende Zusammenstellung
der verschiedenen Wcrlhe der ermittelten Parallaxe der Sonne giebtNewcombs
„Populäre Astronomie“ (deutsche Ausgabe von W. Engcltnaun, Leipzig 1881.
pag. 225), einen kritischen Ueberbliek über dieselben Harkness (Amer. Joum.
of Sc. 3 Serie, vol. XXII pag. 375). Zu diesen Beitrügen können wir, da sich den
offiziellen Publikationen der verschiedenen leitenden ComitÄs der Vonusdurch-
gangs-Bearbeitungeu nicht gut vorgreifen liifst, nur den Bericht des britischen
Comitäs hinzu fügen (Transit of Venus 1882, London 1887), nämlich 8.832" zfc 0.024".
Die gewünschten Wolf sehen Relativzahlen der Sonnenfiecken für 1880
bis 1887. welche die nach einer hier nicht näher zu erläuternden Formel be-
rechnete Häufigkeit der Flecke definiren, sind folgende:
1880 . . . 32.3*
1881 .. . 54.2
1882 . . . 59.8
1883 . . . 63.7
1884 .. . 63.4
1885 . . . 52.2
1888 . . . 25.4
1887 .. . 13.1
Herrn W. L. H. in Berlin. Das bereits fertig gestellte ausführliche Ver-
zeichnis von Fixsternparallaxen und Dopttclsternhahnen hat des Raummangels
wegen auf das nächsterscheinemle Heft verwiesen werden müssen.
4
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Verlag von H «.t mann i’actel in Berlin. — Druck von Wilhelm Urooau’w Buchdruckerei in Berlin.
Für dl© Rednclion verantwortlich : Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin.
Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt.
Uebarnetiungsrecht Vorbehalten.
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Die leuchtenden Nacht wölken.
Von 0. J«8se in Steglitz.
~|^ie letzton Jahre zeichnen sicli durch ganz aulserordentlich auf-
v fallende Erscheinungen in der Erdatmosphäre aus, welche
— geeignet sind, das Interesse dor Forscher in hohem Grade in
Anspruch zu nehmen. Im August des Jahres 1883 begannen in den
Aequatorgegenden in unmittelbarem Zusammenhänge mit dem Krakatoa-
Ausbruch ') die kräftigen rothen Diimmerungsphänomene, welche von
da aus sich allmählich über die ganze Erde verbreiteten und gegen
das Ende des November auch in Deutschland vielfach gesehen und
bewundert worden sind. Vom Dezember 1883 ab nahm der Glanz
derselben allmählich ab, abor noch bevor dieser vollständig erlosch,
stellte sich im Sommer 1885 eine neue Erscheinung ein, die seitdem
zwar nur während verhältnirsmäfsig kurzer Zeit im Jahre bei uns
siohtbar ist, die sich aber regelmäfsig zu einer fast genau abgemessenen
Jahreszeit wiederholt und dabei einen Glanz entwickelt, welcher, unter
Berücksichtigung der Zeit, das Phänomen als ein höchst auffallendes
erscheinen läfst.
Die bisher angestellten Messungen über die Höhe der Erschei-
nung, die sich als leuchtende Nachtwolkon darstellt, ergaben so
aufserordentlich hohe Werthe, dafs man das Wesen derselben als ein
durchaus räthselhaftes bezeichnen mufste, weil bisher kein Fall beob-
achtet worden ist, in welchem gewöhnliche Wolken auch nur an-
nähernd eine solche Höhe erreicht haben. Während nach Ekholm
und Hagström die gröfste Erhebung der gewöhnlichen Cirruswolken
(oder Federwolken) etwa 13 km boträgt, ist für die leuchtenden
') Wir werden auf diese denkwürdige Katastrophe und ihre direkten
meteorologischen Gefolgoerscheinungen in den nächsten Heften eingehend
zurückkommen. D. Red.
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Himmel und Erde. I- 5,
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Wolken eine Höhe von 75 km gefunden worden. Der Unterschied
dieser Werthe ist so beträchtlich, dafs man auf keinen Fall, oder doch
nur unter sehr erschwerten Umständen, dieselben Bestandteile fiir die
leuchtenden, wie fiir die gewöhnlichen Cirruswolken annehmen kann.
Die glänzenden N'achtwolkcn wurden in Norddeutschland zuerst
im Jahre 1865 in den Tagen des 23. und 24. Juni gesehen. Nach
meinen Beobachtungen am 23. Juni hatte das Phänomen den folgenden
Verlauf. Einige Zeit nach Sonnenuntergang erschien innerhalb des
Dämmerungssegments2) am Himmel eine cirrusartige Bewölkung, die
sioh durch eine ungewöhnliche Helligkeit auszeichnete. Ich habe dem
Wolkenhimmel bisher immer eine grofae Aufmerksamkeit zugewandl:
aber eine so glänzende Erscheinung, besonders zu einer so späteu
Abendzeit, erschien mir außerordentlich auffallend. Um 9 Uhr
50 Minuten war der Nordwesthimmel bis zu einer Höhe von etwa
20 Grad :i) mit einer schön gezeichneten, hellen, cirrusartigen Wolken-
schicht bedeckt, die sich etwa von Nordwest bis Nordnotdost erstreckte.
In dieser Schicht, deren unterster Theil mir jedoch durch Häuser und
Bäume verdeckt war, liefsen sich drei horizontale Zonen unterscheiden.
Die untere hatte ein glanzloses, etwas gelbliches Aussehen, weiter
hinauf folgte ein Streifen von mehreren Graden Breite, welcher in
einem überaus schönen, weifsglänzenden, silberähnlichen Lichte
leuchtete. Ueber diesem Streifen folgte ein ähnlicher mit mattem,
bläulichem Farbenton. Auf der Fläche der leuchtenden Wolken ließen
sich verschieden gestaltete Figuren, besonders kreisförmige mit viel-
fach verschlungenen Streifungen erkennen. Das Licht der hellen
mittleren Zone war vergleichbar dom Uchte des beinahe vollen
Mondes, wenn dersolbe zur Zeit des Sonnenunterganges ungefähr
1U Grad über dem Osthorizont sich befindet. Um 101 , Uhr hatte die
Höhe der leuchtenden Wolken etwas abgenommen; die drei Schichten
waren noch vorhanden, die obere war jedoch beträchtlich schmaler
geworden.
Diese wunderltare Erscheinung hatte mein höchstes Interesse in
Anspruch genommen. Um mich zu informiren, ob dieselbe in der
That, wie ich dem Augenschein nach schließen durfte, eine weitere
J) Das Dämmurungssegment ist derjenige Theil des Himmels, welcher
nach Sonnenuntergang oder vor Sonnenaufgang von den Sonnenstrahlen be-
leuchtet wird und welcher uns daher in dom Dämmerlichte erscheint Es ist
im allgemeinen ein verwaschener Halbkreis, welcher das Segment gegen den
Nacbtbimmel begrenzt
*) 1 (»rad (!•) ist etwa soviel wie zwei Vollmondbreiteu.
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285
Verbreitung hatte, richtete ich an verschiedene wissenschaftliche
Institute in Deutschland eine Anfrage und ersuchte um Mittheilung
über das Phänomen. Infolge dessen erhielt ich eine grüfsere An-
zahl von Zuschriften, in welchen mir Beobachtungen über dasselbe
mitgetheilt wurden. Die Erscheinung ist hiernach nahezu gleichzeitig
in ganz Deutschland gesehen worden. Ich mufs indessen hinzufügen,
dafs nach einer brieflichen Mittheilung von Herrn Dr. Laska in Prag
das Phänomen von demselben bereits am 10. Juni 1885 bemerkt
worden ist.
Während der folgenden Wochen nach dem 23. Juni wurden die
leuchtenden Wolken noch vielfach beobachtet. Gegen das Ende des
Juli 1885 hörten dieselben indessen plötzlich auf, so dafs es schien,
als sei die Erscheinung nun überhaupt verschwunden; dies war jedoch
nur scheinbar. Am 30. Mai 1886 erhielt ich von Herrn Dr. P. An-
dries, Wilhelmshaven, die Mittheilung, dafs die leuchtenden Wolken
am 28. desselben Monats daselbst von neuem gesehen worden waren;
ferner schrieb mir Herr Ingenieur Gronemann zu Osterbeek in
Holland, dafs er dasselbe Phänomen ebenfalls am 28. Mai beobachtet
habe. Bald darauf wurde es auch in ganz Deutschland nahezu in der-
selben Weise gesehen, wie im Jahre vorher. Besonders bemerkens-
werth ist es, dafs es nach zwei Monaten, fast um dieselbe Zeit wie
im Jahre 1885, wieder verschwand. Seitdem hat sich das Phänomen
alljährlich wiederholt und zwar so, dafs es niemals vor Ende Mai und
nach Ende Juli gesehen worden ist Es ist indessen keineswegs an
jedem sonst w'olkenfreien Abend bemerkt worden, sondern os tritt
meist in unregelmäßigen Zwischenräumen von etwa 8 Tagen auf und
bleibt dann in der Regel mehrere Nächte hintereinander sichtbar.
Das Phänomen der leuchtenden Wolken hat seit seinem ersten
Auftreten schon beträchtlich abgenommen; dies zeigt sich namentlich
darin, dafs die Häufigkeit in den letzten Jahren wesentlich geringer
geworden ist, als sie anfangs war. Besonders aber fällt hierbei ins
Gewicht, dafs in den ersten beiden Jahren wiederholt Fälle vorge-
kommen sind, welche einen tiefen Eindruck auf den Beschauer hinter-
liefsen und zwar weniger infolge des grofsen Glanzes, als grade
infolge des zeitweisen Mangels an Glanz. Es ist wiederholt sowohl
von mir, als auch von anderen Personen beobachtet worden, dafs
einige Zeit nach Sonnenuntergang der Nordwesthimmel vollständig
tiefschwarz und undurchdringlich erschien, obwohl die Sonne bei ganz
klarem Himmel untergegangen war. Nur in größeren Höhen, von
etwa 10 bis 20 Grad an, zeigte das intensive silberhelle Leuchten das
20»
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266
Vorhandensein des merkwürdigen Phänomens an. Ich vermag kaum
den beängstigenden Eindruck zu schildern, welchen diese unheimliche
Erscheinung auf mich hervorbrachte; es schien, als wenn eine äufserst
dunkle und schwere Gewitterwolke sich in kurzer Zeit über jenen
Theil des Himmels ausgebreitet hatte. Dafs aber thatsächlich nichts
dergleichen vorhanden war, wurde bald darauf erkannt, als der finstere
Schatten allmählich durch das forlschreitende Leuchten verdrängt wurde.
Ich kann mir dies Vorkommnifs nicht anders erklären, als durch die
Annahmo einer außerordentlichen Anhäufung der Bestandtheile der
leuchtenden Wolken, durch welche die Sonnenstrahlen gänzlich aus-
gelöscht wurden. Da die letzteren zu der Zeit ungefähr eine solche
Riohlung hatten, dafs der Weg, den sie in der Nähe des sichtbaren
Horizontes in einer horizontalen, mit schwebenden Theilehen unge-
füllten Schicht der Atmosphäre zurücklegen, seinen größten Werth
hat, so sohoint der Vorgang des Auslöschens wohl erklärlich, zumal
hierbei die Anzahl der das Licht hemmenden Theilehen ein Maximum
ist.4) Mit dieser Ansicht im Zusammenhänge scheint auch die That-
sache zu stehen, daß an solchen Abenden das Aufleuchten der hellen
Wolken schon etwa 15 bis 20 Minuten nach Sonnenuntergang statt-
fand, wogegen dasselbe an anderen Abenden gewöhnlich später erfolgte.
Besonders in den letzten beiden Jahren war die Dauer zwischen dem
L’ntergange der Sonne und dem Aufleuchten der Wolken meist länger
als eine Stunde.
An den Abenden, an welchen das Aufleuchten ungewöhnlich
früh stattfand, ereignete es sich auch in der Regel, daß die hellen
Wolken mehr oder weniger über den ganzen Himmel verbreitet waren
und daß nur der äufsersto Südost-Himmel davon frei blieb. Anfangs
waren dieselben kaum bemerkbar; mit dem abnehmenden Tageslichte
oder bei tiefer sinkender Sonne zog sich die Erscheinung allmäh-
lich nach Nordwesten hin zurück; gleichzeitig nahm der Glanz der
Wolken langsam zu, und er erreichte seinen größten Werth, wenn
die Ausdehnung der Erscheinung sich soweit vermindert hatte, daß
die obere Grenze im Nordwesten nur noch eine Höhe von etwa
15 Grad hatte. Wenn dagegen das Aufleuchten länger als eine Stunde
nach dem Sonnenuntergänge stattfand, wurde die Erscheinung nur am
Nordwest-Himmel wahrgenommen.
In den meisten Fällen wurde auch einesehr rasche Veränderung
der Form der Wolken bemerkt; schon nach wenigen Minuten war
‘J Siehe den Zusatz 1 am Schlufs des Artikels.
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207
«las Aussehen derselben ein wesentlich anderes geworden. An einem
Abend bemerkte ich im Nordnordosten eine Stelle, welche sich vor
allen anderen durch einen auffallenden Glanz auszeichnete; diese blieb
während der ganzen Boobachtungszeit am Abend sichtbar, wenn auch
unter Veränderung ihrer ursprünglichen Form. In der zweiten Hälfte
der Nacht hatte jedoch dieser Glanz wesentlich abgenoramen, so dafs
die Stelle vor anderen nicht mehr hervortrat.
Die diesem Artikel beigegebenen vier Abbildungen der leuch-
tenden Nachtwolken sind nach photographischen Aufnahmen her-
gestellt. Fig. 1 und 2 sind gleichzeitig am 6. Juli 1887 abends 9 Uhr
55 Minuten mittlere Berliner Zeit aufgenommen, die erste von dem
Wasserthurm des Observatoriums in Potsdam, die zweite von dem
Dache des Hauses Blumenthalstrafse 18 in Berlin. Fig. 3 stellt das
Phänomen dar, wie es sich 10 Minuten später in Potsdam zeigte; man
erkennt aus derselben, dafs die Erscheinung bereits etwas herab-
gesunken ist. Fig. 4 giebt eine Abbildung der leuchtenden Wolken
vom 4. Juli 1888 morgens IV« Uhr durch eine Lücke des unteren
Oewölkes; bei dieser Aufnahme war der Standort das Dach des
Hauses Albrechtstrafse 30 in Steglitz.
Die günstigste Zeit für die Beobachtung der leuchtenden Wolken
ist immer dann, wenn der Dämmerungsbogen eine Höhe von etwa
15 Grad hat; dies ist der Fall, wenn sich die Sonne etwa 10 bis
11 Grad unter dem Horizonte befindet. Sind diese Wolken überhaupt
vorhanden, so sind sie immer nur innerhalb des Diimmeruugssegmentes
am Himmel, jedoch ragt die Erscheinung wohl etwas — um 2 bis
5 Grad — über dasselbe hinaus. Die leuchtenden Wolken haben im
allgemeinen ein ähnliches Aussehen wie gewöhnliche Cirrus- oder
Federwolken, aber sie unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkte
von diesen, wodurch sie unzweifelhaft sofort zu erkennen sind. Wenn
nämlich Cirruswolken innerhalb des Dämmerungssegmentes Vorkommen,
so sind diese — mit Ausnahme etwa der ersten 15 Minuten nach dem
Untergange der Sonne — immer dunkler als derjenige Theil des
Dämmerungshimmels, in welchem keine Cirruswolken vorhanden sind.
Dagegen sind die leuchtenden Wolken immer he Her, als der
sie umgebende Dämmerungshimmel. Gewöhnliche Cirruswolken
verschwinden im allgemeinen nicht, wenn sie aufserhalb jenes Segmentes
sich befinden, sie verändern nur ihr Aussehen, indem sie nun heller
erscheinen als der ihnen zunächst liegende Theil des Nachthimmels.
Die leuchtenden Wolken verschwinden aber gänzlich, sobald die Grenze
zwischen dem Dämmerungs- und dem Nachthimmel über sie hinweg-
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2*18
geht und nur derjenigeThcil bleibt sichtbar, welcher in dem Dämmerungs-
Segment liegt.
Welche aufserordontlichen Unterschiede nun zwischen den ge-
wöhnlichen Cirruswolken und diesen leuchtenden Wolken vorhanden
sind, zeigt sich besonders an den bis jetzt vorgenommenen Höhen-
bestimmungen. Die Ausdehnung der Erscheinung ist von dem jedesmali-
gen Stande der Sonne unter dem Horizonte abhängig. Es ergeben sieh
daher, unter der Voraussetzung, dass das Leuchten der Wolken durch ein
Zuriiokwerfeu der Sonnenstrahlen bewirkt wird, und dafs das Ver-
schwinden gegen den Xachthiimm-1 dadurch hervorgerufen wini, dafs
Fig.l.
der Erdschatten über die Licht reüektireudeu Theilchen hinweggeht,
leicht die Grundsätze für eine Höhenbestimmung; denn man braucht
nur das Fortschreiten jenes Bogens, welcher das Phänomen gegen den
Nachthimmel begrenzt, zu verfolgen und die Höhe des Gipfels des
Bogens über dem Horizont zu verschiedenen Zeiten mittelst eines
Winkelmefsinstrumentes zu bestimmen. Aus derartigen Messungen,
welche im Jahre 1885 wiederholt von mir ausgeführt worden sind,
ergiebt sich die ungemein grofse Höhe von mehr als 50 km. Aber
es mufs zweifelhaft erscheinen, ob dieser Werth den wirklichen Ver-
hältnissen entspricht. Die durch die Erdatmosphäre hindurchgehenden
Sonnenstrahlen werden bekanntlich um so mehr geschwächt, je länger
der Weg ist, den sie in derselben zurücklegen. Hierzu kommt, dafs
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diejenigen Strahlen, welche die Erdoberfläche selbst berühren, auch
besonders aus dem Grunde am meisten Licht verlieren, weil die ver-
schiedenen Luftschichten im allgemeinen um so mehr mit fremden
Bestandtheilen, welche für den Durchgang des Lichtes hinderlich sind,
ungefüllt sind, je näher die Schicht an der Erdoberfläche sich befindet.
Es ist hiernach nicht unwahrscheinlich, dafs erst diejenigen Sonnen-
strahlen, welche in einer Entfernung von etwa 5 km von der Erd-
oberfläche bleiben, die Kraft behalten, um die fremden Theilchen hin-
reichend zu beleuchten, so dafs diese sichtbar werden. In der Thal
Fi* 2.
haben spätere Bestimmungen wesentlich gröfsere Werthe für die Hohe
ergeben. Auf Veranlassung des Herrn Professor Förster in Berlin
wurden am Abend des t». Juli 1887 gleichzeitig von Herrn Dr.
Stolze in Berlin und von mir in Potsdam photographische Auf-
nahmen von den leuchtenden Wolken ausgeführt, aus welchen ein
Werth von etwa 75 km für die Höhe folgt.1) Indessen ist auch dieser
Werth nicht ganz sicher, weil die Entfernung Potsdam — Berlin zu
klein ist. gegenüber der Entfernung der leuchtenden Wolken, wenn
') Siehe «len Zusatz 2 am Schlüsse dieses Artikels.
270
diese, wio es au jenem Abend der Fall war. in der Nähe des Horizonts
sich befinden.*) Von den Herren Dr. Ceraski und Beiopolsky in
Moskau wurden wiederholt Höhenbestimmungen ausgeführt, uach
welchen sich ein Werth von etwa CU km ergiebt.
Man könnte nun zu der Ansicht neigen, dafs das Phänomen
bisher in jedem Sommer dagewesen ist, und dafs, da es besonders in
seinem gröfsten Glanze spiit um Abend auftritt und dann nur immer
sehr tief am Horizont sichtbar ist, es bisher nicht bemerkt oder doch
iihcrsehen worden ist, und in der Thal ist es denkbar, dafs ein nicht
geschultes Auge die Erscheinung übersieht.
Fig. 3.
Gegen die Ansicht, dafs dns Phänomen in dem bisher beobachteten
Glanze ein beständiges, alle Jahre wiederkehrendes ist, sprechen in-
dessen gewichtige Thatsachen. Zunächst spricht hiergegen der Um-
stand, dafs ich in dem Sommer 1884, welcher dem zuerst bemerkten
Auftreten der leuchtenden Wolken voraufging, vielfach das glänzende
Purpurlicht am Dümtnerungshimmel beobachtet und gemessen habe.
Die Erscheinung würde mir daher auf keinen Fall entgangen sein,
wenn sio damals schon vorhanden gewesen wäre. Feiner spricht
dagegon die Thatsache, dafs die leuchtenden Wolken seit der ersten
Beobachtung von Jahr zu Jahr an Ausdehnung und Häufigkeit des
“) Siehe den Zusatz. :> am Schlüsse dieses Artikels.
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271
Auftretens abgenommen haben. Wenn sie aber so ausserordentlich
rasch abnehmen, wie es bis jetzt durch die Beobachtung festgestellt
ist, so müssen sie nothwendig einen Anfang genommen haben; jeden-
falls ist aber mit der konstatirten Abnahme die Ansicht unvereinbar,
dafs das Phänomen in dem beobachteten Glanze ein dauerndes ist.
Obwohl nun andererseits hiernach ein Ende der Erscheinung in Aus-
sicht steht, so ist es doch immerhin wahrscheinlich, dafs während
einiger Jahre dieselbe noch fortdauern wird.
big. 4.
Die im Jahre 1883 vorgckommenen aufserordentlichen vulka-
nischen Ausbrüche des Krakatoa in der Sundastrafse, in deren Gefolge
ungemein prächtige rothe Dammerungserscheinungen auftraten, lassen
es an sich als cinigermarsen wahrscheinlich erscheinen, dafs die
leuchtenden Wolken mit denselben im Zusammenhänge stehen.
Zwar wissen wir, dafs die glänzenden Wolken, welche seit dem
Jahr 1885 in jedem Sommer bei uns gesehen worden sind, im Jahre
1884 noch nicht vorhanden waren und dafs somit zwischen dem Aus-
bruch des Krakatoa und dem ersten Auftreten des Phänomens ein
Zeitraum von nahe 2 Jahren verflossen ist. Aber obwohl hierdurch
die Annahme eines Zusammenhanges zwischen beiden Erscheinungen
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3
272
von vornherein ausgeschlossen erscheint, so glaube ich denselben
dennoch aufrecht erhallen zu können.
Es ist oben darauf hingewiesen, dafs die leuchtenden Wolken
eine Höhe von etwa 75 km haben. Vergleicht man mit diesem Re-
sultate die bis jetzt bekannt gewordenen Werthe über die Höhe der
gewöhnlichen Cirruswolken, die wie schon erwähnt 13 km erreichen
kann und bekanntlich die höchste unter gewöhnlichen Umständen be-
obachtete Wolkenform ist, so drängt sich uns nothwendig die Er-
kenutnifs auf, dafs die leuchtenden mit den gewöhnlichen Wolken
nichts zu thun haben. Man ist aus diesem Grunde genüthigt, zur Er-
klärung dieser Erscheinung ganz neue Gesichtspunkte aufzustellen.
In gewissem Sinne giebt aber die Entstehung der gewöhnlichen Wolken
einen Anhalt für eine Hypothese über das Zustandekommen der
leuchtenden Wolken.
Wir wissen, dafs die gewöhnlichen Wolken durch das Empor-
steigen des Wasserdampfes entstehen, indem mit der gleichzeitig statt-
findenden Ausdehnung der Oase eine Temperaturerniedrigung vor sich
geht, unter deren Einflufs der Wasserdampf sich zu Tröpfchen ver-
dichtet. Ganz ähnlich kann man sich das Entstehen der leuchtenden
Wolken denken, indem mau von der Voraussetzung ausgeht, dafs statt
des Wasserdampfes irgend ein anderes Gas in höhere Luftschichten
steigt und sich hierbei soweit äbkühlt, dafs dasselbe sich in den
tropfbar flüssigen Zustand umwandelt.
Wir wissen nach den neuen Untersuchungen von Olszewsky,
Wroblewsky und andern, dafs eine grofse Anzahl von Gasen durch
Entziehung von Wärme und durch Steigerung des ättfscren Druckes
sich zu tropfbaren Flüssigkeiten verdichten lassen. Die Temperatur
und der Druck stehen hierbei in der Verbindung miteinander, dafs
der Wärmeverlust um so grüfser sein mul's, je geringer der äufsere
Druck ist, dem das Gas unterliegt. Bei mehreren Gasen gelingt die
Verdichtung in den flüssigen Zustand bei einem Druck von wenigen
Atmosphären und bei der Temperatur Null. So wird die schwefelige
Säure bei 1.5, das Cyan bei 2.4 und Ammoniak bei 4.4 Atmosphären
und der Temperatur Null flüssig.
Die schwefelige Säure wird vielfach von Vulkanen ausgeworfen:
sie verdichtet sich bei dem Druck einer Atmosphäre und bei der
Temperatur — 20 Grad zu einer farblosen Flüssigkeit, und sie wird
sich wahrscheinlich, wenn der Druck bis auf Null sinkt, bei einer
Temperatur, welche noch oberhalb derjenigen liegt, welche man fiir
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273
die des Weltenrauros halten kann (dieselbe ist nach Frölich
— 130 Grad), zu einer flüssigen Masse verdichten.
Es ist nun meine Ansicht, dafs die leuchtenden Wolken dem ge-
waltigen Ausbruche des Krakatoa im August 1883 ihr Dasein ver-
danken. Nach der Schätzung von Verboek hat die Höhe der Aus-
wurfsmasse am 26./27. August 1883 etwa 15 bis 20 km betragen.')
Hiermit in Uebereinstimmung steht das Resultat meiner Untersuchungen
über die Höhe der rothen Dunstschicht, durch deren Beleuchtung
durch die Sonne die intensiven Dämmerungserscheinungen vom No-
vember 1883 bis zum Jahre 1887 hervorgebracht worden sind, welche
sich zu 17 km ergeben hat8)
Die Auswurfsmasso hat nun unzweifelhaft sowohl aus festen
staubartigen, als auch aus gasartigen und vielleicht auch ausWasser-
theilchen bestanden. Während nun der Wasserdampf, nachdem er in
die Höhe gelangt war, sich condcnsirto und in Verbindung mit dem
flüssigen Wasser und mit dem gröberen Gestein wiodcr auf die Erde
zurückflel, vermischten sich die übrigen Gase und die Staubtheilchcn
mit der atmosphärischen Lull und wurden mit derselben nach allen
Richtungen hin auseinander getrieben. Obwohl nun die Gase sich im
allgemeinen vollständig durchdringen, so scheint es doch, dafs das
gegenseitige Durchdringen um so mehr gesoh wacht wird, je gröfscr
der Unterschied der specifisohen Gewichte ist Es ist z. B. von dem
Wasserstoff bekannt, dafs derselbe in grofsen Mengen aus den Vul-
kanen strömt; da aber der Wasserstoff in der Atmosphäre, ausge-
nommen in der Nähe von Vulkanen, sich nicht nachweisen läfst, so
ist das Fehlen desselben in der unteren Luftschicht nur dadurch zu
erklären, dafs man annimmt, derselbe werde wegen seines wesentlich
geringeren Gewichtes gegen die atmosphärische Luft rasch in die
höheren Regionen getrieben und verliere sich von da aus in den
allgemeinen Raum. Es wird nun hiernach denkbar, wenn der-
jenige Temperaturgrad, bei dem sich das Gas, welches zur Bil-
dung der leuchtenden Wolken beigetragen hat, verdichtet und in
den tropfbaren Zustand übergeht, nicht allzu tief liegt, oder doch nicht
so tief, wie die Temperatur an der oberen Grenze unserer Atmo-
sphäre, dafs das Gas sich zu einer tropfbaren Flüssigkeit verwandelt.
Hiermit wird die atmosphärische Luft in jener Höhe, wo die Verdich-
tung stattfindet, von den fremden Gasen befreit, und es werden daher
au9 tieferen Schichten weitere Theilo derselben nach oben dringen.
V CornpL rend. T. XCVIII p. 1019.
*) Meteorologische Zeitschrift 1884 p. 133.
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Nach der Condonsirung sind nun die Gase schwerer, als die
atmosphärische Luft und eie sinken infolge der Erdanziehung gegen
die Erdoberfläche zurück. Dieses Fallen ist aber beschränkt; denn
sobald die Theilchen in wärmere Schichten gelangen, verdampfen sie
wieder und der vorher beschriebene Vorgang wiederholt sich von
neuem.
I)a nun in diesem Zustande die Körperchen über einen grofsen
Theil, vielleicht über den ganzen Luftraum der Erde zerstreut sind
und infolge dessen in einer sehr dünnen Lage auftreten, so wird man
kaum erwarten können, dafs dieselben nun schon sichtbar sind. Es
ist daher nun erforderlich, dafs die Möglichkeit der Bildung einer
wolkenartigen Verdichtung, in welcher sie thatsächlich beobachtet
worden sind, einer kurzen Betrachtung unterworfen wird.
Während wir bei den Körpern, so lange sie in dem gasförmigen
Zustand auftreten, im allgemeinen wahrnohmen, dafs die einzelnen
Theile eines und desselben Körpers sich von einander zu entfernen
suchen, sehen wir in dem flüssigen oder festen Zustande nicht selten,
dafs dieselben Körper nach einer Vereinigung streben. Wir wissen
z. B., dafs der in der Luft enthaltene Wasserdampf sich in derselben
mehr oder weniger auszubreiten sucht; sobald aber der Wasserdampf
sich zu tropfbar flüssigen Theilchen verdichtet hat, suchen diese bis
zu gewissen kleinen Grenzwerthen eine Annäherung, die durch die
Bildung der Wolkon zum Ausdruck kommt. Zuweilen ist dies Be-
streben nach einer Vereinigung besonders kräftig. Wir müssen dies
aus den ungemein scharf ausgeprägten Umrissen schliefsen, welche
nioht selten bei Gewitterwolken beobachtet werden. Ein ähnliches
Streben nach einer Vereinigung zeigt sich bei der Bildung von
Krystallen aus den Lösungen krystallisirbarer Körper. Hier müssen
die einzelnen kleinen Theilchen einen verhältnifsmäfeig grofsen Weg
zurücklegen, bevor sie sich an den Hauptkörper ansetzen. Aehnliche
Kräfte, wie sie in den beiden Beispielen wirksam sind, mögen nun
auch die Vereinigung der in der Atmosphäre weit zerstreuten conden-
sirten Gastheilchen herbeigeführt haben. Nach dieser Darlegung wird
es nun erklärlich, dafs das erste Erscheinen der leuchtenden Wolken
erst verhältnifsmäfsig spät, 1* 4 Jahr nach dem Ausbruch des Krakatoa.
gesehen worden ist; denn die Vereinigung aller der kleinsten
Körperchen zu einer Hauptmasse hat jedenfalls längere Zeit in An-
spruch genommen. Es mag aber zu dieser Anhäufung noch eine
andere Ursache mitgewirkt haben, welche zugleich die Periodicität des
Auftretens der leuchtenden Wolken herbeigefiihrt hat
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Höchst merkwürdig mufs es nämlich erscheinen, dafs das auf-
fallende Phänomen nur während einer kurzen Zeit im Sommer sicht-
bar ist. Man könnte hiernach zu der Ansicht neigen, dafs die Ursache
desselben beständig in unsoror Atmosphäre vorhanden ist, und dafs
nur unter ganz bestimmten Verhältnissen die Erscheinung sichtbar
wird. Man könnte z. B. annebmen, dafs, weil die Sonne zu jener Zeit
in verhältnifsmäfsig geringer Tiefe unter dem Nordhorizont bleibt, die
Sonnenstrahlen auf weit ausgedehnte Eis- und Schneefelder, welche
im Norden liegen, fallen, und dafe unter Mitwirkung dieser reflektirten
Strahlen die in der Atmosphäre schwebenden Körperchen hinreichend
beleuchtet und dadurch siohtbar werden. Wenn dies aber der Fall
wäre, so bleibt os unerklärlich, dafs der Anfang der leuchtenden
Wolken innerhalb einer Erscheinung dem Sommersolstitium näher
liegt, als das Ende. Wenn jene Voraussetzung richtig wäre, müfstc
man erwarten, dafs das Phänomen ira Gegentheil derartig zu dem
Sommersolstitium liegt, dafs die Zeit der Sichtbarkeit vor dem 21. Juni
länger sein müfste, als die Zeit der Sichtbarkeit nach demselben,
weil auf alle Fälle die Ausdehnung der Schnee- und Eisfelder am An-
fang der Erscheinung eine gröfscro ist, als gegen das Ende derselben.
Es scheint daher, dafs das periodische Auftreten des Phänomens
nur durch eino Wanderung desselben erklärt werden kann, wozu die
Umstände auch sonst oinigermafsen günstig liegen.
Von Sir William Siemens wurde vor einigen Jahren eine
Hypothese über die fortwährende Erneuerung der Sonnenkraft auf-
gestellt, bei welcher die Ansicht zu Grunde gelegt ist, dafs der Welten-
raum mit höchst verdünnten Gasen als Fortsetzung der Atmosphären
der Sonne und der Planeten angefüllt ist. Ebenso hat schon Enke
aus den fortdauernd abnehmenden Umlaufszeiten des nach ihm be-
nannten Kometen geschlossen, dafs der Weltraum mit einem, wenn
auch sehr dünnen, widerstehenden Mittel angefüllt ist. Auch unter
Zugrundelegung sonstiger physikalischer Gesetze wird man zu der
Annahme geführt, dafs der interplanetare Raum nicht leer ist, sondern
dafs derselbe von denjenigen Luftarten eingenommen wird, welcho die
Planeten umgeben, sich aber dann in einem höchst verdünnten
Zustande befinden müssen. Wenn jedoch der Weltenraum wirklich
mit einem widerstehenden Mittel angefüllt ist, so mufs unter der Vor-
aussetzung, dafs dasselbe in Bezug auf seine Bewegung gegen die-
jenige der Erde um die Sonne zurückbleibt, eine ununterbrochene,
allerdings sehr langsame Erneuerung der Erdatmosphäre stattfinden.
Diejenige Erdhälfte, welche der Bewegungsrichtung zugewandt ist,
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erhält fortwährend einen neuen Zuflufs aus dem allgemeinen Kaum;
infolge dessen mufs auf der entgegengesetzten Seite nothwendig ein
Abflufs statlflnden. Auf diese Weise wird es denkbar, dafs in den
Schichten der Atmosphäre von etw7a 20 bis 100 kra Höhe eine un-
aufhörliche, wenn auch schwache Strömung nach der Rückseite vor
sich geht An dieser Strömung müssen dann jedenfalls die in den
höchsten Atmosphärenschichten schwebenden Stoffe tbeilnehmon.
Es ist nun bemerkenswert!), dafs wir die Erscheinung der
leuchtenden Wolken nur während einer kurzen Zeit dos .Jahres sehen
und dafs diese Zeit so liegt, dafs die Annahme eines Einflusses jener
Strömung auf die Bewegung der leuchtenden Wolken sich zu be-
stätigen scheint. Die Lage der Erdaxo im Weltenraum und gegen
die Bewegungsrichtung der Erde ist nämlich so, dafs in der Zeit vom
21. Dezember bis zum 21. Juni der Südpol der Erde der Bewegungs-
richtung zugewandt ist In der Mitte dieser Zeit, am 21. März, hat
diese Zuneigung ihren gröfsten Worth, beide Richtungen bilden dann
einen Winkel von 66.5 Grad miteinander; gegen den Anfangs- und
Endpunkt der Zeit verschwindet dio Neigung und beide Richtungen
bilden dann einen Winkel von 90 Grad miteinander. In dem folgenden
Halbjahr sind die Verhältnisse entgegengesetzt, so dafs am 23. Sep-
tember der Nordpol der Erde mit der Bewegungsrichtung einen Winkel
von 66.5 Grad einschliefst Im Verein mit der Bewegung der Erde
um ihre Axe ist es hiernach denkbar, dafs die Luft in dem halben Jahr
vom Januar bis Juni einer sehr langsamen Strömung von Süden nach
Norden und in dem folgenden halben Jahr einer Strömung in ent-
gegengesetzter Richtung unterworfen ist. Da nun auch die in der
Luft schwebenden Theilchen an dieser Strömung theilnehmen müssen,
so wird es hiernach erklärlich, dafs wir die leuchtenden Wolken nur
im Juni und Juli sehen.
Man könnte nun gegen diese Hypothese über die Strömung der
Luft in den oberen Schichten und über die Wanderung des Phänomens
einwerfen, dafs bis jetzt die leuchtenden Wolken auf der südlichen
Hälfte der Erde noch nicht gesehen worden sind, und dafs daher die
Hypothese sehr fragwürdig erscheint. Hierzu kommt, dafs die Direktion
der deutschen Seew'arte im Herbst des Jahres 1887 ein Flugblatt cr-
liofs, welches die Bitte an die Seefahrer um Beobachtung des Phänomens
besonders auf den mittleren und höheren südlichen Breiten enthielt
Hierauf sind bisher keine Mittheilungen eingegangen.
Man könnte hiernach in der That zu der Ansicht neigen, dafs
das Phänomen im Süden nicht vorhanden ist Aber es sprechen doch
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gewichtige Gründe dafür, dafs die Erscheinung, wenn sie auch wirk-
lich an einem Orte auftritt, doch nicht als außergewöhnlich aufgefafst
wird. Dies zeigt sich deutlich aus den Beobachtungen, welche bisher
aus Europa bekannt geworden sind. Während aus Deutschland ziem-
lich zahlreiche Beobachtungen, besonders aus der ersten Zeit des
Phänomens vorliogen, sind aus England, Schweden, Norwegen, Rurs-
land, Italien und Holland nur ganz vereinzelte Nachrichten bekannt
geworden. In Frankreich, Spanien, Oesterreich-Ungarn, Schweiz und
Dänemark ist die Erscheinung anscheinend ganz unbeachtet geblieben;
ebenso fehlen aus den Vereinigten Staaten Nordamerikas Nachrichten
darüber.
Man wird auf ürund dieser Thutsachen nicht schließen können,
dafs das Phänomen in denjenigen Länderstrichen, aus welchen keine
Beobachtungen vorliegen, auch nicht aufgetreten ist. Vielmehr muß
man annehmen, daß dasselbe der Aufmerksamkeit seiner Bewohner
entgangen ist.
Für die südliche Halbkugel der Erde fällt besonders ins Gewicht,
dafs in denjenigen Breiten, welche den unsrigen entsprechen, das
Festland nur sehr spärlich vertreten ist. Es ist fast nur die Südspilze
von Amerika, welche hierbei in Betracht kommen kann. Daß aber
dort bei den Bewohnern der Sinn für besondere Naturerscheinungen
mehr ausgebildet sein sollte, wie z. II. in Frankreich, wird man nicht
erwarten können.
Es muß nun aber besonders auffallend erscheinen, daß auch
von den Seefahrern bis jetzt keine Mittheilungen eingegangen sind.
Diese Thalsache würde besonders stark dafür sprechen, daß die
leuchtenden Wolken im Süden nicht vorhanden sind. Aber da auch
aus den nördlichen Theilen des atlantischen Ozeans, wo sie unzweifel-
haft vorgekommen sind, keine Beobachtungen von Seefahrern bekannt
geworden sind, so ist man auch hiernach nicht zu der Annahme be-
rechtigt, daß das Phänomen im Süden nicht vorkommt.
Die leuchtenden Wolken haben immerhin einige Aehnlichkeit
mit einem gewöhnlichen Dämmerungsleuchten, welches infolge des
Vorhandenseins von Cirruswolken mehr oder weniger prächtig er-
scheint, und nur unter Berücksichtigung des tiefen Standes der Sonne
unter dem Horizonte hat die Erscheinung einen besonders auffallenden
Charakter. Da aber diese Verhältnisse im allgemeinen nicht berück-
sichtigt werden, so ist es erklärlich, dafs das Phänomen in den meisten
Fällen unbeachtet bleibt Es kann daher auch nicht auflallen, daß
selbst Seefahrer, welche sich vor allem durch Wetterkunde auszeichnen,
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die Erscheinung übersehen, weil dieselben wegen des vielfachen
Wechsels in Bezug auf die scheinbare Geschwindigkeit, mit welcher
sie die Sonne unter verschiedenen geographischen Breiten unter den
Horizont treten sehen, sich nicht hinreichend derjenigen aufserordent-
lichen Umstände bewufst werden, welche das Phänomen begleiten.
Ich kann daher nach den bis jetzt vorliegenden Beobachtungen
nicht zu der Ansicht neigen, dafs die Nachtwolken nur unsern Breiten
eigen sind. Es würden hieraus außerordentliche Schwierigkeiten er-
wachsen in Bezug auf die Frage, wie man sich die Unsichtbarkeit in
der langen Zwischenzeit vom August bis zum Mai zu erklären habe.
I)io Temperatur ist in diesen Höhen höchst wahrscheinlich während
des ganzen Jahres nur sehr geringen Schwankungen unterworfen;
durch diese wird also das periodische Auftreten nicht erklärt werden
können. Der Einwand, dafs zur Zeit der Sichtbarkeit des Phänomens,
möglicherweise infolge der Reflexion der Sonnenstrahlen an Schnee-
und Eisflächen, eine gröfsere Lichtmenge auf die Materie fällt, wodurch
dieselbe sichtbar werden kann, ist schon oben widerlegt.
Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dafs das Phänomen
der leuchtenden Wolken seit seinem ersten Auftreten von Jahr zu
Jahr abgenommen hat, und es scheint nothwendig, die obige Hypothese
über die regelmäfsige periodische Strömung der Atmosphäre in den
oberen Schichten hieran zu prüfen. Wenn die leuchtenden Wolken
aus verdichteten Gasen bestehen, so ist es einigermafsen schwierig,
die fortdauernde Verminderung der Materie zu erklären, weil wir
daran gewöhnt sind, anzunehmen, dafs alle im Bereich der Anziehungs-
kraft der Erde befindlichen Theile derselben dauernd verbleiben.
Man mufs es aber nach den voraufgegangenen Darlegungen dir
möglich halten, dafs die feinen Körperchen von derjenigen Strömung,
welche durch die Bewegung der Erde in dem widerstehenden Mittel
hervoigerufen wird, erfafst und außerhalb des Bereiches der Erd-
atmosphäre geführt werden. Dafs hierdurch nur eine ganz allmähliche
Abnahme der Masse der leuchtenden Wolken stattfinden kann, da die
Strömung nur auf verhältnismäßig kleinen Gebieten diejenige Kraft
haben wird, welche zu einer dauernden Entziehung der kleinsten
Theile, die ja noch immer der Anziehung der Erde unterworfen sind,
nothwendig ist, erscheint zweifellos. Man erkennt z. B., dafs während
der Zeiten der Aequinoctien die Verhältnisse so liegen, dafs die
größten Beträge der Wolkenthcilchen aus der Atmosphäre hinweg-
geführt werden, und dafs zu den Zeiten der Solstitien die Menge der
Weggefährten Theilchen den kleinsten Werth hat. Zur Zeit des
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Sommer-Solslitiums, in welcher die leuchtenden Wolken in der nörd-
lichen gemäßigten Zone auftreten, bewegt eich die Erde rechtwinklig
gegen die Lage der Erdaxe. Es sind also in dieser Zeit die iiqualorealen
Theile der Atmosphäre, welche bei der Strömung hauptsächlich in
Betracht kommen. In dieser Zeit wird daher die Strömung nur einen
unwesentlichen Einflurs auf die Verminderung der Theilchen haben.
Einige Monate später bildet die Bewegungsrichtung der Knie mit der
Axe einen Winkel von 06.5 Grad, ln dieser Stellung, bei welcher
allem Anschein nach die leuchtenden Wolken in der Nähe des
Aequators angekommen sind, liegen die Verhältnisse für die Ent-
führung der Materie durch die Strömung etwas günstiger.
Es ist nun von einigem Interesse, einen Blick in die früheren
Zeitalter der Entwickelung des Erdkörpers zu werfen. Sehr wahr-
scheinlich ist die vulkanische Thätigkeit unserer Erde einstmals eine
viel regere gewesen, als sie heute ist. Man darf daher voraussetzen,
dafs das Eindringen von außergewöhnlichen Beimengungen in unsere
Atmosphäre ein viel häufigeres und infolge dessen ein massenhafteres
gewesen ist, wie heute. Es wird hiernach denkbar, dafs die Er-
scheinung der leuchtenden Wolken in früheren Zeiten und besonders
zur Zeit der gröfsten vulkanischen Thätigkeit eine beständige gewesen
ist, in der Weise, dafs die ganze Atmosphäre in einem Abstande von
etwa 75 km von der Erdoberfläche mit einer Schicht feiner Partikel
angefüllt gewesen ist Es ist ferner denkbar, da die vulkanische
Thätigkeit sich nicht auf das Auswerfen nur einer Gasart beschränkt
dafs mehrere Gasarten zur Bildung von hellen Wolken beigetragen
haben. Da nun die Gase im allgemeinen unter sehr verschiedenen
Temperaturen sich verdichten, welche meist wesentlich anderen Höhen
eigen sind, so ist es nicht unwahrscheinlich, dafs außer in Entfernungen
von 75 km auch in noch größeren, von vielleicht 100 bis 150 km,
Anhäufungen von kondensirten Gasen vorgekommen sind.
Außer den ausgeworfenen Gasen, welche nach der Verdichtung
zu dem Auftreten glänzender weißer Wolken Veranlassung gegeben
haben, sind nun aber jedenfalls auch Stau bthei leiten in großen Mengen
in die Atmosphäre geschleudert worden, welche je nach ihrer Zu-
sammensetzung andere Farbenerscheinungen bewirkten, die aber in
Bezug auf Glanz wesentlich hinter den hellen Wolken zurückstehen.
Betrachtet man von diesem Gesichtspunkt aus den Planeten
Jupiter, welcher wegen seiner außerordentlichen Gröfse sieh sehr
wahrscheinlich noch in einer früheren Entwickelungsstufe als die Erde
Himmel und Erde. I. 6. 21
S=RJ
280
befindet, so erkennt man, dafs derselbe in auffallender Weise den hier
ausgesprochenen Muthmafsungen zu entsprechen scheint
Das spezifische Gewicht des Jupiter ist bekanntlich geringer, als
das des Wassers. Aber die Erscheinungen an demselben deuten an,
dafs wir nicht die feste oder flüssige Oberfläche sehen, sondern nur
eine in der Atmosphäre desselben schwebende Wolkenschicht; ja es
ist nach den Beobachtungen einige Wahrscheinlichkeit dafür vorhanden,
dafs nicht nur eine, sondern mindestens zwei, wenn nicht mehr
VVolkenschichten in derselben in verschiedener Höhe auftreten. Wenn
eine dieser Schichten durch dieselben Gase erzeugt wird, wie die
leuchtenden Wolken der Erde, so ist höchst wahrscheinlich infolge
der beträchtlich höheren Atmosphäre des Jupiters und seiner Eigen-
wärme der Abstand derselben von der Jupiter-Oberfläche eine wesentlich
gröfsere, wie der Abstand der leuchtenden Wolken von der Erdober-
fläche, und das spezifische Gewicht des Hauptkörpers des Jupiter würde
hiernach nicht unbeträchtlich vergröfsert weiden.
Neben den weifsen Wolken treten in der Atmosphäre des Jupiter
nun aber auch röthliche Wolken auf, welche, wenn man die schein-
bare Bewegung zu Grunde legt, in einer andern Höhe sich befinden
müssen, als die weifsen Wolken.
Im Zusammenhänge mit den Vorgängen auf der Erde halte ich
es ferner nicht für unwahrscheinlich, dafs gewisse Wolken des Jupiter
eine ähnliche periodische Bewegung zeigen wie die leuchtonden
Wolken der Erde. Zwar ist der Aequator des Jupiter gegen seine
Bahnebene nur etwa um 3 Grad geneigt und infolge dessen müssen
diejenigen Bewegungen, welche von der Neigung des Aequators gegen
die Bahnebene abhängen in dem Sinne, in welchem die muthmarsliche
Ortsveränderung der leuchtendon Wolken von der Bewegung der Erde
um die Sonne abhängt, verhältnifsmäfsig langsam vor sich gehen.
Andererseits ist aber die Umlaufszcit das ZwöliTache derjenigen Zeit
welche die Erde zu einem Umlauf um die Sonne gebraucht Es scheint
also wohl möglich, dars trotz der geringen Neigung des Jupiter-
Aequators gegen die Balmebene eine periodische Wanderung gewisser
Wolken vor sich gehen kann. Es ist nun höchst beachtenswerth,
dafs sowohl nach den Untersuchungen von Dr. Lohse, als auch nach
denen von Ranyard die Veränderungen auf der Jupiterscheibe der-
artig zu sein scheinen, dafs dieselben sich nach einer Periode der
Soiwenflecken wiederholen. Da nun die Umlaufszeit des Jupiter um
die Sonne eine Periode hat, welche von derjenigen der Sonnenilecken
nicht viel abweicht, und da andererseits die systematischen Beobach-
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tungen dieses Planeten in Bezug auf die Veränderung seiner Ober-
fläche wohl noch nicht lange genug bestehen, um jene Periode hin-
sichtlich ihrer Dauer sicher genug zu erkennen, so mufs man es einst-
weilen wenigstens für möglich halten, daTs jener Zusammenhang über
den Einflufs der Bewegungsrichtung des Jupiter auf die Wanderung
gewisser Wolken in seiner Atmosphäre von Norden nach Süden und
zurück besteht
Es ist weiter oben ausgesprochen, dals einige Wahrscheinlich-
keit dafür vorliegt, dafs die Materie der leuchtenden Wolken durch
die Strömung, welche durch die Bewegung der Erde in dem wider-
stehenden Mittel zu stände kommt, erfafst und allmählich aufserhalb
des Bereiches der Anziehungskraft der Erde geführt wird. Wenn
dies wirklich die Ursache der fortschreitenden Abnahme der leuchtenden
Wolken ist, so hat auch Jupiter wahrscheinlich ganz ähnliche Ver-
hältnisse aufzuweisen, die sich darin zeigen müssen, dafs dieser Planet
auf der Rückseite seiner Bewegungsrichtung um die Sonne einen
mehr oder weniger schwachen Schweif hintorläfst Ob allerdings
dieser Schweif für unsere Hülfsmittel wahrnehmbar ist, kann nur erst
durch die Beobachtungen geprüft werden.
Die Annahme, dafs auch bei andern Planeten, besonders bei
Venus, wegen ihres wahrscheinlich jüngeren Alters, ähnliche Ver-
hältnisse vorliegen, ist hiernach wohl berechtigt
Da die vulkanische Thätigkeit auf der Erde fast nie ganz zur
Kühe kommt und zuweilen gröbere Ausbrüche sich ereignen, so liegt
die Annahme nahe, dafs fort und fort solche Oase, welche das Material
der leuchtenden Wolken bilden, in die Atmosphäre gelangen. Es ist
hiernach nicht undenkbar, dafs die ßestandlheile der leuchtenden
Wolken fortwährend in der Atmosphäre der Erde vorhanden sind,
wenngleich sie gröfstentheils in so geringen Mengen auftreten werden,
dafs sie entweder gar nicht sichtbar sind oder doch nur durch regcl-
mäfsige systematische Untersuchungen aufgedockt werden können.
Die in den letzten Jahren vorgekommenen Erscheinungen in
unserer Atmosphäre haben uns die Thatsaohe vor Augen geführt, dafs
die Zeit der Dämmerung besonders geeignet ist, uns das Vorhanden-
sein aufsergewöhnlicher Beimischungen der Atmosphäre zn zeigen.
Im allgemeinen ist die Luft um so mehr mit fremden Körperchen an-
gefällt, welche die Durchsichtigkeit verhindern, je dichter dieselbe ist.
d. i. in der Nähe der Erdoberfläche. In Bezug auf die Undurch-
sichtigkeit der unteren Atmosphäre kommt es aber weniger in Bo-
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tracht, dafs die fremden Staubthcilc derselben dasjenige lacht, welches
von den hinter ihnen in den höheren Schichten der Atmosphäre be-
findlichen Körpertheilchen ausgeht, hemmen, sondern vielmehr stört
der Umstand, dafs sie das empfangene Sonnenlicht zurückwerfen und
dadurch dasjenige Licht überstrahlen, welches von den über ihnen
liegenden Theilclien ausgeht. Diese letzteren bleiben uns daher so
lange verborgen, als die unteren Körperchen das Sonnenlicht in hin-
reichender Menge zurückwerfen. Diese Verhältnisse ändern sich nun
nach dem Sonnenuntergang in der Weise, dafs die unteren, mit
Stauhlheilchen angefüllten Luftschichten kein direktes Sonnenlicht
mehr erhalten, wohl aber noch die oberen Schichten. Da somit die
unteren dichteren Lagen durch das Reflektiren des Sonnenlichtes nicht
mehr stören, so werden nun die Theilchen, welche in den oberen
Schichten schweben, sichtbar.
In dom letzten Jahrzehnt hat die Ausbreitung der meteorologischen
Beobachtungsnetze auf der Erdoberfläche einen erfreulichen Auf-
schwung genommen. Der Umstand, dafs die Witteruugselemente nicht
blos auf dem Festlande, sondern auch vielfach von Schilfen, welche
über alle Meere vertheilt sind, sorgfältig aufgezeichnet werden, ist be-
sonders geeignet, unsere meteorologischen Kenntnisse zu erweitern.
Aber es scheint, dafe die Aufgabe der Witterungsbeobachter im all-
gemeinen etwas engo begrenzt ist; wenigstens würde unsere Kenntnifs
über das Ausbreitungsgebiet der leuchtenden Wolken eine wesentlich
bessero sein, als sie thatsächlich ist, wenn die meteorologischen Beob-
achter ihre Aufmerksamkeit auch auf die Diimmerungszeit ausge-
dehnt hätten.
Von einem besonderen Werth wird es nun sein, in den nächsten
Erscheinungen die Höhe der leuchtenden Wolken unter möglichst
verschiedenen atmosphärischen Zuständen zu bestimmen. Wir wissen,
dafs die grofsen atmosphärischen Wirbel, welche nicht selten einen
Durchmesser von mehreren Hunderten von Meilen haben, durch das
Auf- und Absteigen von Luftmassen entstehen. Während in dem
Gebiete eines barometrischen Minimums ein aufsteigender Luftstrom
vorherrscht, ist in dem Gebiete eines barometrischen Maximums ein
absteigender Luftstrom vorhanden. Wir kennen nun zwar nicht die
Höhe, bis zu welcher sich diese Strömungen erstrecken: aber man
mufs immerhin die Möglichkeit zugestehen, dafs bei der häufig
enormeu horizontalen Ausdehnung dieser Gebiete die vertikalen
Strömungen wohl diejenigen Höhen erreichen können, in welchen die
leuchtenden Wolken sich befinden. Unter dieser Voraussetzung er-
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giebt sich nun, dafs die Höhe der Erscheinung- nicht immer eine und
dieselbe sein kann, sondern dafs sie je nach der Richtung der senk-
rechten Strömung, welche an dem betreffenden Orte vorherrscht,
einen gröfseren oder geringeren Abstand von der Erdoberfläche haben
wird. Man erkennt hieraus, dafs es für das Studium der Bewegungs-
Verhältnisse der obersten Schichten der Atmosphäre von außerordent-
lichem Werthe ist, wenn die Höhenbestimmungen der leuchtenden
Wolken möglichst oft und unter möglichst verschiedenen Bedingungen
ausgefiihrt werden. Am besten eignen sich die photographischen
Aufnahmen für diesen Zweck.. Nach denselben erhält man, wenn
sie gleichzeitig an zwei oder mehreren verschiedenen Orten vorge-
nurnmeu werden, die Grundlagen für die Ilöhenbestimmung, und wenn
diese Aufnahmen in kurzen Zwischenräumen auf einander folgen, er-
hält man die Grundlagen für die Bestimmung der Bewegung der
leuchteuden Wolken, und zwar sowohl in Bezug auf die Richtung,
als auch auf die Geschwindigkeit derselben.
Durch spectroskopische Beobachtungen würde man ferner viel-
leicht Aufschlüsse über die Art der Materie erhalten und in weiterer
Folge einen Einblick in die Temperaturverhältnisse in jenen Höhen.
Es ist zu wünschen, dafs die Betheiligung an der Beobachtung
der leuchtenden Wolken eine regere werden möge, als sie bisher ge-
wesen ist, weil möglicherweise mehrere Jahrzehnte vergehen können,
bis dasselbe Phänomen in demjenigen Maafse sich wiederholt, dafs es
für diese Bestimmungen benutzt werden kann.
Zusätze:
1) Seite 2C6. Um den Vorgang über die Ausliischung der Sonnenstrahlen
näher darzulegen, sei in Fig. 1 (Seite 2.H4) H der Beobachlungsort, H K die nach
dem Zenith gerichtete Linie, 1t 11" »ei eine Schicht der leuchtenden Wolken, .S, .S,
ein Sonnenstrahl, welcher nahe an der Erdoberfläche 0 11 vorbeigeht, S,
»ei ein Strahl, welcher die untere Seite der leuchtenden Wolken gerade berührt
und welcher dem ersten wegen der großen Entfernung von der Sonue parallel
ist. Man sieht »ogieich, dafs der Strahl .Sj S, einen wesentlich längeren Weg
(von «, bis «,) in der Schicht W ff’ zurücklegt als der Strahl S, St, welcher
letzterer bei », durch dieselbe hindurch geht. Da also der Strahl S, S, wesent-
lich mehr geschwächt wird wie S, so wird es erklärlich, dafs wir in dem
Baum >, «, die leuchtenden Wolken nicht bemerken und besonders dann nicht
bemerken, wenn die Schicht ff' ff ' aufserordentlicli stark mit solchen Theilchen,
welche dos Licht hemmen, angefüllt ist. Da nun der Horizont bei 11 inner-
halb des Weges *, «, durch die Wolkcnschicht geht, so mufs die Oegend des
Himmels unmittelbar über dem Horizonte dunkel erscheinen. Der Strahl S, S,
verliert dagegen bei x, viel weniger Licht als 6'3 .S, ; daher kann derselbe bei
x, noch hinreichende Kraft behalten, so dafs diese Slello uns leuchtend cr-
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284
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scheint. Hechts von kann dagegen keine Lichtwirkung mehr Vorkommen,
weil diese durch den Schatten der Erde, welcher durch die Linie T Ä, be-
grenzt ist, aufgehoben wird. Es ist hier zu bemerken, dafa die Linie £, in
einem kleinen Abstande von der Erdoberfläche entfernt bleibt, und dafs daher
durch dieselbe keine eigentliche Begrenzung des Erdschattens stattflndet Es
wird aber weiterhin auseinander gesetzt worden, dafs die Schichten der
Atmosphüro nahe an der Erdoberfläche das Sonnenlicht so stark schwächen,
daf» man thatsächlich die Linie T Si% welche die Grenze zwischen Licht und
Schatten darstellen soll, um etwa f» Kilometer von der Erdoberfläche entfernt
denken mufs.
2) Seite 269. Es dürfte hier von Interesse sein anzudeuten, auf welche
Weise auf Grund der photographischen Aufnahmen die Höhe der leuchtenden
Wolken bestimmt worden ist. Bekanntlich beruht die
Bestimmung der Lage von Punkten, welche für uns nicht
direkt zugänglich sind, darauf, dafs man den Winkel-
abstand derselben von dem Meridiankreise, d. i. derjenige
gröfste Kreis am Himmel, welcher durch den Nordpunkt,
den Südpunkt und durch das Zenith geht, und ebenso
den Abstand vom Horizonte an zwei verschiedenen Orten
Z?, und Zf j milkt In der Fig. 2 sei L der zu bestim-
mende Punkt, Zf, und Zf, seien die beiden Beobachtung»»
orte auf der Erdoberfläche, C sei der Mittelpunkt der
Erde und li3 derjenige Punkt, in welchem die Verbin*
dungslinio C L die Erdoberfläche trifft Durch die an-
gedeuteten Messungen erhält man in dem Dreiecke Zf,
Zf, L die Winkel bei Zf, und Zf», während die Entfer-
nung des Punktes Zf, von Zf» entweder nach den bekann-
ten geographischen Lungen und Breiten berechnet oder
nach einer guten geographischen Karte bestimmt wird.
Da nun in diesem Dreieck eine Seite und die beiden
anliegenden Winkel bekannt sind, so lassen sich die bei-
den andern Seiten finden. Man erhält hiermit die Entfernung des Punktes L
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ron jedem Beobachtungsort. Hieraus findet man die Höbe des Punktes L oder
die Linie B% L auf die folgende Weise. In dem Dreieck 13 { C L ist der
Winkel bei Bx durch Messung gefunden ; ferner ist bekannt die Seite Bx C
und Bx L. Hiernach läfst sich die Seite L C finden. Man erhält demnach die
Länge der Linie L B „ wenn man von der Länge I. C den Halbmesser der
Erde in Abzug bringt. Für den zweiten Beobachtungsort kann man ganz ähn-
lich verfahren, indem man nun das Dreieck ßt C L zu Grunde legt.
Es ist nun noch zu zeigen, wie man die Richtung der Linie B} L bestimmt.
Jeder photographische Apparat ist vor seiner Anwendung zu Messungszwecken
in Bezug auf gewisse beständige Werthe zu untersuchen. Es mufs nämlich
bekannt sein, wie weit die empfindliche Ebene von dem Mittelpunkt der Glaslinse,
welcher in der Fig. 3 mit M bezeichnet ist, entfernt i«t. In dieser Fig. seien und
L, die beiden Linsen eines photographischen Apparates. Die durch die Mitte
der beiden Linsen gehende Grade c C wird die Axo des Linsensystems ge-
nannt. c h sei die Bildplatte des Apparates und P ein weit entfernter Punkt.
Das von der Linse entworfene Bild des Punktes P liegt in /», d. i. da, wo die
über M hinaus verlängerte gerade Liuio M P die Bildplatte trifTt. Es kommt
nun darauf an, die Lage des Punktes M oder die Länge von c 3/, welche als
die Hauptbrennweito des Apparates bezeichnet wird, zu finden. Mail erkennt
nun sogleich, dafe diese Linie dadurch bestimmt wird, dafs man die Linie c p
auf der Platte mifst und ferner den Winkel C M P. Die letztere Messung wird
mittelst eines Winkelmefsinstrumentes ausgeführt, das genau an die Stelle ge-
setzt wird, wo vorher der photographische Apparat gestanden hat. Der Punkt
C ist allerdings in dem Gegenstände, welcher abgebildet wird, nicht vorhanden:
aber es ist leicht, denselben von der Bildplatte aus, wo er etwa durch ein
Fadenkreuz dargestellt ist, auf den Gegenstand zu übertragen.
Kennt man nun den Betrag von M c und hat der Apparat sonst weiter
keine Fehler, so läfst sich Tür je zwei Punkte, welche auf der Platte abgebildet
worden sind, ermitteln, unter welchem Winkel sie, von dem Beobachtungsorte
aus gesehen, von einander entfernt sind. Ebenso läfst sich für jeden abge-
bildeten Punkt finden, um welchen Betrag, in Winkelwerth ausgedrückt, der-
selbe von der Bildmitte c entfernt ist. Sind nun mindestens zwei Punkte des
Gegenstandes nach ihrem Azimuth (man versteht bekanntlich darunter den Ab-
stand eines Punktes in Winkelmafs von dem Meridiankreise, wobei dieser
Abstand in demjenigen dem Horizont« parallel laufenden Kreise zu messen ist,
welcher durch den betreffenden Punkt geht) und nach ihrer Höhe bekannt, so
läfst sich, wie man leicht erkennt, für jeden andern Punkt des Bildes sowohl
sein Azimuth als auch seine Höhe ermitteln. Die Richtung, in welcher ein
Punkt gesehon wird, ist hiermit bestimmt.
Die beiden Wolkenbilder vorn 6. Juli 1887 enthalten nun verschiedene
Punkte, welche als Anhalt für die Einstellungsrichtung oder für die Oricntirung
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JlWljft*«
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dienen. Auf dem Bilde Fig. 1 Seile 268 sind zwei Sternbahnen (in der Origi-
nalaufnahino rescheinen die Sterne nicht als Punkte, sondern als Linien, weil
die Belichtungsdauer einige Minuten währte, in welcher Zeit die Sterne ihre
scheinbare Richtung etwas verändert halten und zwar infolge der täglichen
Bewegung um die Erdaxo) für welche, da die Zeit der Aufnahme bekannt ist,
leicht das Aziinulh und die abgebildete Höhe bestimmt werden können. Auf
dem Bilde Fig. 2 Seite 269 ist eine Kirchthurmspitze enthalten, für welche
das Azimuth durch direkte Messung an Ort und Stelle bestimmt worden ist;
ebenso ist die Grenzlinie zwischen Himmel und Erde abgebildet. Hiernach
ist hinreichender Anhalt für die Orieniirung vorhanden.
3) Seite 270. Man erkennt schon aus der Fig. 1 auf Seite 281, dafs
der Punkt H% welcher in der Schicht der leuchtenden Wolken liegt, wesentlich
weiter von 11 entfernt ist als der Punkt A'. Aber diese Figur entspricht der
Wirklichkeit nicht ganz. In derselben ist der Halbmesser der Erde zu klein
gezeichnet gegenüber den sonstigen Gröfsen Verhältnissen, besonders in Bezug
auf den Abstand der Schicht W W von der Erdoberfläche. Aus den thatsäch-
lichen Verhältnissen ergiebt sich durch Rechnung, dafs der Punkt H von 11
um etwa das 13 fache der Länge K li entfernt ist.
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Wissenschaftliche Unternehmungen in Amerika.
Von Dr. Heinrich Sanier in Wolfenbüttel.
)er nachstehenden Einsendung eines unserer Herren Mitarbeiter
glauben wir die folgenden allgemeinen Bemerkungen voran-
schicken zu müssen.
Wir sind uns dessen wohlbewufst, dafs es vielfach deutsche
Art ist, die ausländischen, besonders die französischen, englischen
und nordamerikanischen Leistungen und Unternehmungen in der
Naiurforschung von vornherein viel höher zu schätzen, als das-
jenige, was auf diesem Gebiet in Deutschland geschieht. Beispiels-
weise kann man oft die Bemerkung hören: Neben den Riesenfem-
röhren jener Stationen könne die ganze deutsche Astronomie sich ja
gar nicht sehen lassen.
Zum Theil gehen Irrungen und Uebertreibungen solcher Art
auch daraus hervor, dafs die Naturwissenschaft jener Länder bisher
in der Tages- und Zeitschriften-Literatur lebhafter vertreten gewesen
ist, als dies hinsichtlich der deutschen Forschung der Fall war.
Unsere Zeitschrift hat es sich daher zu einer besonderen Auf-
gabe gestellt, die wissenschaftlichen Leistungen und Unternehmungen
Deutschlands auf unserm Gebiete einem gröfseren Publikum gegen-
über gebührend zu Worte kommen zu lassen, und schon unsere
nächsten Hefte werden davon noch mehr als die bisher erschienenen
Zeugnifs ablegen.
Aber wir gedenken uns auch von jeder nationalen Einbildung
und Ueborschätzung fern zu halten, die sich in der That verflüchtigen
muss, wenn man Himmel und Erde fest und treu ins Auge fafst.
Wir hoffen daher in bestem deutschen Sinne gegen die wirklichen
Vorzüge und Leistungen auch des Auslandes stets gerecht zu bleiben.
Ja, wir glauben sogar, dafs unsere Zeitschrift in dieser Beziehung
aufser den deutschen Leistungen auch denjenigen einiger anderen
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Nationen, als der oben genannten, zu einer richtigeren und höheren
Würdigung zu verhelfen dio Pflicht haben wird, als ihnen bisher
sowohl in Deutschland als anderswo zu theil geworden ist.
Nach diesen Bemerkungen ertheilen wir unserm Herrn Mit-
arbeiter das Wort
Nirgends ist wohl der Geist der spezifisch neuen im Gegensatz
zur alten Kultur derartig entwickelt, wie in der neuen Welt, in
Amerika. Eine merkwürdige, jedenfalls heroische Leistung natur-
wissenschaftlicher Begeisterung ist, wie man auch über ihren
relativen Nutzen denken möge, dio unlängst vollendete Expedition,
welche den grofsen Meteoriten von Bendego oder Bahia von seiner
langjährigen Ruhestätte in die Sammlung des brasilischen National-
muscums überführte. Bereits vor mehr denn hundert Jahren war
der erfolglose Versuch gemacht worden, die 5361 kg schwere Eisen-
masse nach Bahia zu transportiren, aber erst vor Jahresfrist nahm
der Chevalier Jose Carbos de Carvalho, der im paraguaischen Kriege
Erfahrung im Ueberführen schwerer Massen erlangt hatte, die Idee
mit Enthusiasmus auf. Ehe der Stein auf dio nächste Eisenbahn-
station gebracht werden konnte, hatte man einen Marsch von 4 '/4 Monat
zurückzulegen, einen Weg durch dichten Wald zu öffnen, hundert
Ströme und eine sehr steile Hügelreihe von 265 m Höhe zu überschreiten.
Einen Monat lang ist dann das gewichtige Ding Eisenbahnpassagier
gewesen, und jetzt liegt es glücklich in Rio.
Auch sonst leuchtet durch regen Eifer für wissenschaftliche
Interessen in Süd-Amerika Brasilien und sein Kaiser voran, nächst-
dem die argentinische Republik. Nord- Amerika leistet zur Zeit
Aufserordentliches in der Errichtung von Sternwarten. Die Stadt
Rochester im Staate New-Vork hat deren allein nicht weniger als
sieben, die sämmtlich das Werk von Privatleuten sind. Eben erst
hat ein Herr Hobbs eine bedeutende Summe für die Aufführung
eines neuen Observatoriums am Michigansee gegeben, welches ein
grofses Aequntoreal und einen Meridiankreis erhalten soll, und kaum
ist die höchste Sternwarte der Welt auf dem Berge Hamilton,
4200 Kuss über dem Meere, vollendet, für die James Lick die
Kleinigkeit von 700 000 Dollars ausgesetzt hat, so wird eine noch
um 800 Kufs höher liegende, auf Kosten eines Herrn Chamberlin im
Staate Colorado errichtet, und mit einem Aequatoreal von 20 Zoll
Oeffnung ausgestattet.
Dio Lick-Sternwarte enthält ein Instrument, das den Wundern
der neuen Kulturzcit zugezählt werden muss, und das so recht auf
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den Boden Amerikas paßt, aus dem es herausgewachsen ist. Und
auf der Sternwarte der Harvard-UniverRitüt zu Cambridge im Staate
Massachusets sind neuerdings die Instrumente aus dem Nachlasse
Henry Drapers aufgestellt worden, um die großartigen Aufgaben, die
sich der Direktor dieses Observatoriums Herr Pickering gestellt hat,
ausführen zu helfen. Von der ganz neuen Sternwarte auf dem Berge
Hamilton und der alten, schon herrlich bewährten zu Cambridge und
ihren Werken, möchte ich einige neuere Nachrichten wiedergeben.
Das Riesenfemrohr, welches auf der Liok-Stemwarte Aufstellung
gefunden hat, besitzt eine Oeffnung von nicht weniger als 30 Zoll
und eine lünge von 50 Fuß. Das vordere und grössere Glas,
welches den kostspieligsten Theil des Teleskops bildet, ist ein Werk
von seltener Vollkommenheit aus der berühmten Werkstatt von Alvan
Clarke and Sons zu Cambridgeport. Der Name dieser Firma bürgt
für die Güte der Arbeit. Der Gründer des Geschäfts, der im vorigen
Jahre im Alter von 83 Jahren gestorben ist, war ein Selfmademan,
wie Herschel und Fraunhofer, und er verdankt seinen Weltruf der
zähen Energie seines Charakters. Seine Gläser, wie dasjenige, mit
dem er den Siriusbegleiter entdeckte, und das grofse Fernrohr, das
vor 11 Jahren zu Washington die Marsmonde finden half, sind alle
Muster von Ausführung. Die Prüfung des Fernrohrs der Lick-
Stemwarte ist bereits im vorigen Jahre von bedeutenden wissen-
schaftlichen Autoritäten, wie den Professoren Newcomb und Young
geschehen. Es erwies sich dabei zur Trennung der Doppelsterne
und zur Auflösung der Nebel in vorzüglichem Mafse tauglich. Selbst
jene kleinen Sternchen, die in der unmittelbaren Nachbarschaft der
hellsten Sterne stehend, von diesen überstrahlt zu werden pflegen,
waren in dem Instrumente sichtbar, ohne dafs man den Hauptstern
hätte verdecken müssen.
Auf dem Berge Hamilton, in einer Atmosphäre, die während drei
Vierteln des Jahres von fast ungetrübter Heiterkeit ist, thront jetzt der
Femrohrriese. Man hat ihm eine Kuppel gebaut, die nicht weniger
als 75 Fuss Durchmesser hat. Dieselbe wird zum Theil von einer
Flüssigkeit getragen, und ist so leicht beweglich, dass ein Mann sie
in neun Minuten vollständig herumdrehen kann. Das Rohr selbst
kann durch den leisesten Druck bewegt werden, und ein Uhrwerk,
wie es an den großen Aequatorealen angebracht ist, erlaubt mit dem
gewaltigen Rohre mit grofser Genauigkeit der scheinbaren täglichen
Drehung des Himmelsgewölbes zu folgen. Der Fufsbodcn, auf dem
sich der Beobachter befindet, und der auf der Liek-Sternwnrte 61 Fuss
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im Durchmesser besitzt, läfst sich durch die Arbeit von vier hydrau-
lischen Pressen heben, und zwar in neun Minuten bis zu 16'/j Fufs.
Alle diese Vorrichtungen, deren Herstellung viel Geschick, Wissen,
Geduld, Zeit und Geld erfordert hat, sind jetzt in genügender Ordnung
befunden, und die Sternwarte am 1. Juli den Verwesern der kaliforni-
schen Universität feierlich übergeben worden.
Der Anblick, den der Saturn bei tausendfacher Vergröfserung
darbot, war ein ganz unerwarteter. Während die Beobachter sich sonst
anstrengon müssen, um mit ihren Fernrohren gewisse interessante
Einzelheiten dieses sonderbaren Himmelskörpers zu erkennen, trat hier
alles mit der grüfsten Schärfe und Bestimmtheit ganz von selbst vor
die Augen. Wenn der Neptun einen zweiten Trabanten hätte, der
blofs den vierten oder den fünften Tlieil der Leuchtkraft seines
Kollegen besäfse, mit dem Riesenfernrohr würde er nicht unbemerkt
bleiben können.
Der Direktor der neuen Sternwarte schreibt am 1. August an
den Redakteur der Zeitung .Daily Alta California“ über die ferneren
Beobachtungen : „Während die Astronomen überall sonst die Beobach-
tung des Olbersschen Kometen aufgegeben haben, der nur noch •/,, der
Helligkeit hat, wie im vorigen Jahre, hat ihn Herr Barnard noch bis
gestern Abend beobachtet, bis er endlich zu schwach wurde, um selbst
hier gesehen zu werden. Diese Messungen sind von wirklichem
Werthe, da sie einen gröfseren Bogen der Kometcnbahn bestimmen
und seine Bewegung mit viel grofserer Genauigkeit ergründen lassen.
Die Helligkeit der Marstrabanten beträgt nur ein Sechstel von der-
jenigen, die sie bei ihrer Entdeckung durch Asaph Hall im Jahre 1877
hatten. Demnach wird man mit dem Rohre Objekte entdecken können,
die sechsmal schwächer sind, als die Marstrabanten damals
waren. Ich habe selbst früher zu Washington mit dem grofsen Refraktor
gearbeitet, (mit dem die Marelrabanton gefunden wurden,) aber ich
habe mit dem neuen Fernrohr solche Ansichten der hellen Planeten,
Saturn, Mars und Jupiter, von Nebeldecken, der Milchstrafse und
einigen Fixsternen gehabt, wie nie ein Astronom zuvor. Jupiter be-
sonders ist wunderbar reich an Details: die Scheiben seiner Monde
sind hier voll und rund, wie die von Planeten, und vielleicht wird sich
bei Verfinsterungen der Trabanten der Jupiter-Schatten auf ihnen ver-
folgen lassen. Und wenn die Scheiben, wie bereits andere Beobachter
berichtet haben, wirklich Zeichnungen darbieten, so wrird man mit Erfolg
hier studiren können, ob jene Trabanten wie der Krdmond dem
Planoten stets dieselbe Seite zukehren. Die Milchstrafse ist ein
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wunderbarer Anblick und ich habe init grofsem Interesse gesehen,
dats keine endliche Auflösung ihrer feineren Theile in einzelne Sterne
möglich ist. Immer bleibt der Hintergrund von ungelösten Nebeln
zurück, auf welchem Hunderte und Tausende von Sternen stehen —
jeder ein heller, scharf bestimmter Punkt. Der bekannte Sternhaufen
iin Herkules, in dem Messier erklärte, keine einzelnen Sterne sehen zu
können, stellt sich als eine Masse von getrennten individuellen Punkten
dar, und die zentrale leuchtende Nebelmasse ist vollkommen in
Punkte aufgelöst. Es war mir besonders interessant, nach Objekten
zu sehen, mit deren Anblick ich aus anderen Fernrohren vertraut bin,
und mit den Zeichnungen von Lord Rosse zu vergleichen, die er mit
Hülfe seines Riesenteleskops gefertigt hat (dessen Spiegel einen Durch-
messer von sechs Fuss besafs). Theoretisch müsste sein Fernrohr
mehr als der neue Refraktor zeigen, weil es mehr Licht sammelt;
aber in Klarheit und Schärfe steht es dem unsrigen bedeutend nach,
wie wir es fortwährend beobachten. So ist der Ringnebcl in der
Leier von Rosse ohne einen zentralen Kern gezeichnet, den man schon
in Washington sehen kann; aber hier sieht man wenigstens drei Stern-
chen. Sie sind interessant, weil sie mitten im Nebel liegen, nicht als
einfache Sterne von ihm losgelöst erscheinen. Der Dreizack- und der
Ü-Nebel sind hier wunderbare Objekte. Ihr ganzer Anblick ist ver-
ändert; alles ist hier vollkommen scharf und klar, was wo anders
zweifelhaft ist. Einer der größten praktischen Triumphe dieses
Teleskops könnte es sein, ein für allemal Zweifel zu beseitigen, die
irgendwo entstanden sind und entstehen werden. Freilich ist die
Bauperiode noch nicht ganz vorüber. Ein grofses Teleskop ist eben
nicht wie ein Opernglas, das man einfach aus der Tasche nehmen
kann, und das dann sofort gebrauchsfertig ist; es ist vielmehr eine
feine und komplizirte Maschine, die zu ihrem erfolgreichen Gebrauch
eine ganze Reihe günstiger Bedingungen erfordert. Jede dieser Be-
dingungen ist studirt und erkannt worden, so dafs man sie herbei-
führen und aufrecht erhalten kann. Wir sind Tag und Nacht mit
der Lösung dieser Aufgaben beschäftigt gewesen, um unser Haus aus
einem Museum träger Instrumente in ein geschäftiges Laboratorium
zu verwandeln, in dem die inneren Geheimnisse des Himmels studirt
werden sollen.“
Das einfache Betrachten der himmlischen Objekto ist übrigens
nicht das einzige Werk, welches mit dem Riesenfernrohr zu vollbringen
ist Das Instrument ist von den Kuratoren der Sternwarte mit zwei
sehr wuchtigen Zugaben ausgeslattet worden, einem photographischen
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Ansatz, welcher dasselbe befähigen wird, als Dunkelkammer für die
Aufnahme von Lichtbildern zu dienen, und einem Spektroskope. Zwar
kann das Fernrohr nicht bei jenem grofsartigen wissenschaftlichen
Unternehmen mit verwendet werden, welches nach den Beschlüssen
des Pariser Astronomen-Kongresses vom vorigen Jahre die Aufnahme
des gesamten Himmels zum Ziele hat, da hierzu Fernrohre von 13 Fufs
Brennweite vorausgesetzt werden, während die des Riesenfemrohrs
47 Fufs mifst; aber andere wichtige Aufgaben aus der Himmelskunde
wird es zu lösen fähig sein. Bei der Photographie des Mondes, der
Planeten, der Nebelflecke und Kometen wird es zwar die anderen
Fernrohre weit übertreffen, aber bei der Aufnahme von Doppolsternen
und Sternhaufen, worin die hauptsächliche Anwendung des photo-
graphischen Apparats bestehen soll, wird es geradezu Epochemachendes
leisten. Eines der ersten Werke, die zu erledigen sein werden, be-
steht in der Aufnahme der Nachbarschaften sämtlicher helleren Sterne,
um so vielleicht schwächeren Begleitsternen auf die Spur zu kommen
und dann ihre Bewegung von Zeit zu Zeit aufzuzeichnen. Eine
gewisse Zahl von Sternen wird ausgewählt und in regelmäfsigen
Zwischenräumen das ganze Jahr hindurch photographirt werden.
Die Messungen auf diesen Platten werden dann die Daten geben, durch
welche die Entfernungen dieser Sterne von der Erde bestimmt werden
können, ähnlich wie bereits Herr Pritchard in Oxford die Entfernung
von Bessels Schwanenstem auf photographischem Wege bestimmt
hat. Analoge Messungen auf den Lichtbildern von Sternhaufen werden
uns vielleicht einen Leitfaden für die Gesetze geben, welche den
inneren Aufbau dieser wunderbaren Objekte regieren, und schlierslich
wird eine fortwährende Reihe von Photographien der helleren Theile
eines Kometen gewifs eine Fluth von Lioht auf den noch so dunklen
Prozefs ihrer Entwickelung ausgiefsen. Das grofsc Sternspektroskop,
das auch an das Fernrohr anzuschrauben ist, ist allein ein Wunder-
werk. Es enthält ein von Prof. Rowland angefertigtes konkaves
Gitter von ganz feinen und dichten Strichen auf einem dünnen Glas-
scheibcheu, und bei der starken Zerstreuung, die es liefert, wird es
uns sicher viele schöne Aufschlüsse über die chemische und physi-
kalische Natur der fernsten Welten liefern.
Während die Aufgaben der Lick-Stemwarte vorläufig noch nicht
wesentlich in Angriff genommen sind, und dort das Riesenfernrohr
zunächst für die Grüfse dieser Unternehmungen zeugen muss — hat
die andere Sternwarte, von der ich reden wollte, nämlich die Harvard-
Sternwarte in Cambridge bei Boston schon viele schöne Arbeiten voll-
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endet. Und das gegenwärtige Programm des überaus thiitigen der-
zeitigen Direktors derselben, Herrn Pickering, ist so reich, dafs
eine vollständige Darlegung desselben an dieser Stelle ermüden würde.
Wir wollen uns heut darauf beschränken, seines grofsen Albums zu
gedenken, welches die Spektren aller Sterne, die man mit blorscm
Auge sehen kann, phothographirt enthalten soll. Das Verfahren, dessen
er sich bedient, ist ein sehr einfaches. Ein Fernrohr von 8 Zoll Oeff-
nung wird gegen eine bestimmte Gegend des Himmels gerichtet, ein un-
gemein regelmäfsig gehendes Uhrwerk sorgt dafür, dafs die Bewegungen
des Fernrohrs gleichmäfsig sind. Mit dem Teleskope ist ein photo-
graphischer Apparat verbunden, und vor das vordere Glas ist ein
Prisma gestellt So wird von sämtlichen Sternen, die gerade durch
das Kohr sichtbar sind, das Spektrum auf der lichtempfindlichen Platte
erscheinen. Man braucht nun blofs den ganzen Himmel abzusuchen,
und kann dann die Resultate zu einem Album der Sternspektren ver-
einigen. Freilich wird es mehrfacher Wiederholungen bedürfen, ehe
alles mit genügender Sicherheit aufgezeichnet sein wird. Das Werk
ist nach dem kürzlich erschienenen zweiten Jahresbericht nahezu voll-
endet Im ganzen waren 633 Platten dazu nöthig, auf denen sich nicht
weniger als 27953 Bilder von Spektren befinden. Das Ausmessen
der Platten und die nöthigen Rechnungen bilden eine viel griifsere
Arbeit als die Aufnahme selbst, aber es steht Herrn Pickoring eine
grofse Reihe tüchtiger Kräfte zur Verfügung, die dies in kurzem voll-
bringen werden; auch fünf Damen machen sich dabei um die astro-
nomische Wissenschaft verdient Bis jetzt konnte freilich der Himmel
nur soweit abgesucht werden, als er zu Cambridge sichtbar ist aber
zur weiteren Vervollständigung des Werkes soll im Herbste 1889 eine
Expedition nach Peru geschiokt werden, um das großartige Unter-
nehmen auf die Hälfte des südlichen Himmels auszudehnen, die man
auf der Sternwarte zu Cambridge nicht sehen kann.
Die bisherigen Erfolge haben in Herrn Pickering bereits den
Plan für ein noch umfangreicheres Album reif gemacht, welches die
Spektra sämtlicher Sterne liefern soll, die sich wdihrend einer
Exposition von einer Stunde den allerempflndliohsten Platten an-
vertrauen, welche die Technik heute liefert Man wird so mindestens
alle Sterne bis zur achten Gröfse herab zwingen, ihr Spektrum auf-
zuzeichnen.
Ein Teleskop von 1 1 Zoll Ooffnung wird aufserdem dazu dienen,
die einzelnen Spektren viel genauer zu untersuchen, als es für die
einfacho Katalogisirung nothwendig war, und das Spiegelteleskop von
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28 Zoll Oeffnung, das von Frau Draper aus dem Nachlasse ihres
Gemahls der Sternwarte zu Cambridge übergeben wurde, wird eben-
falls bei den feinsten Aufgaben der spektrographischen Untersuchung
mitwirken. Insbesondere werden die veränderlichen Sterne von langer
Periode und die Sterne, bei denen man Besonderheiten im Spektrum
gefunden hat, einem sorgfältigen speziellen Studium mittelst dieses
Instrumentes unterworfen werden.
Der gröfste Theil der sehr bedeutenden Geldmittel, welche Herrn
Pickering für alle diese Arbeiten zur Verfügung stehen, ist ihm
neuerdings von wohlhabenden Privatleuten überwiesen worden.
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Versuch einer beweisführenden Darstellung des Welt-
gebäudes in elementarer Form.
Von
Dr. M. Wilhelm Meyer-Berlin.
IV. Die Hclii'i n baren Bahnen der Himmelskörper.
I Ji-r seltsame Sphärenbau, bis zu welchem sich unsere Weltan-
‘ schauung in den letzten Betrachtungen aufgesohwungen hatten,
äst offenbar nur ein konstruktives Hilfsmittel zur Erreichung
der Wahrheit. Die ungeheuren sich übereinander wölbenden kristall-
nen Kuppeln bilden die zerbrechliche Form, welche die lautere Wahr-
heit wie das glühende Metall eines Glockengusses in sich attfnehmen
mufste, um erst dann zertrümmert werden zu können. Wie der weit-
hin dringende Ton der vollendeten Glocke spricht dann, von der
liäfslichen Sehaale befreit, die Wahrheit allein mit überwindender Kraft
zu uns. Wir dürfen deshalb die wunderlichen Abwege, auf welche
mail im Drange zur Wahrheit damals gerieth, heute nicht verächtlich
iibersehn: denn sie waren, wenn auch nicht logisch, so doch in
Anbetracht unserer menschlichen Unvollkommenheit nothwendige
Ueberg änge.
Damals, als man die Natur noch mit den Augen des philosophirenden
Träumers betrachtete, als man von den Gesetzen der physikalischen
Vorgänge, mit Ausnahme vielleicht der der Töne, noch nichts wulste,
wäre sicherlich ein Newton, der sich etwa um zwei Jahrtausende
verfrüht hätte, um zu beweisen, dafs gewaltige Körper, wie Sonne
und Mond, trotzdem sie durchaus dem Gesetze der Schwere gehorchen,
dennoch frei schwebend über uns ihre Kreise ziehen können, wohl
einfach zu den psychologisch heohachtungswürdigen Leuten geworfen
worden, wenn ihm nicht gar noch Schlimmeres zugestofsen wäre, wie
wir denn sehen werden, sobald wir die Vorläufer unserer modernen
Weltanschauung kennen lernen, wie auch schon im griechischen
Alterthum ein prophetischer Denker, dem die grofse Idee aufdiim-
Ilierte, als Gotteslästerer peinlich angeklagl wurde.
Die allgemeinste Wahrnehmung, dafs alles sich mit schwerem
Himn’M um! Erd*. I. ü. W
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Drange nach der Oberfläche der Erde hindrängt und nicht eher in
seinem Fluge innehält, bis es sich mit derselben verbunden hat, konnte
in der Ueberzeugung jedes Denkers, auch des Alterthums, boi den
Weltkörpern keine Ausnahme erleiden. Und diese Ueberzeugung hat
in der That niemand getäuscht Wir glauben nicht nur heute wie
damals, sondern wir sind mit logischer (iewifsheit davon überzeugt, dafs
alle Körper dort über uns ohne Ausnahme von unserer Erde zu sich
hernngezogen werden, soviel sie nur Kräfte dazu besitzt. Ja wir haben
unsere Begriffe von der Schwere noch universeller gestaltet und wissen,
dafs auch andererseits unsere Erde von eben diesen Gestirnen gleich-
zeitig angezogen wird und dafs eben durch die Abwägung dieser gegen-
seitigen Einflüsse und Kräfte die Bewegungen der Himmelskörper
nothwendig entstehen. Wie dies erklärlich ist, das eben soll in den
nachfolgenden Betrachtungen in stufenweiser Entwickelung gezeigt
werden.
Vor der Hand aber bitte ich meine Leser von diesen, der naiven
Anschauung in der Thal unbegreiflichen Dingen nichts zu glauben
und vielmehr der Ueberzeugung zu sein, dafs jener Spärenbau irgend-
wie mit unzertriimmerlichen Banden an die Grundvesten der Erde ge-
schmiedet sei und sich durch eine unergründliche, von göttlicher All-
weisheit erdachte Mechanik im ewigen Kreise um uns drehe. Doch
mufs ioh hier gleich bitten, während der Entwickelung unserer Ideen
über das Universum da« Hypothetische stets von dem mit unerschütter-
licher Logik Bewiesenen streng getrennt zu halten. So ist eben dieser
Sphärenbau bis jetzt nur ein Gebilde menschlicher Phantasie und seine
wirkliche Existenz durchaus nicht erwiesen, während man andererseits
leicht einsieht, dafs unsere Erkenntnifs von der Gestalt und Gröfse
der Erde und des Mondes, von der Entfernung des letzteren und
schliefslich davon, dafs die Sonne gröfser sei als die Erde, auf völlig
streng logischen Schlüssen beruht, die aus bekannten, durchaus nicht
anzuzweifelnden Prämissen gebildet wurden.
Dies wohl im Auge behaltend, wollen wir nun die Irrwege,
welche die Weltanschauung unserer Vorfahren durchwandern mufste,
damit sich in der Uebung ihres Geistes während solcher Betrachtungen
der letztere zur Aufnahme so überwältigender Wahrheiten, wie sie die
moderne Weltanschauung in sich schliefst, genügend vorbereiten
konnte, noch einmal zurücklegen. Zwar hätte ich meine Leser eben-
sowohl direkt zu diesem Ziele hinführen können, aber ich zweifele
wohl mit Recht daran, dafs die meisten derselben die grofse Wahrheit
mit gleicher Ueberzeugung in sich aufgenommen haben würden, wenn
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eben nicht auch ihr Geist, wie der jener Gelehrten des Alterthums,
vorher durch diese hohe Schule des Irrthums gegangen wäre.
Um unsere Hypothese von den Sphären auf ihre Richtigkeit zu
prüfen, müssen wir neue Erfahrungen über die Vorgänge am Himmel
sammeln. Eine der ältesten in dieser Beziehung ist, dafs die Sonne,
welche sich zwar mit den Fixsternen im Tage einmal um die Welt-
axe dreht, dagegen in ihrer jährlichen Bewegung einen Kreis am
Himmel beschreibt, welcher mit dieser täglichen Bewegung nicht
parallel läuft. Sämmtliche Fixsterne erreichen für denselben Ort der
Erde jeden Tag, Jahr aus Jahr ein, dieselbe höchste Höhe ant Himmel.
Dagegen ist es uns Allen wohlbekannt, dafs die Sonne an einem
Sommertage um Mittag bedeutend höher steht als im Winter; es
entstehen ja eben durch diese wechselnde Sonnenbestrahlung die
Jahreszeiten.
Die Gröfse dieser Höhenschwankungen im Laufe eines Jahres
zu bestimmen ist sehr leicht. Schon im grauen Alterthume bediente
man sich zu diesem Zwecke eines einfachsten und ersten astrono-
mischen Instrumentes, welches man ein Gnomon nannte und das
eigentlich aus nichts weiter als einem geraden Stabe besteht, dessen
Schatten man beobachtet. Je gröfser man denselben macht, je genauer
werden natürlich die Messungen mit ihm, und aus diesem Grunde
nahmen die alten Egypten ihre Obelisken dazu in Anspruch.
Um zu zeigen, wie interessante und wichtige Untersuchungen
man mit diesem einfachsten Instrumente ausrühren kann, wollen wir
unsererseits ein Denkmal in Berlin zu diesem Zwecke benutzen. Wir
nehmen dazu die Siegessäule auf dem Königsplatze. Sie ragt mächtig
iibor einen w'oiten, freien Platz empor und wir können ihren Schatten,
wenn uns das launische Wetter nur begünstigt, jederzeit verfolgen.
Wir beginnen damit zu irgend einer Zeit in den Morgenstunden die
I singe ihres Schattens auszumessen und merken uns diese sowohl wio
die Richtung, in welche dieser Schatten fällt, auf dem Terrain vor.
Nun warten wir, bis am Nachmittag der Schatten wieder genau die-
selbe Mingo besitzt, welche er am Morgen hatte und bezeichnen
wiederum dio Richtung, in welcher er nunmehr gesehen wird. Es
bedarf dann wohl keines besonderen mathematischen Beweises, dafs
die Richtung, welche genau in der Mitte zwischen den beiden an-
gemerkten sich befindet, diejenige ist, in welcher die Sonne zu Mittag
stand, d. h. wir brauchen nur den Winkel zwischen zwei gleichen
Schattenlängen am Morgen und Nachmittag zu halhiren, um die ge-
naue Südrichtung zu erhalten. Diese zeichnen wir uns durch eine
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möglichst unbewegliche Vorrichtung an, etwa durch eine gerade
Stange, die wir auf dem Erdreich befestigen.
Jedesmal, wenn nun der Schattender Säule wieder mit dieser Stange
zusammenfällt, ist es offenbar 12 Uhr wahre Berliner Sonnenzelt. Wir
machen also mit dieser primitiven Einrichtung eino vollständige
Zeitbestimmung.
Um eino weitere, dritte Aufgabe zu lösen, merken wir uns jeden
Tag an, wie grufs der Schatten ist, wenn er jene Mittagslinie passirt,
und setzen diese Beobachtung mindestens ein Jahr lang fort. Besonders
interessirt es uns dabei, die kleinste und die gröfste während dieses
Jahres gemessene Schattenlängc kennen zu lernen. Nehmen wir z. B.
der Einfachheit wegen an, die Säule sei gerade 100 Meter hoch, so
würden wir die kürzeste Schatlenlänge am 21. Juni = 55.4 m, die
längste dagegen am 21. Dezember = 401.1 m finden.
Uafs nun diese Schattenlänge in genauem Verhültnifs zur jedes-
maligen Höhe der Sonne steht, wird Jedermann auch ohne die
geringste geometrische Bildung einseheu. Wem aber aus der Schule
noch einige Spuren trigonometrischer Kenntnisse herübenlämmern,
der weifs, dafs man iiberoingekommen ist, die Linie, welche durch
die Siegessäule markirt wird, den Sinus, die dazu senkrechte Linie
der Schattenlänge dagegen den Cosinus des Winkels zu nennen,
welchen in diesem Kalle die Sonnenstrahlen mit dem Horizonte bilden.
Man hat sich ferner geeinigt, die Zahl, welche durch die Division
eines solchen Sinus mit seinem Cosinus entsteht, die Tangente des
betreffenden Winkels zu benennen. Diese ist also in diesem Kalle
gleich dem Verhültnifs der Schatlenlänge zu der der Säule. Es giebt
nun trigonometrische Tafeln, in welchen neben den betreffenden Win-
keln die Längen der zugehörigen Tangenten angegeben sind. Man
kann dieso Tafeln als die Resultate direkter Messungen und nicht
etwa weitläufiger mathematischer Deduktionen, denen nicht Jedermann
folgen kann, ansehen. Man hat eben zu jedem Winkel die Länge
seines Sinus und Cosinus ausgemessen, auf eine bestimmte Einheit
reduzirt und dann mit den betreffenden Tangentenzahlen zu einer
Tafel zusammengcstellt.
Mit diesem Hilfsmittel der trigonometrischen Tafeln finden wir
also unmittelbar ans der gemessenen [Jingo des Schattens die zuge-
hörige Sonnenhöhe. Beispielsweise ergiebt sich für den 21. Juni durch
Division von 10Ü Metern durch 55.4 Meter eine bestimmte Tangenten-
zahl und daratiB in der trigonometrischen Tafel der Winkel von 61",
um welchen die Sonne sich folglich damals um Mittag über den Ho-
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rizont von Berlin erhoben hatte. Dieselbe Operation mit der Schatten-
länge am 21. Dezember ausgeführt, ergiebt dagegen nur 14°. Die
Sonne schwankt also zwischen Sommer und Winter um 47° auf und
nieder, und daraus folgt, dafs die Bahn, welche die Sonne in ihrer
jährlichen Bewegung um den Himmel beschreibt, um die Hälfte dieses
Winkels, also um 23.5° einmal nach unten, das andere Mal nach oben
von demjenigen Kreise abweicht, den sie in ihrer mittlern Stellung
beschreihen würde, wenn sie sich gleich den Fixsternen unbeweglich
an das Himmelsgewölbe geheftet befände. Diesen mittleren Kreis
nennt man den Aequator des Himmels. Wir haben denselben schon
früher kennen gelernt und gefunden, dafs er gleich weit von beiden
Himtnelspolen, d. h. 90° von ihnen entfernt ist. Wir haben damit er-
kannt, dafs die Sonnenbahn oder Ekliptik (so genannt, weil nur in
dieser Linie Verfinsterungen der Sonne und des Mondes stattfinden
können) um 23.5° gegen den Himmelsäquator geneigt ist.
Wir können aber aus unse-
rer einfachen Beobachtung der
beiden Schattenlängen noch mehr
finden. Wir erkennen nämlich
leicht, dafs die Mittelzahl zwischen
der gröfsten und kleinsten ge-
fundenen Sonnenhöhe diejenige
sein mufs, in welcher sich das
Tagesgestirn zur Zeit der N'acht-
gleiche befindet, wenn es soeben
den Himmels - Aequator durch-
schneidet. Das Mittel zwischen
61° und 14° betrügt 37.5". Um
so viel steht also der höchste
Funkt des Himmels - Aequators
über dem Horizonte von Berlin erhaben. Da wir nun ferner wissen, dafs
der Himmelspol stets 90° vom Aequator entfernt ist, so bekommen wir
für die Lage des letztem zum Südpunkte des Horizontes 37.5° -(- 90° =
127.5° oder, da der Nordpunkt des Horizontes vom Südpunkt über
unsern Scheitel weg gemessen, um 180° oder einen Halbkreis ver-
schieden ist, erhalten wir die Höhe des llimmelspoles über dem Nord-
punkte gleich 180° 127.5° = 52.5°. Früher haben wir aber gesehen,
dafs diese Polhöhe gleich der geographischen Breite des Ortes ist,
welche wir damit aus der blofsen Beobachtung der wechselnden
Schattenlänge unserer Siegessäule ohne weitere Hilfsmittel gefunden
Schiefe der Ekliptik und Polhöhc
aus Schattenlängen bestimmt
1
t
€
c;
» *■
«T. 3
300
haben. Die beigefügte Figur mag die ausgeftihrten Upcrationen noch
bildlich näher erläutern.
Rekapitulirt ist das einfache Rezept dazu also folgendes: Man
messe die kleinste und die griifste Länge des Schattens, welchen ein
vertikal aufgestellter Gegenstand auf einer horizontalen Ebene zur
Mittagszeit im Laufe eines Jahres zeigt, dividire die Höhe des Gegen-
standes durch diese beiden Schattenliiugen, suche die zugehörigen
Winkel in den trigonometrischen Tangenten-Tafeln, nehme das Mittel
aus diesen beiden Winkeln und ziehe dieses von 90° uh. Das Resultat
ist die geographische Breite des Ortes.
Auf genau diese selbe Weise wurden die früher erwähnten Aus-
messungen des Erdumfanges durch die arabischen Astronomen vorge-
noramen, indem sie zwei genau südlich oder nördlich von oinander
gelegene Orte aufsuchten, für welche das Resultat dieser Bestimmung
um 1° von einander abwich; diese beiden Orte standen folglich um
den 360. Theil des ganzen Erdumfanges von einander ab; ihre wirklich
ausgemessene Entfernung mit 360 multiplizirl, gab demnach den ganzen
Erdumfang.
»So viele verschiedene und interessante Resultate lassen sich mit
so einfachen Mitteln vom Himmel ablesen. Wer dürfte noch behaupten,
dars die Astronomie eine schwierige Wissenschaft sei!
Da, wie wir gesehen haben, die jährliche Bewegung der Sonne
in einem Kreise vor sich geht, der um 23.5°, oder die sogenannte
Schiefe der Ekliptik gegen die tägliche Bewegung der Gestirne
geneigt ist, so müssen wir die Sphäre, an welcher die Sonne befestigt
ist, gegen die Fixsterusphäre um ebensoviel verschieben, d. h. beide
Sphären haben nicht dieselbe L'mdrohungsaxc: wir haben in den himm-
lischen Mechanismus eine besondere L'mdrehungsaxe für jede ciiizn-
fügen.
Gleiche Wahrnehmungen wie die, welche wir an der Sonne ge-
macht haben, treten nun auch heim Monde hervor. Ebenfalls aus den
Schattenlängen, welche das Mondlicht erzeugt, erkannte man, dafs der
Mond in seiner monatlichen Bewegung einen andern Kreis am Himmel
beschreibt, wie einerseits die Fixsterne und andrerseits die Sonne.
Folglich müssen wir auch die Mondspbäre an eine besondere Axe
befestigen und sie von den übrigen völlig unabhängig machen.
Beim Monde zeigte sich nun ferner eine auch schon den grie-
chischen Weltweisen auffällige Kigenthümlichkeit der Bewegung, wel-
che sich namentlich durch den Eintritt der Sonnen- und Mondfinster-
nisse kundgab. Damit verhält es sich folgendermafsen : Sonne und
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Mond bewegen sich, wie wir sahen, in besonderen Kreisen über den
Himmel hin. Diese Kreise müssen sich in zwei Punkten des Himmels
schneiden. Diese heiden Punkte nennt man die Knotenpunkte ihrer
Bahnen und zwar denjenigen, welchen der Mond passirt, wenn er von
der südlichen Hälft«* der Himmelskugel in die nördliche Übertritt, den
aufsteigenden, den gegenüberliegenden den niedersteigenden
Knoten. Wenn die Iutge dieser Bahnen von Sonno und Mond un-
veränderlich bleibt, so müssen auch diese Knotenpunkte am Himmel
eine feste Lago behalten, das ist wohl unmittelbar klar. Da nun eine
Sonnenfinsternifs entsteht, wenn Sonne und Mond sich in gleicher Rich-
tung von uns aus gesehen befinden, eine Mondfinsternis dagegen, wenn
der Mond gerade der Sonne gegenüber in den Krdschatten tritt, sieht
man auch sofort ein, dafs diese himmlischen Ereignisse nur stattfinden
können, wenn beide Gestirne sich in diesem Knotenpunkte ihrer Hahn
befinden, und zwar eine Sonnenfinsternifs, wenn beide Gostime sich
in ein und demselben Knotenpunkte treffen, eine Mondfinsternis da-
gegen, wenn die Sonne in dem einen und der Mond in dem andern
Knotenpunkte steht. I)a nun die Sonne gerade in einem Jahre ein-
mal ihre himmlisch«' Bahn durchläuft, so ist auch sofort klar, dafs sie
in jedem Jahre an demselben Datum sich immer in demselben Punkte
ihrer Bahn befindet. Wenn also «1er Knotenpunkt von Sonne- und
Mondbahn dieselbe Lage behalten würde, so in ii (steil sowohl Sonnen-
wie Mondfinsternisse an ein bestimmtes Datum des Jahres gebunden
sein, weil ja nur in diesen Schnittpunkten sich die beiden Körper
treffen oder genau einander gegenüberstehen können.
Haben wir deshalb bemerkt, dafs eine Sonnenfinsternifs beispiels-
weise auf den 1. Januar, wie ira gegenwärtigen Jahre 1889 fällt, so
müfsten alle übrigen Sonnimfinsteruisse gleichfalls auf einen 1. Januar,
dagegen alle Mondfinsternisse auf einen 2. oder 3. Juli fallen, wenn-
gleich sie natürlich nicht regelmäfsig in jedem Jahre .stattzufinden brau-
chen, weil es ja durchaus von dem Verhältnifs der Bewegungsge-
schwindigkeit des Mondes zu der der Soun«' abhängt, w ie oft sich dies«*
Himmelskörper in den Schnittpunkten ihrer Bahnen treffen können.
Dafs dieses Zusammenfallen der Finsternisse mit dem Datum in
«ler That nicht stattfindet, ist allbekannt und scheint uns selbstverständ-
lich, während es jedoch die sehr merkwürdige Thatsache in sich schlii'fst.
dafs die Mondbalm selbst kein«* feste Lage am Himmel besitzt, son-
«iern sich längs der Ekliptik beständig verschiebt. Die himmlischen
Ereignisse des gegenwärtigen Jahres geben uns über die Gröfse dieser
Verschiebung ohne weiteres Anhaltspunkte. Es ereignet sich nämlich
302
gegen Ende dieses selben Jahres eine zweite Sonnenfinstemirs, die
allerdings ebenso wie die erste für uns nicht sichtbar sein wird, weil
beide für uns zur Nachtzeit stattflnden. Diese zweite Finsternifs
Bewegung des Mondknotens zwischen zwei Sonnenfinsternissen.
tritt statt ain 1. Januar 1890, wie es bei festliegender Mondbahn
stattfinden müfste, bereits etwa 10 Tage früher ein, nämlich am
22. Dezember. Aus der beifolgenden Zeichnung ersieht man, um wie
viel die Lage der Mondbahn sich in der Zwischenzeit verschoben hat.
Wir erkennen zugleich, dafs die Verschiebung des Knotens in Bezug
auf dio Sonnenbewegung nach rückwärts stattflndet. Sie ist von grofser
Kegehnäfsigkcit und beträgt im Jahr etwa 19 1 '3 #, so dafs der Mond-
knoten die ganze Ekliptik in etwa 18.5 Jahren einmal durchläuft.
Noch deutlicher als im allgemeinen bei den Sonnenfinsternissen,
welchen durch besondere hier noch nicht näher darzulegendo Um-
stände die Finsternifs nicht zu genau derselben Zeit stattflndet, zu
welcher der Durchgang durch den Knotenpunkt eintritt, stellt sich
die Sachlage bei Mondfinsternissen dar. Ich habe deshalb den Weg
des Mondes während zwei solcher Erscheinungen, welche sich in
gleichen Zeitintervallen wie jene beiden Sonnenfinsternisse ereignen,
in der folgenden Figur gleichfalls wiedergegeben.
Oerter des Mondes und des Erdschattens während zwei aufeinander folgender
Mondfinsternisse.
Diese eigentümliche Komplikation der Mondbewegung war be-
reits den griechischen Weltweisen im 4. oder 5. Jahrhundert vor unse-
rer Zeitrechnung bekannt, da sic eben so wesentlichen Einflufs auf den
Eintritt der Finsternisse nimmt, jener eindrucksvollsten aller liimm-
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lischen Erscheinungen, doren erschütternde und furchterweckende Wir-
kung ja nicht nur auf den blofsen Naturmenschen, sondern auch auf die
Thiere deutlich zu beobachten ist. Es ist deshalb begreiflich, da Ts
eben diese Erscheinungen die ersten Gegenstände der Naturbetrach-
tung und der Untersuchung scharfsinniger Denker des grauesten Alter-
thumes werden mufsten, und dafs ihre schou sehr früh annäherungs-
weise gelungene rechnerische Beherrschung damals zu den grüfsten
Triumphen menschlicher Erkenntnifskraft gezählt und die Besitzer
dieser geheimen Rechenkunst mit den Ueherirdischen in direkter Be-
ziehung geglaubt wurden.
Dennoch beruht die Keuntnifs der periodischen Wiederkehr der
Finsternisse auf einer sehr einfachen Grundlage, wie wir nach dem
Vorangehenden unmittelbar einsehen. Es ist offenbar zum Zustande-
kommen einer zweiten Finsternifs nöthig, dafs der Mond für diese in
die gleichen Beziehungen zur Sonne und zu seinen Knoten gelangt,
welche während einer ersteu Finsternifs stattfanden. Nun vollendet
der Mond selbst eiuen Umlauf in Bezug auf die Sonne in etwas mehr
als 29.5 Tagen. Durch das Zurückweichen der Mondknoten verfliefsen
dagegen zwischen einem und dem nächsten Durchgänge des Mondes
durch die Sonnenbahn nur 27.2 Tage. Diese Zeit hat man den
Drachenmonat genannt, weil nach alten Sagen die Verfinsterungen
durch einen gierigen Drachen, welcher den Himmelskörpern hier in
den Knotenpunkten auflauerte, um sie zu verschlingen, verursacht
wurden. Die Uralaufszeit des Mondes in Bezug auf die Sonne nennt
man dagegen den syno-
dischen oder Licht-Mo-
nat. Es kommt nun,
um die Wiederkehr-Pe-
riode der Finsternisse
zu finden, nur darauf
ao, zwei aus ganzen
Zahlen gebildete Fak-
toren zu finden, welche,
wenn mau die eine mit
dem synodischen, die Scheinbare Bewegung des Merkur im Jahre 1889.
andere mildem Drachen-
mouat multiplizirt, möglichst nahe die gleiche Zahl ergeben; dann ist
offenbar die obige Bedingung erfüllt Es zeigt sieb, dafs dieses für 223
synodische und 242 Drachenmonate stattfindet; diese ergeben zusammen
6585' , Tage oder 18 Jahre und 1 1 Tage. Innerhalb dieser Zoit, welche
1
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i
304
man im Alterthume den Sa ros nannte und schon den alten babyloni-
schen Astronomen bereits mindestens 1000 Jahre vor unserer Zeitrech-
nung, den Chinesen aber zweifellos noch viel früher bekannt war, wie-
derholen sich also die Finsternisse nahezu regelmäßig, so dafs man
zu einer beobachteten nur diese 18 Jahre und 11 Tage hinzuzuziihlen
braucht, um das Datum einer folgenden vorauszusagen. Wir sehen, dafs
irgend welche tiefere Blicke in das Wesen der himmlischen Bewe-
gung zu solchen, seinerzeit auf das höchste bewunderten Voraus-
sagungen keineswegs nötliig sind.
Wir müssen nun die
hier gemachten Erfah-
rungen in unser System
dcrhimmliscben Sphären
einzureihen, d. h. für den
Mond dreierlei Bewegun-
gen, die tägliche, die mo-
natliche und endlich die
seines Knotens zu er-
klären versuchen. Da es
in der Weltanschauung
der älteren Philosophen
Griechenlands als unum-
stöfslich galt, dafs die
Erde als der Hauptkörper des Weltgebäudes, in deren Dienste alle
himmlischen Sphären über derselben von ihr abhängig ständen, sich
im genauen Mittelpunkt der Welt befinden müsse, so konnte jene
Komplikation der Bewegungen nur durch verschiedene Sphären erklärt
werden, die auf einander wirkend, denselben Himmelskörper beein-
flußten. Nach diesem Prinzip und der gleichfalls damals für unan-
tastbar geltenden Voraussetzung, dafs die Bewegung der Sphären an
sich im harmonischen Baue des Weltganzen mit gleichförmiger Ge-
schwindigkeit vor sich gehen müsse, hatte der scharfsinnige Eudoxus.
ein Freund des Plato, welcher in der ersten Hälfte des 4. Jahr-
hunderts lebte, ein Weltsystem konstruirt, welches bei den Griechen
lange Zeit Geltung behielt. Leider sind die Werke dieses hoch-
bedeutenden Zeitgenossen des Aristoteles nur in wenigen Frag-
menten auf uns gekommen, deren scharfsinnige Kommentirung wir
namentlich Schiaparelli verdanken.
Eudoxus dachte sich für die Erzeugung der wirklichen Mond-
bewegung drei in einander steckende Sphären, von welchen jede eine
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der drei vorher dargestellteu Bewegungen besorgt, so otwa, dar» die
Axe der ersten Sphäre durch die Weltpole und den Mittelpunkt der
Erde ging, dafs auf dieser Sphäro eine zweite Axe befestigt war,
welche die zweite Sphäre trug, die ihrerseits einmal im Monat um-
schwang, während endlich hierüber erst die dritte Sphäre, mit der
zweiten in ähnlicher Weise verbunden, den Mond wirklich trug und
die rückläufige Knotenbewegung besorgte. Drei eben solche Sphären
gab Eudoxus der Sonne, obgleich er wohl von einer Knotenbewegung
der Sonnenbahn nichts Thateächliohes wufste, sie jedoch als vorhanden
vormulhete.
Für die fünf
übrigen Planeten aber
kounte er mit diesen
drei Sphären noch
nicht auskommen, da
dieselben ganz eigen-
tümliche Bewegun-
gen, weicht' Sonne
und Mond nicht be-
sitzen, zeigen. Es sind
das die sogenannten
Schleifenbildungen,
von welchen einige
nebenstehend aufgezeichnet sind. Dieses seltsame Hin- und wieder
Zurücklaufen, das Langsamer- und Schnellerwerden ihrer Bewegung, ihr
Stillstand an bestimmten Punkten und ihr Zurückkehren zu anderen
nach der Schleifenbildung, alle diese so wunderbaren Erscheinungen,
»eiche man jedoch nach andauernden Beobachtungen mit wunderbarer
Itegelmärsigkeit wiederkehren sieht, waren den Astronomen des Alter-
tums unüberwindliche Räthsel. Eudoxus nahm zur Erklärung der-
selben für jeden Planeten zwei weitere Sphären an, während er jedoch
die für die Knotenbewegung bei ihnen wegliefs, so dafs jeder Planet
vier Sphären hatte. Wie er sich die Wirkung dieser Sphären auf
einander dachte, geht aus den überkommenen Fragmenten nicht mit
Bestimmtheit hervor.
Die Ansicht des mechanischen Weltgettiebes hatte sich also seit
l’.vthagoras, d. h. seit etwa 200 Jahren wesentlich komplizirt Der
Himmel des Eudoxus besafs schon 27 Sphären, nämlich je drei für
Sonne und Mond, je vier für die fünf übrigon Planeten und nooh eine
für die Fixsterne.
306
Dem scharfsinnigen Eudoxus folgte ein. nachtretender Weltver-
besserer, Kalippus, dom diese 27 Sphären noch nicht genügten und der
deshalb noch 22 an-
dere hinzurügte, von
deren Bedeutung und
Wirkung wir uns füg-
lich nicht weiter zu
unterhalten brauchen.
Es genügt zu se-
hen, wie im Laufe der
Scheinbare Bewegung des Jupiter im Jahre 1889. Zeiten die himmlische
Maschine immer verwickelter wurde, so dafs immer empfindlicher die
Nothwendigkeit einer von Grund auf klärenden und vereinfachenden
Anschauung hervortreten
mufsto.
Im nächsten Fort-
schritte der historischen
Entwickelung kommen
wir zu den ersten durch-
dringenden Versuchen
Scheinbare Bewegung des Saturn im Jahre 1889. zu einer solchen Ver-
einfachung, welche sich im sogenannten ptolemäischen Weltsysteme
kund giebt.
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Die SAculirversehiebung der Strandlinien an den '»ehweillsrhen Küsten.
Auf dem Gebiete der physischen Erdkunde hat wohl keine Frage mehr
das Interesse des gröfseren Publikums der nordischen Länder in Anspruch ge-
nommen» als diejenige nach den Säkularschwank ungen des schwedischen Litto-
rals. Fast täglich findet man in den schwedischen Journalen Andeutungen über
hier und dort gemachte Beobachtungen, welche auf eine langsame Vertikal-
bewegung einzelner Küstengebiete hinweisen. Ist nun auch derartigen Angaben,
soweit sie aus Kreisen einer Bevölkerung stammen, denen eine sachgemäße Beur-
teilung solcher geophysischon Phänomene fern liegt, pin allzu hoher Werth
nicht beizumessen, so zeigt doch die lebhafte Theilnahmc, welche man allerorten
in Schweden für diese Erscheinung kundgiebt, dafs hier der Glauben an die
schwankenden Bewegungen des heimatlichen Bodens gewissermaßen als eine
Sache des Patriotismus betrachtet wird. Abgesehen hiervon ist aber für die
Wissenschaft die scandinavische Halbinsel „das klassische Gebiet der Niveau-
Schwankungen", und durch keine Bedenken hat man die Thatsache wegleugnen
können, dafs in den Grenzlinien zwischen Land und Meer im Laufe der letzten
Jahrhunderte hier sehr wesentliche Aonderungen stattgefunden haben.
Trotz der zahlreichen, dies bezeugenden Wahrnehmungen hat man sich
in niafsgebenden Fachkreisen gerade in den letzten Deccnnien (seit Lyell) mit
vieler Zurückhaltung über die ursächlichen Verhältnisse dieser Erscheinungen
ausgesprochen; man wagte kaum bestimmte Gründe, wie etwa schwankende
Bewegungen des Bodens oder örtliche Niveauveränderungen des Meeres als Er-
klärung vorzubringen. In jüngster Zeit ist jedoch die Aufmerksamkeit der
wissenschaftlichen Kreise wieder in erhöhtem Mafse hierauf gelenkt worden,
namentlich durch die Arbeiten deutscher Gelehrten, und dio Sache, wenn auch
nicht entschieden, scheint immerhin soweit gediehen, dafs sie das Interesse de*
gebildeten Publikums sehr wohl in Anspruch nehmen dürfte. Diesen Umständen
Rechnung tragend, hat neuerdings der schwedische Forscher L. Holström
ihie historische Entwickelung und ihren Fortgang bis in die Neuzeit in der
Revue scicntifi<|ue (Tom. 4'^, 8. Sept. 1888) im Auszug aus einer gröfseren Ab-
handlung, welche er der kgl. Akademie der Wissenschaften zu Stockholm vor-
gelegt hat, dargestellt. Diesem interessanten Aufsätze entnehmen wir folgende
Mittheilungen.
Man nimmt allgemein an, dafs der schwedische Astronom Celsius zuerst
auf ein Zu rück weichen des Baltischen Meeres hingewiesen hat. Aber schon
vorher haben wissenschaftliche Männer hierüber Andeutungen gemacht, so
Ui bun Iljärne im Jahre I7u2 und Swedenborg 171ü. Ihre Schriften blieben
jedoch unbemerkt bis zu dem Augenblick, wo Celsius (1743) in den Memoiren
der schwedischen Akademie seine Meinung über die allmähliche Senkung des
Wasserspiegels, welche nach ihm von den ältesten Zeiten an nicht weniger als
4‘jFufs im Jahrhundert betragen soll, kundgab. Wie Newton nahm er einen
r * • f
30H
I
f
fortdauernden Verbrauch tles Wasservorraths der Oceane durch die vegetabi-
lischen Prozesse der Erde an, auch soll ein stetiges Eindringen des Wassers
in den Erdkern erfolgen. Seine Theorie wurde von Linn6, Wallerius und
Olaf Dal in angenommen, blieb jedoch nicht ohne Gegner. So bemerkte unter
anderen Brovallius, dafs einige Inseln in der Nähe der schwedischen Küste
niedriger geworden seien, und dafs man daraus auf ein Steigen der Ostsee zu
schlicfsen, dasselbe Recht habe. In diesem Jahrhundert waren es namentlich
Gifsler, Admiral Nordenanckar, Prof. Schulten und Colonel Hallström,
die sich mit der Frage nach den Niveauschwankungen beschäftigten; sie
verweisen alle auf die Beziehungen, welche zwischen dem Luftdruck und den
Niveauverhältnissen des Meeresspiegels obwalten, wollen hieraus ein zeit-
weises Aufsteigen und Senken des Baltischen Meeres ableiten und sind über-
haupt der Ansicht, dafs das letztere in meteorologischer Hinsicht eine ganz
außergewöhnliche Stellung einnehme. Der alten Theorie der Schwankungen
im Wasserspiegel wurde von L. v. Buch die neue Lehre von den Hebungen
und Senkungen der festen Erdrinde 1807 entgegengestellt, der sich nach
einigen Bedenken auch Lyell 1834 anschlofs, indem er besonders die örtliche
Verschiedenheit der Bewegungen betonte. Seiner großen Autorität gegenüber
wurden keine weiteren Widersprüche erhoben; man sprach nur noch von
Hebungen gewisser Strecken Schwedens und hielt an dieser Hypothese bis in
die Gegenwart fest.
Um durch regelrechte Untersuchungen an der Hand der Erfahrung in die-
sen Gegenstand mehr Licht zu bringen, schlug 1847 Prof. Axel Erd mann vor,
an den Küsten Schwedens längs des Baltischen Meeres bis zum Kattegat Be-
obachtungastalionen zu gründen. Solcher Stationen sind gegenwärtig 13 ein-
gerichtet und seit 1852 in Thätigkeit Auf Grund des in der Zeit 1862—75 hier
ungesam nie lten Krfahrungsmaterials hat nun A. Forfsmann die folgenden
Schlüsse gezogen: — 1 1 die Verschiebung der Strandlinien läfst sich nicht allein
durch Aenderungen im Wasserspiegel erklären, vielmehr hat eine wirklich*»
säeulare Erhebung des Bodens stattgefunden in einem Betrage, der zwischen
0,10 bis 0,70 Meter in den einzelnen Lokalitäten schwankt. 2) Das mittlere
Niveau des Baltischen Busens ist zwar jährlichen Schwankungen unterworfen,
aber die Niveauverhältnisse desselben und diejenigen des Kattegats sind nicht
wesentlich verschieden: ihre Differenz kann im Maximum nur 0,18 Meter be-
tragen. 3) Der Seespiegel des Baltischen Meeres ist am niedrigsten in den
Monaten Mär* bis Mai und am höchsten im September bis October.
Dio Frage, ob in der That die Ostsee, etwa durch überwiegende Wasser-
zufuhr aus den deutschen und russischen Stromgebieten, oder durch sonstige,
zur Zeit noch unbekannto meteorologische Umstande, in einzelnen Theilen sehr
verschiedenartige Niveauverhältnisse aufweist, und in wieweit derartige Vor-
gänge zu Verschiebungen der Strandlinien beitragen, kann offenbar nur durch
umfassende Nivellirungen entschieden werden. Ein solches Nivellement wurde
durch den Ingenieur A. Börlzell zwischen Sundsvall und dom Fjord ton
Trondhjem ausgefiihrt, wobei gefunden wurde, dafs das Meeresniveau des ersten
Ortes am 20. August 1868 um 0,75 Meter höher war als dasjenige des letzteren
an demselben Datum des Jahres 1870. Doch scheint diese Messung nicht die ge-
hörige Sicherheit zu besitzen. Neuerdings hat Prof. R üben so n ein Präcisions-
nivellement quer durch Schweden unternommen, durch welches er alle hydro-
metrischen Stationen auf einander zu beziehen gesucht hat. Dasselbe soll in
bestimmten Zeitabschnitten wiederholt werden, um die Frage nach den Boden-
schwankungen Schwedens und nach dem Antheil, den etwa die Veränderlich-
keit der Nivoaullächen des Meeres hieran hat, endgültig entscheiden zu können.
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309
Diese Arbeiten, werden gegenwärtig unter Leitung von Prof. P. C. Rosön
fortgefiihrt sind aber noch nicht soweit gediehen, als dafa man über die
Ergebnisse sichere Mittheilungen machen könnte.
In Bezug auf die Specialresultate, welche aus neueren Untersuchungen
von Forfsmann, Nordenskiöld und Holströra für die Säcularschwan-
kungen einzelner Küstengebiete nördlich und südlich von Stockholm längs
des Bottnischen Busens erzielt worden sind, müssen wir auf die oben ange-
gebene Schrift verweisen. Der Gesamtüberblick ergiebt, dafs fast überall längs
der bezüglichen Strecke sogenannte „negative Verschiebungen der Strandlinien**
— womit man nach Suefa daa Zurückweichen dos Meeres bezeichnet — be-
merkt worden sind. Dieselben erreichten in der Nähe von Stockholm während
des Jahrhunderts (1774 — 1875) nahezu den Betrag von 0,50 Meter während sie aich
nach Norden zu in der Umgebung von Katan (64° Breite) selbst bis 1,24 Meter
erheben. Ganz besonders auffallend ist neben der örtlichen Unregel mäfsigkeit,
welche sich trotz des fast durchgehend negativen Charakters in den
Verschiebungen der Strandlinien kundgiebt, die Unregelmäßigkeit im
Fortschreiten derselben; d. h. das Zurückweichen des Meeres scheint
innerhalb gleicher Zeiträume sich nicht gleichmäßig schnell vollzogen zu
haben, sondern es wird vielmehr in den letzten Decennien fast durchgehend«
eine Verzögerung der Bewegung bemerkt. Am stärksten tritt dies hei den
Verrückungen der Strandlinien zu Landsort (58° 45' Br.) hervor, wo zwar die
Beobachtungen während der Periode (1800 —1867) auf einen säeularen Rückgang
des Watten von im Mittel 0,45 Meter ach lie feen lassen, jedoch scheint dieser zeit-
weise auch durch eine Erhöhung des Seespiegelt unterbrochen zu sein, indem,
nach den Rechnungen zu schließen, eine solche in der Mitte unseres Jahr-
hunderts sicher stattgefunden hat. An der Westküste Schwedens liegen eben-
falls Anzeichen einer Senkung der Meeresniveauflächen bis zu dem Betrage
von 0,40 Meter vor, dagegen lassen sich an der norwegischen Küste keine Merk-
male hierfür finden. Sehr beachtenswerth ist ferner, dafa die finnischen Strand-
linien ganz ähnliche Verhältnisse aufweisen wie die baltischen.
Was die Ursache der schwedischen Küstenschvrankungen an betrifft, so
scheinen nach Holatröm die zur Zeit vorliegenden Erfahrungen den Sch lufs
zu rechtfertigen, dafa diese nicht allein im Sinne der älteren Anschauung auf
Verschiebungen der Niveauflächen des Meeres zurückzuführen seien, sondern
dafs sie vielmehr in einer thatsächiichen Hebung der Festlandsmassen einzelner
Gebiete Scandinaviens gesucht werden müssen. Da aber die Gestaltung des
Meeresspiegels in der Umgebung der Continente durch die Anzieh ungs wir-
kungen der sie bildenden Massen bedingt ist, so mufs jede Veränderung in der
Vertheilung dieser letzteren, also auch jede Hebung derselben, eine entsprechende
Veränderung der Qieichgewichtsflächen in dem angrenzenden Oceane zur Folge
haben. Dieser Umstand wird nach Holström, wenn auch nur in secundärer
Beziehung, bei den Verschiebungen der Strandlinien von Einfluß sein, so dafs
man dieselben nicht als das Produkt einer einzelnen Kraftwirkung aufzufassen
hat, sondern als das Resultat zahlreicher, zum Theil vielleicht noch unbekannter
Bewegungen, welche einander wechselseitig bedingen. Schw.
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t
310
Verzeichntes der bekannten Doppelstcrnbabnen und berechneten
Parallaxen von Fixsternen.1) In der folgenden Zusammenstellung der
Doppelsternbahnen sind durchaus die veiiftfalicheron und neueren Hahn*
bestimmungen berücksichtigt; wo ein Berechner mehrere angegeben hat,
wurden dio letzterhaltenon Elemente angesetzt Doch sind sehr viele dieser
Bahnen, auch nicht wenige jener, welche als „definitiv* gelten, noch weit von
der Vollkommenheit entfernt, was seinen Grund in den schwierigen Verhält-
nissen hat, denen bei manchen Objekten die Beobachtungen und nicht selten
in noch höherem Malle dio Bahnbestimmungsmethoden unterliegen. Namentlich
für die Doppelsterno gröfserer Uralaufszcit sind manche Bahnen noch recht
unsicher.
I. Uebersicht der neueren Bah nbestimmungen der Doppelsterne.
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Umlaufs-
Peri-
Periaatr.
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11.478
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0.2011
0.406"
1
ß Delphini . .
16.955
1868.850
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0.0962
0.460
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» Sagittarii . .
18.69
1882.86
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0.1608
0.53
3
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; Herculi» . .
Struvo 31-21 .
34.411
34.649
1864.785
1878.520
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129 27
41 44
24 50
43 14
75 26
04627
03086
1.284
0.672
4
5
Procyon . .
39.972
—
—
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0.698
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41.562
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218 36
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59 41
0.2667
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Sirius . . »
49.399
1843.275
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61 58
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53.87
1863.99
205 26
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0.3475
1.19
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54.25
1877.13
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57 57
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0,3023
1.46
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55.582
1882.774
75 24
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0.6989
2.40
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Otto Stru ve 298
56.65
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0.883
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60.327
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0.853
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Otto Stru ve 284
63.45
1881.15
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0.3629
0.339
1.5
V z
<i Centauri . .
87 44
1875.447
48 59
25 49
79 47
05443
1989
16
**• *■’
Otto Stru ve 235
94.41
1839.10
134 55
99 35
54 27
0..50OO
0.980
17
|3^l
70 p Ophiuchi
94.44
1808.90
151 55
127 23
58 5
0.4672
4.790
18
7 Coron. bor. .
95.50
1843.70
233 30
1 10 24
85 12
0,150
0.70
19
; Librae . . .
95.90
1859.62
89 16
12 15
68 42
0.0768
1.26
.»0
Bradl. 3210 .
102.943
1835.508
92 7
39 9
32 11
0.4472
l .270
21
nt Leonis . .
1 10.82
1841.81
64 5
148 46
121 4
0.5360
0.890
•>*>
Otto Struve 208
115.4
1877.12
72 7
105 18
57 57
0.788
0,54
23
p Kridani . .
1 17.51
1817.51
327 15
81 42
44 40
0.378
3.82
24
25 Canum . .
119.92
1883.04
245 0
42 22
33 20
0.7221
0.M
25
>. Ophiuchi
122.51
1800.759
111 5
65 49
68 25
0,8100
0.809
26
l Bootis . . .
127.35
1770.69
117 46
26 22
36 55
0.7081
4.S6
27
4 Aquarii . .
129.84
1751.96
235 0
340 14
56 37
0 1611
0.717
•_N
') Dieses Vcrzeicbnifs wurde auf Wunsch eines Abonnenten zii«AmmeDgnfteilL.
*) Die Elemente bestimmen die l.iipr der wahren Rahnellip*o »in Raume. Es bedeuten .
Periastrum =r Zeit der gröfhtr» Nahe des Uegleiter.«« gegen den Hauptstarn.
Knoten — PusJtlonswinkel der Schnittlinie der scheinbaren und wahren Buhn.
Periastr. vom Knoten t Bogen zwischen Knoten und Periastr. in der Bahn,
Neigung — Winkel der wahren gegen die scheinbare Ellipse.
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—
311
Umlaufs-
zeit in
Jahren
Peri-
astrum
Poriastr.
vom
Knoten
Knoten
Nei-
gung
Excen-
tricität
Halbe
grofse
Axe
t, Cassiop. . .
148.9
1965.02
238» 17-
45° 3*
56*22'
0.6296
8.786"
29
7 Virg. . . .
169.48
1836.2S
79 4
62 9
25 25
0.88
3.86
30
Struve 2107.
186.21
1893.33
104 3
186 20
45 52
0.387
1.00
31
? Ophiuchi . .
217.87
1821.91
41 24
65 26
:.$ 42
0.6055
—
32
44 Bootis . .
261.12
178301
1 18
65 29
7t) 5
0.71
3.093
33
ja* Bootis . .
280.29
1863.51
20 0
173 42
39 57
0.5974
1.47
34
36 Androiu. .
316.07
1801.73
115 42
93 46
51 53
0.6537
1.65
35
Struve 1757.
401.0
1797.42
315 28
344 43
29 32
0.508
2.29
36
7 Leonis. . -
407.04
1741.00
195 22
111 34
43 6
0.7327
1.98
37
* Cygni . . .
415.11
1901.10
203 2
91 8
37 46
0.2858
2.31
38
12 Lyncis . .
485.8
1716
93 36
166 30
46 3
0.229
1.64
39
tx Dr»c. . . .
64$
1940.35
—
—
—
0493
3.38
40
o Coronae . .
845.86
1826.93
73 51
16 27
31 56
0.7515
5.88
41
o Gemin. . .
1001.21
1749.75
297 13
27 46
44 33
0.329
7.43
42
C Aquarii . .
1
1578 3
1924.15
134 40
140 51
44 42
0.652
7.65
43
1. Wroblewsky (A. N. 2771).')
2. Celoria (A. N. 2824). — Duhjago (2€ü2) giebt 26.07 J. Umlaufszeit
Poriastr. 1882.19.
3. öore (Month. Not. 46 p. 414).
4. Doberck (A. N. 2332). — Dun6r (1868) giebt Poriastr. 1830.01.
5. Celoria (A. N. 2808).
6. Nach L. Struve und Auwers. Epoche des Minim, in Rectasc. nach
L. Str. 1794.966, nach Auwers 1795.568.
7. Doberck (A. N. 2338). Mit Dun6r (1868) gut stimmend.
8. Auwers (Unters, über veränderliche Eigenbewegungen II. 1868).
9. Gore (A. N. 2749).
10. Doberck (A N. 2287).
11. Schiaparelli (A. N. 2073)
12. Celoria (A. N. 2843). — Doberck (2280) giebt 68 8, Dolgorukow (A. N.
2531) 70.26 Jahre Umlaufszeit.
13. Seeliger. Mit Rücksicht auf die Störungen durch den dritten Stern
dieses dreifachen Sternsystems. (Unters, über die Beweg. -Verhält-
nisse etc) [Denkschr. d. Wiener Acad. 44. Band. 1881.]
14. R Wolf (A N. 2165.) Mit Knott, Pritchard, Breen ziemlich stimmend.
— Gut bekannter Doppelstem.
15. Gore (A. N. 2743.)
16. Poweli (Month. Not. 46 p. 336.) Mit Elkin (giebt 77.4 Jahre Umlfszt.)
nahe übereinstimmend.
17. Doberck (A. N. 2294).
18 Pritchard. — Mit Klinkerfues (1135) nahe stimmend.
19. Doberck (A. N. 2123).
20. „ („ 2121).
21. w „ 2277).
22. „ („ „ 2095).
*
s
1
.«
>
t
i
i
i
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t
st
M-ttr
312
23. (<f Urs. maj.) Casey. (A. .V 2117) Roher Versuch.
24. Doberck (A. N. 214«). — Gore (Monlh. Not. 48, Not. 1888) 302 Jahre
Umlaufszeil, und sonst von D. wesentlich abweichend.
25. Doberck (A. N. 2345).
26. Seeliger (Zur Theorie d. Doppelst. Lpz. 1872).
27. Doberck (A. N. 2129).
28. „ („ „ 2287).
29. L. Struve (Mdlanges math. et astr. T.V.) — Bahnbcgtimmung noch
unsicher:
Nach Duner Grober Doberck
Urolaufszoit 176.37 Jahre 195.23 Jahre 222.43 Jahre
l’eriastrum 1848.41 1706.72 1909.24
Knoten 50“ 50 33“20 39“57’
Neigung 68 28 48 18 53 50
30. Mädler. (Vergl. Thiele: Untersogelse af 7 Virg. Kopenhagen 1866.)
31. Berberich (A. N. 2623.) Casey (2438) 98 .Jahre Umlaufszeit,
32. Doberck (A. N. 2126). — Unsicher.
33. Doberck (A. N. 2064).
34. Doberck (A. N. 2194). — Pritehard 266 Jahre, Perih. v. Knoten 40*54,
sonst ziemlich mit D. stimmend.
35. Doberck (A. N. 2240).
36. Casey (A. N. 2415). Versuch.
37. Doberck (A. N. 2248).
38. Hehrmann (A. N. 1561).
39. Gore (A. N. 2802).
40. Borberich (A. N, 2582).
41. Doberck (A. N. 2103).
42. Doberck (A. N. 2168). Auch die übrigen Bahnen von Thiele, Müdler,
Jacob noch höchst unsicher.
43. Doberck (A. N. 2050).
2. Uebersicbt der Bestimmungen von Fixstern-Parallaxen
bis Ende 1888.
Paroli- j 'Vshr-
schein!
Autorität
Messungen in den Jahren
“Y0,|j Fehler
0314
0.318
I 0.360
61 Cygni . 1 :|
0.349
0.564
i| 0.468
0.0136"
Beuel 1887—38 \ Königsberger
0.0095
„ 1837—40/ Heliom.
0.012
Peters | Neue Bearbeitung der Königs
beiger Beoh.
0.080
w 1842 — 48 Pulkowa.
0.016
Auwers 1860—62 Königsberg.
Ball ! 1«™-
') Jährlich?) Parallaxe der Sterne lat bekanntlich der Winkel, welcher aus der Rieh-
tungsänderung Erde-Stern entateht, die wahrend der Bewegung der Erde uro die Sonne »Uti-
tlndec. Einer Parallaxe von 1" entspricht die Entfernung de» Sterne von 906865 Erdhabnhalb*
mwsern odor eine Uchtxeit Ton 8'/, Jahren. -- ln der obigen Zuaaimnonatidlung aind, um der
hl»lori*chen Entwicklung dieses Zweige» Rechnung zu tragen, auch manche ältere aua den
Beobachtungen von Zonithdtstanxen und grossen Kectaseenslons-DifTtfrenxon felgende Werthe
aufgnnommen worden-
Digitized by Google
313
Parall-
Wahr-
scheinl.
Autorität
Messungen in den Jahren
axe
Fehler
«1 Cygni . |
0.270"
0.010“
A. Hall
1882.
0.42»
0.014
Pritchard )
1886—87 Photographisch.
61, Cygni . .
0.435
0.014
i
ii ii
0.261
0.0254
Stiui vc
1835-38.
0.107
0.053
Peters
1842 Pulkowa.
9 Lyrae . .
0.147
0.009
O. Struve
1351—53.
0.20«
0.0084
Brünnow
1868 — 61t Dublin.
0.134
0.0O5
Hall
1880-81.
0.034
0.045
Elkin
1888.
* Bootis . J
0.127
0.018
0.073
0.022
Peters
Elkin
Hamburger Merid. Kreis.
1888.
a Urs. min. {
0.106
0.076
0.012
0.013
Peters
Struve
^°1rP“ter > beobacht.
Pulkowacr |
9 Aurigae . J
004«
0.020
Peters
.
0.017
0.047
Elkin
1888.
0.226
0.141
Peters
1842 -43 Pulkowa.
0.16«
0.018
Schlüter
1842—4.71 .. . . ,
1847 -511 Kün'S*berK-
I&'IO Groom br.<
0.114
0.019
Wichraanu
0.034
0.029
O. Struve
1847-49 Pulkowa.
0.097
0.023
Brünnow
1870—71 Dublin.
0.913
__
Henderson u.
1840 1 ^
9 Centauri . [
0.919
Maclear
,842 — 181 3m C*p ,)
0.521
0.066
Mo es tu
1860—64 S. Jago.
1
0.75
0.01
Oill u. Elkin
1885 Cap. (Heliom.)
ß Centauri .
0.173
0.07
Moestu
1860 — 64 S. Jago.
0.00
0.02
Oill
1885 Cap. (Heliom.)
t Urs. maj.
0.133
0.106
Peters
1842—43 Pulkowa.
70 |» Ophiuchi
0.162
0.007
Krüger
1868 Bonn (Heliom.)
UI. *1258 . {
0.260
0.020
ii i* ”
0.262
0.011
Au wem
1866 Königsberg (Heliom.)
Ul. 2118.5 . .
0.501
0.011
Win necke
(1857—58. Neue Unter«.)
OelU. 7415 . .
0.247
0.021
Krüger
1863 Bonn (lleliom.)
Oelt*. 11677 .
0.242
0 043
üeelmuyden
1878— 79. a)
M Groombr. .
0.307
0.U25
Auwers
1863—66 Gotha.
a Drac. . . .
0.24«
0.013
Brünnow
1869—70 Dublin.
85 Pegasi . .
0.054
0.019
14
e e J)
3077 Bradl. .
0.055
0.02«
„
1870-71
7 Drac. . . .
0.092
0.070
Auwers
(Aus der Bearb. d. Beobacht.
v. Molyneux 1728.1
1
0.516
0.057
Shdanow
Aus O. Struves Beob.
9 Tauri . . <
0.116
0.029
Elkin
1888.
1
0.102
0.030
A. Hsll
1886—87.
Cygni 6 Bode
0.482
0.054
R S. Ball
18SÜ 81.
') V#rjL dir DimcuBBion tod Elkio.
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314
Parall-
axe
Wahr-
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j 188-> Cap (Heliom )
v Navis . . .
0.03
0.03
*>2 Eridani . .
0.17
0.02
Gill
1
•x Cassiop, . ,
0.035
0.025
Pritchard
1886. Photographisch.
Struve 239S .
0.353
0.014
E. Lamp
1883-87.
n Leonis . .
0.093
0.048
EUdn
[ 1888.
'l Goniin . .
o.oes
0.047
„
0.1.70
—
Maclear u. H.
Cap-Reihe.
Sirius . .
0.193
—
Gvlddn
(Bearb. d. Beob. Maclears.)
i 0.38
0.01
Gill ti. Elkin
Cap. 1885.
0.268
0.398
0.047
Elkin
1888.
Procyon . .
0.061
L. Struve
1803- 68 Pulkowa.
0.240
0.029
Auwers
1861 — 62 Königsberg.
i Indi . . .
0.22
0.03
Gill u. Elkin
J 1885 Cap. (Heliom.)
Lucaille 0352 .
0.28
0.02
Gill
*
t
Erscheinungen am Sternenhimmel im Monat Februar.
(Sämmtliche Zeitangaben gelten für Berliner Zeit.)
1. Der Mond.
7.
Februar Erste» Viertel
Aufgang
M.
Unlprgang
1h 18- XI.
9.
„
Erdferne
•
3 28 Mg.
15.
Vollmoud
4* 38» Nm.
7 49
22.
„
Letztes Viertel 1 43 Mg.
10 30 Vm.
24.
Erdnähe
4 10 .
M.
Maxima der Libration:
3. Februar und 1.’». Februar.
a. Die Planeten.
Merkur
Venu«
Rectas.j Dcclin.
1. ..
Aufg.
; Unterg. |
Hertas.
Deelin.
Aufg.
Unterg.
1.
Febr.
22*> 1 1 tn
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8h 15® ln.
Oh 33® U.l
23h X>m
— 0° 27'
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21 57
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5 40
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+ 5 39
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17.
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21.
..
21 26
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25.
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3 .50
Xm.
l 23
11 24
7 56 .
10 ß ..
1.
Marz
21 19 j — 14 215 54 „ |3 30
2. Febr. in der Sonnennähe.
-
1 37 | + 13 10 1| 7 44 „ 10 14 -
18. Febr. gröfste östl. Ausweiehg.
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315
Mars
J u pi to r
Kectas. Declin. Aufg. Untere.
..
Kectas. Declin.
Auf*.
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Febr. 23bl6“|— S*Sr .SH5t»‘Hr. SH 4™».
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12H59» 1.
7.
*
2.1 33 — 3 38 8 37 . S 7 .
18 1
— 23 6
5 0.1
12 40 .
18.
„
23 50 — 1 44 8 21 . 8 9 .
18 6
— 23 C,
4 41 .
12 21 .
ia
0 7 +0 10 8 4 . 8 14 .
18 10
— 23 5
4 22 .
12 2 .
25.
“
0 23 +2 3 7 47 . 8 15 .
18 14
— 23 4
4 2 .
11 42 „
Saturn
Uranus
Rectas. Declin. Aufg. Unter#.
Kectas
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2.
Febr.
9b 2»m -}-|fi»47' |H52mXm. »b Smlj
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9 15 +17 12 3 41 . « 59 .
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— 7 52
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9 12 +17 23 3 6 . 6 26 .
13 20
— 7 48
9 33 „
8 17 .
15. Febr. 1*> Mg. Bedeckg. durch Mond.
Klongationen des Saturntrabanton Titan: K. u. 22. Fohr, westl., M.Febr. östl. IClong.
Neptun
Kreta«.
Declin.
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2. Februar
3H 51»
+ 18*25*
1 IH 12“ Va. 2b 46» St.
15.
3 51
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1 55 „
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3 51
+ 18 28
, :'° '
1 4 .
3. Beobachtbare Verfinsterungen der Jupitertrabanten.
3. Febr.
111. Trab.
Verfinat.
Eintritt 7b
23» M(f.
7. -
II. .
*
12 .
8.
1. .
„
. 7
44 .
24. .
I. .
•
6
0 „
4. Sternbedeckungen durch den Mond.
(für Berlin sichtbar).
Gröfso Hin tritt Austritt.
9. Februar: i Tauri 5.4 81» 0®Ab. 9* 17® Ab.
5. Veränderliche Sterne.
n) Muxima variabler Sterne:
Maximum Helligkeit im
1889
Max.
Min.
Kecta8.
Declin.
H Ceti
17.
Februar
8
Ur.
13 Gr.
2 b
20“
21 •
— 0’
401
T Arieti*
27.
8
„
9.10 .
2
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+ 17
3
U Mono«-.
20.
„
0
7
7
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— 9
33
H liydrme
17.
*
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10
13
23
39
- 22
44
S Virginia
9.
.
5.6
„
12.13 .
IS
27
u
ii
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U Cygni
20.
7.8
10
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16
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33
T Aqtiarii
24.
6.7
12.13 .
20
44
5
— 5
33
|
316
l>) Minim» der Sterne vom Algol-Typus.1)
U Cephei
Algol
>. Tauri
R C»n. m»j.
S Cancri
(2*1 11k 50»)1)
Ci* 20i> 49»)
(3*1 221 52")
(Id 3b iß»)
(9*1 11 k 38»)
1 889
Min. Hm
Min. am
Min. am
Jedes 3. Min. am
Min. am
2. Febr. Ab.
5. Febr. Mg.
5. Febr. Ab.
4.
Febr. Nm.
1. Febr. Ab.
7.
10. „ Nt.
13. .
7.
Nt.
11. _ Mg.
12. .
lfi. . Ab.
21. .
ii.
- Vm>
20. . Ab.
17. .
22. . M.
14.
„ Ab.
'2'2.
28. . Mg.
18.
, Vm.
27. .
21.
Nm.
24.
, Xl.
28.
. M.
4 Librae
U Corona*
U Ophiuchi
V Cygni
(2*1 7k 51»)
13*1 10k 51»)
(20k s»)
((d ub 57»)
l 889
Min. am
Min. am
Jedes 4. Min. am
Jedes 3. Min. am
Febr. Mg. 7.
Febr. Ab. 4.
Febr.
M.
1.
Febr. Xt
•i.
. Ab. 14.
7.
Ab.
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. M. | 21.
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Mg.
10.
. Nt
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. Mg. 28.
. Xm. 14.
..
Nm.
13.
. M.
23.
. Ab.
17.
Ab.
19.
, Nt
28.
. M.
21.
Mg.
24.
. M
24.
Xm.
28.
, Nt
27.
.
Xt.
r) Minim» einiger Veränderlicher kurzer Periode:1)
1889
Max. Min.
Rectae.
Declin.
T Minier.
23. Febr. 6.2 Gr. 7.8 Gr.
ßk
19» 14*
+
9
£ Gemin. 7.,
17.. 27. Febr. 3.7
„ 4.5 ..
G
57
32
+ 20
44
[i Lyrae 3
10. Febr. 3.4
h 4.5 -
18
45
58
+ 33
14
A<|uilae 2., 9.
. Iß,. 23. Febr. 35
. 4.7 .
19
4fi
49
+ 0
43
? Cephei 6., 11.,
17., 22., 28. Febr. 3.7
„ 4.9 .
22
25
2
+ 57
51
•) Die Orte dieser Sterne ftlr lftsf» sind folgende:
U Cephei
0i. st» r.H + m* ii'
3 Libr. 14“
55-
3*
- 6®
S'
Algol
3 OS!« + 40 33
17 Coron. IS
13
40
+
.1
A Tauri
3 M » -f 13 11
L* Oph. 17
10
53
+ 1
20
H ran. maj. 7 14 ST — 1« 11
Y Cygo. :o
47
37
+ *4
IS
S Cancri
S 37 36 -f 11» 2«
0 Diese Zahl gicht dir Periode de» Lichtwe
clt&ela In Tugen, Stunden und
Minuten
an.
*) Die Perioden dieser Sterne sind:
T Monoc. 1 Tage
33 Stunden.
C tJetnin. S
0
^ Lyrae (Doppelte Periode).
«5 Aquilao 2 Tage
9 Stunden.
v Cephei 1
15
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317
6. Zo di akal licht.
Vom 15. Februar bis 2. Marx am Westhimmel von 7 bis 9 Uhr Ab. gut
beobachtbar.
7. Nachrichten über Kometen.
Der Komet 1888 V (Komet Barnard vom 30. Oktober, s. S. 185) ist nach
den vorliegenden Nachrichten im Dezember ziemlich lichtschwach gewesen;
der Kern wurde einem Sterne 13. Gröfse gleichgeschiitzt, die ihn umgebende
Xebelliülle betrug kaum mehr eine halbe Bogcuminute. Das (Jestirn dürfte
gegenwärtig nur sehr grofsen Instrumenten zugänglich »ein. —
Ueber die Beobai btung des Knckeschen Kometen auf der südlichen Krd-
licmisphäro (s. S. 55) liegen jetzt ebenfalls ausführliche Nachrichten vor; der
Komet war während der ganzen Beobachtungsperiode schwach und konnte im
Juli und August nur mit grofsen Schwierigkeiten verfolgt werden.
In «len gegenwärtigen Winterraonaten wird auch die Rückkehr «1©»
periodischen Tempclschon Kometen (1873 11) erwartet. Dieser Komet ist am
3. Juli 1873 in Mailand entdeckt worden und hat eine Umlaufazoit von 51/* Jahren;
am 19. Juli 1878 gelang dem Entdecker die abermalige Auflindung. Nach den
Rechnungen von L. Schulhof hält sich der Komet im Januar, Februar und
März in der Nähe der Sonne auf, geht mit ihr auf und unter, uud es ist daher
nur wenig Hoffnung vorhanden, des Kometen hei »einer diesjährigen Rückkehr
habhaft zu werden.
Hiwi!*..
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tirofte Mecrestlcfeu. Das britische Vermessungsschiff Egoria, unter Kom-
mando des Kapitain Pelham Aldrich, hat neuerdings im Stillen Ozean südlich
der Freundschafts-Inseln zwei Tiefen gefunden, welche zu den größten bisher
gemessenen zählen, nämlich 8101 Meter in 24*37' Süd-Breite und 175* 8‘
West-Länge von Greenwich, und 7856 Meter ungefähr 12 Seemeilen südlich
von der ersten Stelle. Von den bis jetzt in den Ozeanen ausgeführten
Lothungen weisen nur drei gröfsere als die eben angegebenen auf, von denen
zwei ebenfalls in den Stillen Ozean, die dritte in den Atlantischen Ozean,
alle drei aber auf die nördliche Halbkugel der Erde fallen.
Die gröbste bekannt gewordene Tiefe beträgt 8 513 Meter und wurde
von der amerikanischen Korvette Tuscarora auf 44“ 5.V Süd-Breite und 152*
26 1 Ost-Länge in der Nähe des Japanischen Inscl-Archipels, die zweite,
8 341 Meter, durch das amerikanische Vermessungsschiff Blakeim Atlantischen
Ozean auf 19° 39' Nord-Breite und 66" 26' West-Länge nördlich von Porto-
Rico gefunden, die drittgrößte wieder iin Stillen Ozean auf 11° 24 1 Nord-
Breite uud 143® 16' Ost-Länge südlich der Ladronen-Inscln gelegene Tiefe
endlich bestimmte die britische Korvette Challenger zu Hl 74 Meter. Auf der
südlichen Hemisphäre war die grofste bisher gelothete Tiefe 5 523 Meter; die-
selbe wurde von der deutschen Korvette Gazelle im Indischen Ozean auf
16° II* Süd-Breite und 117° 32' Ost-Länge gefunden. R.
*
Helgoland. In den Mittheilungen der Geographischen Gesellschaft zu
Hamburg befindet sich eine Studie über Helgoland von Dr. Lindemann, welche
zum Theil Ergebnisse eigener Untersuchungen enthält und auf die physi-
kalisch-geographische Beschaffenheit dieses Fe Iso Heilandes einiges Licht Wirft.
Das allmählicho Verschwinden Helgolands ist hiernach nur zum Theil der zer-
störenden Gewalt des Meeres beizumessen; am stärksten wird die Westküste
davon betreffen, wo die Wucht der Wellen bedeutend größer ist als auf der
mehr gedeckten Ostseite, deren Felsen wand schon durch eine lang hin gestreckte
Düne vor dem Anprall der Brandung geschützt ist. Auf dieser Seite bewirken
dagegen die wässerigen Niederschläge in Gemeinschaft mit dein Wechsel der
Temperatur und die zerstörende Wirkung des Frostes eine allmähliche Ab-
tragung der Gestoiusmussen , so dafs die Spuren der Verwitterung hier beson-
ders deutlich vor Augen liegen. So erklärt sich auch der verschiedene Charakter
der beiden Hauptküsten Während die östliche das etwas einförmige Bild dos
steil abfallenden Felsens darbietet, gewährt die Westseite mit ihren imposanten
Zerklüftungen, Buchten und Kelseutboren und einzelnen aus dem Meere empor-
ragenden Pfeilern einen überaus Wechsel vollen Anblick. Alle Klippen und
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Riffe zeigen dasselbe Fallen und Streichen der Schichten des der Triasformation
Angehörigen, ganz aus buntem Sandstein bestehenden Mutterfelsens und hissen
so einen sicheren Schluss auf ihren einstigen Zusammenhang mit diesem zu.
Dagegen liegen keine Anzeichen vor, aus denen ersichtlich wäre, dafs die
Iusel im Sinne der Sage einst mit dein Festlande verbunden war; sie ist viel-
mehr als ein Erhebungszentrum des Nordseebeckens zu betrachten, wie dies
schon vor ."»0 Jahreu Prof. Wiebol nuchge wiesen hat. Uebor den Betrag der
mechanischen und chemischen Denudation lassen sich zwar genauere Angaben
nicht machen, weil die Zerstörung des Gesteins nur iiufserst unregelmäfsig vor
sich geht, doch dürfte die Verkleinerung der auf der Ostseite gelegenen Felder
hierfür einigen Anhalt gewähren. So soll von einem vor 50 Jahren noch 10 in
breiten Kartoffelfeld nichts mehr, und von einem einst 35 m breiten jetzt nur
noch 3 in vorhanden sein. Für die starke Abtragung des Felsens Ln historischen
Zeiten spricht auch besonders deutlich das AufÜnden alter friesischer Münzen,
die zweifellos einer versunkenen Grabstätte angehört haben. Es sind ferner
unverwerfliche Zeugnisse dafür vorhanden, dafs in den jüngst vergangenen
4i? Jahren neun Felsenpfeiler gänzlich verschwunden, zwei Felsenthore in
Pfeiler verwandelt worden sind. Uebor die Entfernungen der einzelnen Felsen
vom Mutterfelsen hat Dr. Lindemann gelbst Messungen angcstellt, und durch
Vergleich dieser mit älteren glaubt er auf der Westseite dos Eilandes eine
Abnahme von l1/, bis 2 m in 40 Jahren, also eine jährliche Abnahme von 5 cm
verbürgen zu können. Hiernach müfste das nur 0,G Qkm umfassende Helgo-
land in einigen tausend Jahren gänzlich verschwinden. Schw.
§
X. Ekholm et K. L. Hagström. Meaurea des hauteurs et des mouvements
des nuages. Upsal 1385.
Wiewohl diese Abhandlung bereits Ausgang des Jahres 1884 der Gesell-
schaft der Wissenschaften zu Upsala vorgelogt wurde, so verliert sie doch durch
das etwas zurückliegende Dalum nicht an Bedeutung für den Fortschritt der
Meteorologie auf dem lange vernachlässigten Gebiete der Wolkenbeobachtungen.
Denn durch ein gründliches, lange fortgesetztes Studium der Höhe und dos
Zuges namentlich der oberen Wolken kann allein unsere Kenntnifs von der
Cirkulation der Atmosphäre erweitert werdeu, und wenn nun auch dem Wolkenzüge
und den Veränderungen der verschiedenen Wolkenformen gröfsere Aufmerk-
samkeit gewidmet wurde, so fehlte es doch meist an sicheren und bequemen
Methoden, die Höhe der Wolken über der Erdoberlläche genau zu bestimmen.
Ohne die Kenntnifs der Höhe aber läl'st sich auf die Geschwindigkeit der oberen
Luftströmungen kein sicherer Schliffs ziehen, und so ist es wesentlich dio
Methode der Beobachtung, welche den Resultaten der Verfasser hinsichtlich
ihrer Genauigkeit einen grofsen Vorzug vor den auf andre Art erhaltenen
gewährt.
Theoretische Betrachtungen ergaben, dafs dio einzig sichere Methode
die der Parallaxenbestimmuug der Wolken ist, indem von den Endpunkten
nuer Basis von genügender Länge die Winkel nach einem bestimmten Punkt
einer anvisirteu Wolke gemessen werden, aus welchen, wenn die Basislänge
fcstgestellt ist, die Höhe, und wenn die Messungen nach erfolgter Weiterbe-
wegung der Wolke wiederholt werden, ebenso Zugrichtung und Geschwindig-
keit ermittelt werden können. Bei der nothwendigen Länge einer solchen
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Basis ist jedoch eine direkte Verständigung der beiden Beobachter an den
Endpunkten unmöglich, und da die telegraphische Verständigung zu zeitraubend
war, um zum Ziele zu führen, blieb es der Erfindung des Telephons Vorbehalten,
derartige Messungen wirklich ausführbar erscheinen zu lassen, denn bei der
Schnelligkeit, mit welcher bei genauer Beobachtung sich die Umrisse der
Wolken zu ändern pflegen, ist eiligo Verständigung über den einzustellenden
Punkt eine wesentliche Bedingung, da sonst die Gefahr vorliegt, ganz ver-
schiedene Theile der Wolke einzustellen und damit die Genauigkeit der Messung
erheblich zu veringem.
Zum ersten Male wurde die Methode während der schwedischen Forschungs-
reise nach Spitzbergen 1 882/83 erprobt und bewährte sich so sehr, dafs seitdem die»«
Wolkenbeobachtungen einen ständigen Platz im Arbeitsprogramm des meteoro-
logischen Institutes zu Upsala erhalten haben. Die vorliegende Abhandlung be-
schreibt ausführlich die angewandten Instrumente und giebt die Theorie der An-
stellung und Berechnung der Beobachtungen, sowie eine schon recht ergiebige
Sammlung von 300 Resultaten. Weitere Resultate derselben Forscher wurden
sodann in der .Meteorologischen Zeitschrift“ 1887 veröffentlicht Die zuerst
angewendete Basis hatte eine Länge von 4!»0 m (in der vorliegenden Publika-
tion war die Länge derselben irrthümlich zu 421 m angenommen worden, und
bedürfen daher alle Höhen und Geschwindigkeiten einer Correktur), während
später eine solche von 1302 in gewählt wurde, welche sich für mittlere Wolken-
höhen als ausreichend erwies und für niedrige Wolken schon eine überflüssige
Genauigkeit gewährt, während für die höchsten Cirri sogar eine Distanz von
3 — 5 Kilometern nicht zu grofs wäre, da solche noch in Höhen von 13 Kilometern
beobachtet worden sind.
Als Mefsinstrumente bewährten sich Theodolite am besten, welche statt
des Fernrohrs nur das 51,5 cm lange Gerippe eines Rohres tragen; das Objektiv
ist durch einen Messingring mit einem Fadenkreuz ersetzt, das aus */j mm
starkem Kupferdraht besteht. Als Okular dient eine Metall platte, in welche
ein Loch von 3 mm Durchmesser gebohrt ist, wodurch die Absehenslinie nach
der Mitte des Fadenkreuzes festgelegt ist Der Höhenkreis sowie der Azirnu-
thalkreis hat einen Durchmesser von 24,5 cm und ist in ganze Grade getheilt,
ein Nonius ergiebt direkt 10 Bogenminuten, einzelne Minuten können noch
geschätzt werden, wodurch eine mehr als genügende Genauigkeit der Rechnung
zu erzielen ist.
Eine einmalige Beobachtung eines Wolkenpunktes von beiden Enden der
Basis liefert also 4 Winkelablesungeil, während mit der Basis nur noch drei
Winkel zur Bestimmung der Höhe nöthig sind. Es dient demnach dieser vierte
Winkel als Kontrole dafür, ob die beiden Instrumente wirklich auf denselben
Punkt eingestellt worden waren, was sehr Tortheilhaft ist, da Irrthümer in dieser
Beziehung niemals ganz ausgeschlossen werden können. Auf die sehr lehrreichen
Resultate, die sich auf die Höhe der Wolken, ihre Veränderung im Laufe des
Tages etc. beziehen, kann vielleicht später ausführlich eingegangen werden.
Dr. Ernst Wagner.
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Herrn Dr. 0. K. in Kassel. Sie fragen an, weshalb die Photographie
noch nicht in ähnlicher Weise zur Erforschung feiner Details auf den Pla-
u e ton Oberflächen angewandt worden sei, wie neuerdings in so uberrascheuder
Weise auf dem Gebiete der Mikro-Organismen, Sie erwähnen, wie es Herrn
Geheimrath Koch hier gelungen ist, jene aller kleinsten Pilzbildungen, die
Cholera- oder Tuberkelbacillen, welche doch erst mit Anwcudnug unserer
neuesten Errungenschaften der Optik, dem Abbeschen C’ondensor und der
Immei’Kionssysteine überhaupt entdeckt werden konnten, mit 50,000 fach er
linearer Vcrgröfsorung so grofa wie Bleistifio zu zeigen, indem er eine mit
1000 fa eher Vergrößerung aufgenommene Glas-Photographie fünfzigmal ver-
größert gegen eine weisse Wand projirirte. Wir wären in der That ungemein
glücklich, wenn wir solches Verfahren auf den Himmel anwenden könnten.
Wir würden dann im stände sein, auf dem Monde Gegenstände von etwa einem
halben und auf unserer wunderbaren Nachbarwell des Mars sulche von 50 bis
75 Metern Ausdehnung aus so ungeheurer Entfernung treu zu photographiren.
Leider muss dies stets ein schöner Traum bleiben, da die beständige Unruhe
unserer Atmosphäre cs niemals erlauben wird, völlig scharfe Bilder, wie etwa
unter dem Mikroskope, zu erzeugen. Schon bei etwa 500 fach er Vergrösserung
zeigen infolge dessen unsere besten Teleskope meist schon so sehr verwaschene
Bilde r, daß man sich in den meisten Fällen zur Anwendung geringerer Yer-
gröfserungen entschließen muß. Die Himmelsphotographie, welche trotzdem
die gröfsten Triumphe zu verzeichnen hat, kann deshalb über diese Schwie-
rigkeit nicht hinwcghelfen. Die Bilder von Sternen (von denen bei allerdings
oft stundenlanger Expositonszeit nicht selten mehr auf der photographischen
Platte erscheinen, als das Auge in den schärfsten Teleskopen direkt zu sehen
vermag, so daß die von llmeti hervorgehobene durch mikroskopische Photo-
graphien erwiesene größere Empfindlichkeit der photographischen Platto als
die der Retina sich auch hier bestätigt) erscheinen auf den Platten als kleine
Scheiben, nicht als Punkte, wie sie cs wirklich sind. Ein Lichtpunkt nimmt
also auf der Platto eine Fläche ein und überflutet damit den nächsten Punkt
einer Fläche voller Details, die dadurch nothwendig verloren gehen müssen.
Nur bei Objekten wie Sternhaufen, welche an sich aus getrennten Punkten
bestehen, tritt diese Schwierigkeit nicht ein, weßhalb dieselben photographisch
in so wundervoller Weise wiedergegeben werden. Wir werden über die
neueren Errungenschaften der Hiinmelsphotographie in eioeni unserer nächsten
Hefte einen Überblickenden Aufsatz aus kompetenter Feder bringen, über
das grofsartige ,Lick-Observatory* auf .Mount Hamilton11 in Californien, das
einen Theil jener Uebelstände, welche die Atmosphäre dem astronomischen
Sehen entgcgensiellt, durch seine hohe I>nge zu überwinden sucht, ist bereits
in unserm Feuilleton der gegenwärtigen Nummer (.Seite 2b8 u. f.) die Rede.
Herrn E. K. in Halle a/S. Auf Ihre Fragt», welches die einpfchlens-
werthesle Geschichte der Astronomie sei, ist es schwer zu antworten, ohne den
322
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Uriid der Vertiefung zu kennen, mit welchem Sie sich in der Geschichte der
Astronomie orientiren wollen.
Die populäre Astronomie von Newcomb (in deutscher Ausgabe bei
W. Kngelmann in Leipzig erschienen} enthält einen recht lichtvollen Uoberblick
auch über die geschichtliche Entwickelung dieser Wissenschaft. Für eindrin-
genderes Studium wird die Geschichte der Astronomie von Wolf (Direktor
der Sternwarte in Zürich), erschienen zu München im Verlag von Oldenbourg,
einen sehr werthvollen Führer bilden, während die Geschichte der Himmels-
kundo von Mädler bei grüfeerem Reichthui» an Details viele irrige Anschauun-
gen enthält.
Für noch speziellere Beschäftigung mit der Sache würde auf eine Fülle
von geschichtlichen und biographischen Darlegungen in bändereichen Werken
und Monographien hinzuweisen sein, wovon wir einstweilen Abstand nehmen
zu dürfen glauben.
Herrn O. K. zu Fozega (Kroatien). Für den freundlichen Hinweis,
dafo hei der im Sprochsaa! unseres November-Heftes gegebenen Zusammen-
stellung empfehlenswerther Mondkarten die Karte von Neison fehle, sind
wir im Interesse unserer Leser sehr dankbar. Wir beeilen uns zu erklären,
dafs hierbei keine kritische Absicht obgewaltet hat, sondern dafs wir nur an
das Nächstliegende, keineswegs an oine vollständige Aufzählung der Mond-
k arten gedacht hatten.
Der treflliche Mond-Atlas des Herr» Kdniund Neison ist, wie wir un-
ser» andern Lesern gegenüber bemerken, in Buch-Fonn und Oktav-Formal
als Beigabe des Neisonsehen Werkes «Der Mund** in deutscher Ausgabe bei
Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig erschienen.
Verlag von Hermann Partei in Berlin. — Druck von Wilhelm Grouau'« Buehdruckerel in Berlin.
Für die Redaktion verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin.
Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt.
Ueberaelxungerecht Vorbehalten.
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Ueber einige Aufgaben der Photometrie des Himmels.
Von I’ro f. H. Srrligrr,
Dlrector dor konigl. Sternwarte bei München.
w*r V°n ^°n ^^r^Un^en ^er a^lime^nen Massenanziehung
und von den ganz vereinzelt nachgewiesenen und zum Thoil
' noch zweifelhaften thermischen, elektrischen und magnetischen
Wirkungen absehen, setzt uns nur das Licht in direkte Beziehungen
zu den Himmelskörpern. Der Gedanke liegt deshalb äufserst nahe,
aus der Untersuchung der physikalischen Eigenschaften der Lichtbe-
wegung für die Erkenntnifs der Beschaffenheit der lichtaussendenden
Körper Gewinn zu ziehen. Selbstverständlich aber werden dergleichen
allgemeine Ideen erst dann wissenschaftliche Bedeutung gewinnen,
wenn man in der Lage ist, ganz bestimmte Probleme aufzustellen und
die Möglichkeit der Inangriffnahme derselben durch bestimmte Methoden
naehweisen zu können. Im vorliegenden Falle bieten sich in zwei
Hichtungen günstige Ausblicke auf erfolgreiche Unlersuohungsmcthodcn
dar. Zuerst kann man die Ursachen studiren, welche die Stärke (In-
tensität) des Lichtes der Himmelskörper beeinflussen, zweitens kann man
die Eigenschaften des Lichtes untersuchen, welche mit seiner Brechbar-
keit Zusammenhängen. Das letztere verfolgt die Spektralanalyse, welche
sich in den letzten Jahrzehnten mit wunderbarer Schnelligkeit zu
einem der grofsartigsten Zeugnisse menschlichen Scharfsinnes heraus-
gebildet hat. Mit dem zuerst genannten Aufgabenkreis beschäf-
tigt sich die Photometrie. Bouguer (16f>8 — 17Ü8) und Lambert
(17’jif — 1777) müssen als die Begründer dieses ganzen Wissenszweiges
angesehen werden. Die genannten Forscher haben sich nicht damit
begnügt, die Grundlagen zu schaffen, sondern sic haben auch, und
besonders gilt dies von Lambert, nach sehr vielen Hichtungen davon
Anwendung gemacht. Die instrumentellen HUlfsmittcl zur Lichtmessung
Himmel und Erde. I. d. 24
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selbst waren aber damals noch höchst unvollkommen, namentlich war
es kaum möglich, die Helligkeit lichtschwacher Objekte, wie der
Planeten und Fixsterne, mit genügender Schärfe zu bestimmen. Dies
wird wohl der Grund sein, warum die Himmelsphotometrie in der Folge
keine weitere Pflege gefunden hat und selbst die grundlegenden Unter-
suchungen Lamberts beinahe wieder in Vergessenheit geriethen. Neues
Leben kam in dies Gebiet, als der geniale Steinheil (1836) durch
die Konstruktion seines Prismenphotometers ein schönes und zuver-
lässiges Mefsinstrument schuf und dasselbe bald darauf in den Händen
Seidels wichtige und resultatreiche Beobachtungen lieferte. Unter
dem Kinflusse der von diesen Männern uusgegangenen Anregungen
entstanden vor 25— 30 Jahren die so wichtigen photometrischen Grün-
dungen und Arbeiten Zöllners. Der Enthusiasmus, mit welchem dieser
Gelehrte die Bedeutung der Astrophysik im allgemeinen und der
Photometrie im besonderen hervorhob, rnufste um so anregender auf
weitere Kreise wirken, als er den Beobachtern in seinem Photomeier
ein Mefsinstrument gab, das sowohl in Bezug auf die Bequemlichkeit
seiner Handhabung als auch seine beinahe unbeschränkte Anwend-
barkeit auf alle möglichen Aufgaben alle früheren Photometer ohne
Frage bei weitem übertraf. In dieser durch Zöllner eingeleiteten Epoche
befinden wir uns gegenwärtig.
Die folgenden Zeilen haben nicht die Absicht, eine Iristorische
Uebersichl über die in den letzten zwei Jahrzehnten erlangten Resul-
tate der Astrophotometrie zu geben, auch sollen sie nicht über die
Beobachlungsmethoden und instrumenteilen Hülfsmittel berichten, die
gegenwärtig im Gebrauche sind. Vielmehr soll besprochen werden
inwiefern die Photometrie geeignet ist, allgemeinere astronomische
Thatsachen zu enthüllen, wobei der Hinweis auf einige der wichti-
geren Fragen, mit denen man sich in neuerer Zeit beschäftigt hat,
genügen wird.
Wenn inan zwei gleichartige Lichtquellen, Punkte oder Flächen,
betrachtet, so würd inan nicht zweifelhaft sein, ob man dieselben als
nahe gleich oder verschieden hell und welche man, wenn ein gröfserer
Unterschied vorhanden ist, als die hellere bezeichnen soll. Wenn
man aber angeben soll, wieviel heller die eine Lichtquelle als die
andere ist, so wird man in einige Verlegenheit gerathen, nicht nur
weil eine solche Abschätzung hei grofser Helligkeitsdiflerenz überaus
schwierig auszuführen ist, sondern auch weil man völüg rathlos der
Forderung gegenüber stehen wird, die beobachtete Holligkeitedifferenz
durch eine Zahl auszudrücken. Anders verhält sich die Sache, wenn
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325
zwei nicht bedeutend aber doch merklich verschieden helle Licht-
quellen vorliegen und dann die Aufgabe gestellt wird, aus einer grofsen
Anzahl vorhandener, alle Zwischenstufen in ununterbrochener Reihen-
folge ausfülleuden Lichtquellen, diejenige herauszuwählen, deren Hellig-
keit in der Mitte zwischen den beiden gegebenen steht. Auf den
ersten Blick erscheint auch diese Forderung, ohne weiteren Zusatz,
unbestimmt. Trotzdem wird sich nach einiger Uebung herausstellen,
daß man derselben schon eher mit einiger Sicherheit gerecht werden
kann. Aohnliche Thatsnchen sind in der praktischen Astronomie längst
bekannt und werden soit jeher mit bestem Erfolge verwerthet. Die
Eintheilung der Sterne in Größenklassen gehört hierher. Auch sie
scheint auf den ersten Blick recht willkürlich vorgenommen zu sein.
Nennt aber ein normales unbewaffnetes Auge die hellsten Sterne
des grofsen Bären Sterne zweiter und die schwächsten noch sicht-
baren sechster Örofse, und wird ihm die Aufgabe gestellt, alle Sterne
des Himmels, die ebenso hell oder schwächer als die Bärensterne sind,
in die Gröfsenklassen 2 — 6 einzuordnen, so dafs eine allmähliche und
gleichmäßige Helligkeitsabnahme stattfindet, so wird man, trotz aller
Abweichungen im einzelnen, überrascht sein von der Gleichförmigkeit
und Sicherheit, mit der solche Zuordnungen erfolgen. Wie verhalten
sich nun die Helligkeiten der Sterne verschiedener auf solche Weise
bestimmten Gröfsenklassen? Zur Beantwortung dieser Frago müssen
wir zuerst festsetzen, wie man eine Helligkeitsskala zahlenmäßig zu
deflniren hat. Nun ist aber doch von seihst klar, dafs man z. B. sagen
aiufs, das Licht zweier Kerzen zusammen ist zweimal so hell als das
einer allein, das Licht dreier Kerzen dreimal so hell u. s. f. Man
mache nun weiter folgenden einfachen Versuch: man beleuchte unter
sonst ganz gleichen Umständen zwei gleiche kleine Fapierflächen A
und B, die eine (A) durch eine, die zweite (B) durch 0 Kerzen. Man
nehme eine dritte I'apierfläche und suche dieselbe unter Einhaltung
der früheren Umstände, namentlich der Entfernungen, durch soviel
Kerzen zu beleuchten, daß sie gerade ebensoviel heller wie (A) als
weniger hell wie (B) erscheint. Man dürfte erwarten, dafs die Zu-
hiilfena bitte von 5 Kerzen den gestellten Bedingungen genügen wird.
Dem ist aber nicht so, vielmehr wird man mit 3 Kerzen den ge-
wünschten Erfolg erreichen. Durch solche in passender Form ange-
stellte Versuche wird man also linden: nicht die Differenz, sondern
der Quotient zweier aufeinander folgenden Helligkeiten ist das maß-
gebende bei einer Anordnung nach gloichmiifsig fortschreitender Zu-
oder Abnahme der Helligkeit Dieses Resultat ist eine unmittelbare
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Folgo eines allgemeinen, alle Sinneseindrücko innerhalb gewisser
Grenzen umfassenden Geselzes, des psycho- physischen Grundgesetzes,
wie man es nach Fechner zu nennen pflegt, der dasselbe zuerst in allen
seinen weitgehenden Konsequenzen verfolgt hat. Es ist dasselbe Gesetz,
welches z. B. aussagt, dafs man sehr wohl unterscheiden wird, ob man
ein Gewicht von */4 oder >4 kg Schwere zu heben hat, nicht aber ob
dasselbe 50 oder 501/, kg wiegt, dafs man ebenso leicht herausfinden
wird, ob 1 oder 2 Posaunen, nicht aber ob 200 oder 201 Posaunen
unser Trommelfell erschüttern, scblieblioh, dafs man die Helligkeit
von einer oder 2 Kerzen sehr verschieden finden wird, aber wohl
gewifs nicht zu unterscheiden vermag, ob 200 oder 201 Kerzen einen
Gegenstand beleuchten.
Wenden wir dies auf unsere Schlitzungen der Stemgröfsen an,
so folgt fast unmittelbar der Satz: Der Quotient, nicht die Differenz
der Helligkeit aufeinander folgender Stemgröfsen ist nahezu konstant.
Ich sage nahezu, weil selbstverständlich bei solchen Beobachtungen
unvermeidliche sekundäre Einflüsse sich geltend machen, auch wohl
das Fechnerscho Gesetz nur eine, wenn auch sehr grofse, Annäherung
an die Wahrheit repräsentirt. Die Astronomie besitzt in der Bonner Durch-
musterung, welche sämtliche Sterne zwischen 23° südlicher Deklination
und dem Nordpole bis zur 9. Gröfsenklasse und sehr viele schwächere
enthält, ein höchst konsequent durchgeführtes System von Helligkeits-
Schätzungen nach dem blofsen Augenmafse im Fernrohr. Hier
liegt also ein geradezu riesiges Material vor, welches sich zur Prüfung
des obigen Satzes in hohem Grade eignet, und diese Prüfung ist, so-
weit sie bisher auf photometrischem Wege ausgeführt worden ist,
durchaus bestätigend ausgefallen. Man darf durchschnittlich annehmen,
dafs sich die Helligkeiten zweier aufeinander folgender Gröfsenklassen
wie 5 : 2 verhalten.
Es ist von selbst klar, dafs die Einreihung einer beobachteten
Helligkeit in eine vorliegende Skala desto leichter und sicherer vor
sich gehen wird, je enger dio Intervalle sind, durch welche vorhan-
dene Objekte diese Skala repräsentiren. Bis zu welcher Vollkommen-
heit sich solche Einreihungen bei passender Wahl von Vergloichs-
objekten ausführen lassen, dafür bietet die Methode der Stufen-
schätzungen Argeianders, die namentlich bei der Verfolgung des
Lichtwechsels veränderlicher Sterne mit grofsem Erfolge angewandt wird,
ein ausgezeichnetes Beispiel. Hier wird der Veränderliche mit Sternen
in seiner Nachbarschaft verglichen, die möglichst wenig heller oder
schwächer sind als er selbst, und die kleinste noch wahrnehmbare
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Helligkeitsdifferenz wird als „ Stufe“ bezeichnet. Abgesehen davon,
dafs die Aufstellung der Helligkeitsskala. welche die Vergleichssteme
repräsentiren, auf diese Weise im allgemeinen nicht mit gleicher
Sicherheit festgelegt werden kann, ist diese Methode weit davon ent-
fernt, eine wirkliche Messung der Lichtstärke, die doch wenigstens
innerhalb gewisser Grenzen unabhängig von der Helligkeitsdifferenz
gegen ein Vergleichsobjekt sein muß, zuzulassen. Da in der ein-
fachsten Form eine solche Messung das Verhältnifs zweier Hellig-
keiten angiebt, so wird man nicht zweifelhaft sein, auf welchen Grund-
lagen zuverlässige photometrische Methoden beruhen müssen. Wie
auch die spezielle Einrichtung des Photomoters im einzelnen beschaffen
sein mag, immer wird die Helligkeit des helleren der beiden Objekte
in physikalisch-meßbarer Weise so abgeschwächt, dafs sie der zweiten
gleich wird. Da das Auge das Gleichsein der beiden Helligkeiten
beurtbeilt, so entsteht eine Beschränkung der Gültigkeit der photo-
metrischen Resultate, auf welche oftmals nicht genügend geachtet wird.
Es tritt also hier ein physiologisches Element hinzu, das sehr oft die
Verhältnisse außerordentlich verwickelt, namentlich dann, wenn es
sioh um die Vergleichung verschieden gefärbter Lichtquellen handelt.
An sich ist eine solche bei einigermafsen deutlicher Färbung aufser-
ordentlich schwer und unsicher auszuführen, und unter Umständen
ist es ganz unmöglich, zu einem richtigen Urtheil über das Verhält-
nifs zweier Helligkeiten zu gelangen, weil dieses in der unzwei-
deutigsten Weise mit verschiedenen Umständen variirt. Der verdiente
Physiologe Purkinje hat bereits die auch in die Verhältnisse des
praktischen I/obens eingreifende Thatsache hervorgehoben, dafs bläu-
lich gefärbte Gegenstände noch bei einer so schwachen Beleuchtung
sichtbar bleiben, bei welcher gelbliche oder rothe vollständig ver-
schwinden, und Dove hat dies durch folgenden einfachen Versuch
illustrirt. Man stelle ein röthlich und ein bläulich gefärbtes Objekt,
um besten zwei gleich große Kartonstiicke oder dergl. nebeneinander,
so kann man die Beleuchtung so einrichten, daß man den Eindruck
gleicher Helligkeit beider Objekte hersteilen kann. Vergrößert man
nun die Stärke der Beleuchtung, so erscheint das rothe, verkleinert
man dieselbe, bo erscheint da» bläuliche Objekt als das hellere.
Sobald also verschieden gefärbte Objekto in Frage kommen,
treten Schwierigkeiten auf, die, wenn überhaupt, nur durch völlige
Umänderung der photometrischen Methoden überwunden werden
können. In der Astro-Photometrie treten diese Schwierigkeiten aller-
dings sehr oft nicht in bemerkbarem Grade auf. Vorerst kommen
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aas
intensive Färbungen bei den Himmelskörpern nur in mäfsigcm l'm-
fange vor, dann aber fragen viele Probleme der Photometrie des
Himmels nur nach den Gesetzen, nach welchen sich die Helligkeit
derselben Lichtquelle, welche ihre Karbe nicht ändert, variirt. Die
Behandlung dieser Aufgaben wird aber in einfacher Weise dadurch
ermöglicht, dafe man der Vergleicht lieh (quelle auf künstlichem Wege
dieselbe Färbung giebt. Dort aber, wo es sich um die Vergleichung
verschiedener Himmelskörper oder um die Beobachtung von Phänomenen
handelt, die mit einem Farbenwechsel verbunden sind, wie hei den
noch zu besprechenden Absorptionserscheinungen in unserer Atmo-
sphäre, sind die genannten Schwierigkeiten bereits bemerkbar ge-
worden. Vollständig begegnen denselben aber die in den letzten •Jahr-
zehnten namentlich durch die ausgezeichneten Arbeiten Vierordts
ausgebildeten Methoden der Spe k t ra 1 photometrie. Hier wird das zu
untersuchende Licht in ein Spektrum ausgebreitet und enge Bezirke
desselben mit den entsprechenden Stellen eines Vergleichsspektrums
in Bezug auf ihre Helligkeit verglichen. I )afs diesen Methoden ein
hoher Grad von Wichtigkeit beige legt werden inufs. wird auch aus
dem Folgenden hervorgehen.
Nach diesen etwas allgemeineren Erwägungen sollen nun einige
Aufgaben kurz besprochen werden, deren Lösung die Astmphotometric
in den letzten Jahren erreicht oder wenigstens angestrebt hat.
Wenn wir die Helligkeit eines himmlischen Objektes gemessen
haben, so ist es selbstverständlich unsere erste Pflicht, diejenigen l'm-
stände in Betracht zu ziehen, welche das erhaltene Resultat ver-
fälscht haben können. Durch Erscheinungen der auffälligsten Art
wird man sofort zur Vermuthung geführt, dafs das Vorhandensein
unserer Atmosphäre die scheinbare Helligkeit eines Gestirnes ebenso
beeinflussen müsse, wie sie ilie Richtung, in welcher letzteres er-
scheint. bekanntlich verändert, ln der That schwächt die Atmosphäre
selbst bei anscheinend vollkommener Klarheit nicht unbedeutend die
sic durchdringenden Lichtstrahlen. Diese Absorption ist aber nicht
für alle Strahlengattungen gleich grofs, sondern rothe Strahlen werden
offenbar leichter durehgelassen als blaue. Die bekanntesten Erschei-
nungen sprechen dafür. Der Mond, wenn er hoch am Himmel steht,
erscheint uns als helle silberweifse Scheibe. Je näher or sich aber
dem Horizonte zuneigt, desto mehr verliert er an Helligkeit, zugleich
aber erhält er eine mehr und mehr rötbliche Färbung, die sich in
grofser Nähe des Horizontes bis zu ganz intensivem Roth steigern kann.
Dafs die zunehmende Schwächung des Lichtes eines Gestirnes
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:!2!I
mit seiner Annäherung an den Horizont in der Hauptsache eine un-
mittelbare Folge der Thatsachc ist, dafs hierbei die vom lachte zu
durchlaufenden atmosphärischen Schichten an Dicke zunehmen, folgt
aus den mathematischen Entwickelungen Lamberts und latplaces. Die
von den Genannten ausgearbeitete Theorie der „Extinktion des Lichtes“
entspricht bei nicht allzu kleinen Höhen des Gestirnes sehr gut den in
dieser Richtung angestellten photometrischen Beobachtungen. Dies
beweisen die Beobachtungen Seidels, der zuerst und in mustergültiger
Weise die Extinktion des Lichtes untersucht hat, und ebenso dio in
neuester Zeit ausgeführten ausgezeichneten Messungen Dr. Müllers
vom Observatorium in Potsdam. Nach diesen Beobachtern beträgt die
Schwächung des Stemlichtes in 18, 10, 4 und 2 Grad Höhe bez. 'i, I,
2 und 3 Größenklassen. Demzufolge müssen also auch die helleren
Sterne weit früher dem freien Auge verschwinden, als sie thatsnchlich
untergehen.
Wir haben aber oben gesehen, dafs die Atmosphäre nicht nur
eine Schwächung des Lichtes, sondern auch eine Farbenänderung ver-
ursacht, und es kann deshalb nicht zweifelhaft sein, dafs die erwähnten
Schwierigkeiten, welche sich den gewöhnlichen photometrischen Methoden
hei einem solchen Prozesse entgegenstellen, zu Tage treten müssen. In der
That ist wohl nur die Spektralphotoraetrie im stände, das Problem der
Extinktion des Lichtes in einwurfsfreier Weise zu lösen, wenngleich
die Uebereinstümxmng der vorliegenden Messungen Stadels und Müllers
dafür sprechen, daß die bisher erlangten Resultate für gewöhnliche
Fällt*, wo man doch nicht in großer Nähe tles Horizontes beobachten
wird, ausreichen dürften, um den Einfluß tler Atmosphäre auf photo-
metrische Resultate genügend in Rechnung ziehen zu können. In-
dessen scheinen doch auch hier Andeutungen vorzukommen, welche
beweisen, daß der Gegenstand noch nicht als ganz abgeschlossen be-
trachtet werden darf. Herr Dr. Müller hat nämlich gefunden, dafs
einer der von ihm benutzten Sterne, tler sich durch riithliehe Färbung
uuszeichnet, bei der Annäherung an den Horizont stärker geschwächt
wird als tlie übrigen. Dieses Resultat scheint im Widerspruche zu
stehen mit der Thatsaehe. tlaß tlie Atmosphäre rollte Strahlen leichter
durcliläßt als andere. Wenn man aber bedenkt, tlaß die Sterne bei
der angewandten Beohaclitungsmetliode immer mit derselben künst-
lichen Lichtquelle verglichen wurden, und sich daran erinnert, dafs
rolhe Strahlen bei einer Abnahme ihrer Intensität schneller für das Auge
an Helligkeit verlieren als anders gefärbte Lichtstrahlen bei demselben
Grad tler Abschwächung, so dürfte tlie beobachtete Thatsaehe nicht
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mehr so befremdlich sein, wenngleich sie selbstverständlich ohne ein
genaues Eingehen auf den Sachverhalt nicht zu erklären ist
Hat man die beobachteten Helligkeiten eines Himmelskörpers
wegen der Extinktion des Lichtes korrigirt, so hat man, abgesehen
von den etwaigen Fehlern des Instrumentes und der angewandten
Methoden, die hier nicht in Frage kommen sollen, die Grundlagen für
weitere Schlüsse gewonnen. Diese werden nun selbstverständlich
damit zu rechnen haben, ob der untersuchte Himmelskörper selbst-
leuchtend (Fixstern, Sonne) ist oder ob er uns nur erborgtes Licht
zusendet (Planeten, Monde). Im Folgenden sollen einige Aufgaben,
die sich auf jede dieser beiden Gruppen von Weltkörpom beziehen,
kurz besprochen werden.
Man hat in neuerer Zeit mehrere grofs angelegte Arbeiten iheils
ausgeführt, Iheils cingeleitet, welche bezwecken, möglichst viele Fix-
sterne photonietrisch zu bestimmen. Der grofse Aufwand von Arbeits-
kraft, der auf diese Messungen verwandt wird, legt die Frage nahe,
ob die von diesen Bemühungen zu erwartenden Kesultate Ausblicke
von tieferer wissenschaftlicher Bedeutung gewähren. Wenngleich es
natürlich nicht zweifelhaft ist, dafs die Festlegung zahlreicher photo-
metrisch bestimmter Fixpunkte für viele Aufgaben der praktischen
Astronomie von hervorragender Wichtigkeit sein mufs, so liegt doch
der Hauptgewinn, den die genannten Beobachtungen versprechen, in
einer anderen und ganz bestimmten Richtung.
Um das grofse in der Bonner Durchmusterung enthaltene Material
für Betrachtungen über die Konstitution des Fixsternsystems, zu dem
unsere Sonne voraussichtlich gehört, verwerthen zu können, ist es
von Wichtigkeit, die bereits oben erwähnte Frage eingehender zu
studiren, wie sich die Helligkeiten der aufeinander folgenden Gröfeen-
klassen verhalten. Dafs im wesentlichen der Quotient dieser Hellig-
keiten konstant ist, dürfte kaum zu bezweifeln sein. Es kommt aber
darauf an, zu untersuchen, mit welcher Genauigkeit dies staltfindet
und welcher Art die etwaigen Abweichungen sind. Die bisher ange-
stellten photometrischen Beobachtungen haben in der That eine geringe
Abhängigkeit des genannten Quotienten von der Helligkeit selbst er-
geben. Wenn dieses Verhalten der Bonner Oröfsenschätzungen genau
festgestellt sein wird, dann ist die Möglichkeit gegeben, die räum-
liche Vertheilung der Sterne anzugeben, deren Vertlieilung am Himmel
die auf Grund der Bonner Arbeit ausgeftihrten Abzählungen zu über-
blicken ermöglicht haben. Hierzu ist nur die Annahme nöthig, dafs
die Helligkeiten der Fixsterne im umgekehrten Verhältnisse des
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Quadrates ihrer Entfernungen abnehmen. Diese Annahme ist nun
fraglos im einzelnen Falle sehr gewagt und kann ganz unrichtig sein,
im Mittel wird aber, wenn dieses nur aus sehr vielen einzelnen
Sternen gebildet ist, in der That ein Stern in diesem Verhältnisse
schwächer werden und man hat also die Möglichkeit aus dem Ver-
hältnisse der Helligkeiten die Verhältnisse der mittleren Entfernungen
der Sterne einer bestimmten Gröfsenklasse von unserem Sonnensystem
anzugeben.
Eine zweite dankbare Aufgabe der Photometrie bezieht sieh auf
die veränderlichen Sterne. Die Thatsache der Veränderlichkeit eines
Sternes darf an sich kaum ein besonderes Interesse beanspruchen,
denn diese Eigenschaft kommt strenge genommen jedem Sterne zu.
Wichtig ist dagegen, die Art des Lichtwechsels festzustellen, weil
diese geeignet ist, die herrschenden Ansichten über die physikalische
Konstitution der Weltkörper zu prüfen. Nach Zöllner sind die Fixsterne
glühende Massen von sehr hoher Temperatur. Diese mufs sich infolge
der eindringenden Kälte des umgebenden Weltraumes allmählich ernie-
drigen und alle Sterne machen diesen Abkühlungsprozefs durch. Die
individuellen Verschiedenheiten beruhen darauf, wie weit dieser Prozefs
vorgeschritten ist. Sobald die Temperatur bis zu einer gewissen Grenze
herabgesunken ist, werden sich Kondensationsprodukte auf der Ober-
fläche des Körpers ausscheiden. Ob man diese nun Schlacken oder Wol-
kon oder irgend wie and eis nennen will, für die gegenwärtige Betrach-
tung ist nur folgendes von Wichtigkeit. Die Abkühlung des Sternes
wird nicht allenthalben gleichmäfsig vor sich gehen, die Kondensations-
produkte werden demzufolge auch nicht überall gleichmäfsig auftreten,
sondern in mehr oder weniger unregelmäfsiger Weise einen Theil der
Oberfläche bedecken. Sie werden auch nicht in Form und l>ago un-
veränderlich sein; einige werden nach kurzem Bestand vergehen,
andere neue werden erscheinen und nur die Tendenz, sich im allge-
meinen zu vermehren, wird zu Tage treten. Nimmt man weiter an,
dafs diese Ausscheidungen, weil von niederer Temperatur als ihre
Umgebung nothwendigerweise im allgemeinen auch eine geringere
Leuchtkraft besitzen werden, dafs ferner eine Rotation des Sternes um
seinen Schwerpunkt als selbstverständlich stattfindend vorausgesetzt
werden mufs, so haben wir alle Bedingungen, welche die Erschei-
nungen erklären, die ein Veränderlicher darbieten mufs. Und zwar
sind die Annahmen ausreichend, um jeden Lichtwechsol, er mag sonst
beschaffen sein wie er will, zu erklären. So ist es strenge genommen
nicht nothwendig, eine Veränderung der Lago der Rotationsaxe des
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332
Sternes anzunehmen, wenngleich eine solche Hypothese geeignet ist,
gewisse physische Schwierigkeiten des Erklärungsversuches abzu-
schwiichen. Diese Erklärung Zöllners ist so natürlich, sie ist dal>ei so
.allgemein und allen Reobachtungsresultaten entsprechend, dafs durch sie
der forschende Verstand vollständig befriedigt wird. Man ist deshalb
herechtigt, alle andern Erklärungen abzuweisen, wenn nicht, was in
speziellen Fällen denkbar wäre, andere Verhältnisse dies verlangen.
Gegenwärtig ist noch kein Fall bekannt, wo dies eingetreten wäre.
Bisher ist die Beobachtung der Veränderlichen meistens nach der
Methode der Stufen Schätzungen ausgeführt worden. Diese Methode
ist auch in der That genau genug und vor allem bei der Anwendung
so bequem zu handhaben, dafs man nichts dagegen einwenden kann,
wenn sie auch in der Zukunft beibehalten wird. Nur wird es wün-
schenswert!» sein, die benutzten Vergleichssterne durch exakte photo-
metrische Methoden zu bestimmen.
Auch für die .Spektralphotometrie, wenn erst ihre Methoden so
uusgebildet sein werden, dafs man sie auch auf schwächere Sterne
anwendeu kann, bilden die Veränderlichen höchst interessante
rntersuchungsobjekte. Bekanntlich ist es noch nicht festgestellt, ob
sich die Lichtstrahlen verschiedener Broohbarkeit (Farbe) gleich
schnell fortpllanzen. Natürlich kann es sich, wenn überhaupt, nur
um kleine Differenzen handeln. Diese inüfsten sich aber, wie Arago
zuerst bemerkt bat, bei jedem Lichtwechsel eines Veränderlichen in
einer Veränderung der Farbe zeigen. Wir wollen dies, angemessen
den vorliegenden Ztvooken so aussprechen: wenn rothe und blaue
Strahlen nicht dieselbe Fortpflanzungsgeschwindigkeit haben, so wird
das Maximum oder Minimum der Lichtstärke für beide Strahlen-
gattungen auf verschiedene Zeiten fallen und diese Zeitdifferenz wird
nach Mafsgabe der Entfernung des Sternes vom Beobachter wachsen.
Wenn auch die Sache sehr wesentlich dadurch komplizirt wird, dafs
mau im allgemeinen nicht wiixl annehmen dürfen, alle Strahlengattungen
erreichten thalsächlich, also z. B. für einen in der unmittelbarsten Nähe
des Sternes gelegenen Beobachter, zu gleicher Zeit die Maximal- und
Minimalbeträge ihrer Helligkeiten, so wird es doch möglich sein, mit
Hülfe der Spektralphotometrie eine Klarlegung dieser Verhältnisse
anzu bahnen.
(Selilnfs folgt.»
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V. Der excentrische Kreis und die Epicykcln.
|n dem Drange nach einer tieferen Krkenntnifs des Weltgetriebes
und namentlich auch in der Ueberzeugung, welche von Anfang
au in dem forschenden Menschengeist tief wurzelt, dafs die
inneren Beweggründe der Erscheinungen und Vorgänge in der Natur
möglichst einfache sein müssen, sah man zugleich auch die Noth-
wendigkeil ein, dafe man zunächst die Folge der Erscheinungen, wie
sie sich unsorm Auge direkt darstellt, durch Beobachtung fixiren
müsse.
Am Ende ist es ja selbstverständlich, dafs mau die Diuge, welche
man erklären will, zunächst mit allen ihren Details kennen gelernt
haben mufs. Das ist eine primitive Voraussetzung, welche jedoch
leider auch heutzutage tausenden von spekulativen Köpfen nicht
oft genug vorgehalten werden kann, die es unternehmen, das ganze
Weltgebiiudc aus ihrer Phantasie heraus und mit Zuhülfenahme eines
kaum nennenswerthen Materials an positiven Kenntnissen aufzubauen.
Diese Weltbaumeister, welche das ganze Universum nicht selten in
einer Broschüre von einigen zwanzig oder dreifsig Seiten Umfang • —
welcher letztere mit dem Umfang ihres Wissens in gar harmonischem
Verhältnifs steht — Zusammenzimmern, sind dem Astronomen von Fach
eine ungemein lästige Sekte. Diese Leute hängen stets mit ganz un-
erschütterlichem Starrsinn an der fixen Idee ihrer Weltanschauung,
und mit den Argumenten positiven Wissens ist ihnen nirgends
nahe zu kommen. Eine alte Erfahrung lehrt, dafs es gänzlich ver-
gebliche Mühe wäre, dieselben eines bessern zu überzeugen und dafs
man sich trotz allen besten Willens und uller Begeisterung, gemein-
tKöNC'li
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Pigitized bv Gooslu
334
fafslieho Aufklärung über diese Gegenstände zu verbreiten, solchen
lauten gegenüber zu schmerzlicher Resignation entschliefsen und sie
ihren Holzweg ruhig weitergehen lassen mufs. —
Nach dieser wohl nicht ganz unnützen Abschweifung komme ich
naturgemäfs auf eineu, auch für jene unberufenen Weltbaumeister
wohl zu beherzigenden Ausspruch, den vor mehr als zweitausend
Jahren der geistvollste aller antiken Naturforscher, Aristoteles, that.
Er sagte: „Noch sind die Erscheinungen nicht hinreichend erforscht;
wenn sie es aber dereinst sein werden, alsdann ist der Wahrnehmung
mehr zu trauen als der Spekulation und letzterer nur insoweit, als
sie mit den Erscheinungen Uebe reinstimmendes giebt“ Dieser grofse
Denker war es, der zuerst mit allem Nachdruck auf die möglichst
genaue Beobachtung der Erscheinungen hinwies, wenngleich leider
die Hiilfamittel dazu damals noch allzusehr fehlten.
Aber es war doch unendlich viel erreicht, dars der Geist dieser
allein richtigen Methode in diesem Manne lebendig genug war, um
sich auf seinen gewaltigen Schüler, Alexander den Grofsen, inso-
fern zu übertragen, dafs derselbe nicht nur ein grofser Kriegsherr,
sondern auch ein edler Gönner und Förderer aller erhabenen Wissen-
schaften und Künste wurde. Es hat sich dadurch allein die schöne
Thatsache vollziehen können, dafs Alexander mit der Fackel des
Krieges, welche er über die bekannte Welt hintrug, zugleich auch
Funken hellenischer Weltweisheit überall hinausstreute, von denen
ganz besonders der eine zum mächtigen Lichte in der ersten und zu-
gleich bedeutungsvollsten Universität der Welt, Alexandrien, enl-
flommen sollte.
Hier blühte mit den übrigen Wissenschaften auch die Astronomie
schnell und mächtig empor. Nahezu hundert Jahre nach dor Begrün-
dung jener Universität oder jenes Museums, wie es damals hiefs, trat
dort der grofse Ilipparch, der unzweifelhaft bedeutendste Astronom
des Altorthuins auf und revidirte zunächst mit bewundernswürdiger
Genauigkeit und Ausdauer alle himmlischen Bewegungen, so w'eit sie
seinen primitiven Beobachtungswerkzeugen zugänglich waren. Er
stellte den ersten Fixstornkatalog von 1Ü22 Sternen her, welcher
heute noch als sehr erwünschter Anhaltspunkt für gewisse wichtige
Untersuchungen über die Bewegungen der Fixsterne dient.
Ilipparch trat ferner dor Untersuchung über die Bewegungen
der Sonne, des Mondes und der Planeten näher und verfolgte nament-
lich die von seinen Vorgängern erst näherungsweise erkannte Wahr-
nehmung einer bedeutsamen Eigenthiimlichkeit der Sonnenbewegung
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genauer, welche nothwendig die alten Prinzipien der gleichförmigen
Bewegung im Kreise, wie sie die homocentrischen Sphären des
Eudoxus voraussetzte, stark erschüttern mufste. Er fand nämlich,
wieder mit Hülfe des ebenso einfachen als wunderbaren Instrumentes,
mit welchem wir in dem vorangegangenen Kapitel die Südrichtung,
die Schiefe der Ekliptik, die Polhöhe u. s. w. gefunden halten, mit
dem Qnomon, dafs die vier Jahreszeiten von ungleicher Länge sind.
Es zeigte sich, dafs die Zeit zwischen der Friihlingsnachtgleiche, wenn
also der Schatten des Gnomon eine bestimmte Länge besitzt, die den
Eintritt der Sonne in den Himmels-Aequator bekundet, und dem Ein-
tritt der kürzesten Schattenlänge, d. h. dem Sommersanfang, damals
94 1/2 Tage umfafste; dafs weiter zwischen dem Eintritt der kürzesten
Schattenlänge und der Herbstnachtgleiche 92 */2 Tage verflossen, von
da bis zur grüfsesten Schattenlängo oder dem Winteranfang nur 88,
schliefslich bis zum Frühlingsanfang 90 Tage lagen, während doch bei
gleichmäfsiger Vertheilung der 385 ■/, Tage, nach welchen dieselben
Schattenlängen- Verhältnisse wieder eintreten , auf jede Jahreszeit 91 '/4
Tage kommen müssten. Da nun aber die Länge des Weges, welchen
die Sonne im Verlaufe jeder dieser vier Jahreszeiten, im Bogen am
Himmel weiterschreitend, zurücklegt, eine völlig gleiche ist, so liefs
sich diese unzweifelhaft beobachtete Ungleichheit der Jahreszeiten nur
durch eine Ungleichförmigkeit der Bewegung der Sonne in ihrer Bahn
erklären, d. h. sie mufs sich im Herbst und Winter schneller über das
Himmelsgewölbe hinbewogen, als im Frühling und Sommer.
Aber das Axiom von der völlig gleichförmigen Bewegung der
Himmelskörper, das mit der unauslöschlichen Uoberzeugung von der
absoluten Vollkommenheit der himmlischen Einrichtungen eng vor-
wachsen war, steokte, ganz besonders da es Eudoxus vorher in sei-
nen homocentrischen Sphären so scharfsinnig zum Ausdruck und zu
allgemeiner Anerkennung gebracht hatte, zu sehr im Fleisch und Blut
des allgemeinsten Denkens, als dafs sich Hipparch auf Grund der
gemachten Wahrnehmung von der Ungleichheit der Jahreszeiten allein
hätte entschliefsen können, nn eine so fundamentale Umwälzung, wie
sie die Wegräumung des Axioms von der Bewegung im Kreise hor-
vorgerufen hätte, zu denken, und er that dies um so weniger, als es
noch eine andere Auskunft gab, die seltsame Thatsache zu erklären.
Wenn man nämlich die Bewegungen der Sonne gleichförmig
schnell und im Kreise, dagegen um einen Mittelpunkt vor sich gehen
läfst, der nicht mit dem Mittelpunkt der Erde zusammenfällt, sondern
ganz außerhalb der Erde irgendwo im freien Baum liegt, so wird in
:)36
der Tliul eine solche Bewegung uns ungleichförmig schnell erscheinen
und zwar schneller, wenn sich die Sonne in dem Theile des Kreises
bewegt, welchem die Knie näher steht, und langsamer im entgegen-
gesetzten. Die beigegehene Zeichnung winl das unmittelbar erkennen
lassen. In dieser Zeichnung befindet sich der Mittelpunkt der Sonneu-
bowegung da, wo sich die gestrichelten Linien kreuzen, während die
Krde an der Stelle gedacht ist, wo die ausgezogenen Linien Zusammen-
treffen. Es ist auch leicht einzusehen, dafe man aus der wirklich
beobachteten Veränderlichkeit der Bewegungsgeschwindigkeit durch
Ausprobiren den richtigen Punkt innerhalb des Kreises ausfindig
machen kann, von welchem aus gesehen unter der vorausgesetzten
Hypothese der un sich gleichförmig schnellen Bewegung im Kreise,
die beobachteten Bewegnngseigenthiimlichkeiten wirklich hervortreten.
Hipparch hat das damals ausgeführt. Er nannte dabei die Richtungs-
linie, welche den Mittelpunkt der Sonnenbahn mit dem Mittelpunkte
der Erde verbindet, die Apsidenlinie. Der der Erde nächste Punkt
. fn m w er-
S-1- eaeei /rer '''*
der Sonnenliahn, in
welchem folglich die
Apsidenlinie die
Sonnen bah n schnei-
det, wurde das Pe-
rigäum, d. h. Erd-
nähe, der genau ge-
genüberliegende
Apogäum, d. h. Erd-
ferne, genannt. Die
auf der Apsidenlinie
gemessene Entfer-
nung des Mittel-
punktes derSonnen-
bahn vom Mittel-
punkte der Erde, in
Theilen des Halb-
messers der Bahn
angegeben, nannte man die Excentrizität der Bahn, endlich die zu einem
bestimmten Momente stattfindende Winkelentfernung der Sonne von
dem Perigäum die wahre Anomalie, die Winkelentfernung dagegen,
welche sie von dem Mittelpunkte ihrer Kreisbewegung aus einnimmt,
die mittlere Anomalie. Alle diese Ausdrücke haben sich im astrono-
mischen Sprachgebrauch erhalten. Man kann sich durch die hier
// <
fitottn enw+tt e/ e
Ungleichheit der Jahreszeiten nach Hipparch.
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beigegebene, übrigens nur ganz schematische, die wirklichen Ver-
hältnisse übertreibende Zeichnung über diese Benennungen leicht
orientiren.
Als Hipparch auf diese Art die Erde aus dem Mittelpunkte
der Bewegung hinausrückte, ahnte er wohl nicht, von wie fundamen-
taler Wichtigkeit dieser Gedanke war, mit welchem er den ersten
Schritt, der ja gewöhnlich der schwierigste ist, zur Ueberwindung des
alten Dogmas von der dominirenden Stellung der Erde im Mittel-
punkte des Weltalls, getlian hatte. Die Kraft, welche die Himmels-
körper in mächtigem Schwunge über das Firmament hinführt, ging
also nach seiner Ueberzeugung nicht mehr vom Körper der Erde aus.
und schwerlich konnte man einen Mechanismus ausdenken, welcher
etwa in der Art wie die Sphären des Eudoxus, an festen Axen mit
dem ruhenden Körper der Erde verbunden und von ihr aus regiert
wurde, so bald man, wie Hipparch es wirklich that, den Mittel-
punkt dieser Bewegung irgendwo in den leeren Kaum verlegte, in
einen Punkt, der in keinerlei materieller Verbindung mit der Erde,
dem vermeintlichen Centrum der Welt, stand. Denn ich füge hier
gleich hinzu, dafs Hipparch auch Tür den Mond solche ungleich-
förmigen Bewegungen sehr bald nachwies und dem zufolge auch dessen
Kreisbahn gegen das Erdcentrum verschob und also auch für ihn
die Richtung der Apsidenlinie, die Excentrizitüt, Peri- und Apogäum
bestimmte und ähnliche Eigentümlichkeiten der Bewegung bei den
Planeten wenigstens vermuthete.
Wenn wir uns, einen Augenblick vorgreifend, vergegenwärtigen,
wie die Bewegungen der Planeten nach den mathematisch strengen
Beweisen, von denen wir erst spater erfahren werden, wirklich ge-
staltet sind, wenn wir uns also die Ellipsen mit ihren grofsen Axeu,
die mit den Apsidenlinien identisch sind, und ihre Excentrizitüt vor-
stellen und sie mit den exoentrischen Kreisen des Hipparch ver-
gleichen, so sehen wir sofort einen wie ungemein wichtigen Schritt
dieser grofse Astronom gegen die Wahrheit hin gemacht hatte und
wie ungemein viel ähnlicher seine, um das Jahr 200 vor unserer
Zeitrechnung erdachte Weltansicht der unsrigen war, als der etwa
200 Jahre vor ihm zur Geltung gekommenen Ansicht des Eudoxus
mit ihrem komplizirten Sphärenbau. Zwar der Urgrund der bewegen-
den Kraft rnufste rüthselhafter denn je erscheinen: nur die Mechanik
selbst, diese unerklärliche Kraft einmal vorausgesetzt, war viel durch-
sichtiger geworden.
Aber wir haben den grofsen Hipparch noch von einer andern
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Seite zu bewundern. Er wandte sich, nachdem er die Bewegung der
Sonne geregelt zu habon glaubte, dem Monde zu und erforschte dessen
Bewegung mit Hilfe alter, von den Babyloniern ihm überkommenen
Mondfinsternisse, die über 500 Jahre vor ihm i. J. 720 und 719 v. Ohr.
stattgefunden batten. Wio wir wissen, handelt es sich beim Mondo
um vier verschiedene Bewegungsarten, nämlich erstens um die syno-
disrhe Bewegung, d. h. die regelmäfsige Wiederkehr des Mondes in
die gleiche Lage zur Sonne, zweitens die drakonische Bewegung,
welche sich auf den Durchgang des Mondes durch seinen Knoten-
punkt mit der Ekliptik bezieht, drittens die sogenannte siderische
Bewegung, welche die Wiederkunft des Mondes zu demselben Fix-
sterne ausmifst und endlich viertens die Bewegung in Bezug auf
die Apsidenliuie oder die jedesmalige Zurückkunft des Mondes in
seine grüfste Erdnähe; denn auch die Richtung der gröfsten Erd-
nähe des Mondes blieb, w'ie Hipparch bald konstatireu konnte, ebenso
wenig wie die Lage des Knotens in der Ekliptik konstant, sondern
legte regelmiifsig nach jedem Umlaufe des Mondes einen bestimmten
Weg am Himmelsgewölbe zurück. Nur zeigte es sich hier, dafs um-
gekehrt wie beim Knoten, die Apsidenlinie eine vorschreitende Be-
wegung hatte. Alle diese vier Bewegungen bestimmte Hipparch
mit einer für seine Zeit ganz bewundernswürdigen Genauigkeit, so
dafs derselbe beispielsweise den Eintritt der Vollmonde für das gegen-
wärtige Jahr 1889 nach Zugrundelegung der von ihm ermittelten
Zahlen, folglich 2000 Jahre im Vorhinein rechnend, um kaum einen
Tag falsch bestimmt haben würde.
Hipparch begann nun auch die schon auf den ersten Blick
ungemein viel komplizirteren Bewegungen der Planeten zu unter-
suchen, von deren eigenthümlichem Laufe über die Himmelsdecke
hin wir im vorigen Kapitel einige Darstellungen vor Augen gehabt
haben. Aber es blieb seinem ihm geistig ebenbürtigen Nachfolger
Ptolemäus Vorbehalten, hierüber mehr Klarheit zu verbreiten und
damit wieder einen wesentlichen Schritt vorwärts zu thun.
Das Weltsystem des Ptol emäus, welches bis zum Auftreten des
Copcrnikus, d. h. über anderthalb Jahrtausende überall unbestrittene
Anerkennung fand, entwickelte dieser berühmte alexandrinische Geo-
meter durchaus auf Grund der so überaus sorgfältigen Beobachtungen
und Berechnungen seines Vorgängers Hipparch in einem grofsen
Werke, das unter dem arabischen Namen Almagest bis zur Zeit des
Copernikus beinahe als eine göttliche Offenbarung verehrt wurde,
an deren Aussprüchen zu zweifeln fast als ein Verbrechen galt.
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3:i«.t
Ptolemiius behielt die excentrischen Kreise des Hipparch un-
verändert bei, liefs aber die Planeten (mit Ausnahme von Sonne und
Mond, die ja gleichfalls damals zu den Planeten zählten) nicht direkt
auf den Peripherien dieser Kreise laufen, sondern bewegte auf diesem
letztem wieder den Mittelpunkt eines gröfsern Kreises, auf welchem
erst der Planet wirklich umlief. Um den ganzen Bewegungsmecha-
nismus durch eine möglichst handgreifliche Konstruktion klar zu
machen, erlaube man mir folgende Vergleichung.
Man befestige im Mittelpunkte der Erde eine verhältnil'smärsig
kurze Stange, die so lang ist wie die Excentrizität der betreffenden
II ipparchschen Kreisbahn eines Planeten. Diese Stange verbindet
also den Mittelpunkt der Erdo mit dem Mittelpunkt jener Kreisbahn,
sie liegt genau in der Richtung der Apsidenlinie und ist ein Theil
derselben. Am äufsersten Ende dieser Stange befestige man die
Speichen eines Ungeheuern Rades, das so grofs ist wie die Umlaufs-
bahn eines Planeten nach Hipparch. Wenn man nun auf dein Um-
fange dieses Rades einen Punkt besonders ins Auge fafst, der den
Planeten vorstellen soll, und nun das Rad um jenen äufsersten Punkt
der Stange dreht, so macht dieser Punkt eine Bowogung, wie Hipparch
sie bei Sonne und Mond vor-
aussetzte; eine gleichzeitige lang-
same Drehung der Stange mitsamt
dem Ungeheuern Rade um den
Mittelpunkt der Erde stellt dann
die Bewegung der Apsidenlinie
dar. Wir haben gesehen, dafs
Hipparch mit dieser Hiilfskon-
struktion wohl bei Sonne und
Mond, jedoch nicht bei den Pla-
neten auskam. Die Vervollkomm-
nung seitens des Ptolemiius
bestand nun darin, auf dem
iiufsern Rande des grofsen Rades Eplcykliwher Ifcwegungsmechanlsmua.
den Mittelpunkt eines kleineren
anzubringen, so dafs dieser Mittelpunkt von dem grofsen Rade im
Kreise herumbewegt wurde, wie früher der Planet. Letzterer kreisle
erst auf der Peripherie dieses kleinen Rades um. Der grofse Kreis,
dessen Mittelpunkt in nicht allzubedeutender Entfernung von der Erde
nach unserm Vergleiche an der die Excentrizität darstellenden Stange
befestigt ist, wurde nach Ptolemäus der Deferent, der kleinere sich
llitntnel und Erde. I. f-. O’t
auf ihm bewegende Kreis, welcher den Planeten trug, der Epicykel
und danach also auch die Bewegung eine epicyklische genannt.
Die Zeichnung auf der vorangehenden Seite stellt den Mecha-
nismus der opicykliscben Bewegung in jener handgreiflichen Iliilfs-
konstruktion dar, welche wir zur besseren Anschauung im Vergleich
mit einem menschlichen Uhrwerk vorhin angewendet haben. Von
den beiden sich zu Schleifen verscherzenden Kurvenlinien auf dieser
und der folgenden Seite zeigt nun die erste die Bewegung, welche der
Planet Mars um die Erde nach Nlafsgabe der Plolemäischen Epicykeln
und derjenigen Zahlen beschreiben inufstu, die uns für die betreffenden
Verhältnisse und Geschwindigkeiten von jenem grofsen alexaudrini-
schen Gelehrten überliefert worden sind. Die zweite, auf Seite 341
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»41
gegebene Zeichnung giebt dagegen die wahre Bewegung dieses selben
Planeten, auf die Erde als ruhenden Punkt bezogen, wieder, wie sie nach
unserra gegenwärtigen besten Wissen in den Jahren 1888 — 90 stattfindet.
Aus der Vergleichung beider sehen wir mit Verwunderung, wie ungemein
ähnlich sich beide Kurven sind und wie richtig bereits P tole maus das
Verhiiltnifs der wechselnden Entfernungen des Planeten zueinander
aus seiner Theorie entnehmen konnte. Im wesentlichen unterscheiden
sielt beide Kurven nur dadurch, dars in der zweiten, den wirklichen
Verhältnissen entsprechenden, die zweite Schleife kleiner ist als die
erste, während nach Ptolemäus alle Schleifen nothwendig gleich
grors werden müssen. Mit der Ursache dieser Ungleichheit werden
wir uns erst später zu beschäftigen haben.1)
') Dem aufmerksamen l.eser inufs es aufYutlcn, daf» die hier wieder-
gegebene, den wahren Verhältnissen entsprechende Schleifenbildung des Mars
im Jahre 18S8 derjenigen der Form nach keineswegs entspricht, welche wir
im fünften Hefte Soito 30Ü abgebildet haben. Mau wolle dabei Folgendes in
Erwägung ziehen. Die Schleifen, wie sie liier oben gezeichnet sind, er-
scheinen so fiir ein Auge, da» senkrecht auf die Ebene der Marsbahn hin-
schaut, in welcher die Bewegung stnttfindot. Fiele nun diese Ebene mit der-
•'54:!
Es gilt nun zunächst diese neuen Entwickelungsphasen der An-
schauung vom Wcltgetriobe auf ihren reformatorischen Werth zu
prüfen. Denn wir dürfen nicht aus dem Auge verlieren, dafs es hier
nicht unsere Absicht ist, einen Abrifs der Geschichte der Astronomie
zu geben, sondern dafs wir nur scheinbar zufällig in eine Dar-
stellung der geschichtlichen Entwickelung hineingerathen sind, wäh-
rend wir eine natürliche Entwickelung unserer eigenen Anschauung
geben wollten, so wie sie sich nothwendig gestalten inufs, indem wir
immer neue Fakten der Beobachtung in unsere vorläufigen Erklärungen
einführen und diese letzteren dadurch zu modifiziren gezwungen
werden.
Ich betonte besonders, dafs wir nur scheinbar zufällig in diese
Geschichtsparallele bei Verfolgung dieser Aufgabe gerathen sind, denn
es ist in der That kein Zweifel, dafs die geschichtliche Entwickelung
der exakten Wissenschaft eine logisch fortschreitende Schlufskette
bildet, die in regelmäfsigem Aufbau immer aufwärts, und niemals in
schwankendem Gange wieder zeitlich hinabsinkend weiterschreiten
unifste. Man könnte deshalb behaupten, dafs, wenn es auf andern
Weltkörpern andere denkende Wesen giebt, welche imstande sind
über die Erscheinungen am gestirnten Himmel nachzugrübeln, die-
selben eine Geschichte der Astronomie besitzen müssen, deren Stufen-
leiter derjenigen in allen Hauptstücken gleich ist, die unsere Erde
sah. Dean diese Wissenschaft der Sterne, welche uns hier beschäftigt,
heftet die Gedanken aufserirdischer Wesen an die nämlichen Gegen-
stände und die nämlichen Bewegungen, und die Gesetze der Logik,
welche in dieser erhabenen Wissenschaft ihre strengste und unbe-
dingteste Anwendung finden und den geschichtlichen Aufbau der
Weltanschauungen nothwendig regeln, herrschen ja unzweifelhaft über-
all, wo Geister denken. Alle diese Sterne über uns haben also ihren
jelügen zusammen, in welcher sich die Krde bewegt, so würden wir offenbar
von all diesen Schleifen Überhaupt nichts sehen. Es würde an diesen Stellen
nur ein Hin- und wieder Zurückgehen des Mars von uns aus bemerkbar sein.
Da nun aber die Marshalm gegen die der Erde um beinahe 2 ° geneigt ist, so
sehen wir, je nach unserer Stellung, in der Bahn die Schleife ein klein wenig
von oben oder von unten, jedoch immer noch sehr verkürzt. Dieser ver-
kürzten Schleife, wie wir sie von uns aus direkt wahrnehmen, entspricht die
Figur im vorangehenden Heft.
Es sei noch hinzugefügt, dafs die in der Zeichnung auf Seite 311 ange-
gebenen Planetenorte vom 1. Januar ISSS angefangen Intervalle von je SU Tagen
zwischen sich haben.
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34.)
C operni kus, ihren Kepler und New Ion oder werden ihn einst-
mals haben. Denn es ist kein Zweifel, dafs dieselben körperlichen
Elemente und dieselben Gesetze der Natur, welche erwiesenermafsen
hier und in den fernsten Gebieten des Universums walten, auoh dort
oben überall, wo es nur möglich ist, die schönste Frucht natürlicher
Entwickelung, den Geist, erzeugen, so wie hier unten auf Erden die
schallende Natur alles umgriint und belebt, wo nur ein geringstes
I’lätzchen für den kleinsten Keim des Lebendigen sich findet.
Unter diesem Gesichtspunkte der Nothwendigkeit auch der Pto-
lemäischen Kntwiokelungsstufe des Weltgedankens prüfen wir also,
tu welchem Sinne dieselbe der Wahrheit näher kam.
Ptolemäus hatte die excentrischen Kreise des Hipparch, wie
vorher auseinandergesetzt, unverändert beibchalten, wie denn nach
dem soeben Entwickelten in der astronomischen Erkenntnifs niemals
ein Glied, das der Wahrheit näher kam, wieder verloren gehen konnte.
Was nun Ptolemäus darüber hinaus that, indem er die epic.vklischen
Kreise einführte, erschoint auf den ersten Blick wohl eher als eine
Entfernung von der Wahrheit. Dieses komplizirto Getriebe von zwei
Bädern, von denen die Drehungsaxe des einen durch den Umfang
des andern herumgetragen wird, kommt uns in der That recht seltsam
vor und eine irgendwie genügende Erklärung von dem Urgründe der
Bewegungen war ja damit selbstverständlich nicht gegeben, über den
nachzudenken wohl damals überhaupt als eine gänzlich unnütze Mühe
galt. Hier lag also das Verdienst des Ptolemäus nicht; dasselbe be-
stand vielmehr hauptsächlich darin, zunächst mit der Ansicht des
.Sphärenbaues endgiltig aufgeräumt zu haben, wenigstens insoweit die
Planeten, Sonne und Mond inbegriffen, in Betracht kamen; denn diese
epic.vklischen Kreise, auf welchen sich die Planeten bewegen sollten,
waren mit festen durchsichtigen Sphären, an welchen diese Himmels-
körper nach Eudoxus und den älteru Philosophen geheftet sein soll-
ten, gänzlich unverträglich, da die Kpicykeln sie bald beträchtlich
vor, bald um ebensoviel hinter die ursprünglichen Sphären führen
mufsten, welche letzteren bei Hipparch allenfalls noch im Durchschnitt
als dessen excentrische Kreise repriisentirt sein mochten. Ptolemäus
zertrümmerte alle diese Sphären der Planeten und liefs nur jene letzte
gröfste bestehen, welche an der Qrcnze des Weltalls die Schaar
der Fixsterne trug, deren Bewegung ja auch der aufmerksameren
Beobachtung in einem genauen Kreise um den Mittelpunkt der Erde
herum vorzugehen schien. Ptolemäus war es also, dessen Gedanken-
gang es zuerst wagte eine freie Bewegung der Himmelskörper im
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344
Räume wenigstens zu ahnen, oder denselben doch die Wege bahnte,
und in dieser Beziehung war seine Lehre von ungemein relbrtna-
toriseher Bedeutung; er hatte die alten starren Formen zerschlagen
und erüfl'neto dadurch einer freieren Spekulation neue grundlegende
(iesichtspunkte.
Hin fernerer grofser Vorzug des Ptulemüischen Systems lag in
seiner grofsen < ieschmeidigkeit, welche es erlaubte alle neuen That-
sachen der Beobachtung in dasselbe einzufügen, indem nmn entweder
die Excentrizität oder den Halbmesser des Deferenten oder die Gröfse
des epicyklischen Kreise«, je nach den Erfahrungen der Beobachtung,
beständig modiBzirle. Auch die bald entdeckte Neigung der Planeten-
bahnen, d. h. die Abweichung ihrer mittleren Bewegungsrichtung von der
Bahn, welche die Könne jährlich am Himmel zuriicklrgt, konnte diesem
Kystem begreiflicherweise keine Schwierigkeiten bieten, da man auch
diese Erscheinung leicht erzeugen konnte, indem man entweder dem Kpi-
cykel oder dem Deferenten entsprechende Neigung zur Ekliptik gab.
Mit einem Worte, das Ptolemäische Kystem war im stamle, alle himm-
lischen Bewegungen, so weit sie damals bekannt waren, treu wieder-
zngeben. Man hätte ein kunstvolles Uhrwerk nach diesem (iedanken
erfinden können, das, indem jedes seiner Räder sich völlig gleich-
tnäfsig schnell bewegte, die scheinbar ungleichförmige und Schleifen
bildende Bewegung der Planeten ausführte. Das System erfüllte also
durchaus seinen Zweck und war überhaupt das denkbar beste für
die geistige Höhenstufe der damaligen Zeit, ja konnte sogar noch für
viele kommende Jahrhunderte völlig genügen.
Dieser Geschmeidigkeit verdankt das Ptolemäische System sein
langes Leben. Man konnte mit Hilfe der sich immer mehr verfeinern-
den Beobachtuugskunst und der sich gleichzeitig vervollkommnenden
Methoden der mathematischen Deduktion und der numerischen Rech-
nung diesen künstlichen Ran des himmlischen Uhrwerks immer sub-
tiler und komplizirter gestalten, ohne jemals auf eine unüberwindliche
Schwierigkeit zu storsen, wenigstens so lange nicht durch die Ent-
deckung des Fernrohrs Messungen so feiner Art möglich geworden
waren, dafs dieselben uns auf direktem Woge über die Entfernungen
der Himmelskörper Aufscblufs gaben. Hierdurch allein konnten die
ersten völlig logisch begründeten Widersprüche gegen dieses System
auftreten, wie wir späterhin sehen werden.
So war es denn begreiflich, dafs das Ptolemäische System den
Verfall der berühmten Universität von Alexandrien lebenskräftig über-
dauerte und von den rohen muhanimedanisclien Eroberern Egyptens.
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345
welche die Religion des Kaufmanns von Mekka der Welt mit ihrem
Schwerte aufdringeu wollten, mit hinübergenommen wurde nach Bag-
dad, wo die Eroberer sich sehr bald an der hohen Bildung der von
ihnen besiegten und hinsinkenden hellenischen Nation selbst civilisir-
ten, ja sogar bald mit ganz bewundernswürdiger Em pfiinglich keil und
Begeisterung an den überkommenen (leisteswerken \veiter arbeiteten.
So wird als charakteristischer Zug erzählt, dafs der 780 geborene
Kalif Al Main um als Friedensbedinguiig dem überwundenen griechi-
schen Kaiser Michael II. die Uebergabe sämtlicher in seinem Besitz
befindlichen griechischen Manuscripte stellte, um dieselben übersetzen
lassen zu können. Unter denselben befand sich auch das mehrfach
erwähnte grofse Werk des Ptolemiius, das damals Sy n tax is oder
Magna Constructio überschrieben war, uns aber zunächst nur durch
die Fürsorge eben dieses Kalifen in arabischem Texte mit dem ara-
bischen Titel Almagest erhalten blieb.
Dieser und die folgenden Kalifen errichteten nun bald wirkliche
Sternwarten und stellten Astronomen an, welche ausschlicfslich die
Aufgabe hatten, dein Getriebe der himmlischen Bewegungen weiter
nachzuforschen, d. h. das 1‘tolemäisohe System auszubauen.
Die Araber trugen ihrerseits die ihnen von den Griechen über-
kommene C'ivilisation in die von ihnen unterjochten Lande, ganz be-
sonders auch nach Spanien, wo am Hofe zu Toledo bald die edlen
Könige eifrige Verehrer der astronomischen Wissenschaft wurden.
Hier interessirte sich auch der unglückliche Alphons X. vonCasti-
lien, der von 1223 — 84 lebte, fiir die hohe Sternkunde und liefe mit
ungeheurem Aufwandc die nach ihm benannten alphonsinisohen Tafeln
der l’lanelenbewegung berechnen, welche nach Zugrundelegung des
Plolemäischen Systems die Vorausbestimniung der Oerter aller beweg-
lichen himmlischen Körper für einen beliebig gewählten Zeitmoment
gestatteten.
Aber die himmlische Maschine hatte sich inzwischen unter den
Händen der mit so grofsem Eifer beobachtenden und rechnenden Astro-
nomen durch die Uebereinanderselzung immer neuer epicyklischer
Kreise, welche zur Ausgleichung neu entdeckter Ungleichheiten der
Bewegung dienen sollten, so ungemein verwickelt, dafe König Alphons,
als ihm die gelehrten Astronomen bei Uoberroichung der Tafeln diese
Maschine erklärten, in begreiflichem Unwillen die fiir ihn verhäng-
nifsvollen Worte aussprach: „Wenn mich Gott bei Erschaffung der
Welt zu Kalbe gezogen hätte, so würde ich ihm gröfecre Einfachheit
empfohlen haben.“ Dieser unbesonnene Ausspruch wurde von den
Feinden des .weisen“ Königs, als sich ein Aufsland gegen ihn erho-
ben hatte, benutzt, um ihn der Gotteslästerung zu zeihen.
So mufste dieser erste königliche Zweifler an dem Ptolemäiscben
Weltsystem zum Lohn für seine Kritik vom Throne seiner Väter
herabateigen und starb verlassen von all seinen Getreuen in der Ver-
bannung zu Sevilla.
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Der Ausbruch des Krakatau am 20. Mai 1883.
Nach einer Photographie von 01 of Winkler.
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Die Ausbrüche de* Krakatau im Jahre 1883.
Von Dr. R. Beck, Scctionsgeolog in Leipzig; mit Bildern von ülof Winkler
in Dresden.
Kein vulkanisches Ereiguifs in alter und neuer Zeit hat so allgemeine
Aufmerksamkeit hervorgerufen, wie die grofse Katastrophe in der Sundastrasse
vom Jahre 1883. Nicht nur erregten diese allgemeine Theilnahme die furcht-
baren Verluste au Menschenleben, welche jene Eruption in der nächsten Um-
gebung ihres Heerdes veranlafste, sondern auch die merkwürdigen Erschei-
nungen, welche im Gefolge derselben im Ozean und im Luflmeer über das
ganze Erdenrund hin verspürt wurden. Wie voraus zu sehen war, warf sich
sofort die Wissenschaft mit vollem Eifer auf die Erforschung eines so tief ein-
greifenden Ereignisses. Der Mittelpunkt dieser höchst ergebnifareichen und
vielseitig anregenden Studien ist das ira Aufträge der niederländischen Regie-
rung verfafste Werk von R.D.M. Verbeek .Krakatau", Batavia 1885— 86, welches
den Ausbruch und seine Wirkungen im weitesten Sinne und besonders in geo-
logischer Beziehung erschöpfend behandelt. Aus den dort gegebenen ausführ-
lichen Angaben versuchen wir, eine kurze Schilderung der Eruption zu entwerfen,
während die ganz eigenartigen Gefolgeerschcinungen, welche beispielsweise
als .Nebelglülicn* so allgemein auffällig wurden, von anderer Seite in einem
der nächsten Hefte dieser Zeitschrift behandelt werden sollen.
Verlängert man die Linien der langen Vulkanreihen von Sumatra und
Java, so bezeichnet der Schnittpunkt derselben die Luge der Insel Krakatau
im Eingang zur Sundastrafse. Auch eine dritte Linie, auf welcher die vulka-
nischen Inseln Poeloe Tiga, Seboekoe und Sebesi liegen, schneidet in ihrer
südlichen Verlängerung die Insel Krakatau. Somit ist dio Lage dieses Punktes,
wo drei vulkanische Spalten der Erdkruste siel» vereinen, von vornherein l»e-
dcutungsvoll. Dennoch hatte die Insel in historischer Zeit bisher nur einmal,
1680, eine unbedeutende Eruption erlebt. Mun beachtete deshalb kaum noch
diesen scheinbar erloschenen Vulkan, der ohnedies gegenüber den mächtigen
Feuerbergen der naben Küsten nur ein Zwerg war. Vor Ablauf der Ereignisse,
welche nach dieser langen Ruhe und so unvorhergesehen um so erschütternder
wirkten, war der Zustand der Insel Krakatau der folgende.
Krakatau war die weitaus gröfste einer aus vier Inseln bestehenden
Gruppe. Auf dom 33 Cjkm grofsen, von üppigen Wäldern bedeckten Eiland,
welches nur vorübergehend von Fischern besucht wurde, konnte man drei
Berggruppen unterscheiden. Alle überragte am Südende der über 800 m hohe
steile Kegel des eigentlichen Krakatau, für «len wir mit Verbeek im Gegensatz
zur Bezeichnung der gesammten Insel die unverdorbene malay Ische Form des
Wortes Rakuta beibehalten mögen. An den Pik Itukäta. der den Schiffern als
weithin sichtbare Lundmarke dient, schlofs sich nach Norden zu eine Dannu
genannte niedrige Berggruppe. Das Nordwestende der Insel endlich nahm
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pin höckerig erscheinendes Hügelland mit vielen niedrigen Gipfeln ein, Per-
hocwatan genannt Hier ragte fast kahl inmitten des üppigen Urwaldes ein
Liivastrom hervor, der wahrscheinlich jener letzten Eruptiou von Ifr'M) ent-
stammte. Porbocwatan gegenüber lag die Insel Vertaten Kiland und die viel
kleinere Poolsche Hoed, dicht nordöstlich an Krakatau dagegen das kleine Lau«:
Eiland. Sämmtüche Inseln sind durchaus aus vulkanischem Gestein ftufgehatit.
Hei der Untersuchung der Lagerung» Verhältnisse desselben entrollte sieh Verbeek
folgendes Bild von der Geschichte dieser Inselgruppe, welche« wir zum Yff»
stämlnife der neuesten Eruption kennen müssen.
Im Anfang wurden aus einem in der Mitte der naciTraaligen Inselgrupi«*
gelegenen, zunächst submarinen Krater Lavaströme und lose Auswurfsmassm
von Hypersthen-Andesit ausgestofsen, durch welche nach und nach ein hoher
Karte der Insel Krakatau vor und nach der Eruption vom 26. August 1S83.
Vulkankegel aufgethürmt wurde. Nach einem letzten grofsen Ausbruch stürzte
dieser in sich zusammen. Nur sein ringförmige« Eu ragestell blieb stehen. Als
höchste Punkte dieses alten Kraterrrandcs, den mau durch Somliniugen unter-
seeisch sehr gut weitervcrfolgen konnte, ragen Vertaten Eiland. Lang Kiland
und Poolsche Hoed aus dem Meere empor. Der Durchmesser dieses mächtigen
Einsturzkrater* l>eträgt mindestens 7 Kilometer. Kr erreicht hierin noch nicht
die mächtigen Einsturzkrater Tenggor und Mnnindjoe auf Sumatra, welche di«
gröfsten der Erde sind. Auf der hier beigegebenen Karte zeigt der gestrichelte
Kreis den ungefähren Umfang dieses alten Kraters nach den Angaben de«
grofsen von der Royal Society in London heraiisgegobenen Werkes über die
Krakatoa Eruption. •)
Nach diesem Einsturz öffnete sich ganz unabhängig vom vorigen Krater
ein zweiter peripherisch gelegener Sehlund zu einer Seiteneruption, welche
•) Sich« Tbc Kriijitim» of Krakato*. KdiUsl l>>* O. J. Syiaons. l<ondon IMS, Sri!«* 4 u. Si
Kr sei noch bcmcrkl. daf* dir Engländer Krakatoa, die Holländer Krakatau schreiben.
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ganz anderes Gestein, nämlich Feldspath-Basalt lieferte. Das wichtigste Unter*
w •heidungsmerkmal desselben gegenüber dem Attdesit ist der Gehalt an Olivin.
Dieser lateralen Eruption verdankt der Pik Hakata, dessen inneren Aufbau wir
später kennen lernen werden, seinen Ursprung. Dieser Ausbruch war nur ein
Zwischenspiel in der Entstehungsgeschichte des Hauptvulkans, und obwohl
Pik Hakata jetzt die höchste Erhebung der Insel darstellt, ist er doch eigentlich
nur ein illegitimer Parasit daselbst.
Später regten sich die centralen Gewalten von neuem und erholten sich
von ihrer Erschöpfung. Wiederum begannen Eruptionen aus dem Hvpersthen-
Andesit liefernden Heerd. Sie erfolgten aus den Kratern des Datum und Per-
boewatuu wahrscbeinl c!i zu wiedelholten, zeitlich weit auseinander liegenden
Malen, zuletzt im Jahre DISO. Die Aufschüttung der letztgenannten ßerggruppc n
war ihre Folge. Krakatau bestand darum hierauf gerade wie das Vesuvgibirge
aus einem älteren Hing, einem Einsturzkruter, der dem Monte Somma entspricht,
und aus jüngeren centralen Kratern, die dem eigentlichen Vesuv entsprechen
Noch mehr fällt die Aehnlirhkeit mit Santorin, der bekannten Cykladeninsd,
ins Auge, wo die Hauptinsel Thora und die kleineien Therasia und Asproufsi
den zerrissenen Rand eines alten Einsturzkraters darstellen, während im Centruin
die Kaymeui-luscln als Gipfel jüngerer Eruptionskegel sieh erheben.
So war die I-age der Dinge auf Krakatau bis zum verhängnifsvollen
Jahr© INS:). Die Ereignisse desselben zerfallen in das am 20. Mai beginnende
Vorspiel und in die grofse Katastrophe selbst, die am 27. August eintrat.
An Bord vorbeifahrender Schiffe sah man am 20. Mai eine ungeheure
weite© Dampfsäule, deren Höhe zu UO hi m gemessen wurde, der Insel Krakatau
entsteigen. Bald mischten sich schw*arze Wolken in die Da in p firnissen und
ein Regen von feiner Asche bederkte die Schiffe. Die Sonne erschien blau am
verdunkelten Himmel. Ein unaufhörliches Geknatter, wie ganz nahes Mitrail-
lensenfeuer, wurde von der Insel her vernommen. Als der Donner des Aus-
bruchs am stärksten war. hurte mun ihn bis auf 3.V) km Entfernung. Abends
sah mun, wie Blitze unaufhörlich die Pinienwolke erleuchteten Am £0. Mai
brach von Batavia eine kleine Expedition nach Krakatau auf; man landete und
einig«’ beherzte Männer drangen kühn bis nahe an den eigentlichen Heerd der
immer noch im Gang«* befindlichen Eruption vor. Der Krater befand sich am Fufsc
des Perboewatan und glich einer hufeisenförmigen, von hoben Lavawänden um-
gebenen Vertiefung. Mit donnerndem Geräusch wirbelte die Rauchsäule aus ihm
enijKir. breitete sich zur Pinie aus und liefs in unmittelbarer Nähe ihre Ladung
von Binistein. weiter entfernt die feinere Asche fallen, von der damals schon der
grüfste Theil von Ki*akatau und ganz Vertaten Eiland mit dieken Schichten
bedeckt war. Nach einer zu dieser Zeit von Jul. Hamburg aus Batavia auf-
genom menen Photographie ist unser erstes (Titel-) Bild ausgeführt. Hinter der
vorliegenden Wand von Vertaten Eiland sieht man den Krater am Perboewatan in
voller Thätigkeit. Derdamals herrschende östwiml verweht die Aschenwolken. Im
Hintergrund zur Linken, abseits vom Schauplatz der Eruption, erbebt sieb der
Pik Rakäta. Di eso Asehenausbrticlie hielten mit wechselnder Heftigkeit bis
zum August an, und zwar war vom 21. Juni ab zeitweilig aufser den» Perboe-
watan noch ein zweiter Krater, am Dunau gelegen, in Thiitigkeil. — Immer
furchtbarer dräuten die unterirdischen Gewalten. Am 20. August Nachmittags
l»egann man in Batavia, wie überall in ganz West-Java, das Grollen eines
neuen, grösseren Ausbruches vom Krakatau her zu vernehmen, welches sich
Nachts bis zur Stärke ganz nahen Artilleriefcuers steigeile. Die Luft erzitterte
unausgesetzt von kurzen Schwingungen, die das Huusgerülh, soweit es nicht
uiet- und nagelfest, in klappernde Bewegung versetzten, sodafs Niemand unter
350
dem unheimlichen Eindrücke dieser Geräusche zu schlafen vermochte. Am
Morgen des 27. August um 7 Uhr scheuchte eine furchtbare Detonation die
Letzten« welche noch zu ruhen versuchten, vom Lager. Der Kalk fiel von den
Wänden, Fenster schlugen auf, und allgemach begann es zu dunkeln, bis nach
10 Uhr tiefe Finsternifs herrschte, während das ferne Geräusch allmählich
verstummte. Bei Buitenzorg sah Verbeck, wie «ich zuerst eine Wamerd&mpf*
schiebt herabsenkte, auf welche zunächst ein liegen von feuchter, daun von
trockener Asche folgte.
Mit Bangen und Zagen verfolgte man zu Bataviu die Kutwickelung der
Ereignisse. Noch wusste man nicht, wo der Schauplatz dieses neuen vul-
kanischen Ausbruches sich befand. War es einer der südlich von Batavia auf
Java selbst gelegenen Vulkane, der in so. entsetzlicher Weise seine Eruption
aiikümligteV Oder kamen die furchtbaren Töne wieder von dem fernen Kra-
katau? Man konnte es nicht glauben. Und doch war diese weit abgelegene
Insel der Schauplatz des gigantischen Ringens entfesselter Naturkrifte, deren
Kampfgetöse man vernahm. Was war auf dem kleinen Eiland geschehen '
Es mag hier die lebhafte Schilderung des Herausgebers gegenwärtiger Zeit-
schrift folgen, welche derselbe in einer Sammlung feuilletonistiseher Aufsätze
veröffentlichte (Spaziergänge etc., Wien 1885, Seite 10*2 u. f.) :
„Das ist ein unbeschreiblich furchtbarer Kampf der beulen feindseligen
Elemente, zwischen Feuer und Wasser gewesen, als der Vulkan inmitten
seiner entsetzlichen Arbeit, durch diese selbst unterwühlt, in sich zusammen -
fiel und feuerspeiend unter das Meer versank. Das Wasser stürzte mit gieriger
Wuth in den glühend flüssigen Schlund hinab; zischend und brodelnd ver-
wandelte es sich augenblicklich in ungeheuere Dampfmengen, die in mächtiger
Dampfspannung sich mit dröhnendem Krache befreiten, Feuer, flüssige Lava,
glühende Steine und ein grosses Stück Meer mit sieh zu den Wolken eiupor-
schleudenid. Feuerströme stiegen vom Himmel auf und ab, und nur sie er-
leuchteten die schwarze Nacht, die statt sonnigen tropischen Tages erstickend
schwer über Lund und Meer lagerte Vra folgenden Morgen giug in
Batavia die Sonne verhüllt in rostig blutiger Farbe auf. Schwarze Rauch-
wolken stürmten in immer dichteren Schaaren vom westlichen Horizont herauf
Ein schwerer Regen von Asche, Schwefel und Staub fiel über die Stadt herab
und um Mittag war sie in undurchdringliche Dunkelheit gehüllt. Jede Be-
schäftigung stockte. Eingeborene und Europäer wurden von Furcht und Ent-
setzen ergriffen. Um diese Zeit strömte eine 17 Fufs hohe Welle vom Meere
ins Land hinein und hiefs die Flüsse zurück zu ihren Quellen llicfeen. Zwei
Stunden später kam eine zweitu und höhere Welle. Sechs und dreifsig Stunden
laug blieb Batavia in Dunkelheit gehüllt. Das ist ein Bericht von der un-
mittelbaren Wirkung der Katastrophe aus zwanzig geographischen Meilen Ent-
fernung -
Weit schlimmer erging es indefs den näher au der Ausbruchstelle ge-
logenen Gegenden. In Serang fielen erst Bimsteinbrocken, dann Asche, welche
zu einem völligen grauen Schlamm durchweicht war, endlich die trockene
Asche, die auch hier bis *2 Uhr tiefe Finslcmifs verbreitete. An einzelnen
Orten, wie zu Tjanti auf Sumatra war die nach Schwefel riechende Asche so
heifs, dafs sie auf der Haut Brandwunden erzeugte. Hier erschien der darauf
folgende Schlanimregen fast wie eine Erquickung.
Die wichtigsten Aufzeichnungen über die damaligen Ereignisse worden
auf Schiffen gemacht, die sich gerade in der Sundastrafse befanden. Den Be-
ginn des Ausbruchs konnte man am Nachmittag des 2(1 August von der
„Medea* aus beobachten und hierbei die Höhe der Rauchsäule auf 27 km ab-
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schätzen. Ueher den weiteren Verlauf berichtet Kapitän Wstson vom Schiffe
„Charles Bai*, welches am 26. August um 5 Uhr Nachmittags von einem Hagel
heifser Bimsteinstücke überschüttet wurde, dem ein Aschenregen folgt««. Abends
sah er von der elf englische Meilen entfernten Insel Krakatau unter furchtbarem
Getöse Feuerstreife n auf- und absteigen, welche die Wurfbahnen glühender
Himsleinhlürke bezeichneton. Heifs und stickend, von Schwefelgeruch erfüllt,
wehte die Luft vom Vulkane her. Um Mitternacht erhob sich ein heftiger
Wind. Die fortdauernde dichte Finatemifc wurde häufig von Blitzen erhellt,
und überall im Takelwerk des Schiffes sah mau St. Elmsfeuer glimmen. Am
27. August gegen 11 Uhr Vormittags erfolgte eine furchtbare Detonation, nach
welcher erneut« Finsternifs hereiuhrach und unter dem fortdauernden Uebrüll
des Vulkans ein Hegen von Schlamm und Asche niederflel. Unmittelbar hier-
auf sä h mau vom „Charles Bai- aus eine ungeheure Wog«* heranlaufen, welcher
zwei andere weniger hohe nachfolgtcn.
Die Ursache dieser Wogen war, wie oben schon angedeutet, der Einsturz
des gröfsten Th eiles der Insel Krakatau. Schon am 26. und am 27. früh war die
See wiederholt erregt worden. Die Woge von ungefähr lü Uhr 30 Minuten am
27. August war die stärkste. Diese Sturzwelle vernichtete an der nahen Kiis!«*
zahlreich«’ blühend»* Ansiedelungen und forderte das Opfer vieler Tausende
von Menschenleben. Sie wurde auf der ganzen NordkQste von Java verspürt,
auf der Südküste bis Tjilatjap, auf der Ostseite von Sumatra bis zum Flurs }
Toelang-Bawang, auf der Westseite bis Ajer Bangies. Die Höbe derselben rich-
tete sich natürlich nacl» der Beschaffenheit der betreffende» Ufer. Sie betrug
•£. B. am Leuchtthurme des Vlakkc Hock 13 m, bei Teloeq Betoeng 24.7 m, auf
Dwars in den Weg uml bei Aujer (4b und 33 km vom Krakatau) jedoch 36 in.
Die Gewalt der Sturzwelle war stellenweise eine furchtbaii*. Bäume uml
Häuser wurden fortgespült, schwere Korallen blocke vom Meeresgründe ans
Land geworfen. Doch nicht allein am Gestade der Sundainsrln verspürte man
diese Woge. Sie pflanzte sich vielmehr, wenn auch in weit geringerer Höhe
und ohne Verheerungen anzurichten, über ausgedehnte Mcercsräume fort.
Den ganzen Indischen, den Stillen und einen Theil des Atlantischen Ozeans
hat sie durchlaufen. Aus ihrer b«*obnchteten Fortpflanzungsgeschwindigkeit
konnte man nach den Lugrangcsehen Formeln die minier«* Tiefe des Meeres
auf der von ihr durchlaufenen Strecke berechnen. So fand man z. B. für die
Strecke zwischen Krakatau und Süd-Georgia eine Geschwindigkeit von 219 m
in der Sekunde und berechnete daraus für den durchlaufenen Meerestheil die
lieträchtliche mittlere Tiefe von 6340 m. Dies ist eins der vielen Beispiele da-
für, wie die Erforschung dieses vulkanischen Ereignisses auch auf andere Ge-
biete der Wissenschaft anregend wirkte.
Die Verwüstung durch die Sturzwelle traf namentlich die Städte Merak,
Anjer und Tjaringin auf Java, welche Krakatau gegenüber in flachen Niede-
rungen gelegen waren. Sie wurden gänzlich zerstört. Auf den Inseln Sebesi
und Sebookoe wurden sämmtliche Bewohner vernichtet. Auch der Distrikt
Ketiuibaug auf Sumatra litt schwer. Im ganzen gingen l»ei der Katastrophe
.*16417 Personen zu Grunde, 165 Niederlassungen wurden völlig, 132 theil weise
zerstört
Auf ausserordentlich weite Fernen hin wurden die Detonationen des
grofsen Ausbruches vernommen, wie es bisher ohne Beispiel war. Hierbei
wiederholte sich die schon bei der Maieniptioii beobachtete Erscheinung, dafs
das Geräusch in weiter vom Ursprung entfernt gelegenen Gegenden vielfach
besser gehört wurde, als in «1er unmittelbaren Umgebung des Vulkanes.
Wahrscheinlich hat man die Ursache in dem im nächsten Umkreis sin dich-
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testen fallenden Aschenregen zu suchen, welcher die Fortpflanzung der Schall-
wellen auflialten konnte. Der Sehall vom 27. August wurde vernommen bis
zu den Philippinen, bis Saigon in Cochinchina, bis Singaporc, den Nicobaren.
Andamanen, Ceylon, der Keeling Insel und bis Porth in Südwest-Australien,
also in einem Umkreis, dessen Radius Ö0° = 4.V) geographische Meilen betragt
Hätte sich die Explosion beispielsweise bei Berlin ereignet, so würde man sie
einerseits noch in Petersburg, andererseits in Cairo oder Lissabon und beinahe
bis hinauf nach Island, also über ganz Europa gehört haben.
Die Masse des ausgeworfenen Bimstoins und der feineren Asche war
eine ungeheure. Verbeck schätzt dieselbe auf mindestens 1H Cuhikkilometer.
Namentlich zwischen Sebesie und Krakatau war der Meeresboden damit be-
deckt. Dort, wo früher das Meer im Mittel ÖU Meter Tiefe besafs, fand man
nur noch G Meter. Die höchsten Punkte der dort augehäuften horizontal ge-
schichteten Auswurfsiuasscu ragten alt neugebildeto flache Inseln über dem
Meeresspiegel hervor. Die gröfsten derselben, welche indessen sehr bald wie-
der von den Wogen abgetragen wurden, wurden Steers und Calmeyer Insel
benannt. Lange war die Sundasce mit schwimmenden Bimsteinmassen bedeckt,
welche die Schifffahrt vielfach binderten.
Die Hauptmasse der ausgewogenen Asche bestand zwar aus Splittcrchen
von porösem Glas infolge der sehr raschen Erstarrung des vulkanischen
Schmelzflusses, daneben aber enthielt sie auch Kryställchen von Hvpcrsthen,
von Fcldspath und Magnete* isen. Somit besafs auch das im Jahre 1S8Ö von
Krakatau hervorgobr achte Gestein, wie die Lava der zuletzt vorausgegangenen
Eruptionen, die Zusammensetzung eines Hypersthen-Andesite*. Das isolirte
Vorkommen der einzelnen Bestandtheile dieses Gesteines in der Asche er-
möglichte äufaerst wertlivollo petrographische Untersuchungen. U eberraschend
und von weitgehender wissenschaftlicher Bedeutung war besonders der von
Vorboek gelieferte Nachweis, dafs in der Asche uufser etwas Sanidin sämmt-
liche triklinen Fcldspäthe vom Anorthit bis zum Albit vorhanden sind, und
dafs sowohl die rhombische, wie die monokline Form des Hypersthen darin
vorkommt
Die Veränderungen auf Krukatau, welche durch die Eruption herbei ge-
führt waren, stellten sich als sehr tiefgreifende heraus. Von der ganzen Insel
war nur allein die Südhälfte des Pik Kakäla übrig geblieben. An Stelle der
Nord hälfte des Berges und da, wo sich die Hügel des Damm und Perbocwatan
erholten, befindet sich jetzt das Meer mit 100— JOD Meter Tiefe. Auch zwischen
Krakatau und seinen beiden oben erwähnten Nachbarinseln, sowie dicht östlich
am Pik hat «las Meer eine viel greisere Tiefe erlangt Auf unserer Karte (S. Ö-IS)
bezeichnen die sehr« flirten Flächen den ehemaligen Zustand der Insel, die voll
«ungezogenen Linien stellen den gegenwärtigen Umrifs dar. Was war mit
diesen verschwundenen Landmasseit geschehen? Gegen die Annahme, dafs
sie infolge der zahlreichen Explosionen zersprengt, zerstückelt und in die
Luft geschleudert wurden, spricht der Umstand, dafs in den Auswurfsmasseu
die doch wohl erkennbaren Gesteinsfragmente des basaltischen Pik Rakäta
nirgends vorgefunden wurden. Vielmehr mufs der Vorgang sich auf folgende
Weise abgespielt haben. Infolge der ungeheuren Menge der in Form von
Bimstein und Asche ausgeworfenen Lava mufs unter den Kratern Dnnan und
IVrboewatan ein grolser Hold raum entstunden sein, in welchem die Lava, je
nach der bald höheren bald niedrigeren Spannung der in ihr enthaltenen
Wasserdanipfo auf- oder absteigende Bewegungen ausfulirte, Jedesmal, wenn
die Lavasäule empordrang, mufs sie grofsc Partien der über ihr sich wölben-
den alten Kratcrwand abgeschinolzen haben. Beim immer tieferen Zurück-
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355
sinken der Lava nach jedem weiteren Verlust von ausgestofsenen Müssen
fand endlich der so geschwächte feste Mantel des Vulkans in sich selbst nicht
mehr genügenden Halt. Ein Einsturz erfolgte, ln demselben Augenblick
ergoss sich die See in die so entstehende Höhlung und mischte sieh mit der
noch flilsaigen Lava des Innern. Die hierdurch entstehende plötzliche und
mächtige Dampfentwickluug verursachte die letzten und stärksten Explosionen.
Die in feinste Theilchen zerspratzte Lava wurde zugleich mit Wasserdampf-
massen ausgestofsen und fiel nach deren Condensation in höheren Luftschichten
mit Wasser vermischt als Schlamm nieder. Dem grofson Einsturz aber ver-
dankt die grofse Sturzwelle ihre Entstehung.
Die soeben nach gewissenhaften Beobachtungen in ihren einzelnen
Phasen geschilderte Katastrophe ist wissenschaftlich von sehr grofser Bedeu-
tung. Liegt doch hier das Beispiel eines in historischer Zeit und fast unter
den Augen wissenschaftlicher Beobachter gebildeten Einsturz kra ters vor. Die
früher von den Geologen versuchte Erklärung gar vieler Vulkanruinen fiudet
hierdurch volle Bestätigung. Sehr lehrreich ist auch das durch die Spaltung
des Pik Rak&ta entstandene natürliche Profil. Eine fast senkrechte über
800 Meter hohe Steilwand erlaubte nach der Eruption einen völlig ungehinder-
ten Einblick in den inneren Aufbau des parasitischen Vulkanes. Die Ansicht
dieser Bergwand hat Herr O. Winkler in vortrefflicher Weise aus einem
Tonbild und einer mehr von der Nähe aufgenommenen Photographie des Ver-
beek sehen Werkes combiniri (S. das Bild auf der vorangehenden Seite.)
Man erkennt trotz des kleinen Mnfsstahes ganz deutlich , wie der Berg
aus sattedförmig zur Linken und zur Rechten abfallenden Schichten be-
steht. Es sind Bänke von basaltischen Aschen und Lapilli, die mit Strömen
von festem Basalt wechsellagern. Der Krater selbst ist nicht sichtbar, aber
aus jener sattelförmigen Schichteustellung kann man schliefsen, dafs der
grofse Rifs durch den Berg nahe am Kraterschlund vorbei gegangen ist.
Dagegen sind links unter dein Gipfel mehrere als lichte Linien hervor-
tretende Basaltgänge zu sehen, welche die Schichten schräg durchbrechen.
Diese Gänge sind von uuten her mit basaltischer Lava ausgcfüllte Spalten,
welche in den Mantel des Kegels noch während seiner Aufschüttung
einrissen. Ein fast senkrecht unter dem Gipfel aufsteigender Gang da-
gegen, welcher mit einem mächtigen in die Ascheuschichten eingequetschten
Lavaklumpen endigt, besteht aus Hypersthen-Andesit und drang demnach
erst später in den Berg von unten her ein. Zur Linken an der Bergwand
sicht man die Schichten des Rakntn auf viel flacher gelagerten Massen ruhen.
Dieses Fufsgestell des Vulkans besteht aus Andesit und ist ein Stück Rand
vom ältesten Einsturzkrater des Krakatau, gerade wie Vertaten und Lang
Eiland. Das im Vordergründe liegende niedrige Riff endlich ist cino der
ephemeren aus lockeren, horizontal geschichteten Massen gebildeten Inselchen.
Seine Oberfläche wird von den zuletzt ausgeworfenen Schlammmassen ge-
bildet, welche beim Austrocknen netzförmige Sch wund risse erhalten haben.
Bei der hier geschilderten Eruption liegt einmal der seltene Fall vor,
bei dem man naehweisen kann, dafs Meerwasser Zutritt zu dem feurig-
flüssigen Kern eines Vulkanes erhalten hat und dafs dadurch ein besonders
starker Ausbruch hervorgerufen wurde. Indessen darf man nicht, wie früher
oft geschehen, daraus den allgemeinen ächlufs ziehen, dafs alles in der Lava
in Dampfform enthaltene Wasser von der Erdoberfläche stamme. Der gröfste
Theil der in den Laven eingeschlofisenen Wasserdämpfe kann nicht von aufsen
hineingelangt sein, el»enso wenig, wio die grofson Mengen der darin absor-
birten Kohlensäure. Dafs aber die eingeschlossenen Gase in der Thal bei
Himmel und Erde. L 4. 26
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Eruptionen die Haupttriebkraft liefern, bewiesen namentlich die letzten Phasen
beim Ausbruch des Krakatau.
Fluthwellen in der Ostsee und an den Küsten deutscher Kolonialgebiete.
Von Admiralitätsrath Rottok in Berlin.
Wenn wir an die verheerenden Stofswellen denken, welche das Erd-
beben von Lissabon am 1. November 1755, das Japanische Erdbeben am 23. De-
zember 1854, die Erderschütterungen bei Arica am 13. August 1868 und bei
Iquique am 9. Mai 1877 oder die vulkanische Eruption des Krakatao in der
Sunda-Strafsc am 26. und 27. August 1883 begleiteten, welche grofse Küsten-
strecken total verwüsteten und zerstörten und denen Tausende von Menschen-
leben zum Opfer fielen, so kann es eine gewisse Beunruhigung Hervorrufen,
dafs auch unsere hoimathlichen Gestade von ähnlichen Wellen, wenn auch
bisher von weit geringeren Dimensionen und harmloserer Wirkung, heim-
gesucht werden, wie sie im verflossenen Jahre in der Nacht vom 16. auf den
17. Mai iu einem Thoile der Ostsee sich gezeigt haben.
Schon früher sind dergleichen Erscheinungen, bestehend in einem plötz-
lichen Anschwellen des Meeresniveaus und mehreren den Strand üborfluthenden
Wellen zu wiederholten Malen in der Ostsee beobachtet worden und den
Küstenbewohnern unter dom Namen „Seebären“ bekannt, doch sind die darüber
gemachten Aufzeichnungen und Berichte zu knapp und lückenhaft, um ein
klai •es Bild von dem Vorgänge und genügenden Aufschlufs über die Natur
desselben zu geben. Um so höher ist das Verdienst des Professor Credner
zu Greifswald zu stellen, wenn derselbe über den „Seebären“ des vergangenen
Jahres das Material in möglichster Vollständigkeit zum Thoil durch persön-
liches Bereisen der betroffenen Küstenpunkte, zum Theil durch eingezogene
Erkundigungen bei geeigneten an jenen und den angrenzenden Küsten wohnen-
den Persönlichkeiten gesammelt und einer eingehenden Betrachtung unter-
worfen hat (III. Jahrgang der Geographischen Gesellschaft zu Greifswald, 1S88).
Hiernach ist die Erscheinung nur an der Küste zwischen Travemünde
und Rügen, und zwar auch nicht in der ganzen Ausdehnung derselben, sondern
nur an einzelnen durch mohr oder minder grofse Abstände von einander ge-
trennten Strecken aufgetreten, nämlich im Hafen von Travemünde, in der
Wismarschen Bucht und bei Brunshaupten , an dem östlichen Theil der
Mecklenburgischen Küste von Müritz bis zum Dars und schliefslich an der
Westküste von Hiddensöe; schwache Ausläufer der letzten Fluthwellen machten
sich au der gegenüberliegenden Festlandsküste bei Zingst und Pramort und
in dem Binnengewässer zwischen Hiddensöe und Rügen, beim „Wittower
Posthaus', bemerkbar.
Zeit und Form des Auftretens an den einzelnen Punkten oder Strecken
war verschieden.
In Travemündo wurden in der Zeit von 9 bis 1 Uhr Nachts nur plötz-
liche Schwankungen des Wasserstandes bis zu 10 cm Höho au dem sclbst-
thätigen Pegel wahrgenommen.
In der Wismarschen Bucht wurde das nördlich der Insel Poel stehende
Schiff Capclla um 2 Uhr Nachts bei starkem Gewitter plötzlich mehrere Male
hinter einander heftig auf die Seite geschleudert, nachdem unmittelbar vorher
im Wasser ein cigeuthUinliches „Gesäusel* bemerkt worden war. In Bruns-
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haupten sind bereits am Abend um 7*/a Uhr auffällige Fluthbe wegungen „in
Form me lireror Wellen und danach außerordentlich bewegter Seo“ beobachtet
worden.
lieber das Auftreten der Erscheinung auf der Strecke Müritz-Daro lauten
die Berichte ziemlich gleichartig. Bei Müritz stieg das Wasser um 21/* Uhr
Nachts .mit einem Ruck“ über 1 Meter, nach 10 bis 15 Minuten fiel es auf
seinen alten normalen Stand zurück, um nach Verlauf von weiteren 10 Minuten
noch einmal 5 Minuten lang fast zu derselben Höhe sich zu erhoben. In
Wustrow stieg um dieselbe Zeit das Wasser um fast 2 Meter und trat über
20 Meter in das Dünengebiet hinein; es behielt diesen Stand ungefähr eine
Viertelstunde lang. Von folgenden Fluth wellen ist nicht die Rede.
ln Ahrenshoop dagegen wurden nach einem plötzlichen Anschwellen
der See noch zwei den Strand überspülende Flutbwellen beobachtet. Die un-
erwartet und ohne vorher wahrnehmbare Ursachen cintretendo Niveauerhebung
überraschte einige am Strande arbeitende Fischer derart, dafs es ihnen nicht
gelang über den 40 Schritt breiten Vorstrand trockenen Fufses auf die Dünen
zu entkommen. Boote und Netze wurden landeinwärts bis an dio Dünen heran-
geschleudert. Am Ufer gelagerte Fische wurden weithin über den Strand
verschwemmt. Nachdem das Wasser nach wenigen Minuten seinen normalen
Stand wieder eingenommen hatte, brach eine l1/* — 2 Meter hohe Welle brandend
über den Strand herein, und nach 10 Minuten eine zweite aber kaum halb so
hohe Welle.
Die Westküste der Insel Hiddensee wurde zwischen 3 und 31/« Uhr Nachts
von dem Phänomen erreicht; in zwei Fischerdörfern, Plogshagen und Vitte,
wurde es beobachtet. Der aus ersterem Orto eingegangeno Bericht spricht
ohne nahejre Bezeichnung nur von mehreren, plötzlich gegen dio Düne heran-
stürmenden hohen Wellen, welche die auf den Strand gezogenen Boote etwa
30 Schritt landeinwärts schleuderten und dieselben mit Wasser und Sand
füllten. Bei Vitte dagegen wurden zwei nach Schätzung fast 2 Meter hohe
Seen wahrgenommen, die aus Nordwest kommend in kurzer Pause auf einander
folgten und von denen jede aus 3 Wellen bestand. Eine Stunde später, un-
gefähr um 47a Uhr Morgens, gelangten zwei unmittelbar auf einander folgende
Wellen von etwa 50 und 25 Conti moter Höhe aus derselben Richtung an dem
Festlandsstrande bei Zingst an, welche noch östlich bis Pramort beobachtet
wurden, an letzterem Ort aber nur noch in der halben Höhe. Beim Wittower
Posthaus erfolgte gegen 4 Uhr Morgens ein schnelles Auflaufen des Wassers
von über 00 Centimeter. Nach 6 Minuten fiel das Wasser wieder, es traten
jedoch jetzt beständige Schwankungen des Meeresniveaus ein, welche an Di-
mensionen allmählich abnehmend, bis gegen 11 Uhr Vormittags anhielten;
wahrscheinlich haben sich hier in der durch die Insel Rügen eingeschlossenen
engen Meeresstrafse eine Art stehendor Wellen gebildet, welche jene Oscilla-
tionen erzeugt haben, wie dies auch die Ursache der anhaltenden Wasser-
standsschwankungen in Travemünde sein dürfte.
Der Richtung der Flutbwellen wird nur in den Berichten von der West-
küste Hiddensöes, von Zingst und Ahrenshoop Erwähnung gethan, die ersteren
beiden bezeichnen dieselbe als eine nordwestliche, der letztere als eine süd-
westliche.
Ueber den Zustand der Atmosphäre und der See vor und nach dom
Phänomen sind die Berichte fast alle gleichlautend. Volle Ruhe herrscht
in der Luft, nur ganz leichte Luftzüge, meist aus östlicher Richtung, werden
an einzelnen Plätzen bemerkt, die See ist dementsprechend glatt oder nur ganz
leicht gekräuselt. Während oder unmittelbar vor dem Auftreten der Fluth-
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wellen wird von mehreren Plätzen, wie von Müritz und Yitte, ein Umspringen
des Windes von Ost auf West gemeldet; von Vitte wird hinzugesetzt, dafs
nach dem Abschlufs des Phänomens der Wind seine alte Richtung wieder
einnahm.
An zwei Plätzen, welche allerdings nicht selbst von den Fl uth wellen
betroffen wurden, aber in der Nähe solcher Orte lagen, nämlich in Althagen
bei Ahrenshoop und auf der Fähr-lnsel bei Hiddensöe, wurde eine plötzliche
Steigerung der Windstärke bemerkt, die sieh in Form heftiger, aber nur kurze
Zeit dauernder sturmartiger Böen (aus WSW. bis W.) kund that, welche die
Bäume „bis zum Brechen1* schüttelten.
In Ahrenshoop und in Vitte ist ferner ein eigenartiges Geräusch vor
Eintritt der Flutherscheinung gehört worden, an erstorem Ort ein knallartiges
Getöse von der See her, an letzterem ein starkes Geräusch aus westlicher
Richtung, als ob ein kräftiger Sturm im Anzuge sei,
ln fast allen Berichten wird eines starken, mit heftigen elektrischen Ent-
ladungen verbundenen Gewitters erwähnt, welche« am westlichen Horizont
von Süden nach Norden ziehend, sich während der ganzen Nacht beraerklieh
gemacht hat.
Bemerkenswert!!« Störungen in der Atmosphäre wurden bei Wustrow
beobachtet; hier zeigte der Thermograph der Normal- Beobachtuiigsstation
zwischen 2 und 3 Uhr Morgens eine für diese Zeit ungewöhnliche rasche
Temperaturzunahme von S),U° auf 10,7° C., sowie der Barograph eine sprung-
förmige Erhöhung dos Luftdruckes von 756,0 Millimeter auf 757,5 Millimeter.
Diesen abnormen Vorgängen in der Atmosphäre legt Professor C r e d n e r
eine besondere Bedeutung bei, indem er abweichend von der herrschenden
Ansicht, nach welcher die als Seebären bezeiclmeten Fluthbc wegungen der
Ostsee seismischer Natur und als Seebeben oder Stofsw'ellen zu betrachten
Bind, jene Störungen ira Luftmeere denselben als ursächlich zu Grunde legen will.
Die Aelinlichkeit der Fluthwellen mit anderen nachweislich seismischen
Wellen legt es allerdings Hehr nahe, dieselben auf denselben Ursprung zurück-
zufiihren, doch fehlen hier, wie auch bei fast allen früheren Seebären, alle An-
zeichen oder Begleiterscheinungen einer wirklich stattgefundenen Erderschüttc-
nmg. Von keinem Punkt der angrenzenden Küsten sind irgendwelche Er-
schütterungen des Bodens gemeldet worden. Die Fernwirkung eines Erd-
bebens entlegener Gebiete als vorliegend auzunohmeit, verbietet das lokale
Auftreten der Erscheinung an isolirten, von einander getrennten Küstenstrecken.
Nach Credner liegt hier überhaupt kein einheitliches Phänomen vor, sondern
jede der an den verschiedenen Küstenpunkten oder Strichen nufgetretenen Fluth-
erscheinungen verdankt ihren Ursprung einer besonderen plötzlichen und
lokalen .Störung des Wasserstandes der Ostsee, und zwar sind diese Störungen
durch atmosphärische Einflüsse hervorgerufen.
In dieser Auffassung und speziell in der Vormuthung eines genetischen
Zusammenhanges zwischen den Flutherscheinungen und dem Auftreten des
Gewitters in jener Nacht wird Credner besonders dadurch bestärkt, dafs
gerade und fast ausschliefslich nur die gegen diese Gewittorbahn exponirten,
also parallel zu derselben gerichteten oder gegen sie vorrageuden Küsten-
striche von den Fluthwellen betroffen sind, dafs die Flutherscheinung ent-
sprechend der Bahn des Gewitters im Osten und Nordosten später aufgetreten
ist als im Westen und Südwesten und dafs di© Zeit des Auftretens auf offener
See (an Bord der Capolla) mit der Zeit der grüfsten Heftigkeit des Gewitters
an dieser Stelle zusam inenfällt.
In den Berichten über dio früheren Fälle von Seebären finden sich auch
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einzelne Angaben über sie begleitende atmosphärische Störungen, doch sind
dieselben zu lückenhaft und ungenau, um daraus über den ursächlichen Zu-
sammenhang mit dem Phänomen selbst sichere Schlüsse ziehen zu können.
Ebenso wenig liegen aber mit Ausnahme eines einzigen Falles, nämlich der
Flutherscheinung am 1. November 1755 im Lübecker Hafen, welche mit dem
gleichzeitigen Erdbeben zu Lissabon zusammenhängt, irgendwelche Erschei-
nungen oder Anzeichen seismischer Vorgänge vor, durch welche der Beweis
eines solchen Ursprungs zu erbringen wäre. —
Auch aus dem Bismarck- Archipel und dein Kaiser Wilhelms -
Land sind Nachrichten eingegangen l) über Fluthwellen, welche am 13. Marz
v. J. die dortigen Küsten heimgesucht haben und gröfsere Zerstörungen im
Gefolge hatten und denen leider auch zwei deutscho Forscher, von Below
und H uiistcin, zum Opfer gefallen sind. Die behufs Aufsuchung dieser ver-
schwundenen Herren nach der Westküste Neu-Pommorns entsandte Expedition
fand an dem Lagerplatz am Strande, welchen die Vermifsten an dem ver-
hängnifsvollen Morgen innegehabt hatten, aufser einigen mit dem Messer ab-
geschnittenen Bambusstäben keine Spur mehr. Seesand, Steine und Geröll
bedeckten das frühere Niveau des Strandes über 4 Fürs hoch. Die an dem
Morgen des genannten Tages über diesen Theil Neu-Pommerns hcreinbrechendo
Fluth welle hat die früher mit dichtem Walde bestandene Küste in einer Breite
von ungefähr 1 Kilometer vollständig rasirt, auf vielen Strecken versumpft
und mit über einander gestürzten Bäumen, abgebrochenen Korallenfelsen, See-
sand und einer Menge faulender Fische bedeckt. Die Höhe der Welle betrug
nach den angestellten Messungen 12 Meter.
Weitere Meldungen über beobachtete Fluthwellen liegen aus dem Nord-
osten Neu-Pommerns von Malupi, sowie aus Kaiser Wilhelms-Land von Hatz-
feldt-Hafen und Kelana, der neu gegründeten Pflanzungsstation bei Kap König
Wilhelm vor. An letzterem Orte wurden am 13. März Morgens von 6'/a Uhr
an, bei windstillem, trübem Wetter 20 in Intervallen von 3 Minuten aufeinander
folgende Wellen beobachtet. Dieselben kamen aus nordöstlicher Richtung und
drangen 25 bis 35 Fufs in das Land ein. Atmosphärische oder andere auf-
fällige Naturerscheinungen sind nicht bemerkt Am 14. März Morgens war die
Küste weithin mit Bimssteinstiicken bedeckt.
In Hatzfeldt-Hafen wurde an demselben Morgen um G Uhr in nordnord-
östlicher Richtung ein schufsartiges Getöse gehört, um (! Uhr 40 Minuten
brach eine hohe Welle, welche die höchste Fluthmarke 2 Meter überstieg, aus
Norden in den Hafen herein, wich aber dann rasch wieder zurück, so dafs
der halbe Hafen trocken fiel. Sodann begann ein abwechselndes Steigen und
Fallen des Niveaus — es hatten sich entschieden stehende Wellen gebildet —
was in Intorwallen von 3 Ins 4 Minuten bis gegen 1) Uhr Morgens mit einer
gefahrdrohenden Höhe der Wollen von 7 bis 8 Meter andauerte und dann
allmählich schwächer wurde, so daTs erst gegen 6 Uhr Abends der normale
Wasscrstand wieder erreicht war.
In Matupi zeigten sich von 8l/i bis H Uhr Vormittags ähnliche liin-
und herschwingende Wellenbewegungen, welche den Wasserstand 12 bis
15 Fufs über und unter sein normales Niveau drängten. Die Wellen kamen
aus Süd und aus WNW; an der Südost- und Nordseite der Insel trat die Er-
scheinung am ausgeprägtesten auf, während die Westseite ganz verschont
blieb. Das Wetter war heiter, es wehte ein schwacher StidosL An anderen
•) „Nachrichten über Kaiser Wilhelms-Laad und den Bismarck-Archipel*. Heft III.
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360
Nebenerscheinungen ist zu erwähnen, dafs das Wasser in seinen Tiefen auf-
gerührt erschien, trübe aussah und schmutzigen Schaum trug.
An der Südseite der Gazelle-Halbinsel wurde das Phänomen von einem
dort vor Anker liegenden Schiffe bemerkt.
In der ganzen Blanche-Bai wurden nach dem Bericht Seiner Majestät
Kanonenboot Eber2) zwischen 8 und 9 Uhr Vormittags Niveauschwaukungen
von l*/t bis 2 Meter beobachtet.
Wenngleich von einer verspürten Erderschütterung nirgends die Rede
ist, so haben wir es hier nach der Ausdehnung der Fluthwellen zu urtheilen,
doch unzweifelhaft mit einem seismischen Vorgänge zu thun, und zwar scheint,
sofern es überhaupt gestattet ist, aus den wenigen Berichten und den einzelnen
Andeutungen, vornüinlich dafs in Hatzfeldt-Hafen vor dem Eintreten des Phä-
nomens im Nordnordost „ein scliufsartiges Getöse“ vernommen, dass in Matupi
das Wasser trübe und schmutzig „aus seinen Tiefen aufgeriihrt“ erschien,
und schliefslich, dafs am folgenden Morgen die Kiisto von Kelana weithin mit
Bimssteinstücken bedeckt war, eine submarine vulkanische Eruption, wahr-
scheinlich zwischen Neu-Pommeni undNeu-Mecklenburg stattgefunden zu haben.
Nicht unwahrscheinlich wird diese Annahme durch zwei weitere Mel-
dungen, welche uns von der Westküste Amerikas und der Ostküste Australiens
vorliegen. Bei Arica drangen am 15. März um 5 Uhr Nachmittags vier hohe
Wellen gegen die Küste, welche mehrere Fahrzeuge im Hafen stark be-
schädigten, andere konterten. Die See blieb noch längere Zeit stark bewegt.
In Sidnoy wurden am 15., 16*. uiul 17. März an dem selbstregistrirenden Pegel
anscheinend durch Erdbebenwellen herrührende Störungen des Wasserstandes
verzeichnet
Beide Erscheinungen mit einem im Stillen Occan zwischen beiden
Kontinenten stattgehabten Seebeben in Zusammenhang zu bringen, liegt nicht
allzu fern.
Vielleicht wird noch weiter eingehendes Material nähere Aufschlüsse
schaffen.
Das Polarlicht
von Privatdozent Dr. Bernhard Weinstein in Berlin.
II.
In dem ersten Artikel über die Polarlichter haben wir die Erscheinung
als solche beschrieben; die Mannigfaltigkeit der Formen und Bewegungen, die
Eigenartigkeit der Lichtentfaltungen und die Besonderheiten in der räumlichen
Vertheilung des Phänomens haben daselbst ihre Darlegung gefunden. Der
nachfolgende Aufsatz enthält zunächst noch einige Abbildungen besonders
charakteristischer Polarlichterscheinungen ; Fig. 5 entstammt wie in der vorauf-
gehenden Abhandlung Fig. 2 und 3 mit Ausnahme des landschaftlichen Bei-
werks der daselbst hervorgehobenen Arbeit Kochs; Fig. 6 und 7 sind nach
von Tromholt aufgenommenen Photographieen hergesteilt. In der weiteren
Behandlung der Wunder dieser Lichter haben wir die Gesetzmäfsigkeiten der-
selben in der zeitlichen Folge, die Perioden, dnrzuthun und zum Theil den
■) Annalen der Hydographie und Maritimen Meteorologie. 18S& Heft XI.
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361
merkwürdigen Zusammenhang zu enthüllen, in welchem dieselben mit andern,
anscheinend von ihnen ganz verschiedenen Naturphänomenen stehen.
Wir nennen eine Erscheinung periodisch, wenn dieselbe in gewissen
Zeitabschnitten immer wiederkehrt In diesem Sinne sind die Phasen des
Mondes und der untern Planeten, der Stand der Gestirne am Himmelszelt, die
Jahreszeiten der Erde und vieles ändert» naheliegende periodische Erscheinungen.
Da eine und dieselbe Erscheinung nicht immer durch nur eine einzige Ursache
hervorgerufen wird und zudem, wie die Erfahrung lehrt, jede Erscheinung von
andern Erscheinungen vielfach bccinllufst werden kann, sind die Perioden der
Naturphünomene selten einfacher Art Zunächst kann eine Erscheinung mehren»
verschiedene Perioden aufweisen, indem etwa verschiedene Ursachen dieselbe
nach verschiedenen Zeitabschnitten regeln. So sind die scheinbaren Oerter
der Gestirne am Himmel bestimmt einmal durch die tägliche Drehung der Erde
um ihre Axe, dann durch die jährliche Bewegung der Erde um die Sonne,
ferner durch das Forteilen des ganzen Sonnensystems durch den Raum, endlich
noch durch die eigenen Bewegungen der Gestirne selbst, und so würden die
Veränderungen dieser Oerter vierfach oder mehrfach periodisch sein. Die ver-
schiedenen Perioden lagern sich übereinander und geben von dem Gang der
Erscheinung ein Bild, in welchem die einzelnen Züge nur schwer zu erkennen sind.
Oft kommen aber noch Modifikationen durch besondere Verhältnisse und
Vorgänge hinzu, wodurch auch eine und dieselbe Periode anscheinend ver-
ändert wird und ihre Zeitabschnitte verschieden lang werden. —
Dann wieder können besondere Beeinflussungen und plötzlich auftrotende
Vorgänge so stark werden, dafs sie das periodisch Hcgclmäfsige völlig verdecken
und als Störung der RegelraUfsigkeit erscheinen. Indem alles in der Natur
sich iueinanderwebt, dürften freilich auch die gegenseitigen Störungen ihrer
Prozesse bestimmten Gesetzen unterworfen sein und in gewisser Ordnung ein-
ander folgen. Wirklich ist es auch «lern schematisirenden Menschengeiste viel-
fach gelungen, solche Störungen an eine gewisse Zeitfolge zu fesseln und wenn
auch nicht in den Einzelheiten, so doch im Gesummtcharakter in bestimmte
Perioden einzureihen. Dementsprechend werden wir bei den Polarlichtern
nur von Perioden sprechen; bei vielen andern Erscheinungen ist jedoch noch
jetzt die Trennung der regelmäfsigen stetigen Perioden von den plötzlich ein-
tretendeu sogenannten Störungen angebracht.
Der periodische Wechsel der Polarlichter betrifft deren Häufigkeit, Ent-
faltung an Formen, Bewegungen, Leuchtkraft und Gröfse sowie räumliche
Ausdehnung. Nach den bis jetzt vorliegenden Erfahrungen scheinen alle diese
Verhältnisse, vielleicht die eigentliche Heimat!) dieser Lichter ausgenommen,
überall miteinander auf das engste verbunden zu sein. Machen sich Polar-
lichter besonders zahlreich bemerkbar, so steigen sie auch zu hohem Glanz
empor und erreichen oft eine außerordentliche Verbreitung, so dafs sie selbst
in niederen Breiten gesehen weiden. Wir dürfen darum, so oft von Polar-
lichtern in südlichen Ländern erzählt wird, überhaupt auf besonders grofse
Entfaltungen dieser Erscheinungen schliefsen. Von diesem Gesichtspunkte
ausgehend hat zuerst Mai ran in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
die Nachrichten der Schriftsteller aus dem Altorthume und dem Mittelalter
über in Kleinasien, Nordafrika, den süd- und mitteleuropäischen Ländern ge-
sehene Lichter, gesammelt und dabei gefunden, dafs in der Thal ein regel-
mäfsiger Wechsel in der Entfaltung der Polarlichter zu bemerken ist. Wir
geben eine Zusammenstellung in der Erweiterung und Bearbeitung von Fritz,
sie ist sehr lehrreich und wird für den Leser nicht ohne Interesse sein.
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Demnach waren Jahre besonders starker Polarlichter
v. Chr.: 503, 443, 350, 208, 103, 43,
n. Chr.: 14, 194, 3:>7, 451, 50*2, 616, 676, 742, 807, 860, 026, 992, 1117,
1203, 1306, 1401, 1521», 1738, 1848.
Die Lichter von 443 v. Chr. sollen in Athen den Himmel 70 Tage lang
glühend erhalten haben, die von 350 sc heinen Aristoteles seine reichen Kennt-
nisse über die Polarlichtformen verschafft zu haben; aus den Jahren 14—37
wird uns gemeldet, dafs der Himmel in Rom so geglüht habe, dafs man einmal
eine Feuersbrunst in Ostia vermuthete und die Cohorten sie zu löschen sandte;
das Licht von 502 wurde bis nach Edessa in Mesopotamien hin gesehen, das
von 1117 erregte in Palästina Schrecken.
Fig. 5. Polarlicht nach Koch.
Selbstverständlich werden in der obigen Zusammenstellung nicht wenige
durch Polarlichtentfaltung ausgezeichnete Jahre fehlen; die kritische Bearbei-
tung durch Fritz und andere hat gezeigt, dafs man aus denselben auf eine
etwa 56jährige Periode schliefsen darf, ln durchschnittlich 56 Jahren stehen
immer Polarlichter besonderer GrÖfse und Entfaltung zu erwarten. Fritz möchte
neben dieser Periode noch eine gröfsere von 220 Jahren gelten lassen, welch«
das Erscheinen der Lichter gröfster Bedeutung und weitester Verbreitung
regeln würde. Wir werden später sehen, von welchen Verhältnissen diese als
säeular bezeichneten Perioden abhangen und welche Wahrscheinlichkeit
namentlich der zweiten von ihnen zukommt.
Die säeularen Perioden sind, um mich so auszudrücken, unbewufst gefun-
den worden, sie ergaben sich, als man die vorhandenen Nachrichten zusam-
meiistellte. Die nunmehr zu erwähnenden hat man nach bestimmten Gesichts-
punkten gesucht und gefunden.
Es wird für das Verständnifs des Folgenden gut sein, hierauf mit einigen
Worten einzugehen.
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Mit der Festsetzung einer Periode für eine Erscheinung haben wir zu-
nächst nichts Anderes erlangt, als die Erkenntnifs, dafs innerhalb gewisser
Zeitabschnitte besondere Ursachen wirksam sind, welche die betreffende Er-
scheinung hervorrufen und regeln. Unsere nächste Aufgabe wäre dann, nach
diesen Ursachen selbst weiter zu forschen und ihre Art aufzudeeken. In dieser
Weise hat die Wissenschaft vielfach, namentlich bei stetigen Erscheinungen,
gearbeitet. Wir können aber auch den entgegengesetzten Weg einschlagen,
erst Ursachen aufsuchen, welche die betreffende Erscheinung zu beeinflussen
vermöchten, und dann Zusehen, ob der Wechsel der Erscheinung dem Wechsel der
supponirten Ursachen folgt. Dieses Verfahren ist ohne weiteres als berechtigt an-
zuerkennen, sobald wir über die Art der möglichen Beeinflussung im klaren sind,
die Natur der Ursachen und die Wirkungen derselben erkannt haben. Zweifel-
haft scheint der Werth der Methode, wenn wir nur das Vorhandensein einer
Ursache vermuthon können und weder von deren Natur noch von deren Wir-
kungen etwas auszusagen vermögen. Da wir jedoch weder mit allen Erschei-
nungen im Weltall vertraut sind, noch auch die Wechselwirkungen der Kräfte
und Vorgänge ganz schon durchschaut haben, also in Bezug auf Erfolg oder
Nichterfolg nichts voraus behaupten dürfen, können wir von diesem Verfahren
immerhin Gebrauch machen, selbst wenn wir von der vermutheten Ursache
nichts weiter kennen als deren vorausgesetzte Periode. Führt dasselbe zu
irgend einer neuen Erkenntnifs in Bezug auf die betreffende Erscheinung,
dann dürfen wir hoffen, dieselbe weiterhin auch zur Nachweisung und Er-
forschung der supponirten Ursache verwerthon zu können. In der Thal hat
dieses Verfahren zumal in der Meteorologie, Geophysik und Astrophysik reiche
Früchte getragen.
Wenn es sich nun um Vorgänge auf der Erde handelt, dann sind wir
gewohnt, nach dem Sitz der Ursachen derselben zunächst auf der Sonne zu
suchen; die einfachsten Erfahrungen zeigen ja, wie sehr unser ganzer Erdball
von der gewaltigen Beherrscherin und Lenkerin unseres engeren Steriisystems
abhängig ist. Da indessen alle Wellkörper sich gegenseitig beeinflussen wer-
den, hat man das Augenmerk auch auf den Mond gerichtet; was diesem unse-
rem Trabanten an Masse und Thätigkeit abgeht, ersetzt derselbe zum grofsen
Theil durch die für kosmische Verhältnisse bedeutende Nahezu uns; sind doch
unsere Landleute noch jetzt zuin Theil überzeugt, dafs der Mond mit das
Wetter regiert. Man könnte auch noch die Planeten und in letzter Instanz
die Fixsterne heranziehen. Den Einflufs der erste ren auf irdische Vorgänge,
wenn auch nicht im Sinne der Astrologen, nachzuweisen, ist neuerdings viel-
fach versucht worden; in die weiten Fernen der Fixsterne zu schweifen, um
dort nach Ursachen für Vorgänge auf unserer, im Verhältnifs zu diesen Fernen
so unendlich winzigen Erde zu forschen, hat noch keinen rechten Werth.
Für die Polarlichter kommt einstweilen nur die Sonne in Betracht; den
Einflufs des Mondes und einiger Planeten auf dieselben hat man vielfach
ebenfalls erkennen zu müssen geglaubt, aber die Ergebnisse sind so unsicher,
dafs von einer Wiedergabe derselben vorläufig abgesehen werden mufs. Wir
werden den Leser von etwaigen neueren Untersuchungen, sobald dieselben
festere Gestalt gewinnen, wenn die Zeit kommt, unterrichten.
Sind nun auf der Sonne irgend welche Ursachen für Vorgänge auf der
Erde vorhanden, so wird die Intensität dieser Vorgänge von der Intensität der
Ursachen abhängen; variirt die letztere, so wird auch die erstere wechseln.
Nicht minder aber mufs sie durch den Abstand der Erde von der Sonne und
durch die Richtung, nach welcher die betreffende Ursache wirkt, bedingt sein.
Wir haben so zwei Kategorien der durch die Sonne hervorgerufenenen Vor-
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gütige auf der Erde, ein Theil hängt ab von dem etwaigen Wechsel der Er-
scheinungen auf der Sonne, der andere von der Lage der Erde und ihrer
einzelnen Orte in Bezug auf die Sonne.
Fig. t> u. 7. Facsimilcs von Polarlicht-Photographieen von Tr om holt
Ein Wechsel in der Wirkungsweise der Sonne kann entstehen, wenn auf der
Sonne seihst irgend welche Prozesse sich abspielen. Es ist aber bekannt, dafs
die Sonne eine ganz aufserordentliche Thätigkeit entfaltet. Welcher Art diese
Thätigkeit ist, das zu erkunden, ist uns bis jetzt nur in sehr bescheidenem Mafse
gelungen; die Folgen dieser Thätigkeit treten jedoch auf der Sonne selbst klar
zu Tage. Wir sehen auf ihr mächtige, durch besonderen Glanz hervorragende,
entstehende und vergehende Lichtgebilde, die wir als Fackeln bezeichnen.
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Im Gegensatz zu diesen Flammenerscheinungen treten daneben ausgedehnte
dunkle Flecken auf, die bald in grofsor, bald in geringer Zahl vornehmlieh
gewisse Zonen zu beiden Seiten des Sonnenäquators ausfüllen, sich stetig oder
sprungweise bewegen, bald thcilen, bald vereinigen und nach einer mehr oder
minder langen Dauer spurlos vergehen. Dann wieder brechen glühende Gase
hervor und erscheinen als Feuerfontänen, die mitunter bis zu Hunderttausend
und mehr Kilometer von der Sonne aufsteigen, oder als in rosenrother Farbe
leuchtende Wolken enden, und, weil wir sie am Rande der Sonne und als
Hervorragungen beobachten, den unschönen Namen Protuberanzen er-
halten haben.
Es hat sich nun das auffallende Resultat heruusgestellt, dafs diese Sonnen-
thätigkeit durchaus keine ungeregelte ist. Aus den vorliegenden, mehr als zwei
Jahrhunderte umfassenden Aufzeichnungen über die Zahl und Ausdehnung der
Sonnenflecke hat sich, zuerst in voller Deutlichkeit durch Wolf in Zürich, ergeben,
dafs die Productivität der Sonne an Flecken in einem Intervall von 11 Jahren
etwa zimimmt und fällt. Mit den Flecken aber scheinen Fackeln und Protu-
beranzen in inniger Verbindung zu stehen, so dafs wir wohl einige Berechti-
gung haben, überhaupt für das Anwachsen und Abnehmen der Sonnenthütigkeit
diese Periode im Mittel von 1 1 Jahren anzusetzen. Wodurch diese Periode veran-
lagt wird, wissen wir nicht, dafs aber eine solche die Intensität der Vorgänge
auf der Sonne im Durchschnitt regelt, scheint nicht mehr bezweifelt werden
zu können.
Suchen wir jetzt eine solche Periode auch bei den Polarlichtern, so zeigt
sich, dafs in der That auch hier der Zeitabschnitt von 1 1 Jahren eine besondere
Rolle spielt. Wolf und Fritz haben das für niedere und mittlere Breiten
unzweifelhaft dargethan, für die Polarregionen hat es Fritz wahrscheinlich zu
machen gesucht. Alle 11 Jahre durchschnittlich haben wir bedeutendere Polar-
lichter zu erwarten; statt vieler Zahlen reproduciren wir nach Lemström eine
Zeichnung von Loomis, welche als graphische Darstellung des Ganges sowohl
der Polarlichter als der Sonnenflecken dienen soll. Die obere Curve versinn-
bildlicht das Anwachsen und Abfallen der Häufigkeit und Ausdehnung der
Polarlichter, die untere das der Sonnen flecken, und zwar in dem Zeitraum von
1777 bis 1872. Man sieht, dafs jedem Gipfel in der einen Curve ein Gipfel in
der andern deutlich entspricht, so dafs in der That dio 11jährige Periode der
Sonnenflecken sich in den Polarlichtern wiederfindet. Die Gipfel der Polar-
lichtcurvo sind gegen die der Fleckencurve ein wenig nach rechts verschoben,
die gröfste Entfaltung «1er Polarlichter würde hiernach etwa ein Jahr nach der
gröfsten Fleckenentwickelung stattfinden. Inwiefern das in der Natur der
Sache begründet ist. läfst sich noch nicht sagen, Fritz, der auch selbst ent-
sprechende Curven gezeichnet hat, möchte diese Discordanz als eine nur schein-
bare angesehen wissen, weil Polarlichter erst dann eifrige Aufmerksamkeit
erwecken, wenn sie schon zu bedeutender Entfaltung und Ausbreitung gelangt
sind, wogegen dio Registrirung der Flecken auf der Sonne wenigstens in
unserem Jahrhundert viel stetiger geschieht
Dio zuerst behandelte Periode der Polarlichter ist ziemlich genau fünf-
mal so grofs wie die 11jährige; man könnte hieraus schliefsen, dafs auch für
die Thätigkcit der Sonno der Cyclus von 56 Jahren von Bedeutung sein dürfte;
indessen reichen die bis jetzt vorliegenden Beobachtungen über die Verände-
rungen auf der Sonne nicht hin, denselben mit Sicherheit nachzuwcisen. Noch
viel weniger sind wir natürlich im Stande, bei noch längeren Perioden wie etwa
bei der von Fritz vermuthoten von 220 Jahren uns nach Erklärungen auf der
Sonne umzusohen.
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Sicherlich giebt ea aber in der Sonnenthätigkeit kürzere Wechsel als
die in je 11 Jahren sich vollziehenden, denn wegen der Komplikation der einzelnen
Vorgänge darf man nicht erwarten, alle Veränderungen in einfacher Folge
aich abspielen zu sehen. In der That variirt auch der Anblick der Sonne fast
von Tag zu Tag; namentlich die Protuberanzen bilden ein sehr variables
Element: so rasch wie sie entstehen, vergehen sie wieder, und in Bezug auf sie
mögen so kurze Perioden wie von .*1 oder 4 Tagen wohl vorhanden sein. Bei
andern Erscheinungen auf der Erde vermag man denn auch die Korresponde nz
mit der Intcusität der Sonnenthätigkeit genauer und selbst in Einzelheiten zu
verfolgen; die Polarlichter mögen sich ebenfalls den Vorgängen auf der Sonne
anschmiegen, aber es läfst sich darüber nichts Besonderes aussagen; die Gegenden,
in welchen die Polarlichter genau verfolgt werden könnten, sind zu arm an
diesen Erscheinungen, die Heimath derselben wieder liegt zu fern allen Kultur-
ländern und bietet darum nur von Zeit zu Zeit und vereinzelten kühnen Forschern
Gelegenheit zu sorgfältigeren Aufzeichnungen. Zudem ist die vergleichende
Beobachtung der irdischen und solaren Vorgänge nur wenige Jahrzehnte alt
Doch sei hervorgehoben, daß in der an gewaltigen Polarlichtern so reichen
Epoche vom 28. August bis 3. September des Jahres 1850 nach der Versicherung
vieler Beobachter auf der Sonne so mächtige Flecken sich entwickelt hatten,
dafs dieselben mit blofsem Auge haben gesehen werden können. Ja es werden
von dieser Zeit Erscheinungen auf der Sonnenoberfläche berichtet, welche
durchaus auf eine ungewöhnliche Heftigkeit der Vorgänge daselbst Hinweisen.
So führt hier die Untersuchung einer anscheinend abstrusen zahlenmäßigen
Beziehung zu einer Einsicht in die wunderbare Verbindung zwischen zwei so
weit entfernten Körpern. Die Erde ist von der Sonne aus gesehen so winzig,
dafs sie daselbst nur als ein Stern erscheinen würde, und doch geschieht, wie
wir auch noch aus vielen andern Forschungen wissen, kaum etwas auf der
Sonne, was nicht hier seinen Widerhall fände. Doch scheint es, als ob für die
Polarlichter die Verhältnisse wenig einfach liegen. Aus einer Untersuchung
vornehmlich in Grönland gemachter Beobachtungen über diese Lichter glaubt
T romholt schlictsen zu müssen, dafs nur in mittleren und niederen Breiten
einem Anwachsen der Sonnenthätigkeit eine Zunahme der Polarlichter ent-
spricht, in hohen Breiten soll dagegen die Zahl der Polarlichter abnehmen,
wenn die der Sonncniiecke ansteigt. Die Deutung dieses Gegensatzes polarer
Gegenden zu gemäßigten Zonen werden wir bald zu besprechen haben.
Die zweite Art von Verbindungen zwischen der Sonne und den Polar-
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lichtem hängt, wie bemerkt, von der Lage der Erde im ganzen und ihrer
einzelnen Orte gegen die Sonne und deren einzelne Theile ab. Diese Lage ist
bestimmt durch die Bewegung der Erde und der Sonne. Bei der Sonne haben
wir allein deren Drehung um ihre Axe zu berücksichtigen, denn an der Fort-
bewegung durch das Weltall nimmt die Erde in gleichem Mafse theil.
Die Rotation der Sonno ist durch Beobachtung der scheinbaren Ver-
schiebung gewisser Gebilde auf ihrer Oberfläche bestimmt; liegen diese Gebilde
auf der Sonne selbst fest, so kann diese Verschiebung nur aus einer Drehung
der Sonno erklärt werden. Bewegen sie sich daselbst, so bestimmen wir frei-
lich die Drehung zusammen mit dieser Eigenbewegung der Gebilde, indessen
kann die Eigenbewegung durch Häufung der Bestimmungen an möglichst vielen
Gebilden und unter den verschiedensten Verhältnissen zum Theil elirainirt
werden. Nur der Theil der Eigenbewegung bleibt mit der Drehung verbunden,
welcher allen Gebilden gemeinsam ist und etwa in einer gewissen Strömung
nach einer bestimmten, für alle Gebilde gleichen Richtung besteht. Es scheint,
als ob gerade diejenigen Gebilde, welche man vornehmlich zur Bestimmung
der Rotation der Sonne benutzt hat, die Flecken, solchen Strömungen nach
einer Richtung unterliegen, denn man fand bei dieser Bestimmung, dafs die
Sonne nicht wie die Erde als ganze Masse sich um ihre Axe dreht, sondern
mit von ihrem Acquator zu ihren Polen abnehmender Winkelgeschwindigkeit,
ln der neueren Zeit hat Wilsing, vom astrophysikalischen Observatorium zu
Potsdam, die Rotation aus andern Gebildon, den Fackeln, berechnet und ge-
funden, dafs dieselbe für die ganze Sonne die nämliche sei; weitere Unter-
suchungen müssen in diese schwierigen Verhältnisse Klarheit bringen. Als Zahl für
die Dauer einer Rotation der Sonne um ihre Axe, also wenn wir uns auf irdische
Verhältnisse beziehen, für die Länge eines Sonnentages, können wir vorläufig
etwa 25 7, Tage annehmen. Mafsgebend für irdische Vorgänge kann aber nicht
diese wirkliche Dauer sein, denn indem die Erde sich um die Sonne nach genau
derselben Richtung dreht wie letztere um ihre Axe, folgt sie gewissermafsen
jedem Punkte der Sonne nach und dadurch erscheint die Drehung der Sonne
etwa um anderthalb Tage verlangsamt und steigt für uns zu gegen 27 Tagen an.
Suchen w ir also in den irdischen Vorgängen nach einer von der Rotation
der Sonne abhängigen Periode, so haben wir uns an die Zahl von etwa 27
Tagen zu halten. Nach dieser Periode ist in der neueren Zeit viel geforscht
worden; nachdem sie Hornstein und Müller für die Veränderungen des
Erdmagnetismus glaubten nachgewiesen zu haben, ist dieselbe von dom Leiter
des preussischen meteorologischen Instituts, Wilhelm v. Bezold, für die Ge-
witterhäufigkeit in Deutschland sehr wahrscheinlich gemacht.1) Bei den Polar-
lichtern würden wir auch zu gröfserer Sicherheit gelangen, wenn wrir aus der
Heimath derselben gröfsere Reihen fortlaufender Beobachtungen besäfsen.
Die im ersten Artikel hervorgehobenen Aufzeichnungen Kochs in Nain sprechen
nicht für die Existenz einer solchen Periode.
Aber hier und überhaupt bei allen Perioden, welche nur geringe Schwan-
kungen in der Intensität der Erscheinung bestimmen, können gesicherte
Schlüsse nur aus Beobachtungen, welche viele Jahrzehnte umfassen, gezogen
werden. Denn wie kaum bei einer anderen Naturerscheinung ist die Beob-
achtung der Polarlichter durch eine Menge von Nebenumständen beeinflufst,
welche mit dem Phänomen selbst in gar keinem Zusammenhang zu stehen
brauchen. Den bedeutendsten Faktor bildet der Zustand der Atmosphäre,
Wolken hindern natürlich die Beobachtung; dann kommt die Erhellung des
•) Siebs darüber Heft 1 dieser Zeitschrift 8.58 u. 59.
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Himmels durch Sonne oder Mond, und diese letztere kann, weil sie ausge-
sprochen periodischen Charakter trägt, zur Annahme unrichtiger Perioden für
dos Polarlicht führen.
Unterweger hat nach dem Katalog der Polarlichter von Fritz die
während mehrerer Jahrhunderte gesehenen Lichter für die einzelnen Tage des
Jahres zusammengestellt; er glaubt aus seinen Zahlen mit Fritz eine Zu- und
Abnahme im Laute von etwa *27 Tagen wirklich entnehmen zu können; ich
gestehe aber, dafs mir sein Schlüte auf diese Periode nicht ganz gerechtfertigt
erscheint Die Länge des Zeitabschnittes zwischen den Tagen gröfster Häufig-
keit von Lichten» variirt so stark, dafs die Annahme einer viel kürzeren Periode,
vielleicht, wie Zenger aus Prag es zuerst vorgeschlagen hat, einer solchen, die
nur die halbe Dauer der Sonnenrotation umfafat, mehr am Platze sein dürfte. Hier
kann ich dem Leser kein fertiges Resultat vorlegen, zukünftige Bearbeitungen,
die auch nach etwas anderen Prinzipien, als es bisher geschehen, auszufiihreu
sein würden, müssen die noch fehlende Klarheit bringen.
Von den Bewegungen der Erde kommt zunächst der jährliche Umlauf
derselben um die Sonne in Betracht. Der Eintlute dieser Bewegung kann ein
doppelter Bein. Zunächst ist die Erde der Sonne im Winter näher als im
Sommer, etwaige Kraftwirk ungen der Sonne werden sich also, wenn es auf
der Nordhalbkugel Winter ist, stärker äufsorn, als wenn daselbst Sommer
herrscht. Dann bringt dieser Umlauf, weil die Axo der Erde schief zu der
Bahnebene steht, den Wechsel der Jahreszeiten hervor, die Strahlen der Sonne
treffen die nördliche Halbkugel im Winter viel schräger als im Sommer. Die
Wirkung unseres geringeren Abstandes im Winter von der Sonne scheint sich
darin zu zeigen, dafs für die ganze Erde im Halbjahr Oktober bis März mehr
Polarlichter erscheinen als in dem von April bis September. Für die nördliche
Hemisphäre ist das Ueberwicgen der Polarlichter während der Wintermonate
wohl keinem Zweifel unterworfen; aus der südlichen Hemisphäre besitzen wir
allerdings nur wenige Hundert von Aufzeichnungen, aber diese sprechen deut-
lich dafür, dafs auch dort zu derselben Zeit die Zahl der Polarlichter ansteigt
wie bei uns. Wir werden die obige Behauptung noch ein wenig sicherer
stellen, wenn wir sie auf diejenigen Polarlichter beschränken, welcho allge-
meinere Bedeutung haben, namentlich also nicht rein lokal sind. Die Er-
fahrung hat, worauf wir besondere von Fritz aufmerksam gemacht sind,
deutlich genug darauf hingewiesen, dafs mit gröfseren Polarlichtentfaltungen
auf der Nordhalbkugel solche auf der Südhalbkugel verbunden zu sein pflegen.
Diese Erfahrung über das Zusammengehen der Nordlichter mit den Süd-
lichtera stellt mit einer anderen Thalsache in enger Verbindung, dafs nämlich
weitere Jahresepochen in Bezug auf Polarlichthäuligkeit in mittleren und nie-
deren Breiten, die eben in Bezug auf grofse Lichter zumeist in Frage kommen,
in solche Tage fallen, in welchen dio Sonne zu beiden Hemisphären die
gleiche Stellung einnimmt. Die Zahl der Polarlichter erreicht in unsere
Breiten um die Frühlings- und Herbst-Tag- und Nachtgleiche ihren höchsten
Betrag, und sinkt um die Winter- und Sommer-Sonnenwende. Je mehr man
sich der eigentlichen Heimath der Polarlichter nähert, desto mehr scheinen
dieselben lokalen Charakter zu tragen; nach eingehenden Untersuchungen
von Fritz, Tromholt und Anderen sollen sich die beiden Jabresinaxima
mehr gegen dio Wintermitte schieben und in ganz hohen Breiten zu einem
einzigen auf den Januar fallenden Maximum vereinigen. Es sei aber hervor*
gehoben, dafs noch in Kochs fast mitten im Gürtel gröfster Polarlichthäufig*
keit durch nahezu ein Jahr und fortlaufend Angestellten Beobachtungen, ganz
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deutlich zwei differente Maxima hervortreten, die allerdings nicht auf die Tag-
und Nacbtgleichen fallen, vielmehr etwas der Wintermitto zuneigen, aber nicht
so sehr, als man es nach manchen Behauptungen erwarten sollte.
Endlich haben wir noch die kürzeste aller Perioden zu betrachten, die
durch die Drehung der Erde um ihre Axo veranlagte tägliche. Diese kann
offenbar nur lokale Bedeutung haben, denn durch die Rotation der Erde werden
eben nur die Stellungen der einzelnen Punkte zur Sonne verändert. Waren
also die bis jetzt behandelten Perioden universellen Charakters und hingen
demzufolge von der absoluten Zeit ab, so kann unter der täglichen Periode
nur eine solche verstanden werden, welche für jeden Ort einen von dessen
lokaler Zeit (Ortszeit) abhängigen Wechsel in der Erscheinung begrenzt. Man
sollte meinen, dafs die täglicho Periode der Polarlichter die bestbekannte
ist, das ist aber durchaus nicht der Fall, auch hier macht sich der Mangel
Jahre umfassender Beobachtungen in den Polarzonen empfindlich geltend.
Alles, was wir sagen können, ist, dafs in unseren Breiten die Polarlichter vor-
wiegend in den ersten Nachtstunden und ersten Morgenstunden sich zeigen,
um Mitternacht dagegen seltener auftreten. In den hohen Breiten sollen gerade
die Mitternachtstunden die ausgiebigsten sein. Indessen wird wahrscheinlich
wieder zwischen Lichtern allgemeiner Bedeutung und solchen örtlichen
Charakters unterschieden werden müssen. Leider reichen die Angaben nicht
hin, eine solche Unterscheidung durchzuführen. Da wir die Polarlichter am
Tage überhaupt nicht sehen können, mufs selbstverständlich die gröfste Häufig-
keit derselben für uns auf die Nachtstunden fallen; es ist aus den verschie-
denen Beobachtungen auch leicht zu entnehmen, dafs die Stunde gröfster
Häufigkeit bei uns sich umsomehr der Mitternacht nähert, jo länger die Tage
werden, das heifst, je mehr das Sonnenlicht uns hindert, anderes Licht zu er-
kennen. Darum vermögen wir über den Gang der Polarlichter zumal während
der Tagesstunden nichts anzugeben; andere, mit den Polarlichtern auf das
engste verbundene Erscheinungen lassen, worauf später zurückzukommen sein
w'ird, darauf schliefsen, dafs Polarlichter am Tage so gut vorhanden sein
können, wie in der Nacht.
Wir haben damit den Cyclus der genauer untersuchten und weniger
streitigen Perioden des Polarlichts durchlaufen, und müssen nun auf eine Be-
merkung zurückkommen, welche bei Gelegenheit der Darlegungen über die
elfjährige Periode gemacht ist. Wir sahen dort, daTs nach Tromholts Unter-
suchungen die Bedeutung der elfjährigen Periode in den Polarregionen sich
gegen die in den mittleren und niederen Breiten gerade umkehrt Obgleich
dieses Resultat noch keineswegs gesichert erscheint, denn Fritz z. B. hat
einen solchen Gegensatz der arktischen Zono gegen die anderen Zonen nicht
ableiten können, sind doch dio Ergebnisse, zu welchen dasselbe nach Tröm-
holt führen würde, von hohem Interesse. Um nämlich einen Grund für eine
solche Erscheinung zu finden, nimmt Tr om holt an, dafs die Zone gröfster
Häufigkeit der Polarlichter ihre Lage im Laufe der Jahre ändert; sie soll
wenigstens südlich von Grönland, in der elfjährigen Periode abwechselnd nach
Süden und Norden wandern; wenn die Thätigkeit auf der Sonne am stärksten
ist, schreibt ihr der genannte Forscher ihre südlichste Lage zu; die nördlichste
soll sie erreichen, wenn auf der Sonne am meisten Ruhe herrscht. Da nun
Grönland im allgemeinen oberhalb dieser Zone liegt, so wird letztere von diesem
Lande am weitesten abstchen , und dementsprechend werden sich daselbst die
wenigsten Polarlichter zeigen zu einer Zeit, wo in mittleren und niederen
Breiten zum Theil auch wegen der Annäherung dieser Zone gerade häufige
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Polarlichter auftreten, und umgekehrt: indem sie sich nach Norden zieht, ge-
winnt Grönland an Polarlichtern, während die südlichen Regionen daran Ein-
buße erleiden.
Was von der Zone größter Häufigkeit gilt, wird natürlich überhaupt für
ulle Isochasmen Bedeutung haben, hiernach wird das System dieser Linien
gleicher Polurlichlhäußgkeit in einer elfjährigen Periode hin- und her-
wandern. Ob sich diese Linien dabei aus weiten und zusammenziehen
oder sieh zugleich auf der Erdoberfläche verschieben, läßt T romholt
unentschieden. Die Hypothese, welche des weiteren noch auf viel kürzere
Perioden, auf die jährliche und tägliche Periode, ausgedehnt wird, und
mit welcher T romholt anscheinend überhaupt den Wechsel in den Polar-
lichtern erklären zu können glaubt, ist sehr sinnreich; über ihre Be-
rechtigung oder Nichtberechtigung lüfst sich aber nichts Voraussagen. Daß
die Isochasmen keine ganz starren Gebilde sein können und irgend welche,
vielleicht Jahrhunderte beanspruchende Veränderungen durchmachen werden,
ist aus den gewaltigen Umwälzungen zu schliefsen, welche der Erdmagnetismus
im Laufe der Zeit erleidet, zu dem ja die Polarlichter in so enger Verbindung
stehen.
Gesetz und Ordnung herrschen in allen Vorgängen der Natur, aber wir
sind nicht immer im stände, sie herauszuerkennen; sowohl die außerordent-
liche Zahl dieser Vorgänge, als die engen Beziehungen, welche zwischen
denselben unverkennbar vorhanden sind, erschweren die Trennung ins Einzelne
und verwickeln die Bearbeitung derartig, dafs wir fast bei jeder Erscheinung
nach den verschiedensten Richtungen zu forschen haben, ehe unserem
geistigen Drang nach Kausalität einigermafsen Genüge geschehen ist Der
Leser darf sich darum nicht wundern, wenn in den voraufgehenden Dar-
legungen nicht alles als fest und gesichert hingestellt werden konnte, wenn
selbst aus Tausenden von Beobachtungen nur zaghafte Schlüsse gezogen wurden.
*
Zur Theorie der Gehirgsketten-Bildung infolge der Säkular- Ab-
kohlung der Erde. Die neuere Wissenschaft, angebahnt durch die Arbeiten
von Dana, Le Conte, Mailet, Favre, Heim und Suess erklärt die Bildung der
Massen- und Kettengebirge im Gegensatz zu der älteren Hcbungs- und Senkungs-
theorie durch eino horizontal wirkende Schubkraft, welche die oberflächlichen
Schichten des Erdballs in früheren Epochen seiner Bildung in Faltungen ge-
legt hat Nicht nur durch geologische Untersuchungen, namentlich der Alpen
und nordamerikanischen Kettengebirge, hat diese Vorstellung in den letzten
Dezennien einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit erlangt, sondern sie hat
auch durch äußerst sinnreiche Vorrichtungen unmittelbare Bestätigung im
Laboratorium des experimentirenden Physikers gefunden. So wurde schon
1813 durch Hall auf experimentellem Wege dio seitliche Ztisammonpressung
der Gebirge erwiesen, und neuerdings sind Versuche dieser Art in vollkom-
menerer Weise von A. Favre wiederholt, welcher sich hierzu einer ausgedehn-
ten Kautschukplattc bediente, auf der mehrere Schichten plastischen Thones
ausgebroitet waren, die durch Kontraktion der Platte auf zwei Drittel ihrer
Länge gefaltet wurden. In noch gröfserer Mannigfaltigkeit sind solche Ver-
suche auch von Daubrtfev dem durch seine Experimentalgeologie rühmlichst
bekannten französischen Geologen, mit einem aufgeblähten Kautschuk ball on,
der mit einer wenig elastischen Hülle von erhärteter Gelatine umgeben war.
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ausgefiihrt worden. Die dadurch in der Thonschicht, bezüglich in der Gelatine
hervorgebrachten Formen und Erscheinungen zeigten durchaus analogen
Charakter mit den in Gebirgen beobachteten Faltungen.
Wenn aber auch der Experimentalbofund und eine jede neue Lokal-
durchforschung der Gebirgsmassive frische Belege für dieso Anschauungsweise
beigebracht hat, so ist doch die Erkenntnifs der physikalischen Ursachen der
Faltungsvorgängo in der äusseren Erdrinde keineswegs im gleichen Mafse ge-
fördert, vielmehr zeigt ein noch hierüber stattßndender lebhafter Meinungs-
austausch unter den Geologen zur Genüge, dafs auf diesom Gebiete ein siche-
res Fundament noch nicht erreicht ist. Um so mehr wird man jeden Versuch
freudigst begrüfsen, welcher einen Fortschritt in dieser Beziehung auzubahnen
und auf sehr allgemeinen Grundlagen den Sachverhalt dieser Erscheinungen
durch mathematische Schlüsse klarzustellen bestrebt ist. Ein solcher liegt gegen-
wärtig von Charles Davison und von dom durch seine Bemühungen, kosmische
Probleme durch Rechnung der Lösung zu nähern, wohlbekannten englischen
Geophysiker G. H. Darwin vor („Ueber die Vertheilung der Spannungen in
der Erdrinde infolge der Säkularabkühlung mit besonderer Rücksicht auf den
Bau der Kontinente und die Formation der Gebirgsketten“, Phil. Trans, of
Lond., Vol. 178, Part I, p. 213, 1887).
Die neuere Theorie der Gebirgsbildung setzt im Anschluss an die Kant-
Laplacesche kosmogonische Hypothese voraus, dafs unser Weltkörper im Innern
einen durch Säkularabkühlung in Zusammenziehung begriffenen Kern besitzt,
und dafs diese Zusammenziehung in früheren Epochen stärker war als die-
jenige der äufseren Felsrinde. Da sich die Rinde also einst wie ein geschlos-
senes Gewölbe verhielt, mufste sich ihr nach dom Mittelpunkt hin wirkendes
Gewicht in einen seitlichen Tangentialdruck umsetzen, und an den schwächsten
Stellen des Gewölbes hierdurch ein Auswärtsweichen in Form einer Falte ein-
treten, d. h. ein Gebirgszug geschaffen werden.
Diese Vorstellung setzt aber die Möglichkeit einer stärkeren inneren
als äufseren Abkühlung unseres Weltkörpors voraus, und in der That
hat G. II. Darwin auf Grund der Formel, welche Thomson für die Säkularab-
kühlung der Erde aufgestellt hat, strenge bewiesen (Nature, Vol. 19, 1879,
p. 313), dafs die Schicht, in der bei festen Körpern die Abkühlung ihren
Maximalwerth erreicht, nicht an der Oberfläche, sondern in einer gewissen
Tiefe unter derselben liegt und im Verlaufe der Jahrtausende in eine
weitere, von der Leitungsfähigkeit abhängige Tiefe allmählich fortschreitet. Aus
diesen Untersuchungen ging wenigstens soviel hervor, dafs die Vertheilung
der Zug- und Druckkräfte im Erdball, wie sie aus der Säkularabkühlung ent-
steht, im groben und ganzen mit den Annahmen harmonirt, welche für die
Faltungstheorie nothwendig erscheinen. Davisons und Darwins neuere Arbeit
knüpft an diese Forschungsergebnisse an. Wie hierin gezeigt wird, können
Faltungen durch Tangentialschub nur bis zu einer gewissen Tiefe unter der
Erdoberfläche stattfinden, wo sie verschwinden; geht man dann weiter abwärts,
so werden die Faltungen durch Dehnungen der Erdmaterie infolge von Tan-
gentialspannungen ersetzt, und bei dem stetigen Uebergange von Druck in
Zug mufs in einer gewissen Tiefe eine Schicht existiron, die sich in neu-
tralem Zustande befindet, d. h. durch Säkularabkühlung keine Beein-
flussung erfahrt. Für die dynamische Geologie ist es aber von besonderer
Wichtigkeit, die Tiefe dieser Schicht, welche bei dem Favreschon Experiment
der Kautschukplatte entsprechen würde, festzustellen; denn aus der Mächtig-
keit der darüber liegenden Faltungszono wird man ja beurthoilen können,
ob die an der Oberfläche wahrgenommenen Unebenheiten in Hinsicht ihrer
Himmel und Erde. L 6. 27
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Grüße mit denjenigen vergleichbar sind, welche durch Auftreibungen und
Einsenkungen dieser Zone zu stände kommen konnten. Hei unserm Unver-
mögen, in größere Tiefen vorzudringen, ist keine Aussicht vorhanden, dafs
wir jemals durch direkte Anschauung uns von der Lage dieser neutralen
Schicht überzeugen werden, vielmehr läßt sich ihre Bestimmung nur auf dem
Wege eines Induktiousschlusses mit den Hülßmitteln erlangen, welche die
Kenntnirs der Warmeverthcilung und Wärmefortpflanzung in Körpern, speziell
im Erdkörper, an die Hand giebt
Wird die Temperatur der ursprünglich gluthflüssigen Erdmasso gleich
der Schmelzhitze der widerstandfähigsten Substanzen zu 4 000 Grad Cels.
und die bis zur Gegenwart verflossene Erstarrungszeit des Erdglobus, im An-
schluß an gewisse Untersuchungen von Sir William Thomson1), zu etwas
weniger als *200 Millionen Jahre angenommen, so erhält bei solchen Voraus-
setzungen Davison folgende Resultate (siehe Figur):
1. Faltungen durch Tan-
gcntialdruek gehen in Deh- 4er/'e*eA*
nungen durch Tangentialspan-
nung in einer Tiefe von 5 engl.
Meilen (8 km) über. Von dieser
Tiefe aufwärts wachsen die
Faltungen allmählich, bis sie
ihren größten Werth nahe an
der Erdoberfläche erreichen.
2. Dehnungen durch Tan-
gcntialspannu ng, die in einer
Tiefe von 400 M. (044 km) in-
folge des geringen Wärmevor-
lustes des Erdkerns von unab-
schätzbar kleinem Betrage sind,
werden von dieser Tiefe aus
nach dor Erdoberfläche hin zu-
nächst zunehmen. Ihren gröfs-
ten Werth erreichen sie bei
72 M. (116 km) Tiefe, das ist
gerade unter der Flüche stärkster Abkühlung, welche nur wenig tiefer liegt
Hierauf nehmen die Dehnungen wiederum ah und verschwinden ganz in einer
Tiefe von 5 M., wo also die spannungslose Schicht angetroffen wird.
3. Die spannungslose Schicht ist im Verlaufe der Jahrtausende einem
fortdauernden Wandel unterworfen, indem sie mit wachsender Zeit in immer
gröfsere Tiefen rückt, und muß daher in früheren Epochen der Bildungs-
geschiehte unseres Weltkörpers unmittelbar unter seiner Oberfläche gelogen
haben (sio ändert sich nahezu wie die (Quadratwurzel aus der Zeit, welche
seit der Erstarrung des Erdballs verflossen ist). In ähnlicher Weise verschiebt
sich auch die Fläche gröfster Abkühlung.
Die beschränkte Tiefe, in der auf Grund dieser Ergebnisse sich Rinden-
faltungen erstrecken, kann vielleicht als ein Argument gegen die Kontraktions-
theorie unter der Hypothese durchgehender Starrheit der Erde betrachtet
werden, insofern als anscheinend kein genügender Raum für die Anhäufung
von Sedimentärsehichtungen geboten ist, deren Mächtigkeit bei dom Alloghany-
T) Wonach di© ErsUrrungereit der Erd© init einiger Sicherheit innerhalb der Grenzen
ron 20 Mil), und 2CD Mill. Jahren liegen soll.
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$73
Gebirge auf 12 000 m und bei den Rocky-Mountains sogar auf 19 000 m geschätzt
wird. Indessen, sind auch diese Angaben zutreffend, so bleibt doch, wie
Davison bemerkt, zu beachten, dafs die Tiefo der spannungslosen Schicht
eben nur unter Voraussetzung einer vollkommen glatten und kugelförmigen
Erdoberfläche berechnet worden ist, während eine derartige Beschaffenheit
derselben ira ursprünglichen Zustande kaum denkbar erscheint. Prof. Peirce
und Prof. G. H. Darwin haben nämlich gezeigt, dafs sich ganz bedeutende
Faltungen in den Oberflächenschichten eines einst zähflüssigen Erdsphäroids
bilden mufsten infolge der Verminderung der Polabplattung, die nothwendig
mit einer durch Gozeitenreibung bewirkten allmählichen Abnahme der Um-
drehungsgeschwindigkeit — also der Tageslänge — verbunden ist. Diese Fal-
tungen dürften hinreichend grofs gewesen sein, um die Grundpfeiler der
Kontinente und durch Zusammenwirken mit der Säkularabkühlung auch die
Gebirgsketten, sogar bei einer so geringen Mächtigkeit der Faltungszone, erzeugt
zu haben. Davison sowohl wie Darwin sind daher der Ansicht, dafs die von
dem englischen Geophysiker Osmond Fisher gegen die Kontraktionstheorie des
festen Erdballs vorgebrachten Argumento sich für dieso Theorie nicht ver-
hängnifsvoll erweisen werden. Fisher glaubt nämlich behaupten zu können
(Phil. Mag., Vol. 23, 1887 und: Physics of tho Earth's Crust, 1881), dafs die be-
stehenden Ungleichheiten der Erdoberfläche wenigstens sechsundsechzigmal
gröfser sind, als wie sie sich durch Kontraktion eines völlig festen Erdglobus
ergeben könnten; zu ähnlichen Resultaten kommt unter andern auch der
deutsche Geologe Fr. Pfaff.
Da die spannungslose Fläche in dem frühesten Bildungsstadium unseres
Weltkörpers sehr nahe unter seiner Oberfläche liegen mufste, so kann nach
Davison hierin möglicherweise ein Grund für die Bildung der Meeresbecken ge-
funden werden. Denn da dor Oceanboden diesor Schicht bedeutend näher lag,
so mufsten die faltenden Kräfte hier eine geringere Wirkung ausgeiibt haben,
ja zum Theil gar durch Zugkräfte ersetzt worden sein, worauf die geologische
Beschaffenheit des maritimen Untergrundes hinzuweisen scheint In diesen
Umständen kann ferner auch eine physikalische Ursache für die Beständig-
keit des Land- und Wasser- Areals — eine Anschauung, die sich jetzt mehr und
mehr Bahn bricht — sowie für die beobachtete Thatsache gefunden werden,
dafs längs der Küstenlinien sich vorherrschend Gebiete vulkanischen Cha-
rakters hinziehen.
Wir wollen bei dieser Gelegenheit noch auf eine andere neuere Arbeit
hinweisen, die einen ähnlichen Gegenstand behandelt A. de Grossouvre hat
jüngst der Akademie der Wissenschaften zu Paris Untersuchungen über die
Gebirgskettenbildung und über ihre Beziehung zu den Deformationsgesetzen des
Erdsphäroids (Coinpt rend., Nov., 1888) vorgelegt. Die Resultate seiner Be-
trachtungen lassen sich als Stützpunkte der Theorie von Davison und Darwin
ansehen, wonach dor Fluthreibung und einer dadurch bewirkten Verlang-
samung in der Rotationsperiodo dor Erdo ein wesentlicher Antheil an dem
Aufbau der Kontinente und Gebirge beizumessen ist. S.
*
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374
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Erscheinungen am Sternenhimmel im Monat März.
(Sämmtliche Zeitangaben gelten für Borliner Zeit)
l. Der Mond.
Aufgang Untergang
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Mörz Neumond 7*» 27“
Mg.
5k
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Nm.
9.
. Erstes V. u. Erdferne 10 33
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2
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Mg.
21.
„ Erdnähe 1 1 32
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« Letztes Viertel 3 7
Mg.
11
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Vm.
31.
„ Neumond 6 28
„
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Maxima der Libration:
2., 15. und 29. März.
a. Die Planeten.
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Aufg.
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Aufg.
j Unterg.
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1 50 4-14 52
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10 21 .
9.
21 37 -14 91
5 43 .
3 15 .
2 2 4-16 28
7 18 _
10 28 .
13.
„
21 52 —13 48
5 38 .
3 16 .
2 14 4-17 56
7 5 .
10 33 .
17.
„
99 10 — 12 50
5 34 „
3 24 .
2 25 1-4-19 18
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10 37 .
21.
„
22 29 -11 29
5 30 .
3 34 .
2 34 -20 81
6 37 -
10 39 .
25.
92 50 - 9 47
5 26 „
3 50 .
2 48 -21 85
C 22 .
10 40 .
29.
23 12 — 7 43
;5 21 „
4 7 .
2 50 4-22 28
6 7.
ilO 37 .
13. März gr. wemtl. Ausweichung.
5. März Sonnennähe.
18. . Sonnenferne.
22. , Maxim, d. Glanzes.
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Jupiter
Rectas. Doclin.
Aufg.
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Aufg.
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18*17“ — 23*4'|
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ll*29»Vm.
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0 46 -
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18 27 - 22 59
2 48 .
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1 41 4-10 22
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18 30 - 22 58
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10 8 .
Saturn
Uranus
Rectas. | Declin.
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Aufg.
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13*20“ -7*45'
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18.
9 7 4-17 44
1 40 .
5 6 .
13 18 —7 33
8 9 .
6 57 .
26.
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9 6 4-17 50
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13 17 — 7 25
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Elongationen des Saturnt
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17. März osU., 9
Mürz westl. Elong.
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375
Neptun
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2. März
15. .
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8 31 .
7 41 .
12h 58“ St.
12 7 .
11 17 .
3. Beobachtbare Verfinsterungen der Jupitertrabanten.
11. März II. Trab. Verfinst Eintritt 5* 4*2“ Mg.
12. I. . „ 4 16 *
19. I. „ „ „ 6 9» (bei Sonnenaufg.)
28. . I. . . 2 31 , (12“ nach Jup. Aufg.)
4. Sternbedeckungen durch den Mond.
(für Berlin sichtbar). •
Gröfse Eintritt Austritt
16. Mürz: 1 Leonis fi.l .*1*» 21“ Mg. 4* 7» Mg.
5. Veränderliche Sterne.
a) Maxima variabler Sterne:
Maximum Helligkeit im 1889
am
Max.
Min.
Rectas.
Declin.
R
Arieli»
4.
März
7.8 Gr.
12 Gr.
2
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+
24“
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Cancri
23.
7
12
8
13
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17
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R
Leonis
23.
5
10
9
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4*
11
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Virginis
2.
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7.8
12.13 „
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14.
_
8
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—
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Serpentis
11.
7.8
12.13 .
15
16
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14
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R
Sruti
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53
V Ophei
Algol . .
X Tauri
H Can. maj.
S Cancri
o Librae
U Corona©
l* Ophiuchi
Y Cygni
b) Minima der Sterne vom Algol-Typus.1)
4., 9., 14., 19., 24., 29. März Nm.
.ri. März Nt, 11. Nin., 17. Vm., 23. Mg., 28. Ab.
1. März Nm., 10. M., 17. Vm.
(Jedes 3 Min.): 3. März Ab., 7. Mg., 10. Nm., 14. Mg., 17. M.,
20. Ab.. 24. Mg.. 27. Nm., 31. Mg.
2. März Mg., 11. Ab., 21. Mg., 30. Nm.
5. März Mg., 9. Ab., 14. Vm., 19. Mg., 23. Ab., 28. Vm.
7. März Nm, 14. M., 21. Vm., 28. Mg.
(Jedes 4. Min.): 3. März Vm., 6. Ntn., 10. Mg., 13. Vm., 16. Ab.,
20. Mg.. 23. M.. 26. Ab., 30. Mg.
(Jedes 3. Min.): 5. Mürz Vm., 9. Ab., 14. Vm., 18. Ab., 23. Vm.,
27. Ab., 1. April Vm.
c) Minima einiger Veränderlicher kurzer Periode:5)
T Monocer. . 22. März.
C Gemin. . . 9., 19., 30. März.
•) Dl© Lichtporioden und Ort© diosor 8t©rn© sind im Fsbruarhcft S. 316 angtffroboa.
*) L*©b©r l’oriod© und Ort dieser Stern© ©. Kobruarhoft 8. 316.
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ß Lyrao . . 1., 14., 27. März.
rt Aquilao . 3., 10., 17., 24., 31. März.
8 Cephei . . 5., 10., lö., 21., 20. März, 1. April.
6. Meteoriten.
Für Beobachtungen derselben sind die Abende vom 1. bis 7. März am
geeignetsten.
7. Nachrichten über Kometen.
Am lö. Januar ist von Brooks in Geneva nahe beim Sterne ft Sagittarii
ein neuer Komet aufgefunden worden; das Object war schwach und zeigte eine
schnelle Bewegung gegen West; bis zum Schlufs dieses Blattes war über
weitero Beobachtung und die Bahn des Gestirnes nichts bekannt.
Der Barnardeche Septemberkomet ist gegenwärtig schon recht schwach,
wird aber noch beobachtet.
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Amerikanische Erfolge und Bestrebungen bei der Beobachtung neuerer
totaler Sonnenfinsternisse.
Der Direktor der Sternwarte des Harvard College, Professor W. H. Picke-
ring, berichtet in dem letzt erschienenen Bande der Stern warteannulon über
die Beobachtung der Sonnenflnstcmifs vom 29. August 1S86. Diese Finsternits
fand bald nach Sonnenaufgang nördlich der Küste von Venezuela und Guyana
statt. Zu ihrer Beobachtung bewilligte das Rumfordcomite der American Aca-
demy of arts and Sciences die erforderlichen Geldmittel und stellte die auszu-
rüstende Expedition unter die Leitung Professor Picke rings. Am 17. August
langte die letztere auf ihrem Bestimmungsorte, der westindischen Insel Gre-
nada, an. Ein auf der Westseite der Insel, nahe der Stadt St. George, im gleich-
namigen Fort gelegenes Haus diente als Station. An Instrumenten waren zur
Verfügung: ein Photoheliograph, mit welchem eines Versehens wegen nichts
erlangt wurde, zwei parallaktisch niontirte photographische Camera, durch
Kurbeln bewegbar, ein dreizölliges Telescop mit Camera als Reserve für den
Photoheliographen, ein Actinometer,1) ein Photometer, diverse meteorologische
Instrumente u. a. w. Für die Photographie wurden die schnell wirkenden
„SeecP-Platten, für das Actinometer die langsamer arbeitenden Carbutt-Platten
verwendet. Die Beobachtungen begannen um G Uhr Morgens, im Beisein zahl-
reicher schwarzer Zuseher. Dichte Wolken und mehrfache Regenschauer
drohten jede Observirung zu vereiteln, als kurz vor dem Totalitätsmomente die
Sonne noch sichtbar wurde. Fünfzehn Sekunden vor der Totalität schien ein
leichter Nebelring die Sonne zu umgeben, anfangs röthlich, dann violett Das
merkwürdige Phänomen der perlschnurartigen Lichtpunkte am Mondrande
(Bailvs Rosenkranz) trat auf und Lichtwellen verschiedener Färbung uinflu-
theten den Mond. Einige der Beobachter berichten von rosenfarbigen langen
Lichtstreifen, die kurz vor der Totalität sichtbar wurden und alsbald wieder
verschwanden. Zehn Sekunden vor der totalen Bedeckung sah Pickering
die Sonnencorona; sie war, obwohl durch Nobel getrübt, doch ausgezeichnet
und erschien viel schärfer und heller als bei der in den Vereinigten Staaten
beobachteten Sonnenfinsternifs vom 29. Juli 1878. •*) Auf der Westseite der
Sonne ragten drei feine Protuberanzen hervor, wovon die eine im Nordwesten
') Zur Messung schwacher Helligkeiten, namentlich des lliiuruelallehtes. Die empfind-
liche photographische Platte des Apparates kaun durch 5 quadratische OefTnungen eines sie
bedeckenden schwarzen Papiere» der Einwirkung des Himmelslichte» ausgesetzt werden, andoro
Theilo der Platte werden »pater durch eben*olcho.OefluuDgcn dem Sternlichte exponirt und es
kennen auf diese Weiso in gegebenen Zcitinlerrallen Vergleichungen der actinischeu Wirkung
beider Lichtquellen erhallen worden.
*) Die photographischen Aufnahmen dor Corona durch die ebenfalls auf Grenada sta-
tionirt gewesene englische Expedition unter I.ockycr zeigen erheblich grossere Ausdehnungen
als jene der amerikanischen Platten. („Observatory”, Oktober 188?.)
by Google
» ij
378
ungewöhnlich hoch. Während der Totalität waren Venus und Merkur klar
zu sehen, der hellere Stern im Orion gut Die Färbung der Gegenstände wurde
gelb, die Schatten erschienen beträchtlich schwach; auch einige Beunruhigung
von Thieren wurde notirt Aufser den photographischen Aufnahmen des
Gesamtphänomens erstreckten sich die Arbeiten der Expedition auf spectro-
Kcopisehe Beobachtungen der Corona, auf photometrische Messungen der Licht-
stärke während der Totalphase, und auf Verfolgung der durch den Mond-
schatten dnrgehotencn eigentümlichen Erscheinungen, bei welch letzteren
Beobachtungen Picke ring durch mehrere freiwillige Observatoren unterstützt
wurde. Besondere Aufmerksamkeit widmete Professor Pickering den Fest-
stellungen des Helligkeitsgrades der verschiedenen Tlieile der Corona. Die
hierüber aufgenommenen Platten wurden nach der Rückkehr der Expedition
mit solchen verglichen, die durch Exposition im Sternlicht erzeugt worden
waren, und hieraus die Curven der gleichen Helligkeit abgeleitet. Auf Grund
der so gefundenen actiuischen Intensität des Coronalichtes und in der Vor-
aussetzung, dafs diese Helligkeit von dem Sonnenlichte abhängt, welches in
dem die Corona bildenden Gase reflektirt wird, schliefst Pickering auf eine
Dichtigkeit dieser Coronagashülle von 1 : 2tM),Qf)0, 01)0, 000 derjenigen, welche
die Atmosphäre unserer Erde besitzt.
Die Amerikaner haben sich auch die Beobachtung der totalen Sonnen-
nnsteriiifs vom 19. August 1887 nicht entgehen lassen, derselben, die in Deutsch-
land mit so viel Spannung erwartet, aber fast ganz verregnet worden ist. (Uebor
die theilweise befriedigenden Erfolge der Beobachtungen in Rufsland und Si-
birien hat Herr Kleiber im Novemberhefte von „Himmel und Erde“ berichtet)
Der Director des Observatoriums vom A mherst-College, Professor D. P. Todd,
berichtet nunmehr in einem „Proiiminary report“ über die Resultate der ame-
rikanischen zur Beobachtung derselben Finsternifs nach Japan gesandten Expe-
dition. Todd erreichte am 8. Juli Yokohama und wählte als Station ein Kastell
bei dem Orte Shirakawa. Das Hauptinstruinent war ein grofser Photohel iograph.
Als Beobachter waren zwei Offiziere vorn amerikanisch-asiatischen Geschwader,
S o u t h e r 1 a n d und P c m be r t o n , au fserdem mehrere intelligente Japaner thätig.
Die Observirung war in jeder Richtung bin sorgfältig vorbereitet und eingeübt,
aufserdem durch die Vorsorge des Admiral Yanagi der Austausch elektrischer
Signalwcehsel mit dem Marineobservatorium in Tokio zum Zwecke der Be-
stimmung der LängendilTcrenz der Beobachtungsstation vermittelt. Der Vor-
mittag des Finsternifstages war wolkenlos, dann wurde es ungünstig und die
Sonne in der ersten halben Stunde der Finsternis nicht sichtbar. Eine Wolken-
liicke erlaubte etwa 10 Expositionen, doch nur j der Bilder erwiesen sich zu
Messungen verwendbar; vom zweiten Finstemifscontakte wurde mit Mühe eine
rohe Zcitnotirung erhascht. Auch die anderen Expeditionen in Japan sind,
wie sich später liorausstollte, meist mifsgliickt. Professor Terao fand zu Kuroiso
(südlich von Shirnkawa) vollständig bedeckten Himmel. Dem Direktor des
meteorologischen Observatoriums in Tokio gelangen zu Sanjo (an der Central-
curve der Finsternifs) einige Photographien der Corona; klar war es nur an
der Ostküste, zu Choshi, woselbst man keine Instrumente aufgestellt hatte.
Die totale Sonnenllusternifs vom Noujahrstage des gegenwärtigen Jahres
<s. Januarheft „Himmel und Erde“ 8.250) nahm, da ihr Centralitätsgebiet in
die Vereinigten Staaten, auf Nord-Californicn, Nord-Novada, Süd-Idaho, Dakota,
Montana, Manitoba und in das Areal des Yellowatonopark fiel, das Interesse
der gesamten gebildeten Welt Nordamerikas in Anspruch. Professor T o d d hat,
um diese Antheilnahme des Publikums an einem so seltenen astronomischen
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379
Ereignisse *) auf fruchtbringende Mitwirkung bei Beobachtungen, namentlich
der Sonnencorona, hiuzulonken, besondere „Instructions for observing the total
eclipse of the sunu vertatet Diese sehr ins Detail gehende Schrift leitet intelli-
gente Leser zu ganz werthvollen Aufnahmen der Corouaerscheinung an. Sie
bespricht das Verhalten des Beobachters beim Herannahen der Totalität, das
Zeichnen der Corona-Umrisse durch Rauchglas, das Orientiren der Skizzen und
die Eintragung der Details mittelst Feldgläser und kleiner Teleskope. Für die
Beobachtung der feinen, oft weithin sich erstreckenden Ausläufer der Corona
empfiehlt Todd eine Scheibe aus Holz oder Pappendeckel, die durch (in der
Schrift eingehend auseinandergesetzte) Versuche einige Tage vor der Finsternifs
in eine geeignete Lage gebracht und gegen welche der entsprechende Stand-
punkt des Auges de9 Beobachters ormittelt wird, so zwar, dafs beim wirk-
lichen Eintritt der Totalität dem Beobachter die Sonne durch die Scheibe völlig
verdeckt erscheint. An seinen so markirten Sitz begiebt sich der Beobachter
erst im Momente des Totalitätsbeginns und zwar, da er sich vorher in einom
dunklen Zimmer aufzuhalten hat, mit einem für die feinen Lichteindrucke sehr
empfindlichen Auge.
Von den Beobachtuugsresultaten der Amerikaner bei dieser Finsternifs
liegen bis jetzt nur Zeitungsnachrichten vor. Da die Veröffentlichung offizieller
Berichte jedenfalls nicht sobald erfolgen wird, so geben wir hier wenigstens
einige Nachrichten nach den Telegrammen des „New York Ilerald" vom
2. Januar 1889. Professor Pickering beobachtete zu Willow (Calif.), erlangte
aufser den Contaktnotirungen 50—60 Photographien, Zeichnungen der ganzen
Corona, photometrische und spektrographische Resultate. Zu Chico (Calif.)
wurden 16 Photographien, auf der Station des Lick-Observatoriums bei Santa
Clara 13 Bilder aufgenommen, desgleichen erhielt Keeler auf der Station von
Bartlett Springs (Calif.) gute Aufnahmen. Sämtliche vier Contaktbeobach-
tu ngen des Mond- und Sonnonrandes gelangen zu Nelson (Calif.), Winneinucca
|Nev.), Blackfoot (Idaho), theilweise erreichte man dieselben zu Santa Clara,
Budford (Dac.) und Norman (Calif.). Gute Zeichnungen der au feeren Corona
erhielt Todd bei Fort Keogh (Mont.), desgleichen liefen sich solche von der
ganzen Corona bei Winneinucca ausführen; zu Marysvillo (Calif.) und Nelson
war die Corona durch Nebel getrübt. Swifts Nachforschungen nach einem
intraraercuriellen Planeten ergaben kein Resultat.
Die Bemühungen der amerikanischen Astronomen sind demnach diesmal
von vollem Erfolge gewesen und man darf gewifs sehr darauf gespannt sein,
welche Resultate die sachlichen Publikationen über die von den einzelnen Ex-
peditionen ausgeführten Heobachtungen in Bezug auf unsere, derzeit in mancher
Hinsicht noch sehr dunkle Krkenntnifs der Natur des Sonnenkörpers zu Tage
fordern werden. •
*
E. ülarrhanri. Relations des phönomdnes solaires et des perturbations du
magnätisme terrestre. Lyon 1888. 43 pag.
Die Untersuchungen von Herrn Marchand, Adjunkten des Lyoner Ob-
servatoriums, welche von Herrn Andr£ der Akademie zu Lyon vorgelegt
wurden, beziehen sich auf den Zusammenhang der magnetischen Störungen
*) Die nächste totale Sonnenilnsternife wird das Gebiet der Vereinigten Staaten erst am
J9. Mai 1900 durchlaufen.
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380
mit Vorübergiiigen von Stellen erhöhter Thütigkeit auf der Sonnenscheibe.
Das Wesentliche derselben ist bereits auf S. 44 der Zeitschrift in kurzen Zügen
geschildert worden. In der vorliegenden Abhandlung ist die Definition der
magnetischen Störung und ihre zahlenmäßige Darstellung genau gegeben,
ebenso wird die Methode, nach welcher die A k ti onscentren der Sonne beob-
achtet werden, dargelegt. Aus der Wiederkehr einer Anzahl Störungen in
Zeiträumen, welche nahe mit der Rotationsdauer der Sonne zusamnienfallen,
versucht Verfasser umgekehrt die wahrscheinliche Dauer der synodischen Ro-
tation der Sonno zu ermitteln, und findet aus I Reihen solcher Störungen den
wahrscheinlichen Werth von 26.9 Tagen, der zwar kleiner ist als der aus
Sonnenileckenbeobachtungen abgeleitete, aber ganz befriedigend mit dem aus
der Rotationsdauer der Sonnenfackeln neuerdings abgeleiteten übereinstimmt.
Dr. Wagner.
Verzeichniss der vom 16. November 1888 bis 1. Februar 1889
der Redaktion zur Besprechung eingesandten Bücher.
Annuuiro pour TA» 1889, par le Bureau des Longitudes, Paris, Gauthier- Villars
et Fils.
Astronomischer Kalender für 1889 von der K. k. Sternwarte, Wien, C. Gerolds
Sohn.
Bert fand, Thermo-Dinamique, Paris, Gauthier-Villars et Fils, 1887.
A. Blytt. On Variation? of climate in the course of time, Christiania, A. W.
Brogger, 1886.
A. Blytt, The probable cause of the displacement of beach-lines, with a table,
Christiania, A. W. Brogger, 1889.
A. Blytt, Additional Note to the probable cause of the displacement of beach-
lines, 1889.
Th. Bredichin, Sur l’originc des ötoiles filantes, Moskau, 1888.
A. Brester, Essai d'une thdorie du soleil et des gtoiles variables, Delft,
J. Waltman jr., 1889.
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Herrn Dr. Sch. in Osterode, Ostpr. Die Beschreibung der optischen
Phänomene um die Sonne, welche Sie vor einiger Zeit wakrnahmen, enthält
die auch anderwärts in derselben Zeit beobachteten, durchaus nicht ungewöhn-
lichen Lichterscheinungen, welche durch in den Höhen der Atmosphäre schwe-
bende Eisprismen völlig erklärt werden, wie Sie es von dem Ringe von wahr-
scheinlich 22° Halbmesser um die Sonne als bekannt annehmen. Indessen
auch alle übrigen Erscheinungen finden durch diese kleinsten Eiskrystalle
ebenfalls ihre ungezwungene Erklärung. Dafs dieselbe in physikalischen Lehr-
büchern meist nicht ausführlicher gegeben wird, ist ein offenbarer Mangel, da
die Ableitung aller denkbaren optischen Phänomene um Sonne und Mond durch
Brechung und Zurückwerfung des Lichts au Eiskry stallen aus der Gestalt letz-
terer theoretisch ebenso interessant wie pädagogisch worthvoll ist, wenn nicht
die Complicirtheit des Gegenstandes seinen pädagogischen Nutzen erheblich
einschränkte.
Die in dem Ringe von 22° Halbmesser in gleicher Höhe mit der Sonne
intensiv leuchtenden Stellen waren offenbar horizontale vielleicht nicht ganz
deutlich ausgebildete Nebensonnen. Die Form der Eiskrystalle ist die sechs-
eckiger flacher Tafeln, welche in der Höhe der Cirruswolken schweben, eventuell
aus dieser langsam abwärts sinken. Da diese Phänomene meist bei ruhiger
Luft stattfinden, ist dio Annahme berechtigt, dafs die Mehrzahl dieser Täfelchen
parallel zum Horizonte, also mit verticaler Hauptaxe abwärts schweben, wie-
wohl alle übrigen Stellungen bei jedem derselben Vorkommen können. Dann
erzougen je zwei nicht aufeinanderfolgende Seitenflächen als Prismen von 60°
dio Ringe von 22° Durchmesser, welchen Werth das Minimum der Ablenkung
für solche Eisprismen besitzt. Hierzu wirken Prismen von 60° in allen mög-
lichen Stellungen gegen den Horizont mit, während die mit genau verticaJ
stehender Hauptaxe schwebenden Prismen nach Bravais dio Nebensonnen von
22° Abstand erzeugen. Da Seitenflächen und Grundflächen wiederum Prismen
bilden, und zwar von dem Kanteuwinkel 1K)°, so entstehen durch die zweite
Art von Prismen andere Erscheinungen, nämlich durch Prismen in beliebiger
Stellung der grofse Ring von 4ß° Halbmesser, hingegen durch die horizontal
schwebondcn der Berührungsbogen dieses Ringes, welchen Sie deutlich gesehen
haben, während der grofse Ring nicht erkennbar war, woraus in Verbindung
mit den Nebensonnen hervorzugehen scheint, dafs die Luft besonders ruhig
gewesen sein mufs. Die Verticalstreifen, auch Lichtsäulen genannt, entstehen
allein durch Reflexion an den horizontalen Flächen der Eistäfelchon. Wenn näm-
lich die Sonne dem Horizont nahe steht, genügt eine geringe Neigung dieser
Flächen, um reflektirtes Licht ins Auge zu senden, daher diese Lichtsäulen
bei Sonnenaufgang resp. Untergang am intensivsten zu sein pflegen. Ihre
Verticalität ist jedoch nur scheinbar, in Wirklichkeit gehören die reflektirenden
Krystalle einer mit der Erdoberfläche concentrischeu Kugelschale an, daher
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liegt die Spitze der Säule dem Beobachter näher als ihr Fufspunkt. Die hingen
Lichtstreifen, welche Sonne und Mond in schwach bewegtem Wasser erzeugen,
erklären sich durch einen ganz ähnlichen Vorgang der Reflexion.
Herrn Bezirksrichter II. in G. (Xieder-Öestr.) Es ist völlig begreiflich,
dafs Sie sich über die Bedeutung der Richtungsbezeichnungen „Ost* und „West*
verwirren, sobald Sio dieselben als absolute Richtungen im freien Raume auf-
zufassen versuchen. Nur Nord und Süd sind wegen der sich stets im Raume
gleichbleibenden Lage der Erdaxe solche absolute Richtungen; Ost und West
lassen sich dagegen nur in Bezug auf einen bestimmt ins Auge gefaxten Punkt
der Erde denken und wechseln mit diesem ihre Richtung im Raume. Ja, selbst
auf der Erde giebt es zwei Punkte, für welche es kein Ost und West giebt,
die Pole. Das wird folgendermafsen sofort klar. Wenden wir uns zunächst
von unserem gegenwärtigen beliebigen Standorte auf der nördlichen Erd-
halhkugel gegen Norden und breiten die Arme zu beiden Seiten von uns aus.
Dann zeigt die Rechte nach Osten, die Linke nach Westen und die Bewegung
der Erde um ihre Axe erfolgt von links nach rechts. Wir schreiten nun genau
nordwärts weiter, bis wir zum Nordpol kommen. Dann sollte man doch meinen,
die Richtung der Anne müsse immer noch die der betreffenden Himmels-
richtungen angeben. Nun ist aber der Pol ein Wendepunkt der Bewegung.
Das heisst, sobald wir, unsere Richtung genau wie zuvor innehaltend, noch
weiter gehen, findet nun die Bewegung der Erde unter unseren Fiifsen von
rechts nach links statt, und wir sehen nun, ohne uns umgewendet zu haben,
nach Süden, statt nach Norden. Während die Sonne vorher rechts von uns
aufging, steigt sie nun von links her über den Horizont empor, von derselben
Richtung, welche wir früher Westen genannt hatten. Die Sonne müfste also
hier im Westen auf- im Osten untergehen, was insofern schon ein Widerspruch
in sich selbst ist, weil wir vorhin unseren Weg zum Nordpol von einem be-
liebigen Punkte der Erde antreten konnten, also auch von dem, auf welchem
wir uns schliefslich befinden und wo, wie auf allen übrigen Punkten der Erde,
die Sonne im Osten auf- und im Westen untergeht.
Da Ost und West gewissermafsen nur locale Begriffe sind, ist es, wie Sie
ganz richtig fühlen, eigentlich unerlaubt zu sagen, wie man es gewohnheits-
raäfsig thut, die Erde bewege sich um die Sonne von Osten nach Westen, weil
diese Richtungen im Raume nicht klar zu definiren sind. Man kann sich in-
defs diese Freiheit wohl erlauben, um für das menschliche Orientirungsver-
raögen unmittelbarer deutlich anzugeben, dafs diese jährliche Bewegung in
der umgekehrten Richtung erfolgt wie die tägliche. Für die Orientirung
im Raume aufscrhalb der Erde und die genaue Ergründung der Bewegungen
der Himmelskörper in diesem kann man sich allein nur an dio Fixsterne halten.
Verlag .Ton Hermann Paetol in Berlin. — Druck von Wilhelm Qronau's Buchdruckeroi in Berlin.
Für die Rodactlon verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin.
UnberechUgter Nachdruck aus dem Inhalt diosor Zeitschrift untersagt.
L'ebersetzungsrecht Vorbehalten.
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Die norwegische Nordmeer-Expedition.
Von Prof. Dr. II. Mohn,
Direktor des Norwegischen Meteorologischen Instituts in Christiauin.*)
(Mit Abbildungen, angefertigt vom Verfasser nach seinen Original-
v Zeichnungen.)
<-v ördlich von dem 00. Breitongrade theilt sich der Nordatlantische
' i Ocean in zwei kleinere Meere, die durch das bis 3000 m hohe
eisbedeckte Grönland von einander getrennt werden. Das
westliche dieser Meere ist die Davis-Strasse und ihre Fortsetzung, die
Baffins-Bai, zwischen dem arktischen
I .aride Nordamerikas und Grönland.
Oestlich befindet sich das europäische
Nordmeer zwischen Grönland und Nor-
wegen - Ru Island; dasselbe ist vom
Nordatlantischen Ocean durch die vul-
kanische Inselreihe Island-Faröer und
von dem sibirisch-amerikanischen Eis-
meer durch die Inselreihe Spitzbergen,
Franz - Josephs - Land, Nowaja - Semlja
getrennt.
Das europäische Nordmeer
soll zunächst Gegenstand der folgen-
den Beschreibung sein. Man hat
den verschiedenen Theilen dieses
Meeres besondere Namen gegeben, mit denen wir am besten den
Leser sogleich bekannt machen. Wir nennen denjenigen Meeres-
theil Nordsee, welcher zwischen dor Strafse von Calais und einer
*) Aus item norwegischen Original -Manuskripte übersetzt von F. S.
Archenhold und revidirt vom Verfasser. Obige kleine Illustration stellt
das Expeditionsschiff „Vüriilgen" dar, eine Tieflothung ausführend.
Himmel und Erde. I. 7. 28
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Linie liegt, die man sich von den Shetlands-Inseln bis zum Vorgebirge
Stat auf Norwegens Westküste (62° Br.) gezogen denkt. Das Stück
dos Xordmeores, welches nördlich von dieser Linie liegt und gegen
Süd-West durch eine von Shetland über Färöer bis zur Ostküste
Islands gehende Linie, gegen Nord-West von einer Linie von Islands
Ostküste über die Insel Jan Mayen bis Spitzbergen, gegen Nord-Ost
von einer Linie von Spitzbergen über die Bären-Iusel bis zum Nord-
kap und endlich gegen Siid-Ost von dor Küste Norwegens vom Nonl-
cap bis Stat begrenzt wird, — nenne ich das norwegische Meer.
Das Meer zwischen Spitzbergen, Finnmarken, dem nördlichen RuTsland
und Nowaja-Semlja wird von den Norwegern Ost-Meer genannt, von
den andern Nationen aber das murmannische Meer oder Barentzmeer.
Wir wollen die letzte Bezeichnung beibehalten. Nordwestlich von dem
norwegischen Meer, gegen Nord-Ost und Ost von Spitzbergen begrenzt,
gegen West von Grönlands Ostküste, gegen Süd-West von Islands Nord-
küste, liegt das grönländische Meer. Zwischen Färöer und Shet-
land liegt die Farö-Shetland-Rinne, zwischen Island und Grön-
land die Dänemark-Strafse und zwischen Jan-Mayen und Island
die Jan-Mayen-Kinne.
Die Naturverhältnisse im Nordmeer sind für viele Expeditionen
ein Gegenstand der Untersuchung gewesen. Der bekannte schottische
Walfisch-Fiinger, Dr. Scoresby, hat eine ausgezeichnete Beschreibung
des grönländischen Meeres gegeben. Die schwedischen Expeditionen
nach Spitzbergen, unter Leitung von Toreil, Nordenskj öld, v. Otter
und Palander, die österreichischen unter Weyprooht, die beiden deut-
schen Nordmeerfahrton unter Koldewev, die französischen unter Gai-
mard, die britischen unter Mac CI intock, Wyville Thomson, Car-
penter und Jeffreys, aufsor vielen norwegischen und deutschen Seo-
hundsfängerfahrten, — hatten, schon von 1838 an, Aufschlüsse über die
Tiefen und auch theilweise über die Temperaturen in unserm Nord-
meer gegeben. Und seit 1806 war dort von norwegischer Seite aus
eine genaue Auflotung der Bänke aufserhalb der Küste Norwegens
von dem Dampfer „llansleen“ begonnen worden. Es waren jedoch
mit Ausnahme der letzten schwedischen Expeditionen mit „Sofia“ 1866
und mit „Polhem“ 1873, welche das Meer in der Umgebung von Spitz-
bergen ausmalsen, hauptsächlich die Ränder des Nordmeerbeckens,
die dergestalt untersucht worden waren. Die grofse Tiefe west-
lich von Norwegen blieb unerkannt
Es war im Jahre 1860, als die britische Expedition mit „Porcu-
pine“ für die Tiefsee-l'ntersuchungen neue Bahnen brach; ihr folgten
387
die drei grofsen Tiefsee-Expeditionen auf den Weltmeeren, die britische
Challenger-Expedition von 1872 — 1876, die amerikanische Tus-
carora-Expedition 1873 — 74 und die deutsche Gazelle-Expe-
dition 1874—76.
Die Ueberzeugung von der Bedeutung, welche eine Kenntnifs
der Naturverhältnisse des Nordmeers sowohl in biologischer wie in
physikalischer Hinsicht für die Wissenschaft und für das praktische
Leben haben würde, veranlafsten meinen Collegen Professor G. O. Bars
und mich, gemeinschaftlich im März 1874 in einer Eingabe an die
norwegische Regierung die Entsendung einer norwegischen Tiefsee-
Expedition zur Untersuchung des norwegischen Meeres vorzuschlagen.
Dieser Vorschlag fand den Beifall der Autoritäten und der Regierung
und die nöthigen Geldmittel wurden bereitwilligst von dem norwegischen
Reichstag im Mai 1875 ausgeworfen.
Zur Expedition wurde der Schraubendampfer Vö ringen aus
Bergen gemiethet, und im Laufe des Winters 1875 — 76 organisirte
der Kapitain z. S. Wille von der norwegischen Marine, zum nau-
tischen und technischen Chef der Expedition ernannt, deren Aus-
rüstung, die im Frühjahr 1876 in Bergen beendet worden war.
Am l.Juni 1876 ging die Expedition von Bergen nach Esefjord,
einem Arme des Sognefjord, und von hier wurden in den folgenden
Tagen die ersten Versuche mit Tiefsee-Apparaten gemacht. Hierzu
war der Sognefjord vorzüglich geignet, da dieser eine Tiefe von über
1200 Meter aufserhalb des Eseljords besitzt. Nachdem man in der
Behandlung der Loth- und Schleppnetz-Apparate Erfahrung gewonnen
hatte, wurde der Ankerplatz der Expedition nach der Insel Husö, an
der Mündung des Sognefjord, verlegt, wo in den Tagen vom 10. bis
zum 19. Juni magnetische Untersuchungen mit dem Schiffe vorge-
nommen und dessen Einrichtungen vervollständigt wurden. Nachdem
dergestalt alle Vorbereitungen getroffen waren, ging die Expedition
am 20. Juni von Husö in See und begann ihre Arbeiten mit der
Untersuchung der „Norwegischen Rinne,” einer Vertiefung im Meeres-
boden, welche sich längs der norwegischen Küste vom Vorgebirge
Stat bis zum Kattegat hinzieht und die Nordseebänke von den nor-
wegischen Küstenbänken trennt. Es zeigte sich, dafs diese Rinne
gegen Norden nicht geschlossen ist, aber aufserhalb Stal in die Meeres-
tiefe ausmündet, welche zwischen Norwegen, Island und Jan-Maven
liegt. Die Tiefe, welche anfangs nur langsam zunahm, wuchs vom
21. Juni ab rascher und gegen Abend zeigte das Tiefseethermometer
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388
a:n Meeresboden Kältegrade. Diese Erscheinung hatto die Porcupine-
Expedition früher schon in der Farö- Shetland -Rinne nachgewiesen,
und wir fanden später, dafs sie über den gröfsten Theil des Nord-
ineerbodens verbreitet war. Bei dieser Gelegenheit wurde auch ein
höchst interessanter zoologischer Fund gemacht, nämlich eine über
anderthalb Meter lange Seefeder, Umbellula enerinus, welche später
von dem Mitgliede der Expedition, Dr. Danielssen, Oberarzt in
Bergen, näher beschrieben wurde. Am 23. Juni ging die Expedition
nach Christiansund, wo Kohlen genommen und Vorbereitungen zu einer
längeren Tour nach Westen getroffen wurden.
Diese letztere traten wir am 27. Juni an. Nachdem auf mehreren
Stationen an der norwegischen Küstenbank, hier „Storeggen“ genannt,
gearbeitet war, segelte die Expedition, begünstigt von gutem Arbeits-
wetter, weiter nach Westen unter beständigem Lothen und Schlepp-
netzarbeiten; es zeigten sich Kältegrade in den tieferen Schichten des
.Meerwassers und eine dort lebende eigenthümliche arktische Thierwelt.
Das gute Wetter ging leider zu Ende, ehe wir Färöer erreichten, und
vom 1. Juli bis zum 15. August, als wir von unserer Islandstour nach
Norwegen zurückkehrten, hatten wir eine fast unaufhörliche Reihe
von Stürmen mit nur geringen Pausen, in denen wir doch wenigstens
mit den Tiefsee-Apparaten arbeiten konnten. Viele lange, unwirth-
same Tage verstrichen, während wir auf See waren, ohne dafs sich
eine Möglichkeit zu lothen oder mit dem Schleppnetz zu arbeiten fand.
Nur die meteorologischen Beobachtungen, welche stündlich Tag und
Nacht gemacht wurden, nahmen ihren regelmärsigen Verlauf. Die
Höhe der Wellen stieg bis 5 und 6 Moter. Am ß. Juli, um die Mit-
tagszeit, schlug eine See über das Vorderdeck, zermalmte die Schiffs-
wandung über Deck, ein Oberlichtfenster und einen Trepponiiberbau.
zertrümmerte die Kübel, in denen das Schleppnetztau lag und machte
das Vorderdeck leck. Das Zwischendeck, wo die Mannschaften ihren
Platz hatten und die Arbeitsräume der Gelehrten lagen, war von Wasser
überfüllt, das, während das Schilf hin und her rollte, von der einen
Seite des Bodens auf die andere hinüberströmte, wie eine Ueber-
schwetumungswelle, bis es endlich in den L'uterramn des Schiffes
hinuntergeflossen war. l'm diese Schäden auszubessern, wurde nach
Thorshavn auf Färöer gesteuert, das man am nächsten Tage unter
besseren Witterungsverhältnissen erreichte.
Auf der Rhede von Thorshavn lag die Expedition eine ganze
Woche. Das Wetter war durchgeheuds stürmisch, so dafs das Schiff
mehrere Tage lang unter Dampf auf dem Ankerplatz gehalten werden
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mufstc, und an einem Tage mafs ich l>ei einem der Windstüfse eine
Windgeschwindigkeit von über 20 m in der Sekunde.
Am 16. Juli konnte die Reise fortgesetzt werden. Wir dampften
von Thorshavu nach Osten in die Farö-Shetland-Rinne hinein, von
liier gegen Norden und dann gegen Westen nach Island. Am Abend
des 10. begann unser vierter Sturm, der 24 Stunden dauerte. Am 22.
wurde das Wetter besser und wir bekamen Island ungefähr bei Port-
land in Sicht. Am Abend desselben Tages durchkreuzten wir die
HelgafeU, auf den Westmanna-Inseln, Island.
Weslmanna-Inseln, als zunehmender Kuling und Nebel uns veranlagten,
nach Heimaöy hinein zu suchen, der gröfsten und einzig bewohnten
Insel dieser Gruppe.
Der Aufenthalt liier dauerte länger als vormuthet war, da es in
den folgenden Tagen hart aus Süd- West blies und die See hoch ging.
Am 23. konnten wir eine Excursion ins Land machen. Ueberall be-
gegneten unsern Blicken interessante vulkanische Formationen, aus-
gedehnte Lavafelder, Krater und Zinnen, deren phantastische Formen
der Atmosphäre uml des Wassers vernichtende Kräfte offenbarten.
Zusammen mit dem Arzt des Ortes bestieg ich den kleinen, noch
gut erhaltenen, aber jetzt erloschenen, vulkanischen Kegel Helga-
fell, welcher sich mit seinem regelmäfsigen Aschenkegel, der im
kleinen an den Vesuv erinnert, 242 in über die Meeresfläche erhebt.
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Auf dem Gipfel desselben blies ein Sturm, dafs es fast nicht möglich
war, aufrecht zu stehen. An den Gestaden der Westmanna-Inseln
brach sich das Meer in einem Kranze weifscn Schaumes und gegen
Norden konnten wir weit über die aus den Sagen bekannten Ebenen
Islands hin bis selbst zum Hekla und den grofsen schneebedeckten
Gletschern sehen.
Am folgenden Tage war es unmöglich, ans Iamd zu kommen.
Der Sturm war so stark, dafs der Anker draufsen auf der Rhede, wo
_Vii ringen" lag, nicht halten wollte, und dyr Eingang zuin Hafen war
zu seicht, um hineinfahren zu können. So brachten wir den ganzen
Tag bis spat Abends auf die Weise zu, dafs wir das Fahrzeug so weit
nach aufsen treiben liefsen, bis der Seegang beschwerlich wurde; als-
dann dampften wir gegen den Wind wieder zum Ankerplatz hinein,
trieben wieder nach aufsen, dampften wieder hinein und wiederholten
diese Touren noch einige Male. Am 25. konnten wir wieder Excur-
sionen ins Land machen, aber erst am 26. wurde das Wetter so ruhig,
dafs die Expedition ihre Reise bis Reykjavik fortsetzen konnte, welches
selbigen Tages Abends erreicht wurde.
Der Aufenthalt auf Island war für die Mitglieder der Expedition
höchst interessant. Mehrere von uns machten nach Thingvellir einen
Ausflug, den ich hier nicht beschreiben will, da derselbe schon oft
von anderen Reisenden beschrieben ist. In Reykjavik, wo .Vöringen"
wieder vor Anker einen Sturm unter vollem Dampf Aushalten mufste,
gelang cs Kapitain Wille doch, magnetische Beobachtungen auszu-
fiihren.
Da die Zeit schon so weit vorgeschritten war, dafs eine Um-
segelung Islands nicht mehr in Frage kommen konnte, so wurde be-
schlossen, nach Erreichung des Meridians Ost-Islands den Kurs zuerst
gegen Nord-Ost und dann östlich gegen Namsos in Norwegen zu
nehmen.
Am 3. August Abends verliefs die Expedition Reykjavik, begann
am 5. August die Arbeit auf dem Schnitt gegen Nord-Ost und setzte
am 7. August den Kurs gegen Norwegen. Aber wieder kamen Stürme
und hinderten sowohl am Arbeiten wie am Yorwärtsriicken. Dennoch
lotheten wir auf dieser Reise, am 8. August, die gröfste Tiefe dieses
Jahres, 3403 m, ungefähr in der Mitte zwischen Island und Norwegen.
Als wir uns Norwegen näherten und das Wetter sich nicht beruhigen
wollte, wurden wir im Arbeiten mit den Tiefsee-Apparaten kühner;
wir benutzten sie selbst bei ziemlich hartem Wetter und es zeigte
sich, dafs unser ausgezeichnetes Schiff dies zuliefs. Aber es mufste
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die äufserste Vorsicht angewandt werden, um die Lothleine senkrecht
zu halten, damit man die Tiefseethermometer ohne Stofs und Erschütte-
rung heraufbekam und das Trawel- oder Schleppnetz an Bord holen
konnte. Auf unserer letzten Station wurde sogar versucht, diese beiden
Fangapparate auf einmal zu benutzen, den ersten hinter dem letzten,
und der Versuch war beinahe geglückt, indem das Schleppnetz wieder
gut an Bord kam, als durch einen unvorhergesehenen Unfall das
Trawelnetz sich in die Schiffsschraube (Propeller) verwickelte. Die
Maschinen wurden sofort aufser Thiitigkeit gesetzt, der Kapitain bekam
in einem Xu die Segel auf Schiff und nach einigen Stunden war das
Trawel, unter hohem Seegang, mit Hülfe von Messern auf langen
Stangen von der Schraube losgeschnitten. Was indefs während dieser
Manöver unsere Situation bedenklich machte, war der Umstand, dafs
wir im Xebel, der beständig kam und ging, von einem englischen
Schoner beinahe übersegolt worden wären, der plötzlich auftauchte
und uns bedenklich nahe kam, wahrscheinlich um zu erfahren, ob
wir Maschinenschaden erlitten hätten und hülfebediirftig wären. Am
Bl. August wurde der llafen von Hallen erreicht, am 14. Natnsos. Von
dem 20. bis zum 23. wurde auf den Bänken aufserhalb der Küste ge-
arbeitet, am 24. in dem Romsdalsfjord, und am 2<i. August wurde die
Iteise dieses Jahres mit der Ankunft des „Vöringen" in Bergen ab-
geschlossen.
Die Ileisen der X’ordmeer- Expedition im Jahre 1877 begannen
mit dem Abgang von Bergen um 12. Juni und mit der Bearbeitung
einer Reihe von Querschnitten der norwegischen Kiistenbänke außer-
halb X'ordlands. Am 22. Juni war .Vöringen-4 im Westljord und am
folgenden Tag in Bodö. X’ach einem kurzen Abstecher in den
Saltenfjord, um Wasser zu nehmen, wurde am 25. quer über West-
fjord nach Riist gesteuert, der äufsersten bewohnten der laifoten-
Inseln. Hier wurden einige Tage mit astronomischen und magnetischen
Beobachtungen und mit Exkursionen zugebracht. Von letzteren will ich
liier Folgendes aus meinem Tagebuche anfiihren. Im Südwesten von
der ganz flachen Hauptinsel, die gleich allen Lofoten-Inseln, aus Granit
und gestreiftem Granit besteht, erheben sich mehrere hohe Inseln, von
denen Vaedö die nächste und Storfjeld die höchste ist. Auf Vacdii
besuchten wir eine grofse Höhle, welche schräg in den Felsen hinein-
ging. Die Mündung derselben liegt 50 m über dem Meere und der
Boden kaum 20 in über dem Meere, 160 Schritt von der Mündung,
(Ue etwa 50 in breit ist. Der Boden der Höhle wird von Stein-
haufen gebildet , die überall von einer dichten Schicht Vogel-
guanos bedeckt sind. Auf den Wänden der Höhle safsen zahllose
Schaaren von Seevögeln bei ihren Nestern und erfüllten die Luft mit
ihrem heiseren Geschrei. Lieber der Oefi'nung, hoch oben im Gebirge,
schwebte ein Adler und ein anderer flog, während wir in die Hohle
gingen, grade aus dieser uns entgegen. In der Höhle waren viele
Federhaufen zu sehen, Koste der Mahlzeiten solcher Adler.
Am zweiten Tuge sahen wir, wie auf Röstholmen, einer kleinen
Insel nahe bei Yaedü, die .Jagd auf Lummenvögel (Mormon arcticus)
r
„Nykerne“, von Röstholmen aus gesehen. Lofoten, Norwegen.
mit Hunden betrieben wurde. Her Lummenvögel hat sein Nest in
tiefen Höhlen, wo er es hinter Gestein und unter Grastorf eingräbt
Zur Jagd benutzen die Inselbewohner kleine Hunde, welche eine
sehr spitze Schnauze und eine auffällige Aehnlichkeit mit einem
Fuchse haben. Sobald der Hund einen Lummenvögel spürt, geht er
mit dem Kopfe und dem halben Vorderleib in das Loch hinein, heilst
sich in die Lumme fest und zieht sie heraus. Ein kurzer Kampf
entsteht draufsen auf der Grasbank; die Lumme ihrerseits beifst mit
ihrem Papageienschnabel um sich, wird aber bald von dem Hunde
übermannt, der sie über dem Halse zerbeifst. Diese Jagd findet im
Monat Mai im grofsen statt. Ein Hund kann dann an einem Tage
bis 20 Lummen nehmen, ist aber alsdann von der Anstrengung ganz
ermattet.
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Von Rüst aus wurde die Arbeit auf den Küstenbänken außer-
halb der Lofoten und Yesteraalen fortgesetzt. Es zeigte sich, dafs hier
die große Meerestiefe dem Lande näher liegt als weiter gegen Süden
und dafs ein verhältnifsmäßig schroff abfallender Abhang von den
Kiistenbänken hinunter, von 200 angefangen bis zu 3000 m, zu den
großen Tiefen führt. Bei Andenes liegt der äußere Rand der Bank,
wo der Abhang beginnt, kaum 5 geographische Meilen vom Lande
entfernt. Auf dieser Bank wimmelte es von Fischen. Wir fingen
auf einer Station, in einer Tiefe von 150 m, Dorsche, Lengon, Brosmen, •
Bergilte (Rothlisch, Sebastos norvegicus) und Heilbutten (Riesen-
schollen), alle in großen Exemplaren. Am 8. Juli kam die Expedition
nach Tromsü.
Vom 14. bis zum 20. Jnli wurde das Meer außerhalb der Küste
bis zum 71. Breitengrade bei ziemlich unruhigem Wetter untersucht
und alsdann in Tromsü mit der Ausrüstung zu einer längeren Tour
nach Westen bis Jan-Mayen vorgegangen.
(Fortsetzung felgt.)
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Ueber einige Aufgaben der Photometrie des Himmels.
Von Prof. H. Sroli'rr.
Direktor der König). Stornwart* bei München.
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-ol?)01' *n Physikalischer Beziehung wichtigste selbstleuchtende Körper
’Jjcy ist die Sonne. Aus verschiedenen und nahe liegenden Gründen
treten die rein photometrischen Aufgaben, welche dieselbe dar-
bietet, an Wichtigkeit weit zuriiok gegen die Probleme, welche sie in
der Spektralanalyse dargeboteu hat. Seit jeher waren es indessen zwei
Kragen, mit denen sich die photometrischen Beobachter beschäftigt
haben und welche ein allgemeineres Interesse darbieten. Schon
Bouguer und 1 .amtiert hatten zu bestimmen gesucht, wie sich ilie
Stärke des Sonnenlichtes zu der Lichtstärke anderer Himmelskörper
verhalte. Wegen der überaus grofsen Ilelligkeitsdifferenz, die hierbei
unter allen Umständen, selbst wenn der Vollmond als Vergleichsobjekt
dient, gemessen werden soll, verursacht die gewünschte Krmitteluug
nicht gewöhnliche praktische Schwierigkeiten. Die vielen im Laufe
der Zeit erlangten Resultate weichen infolge dessen in ganz enormen
Betrügen von einander ab. Indessen wird man sich nach Zöllners
Messungen doch gewifs eine sehr angenähert richtige Vorstellung von
der Stärke des Sonnenlichtes machen können. Danach sendet uns
eine von der Sonne beleuchtete kleine Fläche ungefähr 600 000 mal
so viel Licht zu, als wenn sie unter sonst gleichen Umstünden dem
Vollmondlichte ausgesetzt wird.
Die zweite Frage, deren Beantwortung ebenfalls schon von
Bouguer und Lambert versucht worden ist, betrifft die Vertheilung
der Helligkeit auf der scheinbaren Sonnenscheibe. Es friigt sich näm-
lich, wobei auf Sonnenfleckcn, Sonnenfackeln etc. keine Rücksicht ge-
nommen werden soll : erscheint die Sonnenscheibe überall gleich hell
oder ist ein bestimmtes Gesetz der Ilelligkeitsvertheilung auf ihr nach-
weisbar?
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Die Beobachtungen haben nun ergeben, dafs das letztere stattfindet
und zwar, dafs die Sonnenscheibe in der Mitte beträchtlich heller ist
als am Rande, wenngleich diese Lichtvertheilung sich nicht durch eino
ganz einfache Formel ausdriicken läfst. Ehe wir aus dieser Thatsache
Schlüsse ziehen, wollen wir uns überlegen, welchen Anblick eine
glühende Kugel, etwa aus Metall, darbielen wird. Wir werden dies
sofort angeben können, wenn wir wissen, wie sich die Helligkeit eines
iiufserst kleinen ebenen Flächenelementes für einen Beobachter dar-
stellt, der in grofser Entfernung bald mehr bald weniger über die
Ebene des Elementes sich erhebt. Erst in der allerneuesten Zeit hat
man diesen so einfach scheinenden Vorgang theoretisch richtig ana-
lvsirt und durch Experimente verfolgt. Diese haben ergeben, dafs ein
solches glühendes Fliicheneloment stets gleich hell erscheint, der Be-
obachter mag sich in irgend welcher Höhe über demselben befinden,
wetm sich nur seine Entfernung von jenem Elemente nicht ändert.
Hieraus folgt unmittelbar, dafs eine glühende Kugel den Anblick einer
gleichmäfsig erleuchteten Scheibe darbieten mufs, weil eben jedes
Element derselben immer gleich hell erscheint, ganz unabhängig-, wie
es gegen die Gesichtslinie, die dasselbe mit dem Beobachter verbindet,
geneigt ist. Voraussetzung ist hierbei selbstverständlich, dafs die
Metallkugel in allen ihren Oberflächentheilen denselben Grad des
Glühens zeigt. Stellen wir uns also vor, die Sonne sei in der Haupt-
sache eine gleichmäfsig glühende Kugel, so wird uns dieselbe in
gleicher Weise den Anblick einer gleichmäfsig leuchtenden Scheibe
gewähren. Dafs die Beobachtungen ein anderes Resultat ergeben
haben, wird uns aber in keiner Weise überraschen; denn physikalische
Gründe nöthigen uns zu der Vorstellung, dafs der glühende Sonnen-
körper allenthalben von weniger heifsen Schichten umgeben ist, die
successive weniger Leuchtkraft besitzen und demzufolge in ähnlicher
Weise wirken werden wie eine absorbirende Atmosphäre. Eine solche
mufs aber bewirken, dafs die Strahlen des scheinbaren Randes, da
dieselben eine dickere Schicht des absorbirenden Mediums zu durch-
laufen haben, mehr geschwächt werden, als die von der Mitte der Scheibe
ausgehenden. Diese Schlufsfolgerung hat bereits Laplace gemacht.
Wir dürfen aber nicht erwarten, dafs die von ihm entwickelte mathe-
matische Formel für die Lichtabnahme die Beobachtungen vollständig
darstellen wird. Die physikalischen Grundlagen derselben, welche
ganz analog denen, wie sie bei der Extinktion des Fixsternlichtes in
der Erdatmosphäre gelten, angenommen worden, sind bei so ver-
änderten Umständen sehr berechtigten Zweifeln unterworfen, auch ver-
«TWflr*
396
liifst die rein mathematische Entwickelung bei so sehr viel größeren
Absorptionen den Bereich ihrer Gültigkeit. Nach den oben gemachten
Bemerkungen ist es von seihst klar, dafs auch im vorliegenden Falle
spektralphotomi'trische Methoden einen grofsen Vorzug vor andern
besitzen müssen. Herr Professor Vogel in Potsdam hat dies auch vor
vielen Jahren bereits erkannt und die genannten Methoden in dieser
Richtung angewandt. Einige wenige Zahlen aus seiner Boobachtungsreihe
mögen hier der Wichtigkeit und des Interesses wegen, welches ihnen
zukomrat, angeführt werden. Für die drei Stellen im Sonnenspektrum
K, G, B, welche bez. im Roth. Gelb und Blau liegend den Wellen-
längen 443, 579, 662 Milliontel Millimeter entsprechen, ergaben sich
die Helligkeiten in den Entfernungen E vom Mittelpunkt der Sonnen-
scheibc, letztere in Einheiten des Sonnenradius ausgedrückt:
E RGB
0
100
100
100
0.2
100
99
99
0.4
98
97
94
0.6
95
91
85
0.8
84
75
67
1.0
30
25
14
Zufolge dieser Zahlen werden also auch in der Sonnenatmosphäre
die weniger brechbaren Strahlen nicht unmerklich leichter durch-
gelassen.
Neben den selbstleuchtenden sind es die von der Sonne beleuch-
teten Körper, welche in den letzten Jahren Gegenstand der photo-
metrischen Untersuchung waren. Schwierigkeiten sehr ernster Natur
stellen sich aber hier der Forschung entgegen und die Zuverlässigkeit
der erhaltenen Resultate ist in keiner Weise so unantastbar, wie
u. a. Zöllner, der gerade diesen Theil der Photometrie mit beson-
derem Eifer gepflegt hat, glaubte. Vielleicht war es ein Glück für
die Entwickelung dieses Wissenszweiges, dafs sein Vorkämpfer die
Bedeutung der neuen Betrachtungen und deren Zuverlässigkeit in
manchen Richtungen überschätzte. Jedenfalls hat dieser Umstand die
Belebung der wissenschaftlichen Arbeit nur angeregt. Wenn wir jetzt
genoigt sind, manche damals gehegte Hoffnung als trügerisch, manches
erlangte Resultat als bezweifelbar auzusehen, so wird dadurch das
einmal erwachte Interesse an diesen Gegenständen gewifs nicht mehr
abgeschwächt worden können.
Als Grundlage für alle Schlüsse, welche aus photometrischen
Beobachtungen an Planeten gezogen werden können, ist selbstver-
397
stündlich das Gesetz anzusehen, welches das Verhältnifs der von einem
Oberflächeuelement erhaltenen Lichtmenge zu der dem Beobachter zu-
gesandten angiebt. Man kann die in der Natur vorkommenden Körper
in zwei grofse Gruppen eintheilen, in spiegelnde, welche auffallendes
Licht nur in ganz bestimmten Richtungen zurückwerfen, ohne dasselbe
zu färben, und solche, welche das Licht nach allen Richtungen zer-
streuen und hierbei demselben eine spezifische Färbung ertheilen.
Letztere kann man ., zerstreut reflektirend" oder „absolut matt“ nennen.
Diese beiden Gruppen sind durch allmähliche Uebergänge verbunden •
und gerade diese sind es, die wir in Wirklichkeit antreffen, während
die Extreme vielleicht niemals Vorkommen. Schon infolge dieser Be-
merkung wird man kaum ein Gesetz erwarten, das in grüfserer Allge-
meinheit die Stärke der Beleuchtung der irdischen Körper wiedergeben
wird, weil diese offenbar von der materiellen Beschaffenheit des sicht-
baren Gegenstandes abhängig ist. Verwundern mufs cs uns im Gegen-
theil, dafs man lange Zeit alle sogenannt zerstreut reilektirenden Sub-
stanzen durch eine einzige und noch dazu höchst einfache Formel, das
sogenannte I-ainbertsche Gesetz, ') umspannen zu können glaubte.
Auf dieser Annahme beruhen in der That die meisten Resultate, welche
Zöllner auf Grund photoinetrischer Beobachtungen über die physische
Beschaffenheit der Himmelskörper aufgesteilt hat. Gerade deshalb
aber schien es doch von Wichtigkeit, das Lambertsche Gesetz an
Substanzen und speziell an solchen, welchen das Prädikat „exquisit zer-
streut refieklirend“ zukommt, wie Gyps, Karton, Marmor etc. zu prüfen.
Solche ziemlich ausgedehnte Versuchsreihen wurden vor einiger Zeit
auf der Münchener Sternwarte ausgefiihrt und haben das erwartete
Resultat bestätigt, dafs nämlich das Lambertsche Gesetz sich nur in
Ausnahmefällen als Näherung an die Wahrheit bewährt. Man könnte
indessen glauben, dafs die in der Wirklichkeit vorkommenden Stoffe
eben nicht vollkommen dem Begriffe der zerstreuten Zurückwerfung
entsprächen, und dafs das Lambertsche Gesetz sich auf einen gewissen
idealen Zustand bezöge. Dem gegenüber mufs aber hervorgehoben
werden, dafs es bis jetzt nicht geglückt ist, jene Eigenschaften der
Materie physikalisch zu definiren, welche das genannte Beleuehtungs-
geselz nach sich ziehen, Lambert glaubte zwar seine Formel mit
') Bezeichnet man mit i und e die Winkel, welche die Richtung von
einem Flächenelemenlo nach der Lichtquelle und nach dem Beobachter mit
der Normalen des Flächenelementcs bilden, so ist nach Lambert bei unver-
änderlichen Entfernungen die dem Beobachter zugesandte Lichtmeugo pro-
portional mit cos i ■ cos <.
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398
Hülfe der allgemeinen Sätze über die räumliche Ausbreitung der
Lichtbewegung allein ableiten zu können. Sein Oedankengang wurde
aber von Zöllner als fehlerhaft nachgewiesen. Letzterer versuchte
einen andern Beweis herzustellen, aber auch dieser ist nicht aufrecht
zu erhalten.
Da also weder Theorie noch Experiment auf die Lambertsche
Formel führen, wird es nicht erlaubt sein, dieselbe zur Grundlage
eines ganzen Wissenszweiges zu machen. Aber selbst wenn die Ver-
hältnisse anders lägen, wäre eine Anwendung auf die Himmelskörper
nicht ohne weiteres gestattet. Die Oberflächen mehrerer Planeten
(z. B. Venus, Mars) sind gewifs nicht viel weniger heterogen zusammen-
gesetzt wie die unserer Erde. Welche fast unberechenbar verwickelte
Erscheinungen diese letztere aber in photometrischer Beziehung einem
entfernten Beobachter darbieten mufs, habe ich in einem vor kurzem
erschienenen Aufsatze2), auf den ich wohl verweisen darf, auseinander-
gesetzt. Zöllner hat wohl diese Sachlage nicht ganz verkannt. Er
war aber der Meinung, dafs diejenigen Planeten, welche eine sehr
dichte Atmosphäre besitzen (z. B. Jupiter und Saturn), eine Beleuch-
tung zeigen müfsten, die sich dem Lambertschen Gesetze fügt und
dafs man also aus photometrischen Beobachtungen die gewifs wichtige
Erkenntnifs erlangen kann, ob ein Planet eine dichte Atmosphäre habe
oder nicht. Aber auch diese Meinung ist nicht zutreffend. Wenn
man nämlich die hierbei angenommenen Prämissen richtig verfolgt,
kommt man zu einem völlig andern Beleuchtungsgesetze.3)
Xach alledem müssen wir die Meinung ausspreohen, dafs im
gegenwärtigen Stadium der Entwickelung die Photometrie nicht im
stände ist, Aufschlüsse über die physikalische Eigenschaft der Ober-
flächen der Planeten, wenigstens nicht im Sinne Zöllners, zu liefern.
Diese wenig hoffnungsreiche Aussicht darf aber nicht veranlassen,
diesen Zweig der Astro-Photometrie von nun ab zu vernachlässigen.
Die Konstatiriing der Veränderungen der Helligkeiten eines Planeten,
die Vergleichung der Helligkeit verschiedener Planeten wird nach
wie vor höchst interessant sein und kann dort, wo sich einwurfsfreie
Grundlagen der theoretischen Betrachtungen hersteilen lassen, zu
immerhin wichtigen Resultaten führen. Hierfür können wir schon
jetzt einige Beispiele anführen. So wird die photometrische Be-
3 1 Zur Photometrie zerstreut reflektirender Substanzen. Sitzungsberichte
der k. bayor. Akademie der Wissenschaften. München 1888.
s) ^ gh Bemerkungen zu Zöllners photometrischen Untersuchungen.
Viorletjahresschrift der astronom. Gesellschaft. Jahrgang 21. 188G.
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390
obachtung der Jupiterstrabanten dazu helfen können, unter Um-
ständen die Rotationsbewegungen dieser Gestirne zu erkennen, wie die
dahin gehenden schönen Untersuchungen des leider so früh ver-
storbenen R. Engelmann ergeben haben.
Ferner hat sich die Aussicht eröffnet, mit Hülfe photometrischer
Beobachtungen die Verfinsterungen derselben Trabanten für das
Problem der geographischen Längonbestimmungen namentlich auf
Keisen und auch für die Theorie der Bewegung dieser Satelliten in
gröfserem Umfange nutzbar zu machen als bisher möglich war. Denn
solche Beobachtungen erlauben erst einen bestimmten Moment des ganzen
Vorganges einer Verfinsterung aufzufassen und so diese Art der Be-
obachtung mit einer Genauigkeit auszustatten, die man früher auch
nicht annähernd erreichen konnte. Schlierslich mag noch ein Fall
erwähnt werden, der besonders geeignet ist zu zeigen, wie man unter
besonderen Umständen sich von den Hypothesen völlig frei machen
kann, welche sonst der Photometrie der Planeten anhaften und wie
man zu ganz einwurfsfreien Resultaten gelangen kann. Dieser betrifft
den Planeten Saturn mit seinen Ringen.
Seitdem Huygens die wahre Form der Saturnringe erkannt hatte,
war dieses merkwürdige Gebilde stets der Gegenstand eifrigster Nach-
forschungen. Dars dieses Objekt keinen kompakten starren Körper
darstellen könne, wufste man schon, nachdem Cassini die nach ihm
benannte Trennungslinie entdeckt hatte; anfserdem hat Laplace gezeigt,
dafs ein solcher Zustand wegen der aufserordentlich geringen Dicke
der Ringe auf die Dauer gar nicht bestehen könne. Er glaubte des-
halb annehmen zu müssen, dafs der Saturnring aus sehr vielen äuTserst
schmalen konzentrischen und nicht homogenen festen Ringen, die um
den llauplkörper rotiren, bestände. Aber auch ein solches System
scheint auf die Dauer nicht stabil sein zu können, vielmehr wird es
das Bestreben zeigen, den stattfindenden Zustand der Zusammen-
gehörigkeit zu verlassen; die Ringe werden sich mit der Zeit auf der
einen Seite dem Hauptkörper nähern, auf der andern entfernen, bis
sie einseitig mit der Oberfläche desselben zusammenstofsen. Nicht
viel anders scheint sich die Sache zu gestalten, wenn man die Materie
der Ringe als flüssig, ob gasförmig oder tropfbar flüssig, annimmt.
Die Einwirkung der 8 Trabanten würde mit der Zeit eine Auflösung
der Ringfigur bewirken müssen, die gegenwärtige Figur ist wie man
sagt, nicht stabil. Auch die Erklärung der beobachteten Trennungs-
linien wird auf diesem Wege nicht glücken und der innerste soge-
nannte dunkle Ring widerspricht direkt einer solchen Ansicht.
400
Alle Schwierigkeiten fallen aber sofort weg, wenn man die zu-
erst von Maxwell aufgestellte, dann von Hirn tiefer begründete An-
sicht acceptirt, der Saturnring werde von diskreten Massentheilchen
gebildet, die sich frei wie Satelliten oder Meteorschwärme um den
Saturn bewegen.
Es ist hier nicht der Ort, im einzelnen zu zeigen, wie in der
Thal alle Erscheinungen, die der Saturnring darbietet, bis ins Detail
durch diese Hypothese völlig erklärt werden können, wiewohl diese
Aufgabe eine höchst dankbare wäre. Ich will vielmehr nur das her-
vorheben, was zum Gegenstände dieses Aufsatzes in direkter Be-
ziehung steht.
Ich habe schon vor mehreren Jahren nachgewiesen, dafs sieh
die Thatsache, dafs der Saturnring, obwohl seine Ebene alle mög-
lichen Neigungen zwischen 0 und 30 Grad gegen die Gesichtslinie
einnehmen kann, immer nahezu gleich hell erscheint, in der unge-
zwungensten Weise aus der Maxwell-Hirnschen Theorie ergiebt. In-
zwischen hat Herr Dr. Müller, der den Saturn seit Jahren photo-
metrisch verfolgt, gefunden, dafs die Helligkeit des Saturnsy Sternes
sehr bedeutende Variationen aufweise, die nicht von der Stellung der
Kingebene gegen die Gesichtslinie, wohl aber von der Lage des
Saturn gegen die gerade Linie Sonne — Erde abhiinge. Er hat ge-
funden, dafs die Helligkeit des ganzen Systemes 00 Tage vor oder
nach der Opposition nur etwa 80 Prozent von der in der Opposition
beträgt. Diese Helligkeitsschwankung mufs nun als Folge der er-
wähnten Ansicht über die Konstitution des Saturnringes als von dem
letzteren allein herrührend angesehen werden, und selbst ihr Betrag
läfst sich bei genügender Verfolgung dieser Theorie als mit dem aus
den Beobachtungen hervorgehenden vollständig in Einklang bringen.
Sehr einfache Betrachtungen lassen die obwaltenden Verhältnisse voll-
kommen erkennen. Die einzelnen Theile, welche den Ring bilden,
werden von der Sonne beleuchtet und von der Erde betrachtet. Hier-
bei tritt eine doppelte gegenseitige Beeinflussung ein. Erstens be-
schatten sich die einzelnen Theilchen gegenseitig, zweitens verdecken
sie sich theilweiso und beide Vorgänge bewirken eine Verminderung
der Helligkeit des Gesamtbildes. Die beschatteten und verdeckten
Theilchen sind im allgemeinen von einander verschieden, fallen aber
dann ganz zusammen, wenn Sonne, Erde und Saturn genau in einer
geraden linie sich befinden. Hier werden keine Schatten wahrge-
nommen, weil sie ganz von davorstehenden beleuchteten Theilchen
verdeckt werden. Je mehr sich aber Saturn von der Geraden
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401
Sonne — Erde entfernt, desto mehr werden die Schatten sichtbar und
man sieht also, dafa die Helligkeit des Ringes in der Opposition bei
weitem am gröfsten sein mufs.
Ganz ähnliche Vorkommnisse kann man alltäglich, wenn man
nur auf sie aufmerksam geworden ist, beobachten. Geht man nämlich
bei Sonnenschein und zwar am besten bei nicht zu hohem Sonnenstand
über ein Stoppelfeld oder frisch aufgeworfene Ackererde und beachtet
hier die Lichtvertheilung, so wird man überrascht sein zu sehen, wie
schnell die Helligkeit ganz in der Nähe des Schattens des eigenen
Kopfes zunimmt und am Schattenrande selbst sich zu sehr bedeu-
tender Intensität steigert. Das Phänomen, prinzipiell ähnlich dom,
welches der Saturnring darbietet, ist, wie auf den ersten Blick er-
sichtlich, durch ganz ähnliche Ueberlegungon zu erklären.
Die auseinandergesetzten Verhältnisse in mathematische Formeln
zu kleiden, bereitet keine besonderen Schwierigkeiten. Ein solches
Ausarbeiten der Theorie ist aber absolut nothwendig, denn es genügt
niemals, eine Erscheinung nur qualitativ zu erklären, wenn dieselbe
sich in zahlenmäfsigen Resultaten ausspricht. Zur vollständigen Durch-
führung der gestellten Aufgabe waren einige speziellere Annahmen
nütliig. Zunächst habe ich die einzelnen Körper, aus denen der
Satumriug besteht, als kleine Kugeln angenommen und vorausgesetzt,
dafs diese nach den Gesetzen des Zufalles, also nahezu gleichförmig
den ganzen Ring ausfüllen. Beide Annahmen sind indefs so allge-
mein und überdies nur zur Ermöglichung der wirklichen Ausrechnung
gemacht, so dafs man in ihnen ein hypothetisches Element nicht er-
blicken wird. Da weitere Hypothesen, also namentlich nichts über
optische Eigenschaften der Matorie, aus welchen die Theilchen zu-
sammengesetzt sind, erforderlich waren, so beruht die ganze Berech-
nung auf so allgemeinen Grundlagen, als man nur wünschen kann.
Dafs diese den Beobachtungen sehr gut und namentlich in allen
charakteristischen Punkten entspricht, dürfte eine neue und, wie ich
glaube, werth volle Stütze für die Richtigkeit der Maxwell-Hirnsehen
Theorie bilden.
Uimmel und Erde. I. T.
29
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Die ungewöhnlichen atmosphärischen Erscheinungen
nach dem Ausbruche des Krakatau.
Von Dr. Ernst Warner,
Assistent de» Koni?]. m«teortdngi»cheo Institut« in Berlin.
^(T Tro (las Bild jener gewaltigen Aeufserung unterirdischer Kräfte
i. in der Erdgeschichte möglichst vollständig für alle Zeiten fcat-
hallen zu können, muß sich zur Oeologie noch die Meteoro-
logie gesellen, in deren Gebiet fast ausschliefslich die mannigfachen
außergewöhnlichen Erscheinungen fallen, welche im Gefolge des Aus-
bruches während mehrerer Jahre ihren Schauplatz in der Erdatmo-
sphäre hatten. Nachdora diese endlich zur Ruhe gekommen sind, und
die vielfachen Anregungen zu wissenschaftlichen Untersuchungen sowie
das gewaltige Beobachtungsmaterial in einigen umfangreichen Werken,
welche als bleibende Zeugnisse des großen Ereignisses gewissertnafsen
den festen Niederschlag der gewonnenen Resultate repräsentiren, end-
gültig niedergelegt sind, möge es gestattet sein, die wesentlichsten
Punkte der atmosphärischen Erscheinungen, sowie die aus denselben
abgeleiteten neuen Erkenntnisse näher darzulegen. Während das Werk
von Professor J. Kiefsling: „Untersuchungen über Dämmerungs-
ersoheinungen u. s. w.“ sich nur mit den atmosphärisch -optischen
■Störungen beschäftigt, sind von dem umfangreichen Quarthande, in
welchem das Krakatau-Comitö der Royal Society in London die Er-
gebnisse seiner Forschungen niedergelegt hat, zwei Dritttheile den
atmosphärischen Erscheinungen gewidmet.
In zwiefacher Beziehung haben auf der Oberfläche der Erde die
Nachwirkungen der gewaltigen Explosion in der Sundastrafse festge-
stellt werden können, erstens durch eine Luftwelte, welche durch die
den Einsturz des Kraters begleitende Lufterschütlerung hervorgerufen
wurde und mehrmals die gesamte Atmosphäre hiu- und zuriickiaufend
umkreiste, zweitens durch außergewöhnliche Dämmerung» -Erschei-
nungen, seltsame Färbungen von äonne und Mond und einen bisher
nicht gesehenen farbigen Sonnenring, welche insgesamt den in die
höchsten Höhen der Atmosphäre hinausgesohleuderten Auswurfspro-
duktcn des Vulkans ihro Enßtohung verdankten.
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403
Der Verfolgung der groben Luftwelle hat der Bericht der eng-
lischen Gesellschaft besondere Aufmerksamkeit gewidmet, so dafs wir
in der Lage sind, ein genaues Bild eines Hin- und Rücklaufes der-
selben und zwar des ersten unseren Lesern vorführen zu können.
Wahrzunehmen ist eine solche Luftwelle, welche aus einer Verdichtung
und nachfolgender Verdünnung der Luft besteht, nur durch das Stei-
gen und Fallen des Barometers, vorausgesetzt dass der Betrag dieser
Verdichtung grofs genug ist, um innerhalb der Genauigkeitsgrenzen der
Instrumente überhaupt wahrgenoimuen werden zu können. Doch ist
leicht cinzusehen, dafs zum Festhalten einer solchen Erscheinung nur
diejenigen Instrumente fähig sind, welche eine kontinuirliche Aufzeich-
nung ihrer Angaben ausführen, woraus sofort ersichtlich ist, dab eine
solche Untersuchung in keinem früheren Falle hätte angestellt werden
können, da Registrirbarometer erst in den letzten Jahrzehnten in allge-
meineren Gebrauch gekommen sind. Und zwar genügte es für vorlie-
genden Zweck nicht, Registrirungen in kurzen Zwischenräumen vor-
zunehmon, da eine so schnell vorübergehende Erscheinung selten in
den Augenblick einer Ilegistrirung fallen dürfte, und selbst dann wegen
des Mangels einer Fortsetzung kaum richtig gedeutet worden würde.
Daher reduzirt sich die Zahl der Stationen, welche zur Bestimmung
des Weges der Luftwelle dienen konnten, auf 47, die über den ganzen
Erdball, wenn auch ziemlich ungleich, vertheilt liegen. Diese im Vor-
hältnifs zu der groben Menge meteorologischer Stationen, welche den
Luftdruck beobachten, geringe Anzahl spricht am deutlichsten für die
groben Vortheile koutinuirlicher Aufzeichnungen meteorologischer
Phänomene.
Nachdem man an den Barogrammen verschiedener Stationen an
dem kritischen Tage mehrere spitzenartige Vorsprünge der Kurven
bemerkt hatte, welche in bestimmten Abständen sich wiederholten,
wurde man dazu geleitet, die Ursache dieser seltsamen regelmäfsig
eich erneuernden Störung näher zu untersuchen. Aus der Betrachtung
des ganzen verwendbaren Materials ergiebt sich nun, dafs diese Luft-
erschütterung, sich von dem Krakatau als Centrum aus in kleinen
Kreisen erweiternd, rings in der Entfernung von durchschnittlich 'JO 11
von demselben einen grüblen Kreis um die Erde bildete. Da durch die
Kugelform der Lufthülle eine weitere Ausbreitung nicht möglich war,
begann die Welle sich wieder zusammenzuzichen, und getätigte in
immer kleineren Kreisen endlich zu den Antipoden des Krakatau.
Dieser Punkt wurde hiermit zu einem neuen Erschütterungspunkte der
Luft, der Vorgang wiederholt sich von hier aus in derselben Weise,
*9»
•104
so dafs dio dritte Wello wieder vom Krakatau ihren Anfang nahm.
So intensiv war die ursprüngliche Erschütterung, dafs sieben Stil rangen
des Luftdruckes nachweisbar sind, indem die Wello viermal vom
Krakatau auslief, und dreimal von seinem Antipodenpunkte, der in
der Gegend von Bogota in Columbia zu suchen ist, zurücklaufend
walirgonorainen wurde.
Die Luftdruckschwankung, welche der grofsen Explosion am
Vormittag des 27. August 1883 folgte, begann mit einem plötzlichen
Steigen dos Barometers, welchem nach einigen geringen Oscillationen
ein plötzliches Fallen folgte; dieser Vorgang wiederholte sich bei den
dem Krakatau zunächst gelegenen Stationen andauernd mehrere Male
r /m.
Fortpflanzung der ersten Luftwelle bis zu den Antipoden von Krakatau.
(Die beigedruckten Zahlen gebon dio Zeit in Stunden an, welche die Luftwelle gebraschte,
um bis zu der betreffenden Stelle vorzudriDgen.)
während etwa zweier Stunden sehr ausgeprägt bei der ersten Störung,
aber auch bei fernen Stationen noch merklich. Die weiteren Vorüber-
gänge der Luftwellen, von welchen die eine von Ost nach West, die
andere in entgegengesetzter Richtung die Erde umkreiste, zeigten sich
nur durch ein kurzes plötzliches Steigeu an. Für Greenwich z. B. be-
trägt die Zeit zwischen je zwei Wellen vom Krakatau nach West im
Mittel 12Vs Stunde, während die Wellen mit dem weiteren Umwege
durchschnittlich 24 Stunden brauchten, mit gröfseren Abweichungen
im einzelnen, so dafs in etwa 3(i Stunden ein gröfster Kreis auf der
Erdkugel durchlaufen wurde.
Aus den Barogrammen der fünf uächstlicgenden Stationen gelang
es den Zeitmoment der Huuptexploeion, über welchen direkte Angaben
von völliger Genauigkeit fehlten, innerhalb einiger Minuten zu fixiren.
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405
und zwar auf 2h 5Gm mittlere Greenwichzeit, oder 9 11 58m Lokalzeit
von Krakatau. Eine Bestätigung dieser Bestimmung liefern Aufzeich-
nungen aus Batavia, welche zwar nicht zu wissenschaftlichen Zwecken
gemacht worden waren, aber in diesem Falle die Abwesenheit eines
Kegistrirbarometers in Batavia zu ersetzen vermochten. An den selt-
samen Sprüngen, welche der Indikatorstift des Registrirapparates an
dem Gasometer der Gasfabrik in Batavia ausführte, läfat sich in dem
gröfsten Ausschlage des Schreibstiftes, welcher über den Papierstreifen
hinaussprang, der Zeitpunkt zwischen 10h 15m und 10*1 20ro iixiren.
Da die Zeitdifferenz Krakatau-Batavia -f- 5.4 m beträgt, und die Luftwelle
die Strecke von 1° 22' gröfsten Kreises in etwa 7.8“ durchlaufen haben
Erste Luftwelle, von den Antipoden des Krakatau bis zum Ursprungsorte
zurückkehrend.
dürfte, so würde die obige Zahl 10h 11 m ergehen, was in Anbetracht
der möglichen Ungenauigkeiten gut übereinstimmt.
Die Geschwindigkeit der Luftwelle pro Stunde schwankt zwischen
9.75 und 10.5 Aequatorgradcn, woraus sich Zahlen ergeben, welche mit
der Geschwindigkeit des Schalles in der Luft nahe übereinstimmen.
Eine genauere Untersuchung der Verbreitungskurven der Luftwelle
zeigt, dafs ilir Fortschreiten nicht in allen Richtungen gleichmäfsig
stattfand, sondern dafs die Witterungsverhältnisse in den verschiedenen
Regionen des Erdballes erhebliche Veränderungen in den Fort-
pflanzungsgeschwindigkeiten bedingten, welche bei den mehrfachen
Wiederholungen in immer gröfserem Mafse auftreten mufsten, so dafs
die ursprüngliche Kreisform bald komplizirteren Kurven Platz machte.
Sehr merklich ist dieser Unterschied in der Richtung mit und gegen
die Erdrotation bei den Stationen in Australien und Neuseeland, indem
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die nach Ost gerichteten Wellen eine Beschleunigung aufweisen, welche
durch westliche Winde, die in dieser Gegend vorwaltend sein konnten,
erklärlich ist. Ebenso mögen es die besonderen Witterungsverhält-
nisse im Südpolargebiete veranlagt haben, dafs die über den Südpol
streichende Luftwelle zuerst eine erhebliche Verlangsamung, bei der spä-
teren Rückkehr eine beträchtliche Zunahme der Geschwindigkeit erfuhr.
Dafs eine so energische Lufterschütterung sich auch durch das
Gehör in bisher noch nicht beobachteten Entfernungen bemerklich
machte, kann hiernach nichts Auffallendes mohr haben; die Fläche,
über welcher Hie stärksten Detonationen vernehmbar waren, umfafst
nahezu >/,, der gesamten Erdoberfläche, und hat etwa die Oestalt einer
nach West verlängerten Ellipse mit Krakatau als Mittelpunkt. Be-
sonders interessant ist der Bericht des Polizeichefs James Wallis in
Rodriguez, welche Insel etwa 4890 km südwestlich von Krakatau liest
„Am 26. August war das Wetter stürmisch mit starken Regenböen, es
wehte aus Südost in Stärke 7 — 10 der Beaufortskala. Mehrmals wurden
in der Nacht zum 27. Detonationen von Ost her vernommen, wie ferner
Donner von schwerem Geschütz. Diese Knalle wurden in Intervallen
von 3 — 4 Stunden bis 3 Uhr Nachmittags (mit Berücksichtigung der
Schallgeschwindigkeit und LängendifTerenz etwa 2 Uhr Nachmittags
Lokalzeit in Krakatau) deutlich gehört.- Aehnlich lauten die Berichte
aus vielen Hafenpliitzen; vielfach glaubte man Schiffe auf hoher See
in Noth, und sandte, wie in Tavoy (Britisoh-Burma) und Port Blair
auf den Andanmnen vergeblich Schiffe zur Hilfe aus.
Als erste atmosphärisch-optische Störung, welche zunächst durch
den Aschenauswurf des Vulkans hervorgorufen w-urde, sind die un-
gewöhnlichen Färbungen von Sonne und Mond zu nennen, welche
in der Tropenzone, und zwar zuerst im Indischen Ozean, vereinzelt
auch in höheren Breiten beobachtet wurden. Bereits bei den ersten
Ausbrüchen wurden in dor Nähe des Vulkans diese Färbungen wahr-
genommon, welche später ebenfalls in den gröfsten Entfernungen sich
bemerklich machten, und zwar an Bord des deutschen Kriegsschiffes
„Elisabeth“ am 20. Mai. Damals trieb der Krakatau eine weifse 11 km
hohe Rauchsäule empor, aus welcher sehr feiner graugelber Staub
niederflol. Am Morgen des 21. Mai war das Sonnenlicht sehr ge-
schwächt, und die Sonneiischeibe erschien in einem fahlen Blau. Die
blaue Färbung erscheint nach der grofsen Katastrophe häufig, vielfach
wird jedoch von einer grünen Sonne gesprochen, und für die dem
Aequator nahen Theile des Indischen Ozeans überwiegt die grüne
Farbe längere Zeit. Auf Ceylon wurde vom 9. bis 12. September die
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407
Sonne nach ihrem Aufgang, wenn sie in der Höho von etwa 10°
sichtbar wurde, in schönstem Grün leuchtend gesehen. Bei weiterem
Steigen wandelte sich das Grün in glänzendes Blau, etwa wie
brennender Schwefel. Selbst im Zenith zeigte sich die bläuliche Fär-
bung, ähnlich der des Mondlichtes, deutlich. Die umgekehrte Farben-
folge trat entsprechend beim Untergange ein. Aufsor diesen häufigsten
Färbungen wird noch eine kupferfarbige, resp. Silber- oder bleigraue
Sonne erwähnt. Die verschiedenen Färbungen bei Aenderung der
Sonnenhöhe deuten darauf hin, dafs diese das Sonnenlicht absorbirende
Schicht eine Art selektiver Absorption ausübte. Wo die Asche am
dichtesten war, und die gröfseren Partikel die Strahlen von größerer
Wellenlänge, die feineren die von kürzerer Wellenlänge absorbirten,
fand eine allgemeine Absorption statt, woher das silbergraue Dicht;
in gröfserer Entfernung waren die Asche führenden Luftschichten
weniger dick, so dafs die Absorption nach dem rothen Ende des
Spektrums stärker wurde, und daher die Sonne einen blauen Schein
annahm. Da mehr nach dem Horizonte hin die Sonnenstrahlen immer
gröfsere Strecken zu durchlaufen haben, die mit Wasserdampf und
Staub erfüllt sind, welche die blauen Strahlen immer mehr absorbiren,
so werden beide Enden des Spektrums geschwächt und die grüne
Farbe tritt um so deutlicher hervor. In der unmittelbaren Nähe des
Horizontes, wo die Absorption und Diffraktion durch den Wasserdampf
der weiteren Atmosphärenstrecke überwiegt, geht diese Farbe durch
Gelb und Orange schlierslich in das gewöhnliche Roth des Sonnen-
unterganges über, wie auch meist beobachtet wurde.
Dafs diese Sonnenfärbungen durch Staub, vulkanische Asche
oder Verbrennungsprodukte öfter Vorkommen, wird durch eine griifsore
Anzahl von älteren Beobachtungen unterstützt; hervorzuhebeu ist eine
Beobachtung Whympers, betreffend einen Ausbruch des Cotopaxi
am 3. Juli 1880. Er sah durch die Rauchwolken die Sonne lebhaft
grün gefärbt, worauf die Farbe plötzlich in Blutrolh und Kupferfarbe
überging, je nachdem die Dicke der Asche führenden Wolken zunahm.
Indessen ist nicht etwa nur die äufserst feine vulkanische Asche
allein im stände, solche abnormen Färbungen zu erzeugen, sondern
auch die Rauchwolken, welche bei den über ungeheure Flächen
Amerikas und namentlich West- und Centralafrikas in den heifsen
Jahreszeiten stattfindenden Grasbriinden grofse Quantitäten von Pflanzen-
asche weithin entführen, besitzen diese Fälligkeit in hohem Mafse,
überhaupt jede sehr fein vertheilte Materie, deren einzelne Theilchen von
gleicher Gröfse sind, wie es durch die Untersuchungen von Kiefsling
408
unzweifelhaft bewiesen ist. Hiernach würden in den ungeheuren Mengen
von Wasserdumpf und Hauch, sowie namentlich schwefelhaltigen Ver-
bindungen, welche in die Höhen der Atmosphäre geschleudert wurden,
jene sehr kleinen Körperchen zu suohen sein, welehe die farben-
prächtigen Erscheinungen der blauen und grünen Sonne auch in
Gegenden beobachten liefsen, wohin die Asche des Vulkans nichl
mehr gelangte. So gut es nun auch Kiefsling experimentell gelungen
ist, alle diese Färbungen des Sonnenlichts in mechanisch erzeugtem
Staub und künstlichem Xebel verschiedenster Beschaffenheit zu er-
zeugen, so unvollkommen ist bisher die theoretische Entwicklung des
wahren Herganges der Sache geblieben. Denn es sind weder reine
Beugungs- noch reine Absorptionsfarben. Wahrscheinlich spielen
auch Heflexionen zwischen den einzelnen Stofftheilen eine wesentliche
Holle, weshalb Kiefsling den ganzen Vorgang, der diesen Erschei-
nungen zu Grunde liegt, durch die besondere Bezeichnung „optische
Diffusion“ resp. „Diffusionsfarben“ lur die entstehenden Färbungen
von reinen Beugungs- resp. reinen Absorptionsphänomenen unterschieden
wissen will.
Diese Schichten, in welchen die eben beschriebenen Färbungen
der Sonnenscheibe und auch die übrigen aufsergewöhnlichen Licht-
erscheinungen erzeugt wurden, entstammen offenbar den grofsen Aus-
brüchen am 26. und 27. August, an welchen die vulkanische Kraft
aufs höchste gesteigert war, und zeigten sich, auf ihrem Wege nach
Westen als immer breiter werdender Gürtel die Erde umkreisend,
auch in weiten Entfernungen von ihrem Ausgangspunkte bis in unsere
Breiten hin als eine besondere Art Dunst deutlich erkennbar, bn
Indischen Ozean und der Aequatorialzone überhaupt war dieser Dunst
noch nach Wochen so dicht, dafs die Sonne schon einige Grad über
dom Horizont darin völlig verschwand, während er in höheren Breiten
meist nur bei Sonnen-Aufgang und -Untergang merklich hervortrat.
Obwohl derselbe vielfach Andeutungen von Streifungen zeigte, welche
etwas an die Streifungen in den höchsten Cirrus- und Cirrostratus-
wolkon erinnerten, unterschied er sich doch deutlich von solchen nur
aus Kondensation des Wasserdampfcs hervorgehendon Wolkengcbilden.
Vielmehr erschien er auch hei unmittelbarer Betrachtung weit über
der Höhe der höchsten Wolken zu schweben, und machte in der Nähe
des Horizontes den Eindruck sehr feinen bläulichen, moist aber bräun-
lichen Hauches.
Die Anwesenheit dieses in den Höhen der Atmosphäre sonst
nicht in greiserer Menge vorkommenden Kufserst homogenen Stoffes
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409
bewirkte neben dem hohen Wassergehalte der oberen Schichten haupt-
sächlich jene aufscrordentliche Verstärkung der gewöhnlichen Dämme-
rungserscheinungen, welche fast an allen Orten, wohin die feinsten
Auswurfsprodukte des Krakatau von den oberen Luftströmungen über-
haupt getragen wurden, in gleicher Weise beobachtet worden sind.
Wenngleich, wie erinnerlich, das farbenprächtige, weit über die ge-
wöhnliche Länge der normalen Dämmerungen dauernde Glühen des
Himmels die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog, und so die
Sammlung einer ungeheuren Zahl von Beobachtungen ermöglichte,
wäre es dennoch nicht leicht gewesen, die besonderen Abweichungen
von dem normalen Verlaufe festzustellen, da letzterer durchaus nicht
so genau bekannt war, als mau bei einer so häufigen, überall zu be-
obachtenden Erscheinung erwarten sollte, hätte man nicht in den
bereits im Jahre 1863 von Professor von Bezold*) beschriebenen
normalen Dämraerungsphänomenen bei wolkenfreiem Himmel eine zu-
verlässige Norm, zum Vergleiche besessen.
Es ist hier nicht der Ort auf diese klassische Darstellung näher
eingehen zu können, doch sei ausdrücklich hervorgehoben, dafs
von Bezold für die verschiedenen Akte der Gesamtentwickelung des
Phänomens die kurzen und treffenden Bezeichnungen gegeben hat, durch
welche präzise Beschreibung und zweifellose Deutung der Erscheinungen
so sehr erleichtert werden. Hiernach hat man bei Sonnenuntergang zu
unterscheiden: erstens das helle Segment, welches über der unter-
gegangenen Sonne aufsteigt und die dem rothon Ende des Spektrums
benachbarten Farben zeigt. Es wird von den höheren Theilen des
Himmels durch eine helle Zone (Dämmerungsschein) geschieden. Ihm
gegenüber zeigt sich auf der Ostseite, deutlich in die trüben, purpurnen
Farben der Gegendämmerung hineinschneidend, das dunkle Segment,
nämlich der aschfarbene Erdschatten. Längere Zeit nach dem Unter-
gang der Sonne entwickeln sich hoch über dem Horizont, etwa in 25°
Höhe hell rosenrothe Farben, welche sich zu einer kreisförmigen
Scheibe von grofsem Umfange ausdehnen. Während dor Radius dieser
Scheibe allmählich zunimmt, sinkt ihr Mittelpunkt scheinbar hinter
das helle Segment abwärts, so dafs sich schliefslich die Grenze der
Scheibe mit dem hellen Segment vereinigt. Dies ist das erste
Purpurlicht, welches z. B. auch die Ursache des Nachglühens der
Alpen ist Sein Helligkeitsmaximum tritt ein, wenn die Sonne etwa
3,4 bis 4,5° unter den Horizont gesunken ist Wenn das erste
*) Poggendorf Ann. 123. S. 240 — 276.
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410
Purpurlicht hinter dem hellen Segmente verschwunden ist, erscheint
am Osthimmel ein zweites dunkles Segment, während sich zu-
gleich dor ganze Vorgang, wenn auch in weniger glänzenden Farben
wiederholt Es erscheint ein zweites helles Segment über dem
immer tiefer sinkenden ersten, und bei sehr klarem Himmel hierauf
bisweilen das zweite Purpurlicht, meist in etwas geringerer Höhe
als das erste. Mit ihm ist ein nochmaliges Anwachsen der Helligkeit
verbunden, und erst nach dem völligen Verschwunden derselben hinter
dem zweiten hellen Segment tritt mit dem Erlöschen des letzteren das
Ende der astronomischen Dämmerung ein.
Diese Erscheinungen der Abenddämmerung und in umgekehrter
Folge der Morgendämmerung wurden nun durch die den Himmel
überziehende Dunstschicht zu einer in den letzten Jahrzehnten in
unseren Breiten nicht wahrgenommenen Intensität und Leuchtkraft der
Farben gesteigert — insbesondere war es die aufserordentliche Hellig-
keit und Dauer des zweiten Purpurlichtes, welche die Verwunderung
auch des Unaufmerksamsten erregen mufste, und wegen seiner purpur-
oder blutrothen Färbung irrthiimlich zuerst als Nordlicht oder Wider-
schein einer grofsen Feuersbrunst gedeutet wurde, zumal dasselbe oft
noch bis zwei Stunden nach Sonnenuntergang sichtbar blieb.
Einige Beobachtungen jener Zeit aus fernen Ländern mögen hier
zum Beweise folgen, dafs erstens von Bezolds Norm der Dämme-
rungen unter allen Breiten zutreffend bleibt, und zweitens die selteneren
Erscheinungen des normalen Falles aufsergewöhnlich verstärkt auftraten.
Mittheilungen an den „Sidney Herald" von L. Barg rav e am 25. Sept. 1883
und später lauten wie folgt: „In betreff des Rothglühens des Himmels,
welohes seit einiger Zeit so andauernd nach Sonnenuntergang eintritt,
mufs ein flüchtiger Blick einen Jeden überzeugen, dafs es sich nicht
um den gewöhnlichen rothen Sonnenuntergang handelt. Die Erstreckung
von Südwesl bis West und sogar noch weiter nach Nord macht seine
Natur als Südlicht sehr unwahrscheinlich, und ich meine daher, dafs
dasselbe nur durch vulkanischen Staub verursacht sein kann. Wieder-
holt habe ich die Sonne an wolkenlosem Himmel als orangengelbe
Scheibe untergehen sehen, 15—20 Minuten nach ihrem Untergange
scheint die Tageshelligkeit abzunehmen, da plötzlich zeigt sich ein
ovaler Fleck weifslichen Lichts in der Höhe von 25- 30°, der schnell
seine Farben wechselt, indem er in gelbliches Purpur, Rosenroth,
Ziegelroth und Kanninroth übergeht, wobei er sich zugleich erweitert
und dem Horizont zueilt Etwa 45 Minuten nach Sonnenuntergang
ist diese Phase hpendet, und nun erscheint wiederum in 30° Höhe die
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leuchtende Purpurfarbe, während der Horizont bräunliche Töne annimmt.
Die zweite helle Scheibe ist weiter ausgedehnt und weit weniger scharf
begrenzt als die erste, ihre Farbe wandelt sich in gelbliches Purpur,
Gelbrotli, Ziegelroth und Karmin, dehnt sich immer mehr im Azimuth
aus und verschwindet etwa l3/, Stunden nach Sonnenuntergang
am Horizont, womit die letzte Spur von Färbung des Himmels er-
loschen ist“ Aus Wooster, Ohio U. S., schreibt Prof. Stoddard: .Am
meisten trat das Purpurlicht hervor, dessen Erscheinungsweise mit der
in England und dem europäischen Kontinent beobachteten iiberein-
stimmL Vom 27. November 1883 bis 17. Januar 1884 habe ich sieben
Beobachtungen machen können, wobei in drei Fällen das Purpurlicht,
wenn auch schwach, bis zum Zenith aufstieg. Am 28. Dezomber, wo
es am glänzendsten auftrat, bildete sich am Osthimmel ein Bogen mit
sehr zarten, unmerklich ineinander übergehenden, rothen und gclb-
griinen Farben. Das Purpurlicht in der Höhe tauohto alle nach
Westen schauenden Gebäude in ein zauberhaftes, überirdisches Licht,
und erzeugte schwache Schatten auf dem Schnee. Dreimal erschienen
zarte Cirrusstreifen im ersten Purpurlicht, das zweite jedoch stieg stets
in glänzender Farbenpracht an völlig heiterem blauem Himmel auf"
Ausführlicher schildert Prof. Divers in Japan die Erscheinungen
des Dezember 1883, wobei zugleich des noch zu besprechenden Sonnen-
ringes Erwähnung geschieht. „An manchen Tagen umgiebt die Sonne,
auch hei hohem Stande, eine ausgedehnte silberweifs leuchtende Fläche
von 40—60° Durchmesser, die von einem schmutzig rothen oder roth-
braunen Ringe begrenzt ist. Eine ähnlich gefärbte dunstartige Trübung
liegt am Horizont, bei dem Niedergang der Sonne vermischt sich der
King mit derselben; während er über der Sonne sich verdünnt und
verschwindet, bleibt der silberweifse Glanz ungeschwächt Bei Sonnen-
untergang hat die kreisförmige Fläche dieses intensiven Lichtes etwa
12° Durchmesser, und diese erscheint manohtnal auch allein an den-
jenigen Tagen, wm die röthliche Färbung des Ringes und des Horizontes
nicht merklich ist Aufserdem bleibt die Sonne weifslicher als sonst,
so dafs sie nur goldorange gefärbt verschwindet Die weifse Scheibe
dehnt sich am Horizont aus, und durchläuft dabei die röthlichen Töne
des gewöhnlichen Sonnenunterganges, worauf nur etwa ein röthlicher
Streifen von 2° Höhe übrig bleibt, was etwa 20 Minuten nach Sonnen-
untergang ointritt Nun erscheint auf dem grauen Hintergründe im
Westen ein heller Fleck, der schnell an Leuchtkraft zunimmt, und
sich über den ganzen Westhimmel ausdehnt, welcher über der unter-
gegangenen Sonne am glänzendsten ist und prächtige Farben annimmt
Ucber einer etwas abgehackten kreisförmigen Fläche von ca. 12"
Höhe und 15° Breite liegt ein zarter grämlicher Ton, darüber zartes
sehr leuchtendes Gelborange, in der Höhe zieht sich das schönste
Rosenroth allmählich verschwindend bis zum Zenith. Dieses Wieder-
aufleuchten ist besonders eindrucksvoll, die Häuser sind von Licht
überfluthel, das kräftige Schatten wirft Das Aufglühen dauert etwa
5 Minuten und hält etwa eine Viertelstunde mit abnehmender Intensität
an, wobei das Urün in Gelb übergeht, die helle Scheibe langsam ver-
sinkt, und die rothen Färbungen etwa */, des ganzen Horizontes um-
spannen. Inzwischen ist der Osthimmel schon in Dunkelheit gehüllt,
doch nun beginnt sich noch einmal zart silberweifses Leuchten im
Westen zu zeigen, das sich mit grofser Schnelligkeit zum Zenith und
nach Nord und Süd ausdehnt, sich dann wieder zusammenziebt, nach-
dem es wiederum ziemlich intensiv die Farben des Sonnenunterganges
durchlaufen hat. Trotzdem nun völlige Nacht sein sollte, glüht von
West her ein zarter aber hellleuchtender Schein, der dem Brande
einer fernen Stadt zum Verwechseln ähnlich sieht, bis auch dieser
etwa 1 */, Stunden nach Sonnenuntergang endlich verschwunden ist."
Dafs in diesem röthlichen Scheine der Mond, die Venus und
Sterne erster Gröfse in schönstem Grün sich zeigten, wie von vielen
Stellen berichtet wurde, ist als Wirkung der Kontrastfarben leicht
erklärlich.
(Schlaf« folgt. I
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Der Yellowstone Park.
Von Prof. K. V. Zittel.
r Direktor der pelkontoloKlitohen Suats-Snmmimiic in München.
c -
jn der nordwestlichen Ecke des Territoriums von Wyoming, da
( 1 wo dasselbe mit Montana und Idaho zusammenstößt, liegt das
berühmte Wunderland Nordamerikas, der Yellowstone Park.
Durch gesetzlichen Schutz vor Ansiedelungen und spekulativen Unter-
nehmungen gehütet, bildet das Gebiet einen der ganzen Bevölkerung
der Vereinigten Staaten gehörigen, der Erholung und dem \ ergniigen
gewidmeten Zufluchtsort. Es ist allerdings lern von den volkreichen
Hauptstädten des Ostens gelegen und von New- York erst durch eine
drei- bis viertägige Eisenbahnfahrt zu erreichen; allein dio Verkehrs-
mittel in Nordamerika sind so vortrefflich, die Verpflegung und
Kommunikation im Nationalpark selbst so vorzüglich geordnet, dals
ein Besuch des letzteren gegenwärtig ohne erhebliche Anstrengung,
ja sogar ohne allzu grofse Kosten vielen Tausenden möglich ge-
macht ist Das Tafelland der westlichen Vereinigten Staaten steigt
stetig an, so daß bereits Wisconsin und Dakotah eine bedeutende llöhen-
* läge besitzen und in Montana der Fufs des Kelsengebirges ohne auf-
fallende Steigung erreicht wird. Im Yellowstone Park befindet man
sich im Herzen dieses mächtigen, wenn auch nicht überall großartigen
Gebirgszuges. Die Wasserscheide dos Kontinentes zieht durch die
südliche Hallte des Parkes, dessen mittlere Höhenlage von ca. 8000 Fuß
etwa dem Ober-Engadin entspricht. Auch das Klima zeigt damit viele
Uebereinstimmung; der Sommer beginnt erst in der zweiten Hälfte
des Juni und im September kündigen Naohtfröste und gelegentliche
.Schneeschauer bereits den kommenden Winter an. Sind die ursprüng-
lichen Wälder aus Nadelholz und Birken auch zum Theil durch Bös-
willigkeit oder Unvorsichtigkeit dem Feuer zum Opfer gefallen, so ist
doch die Waldvegctation abseits von der Hauptverkehrsstraße noch
in ihrer urwüchsigen Großartigkeit erhallen geblieben. Und nicht nur
durch Waldroiohthum, sondern auch durch eine Fülle von fließenden
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Gewässern und Seen zeichnet sich der Yellowstone Park vortheil haft
von anderen Theilen der Rocky Mountains aus.
In einer Höhe von 7740 Fufs liegt der 240 qkm. grofse Yellow-
stone See, der umfangreichste und höchst gelegene unter allen Ge-
birgsseen Nordamerikas. Aus ihm entspringt der Yellowstone Flufs,
der nach kurzem Lauf duroh einen hügeligen, mit Wald und Wiesen
bedeckten Thalkcssel das Washbum-Gebirge durchsehneidet und nach
mehreren herrlichen Wasserfallen in einer von 1800 Fufs hohen
Wänden begrenzten Schlucht, die an landschaftlicher Schönheit mit den
berühmtesten Alpenthiilern Europas wetteifert, dahinstiirmt
Den Weltruhm verdankt jedoch der Yellowstone Park weniger
seiner Oberflächengestaltung, als den daselbst in wunderbarer Mannig-
faltigkeit zu Tage tretenden Symptomen einer im Erlöschen begrilleuen
vulkanischen Thätigkeit. Mit Ausnahme schmaler Striche im Osten
und Korden besteht der ganze Boden des Nationalparks aus Eruptiv-
gesteinen von jugendlichem Alter. Drei Perioden vulkanischer Thätig-
keit lassen Bich unterscheiden. Die erste und heftigste lallt in die
Tertiärzeit; Andesit-Trachyte flössen damals aus zahlreichen mäch-
tigen Kegelbergen hervor und bedeckten fast das ganze Gebiet. Später
lieferten die vulkanischen Mündungen quarzrührende Trachyte (Rhyolite),
Tuffe, Obsidiane und Gläser der verschiedensten Zusammensetzung,
und zuletzt brachen an einzelnen Stellen dunkelgefärbte Basalte aus,
die sich beim Erstarren säulenförmig absonderten und über die älteren
vulkanischen Gesteinen ausbreitoten. Die Eiszeit kam und legte eine
Decke von Schnee und Eis über die erloschenen Krater, deren
iiufsere Formen durch die beim Abschmelzen der Gletscher entstan-
denen Fluthen bis zur Unkenntlichkeit zerstört sind. Heute besitzt
der Yellowstone Park keinen aktiven oder auch nur rauchenden Vulkan
mehr; die Thätigkeit derselben fand vor und während der Eiszeit ihren
Abschlufs, allein im Krdinnem dauert die vulkanische Gluth fort und
tausende von heifsen Quollen dringen als Sendboten aus der unter-
irdischen Werkstätte an die Oberfläche.
Beim Eintritt in den Yellowstone Park von Norden her erregt
der Wunderbau der heifsen Mammuth-Quellen (Mammouth hotsprings)
das Staunen des Besuchers. Unser Titelbild giebt eine Ansicht derselben
nach einer Photographie hergestellt ln vier terrassenförmigen Haupt-
stufen steigt der schneeweifse Tuffhügel etwa 3 — 400 Fufs an der Berg-
lehne empor. Jede Stufe enthält eine Anzahl rundlicher Becken von ver-
schiedenem Umfang und diese sind mit kry stall klarem, heifsem Wasser
gefüllt. Auf Spalten steigt das in die Tiefe gedrungene meteorische
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Wasser, nachdem es sich in der Nähe des glühenden vulkanischen
Erdinnere erhitzt, in die Höhe und indem es die am Nordrand des Yellow-
stone Parkes vorhandenen kalkigen Schichten durchdringt, nimmt es
grofse Mengen doppelt kohlensauren Kalkes auf. ln viele Rinnsale
vertheilt, sucht die heilse Fluth die Thalsohie zu erreichen; auf ihrem
Wege über die Stufen des Tuffberges entstehen Absätze von Kalk-
siuter in Form von Stalaktiten und traubig schaligen Massen, welche
ganze Reihen von phantastisch gestalteten Wannen bilden, die bis
zum Rand mit Wassor gefüllt sind. Aber nicht nur schnceweifscr
Kalksinter, sondern auch in geringerer Menge andere Substanzen,
namentlich Verbindungen von Kisen, Mangan, Magnesium und Na-
trium werden bei der Verdunstung des Wassers ausgeschieden und
rufen im Verein mit zierlichen Algen die prächtigsten schwefelgelben,
scharlachrolhen und braunen Farbenmischungen hervor. Die Tempe-
ratur der Mammutk-Quellen schwankt an ihrem Ursprung zwischen
4 1<>
70 und 74° C.; sie enthalten in 1000 g Flüssigkeit etwa 1 g minera-
lischer Bestandtheile und zwar kohlensauren Kalk (24,8 pCt), schwefel-
saures Natron (35,5 pCt.), Kochsalz (13,5 pCt.), schwefelsauren Kalk
(13,5 pCt.) und kleine Quantitäten von Kieselerde, Magnesia und
anderen Substanzen.
Wenige Meilen südlich von Mammouth 1 lotspring beginnt das
fieysir-Gebiet. Hier macht sich der vulkanische Einilufs noch direkter
und bestimmter geltend, als bei den Kalkthermen am Nordrand des
Parkes. Die kochenden, theilweise überhitzten Gewässer dringen
bei ihrem Aufsteigen durch vulkanische Gesteine und nehmen hierbei
vorzugsweise leichtlösliche kieselsaure Alkalien und freie Kieselsäure
auf. Wo sie zu Tage treten, hinterlassen sie beim Verdunsten ein
schneeweifses Kieselmehl, das wie eine Schneedecke den Boden der
drei kesselartigen Einsenkungen bedeckt, in denen sich die Thätigkeit
der heifsen Springquellen hauptsächlich abspielt. Im Norris-Becken
brechen allenthalben heifse Dampfwolken und zischende Gase aus
Spalten der Böschungen und der Sohle der weiten kraterähnlichen
Vertiefung hervor. Zahlreiche kleino Weiher sind mit azurblauem
oder lichtgrünem Wasser, andere mit braunem, brodelndem Schlamm
erfüllt, der von Zeit zu Zeit durch explodirende Dämpfe in die Höhe
geschleudert wird. Die Mehrzahl der Wasserbecken sind ächte Geysir
und in der Kegel durch eine greise Unruhe ihres Wasserspiegels
kenntlich. Die Springquellen des Norrisbeckens gehören zu den
kleinsten aber zugleich zu den thätigsten des Yellowstone Parkes.
So geräth das Wasser des .kleinen Minutenmannes* alle 40 — 00 Se-
kunden in stürmische Bewegung, wallt zwei- bis dreimal auf und
nieder, um schliefslich als schimmernde Garbe etwa 25 — 30 Fufs in
die Höhe zu steigen. Nur wenige Sekunden dauert die Eruption, dann
sinkt Alles zusammen und die vorher aufgeregte Wassermasse liegt
ruhig und unbeweglich da.
Weit reicher noch entfaltet sich das Geysirphänomen in den beiden,
wenige Meilen südlicher gelegenen Becken am Fireholo River. Wo
sich die beiden Arme dieses Flusses vereinen, dehnt sich eine ca.
100 qkm. grofse, mit schneeweifsem Sinter bedeckte Niederung aus.
Nahezu 700 heifse Quellen und 17 Geysir dringen hier aus der Tiefe
empor. Wohin der Blick sich wendet, überall treten ihm Symptome
der unterirdischen Kräfte entgegen, und während einos Kittes durch
die Niederung hat man Gelegenheit, verschiedene Geysir-Eruptionen
zu beobachten. Die grofsartigsten Springquellen (der Excelsior,
Grotto-, Giant-, Castle-, Giantess-Geysir u. s. w.) liegen am südlichen
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Arm des Firehole River im oberen Becken. Nicht weniger als 44
thätige Geysir und zahllose heifse Quellen gehören diesem groß-
artigsten Geysirgebiet der Welt an. Wahrend jedoch der Giant nur
allo 4 Tage, der gewaltige Excelsior etwa alle 24 Stunden Eruptionen
machen, die von heftigem Geräusch begleitet und meilenweit sichtbar
sind, wirft der Old Faithful fast genau nach 60 Minuten eine Wasser-
säule von 120 bis 140 Fufs in die Höhe, und der Grotto Geysir
spritzt in unregelmiifsigen, mehrstündigen Zwischenräumen fein zer-
theilte, glitzernde Wasserbüschel aus, welche den ganzen mit manns-
hohen Nischen versehenen Sintorkegel in eine dichte Dampfwolke
einhüllen. Wunderbar mannigfaltig sind auch die Eruptionsstellen der
Geysir beschaffen. Beschränken sich einige auf wollsackartige Sinter-
massen, die sie neben der Ausbruchsspalte anhäufen, so bauen sich
andere kegelförmige Hügel, ruinenhafte Felsgruppen, bicnenkorbartigo
Cylinder, mit Stalaktiten und moosähnlichen Gebilden ausgekleidete
Becken, und all' dies erhebt sich auf einer weifsen Sinterfläche, die
wio eine Schneelandschaft grell von dem dichten Tannenwald der
Umgebung absticht.
Im ganzen sind bis jetzt im Yellowstone Park 3500 heifse Quellen
und Schlammvulkane nachgewiesen und wenn hierzu noch die Dampf-
fumarolen und Solfataren gerechnet werden, so dürfte sich diese Zuhl
leicht verdoppeln. Das Wasser der Geysir ist in der Regel kochend
heifs oder steht doch dem Siedepunkt in der Temperatur nahe. In
einer Tiefe von 18 m fand man in der Spalte des Giantess Geysir
sogar überhitztes Wasser von 121° C. Der Gehalt an gelöster Sub-
stanz schwankt zwischen 1,2 und 1,6 in 1000 g Wasser; darunter sind
20 — 28 pCt. Kieselerde, 21 — 35 pCt. Chlor, 19 — 26 pCt. Natrium, 1 bis
24 pCt. Kohlensäure und kleine Mengen von Schwefelsäure, Borsäure,
Arseniger Säure, Aluminium, Calcium, Magnesium und Kalium. Je
nach dem Gehalt an Kochsalz oder kohlensaurem Natron reagirt das
Wasser alkalisch oder sauer. Beim theilweisen Verdunsten schlägt
sich fast reine Kieselerde in Form von weißem Kieselsinter nieder,
die übrigen leichter löslichen Substanzen fließen ab.
Zur Erklärung der Geysir-Erscheinungen wurden verschiedene
Hypothesen aufgestellt, unter denen die von B unsen am besten be-
gründet erscheint. Es läßt sich darnach das in der Tiefe durch
vulkanische Gluth erhitzte Wasser mit einer Wassersiiulo in einer
Röhre vergleichen, welche von unten her erhitzt wird. Durch den
darüber lastenden Druck erhält das Wasser eine beträchtlich über
dem Siedepunkt liegende Temperatur. Steigt es in die Höhe und
Himmel und Erde. L 7. 30
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gelangt in Regionen geringeren Druckes, so mute sicli eine propor-
tionale Menge Wasser in Dampf verwandeln. Da aber gleichzeitig
an der oberflächlichen Ausmündungsstelle eine Abkühlung eintritt
und das kältere und darum schwerere Wassor nach der Tiefe strebt,
so giebt es bei jedem Geysir eine bestimmte Zone, wo der überhitzte
aufsteigende Strom dein kühleren absteigenden begegnet. Dort ent-
wickelt sich eine grofse Menge Dampf und indem dieser die darüber
befindliche Wassei'siiule zu heben sucht, schafft er bei jedem Stofs
einen leeren Raum und dadurch eine lokale Aufhebung des hohen
Druckes. Sofort verdampft an dieser Stelle wieder ein Theil des
überhitzten Wassers. Die Ansammlung des Dampfes wird sohliefslich
so grofs, dafs nach einer Reihe mifslungener Versuche die ganze
darüber befindliche Wassersäule in die Höhe geschloudert, die Röhre
geräumt und der Dampf ausgetrieben wird. Jeder Eruption folgt
eine Erschlaffung und da die Wiederholung des Ausbruchs von der
Beschaffenheit der Quellspalto abhängt, so führt gewissermaßen jeder
Geysir seine Souderexistenz, die sich in der äufsorst mannigfaltigen,
mehr oder minder lebhaften Thätigkeit kundgiebt
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Versuch einer beweisführenden Darstellung des Welt-
gebäudes in elementarer Form.
Von
Dr. M. Wilhelm Meyer-Berlin.
' VI. Das System des Oopernikus.
"■ dem ptolemäischen System sind wir vor der Sohwelle der
Wahrheit angekommen. Wir haben bei dessen Vergleichung
mit den thatsäoblich beobachteten Bewegungen Gelegenheit gehabt, die
ungemeine Annäherung der ptolemäischen Weltmaschine au die unseren
Sinnen direkt wahrnehmbaren Vorgänge zu bewundern. Wir dürfen
es deshalb wahrlich den vielen vorzüglichen Denkern, welche sich
von Ptolemiius bis Oopernikus zu der Weltanschauung des
ersteren mit voller Ucberzeugungsfestigkeit bekannten, nicht als einen
Mangel an kritischem Scharfblick anrechnen, dafs sie so nahe an der
Wahrheit doch den kurzen Weg zu derselben nicht zu linden wufsten.
Alle Erklärungen, welche man bis dahin von den Vorgängen in der
Natur, auf Erden oder am Himmel zu geben versuchte, hatten damals
noch den Charakter blofser Hypothesen. Von den Naturkräften, von
der unveränderlichen Wirksamkeit stetiger Bewegungs-Agentien wurste
man noch so gut wie garnichts. Es konnte sieh also nur darum
handeln, das thatsiichlich Beobachtete durch einen begreiflichen Bewe-
gungsmechanismus darzustellen. Dieses war J’t u lern aus und den
nachfolgenden Mitarbeitern nn seinem System so völlig gelungen, dafs
auch der schärfste Denker bis auf die Zeit, da G alilei die Gesetze der
Schwerkraft entdeckte, nothwendig behaupten mufste, das ptolemiiische
Weltsystem sei das denkbar beste nacli menschlichen Begriffen, weil
es eben mit dem bis dahin thatsiichlich Beobachteten in vollem Ein-
klänge stand.
Auch indem wir nun weiter gölten und von den (.ehren des
Oopernikus und später denen des Kepler reden, können wir für
diese keine höhere Rangstufe beanspruchen, als etwa insofern ihre
betreffenden Weltsysteme ein bestimmtes grüfseres Wahrschein lich-
30*
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keitsgewicht Tür sich hatten. Auch den Weg, welchen diese Denker
cinschlugen, konnten dieselben nur tastend betreten, ohne die volle
Ueberzeugung zu gewinnen, dars auf demselben wirklich die Wahrheit
erreicht werden mufste.
Indem auch wir diesen Weg vorwärts wandeln, bleiben wir dem-
nach immer noch unserer eigentlichen Aufgabe fern, die unumstüfs-
liche Wahrheit unserer gegenwärtigen Ansicht vom Weltgetriebo be-
weisführend darzustellen. Wir stehen noch immer bei der Vorrede
zu der versprochenen Arbeit, welche in diesem Falle länger wird als
die Arbeit selbst.
Wir sind geniithigt, das Weltgebäude zunächst gewissermafsen
hinter einem halb durchsichtigen Schleier aufzubauen, welcher den
während des Aufbaus immer zunehmenden Olanz und die unausdenk-
liche Gröfse vor unsern Augen noch mildernd einhüllt, damit wir uns
erst allmählich an den überwältigenden Weltgedanken zu gewöhnen
vermögen, der, wollte man ihn plötzlich mit noch so logischer Ueber-
zeugtingskraft unsorm (leiste vorrühren, in der mangelnden Aufnahme-
fähigkeit desselben sicher einen unüberwindlichen Widerstand finden
würde. Es ist nur allzu wahr, dafs auch zur Erkenntnifs der Wahrheit
wir erst allmählich erzogen werden müssen durch irrige Hypothesen und
dafs der allweise Erzieher der Völker denselben Kunstgriff anwendet
wie die Mutter ihrem Kinde gegenüber, welchem sie auf allerhand
vorzeitige Fragen, deren richtige Beantwortung das Kind noch nicht
verstehen würde, sinnvolle Märchen vorsagt. Wonn dann das Kind
nach und nacli die Ueberzeugung von der Unzulänglichkeit solcher
Märchen gewinnt, und man ihm die Wahrheit sagt, so mag die Mutter
wohl in das Dilemma gerathen, dafs von dem klugen Kinde nun auch
die Wahrheit für ein Märchen gehalten wird. Es kommt dann darauf
an, sie als solche mit unumstiifslicher Gewifsheit zu beweisen. So ge-
schah es auch mit unserer astronomischen Erziehung. Die Weltsysteme
des Eudoxus, Hipparch und Ptolemäus waren wohlerdachte
Märchen. Copernikus und Kepler erzählten uns die Wahrheit,
aber sie gaben uns die Beweise noch nicht dafür, was erst New ton
vermochte. Auch wir müssen hier zunächst die Wahrheit ohne Be-
weise hinnehmen.
Wir knüpfen bei Ptolemiius wieder an und schreiben zunächst
in der folgenden kleinen Tabelle die Zahlen auf, welche der alexan-
drinische Gelehrte für die Bewegungen der Planeten auf ihren Epi-
cykeln und die der Epicykeln selbst auf ihrem deferirenden Kreise
angegeben hatte.
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«1
Planet
Bewegung im Epicvkel
Tiigl. Bewegung des
Mittelpunkts d. Epicykels
Summe
Sonne
in einem Tage
05 0' 0.0"
auf dem deferirenden
Kreise
0° 59' 8.8"
0“ 59' 8.3'
Merkur
3 6 24.1
0 59 8.3
4 5 32.4
Venus
0 36 59.4
0 59 8.3
1 36 7.7
Mars
0 27 41.7
0 31 26.6
0 59 8.3
Jupiter
0 54 9.0
0 4 59.3
0 59 8.3
Saturn
0 57 7.7
0 2 0.6
0 59 8.3
Wir erkennen in dieser Zusammenstellung die auffällige Thatsache,
dafs zunächst die Bewegung des Mittelpunktes des Epicykels von
Merkur und Venus genau ebenso schnell erfolgt, wie die der Sonne
um die Erde. Dann tritt eine markante Grenze ein, von welcher ab
diese Zahlen wohl verschieden werden, jedoch so, dafs von nun ab
die Summen der beiden Bewegungen wieder genau diese selbe Bewe-
gung der Sonne ergeben. Diese ist also überall in den Planetenbe-
wegungen enthalten, und diese Uebereinstimmung mufste in der Tliat
bei Zugrundelegung der ptolemäischen Weltansicht ungemein seltsam
erscheinen. Es ist doch eine alte logische Kegel, dafs gleiche Ur-
sachen nur gleiche Wirkungen hervorrufen können, und wenn man
auch diesen letzten Satz nicht unmittelbar umdrehen darf, weil unter
Umständen sehr ähnliche Wirkungen von einer Combination ganz
verschiedener Ursachen erzeugt werden können, so ist es doch eine
gleichfalls sehr alte Erfahrung, dafs in den bei weitem meisten Fällen
viele uns völlig gleich erscheinende Wirkungen zugleich von einer
einzigen Ursache herrühren. Hier lag also die Frage nahe, ob nicht
diesen sechs so völlig gleichen Zahlenwerthen, welche die Bewegungs-
Erscheinungen repriisentirten, eine solche gemeinsame Ursache zu
Grunde liege.
Ich halte es nun kaum für zweifelhaft, dars während der andert-
halb Jahrtausende, welche zwischen Ptolemäus und Copernikus
verflossen, sich viele Denker diese Frage gestellt haben, wenn-
gleich wir in den Annalen hierüber keine bestimmte Auskunft
finden können. Dafs diese unbekannten Denker solche Meinungen
durch das Schriftthum uns nicht zurückgelassen haben, liegt gewifs
nur an dem Schrecken, welcher sie selbst vor der Ungeheuer-
lichkeit der hier einzig möglichen Erklärungsursache überkommen
mufste, dafs nämlich die grofso Erde mit ihren weit ausgedehnten
Continenten und Meeren, mit ihren Millionen und aber Millionen ge-
schäftig lebender Wesen, dafs diese Grundvesten des Lebens, der bis-
her unerschütterliche Mittelpunkt des ganzen Weltgebäudes mit dieser
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422
ganzen wohl organisirten Ordnung des Naturgetricbcs sich durch den
freien Kaum bewegen solle, wie der Spielball, welchen sich Kinder
tändelnd einander zuwerfen. Sobald dieser Gedanke, der angesichts
der übereinstimmenden Zahlen ungemein nahe lag, auch nur einen
Moment auftauchte, mufste er von Geistern, denen nicht eine ganz un-
gewöhnlich grofse Ueberzeugungskraft inne wohnte, als völlig wahn-
sinnig wieder fallen gelassen werden. Am Ende konnte man sich
immerhin einen übertragenden Uhrwerktnechanismus denken, durch
welchen die Sonnenbewegung direkt in die Epicykeln der Planeten
eingrifT.
In der Weltanschauung der damaligen Zeit mufste die Erde noch
immer als der grüfste Körper der bekannten Welt gelten. Wohl
waren einige tastende Messungen versucht worden, w'elche mit Wahr-
scheinlichkeit für die bedeutendere Gröfse der Sonne sprachen, aber
nichts war deswegen gewifs. Die Ueberzeugung von der beherrschen-
den Stellung der Erde schien folglich wohl begründet und der Ge-
danke, dafs das leuchtende Tagesgestirn, welches in lebendiger Be-
wegung täglich um die Erde zu wandern schien, sie mit Licht und
Leben dienend überflutend, das Zentrum sein solle, um welches die
Himmelskörper mitsamt der damals noch unermefslichen Erde sich
drehen sollten, dieser Gedanke mufste in der That im ersten Augen-
blicke als völlig absurd erscheinen.
Um so mehr mufs man die gewaltige Geisteskraft und den Ueber-
zeugungsmuth eines Copernikus bewundern, der es wagte, diesen
abenteuerlichen Gedanken festzuhalten und mit unerschütterlicher
Energie wissenschaftlich streng auszuarbeiten. Dieses unsterbliche
Verdienst — doch nicht dasjenige, diesen Gedanken zuerst gehabt zu
haben — wird dem Domherrn von Frauenbnrg ewige Lorbeeren
flechten.
Denn allerdings dürfen wir nicht anzuführen vergessen, dafs zwei
griechische Denker bereits mehrere Jahrhundert vor Ptolemäus die
feste Ueberzeugung von der zentralen Stellung der Sonne gewonnen
und ausgesprochen hatten, nämlich Plato und Arislaroh. Von der
Ueberzeugung des Plato schreibt Plutarch ausdrücklich, .dafs er
die Erde nicht mehr in der Mitte des Ganzen gelassen, sondern diesen
Platz einem besseren Gestirne eingersiumt habe.“ *) Und von Aristarch
von Samos theilt Archimedes, der grofse Geometer, wörtlich über-
') Für diese und überhaupt die meisten geschichtlichen Angaben in
gegenwärtiger Arbeit benutzto ich die ausgezeichnet« „Geschichte der Astro-
nomie- (München 1877) meines hochverehrten Lehrers Rudolf Wolf.
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423
setzt, mit: „Nach seiner Meinung ist die Welt viel gröfser, als soeben
gesagt wurde, denn er setzt voraus, dals die Sterne und die Sonne
unbeweglich seien, dals die Erde sieh um die Sonne als Zentrum be-
wege und dafs die Fixsternsphäre, deren Zentrum ebenfalls in der
Sonne hege, so grofs sei, dafs der Umfang des von der Erde be-
schriebenen Kreises sich zu der Distanz der Fixsterne verhalte wie
das Zentrum einer Kugel zu ihrer Oberfläche. * Mit diesem letzteren
Vergleich war offenbar angegeben, dafs Aristarch die Entfernung
der Fixsterne gegen die Entfernung der Sonne von uns für unendlich
grofs hielt. Seine Weltanschauung entsprach also in allen wesent-
lichen Stücken völlig der unsrigen. Aber der Gedanke war damals
eine Frühgeburt. Er fand keine vorgebildete Grundlage seiner Existenz
und mufste deshalb nothwendig wieder untergehen.
Noch ist in dieser Beziehung besonders charakteristisch, dafs
Aristarch ganz ebenso wie die begeisterten Kämpfer für die coper-
nikauische Lehre, wie hauptsächlich Galilei, wegen dieser welt-
stürmerischen Lehre der Gotteslästerung angeklagt wurde. Der näm-
liche Plutarch, welchen wir vorhin von der Lehre des Plato erzählen
liefsen, sagte einmal in einem Gespräche: „Hänge uns nur keinen
Prozefs wegen Unglaubens an den Hals, Theucrster, wie einst Kleanthes
meinte, ganz Griechenland müsse den Samier Aristarch als Religions-
verächter, der den heiligen Weltherd verrücke, vor Gericht stellen,
weil nämlich der Mann, um die Himmelserscheinungen richtig zu
stellen, den Himmel stillstehn, die Erde dagegen in einem schiefen
Kreise sich fortwälzen und zugleich um ihre eigene Axe drehen liefs.“
Doch so interessant auch diese geschichtlichen Rückblicke sein
mögen, müssen wir uns dennoch endlich von ihnen losreifsen, ganz
besonders auch, da die heifsen Kämpfe um die copernikanische Lehre
unserer Gegenwart so nahe gerückt sind, dafs ein geschichtlicher
Ueberblick derselben wenigstens in seinen Grundrissen, wohl als all-
gemein bekannt vorausgesetzt werden kann.
In dem Geiste des Copernikus war, wie erwähnt, zuerst die
Ueberzeugung von der Bewegung der Erde um die Sonne fest genug
geworden, um sie mit Konsequenz durchführen und vertheidigen zu
können. Durch diese Lehre fielen die Epicykel sofort zum grofsen
Theil hinweg. Indem man die Erde mit den übrigen Planeten um die
Sonne als Zentrum kreisend denkt, lassen sich alle beobachteten Be-
wegungen eben so gut wie in dem ptolemäischen System darstellen
und die seltsame Beziehung der epicyklischen Bewegungen der
Planeten zu der der Sonne war also auf die gemeinsame Ursache,
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424
nämlich auf unsere eigene Bewegung im Raume zurückgefiihrt und
gleichzeitig das Woltgetriebe um eine Anzahl von Ibidem (Epicykelni
vereinfacht. Dafs in der That unter dieser neuen Voraussetzung die
beobachteten Schleifen fast genau so wie im ptoiemäischen System ent-
stehen, werden die beigegebenen Zeichnungen darlegen, ln der ersten
derselben sind für dieselben Zeiten, denen die in unserer vorangehen-
den Nummer wiedergegebenen Schleifen entsprechen, die Orte von Erde
und Mars in den copernikanischen exzentrischen Kreisen angegeben und
mit einander verbunden. Indem man diese Linien alle von einem
festen Punkte ausgehen liifst und ihre Endpunkte durch eine Kurve
verbindet, entstehen wieder nahezu dieselben Schleifen, wie im ptoie-
mäischen Systeme. (Siehe die Zeichnung auf nebenstehender Seite.)
Vereinfachend wirkte
auch ferner in ganz emi-
nentem Mafse die Lehre von
der Axendrehung der Erde,
denn dadurch wurde der
Umschwungder Ungeheuern
Fixsternsphäre in einem
Tage, der zugleich auch alle
Planeten durch einen un-
bekannten ' Uebertragungs-
mechanisraus mit sich rei fsen
mufsto, wiederum durch eine
einzige Ursache, durch die
Drehung des Erdkörpers
erklärt An Ausdehnung
mufste dieser ja jedenfalls
bedeutend kleiner sein als
die Fixsternsphäre, daran konnte keine Weltansicht zweifeln, welche
die Erde kugelförmig annimmt und deshalb war es auch von vorn-
herein wahrscheinlicher, dafs sie und nicht der Fixsternhimmel mit
allen seinen Planeten in einem Tage um sich selber kreiste.
Aber von den übrigen Grundlagen des ptoiemäischen Systems
konnte sich Copernikus dennoch nicht lossagen. Eben weil er die
eigentliche Ursache aller dieser Bewegungen nicht kannte, blieb ihm
nichts Anderes übrig, als einen festen, uhrwerkartigen Bewegungs-
mechanismus vorauszusetzen, der es nur mit vollkommenen Kreisen
zu schaffen hatte. Das Axiom von der gleichförmigen Bewegung im
Kreise wagte er deshalb trotz der grofsen Kühnheit seiner übrigen
Bewegung des Mars und der Erde
nach Copernikus.
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425
Gedanken nicht anzugreifen. Er hielt also die deferirenden exzentri-
schen Kreise des Hipparch fest, ja setzte sogar auf dieselben wieder
neue Epicykeln, welche allerdings eine ganz andere Bedeutung hatten
als die ptolemäisehen. Während die letzteren nur das perspektivische
Bild unserer eigenen Bewegung im Raume darstellten, sollten jene
viel kleineren Epicykeln des Copernikus eine zweite noch übrig
bleibende Ungleichfürmigkeit in der Bewegung erklären, welche die
Beobachtungen inzwischen aufgedeckt hatten und durch die exzentrisch
gestellten Kreise allein nicht theoretisch wiederzugeben war.
Bewegung des Mars in Bezug auf die ruhend gedachte Erde nach Copernikus.
Wie sehr Copernikus noch in dieser uralten Ansicht von um-
scliwingenden Kreisen oder Sphären befangen war, geht auch aus der
Schwierigkeit hervor, welche ihm die sich im Raume immer gleich-
bleibende Lage der Erdaxe verursachte. So lange die Erde noch im
Zentrum des Weltalls festlag, konnte, selbst wenn man sich dieselbe
um eine Axo gedreht dachte, die feste Lage dieser Axe in Bezug auf
die Fixsterne, von welcher wir zu Anfang unserer Betrachtungen
sprachen, durchaus nicht auffallen. Anders wurde es aber, sobald
man die Erde im Kreise um die Sonne führte. Nehmen wir z. B. für
die Erdbahn einmal zur näheren Ansohauung ein Wagenrad und be-
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festigen darauf einen kleinen Erdglobus derart mit Hülfe seiner Axe,
dafs diese letztere gegen die Ebene des Hades eine gewisse beliebige
Neigung hat, etwa so, dafs sich der Globus etwas nach innen zum
Zentrum des Rades hinneigt. Lassen wir nun das Rad mit dem be-
festigten Globus eine halbe Umdrehung machen, so wird der Globus
immer noch nach innen gegen das Zentrum geneigt sein. So hätte es
sich mit der Erde nach der Ansicht des Copernikus verhalten müssen,
damit die Erscheinung ohne besondere Erklärungsursache begreiflich
sein sollte, ln Wahrheit zeigt aber das Spiel des Jahreszeiten- Wechsels
auf das unzweifelhafteste, dafs es sich ganz anders verhält. Wenn
nämlich in einer bestimmten Lage die Neigung des oberen Endes der
Erdaxe in unserem Beispiel nach innen stattfindet, so mufs sic, um
den wirklichen Verhältnissen zu entsprechen, nach einer halben Um-
drehung nach aufsen geneigt sein, d. h. ihre Lage mufs sich stets
parallel bleiben. In unserem beschriebenen Mechanismus könnten wir
das nur erzeugen, wenn wir die Erdaxe an dem Wagenrade nur in-
soweit befestigen wurden, dafs sie zwar den Globus festhalteD, sich
selbst aber frei bewegen kann. Dann müfsten wir noch eine geheim-
ni Ts volle Kraft einführen, welche die Axe in der einmal eingenomme
nen Richtung unabhängig vom Rade festhält. Nehmen wir z. B. an,
es fallen auf das Rad von
einem seitlich befindlichen
Fenster Sonnenstrahlen, so
soll dit) Axo des Globus
stets diesen Sonnenstrahlen
parallel bleiben, wie auch
das Rad bewegt werden
mag. Die beigegebene
Zeichnung wird das noch
klarer machen. Nur auf
diese Art konnte es offen-
bar geschehen, dafs die in
oder nahe dem Mittelpunkte
der Erdbahn befindliche
Sonne in der einen Hälfte
des Jahres den Nordpol, in
der anderen Hälfte den Süd-
pol bescheint, während bei einer zur Erdbahn festen "Lage der eine
Pol der Sonne beständig zu-, der andere abgekehrt bleiben müfste.
Copernikus war demzufolge genöthigt, neben der Bewegung
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der Erde um ihre Axe und um die Sonne, noch eine dritte ein-
zuführen, nämlich dio jährlich einmal vollendete Bewegung- der
Erdaxe selbst auf der -Fläche eines Kegels, dessen Oeffnungswinkel
gleich der doppelten Schiefe der Ekliptik ist Die Ureaohe dieser
drei Bewegungen blieben Copernikus natürlich unbekannt Nach
dieser hatte man ja bisher überhaupt noch nicht gefragt.
Wir sehen aus dieser Darstellung, dafs das System des Copernikus
immerhin noch ein recht komplizirtes und wenig durchsichtiges blieb
und dafs der grofse Astronom trotz der völlig revolutionären Ideen,
welche er einrührte, doch von wesentlichen Irrthümern der alten Lehre
befangen blieb. Sein Geist wurde von dem gewaltigen Gedanken,
dafs die Erde nicht das Bewegende, Herrschende, sondern ein Be-
wegtes, einem gröfseren Mittelpunkte der Macht Gehorchendes sei, so
erfüllt, dafs seine Gedanken gebannt hier still stehen mufsten.
In der That war es auch wohl einer Lebensaufgabe genug ge-
than, die menschliche Forschungskraft um ein so unbegrenzt grofses
Gebiet erweitert zu haben. Bis dahin gab es eine Erde, jetzt wurden
fünf neue, ihr ebenbürtige, die übrigen Planeten, ihr boigesellt und über
alle eine atlmächüge Sonne eingesetzt, welche Tausende ihresgleichen
über die Himmelsdeckc ausgestreut sah. Ehedem hatte man alles dies
in einem wenigstens einigermafsen ausdenkbaren Verhältnisse zu der
schon ohnehin kaum erfafslichen Gröfse der Erde gedacht. Nun
mufste die Erde mit allem, was auf ihr lebt und denkt in der ge-
waltig erweiterten Weltansicht zu einem Spielball, ja zu einem Punkte
zusammensehrumpfen, dessen ungeheuere von unsichtbaren Gewalten
geführte Reise durch den Raum um die Sonne herum kaum wie das
Spiel eines Kreisels erschien, der umschwirrend leichte Bogenlinien
auf seiner Unterlage beschreibt.
Der Fortschritt der Forschung mufste wenigstens eine kurze Zeit
lang ruhen, damit die kräftigsten unter den Geistern sich zur Auf-
nahme dieser ganz überwältigenden Weltansicht genügend erweitern
konnten.
Von den leuchtenden Nachtwolken.
(Anfang März 1889.)
Nach einer soeben eingetroffenen Nachricht von Herrn Stuben-
rauch in Punta-Arenas an der Siidspitze von Süd-Amerika unter
dem 53. Breitengrade sind die leuchtenden Nachtwolken daselbst im
Dezember 1888 zweimal gesehen worden. Folgendes ist der Inhalt
dieser Mittheilung vom 22. Januar 1889, durch welche die im Februar-
Heft dieser Zeitschrift ausgesprochenen Ansichten über diesen Gegen-
stand erfreulichst bestätigt werden:
„Nachdem ich Ihnen im vorigen Sommer das negative Resultat
meines L’mherschauens nach leuchtenden Wolken mitgetheilt hatte,
empfing ich wiederum Ihre gef. Aufforderung nebst Brief vom 15. Ok-
tober 1888, in diesem Sommer Beobachtungen anzustellen.
Diesmal bin ich glücklicher gewesen und fand endlich nach
langem, vergeblichen Suchen zum ersten Male am 20. Dezember 1888
die von Ihnen als leuchtende Nachtwolken bezeichnete Erscheinung
fast ganz Ihrer Darstellung entsprechend. Im Folgenden gebe ich
Ihnen eine kurze Beschreibung meiner Beobachtung:
Am 20. Dezember unter, für diese Breiten, selten klarem Himmel
bemerkte ich um etwa 11 Uhr 30 Min. Abends mittlere Zeit am süd-
lichen Horizont zwei silberhelle parallele Wolkenstreifen, von Südwest
nach Nordost sich hinziohend, der eine hellere etwa 9°, der andere
etwa 12° vom Horizonte. Der Horizont, welcher eine rothgelbe oder
schmutziggelbe Farbe hatte, war um 12 Uhr, zu welcher Zeit die
Stärke des Silberlichtes obiger Wolken bereits anfing abzunehmen,
sonst ganz wolkenfrei. Um 1 Uhr morgens war die Erscheinung
kaum noch sichtbar, ohne jedoch ihre Höhe und Richtung verändert
zu haben. Mit dem bald anbrechenden Tagesgrauen verschwand das
Phänomen gänzlich. — Die folgenden Tage waren meist trübe, so dafs
von der Erscheinung nichts zu sehen war. Ich bemerkte dieselbe
dann erst wieder am 25. Dezember, in welcher Nacht dieselben Wolken
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429
noch auffälliger und zahlreicher hervortraten, nicht blofs zwei, sondern
eine ganze Reihe paralleler Streifen, welche wie eine Treppe zum
Horizonte hinunter führten. Die Erscheinung fiel um dieselbe Zeit
wie am 20. Dezember. — Ein Marine-Offizier, den ich darauf aufmerk-
sam machte, sagte mir, dafs er diese Wolken im Süden (Beagle-Channel)
bereits zwei Sommer gesehen habe, jedoch klarer und heller wie hier.
Ich will wünschen, dafs das diesjährige Resultat meiner unge-
schulten Beobachtungen Ihren Wünschen entsprechen möge insofern,
als die Existenz der leuchtenden Nachtwolken in unseren Breiten als
feststehend anzusehen ist.“ O. Jesse.
£
Ergänzung zu dem Verzeichnifs der Doppelsternbahnen.
(Februarheft, S. 310).1)
Umlaufs-1
t zeit in
1 Jahren
Peri-
astrum
Periastr.
vom
Knoten
Knoten
l
Nei-
gung
Excen-
| tricität
Halbe
grofse
Axe
42 Comae Ber.
| 25.7
1859.9
99.2®
11.0®
90.0®
0.480
0.66"
i
Str. 2173 . .
45.4
1872 9
7.3
152.7 |
80.5
0.135
1.01
2
* » 3 (40) Eridani
139.0
1863.88
354.4
146.3
76.33
0.136
5.99
3
O. Struve 400
170.37
1882.09
43.5
146.3
37.0
0.669
0.59
4
14 t Orionis
190.5
1959.1
302.7
99.6 j
44.95
0.246
1.22
5
Struvo 1819 .
340.1
1797.0
348.9
156.4
37.5
0.305
1.46
6
a. Ophiuchi
373.5
1787.9
152.5 '
105.5 j
38.1
0.442
1.53
7
61 Cygni . .
, 782.G |
1468.2
2883
341.1
63.9
0.174
29.5
8
1. (Struve 1728). O. Struve: Ueber die Bahn des Doppelst Struve 1728.
(Melanges math. et astr. V. 287). — 2. Dun6r: Mesures microm. p. 222. —
3. Gore (Month. Not. 46 p. 292). (Dreifaches Sternsystern. Bahn des dritten
um den zweiten Stern.) — 4. Gore (Month. Not. 47 p. 346.) — 5. (O. Struve 98).
Gore (Month. Not. 47 p. 266.) — 6. Casey (A. N. 2421). Nach Thiele (A. N. 2427)
ganz verfehlt. — 7. v. Glasenapp (Month. Not 48 p. 254). (Ergänzung zum
Doppelstern No. 26). — 8. C. F. W. Peters (A. N. 2708). — Bei dom Sterno No. 21
ist die gebräuchlichere Bezeichnung hinzuzufügen: Struve 3062.
*
') Hei dem Verzeichnisse war Vollständigkeit des Materials nicht beabsichtigt, wir wollten
darin, so weit ea ohne eingehende Kritik möglich ist namentlich die besseren von mehroron
Rechnern bestimmten Doppelsterne anf Uhren, t.'nter den anderweitigen Bahnen, von denen
gleichfalls einige nufgenonimen worden sind (und die meist mit einer kurzen Anmerkung Uber
ihren Werth versehen wurden) finden sich manche zweifelhafte. Mehrere der obigen Bahnen,
für deren Mittheilung (mit Ausnahme von 0 1 Erid.) wir Herrn Prof. v. Glasenapp in Petersburg
verbunden sind, werden indessen eine willkommene Ergänzung fUr das Verzeichnifs bilden.
$
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430
Erscheinungen am Sternenhimmel im Monat April.
(Sämmlliche Zeitangaben gelten für Berliner Zeit.)
i. Der Mond.
Aufgang
6. April Erd form*
8*
28» Mg.
8.
„ Eratos Viertel
9
56
„
15.
. Vollmond
6
21
Ab.
18.
„ Erdnähe
10
36
„
22.
„ Letztes Viertel
1
58
Mg.
30.
«« Neumond
5
11
*
Maxima der Libration:
12. und 25. April.
Untergang
12k 6® Nt
1 58 Mg.
5 21 .
6 34 .
10 1 Vm.
7 43 Ab.
a. Die Planeten.
Merkur
Venus
Kretas.
Doclin. | Aufg.
Unterg.
Kretas.
Declin. Aufg.
Unterg.
1. April
23k29<°
— 5*57' 1 5k 18ml(t.
4 h lfimÜB.
oh ’>4m
+23» 0' | 5k 55- lg.
lQk 33*11.
5. H
23 53
- 3 21 5 12 .
4 38 .
2 57
+23 32 5 39 .
10 95 .
9. .
0 18
— 0 27 5 7 .
5 1 .
2 59
+23 48 5 22 „
io 12 .
13. .
0 45
+ 2 42 5 2 .
5 28 .
2 58
+23 48 5 5 .
9 35 .
17. .
1 13
+ 641».
6 57 .
2 54
+23 27 4 49 .
9 33 .
21. .
1 42
+ 9 34 4 50 .
6 30 .
2 48
+22 45 4 32 .
9 6 .
25. .
2 14
+ 13 7 ,4 46 .
7 4 .
2 40
+21 42 4 15 .
8 35 .
29. .
2 47
+ 16 30 4 42 .
7 51 .
2 31
+20 22 4 1 .
8 1.
Mars
Jupiter
Kectas.
Declin. Aufg.
Unterg.
Rectas. Declin. Aufg.
Unterg.
1. April
ji
2k 1" +12" If.’ 6k ll®lr.
8k 31® 16.
18k32®
— 22° 5? 2k 5» 1*.
9k 47* Is
7. *
2 IS
+13 4S 5 56 .
8 32 .
18 34
—22 56 1 43 .
9 25 .
13. .
2 35
+15 15 5 40 „
8 34 „
18 35
-2255 1 20 . 1
9 2 .
19. .
2 ,r)‘>
+16 37 5 25 .
8 37 .
18 36
—22 55 12 57 5t.
8 39 .
25. .
3 9
4-1753 5 10 „
8 38 .
18 36
—22 55 12 34 .
S 16 .
2t
). April, 9**, Bedrckg. durch d. Mond
Saturn
Uranus
Kretas.
Deelin. Aufg.
Unterg.
Kretas.
Doclin. Aufg.
Unterg.
2. April
9k 5m +17» 63' 1*38-5®
tk 10® If
13k 16®
— 7»18’ 7k 5—56.
1 6k 1-lt.
10. .
9 5
+17 55! 0 G .
8 38 .
13 14
— 7 11 6 33 .
! 5 29 .
18. .
9 5
+17 54 11 34 Vn
3 2 .
13 13
—736 0 .
4 56 .
26. „
9 5
+17 52 11 3 .
2 1 .
13 12
— 6 56 5 26 *
4 25 .
1
Elongationen des Sutumtrabnnten Titan: 3. und 19. April öatl., II. und 2ti. April
westl. Elong.
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431
N e
p t u n
Reetas.
Declin.
Aufg.
Unterg.
2. April
3b 54”
1+ 18=38'
7h 22>» Ie.
10b 58“ Al.
15. .
3 53
+ 18 43
6 31 .
10 9 .
28. .
3 57
+ 18 49
5 41 „
9 21 .
3. Beobachtbare Verfinsterungen der Jupitertrabanten.
4. April
I. Trab. Verfinst. Eintritt 4h
25“
Mg.
5. .
n. ,.
» 2
38
12. .
u. ,.
. 5
11
„ (bei Sonnenaufg.)
20. .
I _
» 2
51
23. ,
ni. „
, 2
58
•27. .
1. ,
„ 4
35
. (bei Sonnenaufg.)
4. Sternbedeckungen durch den Mond.
4. April: Tauri (der Mond geht 1 Min. vor dem Sterneintritte unter).
5. Veränderliche Sterne.
a) Maxima variabler Sterne:
Maximum Helligkeit im 18S9
am
Max.
Min.
Reetas.
Declin.
R Loporis
2.
April
6
Gr.
8.5
Gr.
4b
54 “
32 <
—
14“
58'
R Lyncis
9.
7.8
„
12
„
G
52
8
+
55
29
U Monoc.
6.
..
fi
7
„
7
25
29
—
9
33
R Corvi
16.
7
„
11.5
12
13
53
—
18
38
S Coronae
14.
„
G
„
12
15
16
52
31
46
R Lvrac
20.
4.3
4.6
„
18
51
57
-r
43
48
Z Cygni
17.
..
4
„
13
„
19
46
17
32
38
R Vulpec.
2«.
7.8
13
-
20
59
27
J-
23
23
S Cephei
28.
7.8
11
„
21
36
34
4“
78
8
S Pegasi
7.
7.8
-
12
23
14
56
+
8
19
b) Minima der Sterne vom Algol-Tvpus.
U Cephei . 3., 8., 13., 18., 23., 28. April Nm.
Algol ... 3. April Nm., 9. Vra., 15. Mg., 20. Ab.
RCan. maj. . (Jedes 3. Min.): 3. April Mg., (I. Ab., 10. Vm., 13. Ab, 17. Mg.,
20. Nm., 23. Nt., 27. Vm., 30. Ab.
S Cancri . . 9. April Mg., 18. Nm., 28. Mg.
5 Librao . . 2. April Mg., 6. Nm., 11. Vm., IG. Mg., 20. Nm., 25. Vm., 29. Nt.
U Coronae . 4. April Mg., 11. Mg., 17. Ab., 24. Ab.
U Ophiuchi . (Jedes 4. Min.): 2. April Nm., 5. Ab., 9. Mg., 12. Nm., 15. Ab.,
19. Mg.. 22. Nm., 25. Nt, 29. Vm.
Y Cygni . . (Jodes 3. Min.): 5. April Ab., 10. Vm., 14. Ab., 19. Vm., 23. Ab.,
28. Vm.
c) Minima einiger Veränderlicher kurzer Periode:
T Monoc. . .18. April.
C Gemin. . . 9., 19., 29. April,
ß Lyrae . . 9., 22. April,
tj Aquilae . 7., 15., 22., 29. April.
I Cephei . . 6., 12., 17., 22., 28. April.
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432
6. Meteoriten.
Den Hauptmeteoritenschwarm des Monats April bilden die „Lyriden*,
welche zwischen dem 16. und 2*2. April im Sternbilde der Leyer, südwestlich
der Wega, erscheinen und ihr Maximum am 20. erreichen. — Ende April stel-
len sich die ersten Sternschnuppen der „Aquariden" (bei ij Aquarii) ein.
7. Nachrichten über Kometen.
Ueber dott am 15. Januar von Brooks entdeckten Kometen (s. Märzheft)
ist nichts Näheres bekannt geworden; die Auffindung des Objektes ist trotz
mehrfacher Nachsuchuugcn seitens der Lick-Stern warte nicht wieder gelungen.
*
Sternwarte in Tokio. Zu den wissenschaftlichen Schöpfungen,
welche in neuester Zeit in Japan ins Leben gerufen worden sind, ist
nun auch die Errichtung einer neuen Sternwarte an Stelle des früheren
für Marinezwecke bestimmten Observatoriums zu Tokio hinzugekommea.
An gröfseren Instrumenten besitzt die neue Sternwarte ein Aequatorial
von Troughton u. Smith von 20 cm (71 ■/'), und ein solches von Merz
mit 16.2 cm (6.3") Objektivöflnung; ferner ein Repsoldsches Passagen-
instrument von 13.5 cm (5.3") und einen Meridiankreis von Merz-
Repsold von 12.3 cm (4.8") Oeffnung. Zum Leiter der Anstalt ist
Professor Terao ernannt worden, der auch, wie in vorliegender Zeit-
schrift (Mürzheft, S. 378) berichtet wurde, an der Beobachtung der
Sonnenfinsternis vom 19. August 1887 thcilgenommen hat.
*
Wilhelm Tempel f.
Soeben erhalten wir die betrübendo Nachricht von dem am
16. Mürz um 4 Uhr Nachmittag in Florenz erfolgten Hinscheiden des
allbekannten Astronomen Wilhelm Tempel, desselben, von dem die
unserem dritten (Dezember-) Hefte beigegebenen vortrefflichen Zeich-
nungen von Nebeln herrühren. Wir werden über diesen eigenartigen
Mann, welcher sich hauptsächlich durcli aufsorgewöhnlichen Fleifs und
seltenes Geschick im astronomischen Zeichnen und ein phänomenal
scharles Auge vom gewölmlichen deutschen Lithographen zum viel-
genannten Astronomen der altberühmten Sternwarte zu Florenz empor-
gearbeitet hat, eine Lebensskizze in unserem nächsten Hefte bringen.
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Zwei bemerken swerthe Bearbeitungen von Kometeuerscheinullgen,)
sind kürzlich erschienen. Die erstere, von Dr. II. Kreutz, betrifft den im
September 1882 sichtbar gewordenen grofsen Kometen (1882 II). Dieses Ge-
stirn wurde zuerst auf der Siidhcmisphäre der Erde, in Südamerika und Süd-
afrika bemerkt; es wurde alsbald so hell, dafs es noch vor seiner Sonnennähe
mit freiem Auge wahrgenommen werden konnte. Am 17. September, dem Tage
der grüfsten Annäherung an die Sonne, gewährte der Komet zwei Beobachtern
auf der Sternwarte der Kapstadt, Finlay und Elkin, das merkwürdige Schau-
spiel eines Vorüberganges über die Sonnenschoibe. Wenige Sekunden vor
der scheinbaren Berührung des Sonnenrandes erschien der Komet noch bei-
nahe so hell wie die Sonne selbst, mit dem Eintritte (4 Uhr 31 M. Borl. Zt.)
verschwand jede Spur des Kometen. Dieser Durchgang durch die Sonnen-
scheibe dauerte nach der Rechnung 1 Stunde 16 Minuten. Trotz des Passirens
des Komotcn durch die Sonnenatmospliärc, sind keinerlei Störungen in der
letzteren bemerkt worden. Gegen Endo September glänzte der Komet all-
raorgendlich in prachtvoller Erscheinung vor Aufgang der Sonne an unserem
Osthimmel. Um diese Zeit fiel den Beobachtern auch eine eigenthiimliche Ver-
längerung des Kernes im Kopfe des Kometen auf, die in den ersten Oktobortagen
sich zu einer überaus interessanten Theilung und Ausbildung mehrerer Kerne
gestaltete. Solcher Kerne oder Knoten erschienen nach und nach fünf oder
sechs; sie entfernten sich von einander, wechselten in der Helligkeit und
konnten bis zum Februar verfolgt werden. Im Oktober trat zu diesen merk-
würdigen Erscheinungen das noch seltsamere Phänomen des Auftauchens von
Nebonkorneton hinzu. Solcher kometarischor Nobelmassen in der Nähe dos
Kometenkopfes (von diesem nur einige Grade entfernt) wurden mehrere, am
5., 10,, 14., 21. Oktober und 16. November entdeckt. Bis zum Februar 1883
konnte das an neuen Räthseln für uns so lelirreicho Gestirn mit freiem Auge
gesehen werden; den Fernrohren gelangen die Beobachtungen bis zum Juni.
Die Hauptschwicrigkcit für den Berechner der Bahn des Kometen war die Be-
stimmung der Punkte, auf welchen sich, bei dem Vorhandensein mehrerer
Kerne, die Beobachtungen beziehen. Der Feststellung dieser Kernlinie hat Herr
Kreutz deshalb ganz besondere Sorgfalt gewidmet; als eigentlichen Schwer-
punkt diesor Linie betrachtet er die zweite der oben gedachten Kernbildungen.
Kreutz findet aus seinen Untersuchungen schliefslich eine Uinlaufszoit des
Kometen von 772 Jahren.
Eine andere nicht minder wuchtige Kometenbearbeitung, namentlich für
die Entscheidung der schon durch eine Reihe von Jahren schwebenden Frage
der Existenz eines „widerstehenden Mittels“ im Welträume, bildet die Fort-
setzung der Op polz ersehen Arbeiten über den periodischen Kometen Win-
necke durch E. v. Haerdtl. Oppolzer war boi seinen Rechnungen über dio
Erscheinungen des Winncckeschcn Kometen der Jahre 1*58, 1869 und 1875
Himmel und Erde. I. 7. 31
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434
dom Schlüsse nahe geführt worden, dafs sich die völlig befriedigende Verbin-
dung der Beobachtungen dieser drei Wiedcrkünfle nur unter der Annahme
einer Beschleunigung der täglichen Bewegung des Kometen erreichen lasse,
also derselben Erscheinung, welche beim Enck eschen Kometen zu der Ein-
führung einer Widerstandskraft geführt hat. Oppolzer hielt indessen seine
Rechnungsergebnisse nicht für sicher genug, um, wie es von anderer Seite ge-
schehen, darin schon eine -Bestätigung“ der Enckeschen Hypothese zu er-
blicken. Herr v. liaerdtl hat bei der Neubearbeitung die Hauptsache der Unter-
suchung, nämlich die Störungen, welche der Komet zwischen den Jahren
1858— 1*86 von Seite der Planeten erfahren hat, in sorgfältigster Weise behandelt
Diese Störungen sind nach strenger Methode und nicht blofs für die Haupt-
planetcn Jupiter und Saturn, sondern auch für Venus, Erde, Mars und Uranus
abgeleitet und ist damit dem Einwande begegnet worden, welchen man gegen
Oppolzers Resultat etwa geltend machen konnte, nämlich, dafs nach Zuziehung
der Störungen dieser letzteren Planeten die in der Rechnung zu Tage getretene
hypothetische Beschleunigung der Kometenbewegung möglicher Weise ver-
schwinden werde. Dieses letztere ist nun nach Haerdtls Arbeit in der That der
Fall: der Komet Winnecke zeigt keine Zunahme der mittleren Bewegung von
Umlauf zu Umlauf,*) sondern eher eine kleine Retardation. Diese Retardation
läfst sieh ferner völlig aufheben, wenn man die Masse des störenden Haupt-
planeten, des Jupiter, die der Rechnung zu Grunde gelegt worden ist, etwas
abändert, liaerdtl findet, dafs man bei der Annahme oiner Jupitermasse von
1 : 1017.175 völlige Uebereinstimniung erhält. Diese Masse ist etwas gröfser
als die neueren dafür gebräuchlichen Werthe,11) Haerdtl zeigt indefs, dafs ihre
Einführung sowohl bei der Darstellung der Beobachtungen des Fay eschen
Kometen von 1843 — 1881, sowie jener des Enckeschen Kometen von 1868 — 1885
völlig befriedigend wirkt. •
') Kreutz, l’ntors. Ub. d. Komet-System 1H3 I. l-**» 1 und IW U. Erater Theil, der irrofio
September körnet IW II (Publ. d. Sternwarte Kiel). I*4**.
E. v. liaerdtl, Die Bahn des period. Komet. Winncckc in d. Jahren 1*5*— *6, nebst einer
neuen Beat. d. .fupitormasso (Denkschr. d. Wien. Akad. d. W. LV. Bd. I#**).
:) Die Ilewe»rung rnriebt sich aus den Kraehcinunircn von
IKHU-IMS zu fitsJUNMktt Bogrosekundcn
. cis.&c&k«; .
*) Einige dieser Masecnannnhmen seien hier angeführt:
Boasei 1 : ti47J»79
Boascl-Scliur . . I : i«n7.5tf*
Möller I : l«‘t7.7HS
Uecker 1 ; t'47-T7ö
Kruegcr .... 1 : U47J»:t*.
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Horm E. in N. Ihrem Wunsehe, «lie Auf- und Untergan gszoitcn von
Sonne und Mond für Ihren Wohnort zu ermitteln, können Sie am einfaelisten
gerecht werden, wenn Sie sieh das auch in anderer Hinsicht sehr empfehlcns-
werthe „Annuaire pour l’an I8H9, piibliö par le hureau des longitudes*4 (Paris,
Gautliier — Villars, Quai des Augustins 55: prix I fr. 50 ein.) ansehaffen. Sie
finden in diesem gegen 1000 Seiten starken Duodezbändehen neben sehr vielen
anderen höchst nützlichen Tabellen «lie Auf- und Untergangszeiten von Sonne
und Mond nicht nur für die geographische Breite von Paris angegeben, son-
dern aufserdem unter den „Tables de corrections“ dazugehörige Hil (stufe ln mit
Gebrauchsanweisung, welche es gestatten, fast augenblicklich die gesuchten
Zeiten für jeden beliebigen zwischen 33° und (IO3 nördlicher Breite gelegenen
Oit zu gewinnen. — Uebrigrns ist die selbständige genaue Berechnung der
fiir einen bestimmten Ort geltenden Auf- und Untergangszeiten jedes Gestirns,
dessen Ort am Himmel nach Rretasocnsion und Deklination bekannt ist, eine
sehr einfache Aufguhe der sphärischen Astronomie, die sich in jedem Lehrbuch
dieser Wissenschaft und auch in manchen I,chrbwehcrn der sphärischen Trigo-
nometrie behandelt findet. —
Die Angaben über den Stand der Planeten bedürfen keiner Umrechnung,
da sic, abgesehen von dem blofsen Auge unmerklicheti Verschiebungen, für «lie
ganze Erde Geltung haben, und da ferner bei den Planeten die Angaben über
die Zeit des Auf- oder Unterganges stets nur rohe uml für gröfsere Länder-
gebiete zugleich geltende sind. Die Momente dieser Erscheinungen würden
sich aufser bei Sonne und Mond wegen der «len Horizont verdunkelnden
Dünste doch nicht beobachten lassen.
J. N. Breslau. Sie fragen au, welches der uuf S. 18 unseres ersten
Heftes bezeichneten Gebiete von unserer Zeitschrift bevorzugt werden wird.
Wir können darauf nur «lie Antwort crthcilcn, ilaTs «lie Reduktion bestrebt
sein wird, den auf die Physik unserer Erde bezüglichen Wissenschaften «las
gleiche Recht angedeihen zu lassen, als der Ilimmelskund«*, so jedoch, «lufs
dabei keine Absicht vorliegt, auf spezielle, beschreibende Geographie, sowie
diejenigen Gebiete der physikalischen Forschung, welche mit der Physik «les
Himmels un«l der Erde nicht in näherer Beziehung stehen, einzugehen. Klima-
tologische. geologische, meteorologische und geodätische Abhandlungen werden
wir gegen solch«» astronomischen Inhalts nie zurücksetzen. Dafs «lie ersten
Hefte «ler Zeitschrift ein Vorwiegen der astronomischen Artikel aufweisen,
rührt zum Theil davon her, dafs im Beginn das Interesse für das gesamte
Urania-Unternehmen sich in astronomischen Kreisen schneller Bahn gebrochen
hat, als in den anderen vor» unserer Monatsschrift vertretenen Gebieten.
Herrn Bezirksrichter II. in G. Unsere Notiz im Sprechsaal des sechsten
Hefte« in Bezug auf die Drehungsrichtung der Erde uni sieh selbst und um
31*
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III jspifi
436
die Sonne* hat zu irrlhümlichcn Auffassungen Anlnfs gegeben, welche zum
grofsen Thoil durch unsere nothwendig kurz zu fassende Darstellung veran-
lafst wurden. Zur Klarstellung müssen wir deshalb naehtragen, dafs zwar
die scheinbare tägliche Bewegung der Sonne derjenigen entgegengesetzt ist,
welche das Tagesgestirn in seiner jährlichen Bahn zuriicklegt, dafs dagegen
die täglichen und jährlichen Bewegungen der Erde, welche die Ursachen jener
scheinbaren sind, dennoch in demselben Drehungssinne erfolgen. Stellte bei-
spielsweise die Erdbahn das grofse, der Durchschnitt der Erdkugel dagegen
das kleine Zifferblatt des Sekundenzeigers einer Uhr dar, so finden beide
Bewegungen im Sinne der Iwiden Zeiger statt; mit anderen Worten, die Erde
rollt auf ihrer Bahn. Dafs diese Bewegungsverhältnisse, in scheinbare über-
setzt, entgegengesetzte werden, hat seinen Grund darin, dafs wir die schein-
bare Bewegung der Sonne nur auf derjenigen Hälfte der Erde verfolgen
können, welche in Bezug auf die Erdbahn nach innen gekehrt ist. Diese Seite
hat in unserm Vergleich mit der Uhr die Bedeutung der Verlängerung des
Sekundenzeigers über den Drehungs-Mittelpunkt hinaus. Diese bewegt sich
natürlich stets in umgekehrter Richtung wie dos andere Ende, sobald man
diese Richtung im absoluten Sinne in Bezug auf Fixpunkte auf dem grofsen
Zifferblatte betrachtet.
Verlag von Hermann Hantel in Berlin. — Druck von Wilhelm Qronau'g Buchdruckerei in Berlin.
Für dio Redaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin,
l'nhererhligler Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt.
Uebersetzungsrecbt Vorbehalten.
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Der grofse Refraktor der Lick - Sternwarte
nach einer Photographie.
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Die Lick-Sternwarte.
Vom Direktor derselben, Prof. Edward S. Holden.*)
| Jur Direktor der „Gesellschaft Urania“ hat mich freundlichst er-
sucht, einen Bericht über die neue Sternwarte auf dem Mount
Hamilton zu verfassen und ich komme seiner Aufforderung mit Ver-
gnügen nach, indem ich hiermit den Mitgliedern der „Gesellschaft
Urania“ eine kurze Uebersicht des gegenwärtigen Zustandes unserer
Sternwarte vorlege.
Ich setze voraus, dafs die Geschichte unserer Anstalt allen Lesern
hinlänglich bekannt ist. Ihr Gründer, Mr. James Lick, war ein
Orgelbauer, der aus seiner Heimath Pennsvlvanien nach Süd-Amerika
und später nach San Franzisco übersiedelte, woselbst er itn Jahre 1876
unter Hinterlassung eines Vermögens von 3000000 Dollar, das er
gänzlich für gemeinnützige Zwecke bestimmt hatte, starb. Auf unserer
Sternwarte befindet sich die Hobelbank, die er 1846 aus Chili nach
Califomien mitgebracht hat. Sie macht einen seltsamen Eindruck in
den eleganten Räumen, welche die herrlichen Instrumente, die Meister-
werke der gröfsten astronomischen Künstler, eines Clark, Repsold
und anderer, enthalten. Und doch ward diese Hobelbank der Grund-
stein unserer Sternwarte. — Mr. Lick ist unter dem Pfeiler des grofsen
Teleskopes begraben worden. Das ist ihm ein herrlicheres Denkmal,
als es sich ein Pharao hätte hersteilen oder auch nur träumen lassen
können.
Die Sternwarte ist als wissenschaftliche Institution der Universität
von Californien beigeordnet und obgleich sie in erster Reihe der
reinen Forschung gewidmet ist, nimmt, sic doch auch Studenten gast-
' I Aus dem englischen Originalmamiskript übersetzt von Dr. F. Koerber.
Himmel und Erde. I. s. ’ ’> J
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lieh auf, ilie entweder den philosophischen Doktorgrad zu erwerben
beabsichtigen, oder sich besonderen Studien widmen wollen. Auch
für das Publikum ist sie täglich während der Dienststunden von ft
bis 4 Uhr, und aufserdem noch jeden Samstag Abend von 7 bis 10
Uhr geöffnet Mehr als 4000 Personen haben bis jetzt die Sternwarte
besucht und an manchen Sonnabenden haben etwa zweihundert Be-
sucher den Mond durch das grofse Teleskop betrachtet So dient
unsere Sternwarte nicht minder zur Verbreitung der Wissenschaft
als zur Erweiterung derselben. — Die astronomische Kolonie auf unserm
Berge (Mt. Hamilton, 4209 Fufs über dem Spiegel des stillen Ozeans)
besteht aus den sechs Astronomen Holden, Burnham, Schaeberle,
Keeler, Barnard und Hill nebst deren Familien und aus drei Un-
terbeamten, einem Maschinisten, einem Arbeiter und dem Pförtner. 25 bis
30 Personen bilden im ganzen unsere ansässige Bevölkerung.
In gewissem Sinne sind wir Einsiedler, denn die nächste Post-,
Eisenbahn- und Telegraphen-Station liegt in einer Entfernung von
26 (engl.) Meilen in der kleinen Stadt San Josö, der Hauptstadt des
schönen Thaies von Santa Clara Bei gutem Wetter bringt uns jedoch
der tägliche Postwagen eine ganze Ladung Schaulustiger, wrelche eine
Stunde dableiben und dann wieder heimkehren. Während der streng-
sten Winterstürme sind wir aber manchmal vier bis fünf Tage ohne
jede Verbindung mit der AufsenwelL Gleichwohl dürfte kein Mitglied
unserer Kolonie irgendwelche Vereinsamung empfinden, denn wir sind
alle vollauf beschäftigt und die Umgebung ist von aufserordentlicher
Schönheit. Die landschaftliche Lage der Sternwarte zeigt der auf der fol-
genden Seite gegebene Holzschnitt, welcher nach einer von Herrn Burn-
ham aufgenommenen Photographie gefertigt ist. Unser ganzes Leben
hier ist völlig von dem der Stadtbewohner verschieden und es entwickelt
sich eine gewisse Unabhängigkeit, welche täglich mehr Freude bereitet.
Der Gipfel des Berges war früher völlig spitz, ist aber zu einer
ebenen Fläche abgetragen worden, die gerade Platz genug gewährt
für die Gebäude, welche unsere Instrumente und Diensträume bergen.
Eines der Wohnhäuser steht unmittelbar östlich von dem Plateau und
um soviel niedriger, dafs das dritte Stockwerk in gleicher Höhe mit
dem Bergesgipfel liegt. Gleich unterhalb dieses Hauses befinden sich
weitere Wohnhäuser für Astronomen und andere für Unterbeamte.
Unsere drei Wasserbehälter befinden sich auf drei benachbarten Berg-
spitzen (Huyghens Peak 40' tiefer, Keplers und Copemikus Peak etwa
42', resp. 171' höher). Da alle uns auf dem Berge zur Verfügung
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stehende Kraft vom Wasser herrükrt, so sind diese Verhältnisse von
greiser Wichtigkeit. Die Quellen aufAquarius liefern das für häus-
liche Zwecke nüthigo Wasser. Das Huyghens-Bassin sammelt das
Abflufswasser aus der hydraulischen Maschinenanlage des Hauptge-
bäudes und eine Windmühle pumpt von hier aus dasselbe Wasser
wieder bis hinauf zum höchsten Behälter, Copemikus. Von diesem wird
das Wasser für die hydraulischen Pressen geliefert und fliefst dann
nach Abgabe seiner Arbeitskraft wieder in den Huyghens, um von
Mount Hamilton mit der Lick-Sternwarte.
hier abermals zum Copernikus gehoben zu werden und so den Kreis-
lauf von neuem zu beginnen.
Die Anlage der Baulichkeiten ist aus dem auf umstehender Seite
befindlichen Grundrifs leicht verständlich und brauchen wir dazu nur
noch zu bemerken, dafs die Fundamente jedes Instrumentes auf dem
festen Fels ruhen und dafs östlich von dem langen Saal Platz gelassen
ist für die in den nächsten Jahren noch zu erbauenden Amtsräume
und Laboratorien.
Die dem Bauplan zu Grunde liegende Idee ist, dafs das grofse
Aequatorial als das wichtigste Instrument unabhängig gemacht werden
mufste von den anderen Observatorien, welche die kleineren, wenn
auch nicht minder vorzüglichen, Hilfsinstrumonto bergen.
Das zwölfzöllige Aequatorial (ein Meisterstück des jüngeren Alvan
32 ‘
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440
Clark) dient zu vielen Beobachtungen, welche nicht die Kraft des
grofsen Refraktors erheischen. Der schöne sechszöllige Meridiankreis
von Repsold (dem Strafsburger Instrumente nachgebildet) bestimmt die
Oerter der Vergleichsterne u. s. w.t wird auch zu selbstständigen Ar-
beiten verwendet und kann sogar frei beweglich gemacht werden.
Das Durchgangsinstrument von vier Zoll Oeffnung ist der Zeit- und
Breitenbestimmung gewidmet.
Eine unseror Hauptaufgaben wird ein sorgfältiges Studium der
Refraktion sein. Ein Repsoldsches Universalinstrumcnt wird hierbei
den Meridiankreis ergänzen. Sonnenfinsternisse, Merkur- und Venus-
durchgänge u. s. w. können mit dem horizontalen Photoheliographen
von 4 Zoll Oeffnung und 40 Fufs Brennweite photographirt werden,
wie dies zum Theil auch schon ausgeführt worden ist. Der Kometen-
sucher, ein tragbares Aequatorial von 6 Zoll Oeffnung, Uhren von
Dent, Hohwü, Frodsham und Howard, und endlich ein sehr vollendeter
Apparat zum Ausmessen der Photographien vervollständigen die List»)
»ler wichtigeren Nebeninstrumente.
Das grofso Teleskop vereinigt in Wahrheit drei Fernrohre in sich.
Es ist für mikrometrischc Messungen eingerichtet und arbeitet jetzt in
dieser Richtung mit grofser Vollkommenheit. Ein kürzlich in den
„Astronomischen Nachrichten“ veröffentlichtes langes Verzeichnifs von
neuen Doppelsternen und Messungen als schwierig bekannter Doppel-
sterne durch Herrn Burnham ist ein gutes Zeugnifs seiner Vorzüg-
lichkeit in dieser Beziehung.
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441
Das optische Objektiv von 36 Zoll Oeffnung und etwa 56 Fufs
(17 m) Brennweite ist ganz besonders vollkommen. Eine dritte Linse
aus Crownglas kann schnell vor dem optischen Objektive eingefiigt
werden und verwandelt dann das Teleskop in eine gigantische photo-
graphische Camera von 33 Zoll Oeffnung und 45 Fufs Fokallänge.
Auch diese Linse ist, wie die schon versuchsweise gefertigten Stem-
und Mondaufnahmen beweisen, ganz ausgezeichnet.*) Um längere
Expositionen mit Erfolg ausfiihren zu können, brauchen wir noch einen
Apparat zur Bewegung der photographischen Platte durch die Hand,
um die Stellung dos Teleskops von Zeit zu Zeit korrigiren zu können.
Bei den ganz grofscn Refraktoren ist es nämlich nöthig, dafs diese
Handkorrektion nur die Platte und nicht den ganzen Tubus bewege.
Die grofse Brennweite des photographischen Teleskops macht dasselbe
zu einem höchst brauchbaren Instrument zur Ermittelung von Fixstern-
parallaxen aus den Messungen ihrer photographischen Bilder, denn
einer Bogensekunde am Himmel entspricht auf der Platte eine Länge
von 0,003 Zoll
In dritter Linie wird unser Instrument zur Spektroskopie ver-
wendet. Das Mikrometer kann sehr schnell entfernt werden, so dafe
das Okularende völlig frei wird. Dieses ganze Ende ist nun von einem
drehbaren Panzer (einem eisernen Cylinder) umgeben, an welchem
zwei lange Messingstäbe befestigt werden können, mit denen wiederum
das Spektroskop verbunden ist. Der Panzer liifst sich leicht im Posi-
tionswinkel drehen und so kann man den Spalt des Spektroskops schnell
und doch ohne Erschütterung z. B. rings um den Umfang der Sonne
herumwandern lassen. Unsere vomehmlicho spektroskopische Arbeit
wird sich der Bestimmung der Bewegung der Sterne in der Gesichtslinie
und der Beobachtung der Planetenspeklra zuwenden.
Gewöhnlich pflegt ein Apparat, welcher so vielerlei Zwecken
gleichzeitig dienen soll, eine jede Verrichtung nur mit mittelmäfsiger
Güte auszuführen. Indessen hat die Geschicklichkeit, mit welcher
die Konstrukteure unserer Montirung (Messrs. Wamor und Swasoy
aus Cleveland) unsere Ideen ausgeführt haben, uns doch ein Teleskop
geliefert, das gleich geeignet ist für optische, spektroskopische und
photographische Beobachtung. Das ganze Fernrohr hat demgemäfs
drei verschiedene Längen: das optische Instrument ist 66 Fufs, das
•) Unsere Zeitschrift wird in ihrer nächsten Nummer Facsimile-Nach-
bildungen in Heliogravüre von zweien dieser ganz vortrefflichen Mondphoto-
graphien bringen. Die Red.
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photographische 49 Für» lang, während das Fernrohr in Verbindung
mit dein Spektroskop etwa 62 Fufs Länge erhält.
Diese ganz besonderen Umstände liefsen alle gewöhnlichen Arten
von Beobachtungsstühlen von vorn herein garnicht in Betracht kommen.
Ein sehr glücklicher von Sir Howard Grubbs den „Lick Trustees-
gegebener Rath fand daher begeisterte Aufnahme. Diese Idee bestand
darin, einen Theil des Kuppelfufsbodens, der 60 Fufs im Durchmesser
hält, durch 16'4 Fufs auf und nieder zu bewegen.*)
Durch dieses llülfsmittel kann der Beobachter von einer ge-
wöhnlichen Trittleiter aus das Okular, den photographischen Fokus
und auch das Spektroskop erreichen. Die ersten Einrichtungen zur
Bewegung des Fufsbodens stellten nicht ganz zufrieden, da die Be-
wegung zu langsam erfolgte. Die jetzige Konstruktion arbeitet jedoch
vorzüglich; sie besteht in vier achtzölligen hydraulischen Pressen,
welche den Fufsboden in der Minute um mehr als zwei Fufs heben
oder senken, was, wie die Erfahrung uns gelehrt hat, schnell genug
ist. Ich bin fest überzeugt, dafs diese werthvolle Erfindung des
Sir Howard Grubbs sich bei allen grofsen Fernrohren als vor-
theilhaft erweisen müfste.
Ein Wort mag auch über die 75 Fufs hohe Kuppel, welche das
Aequatorial bedeckt, gesagt werden. Sie ist von den „Union iron
works- in San Franzisco erbaut und zwar in Anlehnung an die Pläne
der Kuppel des 26-zölligen Refraktors der Universität von Virginia
und unter Anbringung einiger Verbesserungen. Sie wiegt 199000 engl.
Pfund (90 262 kg) und kann durch Wasserkraft in aoht Minuten um
360 Grad gedreht werden. Auch die Klappe stellt uns in jeder Be-
ziehung zufrieden.
Soviel sei über die mechanischen Hülfsvorrichtungen zum grofsen
Aequatorial bemerkt.
Es erübrigt noch, die Leistungen unseres Riesenfernrohres zu
betrachten. Die Ausdehnung unseres Beobachtungsgebietes ist gren-
zenlos. Kein Objekt haben wir bis jetzt betrachtet, ohne Neues von
oft weitgehender Bedeutung zu sehen. — Marsbeobachtungen haben
wir angestellt, als der Planet eine Zenithdistanz von 60 Grad und
einen Durchmesser von nur 8 — 9 Zoll besafs und bereits über die
Quadratur hinaus war. Die vierzig Zeichnungen, welche wir nach
*) Es durfte den Leser iutoressiren zu erfahren, dafs bei der neuen gegen
Ende des gegenwärtigen Monats Mai zu eröffnenden Urania-Sternwarte in Berlin
fiir deren grofsen Refraktor dieselbe Einrichtung getroffen worden ist. Die Red.
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«lern 15. Juli (die Opposition fand im April statt) erhalten haben,
zeigen viele, wo nicht die meisten der Kanäle des Professor Schia-
parelli. Allerdings wurden unter solchen Verhältnissen keine Ver-
doppelungen gesehen. — Jupiter ist erst selten sorgfältig studirt
worden. Die Verfinsterungen seiner Satelliten lassen sich durch ihre
Phasen verfolgen, wie die unseres Mondes. — Saturn bietet einen höchst
interessanten Anblick. Nie habe ich die Flecke auf seiner Oberfläche
oder den dunklen Ring mit auch nur annähernd gleicher Schärfe ge-
sehen, als hier. Fine interessante Aehnlichkeit zwischen dem Aus-
sehen der Ringe A und B ist höchst auffallend: Ihre Verschieden-
heiten scheinen lediglich auf Helligkeitsunterschieden zu beruhen. —
Uranus hat bisher noch nicht gut gesehen werden können, da
unser Winterwetter nicht günstig ist — Ich glaube endlich mit Be-
stimmtheit behaupten zu können, dafs Neptun innerhalb 20" Distanz
keinen bisher unbekannten Trabanten besitzt sowie dafs seine Scheibe
kreisförmig und frei von Flecken ist.
Die Sonnenfinstemifs vom 1. Januar 1889 ist überall in Kali-
fornien beobachtet worden, sowohl durch Expeditionen, die von Seiten
der Sternwarten des Harvard College, des Carlton College, der Washing-
ton University u. s. w. entsandt waren, als auch von vielen astrono-
nomischen Liebhabern und Photographen. Die Liokstemwarte hatte
ein Schriftchen mit Rathschlägen für die Beobachter der Finsternifs
in weite Kreise verbreitet und trug so dazu bei, dafs Zeichnungen, Be-
obachtungen und Photogramme nach einem einheitlichen Plane erhalten
wurden. Unsere photographischen Instruktionen waren von M. Burn-
ham verfarst und haben, wo sie befolgt worden sind, gute Resultate
erzielt. Eine der bemerkenswerthesten Thatsachen bei der Beobach-
tung dieser Finsternifs war das geschlossene Zusammengehen der Lick-
stemwarte milder „Amateur Photographie Association“ von Kalifornien.
Eine grofse Anzahl der Mitglieder dieser Gesellschaft betheiligte sich
an einem Verfahren, durch welches Negativs der Corona nach einem ein-
heitlichen System bei den verschiedensten Belichtungszeiten gewonnen
wurden. Die Diskussion der von diesen Herren erhaltenen 160 oder
mehr Negativs wird werthvolle photometrische Data liefern und die Frage
nach den für die verschiedenen Theile der Corona geeigneten Belichtungs-
zeiten unter anderem vollständig lösen. Eine Expedition ward auch
von der Licksternwarte selbst in die Zentralitätszone entsandt und
glückten dieser sowohl vortreffliche Corona-Photograinme (aufgenommen
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von Mr. Barnard*), als auch spektroskopisohe Beobachtungen (zur
Wiederholung der Untersuchungen von Professor Hastings aus dem
Jahre 1883) und photometrische Messungen der totalen von der Corona
ausgesandten Lichtmengo. Auch auf dem Mt. Hamilton selbst wurde
eine Reihe von photoheliograpliischen Bildern der partiell verfinsterten
Sonne genommen. In jeder Beziehung scheinen die von den verschie-
denen Parteien erlangten Photogramme dieser Finstemifs diejenigen
von irgend einer früheren Finstemifs zu übertreffen und wir können
interessante Ergebnisse von ihrem Studium erwarten. Besonders zeigen
sich die polaren Lichtstreifen weit schöner, als auf älteren Bildern.
Die Corona von 1889 ähnelt auffallend der von 1878 und 1867 und
es scheint somit jetzt ausgemacht zu sein, dafs die charakteristische
Gestalt der Corona mit der Sonnenfieckonhäufigkeit und also auch mit
den ihr so sehr ähnlichen Nordlichterscheinungen zusammenhängt.
*) Eines dieser Corona - Phologramme werden wir in unserer nächsten
Nummer, gleichfalls in heliographischer Nachbildung, naeh einem uns vom
Herrn Prof. Holden zur Verfügung gestellten Glasphotogramm veröffentlichen.
Die Red.
(Schlufs folgt.)
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Neuere Theorieen der Luft- und Gewitter -Elektricität.
Von Professor L. Sohnoke in München.
l)iR grofsartigo Erscheinung des Gewitters mufs auf das Menschen-
’ i| zj- geschlecht in seiner Kindheit einen unvergleichlich gewaltigeren
Eindruok gemacht haben als auf das heutige Geschlecht. Denn
während die civilisirte Menschheit der Gegenwart im Gewitter nur eine
besonders mächtige Bethätigung physikalischer Kräfte erblickt, deren
verderblichen Wirkungen sie sogar mit voller Sicherheit zu begegnen
weifs, konnten die ältesten Völker — wie noch heute die Wilden —
gegenüber den höheren Gewalten nur ihre völlige Ohnmacht empfinden;
ja man geht gewifs nicht fehl, wenn man den Ursprung des Götter-
glaubens zu einem wesentlichen Theil auf diese Naturereignisse zurück-
fiihrt, in denen der Mensch die göttliche Stimme, die Stimme des
Donnerers, unmittelbar zu vernehmen glaubte. Wenn nun auch ge-
wifs schon Jahrtausende verflossen sind, seit in denkenden Köpfen
die Ueberzeugung aufzudämmern begann, dafs dem Gewitter ebenso
wie anderen Naturerscheinungen natürliche Kräfte zu Grunde liegen,
so hat es doch bekanntlich bis gegen die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts gedauert, ehe die elektrische Natur des Gewitters hier und
da zunächst geahnt, sodann von Winkler bestimmt erkannt und von
Franklin unwiderleglich bewiesen wurde. Es konnte nicht fehlen,
dafs man bei Gelegenheit dieser Untersuchungen auch bald auf die
gewöhnliche Luftelektricität aufmerksam wurde, die sich dadurch be-
thätigt, dafs ein beliebiger Funkt der Atmosphäre fast jeder Zeit in
anderem elektrischen Zustande befindlich ist als der Erdboden unter ihm.
Die Entdeckung der elektrischen Natur des Gewitters bezeichnet
sicherlich einen der gewaltigsten Fortschritte in unserer Naturerkennt-
nifs. Wie uns aber jede neue Entdeckung sofort wieder vor neue
Rüthsei stellt, so mufsten sioh auoh hier sogleich die Fragen aufdrängen :
woher denn beim Gewitter die gewaltigen Ansammlungen von Elek-
tricität entspringen, und welches die Quelle der gewöhnlichen atrno-
44<;
sphärischen Elektricität sei. Obgleich nun seit der Franklinschen
Entdeckung bald ein und ein halbes Jahrhundert verflossen sein wird,
so kann man doch bis auf den heutigen Tag noch nicht behaupten,
dafs schon eine endgiltige und alle Zweifel ausschliefsende Antwort
auf diese Fragen gegeben sei. In einem vor wenigen Jahren er-
schienenen Schriftchen *) führt Hr. Suchsland nicht weniger als 24
bis dahin aufgestellte Theorieen der Luft- und Gewitter-Elektricität
vor; und seither sind schon wieder mehrere neue hinzugekommen.
Eine der von Suchsland aufgezählten Theorieen rührt vom Verfasser
dieser Zeilen her**); dieselbe hat bis jetzt zwar hier und da Wider-
spruch, aber keinerlei Widerlegung erfahren; ich werde weiter unten
auf sie zuriickkommen.
Die früheren Erklärungsversuche sind fast sämtlich als unhaltbar
erkannt; und diejenigen von ihnen, für welche diese Behauptung nicht
zutrifft, sind jedenfalls nicht durch so überzeugende Gründe gestützt,
dafs sie für sonderlich wahrscheinlich gelten könnten. Auf alle diese
Hypothesen soll nicht weiter eingegangen werden. Dagegen ist es
der Zweck dieser Zeilen, mehrere seit dem Erscheinen meiner Schrift
veröffentlichte Theorieen einer genaueren Prüfung zu unterwerfen.
Nicht auf alle seither geiiufserten Ansichten soll eingegangen werden;
namentlich werden solche Erklärungsversuche, welche die Ursache
der atmosphärischen Elektricität in Vorgängen Anden, bei denen nach-
gewiesenermafsen keine Elektricität entsteht, (z. B. Reibung von Luft
oder Wasserdampf an anderen Körpern) unerwähnt bleiben, denn sie
entbehren des festen Fundaments der Erfahrung. Immerhin sind es
vier verschiedene Erklärungsversuche, für welche ich die Aufmerk-
samkeit des geneigten Lesers in Anspruch nehmen möchte, es sind
die der Herren Suchsland, Wu rst er, F. Einer und ganz besonders
der des Hrn. Arrhenius. Das Hauptaugenmerk soll dabei nicht so-
wohl darauf gerichtet werden, wio sich die thatsächlichen elektrisch-
meteorologischen Erscheinungen aus der angenommenen Ursache ab-
leitcn lassen, als vielmehr darauf, ob diese Ursache auch sicher und
wohlbegründet erscheint.
Die Suchslandsche Theorie nimmt ihren Ausgang von der
altberühmten Voltaschen Säule, die durch wiederholte Aufschichtung
der drei Substanzen: Kupfer, Zink, feuchter Leiter; Kupfer, Zink,
*) E. Such sland: Die gemeinschaftliche U rsachc der elektrischen Mc-
teoro und des Hagels. Halle a. S. 188G. 8°. 59 3.
**) L. Sohnckc: Der Ursprung der Gewitter-Elektricität und der ge-
wöhnlichen Elektricität der Atmosphäre. Jena. Fischer. 1S85. 74 S.
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447
feuchter Leiter; . . . entsteht; nur dafs das Zink durch Blei ersetzt
und der Aufbau mit Absicht unregelmäfsig bewerkstelligt wird. „Wir
stellen uns eine Anzahl Voltascher Elemente aus Schrotkürnem und
Zündhütchen ohne Füllung her, indem wir zwei und zwei zusammen-
klopfen. Zwischen eine gröfsere Zahl derselben mischen wir Kugeln
aus angefeuchtetem Seidenpapier, alles zusammen binden wir in einen
Schleier zur Form einer Kugel zusammen. Es zeigt sich, dafs ein der-
artiges Conglomerat zwei Pole hat, bei deren Berührung das Galvano-
meter eine besonders starke Ablenkung erfahrt.“ Dies ist nicht über-
raschend; das Gegentheil: die elektrische Neutralität des ganzen Ge-
bildes wäre überraschend gewesen, weil diese sich nur bei ganz
speziellen, also im allgemeinen sehr unwahrscheinlichen Anordnungen
der gegebenen Anzahl von galvanischen Elementen hätte hersteilen
können.
Als Gebilde von ganz analogem Bau wie diese „Voltaschen Con-
glomerate“ fafst nun Hr. Suchsland jede Gewitterwolke und jede Hagel-
wolke auf. Freilich (Inden sich im Gewölk keine Metalle; an ihre
Stelle treten die beiden Gase Stickstoff und Sauerstoff, aus denen die
Atmosphäre zusammengesetzt ist. „Wir sind berechtigt, eine Gewitter-
wolke als ein grofses Voltasches Conglomerat absoluter Gaselemente
(Stickstoff, Sauerstoff, Wasser) anzusehen, in welchem vor dem Aus-
bruch des Gewitters die Gasmoleküle beliebige Lagerung zu einander
haben.“ Im allgemeinen werden dabei an den einzelnen Punkten der
Wolke elektrische Spannungen irgend welcher Gröfse auftreton. Wenn
dieselben eine gewisse Intensität erreichen, „werden dio Elektricitäts-
Centren aktiv, indem sie die benachbarten Luftatome nach ihrer Po-
larität ordnen. Geordnet verstärken dann ihrerseits die benachbarten
absoluten Gaselemente das aktive Elektricitätscentrum und so bildet
dieses einen Gewitterherd, von dem aus die ganze Wolke, so weit sie
durch genügende Einlagerung von Wasserkügelchen dazu fähig ist,
mit wachsender Geschwindigkeit in ein aktives Voltasches Conglomerat
verwandelt wird.“
Drei verschiedene Annahmen sind es, auf denen diese Theorie
beruht: Die elektrische Erregung verschiedenartiger Gase durch Be-
rührung; die Wirksamkeit einer aus Isolatoren gebauten Voltaschen
Säule; endlich eine eigentümliche Wirkung der Voltaschen Säule auf
eine sie umgebende Wolke, darin bestehend, dafs die benachbarten
elektrischen Gastheilchen sich alternirend nach ihrer Polarität ordnen.
Herr Suchsland begnügt sich im wesentlichen mit einem Begrün-
dungsversuch für die erste Annahme; viel flüchtiger verweilt er bei
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448
der letzten; die zweite aber führt er stillschweigend ohne weitere Recht-
fertigung ein.
Dafs verschiedene Oase elektromotorisch aufeinander wirken, wird
aus Versuchen gefolgert, welche örove und Beetz mit sog. Gas-
batterieen angestellt haben. Die Bedingungen, unter denen diese Phy-
siker arbeiteten, waren freilich wesentlich andere, als in der freien
Luft verwirklicht sind. Nichtsdestoweniger darf der Satz, dafs sich
zwei verschiedene Gase durch Berührung entgegengesetzt elektrisch
laden, immerhin als wahrscheinlich gelten, freilich — wie mir scheint
— nur unter der Einschränkung, dafs einzelne Gasatome
zum Kontakt gelangen. Dagegen ist es recht unwahrscheinlich,
dafs die zweiatomigen Sauerstoffmolekeln und die zweiatomigen Stick-
stoffmolekeln, deren chemisch indifferentes Gemenge unsere atmosphä-
rische Luft bildet, bei der Berührung elektrisch werden sollten.
Wenn letzteres aber auch zugegeben wird, so ist doch das von
dem Erfinder der Theorie in Gedanken aufgebaute Gebilde einer aus
Isolatoren zusammengesetzten Voltaschen Säule in der Physik uner-
hört. Es besteht aber wirklich aus Isolatoren 1 Denn die Gase unserer
Atmosphäre gehören, bei mäfsigen Drucken, zu den besten Nichtleitern,
die wir kennen. Ja auch das absolut reine destillirte Wasser ist nach
Herrn F. Kohlrauschs Ermittelungen ein ganz ungemein schlechter
Leiter der ElektricitäL Die Tröpfchen der Wolken sind aber solches
destillirtes Wasser von ungemeiner Reinheit (Nur wo sich zufällig
geringe Salpetersäuremengen in der Luft vorfinden, worauf Hr, Suchs-
land hinweisl, werden die Tröpfchen etwas besser leiten.) Es besteht
also die aus Stickstoff, Sauerstoff, Wasser aufgestellte Voltasche Säule
aus zwei unzweifelhaften Isolatoren und einem in den allermeisten
Fällen ebenfalls ungemein schlechten Leiter. Ehe nun nicht durch
Laboratoriumsversuche nachgewiesen ist, dafs eine in solcher Art aus
Nichtleitern aufgobaute Säule analoge Wirkungen zu äufsem vermag
wie eine in gewöhnlicher Art aus Leitern zusammengesetzte Voltasche
Säule, kann die vorliegende Theorie nicht den Anspruch erheben,
auch nur auf einigennafsen sicherem Fundament zu ruhen.
Hierzu kommt nun noch die völlige Unsicherheit der dritten An-
nahme, dafs durch diese Voltasche Säule in der Umgebung eine altcr-
nirende Lagerung der entgegengesetzt elektrischen Gastheilchen be-
wirkt werde. Zur Herstellung einer solchen Anordnung würde doch
erforderlich sein, dafs die Stickstoff- und Sauerstoffmolekeln der Luft
nicht frei beweglich wären. So lange sie nämlich frei sind, müssen
die durch Kontakt positiv elektrisch gewordenen Theilchen sich in die
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N'iihe des negativen Pols der Säule begeben, die negativen Theilchen
zum anderen Pol. Nun citirt Hr. Suchsland freilich Groves Auto-
rität für seine Ansicht, auch spricht er von einer elektrischen Fesse-
lung der Gastheilchen und macht dieselbo sogar für die Abkühlung
in der Gewitter- und Hagelwolke verantwortlich. Aber man sieht sich
vergeblich nach wirklichen Gründen um, durch welche ein solcher
Vorgang auch nur einigermafsen wahrscheinlich gemacht, geschweige
denn bewiesen würde.
Wenn so zwei von den drei Annahmen, auf denen die Theorie
ruht, durchaus unerwiesen und von vornherein unwahrscheinlich sind,
und wenn auch die dritte nur mit einer Einschränkung für wahr-
scheinlich gelten kann, so erscheint der Ausspruch wohl berechtigt,
dafs durch diese Theorie das Räthsel der Luftelektricität kaum gelöst
sein dürfte.
Auf gänzlich anderer Grundlage ruht die\V urstersche Theorie.*)
Nach ihr sind die elektrischen Erscheinungen der Atmosphäre eine
Folge der Sonnenstrahlung, und zwar vermöge der Ozonbildung, die
stets von Elektricitätsentwickelung begleitet sei. Hr. Wurster argu-
mentirt folgendermafsen.
Wo Sonnenstrahlen auf Sauerstoff und Wasser treffen, wird hier
und da eine Sauerstofl'molekel in ihre zwei Atome gespalten. Eins
derselben verbindet sich mit einer ungespaltenen Sauerstoffmolekel zu
Ozon, das andere mit einer Wassermolekel zu Wasserstoffsuperoxyd.
„So bildet sich Ozon durch Bestrahlung immer in den obersten Nebel-
schichten der Wolken.“ Hr. Wurster hat das vielfach beobachtet,
wenn er bei Seefahrten bald in Nebelmassen ein-, bald aus solchen
heraustrat. Wenn demnach Wolken von oben her wachsen, also immer
neue Nebelschichten von oben her sich auf der Wolke ablagern, so
bilden sich dort im Sonnenschein immer neue Ozonmengen. Aber die
geringste hochgelegene feine Wolkenschicht, wenn auch die Sonne
noch so deutlich zu erkennen ist, verhindert unten die Bildung von
Ozon; auch zeigt sich kein Ozon in dichtem, tagelangem Nebel.
Hr. Wurster ist nun der Ansicht, dafs überall, wo Ozon entsteht,
auch negative Elektricität auftritt Denn „alle Autoren, die sich mit
den elektrischen Eigenschaften des Ozons beschäftigt haben, schreiben
ihm starke negativ-elektrische Eigenschaften zu.“ „Ist in den der
•) C. Wurster: Die Aktivirung des Sauerstoffs der Atmosphäre und
deren Zusammenhang mit den elektrischen Erscheinungen der Luft und mit
der Entstehung der Gewitter. Her. d. deutsch, ehern. Ges. Jahrgang 19. Berlin
1886. 8°. 9 S.
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450
Sonne zugekehrten Schichten der Wolke Ozon vorhanden, so wird
dieser Theil der Wolke sich stark negativ zeigen.“ „Bis wird
so nach und nach die ganze obere Wolke negativ-elektrisch werden,
und wenn die elektrische Spannung zu grofs wird, ein Ausgleich mit
der Erde stattfinden, der Blitz zur Eide schlagen.“
Bei diesen Ueberlegungen ist jedoch auf einen Umstand keine
Rücksicht genommen, der die ganze Schlufsfolgerung zu nichte macht.
Wenn das entstehende Ozon negativ-elektrisch ist, so mufs gleichzeitig
eine gleiche Menge positiver Elektrizität entstanden sein, denn in der
ganzen Physik ist kein Vorgang bekannt, bei dem nur eine Art von
Elektrioität entstände. Immer und überall zeigt sich die Bildung einer
Menge von einer Elektricitätsart begleitet von der Bildung einer
gleichen Menge der entgegengesetzten Elektricitätsart. Somit erhebt
sich unabweislich die Frage: Wenn das entstandene Ozon wirklich
negativ-elektrisch ist, wo ist dann die gleiche Menge positiver Elek-
tricitiit hingekommen? Und aus welcher Ursache trennen sich im vor-
liegenden Fall die beiden entgegengesetzt geladenen Körper: das nega-
tive Ozon und der andere positive Körper soweit von einander, dafs
ganze Wolkenmassen vermöge ihres Ozongehalts negativ werden?
Auf diese Frage bleibt die Wurstersche Theorie die Antwort schuldig;
ja sie stellt die Frage nicht einmal. Und dadurch ist der Beweis ge-
liefert, dafs sie nicht die wahre Theorie der elektrischen Erscheinungen
der Atmosphäre sein kann.
Die beiden noch zu besprechenden Theorieen, so verschieden sie
auch im übrigen sind, haben das gemein, dafs sie beide auf eine
schon früher ausgesprochene und namentlich von Peltier vertretene
Ansicht zurückgreifen, nach welcher der Erdkörper von Anfang an
mit einer bestimmten Menge negativer Elektrioität geladen sein soll.
Diese Ansicht ist natürlich weder direkt beweisbar noch widerlegbar,
sie kann ebensowohl wahr wie falsch sein. Für die Veränderungen
der atmosphärischen Elektricität und für die Entstehung der Gewitter
ist es nun erforderlich, dafs wenigstens ein Theil der elektrischen
Ladung des Erdkörpers von der festen oder flüssigen Erdoberfläche
zu den Wolken hinaufsteige. Dieser letztere Vorgang wird in den
beiden Theorieen durchaus verschieden aufgefafst.
Zunächst betrachte ich die von Herrn F. Exner entwickelte
Vorstellung.*) Nach dieser sind es die von den Gewässern oder von
dem feuchten Boden aufsteigenden Wasserdämpfe, welche die Ueber-
*) F. Exner: lieber die Ursache und die Gesetze der aliuosphär. Elek-
tricität Wiener Berichte. 93. II. Abth. Febr.-Heft 1H86.
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führung der Elektricität von der Erde zur Wolkenregion vermitteln.
Allerdings war früher von Herrn Blake durch sorgfältige Labora-
toriumsversuche nachgewiesen, dafs die von einer elektrisirten Flüssig-
keit aufsteigenden Dampfe keine nachweisbare Spur von Elektricität
mit sich nehmen. Hiergegen wendet aber Herr Exner zunächst ein,
dafs elektrisirte Flüssigkeiten schneller verdampfen als unelektrische,
woraus auf eine Mitnahme der Elektricität zu schliefsen sei. Ferner
glaubte er durch anders angeordnete Versuche mit schnell verdampfen-
den Flüssigkeiten eine solche Mitnahme thatsächlich erweisen zu können.
Durch eingehende Versuche habe ich indessen gezeigt,*) dafs beide
Argumente nicht zutreffen. Die schnellere Verdampfung bei den als
Hauptbeweis angeführten Mascartschen Versuchen und auch sonst ist
eine nothwondigo Folge der durch elektrischen Wind gesteigerten Luft-
bewegung. Von den Versuchen aber, welche die Elektricitätsmitnahme
durch Dämpfe unmittelbar zu beweisen schienen, konnte ich zeigen, dafs
sie nothwendigerweise anders gedeutet werden müssen, für das eigent-
liche Ziel also ganz beweisunkräftig sind. Aufserdem habe ich dann
durch zahlreiche neue Versuche nach einer vollkommen anderen Methode
nochmals erhärtet, dafs die von elektrisirtem Wasser oder Aetlier
aufsteigenden Dämpfe durchaus keine merklichen Mengen von Elek-
tricität fortführen. Hiermit ist der Exn ersehen Theorie der Boden
entzogen. Denn wenn der aufsteigende Wasserdampf unfähig ist, die
an der Erdoberfläche als vorhanden vorausgesetzte negative Elek-
tricität mit sich eraporzunehmen, so bleibt es völlig unerklärt, auf
welche Art die bei jedem Gewitter thatsächlich eintretenden gewaltigen
Elektricitätsansammlungen in den Wolken zu stände kommen. Diese
Theorie kann also nicht länger aufrecht erhalten werden.
2.
Die Arrheniussche Theorie,**) zu der ich mich jetzt wende,
beruht auf zwei Annahmen. Die erste besteht, wie erwähnt, darin,
den Erdkörper als von Uranfang an mit einer bestimmten negativen
Ladung versehen zu denken. Die zweite lautet so: Unter Einflufs
direkter Bestrahlung von der Sonne wird die Luft, welche für ge-
wöhnlich ein vollkommener Isolator ist, in geringem Grade leitend,
*) L. Sohncke: Beiträge zur Theorie der LuftelektricitäL Sitz. Ber. d.
k. bayerischen Akad. d. Wiss, 1888.
**) S. Arrhenius: lieber den Einilufe der Sonnenstrahlung auf die elek-
trischen Erscheinungen in der Erdatmosphäre. Meteorolog. Zeitschr, Berlin
1888. S. 297 und 348.
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und zwar nicht nach Art der Metalle, sondern nach Art der Elektro-
lyte oder zersetzbaren Leiter (z. B. der Salzlösungen). Anstatt ver-
mittelst der in der vorigen Theorie herangezogenen Dämpfe würde
also unmittelbar durch elektrische Leitung negative Elektricität von
der Erdfeste zu den Tröpfchen der Wolken hinaufgeführt, welche
sich dadurch laden. Die Luft selbst ladet sich nicht; erfahrungsgemäfs
ist nämlich ein Gas unfähig statische Ladungen anzunehmen. Wenn
so „durch Sonnenstrahlen Elektricität von der Erde auf die Wolken
transportirt ist“, so 6ind durch Bewegungen der geladenen Tröpfchen,
sei es in horizontaler, sei es in vertikaler Richtung, besonders aber
durch Vereinigung mehrerer zu einem greiseren Tropfen, die mannig-
faltigen Erscheinungen der Luftelektricität und wohl auch die Ent-
stehung von Gewittern einigermafsen begreiflich.
Herr Arrhenius hat den zweiten Fundamentalsatz seiner Theorie,
den Satz, dafs sonnenbestrahlte Luft elektrolytisch leitet,
durchaus nicht leichthin hypothetisch aufgestellt, sondern zum Beweise
desselben sowohl selber eingehende Experimentaluntersuchungen aus-
geführt, als auch die Versuche Anderer herbeigezogen, so dafs der
Satz zunächst als wohlbegründet erscheinen könnte. Indessen wird
es doch nicht überflüssig sein zu untersuchen, ob aus den einschlä-
gigen Beobachtungen wirklich auf die Leitung bestrahlter Luft ge-
schlossen werden darf. Und diese Untersuchung ist um so noth-
wendiger, als etwa gleichzeitig mit und dann auch nach dem Erscheinen
von Herrn Arrhenius’ meteorologischer Abhandlung noch eine ganze
Reihe von Experimentaluntersuchungen über diesen, durch eine merk-
würdige Entdeckung des Herrn Hertz in den Vordergrund des phy-
sikalischen Interesses gerückten Gegenstand bokannt gemacht worden
ist*), welche den von Arrhenius als Leitung gedeuteten Vorgang
doch in einem recht anderen Lichte erscheinen lassen. Indem wir
mit dieser Untersuchung ein erst ganz kürzlich erschlossenes Er-
scheinungsgebiet betreten, wird es unumgänglich nothwendig sein, in
buntem Wechsel die mannigfaltigsten Versuchsanordnungen der ver-
schiedenen Experimentatoren vorzuführen, damit aus der Gesamtheit
der Beobachtungen schliefslich das eigentliche Wesen der fraglichen
Erscheinung deutlich und unzweifelhaft hervortrete.
Vor der Beschreibung der Versuche wird es nützlich sein, mit
ein paar Worten auf den Begriff der elektrolytischen Leitung ein-
zugehen. Man kennt elektrolytische, d. h. mit chemischer Zerlegung
*) Fast sämtlich in Wiedemanns Annalen der Physik und Chemie,
Jahrg. ISS7 und 1SS8; sowie in den Comptes rendus der Pariser Akademie IS8S.
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verknüpfte Eloktricitätsleitung bisher nur bei chemischen Verbindungen,
(z. B. bei verdünnter Schwefelsäure oder bei Metallsalzlösungen und
dergl). Beim Durchgänge des elektrischen Stromes scheidet sich dann
der elektropositive Bestandtheil der Verbindung an jener Stelle ab, wo
der Strom den zersetzbaren Leiter verläfst, der andere, eloktronegative
Bestandtheil dagegen da, wo der Strom eintritt Auf diesem Verhalten
beruht ja der galvanoplastische Prozefs; denn in der wässerigen
Lösung eines Metallsalzes, z. B. des Kupfervitriols, ist das Metall
(Kupfer) der elektropositive Bestandtheil, der Säurerest des Salzes der
elektronegative.
In welcher Weise soll man sich aber bei der Luft den Vorgang
der elektrolytischen Leitung denken? Soll man annehmen, dafs in
der zweiatomigen Sauerstoffmolekel das eine Sauerstoffatom elektro-
positiv, das andere elektronegativ sei ? Dafür liegt aber kein sonstiger
Grund vor. Auch miifstc dann beim Durchgang des elektrischen
Stroms, wobei die Molekeln in ihre entgegengesetzt elektrischen
Bestand theile zerfallen, an der Eintrittsstelle des Stroms nur ne-
gativer, an der Austrittsstelle nur positiver Sauerstoff auftreten.
Aber eine derartige Erscheinung ist gänzlich unbekannt! Die-
selbe Schwierigkeit erhebt sich gegen die Annahme, dafs die zwei-
atomigen Stickstoffmolekeln den Strem elektrolytisch leiten. Oder
soll man annehmen, dafs die beiden Gase, Sauerstoff und Stickstoff,
die, mechanisch durcheinander gemischt und ohne gegenseitige
chemische Einwirkung, unsere Atmosphäre zusammensetzen, in Wahr-
heit kombinirte .. Sauerstoff - Stickstoff - Molekeln “ bilden, in denen
der Stickstoff dann die Rolle des positiven, der Sauerstoff die des ne-
gativen Bestandtheils spielen würde? Dann müfste infolge der elektro-
lytischen Leitung an dem negativen Erdboden, der positive Stickstoff,
in gTÖfseren Höhen der negative Sauerstoff in überwiegender Menge
auftreten. Davon ist aber nicht das mindeste bekannt. Die Mischung
der Luft ist bis in die gröfsten Höhen hinauf stets ganz gleichmäfsig
gefunden worden! Oder soll man endlich vielleicht den der Luft bei-
gemengten Wasserdampf als den eigentlichen Elektrolyten ansehen?
Aber das geht doch gar nicht an, nachdem bei reinstem Wasser die
fast völlige Abwesenheit elektrischer Leitungsfähigkeit nachgewiesen
ist Diese Ueberlegungen scheinen wohl geeignet, gleich von vorno-
herein, schon vor Kenntnifsnahme der Versuche, die begründetsten
Bedenken gegen die Vorstellung von einer elektrolytischen Lei-
tung der Luft zu erwecken. Fassen wir jedoch nun die Versuche
selbst genauer ins Auge!
Himmel und Erde. I. 8. 3.')
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Herr Arrhenius knüpft an eine vor etwa zehn Jahren ver-
öffentlichte merkwürdige Beobachtung des Herrn Hittorf an. Jeder-
mann kennt die Geifslerschen Röhren, d. h. Glasröhren, aus denen
die Luft bis auf einen geringen Rest (vom Druck einer Quecksilber-
säule von wenigen Millimetern oder auch nur von einem Bruchtheil
eines Millimeters) ausgepumpt ist. Die Füllung einer solchen Röhre
wird bekanntlich hell leuchtend, wenn hochgespannte Elektricität die
Röhre von einem Endo zum andern durchfliefst. Zur Ein- und Aus-
führung des elektrischen Stromes dienen Drähte von Platin oder
Aluminium, die in die Rohrenden eingeschmolzen sind. Herr Hittorf
bediente sich nun einer Geifslerschen Röhre, in welcher aurser
den Drahtelektroden an den Enden auch noch von zwei gegenüber-
liegenden Punkten der Seitenwände her Platindrähte so eingeschmolzen
waren, dafs sie einen Zwischenraum von nur zwei Millimetern zwischen
sich liefsen, und versuchte durch diese letzteren Platindräthe einen
Strom zu schicken, indem er ihre herausragenden Enden mit den Polen
einer schwachen galvanischen Batterie verband. Der Versuch hatte
begreiflicher Weise keinen Erfolg; denn die Unterbrechungsstelle
zwischen den Platindrähten ist ein vollkommenes Hindernifs für den
Durchgang schwach gespannter Elektrizität. Sobald er nun aber den
Hauptstrom, geliefert von einer Batterie von tausend Elementen, der
Länge nach durch die Röhre gehen liefs, so dafs ihre Füllung leuch-
tend wurde, so begann auch der Querstrom zu fliefsen. Durch
das Fliefsen des Hauptstroms schienen also die Luftthcilchen in einen
Zwangszustand versetzt zu sein, in welchem sie befähigt waren, nun
überhaupt Elektricität zu leiten, auch wenn letztere von einer schwachen
Elektricitätsquello her geliefert wurde.
Diese merkwürdige Erscheinung hat Herr Arrhenius einem
genaueren Studium unterworfen; u. A. hat or untersucht, in welcher
Weise das Leitungsvermögen der elektrisch fluoreszirenden Luft ab-
hängig ist von der Stärke des Hauptstroms, von dor elektromotorischen
Kraft, die den Querstrom zu erzeugen sucht, von der Dichtigkeit der
das Rohr füllenden Luft und von anderen Umständen. — Im grofsen
und ganzen schienen die Aenderungen des fluoreszirenden Lichts der
Luftfüllung und dio Aenderungen ihres Leitungsvermögens einander
zu entsprechen. Das würde begreiflich sein durch die Annahme: beide
Eigenschaften beruhten auf der Beweglichkeit der Bestandtheile, aus
denen die Molekeln der Luft zusammengesetzt sind. So gelangt Ar-
rhenius zu dem Ausspruch, „die Gase im phosphoreszirenden
(beleuchteten) Zustande seien Elektroly te“. Zur Unterstützung
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dieser Auffassung’ führt er die von ihm früher gefundene Thatsache
an, dafs das Leitungsvermögen von Silberhaloidsalzon in Lösung stark
mit der Bestrahlung anwächst. Nun weifs man ja, dafs Lichtstrahlen
von kleiner Wellenlänge durch Silbersalze stark absorbirt werden;
diese Absorption scheint also die Molekeln aufzulockern und zum
elektrolytischen Zerfall geneigter zu machen. Dafs es nun derselbe
Vorgang sein müsse, welcher in phosphoreszirenden Gasen den Elek-
tricitätsiibergang bewirke, kann aus obiger Analogie natürlich nicht
zwingend gefolgert werden; es bleibt eben eine Vcrmuthung.
Herr Arrhenius stützt seine Ansicht noch durch einen anderen
Versuch. Wenn ein Zinkdraht und ein Platindraht parallel neben-
einander, und weniger als einen Millimeter von einander entfernt,
seitlich in ein Geifslersches Rohr eingeschmolzen sind, und wenn sie
nun beim Durchgänge des Hauptstroms von jenen (Kathoden-) Strahlen
getröden werden, welche bekanntlich in hochverdünnten Räumen von
der Austrittsstelle des Stroms (d. h. von der Kathode) entspringen, so
verhalten sich diese Drähte ganz ähnlich, als seien sie in eine zer-
setzbare Flüssigkeit eingetaucht, d. h. sic bilden die Pole einer (freilich
immer schwächer werdenden) galvanischen Säule. In welcher anderen
Weise dieser scheinbar sehr für Herrn Arrhenius’ Ansicht sprechende
Versuch wahrscheinlich zu deuten ist, wird erst an einer späteren
Stelle verständlich sein; ich komme nachher auf ihn zurück.
Herr Arrhonius steht übrigens mit seiner Auffassung der Lei-
tung verdünnter Gase als eines elektrolytischen Vorganges nicht allein.
Kr beruft sich in dieser Hinsicht auf Herrn Schuster, der schon
etwas früher ganz ähnliche Ansichten ausgesprochen hat. Letzterer
hatte, in Abänderung des Hittorfschen Versuchs, ein weites Gefäfs
durch einen freilich nicht bis an die Wandungen reichenden, zur
Erde abgeleiteten Metallschirm in zwei Hälften geteilt, die dadurch in
elektrischer Hinsicht möglichst unabhängig von einander gemacht
waren. Liefs er nun nach erreichter hoher Verdünnung den Haupt-
strom durch die Elektroden der einen Kammer ein- und austreten, so
vermochte die geringste elektromotorische Kraft auch durch die Elek-
troden der zweiten Kammer einen Strom zu schicken. Oder wenn
sich in letzterer ein von aufeen her geladenes Goldblattelektroskop
befand, so verlor dies beim Fliefsen des Ilauptstroms rasch seine
I-adung. Diese und ähnliche Erscheinungen deutet Herr Schuster
durch das Hinüberdiffundiren der positiv und negativ elektrischen
Bruchstücke von Gasmolekeln, welche durch den Hauptstrom dissociirt
worden seien und nun uueh in der zweiten Kammer die Leitung ver-
33 •
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raittelten. Aber einen zwingenden Beweis für diese Deutung bringt
er nicht bei. Leider läfst sich aus seinen Mittheilungen nicht ent-
nehmen, ob die Elektroden der zweiten Kammer vielleicht zum Theil
von dem elektrischen Lichte der ersten Kammer getroffen wurden.
Doch ist dies auf Orund der jetzt anzuführenden Versuche wohl zu
vermuthon.
Herr Arrhenius hat nämlich, angeregt durch die Hertzsche
Entdeckung, von der alsbald die Rede sein wird, den Nachweis ge-
führt, dafs jene scheinbare Leitung nur eintritt, wenn die verdünnte
Luft mit geeignetem Lichte bestrahlt wird. Zum Zweck dieses Nach-
weises wurde die kleine zwischen zwei Platindräthen ofTen gelassene
Unterbrechungsstelle in dem mit verdünnter Luft zu füllenden Gefäfs
nur vier Millimeter hinter einem Quarzfenster angebracht; und ganz
dicht (t/a mm) vor diesem Fenster konnten vermittelst einer Roitz-
schen Influenzmaschine elektrische Funken erzeugt werden. Sobald
diese Funken sprangen, vermochte eine sehr mäfsige Batterie (von
9 bis 38 Clark-Elementen) durch jene Unterbrechungsstelle einen Strom
zu schicken. Hier konnte auch nicht etwa ein unmittelbarer elek-
trischer Einflufs (Induktion) wirken, sondern die Bestrahlung mit
Licht mufste die Ursache sein; denn zur Vermeidung jeglicher In-
duktion waren die iiufsere Funkenstrecke und die innere Unterbrechung
so ungeordnet, dafs sie zwei im Raum sich rechtwinklig kreuzende
Linien bildeten. Auch wurde die Wirkung der Funken auf weniger
als ihren zehnten Teil herabgesetzt, sobald man das Quarzfenster mit
Nitrozellulosepapier bedeckte. Dieses vorzügliche Dielektrikum mufste
etwaige elektrische Wirkungen ohne weiteres hindurchlassen, während
eB für Lichtstrahlen von kleiner Wellenlänge nur sehr wenig durch-
lässig ist. — Noch mag bemerkt werden, dafs der eben geschilderte
Einflufs der Bestrahlung bei 4 bis 5 mm Druck der eingeschlossencn
Luft am stärksten, bei 20 mm Druck aber bereits nicht mehr nach-
weisbar war.
(Fortsetzung folgt.)
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Die norwegische Nordmeer-Expedition.
Von Pr«f. I)r. H. Mohn.
Direktor des Norwegischen Meteorologisch«! Instituts in Christian ia. •)
y (Fortsetzung.)
7\ in 24. Juli verlief« die Expedition Trorasü. Das Wetter war bis
T' >. zum 27. Abends schön, worauf sieh ein Nebel über das Meer legte.
Wir merkten, dafs wir in den Polarstrom gerathen waren. Die
Temperatur der Luft betrug kaum 8", die der Meeresoberfläche 4,5 u und
in einer Tiefe von 40 m war schon eiskaltes Wasser von 0°. Die Heise
wurde am folgenden Tage nach Westen fortgesetzt. Der dicko Nebel
hielt an, so dafs Jan Mayen unsichtbar blieb. Es wurde oft gelothet,
aber die Tiefe war fortwährend eine bedeutende, bald gröfser bald
geringer, doch immer mindestens 2000 m. Etwas nach Mittag war
die Tiefe auf 1200 m horabgegangen; dennoch waren wir nach deui
Besteck bereits auf dem Platze, wo Jan Mayen der Karte nach liegen
sollte. Wollte der Nebel uns so zum Narren halten, dafs wir Jan
Mayen nicht Anden sollten? Es sah in der Thal mystisch aus. Doch
setzten wir den Kurs nach Westen fort. Jetzt sahen wir bald, dafs
die Zahl der Seevögel gröfser und gröfser wurde; je weiter wir nach
Westen kamen, desto mehr von ihnen begegneten uns, bis zuletzt
ganze Schaaren von Lummen gegen uns anflogen. Dies zeigte
an, dafs das Land nicht weit entfernt sein konnte. Aber wie weit?
Die letzte Lothung war 1200 m, und dem Bestock und der Karte
nach sollten wir schon beinahe die ganze Breite der Insel passirt
haben. Der Nebel lag noch eben so dicht. Die Situation war durchaus
nicht angenehm für alle diejenigen an Bord, welche sie verstanden. Wir
konnten jeden Augenblick gewärtig sein, direkt aufs Land zu segeln.
Dies war die Stimmung beim Mittagsmahl. Da, gerade als das Dessert
servirt werden sollte, hörten wir den Steuermann auf Deck rufen:
*) Aus (lein norwegischen Original -Manuskripte übersetzt von F, 8.
Archenhold und revidirt vom Verfasser,
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„Ich sehe den Gletscher vorne“. Im selbigen Augenblick wurde die
Maschine gestoppt, das Loth geworfen und 260 m Tiefe gemessen.
Alle Mann liefen auf Deck. Das war eine Aussicht! Vor uns, unter
dem Nebel, schäumte die Brandung des Meeres gegen eine schwarze,
fast senkrechte Felswand, und über diese hinüber hing eine Eiswand
wie ein grofser, weifsgrauer Wasserfall. Es war eine der wildesten
Scenerien, die ich je im Leben gesehen habe. Mit dem Lothe auf
dem Boden blieben wir auf diesem Platze liegen, in der Erwartung, dafs
der Nebel sich heben würde. Wie weit wir vom Lande ab sein
mochten, war die nächste Frage. Sie wurde auf folgende Art gelöst-
Wir hatten 4 Haubitzen mit als Salutkanonen. Eine von diesen, auf
der Seite, welche gegen das Land zeigte, wurde geladen und ab-
gefeuert. In demselben Augenblick sahen vier Beobachter nach ihren
Uhren. Mit gespannter Aufmerksamkeit horchten acht Ohren nach
dem Echo des Schusses von der steilen Felswand auf Jan Waren.
Es trat ein, deutlich für uns alle; die Sekunden wurden notixt und
danach der Abstand vom Lande zu einer kurzen Seemeile berechnet.
Nun lichtete sich der Nebel so weit, dafs wir die Gebirgsvor-
sprünge gegen Süden und gegen Norden sehen konnten. Ha der
Wind aus Osten bliefs und die See auf dieser Seite gegen dass hnd
stand, so wurde beschlossen, auf der Nordseite um die Insel Jierum-
zugehen und auf der Westseite zu ankern. Wir zogen das Loth ein
und dampften nordwärts. Aber kaum waren wir bei der Xordspitze
der Insel angelangt, so legte der Nebel sich wieder über nnsero
ganzen Horizont. W'ir steuerten nun zuerst eine Meile Wegs nördlich,
dann westlich, südlich und südöstlich. Wir wufsten, dafs wir in dem
grönländischen Polarstrome waren. Sollten wir dem Eise beg-egnen?
Wir konnten keins sehen, es lag immer noch Nebel über der See.
Wir beobachteten dann alle 5 und 3 Minuten die Temperatur der
Meeresoberfläche, sie zeigte jedoch kein besonderes Sinken, als vir
gegen Westen vorrückten. Ein paar Stunden vor Mitternacht *aren
wir unterhalb der Westküste von Jan Mayen. Immerwährend Nehcl-
Wir lotheten zu wiederholten Malen 400 m, ohne den Grund zu
treffen. Da, mit einem Mal, fing der Nebel an sich zu heben-
Unterland der Insel wurde sichtbar und wir konnten einen. Pun'it
nach dem andern aus dem Vergleich mit den Beschreibung-*?0 und
Abbildungen von Scoresby und Karl Vogt erkennen. Wir Vtountcu
nun unsern Ankerplatz wählen und ankerten um 11 Uhr in l1er
Marie-Muss-Bucht, unterhalb des alten, malerischen Kraters, dcn ";r
Vogelberg nannten und zwar vor dem Thale, wo später die vom
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(trafen Wilczek ausgerüstete, österreichische Polarstation ihre Wohn-
stätte in den Jahren 1882 und 1883 hatte.
Jan Mayen hat seinen Namen nach einem holländischen See-
fahrer, der die Insel um 1611 entdeckt hat. Es liegt auf der Breite
des Nordkaps (71°), im Nordosten von Island, im Osten von Grönland
und im Südwesten von Spitzbergen. Die Insel erstreckt sich von
Südwesten nach Nordosten und ist 7 (geogr.) Meilen lung, wäh-
rend ihre Breite zwischen '/, und 2 Meilen schwankt. Sie ist durch
Der Beerenberg auf Jan Mayen, 1545 Meter hoch, aus SSW. gesehen.
und durch aus vulkanischen Gebirgsarten aufgebaut und besteht aus
zwei Theilen, die durch einen schmalen und niedrigen Gebirgsrücken,
der nur 67 m hoch und einen guten Kilometer breit ist, verbunden sind
Der südliche Theil der Insel ist gleichfalls schmal, seine höchsten
Gipfel, welche mit den Namen der österreichischen Kaiserfamilie be-
legt sind, erheben sich bis zu einer Höhe von 840 in. Der nördliche
Theil von Jan Mayen dagegen ist viereckig gestaltet, und zwischen
tler Mitte derselben und der nordöstlichen Ecke thront ein 2545 m
hoher Vulkankegel, der Beerenberg, in einsamer Gröfse und Schön-
heit. Die vulkanische Thätigkeit von Jan Mayen ist nun längst er-
loschen; nur Nachwirkungen zeigen sich in Gestalt von warmen
Dämpfen, die, nach Beobachtungen der österreichischen Polarstation,
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noch zuweilen den Spalten des Aschenkraters der Eier-Insel entströmen.
Jetzt trägt der Beerenberg aufseinen Schultern einen mächtigen Schnee-
mantel, von dem nicht weniger als 10 ausgedehnte Eiswandungen
(Gletscher) bis zum Meeresufer herabfallen.
Jan Mayen ist seit jeher von Seefahrern besucht worden, welche
in diesen Gegenden den Walfisch- und Seehundfang betrieben haben.
Bewohnt war die Insel, so viel man weifs, nur zweimal, nämlich im
Winter 1633 — 34 von einigen holländischen Seeleuten, die den Versuch
machten, hier zu überwintern, aber leider alle, ehe der Frühling kam,
dem tückischen Skorbut unterlagen, und später noch einmal im Jahre
der internationalen Polarexpeditionen 1882 — 1883, als die österreichi-
sche Expedition hier ihre Station hatte. Die liauptursache, weshalb
Jan Mayen, trotzdem viele hier vorübergesegelt sind, früher so wenig
bekannt war, ist wohl der völlige Mangel eines Hafens für Schiffe
oder Boote gewesen. Die Wellen des Nordmeeres rollen beinahe
immer gegen den offenen, an vielen Stellen steilen Strand und machen
die Landung unmöglich.
Besonders glücklich mufsten wir uns deshalb schätzen, dafs wir
am 29. Juli 1877 Morgens das Meer ganz ruhig und die Wolkenschicht
so hoch gehoben fanden, dafs der ganze untere Theil von Jan Mayen,
sichtbar wurde. Früh Morgens hatte auch der Beerenberg in kurzen
Zwischenräumen seine majestätische Gestalt durch die vorüberziehen-
den Wolkenmassen gezeigt, später aber blieb derselbe unsern Blicken
entzogen; erst mehrere Tage später trat er noch klarer und reiner
hervor.
Mit Botanisirtrommel, Hammer, Kompafs, Barometer, Thermometer
und Sohufswaffe ausgerüstet, stiegen die Mitglieder der Expedition
Vormittags in mehreren Partien von Bord. Vor uns lag der eigen-
thümliche, schöne Vogelberg, ein Krater, dessen äufsere Seite ins Meer
gestürzt ist, mit seinen phantastischen Formen und herrlichen Farben,
die uns stark an die ein Jahr früher von uns besuchten W'eslmanna-
Inseln bei Island erinnerten. Er setzte sogleich unseren Landschafts-
maler in Thiitigkeit Als wir an das Ufer kamen, war die See so
glatt, dafs wir, ohne ins Wasser steigen zu müssen, trockenen Fufses
ans Land kamen. Wir landeten in einer Bucht, Marie-Muss-Bucht
genannt, wo vom Meere ein langer Strand aus schwarzen Rollsteinen
vulkanischer Gebirgsarten aufgeworfen war. Schon hier am Strande
stiefs unser Auge auf interessante Dinge. Nur wenig über der Meeres-
fläche war das ganze Ufer mit Treibholz besät. Es waren gröfsere
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461
und kleiner« Stämme mit Wurzeln und Geäst, fast alle von Nadel-
hölzern. Zwischen diesen sah man ein einzelnes Schiffsknie und die
Kiefern eines Wals von beträchtlicher Länge. Die Wanderung nach
oben begann. Unsere Botaniker sammelten Pflanzen, die grade in
Bliithe standen und zwischen den losen vulkanischen Steinen, die den
Humus bildeten, hervorlugten, der augenscheinlich erst kürzlich vom
Schnee verlassen war. Es war nur eine arme Flora, und nichtsdesto-
weniger zeigte sich uns Jan Mayen in nicht wenig frisches Grün ein-
gekleidet, — es waren Moose, die sowohl auf dem Oberland wie an
den Abhängen grofse Strecken bedeckten, und welche einen vortrefflich
wirksamen Gegensatz zu den schwarzen, braunen und stellenweise
ganz rothen Steinarteu abgaben, die in dieser Landschaft herrschend sind.
Zum Zwooke geologischer Untersuchungen und Höhenmessungen
kletterte ich die nächsten Bergrücken hinan, welche alle aus fester
harter Lava oder Asche bestanden — als sich mir mit einem Mal auf
der erreichten Höhe eine freie Aussicht über den mittleren Theil der
Ostseite der Insel darbot. Wenngleich ich wohl die Landschaft aus den
Schilderungen und Zeichnungen, welche Karl Vogt, der Jan Mayen
1861 besuchte, in seiner interessanten Reisebescbreibung mittheilt,
gut kannte, war dies dennoch ein überraschender Anblick für mich.
Vor mir lag eine senkrechte Felswand, auf deren oberem Rand ich
stand; unterhalb dieser eine schwarze Ebene von einer Meile Ausdeh-
nung, aufserhalb dieser eine ebenso lange Lagune, die ein langge-
streckter schmaler, schwarzer Wall, mit Treibholz besät, vom Meere
trennte. Zur Linken lag, draufsen im Meere, aber mit dem Lande ver-
bunden, am nördlichen Ende der Lagune, die Eierinsel, ein erloschener
Aschenkrater, wolcher Schaaren von Seevögeln zum Aufenthalt diente.
Zur Rechten sah ich hinunter in das Südland von Jan Mayen; Klippen
von sonderbarer Form und Farbe stachen auf dem Lande und im
Meere hervor. Die beiden merkwürdigsten draussen in der See tragen
den Namen „Lotsenboot“ und „Leuchtthurm“. Gegen Norden lag der
Beerenberg; sein ganzer Fufs war in undurchdringliche Wolkenmassen
eingehüllt. Während ich, ganz einsam auf meinem Aussichtspunkt,
mit Zeichnen beschäftigt war, flogen neugierige Seevögel mit sausen-
dem Flügelschlag gerado an meinem Ohr vorbei, so dafs ich den Luft-
druck fühlen konnte. Da hörte ich Schüsse fallen, mehrere hinterein-
ander, und der Ausruf „Ein Fuchs“ erreichte mich aus der Ferne.
Als ich zu unseren Jägern stiefs, erfuhr ich, dafs einer von ihnen
einen Polarfuchs im Laufe mit einem Exprefsriffel geschossen hatte.
Dies Thier lebt in grofsen Mengen auf Jan Mayen, wo es sich im
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Sommer von Seevögeln ernährt. Rocht zufrieden mit der Beute des
Vormittags begaben wir uns wieder an Bord.
Nachmittags war dasselbe ruhige Wetter wie Vormittags. Ich wau-
derte mit einem Begleiter über den Südrand des Vogelberges und dann
in einem Thale gegen Norden, an dessen Endo ich auf eine Lagune süefs.
Das Thal heilst jetzt Wilczok-Thal. Die Lagune war von runder Form
und vom Meere duich einen schmalen und niedrigen Wall getrennt,
der theils mit Treibholz, theils mit Walknochen besät war. Die Lagune
hatte Siifswasser, aber die Treibholzstücke, welche sich an ihrem
innern Rande vorfanden, bezeugten, dafs sie nicht immer vom Meere
getrennt ist Ich ging auf den Wall hinaus und durchwanderte ihn
in seiner ganzen Länge. Hier zeigten sich frische Fuchsspuren, die
andeuteten, dafs hier ein Fuchs vor kurzem gegen Norden hingelaufen
war. Als ich mich mit meinem Begleiter, der ein Hagclgewehr bei sich
hatte, auf dem Rückwege auf einen öden Steinhaufen bei der Lagune
niedersetzte, sagte diesor plötzlich: „Da ist ein Fuchs.“ „Sitzt ruhig
und ladet das Gewehr“ war meine Antwort, indem ich mein Notizbuch
in die Tasche steckte. Der Fuchs stand da, auf einem Steinhaufen
über uns, und betrachtete neugierig die ungewohnten Fremden; dann
ging er in einem Bogen um uns herum, um näher bei der Lagune
I lalt zu machen. Inzwischen hatte mein Begleiter das Gewehr geladen
und reichte es mir hin. Der Fuchs stand still und betrachtete ab-
wechselnd uns und das Wasser, über dem die Vögel schwebten. Dies
aber war der letzte Blick, den er auf sein Jagdfeld warf, denn in
dem nächsten Augenblicke war er die erste Beute uuf dem meinigen.
Abends versammelten wir uns wieder in „Vüringens" Kajüte, und der
dritte Fuchs, den unser Kapitain geschossen hatte, wurde zu seinen
gefallenen Brüdern gelegt.
(Fortsetzung folgt.)
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Die ungewöhnlichen atmosphärischen Erscheinungen
nach dem Ausbruche des Krakatau,
Von Ilr. Ernst Wagner,
Assistent des Königl. mcteoroluffifschou Instituts in Berlin.
v) 9 (SchlufS.)
X '
<•1^ ährend Kollo Russell in dem Werke der Royal Society in sei-
nem Berichte über die wahrscheinlichen Ursachen der Dämme-
rungserscheinungen der Reflexion dos Lichtes den weitaus
gröfsten Antheil an der Intensilätssteigerung derselben zuschreibt, indem
er die erzeugende Dunstschicht weniger aus undurchsichtigen Slofftheil-
chen als vielmehr aus sehr kleinen Splittern vulkanischen Glases bestehen
läfst, welche demnach hohe Reflexionsfaliigkeit besitzen müssen, kommt
Kiefsling auf Grund des Experiments zu anderen Schlüssen. Wir
schicken voraus, was bereits von Besold selbst ausgesprochen hatte,
dafs das zweite Purpurlicht durch das erste Purpurlicht in derselben
Weise erzeugt wird, wie das erste Purpurlicht durch die Sonne selber;
und dies haben die Berechnungen Riggenbachs vollkommen be-
stätigt. Alsdann gelangen wir in Bezug auf die Entstehung des Pur-
purliohtes zu folgenden Ergebnissen. Das erste Purpurlicht wird durch
diejenigen direkten Sonnenstrahlen erzeugt, welche die Erdoberfläche
berühren, oder in geringer Höhe über derselben die untersten Schichten
der Atmosphäre durchsetzen. Die Wahrnehmung der optischen Wirkung
dieser Strahlen setzt die Existenz von iiufserst kleinen Stolftheilchen
bis zu einer Höhe von 20 km über der Erdoberfläche voraus. Bei
normaler Entwicklung beruht die Färbung des Purpurlichtes auf dem
Einflufs, welchen die vorzugsweise in den unteren Schichten schweben-
den Stofftheilchen durch optische Diffusion ausüben. Seine räumliche
Ausdehnung ist durch die Art der Ablenkung bestimmt, welche die
wirksamen Strahlen in den hohen Atmosphärenschiohten erfahren und
die durch Reflexion, Brechung und Beugung erfolgen kann. Die
Wirkung der Reflexion ist sowohl wegen der Form der ganzen Er-
scheinung als auch wegen der Lichtsteigerung im Hclligkeitsmaximum
des Purpurlichts, welche einer gleichmäfsigen Zerstreuung des Lichtes
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widerspricht, nicht wahrscheinlich. Die Brechung- kann für die höheren
Theile des Purpurlichtes nur dann in Betracht kommen, wenn in den
betreffenden Schichten Wasser- oder Eiskügelchen vorhanden sind.
Von der gröfsten Bedeutung dagegen erscheint Ablenkung durch Licht-
beugung, da die Bedingungen für deren Wirksamkeit, nämlich Klein-
heit und Gleichartigkeit in der Gröfse der Stoflftheilchen gerade in den
höchsten Luftschichten am günstigsten sind. Auf die räumliche Aus-
dehnung des Purpurlichtes üben zarte Cirrusschleier einen grofsen
Eintlufs aus. Dieselben spielen auch bei der Entstehung des zweiten
Purpurlichtes, welches durch einen weit ausgedehnten, durch Reflexion
erzeugten diffusen Lichtschimmer sich auszeichnet, eine wesentliche
Rolle. Die Erscheinungen während der Störungsperiode zeigon manche
Abweichungen vom regehnäfsigen Verlauf, doch stehen dieselben in
vollem Einklänge mit den optischen Eigenschaften eines aufserordent-
lich feinen, nahezu homogenen Nebels, dessen aufsergewöhnliche Höhe
die wirksamste Ursache bei der so grofsarligen Steigerung der Hellig-
keit und Farbenpracht war.
Fast gleichzeitig mit dem Auftreten der ungewöhnlichen Dämtne-
rungserscheinungen zeigte sich überall oine auffallende Färbung des
Himmels in der Umgebung der Sonne, deren Entstehung auf dieselben
physikalischen Ursachen zurückzuführen ist, wie die übrigen optischen
Störungen. Dieselbe erschien bei heiterem Himmel und dunstfreier
Luft als ein die Sonne umgebender Ring von graurother bis rostrother
Farbe mit einom inneren Halbmesser von 21°, einem äuTseren von 45 1 2",
deren Innenfläche in bläulich weifsem Licht strahlte. In ähnlicher
Weise zeigte sich der Ring, wenn auch seltener um den Mond. Diese
von allen durch den Krakataurauch hervorgerufenen Erscheinungen
am längsten sichtbar bleibende, da die letzte Beobachtung derselben
aus dem September 1886 stammt, hat nach dem ersten Beobachter
Bishop, welcher den farbigen Sonnenring am 5. September 1883 in
Honolulu sali und zuerst genau beschrieb, den Namen Bishopscher
Ring erhalten. Möglicherweise ist er vorher schon von Kapitän
Cato von der „Scotia“ gesehen worden, welcher bereits am 28. und
29. August im Indischen Ozean in 5" nördl. Br. und 9ö°— 91° üstl. L.
Mittags einen völlig geschlossenen Ring um die Sonne wahrnahm.
Seine gröfste Intensität erreichte dieser Ring im Frühjahr 1884, wo
er fast alltäglich bei klarem Wetter scharf hervortrat, namentlich wenn
die Sonne durch einzelne Cumuluswolken verdeckt wurde. Auch bei
stärkerer Wolkenansammlung, sofern sie nur gröfsere Lücken hellen
Himmels durchblickon liefs, zeigte sich in den Wolkenlücken in der
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46ö
Nähe der Sonne die röthliche Färbung mit grüfBter Deutliclikeit Aus
den Alpen liegen viele Beobachtungen vor, nach welchen mit zuneh-
mender Höhe des Beobachtungsortos der Bishopsche Ring immer
schärfer hervortrat, während Cirrusbedeckung des Himmels ihn unsicht-
bar machte. Hieraus, und aus dom Umstande, dass er bei jedem
Wetter erschien, wenn der Himmel heiter war, geht hervor, dafs die
erzeugende Schicht weit über denjenigen Atmosphärenschichten liegen
mufste, in welchen die gewöhnlichen Witterungsvorgänge sich abspielen.
Gegen die durch Brechung in Eiskrystallen entstehenden Sonnenringe
ist die Farbenfolge von innen nach aussen umgekehrt, woher das
Zustandekommen des Bishopschen Ringes nur durch Lichtbeugung
vermittelst sehr kleiner homogener Stofftheilchen erklärlich ist, was
auch durch das Experiment unzweifelhaft sicher gestellt wurde. Unter
dieser Annahme kann man aus dem Durchmesser des Ringes einen
Schluss auf den der lichtbeugenden Körperchen machen, und findet
aus den gemessenen Dimensionen als mittlere Grüfse dieser Stofftheil-
chen 0.0016 mm, also etwa das dreifache der Wellenlänge des Lichtes
in der Mitte des sichtbaren Sonnenspektrums. Dafs nicht Wasserdampf
in einer der bekannten Formen die Veranlassung dieses Ringes sein
konnte wird durch eine Beobachtung von Dr. Afsmann am 13. Januar
1884 bewiesen, welcher zugleich mit dem deutlich ausgebildeten Bishop-
schen Ringe Theile eines gewöhnlichen Sonnenringes von 22" Halb-
messer, nnd eine leuchtende Nebensonne sah, und diese Nebensonne
lag wenigstens 2° oberhalb der inneren Grenze des braun-violetten
Dunstringes. Aus dieser lehrreichen Kombination geht hervor, dars
die erzeugende Schicht des Dunstringes mit derjenigen der Cirrus-
wolken, deren Eiskrystalle diese Nebensonne entstehen liefsen, unmög-
lich identisch sein konnte.
Mit der Fülle der neuen Erfahrungen und Anregungen zu weiteren
Forschungen auf theoretischem und experimentellem Wege, wolche die
Meteorologie auf dem Gebiete der atmosphärischen Optik in Verfolgung
des gewaltigen Naturereignisses zu verzeichnen hat, ist aber der wissen-
schaftliche Ertrag desselben noch nicht erschöpft. Auch die Lehre
von der allgemeinen Zirkulation der Atmosphäre hat eine erhebliche
Bereicherung erfahren, deren wesentlichste Punkte wir bei der Be-
trachtung der geographischen Ausbreitung der Erscheinungen hervor-
heben wollen. Aus den Beobachtungen von mehr als 800 Orten er-
giebt sich mit Sicherheit, dafs der zeitliche Beginn der Störungen
genau mit der Steigerung der vulkanischen Thätigkeit am 20. und
27. August 1883 zusammenfällt, und der geographische Ausgangspunkt
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nur in der Sundastrafse zu suchen ist, womit die vielfach besprochene
Hypothese, es seien durch den Eintritt einer kosmischen Staubwolke
in die Erdatmosphäre die Erscheinungen erzeugt worden, hinfällig
wird. Bei der geographischen Ausbreitung der Verbrennungsprodukte
des Krakatau ist eino Trennung der oben geschilderten, in dreifacher
Form auftretenden optischen Erscheinungen unmöglich, da sie fast
gleichzeitig an jedem Orte, wohin der Hauch gelangte, zur Beobachtung
kamen, mit dem einzigen Unterschiede, dafs, während die abnormen
Färbungen der Sonnenscheibe kurze Zeit nach dem Ausbruche an
Intensität nachliefsen, was durch das schnellere Horabsinken der
Staub- und Aschentheilchen bewirkt wurde, die Dämmerungen und
der Beugungsring eine ununterbrochene Entwicklung ihrer Ausbreitung
und Intensität zeigen. Hieraus geht hervor, dafs die Reinigung der
vergasten und mit Yerbrennungsprodukten vermischten Wassermassen,
welche die Explosion in die Höhen der Atmosphäre schleuderte, von
gröberen Partikeln erst das homogene Medium zur vollkommenen Ent-
wicklung der prachtvollen Dämmerungserscheinungen in unseren
Breiten lieferte, welche bei tropischen Dämmerungen unter geeigneten
Umständen auch bei normalen atmosphärischen Verhältnissen eintreten
können. Beiläufig ergiebt sioh aus den Experimenten mit mechanisch
erzeugtem Staube, dafs die festen Auswurfstoffe, vor allem die aus
Bimsteinstaub bestehende vulkanische Asche bei der Steigerung der
Dämmerungsfarben keine Holle gespielt haben kann, weshalb die Ver-
suche, das Volumen der ausgeworfenen Aschenmassen zu berechnen,
für die atmosphärischen Erscheinungen keine Bedeutung haben; viel-
mehr steht der lange Aufenthalt der Dunstschicht mit der experimentell
bestimmten Fallgeschwindigkeit von Hauch in atmosphärischer Luft
völlig in Einklang.
Nach Kiefsling zerlegt sich der Verlauf der Ausbreitung der
Erscheinungen in 4 Perioden. In der ersten Periode vom 2ö. August
bis Ende September bildeten die Auswurfsprodukte des Krakatau einen
vollständigen Gürtel um die Erde innerhalb der Wendekreise, und
zwar fand die Ausbreitung der Rauchwolken in den höchsten Luft-
schichten am Aequator mit einer solchen Geschwindigkeit statt, dafs
die am weitesten vorauseilenden Wolken bereits nach 12 — 13 Tagen
an ihrem Ausgangspunkt wieder anlangten. Mehr als zwei voll-
ständige Umläufe aus der Wiederkehr der Erscheinungen in diesen
Zwischenräumen lassen sich sicher feststellen, und aus der Geschwin-
digkeit derselben ergiebt sich, dafs am Aequator eine beständig von
Ost nach West gerichtete Strömung stattfindet, welche im Mittel vieler
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Bestimmungen etwa 36 m pro Sekunde Geschwindigkeit besitzt, also
auf einen immerwährenden Sturmwind in diesen Höhen deutet. Eine
Uebersicht über alle Beobachtungen zeigt aber die Unmöglichkeit, alle
Erscheinungen auf die Wirkung einer einzigen Wolke, oder weniger
zugleich von der Sundastrafse sich forlbewegender Rauchwolken zu-
rückzuführen, vielmehr hat man sich tlie gesamte Rauchmasse, welche
sich längs der Aequatorialzone fortbewegte, aus einer grofsen Zahl
getrennter, in verschiedenen Höhen schwebender Wolken vorzustellen.
Dies wird nicht allein durch die Aussagen der Augenzeugen bei den
Eruptionen wahrscheinlich gemacht, sondern mufs nothwendig eintreten
infolge der verschiedenen Höhen, in welchen die vom Vulkan hinauf-
getriebenen Rauchmassen verschiedene Windgeschwindigkeiten an-
treffen mufsten, wodurch das Auseinanderziehen der Wolken in lange
Streifen eingeleitet wurde. Die gröfste berechnete Geschwindigkeit
beträgt 45 m und ergiebt sich aus der Annahme, dafs die Rauchwolke,
welche am 31. August 1883 in Maranhüo in Brasilien ungewöhnliche
Färbungen der Sonne verursachte, bei dem Hauptausbruche vom
27. August Vormittags, vielleicht als höchste von allen Wolken empor-
geschleudert wurde. Diese grofse Geschwindigkeit, mit welcher die
weite Reise von der Sundastrafse nach der Ostküste Brasiliens in vier
Tagen zurückgelegt wurde, ist insofern interessant, als die Theorien
von Werner Siemens und Ferrel über die allgemeine Zirkulation
der Atmosphäre dadurch eine wesentliche Unterstützung erhalten.
Bei dem mehrfachen Umlauf um die Aequatorialzone entfernen
sich die Rauchmassen allmählich vom Aequator, welcher Ende Sep-
tember wieder fast ganz frei wurde, und bilden zwei parallele Streifen
in der nördlichen und südlichen Hemisphäre, deren Grenzen beim
ersten Umlaufe 22° nördl. Br. (Honolulu) und 33° südl. Br. (Santiago de
Chile) erreichen, bei dem zweiten sind sie schon bis gegen 30° resp.
40° vorgerückt. Neben diesem Hauptstrom sind noch zwei kleinere
Seitenzweige festgestellt worden, der eine war von Borneo längs der
chinesischen Küste bis über ganz Japan deutlich zu verfolgen; die
Maximalgeschwindigkeit dieses nach NNO. gerichteten Stroms beträgt
etwa 20 m pro Sekunde. Der zweite sehr schwache deutet auf eine
nach Ost gerichtete Luftströmung wahrscheinlich in geringerer Höhe
und läfst sich bis Neu-Irland verfolgen.
Auch die Region, welche von Aschenfällen betroffen wurde, erweist
die vorwiegend westliche Strömungsrichtung der höheren Luftschichten.
Während ostwärts von Krakatau (105° 22' östl. L. von Greenwich.
6° 9' südl. Br.) die Aschenfälio nur bis zum 109. Meridian reichten,
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erstreckten sie sich nach den Untersuchungen von Russell bis über
den 80. Meridian als äufsersten Punkt westwärts (Schiffsjournal des
.British Empire“: 79“ 52' iistl. L., 2" 38' südl. Hr., vom 29 — 30. August
gelber Dunst, Fall von leichtem Staube wie Portland-Cement bei
schwachem SO- bis SW-Wind), und erreichten bei I10"östl. L. und
22“ südl. Br. ihren südlichsten Punkt nach dem Schiffsjournal der
-Medea“ auf der Höhe des Nordwestkaps von Australien. Das ganze Ge-
biet hat souach die Gestalt eines Dreiecks von etwa 270 Quadratgrad
Fläche, d. h. mehr als 60000 Quadratmeilen, während die Unter-
suchungen von Vorbeek über Ausbreitung des vulkanischen Staubes
eine Fläche von nur t/a dieser Ausdehnung ergeben, mit nach Nurd-
west und Südwest gerichteten Verlängerungen.
Die zweite Periode der optischen Störungen reicht von Anfang
Oktober bis in die erste Hälfte des November 1883, in welcher Zeit die
oberen nach den Polen abfliefsenden Passatströmungen die Rauch-
wolken in höhere Breiten allmählich abströmen liefsen, und zwar
zeigen sich die meisten Störungen zwischen 20 — 30" beider Breiten
in allen Kontinenten und Meeren. Auf gröfseren Gebieten iiu Indischen
Ozean östlich von Mauritius, sowie an der Nordwestküste Afrikas
zwischen 20 — 40“ nürdl. Br. fanden die gesteigerten Dämmerungs-
erscheinungen längere Zeit hindurch regelmäfsig statt. Das letztere
Gebiet ist insofern von näherem Interesse, als es wahrscheinlich durch
Minima, welche anfangs November im nordatlantischen Ozean sich
ausbildeten, eine bis zur Nordsee reichende Erweiterung erfuhr, wofür
vereinzelte Dämmerungsersoheinungen in England und Dänemark bereits
in den ersten Novembertagen sprechen.
Die dritte Periode dürfte von Mitte November zu rechnen sein,
wo eine plötzliche Steigerung der optischen Phänomene auf der ganzen
nördlichen Hemisphäre vom 40. Breitengrade au eintritt. Am 23. No-
vember waren die nördlichen Vereinigten Staaten, Kanada und British
Kolumbia in den Bereich der Störungen eingetreten, am 24. reicht das
Gebiet bis nach Island hinauf, um in breiter Front ostwärts gewendet
in wenigen Tagen die Westhälfte Europas zu überdecken. Schon bis
zum 28. wurden überall westlich der Linie Berlin -Konstantinopel
glänzende Abenddämmerungen beobachtet bis 61“ nördl. Breite,
während dieselben in Nordamerika andauerten, und in Ostindien,
Australien, Neuseeland und dem Pacifik zwischen den Marshall- und
Sandwich -Inseln mit neuer Stärke auftraten. Bei der plötzlichen
Steigerung der Dämmerungserscheinungen in Deutschland während
der letzten Novembertage scheinen auch lokale meteorologische Vor-
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gange mitgewirkt zu haben, besonders tritt eine starke Zunahme
der relativen Feuchtigkeit auffallend hervor. Im Anfang Dezember
dehnten sich die Dämmerungserscheinungen über Kufsland in unbe-
kannter Weise ostwärts aus; Kiachta in Sibirien meldet am 11. De-
zember eine glänzende Abenddämmerung — an den chinesischen Küsten
bis Bö0 niirdl. Br. dauern die auffallenden Dämmerungserscheinungen
bis Ende Dezember. Bis zum Jahressehlufs scheint der grüfste Theil
der Erdoberfläche von optischen Störungen, insbesondere abnormen
Dämmerungen betroffen gewesen zu sein, alsdann beginnt die vierte
Periode des allmählichen Erlöschens der Erscheinungen, welche bis
zum Sommer 1886 gerechnet werden kann, aber nach den neuesten
Arbeiten von .Josse über die leuchtenden Wolken noch immer nicht
als abgeschlossen zu betrachten ist.
Die Beobachtungen der Dämmerungen gaben zugleich ein Mittel
an die Hand, aus der Dauer des ungewöhnlich gesteigerten ersten und
zweiten Purpurlichtes die Höhe der das Sonnenlicht reflektirenden
Dunstschicht zu bestimmen, indem man aus der Dauer die Depression
der Sonne unter dem Horizont des Beobachtungsorts linden kann.
Im Mittel vieler Beobachtungen dauerte das erste Purpurlicht bis 54,
das zweite bis 96 Minuten nach Sonnenuntergang. Unter der Annahme,
dafs das erste Purpurlicht direktes Sonnenlicht, das zweite aber
reflektirtes erstes Purpurlicht eines weiter westlich gelegenen Ortes
ist, ergiebt sich für Anfang Januar 1884 die Höhe der reflek-
tirenden Schicht in unseren Breiten zu ca. 17 km, während dio
Annahme, dafs das zweite Purpurlicht ebenfalls direktes Sonnenlicht
sei, drei- bis vierfach gröfsere Höhen liefert, also, abgesehen von der
Schwierigkeit die Existenz zweier Schichten von so verschiedener
Höhe zu erklären, wie sie durch das Erscheinen von erstem und
zweitem Purpurlicht nothwendig sein würden, wenig Wahrscheinlich-
keit besitzt. Aus den Untersuchungen des Comitös der Royal Society
ergiebt sich, dafs die Höhe der Rauch- und Dunstschicht von 37 bis
32 km (obere bis untere wahrscheinliche Grenze) am Ende August
bis auf etwa 17 km im Januar 1884 abgenommen haben mufs, was
mit dem oben mitgetheilten Resultat von Jesse vollkommen über-
einstimmt.
Die Aehnlichkeit namentlich der ungewöhnlich glänzenden
Dämmerungserscheinungen im Jahre 1831, hervorgerufen durch den
unterseeischen Vulkan der wieder verschwundenen Insel Ferdinanden
im Mittelmeer, mit denen der Jahre 1883/84 lässt die Annahme be-
gründet erscheinen, dafs nicht allein die festen Auswurfsprodukte,
Himmel ud<1 Erde. L ft. 34
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sondern auch der in ungeheuren Quantitäten in die Höhen der Atmo-
sphäre beförderte Wassordampf in irgend einer Form zur Entwickelung
der optischen Störungen beigetragen hat, während die atmosphärischen
Erscheinungen des Jahres 1781! keinerlei Dümmerungserscheimmgen
au fzu weisen hatten.
Zum Schlüte sei noch erwähnt, date die Explosion des Krakatau
auch eine magnetische Störung in dem Erdkörper hervorrief, welche
von den Magnetographen einer Anzahl Stationen gewissenhaft ausge-
zeichnet wurde. Die Geschwindigkeit ihrer Verbreitung ergiebt sich
für die Deklination im Mittel zu 1226 km pro Stunde, was mit der
Geschwindigkeit der Luftwelle fast genau übereinstimmt; für die übrigen
magnetischen Elemente ist sie wesentlich gröfeor. Doch gestattet das
verfügbare Material nicht, weitere Schlüsse daraus in betreff der Be-
einflussung des Erdmagnetismus durch den vulkanischen Ausbruch
ziehen zu können.
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Die Fundstätte des isländischen Kalkspates.’*
Aus dem Isländischen des Thorvaldur Thoroddsen (Reise iin Ostlunde
im Sommer 1882).
c Uobersetzt von M. Lehmann-Filhes.
. <Tn Eskifjördur00) weilte ich einige Tage bei dem Kaufmann Jon
^5**» Magnusson und besuchte von dort ab und zu den BergHelgustada-
fjall, um die Kalkspatgrube zu besichtigen. Dieselbe befindet sicli
etwas seewärts von dem Gehöft Helgustadir aufsen in einem Bergabhange,
knappe 300 Fufs über der Meeresfiäche. Unweit des Gehöftes ergiefst
sich ein Fliifschen in die See und von hier geht man in lj4 — 1/2 Stunde
hinauf nach der Grube. Ein kleiner Bach hat sich den Abhang hinab ein
Bett gegraben und eine flache Schlucht gebildet. Er heifst Silfurla'kur***)
*) Die vorliegenden Mittheilungen über den isländischen Kalkspat haben
gegenwärtig ein um so grüfseres Interesse, als zur Zeit infolge längerer
Stockung der Ausbeutung der isländischen Fundstätten ein empfindlicher Mangel
an Vorräthen von diesem höchst werth vollen Krvstall eingetreten ist.
Bei der grofsen Wichtigkeit, welche dieses unvergleichliche Material
für Lichtmessungen der verschiedensten Art in der wissenschaftlichen Forschung
und der gewerblichen Anwendung hat, werden gegenwärtig Schritte vorbereitet,
urn jenen Mangel durch erneute Ausnützung der fast allein in Frage kommen-
den isländischen Fundstätten zu beseitigen, nöthigenfalls wird es sich darum
handeln, eine wissenschaftliche Expedition zu orgauisiren, welche die Sache
selber in die Hand nimmt.
Die ganze Angelegenheit ist auch dadurch von besonderem Interesse,
als sie im kleinen einen Vorgang bildet, welcher sich infolge der unab-
lässigen Ausbeutung der mineralischen Schätze dor Erde durch die mensch-
liche Arbeit in Zukunft wohl öfter und in noch gröfserem Mafse wiederholen
und mit Nothwendigkcit eine organisirto gemeinsame Behandlung von Seiten
aller Kulturvölker erfordern wird.
Dem industriellen Unternehmungsgeist allein werden solche Aufgaben
der Weltwirtschaft auf die Dauer nicht zu überlassen sein, wenn nicht rück-
sichtslose Monopolisirungen in den Händen Weniger oder andere Uebel daraus
entstehen sollen. Die Red.
Ein Handelsort an dom gleichnamigen Fjorde.
•**) Der Kalkspat heifst auf Isländisch silfurborg, d. i. Silberstoin.
34*
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472
uud hat zuerst Veranlassung gegeben, dars man den Kalkspat fand,
denn er führte kleine Stücke davon hinab an den Strand. Darauf
wurde der Berg auf der West- und Nordseite der Schlucht zum Theil
fortgenommen, damit man zu dem Kalkspat gelangen konnte, und da-
durch ist allmählich eine Grube in Form einer länglichen Schachtel
entstanden, die 72 Fufs in der Länge und 36 in der Breite mifst.
Oberhalb, unterhalb und westlich der Grube liegt festes Gestein (Basalt):
hier wird sie von einer 16 Fufs hohen Basaltwand begrenzt, östlich
aber ist zwischen ihr und dem Bache eine schmale Bank von Sand
und Steinen. Die Neigung der Grube beträgt 10 — 12°, die des Berg-
abhanges selbst aber 15° im Durchschnitt.
Als ich das erste Mal hinkam, war es kaum an irgend einer
Stelle möglich, von dem Kalkspat etwas zu sehen, denn der ganze
Boden der Grube war mit Schutt und Steinen bedeckt. Man hat den
Kalkspat früher aus verschiedenen tiefen Löchern, besonders westlich
in der Grube, entnommen, jetzt aber waren sie ganz mit grofsen Steinen
und Geröll angefüllt und überall stand das Wasser in tiefen Pfützen.
Es war mir daher unmöglich, die Grube ordentlich zu untersuchen,
wenn nicht zuvor Schutt und Steine daraus entfernt und das Wasser
abgeleitet wurde. Ich liefe deshalb die Grube reinigen, die gröfsten
Löoher ausräumen und das Wasser soviel als möglich ableiten und
konnte nun Mitte August, als ich aus dem Alptafjördur kam, eine ge-
nauere Untersuchung anstellen.
Der Basalt, in dem sich die Grube befindet, ist von einem Netz-
werk unzähliger kleiner und grofeer Sprünge durchzogen; oben und
unten hat sich in diesen Sprüngen nach und nach kohlensaurer Kalk
(Kalkspat) gesetzt, so dafe die Grube gleichsam ein Zusammenflufs von
einer Unzahl von Kalkspatgiingeu ist, die nach allen Richtungen gehen.
Sie sind sehr verschieden an Stärke und gehen wie Keile im Gestein
auf und nieder, so dafe eine Kalkspatader an der Oberfläche 2—3 Fufs
im Durchmesser halten und einige Fufs tiefer im Berge so zusammen
geschwunden sein kann, dafe sie nur noch 2- — 3 Zoll stark ist. Ebenso
kann eine Ader auf der Oberfläche schmal sein, tiefer unten stärker
werden und sich dann wieder verengen; oder mit andern Worten, der
Kalkspat hat sich hier auf einer kleinen Stelle in unzähligen kleinen
und grofsen, unregelmäteig gewundenen Spalten im Basalt gebildet
Dieses ganze Gewirr von Spalten scheint auf einem länglich-schachtel-
förmigen Raum angesammelt zu sein; ob aber das Ganze eine grofse Blase
im Basalt ist, kann man nicht gut sagen, ehe nicht der Felsen ringsum
entfernt ist. Da die Kalkspatadern so unregelmiifeig und verschieden
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473
stark sind, läfst sich nicht mit irgendwelcher Gewifsheit bestimmen,
wieviel davon in der Grube vorhanden ist, aller Wahrscheinlichkeit
nach aber ist der Vorrath bedeutend.
Der Kalkspat ist an Güte sehr verschieden und man kann ihn
in vier Arten eintheilen: 1. grofse durchsichtige und regelmäfsige
Krystalle; diese sind die seltensten und werden für Sammlungen an-
gekauft und am theuersten bezahlt; 2. schöne, ganz durchsichtige und
fehlerfreie, doch kleinere Stücke; man braucht sie zu Instrumenten
für Lichtuntersuchung; 3. hübsche Stücke, die aber nicht ganz fehler-
frei sind und zum Schmuck und Vergnügen dienen; 4. Abgang oder
Grus, undurchsichtiger Kalkspat, weifs von Farbe mit vielen Sprüngen;
von diesem ist bei weitem am meisten vorhanden, so dafs die anderen
Sorten im Vergleich hiermit beinahe verschwinden; man kann diesen
Abfall zur Sodawasser-Fabrikation, zum Kalkbrennen u. s. w. verwenden,
l'eberall da, w»o die Adern an der Oberfläche zum Vorschein kommen,
ist in ihnen nur dieser Grus; der schönste Kalkspat findet sich immer
im weichen Thon. Das grüfste vorhandene Loch ist in einem Kalk-
spatgang westlich in der Grube ausgegraben, welches sich mit einer
Neigung von 40° unter dem Basaltfelsen hinabsenkt. Das Loch war
zwei Mannshöhen tief und ging unter einem Bande von Basalt in die
Tiefe, wodurch es eine doppelte OefTnung hatte. Im oberen Theil,
nahe der Mündung, sind grofse, undurchsichtige Kalkspat-Krystalle von
1 — 2 Fufs Durchmesser, meist Rhomboeder, in einander verwachsen
und zeigen herausstehende Ecken; fast überall werden sie durch Reihen
und Kränze von Desmin-Krystallen eingefafst, einem in Island sehr
häufigen Krystalle. Auf dem Boden und an den Seitenwänden des
Loches stehen Basaltzacken in die Höhe; die Zwischenräume sind
theils mit undurchsichtigem Kalkspat, theils mit rüthlich-grauein oder
braunrothem Thon angefüllt. In letzterem findet man die schönsten
Kalkspat-Krystalle, denn hier haben sie am besten entstehen und
wachsen können, ohne einander zu beengen und zu hindern. Viele
Kalkspatstücke haben bedeutende Fehler; in manchen sind kleine
Sprünge, so dafs man die Regenbogenfarben darin sieht; manchmal
scheinen sie eine Anzahl durchsichtiger Nadeln zu enthalten; manch-
mal feine Thonstreifen; dann wieder eine graufarbige Wolke innen
im Stein, zuweilen auch Wasserlöcher mit Luftblasen darin, die sich
hin und her bewegen, je nachdem man den Stein wendet. Einige
Kalkspatsteine sind inwendig klar und durchsichtig, haben aber aufsen
eine Rauchkruste nnd sind oft mit kleinen spitzen Kalkkrystallen
besetzt.
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Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts ist immer von Zeit zu Zeit
ein wenig aus der Kalkspatgrube entnommen worden, niemals jedoch
beträchtlich viel; es geschah dies nach keiner Kegel und von nie-
mandem besonders. Einmal aber liels der König dort Kalkspat graben,
denn in einem Briefe vom 11. April 1608 bittet Friedrich III. das
Kammer-Kollegium, einen Steinbrechergesellen zu schaffen und ihm
für sechs Monate Gehülfen zu geben, um Kalkspat zu holen. Das
Jahr darauf entdeckte der Naturforscher Bartholin in dem Stein die
merkwürdige doppelte Strahlenbrechung. Es nahm sich nun aus der
Gmbe jeder, der da wollte. 1850 fing man zuerst an, die Grube mehr
auszubouten; um diese Zeit erhielt nämlich ein Kaufmann in Seydis-
Ijördur, T. F. Thomson, von dom Pfarrer Thorarinn Erlendsson,
dem 3/« davon gehörten, die Erlaubnis, dort Kalkspat zu graben; er
transportirte ein Weniges auf Pferden an den Nordfjördur und von dort
zur See nach Seydisfjördur. — ■ 1854 pachtete II. Svendsen, Geschäfts-
führer zu Eskiljördur für Oerum & Wulf, den Antheil des Pfarrers
Thorarinn für 10 Reichsthaler jährlich u. s. w.
Nirgend findet man so klaren und schönen Kalkspat wie im
Helgustadafjall, wenn auch an mehreren Stellen des Ost- und West-
landes kleine Stückchen gefunden werden. Keiner Kalkspat ist nicht
zu jeder Zeit eine gleich gangbare Waare; nur wenig davon wird zur
Verfertigung optischer Instrumente gekauft; die gröfseren Stücke kaufen
Sammlungen und auch Privatleute aus Liebhaberei, deshalb ist der
Preis ein sehr schwankender. Die grofsen Kalkspatstücke sind es,
welche die Arbeit bezahlen müssen, der Grus ist immer sehr niedrig
im Preise, eine kleine Last gilt gewöhnlich nur 30 Kronen. Vorläufig
wird es kostspielig sein, die Grube zu bearbeiten, denn es mufs viel
daran getlian und hergorichtet werden; dazu ist im Sommer der Ar-
beitslohn am Eskiljördur sehr hoch, besonders zur Zeit des Härings-
fanges; und doch ist der Kalkspat etwas so Seltenes und Merkwürdiges,
dafs es recht nöthig wäre, dann und wann einigen zu graben. Es ist
jedoch nicht gut thunlich, dafs die Regierung sich mit solchen Unter-
nehmungon abgiebt, denn sie hat zu vieles auf sich, und man kann
auch nicht erwarten, dafs alles ebenso gut und schnell von der lland
geht, wenn viele dafür zu sorgen haben; aufserdem sind derartige
Unternehmungen sehr unsicher und es hängt von vielen Umständen
ab, ob sie sich lohnen oder nicht.
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Versuch einer beweisführenden Darstellung des Welt-
gebäudes in elementarer Form.
Von
Dr. M. Wilhelm Meyer-Berlin.
‘'u VII. Die heliocentrisclie Bewegung.
^ö^ls wir im vorigen Abschnitte die reformatorisohe Lehre des
Copernikus näher kennen lernten, sahen wir zugleich, dafs
derselben noch mancherlei Mängel anhafteten. In der That
wäre die Aufgabe einer vollständigen Reformation der Sternkunde auf
Grundlage des fundamental umwälzenden Copernikanischen Gedankens
eine zu grofse gewesen, als dafs sie ein einzelner noch so gewaltiger
Menschengeist hätte lösen können. Wir schmälern deshalb den Ruhm
eines Copernikus durchaus nicht, wenn wir uns überzeugen, dafs
er auf halbem Wege zur 'Wahrheit stehen geblieben ist und manches
Unbrauchbare und Fehlerhafte von den alten Lehren des Pt olo maus
in sein System mit hinübergenommen hat.. Ks ist sogar zu verwun-
dern, dafs kaum ein Jahrhundert verflofs, ehe ein so eminenter Geist
wie der des Kopier die neue Lehre mit Begeisterung in sich aufnahm
und in lebendigster Schaffenslust von Grund auf neu durcharbeitete.
Denn es wäre nach dem gewöhnlichen Mafs der geschichtlichen
Entwickelung durchaus möglich gewesen, dafs zwischen Coperni-
kus und Kepler eine nicht geringere Zeitspanne verflossen wäre,
als zwischen Ptolemäus und Copernikus. Wir können uns
deshalb unendlich glücklich schätzen, dafs wir zu den Epigonen dieser
Geistesheroen zählen, welche unserm seelischen Auge einen univer-
salen Weitblick von dem ungeheuren Umfange jener Milchstrafsen-
svsteme von Sonnen, über wolche wir heute nachzudenken im Stande
sind, verschafften, während das Auge des Menschen ehemals in blinder
Kurzsichtigkeit kaum über die Erdscholle, welche uns trägt, das ver-
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476
lorene Sandkörnchen im Woltgetriebe, hinaus, seinen bedrückend engen
Horizont ausdehnte. Copernikus hat uns zwar die Möglichkeit zu
diesem Weitblick 'verschafft, aber er bofand sich in dem kleinlichen,
verwickelten Uhrwerksmechanismus der übernommenen Ptolomäischen
Epicvkeln dennoch allzusehr eingeengt. Dem erleuchteten prophe-
tischen Geiste eines Kepler konnten indefs diese verworrenen Räder
nicht genügen; er war von der grofsen Einheit des Weltgebäudes, vom
Vorhandensein eines ersten göttlichen Grundprinzips aller Erschei-
nungen allzu sehr überzeugt, als dafs er an das Vorhandensein so
vieler kleiner Ursachen für die Bewegungen, wie sie die neuen Epi-
cykeln des Cop ernikus immer wieder nölhig machten, glauben konnte.
Die Sonne, um welche nun nach der neuen Ueberzeugung alle
Planeten in gewaltigem Umschwünge kreisten und in der also die
Grundkraft wohnte, die auch unsere grofse Erde mit dem kleinen
Menschenvolke an unsichtbarem Bande regierte, diese Sonne war ihm
die Seele der Welt, deren überirdische Kraft nach wohl noch unbe-
kannten, aber seiner innigsten Ueberzeugung nach erforschlichen ein-
fachen Gesetzen alle diese imposanten Bewegungsersoheinungen ver-
ursachte. Es war ja längst höchst unwahrscheinlich geworden, dafs
die Planeten untereinander und mit der Sonne durch irgend einen
festen Mechanismus, von welchem man doch irgendwo einmal eine Spur
bemerkt haben müfsle, verbunden seien. Die bewegende Kraft mufste
imsichtbar -wie die Kraft der Seele von einem Körper zum anderen
überströmen, und diese bewegende Seele der Welt konnte nirgends
anders als in der alles belebenden, alles beglückenden und in der
unnahbaren Lichtfülle göttlicher Majestät im Mittelpunkte der Welt
thronenden Sonne wohnen.
Diese einheitliche Kraft konnte sich mit logischer Nothwendigkeit
nur durch einheitliche Gesetze kundgeben: diese zu finden setzte sich
Kepler zur Lebensaufgabe, die er, so glücklich wie kein Anderer
im Suchen und Finden, völlig gelöst hat. Kepler fand die drei Grund-
gesetze, nach welchen alle Bewegungen in den unermefslichen Him-
melsräumen bis zu den Grenzen des von unseren weltdurchdringenden
Fernröhren erforschlichen Gebietes stattfiuden; und zwar fand er jedes
dieser Gesetze für sich durch eine Verbindung mühsamer mathema-
tischer Kombinationsfähigkeit mit einer so zu sagen künstlerischen
Divinationsgabe. Zu beweisen, dafs diese Gesetze untereinander in
nothwendigeni Zusammenhänge standen, war er nicht im stände. Be-
vor Newton auftrat, hatte das System Keplers deshalb vor dem
des Copernikus streng logisch nioht mehr voraus, als dieses letztere
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vor dem Ptolemäischen, indem es die Beobachtungen bei grofser Ver-
einfachung des Mechanismus nocli ein wenig besser darstellte, wie das
seines Vorgängers. Kepler suchte sein System zu demselben Zwecke
wie Copernikus und Ptolemiius; er wollte die Beobachtungen mit
einer bestimmten, willkürlich zu wählenden Hypothese über den Bau
des Sonnensystems in möglichst guten Einklang bringen. Dafs er
nach einander drei einander ergänzende Grund-Hypothesen oder Ge-
setze fand, welche durch die spätere Newtonische Theorie als die allein
denkbaren und nothwendigen Konsequenzen eines einzigen, noch ein-
facheren und umfassenderen Gesetzes erwiesen wurden, war eine Lei-
stung ohne Gleichen und deshalb eben müssen wir Kepler als den
glücklichsten aller Entdecker bezeichnen.
Es ist eines der interessantesten Kapitel der Geschichte der Ent-
wickelung des menschlichen Geistes, den Werdeprozefs zu verfolgen,
durch welchen Kepler zu eben dieser Erkenntnifs gelangte: wie sein
phantasievoller klarer Geist, durchdrungen von der Ueberzeugung jener
alles lenkenden Weltseele, sich zunächst mit voller Inbrunst dem ur-
alten schönen Gedanken von der Harmonie der Sphären hingiebt, wie
er sich in seinem Erstlingswerke, dem „Mysterium cosmographicum'“
in der weiteren Ausbildung der idealischen Anschauung eines Plato
ergeht, um auf einmal, wie erleuchtet von einem höheren Geiste, eine
ganz neue Richtung einzuschlagen, in deren Verfolgung er die höchst
mühsame Arbeit langer Jahre, welche in seinem Erstlingswerke nieder-
gelegt wurde, selbst wieder vernichtet, und wie er endlich sich dennoch
entschliefst, nachdem er die definitive Ordnung in das Weltgetriebe
getragen hat, sein Erstlingswerk in einer zweiten Auflage herauszu-
geben, um der Welt zu zeigen, wie auch diese Irrungen eines in sich
einheitlichen Geistes überall die Keime der Wahrheit tief innerlich
enthalten und aus ein und derselben Wurzel emporwachsen mufsten:
der unerschütterlichen Ueberzeugung von der grofsen Einheit des
Weltgetriebes.
Leider aber können wir uns bei diesen geschichtlichen Darstel-
lungen von nun ab, da wir der Beweisführung von der Wahrheit
dieser Gedanken endlich näher treten müssen, nicht länger aufhalten.
Es sei nur erwähnt, dafs Kepler in seinem Mysterium cosmographicum
den Beweis zu führen versuchte, dafs man im stände sei, in die fünf
Zwischenräume, welche zwischen den sechs Planetensphären enthalten
sind, die fünf regulären geometrischen Körper gerade so einzuschieben,
dafs je einer dieser Körper, welcher von einer bestimmten Sphäre an
seinen Ecken von aufsen umspannt, von der nächstinneren (d. h. der
tf
t
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Sonne näheren) Planeten-Sphärc dagegen an seinen Flächen von innen
berührt wurde. Dafs dies ungefähr stimmte, war ein blofser Zufall, wobei
Kepler aufserdem noch die damalige ungenaue Kenntnifs der Planeten-
entfernungen zugute kam. Schon diese Andeutung genügt, um zu er-
kennen, wie sehr Kepler damals noch von den Pythagoreischen An-
sichten über die Sphären und harmonischen Zahlenverhältnisse be-
herrscht wurde.
Wenn wir uns während unserer bisherigen Betrachtungen mit
allgemeinen Angaben und graphischen Darstellungen begnügt haben,
so mochte das allerdings wohl als blofse Uebersicht über die irrigen
Anschauungen, welche den Weg zur Wahrheit bahnen mufsten, aus-
reichen. Es galt ja nur den Geist zur Aufnahme dieser Wahrheit ge-
nügend vorzubereiten. Wir hatten dazu nicht nüthig, das Weltgebäude
der älteren Astronomen in seiner ganzen Komplizirtheit bis in alle
Details noch einmal aufzubauen. Gegenwärtig jedoch, da wir im Be-
griffe sind in das Gebiet der strengen Wahrheit einzutreten, ist es zur
Erfüllung unserer Aufgabe, möglichst allgemein verständliche Beweise
für dieselbe zu geben, nöthig, uns eingehender mit bezüglichen Rech-
nungen und geometrischen Betrachtungen au sich einfacher Art zu
befassen. Ich bitte den geneigten Leser, vor denselben nicht von vorn
herein als vor etwas Unverständlichem zurückzuschrecken. .Zahlen
beweisen“, sagt ja schon der gewöhnlichste Sprachgebrauch; will man
also Beweise, so darf man sich vor Zahlen und Rechnungen, welche
zu den gewünschten Zahlen führen, nicht fürchten. Verständlich hoffe
ich — trotz der nun gelegentlich unvermeidlichen mathematischen
Formeln — für jedermann sein zu können, der zu denken versteht.
Die das Weltgetriebe an sich so wesentlich vereinfachende Idee
des Coperuikus hatte in die geometrische Darstellung der Bewegun-
gen insofern eine neue Schwierigkeit getragen, als wir nun alle diese
Bewegungen von einem selbstbewegten Standpunkte aus betrachten
müssen, während ja vorher alles auf das ruhende Erdcentrum be-
zogen wurde. Die erste und noth wendigste Aufgabe war deshalb für
den grofsen Nachfolger des Copernikus, eine exakte geometrische
Methode zu finden, durch welche die von der bewegten Erde aus ge-
sehenen Bewegungen auf das allgemeine Centrum, die Sonne, bezogen
werden konnten, so dafs man jederzeit zu berechnen im stände war,
in welcher Richtung ein Planet, dessen Lage zu den Sternen man auf der
Erde gemessen hatte, zu dieser selben Zeit von der Sonne aus gesehen
werden würde. Auf den ersten Blick erscheint es dem an diese wan-
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delnde Scholle gefesselten Menschen höchst schwer, diese ungeheure
Gedankenbrücke von der Erde zur Sonne durch die grundlose Leere
hindurch zu finden. Wir werden jedoch sehen, wie ungemein einfach
sich die Lösung dieser Aufgabe in Wirklichkeit gestaltet
Zu diesem Zwecke kommt uns zunächst eine besondere, zuweilen
beobachtete Stellung des betreffenden Planeten zu statten, nämlich seine
sogenannte „ Opposition“. Ein Planet hat seine Opposition, wenn er
mit Sonne und Erde in derselben geraden Linie, und zwar so steht,
dars sich die Erde zwischen Sonne und Planet bofindet (indem wir
auch hier, wie es schon früher geschah, der Einfachheit der Darstellung
wegen, von der geringen Neigung der Planetenbahnen unter einander
absehen). Der Moment, wann dieses eintritt, ist von der Erde aus un-
mittelbar und mit voller Schärfe zu beobachten. Denn wir können
doch stets die wahre Lage der Sonne sowohl wie die des Planeten an
der Himmelskugel ausmessen. Die Sonne läuft ja, wie wir schon ge-
sehen haben, sehr nahe in einem Kreise, Ekliptik genannt, wenn auch
nicht mit völlig gleichmäfsiger Geschwindigkeit, um den Himmel und
die Planeten entfernen sich auf ihren verwinkelteren Wegen glück-
licherweise nur sehr wenig von dieser Ekliptik. Die Winkelentfernung
des Planeten oder der Sonne von einem zunächst beliebig zu wählenden
Anfangspunkte, für welchen man bekanntlich denjenigen Kreuzungs-
punkt der Ekliptik mit dem Himmels-Aequator genommen hat, den die
Sonne zu Frühlingsanfang passirt (den Friihlingsnachtgleichenpunkt),
nennt man die Länge des betreffenden Himmelskörpers. Wenn diese
üinge der Sonne und des Planeten um genau 180° oder einen halben
Kreisumläng von einander verschieden sind (was doch stets direkt
konstatirt werden kann), bofinden sich die drei Körper offenbar in
einer geraden Linie und es findet die Opposition des Planeten statt
Es ist nun aber unmittelbar einzusehen, dars um diese Zeit der
Planet von der Sonne gesehen in genau derselben Richtung stehen
mufs, wie wir ihn von der Eide aus sehen, denn beide Richtungen
liegen ja in derselben geraden Linie. Für diesen besonderen Fall
können wir uns also unmittelbar im Geiste auf die Sonne versetzen
und wissen mit vollkommener Sicherheit, — ohne jede Voraussetzung
über die wahre Beschaffenheit des Sonnensystems, was wohl zu merken
ist — in welcher Winkelentfernung vom Frühlingsnachtgleichenpunkte
der Planet sich in diesem Augenblicke, von der Sonne aus gesehen,
befunden hat Diese Entfernung nennt man die „helioeentrische Länge”
des Planeten, im Gegensätze zu seiner „geocentri sehen (von der Erde
480
aus gesehenen) Länge1', welche nur zur Zeit der Opposition mit der
ersteren übereinstimmt.
Nachdem wir uns Zeit und lünge für eine erste dieser Oppo-
sitionen gemerkt haben, lassen wir den Planeten seinen schleifen-
bildenden Weg am Himmel weiter beschreiben, ohne uns zunächst um
ihn zu kümmern, bis er einer zweiten Opposition nahe kommt Diese
findet, wie wir bald bemerken, statt, während sich der Planet in einer
anderen Richtung befindet, wie bei der ersten Opposition. Wir merken
uns wieder die genaue Zeit und die Länge des Planeten. Ebenso
machen wir es mit der nächst folgenden Opposition und so fort, bis
etwa die Oppositionslänge des Planeten ungefähr dieselbe geworden
ist, wie bei der ersten beobachteten Opposition, oder bis der Ort der
Opposition am Himmel etwa einen ganzen Umkreis beschrieben hat.
Wir wollen die direkten Beobachtungsresultate, welche wir auf diese
Weise für den Planeten Mars erhalten würden, einmal hier aufschreiben.
Es fanden Oppositionen des Mars statt oder werden sich ereignen,
an folgenden Tagen, und der Planet wird sich in den beigeschriebenen
Richtungen befinden:
Intervall
Oppositionszeit
1875 Juni
19.87
t
170.87
in Tagen
i
268°.57
1877
September
5.50
248.50
808.63
797.8.-»
343°.47
1879
November
12.35
316.35
775.38
50°. 11
1881
Dezember
26.73
360.73
766.26
764.04
767.74
7 f 5.53
95°.67
1884
Januar
81.99
31.99
132°.09
188«
Marz
6.03
65.03
165“. 00
1888
April
10.77
101.77
20P.79
1890
Mai
27.30
147.30
800.47
246-.40
1892
August
3.77
216.77
312°.25
Intervall
434 M)0
42(1».«
405».5lt
39«".42
393”.91
395°.89
404“.61
425“. 85
In der ersten Columne dieser Tabelle ist die Oppositionszeit bis
auf Hunderttheilo des Tages angegeben. Alle diese Zeiten sind nach
astronomischer Zählweise auf den Meridian von Greenwich bezogen,
weloher jetzt immer allgemeiner als erster Meridian anerkannt wird.
Die erste Angabe Juni 19.87 bedeutet also den Moment, in welchem
in Greenwich nach dortiger mittlerer Sonnenzeit 87 Hundertstel Tage
seit dem Mittag (nicht der Mitternacht) des 19. Juni verflossen sind.
In der folgenden mit t üborschriebenon Reihe der Tabelle sind diese
selben Zeiten noch einmal vom Anfang des betreffenden Jahres ab,
in fortlaufenden Tagen gerechnet, aufgeschrieben. Diese Wiederholung
ist zu dem Zwecke geschehen, um dem Leser, welchem ich rathe, zur
Vervollkommnung seines Verständnisses für das Vorzutragende alles
genau nachzurechnen, eben diese Arbeit etwas zu erleichtern. Die
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folgende Reihe enthält die zwischen zwei Oppositionen verflossene
Zeit in Tagen. Dann folgen unter 1 die zugehörigen geocentrischen und
zugleich heliocentrisohen Längen des Mars, und endlich die Anzahl
von Graden, welche der Planet am Himmel zwischen zwei aufeinander
folgenden Oppositionen durchlaufen hat. Sie ist gleich der Differenz
zweier benachbarten Längen plus 360°, denn der Planet hat von der Erde
aus gesehen — und von der Sonne aus mufs es offenbar ebenso sein
— zunächst einen ganzen Umkreis und dann noch jenes zwischen
zwei Oppositionsorten liegende Stück durchlaufen.
Aus der denkenden Betrachtung dieser verhältnifsmäfsig so we-
nigen Beobachtungsdaten können wir nun bereits höchst interessante
Schlufsfolgerungen über die Bewegung des Planeten, wie sie sich von
der Sonne aus gesehen darstellen mufs, ziehen. Zunächst bemerken
wir in der Aufeinanderfolge der Werthe für die Länge keinerlei Kno-
tenpunkte oder gar die Anzeichen einer zeitweilig rückläufigen Be-
wegung, wie sie von der Erde gesehen in den Schleifen hervortritt.
Zwar sind die gefundenen heliocentrisohen Längen nur ganz vereinzelt
je aus einem ganzen Umlauf des Planeten um den Himmel des Sonnen-
beobachters herausgenommen, und von vornherein können wir aller-
dings nicht wissen, ob nicht jedesmal in dem übrigen Theile der
scheinbaren Bahn des Planeten um die Sonne (denn „scheinbar' müssen
wir sie noch nennen, so lange die Bewegung der Erde um die Sonne
noch nicht endgültig bewiesen ist), letzterer eine ganz ähnliche
Schleife beschreibt, wie von der Erde gesehen. Aber wir können uns
doch leicht überzeugen, dafs auch jede Reihe von Punkten, welche in
ungefähr gleichen Zwischenräumen aus einer Bahnlinie herausgenommen
und für sich einzeln wieder zu einer solchen zusammen gestellt werden,
die Form der ursprünglichen Linie wieder annehmen wird. Würden
wir zum Beispiel die geocentrische Länge des Mars auch nur alle
Jahre einmal messen und auf einem Himmelsglobus aufzeichnen und
diese Operation eine längere Reihe von Jahren hindurch wiederholen,
so würde die so erhaltene Reihe von Punkten sich schliefslich zu einer
schleifenbildenden Kurve zusammenfügen lassen. Die hier angeführten
Längen aber enthalten davon nichts. Dieselben sind nun allerdings
wohl in zu grofsen Zwischenräumen über den ganzen Umkreis ver-
theilt, um allein einen strikten Beweis für das Fehlen von Knoten-
punkten abzugeben. Würde man indefs die Oppositionen noch so
weit zurückverfolgen, so fände mau dennoch nirgends irgendwo eine
besonders starke Anhäufung dieser Richtungslinien an irgend einer
Stelle des Umkreises, wie es an Punkten doch nöthig wäre, wo der
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Planet wegen seines Uebergangs aus rechtläufiger in rückläufige
Bewegung besonders lange verweilt Die nähere Betrachtung der
Oppositionsorto hat uns also an sich allein beweisen können, dafs der
Planet Mars (und für alle übrigen hätten wir dasselbe gefunden) von
der Sonne aus gesehen nur eine rechtläufige Bewegung besitzt,
d. h. keine Schleifen bildet.
Es ist sehr merkwürdig, dars man diesen Satz ohne irgend welche
Voraussetzung über die wahre Form des Sonnensystems aufstellen
konnte. Auch Ptolemäus hätte ihn finden können, wenn ihm die
genügende Zahl von Beobachtungen zu Gebote gestanden hätte. Er
würde dann sofort erkannt haben, dafs die Bewegungserscheinungen
sich, von der Sonne gesehen, bedeutend vereinfachen und hätte dann
wohl selbst die Copemikanische Stufe erstiegen. Das war indefs ihm
ebensowenig wie Copernikus selbst möglich, weil beiden eben die
Beobachtungen fehlten, welche Kepler namentlich aus dem Nachlasse
des grofsen dänischen Astronomen Tycho Brahe, dann aber auch
durch den Fleifs aller jener übrigen Astronomen zu Gebote standen,
welche sich seit Ptolemäus mit der möglichst exakten Verfolgung
der Bewegungen, wie sie uns erscheinen, befafst hatten, um eben den
Speculationen über die wahren Bewegungen eine möglichst solide
Grundlage zu verschallen.
Wir sind nun in unserer Beweisführung bis zu der Ueberzeugung
vorgeschritten, dafs die „scheinbaren" Bewegungen der Planeten um
die Sonne weit regelmäfsiger vor sich gehen, als um die Erde. Wir
wollen nun sehen, ob wir aus den vorliegenden Oppositionsbeobacli-
tungeu nicht noch näheren Aufschlufs über die besonderen Eigen-
thümliohkeiten dieser heliozentrischen Bewegung erhalten können.
Zuerst wollen wir es versuchen, die wahre Umlaufszeit des Planeten
um die Sonne zu ermitteln.
Unsere Tabelle zeigt uns, dafs Mars zwischen dem 19. Juni
1875 und dem 27. Mai 1890 nahezu acht Umläufe vollendet haben
mufs, wie ein einfaches Abzählen der Gradintervalle ergiebt. An
acht vollen Umläufen fehlen noch 2(58 n.57 — 246n.40 = 22°.17. Wir
machen nun die vermuthlich nicht ganz richtige, jedoch nach den vor-
augegungenen Betrachtungen sich jedenfalls nicht sehr wesentlich von
der Wahrheit entfernende Annahme, dafs die Bewegung des Mars
um die Sonne ganz gleichmiifsig schnell geschieht. Wir finden dann
olTenbar, dafs
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— 0.0616 Theile des ganzen Umlaufs in dem
fraglichen Momente noch an acht vollen Umläufen des Planeten fehlten.
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Die Zeit von der ersten bis zur zweitletzten der aufgeschriebenen
Oppositionen umfafst nun 5455.43 Tage. Während dieser Zeit fanden
nach unserer Rechnung 8 — 0.0616 = 7.9384 Umläufe statt. Beide
Zahlen geben durch einander dividirt 687.21 Tage Für die „siderische“
Umlaufszeit des Planeten um die Sonne.
Diese Zahl wird wegen der oben gemachten Voraussetzung der
gleichförmig schnellen Bewegung, vermuthlich nur annäherungsweise,
richtig sein. Wir können uns jedoch ihrer bedienen, um die Eigen-
thümlichkeiten dieser Bewegung in Wirklichkeit kennen zu lernen
und dann unsere eben gemachte Reohnung darnach korrigiren.
Ein solches successives Verfahren wird bei der Lösung aller haupt-
sächlichen astronomischen Probleme stets angewandt.
Zu diesem Zwecke zählen wir die gefundene Umlaufszeit zunächst
zur Zeit der ersten Opposition hinzu, das heifst (1875) 170.87 4- 687.21.
Um diese Zeit — wie sie sich bürgerlich ausdrückt, brauchen wrir
hier nicht zu ermitteln kehrt also Mars von der Sonne aus gesehen
wieder in seine erste Richtung zurück, d. h. seine heliooentrische Länge
ist dann 268°.57. Indem wir diese Zeit von der der nächsten Oppo-
sition (1877) 248.50 abziehen, erfahren wir, wie viel Zeit verfliefst, bis
der Planet von jener Stellung 268°.57 zu dem näohsten Opposi-
tionsorte 343".47 vorgeschritten ist. Dieses Zeitintervall erhalten wir
offenbar noch einfacher, wenn wir von dem Zeitintervall zwischen den
beiden Oppositionen, die „wahre synodische Umlaufszeit“ genannt, die
siderische Umlaufszeit abziehen: 808.63 — 687.21 = 121.42 Tage. Inner-
halb dieser Zeit ist der Planet, von der Sonne gesehen, von 343°.47 bis
268".57, also um 74°.90 vorgeschritten. Beide Zahlen durcheinander
dividirt ergeben, dafs derselbe damals im Tage durchschnittlich 0°.6169
zurückgelegt hat. Wir führen nun die gleiche Rechnung für die Inter-
valle zwischen den übrigen Oppositionen aus und erhalten dann fol-
gende merkwürdige Zahlenreihe, der wir die mittleren Richtungen, für
welche diese Bewegungen stattfinden, hinzufügen. Letztere wurden
einfach gefunden, indem man die Mitte zwischen den beiden betreffen-
den Oppositionsorten nahm.
Richtung Tägl. Beweg. Richtung Tiigl. Beweg.
306«
0°.6169
149"
0 ".4400
17
0 .6019
184
0 .4458
73
0 .5167
224
0 .6050
129
0 .4604
279
0 .5814.
Wir machen hier die höchst wichtige Entdeckung, dafs die Ge-
schwindigkeiten der Marsbewegung ziemlich veränderlich, jedoch offen-
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har einer bestimmten Gesetzmäfsigkeit unterworfen sind. Hätten wir noch
weitere Oppositionen verfolgen können, so würden wir gefunden haben,
dafs stets für dieselben Richtungen dieselben Geschwindigkeiten wieder-
kehren. Es verhält sich also mit der „scheinbaren“ Bewegung des
Mars um die Sonne genau so wie mit dem „scheinbaren“ Umlauf dieser
letzteren um die Erde. Auch hier kommen keine Schleifenbildungen
vor, während die Geschwindigkeit, wie ja schon Ilipparch gefunden
hatte, mit den Jahreszeiten regelmäfsig wechselt. Unsere Zahlen für
Mars ergeben, dafs seine Geschwindigkeit etwa um 150° heliozentrische
Länge herum am geringsten, in der entgegengesetzten Richtung da-
gegen am gröfsten ist. Diese Richtung stimmt mit derjenigen über-
ein, in welche nach Ptolemäus die Exzentrizität des deferircnden
Kreises, nach Copernikus die der Kreisbalm des Mars zu legen ist.
Wir haben eine erste Annäherung des „Aphels“ oder der Sonnenferne
(ca. 150°) respektive des „Perihels“ oder der Sonnennähe (330°) des
Mars direkt aus den Beobachtungen abgeleitet. Die wahre I^age dieser
Punkte ist 153°, respektive 333°.
Da wir nun bereits Xäheres über die wahre Bewegung des Mars
in bestimmten Bahnrichtungen wissen, können wir zu einer zweiten
Näherung für die Bestimmung seiner siderischen Umlaufszeit schreiten.
Ich will das dazu angewandte einfache Interpolationsverfahren hier
ausführlich angeben, weil ähnliche Verfahren noch öfters nötliig werden.
Ich kann mich dann später mit dem blofsen Hinschreiben des Resul-
tats begnügen.
Wir wollen die Zeit finden, welche Mars gebraucht, um die
Strecke zwischen 240°.40 und 268".57 zu durchlaufen. Die mittlere
Richtung zwischen diesen beiden ist 257°. Wir kennen nun die täg-
Iiche Geschwindigkeit des Planeten für die Richtungen 224° und 279“.
Die erstere ist 0".5050, die letztere 0°.5814. Zwischen 224° und 257“
liegen 33°, zwischen 257" und 279° aber 22°. Die ganze Strecke
beträgt 56°. Die Veränderung der Geschwindigkeit für diese 65“
Richtungsveränderung ist gleich 0°.5814 — 0".5050 = 0°.0764. Wir
22 2
haben von der gröfseren dieser Geschwindigkeiten also - = _ der
ao 5
letztbestimmten Differenz abzuziehen, um die gesuchte wahre Geschwin-
digkeit für die gegebene Richtung zu finden. Also
0".5814 — “ X 0".0764 = 0".550ö.
(J
Diese letzte Zahl müssen wir nun in 22°. 17, welche am 27. Mw
1890 noch an acht vollen Umläufen des Mars seit dem 19. Juni 1875
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485
fehlen, dividiren, um zu erfahren, dafs 40.27 Tage verfliefscn, bis Mars
in dieser Region seiner Bahn diese Strecke zurückgelegt hat. Biese
Zahl addiren wir zu dem Zeitintervall zwischen den beiden hier in
Betracht kommenden Oppositionen, d. h. 5455.43 Tagen. Das giebt
5405.70, welche Zahl durch 8 dividirt die korrigirte sidorische Um-
laufszeit des Mars
u = 686.96 Tage
ergiebL Dieses Ergebnifs unserer verhiiltnifsmäfsig doch sehr ein-
fachen Rechnung kommt der Wahrheit bis auf zwei Hunderttheile eines
Tages nahe. Hätten wir noch entfernter von einander liegende Op-
positionen angewandt, so würden wir u = 686.980 erhalten haben.
Genau dieselben Operationen, wie wir sie hier im einzelnen für
Mars beschrieben haben, können wir nun auch für die übrigen Pla-
neten ausführen und erhalten überall im Prinzip dasselbe Resultat,
dafs sie nämlich von der Sonne gesehen keine Schleifen bilden, da-
gegen ungleiche Geschwindigkeit zeigen, welche in einer bestimmten,
allerdings für jeden Planeten verschiedenen Richtung von der Sonne
gesehen ein Maximum, in entgegengesetzter Richtung ein Minimum be-
sitzt. Zugleich ergeben sich die siderischen Umluufszeiten der Planeten:
Merkur — 87.969 Tage, Jupiter = 4382.585 Tage,
Venus = 224.701 „ Saturn = 10759.220 „
Erde == 3G5.25S ., Uranus = 3068G.5I .,
Mars = G86.9K0 „ Neptun = G01 86.64 „
Wir haben damit die eine Hälfte unserer Aufgabe, die Bewegung
der Himmelskörper, von der Sonne gesehen, zu erkennen, erfüllt. Wir
können in der That die Richtungen, welche die Planeten am Himmel
der Sonne zu einer beliebigen Zeit einnehmen, nach dem vorhin er-
örterten Verfahren, wenigstens mit vorläufig befriedigender Annähe-
rung, angeben.
Aber um die Form der Bahn in Wirklichkeit zu erkennen, müssen
wir noch die Entfernungen der Planeten von der Sonne bestimmen.
Das scheint nun ganz bedeutend schwieriger als diese soeben gelöste
Aufgabe war. Wir können ja leider diese umschwingende Erde nie-
mals verlassen und keinen Mafsstab als Brücke von ihr aus nach
jenen Himmelskörpern ausspannen, welche wir beobachten. Wie viel
unmöglicher mufs uns deshalb die Lösung der Frage erscheinen, in
welchen Entfernungen diese Himmelskörper sich von der unnahbaren
Sonne befinden?
Wir werden inders auch hier sehen, wie spielend leicht der
menschliche Geist, recht geleitet, über solche scheinbaren Schwierig-
keiten triumphirt.
Himmel und Erde. I. 8. 35
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Wilhelm Ernst Tempel f.
Wir erfüllen die traurige Pflicht, in unserer heutigen Nummer
das ßildnils des ersten Todten unter unsem Mitarbeitern wiederzu-
geben und schliefsen daran die deutsche Uebersetzung einer Lebens-
skizze, welche Herr Professor Schiaparelli diesem eigenartigen
Manne in den „Astronomischen Nachrichten No. 2880“ gewidmet hat:
Am 16. Miirz um 4 L’hr Nachmittags starb in Florenz nach l£»n-l'r
Krankheit Wilhelm Ernst Tempel, Observator der Künigl. S,crI1'
warte zu Arcetri.
Am 4. Dezember 1821 in Nieder-Kunersdorf in der Ober-Lt» us'u
als Sohn armer Eltern geboren, erlernte er in seinen Jugendjahreu <**-'
lithographische Zeichnen, welches er zuerst in verschiedenen Stiid|e0
Deutschlands ausübte und worin er eine mit feinem künstlerischen
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J
487
Gefühl verbundene nicht gewöhnliche Geschicklichkeit erlangto. Von
der Natur mit lebhafter Einbildungskraft und einem rastlosen Geist
begabt, verliefs er bald das Vaterland, um in fremden Ländern sein
Glück zu vorsuchen. Drei Jahre lebte er in Dänemark, dann kam
er nach Italien, wo wir ihn 1859 etablirt und in Venedig verheirathet
finden. In dieser Zeit fing er an, sich als Dilettant mit astronomischen
Dingen bekannt zu machen. Mit einem 4 zölligen Fernrohr von
Steinheil, welches er sich von seinen Ersparnissen angeschafft hatte,
machte er in dieser Stadt seine ersten Entdeckungen, diejenige des
Kometen von 1859 und die des berühmten (Merope-) Nebels in den
Plejaden, welch’ letztere ihm bis in die jüngste Zeit mit Unrecht
streitig gemacht wurde.
Im Jahre 1860 ging er nach Marseille und arbeitete 1861 einige
Zeit an der dortigen Sternwarte unter der Direktion von Benjamin
Valz. ln jener Stellung blieb er jedoch nur 6 Monate. Da er über
alles die eigene Unabhängigkeit liebte, ging er bis zum Jahre 1870
seinem Beruf als Lithograph in jener Stadt weiter nach, seine Arbeiten
mit der fleifsigen Durchmusterung des Himmels abwechselnd. In
Marseille entdeckte er 6 kleine Planeten, nämlich (64) Angelina, (65)
Cybcle, (74) Galatea, (79) Eurynome, welche schon etwas früher von
Watson gefunden wurden, (81) Terpsichore und (97) Chlotlio. Für die
Astronomie wichtiger waren seine Kometenentdeckungen, bei welchen
ihm besonders ein scharfes Auge, das reine Klima und ein ausge-
zeichnetes Negativ-Okular von grofsem Gesichtsfelde zu Hülfe kamen,
welch’ letzteres ihm von Steinheil zur Verfügung gestellt war. Zehn
Kometen fand er in Marseille, nämlich 1860 IV, 1862 I, 1863 IV,
1864 II, 1866 I, 1867 I (mit Stephan), 1867 II, 1869 II, 1869 III,
1870 II (mit Winnecke); von welchen besonders 1867 II und 1869 III
durch ihre kurze Umlaufszeit, und 1866 I durch seinen unzweifelhaften
Zusammenhang mit dem November- Sternschnuppenschwarm wichtig
sind. Diese Entdeckungen trugen Tempel verschiedene Preise der
Wiener Kaiserl. Akademie der Wissenschaften ein.
Aus Frankreich 1870 vertrieben, ohne eine andere Schuld als
die, dafs er ein Deutscher war, kam er im Anfang des Jahres 1870
als Assistent der Sternwarte von Brera nach Mailand. Die Litho-
graphie verlassend, widmete er sich ganz der Astronomie und erfüllte
durch nützliche Arbeiten seine neuen Pflichten. In den vier Jahren
seines Aufenthaltes in Mailand (1871 — 1874) endeckte er dort vier
weitere Kometen: 1871 II, 1871 V, 1871 VI und 1873 II; den letzteren
auch mit kurzer Umlaufszeit. Aufserdem beobachtete er auch ver-
35*
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488
schiedene andere Kometen, so besonders den im Jahre 1874 erschie-
nenen hellen Kometen von Coggia, von welchem er wunderbare Zeich-
nungen anfertigte. Diese und andere seiner Arbeiten sind in einer
Sammlung verschiedener Beobachtungen, welche den V. Baud der
Publikationen der Mailänder Sternwarte bilden, gewürdigt worden.
Da bei seiner etwas geschwächten Gesundheit ihm das Klima
von Mailand, besonders im Winter, wenig erträglich eischien, entschlofs
er sich im Anfang des Jahres 1875 den Posten eines Astronom-Adjunkten
auf der neuen Sternwarte von Arcotri bei Florenz, verbunden mit der
provisorischen Direktion, anzunehmen. Hier setzte er anfangs seine
Kometenbeobachtungen fort und machte auch seine letzte Entdeckung
auf diesem Gebiete, nämlich die des Kometen 1877 V. Nachdem er
dann vollkommen sein eigner Herr geworden, und über zwei ziemlich
grofse und durch klare Zeichnung hervorragende Teleskope von Amici
verfügte, gab er sioh ganz dem Studium der Nebel hin, von denen
er eine Anzahl der schönsten Zeichnungen lieferte; diese trugen
ihm 1879 den königlichen Preis ein, welchen die Academia dei Lincei
alle sechs Jahre für eine astronomische Arbeit zu verleihen pflegt.*)
Dieselbe Akademie hatte sich erboten, diese Arbeit auf eigene Kosten
herauszugeben, ungeachtet dessen blieb dieselbe jedooh unveröffent-
licht, da Tempel niemals einen Künstler finden konnte, welcher in>
stände gewesen wäre, ihn in der Reproduktion dieser Zeichnungen zu-
frieden zu stellen.
ln den letzten Jahren mufste er zu seinem gröfsten Schmerze
auf das Beobachten verzichten, aus Rücksicht auf seine immer mehr
abnehmende Gesundheit
Obgleich Tempel keinen regelrechten Unterricht genossen, war
er keineswegs ohne Bildung; lebhaft über alles war stets in ihm der
Sinn für das Schöne in Natur und Kunst. In der elementaren Mathe-
matik hatte er die ersten Grade aus sich selbst bis zu dem Punkte
beineistert, dafs er ohne Schwierigkeiten die logarithmiseben Tafeln
und trigonometrischen Formeln anwenden konnte; ohne fremde Hülfe
berechnete er seine eigenen Beobachtungen. Ganz sich selbst und
seinem uneigennützigen Eifer für die Astronomie verdankte er eine
Reihe schöner Entdeckungen, welche seinem Namen einen ehrenvollen
Platz in unserer Wissenschaft sichern. (Schiap.)
*) Besonders glückliche Umstände hatten es uns ermöglicht, einige dieser
preisgekrönten Xcbelzcichnungcn unseren Lesern in einer unserm dritten
(Dezember-) TIefle beigegebenen lithographischen Tafel vorzuführen.
Anm. der Red.
*
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489
Die tägliche Nutation oder Erdaxen- Schwankung.
In dem zweiten Hefto dieser Zeitschrift (Nov. 1888) sind in dem
Aufsatze von Dr. P. Schwahn: „Welche Veränderungen erfahrt noch
jetzt die Lage der Drehungs-Axo der Erde“ die wichtigsten Störungen
erörtert worden, von denen die Drehung der Erde betroffen wird.
Es ist dort hervorgehoben worden, wie wundervoll und erhebend
die Uebereinstimmung ist, welche auf diesem Gebiete der Forschung
zwischon der streng durchgeführten Theorie der Drehung der Erde
und den Ergebnissen zahlloser sorgfältiger Messungen am Fixstern-
Himmel bis jetzt erreicht ist.
Aus gewissen in neuerer Zeit ermöglichten Verschärfungen der
bezüglichen Messungen oder erschöpfenderen Untersuchungen der-
selben scheinen indesson nach zwei Richtungen hin neue Erscheinungs-
gTuppen aufzutauchen, welche bisher von der Theorie weniger be-
achtet worden sind, weil sie offenbar an den Genauigkeitsgrenzen
der bisherigen Messungen lagen und daher nicht mit genügender
Sicherheit von den unvermeidlichen kleinsten Abweichungen trennbar
zu sein schienen, die man als sogenannte zufällige Fehler behandeln
und bei Seite setzen darf, so lange sich in ihnen keine Spuren von
Gesetzmäfsigkeit im einzelnen erkennen lassen.
Ueber die eine dieser Erscheinungsgruppen hat Dr. Schwahn
bereits näher berichtet. Die andere ist die sogenannte tägliche Nutation,
nämlich eine von Herrn Folie, Direktor der Sternwarte zu Brüssel,
seit einigen Jahren zur Sprache gebrachte kleinste und schnellstver-
laufende unter den von der Anziehung der Sonne und des Mondes
herrührenden Störungen der Drehung der Erde. Herr Folie und seine
Mitarbeiter glauben diese, innerhalb je eines halben Sonnen -Tages,
bezw. je eines halben Mond-Tages (d. h. zwischen zwei auf einander
folgenden Durchgängen der Sonne oder des Mondes durch eine und
dieselbe Meridian-Ebene der Erde) periodisch wiederkehrenden Schwan-
kungen der Drehungsbewegungen jetzt deutlich nachweisen zu können
und zwar mit Hülfe der etwas weiter als früher getriebenen rechne-
rischen Untersuchung zahlreicher, in den letzten Jahrzehnten von
immer zahlreicheren Sternwarten in den verschiedenen Erdtheilen
angestellten Bestimmungen der Lage von Fixsternen gegen den schern-
baren Drehungspol des Himmelsgewölbes.
Indessen verhält sich die Mehrheit der Fachgenossen noch etwas
zweifelnd und ablehnend dazu. Zwar ist die Theorie des unter ge-
wissen Bedingungen nothwendigen Eintritts einer solchen Nutation
1
f
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490
von Herrn Folie nach dem Vorgänge älterer Untersuchungen über
diesen Gegenstand einleuchtend dargestellt worden, aber der zahlen-
mäßige Nachweis der Merklichkeit der bezüglichen Wirkungen ist
nur in vereinzelten, der inneren Uebereinstimmung noch entbehrenden
Veröffentlichungen dargeboten worden, in denen auch noch nicht alle
Möglichkeiten anderweitiger einfacherer Erklärung der in den Stern-
örtem nachgewiesenen scheinbaren Schwankungen erschöpft sind.
Dazu kommt, dafs diese tägliche Nutation zu sehr merkwürdigen
Folgerungen in betreff der Massenvertheilung in der Erde und in
betreff unabhängiger Bewegungen der Erdkruste über dem sog. flüs-
sigen Erdinnern fuhren würde, welche an sich erhebliche Zweifel er-
wecken. Jedenfalls muß aber die wissenschaftliche Welt Herrn Folie
für seine interessanten Arbeiten dankbar sein; denn dieselben können
nach jeder Seite hin nur zu fruchtbaren Vertiefungen der Forschung
führen.
Wir glaubten unsern Lesern diese erste vorläufige Mittheilung
über den Gegenstand schuldig zu sein, weil derselbe auch in der
populären Littoratur anderweitig zur Sprache zu kommen beginnt
Auch ist es an sich ein reizvoller Eindruck, auch hier wieder
zu sehen, wie aus verfeinerten Messungen am Sternenhimmel neue
Fragen und Anhaltspunkte für das tiefere Studium der Zustände der
Erde an das Licht treten. F.
Grönlands erste Durchquerung.
Seit dem Jahre 1728, dem Versuchsjahr des Gouverneur Paars,
der Grönland durchreiten wollte, ist es oftmals, abor immer vergeblich,
unternommen worden, das grönländische Inlandeis zu durchkreuzen;
selbst die Versuche eines Jensen, Nordenskjöld und Peary blieben
erfolglos. Die überraschende Nachricht, dafs ein junger Norweger,
Dr. Nansen, von der einen Küste Grönlands bis zur andern vor-
gedrungen sei, erregte daher Ende vorigen Jahres allerorten berech-
tigtes Aufsehen. Die erste Kunde von dem glücklichen Ausgang des
Wagnisses verdanken wir einem Briefe Nansens,*) datirt von Godt-
hanb, den 4. Oktober 1888, an den Kaufmann Augustin Gamel in
*) Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik XI. Jahrg. 5. Hett.
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-IV* 1
Kopenhagen, der die Kosten der Expedition bereitwilligst übernom-
men hatte.
Herr Dr. Nansen hat im Gegensatz zu seinen Vorgängern die
unwirthsame Ostküste Grönlands zum Ausgangspunkt seiner Expedition
gewählt, von der richtigen Erkenntnifs ausgehend, dafs er dann nur
einmal den Landweg zurückzulegen habe, da von der bewohnten West-
küste aus Europa zu erreichen ist. Einen andern grofsen Vortheil
hatte diese Expedition gegen die früheren dadurch, dafs sie ausnahms-
los aus tüchtigen Schneeschuhliiufern bestand. Freiherr von Nor-
denskjöld hatte nämlich 1883 auf seiner grönländischen Binnenreise
die Erfahrung gemacht, dafs die mit Schneeschuhen versehenen Lapp-
länder in 27 Stunden eine Strecke zurücklegten, zu welcher die zu
Fufs wandernde Expedition 27 Tage gebraucht hatte. Dr. Nansen
selbst hatte sich durch öftere Hochgebirgstouren von Bergen nach
Christiania zu einer solchen Ueberlandreise jahrelang vorbereitet. Zu
Reisebegleitern wählte er fünf vorzüglich geschulte Schneeschuhläufer,
die drei Norweger, Lieutenant Olaf Dietriehson, Steuermann Otto
Sverdrup und Hofbesitzer Kristian Kristiansen und die beiden
Lappländer Oie Ravna und Samuel Jousen Bratto.
Der dänische Dampfer „Thyra“ führte die Expedition von Leith
nach Island. Am 4. Juni 1888 verliefe die Expedition auf „Jason“
den isländischen Isa-Fjord, um die Ostküste Grönlands zu erreichen.
Am 11. Juni war das Schilf der Küste bereits so nahe gekommen,
dafe das etwa 1800 Meter hoho Ingolsfjeld der ostgrönländischen
Gebirgskette deutlich erkannt werden konnte; ein Landungsversuch
mufete aber wegen der Mächtigkeit des vorgelagerten Treibeises unter-
bleiben. Erst am 17. Juli konnte Dr. Nansen mit seinen fünf Reise-
gefährten in zwei Booten den Dampfer .Jason“ verlassen. Die Aus-
rüstung der Expedition beschränkte sich auf das Allernothwendigste.
Nach 12 tägigem, hartem Kampfe mit Treibeisbergen gelang es den
kühnen Männern endlich, in Ol1’ nördl. Br., viel südlicher als sie
ursprünglich beabsichtigten, die ersehnte Küste unter Zurücklassung
ihrer Boote zu erklimmen. Am 15. August begann die Wanderung
in das unbekannte Innere Grönlands, der „Heimath des Entsetzens und
der bösen Geister.“
Die Expedition erreichte unter furchtbaren Schneestürmen und
einer Kälte von 40 — 50° eine Höhe von über 3000 m über dem Meere.
Nach glücklichem Abstieg über zerklüftetes Eis gelangte die Expe-
dition Ende September wohlbehalten an den Ameralik-Fjord, von
wo aus Dr. Nansen und Sverdrup auf einem nothdürflig zusammen-
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492
gezimmerten Fahrzeug am 3. Oktober Godthaab glücklich erreichten.
Die vier am Ameralik-Fjord zurückgelassenen Genossen wurden als-
bald nach Godthaab nachgeholt. Hier bereitete die Kolonie den ersten
Durchquerern Grönlands den herzlichsten Empfang.
Der Kapitän des Dampfers „Fox“, der Nansens Brief von zwei
von Godthaab nach Ivigtut im Kajak schnellfahrenden Grönländern
empfangen hatte, konnte zu seinem Bedauern die Ankunft der kühnen
Reisenden in Ivigtut, das 300 Miles südlich von Godthaab liegt,
nicht mehr abwarten, so dafs sie verurtheilt waren, den ganzen Winter
in Grönland zuzubringen.
Noch bevor Dr. Nansen den heimathlicben Boden wieder be-
treten hat, ist ihm eine hohe Anerkennung für seine kühne Thal von
Seiten der Kgl. Schwedischen Geographischen Gesellschaft durch Ver-
leihung der goldenen Yega-Medaille zu teil geworden. Diese höchste
Auszeichnung der Gesellschaft ist bis jetzt nur 5 Männern verliehen
worden, Nordenskjöld, Palander, Stanley, Prjevalsky und
Junker.
Am 30. März d. J. hat der Dampfer „Hvidbjörnen“ Kopenhagen
verlassen, um die Mitglieder der Expedition aus ihrer grönländischen
Gefangenschaft zu befreien; vor Ende Mai wird der Dampfer schwer-
lich in Kopenhagen wieder eintreffen. Schon jetzt ist Dr. Nansen
für eine im Jahre 1891 beabsichtigte grofso Expedition, die es versuchen
soll, auf dem Landwege über Franz-Joseph-Land, eventuoll unter Zu-
hülfenahme kleiner Ballons, den Nordpol zu erreichen, von der öffent-
lichen Meinung als Führer designirt Wir behalten uns vor, unsern
Lesern nach Dr. Nansens Rückkunft weitere Mittheilungen über die
Details und wissenschaftlichen Erfolgo der hier nur kurz skizzirten
Expedition zu machen.
F. S. Archenhold.
Spektroskopische Expedition auf den Mont Blanc. Bekanntlich
ist die Existenz von Sauerstoffgas in der Sonnenatmosphäro derzeit
immer noch unentschieden. Gewisse Absorptionsbänder im Sonnen-
spektrum leiteten Janssen im vorigen Jahre auf die Vermuthung, dafs
in der Sonnenatmosphäre möglicher Weise sich Sauerstoff in einem
solchen Zusammensetzungszustande befinden könnte, in welchem er
zur Quelle jener Absorptionserscheinungen des Spektrums werden
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493
kann. Die Bedingungen für die Untersuchung dieser Frage gestalte«
sich namentlich günstig in den höheren Schichten der Erdatmosphäre,
welche dünn und freier von Wasserdämpfen sind. Janssen entschlofs
sich zu einer Analysirung des Sonnenspektrums in einer kälteren
Jahreszeit und unternahm deshalb im Oktober verflossenen Jahres
eine Expedition nach der „Grands Mulets“ genannten Alpen-Club-Hütte
auf dem gewöhnlichen Woge zum Gipfel des Mont Blano. Wir heben
aus dem Berichte des berühmten Spektroskopikers („Annuaire p. 1889“)
nur Folgendes hervor: Am 15. und 16. Oktober, bei prachtvoller
Klarheit der Luft, fehlten die Bänder des atmosphärischen Wasser-
dampfes im Spektrum vollständig, auch die Sauerstoffbiinder ver-
schwanden. Hieraus schliefst Janssen, dafs letztere in unserer Atmo-
sphäre ihren Grund haben, also tellurischer Natur seien und nicht
durch die Sonnenatmosphäre hervorgerufen werden. Nichtsdesto-
weniger hält Janssen den Iiückschlufs, dafs demnach auf der Sonne
kein Sauerstoff existire, für verfrüht; man dürfe nur annehmen, dafs
sich dieses Gas jedenfalls dort nicht in jenem Zustande befindet, in
dem es die Spektralerscheinungen bewirken könnte, die eben durch
dieses Gas in unserer Erdatmosphäre erzeugt werden. *
Erscheinungen am Sternenhimmel im Monat Mai*.)
(Sämmtliche Zeitangaben gölten für Berliner Zeit.)
l. Der Mond.
3.
Mai
Erdferne
Aufgang
26™ Mg.
Untergang
10t* 57 m Ab.
8.
Erstes Viertel
10
48
*
1
53
Mg.
15.
Vollmond
8
8
Ab.
4
32
IG.
Erdnähe
9
33
5
4
81.
n
Letztes Viertel
1
17
Mg.
10
18
„
39.
Neumond
4
0
*
1
47
Ab.
31.
_
Erdferne
5
1
9
48
6.
Juni Erstes Viertel
10
55
0
48
Mg.
13.
„
Vollmond, Erdnähe
8
33
Ab.
3
34
n
Maxima der Libration:
10. Mai, 22. Mai, 7. Juni.
*) Diese Ephemeriden werden von Jetzt ab vom 15. zum 15. jeden Monats gegeben werden.
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494
2. Die Planeten.
Merkur
Venus
Rectas.
Declin.
Aufg.
Unterg.
Rectas.
Declin.
Aufg.
Unterg.
1.
Mai 31» 3">
+18° 4‘
4*1 40m Hl.
8i> 10» Ab.
21» 26»
+ 19° 36'
3h 57“ If.
7>» 50» 1».
5.
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6 4 4-20 45 4 30 „
1. Mai Sonnennähe,
8 36 ,
2
39
+12 28
1
58 ,
4 18 .
*24. „ gröfste östl. Elongation,
14. Juni Sonnenferne.
8.
Juni
Venus
im
gröfsten Glanz.
M
a r s
Jupiter
Rectas.
Declin.
Aufg.
Unterg.
Rectas. Declin.
Aufg.
Unterg.
1.
Mai
31» 2G»
+19° 3»
4 h 57“ I?.
81» 39 » Ab.
IShäßn» -22° 56'
0M0»1*.
7k 52» lf.
7.
„
3 44
+20 7
4 44 ..
8 40
„
18 35 -22 57
11 42 Ab.
7 23 .
13.
„
4 1
+21 3
4 31 „
8 41
„
18 34 —22 59
11 17 .
7 3 ■
19.
„
4 19
+21 53
4 19 .
8 41
„
18 32 —23 0
10 53 „
6 37 .
25.
4 37
+2235
4 8 .
8 40
„
18 30 —23 3
r
e-
04
o
G 11 .
31.
4 55
+23 9
3 58 ,
8 38
18 27 —23 5
10 1 .
5 45 .
ß.
Juni
5 12
+23 36
3 48 „
8 3G
18 25 —23 7
9 34 .
5 18 ,
12.
-
5 30
+23 56 j
3 40 „
8 32
n
18 21 -23 10
9 9,
4 51 .
18
Mai 4h Mg. Bedeckg. durch cLMond.
Saturn
Uranus
Rectas.
Declin.
Aufg.
Unterg.
Rectas. Declin.
Aufg.
Unterg.
1.
Mai
9b ßm
+17° 50'
1 01» 45» ÜI
2M4»Ip.
ISMIa '— 6° 52'
5t» 5» üb
4k 5» «5-
9.
„
9 7
+17 44
10 14 .
1 44
13 10 —6 45
4 32 .
3 32 ,
17.
9 9
+17 37
9 45 „
1 13
„
13 9 —6 39
3 59 .
.8 1 .
25.
n
9 11
+17 28
9 17 .
0 43
„
13 8 —6 34
3 27 „
2 29 .
•I
Juni
9 13
+17 17
8 49 ,
0 12
13 8 — G 30
2 54 ,
1 56 .
10.
-
9 16
+17 5
8 21 ,
11 39
Ab.
13 7 - 6 28
2 21 ,
1 25 .
Elongationen des Saturntrabanten Titan: 4. Mai östl., 1*2. Mai westl. Elongation.
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495
Neptun
Reetas.
Declin. Aufg. Unterg.
1. Mai
3b 58"
+ 18*50' ] 5b 29» »g. 1 9b 9" 1b.
I«. .
4 0
-4-18 57 4 31 - . 8 13 .
31. „
1 4 2
1 4- 1» 4 3 38 „ 7 20 .
15. Juni
!* 4 1
-4-19 10 2 41 „ 6 25 .
3. Beobachtbare Verfinsterungen der Jupitertrabanten.
6. Mai I. Trab. Verfinst. Eintritt 0h 57m Mg.
7. II. „ „ .27.
13. I. „ . . *2 51 .
*21. „ I. „ . .11 13 Ab.
28. . III. * . - 10 50 n (3G® nach Jup. Aufg.)
29. . I. . _ .17 Mg.
31. , II. „ „ . 11 6 Ab.
5. Juni III. „ „ . 2 48 Mg.
5. . I. r . .31.
8. . II. . . 1 40 .
13. „ I. . . .11 24 Ab.
4. Sternbedeckungen durch den Mond.
(Vom 1. Mai bi« 15. Juni finden für Berlin keine Bedeckungen hellerer Sterne statt.)
5. Veränderliche Sterne,
a) Maxim» variabler Sterne:
Maximum
Helligkeit im
1889
am
Max.
Min.
Reetas.
Declin.
T Cassiop.
9. Juni
6.7
Gr.
11
Gr.
0h 17 m
14»
-4- 55°
11'
R Aurigao
1.'!. Mai
6.7
n
12 -13
5
8
20
+ 53
27
R Ge m in.
14. Juni
6.7
„
12—13
„
7
0
40
+ 22
52
U Monoc.
21. Mai
6
„
. 7
„
7
25
29
— 9
33
S Hydrao
12. Juni
7.8
„
12
*
8
47
47
+ 3
29
R Crateris
27. Mai
8
y
10
55
6
— 17
44
R Virginia
7. Juni
6.7
„
n
„
12
32
52
-4- 7
30
R Draconis
24. Mai
6.7
„
11-12
10
32
21
-f 60
59
T Herculis
24. „
7
„
12
„
18
4
53
+ 31
0
R Scuti
13. „
5
8.9
„
18
41
34
— 5
49
R Lyrao
5. Juni
4.3
4.0
„
18
51
57
4- 43
48
R Sagittarii
13. .
7
„
12
„
19
10
12
- 19
30
T Cephei
19. Mai
5.6
-
9
-
21
8
2
-f 08
3
b) Minima der Sterne vom Algol-Typus.
U Cephei . 3., 8., 13., 18., *23., 28. Mai Nm, 2., 7., 12. Juni Mtt.
H Can. maj. . (Jedes 3. Min.): 4. Mai Mg., 7. Nm., 11. Mg., 14. Vin., 17. Nm.,
21. Mg.
S Cancri . . 7. Mai Nm., 17. Mg., 26. Nm., 5. Juni Mg., 14. Nm.
0 Librae . . 4. Mai Nm., 9. Mg., 13. Ab., 18. Nm., 23. Mg., 27. Ab., 1. Juni Nm.,
6. Mg., 10. Ab., 15. Nm.
U Corotiae . . 1. Mai Ab., 8. Nm , 15. Nm., 22. Mtt., 29. Vm., 5. Juni Mg., 12. Mg.
U Ophiuchi . (Jedes 4. Min.): 2. Mai Nm., 6. Mg., 9. M., 12. Ab., 16. Mg., 19. M.,
22. Ab., 26. Mg., 29. Nm., 1. Juni Ab., 5. Mg., 8. Nm., 11. Nt., 15. Mg.
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496
Y Cygni .
T Monoc. .
C Gemin. .
3 Lyrae
tj Aquilac
o Cephei .
. (Jodes 3. Min.): 2. Mai Ab., 7. Mg., 11. Ab., 16. Mg., 20. Ab.,
25. Mg., 29. Ab., 3. Juni Mg., 7. Ab., 12. Mg.
c) Minima einiger Veränderlicher kurzer Periode:
. 15. Mai, 11. Juni.
. 9., 19., 29. Mai.
. 5,, 18., 31. Mai, 12. Juni.
. 6., 13., 20., 28. Mai, 4., 11. Juni.
. 3., 8., 14., 19., 24., 30. Mai, 4., 10., 15. Juni.
6. Meteoriten.
Bis etwa 6. Mai schwärmen die Sternschnuppen des Radiationspunktes
bei 7) Aquarii (die „Aquariden*), welche ihr Maximum am 6. Mai erreichen;
die Bahn dieses Meleoritenschwarmes hat eine Aehnlichkeit mit jener des
Kometen Halley.
7. Leuchtende Nachtwolken.
Diese merkwürdige Erscheinung ist, wie Herr O. Jesse im Februarheftt*
dieser Zeitschrift dargelegt hat, für unsere Breitengrade auf dio Monate Juni
und Juli beschränkt. Boi dem grofsen wissenschaftlichen Interesse, den dieses
Phänomen darbietet und in Hinsicht auf dessen bisher noch sehr mangelhafte
systematische Beobachtung ist die Mitwirkung aller Gebildeten bezüglich lleifsiger
Aufzeichnung und Beschreibung der Erscheinung erwünscht.2)
8. Nachrichten über Kometen.
Die Sichtbarkeitsverhältnisse des B arna rdschen Septemberkometen, die
in den letzten Monaten wogen des tiefen Standes desselben am Abendhimmel
für die Beobachtung nicht mehr günstig waren, beginnen sich jetzt insofern
zu verbessern, als der Komet nun am Morgonhimmel beobachtbar wird und an
Helligkeit wieder etwas zunimmt. Anfang Mai wird er nach 3 Uhr Morgens,
Anfang Juni schon bald nach Mitternacht aufgesucht werden können. Die
Lichthelligkeit steigt im Juli etwa auf das 2 1 , fache derjenigen, welche der
Komet bei seiner Entdeckung hatte. Im Mai steht das Gestirn in dem Stern-
bild der Fische und wird sich (vergl. die Karte S. 185 des Dezemberheftes) im
Juni und Juli nahe dem Aequator bewegen. Im weitern Verlauf des Sommers
nimmt der Komet, bei stets südlicher Bewegung, bald an Helligkeit ab.
Der Barnardsche Oktoberkomet im Sternbild des kleinen Löwen ent-
fernt sich gegenwärtig mehr und mehr von der Erde und dürfte uns bald ganz
entschwunden sein.
Am 31. März hat Barnard neuerdings einen Kometen, und zwar in der
Gegend zwischen dem Haupte des Orion und den Hörnern des Stiers aufge-
funden. Der Komet ist nach den ersten Beobachtungen aus Kopenhagen, Kiel
und Wien sehr klein und schwach. Aus den bis zum Schlufs dieses Heftes
vorliegenden, von einander noch sehr abweichenden Bahnelementen läfst sich
nur ersehen, dafs der Komet eine gegen das Sternbild dos Eridanus gerichtete
Bewegung besitzen wird und wahrscheinlich erst im Juli seine Sonnennähe
erreicht.
*) Die Beobachtungen sind während der Dämmorungezcit (Morgens und Abends, ungefähr
dann, wenn die Sonne »ich etwa IO Grad unter dem Horizonte belindot) vorzunehmen. Erwünscht
sind bei den Aufzeichnungen: Angabe der Beobaohtungszeit und der geographischen Position
des Beobachtungsortes. Beschreibung der Formen und Farben der leuchtenden Wolken, wenn
möglich, auch NoUrungen der Höhen der Hauptpunkte Uber dem Horizonte (mittelst Winkel-
instrumente) samt der zugehörigen Zeit Wichtig wäre die tägliche Verfolgung der Erscheinung
durch längere Zeiträume hindurch.
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497
J. L. Soret, Winkelmessondes Fernrohr. Arch. sc. phys. et nat. XXI. 1889 S. 21.
Iq vielen Fällen ist es sohr erwünscht, schnell Winkelbörsen messen
zu können; dies wird zwar von mehreren Instrumenten mit grofser Genauigkeit
geleistet, deren Gebrauch aber oft zu umständlich ist Der Theodolit ist un-
handlich und seine Aufstellung nicht überall möglich, der Sextant hat ein zu
kleines Gesichtsfeld, und ist nicht für alle Beobachtungen geeignet. Nament-
lich bei dem Studium der „Gegensonnen“ u. s. w. fehlt es häufig an einem so-
fort bequem zu handhabenden Instrument, das dennoch genügend genaue
Messungen gestattet. Besonders Für diese Zwecke hat Soret das gonio metrische
Fernrohr konstruirt, das etwa die Gestalt und Grösse eines Opernglases für
ein Augo hat. Statt des Objektivs ist ein sphärischos Glas von gleiehmäfsiger
Dicke eingesetzt, welches seine Krümmung nach aussen kehrt, und auf der
Oberfläche zwei sich rechtwinklig kreuzende Mafsstäbe trägt. Als Okular dient
eine halbe Linse, deren Schnittfläche mit einem der Mafsstäbe parallel liegt.
Durch die freie Hälfte des Okulars sieht man die Objekte, über ihr Bild legt
sich das durch die Halblinse der unteren Hälfte erzeugte Bild des Marsstabes,
wobei vorausgesetzt ist, dafs die Brennweite der Linse richtig eingestellt ist.
Es ist hiernach leicht, einen Winkel zu messen, indem man das Fernrohr so
dreht, dafs die beiden anvisirten Punkte auf den einen Mafsstab zu liegen kommen.
Das Gesichtsfeld beträgt etwa 40°, ist der Winkel bedeutend gröfser, so
mufs man ihn theileu, was durch einen wohl stets zu findenden vermittelnden
Punkt geschehen kann.
Nimmt man eine willkürliche Theilung des sphärischen Glases, z. B. in
Millimeter vor, so nimmt der Winkelwerth eines Theiles nach den Rändern
etwas zu, was durch die Krümmung des Glases bedingt ist, welche wiederum
dadurch nothwendig wird, dafs ohne dieselbe die vom Centrum entfernteren
Theilstriche undeutlich abgebildet würden. Uebersteigt diese Zunahme den
Fehler der Ablesung merklich, so mufs mit Hilfe eines anderweitig genau ge-
messenen Winkels, dessen Fixpunkte nach und nach durch die ganze Theilung
verschoben werden, der Werth der Thcilstricho bestimmt werden. Ebenso
wird natürlich durch Ausziehen resp. Einschieben des Okulars der Werth des
ganzen Mafsstabes geändert und würde auch diese Acndorung, wenn nüthig,
in derselben Weise festgestellt werden können. Soret fand bei dom von ihm
angewandten Instrumente diese Fehlerquellen innerhalb des wahrscheinlichen
Ablesungsfohlers von 7io°-
Man kann diesen korapendiösen Apparat auf zwei Arten benutzen, am
häufigsten wohl mit einem Auge, wobei die durchschnittene Okularlinse nöthig
ist; aber auch bei Anwendung beider Augen, indem das bewaffnete Auge die
Theilung abliest, das freie das ferne Objekt anvisirt und dasselbe mit dein Bilde
des Mafsstabes zur Koinzidenz bringt; bei einiger Hebung gelingt diese Ueber-
einanderlagerung der Bilder vollkommen. In diesem Falle mufs die Halblinse
durch eine ganze Linse von gleicher Brennweite ersetzt werden. Nicht mit
normalem Augo begabte Beobachter müssen das Okular ausserdem mit der
nöthigon Korrektionslinse versehen, resp. der für Fernsicht nothwendigen
Brille sich bedienen.
Der Apparat ist aufsor zur Messung von Nebelringeu, Qegensonncn, Ringen
um Sonne und Mond, auch zur Messung von Sonnenhöhen geeignet, und dürfte
ferner beim Entwerfen von Panoramen und für Aufnahmen von Architekturen
nützliche Dienste leisten. Dr. Wagner.
*
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E. Ca «pari, Cours d’ Astronomie pratique. 2 voL tan«. Gauthicr-
Villars, 188».
Die astronomische Literatur hat in Beziehung auf die Lösung der Auf-
gaben der praktischen Astronomie, also namentlich in Bezug auf Zeit- und
Ortsbestimmung, keinen Mangel an trefflichen Handbüchern. So ergänzen sich
die bekannten Werke von Brünn ov und Sawitsch*) in ausgezeichneter
Weise und finden, wenigstens in Deutschland, eifriges Studium bei allen jenen,
die den praktischen Problemen näher zu treten gezwungen sind. Die Bücher
von Chauvenet, Molde u. a. bilden weitere instruktive Führer in Fragen
über Details und bestimmter Bichtungen. Bei aller Reichhaltigkeit dieser Lite-
raturgattung kann indessen ein gutes Buch den Interessenten nur willkommen
sein. Eine Durchsicht des vorliegenden Werkes vonCaspari zeigt, dafs man
in einer Anleitung zur praktischen Astronomie trotz des schon Vorhandenen
immer noch ergänzend wirken und in einzelnen Thoilen Neues bieten kann.
Der ersto Thcil des Casparischen Buches enthält die Hauptlehren der
sphärischen Astronomie, die Theorie der Instrumente und der Chronometer.
In Beziehung auf die erateren beschränkt sich Caspari auf das Wesentlichste
und Nöthigste. In dem Kapitel über die Instrumente steht Caspari dom Werke
von Sawitsch, namentlich was die vielfältigen nützlichen Winke beim Gebrauch
der Instrumente anbelangt, nach; deutsche Astronomen werden besonders die
Abtheilung über das Universalinstrument vermissen, das bei Sawitsch eine so
ausführliche Behandlung erfahren hat. Dagegen bringt Caspari einen Abschnitt
über den Theodoliten (mit besonderer Darlegung der Korrektionen dieses In-
struments) und eine höchst Schützens werthe Abtheilung über astronomische
Uhren. Während Sawitsch betreffs der letzteren sich auf das Nothwendigste
über Aufstellung, Vergleichung der Uhren, Berechnung der Uhr-Korrektion für
eine gegebene Zeit, auf die Ursachon der Veränderlichkeit des Ganges der
Uhren, und auf die Berücksichtigung der Temperaturkorrektiou, insgesamt auf
14 Seiten beschränkt, nimmt Caspari 50 Seiten in Anspruch. Bei den Aus-
führungen über diesen Gegenstand stützt sich der Verfasser auf seine viel-
fältigen eigenen Untersuchungen. — Der zweite Tlieil des Buches umfafst die
Bestimmung der geogr. Breite, der Zeit und des Azimuthes; ferner die astro-
nomischen Methoden zur Bestimmung der LängendifTerenz der Meridiane.
Letzterem Kapitel sind nur 83 Seiten gewidmet; die entsprechende vollständige
Darstellung bei Sawitsch (264 Seiten), welche auch auf die speziellen Fragen
über die Finsternisse, Sternbedeckungen u. s. w. besonders eingeht, wird wohl
•) .Lehrbuch der sphärischen Astronomie* und .Abrifs der prakt. Astronomie*.
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499
von den Meisten vorgezogen werden. Das „livrc IV“ des zweiten Bandes
bringt als „applications pratiques* in zwei Kapiteln die Hauptaufgaben der
nautischen Astronomie und praktischen Schifffahrt und eine Darstellung der
Theorie der Beobachtungsfehler.
lieber die Ausführung der einzelnen Matcrion läfst sich nur Befriedi-
gendes sagen; Formeln hat der Verfasser nirgend mehr als zum sachlichen
VerstUndnirs nothwendig sind; wo es angeht, greift er auch (mit Rücksicht
auf seinen besonderen Leserkreis) zur graphischen Darstellung.
F. K. Ginzel.
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(Im Interesse der geehrten Fragesteller sei der Redaktion folgende Be-
merkung erlaubt: Da einerseits die Beantwortung einer Frage im Sprochsaal
nur dann im nächsten Hefte erfolgen kann, wenn letztere bis spätestens zur
Mitte des Monats in unseren Händen ist, und da wir es uns ferner wegen des
geringen für diese Abtheilung der Zeitschrift uns zur Verfügung stehenden
Raumes zum Prinzip gemacht haben, nur solche Antworten, welche für die
gesamte Lesorwelt von Interesse sein dürften, abzudrucken, so ergeht an alle
Fragesteller hiermit die Bitte, stets ihren vollen Namen und Adresse angebeu
zu wollen, damit uns eine direkte briefliche Antwort für alle Fälle ermöglicht
werde. Es ist durchaus falsch, sich irgend welcher Fragen auf einem wissen-
schaftlichen Gebiete zu schämen, in welchem man keine fachmännische Bildung
genossen hat. Im Gegentheil halten wir das Auftauchen von Fragen mancherlei
Art bei den Lesern für ein erfreuliches Zeichen eigenen Durchdenkens und
Verarbeitens des in sich Aufgenoramenen. Für den Fall einer Beantwortung
im Sprechsaal verspricht gleichwohl die Redaktion, gewünschten Falls stets
Diskretiou zu bewahren.)
P. S. 24. Bezüglich ihrer Anfrage in betreff der Verschiebungen der
Spektrallinien bei Bewegung der Lichtquelle theilen wir Ihnen mit, dofs Herr
Dr. Seheiner auf Seite 199 (im vierten Hefte) unserer Zeitschrift die thatsäch-
lichen Verhältnisse in voller Schärfe und Klarheit auseinandergesetzt hat. Sie
worden daraus ersehen, dafs Sie sich bei Ihrer bisherigen Auffassung, nach
welcher die dunklen Linien an ihrer festen Stelle verbleiben, während sich
das Farbenspoktrum dahinter verschiebe, im Irrthum befinden. Die dunkeln
Linien sind vielmehr das Einzige, woran wir im Spektrometer eine Verschiebung
bemerken und messen können, während das Spektrum unvorschoben und un-
verändert bleibt. Allerdings erleidet jede Farbe eine Veränderung der Schwiu-
gungszahl und goht dadurch in eine Nachbarfarbe über; aber Sie bedachten
nicht, dafs sie damit auch völlig an die Stelle jener anderen Farbe tritt, denn
Farbe und Brechbarkeit können sich nur gleichzeitig in ganz entsprechender
Weise verändern, so dafs einer Furbenändorung einer bestimmten Stelle auch
eine Veränderung der Ablenkung durch das Prisma entspricht. Da nun nach
einem physiologischen Gesetze unser Auge nur Strahlen als Licht empfinden
kann, deren Schwingungszahl innerhalb gewisser Grenzen liegt, so wird bei
der Verschiebung auf der einen Seite ein Thoil des Spektrums für uns unsicht-
bar, während auf der anderen Seito sich das Farbenband zu seiner früheren
Ausdehnung ergänzt. Das kontinuirliche Spektrum erscheint somit seiner Zu-
sammensetzung und auch seiner Lage nach völlig unverändert, verschoben da-
gegen sind seine Unterbrechungen, die Fraunhoforschen Linien, weil sie in
eine andere Farbe gerückt sind.
Verlag von Hermann Paetel in Berlin. — Druck von Wilhelm Qronau'a Buchdruckerei io Berlin.
Für die Redaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin.
Unberechtigter Nachdruck aua dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt.
Uebersetzungsrccht Vorbehalten.
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Prof Barnard, Astronom
der 1. ick- Sternwarte
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Die Lick-Stemwarte.
Vom Direktor derselben, Prof. Edward S. Holden.1)
(Schlufs.)
,oJfi)ie Kraft unseres grofsen Refraktors offenbart sich am deutlichsten
iTcy bei <*er Betrachtung von Nebelflecken. Die schwächeren Objekte
dieser Art enthüllen uns, wenn man sie unter unseren vortreff-
lichen atmosphärischen Bedingungen studirt, neue und unerwartete
Einzelheiten und die helleren Nebel zeigen eine so grosse Menge von
Details, dafs es völlig unmöglich ist, sie durch irgend welche Zeich-
nungen abzubilden. In der That haben wir kaum einen Nebel ge-
sehen, der nicht, so einfach er auch in anderen Fernrohren erscheinen
mag, eine für die Wiedergabe durch Feder oder Bleistift zu cotn-
plizirte Struktur gezeigt hätte. Für die physische Beschreibung
dieser wundervollen Objekte scheint allein das Verfahren anwendbar
zu sein, dar» man sie nebst den Sternen der nächsten Umgebung photo-
graphirt und dann als Ergänzung dieser autographischen Abbildung
beschreibende Noten hinzufügt, wie sie ein sorgfältiges Studium durch
das eigene Auge zu liefern vermag.
Unmöglich können wir mit Worten irgend welche Beschreibung
geben von dem Aussehen z. B. der grofsen Nebel im Orion und der
Andromeda, oder des Trifid-Nebels und anderer. Für die Be-
schreibung solch komplizirter Gebilde reicht unsere Sprache nicht
aus. Das neue schöne von Mr. Roberts angefertigte Photogramm
des Andromeda-Nebels2) zeigt vielleicht mehr Detail, als je mit
l) Aus dem englischen Originalmanuskript übersetzt von Dr. F. Koerber.
-) Dieses prächtige Photogramm ist im Februarheft der englischen Monats-
schrift .The Observatory“ reproduzirt.
Himmel und Erde. I. 9. 36
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502
irgend einem der in unserem Besitze befindlichen Okulare gesehen
werden könnte. Hin Kellnersches Okular von etwa 180 facher Ver-
gröfserung würde wahrscheinlich ein genügend grofses Gesichtsfeld
mit hinreichenden Kontrasten geben, um einen Augen-Kommenlar zu
dieser neuesten photographischen Errungenschaft zu ermöglichen.
Photographische Aufnahmen von Nebelflecken erfordern verhält-
nifsmiifsig lange Belichtungsdauer und wir sind bis jetzt noch nicht
im stände gewesen, das grofse Teleskop dieser speziellen Aufgabe zu
■widmen. In den Zwischenpausen zwischen anderen Arbeiten sind
jedoch schon viele von den wichtigeren Nebeln mit dem Auge sorg-
fältig studirt worden, wobei auch die Vertheilung der helleren und
lichtscliwächeren Partien, sowie die Lage der in den Nebeln vor-
kommenden Sterne durch Diagramme fixirt worden ist. Diese Dia-
gramme haben wir mit den von anderen Beobachtern, namentlich von
Wilhelm und John Herschel, Lord Rosse und Mr. Lasseil zu
verschiedenen Zeiten entworfenen und auch mit solchen, die ich selbst
am 15-zölligen Refraktor der Washburn-Stern warte und am 26-Zöller
auf der Marinesternwarte in Washington gezeichnet, verglichen. Auf
Grund dieser Prüfung und Vergleichung hat sich den Beobachtern
nach und nach eine eigenthümliohe Erkenntnifs aufgedrängt in Bezug
auf die Richtung, welche künftige Beobachtungen der Nebelflecke
werden eiuschlagen müssen.
Um diese Erkenntnifs auseinanderzusetzen, wollen wir die von
Wilhelm Herschel eingeführte ..Klasse" der planetarischen Nebel
betrachten. Diese Nebel wurden als eine besondere Klasso unter-
schieden, weil sie für gewöhnliche Fernrohre eine kreisrunde oder
elliptische Scheibe und überhaupt in gewissem Sinne ein planeten-
ähnliches Aussehen zeigen, obgleich in vielen Fällen entweder der
Umfang, oder die Mitte der Scheibe merklich heller ist, als die übrigen
Theile, und obgleich auch ferner vielfach ein Centralstern oder Kern
vorhanden ist, der diesen Nebeln eher ein kometarisches Aussehen
verleiht. Betrachtet man diese Gebilde mit kleineren sechs- bis acht-
zölligen Instrumenten, so erhält man immer mehr den Eindruck einer
allgemeinen Aehnlichkeit der verschiedenen Individuen dieser Klasse.
Ihr Name scheint gut gewählt, jedes gleicht den übrigen. Wendet
man jedoch immer gröfsere Oefihungen au, so geht diese Aehnlichkeit
immer mehr verloren, da neue Details durch die wachsende Kraft des
angewandten Fernrohrs entwickelt werden. Eine für ein sechszölliges
Fernrohr völlig undeutliche Zeichnung entfaltet sich oft klar im
Zwölfzöller, und dieses Aussehen scheint, zum Theil weil es unge-
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503
wohnlich ist, diesen einen Nebel von allen anderen zu scheiden und
ihn in eine besondere Klasse für sich zu rangiren. Ich hatte ver-
nmthet, dafs bei der Anwendung unseres grofsen Refraktors ein
ähnlicher Prozefs fortschreiten würde und dafs die grofse Zunahme
der Lichtstärke so viele Einzelheiten in den Strukturen der Nebel
enthüllen würde, dafs deren Diflerentiirung immer deutlicher werden
und sich schliefslich Herschels „Klasse" in eine Menge selbständiger
Individuen aufliisen würde.
Dies ist jedoch nicht der Fall und diese Wahrnehmung erscheint
mir von Wichtigkeit und grofsem Interesse. Es ist allerdings zweifellos
richtig, dafs jedes neue Objekt im grofsen Refraktor vielerlei neue
Details zeigt; und diese Einzelheiten sind oft so komplizirt, mannig-
faltig und wunderbar, dafs man gezwungen ist, den fraglichen Nebel
von vielen, ja von den meisten übrigen zu trennen, die Hörschel
früher mit ihm in eine Klasse stellte. Aber wir haben jetzt schon eine
genügende Zahl solcher Gebilde beobachtet, um doch Aehnlichkeiten
und Analogien in diesen neuen Gestaltungen aufzufinden, auf Grund
derer sio sich wahrscheinlich dennoch bis zu einem gewissen Grade
wieder zu neuen Gruppen werden vereinigen lassen.
Ein bestimmter Nebel, welcher einer Reihe anderer sehr ähnelt,
wenn man alle mit verhältnifsmäfsig geringen Oeffnungen betrachtet,
unterscheidet sich wesentlich von jedem einzelnen dieser Gruppe, wenn
wir ihn hier sehen. Der Unterschied rührt so zu sagen von gewissen
besonderen Anordnungen der nebligen Masse her. Wenn wir jetzt
aber einen zweiten Nebelfleck, der nicht zu jener ersten Gruppe ge-
hörte, einstellen, so finden wir diesen wieder völlig verschieden von
allen früher mit ihm zusammengestellten Nebeln und es unterscheiden
ihn oft genau dieselben eigenthümlichen Besonderheiten, welche uns
den erstbetrachtoten in eine von seinen früheren Genossen getrennte
Klasse setzen liefsen. Diese beiden Nebel werden daher von nun an
zusammengestellt werden müssen und wir haben jetzt einen neuen Ein-
theilungsgrund in den Analogien, welche erst die Kraft des grofsen
Refraktors enthüllt hat, der, wenigstens in vielen Fällen, im stände
zu sein scheint, das Gesetz erkennen zu lassen, nach welchem sich
die neuen Einzelheiten entwickelt haben. Es dürfte sonach that-
siichlich eine gewisse Anzahl von Nebeltypen existiren, deren einige
uns die gesteigerte optische Kraft jetzt vorläufig offenbart hat.
Beispielsweise scheinen der Ringnebel in der Leyer und der
Nebel No. 2017 in Herschels Generalkatalog (G. C. 2017) elliptische
Nebel vom gleichen Typus zu sein, obgleich der letztere sehr wahr-
36*
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504
scheinlich ganz bedeutend weiter von uns entfernt ist, wie sich aus
Lassells Beobachtungen auf Malta ergeben hat. Die Nebel 1 H. IV
Aquarii und G. C. 4964 ferner gleichen sich ungemein in ihren inneren
ovalen Ringen, welche sich bei beiden in ganz ähnlicher Weise vom
Mittelpunkte aus krümmen und mit einander verflechten. G. C. 4627
und G. C. 4572 zeigen ebenfalls eine aufsergewöhnliche Aehnlichkeit,
und im Grunde ist der letztere Nebel ein Miniaturbild des bekannten
Dumb-bell-Nebels. G. C. 600 und G. C. 604 endlich sind fast Kopien
von einander, und solcher Beispiele liefsen sich noch viele anführen.
Unter all diesen Gruppen, die nicht umfassend genug sind, um beson-
dere Namen zu verdienen, welche aber doch thatsächlich wahre Typen
zu reprüsentiren scheinen, giebt es eine, die wir für eine neue, beson-
dere Klasse halten. Wir haben für diese Klasse bis jetzt allerdings
erst einen Repräsentanten gefunden, nämlich 37 H. IV Draconis, indessen
mehrere der oben genannten Nebelflecke ähneln ihm in hohem Mafse.
Die beiden Herschel haben den Grund zur Erkenntnifs der
Nebelflecke gelegt. Sie waren nicht blofs emsige Beobachter auf
diesem vor ihnen fast ganz vernachlässigten Gebiete (jeder hat etwa
2000 neue Nebel entdeckt), sondern sie dachten auch tief über die
Natur dieser fremdartigen Weltkörper nach, sie suchten eifrigst
irgend einen leitenden Gedanken zur sicheren Grundlage der Klassi-
fikation, um so auch eine Ahnung von den Gesetzen ihrer Struktur
zu gewinnen. Den Namen „planetarische Nebel“ verdanken wir dem
älteren Herschel, der 79 Nebelflecke zu dieser Klasse zählte.
John Herschel (der jüngere) versuchte dann in seinem grofsen
Werke über die Nebelflecke (gedruckt 1833) eine Stufenfolge von Über-
gängen nachzuweisen, indem er in Abbildungen zunächst eine gleich-
förmig helle, planetarische oder kometarische Scheibe zeigt, dann ein
allmähliches Anwachsen der centralen Helligkeit, bis Nebel mit deut-
lichem centralem Kern erreicht sind. Nun konnte er wieder andere
Objekte der gleichen Reihe aussondern, bei denen der Kern sich heller
und heller gestaltet, bis schliefslich vollends der Typus erreicht wurde,
wo der neblige Kern zu einem wirklichen Stern geworden ist, der
Typus der Nebelsteme. Aus der ungeheuren Zahl von Nebeln, die
den beiden Herschel bekannt waren, war er im stände, eine Anzahl aus-
zuwählen, die sich völlig den eben geschilderten Zeichnungen anschlofs.
Eben so leicht war es auch möglich, eine andere Reihe von
Nebeln auszusondern, welche mit derselben schwachen, koraetarischen
Scheibe anhebt, bei der aber jedes weitere Beispiel einem anderen
deutlichen Typus einen Schritt näher kommt, dessen charakteristische
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505
Eigenschaft durch die nach dem Umfango zunehmende Helligkeit bei
dunkler Mitte gegeben ist. den Ring-Nebeln. Der Nebel in der Leyer
ist das beste Beispiel für diese Gattung. Diese Art von planetarischen
Nebeln ist gewöhnlich nicht kreisrund, sondern elliptisch; aber es ist
sicher, dafs sie durch Centralkräfte gebildet wurden und zwar durch
nach dem Mittelpunkte hin gerichtete. Die kugelförmigen Stern-
haufen zeigen ein ähnliches Gesetz. Die Begründung der Annahme
von Centralkräften bei der Bildung der in Rede stehenden Nebel wird
noch sehr unterstützt, wenn man nicht lediglich die Vertheilung des
Nebelstoffes, sondern auch die Stellung der gewöhnlich zu ihnen ge-
hörigen Sterne berücksichtigt. Diese Storno finden sich meist an kriti-
schen Punkten, z. B. an den Enden der Axeu, rings an dem inneren
Ringrande vertheilt, umgeben von helleren Nebelbüscheln, u. s. w.
I H. IV Aquarli. Diagramm von G. C. 457a. 37 H. IV Draconis.
Die beiden Ilers eitel konnten in ihrer Klassifizirung kaum
weiter gehen, als bis zu diesem Punkte, da es damals erst wenige
genaue Zeichnungen gab. Ein sehr dankbares Forschungsfeld wird
aber jetzt eröffnet durch die herrlichen Erfolge der Nebelphotographie,
welche Common, von Gothard und Roberts errungen haben.
Sicherlich wird eine Neuordnung, die sich auf die jetzt gewonnenen
Daten stützt, zu neuen Einsichten in die Gesetze führen, nach denen
sich die Nebelflecke entwickelt haben. Die Entdeckung der Spiralnebel
durch Lord Rosse war ein grofser Schritt vorwärts und ist der
Schlüssel zu vielen fremdartigen Erscheinungen geworden.
Vermuthlich ist einer der von uns beobachteten Nebelflecke von
noch komplizirterem Gefüge, sofern dieses Objekt (37 II. IV Draconis) dem
Auge nicht blofs als ebene Spirale, sondern als dreidimensionale Schrau-
benlinie erscheint. Die Frage nach der wirklichen Anordnung der
einzelnen Nebeltheile im Raume ist zwar nur schwer definitiv zu be-
antworten, aber das blofse Aussehen dieses Nebels beweist, dafs er eine
wichtige Ergänzung zu den uns schon bekannten Klassen liefert.
Wie schon oben hervorgehoben, haben wir bei fast jedem auf
der Lick-Sternwarte beobachteten Nebel eine Menge neuer Detail-
zeiebnung gefunden, welche ihn völlig von den bei Herschel mit
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506
ihm vereinigten Nebeln absondert. Gleichwohl erheischen diese spe-
zifischen Verschiedenheiten nicht den Schlufs, dafs darum jedes dieser
Objekte in eine besondere Unterklasse gesetzt werden müfste. Die
Analogien, welche diese neuerdings gesehenen spezifischen Unter-
schiede erkennen lassen, berechtigen vielmehr zu der Annahme, dafs
eine verhiiltnifsmäfsig kleine Anzahl ueuor Unterklassen genügen
wird. Jede solche Unterklasse mufs umfassend genug sein, um alle
diejenigen Nebel in sich zu schließen, welche wesentliche, spezifische
Aehnlichkeiteu darbieten, und andererseits genügend begrenzt, um
solche Nebel auszuschliefsen, deren Einzelheiten eine andere Struktur
verrathen. Obgleich wir während der wenigen, kurzen Monate, die
seit der Vollendung unserer Sternwarte verflossen, noch nicht im
stände gewesen sind, eine ausgedehnte Nebeldurchmusterung vorzu-
nehmen, so glauben wir doch genug gesehen zu haben, um behaupten
zu können, dafe die Anzahl solcher Unterklassen wahrscheinlich eine
kleine ist. Fiir fast jede Form, sei sie auch noch so bizarr, läfst sich
ein anderer Nebel finden, der die gleiche oder doch eine sehr ähn-
liche Zeichnung bositzt.
Wie es scheint, sind die planetarischen Nebel gerade in ihren
Einzelheiten nach bestimmten Typen gebaut, deren Zahl eine geringe
ist Jeder dieser Typen läfst deutlich die Wirkung centraler Kräfte
erkennen. Sind alle diese Centralkräfte dieselben? Sind sie in Wahr-
heit nur verschiedene Manifestationen der einen Urkraft, die wir Gra-
vitation nennen? Oder giebt es vielleicht im Gegentheil mehrere, ja
viele Arten von Centralkräften, die im Weltraum wirken? Auf welchem
von diesen zwei Wegen sollen wir eine Erklärung des allgemeinen
Vorkommens typischer Formen bei den Nebelflecken suchen?
Schon die Thatsache allein, dafs wir jetzt unmittelbar vor solche
Probleme gestellt werden, bedeutet nach meiner Ansicht einen wich-
tigen Schritt vorwärts auf diesem Zweige der Astronomie. Unmöglich
können wir wissen, ob solche Fragen, wie diese, schon heut oder
morgen ihre Beantwortung finden werden, aber ich glaube doch,
dafs uns sicherlich die verhiiltnifsmäfsig wenigen Beobachtungen, welche
bis jetzt auf der Lick-Sternwarte angestellt wurden, in den Stand ge-
setzt haben, die Fragen wenigstens mit einer bisher völlig unerreich-
baren Bestimmtheit zu formuliren. Wir können heut unseren Blick
schon hinausschweifen lassen in Zeiten, da man die so komplizirten
Strukturen des Orion-, Omega- oder des Trifid-Nebels wird erklären
können. Freilich wird dies nicht eher möglich sein, als bis wir erst
die einfacheren Formen völlig verstehen. Gewifs ist es nicht über-
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trieben zu hoffen, dafs die planetarischen Nebel eines Tages den
Schlüssel zu diesen Geheimnissen liefern werden.
Der überaus klare Ilimmel auf Mt. Hamilton hat es Herrn Barnard
erlaubt, die Beobachtungen schwacher Kometen noch weit länger fort-
zusetzeu, als es irgendwo anders möglich war. So datirt z. B. die letzte
uns bekannt gewordene auswärtige Beobachtung des Olbersschen
Kometen vom 15. März 1888, während Herr Barnard denselben
noch am 6. Juli desselben Jahres zum letzten Mal beobachtete. Fayes
Komet wird noch gegenwärtig (28. Januar 1889) beständig verfolgt,
während er, so viel ich weifs, sonst vom August bis Dezember nir-
gends beobachtet worden ist. Ferner sind hier zwei Kometen von
Herrn Barnard entdeckt worden, und zwar am 2. September und
JO. Oktober vergangenen Jahres.
Täglich wird zu Mittag von der Normaluhr unserer Sternwarte
aus ein Zeitsignal nach allen Eisenbahnlinien der pacifischen Staaten
abgegeben, nördlich bis Portland Oregon und in östlicher Richtung
bis El Paso und Ogden in Utah. Auf diese Weise wird unsere Nor-
malzeit über mehrere Tausend Meilen Schienenweg verbreitet. Ganz
besonders nützlich erwies sich dieser Zeitdienst bei der Sonnenfmster-
nifs am 1. Januar 1889.
Die geographische Lage unseres Observatoriums ist von den
Offizieren der „U. S. Coast and Geodetik Survey* durch Visirung von
mehreren ihrer in der Umgehung liegenden geodätischen Stationen aus
bestimmt worden, und aufserdem auch mittelst telegraphischer Längen-
bestimmung im vorigen Sommer. Die Breite ihrer Station haben die
genannten Offiziere nach Talcotts Methode ermittelt. Diese Bestimmung
soll jedoch noch mit unserem eigenen Zenithfemrohr wiederholt werden,
und die Breite wird dann auch im ersten Vertikal und mit dem Me-
ridiankreis ermittelt werden. Die Intensität der Schwere ist von Offi-
zieren der „Coast Survey“- bestimmt worden, und Studenten der Uni-
versität von Kalifornien haben zwei Nivellements von San Jose bis
zum Gipfel unseres Berges ausgeführt.
Zu einer meteorologischen Station war unsere Sternwarte ur-
sprünglich nicht bestimmt. Ihre exceptionelle Lage legt uns aber doch
die Pflicht auf, eine regelmäfsige Reihe meteorologischer Beobachtungen
anzustellen und werden die Instrumente täglich um 7 l'hr Vm., 2 Uhr
Nm. und 9 Uhr Ab. abgelesen. — Die Konstanten der Meridianinstrumente
sind öfter gestört worden durch leichte Erdbeben, wie sie in Kalifor-
nien häufig sind. Ich habe darum einen Satz von Seismometern nach
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Ewings System aufgestellt, welche alle Erschütterungen aufzeichnen.
In Verbindung mit dieser Einrichtung hat eine Anzahl von wissen-
schaftlichen Liebhabern in Kalifornien und Nevada ebensolche Instru-
mente erworben und aufgestellt, deren Angaben uns regelmäfsig mit-
getheilt werden. Hierdurch leistet sonach unsere Sternwarte auch der
seismometrischen Forschung einen Dienst. — Unser Ehrgeiz hat darin be-
standen, durchaus alles zu erstreben, was bis jetzt überhaupt erreicht
worden ist, und dabei den Sinn des trefflichen Ausspruchs des seeligen
Argeiander zu erfüllen, dafs das Erreichbare in der Astronomie gar
oft verfehlt worden ist infolge falsch geleiteter Strebungen nach dem
Unerreichbaren.
In dieser voranstehenden kurzen übersieht über die Arbeiten
der Lick-Sternwarte konnte ich nur über einige wichtige Beobachtungs-
reihen berichten. Es möge aber auch noch daran erinnert werden,
dafs bis jetzt unsere Arbeit häufig unterbrochen worden ist durch die
Anwesenheit von Mechanikern, welche mit der Vervollständigung
unserer Ausrüstung beschäftigt waren, ferner durch die Nothwendig-
keit, die Pläne hierfür auszusinnen und endlich durch die wichtige
Fürsorge für die IlerbeischafTung von Lebensmitteln und Materialien
in die Vorrathskammern für den kommenden Winter. In mehrere
wichtige Arbeitsfelder, wie die Sternphotographie und Spektroskopie,
sind wir bis jetzt noch kaum eingetreten, obgleich wir beabsichtigen,
diese Arbeiten in der nächsten Zukunft ernstlich aufzunehmen.
Aus allem Obigen ist ersichtlich, dafs die Stiftung des Mr. Lick
der Welt ein astronomisches Institut allerersten Hanges geschenkt
hat, das mit Instrumenten von höchster Vollendung ausgerüstet und
in einer ausnahmsweise günstigen Lage gelegen ist
Unter der Voraussetzung von Intelligenz und Pflichttreue auf
Seiten der Beobachter, denen diese herrlichen Instrumente anvertrant
worden sind, ist man berechtigt, von diesem neuesten Zuwachs der
Familie der Riesenfernrohre wesentliche Förderung der astronomischen
Wissenschaft zu erwarten.
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Die norwegische Nordmeer-Expedition.
Von Prof. Dr. li. Mohn,
Direktor des Norwegischen Meteorologischen Instituts ln Christiania. •)
.o (Fortsetzung.)
«-olSJaeh dem im vorigen Hefte geschilderten ersten uud letzten Be-
;Tj suche auf Jan Mayen begann der nächste Tag ruhig; als wir
aber um die Mittagszeit ins Boot steigen wollten, um ans Land
zu fahren, erhob sich ein Nordwestwind, der so viel See gegen das
Ufer setzte, dafs sich eine Landbesteigung nicht ohne Gefahr unter-
nehmen liofs. Wir lichteten daher die Anker und dampften nord-
wärts. um die andere Seite der Insel zu erreichen. Während des ersten
Theiles der Tour zeigte sich der Beerenberg in kurzen Zwischen-
räumen durch vorüberziehende Wolkenmassen, Es war ein erhabener
Anblick, der jeder Beschreibung spottet. Das riesenhafte Gebirge mit
seinen reinen, weifsen Schneemassen schien in der Luft zu schweben
in erhabener Majestät, hoch und hehr, wie eine Offenbarung der reinen
Wahrheit — ein Augenblick und der Vorhang wurde wieder vorgezogen;
nur das Unterland blieb während unserer Rundfahrt um die Insel sichtbar.
Unterwegs wurden beständig Messungen mit dein Kompass und Sex-
tanten zu Bestimmungen für die Kartenaufnahme der Insel angestellt
und Skizzen von der Kiiste aufgenommen.
Drei grofso Gletscher, welche in früheren Beschreibungen nicht
erwähnt und in älteren Karten nicht aufgefuhrt sind, wurden auf der
Nordseite der Insel entdeckt. Sic kamen vom Beerenberg herunter
und gingen alle mit einer hohen, steilen, zerklüfteten Wand gerade
ins Meer. Die fünf jähen Gletscher auf der Ostseite wurden in die
Karte eingezeichnet, die Eierinsel passirt und spät am Abend, aufser-
halb der grofsen Südlagune, in der Treibholzbucht geankert.
■) Aus dem norwegischen Original -Manuskripte übersetzt von F. S.
Archonhold und revidirt vom Verfasser.
Ti 10
Am folgenden Tage trat die Sonne hervor, doch nur auf kurze
Augenblicke, und der Nebel verhüllte fast ununterbrochen den Horizont
Die Wellen, welche von Osten gegen den Strand anrollten, liefsen
einen Versuch zur Landbesteigung wenig rathsam erscheinen. Die
Sonne mufste deshalb vom Schiffe aus beobachtet werden. Vier Be-
obachter und drei Sextanten waren in voller Thätigkeit, um die Sonnen-
höhen in den kurzen Augenblicken, in denen sowohl die Sonne wie
der Horizont sichtbar waren, aufzunohmen. Die Berechnung dieser
Beobachtungen liefs uns den Grund erkennen, weshalb wir früher so
weit nach Westen segeln mufsten, um Jan Mayen zu finden. Die
Insel lag nämlich auf den alten Karten ganze 10 Seemeilen weiter
nach Osten als in Wirklichkeit. Nachmittags ruderten wir in zwei
Booten, um dio Landesersteigung zu versuchen. Aber leider gingen
die Wellen zu hoch. Man konnte wohl ans Land kommen, aber nicht
ohne durchnäfste Kleider, und ein solches Bad bei einer Lufttemperatur
von 5 Grad schien nicht gerade rathsam. Wir ruderten dann nach
der Eierinsel. Hier sahen wir, wie lose die Asche lag, aus welcher
der Krater der Eierinsel gebildet war; Bergsturz auf Bergsturz schofs
die schroffen Wändo hinunter. Ein Schufs scheuchte einen ganzen
Vogelschwarm auf; wir machten aber die Beobachtung, dafs Jan
Mayens Vogelberge sich nicht an Vogelreichthum mit den norwegischen
messen können. Durch Messungen mit dem Sextanten bestimmten
wir die Lage unseres Ankerplatzes in Beziehung zum Vogelberg,
dessen Spitze sich über der Landzunge zeigte. Die so gefundene Breite
und Länge des Vogelberges erwiesen sich später nach den genauen
astronomischen Beobachtungen der Oesterreicher bis auf einige
wenige Sekunden richtig.
Auch am folgenden Tag bot sich uns keine Gelegenheit ans
Land zu kommen. Wir lichteten die Anker und rückten gegen Süden
vor. Interessante Beute belohnte unsere Lothungen und Arbeiten mit
dem Schleppnetz. An diesem Tage hatten wir die grofse Freude, den
Beerenberg ganz klar vom Fufs bis zur Spitze zu sehen und zwar
viele Stunden hintereinander. Unser Bild*) ist nach Messungen ge-
zeichnet, die ich von einer unserer Lothstationen aus gemacht habe,
und giebt die richtigen Böschungen. Draufsen auf der See trafen
uns die heftigen Wirbelwinde, von denen Scoresby spricht. Die Ge-
schwindigkeit des Windes stieg bis auf 15 m in der Sekunde. In den
Böen sahen wir die Eierinsel rauchen, in Staub gehüllt, so dafs das Ganze
•j Siche Heft 8, Seite 4.">9.
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511
das Aussehen eines vulkanischen Ausbruches hatte, aber nach unsern,
Tags zuvor an Ort und Stelle gemachten Beobachtunyen wussten wir, dafe
es das Hutschen der losen, feinen Asche war, die der Wirbelwind in
die Höhe führte. L)er Abend fand uns in der Treibholzbucht vor Anker.
Ara folgenden Tage, am 2. August, lichteten wir wieder die
Anker und dampften nordwärts, um Lothungen vorzunehmen. Schon
in einem Abstand von l'/a Meilen von der Xordspilzo von Jan Mayen
fanden wir eine Tiefe von 1000 m. Das bewies, dafs die Böschung
SUdwcst-Cap auf Jan Mayen und die sieben Klippen.
des Beerenberyes gegen Nordost sich unter der Meeresoberfläche mit
derselben Senkung fortsetzt, wie zwischen dieser und dem obersten
Aschenkegel. Da die Höhe des Beerenberges, nach den Bestimmungen
der Oesterreicher, 2545 m beträgt — beinahe ebenso viel wie die
der höchsten norwegischen Gebirge — so hat hier, auf der äufsersten
Ecke gegen Nordost, die vulkanische Thätigkeit einen Kegel von
rund 4460 m Höhe von dem Meeresboden ab gerechnet, aufgebaut.
Und jetzt ist dieser Kegel, der einen Krater von 1330 m Breite trägt,
mit einem Mantel von Schnee und Eis bedeckt, der über 1800 m vom
Gipfel herabragt — in Wahrheit, ein prachtvolles Monument.
Inzwischen hatte der Nebel Jan Mayen wieder für unsere Blicke
verhüllt, so dafs wir den Beerenberg von der Nordseite aus, wo
sein Krater offen ist, leider nicht sehen konnten. Wir steuerten gegen
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Nordwest, lotheten bis 2000 ra, erblickten kein Eis, batten in der Luft
iles Nachts beinahe 0° und kehrten zu Jan Mayens Nordküste zurück;
sahen aber nur wenig bei dem anhaltenden Nebel. Am andern Tage
Vormittags dampften wir die Westküste entlang; das Letzte, was wir
von der Insel sahen, war ihre Südspitze mit den interessanten Kratern,
den sieben Klippen und dem Südwestkap mit seinem Thor, durch
welches die See geht.
Am folgenden Tage konnten wir feststellen, dafs zwischen dem
vulkanischen Island und dem vulkanischen Jan Mayen keine unter-
seeische Brücke vorhanden ist, aber eine Kinne von über 2000 m
Partie von der Lofot-Wand. Vaagkallen.
Tiefe. Auf der Heimreise nach Norwegen fanden wir unsere gröfste
Tiefe, 3667 m, im Südosten von Jan Mayen. Unser Eintritt in die
norwegischen Scheeren geschah durch den berüchtigten Malstrom, der
jedoch bei weitem nicht seinem früheren Kufe entsprach ; am 10. August
Morgens hatten wir ihn passirL Nach einigen Untersuchungen im
Westfjord, bei denen ich dus Bild von der Lofotenwand zeichnete,
gingen wir nach Bodü und von dort zum Skjerstafjord, der durch den
noch berühmteren Strom Nordlands, den Saltstrom, ausmündet. Aber
auch dieser zeigte sich nicht in seiner ungestümen Phase. Ara 23. August
ankerte , Vüringen“ in Bergen.
Während des letzten Sommers, den die Expedition auf Reisen
zubrachte, 1878, wurden noch mehr Arbeiten als in den vorher-
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gehenden ausgefiihrt. Es konnte systematischer als früher gearbeitet
werden. Die Theile des Nordmeeres, in denen wir 1878 arbeiteten, waren
theilweiso schon früher aufgelothet, namentlich von den schwedischen
Expeditionen. Mit dieser Vorkenntnifs der Tiefen und unsern vorjährigen
Erfahrungen über die zum Lothen und Schleppnetzarbeiten für ver-
schiedene Tiefen nöthige Zeit, konnte ich eine vollständige Route für
die drei im Jahre 1878 zu machenden Touren aufstellen. Diese Route
hielten wir beinahe auf den Tag ein. Stürmisches Wetter machte
allerdings theilweise Veränderungen, Aufschiebungen und Auslassungen
nothwendig. Ein wesentliches Moment zur stetigen Förderung unserer
Arbeiten war der Umstand, dafs wir während 3 Monaten die Sonne
Tag und Nacht über dem Horizont hatten.
Am 15. Juni verliefs „Vöringen“ Bergen. Am 19. wurde eine
Temperaturreihe im Westfjord, an der tiefsten Stolle, aufgenommen.
Hierbei wurden die neuen Tiefwasser-Thermometer von Negretti und
Zambra geprüft, die später fast ausschliefslioh zu diesem Zwecke
benutzt wurden. Am 20. passirten wir Trorasö, wo ein alter Eismeer-
fahrer als Lootse an Bord genommen wurde. Am 21. wurde im
Altenfjord gearbeitet, und am 22. erreichte die Expedition Hammerfest.
Nachdem im Porsangerljord und im Tanaljord Lothungen ausge-
führt und Baggerungen gemacht waren, kam die Expedition am 25.
Abends bis Vardü. Hier wurden am nächsten Tage astronomische
und magnetische Beobachtungen gemacht. Die ersteren haben mich
zu einer genauen Bestimmung der Breite und Länge des Ortes geführt,
wo der österreichische Astronom Pater Hell den Venusvorübergang
vor der Sonnenscheibe am 3. Juni 1769 beobachtet hat, eine Beob-
achtung von hervorragender Bedeutung für die Bestimmung des Ab-
standes der Erde von der Sonne.
Morgens am 27. Juni verliefsen wir Vardü und begannen unsere
Untersuchungen auf dem Meere. Der Weg ging zuerst nordöstlich, aber
schon in der nächsten Nacht erhob sich ein gewaltiger Sturm, der
unseren Tiefseearbeiten ein Ende bereitete und uns zwang, mit dem
Bug gegen die See unthätig zu liegen. Nach Verlauf von 24 Stunden
konnten jedoch die Arbeiten wieder aufgenommen werden, indem
wir erst nördlich und dann westlich gingen. Wir fanden 0° am
Meeresboden und hatten inzwischen Schneeregen. Als wir uns
dem Beeren -Eiland näherten, kam Treibeis in Sicht. Am 4. Juli
Morgens waren wir an der Südostseite der genannten Insel angelangt.
Das Wetter war ausgezeichnet geworden, das Meer ruhig und die
Luft ganz klar. Die Nebel, welche Morgens über Beeren-Eilands
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r, 14
Felsgipfel lagerten, schwanden nach und nach vor den Strahlen der
Sonne. Somit stand einem Hundgang auf der Insel nichts im Wege.
Zu einer Untersuchung der Insel in wissenschaftlichem Sinne hatte
unsere langsame Fahrt durch das Barentz-Meer keine Zeit übrig
gelassen. Es war inzwischen eine andere That, die wir nicht unter-
lassen wollten, auszuführen, nämlich eine Post an die holländische
Polarexpedition zu Überbringern Diese Expedition, welche mit dein
Segelschooner .Willem Barentz“ nach Jan Mayen, Spitzbergen und
Nowaja Setnlja reisen sollte, wollte auf der Heise zu dem letztge-
nannten Land in Beeren-Eiland anlaufen und hier Briefe und Bot-
schaft niederlegen. An die Theilnehmer derselben waren eine Menge
Briefe und Zeitungen durch unsere Offiziere von Holland nach Bergen
gesandt, und diese Post wollten wir nach Beeren-Eiland ans Land
bringen. Die Postsachen wurden in einen Blechkasten gelegt, der,
zugelöthet, in einen starken hölzernen Kasten mit der Aufschrift
.Willem Barentz“ versenkt wurde. Von dem holländischen Konsul
in Bergen war uns die Stelle angegeben, wo die Holländer ihre Post
niederlegen wollten. Diese Stelle fanden wir bald. Wir warfen
draufsen auf dem Meere Anker und ruderten in zwei Booten ans
Land. Die Post wurde in eine Vertiefung gelegt, zugedeckt, und die
Stelle durch eine Flagge bezeichnet, deren Stange die Inschrift trug
.Vöringen an Willem Barentz“. Die Stelle lag auf der südöstlichen
Seite der Insel, dicht bei einem dort stehenden, sehr verfallenen Haus,
Hussenhaus genannt, in welchem früher einmal eine Partie Russen
überwintert haben. Wir erreichten die Stelle, indem wir durch ein
Felsthor ruderten, das von Kordenskjöld, der diesen Ort 1868 besucht
hatte, Bürgermeisterlhor benannt wurde nach den vielen Bürger-
meistermüven, die hier ihre Brutplätze haben. Ich unternahm eine
kurze Wanderung über die Insel. Der Boden bestand aus lauter ver-
wittertem Gestein, einer reinen Verwitterungshaut, die dem niedrigen
Land in der Feme ein ganz .grau-kahles“ Aussehen gab. Der südöstliche
Theil von Beeren-Eiland trägt zwei ziemlich hohe Berge, von welchen
der östliche „Mont Misery“ oder „Berg des Elends“ genannt, nach
meinen Messungen seinen Gipfel 544 m über Meer erhebt. Mit einer
Ausbeute an Seevögeln und Stein -Handstücken kehrten wir an Bord
zurück, um Nachmittags die Anker zu lichten und unsere Tiefsee-
untersuchungen auf der Strecke zwischen Beeren-Eiland und Xordkap
fortzusetzen.
(Fortsetzung folgt.)
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Neuere Theorieen der Luft- und Gewitter -Elektricität.
Von Professor 1„ Sohnckc in Miiiielicn.
(Fortsetzung)
Wetrachten wir zunächst rückblickend noch einmal, was bisher ge-
wonnen ist. Durch die mitgetheilten Versuche, welche sich sämt-
lich auf hochverdünnte Luft beziehen, ist erwiesen, dafs solche
Luft, wenn sie von "((eigneten Strahlen (z. B. des elektrischen Funkens |
getroffen wird, scheinbar elektrisches Leitungsvermögen erlangt. Dafs
letzterer Vorgang als ein elektrolytischer aufzufassen sei, ist indefs
nur eine Ansicht, welche bisher nicht bewiesen ist und von vorne-
herein auch keine besondere Wahrscheinlichkeit für sich hat. Aufser
anderen Gründen sprechen gegen diese Ansicht, wie die Herren
E. Wiedemann und Ebert hervorheben, z. B. auch gewisse, hier
nicht näher zu beschreibende Spektralerscheinungen, welche von
G ei fsl ersehen, mit Quecksilbcrhaloiden erfüllten Rühren beim Strotn-
durchgange dargeboten werden.
In den bisher betrachteten Versuchen erscheint der Vorgang
zunächst als wahre Elektrizitätsleitung. Aber es wird sich zeigen,
dafs diese Vorstellung nicht festgehalten werden kann, sondern einer
anderen Auffassung weichen mufs. Das erhellt namentlich aus der
grofsen Zahl von Versuchen, welche bei gewöhnlichem Atmo-
sphärendruck angestellt worden sind. Dieselben gewähren über-
haupt eine wesentliche Vervollständigung und Berichtigung unserer
bisher gewonnenen Anschauungen, und das um so mehr, als die Ver-
suche in hochverdünnter Luft ja doch keine unmittelbare Anwendung
auf die elektrischen Vorgänge in der freien Atmosphäre zulassen.
An erster Stelle nimmt hier folgende Ilertzsche Entdeckung un-
sere Aufmerksamkeit in Anspruch. Wenn zwischen zwei kleinen Ku-
geln, die mit den Polen eines Induktionsapparats leitend verbunden
sind, während der Apparat im Gange ist, Funken überspringen, und
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wenn man nun die Funkenstrecke vergröfsert, bis der Funkenüber-
gang eben aufhört, so treten die Funken regelmässig wieder
auf, so oft die Funkenstrecke von den Strahlen getroffen
w ird, die ein andere r elektrische r Funke aussendet. Ilr. Hertz
hat den strengen Beweis geführt, dafs hier keine elektrische Einwir-
kung vorliegt, sondern dafs die Erscheinung lediglich der Bestrahlung
zugeschrieben werden mufs, denn einen fast ebenso fördernden Ein-
flufs auf den Funkenübergang, wie ihn ein elektrischer Funke ansübt,
bethätigte u. A. auch Magnesiumlicht, in schwächerem Grade Drummond-
sches Kalklicht, Kerzenlicht, die Heizflamme eines Bunsenschen Bren-
ners, während glühender Xatriumdampf und einige andere Lichtquellen
ganz einllufslos blieben. Am stärksten wirkten die Strahlen einer
elektrischen Bogenlampe.
Aus der verschiedenen Stärke des Einflusses verschiedener Licht-
quellen folgt schon, dafs nicht allen Arten von Strahlen diese Wirkung
zukommt. Denselben Schlufs zieht man aus der Thatsache, dafs die
wirkenden Strahlen durch verschiedene Substanzen eine sehr verschie-
dene Absorption erleiden. Ganz undurchlässig zeigten sich Metalle,
Glas, Glimmer; vorzüglich durchlässig dagegen Quarz, Gyps, auch
Wasser. Durch Zerlegung des von einer wirksamen Lichtquelle aus-
gesandten Lichts in sein Spektrum ermittelte Herr Hertz,") dafs die
w irksamen Strah len weit jenseits des sichtbaren Spektral-
bereichs an der äufsersten Grenze des bisher bekannten
Spektrums im Ultraviolett liegen.
Am wichtigsten für unsere Untersuchung ist nun aber die Beob-
achtung, dafs keineswegs die ganze Bahn des Funkens dieser Einwir-
kung unterliegt. Beschattet man die ganze zu beeinflussende Funkeu-
strecke mit Ausnahme der Stellen der Kugeln, welche den Ausgangs-
oder Endpunkt der Funken bilden, so beeinträchtigt das die Wirkung
gar nicht; die ankommenden Strahlen befördern das Zustandekommen
der Induktionsfunken ebenso, als hätten sie die ganze Funkenbahn ge-
troffen. Aber die Beschattung der Kathode, d. h. der Austrittsstelle
an der negativen Kugel, hebt die fördernde Wirkung auf. Ob die
Wirkung ausschliefstich oder nur zum gröfsten Theil an der Kathode
stattfindet, hat Herr Hertz noch unausgemacht gelassen. Hier treten
aber Beobachtungen der Herren E. AViedemann und Ebert ein,
welche zeigen, dafs Bestrahlung der positiven Elektrode sowohl, als
•) H. Hertz: Ueber einen Ein flu Th des ultravioletten Lichts auf die elek-
trische Entladung. Wicdemanus Annalen d. Phys. und Chemie. 31. 1887. S. 1183.
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der ganzen freien Funkenstrecke ohne jeden Einflufs ist, wenn man
nur dafür gesorgt hat, dafs ja kein Reflex die Kathode trifft Das
wurde bewiesen nicht nur für Luft von gewöhnlichem Druck, sondern
auch für verdünnte Luft bis zu sehr niedrigen Drucken abwärts. Eine
der Versuchsanordnungen, deren sich diese Forscher bei ihren äufsorst
vielseitigen und inhaltreichen Untersuchungen bedienten, bestand darin,
dafs der von einer Influenzmaschine gelieferte Strom durch eine Geifsler-
sche Röhre und darauf durch ein besonders konstruirtes Telephon ge-
sandt wurde. Die Geifslersche Röhre, in welcher die Luft von ge-
wöhnlicher bis zu allergeringster Dichtigkeit ausgepumpt werden konnte,
hatte verstellbare Elektroden und ein seitliches Quarzfenster. Das im
Telephon zunächst zu hörende Geräusch machte alsbald einem reineren
und höheren Tone Platz, wenn die Eintrittsstelle der negativen Elek-
trieität von wirksamen Strahlen, geliefert von einer elektrischen Bogen-
lampe, getroffen wurde, während die Bestrahlung anderer Stellon der
Strombahn gar keinen Einflufs übte. Am deutlichsten war der Ein-
flufs, wenn die Luft etwa die Hälfte der normalen Dichtigkeit besafs.
Aus dem Umstande, dafs das Telephon stets einen Ton gab, mufs man
schliefsen, dafs lauter einzelne Elektrizitätsübergänge, d. h. disruptive
Entladungen stattfanden. Solche sind aber mit einer Elektrizitätsleitung
im gewöhnlichen Sinne nicht vereinbar.
Soviel erkennt man schon jetzt, dafs die Luft zwischon den Elek-
troden durch die Bestrahlung nicht leitend geworden ist, weder elektro-
lytisch wie Herr Arrhenius will, noch sonstwie leitend, sondern dafs
hier eine Erscheinung von gänzlich anderer Natur vorliegt,
ein Vorgang, der sich lediglich an der negativen Elektrode
abspielt.
Diese Auffassung findet ihre volle Bestätigung durch eine Reihe
ganz anderer Experimente. Herr Hall wachs stellte zwei vertikale,
an elektrisch isolirenden Haltern befestigte Zinkplatten im Abstande
von 3 cm einander parallel gegenüber und verband jede mit einem
Elektroskop. Die eine wurde negativ geladen; die andere, vorüber-
gehend zur Erde abgeleitet, wurde durch Influenz positiv. Wenn nun
der Raum zwischen den Platten bis vollständig an ihre Vorderflächen
heran, parallel mit letzteren, von den Strahlen einer elektrischen Bogen-
lampe bestrichen wurde, so zeigte sich nicht der mindeste Einflufs auf
die Ladung der Platten. Und doch hätten beide ihre Ladungen aus-
gleichen müssen, wenn die Zwischenluft durch die Strahlen leitend ge-
worden wäre. „Eine kleine Drehung der negativen Platte, so dafs die
Strahlen nicht mehr parallel mit ihr verliefen, sondern geneigt auf-
Himmel und Erde. I. & 37
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trafon, führte dann einen schnellen Verlust ihrer Ladung herbei. Es
folgt daraus, dafs das Licht, um unsere Erscheinung zu veranlassen,
eine Wirkung auf die Oberfläche der Platte ausüben mufs.“ Damit
dio negative Platte nicht schräg, sondern möglichst senkrecht von den
Strahlen getroffen werde, wurde die gegenüberstehende Platte mit einem
Fenster von Marienglas (Gyps) versehen, durch welches nun die
Strahlen geschickt wurden. Dann zeigte das mit der Zinkplatte ver-
bundene Goldblattelektroskop schon nach 10 Sekunden den völligen
Verlust der elektrischen Ladung an. Hatte mau die Platte dagegen
positiv geladen, so betrug der Verlust nach 60 Sekunden erst 10 pCt
Die mit dem Gypsfenster versehene Platte kann auch ganz fortgelassen
werden, ohne dafs sich etwas Wesentliches ändert. Herr H all wachs
überzeugte sich ferner davon, dafs die Wirkung von denselben Strahlen
ausging, die sich bei den Hertzschon Versuchen als wirksam erwiesen
hatten.
Wieder von anderer Art, und doch zu demselben Schlufsergeb-
nifs führend, ist die Versuchsanordnung des Herrn Stoletow. Auch
er stellte zwei aus demselben Metall bestehende Scheiben einander
parallel gegenüber (in 2 — 3 mm Abstand); die eine war aber von
zahlreichen Löchern durchsetzt, sie war nämlich ein Drahtnetz, damit
durch 6ie hindurch die Strahlen des elektrischen Lichtbogens senk-
recht auf die andere Platte treffen konnten. Statt nun die Platten mit
einer starken Anfangsladung zu versehen, hielt er sie dauernd schwach
geladen, indem er sie mit den Polen einer aus zwei Daniellelementen
gebildeten galvanischen Batterie verband. So lange die Platte nicht
bestrahlt wird, fliefst, wie ein eingeschaltetes Galvanometer erkennen
liifst, natürlich kein Strom durch die Batterie, denn die zwischen Platte
und Drahtnetz befindliche Luftschicht ist ein vollkommener Isolator.
Aber nuch bei Bestrahlung der Platte fliefst kein Strom, wenn die
Platte mit dem positiven, das Drahtnetz mit dem negativen Pol der
Batterie verbunden ist. Dies lehrt, dafs die Luftschicht an sich durch
jene Strahlen nicht leitend gemacht ist. Sobald man aber die Platte
mit dem negativen, das Netz mit dem positiven Pol verbunden hat,
d. h. sobald man dio Platte dauernd mit negativer Ladung versieht,
und nun die mit negativer Elektricität bedeckte Fläche bestrahlt,
fliefst ein beständiger Strom. Bei Anwendung einer etwa fünfzig-
mal so starken Batterie liefsen sich noch bei zehn Centimeter Ent-
fernung der Platte vom Netz Spuren eines Strmis nachweisen. Jedes
Schwanken in der Lichtstärke des elektrischen Lichtbogens zieht
Schwankungen in der Stärke des hervorgerufi nen Stromes nach sich.
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Auch hier sind es, wie Herr Stoletow erkannte, die schon von Herrn
Hertz als wirksam nachgewiesenen ultravioletten Strahlen, welche die
Erscheinung herbeiführen. Daher ist es besonders förderlich, wenn
Aluminium oder Zink im galvanischen Lichtbogen verbrennt, denn
die glühenden Dämpfe dieser Metalle entsenden besonders viel ultra-
violette Strahlen.
Wenn es auf Grund aller dieser Beobachtungen schon kaum
mehr zweifelhaft sein kann, dafs ein elektrisches Leitungsvermögen
bestrahlter Luft nicht existirt, so wird diese hohe Wahrscheinlichkeit
zur vollen Gewifsheit durch einen Versuch des Herrn Bichat. Wenn
man ein cylindrisches Motallröhrenstück mit beiderseits offenen Enden
isolirt aufstellt und negativ ladet, so ordnet sieh bekanntlich die Elek-
tricität auf der äufseren Oberfläche an, während die Innenwände frei
von Elektricitiit bleiben. Ein durch einen Draht mit dem Metallrohr
verbundenes Elektrometer lehrt die Spannung der elektrischen Ladung
kennen. Legt man nuu ein Ende eines Metallstabes, der länger als
die Röhre ist, berührend an ihre Innenwand an, so wird die Röhre
gänzlich entladen, falls die den Stal) haltende Hand oder sonstige
leitende Verbindungen den Abflufs zur Erde gestatten. Hat man den
Stab dagegen mit einem isolircnden Griffe angcfafst, so zeigt das
Elektrometer nur eine Abnahme der elektrischen Spannung an, da
sich ja jetzt dieselbe Ladung über eine griifsere Oberfläche verbreiten
mufs. Wäre nun elektrisch bestrahlte Luft ein Elektricitätsleiter, so
mürste man folgende Erscheinung beobachten können. Wenn man,
statt mit dem Metallstabe, mit einem vom elektrischen Lichtbogen
kommenden cylindrischen Strahlenbündel die Innenwand der Röhre
betastet, so müfste der Erfolg derselbe sein, wie vorher mit dem
Metallstabe, da ja die durchstrahlte Luft ein Leiter sein soll; am
Elektrometer müfste man eine Abnahme oder gar das Verschwinden
der elektrischen Spannung wahrnehmen. Nichts von alledem geschah,
als Bichat diesen Versuch zur Ausführung brachte; und doch hatte
er möglichst günstige Bedingungen hergostellt, denn er bediente sich
einer elektrischen Lampe, deren Kohlen mit einer Aluminiumseele
versehen waren, sowie eines empfindlichen Quadranten-Eloktrometers.
Die Innenwände der Metallröhro waren berufst, um die Strahlen nach
Kräften zu absorbiren. Während sich so die Bestrahlung der Innen-
fläche als gänzlich wirkungslos erwies, beraubte die Bestrahlung der
Aufsenfläche die elektrisirte Röhre schnell ihrer Ladung.
Hiernach mufs die Vorstellung, als werde die Luft
unter Wirkung ultravioletter Strahlen elektrisch leitend,
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endgiltig fallen gelassen werden. Alle vorgeführten Thatsachen
lehren vielmehr nur dies: Ultraviolette Bestrahlung erleichtert
den Weggang negativer Elektrioität von der Kathode so-
wie überhaupt von jedem negativ geladonen Körper.
Hierbei brauchen wir nun noch nicht stehen zu bleiben; die durch
den Fleifs und die Geschicklichkeit der verschiedenen Experimen-
tatoren gesammelten Thatsachen gestatten uns einen noch etwas tieferen
Einblick in den Vorgang, der sich bei ultravioletter Bestrahlung am
negativ geladenen Körper vollzieht Aus dem eben beschriebenen
Versuche Bichats scheint zu folgen, es sei für den Weggang der
negativen Elektrioität erforderlich, dafs solche Oberflächentheile des
Körpers, welche mit negativer Elektricität bedeckt sind, von den wirk-
samen Strahlen getroffen werden. Dies ist zwar eine, aber es ist
nicht die einzige Bedingung für den Eintritt der Erscheinung, wie
folgende Beobachtung der Herren Bichat und Blondlot lehrt Wäh-
rend die Strahlen an Wirksamkeit nichts dadurch einbüfsten, dars sie
ein frei herabfallendes Wasserband durchsetzten, (was mit früheren
Hertz sehen Beobachtungen übereinstimmt), so hörte doch jede Wirkung
auf, sobald die Oberfläche des negativ geladenen Körpers oder der
Kathode mit einer dünnen Wasserschicht überzogen wurde. Von dieser
merkwürdigen Thatsache hat sich auch Herr Stoletow überzeugt.
Derselbe machte aber die weitere Beobachtung, dafs die Wirkung sich
sofort wieder einstellt, wenn man statt gewöhnlichen Wassers eine
konzentrirte Lösung von Fuchsin oder Anilinviolett in Wasser, oder
konzentrirte ammoniakalische Lösung von Eosin oder von Fluorescein
anwendet, d. h. Flüssigkeiten, welche für Ultraviolett wenig durchlässig
sind. Dies hatten übrigens schon früher die Herren E. Wiedemann
und Ebert erkannt, indem sie zeigten, dafs der Funkenübergang alsdann
am meisten durch Bestrahlung der Kathode befördert wird, wenn dio
Kathode aus einer Substanz besteht, die das Ultraviolett besonders
stark absorbirt, wie z. B. Nigrosinlösung oder Salpeterlösung in Wasser.
Im engsten Zusammenhänge hiermit steht natürlich auch das verschie-
dene Verhalten verschiedener als Kathode benutzter Metalle. So ist
nach Wiede manu und Ebert der Einflufs der Bestrahlung am stärksten
bei Platin, schwächer bei Zink und Kupfer, sehr gering bei Eisen,
Aluminium, Palladium und Silber; und nach Hallwachs wirkt blank-
geputztes Zink etwa vierzigmal stärker als ungeputztes, und Eisen
schwächer als Zink. Durch diese Beobachtungen ist bewiesen:
Es genügt nicht, dafs wirksame Strahlen die negativ-
geladene Oberflächo treffen, sondern sie müssen in der-
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selben auch absorbirt werden, wenn das Entweichen der
negativen Elektrioität eintreten soll.
In welcher Weise dieses Entweichen vor sich geht, läfst sich
freilich noch nicht mit Sicherheit angeben; doch gewähren ein paar
Versuche des Herrn Righi wenigstens einige Anhaltspunkte für das
Verstiindnils der Erscheinung. Derselbe beobachtete nämlich u. a., dafs
die wirksamen Strahlen im stände sind, auch die negative Ladung
einer elektrisirten Ebonitscheibe oder Schwefelscheibe zu zerstreuen.
Ein isolirtes Metallnetz, das einer solchen Scheibe parallel nahe gegen-
über aufgestellt und anfangs unelektrisch war, lud sich da-
bei negativ! Somit war die von dem einen Körper entwichene Elek-
trizität auf den gegenüberstehenden übergegangen. — Wenn ferner ein
negativ elektrisirter, sehr leichter und beweglich aufgestellter Körper
unter Bestrahlung seine Elektricität verlor, erlitt er zugleich eine Lagen-
änderung nach Art des elektrischen Flugrades, d. h. durch Rückstofs.
Hiernach gewinnt es den Anschein, als entfernten sich negativ ge-
ladene Massentheilchen aus der bestrahlten Oberflächenschicht des
Körpers. Die wahre Deutung der Erscheinung, die uns in mannig-
faltigster Gestalt bisher beschäftigt hat, wäre sonach diese:
Wenn gewisse ultraviolette Strahlen einen negativ
elektrisirten Körper treffen, und wenn sie in der die nega-
tive Ladung tragenden Oberflächensohicht absorbirt wer-
den, so bewirken sie in letzterer eine tumultu arische Be-
wegung, infolge deren negativ geladene Massentheilchen
diese Oberflächenschioht verlassen und sich in die Um-
gebung zerstreuen. — Der Elektrizitätsverlust erscheint hiernach
also keineswegs als auf Leitung beruhend, sondern als ein Vorgang
der Zerstreuung oder Convektion.
Im Anschlurs an die bisher geschilderten Versuche sei noch kurz
einer merkwürdigen Erscheinung gedacht, welche mit den vorigen in
nahem Zusammenhänge zu stehen scheint Von mehreren Beobachtern
wurde bemerkt dafs eine anfänglich unelektrische Metallplatte unter
Einflufs der wirksamen Strahlen elektrisch wird, und zwar
positiv. Es gewinnt hiernach den Ansohein, als verliefse auch hier
negative Elektrizität von deren Anwesenheit man freilich vorher nichts
geahnt hat die Metallplatte und liefse letztere positiv zurück. Weil
nun nach Bichat und Blondlot durch gleichzeitiges Anblasen der
Platte die positive Elektrisirung derselben wesentlich gesteigert wird,
so scheint folgende Deutung des Vorganges möglich. Durch Berüh-
rung mit der Luft wird das Metall vielleicht positiv, die anliegende
522
Luftschicht negativ elektrisch. Wenn nun die absorbirte Strahlung
letztere Schicht lockert und von der Platte zu entweichen veranlafst,
wobei das Blasen noch forderlich mitwirkt, so bleibt das Metall mit
seiner freien positiven Ladung zurück. In wenig anderer Gestalt
erscheint derselbe Vorgang, wenn man bei der vorher erwähnteu
Stole tow sehen Versuchsanordnung die Batterie wegläfst. Bann erzeugt,
nach Herrn Righi und Herrn Stoletow, Bestrahlung einen dauern-
den elektrischen Strom, falls die Platte clektronegativ gegen das Netz
ist, also die Strahlen z. B. durch ein Zinknetz auf eine Platinplatto
treffen. Der Strom fliefst dabei vom Netz durch die Luftschicht zur
Platte. Nicht wesentlich verschieden hiervon ist die Erscheinung,
welche, wie früher erwähnt, Herr Arrhenius in hochverdünnten Rau-
men bei Bestrahlung eines Zink- und Platindrahtes beobachtet hat.
Auf ein wahres Leitungsvermögen der verdünnten Luft ist also liier
ebenso wenig zu schliefsen, wie in den Versuchen von Righi, Stole-
tow, Bichat und Blondlot; vielmehr bietet sich folgende Deutung
als die weit wahrscheinlichere dar: Auf verschiedene Metalle wirkt
die Bestrahlung mit verschiedener Stärke, auf Platin — wie erwähnt
— stärker als auf Zink. Wenn also, etwa durch Kontakt, die das
Platin bedeckende Luftschicht negativ geworden ist, so losen sich unter
Bestrahlung überwiegend von Platin negative Theilchen, treffen das
benachbarte Zink und geben ihm ihre negative Ladung ab. Der so
durch Bestrahlung in Bewegung gesetzte Strom wird also durch Fort-
führung (Convektion) unterhalten.
Durch die Gesamtheit der vorstehenden Thatsachen scheint mir
der Beweis erbracht zu sein, dafs Luft, auoh wenn sie in geeigneter
Weise bestrahlt wird, nicht leitet, sondern dafs ein ganz anderer Vor-
gang stattlindet: das Entweichen geladener Massentheilchen von dem
negativ-elektrisirten Körper. Von welcher Beschaffenheit diese Theilchen
sind, und ob an der Kathode etwa ein Zerfall von Gasmolekeln in ent-
gegengesetzt elektrische Bestandtheile stattfindet, ist bis jetzt ganz un-
ausgemacht. Diese Erkenntnifs ist nun auf die elektrischen Vorgänge
der Atmosphäre anzuwenden.
Unter der Annahme, dafs die Erde von vornherein eine negative
Ladung besitzt, und unter den weiteren Annahmen, dafs sie von wirk-
samen Strahlen getroffen wird, und dafs letztere in der Oberflächen-
schicht selber absorbirt werden, (was z. B. für die ganze Meeresober-
fläche keinenfalls statt hat), müssen sich nun negativ-elektrische Massen-
theilchen von der Erdoberfläche loslösen. Während wir nun in den
Laboratoriumsversuchen die fortgeführten Theilchen in der Regel nur
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auf wenige Millimeter, im iiufsersten Falle auf 10 cm Abstand vom
ursprünglich geladenen Körper sich entfernen sehen, müfston die von
der Erde abgelösten negativen Theilchen durch die von unten her
wirkende elektrische Abstofsung Hunderte von Metern, der Schwere
entgegen, aufwärts getrieben werden und dabei auch noch den Rei-
bungswiderstand der umgebenden Luft überwinden, um sohliefslich die
Wolken mit Elektrizität zu versehen. Einen solchen Vorgang kann
man nur für höchst unwahrscheinlich erklären; in dieser Art ist er
auch von Arrhenius gar nicht vorausgesetzt worden, welcher ja
wahre Luftleitung annimmt.
Hierbei ist eine Frage von fundamentaler Wichtigkeit noch gar
nicht berührt worden, nämlich diese: Wird denn der Erdboden über-
haupt von wirksamen ultravioletten Strahlen getroffen? Ueberraschender
Weise lautet die Antwort auf diese Frage entschieden: nein! Keiner
von allen Beobachtern hat mit Anwendung von Sonnenlicht irgend ein
Resultat erhalten. Herr Hertz sagt darüber: „Vom Sonnenlicht er-
hielt ich niemals eine unzweideutige Wirkung, zu welcher Zeit des
Tages und des Jahres ich bisher auch zu prüfen Gelegenheit hatte.
Konzentrirte ich das Sonnenlicht mit Hilfe einer Quarzlinsc auf den
Funken, so war eine geringe Wirkung vorhanden; doch war eine
solche auch mit Hilfe einer Glaslinse“, die doch alle wirksamen Strahlen
absorbirt, „zu erhalten, und dürfte deshalb der Erwärmung zugeschrie-
ben werden.“ Desgleichen betont Herr Righi an mehreren Stellen
seiner Arbeiten, dafs Sonnenlicht gänzlich unwirksam sei. Daher haben
denn auch alle Beobachter der beschriebenen neuen Erscheinungen
andere wirksame Lichtquellen, meist elektrisches Bogenlicht, angewendet.
Fragt man sich nun, warum die wirksamen ultravioletten Strahlen
in dem Sonnenlicht wohl fehlen mögen, so kann man über die richtige
Antwort nicht im Zweifel sein; sie lautet: Das Sonnenlicht enthält ur-
sprünglich gewifs wirksame Strahlen, dieselben werden aber in den
höheren Schichten der Atmosphäre absorbirt, so dafs die Sonnenstrahlen
bereits gesiebt zum Erdboden gelangen. Wir lernen die Sonnenstrahlen
erst kennen, nachdem sie ihrer wirksamen Bestandtheile beraubt sind.
Auf solche Absorption weist schon die von mehreren Seiten (Hertz,
Wiedemann und Ebert) bestätigte bedeutende Zunahme hin, welche
die fragliche Wirkung bei Verdünnung der Luft erfährt Auch Herr
Arrhenius selbst hat einen Beweis für die starke Absorption bei-
gebracht, der die wirksamen Strahlen in der atmosphärischen Luft
unterliegen. Als er nämlich in seinen oben geschilderten Versuchen
die in 1 , mm Entfernung vom Quarzfenster angebrachte äufsere Funken-
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strecke in die doppelte Entfernung, also bis - 3 mm, verschob, sank
der durch die innere Unterbrechungsstelle gehende Strom auf die Hälfte
herab. Man geht schwerlich fehl, wenn man diese starke Abnahme
der Wirkung zum grofson Theil auf Rechnung der, in der Luft statt-
findenden Absorption der wirksamen Strahlen setzt Ein ganz un-
widerleglicher Beweis für diese Absorption ist schliefslich von Herrn
Righi gegeben. Derselbe setzte zwischen den elektrischen Lichtbogen
und das bestrahlte Metall eine durch Gypsfenster geschlossene Röhre
und sah während des Auspumpens der Röhre, also durch Wegnahme
der Luft, die fragliche Wirkung deutlich wachsen. Dadurch ist die
in der Luft stattfindende Absorption der wirksamen Strahlen unwider-
leglich bewiesen. Und somit ist die Ursache für die gänzliche Un-
wirksamkeit der Sonnenstrahlen, welche die Erdoberfläche treffen, er-
kannt9)
Nun könnte man meinen, die Sonnenstrahlen vermöchten wenig-
stens in den höheren Schichten der Atmosphäre die gedachte Wirkung
zu bothätigen. Dazu inüfsten sie also negativ geladene Körper treffen,
in deren Oberflächenschicht sie absorbirt würden, wodurch dann jene
Körper ihre I^adung verlören. Wassertröpfchen genügen diesen Be-
dingungen nicht, denn anstatt jene ultravioletten Strahlen zu absor-
biren, ist Wasser — wie wir gesehen haben — gänzlich durchlässig
für dieselben. Sind es also vielleicht die Eiskryställchen der Eirrus-
wolken, welche durch die auftreffenden Sonnenstrahlen negative Elek-
tricität verlieren? Aber dazu inüfsten diese Kryställchen erst über-
haupt negativ elektrisch sein. Und man vermag nicht anzugeben, auf
welche Weise die negative Elektricität vom Erdboden zu ihnen hinauf
gelangt sein sollte. Auch ist es gar nicht gewifs, ob die wirksamen
Strahlen nicht vom Eis gerade so wenig absorbirt werden wie vom
Wasser.
Der Beweis, welcher im Vorigen gegen die Zulässigkeit der
Arrheniusschen Theorie der atmosphärischen Elektricität geführt
ist, scheint mir einwurfsfrei und geradezu erdrückend. Keine der An-
nahmen, auf welchen die Theorie ruht, erfreut sich einer auch nur
einigermafsen zureichenden Stütze. Die Hypothese der anfänglichen
■') Beiläufig sei erwähnt, dafs nach Beobachtungen von E. Wiedemanu
und Ebort in reiner Kohlensäure auch sichtbare Strahlen, etwa von der
Fraucnhoferschen Linie G an, die fragliche Wirkung in geringem Grade
ausüben. Aber die minimalen Kohlensäurespuren, welche der gewöhnlichen
Luft boigemischt sind, genügen, wie alle mit gewöhnlicher Luft angcstellten
Versucho zeigen, oben nicht, um auch nur irgend eine nachweisbare Wirkung
hervorzu bri ngen.
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negativen Ladung der Erde ist ohne jeden Versuch eines Beweises
hingestellt. Das elektrolytische Leitungs vermögen, welches die Luft
untor geeigneter Bestrahlung besitzen soll, existirt nicht, sondern statt
dessen nur Zerstreuung negativ geladener Theilchen von dem elektri-
sirten Körper weg in die nächste Nachbarschaft, offenbar ungeeignet»
Elektricität bis zu den Wolken hinaufzuführen. Schliefslich wird dio
Erdoberfläche gar nicht einmal von Strahlen getroffen, welche zur Her-
beiführung der Zerstreuung geeignet wären, da die Sonnenstrahlen sich
überhaupt als unwirksam für diese Erscheinung erwiesen haben. So
mufs also auch diese geistreiche Theorie, als nicht in der Natur be-
gründet, fallen gelassen werden.
(.Schiufa folgt.)
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Prophetenthum und Hierarchie in der Wissenschaft
Eine zeitgeschichtliche Skizze
von Prof. Wilheln Foerster,
Ulrektor dor künig-1. Sternwart« in Berlin.
c\j*
jZY.ber, verehrte Frau, wie können Sie es wagen, übermorgen die
Fahrt von Ostende nach London zu unternehmen? Wissen Sie
denn nicht, dafs von dem grofsen Erdbeben-Forscher Falb,
welcher jetzt endlich in diese Dinge Licht bringt, gerade Tür den
Tag Ihrer Seereise eine äufsorst gefährliche, ja verhängnifsvolle
Wetterlage schon seit Monaten angekündigt worden ist? Die Stel-
lung des Mondes zur Erde und zur Sonne bedroht uns an diesem
Tage mit den schwersten Katastrophen. Da thut man doch wohl gut,
sich nicht aufs offene Meer zu wagen und überhaupt alle Gegenden,
wo es schwanken und wackeln kann, thunlichst zu meiden.
Die geängstigto Dame, welche bis dahin keine Ahnung von einer
solchen Sicherheit der gegenwärtigen naturwissenschaftlichen Prophe-
zeiungen gehabt hat, giebt sofort ihre Reise auf und schreibt ihren
Verwandten in England, dafs sie vorziehe, erst die gefährliche Stellung
des Mondes vorübergehen zu lassen. Wenn man dann noch lebe,
werde sie weitere Nachricht geben.
Und nun erscheint der grause Tag. Alles bleibt still. Man be-
richtet von einer ungewöhnlichen Ruho des Meeres. Den Freigeistern,
welche sich trotz der von den Zeitungen eifrig verbreiteten Prophe-
zeiung aufs Moer gewagt haben, sind entzückende Fahrten besebiedeu
gewesen, aber der Glaube an die Prophezeiung ist doch in den „wei-
testen Kreisen“ unerschüttert geblieben. Irgendwo wird der Wind,
das Wasser oder die Erde doch wohl entsetzlich gewüthet haben.
Man hat nur die Nachrichten aus den fernen Welttheilen abzuwarten,
da wird sich die Unfehlbarkeit dieser kühnen Prophezeiungen, welohe
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der ganzen wissenschaftlichen Hierarchie die Stirn bieten, sicher er-
weisen.
Diesmal kommt leider auch aus der Ferne keine Bestätigung,
aber endlich wird aus dem schlesischen Gebirge gemeldet und in allen
Blättern mitgetheilt, dafs dort genau an dem kritischen Tage ein un-
gewöhnlich starker Wirbelwind beobachtet worden sei.
Es ist nun klar, dafs die Prophezeiung recht hatte.
Ein anderes Mal verläuft die Sache so, dafs in der That irgendwo
auf der Erde ein weit verbreitetes, furchtbares Unwetter oder eine
unheilvolle Erderschütterung eingotreten ist, aber meistens nicht genau
an dem kritischen Tage, sondern einige Tage später oder früher.
Nun, so genau lasse sich die Voraussagung noch nicht zuspitzen,
so tröstet man sich. Mitunter bedürfe es eben eines gewissen Zusam-
menwirkens mit andern Erscheinungen, um den eigentlichen Losbruch
hervorzurufen, ebenso wie sich die Wirkungen durch ähnliche Ver-
wickelungen manchmal auch um mehrere Tage verfriihen könnten.
Das könne aber niemanden an der hohen Bedeutung dieser mit so
imponirender Sicherheit auftretenden Theorieen irre machen.
Damit ist man aber glücklich bei einer fast absoluten Sicherheit
des Eintreffens und des Glaubens angelangt, aber zugleich bei einer
verschwindend kleinen Beweiskraft dieser Art des erfahrungsmäfsigen
Erfolges für die Richtigkeit der Theorie.
Irgendwo auf der Erde ereignet sich innerhalb eines Zeitraums
von einigen Tagen mit aller Sicherheit irgend eine gröfsere Störung
der gewöhnlichen Zustände der Luft, des Wassers oder der Erde.
Gefahr-Ansagen, welche sich unbestimmt auf die ganze Erde be-
ziehen, und für deren Eintreffen man überdies einen Spielraum von
mehreren Tagen zugesteht, werden durch diese Weite des Raumes
und der Zeit aller Präcision entkleidet. Dafs man ihnen dafür den
Mantel der prophetischen Würde umhiingt, ist ganz in der Ordnung.
Es ist auch ganz in der Ordnung, dafs der Mond dabei mit im
Spiele ist; denn wegen der schnellen Folge und Wiederkehr seiner
verschiedenen ^kritischen“ Stellungen ist er, sogar dann, wenn er mit
der Sache selber gar nichts zu thun hätte, der beste Helfershelfer alles
Prophezeiens obiger Art und wird es stets bleiben.
Ganz so unbestimmt ist es nun zwar mit einigen der in den letzten
Jahren bei dem grofsen Publikum und sogar bei manchen wissen-
schaftlichen und sonst genauer denkenden Leuten zu Ansehen gelang-
ten Prophezeiungen, insbesondere denen von Falb, nicht bestellt, denn
einige richtige und erhebliche, zwar nicht neue aber eigenartig her-
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vorgehobene Schlufsfolgen sind in ihnen, wenn auch in trübem Ge-
misch mit manchen Irrungen, enthalten. Aber doch wird bei diesen
Prophezeiungen und bei ihrer erfahrungsmäfsigen Prüfung ein so em-
pfindlicher Mangel an Kritik offenbar, dafs sie in der That von der so-
eben geschilderten Idealgestalt vollkommen sicheren Prophe-
zei ens gar nicht weit entfernt sind.
Wie kommt es denn aber, so hört man wohl fragen, dafs gerade
in einer Zeit, in welcher die zünftige Wissenschaft soeben begonnen
hat, mit systematischem Vorhersagen des Wetters in der Oeffentlich-
keit vorzugehen, jene Art des Prophetenthums erst recht Anhänger
findet und der sogenannten Schulweisheit derbe Konkurrenz macht.
Wenn man näher zusieht, ist das gar nicht zum Verwundern.
Das Auftreten der strengen Wissenschaft hat von jeher in den
weiten Kreisen des Lebens bei sehr vielen Menschen Neigung zum
Widerspruch und zum Zweifel hervorgorufen und zwar in um so stär-
kerem Grade, je öfter noch neben einleuchtendem Verständnifs der Er-
scheinungen und hülfreichster geistiger Beherrschung des Verlaufes
derselben erhebliche Unsicherheiten und Irrungen der Männer der
Wissenschaft offenbar wurden. Dies ist z. B. in der Wetterkunde und
in einem anderen grofsen und äufserst schwierigen Forschungsgebiete,
in welchem dcmgemäfs ganz ähnliche Gegenwirkungen blühen, näm-
lich in der Heilkunde, auch jetzt noch der Fall. Zur Erklärung
solcher Gegenwirkungen und Stimmungen wäre vieles zu sagen, was
hier zu weit führen würde. In eigenen Regungen oder Erfahrungen
wird wohl jeder mannigfache Anhaltspunkte für diese Erklärung fin-
den. (In dem ersten Hefte dieser Zeitschrift, Oktober 1888, sind in
dem Aufsatze „Ueber die Ziele der Popularisirung der Naturwissen-
schaften“ einige einschlägige Bemerkungen enthalten.)
Alles hingegen, was auf dem Gebiete der wissenschaftlichen For-
schungen und der zugehörigen Praxis nicht im Gewände fachmiifsiger
Strenge, sondern mit einer gewissen Kühnheit und Fülle der Einbil-
dungskraft und mit einer gewissen Leichtigkeit oder Lebendigkeit der
Sprache auftritt, aber vor allem, was der fachmäfsigen Geistesdisciplin
und Kritik keck den Handschuh hinwirft oder gar unter der Fahne
irgend einer phantastischen Verallgemeinerung zum Kampfe gegen
die sogenannte wissenschaftliche Hierarchie aufruft, alles das ist so-
fort eines weitreichenden Wiederhalles und einer grofsen Anhänger-
schaft sicher und wird von letzterer mit einer Gläubigkeit und Kritik-
losigkeit aufgenommen und hochgehalten, welche sehr leicht für beide
Theile, die Gebenden und die Empfangenden, zu einer ernsten Gefahr wird.
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In allmählich vermindertem Mafsstabe, schliefslioh bisweilen nur
noch als theatralische Nachbildung der Vergangenheit, wiederholt sich
in diesen Erscheinungen immer wieder eine Reihe von leidenschaft-
lichen Vorgängen, von denen die Geschichte erzählt. Insbesondere
ist hierbei an die bedeutsamen, für die Geschicke der Menschheit so
folgenreichen Zeiten zu denken, in denen die streng hierarchische
Organisation der wissenschaftlichen Arbeit, wie sie den Priesterschaf-
ten der ältesten Kulturvölker und auch den ältesten Tagen der grie-
chischen Kultur eigen war, von dem kühnen und genialen Laien-
thum des griechischen Volkes zertrümmert wurde. (Nebenher be-
merkt hat hierbei die astronomische Stümpern, welche in der Leitung
des Kalenderwesens von Seiten der delphischen Priesterschaft hervor-
trat, eine wesentlich mitwirkende Bedeutung gehabt) Auch in jener
grofsen, an neuen Gedanken verschwenderisch reichen Zeit haben die
Verhältnisse sicherlich nicht so einfach gelegen, wie sie in gewissen
Sohlagwörtem und in gewissen Vergleichungen mit dem bei anderen
Kulturvölkern überlieferten reinigenden Kampfe des Prophetenthums
gegen das Priesterthum sich darstellen.
Noch während verhängnisvolle Nachwirkungen jener Zeit, be-
stehend in einer weiten Verbreitung von Zweifelsucht und Scheinweis-
heit fortdauerten, begann die wissenschaftliche Forschungsarbeit bereits
wieder, sich in den festen Formen einer geistigen Disciplin, wie sie
für erfolgreiches Zusammenwirken unerläßlich ist neu zu organisiren.
Es kamen sogar noch Zeiten, in welchen die Wissenschaft wieder
auf eine enge Verbindung mit der im Mittelalter aufs neue machtvoll
entwickelten Hierarchie angewiesen war. Aber nachdem sie auch aus
dieser Gebundenheit unter wesentlicher Mitwirkung genialer Kräfte,
welche mitten aus der Hierarchie selber hervortraten, gelöst war, hat
sich die wissenschaftliche Arbeit immer unabhängiger von mensch-
licher Herrschsucht und Willkür, dagegen in immer treuerer und
strengerer Unterordnung unter ewige Gesetze, mit einem Worte immer
freier entwickelt, und die kühnsten und klarsten Geister sind stets
nur an ihrer Spitze, niemals mehr in revolutionärem Kampfe gegen
ihre Autorität zu finden gewesen.
Immer mehr ist es daher eine bloße Redeblume geworden, noch
von wissenschaftlicher Hierarchie und von der nothwendigen Gegen-
wirkung der freien Genialität gegen dieselbe, wie von einer Art Pro-
phetenthum im altgeschichtlichen Sinne, zu sprechen.
Ein eigentümlicher pikanter Zug in dem gegenwärtigen, nicht
seltenen Vorkommen dieser Redewendungen ist es nur, dafs zur Zeit
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die Vertreter und Anhänger der kirchlichen Hierarchie aus mifsver-
ständlichem Eifer gegen die Macht der Wissenschaft sich besonders
beifällig zu jeder Art von pathetischer Gegnerschaft gegen die Ver-
treter der Wissenschaft verhalten.
llebertreibungen, welche als unerträglich gelten, sobald sie gegen
die Grundlagen von Staat, Gesellschaft oder Kirche ankiimpfen, werden
gerade von den konservativsten Kreisen mit dem gröfsten Behagen
aufgenommen, wenn sie gegen sogenannte orthodoxe Grundlehren oder
Ergebnisse und Methoden der Wissenschaft gerichtet sind.
Eine hocherfreuliche Seite hat diese Erscheinung, indem sie zeigt,
wie einmüthig alle Welt dieses herrliche Bauwerk einer Jahrtausende
langen stetigen Arbeit als unerschütterlich ansieht, und wie wenig man
fürchtet, irgend einen Theil der namenlosen Wohlthaten, welche in
demselben jedermann gespendet werden, durch verzerrende Anklagen
einzubüfsen.
Das wissenschaftliche Zusammenwirken in der Gemeinschaft
unserer Hochschulen ist es insbesondere, welches von manchen Seiten,
auch von mafs vollen flegnern, geradewegen seiner äufseren Geschlossen-
heit als gefahrbringend für geistige Freiheit bezeichnet wird.
Aber das innere Leben dieser Hochschulen, zumal der unsem
und der mit den unsrigen nahe verwandten, enthält in der Pflege der
Gemeinschaft der verschiedensten Geistesrichtungen und in dem nahen
Zusammenarbeiten der älteren Autoritäten mit der lernenden, lehrenden
und forschenden Jugend, dieser stets frischen Quelle idealer Forde-
rungen und kühner Kritik, die stärksten Gegenwirkungen gegen ein-
zelne Gefahren jener Organisation.
Auch ist ja keineswegs das ganze Schicksal wissenschaftlicher
Forschung an die Hochschulen und die höheren Schulen gebunden.
Unablässig sind selbständige und bedeutende Köpfe fast aus allen
Lebens- und Berufskreisen als hervorragende Mitarbeiter, oftmals so-
gar bei den schwierigsten Problemen, thätig, und es kommt nioht allzu
selten vor, dafs gerade sie neue Bahnen an solchen Stellen brechen,
an denen innerhalb der zünftigen Wissenschaft zeitweise durch das
Ueberwiegen irgend einer Schulmeinung der Fortschritt erschwert ist.
Es ist aber kein Fall nachweisbar, in welchem derartige unabhängige
und solide Leistungen nicht sehr bald nach gesundem Kampfe auch
von der „Zunft“ brüderlichst gewürdigt worden sind.
Sogar die Gesamtlioit derjenigen sogenannten „Wilden“, welche
glauben, die Abneigung gegen den wissenschaftlichen Zopf auch durch
Nichtachtung der unerliifslichen Bedingungen wahrhaft erfolgreicher
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Erforschung und Beherrschung der Erscheinungen bethätigen zu müssen,
bringt manchmal in ihrem „dunkeln Drange“ wahrhaft förderliche Wir-
kungen hervor.
Die förderlichste derselben besteht darin, dafs die Wissenschaft
sich auch gegen das Körnlein Wahrheit, welches selbst von solchen
Qegnem ausgesprochen wird, nicht verschliefst, und dafs sie daraus
Antriebe zu einer Verstärkung oder zu einer zweckmäfsigeren Ver-
wendung ihrer Energie nach bestimmten Richtungen hin entnimmt,
dafs sie sodann aber auch, im Sinne der im ersten lieft (Oktober 1888)
dieser Zeitschrift enthaltenen Darlegungen, die Betheiligung an der
lebensvollen Popularisirung der wissenschaftlichen Erkenntnifs als eine
ihrer wichtigsten Pflichten anerkennt
Die Leidenden sind dann nur noch diejenigen, welche sich von
den in Rede stehenden Angriffen gegen die Wissenschaft das Urtlieil
trüben und von den Lehren und Verkündigungen der übereifrigen
Adepten dieser Unkritik ängstigen lassen.
Zum Nutzen und Frommen dieser Leidenden, insbesondere der
nicht geringen Anzahl solcher, welche, von den fraglichen Prophezei-
ungen erschreckt, doch wieder zu den Männern der Wissenschaft
kommen, um sich dort Beruhigung zu holen (z. B. wenn sie an der
Riviera sich aufzuhalten denken, und ein Falb scher Tag droht), wird
unsere Zeitschrift baldmöglichst beginnen, einige der eindrucksvolleren
Prophezeiungen dieser Art einer näheren Erörterung hinsichtlich
ihres Eintreffens oder Nichteintreffens und ihres daraus erfahrungs-
mäfsig zu folgernden, äufserst geringen praktischen Werthes zu unter-
ziehen und dies nöthigenfalls von Zeit zu Zeit zu wiederholen.
Zugleich wird es aber zu noch wirksamerer Bekämpfung jener
Beunruhigungen erforderlich sein, dafs es der wissenschaftlichen
Wetterkunde ermöglicht werde, im Sinne einer nach Ort und Zeit um-
sichtig zu begrenzenden Vorherbestimmung der grofsen Züge der
Wettererscheinungen weitere erhebliche Fortschritte zu machen. Dies
kann über nicht ohne staatliche Mitwirkung und ohne engeres Zu-
sammenwirken grofser Staatengruppen geschehen. Möge diese um-
fassendere Aktion nicht länger vertagt bleiben. Die seit einigen
Jahren eingetretene Stagnation derselben kann nur der Erzeugung und
Verbreitung von greiseren Wirrnissen auf diesem Gebiete förderlich sein.
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Versuch einer beweisführenden Darstellung des Welt-
gebäudes in elementarer Form.
S- “
Von
Dr. M. Wilhelm Meyer-Berlin.
VIII. Die himmlische Feldmesskunst,
in unserem vorangegangenen Artikel dargestellten Betrach-
tungen und Rechnungen haben uns in den Stand gesetzt, für
jeden Augenblick die Richtung zu bestimmen, in welcher sich
für einen Beobachter auf der Sonne ein bestimmter Planet befindet
Dafs allerdings diese Bestimmung mit der alleinigen Hülfe jener wenigen
gegebenen Daten, beispielsweise für den im Speziellen betrachteten
Planeten Mars, noch mit mancherlei Weitläufigkeiten behaftet sein
muss, ist begreiflich, wie man denn auch wohl einsehen wird, dafs
die Interpolationen, welche wir zwischen den durch die Beobachtung
direkt bestimmten Daten vornehmen müssen, nur näherungsweise zu
den gewünschten Resultaten führen können. Aber jedes astronomische
Beweisverfahren ist ein solches schrittweise sich der Wahrheit nähern-
des. Wir müssen uns vor der Hand damit begnügen, uns auf der
erklommenen Zwischenstufe zu befestigen, um dann den noch unbe-
kannten Weg weiter zu erforschen.
Unsere nächste Aufgabe wird es demnach Bein, zu jeder ein-
zelnen für die Opposition geltenden und deshalb ganz genau bestimm-
ten Richtung die zugehörige Entfernung des Planeten von der Sonne
zu finden.
Da nun diese Aufgabe, von unserer kleinen Erde aus jene un-
geheueren himmlischen Entfernungen auszumessen, dem nicht oder
nur wenig mathematisch vorgebildeten Laien zu den schwierigsten
und unbegreiflichsten Dingen gehört, so will ich mich bemühen, die
Beweisführung von den unmittelbar begreiflichsten logischen Elementen
an darzustellen. Für die Ungewöhnlichkeit der nun folgenden sich
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J
533
in geometrischen Anschauungen ergehenden Lektüre mufs den
Leser das lebhafte Interesse an der Aufgabe selbst entschädigen, die
dahin geht, mit dem menschlichen Geiste die unausdenkbarsten Him-
melsräume ausmessend zu umfassen, nicht anders und relativ nicht
unsicherer, als wir die Gröfse der irdischen Ländergebiete durch die
Kunst des Feldmessers bestimmen. Für diejenigen Leser allerdings,
welche die Anwendung ihres vom Gymnasium mit herüber genommenen
Wissens von der ebenen Trigonometrie noch nicht verlernt haben,
werde ich sehr viel Ueberllüssiges sagen. Das wird jedoch weniger
schaden, als wenn ich für die Uebrigen ein für sie unerflndbares
Glied in der logischen Schlufskette auslierse, wodurch ihnen dann alle
folgenden unverständlich bleiben würden.
Es wird jedermann unmittelbar ver-
ständlich sein, dafs die Entfernung eines /'
Punktes, welohen man nicht selbst er-
reichen kann, nur durch die Konstruirung
eines Dreiecks zu finden ist, von welchem
man mindestens die Länge einer Seite und die Gröfse der Winkel kennt.
Denn ziehen wir uns z. B. auf dem Papier eine Linie von bestimmter
Länge und tragen wir auf beiden Enden dieser Linie einen Winkel
von bestimmter Gröfse auf, so werden die Schenkel dieser beiden
Winkel doch stets in einem ganz bestimmten Punkte Zusammentreffen
und dadurch ein Dreieck umschliefsen, dessen beide übrigen Seiten
nun sofort ausgemessen werden können. Kein anderes Dreieck kann
jemals mit den gegebenen Stücken zusammengesetzt werden; es ist
völlig durch sie bestimmt
Die Konstruktion eines Dreiecks von beliebigen Dimensionen,
das genaue Aufträgen der gegebenen Winkel und schliefslich das Aus-
messen der entstehenden beiden neuen Seiten würde in Wirklichkeit
natürlich unüberwindliche praktische Schwierigkeiten darbieten und
gröfse Ungenauigkeit zurücklassen. Wir müssen zur Lösung der Auf-
gabe die unfehlbare Rechnung horbeiziehen und das ist in der That
mit Hülfe der bereits früher einmal (Seite 298 u. folg.) angewandten
trigonometrischen Tafeln leicht bewerkstelligt. Wir hatten damals die
gröfste und kleinste Sonnenhöhe, die Schiefe der Ekliptik, die geogra-
phische Breite u. s. w. aus der Beobachtung der Schattenlängen unserer
Siegessäule berechnet. Wir wollen uns derselben damals bestimmten
Daten bedienen, um zunächst allgemeiner die Rechnungsmethode dar-
zulegen, durch welche man die Dimensionen eines beliebig grofsen
Dreiecks finden kann.
Himmel und Erde. I. 9. 3$
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534
Die bekannte Linie dieses Dreiecks möge auf dem Terrain des
Königsplatzes in der Richtung des Meridians gezogen sein. Vom
Mittelpunkt der Siegessäule ab möge diese Linie nach Norden hin
55.4 m, d. b. ebenso lang sein wie der Schatten der Siegessäule in
unserem früher benützten Beispiele am längsten Tage des Jahres. Nach
Süden in dieser selben Richtung des Meridians soll sich die Linie bis
zu 401.1 m vom Mittelpunkte der Säule an fortsetzen, d. h. um soviel,
als die Länge des Schattens am Mittag des 21. Dezembers beträgt Beide
Längen hatten wir direkt
ausgemessen, sie sind be-
kannt nur haben wir die
eine derselben nach Süden
hin auf dem Terrain aufge-
tragen, während ja der
Schatten stets nach Norden
fällt Beide Linien zusam-
men bilden eine gröfsere
gerade Linie von 401.1 +
55.4 = 456.5 m. Dieses
soll die eine Linie unseres zu bestimmenden Dreiecks sein. Die
anderen beiden Linien des Dreiecks seien von beiden Enden der
ersten bis zur Spitze der Siegessäule gezogen. Ihre Längen sind uns
unbekannt, wir wollen sie berechnen. Dagegen kennen wir bereits
die beiden Winkel, tvelche diese Richtungen nach der Spitze der
Siegessäule mit der ersten horizontal liegenden Linie bilden. Diese
Winkel sind offenbar gleich den beiden extremen Sonnenhöhen, die
wir früher mit Hülfe jener Schattenlängen bestimmt haben und zwar
ist der Winkel im Norden der Siegessäule, welcher von der kürzesten
Schattenlänge ausgeht, gleich 61 °, der andere von der längsten Schatten-
länge, die wir nach Süden hin aufgetragen haben, ausgehende Winkel,
gleich 14". Man sehe darüber S. 299 unserer Zeitschrift. An dieser
selben Stelle wurde auch mitgetheilt, dafs man übereingekommen ist,
in dem gegebenen Falle die Siegessäule den Sinus, die Schattenlänge
dagegen den Cosinus des betreffenden Winkels der Sonnenhöhe1) zu
nennen und dafe man Tafeln berechnet hat, welche für jeden Winkel
die Vcrhältnifszahlen dieser beiden Gröfsen, d. h. die sogenannte Tan-
gente des betreffenden Winkels enthalten. Wir wollen uns die Saohe
■) Mit einer gewissen Einschränkung in Bezug auf die gewählte Einheit,
wolche später näher zu betrachten ist.
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535
in unserem speziellen Falle durch eine Zeichnung noch deutlicher
machen. Von dem beigogebenen Dreiecke, in dessen Mitte und bis
zu dessen Spitze die Siegessäule emporragt, ist die horizontale Seite
d e bekannt; a und b sollen gefunden werden. Es ist Winkel
A = 61°, B= 14° 2). Die Siegessäule wollen wir kurz mit s be-
zeichnen. Aufser dem Uebereinkommen wegen der Tangente gelten
nun noch die folgenden, die also, was wohl zu merken ist, nicht aus
mathematischen Deduktionen hervorgehen, sondern nur zur Konstruktion
allgemein übereinstimmender trigonometrischer Tafeln dienen, welche
die nothwendigen Rechnungen wesentlich erleichtern. Diese Ueber-
einkommen schreiben sich algebraisch folgendermafsen:
0
a
sin A
s . d
= sin A; == cos A;
= sin B; — = cos B
= lang A = — i-
cos A “ d
Es ist also auch
a sin B = s = b sin A
und folglich
. sin B
b = a — ; — .—
sm A
Wir sehen aus dieser letzteren Formel, dafs wir, da die Winkel A
und B uns ja bekannt sind, die Seite b sofort berechnen könnten,
wenn uns a bekannt wäre. Dagegen ist uns nur die Seite d + e ge-
geben. Aber es folgt zugleich aus einer sehr leichten Betrachtung,
dafs unsere letztere Formel eine allgemeinere Bedeutung hat, dafs
man nämlich die Länge einer Seite eines beliebigen Dreiecks stets
findet, indem man eine andere bekannte Seite desselben zunächst mul-
tiplizirt mit dem Sinus des der zu berechnenden Seite gegenüber-
liegenden Winkels und dividirt durch den Sinus des Winkels, welcher
der gegebenen Seite gegenüberliegt. Kennen wir also der Einfachheit
wegen die gegebene Seite d + e von jetzt ab c, und den gegenüber-
liegenden dritten Winkel des Dreiecks C, so haben wir
sin A , sin B
a = c - . b = c
sin C sin C
Der Winkel C ist uns zwar nicht unmittelbar gegeben, aber
jedermann wird sich erinnern, dafs das erste Axiom der Geometrie
lautet: Die Summe der drei Winkel eines jeden Dreiecks beträgt 180°.
Es ist folglich der Winkel C = 180° — 61° — 14° d. h. = 105°.
*) ln der Zeichnung sind die Winkel absichtlich nicht in ihrer wahren
Uröfse aufgetragen.
38*
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Mit Hülfe unserer Formeln und der trigonometrischen Tafeln finden
wir also sofort, dafs die Linie b, d. h. die Strecke von der Spitze der
Siegessäule bis zu dem Punkte, wohin ihr kürzester Schatten fallt,
1 14.3 m und ferner die Linie a oder die dem längsten Schatten ent-
sprechende = 413.3 m beträgt. Das ganze Dreieck ist uns somit
durch die Rechnung bekannt geworden und zwar, was wohl bemerkt
werden mufs, ohne die Höhe der Siegessäule überhaupt dazu nöthig
gehabt zu haben; diese können wir vielmehr aus einem der gegebenen
Winkel und einer Schattenlänge nach der oben gegebenen Formel
ohne weiteres berechnen. Auf diese Art werden überhaupt unzugäng-
liche Höhenpunkte gemessen.
Nach dieser Abschweifung auf das Gebiet der reinen Trigonometrio
wollen wir nun zu unserer astronomischen Aufgabe zurückkehren, zu
welcher wir die so erlangte Erfahrung benützen müssen. Wir wollen
die Entfernung eines Planeten von der Sonne zu einer bestimmten
Zeit berechnen, zunächst nur zu dem
£rfft Sonnt
Zwecke, um in irgend einem verkleiner-
ten Mafsstabe die verschiedenen, zu ver-
schiedenen Zeiten gefundenen Entfer-
nungen der Planeten von der Sonne vor
unseren Augen aufzoichnen und daraus
die wahre Form der Bahnen ermitteln
zu können. Das zu solchen Entfernungsbestimmungen stets nöthige
Dreieck liegt sofort vor: Die drei Ecken desselben werden durch die
Sonne, den betreffenden Planeten und die Erde gebildet Wir müssen
uns zunächst danach Umsehen, wieviel Stücke dieses Ungeheuern
Dreiecks uns ohne weiteres bekannt sind. Wir beginnen mit den
Winkeln. Der eine Winkel, welcher sich an der Erde befindet ist
offenbar sofort durch die Beobachtung gegeben: Wir visiren, um
ihn zu finden, mit unserem Winkelmefsinstrumente zunächst nach
der Sonne hin, lesen die Richtung auf dem getheilten Kreise des In-
strumentes ab und verschieben es nun, bis wir den Planeten im Ge-
sichtsfelde haben. Die Differenz zwischen beiden Winkelablesungen
ist der gesuchte Winkel. Oder, wenn wir die Länge der Sonne, d. h.
ihre Winkelentfernung vom Frühlingsnachtgleichenpunkte mit S und
die Entfernung des Planeten zu derselben Zeit und von demselben
Anfangspunkte aller astronomischen Winkelzählungen mit L bezeichnen,
so haben wir den einen Winkel des Dreiecks A = L — S. Dieser
kann also unmittelbar vom Himmel abgelesen werden. Aber auch
der zweite, bei der Sonne befindliche Winkel ist nach den Erfahrungen
537
unseres vorangegangenen Kapitels sofort gefunden. Danach sind wir
ja bekanntlich im slande, wenigstens mit einem gewissen Grade der
Annäherung die Richtung zu bestimmen, in welcher sich zu einer ge-
gebenen Zeit der Planet, von der Sonne aus gesehen, befindet Wir
kennen seine heliocentrische Länge 1. Die heliocentrische Länge der
Erde ist aber gleichfalls bekannt; die Erde befindet 6ich doch offen-
bar von der Sonne aus gesehen genau in der entgegengesetzten
Richtung, wie die Sonne von der Erde aus gesehen. Diese Länge
ist also E =■ S 180°. Der Winkel des Dreiecks an der Sonne
ist also B = 1 — E. Durch die Kenntnifs dieser beiden Winkel wird
aber der dritte auch sofort bekannt; er ist C = 180° — A — B.
Wir wollen die Sache gleich einmal an einem bestimmten Beispiele
näher darstellen.
Am 16. April 18883), zur Zeit des Greenwicher Mittags, betrug
der Beobachtung zufolge die Länge der Sonne = 26°. 88, ferner war
die geocentrischo Länge des Planeten Mars um diese selbe Zeit gleich
1990.90. Wir haben also A = L — S == 199». 90 — 260.88 = 173». 02.
Dieses ist der Winkel des Dreiecks bei der Erde. Zur Bestimmung
des Winkels an der Sonne haben wir zunächst die heliocentrische
Länge der Erde E -- 26°. 88 4- 189 — 206°. 88. Durch ganz dasselbe
Interpolationsverfahren, welches wir im vorigen Kapitel angewandt
haben, um dio siderische Umlaufszeit des Mars zu finden, berechnen
wir leicht, dafs zu der gegebenen Zeit die heliocentrische Länge des
Mars 1 = 2040.26 war. Wir haben also B = 1 — E = 2040.26 — 2060.88
= — 2°. 62. Es mag an dieser Stelle gleich eingeschoben werden, dafs
es bei der hier anzuwendenden Formel einerlei ist, ob wir einen be-
stimmten Winkel negativ oder positiv nehmen, so dafs wir das Minus-
zeichen vor den Winkeln weglassen können. Wir haben endlich
C = 180° — 1730.02 — 2°.62 = 40.36.
Die drei Winkel unseres Dreiecks sind uns damit bekannt und
es handelt sich deshalb nur nooh um die Kenntnifs einer der Seiten,
um sofort auch die Länge der beiden andern ermitteln zu können.
Nennen wir von diesen Seiten die Entfernung der Erde von der
Sonne R, die Entfernung des Planeten von der Sonne r und endlich
die Distanz zwischen dem Planeten und der Erde d, so haben wir also
M Ks wurde hier ein Beispiel gowählt, das feldmesserisch unzuläßig wäre,
wegen der kleinen Winkel, welche die Wirkungen der unvermeidlichen Be-
obachtungsfehler bedeutend vergrößern. Wir werden später sehen, dafs im
anderen Fallo eines Dreiecks mit größeren Winkeln durch die Interpolation noch
größere Kehler entstanden wären. Hior soll das Beispiel nur die Methode erläutern.
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538
sin 1730.02
r — K sin 4".36
Da wir nun vor der Hand kein Mittel wissen, eine dieser Ent-
fernungen, z. B. R, wirklich auszumessen und es uns andererseits auch
vorläufig nur darum zu thun ist, die relativen Verhältnisse dieser Ent-
fernungen kennen zu lernen, damit wir zunächst dio Form der Bahn
zu bestimmen im stände sind, so können wir uns erlauben für dieses
K eine ganz beliebige Zahl als Entfernung anzunehmen. Wir könnten
z. B. rund 20 Millionen Meilen dafür ansetzen, weil wir wissen, dafs
die Astronomen anderweitig in Erfahrung gebracht haben, dafs die
Entfernung der Sonne von uns sich etwa auf soviel beläuft. Unsere
letzte Formel würde dann eine bestimmte Anzahl von Meilen ergeben,
welche unter dieser Voraussetzung der Planet Mars von der Sonne
entfernt war. Aber einfacher gestaltet sich offenbar unsere Rechnung,
wenn wir statt dieser unverbürgten 20 Millionen Meilen nur kurz 1
setzen. Die Formel ergiebt dann, um wieviel Mal weiter um diese
Zeit Mars von der Sonne entfernt stand als die Erde. Wir erhalten
auf diese Weise r = 1.699. Es ist damit ganz streng bewiesen, dafs
Mars am Mittag des 16. April 1888 um 1.599 mal weiter von der Sonne
abstand, als die Erde zu derselben Zeit. Diese erkannte Wahrheit
ist offenbar von grofser Bedeutung für uns, denn wir sehen, dafs wir
die relativen Entfemungs- und Bewegungsverhältnisse der Planeten
unter einander nach strenger geometrischer Methode bestimmen können.
Denn wir brauchen nur diese Methode für beliebige Zeiten zu wieder-
holen, um durch die Vergleichung die periodischen Veränderungen
dieser Verhältnisse immer genauer zu studiren.
Zwar liegen für die unmittelbare Verwendung dieser Methode
zum Zweck der Erkenntnifs der Formen der Planetenbahnen zwei
wesentliche Schwierigkeiten vor, die wir noch überwinden müssen.
Zunächst zeigt es sich, dafs das Interpolationsverfahren, welches wir
anwandten, um die heliocentrische Länge des Planeten für eine be-
liebige Zeit zu finden, nicht völlig exakt ist. Wir würden, wenn wir
zwischen zwei beobachteten Oppositionen, für welche ja bekanntlich
die heliocentriseben Längen sofort bekannt sind, eine dritte Oppositions-
länge durch Interpolation bestimmen wollten, dieselbe mit der wirklich
beobachteten Länge niemals ganz genau übereinstimmend finden; wir
müssen uns von diesem, hierdurch in unsere Rechnung getragenen
Fehler zu befreien suchen, indem wir nur wirklich beobachtete Oppo-
sitionslängen anwenden. Wie das geschehen kann, soll sogleich
gezeigt werden. Die zweite Schwierigkeit liegt in der Erwägung, dafs
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539
bei einem zweiten Dreieck, welches für eine andere gegebene Zeit
gilt als das erste, sich inzwischen zugleich auch die Entfernung der
Erde von der Sonne in vorläufig noch unbekannter Weise geändert
hat. Wir bekommen aber durch die Auflösung des neuen Dreiecks
nur das Verhältnifs zwischen den neuen Entfernungen der Erde und des
Planeten von der Sonne. Eine direkte Vergleichung der Resultate
aus beiden Dreiecken mit einander ist deshalb nicht möglich.
Ich will nun das Verfahren auseinandersetzen, durch welches
sich Kepler über diese Schwierigkeiten hinweghalf.
Zur eigentlichen Oppositionszeit läfst sich unsere Dreiecksmethode
leider nicht anwenden, weil ja dann Sonne, Erde und Planet in einer
geraden Linie stehen, d. h. überhaupt kein Dreieok bilden. Wir können
aber unsere früher erworbene Kenntnifs von der siderischen Umlaufs-
zeit des Planeten benutzen, um uns das gewünschte Dreieck für einen
Moment zu verschaffen, für welchen wir die heliocentrische Länge des
Planeten ebenso genau kennen wie zur Oppositionszeit selbst. Wir
wissen, dafs nach einem siderischen Umlaufe der Planet von der Sonne
aus gesehen in genau dieselbe Richtung wieder zurückkehrt. Wir
dürfen auch ohne weiteres annehmen, dafs die vor der Hand noch un-
bekannte Entfernung des Planeten von der Sonne jedesmal nach einem
vollen Umlauf um die letztere wieder die gleiche ist. Eis ist dies, wie
gesagt, vor der Hand nur eine Annahme; sie wird jedoch zur Noth-
wendigkeit, wenn wir von der Ueberzeugung ausgehen, dafs die Pla-
netenbahnen in sich geschlossene Linien bilden, was ja fast ohne
weiteres aus dem regelmäfsigen Spiel ihrer Bewegungen, auch wie
sie sich in ihrer scheinbaren Verwickelung von der Erde aus dar-
stellen, hervorgeht.
Sei also t irgend eine Oppositionszeit des Planeten und u seine
siderische Umlaufszeit. Dann wird zur Zeit t + u die heliocentrische
Länge 1 und die Entfernung des Planeten von der Sonne r dieselbe
sein, wie zur Zeit t Für diese letztere ist 1 unmittelbar durch
die Beobachtung gegeben, also auch für t + u bekannt Zu dieser
letzteren Zeit befindet sich aber die Erde nicht mehr in der gleichen
geraden Linie wie zur Oppositionszeit, und es wird also durch die drei
Körper, Sonne, Erde und Planet ein regelrechtes Dreieok gebildet,
dessen Winkel ebenso wie in dem früher speziell betrachteten Falle,
durch die Beobachtung gegeben sind. Wir können in diesem Dreieck
also r sofort berechnen, wenn wir R = 1 setzen. Wir bekommen
dadurch das diesmal ganz genaue Verhältnifs zwischen den jeweiligen
Entfernungen der beiden betreffenden Himmelskörper von der Sonne.
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540
Wir gehen nun weiter und lassen noch eine siderische Umlaufszeit
des Planeten eintreten. Zur Zeit t + 2 u sind wieder r und 1 dieselben
wie vorhin, nur die Lage der Erde zur Sonne ist eine verschiedene
geworden. Wir bekommen ein neues Dreieck, in welchem wir wiederum
alle Winkel bestimmen können und uns zugleich der wichtige Vor-
Iheil zu statten kommt, dafs auch die eine Seite r mit der vorhin ge-
wählten Einheit gemessen, genau bekannt ist. Wir können deshalb
diesmal R, die Entfernung der Erde von der Sonne, ebenso genau be-
rechnen und bekommen sie jetzt in der früheren Einheit ausgedrückt.
Dieses Verfahren giebt uus also genauen Aufsohlufs über die Ent-
fornungsveränderungen der Erde von der Sonne in einer bestimmten
Zwischenzeit Wir können nun offenbar dieses selbe Verfahren noch
weiter fortsetzen und die betreffenden Dreiecke für die Zeiten t 4- 3u,
t + 4u u. s. w. berechnen. Wir bekommen dann jedesmal ein anderes
R, und allo diese Entfernungen sind mit einem und demselben Mafs-
stabe gemessen; wir können sie rings um den Punkt, welcher die
Sonne darstellen mag, aufzeichnen und bekommen dann, indem wir
die Endpunkte dieser Linien durch eine Kurve verbinden, ein genaues
Abbild der wahren Form der Erdbahn. Wir wollen auch hier wieder
die Sache durch ein praktisches Beispiel erläutern.
Nach der im vorigen Hefte gegebenen Tafel fand eine Opposition
des Mars 1877 September 5.50 statt. Die Länge des Planeten war
nach dieser selben Tafel damals 1 = 343°.47. Durch Addition der
siderischen Umlaufszeit u = 686.98 Tage zu dem soeben angeführten
Momente finden wir t|u = 1879 Juli 24.48. Zu dieser Zeit wurde
nun beobachtet die I Jingo der Sonne S = 121 ».60 und die geocentrische
Länge des Mars L = 30°.71. Die heliocentrische Länge des Planeten
raufste, wie wir wissen, gleichzeitig dieselbe sein, wie zur Oppo-
sitionszeit, 1 = 343".47. Wir haben deshalb A = L — S = 90°.89,
B = 1 — E = 41n.87, und demnach C = 47°.24. Indem wir nun die
Entfernung der Sonne von uns in diesem Momente R = 1 setzen, er-
halten wir nach der oben angegebenen Formel
_ sin 90».89 _
r sin 470.24“ = 1362
Das heilst also, Mars befand sich um diese Zeit um 1.362 mal
weiter von der Sonne entfernt, als die Erde. Das liefs sich mit mathe-
mathischer Bestimmtheit nachweisen. Wir gehen nun weiter und be-
stimmen zunächst die Zeit t + 2 u = 1881 Juni 10.46. Um diese Zeit
wurde beobachtet S = 80°.06 und L = 22°.03. Auch diesmal ist
1 = 343 ».47. Es folgt daraus A = 58 »03, B = 83 »41 und C = 38 ».56.
541
Diesmal wollen wir R für diese Zeit bestimmen, da wir r = 1.362
bereits aus dem vorher bestimmten Dreiecke kennen. Nach den früher
gefundenen trigonometrischen Regeln ergiebt sich diese Entfernung
R =
sin C
r — — r
sin A
1.362
sin 38 °.5G
sin 58 ».03
1.001
Es zeigt sich also, dafs die Entfernung der Erde von der Sonne
am 10. Juni 1881 fast genau dieselbe war, wie am 24. Juli 1879. Wenn
wir nun diese Rcohnung noch für die beiden nächston siderischen
Umläufe t + 3 u und t + 4 u wiederholen, so finden wir, dafs da-
gegen diese Entfernung am 28. April 1883 nur 0.993 derjenigen vom
24. Juli 1879 betrug und dafs endlich dieses Verhältnifs am 15. März
1885 auf 0.980 herabgesunken war.
Indem wir nun diese Rechnungsmethode auf eine zweite Oppo-
sition anwenden, erhalten wir abermals eine Serie von Entfernungen
der Erde von der Sonne, welche allerdings in einer anderen Einheit
ausgedrückt sind. Diese zweite Opposition liifst sich indefs so aus-
wählen, dafs eine dieser Entfernungen, Radien vectoren genannt, nahezu
um dieselbe Zeit stattfindet, wie eine aus der ersten Serie. Diese mufs
also in der That jener gleich oder doch so nahe gleich sein, dafs der
sehr kleine Unterschied so zweifellos gleichmäfsig mit der Zeit fort-
schreitet, dafs man denselben durch eine Interpolation in der mehr-
fach angewendeten Weise fortschaffen kann. Das direkte Rechnungs-
resultat giebt iudefs verschiedene Zahlen für diese gleichen Radien,
weil sie sich auf verschiedene Einheiten beziehen, d. h. mit ver-
schiedenem Mafse gemessen wurden. Da wir nun aber wissen, dafs
diese betreffenden beiden Radien in der That gleich lang sind, so läfst
sich unmittelbar das Verhältnifs der beiden angewandten Mafseinheiten
unter einander bestimmen und alle in der einen Maßeinheit angegebenen
Größen sind auf die andere zurückzuführen. So können wir es mit wei-
teren Reihen machen, bis wir endlich eine genügend große Anzahl von
über den ganzen Umkreis vertheilten Radien der Erdbahn besitzen, welche
uns völlig genügende Anhaltspunkte für unser fortgesetztes Studium der
genauen Form dieser Bahn gewähren. Folgende Tabelle ist das Re-
sultat einer solchen successiven Berechnung. In der ersten Reiho
sind die heliocentrischen Richtungen angegeben, für welche die be-
treffenden Radien gelten; in der zweiten befinden sich diese letzteren
selbst, in der dritten sind die direkt zu beobachtenden mittleren täg.-
lichen Bewegungsgeschwindigkeiten der Sonne von der Erde aus ge-
sehen (offenbar identisch mit denen der Erde von der Sonne gesehen),
hingeschrieben.
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E
R
▼
E
R
▼
10«
1.000
0
».986
190»
1.000
0<
>.986
40
0.991
1
.003
220
1.008
0
.970
70
0.986
1
.015
250
1.014
0
.957
100
0.983
1
.020
280
1.017
0
.953
130
0.985
1
.015
310
1.015
0
.957
160
0.991
1
.002
340
1.008
0
.969
Diese Tafel giebt
uns
sehr
merkwürdigen
Aufschlufs
über
gesetzmäfsigen Veränderungen unserer Entfernung von der Sonne.
Sie zeigt zwar keine sehr bedeutenden Variationen, d. h. die Erdbahn
ist von einem Kreise nicht sehr verschieden, aber die doch in den
Zahlen deutlich hervortretenden Aenderungen der Entfernungen zeigen
sich in ganz bestimmter Weise abhängig von der Geschwindigkeit der
Erde in ihrer Bahn; wenn diese am gröfsten ist, so befinden wir
uns der Sonne am nächsten; das findet etwa bei 100° heliocentrischer
Erdliinge statt, welche Lage die Erde zur Zeit am 1. Januar jeden
Jahres einnimmt Sechs Monate später, bei genau 180° gröfserer Länge
(280°), findet bei grofsester Entfernung die langsamste Bewegung statt-
Wir haben hier also in streng geometrischer Beweisführung eine That-
sache nachgewiesen, deren erste Vorahnung sich gewissermafsen
bereits in jenem excentrischen Kreise Hipparchs verkörperte, durch
welchen die Sonne uns ja in der That in jener nun exakt gefundenen
Richtung ferner gerückt wurde. Nach Hipparch war allerdings diese
Abnahme der Geschwindigkeit der nach ihm in dem excentrischen
Kreise selbst sich gleichmäfsig schnell bewegenden Sonne nur eine
scheinbare.
Aus der Diskussion der nach der eingehend beschriebenen
Methode gefundenen wirklichen Bewegungen und dazu gehörigen
relativen Entfernungen geht indefs nunmehr mit Sicherheit hervor,
dafs jener selbst noch von Copernikus festgehaltene excentrische
Kreis nicht mehr genügt, um die hier niedergeschriebenen Thatsachen
der Beobachtung und mathematischen Deduktion zu erklären. Die
Form der Bahn, wie sie sich aus den Zahlen der letzten Tabelle er-
giebt, ist kein Kreis, sondern eine Ellipse.
Wir müssen bei diesem wichtigsten Satze der neuen durch Kepler
reformirten Astronomie stehen bleiben, um uns zunächst zu vergegen-
wärtigen, was eine Ellipse ist und wie sie entsteht. In Form einer
Ellipse stellt sich uns jeder Kreis dar, welchen wir unter einem
schiefen Winkel sehen. Wir erkennen bei der Betrachtung einer
solchen Figur sofort, dafs dieselbe einen gröfsten und einen klein-
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543
sten Durchmesser besitzt, welcher letztere auf dem ersteren senkrecht
steht. Bei der Ellipse heilst der gröfste Durchmesser die grofse,
der kleinste die kleine Achse; erstere wird bei algebraischer Rech-
nung gewöhnlich mit a, letztere mit b bezeichnet Man kann sich nun
eine Ellipse, für welche diese beiden ihre Form völlig bestimmt aus-
drückenden Gröfsen a und b gegeben sind, beinahe ebenso leicht auf-
zeichnen, wie einen Kreis. Das geschieht folgendermafsen:
Man ziehe zunächst eine Linie von der Länge der grofsen Achse
und errichte senkrecht auf ihrer Mitte die kleine Achse, so dafs beide
durch den Kreuzungspunkt in zwei gleiche Hälften getrennt sind.
Nun nehme man zwei Stecknadeln und einen Faden und befestige die
ersteren derart an demselben, dafs der Faden zwischen ihnen gerade
ebenso lang ist, wie die grofse Achse. Man befestige nun zunächst
die Mitte dieses Fadens an einem Ende der kleinen Achse und darauf
die beiden Stecknadeln derart auf der grofsen Achse, dafs der Faden
straff gespannt ist Nach dieser einfachen Vorbereitung ist die ge-
wünschte Ellipse sofort zu ziehen, indem man die Spitze des Bleistifts
so am Faden entlang führt, dafs dieser stets straff gespannt bleibt4)
Eine so entstehende Ellipse ist nicht etwa nur annäherungsweise richtig,
sondern entspricht (soweit nicht die unvermeidlichen Fehler der tech-
nischen Ausführung hinzukommen) durchaus den strengen Anforderungen,
welche die Geometrie an eine solche Curve stellt
Diese Anforderungen können natürlich auch durch die mathe-
•) Die beiden Stecknadeln befinden sich alsdann in den beiden sogenann-
ten Brennpunkten der Ellipse.
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544
matische Rechnung präcisirt werden und auf diese kommt es uns be-
greiflicherweise bei der stets mehr nötbig werdenden Schärfe der
Prüfung ganz besonders an. Ich darf ruioh jedoch hier bei den rein
geometrischen Betrachtungen Uber die Eigenschaften der Ellipse nicht
länger aufhalten und meine Leser müssen es mir diesmal aufs gegebene
Wort allein glauben, dafs man die Entfernung eines beliebigen Punktes
der Peripherie einer Ellipse von einem ihrer Brennpunkte durch eine
sehr einfache Berechnung für eine beliebig gegebene Richtung finden
kann. Durch die Vergleichung solcher Rechnung mit den Resultaten
jener feldmesserischen Thätigkeit, durch welche wir vorhin die relativen
Entfernungen der Erde von der Sonne genau zu bestimmen im stände
waren, ergiebt sich sofort mit vollkommener Sicherheit, dafs die Erde
sich wirklich in einer genauen Ellipse um die Sonne bewegt, oder
umgekehrt die Sonne um die Erde, was wir ja bisher immer noch
nicht definitiv von einander unterscheiden konnten, und dafs sich der
ruhende Körper in einem der Brennpunkte jener Ellipse befindet
Nachdem wir nun die Form der Erdbahn genau erkannt haben,
können wir auch durch Rechnung den Radius vcctor der Erde für jede
beliebige Zeit in einer bestimmten Einheit ausgedrückt berechnen.
Wir kennen also dadurch stets ohne weiteres die eine Seite eines
durch Sonne, Erde und einen anderen Planeten gebildeten Dreiecks.
Wir sind deshalb auch im stände für irgend eine Zeit für welche wir
die heliocentrische Länge des betreffenden Planeten durch die oben
angegebenen Methoden erfahren haben, seine jedesmalige Entfernung
von der Sonne, jetzt nun stets mit ein und demselben Mafsstabe ge-
messen, zu bestimmen. Wir erhalten folglich auch die Radien vectoren
r des Planeten für beliebig viele seiner heliocentrischen Längen 1, und
können nun auch dessen Bahn genau bestimmen. Wir kommen dabei
zu demselben Resultate, wie bei der Erde, dafs sich nämlich unter
den gemachten Voraussetzungen jeder Planet in einer Ellipse
um die Sonne bewegt, in deren einem Brennpunkte sich
die letztere befindet. Dieses grundlegende Resultat unserer geome-
trisch strengen Deduktion bezeichnet man bekanntlich mit dem Namen
des ersten Keplerschen Gesetzes.
Das sogeuannte zweite Keplersche G esetz, welches für unsere
späteren Entwicklungen von keiner besonderen Bedeutung sein wird,
drückt die Beziehung aus, welche wir bereits zwischen der Ver-
änderung der Entfernungen in jener Ellipse und den Geschwindig-
keiten des Planeten in seiner Bahn entdeckt haben. Es besagt, dafe
die von den Radien vectoren eines Planeten auf seiner Ellipse gleichsam
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545
bestrichenen Flächen immer der dazu verwendeten Zeit proportional
sind. Es geht daraus hervor, dafs und wieviel der Planet in seinem
Perihel schneller laufen mufs, als im Aphel. Denn im ersteren sind
dessen Radien kleiner als im letzteren. Die Flächenräume zwischen
zweien derselben sind also, bei gleich-
bleibendem Winkel an der Sonne,
kleiner für das Perihel als für das
Aphel. Da nun aber nach dem aus-
gesprochenen Gesetze für eine gleiche
Zeit, welche dem Planeten zu seiner
Bewegung auf der Peripherie seiner
Ellipse gegeben wird, die beschrie-
bene Fläche die gleiche bleibt, in
welchem Theile seiner Bahn er sich auch befinden mag, so mufs der
Winkel zwischen den beiden begrenzenden Radien nothwendig im
Perihel ein gröfserer sein als im Aphel, d. h. der Planet mufs sich in
ersterem schneller bewegen. Auch dieses Gesetz folgerte Kepler
direkt aus den Ergebnissen seiner Feldmefsarbeit am Himmel. Er
bestimmte das Areal dieser verschiedenen Ellipsenabschnitte ganz wie
ein Geometer die Felder absteckt.
Diese so ungemein einfache Beziehung zwischen der Entfernung
eines Himmelskörpers von dem Central punkte seines Systems und der
Geschwindigkeit seiner Bewegung mutete in dem prophetischen Geiste
des grofsen Reformators der theoretischen Sternkunde die innige
Ueberzeugung immer mehr befestigen, dafs eine einheitliche ewige
Kraft von diesem Mittelpunkte mit gleicher Energie die Zügel aller
Planeten-Bewegungen lenken müsse. Die Bestätigung dieser hohen
Anschauung, welche dem Weltgedanken von der Einheit des Ganzen
erst die wahre Universalität verleihen konnte, lieferte sein drittes und
höchstes Gesetz, mit dem wir uns in den folgenden Betrachtungen
eingehender zu beschäftigen haben.
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Die Photogrammetrie oder Bildmefskunst
h
c~ n diesem Jahre feiert die Photographie das Jubiläum ihres fünfzig-
jährigen Bestehens. Am 10. August 1839 übergab die franzö-
sische Regierung das von Daguerre entdeckte Verfahren, Bilder
auf Silberplatten herzustellen, der Oeffentlichkeit, nicht ohne vorher
dem Entdecker eine lebenslängliche jährliche Pension von 6000 Franken
ausgesetzt zu haben. Die Daguerrotypie, anfänglich nur Portraitir-
kunst, fand sehr schnell allerorten begeisterte und fähige Jünger, in
deren Händen sie allmählich in der umfassenderen Gestalt der Pho-
tographie zu einem bedeutungsvollen Zweige der Wissenschaft und
Technik emporgewachsen ist Jetzt erstreckt sich die Anwendung der
Photographie auf fast alle Zweige menschlichen Könnens und Wissens.
Dem Astronomen dient sie zur Anfertigung neuer Himmelskarten
von ungeahnter Vollständigkeit, zur Entdeckung neuer und genaueren
Kenntnifs der bereits entdeckten Welten, dem Physiker oder Me-
teorologen überliefert sie schnell vorübergehende Naturerscheinungen
zu einem späteren, ruhigeren Studium. Dem Zoologen, Botaniker,
Mineralogen und Geologen fertigt siegetreue makro- und mikros-
kopische Abbildungen aus dem Thier-, Pflanzen- und Steinreich. Dem
Geographen hilft sie Karten entwerfen. Der Künstler selbst
kann ihrer nicht entratlien. Sie verbreitet seine Schöpfungen
in getreuen Kopien, die Schätze der Museen und Kunsthallen für
jedermann erschliefsend. Die verschiedenen diesjährigen photogra-
phischen Jubiläumsausstellungen zu Berlin,1) München, Paris, St. Peters-
’) Die photographische Jubiläums-Ausslellung zu lierlin wird von der
„Deutschen Gesellschaft von Freunden der Photographie zu Berlin“ unter Mit-
wirkung des „Ilcrl. Vereins zur Förderung der Photographie“ und der „Schle-
sischen Gesellschaft von Freunden der Photographio zu Breslau“ in den Mo-
naton September -Oktober veranstaltet und in dieser Zeitschrift z. Z. eingehend
besprochen werden.
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547
bürg, Washington, Philadelphia u. s. w. werden berufen sein, die ge-
steigerten Leistungen der Photographie der Neuzeit einem gröfseren
Kreise des Publikums darzuthun.
Heute wollen wir unsem Lesern von einem neuesten Fortschritt
auf dem Gebiete der Photogrammetrie oder Bi ldmefskunst, welche
für alle diejenigen der obenerwähnten Zweige von der gröfsten Bedeu-
tung ist, in denen zahle-nmiifsige Beziehungen eine Rolle spielen,
kurz berichten, nämlich von Prof. C. Koppes Phototheodoliten. Die
Photogrammetrie ist die Lehre von der Yerwerthung von Photographien
zu Messungszwecken, insbesondere zur Landes- und Bau- Vermessung,
und diese Yerwerthung wird durch Koppes Phototheodolit in sicher-
ster und einfachster Weise ermöglicht. In Bezug auf die historische
Entwickelung der Photogrammotrie verweisen wir auf Pizzighelli2)
und Pietsch3) und erwähnen hier nur die grofsen Verdienste
Meydenbauers um die Einführung der Photogrammetrie in die
Praxis. Meydenbauers Bestrebungen haben seitens des preußi-
schen Cultusministers, Herrn Dr. von Gossler, durch Gründung eines
Institutes zu photogrammetrischen Aufnahmen vaterländischer Bau-
denkmäler zu Berlin eine lebhafte Förderung gefunden.
Koppes Phototheodolit, der auf dem VIII. deutschen Geo-
graphentage zu Borlin ausgestellt war und in einem besonderen Lehr-
buch4) der Bildmesskunst näher beschrieben wird, unterscheidet sich
von Meydenbauers und Vogels oder Doergens photogramme-
trischen Apparaten dadurch, dafs er die Winkelmessung in noch ein-
facherer Weiso von den instrumentalen Fehlerquellen unabhängig macht.
Von anderen Theodoliten unterscheidet sich der Phototheodolit
(Fig. 1) nur dadurch, dafs seine horizontale Fernrohraxe konisch aus-
*) „Handbuch der Photographie für Amateure und Touristen“, Halle 1887
Bd. II S. 26G ff.
3) „Photogrammetrie“, Vortrag gehalten im Verein zur Beförderung des
Gewerbefleifses zu Borlin am 1. März 1886.
4) Prof. Dr. C. Koppe: „Die Photogrammetrie oder Bildmefskunst“, Weimar
1889, Verlag der deutschen Photographen-Zeitung. Dieses Lehrbuch ist wegen
seiner klaren Ausdrucksweise und Verständlichkeit ffir jedermann, — es setzt
nur die Elemente der Mathematik als bekannt voraus — sehr empfehlonswerth
Wir müssen uns hier auf eine Wiodergabe des Inhaltsverzeichnirses beschränken,
da eine nähere Besprechung uns zu weit führen würde. Kap. I. Photogram-
metrische Konstruktionen. II. Dio photographischen Objektive. III. Der Photo-
theodolit. IV. Ueber einige andere photogrammetrischen Apparate. V. Prüfung
und Berichtigung des Pholotheodoliten. VI. Die Bestimmung der Bildwoite.
VII. Veber den Einflufs verschiedener Fehlerquellen. VIII. Die photogram-
metrische Aufnahme des Rofstrappefelsens im Harz.
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548
gedreht ist (Fig. 2), um die photographische Camera aufnehmen zu
können. Das Instrument ist mit und ohne Camera genau äquilibrirt.
Auf diese Weise kann es selbständig, wie jeder andere Theodolit, zu
allen astronomischen und geodätischen Messungen benutzt werden;
zu photogrammetrischen Arbeiten braucht alsdann nur die Camera
eingesetzt zu werden, was in wenigen Sekunden mit voller Sicherheit
geschehen kann. Wiederholte Versuche haben dargethan, dafs nicht
Fig. 1. Koppes Phototheodolit mit Camera.
die geringste Abweichung der optischen Axe der photographischen
Camera nach dem Herausnehmen und Wiedereinsetzen der letzteren
innerhalb der in Betracht kommenden Genauigkeitsgrenzen zu er-
kennen ist. Die unveränderte Lage der Camera wird theils durch den
starken Konus mit den zu ihm senkrechten Auflagerflächen FF in
Fig. 2, theils durch die vier kleinen, aber starken metallenen Federn (T
in Fig. 1 und die Berührung des Anschlagstiftes der photographischen
Camera mit der Stellschraube b in Fig. 2 gesichert. Der Verpack-
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649
knsten des Instrumentes dient zugleich als Dunkelkammer für den
Plattenwechsel, wodurch nicht nur ein besonderer Wechselsack erspart
wird, sondern auch die sonst üblichen, stets in greiserer Zahl noth-
wendigen Doppelkassetten, die zudem eine neue Fehlerquelle bilden,
in Wegfall kommen.
Fig. 2. Koppes Phototheodolit ohne Camera.
Durch diese Anordnungen ist erreicht worden, dafs mit ein und
demselben Apparate beliebig direkt oder photogrammetrisch bei allen
Neigungswinkeln gleich sicher und bequem beobachtet werden kann.
Zwei gesonderte Instrumente zum gleichen Zwecke wären erheblich un-
bequemer und kostspieliger, und photogrammetrisch da arbeiten, wo eine
direkte Beobachtung sicherer und bequemer ist, hiefse die Photogram-
metrie in Milskredit bringen. Der Phototheodolit empfiehlt sich somit
als ein bequem zu handhabendes Universalinstrument, gleich gut
Himmel und Erde. I. 9. 39
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560
geeignet für geodätische, astronomische, meteorologische, geographische
und architektonische Messungen.
Es dürfte für unsere Leser noch von besonderem Interesse sein,
dafs auf Veranlassung des Herrn Prof. Dr. Foerster photogramnietrische
Apparate nach Angabe des Herrn Jesse bereits angefertigt werden, um
im Juni und Juli dieses Jahres korrespondirende Höhenmessungen der
leuchtenden Nachtwolken5) auf verschiedenen Stationen zu erzielen. Eine
andere nützliche Verwendung dürfte der Apparat bei der bevorstehen-
den Ausführung eines Planes des Amateur- Vereines für Luftschiff-
fahrt Anden. Herr Ingenieur v. Siegsfeld hat kleine Thermometer
konslruirt, die bei bestimmten Temperaturen durch Schliefsung eines
elektrischen Stromes ein Lichtsignal geben. Eis sollen nun kleine
Ballons von 1 — 2 Meter Durchmesser mit solchen Thermometern aus-
gerüstet, Nachts unter elektrischer Beleuchtung aufgelassen und die
Lichtsignale der Thermometer mit dem Phototheodoliten beobachtet
werden, um photogrammetrisch die jeweilige Höhe der Ballons fest-
zulegen. Auf diese Weise wird es vielleicht gelingen, das Gesetz der
Temperaturabnahme mit der Höhe, welches in so vielen meteoro-
logischen, physikalischen und astronomischen Fragen eine wichtige
Rolle spielt, genauer und eingehender studiren zu können.
Während die Photogrammelrie so einerseits gerade für Amateure
eine in vielor Beziehung günstige und ergiebige Gelegenheit zur
eigenen Bethätigung in den naturwissenschaftlichen Forschungszweigen
darbietet, ist sie andererseits berechtigt, die volle Aufmerksamkeit der
Fachleute zur Verbesserung und Vertiefung ihrer Methoden in An-
spruch zu nehmen. F. S. Are lienhold.
*
Ausrüstung der Sternwarte in Nizza. Nach dem Pariser „ An-
nuaire pour 1889“ stehen dem von Baron Bischofsheim gegründeten
Observatorium in Nizza derzeit ausser einem reichhaltigen Park von
spektralanalytischen, magnetischen und meteorologischen Apparaten
folgende grolse Instrumente zur Verfügung: ein Aequatorial von 78 cm
(26") Objektivöffnung, ein ebensolches von 38 cm (12"), ein grofscr
Meridiankreis von Brunner, ein kleinerer von Gautier; die Mon-
tirung der Aequatoriale ist von Gautier, die Objektive derselben von
Henry. Die Beleuchtung der Räume geschieht durch Elektricität, jene
der Mikroskope auf gleichem Wege.
<•) Siehe Heft 5, S. 'iht— 8G.
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Googl"
551
Erscheinungen am Sternenhimmel im Slonat Juni-Juli.
(Sämtliche Zeitangaben gelten für Berliner Zeit.)
l. Der Mond.
Aufgang
20. Juni
Letztes Viertel
Oh
33™ Mg.
27. „
Erdferne
3
2
„
28. „
Neumond
8
41
6. Juli
Erstes Viertel
0
25
Nm.
12. .
Erdnähe, Vollmond
8
17
Ab.
Maxima der Libration:
19. Juni, 5., 17. Juli.
Untergang
11h 52» Vm.
7 43 Ab.
8 36 „
Mttn.
3 1 Mg.
i. Die Planeten.
Morkur
Venus
Rectas.
Declin.
Aufg.
| Unterg.
Rectas.
Declin.
Aufg.
| Unterg.
14. Juni
6k 4m
i+20"45'|
4-19 47
4h 30» 1$.
8h 36».«.
2*» 39m
'+12» 28'
1h 58» Ij.
4h 18» 5«.
18. „
5 55
4 14 „
1 8 8 „
2 50
+13 4
1 50 .
4 16 .
22- „ |
5 46
+ 19 4
3 56 .
7 41 .
3 2
+13 46
I 42 „
4 16 .
26. „
5 38
j+18 43
3 36 .
7 14 _
3 14
+14 32
: 1 34 .
4 18 .
30. „
5 35
|+18 47
3 16 .
6 .54 „
3 28
+ 15 21
1 28 .
4 20 .
4. Juli
5 37
+19 13
2 59 .
6 41 .
3 43
+16 10
1 20 .
4 24 .
8. .
5 45
+19 56
2 44 .
6 36 „
3 58
+16 59
1 14 .
4 28 .
12. .
5 58
!+20 48
2 »4 .
1 6 38 •
4 13
+17 47
1 9 »
4 33 .
16. .
6 17
+21 39
2 30 »
6 46 .
4 29
+18 32
1 4 "
j 4 38 „
12. Juli gröfsto westl. Elongation.
26. Jur
10. Jul
ii Sonnenferne,
i gröfste westl. Elongation.
'
M
a r s
Jupiter
j Rectas. j Declin. j
Aufg. |
Unterg.
Rectas. |
Declin.
Aufg. |
Unterg.
12. Juni 1
5h30»‘+23»56'|
3h 40» lg.
Sh 32» U.
18h21»'
—23» 10'
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18. .
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+24 11
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30. „
6 23
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3 20 „
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18 12
—23 16
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3 30 .
6. Juli
6 41
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8 2 „
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2 35 .
Saturn
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1 Rectas.
| Declin. j
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Rectas.
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Aufg.
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10. Juni
9h 16»
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llh.39».«.
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4. Juli
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552
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15. Juni
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15. Juli
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4 31 „
3. Beobachtbare Verfinsterungen der Jupitertrabanten.
21. Juni
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Trab. Verfinst Eintritt
1*
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Mg
25.
n.
n
Austritt 10
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Ab.
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I
17
Mg.
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Ab.
11.
„
in.
„
*
t
29
Mg.
15.
1.
„
n
n
10
11
Ab.
4. Sternbedeckungen durch den Mond.
(für Berlin sichtbar.)
Gröfse Eintritt Austritt
20. Juni: *30 Piscium 4.8®» 3h 32»® Mg. 3b 59® Mg.
(Sonnenaufgang 7® nach Eintritt des Sternes.)
5. Veränderliche Sterne.
a)
Maxiina variabler Sterne:
Maximum
Helligkeit im
1889
am
Max. Min.
ltectas.
Declin
R Piscium
7. Juli
7.8 Gr. 12—13 Gr.
1 k 24» 55* +
2- 18'
U Monoc.
3- ,
ß . 7 „
7 25 89 —
9 33
Z Virginis
6. .
5 . 8 .
14 4 22 —
12 47
U Cephei .
S Cancri .
0 Librae .
U Coronae .
U Ophiuchi
Y Cygni .
b) Minima der Sterne vom Algol-Typus:
22., 27. Juni, 2., 7., 12. Juli Vra.
24. Juni Mg., 3. Juli Nm., 13. Mg.
15. Juni Nm, 20. Mg., 24. Ab., 29. Mtt, 4. Juli Mg., 8. Ab., 13. Mtl.
19. Juni Mg., 26* Mg., 2. Juli Ab., 9. Ab.
(Jedes 4. Min.): 15. Juni Mg., 18. Nm., 22. Mg., 25. Vm., 28. Ab.,
2. Juli Mg., 5. Mtt, 8. Ab., 12. Mg., 15. Nm.
(Jedes 3. Min.): 16. Juni Ab., 21. Mg., 25. Ab., 30. Mg., 4. Juli
Ab., 9. Mg., 13. Ab.
T Monoc. .
ß Lyrao
7) Aquilae .
0 Cephei .
c) Minima einigor Veränderlicher kurzer Poriode:
. 8. Juli.
. 12., 25. Juni, 8., 21. Juli.
. 4., 11., 18., 25. Juni, 3., 10. Juli.
. 20., 26. Juni, 1., 6., 12. Juli.
6. Meteoriten.
Der Monat Juli ist ziemlich reich an periodischen Meteorschwärraen. Die
August-Perseiden (Maximum am 10. August) haben nach Denning ihren An-
fang noch in der ersten Hälfte des Juli.
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553
Zwölf Grad Büdlich von dem Radiationspunkte dieses Schwarmes,* ••))
zwischen n und £ des Perseus, liegt nach Dcntiing der Radiant eines etwa
am 6. Juli beginnenden Meteoritenstromes von sehr kontinuirlieher Dauer, der
bis in den November anhält und bisweilen reichliche Sternschnuppenfälle
liefert. Ebenfalls noch in die erste Hälfte des Juli fallend und bis November
reichend, ist ein Schwarm, der seinen Ausgang von einer Position etwa l1/, Grad
nördlich des Sternes ß Trianguli”) nimmt.
7. Leuchtende Nachtwolken.
(Wir beziehen uns betreffs der wünschenswerthen Beobachtung dieser
Erscheinung auf unsere Bemerkungen im Mai-Heft.)
8. Nachrichten über Kometen.
Der am 31. März von Barnard entdeckte Komet (s. Maiheft), der sich
anfangs als sehr kleiner, nur 10 Sekunden grofser Nebel 12.— 13. Gröfse zeigte
und einen Schweif von 15 Minuten Länge mit sich führte, ist der Beobachtung
bald wieder entzogen worden. Das Gestirn wird nämlich, wie die jetzt vor-
liegenden besseren Bahnelemente***) zeigen, erst um Mitte Juni in die Sonnen-
nähe gelangen; es näherte sich also im April und Mai mehr und mehr der
Sonne, verlor rasch an Lichtstärke und hatte in der Abenddämmerung eine
tiefe Stellung am Horizonte, so dafs es kaum länger als bis Anfang Mai ver-
folgbar blieb. In der That sind verhältnifsrnäfsig wenig Beobachtungen aus
München, Strafsburg, Kopenhagen, Algier, Bordeaux und dem Lick-Observa-
torium eingelangt. Erst nach dem Perihel, mit Anfang August, werden die
Sichtbarkeit» Verhältnisse günstig, der Komet wird dann an Lichtstärke bis zu
der Helligkeit wieder zugenommen haben, die er bei der Entdeckung besafs.
Er ist zu dieser Zeit bald nach 2 Uhr Morgens beobachtbar und steht im nörd-
lichen Theilo des Orion, westlich vom Kopfe desselben.
*
Duplizität von a Ursae majori«. Zu don neuesten Leistungen des
Riesenfornrohrs der Lick-Stern warte (s. Maiheft „Himmel und Erde“) zählt die
Zerlegung eines der bekanntesten Sterne unseres nördlichen Himmels, des
Sternes a im ..grofsen Bären“, in ein Doppelsternsystem. Dieser alte Leitstern
der Araber (von ihnen Dubho genannt) hat nach Burnham neben dem Haupt-
stern zweiter Gröfse noch einen schwachen Begleiter elfter Gröfsenklasse.
Die Distanz beider Gestirne ist nur 0.9 Bogensekunden, der Positionswinkel
328 Grad. Im Lick-Refraktor soll die Trennbarkeit dieses wegen des grofsen
Helligkeitsunterschiedes der Komponenten fiir andere Fernröhre kaum zu-
gänglichen Doppelsternpaares bei guter Luft nicht allzu schwierig sein. *
$
Die Mondbilder, welche in vortrefflicher hcliographischer Wiedergabe
eines am grofsen Refraktor der Lick-Sternwarte angefortigten Photogramms
diesem Hefte beigegeben sind, lassen infolgo besonders günstiger Verhältnisse
*) Der Kadiationspunkt der I’orseiden liegt bei A R = 46’, D =: + 57 •.
••) AR =3 90*, D = + 96*
•••) Die Bahnbastimmungsverhkltnlsse erwiesen sich fllr die Rechnung wegen der ge-
ringen geocentrischen Bewegung des Kometen als ziemlich ungünstig.
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554
in Bezug auf die Zeit der Aufnahmo sehr deutlich die sogenannte sc he inbare
Libration dos Mondes erkennen, worauf wir unsere Leser besonders hinzu-
weisen nicht versäumen wollen. Nahe dem unteren, nördlichen Horne wird man
z. B. im Bilde des ersten Viertels zwei gröfsere Ringgebirge (Eudoxus und Aristo-
teles) bemerken; ebendieselben sind auch an der Lichtgrenze im Bilde des
letzten Viertels sichtbar, erscheinen aber hier sehr merkbar in Bezug auf den
Mondrand nach rechts oben verschoben. Die Ursache hierfür liegt darin, dafs
der Mond uns eben nicht stets genau dieselbe Seite zuwendet, sondern in
seiner Stellung gegen die Erde geringe Schwankungen aufweist, die man als
Libration bezeichnet hat und wrelche bowirken, dafs wir im Laufe der Zeit
4 : der gesamten Mondoberfläche zu sehen bekommen, während uns nur */, für
immer unsichtbar bleiben. Diese Libration entsteht durch besondere Bewegungs-
Verhältnisse des Mondes in seiner Bahn. Ob es aufsor dieser scheinbaren
Libration auch eine physischo Libration giobt, dadurch hervorgebracht, dafs
die Rotationsdauer des Mondes nicht immer genau mit seiner Umlaufszeit über-
einstimmt, ist eine noch unentschiedene Frage, da diese wirkliche Schwan-
kung sicherlich von nur sehr geringer Gröfse sein kann.
$
Druck fehlerberichtigung.
Auf Seite 44*2, vorletzte Zeile, ist leider ein sinnstörender Druckfehler
stehen geblieben. Statt „Zoll“ muss es „Bogensekunden" heissen.
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Herrn Oberlehrer W. Krüger in Tilsit Ihre sehr interessanten Mit-
theilungen über die Beobachtung leuchtender Wolken im vorigen Sommer
bringen wir sehr gern durch theilweisen Abdruck zur Kenntnifs unserer Leser,
um dadurch von neuem zur Beobachtung dieses interessanten Phänomens im
gegenwärtigen Monat Juni anzuregen. Wir weichen damit, wie wir hiermit
ausdrücklich hervorheben, ausnahmsweise von unserem Prinzipe ab, nach
welchem wir im allgemeinen die Publikation von Beobachtungen den hierfür
speziell bestimmten Fachzeitschriften überlassen, wahrend wir uns in unserer
Zeitschrift vornehmlich auf gröfsere, zusammenfassendere Darstellungen der Be-
obachtungs- und Forschungsergebnisse beschränken.
Beobachtung leuchtender Wolken am 23. Juni 1888 zu Tilsit. Von
W. Krüger, Oberlehrer.
Nachdem ich die interessanten Mittheilungen des Herrn 0. Je sse-Steglitz
im Februarhefte der Zeitschrift „Himmel und Erde“ 1889 gelesen, erscheint es
mir angemessen, meine Beobachtung leuchtender Wolken vom vorigen Jahre
zu veröffentlichen, da es erwünscht sein mufs, die merkwürdige Erscheinung
von möglichst vielen Seiten her kennen zu lernen.
Ala ich am 23. Juni 1888 Abends 10*» 25n» mein nach NNW gelegenes
Zimmer betrat, präsentirte sich die Erscheinung der leuchtenden Wolken in
ihrer vollen Pracht und machte einen um so gröfsern Eindruck, als ich zum
ersten Male Gelegenheit erhielt, derartiges zu beobachten. Unmittelbar über
dem Horizont lag noch ziemlich helle Dämmerung von röthlicher Farbe bis
zur Höhe von etwa 10°.
Darüber hatte der sonst klare Himmel eine dunkelbleigraue, ins grünliche
gehende Farbe, die weiter nach oben schwärzlich olivenblaugrau wurde — ich
konnte mich nicht leicht von der Vorstellung losmachen, dafs hier schweres
dunkles Gewölk läge, bis ich deutlich sichtbar auf dem dunklen Grunde Sterne
wahrnahm; auf demselben waren gleichzeitig sichtbar: silberweifse, hell leuch-
tende Cirruswolken. Der Mittelpunkt der Erscheinung lag boi Beginn der
Beobachtung ca. 35° westlich vom astronomischen Nordpunkte, die Wolken
reichten rechts bis an den Stern ß Aurigae (10h 30m), von dem noch weiter
rechts a Aurigae sichtbar wurde. Die leuchtenden Wolken wurden nun mit
einem zweizölligoti, lichtstarken Krimmstochor von 8-maliger Vergröfserung
beobachtet, in welchem die zarte Cirrusstruktur aufs schönste sichtbar wurde,
nach dem äufseron Rande bin war die Begrenzung etwas verwaschen; nach
innen hin waren zahlreiche Bcharfbogronzte, theils geradlinigte, theils wellen-
förmige Schrafflrungen sichtbar. Alle diese Gebilde zeigten sich in stetiger,
nicht zu schneller Wandlung begriffen, sowohl nach Form wio nach Licht-
intensität.
Das Maximum der Lichtintensität lag zunächst links von der Mitte in
zwei blendend weifsen etwas gebogenen, schräge verlaufenden, scharfbegrenzten
Lichtlinien a, b der Fig., in welcher die zeitlich etwas getrennten Phasen der
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Erscheinung in ihren Hauptmomenten neben einander dargestellt sind. Die
anfänglich einfache Linie b theilt sich danach in zwei starke Lichtlinien, welche
nach unten einen spitzen Winkel bilden. Danach bildet sich eine neue Linie
c aus, welche nach einiger Zeit nach oben hin einen nebligen Pinsel a bildet
— gleichzeitig wird sie blasser und verschwindet
Um ein geringes später als diese Gruppe bildet sich rechts von der Mitte
des Meteors die Linie d aus, ebenfalls mit maximaler Lichtintensität, jedoch
nicht so hell als b; dieselbe löst sich nach einiger Zeit in zwei Linien d und d,
auf; letztere setzen wieder nach einiger Zeit neblige Pinsel nach unten an,
wobei sie zugleich blafa werden und erlöschen. An andern Stellen wächst
blauweifses Licht an, aber nicht zu derselben Intensität, wie an den Stellen a
und d, und schwindet danach wieder.
Um 11*» beginnt die Erscheinung sich von der Ostseito her aufzulösen;
der Streifen a b hat sich ein wenig in der Richtung 0— W verschoben und
ist matter geworden; um 11h 15m sind nur noch Spuren der leuchtenden
Wolken im Krimmstecher zu sehen — um 11h 30m ist von der Erscheinung
nichts mehr wahrzunehmen — der Himmel im NW und N absolut klar, ohne
Spur von fremder Färbung oder Trübung.
Die Temperatur war während der Beobachtung 9,8® R., der Wind NW
1—2 (der meteorologischen Skala). Einige niedrige Cirrocuraulusstreifen, welche
sich über das Zenith von WNW— OSO erstreckten, verschoben sich während der
Beobachtungszeit nach S; — sie waren allein von dem niedrigstehenden Voll-
mond beleuchtet und erschienen in düster röthlich grauer Färbung — sie bil-
deten hinsichtlich Lichtintensität und Farbe einen ansehnlichen Kontrast zu
den leuchtenden Wolken ira NNW.
Verlag von Hermann l'aetel in Berlin. — Druck von Wilhelm Oronau’s Buchdruckerei in Berlin.
Kür die Rcdaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Moyer in Berlin.
Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt.
Uobersetzungsrecht Vorbehalten.
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JÜJßJJi
Der Fortschritt in der Selenographie. ')
Von Professor Dr. L. Weinek,
Direktor der K. K. Stern warto in Prag.
£\\ allen Zeiten hat der Mond durch seine glänzende Scheibe,
seine scheinbare Gröfso und wechselnde Gestalt die Aufmerk-
samkeit des Menschen auf sich gelenkt. Er ist es, welcher
mit dem Untergange des blendenden Tagesgestirnes die bescheidene
Herrschaft am nächtlichen Himmel antritt; auf sterngesticktem Grunde
zieht er seine stille Bahn, überfluthet die Erde mit mildem, zauber-
vollem Silberlichte, das er als Gabe der Sonne zu uns sendet, und
ist dem Wanderer zu Lande wie zur See ein sicherer Führer durch
die Schrecken der Nacht, bis der erste Purpurschimmer im Osten die
Ankunft der Tageskönigin verkündigt, und die aufgegangene Sonne
ihm wieder das Scepter entreiföt.
Die dunklen Flecken der vollen Mondscheibe, wolche man schon
mit freiem Auge deutlich wahrnimmt, haben von jehor die Phantasie
des Beschauers erregt und auch bald die Frage veranlafst, was die-
selben wohl bedeuten mögen. Bei fast allen Völkern des Erdenrunds
findet man, dafs die Einbildung sich aus den Mondflecken ein Bild
zurecht gemacht hat, wobei überraschender Weise an oft weit von
einander entfernten Orten die gleichen Anschauungen wiederkehren.
Die Meisten erblicken im Monde einen Hasen oder eine Antilope, so
die Nordamerikaner, Chinesen, Japaner und Inder. Daher stammen
auch die Sanskritnamen für den Mond: cacadhara, ?a<;abhrt2) = Hasen-
1 ) In dieser historischen Ueborsicbt ist im wesentlichen nur dio Ent-
wickelung der Mondabbildung auf dem Wege des Zeichnens behandelt, also
dio Mondphotographie aufser acht gelassen.
-’) Kathäsaritaägara 73, 250.
Himmel und Knie. I. 10. 40
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träger und mrgadhara3) = Antilopenträger. Andere Völker, wie jene in
Südamerika, Afrika und Europa sehen im Monde ein menschliches
Gesicht oder eine ganze menschliche Figur und knüpfen an dieses
vermeintliche Aussehen Legenden und Sagen, theils poetischer, theils
wenig poetischer Natur.4) Am ungezwungensten erkennt man im
Monde ein Gesicht eil face; achtet mau aber schärfer auf die flecken-
reiche Scheibe, so sieht man sehr augenfällig das Profilbild eines
männlichen Kopfes, welches nach links gewendet und etwas nach
aufwärts gerichtet ist. Indem die Phantasie demselben noch einen
Frauenkopf gegenüberstellte und die Lippen beider sich berühren
liefs, entstand der sogenannte „Kufs im Monde“, welcher aber mehr
crrathen, als gesehen wird.
Das Zunächstliegende war, dafs man zwischen dem Monde und
der Erde Analogieen zog und die dunklen Flecken für Meere, die
hollen Partien für Kontinente hielt. Die verschiedenen alten An-
sichten hierüber stellt Plutarch in seiner Schrift über das Gesicht
im Monde zusammen, welche von Kepler unter dem Titel: „Plutarchi
philosophi Chaeroncnsis libellus de facie, quae in orbe Lunae apparet“
ins Lateinische übertragen wurde.5) Er selbst vertritt die von den
griechischen Philosophen, namentlich von Anaxagoras, schon lange
gelehrte Anschauung, dafs der Mond nur eine andere Erde sei und
ebenso wie diese Berge und Thäler besitze. Interessant ist Plutarch s
Vergleichung der supponirten Mondberge mit dem Borge Athos,6)
welcher bei untergehender Sonne seinen Schatten 700 Stadien weit über
das Meer bis zur Insel Lemnos wirft, so dafö das Ende desselben die
eherne Kuh auf dem Forum der Stadt Myrine erreicht. Derselbe führt
auch die sonderbare Vorstellung von Klearchos und Agesianax an,
nach welcher der Mond ein metallner Spiegel wäre, der einfach die
Erde mit ihren Ländern und Meeren wiederspiegle, ein Glaube, welcher
noch heute im Morgonlande bestehen soll. So erzählt Humboldt im
Kosmos:") „Ich war einst sehr verwundert, einen sehr gebildeten
3) Vif upälabadha 9, 34.
* i Eine Zusammenstellung dieser Phantasieen der Völker findet man in
Oscar Pescheis Schrift: „Uebor den Mann im Monde“ (Abhandlungen zur
Erd- und Völkerkunde 1878, S. 327 — 337).
*) Joannis Kepleri Astronomi opera omnia ed. Frisch 1870. VoL VIII,
pars 1. p. 76.
“) Derselbe liegt auf dor Landzunge Hagion Oros der Halbinsel Chalkis
(Macedonien, Türkei) und ist 1935 Meter hoch. Lemnos, jetzt Limnos, liegt
östlich davon im aegacischcn Meere.
’j Stuttgart 1874 , 3. Bd. S. 362.
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Perser aus Jspahan, welcher gewifs nie ein griechisches Buch gelesen
halte, als ich ihm in Paris die Mondflecken in einem grofsen Fern-
rohr zeigte, die erwähnte Hypothese des Agesianax von Spiegelung
als eine in seinem Vaterlande viel verbreitete anführen zu hören.
Was wir dort im Monde sehen, sagte der Perser, sind wir selbst; es
ist die Karte unserer Erde.“
Wir wären auf solche Vermuthungen beschränkt geblieben, wenn
nicht die Erfindung des Fernrohrs um 16U9 den Blick dos Menschen
in ungeahnter Weise geschärft und die gesamte Astronomie mit
einem Schlage umgestaltet hätte, wobei der Gedanke, das Erschaute
zugleich abzubilden und festzuhalten, besonders nahe lag. Der grofse
Physiker Galilei richtete als Erster dieses wunderbare Instrument
auf den Himmel und gab in seinem „Sternenboten“ 8) der staunenden
Mitwelt Kunde von dem Gesehenen. Er entdeckte sofort die ge-
birgige Beschaffenheit der Mondoberfläche, indem er den veränder-
lichen Schattenwurf ihrer Gebilde erkannte, lüste die Milchstrafso in
Sterne auf uud fand, dafs der Planet Jupiter von vier Monden um-
kreist wird. Galilei unternahm es auch, die Höhen der Mondberge
zu messen, indem er beachtete, wie lange einzelne helle Bergspitzeu
an der Beleuchtungsgrenze des Mondes bis zu ihrem Verschwinden
bei untergehender Sonne sichtbar blieben, fand jedoch zu grofse
Höhen. Er versuchte ferner den Mond zu zeichnen, lieferte aber
ebenso Unvollkommenes, wie seine Zeitgenossen, der Jesuit Scheiner
und der Kapuziner Schyrlaeus de Iiheita. Besser waren die
Zeichnungen des neapolitanischen Edelmannes Fontana, welche der-
selbe seit 1630 angefertigt und in seinem Werke: „Novae coelestium
terrestriumque rerum observationes“ 1646 veröffentlicht hat. Auch
Galileis gelehrter Freund Sarpi, der berühmte Gesohichtschreiber
des Tridentiner Concils, soll sich eifrig mit dum Monde beschäftigt
haben. Als zur selben Zeit Kepler das Fernrohr auf den Mond
richtete, war dieser über die Regelmäfsigkeit vieler Mondgebilde, die
zumeist einen kreisförmigen Wall mit kleiner centraler Erhebung
zeigten, erstaunt und hielt sie aus diesem Grunde für Werke der
Kunst, für Städte der Seienden, welche von denselben nach bestimmtem
Plane ausgegraben worden wären, wobei der aufgeworfene Boden zur
Herstellung des Walles gedient hätte.9)
*) Sidereus Nuncius 1610.
*) Joannis Kepleri Astronom! opera omnia ed. Frisch. VoL V1U,
pars 1, p. 67. „Sed ex ipsa cavilatum liguratione colligo, loca potius esse
palustris. Atque in iia eudymionidae soleut metari spatia suorum oppidorum
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Eine der ersten Mondkarten stammt von dem Jesuiten Van
Langren, dem Mathematiker des Königs Philipp IV. von Spanien,
welche zwischen 1647 und 1657 zu Brüssel unter dem Titel:
„Planisphaerium lunae, a se mediantibus telescopiis observatum“ er-
schien und die Mondformationen mit den Namen von Heiligen belegte.
So hiefs das jetzige Ringgebirgo Plato der heilige Athanasius, die
Ringebene Galilei die heilige Genoveva u. s. w. Die noch gegen-
wärtig bestehenden Namen: Catharina, Cyrillus und Theophilus datiren
aus jener Zeit Auch Langrens Karte war roh und übertrieben,
wie fast alle Abbildungen der damaligen Selenographen.
AU’ diese Arbeiten wurden bei weitem übertroffen durch die
„Selenographia, sive Lunae Descriptio“ 1647 des Danziger Rathsherm
und Brauereibesitzers Hevelius, welches treffliche Werk 495 Seiten
Text mit 40 von ihm selbst gezeichneten und in Kupfer gestochenen
Phasenbildern dos Mondes, nebst drei Vollmond-Karten (O, P und R)
und einer schematischen Mondkarte mit den von demselben eingefuhrten
Benennungen enthält. 0 hat einen Durchmesser von 16,3 cm, P und
R von 28,6 cm. Die beiden letzteren tragen die Jahreszahl 1645 und
sind bezeichnet: P = Nativa Lunae Plenae Facies (ohne Schatten-
wurf der Mondgebilde), R — Tabula Selenographica Phasium Generalis
(mit Schattenwurf nach Westen). Diese letzte Generalkarte dürfte
hauptsächlich gemeint sein, wenn von der He ve Ischen Vollmondkarte
gesprochen wird. Sie bietet sich dem Auge in gefälligerer Form als
P dar, ist wie diese in Strichmanier mit mehr oder weniger dichter
Schraffirung für dunklere oder hellere Partien des Mondes ausgeführt
und blieb etwa 100 Jahre die beste Karte, die man vom Monde über-
haupt besafs. Freilich ist sie nach heutigen Begriffen sowohl hinsicht-
lich ihrer Ausführung als des gebotenen Details eine bescheidene
Leistung; doch hat man zur richtigen Werthschätzung derselben die
damalige Zeit mit ihren unvollkommenen Fernrohren und beschränkten
Hülfsmitteln in Betracht zu ziehen, während hingegen die Technik des
Kupferstiches bereits auf dem Standpunkte hoher Vollendung war, wie
dies die acht Engelsgestalten, welche die beiden gröfseren Vollmond-
Karten umgeben, und besonders das dem Werke vorangestellte Portrait
Hevels beweisen. Diesbezüglich schrieb später (1661) Hevelius an
einen Freund:10) ..Die Figuren alle mit einander, welche in meiner
Selenographia, Epistola und Dissertatione de nativa Saturni facie vor-
sui muniondi causa tarn contra humorem muscosum, quam contra Solis ardores,
forto etiam contra hostes.“
■"J lt. Wolf .Geschichte der Astronomie- 1877, S. 3-1.
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ogk
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handen, sind gar nicht geetzet, sondern habe sie alle mit meiner Hand
geschnitten, gehet zwar viel langsamer zu, ist auch viel mühsamer,
aber man kann alles viel reinlicher zu wege bringen. Auch alle Fi-
guren, die in meine Cometographiam und machinam coclestem hinein
sollen, deren ein grofser numerus, gedenke ich wils Gott Selbsten zu
schneiden, wozu aber viel Zeit gehört.“ — Das genannte Werk ist die
Frucht einer fünfjährigen Beobachtung des Mondes, welche Hevelius
auf seiner eigenen Sternwarte, an welcher dessen zweite Frau Marga-
retha Koopmann die geschickteste Gehülfin war, an 6- und 12-rüfsigen,
von ihm selbst verfertigten Fernrohren bei 30- bis 40-facher Ver-
gröfserung ausführte. Da er ein Mikrometer nicht besafs, so beruhen
die Zeichnungen nur auf Schätzungen. Das ganze Unternehmen wäre
aber fast infolge des Umstandes gescheitert, dafs Hevelius zu Beginn
seiner Arbeit erfuhr, es habe der Pariser Mathematiker und Astronom
Gassendi mit Hülfe eines tüchtigen Zeichners und Kupferstechers eine
gleiche Mondaufnahme in Angriff genommen. Er richtete deshalb eine
bez. Anfrage an Gassendi, welcher einige Proben seiner Mondzeich-
nungen beigefügt waren, und deren Erfolg schliefslich darin bestand,
dafs Gassendi solchen Leistungen gegenüber zurücktrat und Hevelius
dringend auflbrderte, das Begonnene fortzusetzen. Die Selenographia
ist Hevels erstes Werk und bleibt für alle Zeiten ein ehrwürdiges
Denkmal ausdauernder wissenschaftlicher Thätigkeit. Es erregte seiner
Zeit so grofses Aufsehen, dafs Papst Innocenz X. darüber den Ausspruch
gethan haben soll: „Sarebbe questo libro senza pari, se non fosse scritto
da un’ eretico,“ '*) und der berühmte Mondtopograph Mädler sagt wört-
lich:12) „Dem unermüdlichen Eifer und der grofscn Geschicklichkeit
des unvergefslichen Hevel war es Vorbehalten, ein Werk dieser Art
zu erschaffen, welches für die damaligen Ilülfsmittel von höchster Vor-
trefllichkeit war, und aufser seinen anderen astronomischen Arbeiten
ihm allein schon die Unsterblichkeit sichert“ Leider ist von seinen
Kupferplatten nur die Vollmoudkarto erhalten geblieben, welche noch
gegenwärtig in der Form eines Kaffeebrettes existiren soll.
Hevelius hatte ursprünglich die Absicht die verschiedenen For-
mationen auf dem Monde mit den Kamen von bedeutenden Gelehrten
zu belegen, kam aber schliefslich von dieser Idee ab, da man, wie er
sagt leicht glauben könnte, er wolle damit irgend welchen Dank ein-
ernten, und da andererseits er sich dadurch viel Neid und Feindschaft zu-
,l) .Dieses Buch würde olmo seines Gleichen sein, wenn es nicht von
einem Ketzer geschrieben wäre.“
**) Beer und Mädler .Der Mond“ 1837, S. 181.
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gezogen haben würde.'*) Er wählte deshalb Namen aus der Geographie,
ohne jedoch damit, wie er sich ausdrücklich verwahrt, Aehnlichkeiten
zwischen terrestrischen und lunaren Objekten andeuten zu wollen. Auf
p. 228—235 derSelenographia kommen bereits die Gebirgsnamen: Alpen,
Apenninen, Haemus, Karpathen. Kaukasus, Riphaeus, Taurus vor, welche
sich, wie die von ihm bezeichneten Meere: Mare Serenitatis, Mare
frigoris, Oceanus Procellarum etc. bis heute erhalten haben. Ob Heve-
lius Langrens Heiligen-Namen überhaupt nicht kannte oder dieselben
einfach ignorirte, ist mit Sicherheit nicht zu entscheiden.
Eine andere Vollmondkarte findet sich in dem, von dem Jesuiten
Riccioli 1651 herausgegebenen „Almagestum novum“ und ist von
dem Jesuiten Grimaldi, dem Entdecker der Lichtbeugung angefertigt
worden. Diese Karte hat einen Durchmesser von 28,0 cm, ist in ihrer
Strichmanier gröber als die desllevelius und steht derselben überhaupt,
wie dieses schon der blofse Anblick darthut, durch ihre Uebertreibung
und geringere Sorgfalt bedeutend nach. Mit ihrer Veröffentlichung ist
aber Riccio'is Name insofern bekannter als der anderer Selenographen
geworden, <’a jener die ursprüngliche Idee des Hevelius zur Ausfüh-
rung brachte und dio Mondgebilde mit den Namen hervorragender
Männer bezeichnete, eine Nomenklatur, die sich, Dank der menschlichen
Eitelkeit, bis zur Gegenwart erhalten hat und fast von jedem Mond-
forscher vermehrt wird. Miidler äufsert sich darüber, wie folgt: '*)
„Eine weit weniger vollkommene Mondkarte (als diejenige von Heve-
lius) lieferte 1651 der Pater Riccioli in Bologna. Diese Erscheinung
wäre in der astronomischen Welt ziemlich unbeachtet vorübergegangen,
hätte der Verfasser nicht durch Autoreitelkeit eine den späteren Astro-
nomen empfindliche Verwirrung angerichtet. Um nämlich seinem
eigenen Namen auf dem Monde eine Stelle zu verschaffen, fand er sich
bewogen, die durch Hevel eingeführte, von Ländern und Meeren un-
serer Erde entnommene Nomenklatur umzustofsen, und den Mondflecken
die Namen berühmter Gelehrten beizulegen.1-11) Ergänzend ist zu be-
merken, dafs Riccioli sich selbst mit einer der gröfsten Wallebenen
am östlichen Rande des Mondes und seinen Freund Grimaldi mit
einer ähnlichen ebendaselbst bedacht hat.
Noch ist hervorzuheben eine Mondkarte von 20 Zoll (54.1cm) Durch-
”) Hevelii Selenographia 1647, p. 224: „faiäle fleri possc, ut cum nomen-
clatura ista modo designata, gratiam colligere aliipmm veilem, invidiam atque
inimicitirm mihi f1 r'e conflarem.“
M) Beer und Miidler -Der Mond“ 1837, S. 184.
'*) Vgl. X ei so u „Der Mond- 1878, S. 60, welcher günstiger über Riccioli
urtheilt.
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messer, welche Dominique Cassini durch einen geübten Zeichner
Patigny seit 1673 mit einem 34-fiifsigen Fernrohr der Pariser Sternwarte
anfertigen liefs, und welche 1680 veröffentlicht wurde. Dieselbe übertraf
die Hevelsehe wohl an Vollständigkeit, nicht aber an Genauigkeit.
Auch sie beruhte in der Hauptsache auf Schätzungen und scheint bald
vergriffen gewesen zu sein, so dafs sie sich wahrscheinlich gar nicht
nach Deutschland verbreitet hat Erst 1787 erschien eine neue Aus-
gabe derselben von Lalande. Auch Lahire, welcher vom Maler
und Architekten zum Professor der Mathematik in Paris avancirte,
soll sich mit einer grofsen Mondkarte versucht haben, welche aber
niemals gestochen worden ist.
Eine neue und grundlegende Epoche für die Darstellung der
Mondobarfläche begann um die Mitte des vorigen Jahrhunderts durch
die Arbeiten von Tobias Mayer. Im Jahre 1748, als derselbe noch Mit-
arbeiter am Homan sehen Landkarten-Institute zu Nürnberg war, empfand
Mayer bei der beabsichtigten Vorausberechnung der verschiedenen
Phasen einer Mondfinstemifs desselben Jahres den Mangel von ge-
nauen Positionen für die einzelnen Mondtlecken und entschlofs sich
alsbald, die selenographische Länge und Breite mehrerer Punkto der
Mondscheibe mit dem Mikrometer zu messen. Er führte dieses Vor-
haben innerhalb 1 1/2 Jahren aus, indem er fiir eine Generalkarte des
Mondes im Durchmesser von 7 */2 Pariser Zoll (20,3 cm) 24 Mond-
llecken möglichst scharf und wiederholt mafs, und an diese noch 63
Punkto durch sorgfältige Schätzungen anschlofs. Andere Arbeiten
des seit 1751 berühmten Professors der Oekonomie und Mathematik
in Göttingen und sein früher Tod 1762 im Alter von 30 Jahren ver-
hinderten die Herausgabe dieser zwar kleinen, doch alles Frühere
an Genauigkeit übertreffenden Mondkarte, bis sie endlich 1775 durch
Lichtenberg, Professor der Physik in Göttingen, unter Mayers
„Opera inedita“ veröffentlicht wurde. Sie blieb, wie vordem die
Hevelsehe, die vorzüglichste Karte bis 1824 und war die Grundlago
zahlreicher Nachbildungen.
Es mag wunder nehmen, dafs Mayers Vorgänger nicht eben-
falls auf den Gedanken der Messung verfielen. Doch ist zu beachten,
dafs früher die Mondtheorie sich noch in ihrer Kindheit befand, und
die Herücksichtigung der scheinbaren Schwankungen der Mondkugel
gegen die Gcsichtslinie (der sogenannten Libration) zu schwierig er-
schien. Wir unterscheiden bekanntlich dreierlei Arten von Libration
(libraro = schwanken, schwingen): 1. Die Libration in Länge, 2. die
Libration in Breite und 3. dio parallaktische Libration. Dio erste
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geht aus dem Umstaude hervor, dafs die Rotationsgeschwindigkeit des
Mondes und die Geschwindigkeit seiner elliptischen Bewegung um die
Erde nicht immer gleioh sind. Erstere ist konstant, letztere nach den
Kepl ersehen Gesetzen veränderlich. Derart geschieht es, dafe bei
der Fortbewegung des Mondes auf seinem monatlichen Wege um die
Erde nicht auch die Mondkugel sich stets um ein Gleiches nach der
Gesichtslinie zurückdreht und auf diese Weise jener Punkt, welcher
ursprünglich in der Mitte der Monscheibe lag, nicht immer dort ver-
bleibt. Er rückt vielmehr bald östlich, bald westlich, wodurch neue
Partien am Westrande bezw. am Ostrande des Mondes zum Vorschein
kommen, dagegen an den entgegengesetzten Rändern die alten
scheinbar verschwinden. Dieses Spiel wiederholt sich in jedem Mond-
monate und kann mit dem Fernrohr deutlich verfolgt werden. Die
Wirkung iiufsert sich in jener Riohtung, in welcher der Astronom die
Längen auf dem Mondo zählt; daher der Name. Sie wurde zuerst
von Hevel und Riccioli beobachtet. — Die zweitgenannte Libration
rührt daher, dafs die Utndrehungsaxe des Mondes nicht genau senk-
recht zur Mondbahn steht Deshalb ereignet es sich, dafs wir zu-
weilen über den Nordpol des Mondes hinweg oder unter den Südpol
desselben sehen, ähnlich, wie dies für einen Beschauer unserer Erde
von der Sonne aus der Fall sein würde, und dafs die mittleren
Partien des Mondes kleine Schwankungen in der Breite ausfiihren. —
Endlich erklärt sich die parallaktische Libration dadurch, dafs der
Mond nur 60 Erdhalbmesser von uns entfernt ist, und es nicht gleich-
giltig erscheint, von welchem Punkte der Erde aus wir ihn betrachten
oder welche Höhe er in seinem Tageslaufe über dem Horizonte des
Beobachters einnimmt Letztere beiden Librationen wurden schon von
Galilei entdeckt. Aufser diesen drei optischen Librationen lehrt die
Theorie noch eine vierte, thatsächliche Schwankung des Mondes (die
sogenannte physische Libration), über welche jedoch ihres geringen
Betrages wegen die Untersuchungen noch im Gange sind. — Durch
dieses scheinbare Hin- und Herpendeln des Mondes um die Gesichls-
linie, zufolge dessen wir in jedem Mondmonate 4/, der ganzen Mond-
oberfläohe gewahr werden, während eigentlich nur 3 /, derselben uns
stets unbekannt bleiben, müssen also zahlreiche perspektivische Ver-
kürzungen der Mondgebilde auflreten, welche zur Erkenntnifs der
wahren Gestalt dieser Formationen in Rechnung zu ziehen sind. Man
entwirft daher eine solche Mondkarte für die sogenannte mittlere
Libration, und das ist es, was zuerst Mayer, später auch Lambert
tgost. 1777), doch mit geringerem Erfolge, ausgefiihrt hat.
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Mayer hatte auch einen Mondglobus in 24 Sektionen in Angriff
genommen, worüber er selbst in der Schrift: .Bericht von den Mond-
kugeln, welche bei der Kosmographischen Gesellschaft in Nürnberg ge-
fertigt werden“ 1750 Erwähnung thut, vollendete aber nur 4 Sektionen
bis zu seinem Tode. Aus dessen reichem Nachlafs ging 1881 durch
Klinkerfues, den Direktor der Güttingener Sternwarte, eine Vollmond-
karte im Durchmesser von 35,0 cm mit zahlreichen Abbildungen
grüfserer Einzelpartien des Mondes unter dem Titel: .Tobias Mayers
gröfsere Mondkarte nebst Detailzeichnungen“ hervor. Dieselbe zeigt
für alle Objekte einen kurzen Schattenwurf nach Osten und bietet
wohl im Vergleich zu späteren Darstellungen nicht sehr viel Detail,
überragt aber an Feinheit und Genauigkeit beträchtlich die Hevelsche
Aufnahme und nähert sich bereits den neuesten vorzüglichen Arbeiten
auf diesem Gebiete.
In ganz anderer Weise als Tobias Mayer beschäftigte sich
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts der ileifsige Oberamtmann
Schröter zu Lilienthal bei Bremen mit dem Monde. Derselbe beob-
achtete auf seiner Privatsternwarte mit Instrumenten, welche nach den
Ilerschelschen die besten der damaligen Zeit waren, und s eilte sich
die Aufgabe, eine Reihe von Mondpartien mit solcher Treue und Aus-
führlichkeit darzustellon, dafs man in späteren Zeiten durch Verglei-
chung mit diesen Zeichnungen etwaige Veränderungen auf dem Monde
nachweisen könnte. Derart entstand Schröters umfangreiches Werk:
„Selenotopographische Fragmente zur genauen Kenutnifs der Mond-
fläche“, dessen erster Band 1791 zu Lilienthal, der zweite 1802 zu
Göttingen auf Kosten des Verfassers erschien. Dasselbe enthält
75 Tafeln, von denen Tab. V die Reproduktion der kleinen May er-
sehen Vollmondkarte in einem Durchmesser von 19,1 cm ist, sechs
Tafeln geometrischen Betrachtungen dienen und 08 Tafeln der Dar-
stellung spezieller Mondgegenden gewidmet sind. Für die Aufnahmen
vor 1792 wurden 4-fiifsige und 7-füfeige Spiegelteleskope, letzteres
mit 161 — 210-facher Vergrößerung, für jene nach dieser Zeit 13-füfsige
und 27-füfsige Reflektoren mit 150 — 300-fachen Vergröfserungen ver-
wendet. Bei aller Anerkennung des Fleifses und der Ausdauer dieses
emsigen Beobachters kann über dessen Detailzeichnungen des Mundes
nur wenig Günstiges gesagt werden. Der Kundige erkennt auf den
ersten Blick, dafs Schröter im Zeichnen nur ein Dilettant gewesen
und sich eine viel zu schwierige Aufgabe gestellt hat. Ueberall ver-
rnifst man, obwohl der Schattenwurf der Berge und Krater dargestellt
erscheint, eine der Wirklichkeit nur einigermafsen entsprechende
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Plastik, über welchen Mangel Schröter selbst bemerkt16): „Bey der
Zeichnung der Charten kam es mir zwar eigentlich nicht auf ein
sanftes Gemählde und mahlerische Schattirung, vielmehr nur Alles auf
Bestimmtheit, Genauigkeit und Deutlichkeit in der Bezeichnung eines
jeden, selbst des kleinsten Gegenstandes an“ und begegnet einer auf-
fallenden Schattirungs- Willkür und Manirirtheit, die sich namentlich in
derCharakterisirung aller Erhebungen, besonders der Kraterwälle äufsert,
welch’ letztere stets wie Rabatten oder Einfassungen von Blumenbeeten
aussehen. In dieser Beziehung stand Schröters Können entschieden
hinter seinem Wollen zurück. Wenn dessen Abbildungen trotzdem
von einzelnen Mondforschern als treu l7) bezeichnet werden, so kann
dies nur auf die allgemeinen Umrisse Bezug nehmen. Dem ist aber
die folgende Mädlersche Aeufserung entgegonzuhalten IS) : „Ueber-
haupt aber wäre es weit fruchtbarer gewesen, vorerst nur das ge-
sehene Detail möglichst treu in Zeichnungen wiederzugeben, die Orien-
tirung und Reduktion aber nicht seinen Lesern zu überlassen,
denen dies oft ganz unmöglich ist, dann würde für nachfolgende
Forscher ein sicherer Anhaltpunkt für ihre Beobachtungen gewonnen
worden sein.“ Da Schröter aufserdem keine sclenographischen
Längen- und Breitenbestimmungen ausführte, sondern nur eine Pro-
jektionsmaschine anwandte, welcho einer gröfseren Genauigkeit nicht
fähig war, so hat er im allgemeinen durch seine Detailzeichnungen
den beabsichtigten Zweck nicht erreicht; immerhin bietet aber der
reiche Text mit zahlreichen Wahrnehmungen, Beschreibungen, Ilöhen-
und Tiefenmessungen viel Beachtenswerthes, das der erfahrene Sele-
nograph auch mit Vortheil verwenden wird. In diesem Sinne ist wohl
Schmidts Urtheil, wo derselbe von Schröters Höhenmessungen
der Randberge des Mondes spricht, zu verstehen, welches lautet:111)
„Was Schröter mit seinen angeblich so unvollkommenen Hiilfsmitteln
geleistet hat, ist bewundernswerth. Ein geborener Beobachter gelangt
auch mit geringen Mitteln zum Ziele.“ — Während Galilei und
Hevelius die Berghöhen aus dem Abstande der Lichtinseln, d. i. der
beleuchteten Bergspitzen von der Lichtgrenze ableiteten, bediente sich
Schröter einer besseren Methode der Höhenmessung, deren theo-
retische Begründung er hauptsächlich Olbers verdankte,50) und welche
>"■) I. Bd. 9. 73.
”) Neison .Der Mond“ 1878, S. 67.
*•) Beer und Mädlor ,Der Mond“ 1837, S. 185.
*’) Schmidt, „Charte der Gebirgo des Mondes" 1878, S. 23.
») I. Bd. S. 89—102.
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567
noch heute im Gebrauche ist. Er mafs nämlich die Länge des Schattens,
welchen die Mondberge werfen und verband damit die Winkelhöhe
der Sonne über dem Mondhorizonte, welche einfach aus der Winkel-
distanz des Berges von der Beleuchtungsgrenze in senkrechter Rich-
tung zu dieser hervorgeht, ähnlich, wie wir auch auf der Erde fiir
einen Ort, welcher in der Beleuchtungsgrenze liegt, sagen, dafs die
Sonne sich in dessen Horizonte (Höhe = 0"), fiir einen anderen aber,
der 90° davon entfernt ist, dafs die Sonne sich in dessen Zenithe
(Höhe = 90°) befinde. Diese Messungen, sowie jene, welche aus der
Vergleichung der Randerhebungen mit dem Monddurchmesser erhalten
werden, gaben ihm gute Resultate, die später vielfache Bestätigung
fanden. Für die Helligkeitsunterschiede auf dem Monde führte Schröter
zehn verschiedene Grade oder Stufen ein und bezeichnete mit 0 Grad
Licht die schwarzen Bergschatten, mit 10 Grad den Lichtgianz von
Aristarch, des hollsten Punktes auf dem Monde; auch benannte er
zuerst die kleineren Objekte der Mondscheibe mit lateinischen und
griechischen Buchstaben. Schröter ist ferner der erste Entdecker einer
Mond-Rille (Spaltes) im Jahro 1787, deren Anzahl er bis 1801 auf 11
gebracht hat. — Wie bekannt, beobachtete Schröter auch fleifsig die
Planeten und galt seiner Zeit als der Herschel Deutschlands; auf seiner
Sternwarte empfingen Harding und Bessel ihre erste Ausbildung
in der praktischen Astronomie. Leider ist dessen schönes Obser-
vatorium im Jahre 1813, als der französische Feldherr Vandamme
Bremen besetzte und das nahe Lilienthal in Flammen aufging, mit der
ganzen Habe an Büchern und Schriften vernichtet worden. Schröter
überlebte diese für ihn besonders schmerzliche Katastrophe nur 3 Jahre
und starb zu Erfurt am 29. August 1816.
Bevor auf die neuesten und mit gröfster Sorgfalt ausgeführten
Mondaufnahmen übergegangen werde, sei noch kurz Gruithuisens
•gedacht, welcher zuerst Feldchirurg, später, seit 1826 Professor der
Astronomie an der Münchener Universität gewesen und sich ebenfalls
viel mit dem Monde beschäftigte. Seine Zeichnungen sollen nach
Kleins Urtheil21) „eine Treue und Feinheit besitzen, welche den Kenner
des Mondes in Bewunderung setzt“ Gruithuisen kam nur in Miß-
kredit durch seine vermeintlichen Entdeckungen von Bauwerken,
Kunsterzeugnissen und dergl. auf dem Monde,22) welche von Be-
wohnern desselben herrühren sollten.
*') Astr. Nadir. Bd. 95, S. 297.
a) Vergl. Gruithuisen „Naturgeschichte des gestirnten Himmels“ 1S3G,
S. 194-205.
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568
Den gröfsten Schritt voilführte die Darstellung der Mondober-
fläche durch die trefflichen Arbeiten des sächsischen Geodäten und
späteren Inspektors und Direktors der Kgl. sächs. Kameralvermessung,
W. Gotthelf Lohrmann, des Sohnes eines Ziegelmeisters. Als Kenner
feiner Messungsmelhoden und als geübter Zeichner von Landkarten,
war derselbe besonders geeignet, die sich selbst gestellte Aufgabe: „Die
Mondberge und die Mondfarbe möglichst treu darzustellen, Messungen
und Zeichnungen auszufiihreu nach Methoden, welche von der Wissen-
schaft anerkannt sind“, zu lösen. Er wich dabei von der bis dahin
üblichen Zeichnungsart der Mondgebilde ab und wandte dieselben
Grundsätze, welche seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts bei der
Abbildung von terrestrischen Erhebungen durch den sächsischen
Major Lehmann (geb. 1765, gest 1811) zur Geltung gebracht wurden,
auf den Mond an.0) In Lohrmanns 1824 erschienener .Topographie
der sichtbaren Mondoberfläche. Erste Abtheilung“ heifst es diesbe-
züglich S. 35: „Nach dieser (Lehmanns) Theorie denkt man sich
bei Ansicht einer Gegend senkrecht über jedem Punkte derselben,
und sieht alle Berghäuge in den horizontalen Entfernungen von ein-
ander, in welchen sie einzig und allein in der Charte dargestellt werden
können. Die verschiedenen Abdachungen der Berge werden dann
nach dem Yerhältuifs ihrer Steilheit, eine grüfsere oder geringere
Neigung gegen die angenommene vertikale Gesichtslinie haben. Denkt
mau sich nun diese Berge senkrecht erleuchtet, so werden die hori-
zontalen Flächen das hellste, die schrägsten Seiten derselben aber das
matteste Licht zurückwerfen. Diese Licht -Verschiedenheit ist daher
für ein natürliches Mittel erkannt worden, die Berge, der Wahrheit
entsprechend, durch den Uebergang vom Weifsen zum Schwarzen
darzustellen. Da aber eine Bergparthie in ihrer Lage nur erkannt
werden kann, wenn man aufser der Steilheit auch die Richtung
des Abhanges weifs, so wählt man, um beiden Erfordernissen aufs
vollkommenste Gnüge leisten zu können, schwarze Striche und
zeichnet die Berge mit denselben so, dafs sie allemal senkrecht auf
der horizontalen Ebene stehen, in welche man sich einen Berg zer-
schnitten denkt und durch ihre Lage die Richtung, durch ihre Stärke
und Nähe aber die Steilheit des Abhanges angeben.“ Während
jedoch Lehmann für die Erdformationen die horizontale Fläche ganz
hell, dagegen die schiefe Fläche von 45° bereits vollkommen schwarz
-1) Einen Theil der Lohrmannscheu Mondkarte haben wir gegen das
Original etwas verkleinert, im 4. Hefte unserer Zeitschrift Seite 220 reproducirt
Die Hed.
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509
darstellte, mufste beim Monde wegen der grofsen Steilheit seiner Berge
diese Skala bis 90° ausgedehnt werden, so dafs die horizontale Fläche
von Lohrmann weifs, die schiefe Fläche von 45° halbschwarz und
der senkrechte Abhang von 90° ganz schwarz gezeichnet wurde. Für
die Abbildung der ganzen Scheibe benutzte derselbe die sog. ortho-
graphische Projektion, bei welcher der mittelste Meridian eine gerade
Linie ist, die durch den Nord- und Südpol des Mondes geht, während
die anderen Meridiane als Ellipsen, welche gegen den Rand hin sich all-
mählich öffnen, und die Parallelkreise wieder als gerade Linien erschei-
nen. Durch diese Darstellungsweise wird in der That am besten dem
Anblicke des Mondes von der Erde aus, welcher gleich jenem aus der
Vogelperspektive ist, entsprochen.
Lohrmanns Beobachtungsraum befand sich im 4. Stocke eines
Hauses der Pirnaschen Vorstadt zu Dresden. Seine Instrumente waren
ein gröfseres sechsfüfsiges Fernrohr mit 54 Pariser Linien (121.8 mm)
Oeffmmg und ein kleineres vierfüfsiges mit 37 Pariser Linien (83.5 mm)
Oeffnung, welche beide Objektive von Fraunhofer besafsen, ferner
ein Fadenmikrometer, das an jedes dieser Teleskope für die beabsich-
tigten Messungen angebracht werden konnte. Die ersten Versuche im
Messen und Zeichnen machte Lohrmann im Winter 1821 — 1822 an
Eratosthenes und einem Theil der Apenninen, und begann die fort-
laufenden Beobachtungen im Herbste 1822. Den ursprünglichen Plan
für eine Karte von 4 Fufs Durchmesser hat derselbe bald wieder auf-
gegeben und sich schliefslich für eine Karte von 3 Pariser Fufs
(97.45 cm) Durchmesser in 25 Sektionen entschieden. Leider sind
davon nur die 4 ersten Sektionen in dem oben genannten Werke (von
je 19.2 cm Gröfse im Quadrat, nach direkter Abmessung) von ihm
selbst erschienen, die aber alles Vergangene weit zuriickliefsen,
ebensowohl in Bezug auf dio Sorgfalt der selenographischen Ortsbe-
stimmungen, welche 24 Punkte in diesem Theile der Mondscheibe um-
fassen, als auch hinsichtlich der grofsen Schönheit der nach dem
erwähnten Prinzip ausgeführton Zeichnung. Mädler äufsert sich
darüber folgendermaßen : -4) „Durch Lohrmanns Darstellung ist ein
Beobachter wirklich in den Stand versetzt, welchen Schröter ihm
verschafft zu haben wähnte, von seiner Sternwarte aus mit einem guten
Fernrohr die Mondländer gewissermafsen durchreisen zu können, um
ihre Thäler, Berge und sonstigen Unebenheiten kennen zu lernen.“
Zur Reduktion der Messungen auf mittlere Libration bediente sich
34 ) Beer u. Mädler, .Der Mond* 1837, S. 18C.
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570
Lohrmann einer ihm von Encke mitgetheiltcn Methode der Berech-
nung, bei welcher ihn der Steuereinnehmer Opelt in Wurzen mit
gröfstem Fleifse unterstützte. Die Höhen der Mondberge hat Lohr-
mann nicht gemessen, sondern dort, wo er sie benöthigte, die
Schröterschen Angaben benützt Im Jahre 1824 hoffte Lohrmann,
die ganze Arbeit in weiteren sechs Jahren vollendet zu haben, wurde
aber durch die Erkrankung seiner Augen mehrfach daran verhindert,
so dafs dies nicht vor 1836 geschehen konnte, während die Veröffent-
lichung aller 25 Sektionen eist 1878 erfolgte. Er selbst gab nur noch
im Jahre 1838 eine kleinere Generalkarte des Mondes von 38.5 cm
Durchmesser, welche von Werner in Dresden lithographirt wurde,
heraus, die aber ein reiches Detail in vorzüglicher Durchführung aufweist,
und starb 1840 zu Dresden.
Lohrinauns Bleistiftzeichnungen, welche derselbe vor dem Fern-
rohr angefertigt, waren schon 1854 nicht mehr vorhanden. Von seinen
25 Sektionen, welche mit der Feder gezeichnet und deren Kolorit
durch Tuschirungen und Ziffern angedeutet worden, sind jedoch 24
erhalten geblieben und 1874 der Leipziger Sternwarte zur Aufbe-
wahrung übergeben worden. Ein besonderes Mifsgeschick verzögerte
durch eine Reihe von Jahrzehnten das Erscheinen der noch ihrer
Veröffentlichung harrenden 21 Mondsektionen. Zunächst waren es
pekuniäre Schwierigkeiten, welche jedoch bald von der Verlagsbuch-
handlung W. A. Barth in Leipzig behoben wurden, während anderer-
seits Finanzrath Opelt zu Dresden den Fortschritt des Kupferstiches
und die Korrektur der Tafeln überwachte. L'm das Werk in rascherer
Weise zu fördern, wurde 1851 die Redaktion desselben dem erfahrenen
Mondbeobachter Schmidt in Bonn übertragen; doch noch im selben
Jahre starb W. A. Barth. Die Verhandlungen mit dessen Sohne
A. A. Barth nahmen indefs im Jahre 1853 einen günstigen Verlauf,
und Schmidt liefs sich von da an die Probetafeln nach Olrnütz, von
1858 an nach Athen schicken. Da starb aber im Jahre 18G3 Opelt
Glücklicherweise trat au dessen Stelle sein Sohn, der Promierlieutenant
Opelt, unter dessen fernerer Leitung die sämtlichen Tafeln allmählich
ihrer Vollendung entgegengingen. Das nahe Ziel sollte jedoch durch
den Tod von A. A. Barth im Jahre 1869 und den Ausbruch des
deutsch-französischen Krieges im Jahre 1870 wieder hinausgeschoben
werden. Trotzdem ruhten die Arbeiten unter dem neuen Chef der er-
wähnten Verlagsbuchhandlung, J. A. Barth, dem Bruder des Letzt-
genannten, nicht ganz, und gediehen endlich so .weit, dafs im Jahre
1878 alle 25 Sektionen mit einem von Schmidt verfafsten Texte unter
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dem Titel: „Mondkarte in 25 Sektionen und 2 Erläuterungstafeln von
Wilhelm Ootthelf Lohrmann“ das Licht der Welt erblickten. Sie
beruhen auf 79 sorgfältigen Positionsbestimmungen Lohrmanns, von
denen 46 mindestens fünfmal zu verschiedenen Zeiten wiederholt worden
sind. Der Stich aller Karten ist von gleicher Feinheit und Schönheit,
das Werk ein Muster von prächtiger graphischer Ausstattung. Leider
blieben auch an diesen Karten einige Mängel haften, über welche sich
Schmidt folgendermafsen äufsert:3“) „Weil die Sektionen des Werkes
von Lohrmann erst nach und nach im Laufe eines halben Jahrhunderts
hergestellt wurden, weil 5 oder 6 Kupferstecher daran arbeiteten und
die von Lohrmann selbst kolorirten Originalblätter keineswegs das
Yerhältnifs der Helligkeiten überall genügend ausdrücken, resultirt
eine merkliche Ungleichförmigkeit im Ton der Platten, die schliefslich
ohne neue bedeutende Kosten und grofsen Zeitverlust nicht mehr zu
beseitigen war“; ferner:56) „Das Kolorit der Lohrmannschen Charte
ist weniger befriedigend als bei Mädler; cs wird in meiner grofsen
Charte etwas strenger ausgeführt sein, ohne doch für mehr als eine
genügende Annäherung an mittlere Zustände auch hier gelten zu wollen.“
Wie erwähnt, ist der Monddurchmesser, welcher aus diesen 25
Sektionen hervorgeht, 3 Pariser Fuss d. i. eine halbe Toise. Nun ist
der wahre Durchmesser des Mondes gleich 468.4 geographischen Meilen
= 1783200 Toison. Derselbe ist daher in Wirklichkeit 3566400 mal
gröfser als jener der Karte, woraus sich der Mafsstab der letzteren zu
1 : 3566400 ergiebt Hieraus folgt, dafs auf der Lohrmannschen Ab-
bildung des Mondes 1 mm = 3566.4 Meter oder eine geographische
Meile = 2.08 mm ist. Sie bietet nahezu so viel Detail, als wenn Oester-
reich-Ungarn auf einem halben Bogen dargestcllt würde.2*)
**) Im Vorbericht desselben Werkes S. 4.
») Ibidem S. 4.
3T) Andrees Handatlas, 2. Auflage, 18117, Karte 45, Mafsstab 1:4001)1)00.
(Schlufs folgt.)
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Neuere Theorieen der Luft- und Gewitter - Elektricität.
Von Professor L. Sohncke in München.
(Hchlufs.)
- Catchen wir nun gänzlich ralhlos den räthselhaften elektrischen
y—' Erscheinungen, welche sieh in der Atmosphäre abspielen, gegen-
über? Nach meiner Ueb Urzeugung keineswegs! Mir scheint der
Erklärungsversuch, den ich selber vor einigen Jahren aufgestellt habe,
und der in wesentlichen Punkten mit demjenigen des Herrn Luvini
iiberoinstimmt, noch in keinem Punkte widerlegt zu sein. Er hat im
Gegentheil seither noch an Wahrscheinlichkeit gewonnen, besonders
durch die neueren Messungen \ron Wolkenhöhen, welche man den Herren
Ekholm und Hagström verdankt. Daher scheint es mir nicht un-
gerechtfertigt, diesen Erklärungsversuch noch in der Kürze zu skizziren.
Kr gründet sich auf die Verknüpfung einer physikalischen und einer
meteorologischen Thatsache.
Den Ausgangspunkt bildet die Farad ay sehe Entdeckung, dafs
durch gegenseitige Reibung von Wasser und Eis ersteres negativ,
letzteres positiv elektrisch wird. Von der Richtigkeit dieser Thatsache,
die zwar durch Faradays Namen schon vollständig verbürgt erscheint,
habe ich mich auch noch durch eigene zahlreiche und sorgfältige Ver-
suche überzeugt, theils nach der von Farad av angegebenen, tlieils
nach einer ganz abweichenden Vorsuohsanordnting. Die erstere er-
scheint, gerade mit Rücksicht auf die meteorologische Anwendung, be-
sonders lehrreich; sie bestellt in folgendem. Durch schnelles Oetfneu
eines Hahns mit weiter Bohrung, der ein Gefiifs mit verdichteter Luft
abgesperrt hielt, veranlagt man diese Luft zu plötzlichem Ausströmen
ins Freie. Bei solch plötzlicher Entspannung kühlt sich komprimirte
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573
Luft erheblich ab; infolge dessen verdichtet sich der ihr beigemengte
Wasserdampf zu Tröpfchen: es tritt Nebelbildung ein, und zwar mit
besonderer Leichtigkeit, wenn die Luft Staubtheilchen enthält, deren
jedes einem sich bildenden Tröpfchen als Ansatzpunkt oder Kern dient.
Diesen mit kleinsten Wassertröpfchen beladenen, heftig hervorbrechenden
Luftstrom läfst mau gegen ein isolirt aufgestelltes Eisstück stofsen,
und nähert letzteres dann schleimigst einem metallischen Aufsauge-
kamm, der die etwa entstandene Elektricität zu einem Quadranten-
Elektrometer leitet So überzeugt man sich davon, dafs das Eis jeder
Zeit positiv elektrisch wird, wenn es von den Wassertröpfchen des
Luftstroms getroffen worden; dafs hingegen keine Elektrisirung ein-
tritt, wenn der Luftstrom keine Wassertröpfchen mit sich führt, wie es
z. B. leicht geschieht, wenn die benutze Luft zu staubfrei und ihre
Kompression zu gering gewesen, um zur Trüpfchenbildung hinreichende
Abkühlung hervorzurufen. Hiermit ist bewiesen, dafs durch Reibung
von reiner Luft gegen Eis keine Elektricität entsteht, sondern dass
eben die Reibung des Wassers am Eise erforderlich ist, damit letzteres
positiv elektrisch werde.
Die Elektrisirung bleibt ferner dann aus, wenn das Eis bereits
im Schmelzen begriffen, also mit einer Wasserschicht überzogen ist.
Daraus folgt, dafs — wie vorauszusehen — durch Reibung von Wasser
an Wasser keine Elektricität erzeugt wird; es folgt aber auch weiter,
dafs die Tröpfchen nicht etwa schon beim Ausströmen durch Reibung
an den Wänden des Hahnkanals elektrisch geworden sind; sonst
müfsten sie ja diese ihre Elektricität an das feuchte Eis abgegeben
haben. Die positive Elektrisirung des Eises fällt um so stärker aus,
je kälter das Eis ist, offenbar im Zusammenhänge mit dem Umstande,
dafs bei fortschreitender Abkühlung das Isolationsvermögen des Eises
sehr schnell zunimmt. Beiläufig sei noch bemerkt, dafs, wenn man
den mit Tröpfchen beladenen Luftstrom, statt gegen Eis, gegen eine
(am besten vorher erwärmte) Metallplatte troffen läfst, letztere negativ
elektrisch wird.
In späteren Versuchen habe ich einen zusammenhängenden Wasser-
strahl gegen Eis stofsen lassen und auch hierbei bestätigt gefunden,
dafs das Eis positiv, das Wasser negativ elektrisch wird.
Mit dieser physikalischen Thatsache verknüpfe ich nun folgende
meteorologische. Es ist durch zahlreiche Beobachtungen aus älterer
und neuerer Zeit (z. B. von Kiimtz, Hann, Assmann und vielen
Anderen) festgestellt, dafs bei jedem Gewitter, besonders nahe vor
Ausbruch desselben — solange noch eine umfassendere Himmels-
Hinjmcl und Erde. L 10. 41
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574
betracbtung möglich ist — zweierlei verschiedene Wolkenarten am
Himmel erscheinen: solohe, die aus Wassertheilchen (Tröpfchen), und
solche, die aus EiskryBtällchen bestehen. Erstere sind die Haufwolken,
letztere die Cirri- und Sohleierwolken, die entweder als gleichförmiger
Cirrostratusschirm den Himmel bedeoken, oder als „falsche“ Cirri10),
wie sie neuerlichst genannt werden, aus den Gipfeln der hochgethürmten
Haufwolken auszufliefsen scheinen. Dafs diese cirrusartigen Gebilde
thatsächlich aus Eiskryställchen bestehen, ist durch Beobachtung der
bei ihrer Anwesenheit um Sonne oder Mond auftretenden Lichtringe
von etwa 21° 50' Halbmesser erwiesen; denn diese Erscheinung ist
schon von Fraunhofer zweifellos auf die Brechung in sechsseitigen
Eiskrystallsäulchen zurückgeführt. Das Vorhandensein von Eis in
jenen Höhen darf uns nicht Wunder nehmen, da durch vielfältige Er-
fahrungen bei Luftreisen, besonders durch die sorgfältigen Beobach-
tungen von J. Glaisher bei seinen mehr als dreifsig wissenschaft-
lichen Ballonfahrten unzweifelhaft festgestellt ist, dafs in unseren Breiten
auch in den heifsesten Sommermonaten durchschnittlich schon in 3000
bis 4000 m Höhe die Temperatur des Gefrierpunkts angetroffen wird.
Wir dürfen nun mit Recht voraussetzen, dafs diese beiderlei
Wolkenarten beim Gewitter nicht ruhig neben einander schweben,
sondern in lebhafter gegenseitiger Bewegung begriffen sind. Die
höheren Luftschichten besitzen ja fast immer eine starke Horizontal-
bewegung (meist von West nach Ost), auch wenn am Erdboden kein
merklicher Wind geht; und die Vertikalbewegung der aufsteigenden
Luftströme, welche z. B. bei den sogenannten Wärmegewittem die höher
und höher sich aufthürmenden Haufwolken bilden, darf auch nicht gering
angeschlagen werden. Ist man doch häufig im stände, auch bei recht
fernem Ilauf- Gewölk das Emporquellen der traubigen Gipfel sogar
zusehends zu verfolgen 1 Wenn also die nachrückenden Cumulusmassen
die oben entstandenen Frostnebel oder falschen Cirri wieder durch-
brechen, worden sehr heftige relative Bewegungen Vorkommen können.
Zu den genannten Bewegungen der verschieden warmen Luftmassen,
deren eine mit Eistheilchen, deren andere mit Wassertheilchen beladen
ist, gesellt sich nun sehr wahrscheinlich häufig auch eine Wirbel-
bewegung des emporstrudelnden warmen Luftstroms, vielleicht auch
gelegentlich absteigende Wirbelbewegung der kalten Luft. Daher
scheinen beim Gewitter alle Bedingungen nicht nur für die heftige
10) Durch diesen Namen sollen die Gewittercirren von den übrigen
Cirruswolken unterschieden werden, denen durchschnittlich eine viel grötsere
Höhe über dem Erdboden zukommt.
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gegenseitige Reibung der Wasser- und Eistheilchen, sondern auch für
ihre sofortige Trennung nach so erlangter elektrischer Ladung gegeben
zu sein. So müssen fortdauernd neue Elektricitätsmengen erzeugt
werden, so lange die verschiedenen Luftströme in hinreichend heftiger
gegenseitiger Bewegung begriffen sind. In ähnlicher Weise scheint
mir auch die gewöhnliche atmosphärische Elektricität, wenigstens der
Hauptsache nach, auf die Reibung verschiedener Luftströme, die theils
Wasser- theils Eistheilchen tragen, zurückgeführt werden zu können;
doch soll hier nicht näher darauf eingegangen werden.
Um möglichst objektiv zu sein, will ich nicht unterlassen, aus-
drücklich darauf hinzuweisen, dafs die mitgetheilten Versuche zwar
eine annehmbare Grundlage für die Theorie bilden, dafs sie aber zum
vollkommenen Beweise derselben noch nicht ausreichen. Dazu würde
nämlich erforderlich sein, die Entstehung von Elektricität durch La-
boratoriumsversuche nicht nur für den Fall nachzuweisen, dafs ein mit
Tröpfchen beladener Luftstrom gegen festliegendes Eis stüfst, sondern
auch für den Fall, dafs jener Luftstrom an einem zweiten, mit Eistheilchen
beladenen Luftstrome reibend hinfährt. Solche Versuche sind ja nicht
unausführbar, aber offenbar ziemlich verwickelt, und jedenfalls bisher
noch nicht ausgeführt.
Für einen Vorgang indessen, und noch dazu für einen solchen
der in der freien Natur ungemein häufig stattfindet, genügen die bis-
herigen Versuche nach Faraday scher Anordnung bereits als un-
mittelbarer und vollständiger Beweis, worauf ich bisher wohl noch
nicht mit dem erforderlichen Nachdruck hingewiesen habe. Ich
meine die Elek trisirung der Eiskörner beim Hagelfall.
Denn ob der mit Tröpfchen beladene Luftstrom gegen ruhendes Eis
stufst, wie im Laboratoriumsversuch, oder ob sich das Eisstück durch
eine mit Tröpfchen beladene Luftschicht schnell hindurchbewegt, wie
beim Hagelfall: das kommt vollständig auf eins hinaus, da für die
Elektrisirung durch Reibung nur die relative Bewegung und nach-
herige Trennung der beiden sich reibenden Körper mafsgebend ist.
Nun ist aber die Fallgeschwindigkeit der Hagelkörner sehr bedeutend
und durchaus vergleichbar mit jener Geschwindigkeit, mit welcher
die aus dem Kompressionsgefäfs ausströmende Luft ihre Tröpfchen
gegen das davorgestellte Eisstück schleudert. Es ist daher nicht zu-
viel gesagt, daTs die Ursache der Elektricität von Hagel-
körnern, welche durch Tröpfchen enthaltende Luft herab-
fallen, durch Laboratoriumsversuche vollständig nachge-
wiesen ist Boi dieser Gelegenheit sei noch auf eine interessante
41*
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Thatsache hingewiesen, welche sich den Herren Horn und Lang bei
Untersuchung der Hagel- und Gewitterhäufigkeit in Bayern im Jahre
1887 ergeben hat, nämlich: dafs kein einziger Hagelschlag ohne Ge-
witterentladung stattfand.
Nach allem Mitgotheilten will es mir scheinen, als sei in dem
Elektrisirungsvorgange bei der Reibung von Wasser und Eis die
wahre oder doch die hauptsächlichste Quelle der elektrischen Er-
scheinungen in der Atmosphäre aufgedeckt
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Unser Wissen über das Zodiakallicht
Von O. T. Sherman in Baltimore. ’)
nachfolgenden dankenswerthen Mittheilungen sind uns von Mr.
Sherman aus Baltimore zugesandt worden, nachdem die in unserem
Januarheft (No. 4) enthaltenen Darlegungen des Herrn Prof.
Foerster über denselben Gegenstand bereits veröffentlicht, aber bevor die
letzteren nach Baltimore gelangt waren. Die in den beiden Aufsätzen
über denselben Gegenstand geäufserten Ansichten sind also völlig
unabhängig von einander. Hiernach dürfte es für unsere Leser von
Interesse sein, von den Verschiedenheiten und den Berührungspunkten
der beiden Auffassungen Kenntnifs zu nehmen; die Sache kann dabei
nur an Klärung gewinnon.
Nach einer kurzen Einleitung, welche wir, unter Bezugnahme
auf den Eingang des früheren Aufsatzes, übergehen können, sagt
Mr. Sherman folgendes:
ln einem Punkte stimmen alle hinreichend ausgedehnten Unter-
suchungen des Zodiakallichtes überein, nämlich in dem Nachweise der
Aenderungen, welche die scheinbare Elongation desselben (d. i. dor
Winkel zwischen der Richtung zur Sonne und der Richtung nach dem
Scheitel der Lichtsäulen am Himmelsgewölbe) von Monat zu Monat erfährt.
Schmidt, Jones, Dechevrens, H eis und Weber — sie alle liefern
zahlenmäfsige Belege für jene Aenderungen, obwohl die Gleichartigkeit
der wichtigen Beobachtungsreihe von Jones durch die wahrend ihrer
Dauer eingetretene Ortsveränderung des Beobachters getrübt ist.
Näheres läfst die nachfolgende Zusammenstellung erkennen, welche die
Elongationen in Graden, in einigen Fällen bis auf Zehntel des
Grades angiebt.
') Aus dem englischen Original-Mamiscript übersetzt durch die Redaktion.
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B78
Monatsmittel der Elongationen des Zodiakallichts
am Abendhimmel.
Beobachter
Juli
7>
ä
3
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Septbr.
Oktober
Novbr.
X
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Januar
Februar
März
April
'S 1
s
Juni
Schmidt 1843 — 55
— 1
- 1
182.5
153.1
120.4
94.3
73.6
70.8
93.0
Dechevrens 75—79
—
1 —
58
65
126
120
93
65
82
79
68
Heis il Weber 49 — 60
—
—
—
—
81.8
84.2
80.8
64.8
: 63.0
62.0
—
. 61-71
—
—
—
—
—
84.3
89.0
84. s
76.8
, 75.8
70.7
~
„ 72—83
—
—
—
—
— 1
106.9
94.0
92.1
; 90.4
100.6
108.1
—
Jones 54
102
92
78
73
69
I94
85
87
97
99
90
104
Monatsmittel der Elongationen des Zodiakallichts
am Morgenhimmel.
Beobachter
Juli
August
Septbr.
Oktober,
Novbr.
*4
X>
N
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März
April
1
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Juni
Dechevrens 1875 — 79
—
60 1 70
65 I 90 |
113
103 | 65
40
—
|
Heis u. Weber 49—60
—
56.3 61.4
69.8 57.2 j
04.5
67.2 —
—
—
—
- , 61-71
—
58.0 60.5
74.7 84.0 ;
68.3
— —
—
—
—
—
. . 72-83
—
- '104.9
104.4 97.3
1 98.3
99.4) —
j —
—
— ■
—
Jones 54
130
1
128 138
116 121
132
101 109
94
119
135
139
In einigen Fällen, in welchen von einem und demselben Beob-
achter unmittelbar auf einander folgende Abend- und Morgenerschei-
nungen des Lichtes gesehen worden sind, vertragen sich die aufge-
zeichneten Begrenzungen desselben mit der Auffassung von einer
elliptischen Umgebung der Sonne. Andererseits ist es nicht selten
vorgekommen, dafs die aufgezeichneten Umrisse der beiden korrespon-
direnden Erscheinungen am Abend und am Morgen eine Zusammen-
gehörigkeit in diesem Sinne nicht ohne Zwang möglich erscheinen
lassen. Indessen verliert der aus letzteren Fällen zu entnehmende
Einwurf gegen die vorerwähnte Auffassung der unmittelbaren Zuge-
hörigkeit zur Sonne doch an Kraft, wenn wir bedenken, dafs die
Grenzen des Lichtes sogar in kurzen Zeiträumen eine sehr veränder-
liche Lage haben. Es ist schon sehr früh beobachtet worden, dafs
die Lage dieser Grenzen schnelle Oscillationen bis zum Betrage von
zwei Graden erfuhr, und Serpieri hat aus den Beobachtungen von
Jones den folgenden Gang der stündlichen Mittelwerthe der Elon-
gationen abgeleitet. Diese Elongationen der Spitze der Lichtsäule
hatten hiernach am Abendhimmel in dem Zeiträume von 1 bis zu 31 •>
Stunden nach dem Schlüsse der Dämmerung folgende Beträge:
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579
1 1 »/, 2 2 V, 3 3Va Std.
für den Lichtkern 64° 77° 87° 96° 99° 100°
für die diffuse Umhüllung 90° 107° 110° 116° 120° —
Die entsprechenden Beträge in der Zeit von 3 bis 1 Stunde
vor dem Beginn der Morgendämmerung waren die folgenden:
3 »/* 3 2Vj 2 l‘/2 1 Std.
für den Lichtkem 120« 108» 110° 104“ 94" —
für die diffuse Umhüllung 139" 133« 137" 132« 128« —
Andere Beobachter haben
allerdings etwas solchen systema-
tischen Veränderungen Aehn-
liches nicht bemerkt, aber an
Nachweisen von vereinzelten
Schwankungen ist kein Mangel,
Archimis in Cadiz berichtet von
einer zu Zeiten auf- und ab-
schwellenden Säule, Hall in Ja-
maica von einer plötzlich erschei-
nenden und verschwindenden Verlängerung der Spitze, Schmidt von
einem plötzlichen Hervortreten des Lichtes, während dasselbe vorher
nicht beobachtet -werden konnte. Wir möchten also die erste Auf-
fassung von einer die Sonne umgebenden und Sonnenlicht reflektirenden
Massenansammlung durch eine solcho ersetzen, bei welcher wenigstens
theilweise ein Selbstleuchten stattfindet.
Es ist deshalb von Interesse die Beziehungen darzustellen, welche
zwischen den Elongationen und gewissen Stellen der Erdbahn bestehen.
Die beigefügte ideale Skizze veranschaulicht die bezüglichen Beobach-
tungen (1875 — 79) von Dechevrens. Wenn man in Betracht zieht,
dafs die Bewegung der Sonne im Weltenraum nach derjenigen Seite
gerichtet ist, auf welcher sich die Erde in ihrer Bahn im Juli befindet,
so läfst diese Darstellung eine Aehnlichkeit mit den Umgebungen der
Hülle eines Kometen erkennen.
Da ferner in obiger ersten Zusammenstellung die Beobachtungen
von Heis und Weber ein Anwachsen der mittleren Elongationen von
Jahrzehnt zu Jahrzehnt andeuten, und da es somit wünschenswerth
erschien, aus dem gesamten vereinzelten und zerstreuten Beobachtungs-
material mittlere Werthe dieser Veränderungen von Jahr zu Jahr ab-
zuleiten, so sind die oben in Monatsmitteln gegebenen einzelnen Be-
obachlungswerlhe der Elongationen auf den wahrscheinlichsten Betrag
für eine Art von Normalmonat reduzirt worden, indem man jeden
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Monats werth mit einem Mittelwerthe seines Verhältnisses zu dem Mo-
natswerth für den März, als den wegen seines Reichthums an Beob-
achtungen am meisten hierzu geeigneten Normalmonat, multiplizirt hat.
Der Mittelwerth aus den so reduzirten Monatswerthen ist für jedes
Jahr als das von jährlicher Periode thunlichst befreite Jahresmittel
betrachtet worden. Die auf diese Weise zu einzelnen Jahresmitteln ver-
dichteten Beobachtungsreihen von Heis. Weber, Schmidt, Back-
house, Birt, Lowe, Webb und Jones sind dann mit einander ver-
glichen und vermöge eines ähnlichen Verfahrens auf die besonderen
Umstände der Beobachtungen von Ileis und Weber einheitlich re-
duzirt worden.
Eine Darstellung der
auf diese Weise gewonne-
nen Reihe von Jahresmitteln
der beobachteten Elongatio-
nen und eine Vergleichung
des Verlaufes dieser Zahlen-
werthe mit den sogenannten
Relativzahlen von Wolf in
Zürich, welche die Häufig-
keit der Sonnenflecken dar-
stellen, ist in der beigefügten
Skizze gegeben. Die obere
Curve enthält hier die Dar-
stellung des Verlaufes der
beobachteten Elongationen
des Zodiakallichtes von etwa 1846 bis gegen 1885, die untere Curve
den Verlauf der Häufigkeit der Sonnenflecken für denselben Zeitraum.
Da sich, besonders gegen Ende dieses Zeitraumes, wo die Be-
obachtungen zahlreicher und regelmiifsiger geworden sind, eine unge-
fähre Uebereinstimmung des Eintrittes des Maximums der Elongationen
mit dem Minimum der Sonnenflecken erkennen liefs, so ist die obere
Curve derartig gezeichnet worden, dafs die Elongationen von oben nach
unten wachsen, so dafe die tiefsten Punkte der Curve den gröfsten
Elongationen entsprechen, während umgekehrt in der Sonnenflecken-
Curve die tiefsten Punkte den geringsten Fleckenzahlen entsprechen.
Aufser jener, in den letzten drei Jahrzehnten deutlicher hervor-
tretenden Aehnlichkeit zwischen dem Verlaufe der beiden verschiedenen
Arten von Erscheinungen läfst diese Skizze auch erkennen, dafs mit
der Zeit eine allmähliche Zunahme der Elongationen des Zodiakallichts
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stattgefunden hat. Auch Cassinis Beobachtungen zwischen den Jahren
1683 und 1688, innerhalb deren im Jahre 1684 ein Maximum der
Sonnenflecken eingetreten ist, ergeben in dem letzteren Jahre den
geringsten Werth der Elongation, während dieselbe vorher und nachher
etwas gröfsere Werthe gehabt hat. Cassinimacht zwarselber die Be-
merkung, dafs zu der Zeit, zu welcher gar keine Sonnenllecken dage-
wesen seien, auch das Zodiakallicht unsichtbar geblieben sei, doch
sind die zahlenmäfsigen Angaben seiner Beobachtungen mit dieser
Bemerkung in Widerspruch. Allerdings würde es mit den bei totalen
Sonnenfinsternissen angestellten Beobachtungen über die Corona in
Uebereinstimraung sein, wenn das Zodiakallicht zur Zeit des Sonnen-
fleckenmaximums gröfsere Helligkeit hätte.
Das in nachfolgender Zusammenstellung enthaltene Ergebnifs
betreffend die relative Häufigkeit von Zodiakallicht- Beobachtungen
während der letzten 40 Jahre liifst ferner die Folgerung zu, dafs die
gröfste Wahrscheinlichkeit für die Wahrnehmung des Zodiakallichts
in unseren Breiten ungefähr 4 Jahre vor den Zeitpunkten eines
Sonnenflecken-Minimums und die geringste Wahrscheinlichkeit einer
Entfaltung des Zodiakallichts nahe um die Zeit der Sonnenflecken-
Maxima stattfindet.
Relative Häufigkeit von Zodiakallioht-Beobachtungen:
Im dem Jahre des Maximums der Sonnenflecken: 12
1
Jahr
nachher
11
6 Jahre nachher
27
2
Jahre
T4
18
7 „
r
22
3
W
w
18
8 „
23
4
26
9 „
„
23
5
T»
fl
31
10 „
14
18
Stellt man sodann die Ergebnisse spektroskopischer Beobachtungen
des Zodiakallichtes mit dem Verlaufe der Sonnenflecken-Periode zu-
sammen, so scheinen sich auch hierbei gewisse Beziehungen heraus-
zustellen.
Leider müssen wir uns an dieser Stelle versagen, in die Einzel-
heiten dieser Spektral -Wahrnehmungen einzugehen, und können nur
darauf hinweisen, dafs während des Anwachsens der Häufigkeit der
Sonnenflecken und um die Zeit des Maximums derselben das Zodiakal-
licht überwiegender reflektirtes Sonnenlicht zu enthalten, dagegen um
die Zeit des Sonnenflecken-Minimums mehr Eigenlicht zu entwickeln
und überhaupt heller zu sein scheint.
Die Charaktere dieses Eigenlichtes scheinen uns auf eine Ver-
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wandtschaft einestheils mit dem Polarlicht der Erde, andemtheils mit
der Corona der Sonne hinzudeuten.
Auch die Polarisations-Beobachtungen, obwohl sie noch sehr
vereinzelt sind, weisen darauf hin, dafs zu den Zeiten der Sonnen-
flecken-Maxima das reflektirte Licht, zu den Zeiten der Minima das
Eigenlicht in dem Zodiakallicht überwiegt.
Alles dies bedarf noch sehr der Vervollständigung und Ver-
schärfung der Beobachtungen und derselben Aufmerksamkeit, welche
man den Sonnenflecken selber widmet, besonders wenn inan auch die
bereits angedeuteten Variationen von kürzerer Periode ergründen will.
Die oben gegebene kometenartige Skizze läfst erkennen, dafs
wahrscheinlieh vom November bis zum März unsere Erde von den
das Zodiakallicht bildenden Massentheilchen immer umhüllt ist. Der
den ganzen Thierkreis entlang sich erstreckende matte Lichtstreifen
und der „Gegenschein“ zeigen an, dafs diese Massen sich über die
Erdbahn hinaus erstrecken.
Jede Vorstellung von den Ursachen der ganzen Erscheinung
müfste sich daher einerseits an die Corona, andererseits an das Polar-
licht anschliefsen, dabei aber im stände sein, Massentheilchen auf der
von der Sonne abgewandten Seite der Erde zu liefern und doch mit
den Bewegungen der Himmelskörper zwischen uns und der Sonne
verträglich bleiben.
In der Baker-Vorlesung von 1885 hat Huggins Vermuthungen
über die Ursachen der Corona der Sonne ausgesprochen, welche diesen
Forderungen am besten zu entsprechen scheinen. Bei einer Betrach-
tung der Corona-Zustände findet er, dafs dieselbe wesentlich nur aus
feinen Dustpartikeln bestehen könne, welche glühend seion und unter
denen die gasförmigen Bestandtheile keinen atmosphärenartigen Zu-
sammenhang haben. Alle diese Massentheilchen werden anscheinend
von der Sonne hinweg durch ebensolche Kräfte getrieben, wie sie bei
der Bildung der Kometenschweife wirksam sind.
Da die Sonnen-Oberfiäche der Sitz unaufhörlicher Konvulsionen
und Ausbrüche ist, welche Schleudergesohwindigkeiten hervorbringen
von eben so viel Kilometern in der Sekunde, als unsere Stürme in
der Stunde durchlaufen, ist es nicht ungereimt anzunehmen, dafs aus
den Sonnen-Hüllen Theile, welche ein gleichnamiges elektrisches
Potential mit der Sonnenoberfläche haben, losgerissen und so weit
hinausgoschleudert werden, dafe dann die elektrische Abstofsung ge-
nügt, um die Wirkung der Massen-Anzieltung der Sonne zu über-
winden und diese Theilchen ganz von der Sonne hinwegzutreiben.
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Solche Theilchen konnten nach Huggins auch Material fiir das
Zodiakallicht liefern. Sollten die auf solche Theilchen wirkenden An-
ziehungen und Abstofsungen in der Nähe der Erdbahn eine Art von
Gleichgewicht erreichen, dann würde dieser Rauch des grofsen Sonnen-
feuers, wie man dieselben nennen könnte, sich bei und nach einem
Sonnenflecken-Maximum ansammeln und etwa um die Zeit des Flecken-
Minimums seine jeweilige gröfste Dichtigkeit erreichen.
Möglicherweise können jene Ausströmungen elektrischer Partikel
in den obersten Schichten unserer Atmosphäre elektrische Erschei-
nungen hervorrufen, und diejenigen Theilchen, welche über die Erde
hinausdringen, können dem Gegenschein und dem den ganzen Thier-
kreis entlang ziehenden Lichtstreifen die Entstehung geben.
Dem Beobachter und dem Rechner wird das letzte Wort über
alle diese Fragen gebühren.
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Die norwegische Nordmeer-Expedition.
Von Prof. Dr. H. Mohn.
Direktor des Norwegischen Meteorologischen Instituts in Cbristisnia. •)
(Fortsetzung.)
c^j^om 8. bis zum 13. Juli war die Expedition in Hammerfest, wo-
• selbst astronomische und magnetische Beobachtungen gemacht
wurden, während das Schiff zu einer Tour nach Westen gegen
das grönländische Eis zugerüstot wurde.
Am 13. Juli verliefsen wir llamraerfest wieder und nahmen Kurs
gegen WNW. Am 16. waren wir schon im Polarstrom, und am 17.
erreichten wir das Grönländern, welches unserm weiteren Vordringen
gegen Westen ein Ziel setzte. Wir dampften alsdann nördlich längs
der Eisgrenze und lotheten unsere gröfste diesjährige Tiefe, 3630 m. Von
hier wurde wieder ostwärts gesteuert, und am 23. befanden wir uns nord-
östlich von Beeren-Eiland. Nachmittags, als wir südwärts steuerten,
wurde die Insel sichtbar. Mount Miserys Gipfel war in Wolken ge-
hüllt. Unter steifer Brise uud zunehmender See passirten wir Beeren-
Eiland an der Ostseite und gingen zur Siidostseite hinüber, wo wir
am 4. Juli geankert hatten. Der Wind und die Soo waren inzwischen
so heftig geworden, dafs sie die Landersteigung hinderten. Inzwischen
waren wir so nah gekommen, dafs wir im Fernrohr das Russenhäus-
chen und seine Umgebung erkennen konnten. Die Flagge, welche
die Stelle bezeichnete, wo wir die Post an die holländische Expedition
niedergelegt hatten, war nicht mehr zu sehen, so dafs wir Grund
hatten, anzunehmen, dafs die Holländer dort gewesen und ihre Post
geholt hatten. Bei unserer Rückkunft nach Hammerfest erfuhren wir,
dafs dies der Fall gewesen. Unter Beeren-Eilands Südostküste blieben
") Aus dem norwegischen Original - Manuskripte übersetzt von F. 8.
Archen hold und rovidirt vom Verfasser.
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wir ein paar Stunden lang liegen, um unsern Kurs um 10 Uhr Abends
unter vollem Dampf und aufgehifsten Topsegeln und Fock gegen
Fruholmen, den nördlichsten Leuchtthurm Norwegens, zu nehmen.
Der Wind blies ziemlich stark im Rücken und die See wuchs, je
mehr wir uns von Beeren-Eiland entfernten. Vöringen lenzte (ging
mit dem Winde) südwärts — mit einer Geschwindigkeit von 8 — 9
Knoten unter dem gröfsten Rollen, das auf der ganzen Expedition seit
der Fahrt von Island nach Norwegen vorgekommen war. So ging es die
ganze Nacht Am andern Morgen und Mittag machten wir Sonnen-
beobachtungen, welche eine Fahrt von 8,6 Knoten anzeigten. Nach-
mittags ging es noch gleich schnell und gleich stark rollend südwärts.
Beeren Eiland von SW., 12' ab Mount Mlsery.
Es traten Regenschauer ein, und die Luft wurde dick (neblig). Der Hori-
zont verhüllte sich von Zeit zu Zeit, eine schlimme Sache, wenn das
Land erreicht werden soll. Im Regenschauer ging es so einige Stunden
weiter mit derselben Geschwindigkeit und wachsender See. Inzwischen
war das grofse Topsegel festgemacht und das Vordertopsegel einge-
refft. Wir wufsten jetzt, dafs wir uns dem Laude näherten, konnten
aber noch nichts davon sehen. Da, um 10 Uhr, grade 24 Stunden
später als wir Beeren-Eiland verlassen hatten, sah der Lootse im
Nebel plötzlich den Leuchtthurm auf Fruholmen und kurz datauf einige
Inseln, die er erkannte. Wir wufsten sonach, wo wir waren, — in
Rolfsösund. Wir hatten aber Fruholmens Leuchtthurm nicht zur Linken,
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wie es unser Besteck voraussetzte. Wir hatten ihn zur Rechten und
waren demnach von der Strömung stark nach Osten getrieben, indem
wir uns dem Lande in der dicken Luft näherten. Wäre die Strömung
weniger stark gewesen, so hätten wir leicht in dem Nebel auf Land
rennen können. Wir fühlten uns jetzt erleichtert und das ruhige
Wasser auf dem Wege nach Hammerfest liefs uns die Mühseligkeiten
des vorangegangenen Tages vergessen.
An demselben Tage war die „Vega“ mit Nordenskjöld und
Palander auf dem Wege nach Osten, und bei dem Sturme, der uns
von Beeren-Kiland bis Fruholmen verfolgte, lag „Vega“ in Maasösund
vor Anker, dessen Hafen so nahe bei Fruholmen liegt, dafs bei uns
sogar die Rede davon war, diesen Platz für die Nacht aufzusuchen.
Aber eine Begegnung zwischen Vega und Vöringen wurde vereitelt,
da letzterer des Nachts die Reise nach Hammerfest fortsetzte.
Am 29. Juli, 6 Uhr Nachmittags, lichtete Vöringen wieder die
Anker und verliefe Hammerfest für immer, indem er die gastfreien
Einwohner der Stadt mit 4 Kanonenschüssen zum Abschied grüfste.
Wir steuerten nordwärts, um baldmöglichst das Fahrwasser nördlich
von Beeren-Eiland zu erreichen. Das Meer war ruhig und das Wetter
schön. Ungewöhnlich viele und grofse Wale wurden gesehen, als wir
uns der Breite von Fruholmen näherten, theils in der Feme, wo die
Wassersäulen derselben wie weifse Segel am Horizont standen, theils
so nahe am Schiffe, dafs ihr Athemzug gehört werden konnte; bis-
weilen hatten wir auch den gewaltigen Anblick eines Wales, wie er,
mit gehobenem Hintertheil und Schwanz hoch über Wasser, untertaucht
Inzwischen wurde uns die Gelegenheit zu einer Beobachtung genommen,
die für uns von Interesse war, nämlich die einer hier grade stattfinden-
den Sonnenfinsternifs, indem Wolken über dem nördlichen Horizont uns
den Anblick der Sonne völlig raubten. Die Sonnenfinsternifs war
von unserem Standpunkt aus nur partiell, und ihre Beobachtung daher
nicht von besonderer Bedeutung. Wären wir weiter östlich gewesen,
so würden wir vielleicht das Vergnügen gehabt haben, sagen zu können,
dafs wir eine Sonnenfinsternifs um Mitternacht gesehen hätten.
Am 31. Juli um die Mittagszeit näherten wir uns Beeren-Eiland.
Das Wetter hatte sich inzwischen geändert, es war ziemlich dick
geworden, so dafs wir nur mit Mühe die Spitze des Mount Misery
sehen konnten und der Baokbord-Bug durch vorübertreibende Wolken-
raassen sichtbar wurde. Als wir um 2 Uhr in dio Nähe der Insel
kamen, wuchs die Windgeschwindigkeit von 5 auf 13 m in der Sekunde,
und das Barometor begann mit einer beunruhigenden Schnelligkeit zu
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sinken, während gleichzeitig sich ein Nebel über den ganzen Gesichts-
kreis legte; insgesammt bedeutungsvolle Anzeichen eines kommenden
Sturmes, die wir von früheren Touren her nur allzu gut kannten.
Der Wind bliefs von Südwest, und es wurde deshalb beschlossen, das
Wetter auf der Nordostseite der Insel abzuwarten, wo wir waren, und
die auch gegen die wachsende See Schutz bot
Nun begann, was wir unser Gefängnifsleben nennen können.
Volle achtundfünfzig Stunden lang wurden wir hier festgehalten.
In ganz langsamer Fahrt gingen wir unter dem Schutze des Mount
Misery hin und her, aus und ein. Unter dem Lande war die See ziem-
lich ruhig; aber die Windstösso, die vom Gebirge herunterkamen, gingen
heulend durch das Tauwerk. Trieben wir weiter ab vom Lande, so
wurde der Seegang gleich merkbar und am Horizont tauchten, gegen
Süden und Norden, grofse, weifse Schaumwellen auf, die uns stets
Kundo gaben von dem Seegang, der draussen auf offenem Meere
herrschte. Der Himmel war von dicken, treibenden Wolkenmassen
verschleiert, die nicht nur den Gipfel jenes Herges des Elends ein-
hüllten, sondern uns sogar des Anblicks auf das niedrige Land be-
raubten. Unter diesen Umständen mufsten wir uns glücklich preisen,
dafs der Sturm uns an einer Stelle erreicht hatte, wo wir einigermafsen
in Sicherheit waren.
Draufsen auf dem Meere war kein Arbeitswettor, aber dennoch
war unsere Lage, um einen milden Ausdruck zu gebrauchen, „kummer-
voll“ zu nennen. Wir hatten ein grofses Stück Arbeit vor uns; wir
wollten das Meer zwischen Heeren-Eiland und Spitzbergen, das
Meer zwischen Spitzbergens Westküste und dem Grönlandeis
und dann noch Spitzbergens Fjorde und Bänke untersuchen und
zn all diesem hatten wir nur eine begrenzte Zeit. Auf unseren beiden
früheren Touren hatten wir ja allerdings die vorausberechneten Routen
eingehalten, waren aber auf diesen doch nicht so weit vorgedrungen,
wie wir wünschten, einestheils weil die von uns gesuchten Naturver-
hältnisse näher lagen, als vorauszusehen war, anderentheils weil eine
mächtige Eiswand uns Halt gebot und uns unserer beiden westlichsten
Stationen beraubte. Aber jetzt, gleich zu Beginn unserer letzten und
längsten Reise wetterlahm zu liegen! Mit welchem Intoresse wurde
nicht jede Stunde nachgeforscht, welche Geschwindigkeit der Wind-
messer aufwiefs, wie oft nicht das Barometer zu Rathe gezogen! Das
arme Barometer, sein innerer Mechanismus zersprang später plötzlich,
so dass es vollkommen invalid wurde. Wie oft richtete sich nicht das
Auge, das bewaffnete sowohl wie das unbewaffnete, gegen den Horizont,
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um nachzuforschen, ob der Himmel sich aufhelle und die See sich
beruhige.
Auf dem Lande, wo man bei schlechtem Wetter bequem in seiner
Stube sitzen kann, vergehen die Tage schneller als auf der See die
Stunden der Sehnsucht nach besserem Wetter, die nur durch den
„Kojendienst* angenehm unterbrochen werden. Wir wraren erst im
Anfangsstadium unserer Fahrt. Die wenigen Stationen, auf denen wir
seit unserm Fortgang von Hammerfest gelotet hatten, genügten nicht,
um uns für mehrere Tage an Bord in Arbeit zu halten. Die wissen-
schaftliche Arbeit war zu Ende und viel von solcher Arbeit liefs sich
in diesen „kummervollen* Tagen nicht machen; dazu ist das mensch-
liche Gehirn nicht eingerichtet. So verstrichen die kostbaren Tage
für uns ohne Arbeit, ohne Resultate, ohne dafs wir vom Fleck kamen.
Das ging auf die Dauer nicht, etwas mufste geschehen. Es wurden
die Skizzenbücher durchblättert. Hier fanden sich Studien von den
vorhergehenden Touren, die zur Illustration unserer Fahrt benutzt
werden konnten. „Vüringens Maler- Akademie“, unter der Leitung
unseres vortrefflichen Landschaftsmalers F. W. Schiertz1) aus Leipzig,
trat in volle Wirksamkeit Jedoch war die Luft so feucht, dass die
Wasserfarben nicht trocknen wollten. Aber auch hiergegen gab es
Rath. In der „Schiffsküche“ ist es allezeit angenehm und warm, und
bald sah man die Schüler der Akademie auf der Wanderung vom
Arbeitssalon hinauf zu der Kombüse2) mit den nassen Farben, hin-
unter mit den trocknen. Dem Aergerlichen unserer Lage war den
Stachel gebrochen, die Kunst hatte ihre versöhnenden Schwingen dar-
über gebreitet
Mehr als 30 Stunden sind auf diese Art vergangen. Es ist Abend.
Die Luft ist etwas klarer geworden, die Wolken hängen nicht mehr
so weit herab über Mount Misery. Der Seegang hat nachgelassen.
Sollen wir diese Nacht einen Landungsversuch machen? Diese Frage
wird am Abendtisch diskutirt und das Resultat ist, dafs ein Versuch
gemacht werden soll. Ein scharfes Auge hatte an der Küste eine
Stelle entdeckt, wo es möglich war, mit Booten ans Land zu kommen.
Die, welche sich zum Landgang gemeldet hatten, gingen in ihre Kabine
hinunter, um sich für die Tour zu rüsten. Lederjacke, Seemannsrock,
Seestiefel, Taback, Kompafs, Hammer, Taschenbarometer, Beobachtungs-
und Skizzenbücher, Gewehr, Botanisirtrommel, — alles dies wurde
1 1 Bemerkung des Uebersetzers. Herr F. \V. Schiertz ist inzwischen,
für seine Kunst zu früh, im Jahre 18S8 zu Balestrand am Sognefjord gestorben.
!) Schiffsküche.
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angelegt, beziehungsweise in aller Eile mitgenommen; ein Boot wurde
heruntergelassen und war schnell gelullt mit Personen, die ans Land
steigen wollten. In der Nähe des Landes war das Meer anscheinend
ruhig. Wir ruderten auf die ausersehene Landungsstelle zu. Ein
weifser Fleck auf dem Lande bezeichnete die Stelle. Als wir dem
Lande näher kamen, zeigte es sich, dafs der weifso Fleck ein Wasser-
fall war; wir befanden uns an der Mündung des englischen Baches. Er
lief in eine kleine Bucht aus, rechts begrenzt von einer steilen Fels-
wand; zur Linken lagen Untiefen, über welche sich das Meer mit
Ungestüm brach. Eine starke Hebung und Senkung des Meeres zeigte
sich an der Küste und in der Bucht. Das Landen war nicht so leicht,
wie es vom Schiffe aus den Anschein hatte. Wir waren mittlerweile
hierauf vorbereitet. Ein Bootsanker und eine hinreichende Meter-
zahl Tau waren mitgenommen. Eine Strecke ab vom Lande wurde
der Bootsanker ausgeworfen und das Boot vermittelst der Ruder mit
dem Steven gegen das Land gehalten. Das Tau wurde abgewickelt
und, indem der Vordersteven das Land berührte, sprangen alle Mann
ans Land, durch die Seestiefel vor nassen Fiifsen geschützt. Sodann
wurde das Boot selbst aufs Land gezogen, da es bei dem Heben und
Senken des Meeres nicht im Wasser bleiben konnte, ohne voraussicht-
lich in Stücke zerschlagen zu werden. Da wir die Ebbe- und Fluth-
verhältnisse auf Beeren-Eiland nicht näher kannten, brachten wir das
Boot, um es nicht zu verlieren, weit landaufwärts, indem wir Treib-
holzstücke, die am Strand umherlagerten, als Rollen unter den Kiel
schoben. Hinter der höchsten sichtbaren Wassermarke wurde das
Boot an einigen gröfseren Steinen festgebunden. Hierauf begann die
Wanderung und die Untersuchungen. Alsbald erreichten wir die An-
höhe und genossen einen Ueberblick über das niedrige Land von
Beeren-Eiland. Kleine Steinkohlenstückchen lagen lose zwischen den
Oberflächengesteinen. Das Plateau, auf dem wir wanderten, war im
grofsen und ganzen horizontal; nur hier und dort zeigten sich kleine
Erhebungen. Es lag ungefähr 30 Meter über dem Meere. Wir wan-
derten der nördlichen Küste entlang. Die Oberfläche bestand aus lauter
lockeren, vom Frost losgesprengton Steinen, wie ich es in ähnlicher
Weise schon früher auf mehreren unserer hohen Gebirgsgipfel gefunden
hatte. Die losgesprengten Steine bildeten an vielen Stellen ein scharf-
kantiges Geröll, so dafs wir froh waren, Seestiefel zwischen den
spitzen Steinon und unseren Füfsen zu haben. An andern Stellen
hingegen gaben die bereits zu Staub verwitterten Gesteinarten einen
guten Wegkörper ab; verschiedene Pflanzen lugten verschämt mit
Himmel und Erde. I. 10. 42
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ihren Blüthenküpfen aus dem spärlichen Erdreich hervor. Oröfsere
und kleinere Stellen von Moos bildeten das einzige Grün, dem das
Auge auf dieser öden Fläche begegnete.
Wir folgten der eigenthümlich geformten Küste. Ueborall jähe,
gerade ins Meer gehende Abhänge. Wir sahen niedergestürzte Berg-
schichten, über die sich die Dünungen (Schlagwellen) so lange brachen,
bis sie die Felsen entzwei gemahlen und auf den Meeresgrund abgelagert
hatten. Wir sahen die obersten Lagen vorn Überhängen, nahe daran,
wie ihre Vorgänger, ins Meer hinunter zu stürzen. Nur vorsichtig!
Die Schichten liegen schon auf der Kante; eine klaffende Kitze, mehrere
Meter weit in das Plateau hineinragend, hat schon das für den nächsten
Sturz bestimmte Stück von dem Mutterfelsen abgeschnitten.
Der nördlichste und gröfste Theil von Beeren-Eiland wird von
horizontalen Schichten gebildet, die der Kohlenzeit angehören; einzelne
Kohlenschichten sind von Keilhau nahe den Stellen, die wir besuchten,
nachgewiesen. Das Meer übt beständig eine ersichtliche Wirkung aus.
Die Brandung untergrübt die höheren Schichten, indem sie die untersten
losbröckelt und zermahlt, bis die orsteren ihre nothwendige Stütze ver-
lieren und plötzlich vornüber ins Meer stürzen. Es geht mit Beeren-
Eiland wie mit vielen anderen Küsten und auch mit dem Niagara.
Die Ufer rücken stetig landeinwärts. Die Insel wird kleinerund kleiner,
aber die Meerbänke rings herum werden gröfser und grüfser. Wer
weifs, ob die Insel nicht einmal landfest mit Spitzborgeu verbunden
war oder fast bis dahin gereicht hat? Die Landschaft zeigt noch andere
Eigenthümlichkeiten. Die Küstenlinie, welche vom Meere auB völlig
eben aussieht, ist es ganz und gar nicht. Vorsprünge und Buchten
wechseln mit einander ab. Die letzteren bezeichnen die Stellen, wo das
Meer bereits seine nivellirende Arbeit ausgeführt hat; nach diesen
kommen die Vorsprünge an die Reihe, sobald sie zu weit in das alles
verschlingende Element hineinragen. Zwei Vorsprünge sind die merk-
würdigsten und zeigen, wie das Aussehen des Landes sich stetig ver-
ändert. Hier ragen senkrechte Säulen aus dem Wasser empor und
verrathen durch ihre horizontalen Bergschichten ihre frühere Zugehörig-
keit zu dem festen I^ande, von dem sie jetzt durch die Macht der Wellen
gänzlich getrennt sind, welche das Zwischenliegende dem Meere über-
liefert haben. Diese Säulen waren für die Seevögel willkommene
Brutplätze; hier konnte der Fuchs weder sie noch ihre Nester er-
reichen. Auch an den steilen Wänden, welche die Küste sonst gegen
das Meer hin bildete, war jeder Schlupfwinkel von den Seevögeln be-
setzt. Während unserer Wanderung machten wir auch kleine Ab-
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Stocher in das Innero der Insel. Hier lag, 6 — 700 m von der Küsten-
linie ab, eine lange Reihe von kleinen, untiefen Gewässern. Die
Temperatur dieser Gewässer betrug 9° C. Viele Vögel hielten sich
hier auf, lauter Seevögel, die unsere Jäger vollauf beschäftigten und
ihnen eine gute Beute ausgezeichneter Exemplare von theilweise sel-
tenen Arten verschafften.
Inzwischen hatten die Wolken sich so weit gehoben, dafs wir
den ganzen untersten Theil von Mount Misery deutlich sehen konnten.
Wir hofften deshalb auf einigermafsen gutes Wetter während unserer
Tour. Aber es zeigte sich bald, dafs der Meteorolog auf Beeren-Eiland
ebenso vielen Täuschungen ausgesetzt ist, wie anderwärts. Kaum hatte
unsere Wanderung über die Insel recht begonnen, als auch schon
ihre klimatische Kopfbedeckung, der Nebel, sich wieder über den
niedrigen Theil der Insel ausbreitete. Er trat so stark auf, dafs einen
Augenblick die Rede davon war, sofort umzukehren, bis im Kriegs-
rath beschlossen wurde, die Tour fortzusetzen. Es ging weiter nord-
wärts. Die Aussicht war beschränkt genug, jedoch gerade ausreichend,
um sich immer wiederzufinden und nicht die jähen Abhänge hin-
unterzustürzen. So ging es einige Stunden lang. Wir waren ungefähr
7 — 8 km weit vorgedrungen, als die Küste sich mehr gegen Nordwest
wandte. Unser Ziel, den Kohlenhafen mit den Steinkohlenlagern,
hatten wir noch nicht erreicht und fingen allmählich an zu ahnen, dafs
wir die Stelle verfehlt hatten. Ueberhaupt war er von der Insel aus
kaum zu erreichen, sondern nur bei ganz ruhigem Wetter in Booten
von der Soeseite aus. Weiter vorzudringen bis zu Tobiosens Hütte,
wo dieser bekannte norwegische Schiffer einst überwintert hatte,
lag aufserhalb unseres Planes. So wurde beschlossen umzukehren.
Es war 2 Uhr Morgens. Alsbald wurde gemeldet, dafs wir auf Ver-
steinerungen gestofsen seien, und alle Mann begaben sich ans Sam-
meln. Endlich begann der Rückmarsch ernstlich, er war lang und
beschwerlich. Der Kompafs w'urde zu unserem Wegweiser. Die stets
unentbehrlichen Brillen beschlugen von dem Nebel derart, dafs sie fast
unbrauchbar wurden. Unter solchen Umständen war es schwierig,
über die scharfkantigen Gesteine des Gerolles glücklich hinwegzu-
kommen. Die Uebung half bald auch dieses Hindernifs überwinden.
Während des Rückmarsches bemerkte ich, dafs das Barometer wieder
stark sank und der Wind zunahm; ein neuer Sturm war im Anmarsch,
die alto Regel bestätigend: „Ein Wirbel kommt selten allein.“
Wo war Vö ringen? Als wir ihn zuletzt gesehen hatten, ging
er unweit des Landungsplatzes hin und her, aber da war das Wetter
42-
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noch klar. Was hatte unser Kapitain gemacht, als der Nebel wieder
auftrat? „Ich will wünschen, dafs er geankert hat,“ sagte der Nächst-
kommandirende zu mir. Plötzlich kamen wir an einen Einschnitt, an
das Thal mit dem englischen Bache.1) Wir stiegen den Abhang hinunter
und sahen zu unserer grofsen Freude „Vöringen“ vor uns vor Anker
liegen. Unser Boot fand sich an derselben Stelle vor, wo wir es
festgebunden hatten und wir konnten unsere Vorsicht preisen, die
es uns hatte so hoch ziehen lassen, da die Fluth beinahe bis zum
Kiel gestiegen war. Sofort drehten wir das Boot mit dem Steven
gegen die See und zogen die Ankerleine fest an; einige stiegen ins
Boot, während die übrigen es in die Brandung hinausschoben und
alsdann nachsprangen. Wir waren sofort flott und ritten vor unserm
kleinen Anker, als wir zu unserm Erstaunen bemerkten, dafs einer
von uns am Ufer zurückgeblieben war, der nicht Platz gefunden
hatte, sich ins Boot zu schwingen. Die Ruder auslegen, in der Anker-
leine nachgebon und zurück ans Ufer rudern, war die Sache eines
Augenblickes, und im nächsten schon stand der letzte Mann, Dank
seiner turnerischen Fertigkeit, im Boot. Es wurde aus der Brandung
herausgerudert, der kleine Anker heraufgeholt und an „Vöringen"
herangerudert, wo unser Kapitain uns mit der erquickenden Nachricht
empfing, dafs er warmen Kaffee für uns bereit habe.
Das allgemeine Wohlbefinden erreichte seinen Höhepunkt, als
die nassen, schweren Kleider mit trockenen, leichteren gewechselt, der
Kaffee getrunken und die Pfeifen angezündet waren. Es war bereits
4 Uhr Morgens und es schien, als ob die Müdigkeit sich gar nicht
einstellen wollte. Da wurde gemeldet, dafs die Mannschaft fische. Auf
Deck lagen schon mehrere grofse Dorsche und immer wieder wurde
einer nach dem andern heraufgeholt. Alle Angeln wurden in Thätig-
keit gesetzt; Matrosen und Männer der Wissenschaft fischten um die
Wette. Der Meeresboden lag 20 Meter unter uns. Kaum waren die
Angelschnüre ausgeworfen und das Senkblei am Boden, so bissen
die Fische auch schon an und theilweise so stark, dafs man die Schnur
mit Macht zurückhalten mufste. Mehrere der Mannschaft hatten
nichts Anderes zu thun als alle die grofsen Dorsche zu reinigen, die
jeden Augenblick von den Fischenden auf Deck geworfen wurden.
Da lagen sie in so grofsen Haufen, dafs es schwer war durchzukommen.
Der Magen-Inhalt wurde von den Zoologen fleifsig studirt.
Während des Fischfanges war das Wetter veränderlich. Bald
') Engelskeven.
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593
triefte es vom Nebel, so dafs alles feucht wurde, bald brach die Sonne
durch und zeigte Land, Meer und Himmel in der schönsten Beleuch-
tung, ein immer wechselndes Panorama, das wohl eine ungetheilte
Aufmerksamkeit des Auges verdient hätte. Aber der Sport des Fischens
nahm die damit Beschäftigton vollauf in Anspruch und theilweiso der-
art, dafs hautlose Finger noch drei Wochen lang täglich an die herr-
liche Fischerei von Beeren-Eiland erinnerten. Es war ein grofses Ver-
gnügen, den Seevugeln beim Fischen zuzusehen. Wenn ein Stück
Dorschleber über Bord geworfen wurde, schlugen sich gleich eine
grofse Menge von Sturmvögeln (Procellariae) darum und hier und dort
sah man in der Schaar der Sturmvögel eine würdige Bürgermeister-
möve. Der Glückliche, der die Beute in den Schnabel bekam, suchte
gleich damit zu einer abgelegenen Stelle zu flüchten, stets gefolgt von
vielen Neidischen, die ihm noch die Beute streitig machen wollten.
Aeufserst komisch war es, zu sehen, wie die Sturmvögel, die schlechte
Taucher sind, sich bemühten, ein untersinkendes Stück Leber zu er-
haschen. Um 7 Uhr endlich nahm die Zahl der Fische ab und
infolge dessen auch bald die der Fischer. Um 8 Uhr war die
Fischerei zu Ende; es lagen da auf Deck 200 grofse Dorsche von
einer Elle Länge. Welches Blutbad und welche Reinigungsarbeit!
Der Fang hatte keine volle vier Stunden gedauert und die Beute wäre
auf dem Fischmarkt von Christiania mit 400 Kronen bezahlt worden.
Der kleinste Theii wurde frisch verspeist, der Rest von der Mann-
schaft eingesalzen.
Das war eine Sommernacht auf Beeren-Eiland.
(Fortsetzung folgt.)
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Ueber das Eindringen des Lichts in die Tiefen des Meeres.
Von Adunralitatsralh Rottok.
Die Frage über die Tiefe, bis zu welcher das Tageslicht in das Meer-
wasser einzudringen yennag, ist nicht nur für den Seemann von beson-
derem Interesse und praktischer Bedeutung, sondern auch für dasStudium
der biologischen Tiefseeforschung von hervorragender Wichtigkeit. Wenn
man trotzdem bisher zu keiner befriedigenden Lösung derselben, zu
keinem sicheren Resultat gelangt ist, so liegt dies zum Theil in dem
wenigen uns hierüber zur Verfügung stehenden Beobachtungsmaterial,
zum Theil in der Schwierigkeit der Bestimmung, an der Unvoll-
kommenheit der Methoden. Ueber den Stand der Frage giebt eine im
Februar-Heft der Annalen der Hydrographio veröffentlichte Arbeit von
Professor Krümmel1) Aufschlufs, in welcher er das wichtigste hierüber
bekannte Material zusammengotragon hat.
Die bisher fast allgemein, besonders an Bord von Schiffen auf
See angewandte Methode, die Durchsichtigkeit des Wassers zu be-
stimmen, bestand darin, dafs der Beobachter einen Gegenstand (ge-
wöhnlich eine weifse Scheibe) an einer abgemessenen Leine im Wasser
versenkte und die Tiefe feslstellte, bis zu welcher dieselbe sichtbar
blieb. Auf diese Weise erhielt bereits im Jahre 1817 O. von Kotzebue
an Bord der Ilurik bei Anwendung eines Stückes rothen Tuches eine
Sichttiefe von 29 m, mit einem weifsen Teller von 50 m. Kapitain
Duperree machte auf der Coquillo 1823 und 1824 ähnliche Beob-
achtungen, wobei er als Versenkungskörper ein weifses 66 cm breites
Brett benutzte, welches schon in 12 — 23 m Tiefe dem Auge ent-
schwand; Kapitain Berard (1841) sah einen weifsen Teller noch in
40 m Tiefe.
Die ersten systematischeren und zuverlässigeren Untersuchungen
hat Wilkes auf seiner Weltumsegelung 1838 — 42 angestellt, wobei
er gleichzeitig die Sonnenhöhe bei den einzelnen Beobachtungen,
') Bemerkungen über die Durchsichtigkeit des Meenvassers. Annalen
der Hydrographie uud maritimen Meteorologie, Heft II. 1889.
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»S1
595
welcher er einen besonderen Einflurs auf die Gröfse der Sichttiefe zu-
sprach, notirte; abgesehen von einem vereinzelten Falle, in welchem
der weifse Versenkungsgegenstand bis zu 59 m Tiefe gesehen wurde,
war die gröfste beobachtete Sichttiefe 31 m bei Sonnenhöhen von
50—80».
Ungefahr 30 Jahre später, im Jahre 1865, machten Secchi und
Cialdi im Mittelmeer auf der päpstlichen Korvette ITmmacolata Con-
cezione mehrere Beobachtungsreisen mit an Grefee und Farbe ver-
schiedenen Scheiben; während die kleineren Scheiben von 43 cm
Durchmesser schon in geringeren Tiefen nicht mehr wahrgenommen
werden konnten, blieben die grüfseren von 2.37 m Durchmesser bis
zu 42.5 m sichtbar; ebenso wiesen die weifsen Scheiben eine gröfsere,
beinahe die doppelte Sichttiefe auf, als die gelben und grünen; die
scheinbare Farbe der weifsen Scheiben wechselte übrigens mit der
Tiefe, sie wurde in einer gewissen Tiefe grünlich, dann bläulich-grün
und schliefslich azurblau wie die See, um dann alsbald nicht mehr
von der letzteren unterschieden werden zu können.
Trotz der schlechten Resultate, welche Secchi mit den kleinen
Scheiben erhalten hatte, wurden von Luksch und Wolf im Jahre
1880 zu ähnlichen Versuchen im Mittelmeer noch kleinere Scheiben
von 36 cm Durchmesser genommen, von welchen drei aus blankem
Metallblech, Weifsblech, Messing und Kupfer bestanden, zwei weifs
und grün bemalt waren. Die gröfste beobachtete Sichttiefe (der
weifsen Scheibe) betrug 54 m bei 68 — 70° Sonnenhöhe auf der
Schattenseite des Schiffes und bei 3.5 m Augeshöhe über der Meeres-
oberfläche. Die weifs gemalte und die Weifsblechscheibe blieben am
längsten sichtbar, die grüne verschwand zuerst, dann die Kupferscheibe
und die gelbe Messingscheibe.
An Bord Seiner Majestät Kadettenschulschiff Niobe wurde im
Sommer 1887 unter Kommando des Kapitain zur See Aschenborn
in der Ost- und Nordsee eine Reihe interessanter Beobachtungen mit
weifsen Scheiben von 2 m Durchmesser ausgeführt. Als Maximal-
werthe für die Sichttiefe in diesen Meeren erhielt man für die Ostsee
16 m in der Kieler Bucht, 15 m bei Rügen und für die Nordsee 22 m
(Irische Sec). Auf Rheden und in Häfen, wo das Wasser wahrschein-
lich durch den Schiffsverkehr aufgerührt und verunreinigt, war die
Durchsichtigkeit desselben bedeutend geringer (das Minimum betrug
ca. 4 m) als auf offener See.
Wie unvollkommen die bisher besprochene Beobachtungsmethode
ist und wie unsicher und relativ die Resultate derselben sind, be-
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r.96
sveisen zur Genüge die graften Differenzen der erhaltenen Sichttiefen,
auf welche, abgesehen von der subjektiven Sehschärfe des Beobachters,
die Beschaffenheit der Scheiben, namentlich ihre Grüfte und Farbe,
die Höhe des Beobachters über dem Meeresspiegel, der Zustand der
Wasseroberfläche, ob glatt oder bewegt, die Beleuchtung, Bewölkung
und Sonnenhöhe einen namhaften Einfluft ausüben, wie dies in der
Natur der Sache liegt und auch grüfttentheils aus den Beobachtungen
selbst abgeleitet werden konnte. Die Beobachtungen mit zu kleinen
Scheiben konnten deshalb nicht maftgebend sein, weil bei bestimmter
Entfernung der Gesichtswinkel derselben so klein wurde, daft die-
selben dem Auge entschwinden mufsten. Bezüglich des Standpunktes
des Beobachters konnte konstatirt werden, daft je näher das Auge dem
Meeresspiegel, desto gröfser die Sichttiefe.
Krümmel macht ferner zum Beweise der Unverläfslichkeit der
besprochenen Methode darauf aufmerksam, wie wenig sich das mensch-
liche Auge zu solchen photometrischen Messungen eignet, weil es -wie
andere Sinnesorgane die Unterschiede zweier Reize nur dann empfinde^
wenn das Verhiiltnifs dieser Reizintensitäten ein nahe konstantes Mafs
(Visa) überschreitet“. Sowie der Unterschied zwischen der Helligkeit
und Farbe der versenkten Scheibe und derjenigen des Wassers kleiner
wird, als dieses Maft, so wird die Scheibe von dem Wasser nicht mehr
unterschieden.
Es mufste daher eine objektivere Methode der Untersuchung, die
photographische, wie sie zuerst Forel angewandt hat, sehr willkommen
sein. Derselbe versenkte im Genfer See Chlorsilber- oder Bramsilber-
Gelatine-Papier, welche gegen das Sonnenlicht sehr empfindlich sind,
und von demselben geschwärzt werden; er fand im Sommer eine Licht-
wirkung bis zu 45 m, im Winter bis zu 100 m.
Die Versuche wurden in ähnlicher Weise, aber mit verbesserten
Apparaten von Fol und Sara sin im Mittelmeere fortgesetzt und
durch dieselben die Lichtgrenze weit mehr, bis zu 400 m Tiefe,
hinausgeschoben.
Der deutscho Ingenieur von Petersen, welcher gegen die Fol-
und Sarasinsclien Beobachtungen den Einwand erhob, daft dieselben
zu nahe der Küste angestellt, wo das Wasser weniger durchsichtig
sei, als in offener See, und daft durch vorheriges Lethen das Wasser
an der Beobachtungsstelle getrübt wäre, vermied bei seinen nun fol-
genden Untersuchungen beide Uebelstände und wies auf der Höhe von
Capri noch in 500 und 550 m Tiefe eine deutliche Schwärzung der
versenkten Platten nach.
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Dem auch gegen die photographische Methode zur Bestimmung
der Eindringungstiefe des Lichtes in das Wasser erhobenen Bedenken
gegenüber, dafs bei derselben auf den Platten nur die chemisch wirk-
sameren, d. h. die blauen und violetten resp. ultravioletten Licht-
strahlen zum Ausdruck kämen, während es nicht ausgeschlossen sei,
dafs die Strahlen gröfserer Wellenlänge, d. h. die rothen, noch tiefer
eindrängen, ist festgestellt worden, dafs das Seewasser in erster Linie
die letzteren absorbirt, dagegen die blauen und violetten Strahlen
besser durchläfst, diese demnach in gröfsere Tiefen einzudringen ver-
mögen als die rothen, und die Lichtgrenze zu fixiren wohl geeignet
sind. Wenn man bedenkt, dafs gerade von diesen eindringungsfähigsten
blauen Strahlen ein grofser Theil und mehr als von den rothen, von
dem Wasser reflektirt wird, wodurch demselben ja seine blaue resp.
grüne Farbe gegeben wird, und dafs ferner die in dem Wasser
schwebenden Mengen von Sinkstoffen und kleinen Organismen in
hohem Grade absorbirend wirken und die Lichtintensität abschwiiohen
müssen, so nimmt es nicht Wunder, dafs die Lichtgrenze sich so
wenig von der Oberfläche entfernt.
Auch Salzgehalt und Temperatur des Wassers haben ihren Ein-
flufs auf die Durchsichtigkeit desselben. Der Salzgehalt hat die Eigen-
schaft, dafs er die Abscheidung der in dem Wasser schwebenden
Sinkstoffe begünstigt und beschleunigt, und zwar nimmt diese klärende
Wirkung, mithin auch die Eindringungstiefe des Lichtes, mit dem Salz-
gehalte zu.
Durch eine hohe Temperatur des Wassers wird die Abscheidung
der Trübe beschleunigt. Andererseits wird jedoch durch eine Er-
höhung der Temperatur die Lichtabsorptionsfähigkeit des Wassers eine
gröfsere, die Eindringungstiefe also wieder vermindert, und es ist nicht
ohne weiteres zu entscheiden, welche von diesen sich gegenüber-
stehenden Wirkungen der Temperatur die Oberhand hat.
Als Beweis der Richtigkeit der gefundenen Lichtgrenze mag
schliefslich noch angeführt werden, dafs dieselbo übereinstimmt mit
der Grenze, bis zu welcher man in den Tiefen des Meeres ein
Pflanzenleben angetroffen hat, dessen Existenz bekanntlich das Vor-
handensein von Licht bedingt.
*
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am
Klimatische Eigentümlichkeiten Persiens.
Von A. ). Ccyp.
Für ganz Persien ist die Geringfügigkeit der fast ausschliefslich
in die drei Wintermonate fallenden atmosphärischen Niederschläge,
die im südwestlichen Theile höchstens 25 cm pro Jahr betragen, und
die excessive Sommerhitze bei verhällnifsmälsig kühlen, ja selbst
kalten Wintern charakteristisch. Besonders im südlichen Persien,
dem eigentlichen Gärmstr, d. h. dem heifsen Laude, steigert sich die
Sommertemperatur zu einem Grade, dor dasselbe den heifsesten
Gegenden des Erdballes ebenbürtig anreiht. Es war am 17. Juni
1886 in KäzerQn, an der Grenze des Gärmsir gelegen, 900 m über
dem Meere die Temperatur:
um 8 Uhr Vormittags .
24,0» C.
9 ,
29,5» ,
W
10 „
32,7» „
n
12 *
39,7» „
2 „ Nachmittags .
40,2« „
n
4 „
39,4» „
Millimaltemperatur .
17,8» ,
Besonderer Erwähnung bedarf die Temperatur auf der Halbinsel
von Bflshähr, die als Typus der Temperaturen am persischen Golfe
dienen kann. Da hier über l'/i Jahre sich erstreckende, genaue
meteorologische Beobachtungen angestellt wurden, so können Durch-
schnittszahlen gegeben werden:
durchschnittliche
1886.
Maximaltemperatur
Minimaltemperatur
Januar . .
. . 14.4« C.
8,3» C.
Februar .
. • 17,1»,
10,4» ,
März . .
. . 23,9» „
14,3« ,
April . .
. . 27,3» ,
19,2« „
Mai . . .
. . 34,3» ,
24,6» ,
Juni . . .
. • 34,3« „
27,2» ,
Juli . . .
• • 34,4» „
28,9« ,
August. .
. . 34,3«,
29,8» ,
September
. . 35,2»,
26,2» ,
Oktober .
. . 31,9«,
24,4» ,
November
. . 23,5» ,
17,0« ,
Dezember
. . 19,8» _
12,1» ,
Man könnte nun aus diesen Daten schließen, dafs die Sommer-
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599
temperauir direkt an der Küste weniger lästig sei als im Innern. Das
würde indessen ein greiser Irrtlium sein. An der Küste des persischen
Golfes nämlich ist die Luft während der heüsen Jahreszeit bei voll-
kommen klarem Himmel und unverhüllter Sonne doch so mit Feuchtig-
keit gesättigt, dals des Nachts regclmäfsig ein sehr starker Thaufall
eintritt, und dafs am Tage die leichteste Bewegung ein Ausbrechen
des Schweifses über den ganzen Körper zur Folge hat. Büshiihr ist
deshalb nicht ganz mit Unrecht unter den Europäern im hohen Grade
verrufen. Nur wenige vermögen dort während der Sommermonate
ruhigen Schlaf zu linden, und meistens wandern sie, von der uner-
träglichen Schwüle und einem oft den ganzen Körper überdeckenden,
mückenstichartigen Ausschlag (prickly heat) geplagt, den gröfsten
Theil der Nacht schlummerlos auf dem flachen Dache herum, um dann
in der Mittagszeit, wo infolge der steigenden Temperatur die Schwüle
weniger bemerklich ist, das Versäumte nachzuholen. Ganz anders im
Innern des Landes. Schon in Tshäkutah macht sich der geradezu
furchtbaren Hitze zum Trotz das Abnehmen des Feuchtigkeitsgehaltes
der Luft angenehm bemerkbar, indem besonders die Nächte eine
relativ sehr bedeutende Abkühlung zeigen; und sobald mau die Hoch-
thäler des Plateaus ersteigt, wächst die Trockenheit der Luft immer
mehr, und die Nächte werden immer erquicklicher, bis zuletzt, wenn
man die Plateauhöhe von 1700 — 1800 m erstiegen hat, die gewöhn-
lichen Sommertemperaturen nur selten die Blutwärme erreichen und
somit denen sehr heifser deutscher Sommertage in Bezug auf die
absolute Temperatur etwa gleichkommen. Dennoch ist der Eindruck,
den sie auf den Körper machen, ein durchaus verschiedener. Bei der
grofsen Trockenheit der Luft fehlt ihnen alles Drückende, und man
transpirirt so unbedeutend, dafs man den Eindruck erhält, als wäre es
viel kühler. Freilich, sobald man aus dem Schatten in die fast senk-
rechten Strahlen der mit unvergleichlichem Glanze leuchtenden Sonne
hinaustritt, bemerkt mau, in welch kolossalen Hitzegraden man sich
bewegt; und der Europäer, welcher seinen Kopf nicht durch einen
Hut mit Isolirschicht, am besten eine indische Sola-Topi (vom Mark
der Aischy-nomene aspera), schützt, ist sicher, sich einen Sonnenstich
oder doch mindestens ein heftiges Fieber zuzuziehen. Diese eigen-
thümlichen Tompcraturverhiiltnisse haben denn auch dem ganzen Ver-
kehr ihren Stempel aufgedrückt Es fällt in den hcifsen Gegenden
keinem Perser ein, zur Sommerzeit anders als bei Nacht oder höchstens
Morgens und Abends zu reisen, und besonders der Karawanenverkehr
fällt fast ausschliefslich in diese Zeit Wie Schatten sieht man dann
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in den breiton Thälern die beladenen Thiere vorüberhuschen, deren
Herannahen sich schon von weither durch das Geläute ihrer Glocken
und Schellen ankündigt. Um während der Nacht im Freien zu lagern,
ist es nothwendig, freie Stellen in der Nähe von fliefsendem Wasser
zu wählen und da, wo noch kein Lager gestanden. Für jede einzelne
Person ist eine Filzdecko (nämäd) von der Länge, dafs man auf
dem Boden liegen kann, nöthig. Als Brennmaterial findet man häufig
den Sacksaul und die Absynthwurzel, die ebenso auch den Thieren
als Nahrung dienen. Was speziell die Gegenden um Teheran bis über
Ispahän hinaus anbelangt, so ist auch hier zu bemerken, dafs während
des Juni und Juli die Nächte eben so warm sind, wie in den Küsten-
gegenden. Erst Mitte August beginnen leichte Windbrisen, die eine
nächtliche Erfrischung bringen. Im September fängt es an Nachts
ordentlich abzukühlen und im Oktober friert man oft schon in den
allzu luftigen Sommerwohnungen. Vom Juni bis Oktober ist ein Regen
eine ungewöhnliche Naturerscheinung. Die unerträglichsten Sommer-
tage sind diejenigen, an denen das Firmament umflort ist und die
Sonne nicht durchzudriugen vermag. Gegen Ende Oktober oder An-
fang November kommt meist eine kurze Regenzeit bei noch milder
Temperatur, dann aber folgt ein wunderbarer Späthorbst; jedenfalls
die Perle unter den Jahreszeiten Irans. Der Winter tritt spät ein, ist
jedoch recht strenge und dauert glücklicherweise selten mehr als
acht, höchstens neun bis zehn Wochen. Der Beginn des Frühjahrs
ist die Zeit der langen Regen und grofsen Stürme, darauf folgt ganz
unvermittelt eine grofse Tageshitzo mit starken Gewittern; im ganzen
könnte ich nicht behaupten, dafe der Frühling zu den lieblichsten
Zeilen Irans gehörte, abgesehen etwa davon, dafs das rasche Wieder-
grünen Herz und Auge erfreut Im Winter hatte ich bis zu 16° C.
und fast jeden Winter wochenlang jeden Abend und Morgen eine
beträchtliche Kälte. Das Mauerwerk der Häuser ist dünn, Thüren
und Fenster schliefsen schlecht, der Lehmboden der Zimmer durch-
kältet, und die Kamine sind danach, jeden von vorne zu braten und
von rückwärts erfrieren zu lassen. Der Europäer kauft 6ich doch
wenigstens Steinkohlen, von denen der Khärvär = 294,4 kg. fünf bis
sechs Kerän (1 Koran = 1 Franc) kosteL Im Durchschnitt hat der Einge-
borene nicht die Mittel zu solchem Luxus und steckt tagelang unter einer
Decke mit einer Art Kohlenpfanne (mängäl). Man sagt, dafs der schöne
Himmel Iräns jeden, der ihn kennen lernte, immer wieder dorthin
ziehe. Ich kann gerade nicht behaupten, dafs ich bisher Sehnsucht
danach gefühlt hätte, aber dafs derselbe einen besseren Eindruck
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601
macht als die grauen Nebel, welche während zweier Dritttheile des
Winters über Europa hängen, gebe ich gern zu. Der Europäer sieht
in den Bazaren und Strafsen mit Ver- und Bewunderung, welche
schwere Lasten die Hamäls (Lasträger) tragen, welch riesige Ent-
fernungen sie im Dauerlaufe zurücklegen, in welch jammervoller
Kleidung sie im Winter ihre Arbeit verrichten, wie sie selbst im
Norden, wo der Schnee nicht selten meterhoch liegt, den ganzen Tag
im Freien zubringen und in ihrer Behausung nur eine Hand voll
Holzkohlen haben. Doch eine Achillesferse, wo ihn die Kälte über-
windet, hat auch der Perser, das ist — die Hand. Der Europäer kann
an der Hand eine ziemliche Portion Kälte vertragen, scheut aber nasse
Füfse. Der Perser fühlt sich im Winter mit nackten, eiskalten Füfsen,
auf den Teppichen hockend, behaglich, so lange er nur ein kleines
mängäl vor sich hat, die Hände zu erwärmen, ja er friert in einem
europäisch geheizten Zimmer, weil er da die Hände nicht so ausgiebig
rösten kann, wie über einem Kohlenfeuer und weil die Körperwärme
in seinem faltigen Gewände weniger zusamtnengehalten wird, wenn
er auf dem Stuhle sitzt, als wenn er die Beine wie Taschenmesser
zusammenklappt und sich oben drauf setzt Die Konstruktion
seines Anzuges erleichtert ihm die Warmhaltung der Hände auf der
Strafse insofern, als er dieselben aus den weiten Aermeln zurückziehen
und an der Brust wärmen kann. Man meint lauter Amputirten auf
der Strafse zu begegnen, die Aermel hängen lose am Körper herab,
die Glieder sind daraus verschwunden und kommen erst wieder zum
Vorschein, sobald die magische Gewalt eines mängäls sie aus ihrem
Verstecke lockt. Ueber die Kohlenpfanne wird ein hölzernes Gestell
gerückt und das Ganze mit einem gelim (wollene Fufsdecke) oder
einem kälitshäh (Teppich) überdeckt Beine und Hände werden auf
diese Weise gegen die Kälte geschützt; das Arbeiten giebt man unter
diesen Verhältnissen einstweilen auf, erzählt sich Geschichten oder
vertreibt sich die Zeit mit Koran-Lesen. Trotz dem mängäl würde
bei kalter Witterung der Körper, aufser im Bette, nie recht warm
werden, wenn nicht das Bad den Ofen unserer Zimmereinrichtung in
gewissem Grado ersetzte. Ist der Körper in dem heifsen Wasser
ordentlich durchgebrüht, so ist er auf mehrere Stunden ziemlich un-
empfindlich gegen die Kälte, während ein laues Bad leicht Erkältung
herbeiführt. In jedem greiseren Haushalt befindet sich ein Bad, welches
fast jeden Tag vorgerichtet wird. Aufser den privaten Bädern giobt es
öffentliche oder gemischte. Unter gemischten Bädern versteht man
solche, die zwar für den Privatgebrauch bestimmt, doch zu gewissen
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602
Stunden fiir Geld auch dem Publikum zugänglich sind. Jene Europäer,
welche sich bei der Akklimatisirung oder bei Reisen in den Tropen-
gegenden, besonders in den Provinzen Gilän und Mäzänderän Fieber
holen, werden dasselbe schwer wieder los. In der gesamten Lebens-
weise mufs man sich, wie überall im fremden Lande, auch in Persien
dem Herkömmlichen fügen und würde man vom hartnäckigen Ver-
folgen mitgebrachter Gewohnheiten nur Nachtheil haben. Man schaue
und frage daher, wie die Andern leben, die schon lange in einem
solchen Lande weilen, und mache es ihnen nach; es ist dies gewifs
die vernünftigste Diätvorschrift. Die Provinzen Gilän und Mäzänderän
soll jeder Europäer meiden oder möglichst rasch zu passiren trachten,
dort leiden selbst die Eingeborenen an fortwährendem Fieber, und man
sieht nur schwächliche, fahle und hohläugige Gestalten. Das Fieber
vergiftet den Organismus in wenigen Tagen und man sieht Individuen,
welche, zwar ohnö schnell abzumagern, ganz blutleer, schwankend,
im höchsten Grade kachektisch sind. Diese Wahrnehmung hatte ich
an mir selbst gemacht. Während meines dreijährigen Aufenthalts im
Innern dieses Landes war ich stets gesund, nur eine zwei Monate
währende Reise in diesen Provinzen brachte mich körperlich voll-
ständig herunter.
t
Die Lebensdauer des Genfer Sees. Die Berechnungen, welche
F. A. Forel*) auf Grund neuer Mossungsresultate der Strömungsge-
schwindigkeit und Beschaffenheit des Wassers der Rhone bei ihrem
Eintritt angestellt hat, gestatten eine interessante Schätzung der Länge
von geologischen Perioden. Zunächst ist die Frage, in wie langer
Zeit die einströmende Rhone das leere Bocken des Genfer Sees, von
etwa 90 ckm Inhalt, bei einer Oberfläche von 578 qukm, ausfiillen
würde, sehr verschieden beantwortet worden; einige frühere Rechnungen
ergaben Zeiträume, die in Jahrhunderte reichten. Genaue Pegelbeob-
achtungen zu Genf im Jahre 1874 ergaben, dafs man als mittlere Zu-
flufsmenge der Rhone 200 Kubikmeter pro Sekunde anzunehmen hat, aus
welcher Zahl sich leicht berechnen liifst, dafs in 14 bis 16 Jahren das leere
Becken allein durch die zuströmende Rhone angefüllt werden könnte. In-
dessen ist mit dieser Zahl über die Dauer des Aufenthaltes des Rhone-
wassers im Genfer See noch nichts ausgesagt, da es sehr wohl denkbar ist,
*) Arch. sc. pliys. XXI. 1889 S. 128.
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603
dafs einTheil des Flurswassers ziemlich rasch wieder austritt, während der
andere in den Tiefen des Sees ungemossne Zeiträume verweilen könnte.
Dieses zufliefsende Wasser ist jedoch nicht völlig rein, sondern fuhrt
je nach der Jahreszeit, gröfsere oder geringere Mengen von aufgelösten
Stoffen und feinem Detritus mit, welcher sich unter der Oberfläche des
Sees an der Rhonemiindung deltaförmig ablagert. Die Untersuchung
zahlreicher Proben des Rhonewassers im Jahre 1886 ergab das Re-
sultat, dafs während der ersten Hälfte des Jahres in einem Liter Wasser
0,24 gr gelöste Stoffe enthalten sind, welche Menge für die zweite
Hälfte auf etwa 0,19 gr herabsinkt. Diese Mineralsalze müssen sich
auf irgend eine Weise im See niederschlagen, da sein durchschnittlicher
Salzgehalt nur 0,17 gr pro Liter beträgt. Die Menge des im Wasser
suspendirten mineralischen Schlammes ist jedoch zeitweise bedeutend
gröfscr, sie schwankte von 0,04 gr im März bis 2,25 gr im Juli, nach
der Schneeschmelze, ln dieser Zeit ist das Rhonowassor graugelb
und völlig undurchsichtig, während es im Winter sehr klar, mit
einem leichten grünlichen Schimmer, ist. Als mittlerer Werth ergab,
sich für 1886, dafs in der Sekunde 168 kg Ablagerungen bildender
Stoffe in den Genfer See eingeführt wurden. Dies ergiebt pro Jahr
5297 000000 kg! Da nun das spezifische Gewicht dos rezenten Thones
vom Seeboden 2,6 ist, stellt diese Zahl 2038000 Cubikmeter vor. Da
das Verhalten im Jahre 1886 in jeder Beziehung etwa dem normalen Zu-
stande, auch der Witterungsverhältnisse, entsprach, kann diese Zahl als
eine dem Mittelwerthe nahe kommende angesehen werden. Berück-
sichtigen wir noch, dars die Menge des gröberen Detritus hierbei nicht
mitgerechnet wurde, ebenso wenig auch außerordentliche Ereignisse,
wie Bergstürze, Erdrutsch in den See u. s. w., so kann die angegebene
Zahl nur als ein Minimalwerth angesehen werden. Sie lehrt uns durch
Division in den Kubikinhalt des Beckens, dafs dasselbe in der Zeit von
weniger als 45000 Jahren ausgefüllt und in eine Ebene verwandelt
sein wird. Wir haben hierbei angenommen, dafs die Grundfläche etwa
200 qukm beträgt, und die jährlich zugeführte Ablagerung eino Schicht
von etwa 1 cm Dicke bildet. Sonach nimmt die Tiefo des Sees etwa
1 m in einem Jahrhundert ab, nach dem oben angegebenen langen Zeit-
räume würdo der See, dessen gröfste Tiefe jetzt noch mehr als 300 m
beträgt, in eine Ebene verwandelt sein, welche die Rhone durchfliefst
Weitere Betrachtungen dieser Art würden zu dem Schlüsse führen, dafs
seit der Eiszeit nur weniger als lOOOOOJahre verflossen zu sein brauchen,
wenn man Messungen von Alluvionsgeschwindigkeiten zu Grunde
legen darf. Dr. Wagner.
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604
Zur Frage der Temperaturverhältnisse des Erdinnem. Herr
F. Henrich giebt im III. Hefte der Zeitschrift „Humboldt“ (März,
1889) eine Diskussion der Temperaturbeobachtungen in den drei tiefsten
Bohrlöchern der Erde, nämlich : 1) Sperenberg in der Mark, 2) Schlade-
bach bei Halle, 3) Güschenen Airolo (Gotthardtunnel).
Bekanntlich haben die Dunk ersehen Beobachtungen in dem
1269 m tiefen Bohrloche zu Sperenberg zu überraschenden Folgerungen
bezüglich der Wärmeverhältnisse im Erdinnem geführt; man hat aus
denselben ebensowohl auf eine „Centralwärme“ als auf eine „Central-
kälte“ geschlossen, und diese Unsicherheit bei der Auswerthung eines
mit denkbar gröfster Sorgfalt gewonnenen Beobachtungsmaterials stand
im geraden Gegensatz zu den Erwartungen, die man hieran geknüpft
hatte, und zu den Ergebnissen, die bislang anderweitig durch Wärme-
messungen in der Tiefe erzielt worden waren. In der vorliegenden
Abhandlung zeigt nun Herr Henrich, dafs diese Widersprüche ge-
hoben werden können, wenn man bei der Auswerthung der Beobach-
tungen d ie mittle re J ah restempera tu r des Beobachtungsortes
aufser Betracht läfst; denn dieses Element, auf welches bei
früheren Berechnungen immer Bezug genommen wurde, ist einmal nur
schätzungsweise bekannt, dann aber auch wird bei einem mit Wasser
gefüllten Bohrloche die mittlere Jahrestemperatur wegen der Fort-
führungsströmungen gar nicht in gesetzmäfsiger Form anzutreffen sein.
Unter Berücksichtigung dieses Umstandes lassen sich auch für Speren-
berg empirische Formeln aufstellen, die eine stetige Zunahme der
Wärme mit der Tiefe ergeben.
Die unter diesem Gesichtspunkte bearbeiteten neueren Temperatur-
beobachtungen aus dem Bohrloche bei Schladebach (1716 m tief) be-
stätigen ebenfalls den Irrthum, welcher durch die Einführung der
mittleren jährlichen Oberflächentomperatur begangen wird, und führen
zu Ergebnissen, welche sich mit denjenigen von Sperenberg in genügender
Weise decken. Schliefslich sucht Herr Henrich noch zu zeigen, dafs
die Wärmeverhältnisse im St Ootthardmassiv nach den Beobachtungen
von Stapff mit den anderweitigen Ermittelungen nicht im Widerspruche
stehen, wenn auch aus zahlreichen Gründen eine vollständige Deckung
hier nicht erreichbar ist. Er kommt zu dem Schlufs, dafs die Tempe-
ratur des Erdinnem überall mit der Tiefe eine stetige Steigerung er-
fährt, dafs aber die geothermische Tiefenstufe mit den verschiedenen
Lokalitäten wechselt, ein Resultat, welches nicht befremden wird, wenn
man bedenkt, dafs Modifikationen in der Wärmefortpflanzung durch
ein verändertes Leitungsvermögen des Oberflächengesteins, je nach
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605
dessen Beschaffenheit, sowie durch chemische Vorgänge im Innern
und selbst durch die wechselnden Niveau Verhältnisse der Oberfläche
eintreten müssen.
Erscheinungen am Sternenhimmel im Monat Juli -August.
(Sämtliche Zeitangaben gelten für Berliner Zeit.)
1. Der Mond.
19. Juli Letztes Viertel
24. * Erdferne
28. * Neumond
4. Aug. Erstes Viertel
9. „ Erdnähe
11. „ Vollmond
Maxima der Lihration
Aufgang Untergang
11h 3*2® Ab. O1* 2® Nm.
1 4 Mg. 5 3G
4 19 8 32 Ab.
0 49 Nm. 10 58 n
G 5G Ab. 1 4G Mg.
8 12 * 4 21 „
: 17. Juli, *2. Aug., 14. Aug.
Partielle Mondfinsternis am 12. Juli (sichtbar in Europa, Afrika, Süd-
asien und Australien). Beginn 8h 37“», Mitte 9h 47®, Endo 10h 58m Abends.
Grobe 5.8 Zoll (1 Zoll = */l2 des Monddurchmessers).
a. Die Planeten.
Merkur
Venus
Rectas.
Declin.'
1 Aufg.
Unterg.
Rectas.
Declin. 1
1 _ 1
Aufg.
I Unterg.
Juli
GM 7™
+21-39'
2h 30“ lg.
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1 4 6® Nbl
4h 49®
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4k38®!(».
20.
1 6 42
+22 17
2 33 .
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1 1 .
4 43 .
24.
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13
Ab.
5 3
+ 19 50
|0 57 .
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3 1 .
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4 54 .
1. Aug. 1
1 8 19
+20 58
3 27 .
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Io 55 ,
4 59 .
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28. Juli Sonnennähe.
16. Juli Nm. Venus nabe Aldebaran.
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Jupiter
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Aufg.
Unterg.
12. Juli
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Himmel und Erde. I. 10. 43
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606
Saturn
Uranus
Rectas.
Declin.
| Aufg.
| Unterg.
Rectas.
Declin. Aufg.
Unterg.
12. Juli
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13 11
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9 10 .
Neptun
Rectas. Doclin.
Aufg. |
Unterg.
15. Juli
4k 8" 1 + 19° 20'
0h 45m lg.
4k 31»
30. „
4 10 + 19 24
11 43 ifc.
3 35 ,
14. Aug,
4 11 j + 19 25
*
0
2 37 ,
3. Beobachtbare Verfinsterungen der Jupitertrabanten.
20. Juli IT. Trab. Verfinst. Austritt 7* 47«»» Ab.
23. „
t .
ri
0 G Mg.
24. .
L .
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G 35 Ab.
27. .
IL „
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10 23 .
31. ,
I. .
* *
8 29 „
7. Aug.
L „
»
10 24 „
4. Sternbedeckungen durch
den Mond.
(für
Berlin sichtbar.)
Gröfso
Eintritt
Austritt
13. August: *30 Piscium
4.8»
8k 37» Ah.
9h 8» Ab.
(Nur der Austritt
13. „ *33 Piscium
5.0
10 13 .
11 2
sichtbar).
14. „ *20 Ceti
5.1
8 49 .
9 26
(Austritt 8 Min.
nach Mondaufgang).
5. Jupiterbedeckung durch den Mond am 7. August.
Diese Bedeckung wird bei sehr günstiger Stellung des Mondes gesehen
werden können, da letzterer während der Bedeckung ciüminirt
Eintritt des Jupiter am Mondrando 8h 12.5,n Ab.
Austritt n „ „ 9 15.7 *
6. Veränderliche Sterne,
a) Maxima variabler Storno:
Maximum
Helligkeit
im
1889
am
Max.
Min.
Rectas.
Declin.
R Andromedae
25. Juli
5.G"
12—13»
0k
18»
10' +
37»
5?
Mira Ceti
G. Aug.
2-5
8-9
2
13
44 —
3
28
R Ceti
3. .,
8
13
2
20
21 —
0
40
R Canis min.
28. Juli
7
10
7
2
36 +
10
12
s „
8. Aug.
7
11
7
2G
42 +
8
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R Ursae maj.
3. ,.
6
12
10
3G
46 +
69
21
V Coronae
11. „
7.8
10
15
45
35 -f-
39
54
R Lyrac
21. Juli
4.3
4.6
18
51
57 4-
43
48
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Die Lick-Sternwarte auf Mt Hamilton zur Winterszeit.
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607
U Cephoi .
o Librae
U Coronae .
U OphiucUi
Y Cygni
T Monoc. .
ß Lyrao
73 Aquilae .
0 Cephoi .
b) Minima dor Sterne vom Algol-Typus:
. 17., 22., 27. Juli, 1., 6., 11. August Vm.
. 18. Juli Mg., 22. Ab., 27. Vm., 1. Aug. Mg., 5. Nm., 10., 15. Mg.
. IG. Juli Nm., 23., 30. Nm., 6. Aug. M., 13. Vm.
. (Jedes 4. Min.): 18. Juli Ab., 22. Mg., 25. Nm., 28. Ab., 1. Aug.
Mg., 4. Nm., 8. Mg., 11. Vm., 14. Nm.
. (Jodes 3. Min.): 18. Juli Mg., 22. Nm., 27. Mg., 31. Nm.. 5. Aug.
Mg., 9. Nm., 14. Mg.
c) Minima einiger Veränderlicher kurzer Poriodo:
. 8. Juli, 4. Aug.
. 21. Juli, 3., 16. Aug.
. 17., 24., 31. Juli, 7., 15. Aug.
. 17., 22., 28. Juli, 2., 8., 13. Aug.
7. Meteoriten.
Der periodische Meteoritensehwarm der $- Aquaridon*) nimmt nach dem
23. Juli seinen Anfang und erreicht am 28. Juli sein Maximum. Er ist bald
nach Mitternacht beobachtbar und wird wegen der Abwesenheit des Mondes
gut wahrgenommen werden können. Um Ende Juli und Anfang August
schwärmen einige Meteorströme aus Radianten bei u. und s Persci, welche
Aufmerksamkeit verdienen; ihnen folgt später, mit zunehmender Stärke, dor
Hauptperseidenschwarm, der am 10. August sein Maximum erreicht. Sein Aus-
gangspunkt liegt bei AR = 46°, D = -f- 56°. Leider wird die Sichtbarkeit dieses
Meteoritenstromes durch den Vollmond sehr beeinträchtigt werden.
8. Nachrichten über Kometen.
Von dem Barnardschen Septomberkometen, dessen Sichtbarkeit« -Ver-
hältnisse sich wieder günstiger gestalten (s. Maiheft) und der gegenwärtig
schon vor Mitternacht beobachtbar wird, liegen bereits Beobachtungen aus der
zweiten Hälfte des Monats Mai vor. —
Dor Octoberkomet wird Anfang Februar von der Helligkeit eines Sternes
13. Gröfse angegeben, war indessen im März noch gut verfolgbar, eine Washing-
toner Beobachtung vom 1. Mai nennt ihn sehr schwach.
Der Barnardsche Märzkomet, dessen Erscheinung erst nach seiner sich
gegenwärtig vollziehenden Sonnennähe (s. .Juniheft) eine glänzendere zu werden
verspricht, scheint kaum später als bis Anfang Mai beobachtbar gewesen zu
sein. Die meisten Beobachter nennen ihn um diese Zeit sehr schwach.
Die Abbildung der Lick -Sternwarte zur Winterszeit ist uns vor
einigen Wochen durch Herrn Prof. Holden übersandt worden und glauben
wir den Lesern in dem stimmungsvollen Landschaftsbilde einen nieht uner-
wünschten Nachtrag zu dem in den vorigen Heften unserer Zeitschrift ver-
öffentlichten Aufsatz über dieses einzigartige Institut zu bieten.
Die Red.
•) Radiationhpunkt bei AR — 809", D — 11°.
«*>■
43*
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v. Xiessl, Ueber das Meteor vom 22. April 1888. (Aus den Annalen
dos k. k. naturhistorischen Hofmuseums in Wion.)
Unsere Kcnntnifs von gut bestimmten Meteorbahnen wird durch die
vorliegende Abhandlung um einen interessanten Fall bereichert Durch
mehrere Umstände war die Beobachtung des am 22. April vorigen Jahres über
Böhmen und Schlesien erschienenen Meteors begünstigt worden. An einem
der ersten schönen Frühlingssonntage erglänzte es mit wundervollem Lichte
an einem wolkenlosen Himmel, nachdem soeben dio gröfseren Sterne sichtbar
geworden waren, und lenkte in seinem majestätisch langsamen, etwa vier
Sekunden währenden Laufe die Blicke sehr vieler Spaziergänger auf sich.
Durch die vereinten Bemühungen des Herrn Prof. v. Niessl und der Breslauer
Sternwarte gelang es unter der Mitwirkung der Tageszeitungen Schlesiens
und Oesterreichs, Berichte aus 05 über ein weites Gebiet zerstreuten Orten
zu sammeln, ein bis dahin wohl noch nie vorgekommener Glückszufall.
Von Klagenfurt bis Poln. Lissa, und von Franzensbad bis über Teschen hinaus
ist die Erscheinung vielfach von geeigneten Persönlichkeiten mit recht gutem
Erfolge beobachtet worden. Die Rechnung hat ergeben, dafs die Feuerkugel
etwa über der Gegend von Eisenstein schon in einer Höhe von 188 km durch
den Widerstand der Luft zum Erglühen gebracht worden ist, von wo sie dann
mit der beträchtlichen geocentrischen Geschwindigkeit von 4.4geogr. Meilen die
Atmosphäre in nordöstlicher Richtung durchflog, bis sie in der Gegend von
Königgrätz bei einer Höhe von Ö8 km über der Erdoberfläche vollständig ge*
hemmt wurde und zerplatzend zur Erde herabfiel, ohne dafs jedoch Bruchstücke
derselben bis jetzt aufgefunden worden wären. Da nun das Meteor sich mit
der Erde im Raume in fast gleicher Bewegungsrichtung befand und diese auf
der im Laufe nachfolgenden Seite eingeholt hat, so mufs die kosmische Ge-
schwindigkeit vor seinem Eintritt in unsere Atmosphäre mindestens 8 Meilen
in der Sekunde betragen haben, was nur bei hyperbolischen Bahnen in
solcher Entfernung von der Sonne Vorkommen kann. Auch dieses Meteor
liefert sonach in Bezug auf dio Form seiner kosmischen Bahn das gleiche
Ergebnäfs, wie die bei weitem meisten aller früheren Meteorbahnbestimmun-
gen und vermehrt dadurch wieder die Argumente, welche der Annahme
eines Zusammenhanges zwischen Meteoriten und Kometen oder der Identität
von Meteoren und Sternschnuppen entgegentrelon. Das Meteor mufs in
irgend einem Fixstenisysteme seinen Ursprung gehabt haben, wie dies
sich auch schon durch die blofso Lage der von Niessl gefundenen Bahn
mit Bestimmtheit ergiebt. Will man durchaus den Meteoriten einen kometa-
rischen Ursprung zuschreiben, so bleibt nnch v. Niessl höchstens die Annahme
übrig, dafs sie von Kometen anderer siderischer Systemo herrühren, die durch
Störungen schwach hyperbolische Bahnen erhielten und darum ihr heimat-
liches System verlassen konnten. — Der Punkt am Himmel, von welchem das
April-Meteor scheinbar herkam, der sog. Radiationspunkt, liegt ungefähr in
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G09
der Mitte zwischen * Orionis und Procyon. Zu seiner Bestimmung konnten
vielfach auch Angaben verwerthet werden, welche lediglich die scheinbare
Neigung der gesehenen Meteorbahn gegen den Horizont mit einiger Zuver-
lässigkeit lieferten und mit Hecht lenkt Herr Prof. v. Niossl die Aufmerksam-
keit auf die Yerwerthung dieser einfachen und auch von dom Ungeübtesten
ohne allzu grofse Unsicherheit ausführbaren Bestimmung. Selbst unter den
ungünstigsten Bedingungen und bei einem gänzlichen Mangel an Oricntirung in
Bezug auf die Himmelsrichtungen läfst sich eine Schätzung der Neigung der
scheinbaren Bahn ausführen und es kann unter Umständen eine solche Be-
obachtung neben anderen , welche Höhe und Azimuth von Anfangs- und
Endpunkt, sowie die Dauer der ganzen Erscheinung bestimmen lassen, ein
sehr willkommener Beitrag zur Ermittelung des Radianten worden.
F. Kbr.
£
P. Tacchini. Ecllssi total! dtsolc «lei deoembre 1870, del maggio 1882
e 1883, e dell* agosto 1886 e 1887. Relazioni e note. Roma 1888.
23(5 pag., 22 Tafeln 8°.
Der bekannte römische Astronom hat in vorliegendem Buche, dessen Er-
trag für den Fonds zur Errichtung eines Denkmals für Pater Secch i bestimmt
ist, nicht nur eine Schilderung seiner bei den genannten totalen Sonnenfinster-
nissen in mehreren Weltthoilon Angestellten astronomischen Beobachtungen
gesammelt derOeffentlichkeit übergeben, sondern auch sein dabei geführtes Reise-
tagebuch veröffentlicht, welches, trotzdem besondere Abenteuer nicht darin
erzählt werden, doch als Beschreibung des Lehens und Treibens bei wissen-
schaftlichen Expeditionen in seiner schlichten Darstellungsweise durchaus
nicht uninteressant ist Unter vielfachen Bemerkungen über Land und Leute
finden sich auch meteorologische Beobachtungen. Hervorzuheben sind 3 Tafeln
mit seltsamon Wolkenformen, welche auf der Insel Carolina gezeichnet wur-
den — ihre phantastischen, ganz unmöglich erscheinenden Gestalten würden
der Erfindungsgabe eines Böcklin Ehre machen! Beigegehen ist aufserdera
eine petrographische Studio von O. Silvestri über alte und recente Laven
des Vulkans Kilanea auf Hawaii, von welchem Tacchini bei einem Besuch
des Kraters zahlreiche Gesteinproben zur Untersuchung mitbrachte. Die far-
bigen Tafeln mit Darstellungen der bei Finsternissen beobachteten Corona und
Protuberanzen sind sorgfältig ausgeführt. E. W.
t
II. Wild. Normaler Gang und Störungen der erdmagnetiseben Dekli-
nation. 9161. phys. et ebim. XIII. 1. Petersburg 1889.
Die neue in dieser Abhandlung von Wild angegebene Methode zur
Berechnung des normalen Ganges der erdmagnetischen Elemente hat sich zur
Aufklärung des bisher so wenig plausiblen täglichen Ganges bereits sehr
geeignet erwiesen, da es durch dieselbo möglich gemacht worden ist, die Ur-
sache der sogenannten magnetischen Störungen genauer als bisher festzustellen.
Unter Störungen der Deklination, auf welche sich die neueste Publikation des
Observatoriums zu Pawlowsk zunächst beschränkt, versteht man allgemein
die bald langsam, bald plötzlich eintretendon oft erheblichen Abweichungen,
welche die Magnetnadel von ihrem täglich von West nach Ost und zurück
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610
nach West langsam erfolgenden Gange zeigt. Gegenüber den älteren Metho-
den der Berechnung des normalen täglichen Ganges machte Wild 18&4 den
Vorschlag, nur die ganz ruhigen Tage als Repräsentanten des normalen
Ganges in Rechnung zu ziehen. Hiernach sind die Störungen alsdann alle
Abweichungon der einzelnen Deklinationen im Monat vor diesem normalen
Gange, wodurch auch der Begriff der „Störung“ deflnirt ist. Während der
14 Jahre 1870 — 1885 zeigten sich im Mittel pro Jahr 72 Tage als absolut störungs-
frei und zur Herleitung der täglichen Periode geeignet. Die Anzahl der nor-
malen Tage pro Jahr nimmt mit erhöhter Sonnenthätigkcit ab, zeigt also einen
Zusammenhang mit der Periode der Sonnenfleeke. Es zeigte sich der normale
Gang in allen Jahren, flockenreichen sowohl wie fleckenarmen, als eine einfach
periodische Curve mit einem Maximum westlicher Deklination zwischen 1 u. 2 t»
Nachmittags, einem Minimum zwischen 8—9 h Vormittags, und geringer Aende-
rung von 9 t» Abends bis 3& Morgens, was zu beweisen scheint, dafs die Be-
rechnung des normalen ungestörten Ganges richtig ist. Die Gröfse der Aus-
schlagsweite schwankt von G Bogenminuten im fleckenarmen Jahre 1878 bis
11,6 ira fleckenreichen Jahre 1S70, worin der direkte Zusammenhang mit solarer
Thätigkeit klar hervortritt.
Ganz anders zeigt sich der gestörte Gang, wenn alle Tage in Rechnung
gestellt werden. Es erscheint ein zweites Minimum kurz vor Mitternacht, ein
zweites Maximum am Morgen, während die Zunahme der Amplitude bei ge-
störtem Gange in derselben Weise erfolgt wio bei ungestörtem. Es sind dem-
nach dio Störungen Formänderungen der täglichen Periode, welche durch eine
Kraft hervorgerufen werden, die das Nordende der Nadel nach Ost ablenkt,
und das Maximum ihrer Wirkung vor Mitternacht, das Minimum Morgens
hat. Dieser Gang einer störenden Kraft entspricht aber vollkommen dem
Gauge des in Pawlowsk 1882/3 beobachteteten Erdstromes, welcher zwischen
den versenkten Nord -Süd -Platten von Süd nach Nord gerichtet war, und ein
Maximum seiner Stärke gegen 10h Nachmittags, ein Minimum zwischen 4 — 5 h
Morgens erreichte.
Durch die Interferenz der Periode des normalen Ganges und der durch
den Erdstrom bewirkten Periode der Störungen, deren Amplituden in langer
Periode variiren, entsteht demnach der scheinbar so komplizirte tägliche Gang
der Deklination, wio er aus dem Mittel aller Tage zunächst hervorgeht Im
Sommer kompensiren sich positive und negativ© Störungen nahezu, während
im Winter die negativen überwiogen, ebenso heben sich im Jahresmittel beide
Störungen zur Zeit der Minima der Sonnenflecken nahezu auf; während des
Maximums der Sonnenflecken überwiegen jedoch die negativen Störungen.
Aus der Verschiedenheit der beiden Perioden ist aber zu schliefsen, dafs die
Ursache des normalen täglichen Ganges eine andere sein mufs, als die der
Störungen — denn da sowohl unregelmäßige als regelmäßige Störungen durch
die Erdströme; entstehen, kann dio normale Variation der Deklination nicht
durch den Erdstrom erzeugt werden. Dennoch aber weisen beide Perioden
auf dio solare Thätigkeit als letzte Ursache zurück, in welcher Weise jedoch
sowohl normale Variation wio Schwankung in der Intensität des Erdstromes
gesondert entstehen, mufs weiterer Forschung überlassen bleiben.
Dr. Ernst Wagner.
Vorlag von Hermann Paetel in Berlin. — Druck von Wilholm Gronau'ti Buchdruckerei in Berlio.
Für die Redaction verantwortlich: Dr. M. Wilhelm Meyer in Berlin.
Unberechtigter Nachdruck aus dom Inhalt dieser Zeitschrift untersagt
Ueborsotzungsrecht Vorbehalten.
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Die Sternwarte zu Pulkowa bei Petersburg,
begründet vor 60 Jahren am 19. August 1839.
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Das fünfzigjährige Jubiläum der Sternwarte
zu Pulkowa.
S
-^üi'.m 19. August 1889 wird ein halbes Jahrhundert verflossen sein
seit der Begründung der hochberühmten Sternwarte zu Pul-
kowa bei Petersburg. In diesom halben Jahrhundert hat die von
Kaiser Nikolaus glänzend dotirte und von Wilhelm Struve treff-
lich eingerichtete Sternwarte, von deren stattlicher baulicher Gestaltung
unser Titelbild eine Vorstellung giebt, sich um die Erforschung der
Ilimmelserscheinungen nicht genug zu rühmende Verdienste erworben,
in manchen hochwichtigen Zweigen der astronomischen Arbeit sogar
die allgemein anerkannte Führerschaft übernommen.
Die astronomische Welt wird daher überall an der Feier dieses
Jubeltages den dankbarsten und freudigsten Antheil nehmen und Kufs-
land zu dem echt wissenschaftlichen Geiste, in welchem dieses grofse
Institut geleitet worden ist und noch geleitet wird, aufs wärmste be-
glückwünschen.
Unsere Zeitschrift schliefst sich diesen Glückwünschen freudigst
an und behält sich vor, an der Hand der Dokumente, welche sicher-
lich aus Anlafs der Jubelfeier über die Thätigkeit der Sternwarte an
die Oeffentlichkeit gelangen wTcrden, unserm Leserkreise einen Ein-
blick in jenes grofsartige Wirken zu eröffnen.
Himmel und Erde. 1. 11.
44
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Ueber die Bedeutung der photographischen Methoden in
der Astronomie. *
Von Kr. J. Sflieincr.
Astronom am astrophysikalischcn Observatorium bei Potsdam.
I ’Jem menschlischen Geiste ist in der Kulturent Wickelung der
neueren Zeit vieles gelungen: die rohen und gewaltigen Natur-
kräfte hat <>r bezwungen und sie dienstbar gemacht zu seinen
Zwecken, und bis in das innerste Weben der molekularen Welt ist
er cingedrungen, um die dort erforschten Geheimnisse zu weiterem
Forschen anzuwonden.
Die minimalen Stöfse der Atome Uifst er sich im Wasserdampf
einerseits integriren zu den gewaltigen Kräften, welche die Dampf-
maschine in geordneter Weise zur Verwendung bringt, und andererseits
läfst er sie in dem durch seinen Willen gezwungenen Lichtstrahl
molekulare Veränderungen ausführen, die nachher dem Auge sichtbar
gemacht, ein Abbild des lichtaussendcnden Körpers geben. Dem Licht-
strahl selbst hat er den Griffel in die Hand gedrückt, um ihn automatisch
und objektiv das aufzeichnen zu lassen, was er sonst nur durch den
physiologischen Vorgang des Sehens zur Wahrnehmung bringen kann.
Wie fast jede neue Entdeckung oder Erfindung aus kleinem
Anfang sich weiter entwickelnd, ist die Photographie von einer weit
über ihre selbstständige Bedeutung hinausgehenden Tragweite geworden.
Sie ist nicht so sehr als Kunst oder als Zweig der Technik von Wich-
tigkeit, denn vielmehr als Hülfe mittel für andere umfangreicher«
Zweige der Wissenschaft und Technik, und als solches ist sie heutzu-
tage in weit ausgedehnten Gebieten zu einem unentbehrlichen Werk-
zeuge geworden.
Die Anwendung der Photographie in der Astronom» ist so alt.
wie die Kunst des Lichtzeichnens überhaupt Schon Daguerre hat
mit den ersten Versuchen begonnen, die Gestirne des Himmels auf der
empfindlichen Platte festzuhalien; natürlich sind seine Resultate noch
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613
sehr unvollkommen, entsprechend dem damaligen Zustande seiner
geistvollen Erfindung. Von Daguerre an sind von Zeit zu Zeit immer
neue Versuche in dieser Richtung angestellt worden, und man hat
bereits vor längeren Jahren in Bezug auf die photographische Dar-
stellung der Sonnen- und Mondoberfläche Resultate erhalten, die den
neuesten Errungenschaften sehr nahe kommen, zum Theil noch heute
unübertroffen dastehen. Es ist der Beginn dieser Zeit markirt duroh
die Entdeckung des nassen Collodiumverfahrens von Le Gray im
Jahre 1850, ein Verfahren, durch welches die Empfindlichkeit der
photographischen Schicht bis zu dem 30fachen der von Daguerre
erreichten, gesteigert werden konnte. In Bezug auf die Anwendung
der Photographie in der Astronomie ist diese Zeit durch die Aufnahme
der hellsten Gestirne und ferner durch Darstellungen des ultravioletten
Theiles des Sonnenspektrums ausgezeichnet.
Eine neue und die wichtigste Epoche beginnt im Jahre 1871
durch die Erfindung des Engländers Maddox, dem es gelang, photo-
graphische Platten von aufserordentlich hoher Empfindlichkeit herzu-
stellen, die gleichzeitig die höchst wichtige Eigenschaft besitzen, beliebig
lange exponirt werden zu können; es sind dies die sogenannten Brom-
silber-Gelatine-Trockenplatten, mit denen es unter Benutzung lichtstarker
Kernröhre gelingt, weiter in die Tiefen des Weltalls einzndringen, als
dies bisher dem Auge vergönnt gewesen ist.
Wenn wir nun beabsichtigen, dem Leser ein Bild des heutigen
Standpunktes der coelestischen Photographie vorzuführen, so müssen
wir uns zunächst in die Dunkelkammer begeben, um nach kurzem
Verweilen dort, mit ausreichendem Verständnisse uns dem Fernrohre
nahen zu können.
Sehen wir von der Aufnahme des hellsten Gestirnes, der Sonne,
und im gewissen Sinne auch noch von der des Mondes ab, so
ist das Haupterfordernifs, welches bei der Anwendung der Photographie
in der Astronomie zu erfüllen ist, die höchste Empfindlichkeit der
photographischen Schicht, in zweiter Linie kommt dann die möglichste
Feinheit der photographischen Zeichnung. Leider lassen sich beide
Bedingungen nicht gleichzeitig erfüllen, im allgemeinen ist das Silber-
korn, von dessen mehr oder weniger grofsen Feinheit die Schärfe der
Zeichnung abhängt, um so gröber, jo empfindlicher die Platte ist und
umgekehrt, und das ist ein sehr grofser Nachtheil der jetzt allgemein
in Gebrauch befindlichen Trockenplatten; denn bei einigermafsen
kräftiger Vergrößerung löfst sich eine moderne photographische Auf-
nahme in ein unverständliches Gewirr von kleinen schwarzen Körperchen
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auf, ähnlich einem Sternhaufen am Himmel, in welchem jegliche feinere
Darstellung verloren geht.
Wohl Jedermann erinnert sich der Stecknadelkopf grofsen Photo-
graphien, wie sie in Federhaltern u. s. w. angebracht sind, die durch
eine sehr scharfe Lupe betrachtet, ein Bildchen von aufserordentlicher
Feinheit und Schärfe darstellen; eine solche Aufnahme läfst sich auf
einer Gelatineplatte überhaupt nicht erhalten; die erwähnten Aufnahmen
werden nach einem dem Collodiumverfahren ähnlichen Eiweifsverfahron
hergestellt Die Ursache des Umstandes, dafs die Vorzüge der einen
Methode diejenigen der anderen ausschliefsen, ist mit wenigen Worten
zu erklären. Bei dem nassen Collodiumverfahren, oder bei demjenigen
mit Eiweifs, enthält das die Schicht bildende Medium eines der beiden
Salze, aus deren Verbindung nachher die lichtempfindliche Substanz
entsteht, in Lösung. Das Collodium, welches auf die Platte gegossen
wird, enthält z. B. Jodkalium. Legt man nun diese Schicht in die
Lösung eines Silbersalzes, in salpetersaures Silber, so bildet sich
innerhalb der Schicht die lichtempfindliche Verbindung Jodsilber als
Niederschlag, und ein solcher Niederschlag, der sich auf chemischem
Wege bildet, tritt stets in der denkbar feinsten Vertheilung auf, so
dafs bei Eiweifsbildem sogar eino mehr als 200fache Vergrößerung
dazu gehört um überhaupt zu erkennen, dafs die empfindliche Schicht
nicht homogen ist, sondern aus kleinen Körnchen besteht.
Bei der Herstellung der sehr viel empfindlicheren Trockenplatten
wird der wirksame Bestandteil — Bromsilber — nicht in der Schicht
erzeugt, sondern vorher dargestellt und dann in Form einer Emulsion
möglichst fein mechanisch vertheilt Eine mechanische Vertheilung
erreicht aber nie die Feinheit der natürlichen, und dabei will es noch
gerade des Schicksals Tücke, dafs durch dasjenige eigenthümliche
Verfahren, durch welches die Empfindlichkeit der Emulsion gesteigert
wird, die Bromsilberpartikelchen immer mehr vergröfsert werden, so
dafs schliefslich auf der empfindlichsten Platte bei 5 bis 8fachor Ver-
größerung das Silberkorn sehr deutlich zu erkennen ist, d. h. man
kann eine so gewonnene Photographie durch nicht mehr als 8 fache
Vergrößerung betrachten. Die Figur auf folgender Seite giebt einen
Begriff von dem Anblick einer scheinbar scharfen Linie bei stärkerer
Vergrößerung auf einer Aufnahme mittelst Trockenplatte.
Hiernach steht die Schärfe einer Bromsilber-Gelatineaufnahmo
zu der einer Collodiuinaufnahme etwa im Verhältnisse wie eine Kreide-
zeichnung zu einer feinen Bleistiftzeichnung, und es ist daraus wohl
ohne weiteres ersichtlich, daß hiermit ein großer Nachtheil verknüpft
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ist, sobald es sich um die Ausführung von Messungen handelt; dooh
gelingt es auch hier, durch Uebung einen Theil dieser Schwierigkeit
unschädlich zu machen, indem man z. B. bei der erwähnten Linie naoh
der Vertheilung des Korns die dunkelste Stelle und damit die Mitte
der Linie zu beurtheilen lernt. Auch zur Ausmessung einer Photo-
graphie bedarf es einer gewissen Beobachtungskunst, die allerdings
von derjenigen am Himmel sehr verschieden ist. Aufser ihrer hohen
Empfindlichkeit besitzt aber nun die Gelatineplatte eine vorzügliche
Eigenschaft, welohe die Unschärfe des Bildes wohl mehr als aufwiegt.
Bei dem Collodiumverfahren treten nämlich innerhalb der Schicht in
Folge der Entwickelungsmanipulationen nach der Aufnahme starke
Verzerrungen auf, die unter Umständen so bedeutend werden können,
dafs jegliche Messung überhaupt illusorisoh wird.
Solchen Verzerrungen oder Verziehungen ist aber die
Gelatineschicht nur in weit geringerem Mafse unter-
worfen, so dafs man mit Leichtigkeit durch Vorsicht beim Messen
oder durch die Anwendung feiner Gitter, die auf die Platte mit
aufkopirt werden, einen Fehler infolge der Verzerrungen voll-
ständig vermeiden kann. Dies ist aber ein aufserordontlicher Vortheil;
denn es ist stets besser beim Messen die einzelne Einstellung weniger
genau zu haben, als die Gröfse, die man bestimmen will, durch prin-
zipielle Fehler entstellt zu wissen.
Doch nun wollen wir dem Laboratorium enteilen und uns den
Lichtregionen zuwenden.
Wie schon vorhin angedeutet, sind photographische Aufnahmen
von Sonne und Mond zur Zeit des Collodiumverfahrens bereits in
vorzüglicher Weise gelungen, und es darf dies auch nicht Wunder
nehmen, da bei diesen Gestirnen eine solche Lichtfülle vorhanden ist,
dafs es keiner grofsen Empfindlichkeit der Platte bedarf; ja, wenn wir
uns zunächst die bei Sonnenaufnahmen erhaltenen Resultate vergegen-
wärtigen wollen, so müssen wir hierbei bedenken, dafs es gerade das
Uebermafs von Licht ist, welches Schwierigkeit bereitet, sodars besondere
Instrumente zur Herstellung von Sonnenphotographien construirt werden
mufsten, die man unter dem Narnon der Heliographen zusammenfafst.
Diese Instrumente bestehen im wesentlichen aus einem Fernrohre
mit einer Camera am Ocularende, und sind mit einem sogenannten
Momentvorschlusse versehen. Sie sind entweder genau wie ein ge-
wöhnliches astronomisches Fernrohr beweglich aufgestellt, so dafs sic
direkt auf die Sonne gerichtet werden können, oder man giebt ihnen
eine unveränderliche feste Richtung, und wirft die Sonnenstrahlen
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durch einen guten Silberspiegel, der beweglich aufgestellt ist, in das
Fernrohr hinein. Beide Aufstollungsarten haben ihre besonderen Vor-
züge und Nachtheile, zu Messungszwecken dürfte die feste Aufstellung
mit Heliostat am besten sein, wenn es sich aber nur darum handelt,
schöne, detailreiche Aufnahmen zu erhalten, verdient wohl die beweg-
liche Aufstellung den Vorzug, da die Reflexion des Lichtes an dem
Spiegel für die Güte der Bilder nur schädlich sein kann. Wegen des
grofsen Lichtreichthums nimmt man das Sonnenbild nicht im Focus
des Objektivs auf, vielmehr kann man hier mit Vortheil ein ver-
grüfserndes Linsensystem einschalten, so dafs man Sonnenbilder von
stärkerer Vergröfserung erhält, auf denen sehr viel mehr Detail er-
kannt werden kann, als dies bei den kleinen Brennpunktsbildem
möglich ist. Selbst bei den stärksten Vergrößerungen, die man hier-
bei noch anwenden kann, ist die Lichtfülle dos Sonnenbildes noch
eine so enorme, dafs es gar nicht möglich ist, die Aufnahme mit der
Hand auszuführen, etwa durch rasches Oeffnen einer Klappe; auch
die sogenannten Momentverschlüsse, wie sie neuerdings bei kleinen
photographischen Kammern zur Herstellung der Momentbilder an-
gebracht werden, können nicht im entferntesten die nöthige Kürze der
Exposition erzielen. Im allgemeinen mufs bei Sonnenaufnahmen die
Expositionszeit unter Viooo einer Sekunde liegen, so ist z. B. die
Sonnenaufnahme, welche demnächst in dieser Zeitschrift reproduzirt
werden wird, am grofsen Heliographen des Potsdamer Observatoriums
in V/oooo Zeitsekunde hergestollt worden. Die gewöhnliche Einrich-
tung des Momentverschlusses besteht bei den Heliographen in einem
Schieber, der, sich im Brennpunkt des Objektivs bewegend, einen
feinen Spalt enthält, dessen Weite je nach der Durchsichtigkeit der
Luft und nach der Höhe der Sonne über dom Horizonte regulirt
werden kann. Dieser Spalt wird durch eine starke Feder im Mo-
mente der Exposition vorbeigeschnollt, so dafs also das Sonnenbild
nicht auf einmal aufgenommen wird, sondern in den einzelnen Theilen,
die dem vorbeifliegenden Lichtspalte entsprechen in außerordentlich
kurzer Zeit hintereinander. Wollte man den Spalt so weit nehmen,
dafs das ganze Sonnenbild auf einmal freigelassen würde, so würde
es große Schwierigkeiten bereiten, alsdann noch dem Schieber die
nöthige Geschwindigkeit zu crtheilen.
Wie bei allen astronomischen Beobachtungen ist es die Unruhe
der Luft, welche auch bei den photographischen Aufnahmen der
Sonne im höchsten Grade störend einwirkt, aber in gänzlich anderer
Weise, als wie dies bei direkten Sonnenbeobachtungen stattfindet.
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Man muß überhaupt zwei Arten von Störungen unterscheiden, welche
durch die Luftunruhe verursacht werden. Einmal findet ein beständiges
Hin- und Herschwanken der Bilder statt, aber nicht in dem Sinne,
daß z. B. das ganze Sonnenbild gleichzeitig seine Lage etwas ver-
ändert, sondern ganz nähe benachbarte Theile des Bildes führen für
sich besondere Bewegungen aus, man könnte dies fast dem Gewimmel
eines Mückenschwarmes vergleichen. Ein zweiter Akt der Luftunruhe
äufsert sich darin, daß sich ., Schlieren“ ungleich warmer, also un-
gleich dichter Luft bilden, die, da sie mit nahe kugelförmigen Grenz-
flächen versehen sind, ähnlich schwachen Linsen vor dem Objoktivo
wirken, also dessen Brennweite bald verkleinern, bald vergrößern,
so dafs das Bild meistens unscharf erscheint und scharfe Bilder nur
momentan auftreten. Beide Erscheinungen sind gleichzeitig im Fern-
rohr vorhanden, und es gehört die Beobachtungskunst des Astronomen
dazu, um aus diesem ewigen Wechsel der Gestalten das Feste und
Richtige messend zu erfassen.
Diese Kunst kann die photographische Platte nicht erlernen, sie
zeichnet getreu das Bild, wie es in dem Momente der Exposition sich
darstellte, mit allen seinen Verzerrungen, Verschiebungen und Un-
deutlichkeiten. Scharf wird ein solches Bild bei einigermafsen un-
ruhiger Luft nur dann, wenn gerade der kurze Moment getroffen
wurde, wo die Luftschlieren sich nahe aufheben, so dafs die Brenn-
weite des Objektivs keine wesentliche Aenderung erfahren hat Diesen
Moment aber zu treffen ist sehr unwahrscheinlich, und so kann es
kommen, dafs man unter 20 Sonnenaufnahmen, die man hintereinander
anfertigt, kaum eine erhält, die alle Einzelheiten der Sonnenoberfläche
mit wünschenswertster Schärfe wiedergiebt.
Die besten gröfseren Sonnenbilder, die bis jetzt erhalten worden
sind, sind diejenigen von Janssen in Meudon; sie haben interessante
Phänomene auf der Sonnenoberfläche zu Tage gefördert, dio bei Okular-
betrachtung nicht zu erkennen sind. Bekanntlich erscheint die Sonnen-
oberfläche, auch abgesehen von den Flecken, nicht als gleichmäfsig
helle Scheibe, sondern als feinkörnig granulirte Fläche, die eine ge-
wisse Aehnlichkeit mit dem Anblicke eines mit Cirri dicht bedeokten
Himmels bietet; die Janssenschen Photographien haben nun ge-
zeigt, dafs bei diesen meist ovalen hellen Gebilden über größere
Strecken hinüber eigenthümliche Verzerrungen Vorkommen, die genau
den Eindruck machen, als ob ein heftiger Sturmwind dort herrsche.
Es sind übrigens nur wenige solcher Aufnahmen gelungen und leider
infolge der oben auseinandergesetzten Schwierigkeiten keine kurz
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aufeinanderfolgenden, durch welche allein aus etwaigen Veränderungen
die wichtigsten Schlüsse über das Wesen der beobachteten Granula-
tionsphänomene zu ziehen sein würden.
Auch auf dem Potsdamer Observatorium sind einige vorzügliche
Sonnenaufnahmen gelungen, die den Janssensohen nur sehr wenig
nachstehen, dieselben übrigens inbetreff der Grauulationsverzerrungen
vollständig bestätigen. Die täglich in Potsdam aufgenommenen Sonnen-
bilder, die mit nur geringer Vergröfsorung erhalten werden — die
Sonnenscheibe hat einen Durchmesser von 10 Centimetern — haben
infolge der geringen Vergröfserung durch die Luftunruhe viel weniger
zu leiden und sind fast durchweg zu guten Messungen brauchbar,
zeigen aber naturgemüfs nur wenige Einzelheiten von der Sonnen-
oberlläche. Auch auf einigen anderen Sternwarten werden kleinere
Sonnenaufnahmen täglich zu statistischen Zwecken angefertigt, so z. ü.
in Pulkowa in liufsland und bis vor kurzem auch in Moskau.
Wenden wir uns nun von der Sonne zum Monde, um die Er-
gebnisse der Photographie an diesem Gestirne zu besprechen, so mufs
gleich bemerkt werden, dafs sich bei der Darstellung der Mondober-
fläche die Photographie nicht der direkten Betrachtung überlegen ge-
zeigt hat, ja dafs sie nicht einmal mit letzterer konkurrenzfähig ist.
Es wird nicht schwer halten, die Gründe hierfür auseinander zu
setzen. Die Intensität dos von der Mondoberfläche reflektirten Lichtes
ist im Verhältnifs zu derjenigen der Sonnenoborfläche eine so aufser-
ordentlich viel geringere, dafs selbst bei der Anwendung iiufserst
empfindlicher Platten von einer eigentlichen Momentaufnahme beim
Monde nicht mehr die Kede sein kann. Es gelingt allerdings, das
Fokalbild des Mondes in vielleicht weniger als einer Sekunde aufzu-
nehmen, sobald man aber Vergröfserungen anwendet, wächst die Expo-
sitionszeit mindestens mit dem Quadrate der Vergröfserung, so dafs
für ein viermal vergröfsertes Bild ungefähr 16 Sekunden zur Auf-
nahme nöthig sind. Hierdurch treten besondere Schwierigkeiten in
der Fortführung des Instrumentes auf, welches der scheinbaren Be-
wegung des Mondes genau folgen mufs. Wie grofs diese Schwierig-
keiten sind und welche Mittel mau zu ihrer Bekämpfung erfunden,
werden wir besser bei Gelegenheit der Fixsternaufnahmen zur Sprache
bringen, es möge hier nur auf dieselben hingewiesen werden. Be-
sonders ist es nun wieder die Luftunruhe, welche bei Mondaufnahmen
hindernd in den Weg tritt, und zwar äufsert sich dieselbe hierbei
gänzlich anders als bei der Sonne. Bei der längeren Dauer der Ex-
position erhält man gleichzeitig mit dem wirklichen Bildo des coe-
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lestischen Objektes ein mittleres Bild aller infolge der Luftunruhe
während der Expositionszeit stattgefundenen Verzerrungen und Un-
deutlichkeiten. War es also bei der Aufnahme der Sonne möglich,
wenigstens zuweilen ein recht scharfes Bild zu erhalten, so ist dies
beim Monde gänzlich ausgeschlossen. Selbst wenn die Schwankungen
und Wallungen deB Bildes bei ausgezeichneter Luft so gering sind,
dafs sie bei der direkten Betrachtung im Fernrohr kaum noch
stören, indem die Momente der Ruhe mehr Zeit umfassen als die-
jenigen der Unruhe und das geübte Auge geringen Schwankungen
noch gut zu folgen vermag, ist doch die Photographie von ihnen be-
einflußt, da sie eben mit in diesem Falle unerwünschter Treue alles
wiedergiebt, was sich unter ihren Augen abspielt. Wenn beispiels-
weise durch die Schwankungen infolge der Unruhe unserer Atmosphäre
das Bild eines Punktes nur um eine Bogensekunde aus seiner Mittellage
herausgebraoht wird, erscheint ein sonst scharfer Rand, etwa der eines
Mondkraters, in einer Breite von zwei Bogensekunden, es gehen also
schon eine Menge Einzelheiten des Mondgebildes verloren.
Wird eine solche Aufnahme noch nachträglich etwas vergrößert,
um einigermaßen die Vergrößerung zu erhalten, mit welcher man den
Mond direct zu beobachten pflegt, so erscheinen die Einzelheiten der
Mondoberfläche weit verwaschener, als bei direkter Beobachtung; das
Auge sieht thatsächlich im Fernrohr mehr als auf der Photographie.
Gewiß gewähren die vorzüglichen Mondphotographien Rutherfurds
oder diejenigen, welche neuerdings im Brennpunkte des großen Re-
fractors des Lick-Observalory in Californien erhalten worden sind,
von denen letzteren das Heft 9 dieser Zeißchrift eine wohlgelungene
Wiedergabe gebracht hat, einen schönen Anblick, sie sind auch als
Mondkarten zur Orientirung der einzelnen Mondgebilde sehr gut zu be-
nutzen; aber einen streng wissenschaftlichen Werth besitzen sie nicht;
sie haben bis jetzt zur Erweiterung unserer Kenntnisse der Mond-
oberfläolie keine wichtigen Beiträge liefern können.
In einer noch etwas ungünstigeren Lage befindet sich die Pho-
tographie gegenüber den Aufnahmen der Oberflächen der großen
Planeten. Es kommt bei diesen der Umstand hinzu, daß, um über-
haupt Details erkennen zu können, ziemlich kräftige Vergrößerungs-
systeme angewendet werden müssen, wobei die vorhin erwähnten
Schwierigkeiten in gleichem Maße sich mit vergrössern. Die besten
Aufnahmen von Planeten, diejenigen von Jupiter und Saturn, von den
Gebrüdern Henry in Paris angefertigt, lassen auch nicht annähernd
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die Feinheiten und Details erkennen, die man selbst mit mittleren
Fernrohren mit Leichtigkeit sehen und sogar messen kann.
Es scheint auch nicht, als ob Aussicht vorhanden sei, von der
Anwendung der Photographie auf diese Himmelskörper besondere
Vortheile zu erhalten, die etwa gar mit den klassischen Entdeckungen
Schiaparellis auf der Marsoberfliiche konkurriren könnten.
Es wird sich gewifs mancher wundern, vorläufig nur wenig
Rühmenswerthes von der Anwendung der Photographie in der Astro-
nomie erfahren zu haben; wir wollten aber das Geringere vorweg
nehmen, um uns nachher um so ungestörter dem Besseren widmen zu
können. Der eigentliche Schwerpunkt der Bedeutung der coelestischen
Photographie liegt in zwei Gebieten der Astronomie, in der Darstellung
und Ausmessung des Fixstemhiminels und der Nebelwelten und in
der Spectralanalyse der Gestirne. Auf beiden Gebieten ist sie bereits
epochemachend aufgetreten und wird sie noch weiterhin zu groß-
artigen Entdeckungen führen. Es wird daher nunmehr unsere Auf-
gabe sein, etwas ausführlicher, als dies bis jetzt geschehen ist, einer-
seits die technischen Schwierigkeiten, welche zur Herstellung photo-
graphischer Aufnahmen in diesem Gebiete zu überwinden waren, her-
vorzuheben, andererseits aber auch die Gesichtspunkte festzustellen,
die durch die Einführung der Photographie neu gewonnen worden sind.
Der physiologische Unterschied zwischen der Empfindlichkeit
einer photographischen Platte und derjenigen unseres Auges beruht
auf dem Umstande, dafs die Netzhaut ihr Urtheil über die Helligkeit
eines Gegenstandes nach der Intensität des Lichtes bildet, die pho-
tographische Platte dagegen nach der Menge des Lichtes. Durch
diese letztere Eigenschaft tritt als wichtiger Factor die Zeit hinzu; ein
Auge sieht bei stundenlanger Betrachtung ein schwaches Sternchen
nicht besser, als binnen wenigen Secunden, bei der photographischen
Platte dagegen wächst die chemische Einwirkung der Strahlen zwar
nicht gerade proportional mit der Zeit, wohl aber annähernd, so dafs
man innerhalb gewisser Grenzen eine Proportionalität annehmen kann.
Während also die direete Empfindlichkeit der Photographie thatsiich-
lich geringer ist als diejenige des Auges — man erkennt z. B. inner-
halb eines Zeitraumes von etwa 2 Sekunden deutlich im Fernrohr weit
mehr Sterne, als in diesen 2 Sekunden auf der empfindlichsten Platte
erscheinen — kommt die Ueberlegenheit der Photographie über das
Auge erst in Betracht, wenn die Zeit summirend hinzutritt. Damit
ist ohne weiteres als Bedingung fiir die Herstellung von Sternauf-
nahmen, die mehr geben sollen, als das Auge zu leisten vermag, die
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Dauerexposition getreten, und mit ihr die Forderung, die vom
Objective des Fernrohrs erzeugten Sternbilder mit einer, sonstigen
astronomischen Messungen entsprechenden Genauigkeit stundenlang
auf derselben Stelle der Platte festhalten zu können; es ist dieselbe
Forderung, die in geringerem Mafse schon bei den Aufnahmen von
Mond und Planeten gestellt war.
Bei der aufserordentlichen Vervollkomnung, welche die parallak-
tische Aufstellung grofser Instrumente und die Herstellung von Trieb-
werken für dieselben in den lotzten Jahrzehnten erfahren hat, sollte
man die Erfüllung der obigen Bedingung für nicht so schwer halten;
man mufs aber bedenken, dafs die Forderung lautet, die Sterne mit
einer, den sonstigen astronomischen Messungen entsprechenden Ge-
nauigkeit auf derselben Stelle der Platte zu erhalten. Nehmen wir
hierfür z. B. den Werth von 1 Bogensekunde an, so würde dies bei
einem Fernrohr von etwa 3 '/, Meter Brennweite in Millimetern
0.017 betragen, d. h. während der ganzen Expositionszeit darf die
Platte vom scheinbaren Laufe des Sternes nicht um den Betrag von
0.017 Millimetern abweichen. Eine solche Forderung erfüllt aber
nicht dio beste Aufstellung und nicht das beste Uhrwerk, ja selbst
wenn dies doch der Fall wäre, geben doch die Veränderungen der
Refraction in unserer Atmosphäre infolge von Temperaturänderungen
und wechselnder Höhe der Gestirne über dem Horizont, neue Fehler-
quellen von diesem Betrage.
Es mufs also doch das menschliche Auge helfend hinzutreten
und durch irgend eine Vorrichtung bei sehr starker Vergröfserung
einen der abzubildendcn Sterne stets genau im Durchschnittspunkto
eines Fadenkreuzes halten. Ais einfachste Vorrichtung hierzu kann
man den Sucher des Hauptinstrumentes benutzen, falls man denselben
mit einer starken Ocularvorgrörserung versieht. Diese Methode hat
sich aber in vielen Fällen nicht bewährt, weil die Durchbiegung von
Hauptrohr und Sucher je nach der Lage des Instrumentes eine ver-
schiedene ist und infolge dessen, wenn der Stern auch im Sucher
genau gehalten worden ist, dies nicht für die Platte stattflndet. Eine
andere Vorrichtung, die von diesem Fehler gänzlich frei ist, besteht
darin, seitlich der photographischen Kassette ein Okular anzubringen,
um so neben der Platte her den Stern sehen zu können, aber auch
diese Methode hat ihre Mängel, und gänzlich einwurfsfrei dürfte wohl
nur diejenige sein, welche zuerst von den Gebrüdern Henry in Paris
in Anwendung gekommen ist, und die darin besteht, dars in einem
gemeinschaftlichen Rohre sich 2 Objektive von gleicher Brennweite
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befinden, ein greiseres für die photographische Aufnahme und ein
etwas kleineres für das Halten des Sterns bestimmt. Bei dieser innigen
Verbindung zweier Fernrohre ist natürlich nun die Garantie vorhanden,
dafs das photographische Instrument genau den Bewegungen des an-
dern folgt.
Die Aufgabe des Beobachters besteht bei allen Anordnungen
übrigens gleichmüfsig darin, vermittels der Feinbewegungen einen
als Marko ausgowiihlton Stern stets auf dem Fadenkreuze des Beobaoh-
tungsfernrohrs zu erhalten, also alle Ungenauigkeiten im Gange des
Instrumentes und die Wirkung der Refraktion auf den Anhaltstern
zu korrigiren.
Es ist klar, dafs bei diesen langen Expositionszeiten die Unruhe
der Luft eine wenn möglich noch stärkere Wirkung ausüben wird,
als bei den Aufnahmen von Mond und Planeten, und doch ist sie im vor-
liegenden Falle sehr viel weniger schädlich als bei den ersten Objekten.
Dieser scheinbare Widerspruch löst sich sofort auf, wenn man
bedenkt, dafs es sich in dem einen Falle um Darstellung von Zeich-
nungen innerhalb einer Fläche, in dem anderen Falle aber nur um
Abbildung eines Punktes ohne weiteres Detail handelt Der Stern
selbst kann wegen seiner aufserordentlichen Entfernung als mathema-
tischer Punkt gelten, sein Bild im Fernrohr ist dies nicht und zwar
infolge von Ungenauigkeiten in der Gestalt und Achromasie des
Objektives und der Lichtbeugung an den Rändern desselben. Das
Bild eines Sterns ist also stets ein Scheibchen, umgeben mit Inter-
ferenzringen, und bei photographischen Aufnahmen hat ein solches
Scheibchen immer einen mefsbaren, beträchtlichen Durchmesser, der
je nach der Helligkeit des Sterns oder nach der Länge der Expo-
sitionszeit sehr grofs werden kann, bis zu 1 Bogenminute und darüber.
Die Unruhe der Luft, durch welche der Stern in einer gewissen
Amplitude um seinen eigentlichen Ort herumpendelt, bewirkt also
nur eine geringe Vergrößerung des ohnehin nicht völlig scharf be-
, grenzten Scheibchens, ist also bei einigermafsen
B? nicht zu schlimmen Luftverhältnissen fast ganz
P, ohne störenden Einflufs. Das wichtigste ist hier-
bei, dafs der Mittelpunkt des Bildchens natürlich
auf derselben Stelle bleibt, dafs also die Position dos Sterns nicht
geändert wird.
Es dürfte im Anschluß hieran überhaupt der Ort sein, auf das
für die Größenbestimmung der aufgenommenen Sterne so wichtige
Verhalten der photographischen Sternscheibchen etwas näher einzugehen.
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Die Ursache, weshalb das photographische Bild eines Sterns stets
gröfser ist, als das reelle Bild desselben in der Brennebene, und weshalb
bei vermehrter Helligkeit oder längerer Expositionszeit der Durch-
messer stark zunimmt, dürfte nur zum wenigsten in dem Umstande
liegen, dars die das eigentliche Scheibchen umgebenden Interforenz-
ringe allmählich zur Wirkung kommen, als vielmehr in der Reflexion
des Lichts von den vom Licht getroffenen Bromsilbertheilchen auf die
benachbarten, die nicht mehr direct im Bereiche des Lichtschoibchens
liegen. Es ist hierbei stillschweigend vorausgesetzt, dafs das Bild des
Sterns mit einem Objektive, welches für die chemisch wirksamen
Strahlen achromatisirt ist, oder mit einem Hohlspiegel aufgenommen ist.
Es ist dies für die Herstellung scharfer und zu Messungen brauch-
barer Sternaufnahmen absolut nöthig; denn bei einem gewöhnlichen,
an und für sich noch so guten Fernrohrobjektive werden die blauen
und violetten Strahlen, die die Hauptwirkung hervorrufen, so wenig
in einem kleinsten Scheibchen vereinigt, dafs man von einem Stern
nur einen ganz verwaschenen, nach dem Cenlrum an Dunkelheit zu-
nehmenden Flecken auf der Platte erhält. Die beistehende Figur wird
dies deutlicher als alle Beschreibung zeigen; links ist das photo-
graphische Bild eines mit gewöhnlichem Objektiv aufgenommenen Sterns,
rechts dasjenige desselben Sterns, mit einem für die chemisch wirk-
samen Strahlen achromatisirten Objective aufgenommen, wie es sich
bei einer zum Messen brauchbaren Vergröfserung darbietet.
Es ist hieraus wohl unverkennbar zu entnehmen, dafs eine Ein-
stellung auf die Mitte eines solchen Scheibchens, wie dies beim Aus-
raessen von Sternaufnahmen geschehen mufs, im zweiten Falle ungleich
leichter und exakter auszuführen ist.
Auch ist mit der grofsen Verwaschcnheit des Bildes eine Ab-
nahme der Lichtstärke verbunden, da sich dieselbe Lichtmenge auf
einer beträchtlich gröfseren Fläche verbreitet.
Die Photographie stellt den Anblick einer Stelle des gestirnten
Himmels demnach in derselben Weise dar, wie dies künstlich bei den
meisten Sternkarten ausgeführt ist; die Helligkeit der Sterne oder ihre
Gröfse ist gegeben durch die Gröfse des Scheibchens.
Es bereitet keine besondere Schwierigkeit, aus dem Durchmesser
der Sternscheibchen die Gröfse der betreffenden Sterne abzuleiten, wenn
man sich hierbei mit der Genauigkeit begnügt, wie sie bei Zonen-
beobachtungen zu erreichen ist. Es hat sich nämlich ergeben, dafs
die Durchmesser der Sternscheibchen nahe proportional mit den Gröfsen-
klassen wachsen, wenigstens ist diesesGesetz innerhalb gewisser Grenzen
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als gültig anzunehmen. Aber die sich so herstellende Gröfsenordnung
der Sterne stimmt im allgemeinen nicht mit derjenigen überein, welche
man mit dem Auge erhält Es ist dies eine Folge, der verschiedenen
Färbung der Sterne, für welche das menschliche Auge anders empfindlich
ist, als die photographische Platte. Für ersteres liegt die stärkste
Lichtwirkung im Gelben, für die letztere im Blauen oder Violetten, daher
erseneint dem Auge ein rother Stern sehr viel heller als der Platte.
Genauer ausgedrückt hängt der Helligkeitsunterschied nicht so sehr
von der Farbe ab, als von dem Spectraltypus der Sterne, der die
Ursache der Färbung ist, und dieser Unterschied kann sehr beträchtlich
werden; so erscheint z. B. der rothe Stern a-Orionis, der dem dritten
Spektraltypus angehört, dem Auge etwa eben so hell, als der weifse
Stern a-Aquilao, bei einer photographischen Aufnahme beträgt aber
der Helligkeitsunterschied beider Sterne, in dem Sinne, dafs a-Orionis
der schwächere wird, mehrere Gröfsenklassen.
ln neuerer Zeit hat man nun verschiedene Verfahren erfunden,
duroh welche die Empfindlichkeit der photographischen Platten in
Bezug auf Farben sich mehr derjenigen des Auges nähert, indessen
werden die „orthochromatischen“ Platten nur mit Unrecht so genannt,
da sie sich dem gewünschten Ziele nur nähern, es aber wenigstens
in der coelestisohen Photographie noch lange nicht erreichen, indem
die Empfindlichkeit der Schicht nicht dieselbe für allo Farben ist.
Es wird nichts anderes übrig bleiben, als eben eine neue photographische
Helligkeitsscala in der Astronomie einzuführen, die nur in Bezug auf
die weifsen Sterne mit der jetzt gebräuchlichen übereinstimmen würde.
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Der Fortschritt in der Selenographie.
Von Professor Dr. L. Weinek,
Direktor der K. K, Sternwarte in Prag.
(Schliffs.)
kommen nun zu den ausgezeichneten und umfassenden Ar-
2J5' beiton Mädlers über den Mond, welche derselbe im Vereine
mit Beer, einem reichen Banquier, auf des Letzteren Privat-
sternwarte im Thiergarten bei Berlin seit 1830 ausführte. Miidler, wel-
cher der hauptsiieh liehe Beobachter von Beiden war und an genanntem
Observatorium von 1828 bis zu seiner Berufung nach Dorpat im , Jahre
1840 wirkte, berichtet selbst über die Veranlassung zu diesen Mond-
studien. wie folgt:5') „Das Vergnügen, welches uns bei Mondbeobachtun-
gen die Lohrmannsche Karte (in den damals vorgelegenen 4 Sektionen)
gewährte, sowie die Unannehmlichkeit, für den übrigen bei weitem
gröfseren Theil seiner Oberfläche eines solchen Hülfsmittels beraubt
zu sein, bewogen uns im Jahre 1830, selbst die Lösung der Aufgabe
zu versuchen“, und an anderem Orte:-1) „Ich hatte 1829 die 4 Blätter,
welche Vorlagen und die Mittelgegend des Mondes einschlossen, mit
dem Himmel verglichen und mich von der Korrektheit in Beziehung
auf die Lage der Hauptpunkte, zugleich aber auch davon überzeugt,
dafs hier nicht unerhebliche Korrektionen und Zusätze zu machen waren.
Als jedoch auch im Jahre 1830 noch immer nichts von Lohrmann
zu hören war, machte ich mich selbst an die Arbeit und begann im
Marz 1830 mit einer Abzeichnung und vorläufigen Messung des Mare
Crisium.“ Die Frucht dieser Arbeiten war eine Aufnahme des ganzen
Mondes in gleichem Durchmesser mit der von Lohrmann in Angriff
genommenen Karte, welche etwa 600 Nachtw'achen beanspruchte und
im August 1836 vollendet war, so dafs das erste aus der lithographischen
Presse hervorgegangene fertige Exemplar dieser in 4 Sektionen publi-
'0 Beer und Mattier „Der Mond- 1837, 8. IS?.
Mädler „Gew Mehle der Hintmelskundo- 1 87.1 1J, Bd., 8. 115.
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zirten ..Mappa Selenographica“ im September 1836 der Jenaer Natur-
forscher-Versammlung vorgelegt werden konnte. Ihr erstes Blatt war
dagegen schon im Jahre 1834 erschienen. Das hierzu gehörige, er-
läuternde und erschöpfende Werk: „Der Mond nach seinen kosmischen
und individuellen Verhältnissen, oder Allgemeine vergleichende Sele-
nographie“ erschien 1837, während im folgenden Jahre noch eine kleinere
Mondkarte von 1 Fufs (32.5 cm) Durchmesser und 1839 eine „kurz-
gefafste Beschreibung des Mondes“ als Auszug aus der gröfseren
Selenographie von Mädler allein veröffentlicht wurde.
Das benutzte Instrument war ein Fraunhofersches Fernrohr von
4'/ä Fufs Brennweite und 43 Pariser Linien (97.0 mm) Oeffnung mit
Fadenmikrometer, welohes für die Messungen mit 140facher Ver-
gröfserung, fürs Zeichnen mit 300facher Vergrüfserung, sofern eine
solche der Luftzustand zuliefs, versehen wurde. Die Messungen er-
streckten sich auf die selenographischen Längen und Breiten von 104
Hauptpunkten oder sogenannten Punkten erster Ordnung, die in Bezug
auf den Mondrand auf 919 Einzelnbestimmungen (vom 19. April bis
20. Dezember 1831) beruhen und zu welchen Objekte von besonderer
Deutlichkeit gewählt wurden, sodann auf eine grofse Anzahl von
Punkten zweiter Ordnung, die einen weiteren Anhalt für die Ein-
tragung des Details in die Karte bieten sollten und im Anschlufs an
nahegelegene Hauptpunkte durch Distanz- und Positionswinkel-Be-
stimmung fixirt wurden, ferner auf 148 Durchmesser von Kratern,
endlich auf 1095 Berghöhen, hergeleitet aus deren Schatten wurf. Zur
Charakterisirung der relativen Helligkeiten auf dem Monde bediente
sich Mädler ebenso wie Schröter und Lohrmann einer Skala von
10 Graden, deren Unterabtheilungen von ihm in folgender Weise fest-
gestellt worden. Es bezeichnet: 0° den schwarzen Schatten der Berge,
1 — 3° einen grauen Ton, 4 — 6° eine lichtgraue, 6 — 7° eine weifso
und 8 — 10° eine glänzend weifse Farbe. Für die gröfseren Objekte
vermehrte Mädler die von Riccioli, Schröter und Lohrmann
eingeführten Namen um etwa ein Drittel, während er die kleineren
Gebilde mit Bezug auf das zunächstliegende benannte Objekt durch
Buchstaben und zwar die Höhen durch griechische, die Vertiefungen
durch lateinische kennzeichnete.
Die grofse Beer-Mädlersche Karte zeichnet sich vor der
Lohrmannschon trotz des gleichen Mafsstabes durch ein im allge-
meinen reicheres Detail aus, ist aber im Tone weniger kräftig als die
letztero gehalten. Diesbezüglich bemerkt Mädler selbst:30) „Die
*') Beer und Mädler „Der Mond“ 1837, S. 187.
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1
Mondlandschaften
der Va*u! * eze.cKr ri vor ?rof L.V/einek
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627
Schröter-Lohrmannsche Skala für die Farben behielten wir bei,
glaubten jedoch bei den Böschungswinkeln und den Höhen der Ge-
birgszüge uns so naturgetreu als möglich halten zu müssen, selbst
auf die Gefahr, der Schönheit des Bildes Eintrag zu thun. Allerdings
treten die Berge auf den Lohrmannsohen Sektionen dem Auge
kräftiger entgegen, wenn man aber die Böschungswinkel und Hori-
zontalen genau berücksichtigt, so findet man auf ihnen lange Gebirgs-
züge, deren Gipfel sämtlich 3 Meilen Höhe haben müfsten“ und
Schmidt hebt hervor31): „Die Wiedergabe des Individuellen an den
Bergformen des Mondes ist schon eine höhere Aufgabe der Kunst,
und konnte bis jetzt nur in wenigen Fällen erreicht werden. Bei
aller Sorgfalt hat Lohrmann doch den Hauptcharakter der Krater-
gebilde verfehlt, indem er die Gipfelränder zu breit zeichnete, und
fast überall den wirklichen Bestand des Zusammenhanges und der
Regelmäfsigkeit der Kraterwälle durch die Manier seiner Darstellung
aufgehoben hat. Mädler war darin glücklicher, und seine Charte
enthalt ausgezeichnete Beispiele, indem es ihm gelang, besondere
Eigenthümlichkeiten zur Anschauung zu bringen.“
Beer und Mädlers Werk giebt einen vollständigen Bericht
über den damaligen Stand unseres Wissens vom Monde und die erste
angemessene Beschreibung und Gesamtkarte unseres Trabanten.
Wegen der darauf verwandten Sorgfalt und Gründlichkeit wird es
lange Zeit den Ausgangspunkt für fernere, detailtirtere Forschungen
bilden und zur Förderung der Selenographie wesentlich beitragen.
Mädler selbst hielt das Gebotene noch keineswegs für einen Ab-
schlufs dessen, was wir vom Monde zu erfahren vermögen und be-
merkt wörtlich:32) „Wie scheinbar reichhaltig übrigens auch dieser
Theil unseres Werkes (über die spezielle mathematische Selenographie)
sei, so wird es doch keinem Sachkundigen entgehen, dafs das Ganze
nur als ein Anfang, als eine Grundlage für weitergehende Forschungen
betrachtet werden könne. Es ist nur das zur Bearbeitung einer Karte
in dem von uns gewählten Mafsstabe unumgänglich Nothwendige.
In der Folgezeit werden — wir hoffen es — schärfere, weiter aus-
gedehnte, häufiger wiederholte Messungen die unsrigen verdrängen,
selbst strengere Berechnungsmethoden werden in Anwendung kommen,
wenn erst manche jetzt noch schwebende Frage (z. B. die über dio
physische Libration) entscheidend gelöst, manches anzuwendende
Element der Rechnung mit gröfserer Sicherheit bestimmt sein wird.
3I) Schmidt „Charte der Gebirge des Mondes“ 1878, S. VII.
") Beer und Mädler „Der Mond“ 1837, S. IV.
Himmel und Erde. I. il. D
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628
Was insbesondere die Messungen der Berghohen betrifft, so ist dies
in Beziehung auf Genauigkeit der Resultate noth wendig der schwächste
Theil und hier dürfte noch die gröfste Arbeit bevorstehen“; er betont
ferner in seiner Geschichte der Himmels künde,33) dafs die Frage nach
Veränderungen am Monde auf Grund seiner Karte nur mit Vorsicht
zu erörtern sei, theils, weil der lithographische Stein infolge seines
langjährigen Gebrauches sehr abgenutzt, also die spätere Reproduktion
weniger vollkommen wurde, theils, weil bei Anfertigung eines nur
auf eigene Arbeiten basirten Gesamtbildes des Mondes den einzelnen
Objekten nicht die ganze Sorgfalt gewidmet werden kann, die nur
möglich ist, wenn man sich mit einem allein oder mit wenigen speziell
beschäftigt. Eine neue verbesserte Auflage der Mappa Selenographica
erschien unter Ilinzufügung von Mädlers Dorpater Beobachtungen
im Jahre 1869. Wohl hatte Mädler gehofft, während seines Direk-
torates an der Dorpater Sternwarte von 1840 — 1865 eine gröfsere und
vollständigere Mondkarte herzustellen; doch war das Dorpater Klima
für dieses Vorhaben zu ungünstig, auch ging Mädler allmählich dem
traurigen Geschicke seiner Erblindung entgegen, so dafs nur wenige
Zeichnungen nach dem geplanten grüfseren Mafsstabe ihre Vollendung
fanden, was sehr zu beklagen ist Die Selenographie, mit welcher
Mädler seine beobachtende Thätigkeit begonnen, ist auch deren
Schlufs geblieben. Er starb am 14. März 1874 zu Bonn.
Neben Mädler ist Julius Schmidt als einer der gründlichsten
Kenner des Mondes zu nennen. Von diesem besitzen wir seit 1878
die gegenwärtig gröfste Mondkarte von 6 Pariser Fufs f 1.949 m)
Durchmesser mit 32856 Kratorgebilden (wenn jede Ringform des Ge-
birges so bezeichnet wird), und 348 Rillen, während die Zahl der
ersteren bei Mädler 7735, bei Lohrmann 7178 (in allen 25 Sektionen),
der letzteren bei Mädler 77 und bei Lohrmann 99 ist. Schmidts
Karte ist das Resultat einer 34jährigen, unermüdlichen Beobachtung
des Mondes und dürfte die Grenze defsen darstellen, was ein Einzelner
allein während seiner kurz bemessenen Lebensdauer auf diesem Ge-
biete zu erreichen vermag. Insofern könnte sie als Ganzes nur durch
das Zusammenwirken Vieler, deren Jeder eine spezielle Mondgegend
behufs detaillirtester und sorgfältigster Wiedergabe ins Auge fassen
würde, übertroffen werden.
Die erste Anregung zu seinen Mondstudien erhielt Schmidt 1839
im Alter von 14 Jahren, als er bei einer Auktion in seiner Heimalh
«) II. Bd., S. 514.
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629
Eutin das Sohrötersche Werk über den Mond in die Hände bekam.
Der Anblick von schattenwerfenden Bergen und Kratern auf den zahl-
reichen Tafeln desselben liefs ihn nicht ruhen, bis er seinen Vater zu
bestimmen wufste, ihm selbst ein Fernrohr zu schleifen, welohes denn
auch der Knabe, gelehnt an einen Laternenpfahl, sofort auf den Mond
richtete. Da er die Streifen Tychos zu erkennen vermochte, schickte
er sich alsbald an, den Versuch einer ersten Zeichnung zu machen.
1840 beobachtete er bald am Hofplatze, bald am Dachboden und Schorn-
steine seines Wohnhauses und begann seine Entwürfe mit Abbildungen
von ganzen Phasen des Mondes. Im Frühling 1841 wurde dieses
Unternehmen mit einem 4fiifsigen Dollondschen Fernrohr bei 15-
bis 20-maliger Vergröfserung fortgesetzt. Im Juli desselben Jahres
blickte Schmidt zum ersten Male durch ein gröfseres Fernrohr der
Altonaer Sternwarte und erkannte nun erst, indem er gleichzeitig die
grofso Mädlersche Karte zu Gesicht bekam, den ungeheuren Reich-
thum an Gebilden auf dem Monde. 1842 kam er nach Hamburg, wo
er theils Zutritt zur Sternwarte erhielt, theils Gelegenheit fand, zu
Hohenfelde bei Hamburg an einem 3füfsigen Fernrohr mit 90facher
Vergröfserung, das einem Herrn Bartels gehörte, nach Belieben den
Mond zu zeichnen. Erst von dieser Zeit an bekam Schmidt Ab-
bildungen, die zum Theil für seine grofse Karte benutzt werden konnten,
weil er nun das Zeichnen ganzer Phasen aufgegeben und nach Schröters
Vorgang sich auf einzelne Mondlandschaften beschränkt hatte. Seit
1845 finden wir Schmidt an den verschiedensten Instrumenten in
Bilk, Bonn, Berlin, Olrnütz, Wien, Rom und Neapel arbeiten, bis der-
selbe am 2. Dezember 1858 als Direktor der Sternwarte nach Athen
kam. Die Olmiitzer Zeit von 1853 — 1858 an der Sternwarte des
Prälaten Unk rech tsb erg war besonders fruchtbar für die Vermes-
sung zahlreicher Höhen und Neigungswinkel von Mondgebirgon.
In Athen benutzte Schmidt einen öfufsigen Plösslschen Refraktor
von 6 Zoll Oeffnung und bediente sich bei guter Luft einer 300 ma-
ligen, in ganz seltenen Fällen auch einer 500 bis 600 maligen Ver-
gröfserung. Das im Laufe der Zeit bedeutend angewachsene Material
begann Schmidt im Januar 1865 für die Herstellung einer Mond-
karte von 2 m Durchmesser auf 4 Blättern, in welche die Hauptpunkte
nach Mädlers Karte eingetragen wurden, zu verarbeiten. Bei diesem
Versuche konnto er indefs bald wahrnehmen, wie viel ihm noch für
das gesetzte Ziel fehlte. Er bemerkt dazu selbst34): „Dadurch ward
M) Schmidt „Charte der Gebirge des Mondes“ 1878, S. V.
45*
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ich genöthigt, die Beobachtungen in solchem Mafse zu vermehren,
dafs die früheren dagegen nunmehr wenig in Betracht kommen konnten.
Neun Jahre sind dieser Arbeit gewidmet worden, bis ich im Juli
1874 mich dahin entschied, das Werk abzuschliefsen, weil auch bei
gleichbleibenden äufseren günstigen Bedingungen, sich auf unzweifel-
hafte Weise herausstellte, dafs eine erschöpfende Darstellung aller
Details, welche ein sechsfüfsiger Refraktor erkennen läfst, eine längere
Lebensdauer und eine viel gröfsero Arbeitskraft erfordert, als dem
Menschen verliehen ist.** Im April 1867 gab Schmidt seinen ersten
Entwurf, bei welchem die beträchtliche Gröfse des einzelnen Blattes
zu 1 Quadratmeter für ein exaktes Zeichnen viel zu unbequem war,
wieder auf, hatte sich aber durch diesen Versuch im Zeichnen mit
der Feder nach Lehmanns Methode erheblioh geübt. Er behielt
zwar den Durchmesser von 6 Pariser Fufs = 1 Toise (1.949 m) bei,
theilte aber das Ganze wie Lohr mann in 25 Sektionen, so dafs ein
Blatt sehr nahe die Gröfse von 39.0 cm im Quadrat erhielt. Hierzu
entnahm er die selenographischen Positionen der Punkte erster und
zweiter Ordnung ausschliefslich der Lohrmannscheu Arbeit, während
das gesamte übrige Detail von ihm selbstständig orientirt und ge-
zeichnet wurde. Der Inhalt der Karte umfafst mehr als 3000 Original-
zeichnungen Schmidts von 1842 — 1874 d. i. einer 32jährigen Be-
obachtung, während die früheren von 1840 — 1842 ihrer geringeren Zu-
verlässigkeit wegen keine Verwendung gefunden. Ueber den Impuls zur
Herausgabe dieser Karte auf Staatskosten schreibt Schmidt35): „Im
Dezember 1874 brachte ich die Charte auf der Berliner Sternwarte
zur Aufstellung. Das Interesse, welches sie dort erregte, führte dann
zu glücklichen Kombinationen, so dafs die Herausgabe des Werkes
unter Protektion des Staates bald als gesichert angesehen werden
konnte. Auf gnädige Anregung Sr. Kais. Hoheit des Kronprinzen,
hatte der Feldmarschall Graf von Moltke die Güte, die 25 Tafeln im
Atelier des Grofsen Generalstabes photographiren zu lassen, und mir
im April 1875 zwei Abzüge zu übergeben, so dafs ich, da das Original
in Berlin blieb, mit Hülfe jener beiden Photographien die Bearbeitung
der Beschreibung zu Ende führen konnte.“ Derart erschien das gröfse
Werk im Jahre 1878 unter dem Titel: „Charte der Gebirge des
Mondes“ in 25 Blättern mit einem Erläuterungsband von 304 Seiten
Text. — Der Umstand, dafs die Karto auf heliotypischem und nicht
auf lithographischem Wege, wie die Mädlersche, vervielfältigt wurde,
«) Ibidem S. VI.
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veranlagt Schmidt zu folgender Bemerkung36): „Mir war bekannt,
dafs meine Handzeichnung im Laufe der Zeit bleicher werden würde,
und da ich seit 1868 entschlossen war, die Tafeln durch die Photo-
graphie zu vervielfältigen, so mufste ich darauf Rücksicht nehmen*
dafs alle Details in gleicher Deutlichkeit auftreten könnten, und aus
diesem Grunde habe ich absichtlich die an sich so schwachen Höhen-
züge und Adern in den Maren viel schärfer schraffirt, als es zufolge
ihrer Neigungswinkel hätte sein dürfen. Demnach giebt also meine
Charte nicht den richtigen Eindruck von den Unterschieden, welche
thatsächlich auf dem Monde stattfinden, und Mädlers Charte ist in
solcher Rücksicht getreuer.“ Mit Bezug auf die Darstellung des In-
dividuellen in den Bergformen sagt ferner Schmidt37): „In meiner
Charte herrscht grofse Einförmigkeit in der Behandlung, und viel
Charakteristisches mufste anderen Zwecken geopfert werden;“ endlich
hinsichtlich der Wiedergabe der Helligkeitsunterschiede auf dem
Monde3*): „Das Kolorit, die sogenannte Mondfarbe, also das Aussehen
des Vollmondes, in einer topographischen Charte gonau darzustellen,
ist unmöglich, und demnach beschränkte ich mich, wie meine Vor-
gänger, darauf, das Nöthige hervorzuheben, nämlich die graue
Färbung der Ebenen und verschiedene dunkle Flecken. Lichtstreifen
zeichnete ich nur in den Maren, Lichtflecken nur dort, wo die dunkle
Umgebung es zuliefs. Für den Vollmond wird einst die Photographie
das Beste liefern. Das unendliche Detail der Abstufungen des Lichtes
im Vollmonde wird man niemals auf dem Wege der gewöhnlichen
Zeichnung bewältigen. Noch weniger konnte ich daran denken, die
geringen Farbenunterschiede, die auf dem Monde Vorkommen, zur
Anschauung zu bringen.“
Es war bereits die Rede von dem überaus reichen Detail, welches
die Schmidt sehe Karte im Vergleich zu den nach halb so grofsem
Marsstabe angefertigten Lohrmannschen und Mädlerschen Karten
bietet; doch steht sie an Feinheit der Zeichnung den letzteren nach.
Hinsichtlich ihrer Genauigkeit basirt sie auf Lohrmanns Positions-
bestimmungen am Monde, welche aber für einen so grofsen Mafsstab
(Schmidt giebt 25 678 Ringgebirgformen mehr als Lohrmann) zu
wenig zahlreich sein dürften, obwohl im übrigen Schmidts Zuver-
lässigkeit und Sorgfalt im Beobachten bekannt sind. Seine Messungen
bezogen sich hauptsächlich nur auf die Höhen der Mondberge, deren
») Ibidem 8. VII.
") Ibidem 8. VIL
’*) Ibidem 8. 7.
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Anzahl von 1844—1865 auf 3050 stieg. Die Nomenklatur umfafst bei
Schmidt 646 Namen, darunter 501 Personen-Namen, bei Lohrmann
442 (auf dessen 25 Sektionen), bei Mädler 416 Namen. Der Mafs-
stab der Karte ist 1 : 1783200, woraus hervorgeht, dafs auf derselben
1 mm -= 1783.2 m ist, also eine geographische Meile durch 4.1613 mm
dargestellt wird. Sie giebt daher eben soviel Detail, als wenn ganz
Böhmon auf einem Quartblatt33) oder die Insel Corsica auf einer Visit-
karte40) abgebildet würde. Sollte beispielsweise auf Schmidts Mond-
karte die Stadt Wien verzeichnet werden, so müfste deren Längsaus-
dehnung mit 4.6 mm, die Breitenausdehnung mit 3.0 mm eingetragen
werden, durch welchen Vergleich die Ausführlichkeit derselben wohl
am instruktivsten erläutert erscheint.
Es geschehe noch Erwähnung der folgenden Bemerkungen, welche
Schmidt bezüglich der bei solchen Aufnahmen anzuwendenden Fem-
rohr-Vergröfserungen macht. Er sagt:41) „Sehr starke Vergröfserungen
von 600 — 700 mal sind so gut wie niemals mit Vortheil zu gebrauchen;
auch würde man sich in solchem Falle auf die Zeichnung einer sehr
kleinen Landschaft beschränken müssen. Für die gewöhnlichen kleinen
Refraktoren von 4 — 6 Fufs Brennweite sind Vergröfserungen von 200
bis 300 mal am dienlichsten. Will man das Kolorit des Mondes dar-
stellen, so ist es vortheilhaft, sich schwacher Okulare oder kleiner
Fernrohre zu bedienen“, ferner:42) „Wäre es möglich, den Mond voll-
ständig mit Hülfe einer 600 maligen Vergrößerung abzubilden, so
würde man gegen 100000 Krater und wohl 500 Rillen darzustellen
haben.“ Dies werden also künftige Selenographen in Betracht zu
ziehen haben.
Außer zahlreichen Schriften über spezielle Gegenstände der Mond-
topographie hat Schmidt auch einen Katalog „Ueber die Rillen auf
dem Monde“ 1867 herausgegeben, welcher 425 dieser Formationen auf-
weist, von denen er selbst 278 entdeckt hat, ferner im Oktober 1866
die Veränderung des Kraters Linnö im Mare Serenitatis angezeigt,
welche seiner Zeit das größte Aufsehon erregte und ebensowohl durch
Schmidts Beobachtung und Argumentation, als auch durch diejenige
Anderer sehr wahrscheinlich gemacht worden ist — Schmidt be-
schloß sein reiches, vornehmlich der Beobachtung des Mondes ge-
widmetes Leben am 7. Februar 1884 zu Athen im Alter von 59 Jahren.
M| Andrer» Handatlas, 2. Aullag«'. 1887, Karte 49, Marsstab 1:1500000.
,0) Ebendaselbst, Karte (11, Marsstab 1: 1750000.
*') Schmidt „Charte der Gebirgo des Mondes“ 1878, S. X.
4a) Ibidem S. 97.
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Die hier besprochenen hervorragenden Arbeiten des deutschen
Dreigestirns auf selenographisehem Gebiete: Lohrmann, Mädler,
Schmidt haben Anregung nach allen Seiten hin verbreitet, besonders
in England, wo im Jahre 1864 die British Association eine Kommission
zur Erforschung der physischen Beschaffenheit der Mondoberfläche und
zur Feststellung der besten Methode für eine möglichst detaillirte
Zeichnung derselben ernannte, deren Sekretär der verdiente und schrift-
stellerisch sehr thätige Mondbeobachter Birt gewesen, von welchem
später auch die Selenographical Society zur Förderung des Mond-
studiums gegründet wurde. Von dieser Kommission wurde alsbald eine
grofse Mondkarte iin Durchmesser von 100 engl. Zoll (2.540 m) in
Angriff genommen, welches Werk aber seit 1869, wo das erwähnte
Comitö nicht wieder ernannt worden, nur langsam fortschreitet. Bis
zu genanntem Jahre -waren blofs 3 Sektionen zu je 5° im Quadrat von
1600 solchen beabsichtigten Sektionen, in welche die ganze Karte be-
hufs leichterer Bewältigung durch verschiedene Beobachter aufgetheilt
wurde, erschienen. Dagegen sind die indirekten Früchte jener Bestre-
bungen, welche sich in der Heranbildung einer englischen selenogra-
phischen Schule offenbarten, besonders hervorzuheben, und hauptsächlich
zwei englische Werke über den Mond zu nennen, welche in den Jahren
1874 und 1876 an die Oeffentlichkeit traten, und deren jedes in seiner
Art vorzüglich ist. Das erste hat den Titel : Nasmyth J. und Carpenter J.
„The Moon considered as a planet, a world and a satellite“ 1874;
das zweite: Neison E. „The Moon and the condition and configurations
of its surface" 1876. Beide sind von dem eifrigen Mondforscher Klein
in Köln ins Deutsche übertragen worden.43)
Das Werk von Nasmyth und Carpenter zeichnet sich durch
seine bestechend schönen, plastischen Abbildungen von 12 Mondland-
schaften aus, welche aber leider nicht direkt nach der Natur aufgenommen
wurden, sondern Photographien von Modellen sind, die nach Zeich-
nungen einer 30 jährigen, zumeist mit einem 20 zölligen Keflektor
angestellten Beobachtung der Autoren angefertigt und sodann mittelst
Sonnenlicht beleuchtet worden. Würden daher auch die Originale von
gröfster Treue sein (dieselben sind nicht mit veröffentlicht), so kann
doch die Umsetzung derselben in ein plastisches Modell bei dem man-
nigfaltigen bestrickenden Detail, das hier geboten wird, Unwahrheiten
mit sich bringen, welche den Werth dieser Aufnahmen wieder herab-
u) 1. .Der Mond, betrachtet als Planet, Welt und Trabant“ von J. N'as-
myth und J. Carpenter 187(1. 2. -Der Mond und die Beschaffenheit und
Gestaltung seiner Oberfläche“ von E. Neison 1878.
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G34
mindern. Immerhin geben diese Bilder die Charakteristik der Mond-
landschaften und deren bezaubernden Anblick besser wieder, als dies
bis dahin irgend einem Selenographen gelungen ist Das Werk bringt
auch eine Vollmondkarte von 16,6 cm Durchmesser, welche derart
entstand, dafs die Beer-Mädlersche Karte auf 6 Fufs vergröfsert,
dann das Detail so hineingezeichnet wurde, wie es dem irdischen Be-
schauer bei einem bestimmten Beleuchtungswinkel der Mondobjekte
erscheint, um schliefslich das Ganze in dem angeführten verkleinerten
Mafsstabe zu photographiren. Sie ist ebenfalls vorzüglich und wesent-
lich für den Laion bestimmt, dem es im Anfänge stets Schwierigkeiten
bereitet, die nach Lehmann scher Strichmanier gezeichneten Mond-
karten richtig zu interpretiren. In seiner populären Form wendet sich
das Buch, welches sehr eingehend den Vulkanismus des Mondes ver-
tritt, mehr an das grofse Publikum als an den Fachmann, thut dies
aber in gründlicher und angenehm lesbarer Weise.
Das Neisonsche Buch hingegen spricht in erster Linie zum
Fachmann, fufst hauptsächlich auf der Beer-Mädlerschen Erfor-
schung des Mondes, sucht aber dieselbe streng prüfend zu ergänzen
und zu verbessern. Es vertritt an der Iland von selbstständigen Unter-
suchungen, welche Neison an anderem Orte44) gegeben, namentlich
den Standpunkt, dafs der Mond noch eine merkliche Atmosphäre be-
sitzt, welche, obwohl sie nur die Dichtigkeit von 1/400 — 1/300 unserer
Erdatmosphäre hat, hinreicht, um die Bildungen der Mondoberfläche
zu beeinflussen und zu verändern. Der dem Werke beigegebene
Atlas in Oktavform enthält eine Mondkarte in 22 Sektionen mit einem
Durchmesser von 61.0 cm, welche nach Lehmanns Schraffirmethode
gezeichnet ist und gegen Beer und Mädlers Karte mehrere tausend
neue Objekte aufweist, einschliefslich vieler neuer Rillen, welche dem
Schmidt sehen Kataloge entnommen worden. Der relativ kleine
Mafsstab dieser Karte läfst die Schraffirung der Berge nicht zu aus-
reichender Charakteristik kommen, und insofern steht dieselbe hinter
der Lohrmannschen und Mädlerschen Karte zurück. Auch nimmt
sie auf die Mondfarbe nicht Rücksicht und fungirt mehr als Orien-
tirungskarte, denn als treues Abbild des Mondes. Neison s Karte
beruht unter Anderem auf dessen achtjährigen, unausgesetzten seleno-
graphischen Beobachtungen, welche derselbe zumeist mit einem seohs-
zölligen Aequatoreal ausführte, darunter auf nahezu 400 neuen Mes-
sungen der Lage von Punkten erster Ordnung und über 200 Messungen
“) Monthly Notices Vol. XXXIV, p. 15.
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635
von fast 100 Punkten zweiter Ordnung, außerdem auf vielen Grüfsen-
und Höhen-Messungen der einzelnen Objekte. Der Atlas enthält ferner
eine Uebersiohtskarte des Vollmondes, 5 Spezialkarten in Farbendruck,
deren plastisohe Treue jedoch zu wünschen übrig läfst, und drei weitere
in Striohmanier mit vielfachem Detail. Der begleitende Text im Haupt-
werke, welcher alles Bekannte auf dem Gebiete der Mondbeschreibung
kritisch umfafst, zeichnet sich durch prägnante Kürze und Klarheit aus.
Noch möge gedacht werden einer in letzter Zeit unter Leitung
Flammarions in Paris von Gaudibert entworfenen Vollmondkarte
mit einem Durchmesser von 64 cm (1 mm = 5433 m — 3 ".1) welche
die Mondformationen ähnlich wie Nasmyth und Carpenter und
früher Mayer und Hevelius mit kurzem Schattonwurfe (nach Osten)
darstellt, sehr fleifsig gearbeitet ist und an ihrem Rande ein Verzeich-
nis von 615 Mondbergen mit deren Höhen in Motom anführt Sie
giebt ein gutes, plastisches Bild vom Monde und dürfte Laien wie
Astronomen zur schnellen Orientirung auf unserem Trabanten von
Nutzen sein.
Fragen wir zum Schlüsse dieser Uebersicht, in welcher Weise
die Darstellung des Mondes durch Zoichnung weiter fortschreiten soll,
so kann die Antwort kurz dahin präzisirt werden, dafs das Haupt-
augenmerk nicht auf die Quantität, sondern auf die Qualität des Dar-
gestellten zu richten ist, um ein möglichst treues Dokument für die
Zukunft zu schaffen. Von diesem Gesichtspunkte aus kann auch mit
kleineren Instrumenten Brauchbares geleistet werden. Ne ison spricht
darüber sehr treffend45): „Mit Teleskopen von 3 bis 6 Zoll Oeffnung
können bei richtigem Gebrauche Arbeiten von höchstem selenogra-
phischen Werthe erhalten werden, und genügen jene Instrumente
vollkommen, die Mondoberlläche in einer Weise darzustellen und zu
zeichnen, welche bisher weder in Hinsicht der Genauigkeit noch der
Vollständigkeit erreicht worden ist. Auch für die weniger durch-
forschten Theile der Selenographie, nämlich die Positions- und Dimen-
sions-Bestimmungen der Mondformationen sind Teleskope mit einer
Oeffnung von 3 bis 6 Zoll vollständig geeignet.“ Natürlich ist von
gröfseron Instrumenten ein zahlreicheres Detail zu erwarten, das aber
auch schwerer zu bewältigen ist. Objekte dagegen an der Grenze
der Sichtbarkeit eines Fernrohres mit Hartnäckigkeit zu verfolgen
und zu diskutiren, ist fast so viel wie Zeitverschwendung, weil die
Entscheidung durch Anwendung eines kraftvolleren Instrumentes mit
einem Schlage zu treffen ist.
«) Neison „Der Mond“ 1878, S. VIII.
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Durch das aufmerksamste Detailstudium der Mondoberfläche
innerhalb des Bereiches des betreffenden Instrumentes, verbunden mit
exakter und zuverlässiger Messung, soll also der weitere Aufbau der
Selenographie erfolgen, da ein solches die werthvollsten Aufschlüsse
über gewisse Entwicklungsphasen der Weltkörper zu geben vermag.
In Deutschland ist es vornehmlich H. J. Klein in Köln,
der sich diese Richtung bei einer mehr als 20jährigen Mondbe-
obachtung gewählt hat, und welcher für einzelne Objekte gleichsam
Ephemeriden vorbereitet, die alle Tage des Mondalters umfassen sollen.
Der Eifer und die Umsicht desselben sind unter Anderem durch die
Entdeckung (19. Mai 1877) einer Neubildung auf dem Monde und zwar
einer ausgedehnten Kratergrube westlich von Hyginus belohnt worden,
für deren Thatsächlichkeit als gewichtigste Richter Schmidt und
Neison eintreten.
Seit Beginn des Jahres 1884 habe auch ich mich entschlossen,
der Detaildarstellung des Mondes einen Theil meiner disponiblen Zeit
an der Prager Sternwarte zu widmen, da mich die bisherigen plastischen
Zeichnungen des Mondes — abgesehen von jenen des Nasmyth-
Carpenterschen Werkes, welche jedoch nicht unmittelbar nach der
Natur aufgenommen sind, und allenfalls den 15 Trouvelotschen
Abbildungen in den „Annals of the Astronomical Observatory of
Harvard College“ Vol. VIII, welch’ letztere aber von Manirirtheit nicht
frei sind und die Gebilde so darstellen, als wären sie aus Teig
geformt — nicht befriedigten. Gestützt auf meine langjährige
Uebung im astronomischen Zeichnen, fafste ich den Gedanken, nur
Objekte an der Beleuchtungsgrenze, wo die Kontraste von Licht unil
Schatten die wunderbarsten Effekte erzeugen und das Bild klar und
deutlich zum Beschauer spricht, mit der gröfsten plastischen Treue
und Feinheit darzustellen, welches Vorhaben insofern nicht überflüssig
erscheint, als die Photographie noch lange nicht so weit ist, das dem
Auge des Astronomen sich darbietendo Detail ohne Anwendung von
imaginären Riegeninstrumenten wiederzugeben. Auch wird die Photo-
graphie über einen Punkt nicht hinauskommen und der wirklich
guten Zeichnung von Monddetails nachstehen, nämlich hinsichtlich der
Richtigkeit der relativen Nuanzirung solcher Details von lebhafter
Kontrastwirkung, da die photographische Platte bei bestimmter Expo-
sitionszeit nur für gewisse Lichtintensitäten abgestimmt ist und hellere
Partieen überexponirt, dunklere unterexponirt darstellt. Eine Reihe
von 16 Mondkratern und Mondlandschaften ist bereits unter dem
Titel: „Astronomische Beobachtungen an der K. K. Sternwarte zu Prag
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im Jahre 1884, enthaltend Original Zeichnungen des Mondes“ 1886 auf
heliographischem Wege erschienen. Acht derselben sind diesem Hefte
beigegeben und stellen die folgenden Partieen dar: 1. Mare Crisium,
2. Sinus Jridum, 3. Theophilus, Cyrillus, 4. Gassendi, 5. Colombo, Magel-
haens, 6. Tycho, 7. Fracastor und 8. Archimedes, wobei die Bilder mit
dem Schattenwurfe nach rechts (im umkehrenden Fernrohr) dem Sonnen-
aufgang am Monde, jene mit dem Schattenwurfe nach links dem
Sonnenuntergänge angeboren. Bis zum August 1884 wurde beim
Zeichnen ein Fraunh ofersches Fernrohr von 3.6 Zoll (97.6 mm)
Oeffnung mit 160facher Vergröfserung, später ein Steinheilsches
Aequatoreal von 6 Zoll (162.6 mm) OefTnung mit 139facher Ver-
gröfserung verwendet. Die Zahl dieser Abbildungen ist bis Ende 1888
auf 48 angewachsen, von denen somit 32 noch der Publikation harren,
die jedoch in kurzer Frist erfolgen wird.
Wünschenswerth erscheint es, dafs viele Beobachter sich dem
Detailstudium des Mondes zuwenden möchten — im Sinne der Worte
Mädlers-f’): „Es wird der Selenographie ergehen, wie es der Geo-
graphie seit Jahrtausenden ergangen ist und noch heut ergeht, nur
mit dem Unterschiede, dafs diese sich vom Besonderen und Lokalen
zum Allgemeinen erhebt, jene den umgekehrten Weg einschlägt.“
“) Beer und Mädler „Der Mond“ 1837, S. VII.
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Die norwegische Nordmeer -Expedition.
Von Prof. Dr. H. Mohn,
Direktor des Norwegischen Meteorologischen Institute in Cbristiania.1)
oy, (Fortsetzung.)
A m nächsten Tag Sturm, der uns wieder festhielt; aber tags darauf
' kam die Stunde der Erlösung. Am 3. August, Abends 7 Uhr, wa-
ren wir wieder auf der Arbeitsstation, nördlich von Beeren-Eiland.
Am 5. August hatte die Expedition Spitzbergens Südcap erreicht. Hier
gingen wir südlich um das Vorgebirge und die vor ihm liegenden
kleinen, flachen Inseln herum, ein kleinos Stück in den Storfjord hinein,
so dafs wir bei dieser Gelegenheit die zackigen Gebirge des südlichen
Spitzberges und einige von den weit in das Meer bineinschiefsenden
Gletschern zu sehen bekamen. Nachdem wir hier auf einer Station
magnetische Beobachtungen, Lothungen und Schleppnetzarbeiten aus-
geführt halten, gingen wir wieder westlich, um einen Querschnitt vom
Siidcap nach dom Grönlandeis aufzunehmen. Am 7. Nachmittags wurde
im Nordwesten Eis gesehen. Es war aber nicht die Eisgrenze. Wir
segelten südlich um das Eis herum und verloren es bald aus den
Augen. Abends passirten wir den Meridian von Greenwich und lotheten
auf unserer 350. Station eine Tiefe von 1686 Faden (3083 Meter). Wir
waren in der Polarströmung. Das Travelnetz wurde 20 Minuten nach
Mitternacht ausgeworfen und sank bis 4 Uhr 20 Minuten. Das Herein-
holen begann um 6 Uhr 50 Minuten. Alles ging gut. Ein wiederholter
Ruck in dem Accumulator zeigt an, dafs der Traveler in den Boden
eingreift, Proben aufnimmt und weiter geht. Aber allmählich geht
das Hereinholen langsamer und langsamer. Es fangt an, bedenklich
zu werden. Das Travelnetz ist offenbar ungewöhnlich schwer. Es
ist schon 10 Uhr. Ein Spleifs ?) des Travelnetztaus hat den Accu-
mulatorblock passirt, ist glücklich auf den Cylinder gekommen und
hat bereits drei Umgänge auf diesem gemacht. Da entsteht ein Ruck,
*) Aua dem norwegischen Original -Manuskripte übersetzt von F. S.
Archenhold und revidirt vom Verfasser.
2) Eine Tauverbindung ohne Knoten.
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der das ganze Schiff erschüttert. Die, welche unter Deck safsen, ahnten
etwas Schlimmes und die das Hereinholen mit den Augen verfolgt
hatten, sahen das Tau an der Stelle des Spleifses zerreifsen, in den
Rillen des Cylinders sich umwälzen und das Ende des Taus aus dem
Accumulatorblock heraus in die Tiefe des Meeres fahren. Dies war
das Werk weniger Sekunden. Glücklicherweise hatte Niemand so auf
Deck gestanden, dafs er von dem herausfahrenden Tau gefafst werden
konnte. Es glitt auch nicht so schnell von dem Cylinder ab, dars die
Maschinen nicht hätten gestoppt werden können, ehe die Kraft von
dem Cylinder genommen war. Mit dem über Bord fahrenden Tau-
ende gingen 3900 Meter Tau, ein Travelnetz, mehrere eiserne Lothe,
alle Thiere, die in dem Netz waren, und 10 Stunden anstrengender
Arbeit verloren. Wir waren um so mehr betroffen, als ein solches
Unglück uns nur selten heimgesucht hatte. Ein Trost war es, dafs wir
unsere Reserven hatten. Sofort wurden die Leute angehalten, ein neues
Tau zusammenzufügen und ein neues Travelnetz anzufertigen, wozu
glücklicherweise in Hammerfest ein Querbaum eingekauft und Eisen-
gänge geschmiedet waren. Alle diese Vorbereitungen nahmen viel Zeit
in Anspruch, so dafs nicht die Rede davon sein konnte, so lange auf
derselben Station zu verweilen. Wir beschlossen daher, weiter zu gehen.
Was war aber geschehen, während unsere Aufmerksamkeit auf das
unglückliche Travelnetz gerichtet war, das sich entweder in den un-
reinen Boden festgekeilt oder mit Steinen angefüllt hatte? Gegen Westen
Eis, gegen Norden Eis, gegen Osten auch Eis. Wo das Travelnetz
war, mufsten wir auch sein, so lange es am Tau hing und mit einem
Travelnetz am Boden in einer Tiefo von 3080 Meter und 6000 Meter
Tau über Bord, segelt man nicht weit So war das Eis näher ge-
kommen und hatte uns umringt, ohne jedoch eine undurchdringliche
Mauer zu bilden oder uns sonstige Ungelegenheiten zu bereiten. Aber
mit unserer Weiterfahrt nach Westen war os vorbei; wir hatten die
Eisgrenze erreicht. Das Wetter war schön, die See ging ruhig und
ehe wir weitersegelten, wurde eine Deviationsprobe und Declinations-
beobachtung gemacht,, indem die Sonne und der Kompass in allen 16
Strichlagen beobachtet wurde. Wir wollten nördlich der Eisgrenze
entlang, aber zunächst galt es, überhaupt aus dem Eise zu kommen.
Wir steuerten nordöstlich und fanden alsbald ohne weitere Schwierig-
keit unter einigen Kursabweichungen aus dem Treibeise heraus. Unser
Lotse säte beständig im Mast, um die beste Rinne für uns auszu-
spähen. Hier hatte man Gelegenheit, die Formen des Grönlandoises
eingehend zu studiren. Während des ganzen Tages hatten wir das
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herrlichste, klarste Wetter, so dafs die Fahrt im Eise ein Genufs war, —
anders wäre es gewesen, wenn wir Nebel gehabt hätten. Nachmittags
kamen wir glücklich aus dem Eise heraus und steuerten nunmehr
nördlich und nordwestlich, um so weit als möglich gegen Westen vor-
zudringen. Am folgenden Morgen um 4 Uhr hatten wir den nächsten
Querschnitt unweit des 78. Breitegrades erreicht und zählten 9 Minuten
westliche Länge von Greenwich. Die Tiefe betrug 1640 Faden (3000
Meter). Die Temperaturreiho ergab, dafs wir mitten im Polarstrom
waren. Wir segelten jetzt wieder ostwärts. Um 1 Uhr Nachmittags
wurden, noch immer im Polarstrom, 1686 Faden (3083 Meter) ge-
lothet. Um 7'/2 Uhr Abends waren wir auf 5 Grad östlicher Länge.
Das Loth ergab 1333 Faden (2438 Meter), eine Zahl, die uns durch
ihre Kleinheit in Erstaunen setzte. Wir hatten mindestens 3000
Meter erwartet; die geringere Tiefe war besonders für die Zoo-
logen eine Enttäuschung, die jetzt, nachdem das neue Travelnetz
fertiggestellt war, auf Ersatz für das in 3080 Meter Tiefe Ver-
lorene gehofft hatten. 2438 Meter war freilich noch eine ganz anständige
Tiefe, zumal hier das Wasser ebenso kalt am Boden war wie früher.
Eine neue Temperaturreihe zeigte, dafs wir in den warmen Strom ge-
kommen waren. Erst in 680 Meter Tiefe wurde Null Grad gemessen;
oberhalb bis zu 200 Meter Tiefe hatte das Wasser weniger als einen
Grad Wärme, so dafs die Grenze zwischen dem kalten und warmen
Strom nioht weit westwärts liegen konnte.
Um 10'/a Uhr Abends wurde das neue Travolnetz unter den besten
Wünschen für eine glückliche Fahrt über Bord gelassen. Um 4 Uhr
Morgens fing man an, es hercinzuholen. Mit gespannter Aufmerksam-
keit folgte das Auge des wachthabenden Officiers den Bewegungen
des Accumulators. Dieser dehnt sich allmählich mehr und mehr aus;
schon wieder drückt eine ungewöhnlich grofso Kraft auf das Tau.
Die Kautschuckstränge des Accumulators weiten sich bis zu ihrer
dreifachen Länge, der Block ist ganz unten auf der Lothungsbrücke;
wird das Tau wieder zerreifsen? Ist der Boden wieder so gefährlich
rauh? Plötzlich fängt der Accumulator an ohne Ungestüm sich wieder
zusammenzuziehen. Der Traveler hat den Boden losgelassen und
das Einholen vollzieht sich ohne jeden Zwischenfall. Um ’/210 Uhr
war das Travelnetz hereingokommen. Nun zeigte es sich, was vor-
gefallen war. Der 20 Centimeter dicke Querbaum war in der Mitte
durchgebrochen und in dem Netz lagen mehrere grorse Steine, wovon
einer, ein Marmorblock, so schwer war, dafs ein starker Mann ihn
kaum heben konnte. Sonst war das Travolnetz unbeschädigt und ver-
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schaffte den Zoologen eine willkommene Ausbeute von Thieren aus
eiskalter Tiefe, worunter auch einige Fische waren.
Wir segelten weiter ostwärts und näherten uns dem Theile des
Meeres, wo die schwedische Expedition auf „Sofia“ unter Norde nskiiild
und von Otter im Jahre 1868 Tiefseemessungen vorgenommen hatte.
Die schwedische Expedition hatte westlich und nördlich von Spitz-
bergen viele Lothungen ausgeführt und zwar an Stellen, die wir mit
„Vöringen“ nicht erreichen konnten, theils wegendes vorgelagerten Eises,
theils wegen ihrer hohen nördlichen Breite. Es wrar deshalb für uns von
höchstem Interesse, einen Anknüpfungspunkt und Vergleich zwischen
den Lothungen der Schweden und den unsrigen zu erhalten. Freilich
waren die Tiefmefsapparate 1868 noch nicht so vollkommen wie die
von uns benutzten. Nach der Extrapolation aus den schwedischen
Lothungen hätten wir auf unserer letzten Station eine Tiefe von 1500
Faden (3000 Meter) erwarten können, wir hatten aber nur 1333 Faden
(2438 Meter) gefunden. Deshalb fingen wir mit nicht geringer Span-
nung auf der nächsten Station die Lothung an. Diese lag nur 2 See-
meilen östlich von der entsprechenden schwedischen Station. Da wir
eine gröfsere Tiefe als 2000 Meter erwarteten, benutzten wir die
Baillie-Maschine. Es wurden die ersten 200 Faden von der Ma-
schine abgewickelt, dann losgelassen und die Lotliloino lief frei von der
Rolle. Während die Marke für jede 100 Faden ins Wasser lief, wurde
die Zeit notirt Als die 1000 Faden-Marke ins Wasser ging, waren 10
Minuten nach den Kommandoworten „Laufen lassen“ verstrichen. Die
Spannung steigt, 1100 Faden, 1200 Faden laufen aus; ein Gefühl der
Freude und Erleichterung dämmert in uns auf. 1300 Faden gehen ins
Meer. Nun gilts. Die schwedische Lothung hatte 1350 Faden (2469
Meter) ergeben. Die Leine läuft immer noch. Plötzlich wird gerufen
„Grund“. Eine vorläufige Rechnung ergiebt 1347 Faden (2464 Meter.)
Die Leine ruht auf dem Spill. Das Hereinholen fängt an, die Anzahl
der Faden von der letzten 100 Faden-Marke an werden genau aus-
gemessen. Das Resultat ist 1343 Faden (2456 Meter), also nur 7 Fa-
den (13 Meter) von der schwedischen Lothung verschieden und der
Unterschied geht nach der richtigen Seite; wir waren östlicher, also
näher an Spitzbergen und mufsten deshalb auch eine geringere Tiefe
finden. Die Freude über diese Uebereinstimmung fand ihren beredten
Ausdruck in einem vielstimmigen llurrah für die Schweden, Hurrali
für Nordenskiöld, Hurrali für von Otter, die von Vöringens Deck
aus weit über das stille Eismeer hinausklangen.
Die Fahrt wurde fortgesetzt bis wir die Mündung vom Eisfjord
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(Spitzbergen) hinter uns hatten, alsdann gingen wir westlich bis das
Thermometer am Meeresgrund Kältegrade zeigte und darauf unter starkem
Gegenwind und Seegang nordwärts, bis der 80. Breitegrad passirt war.
Hier zeigten sich ab und zu einzelne Eisstücke ; wir näherten uns also
der Eisgrenze. Unser Endpunkt war erreicht Aber die Frage — wie
und wo endigt der warme atlantische Meeresstrom, dem wir nun im
dritten Jahre von der Nordsee, den Färöern und Island aus gefolgt
waren, dessen Tiefe, Temperatur und Fauna von uns untersucht waren,
— zu beantworten, war uns nicht beschieden. Dies war für mich eine
grofse Enttäuschung. Meine Blicke waren unverwandt gegen Norden,
die Gegend gerichtet, wohin die Strömung ging und woher das Eis
kam, bis ich mir endlich klar darüber wurde, dafs mit unsem Mitteln
nicht daran zu denken war, den warmen Strom weiter zu verfolgen.
Es war offenbar, dafs der Strom sich unter dem Polareis fortsetzte und
dafs dieses auf dem Kücken des warmen Stromes allmählich abschmolz,
ebenso wie die Gletscher im Thal durch die Sommerwärme ihren Ab-
schlufs finden.
Hier auf dem 80. Breitengrade waren die Verhältnisse offenbar
ganz andere wie auf der westlichen Grenze des warmen Stromes in
der Richtung gegen den grönländischen Polarstrom. Auf dem letzteren
war überall, wo wir Gelegenheit zu Beobachtungen fanden, ein breiter
offener Gürtel von einer Tagesreise zwischen der Grenze des Polar-
stromes und des Eises. Hier im Norden dagegen kam das Eis in
grofsen Massen auf dem Rücken des warmen Stromes einhergeflosser,
getrieben von demselben anhaltenden Nordwind, der uns in den letzten
Tagen zurückgehalten hatte. Dort war der Polarstrom ohne Eis und
liier der warme atlantische Strom mit Eis. Wir konnten nicht daran
denken, mit „Vüringon“ einen Versuch des Vordringens ins Eis zu
machen, um unsere Untersuchungen fortzusetzen. Zu einer Fahrt im
Polareis mufs ein Fahrzeug besonders gebaut sein. Wir durften uns
nicht der Gefahr aussetzen, das Schiff zu beschädigen oder die Schrauben-
flügel durch die umherschwimmenden Eisstücke zu verlieren, da wir
noch einen grofsen Theil Arbeit bei Spitzbergen vor uns hatten. Es
lag auch aufserhalb unseres Planes, nördlich vom 80. Breitengrade
Untersuchungen anzustellen. Wir hatten ihn erreicht und nachgr-
wiesen, dafs der grofse warme Strom, der in dem tropischen atlantischen
Meer seinen Ursprung hat, bis zum nördlichsten Punkt von Wes:-
spitzbergen seine Wärme behält und hier noch in einer Tiefe von
800 Meter Wärmegrade aufweist. Mit diesem Resultat konnten wir
zufrieden sein. Noch ein Blick der Sehnsucht nach der Gegend, die
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zu erreichen uns nicht vergönnt war, und der Kurs wurde gegen
Osten, gegen Spitzbergen genommen. Wir segelten, zuerst unter Nebel
und später in der herrlichsten arktischen Abendbeleuchtung, dann und
wann Lothungen und Schleppnetzarbeiten ausführend, zu den nor-
wegischen Inseln an der Nordseite von Westspitzbergen.
Am 15. August lag die Expedition zwischen den norwegischen
Inseln.
Hier trafen wir mehrere norwegische Fahrzeuge, die die Dorsch-
fisoherei betrieben, unter denen die in der arktischen Entdeckungs-
Alpenlandschaft aus Nordwest-Spitzbergen.
Geschichte bekannte Schlupe „Isbjörn“. Der Eisgang war lästig in
dem Sund, in dem wir lagen. Im Boot wurden mehrere interessante
Excursionen gemacht, auf denen wir manche der sehenswerthen Glet-
scher- und Alpenlandschaften von Nordspitzbergen zu sehen bekamen.
Am 16. August Nachmittags wurde der Anker gelichtet, aufs
olTene Meer hinausgefahren, gelothet und mit dem Schleppnetz gearbeitet.
Hierauf dampften wir in den Smeerenberg-Su nd hinein, dessen
Gletscher sich prächtig ausnahmen, besonders die, welche am Ende
der Meerenge von South Gat lagen. Hier sahen wir auch den
gröfsten Eisberg unserer ganzen Fahrt. Durch South Gat segelten
wir nach der von Beechy und Franklin im Jahre 1818 aufgenom-
menen Karte und steuerten hierauf in die interessante Magdalena-
Himmel und Erde. 1. 11. 40
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Bay hinein, wo wir den folgenden Tag zubrachten. Die arktischen
Schönheiten dieser Bucht, mit ihren zahlreichen Gletschern, sind sowohl
von französischen als auch schwedischen Expeditionen beschrieben
und gezeichnet worden. Hier fanden wir Gelegenheit, zu sehen, wie
die Gletscher kalborten*), und in der Tiefe der Bucht die niedrigste
Meorestemperatur unserer ganzen Reise — 2“ C. zu messen, an einigen
Stellen ein reiches arktisches Thierleben vorzufinden und verschiedene
Arten von Seehunden zu schiefsen.
Nachdem wir draufson auf den Bänken mit dem Loth und Schlepp-
Smcerenberg-Sund, Spitzbergen.
netz genügend gearbeitet hatten, gingen wir am 18. August in den
Eisfjord hinein und ankerten in der Advent-Bay. Hier blieben wir
wir bis zum 22. Es wurde eine genaue Karte von diesem Fjordarm auf
genommen, durch Breiten-, Längen- und Azimuthbestimmuugen, Grund-
linie, Dreieck und Loth. Es wurden in mehreren Jagdpartieen Exkursionen
ins Landinnero gemacht und Renuthiere und Sclineehühner geschossen.
Die Nordseite und Südseite des Eisljords zeigten einen merkwürdigen
Kontrast. Die erstere war vollständig vergletschert, so dafs es an
mehreren Stellen unmöglich war, einen Uebergang vom Gletscher zum
Meeresspiegel zu bemerken; die letztere hingegen ein nacktes Tafel-
*J Kalbern — Eisstücke abstofsen.
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land, besät mit Stücken von Steinkohlen, die von den hoch oben von
der Gebirgsseite ausgehenden Flötzen herrührten.
Unser Wunsch, auch Beisund zu besuchen, blieb wegen Nebel
unerfüllt Auf unserer Fahrt gegen Süden sahon wir einen Schimmer
vom Südcap. Um Mitternacht, d. 23.-24. August, beobachteten wir
unsere letzte Temperaturreihe, südlich von Spitzbergen. Am 26. und
27. war die Expedition in Tromsö, am 4. September in Bergen und
am 10. in Christiania.
(Schlafs folgt.)
4fi'
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Versuch einer beweisführenden Darstellung des Welt-
gebäudes in elementarer Form.
Von
Dr. M. Wilhel« Mfjfr Bfrlin.
IX. Die Schwerkraft und das dritte Keplersche Gesetz.
T H
K ‘j\]achdom Kepler gefunden hatte, dafs, einmal die Bewegung der
;T£i Erde um die Sonne vorausgesetzt, es sich mit der absoluten
Sicherheit des Feldmessers nachweisen liefs, dafe die Sonne
<lann auch im Brennpunkte aller übrigen Planetenbewegungen steht
und folglich von ihr eine gemeinsame, weltregierende Kraft aus-
gehen müsse, und nachdem ferner Galilei die allgemeinen Prinzipien
der Schwerkraft unter irdischen Bedingungen festgestellt hatte, lag es
offenbar nahe, zu fragen, ob diese von der Erde so allgemein und mit
so unerschütterlicher Konstanz ausstrahlende Kraft vielleicht auch zur
Erklärung der himmlischen Bewegungen herangezogen werden könne.
Bekanntlich war es Newton, welcher zuerst diese Frage aufwarf und
rechnerisch mit glänzendem Erfolgo verfocht. Wir wollen hier nicht
im Speziellen der historischen Entwickelung dieser Untersuchungen
folgen, sondern nur in möglichster Kürze, welche uns der Raummangel
leider unerbittlich auferlegt, die logische Schlufereihe darstellen, welche
zur Entdeckung der universellen Wirksamkeit der Schwerkraft führen
mufete.
Zunächst mag es dem unvorbereiteten Leser seltsam und undenkbar
erscheinen, dafe diese Schwerkraft, welche hier auf der Erde alle Körper
zum Boden herabzieht und sie liier träge und schwerfällig festhält, dort
am Himmel die lebendigen, ewigen Bewegungen des Kreislaufs der
Gestirne hervorbringen solle. Wenn die Planeten wirklich gegen die
Sonne schwer sind, so sagt sich der einfache Menschenverstand, so
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müssen sie doch, wie jeder Stein, den man bei uns frei lafst, auf die
Erde fallt — eben nothwendig in die Sonne stürzen. Das geschieht
nicht, folglich kann es nicht die Schwerkraft sein, welche diese Kreis-
bewegungen (denn als solche können und müssen wir der Einfachheit
wegen im Folgenden die sehr schwach elliptischen Bewegungen der
I’laneten auffassen) erzeugt. So einfach und deshalb fraglos richtig
dieser Schlufs erscheint, so leicht glaube ich bei uur einigermafsen
tieferem Eindringen in die interessante Frage zeigen zu können, dafs
der naive Menschenverstand auch diesmal recht trügerisch war.
Ueberall auf der Erde nehmen wir wahr, dafs die Schwerkraft
unter allen Umständen ihren Tribut verlangt; das heifst jeder frei-
fallende Körper durchläuft in jeder Lage in der ersten Sekunde
eine Strecke von 4.89 m infolge der Schwerkraft. Wenn wir demnach
einen Körpor fallen lassen, so befindet er
sich nach Ablauf der ersten Sekunde um
4.89 m tiefer als vordem. Ferner: Wenn
wir einen Körper derart in den Kaum
hinaus schleudern, dafs er beispielsweise
in gerader Linie aufsteigen und in die-
ser nach Ablauf der ersten Sekunde
sich um 50 m über die horizontale Richtung erhoben haben müfste,
so werden wir in der That konstatiren, dafs der Körper sich dann
nur um 50— 4.89 m erhoben hat. Schleudert man endlich denselben
genau in horizontaler Richtung, so hat er sich nach Ablauf der ersten
Sekunde um 4.89 m von derselben nach unton hin entfernt, wie
grofs oder wie gering auch seine horizontale Geschwindigkeit ge-
wesen sein mag. Dies sind Thatsaclien, an welchen nicht ge-
rüttelt werden kann. Sie sind von höchster Wichtigkeit für den Fort-
gang unserer Betrachtungen. Wir müssen sie mathematisch genauer
präzisiren.
In der obigen Figur bedeuto v die horizontale Geschwindig-
keit, mit welcher ein Körper geschleudert worden ist, das heifst, ein
vorher in a befindlich gewesener Körper würde sich, wenn die Schwerkraft
nicht auf ihn eingewirkt hätte, nach Ablauf einer Sekunde in b befunden
haben. Die Schwerkraft hat ihn aber inzwischen nach c herabgezogen.
Der Weg bc bezeichnet also die Fallstrecke in der ersten Sekunde.
Wir wollen dieselbe hier g nennen, obgleich schulmässig der dop-
pelte Werth mit diesem Buchstaben bezeichnet zu werden pflegt. Der
Körper hat also in der That den Weg ac = s beschrieben. Nach
dem pythagoreischen Lehrsätze, welcher beweist, dafs in einem recht-
Fig. 1.
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winkligen Dreiecke die Summe der Quadrate der beiden kürzeren
Seiten (Katheten) gleich dem Quadrate der längeren (Hypotenuse) ist,
findet man diesen Weg aus den beiden früher genannten Gröfsen durch
die bekannte Formel
s* = vä + g*
Machen wir hiervon sogleich einmal eine Anwendung. Gesetzt
den Fall, eine Kanone sei in einer Entfernung von 20 m über dem
Erdboden so aufgestellt, dafs die Kugel genau in horizontaler Richtung
aus dem Rohre fliegen mufs. Die Kugel besitzt eine Geschwindigkeit
von 600 m in der Sekunde. Dann ist (abgesehen natürlich von den
Störungen, welche durch unsere atmosphärische Luft hervorgerufen
werden) der mit sich selbst multiplizirte Weg, welchen die Kugel in
Wirklichkeit durchlaufen hat
s* = 500 X 500 -f 4.89 X 4.89 = 260023.91
Der Weg selbst s ergiebt sich daraus gleich 500 . 02 m. Er wird
also nur um ein sehr Geringes gegen v verlängert
Aber eine andere seltsame Erscheinung würde sich hier zeigen,
wenn wir das Experiment mit aller gewünschten Präzision ausführen
könnten. Die Kugel hat sich um die oft erwähnten 4.89 von der
Horizontalen entfernt. Da sie sich bei Beginn ihres Fluges 20 m
über dem Erdboden befand, so sollte man meinen, sie müfste
nun noch genau um 20 — 4.89 = 15.11 m über demselben schweben.
Statt dessen würde man dagegen konstatiren, dafs sie um ein Weniges,
und zwar um 2 cm höher steht. Hätte dagegen beispielsweise die
Geschwindigkeit in der ersten Sekunde 1000 m betragen, so würde
sich diese scheinbare Erhöhung auf 8 cm gesteigert haben. Sie wächst
dann rapid, so dafs sie bei 10 000 m Geschwindigkeit auf nicht weniger
als 7.85 m steigen würde, d. b. die Kugel befände sich unter solchen
Umständen 20 — 4.89 -4- 7.85 = 22.96 m über dem Erdboden. Sie hätte
sich also dann trotz der niederdrückenden Schwerkraft und trotzdem
sie genau horizontal abgeschossen war, um 2.96 m über den Erdboden
erhoben.
Diese scheinbare Unregelmäfsigkeit ist sehr leicht erklärt. Sie
ist die unmittelbare Folge der Kugelgestalt der Erde. Wenn wir in
der folgenden Figur 2 den Kreisbogen a d als Thoil der Erdoberfläche
ansehen, und uns in a befinden, so wird doch ein Gegenstand, welchen
wir völlig horizontal bis b schleudern, in b ankommend, um eine be-
stimmte Gröfse x sich von der Oberfläche entfernt haben müssen, weil
eben die Erdoberfläche gekrümmt ist. Der Körper befindet sich also,
abgesehen von der Wirkung der Schwerkraft, obgleich horizontal
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fliegend, bei b entfernter vom Mittelpunkt der Erde, als in a. Hier
war sein Abstand gleich dem Erdhalbmesser r; in b ist er gleich r + x.
Ist uns nun die Strecke a b bekannt — sie sei gleich v — , so können
wir x, die oben für verschiedene Geschwindigkeiten v angegobone Er-
hebung über die Erdoberfläche aus der wieder unmittelbar durch den
pythagoreischen Satz bedingten Formel berechnen
r- + v* = (r x)2
Diese Formel erlaubt aber, wegen der offenbar sehr geringen
Grüfse von x im Vergleich zum Erdradius in den gegenwärtig in Be-
tracht kommenden Fällen, eine wesentliche Vereinfachung. Wenn wir
die rechte Seite der Formel ausmultipliziren, erhalten wir bekanntlich
r2 4- v2 = r2 4- *2 + 2 r x
oder, indem wir zu beiden Seiten das gleiche und daher überflüssige
r2 wegstreichen,
v2 = x2 4- 2 r x
Wir wollen einmal für einen uns bekann-
ten Fall die Zahlen in diese Formel einsetzen.
Wir hatten vorhin behauptet, dafs, wenn
v = 10 000 m ist, x = 7.85 in würde. Dabei
ist r, der Erdhalbmesser, gleich 6 370 000 m.
Es wird also
10 000 X 10 000 = 7.85 X 7.85 4- 1 5.70 X 6 370 000
Wenn wir diese Formel ausrechneten, würden wir nur eine sehr
mangelhafte Uebereinstimmung der beiden Seiten finden, weil wir vor-
hin die Zahl x nicht auf genügend viele Dezimalstellen genau ange-
geben hatten. Das letzte Glied 15.70 X 6 370 000 verändert sich sofort
um nicht weniger wie 63 700, wenn wir die Zahl 15.70 nur um eine
einzigo Einheit ihrer letzten Stelle vergröfsern. Das vorhergehende
Glied 7.85 X 7.85 = 61.7 verschwindet offenbar völlig innerhalb dieser
anderen Unsicherheit. Es ist gleichgültig, ob wir es berücksichtigen
oder ganz weglassen, so lango es sich um die Bestimmung der kleinen
Gröfse x selbst handelt. Wir erkennen daraus, dafs wir in der letzt auf-
geschriebenen algebraischen Formel x2 einfach streichen dürfen, ohne
einen merklichen Fehler zu begehen. Dann erhalten wir
v2 = 2 r x
oder, wenn wir x ünden wollen
v2
X~ 2r
Durch diese unvermeidliche Betrachtung streiften wir das Gebiet
der höheren mathematischen Analyse, der Differentialrechnung. Die
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letztere zeigt, dafs unter den hier in Betracht kommenden Umständen
die Streichung jenes Quadrates aus der Formel keine irgendwie merk-
liche Vernachlässigung, also keine Ungenauigkeit bedeutet. Diesen
Beweis mufs ich allerdings an dieser Stello schuldig bleiben.
Wir kehren zu unserem Versuch mit der horizontal geschleuderten
Kugel zurück. Wir sahen, oder können nun sehr leicht aus der zu-
letzt hingeschriebenen Formel berechnen, dafs sich dieselbe bei einer
Anfangsgeschwindigkeit von 10000 m in der Sekunde trotz der wir-
kenden Anziehungskraft um beinahe 3 m über die Erdoberfläche er-
heben mufs. Wir können nun offenbar auch umgekehrt die Aufgabe
sehr leicht lösen, diejenige Anfangsgeschwindigkeit zu finden, welche
stattßnden mufs, damit die Kugel nach Ablauf der ersten Sekunde
wieder genau ebenso hoch über dem Erdboden schwebt, wie im Augen-
blicke des Abganges von der Anfangsstaliou. Dann mufs x offenbar
gleich der Fallstrecke in der ersten Sekunde, also 4.89 m sein. Es ist also
V2 = 2 r g = 2 X 6 370 000 X -4.89 = 62 290 000
oder, indem man die Quadratwurzel aus dieser letzten Zahl zieht
v = 7891 m. So geschwind müfste also die Kugel fliegen, damit sie
der Schwerkraft gowissermafsen das Gleichgewicht halten könnte. Da
sie nun aber nach Ablauf der ersten Sekunde von ihrer Geschwindig-
keit nichts verloren hat (weil wir sie uns natürlich im luftleeren Baume
denken), so beginnt nun offenbar dasselbe Spiel. Nach der zweiten
Sekunde ist die Kugel abermals um 7891 m vorwärts geeilt, dabei um
4.89 m gefallen, während die Erdoberfläche um diese selbe Distanz sich
von der geraden Linie abgekriimmt hat. Folglich befindet sich die
Kugel auch nach 2 Sekunden wieder ebenso weit von der Erdober-
fläche entfernt wie zu Anfang ihres Laufes, und so fort. Die Kugel
fällt niemals auf die Erde herab, sondern läuft fortwährend rings um
dieselbe herum; sie ist ein Satellit unseres Planeten geworden, ein
wirklicher Mond. Könnten wir also eino so grofse Geschwindigkeit
erzeugen — unsere Kanonenkugeln fliegen im besten Falle immer
noch zehn mal langsamer — so würden wir unserer Erde nach Be-
lieben neue sekundäre Weltkürper schaffen können, weiche sie in
den festen Banden der Schwerkraft beständig um sich kreisen
lassen müfste.
Es ist dadurch der strenge und hoffentlich auch dem mathemati-
schen Laien genügend durchsichtige Beweis geliefert, dafs und wie
die Bewegung von Himmelskörpern um einander in der That durch
die Schwerkraft erklärt werden könnte. Es fragt sich nur noch, ob
in einem bestimmten und bekannten Falle diese Erklärung wirklich
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zutrifft. Zur Durchführung dieses Beweises eignet sich offenbar am
besten unser Mond. Nach allen Weltansichten bewegt sich derselbe
um die Erde, deren Schwerewirkung wenigstens auf ihrer Oberfläche
wir genau kennen. Die Frage ist also: Erklärt dieselbe auch den
beständigen Umschwung des Mondes um unsern Planeten nach der
soeben entwickelten Theorie?
Um diesen Beweis antreten zu können, haben wir jedoch zunächst
noch eino andere höchst wichtige Frage zu entscheiden, nämlich die:
Wirkt die Schwerkraft in allen Entfernungen von der Erde mit gleicher
Kraft, oder nimmt sic wie alle übrigen Wirkungen von Kräften, welche
wir sonst auf der Erde kennen, mit der Entfernung ab, endlich, wenn
dieses Letztere stattfindet, in welchem Verhältnifs steht diese Abnahme
zur Entfernung?
Auch diese Antworten sind leichter gegeben, als man es sich
wohl zunächst vorstellen mag. Die Schworkraft, welche von der kugel-
förmigen Erde ausstrahlt, ist rings um dieselbe herum genau die gleiche
und bleibt durch alle Zeiten völlig konstant. Das ist durch unzählige
Experimente zu beweisen. Es geht also von der Erde eine bestimmte,
unveränderliche Kraftwirkung aus, ebenso wie von einem leuchtenden
Punkte eine bestimmte Lichtmenge ausströmt. Nennen wir diese ge-
samte, nach allen Punkten ausgestrahlte Schwerewirkung in einer
bestimmten Entfernung r, beispielsweise der des Mittelpunktes der
Erde von ihrer Oberfläche, hier G, so mufs diese Summe doch offen-
bar in einer anderen Entfernung 2 r genau dieselbe bleiben, weil es
gänzlich unerfindlich wäre, dafs dio Gesamtkraft, welche in der Ent-
fernung r überall und stets konstant gefunden wurde, stärker oder
schwächer werden könnte, wenn wir uns, ohno irgend welche Ver-
bindung mit dem Schwere ausstrahlenden Körper zu besitzen, blos von
ihm entfornen. Es ist dabei keinerlei Einflufs auf ihn ausgeübt, folg-
lich mufs er die gleiche Eigenschaft beibehalten. Die Gesamtwirkung,
welche er ringsherum überhaupt ausüben kann, ist also in der dop-
pelten Entfernung nothwendig die gleiche geblieben. Folglich ist
aber auch die Arbeit, welche er in allen Punkten der gröfseren Kugel-
sphäre im ganzen überhaupt zu leisten vermag, dieselbe. Da aber
nun die gröfsere Kugelfläche von dem Halbmesser 2 r, wie mathematisch
leicht nachzuwoisen und wohl allgemein bekannt, nicht 2 sondern 2X2
mal gröfser ist als die der Kugel mit dem Halbmesser r, so mufs die
Wirkung, welche auf einen bestimmten Punkt oder eine bestimmte
Fläche dieser doppelt so grofsen Kugel ausgeübt wird, nothwendig
auch 4 mal kleiner sein, damit eben dio Gesamtwirkung auf die Ge-
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samtfliiche die gleiche bleibt wie vorhin. I)a nun eine 3 mal gröfsere
Kugel eine 3X3 mal gröfsero Oberfläche besitzt und eine 4 mal
gröfsere, 4X4 mal in der orsteren enthalten ist, und so fort, stets
im Quadrat des Halbmessers woiterschreitend, so ist damit logisch er-
wiesen, dafs die Wirkung der Schwere auf einen bestimmten Punkt
im Quadrat seiner Entfernung von dem anziehenden Körper abnimmt.
Mit dem Lichte und allen anderen strahlenden Wirkungen verhält es
sich genau ebenso, wie das Experiment direkt beweist Wenn von
einem Lichte eine Fläche in einer bestimmten Entfernung mit be-
stimmter Intensität beleuchtet wird, so wird diese Beleuchtung in der
doppelten Entfernung um genau das Vierfache, in der dreifachen um
das Neunfache abnehmen u. s. w. Mathematisch drückt sich dieses
Gesetz wie folgt aus. Es sei g die oben definirte Fallstrocke eines
Körpers in der Entfernung r, und gt die für die Entfernung rt. Dann
gilt die Formel:
ß _ JPj*
fft r'-'
Kennen wir also, wie es in der That der Fall ist, das Mats der
Schwerkraft g in der Entfernungr(gleich dom Erdhalbmesser) vom Mittel-
punkte der Erde, von welchem ja ersichtlich nach allen Seiten diese
Kraft gleichmäfsig ausstrahlt, so können wir auch die Wirkung in
einer anderen Entfernung rh also beispielsweise der des Mondes aus-
rechnen.
Um dieses Rechenexempol auszulühren, müssen wir diese Ent-
fernung r, selbst genau kennen. In einem der ersten Abschnitte der
gegenwärtigen Artikolfolge ist diese Entfernung allerdings nur in
roher Annäherung bestimmt worden. Aber durch die trigonometrischen
Betrachtungen unserer letzten feldmesserischcn Arbeiten am Himmel,
welche uns die relativen Entfernungs-Verhältnisse der Planeten und
die Form ihrer Bahnen genau ermitteln halfen, wird man die Gewiß-
heit geschöpft haben, dafs diese Methoden ein ganz vorzügliches Mittel
an die Hand geben, die wahre Entfernung des Mondes und auch der
anderen Himmelskörper in uns bekannten Maßeinheiten kennen zu
lernen. Wir brauchen ja zu diesem Ende nur zwischen zwei Punkten
der Erde, deren genaue Entfernung wir ausgemessen haben, eines
jener Dreiecke zu bilden, wie es Kepler zu den früher ausgeführten
Untersuchungen benutzte. Die beiden Visirlinien nach dem Monde
von diesen beiden Standpunkten aus bilden mit der gemessenen Ver-
bindungslinie zwischen denselben Winkel, deren Größe jederzeit zu
bestimmen ist. Man kennt also durch die Beobachtung drei Stücke
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653
des betreffenden Dreiecks und folglich auch alle übrigen: Eine der
Seiten des letzteren ist offenbar gleich der Entfernung des Mondes,
welche damit gefunden ist Sie beträgt 51 800 geographische Meilen
oder 384400000 m*).
Nach der vorher logisch entwickelten Formel erhalten wir also
die Schwerkraft in der Entfernung des Mondes:
_ 4.89 X 6 370 000 X 6 370 000 _
g| — 384' 400 0Ö0 X 384 400 ÖÖO U’UU130
Das heifst, ein Körper durchläuft infolge der Anziehungskraft
der Erde in der Entfernung des Mondes nur wenig mehr als ein
Millimeter, gegen 4.89 m auf der Erdoberfläche. Dies alles ist noth-
wendige Thatsache.
Es fragt sich nun, ob der Mond in Wirklichkeit in jeder Sekunde
um die soeben gefundene Gröfse gegen die Erde hin fällt, oder mit
anderen Worten, ob seine Dahn in der Weise gekrümmt ist, dafs er
in seinem durchschnittlich beschriebenen Kreise in jeder Sekunde um
0.00135 m von der geraden Linie, die als Tangente an diesen Kreis
gezogen ist, abweicht.
Wir haben früher gesehen, dafs man diese Abweichung der
geraden Linie vom Kreise (siehe Fig. 1) durch die Formel
v2
X"2r
finden kann, wo v die Länge der geraden Linie, also der Tangente,
bedeutet, deren Entfernung vom Kreise x an ihrem Endpunkte man
sucht Der Halbmesser des Kreises r ist in unsenn Falle gleich der
Entfernung des Mondes von der Erde. Die Länge v ist aber offenbar
(vergl. abermals die Fig. 1) gleich der Strecke, welche der Mond in
seiner Bahn im Laufe einer Sekunde zurücklegt, da doch auch die
Abweichung x für eine Sekunde gesucht wird. Völlig genau stimmt
allerdings diese Definition von v abermals nicht Sie gilt eigentlich für
die Gröfse s in Fig. 1. Wir sahen aber schon vorhin, dafs in diesem
Falle eine Verwechselung zwischen v und s durchaus berechtigt ist,
da wir für die Erdoberfläche bei einem v von 500 m Länge s nur um
2 cm verschieden fanden. Je gröfser aber r wird, je geringer wird
dieser Unterschied werden müssen.
*) Es sind hier überall mit Absicht nur runde Zahlen angegeben, aus
denen auch nur angenäherto Werthe der gesuchten Gröfsen zu finden sinct
Genaue Zahlen über dieso Verhältnisse, welche hier, wegen nothwendiger Weg-
lassung complicircnder Details, durch die Rechnung nicht gefunden werden
konnten, darf man defshalb in diesem Artikel nicht suchen. Jede beschreibende
populäre Astronomie giebt dieselben.
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654
Wie finden wir also nun den Weg v, welchen der Mond in seiner
Bahn in einer Sekunde zurücklegt? Die Aufgabe ist wieder sehr
leicht zu lösen. Wir dividiren einfach den Umfang der Mondbahn
durch die Anzahl von Sekunden, welche unser Trabant gebraucht, um
eben diese Hahn zu durchlaufen. Der Umfang jedes Kreises ist aber
gleich seinem Durchmesser 2r, multiplizirt mit der bekannten Zahl
— = 3.1416. Der Mond durchläuft, wie die direkte Beobachtung zeigt,
seine Bahn in 27 Tagen 7 Stunden 43 Minuten und 11.5 Sekunden
oder rund in 2 361 000 Sekunden. Wir wollen diese Zahl u nennen.
Wir haben also
2rs _ 4 r- r?
u ’ u-
also, indem wir diese Zahl in die vorhin aufgeschriebene Formel für
das gesuchte x einsetzen und die möglichen Kürzungen vornehmen
_ 2 r-'-’ _ 2 X 384 400 000 X 3.1416 X 3.1416
x— u* — 2 861000 X 2 861000
Die Ausrechnung ergiebt 0.00136 m, um welche, nach feld-
messerisch strenger Methode bestimmt, der Mond in der That per
Sekunde gegen die Erde hin von der geraden Fluglinie abweicht, d. h.
gegen die Erde hinfällt. Mit grofser Genugthuung sehen wir, dals
diese Zahl mit der vorhin aus dem Gesetze der quadratischen Abnahme
der Schwerkraft ermittelten bis auf ein Hunderttheil eines Milli-
meters übereinstimmt, eine Differenz, die bei Berücksichtigung ver-
schiedener hier nicht vorzubringender Nebenumstände ganz verschwin-
den würde. Es ist durch diese Uebereinstimmung der strenge Beweis
geliefert, dafs der Mond wirklich nur infolge der Schwerkraft seine
Bahn um die Erde beschreibt, ganz ebenso wie die Kanonenkugel,
die wir durch eine einmal auf sie wirkende Schleuderkraft von be-
stimmter Gröfse, im Geiste wenigstens, zwangen, über der Oberfläche
der Erde beständig als Satellit zu kreisen.
(Schilds folgt.)
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Der achte deutsche Geographentag.
Am 24., 25. und 20. April dieses Jahres versammelten sich in
Berlin die Theilnehmer des achten deutschen Geographentages. Der
Kongrefs wurde durch den Ehrenpräsidenten Staatsminister Exoellenz
Dr. von Qofsler mit einer Ansprache eröffnet, in welcher derselbe
namentlich auf die veränderte und gewichtige Stellung hinwies, welche
die Geographie im preußischen Unterrichtswesen in den letzten Jahren
erworben hat. Nachdem sodann Herr Geheimrath Dr. Hardeck aus
Karlsruhe die Versammlung begrüßt und ein kurzeB Bild der
bisherigen Arbeiten entworfen hatte, sprach Freiherr Professor
von Richthofen, als Vorsitzender des Ortsausschusses, über die zu-
künftigen Aufgaben des Geographentages. Nicht Spezialforschungen
seien in den Kreis der Vorträge hineingezogen, sondern wie die
Wissenschaft stets der wechselnden Zeitströmung folgen muß, so habe
man auch diesmal die Aufmerksamkeit auf jene allgemeinen Probleme
der physischen Erdkunde gelenkt, welche, wie die Frage nach den
geologischen Klimatcn, nach der Ursache der Eiszeit, der Stellung der
Geographie im Unterrichtswesen, die regste Theilnahme weiterer Kreise
erwecken dürften.
Die eigentlichen Sitzungen begannen mit einem überaus fesselnden
Vortrag des Herrn Dr. von den Steinen „über Erfahrungen
zur Entwicklungsgeschichte des Völkergedankens“. Aus
der reichen Fülle seiner, während der Heise durch Uentralbrasilien
und durch den Insel-Archipel des Südpacific angesammelten Beobach-
tungen gestaltete Redner ein klares, anziehendes Bild von dem Ent-
wicklungsgänge der Menschheit und zeigte in erschöpfender Dar-
legung, daß die Entstehung der Kulturvölker nicht an der geschicht-
lichen Entwicklung dieser selbst, sondern nur an den heutigen Natur-
menschen, den lebenden Geschöpfen in der freien Welt, erkannt wer-
den könne.
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65G
An zweiter Stelle sprach Herr Geheimrath Professor Neumayer
aus Hamburg1 „über das gegenwärtig vorliegende Material
für die erd- und weltmagnetisehe Forschung“. Auf diesem
Gebiete hat nicht allein die deutsche Wissenschaft seit den letzten
Jahrzehnten grofse Erfolge zu verzeichnen gehabt, sondern auch durch
den Wetteifer aller civilisirten Nationen ist in der Erkenntnifs des
erdmagnetischen Zustandes ein überaus wichtiger Fortschritt gemacht
worden. Alle Unternehmungen, wie die Polarexpeditionen, die mari-
timen magnetischen Forschungen des Challenger, der Gazelle und des
Yöringen, die magnetischen Landesaufnahmen der amerikanischen
Geodetic-Survey, die Beobachtungen auf den Observatorien und festen
Warten — sie alle bezwecken in erster Linie die genaue Feststellung
der erdmagnetischen Elemente, der Deklination, Inklination und Inten-
sität, sowie dio Ergründung ihrer Säkularveränderungen. Wenn man
sich auf dieses kleine Forschungsgebiet beschränkt und nicht weiter
auf die zwischen den Weltkörpem obwaltenden kosmischen Be-
ziehungen zurückgreift, so ergiebt sich schon jetzt aus dem Beobach-
tungsmaterial als besonders wichtiges, freilich negatives Ergebnifs,
dafs die erdmagnetische Theorie von Gauls dio Erscheinungen nicht
in vollem Umfange zur Darstellung bringt, — mit andern Worten, dafs
die Isogonen, Isoklinen und Isodynamen aus den 24 durch Beobach-
tung abgeleiteten Konstanten dieser Theorie sich nicht mit Sicherheit
bestimmen lassen. Zunächst mufs dem dringenden Bedürfnifs nach
weiterem Ausbau der Gau faschen Theorie durch den Mathematiker
abgeholfen werden, dann aber steht nach Mafsgabe des vorliegenden
Beobachtungsmaterials zu erhoffen, dafs die magnetischen Kräfte des
Erdballs der Wissenschaft nicht mehr all zu lange verborgen bleiben
werden.
In der nachmittags stattflndeuden Berathung über ein Denkmal
für Dr. Gustav Nacht igal, den Begründer der deutschen Geo-
graphentage, wurde dem Vorschläge des Freiherrn von Richthofen
gemäfs die Aufstellung einer Büste im Museum für Völkerkunde und
dio Errichtung eines Standbildes in seiner Vaterstadt Stendal be-
schlossen. Nach Erledigung dieser geschäftlichen Angelegenheit ent-
warf Herr Professor Kirchhoff aus Halle ein Bild von der jüngsten
Thätigkeit des Central aussch usses für wissenschaftliche
Landeskunde von Deutschland. Redner machte unter anderem
der Versammlung dio erfreuliche Mittheilung, dafs eine der wesent-
lichsten Arbeiten, die magnetische Aufnahme des Harzes, von Dr.
Eschenhagen nunmehr vollendet sei. Eine Abhängigkeit zwischen
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657
den alten geologischen Bruchlinien und der Verkeilung des irdischen
Magnetismus, wie sie vorher von Naumann für Japan erwiesen
wurde, liefs sich im Harzgebirge nicht feststellen. Dr. Eschenhagen
wird indefs seine Forschungen über den ganzen nordwestlichen Theil
Deutschlands ausdehnen, und durch Verbindung dieser mit ähnlichen
Veranstaltungen in Oesterreich -Ungarn dürfte unsere Kenntnifs des
Erdmagnetismus im Gebiete Centraleuropas eine bedeutungsvolle Be-
reicherung erfahren.
Die zweite Tagung wurde durch einen Vortrag des Herrn Pro-
fessor Penck (Wien) „über das Endziel von Erosion und
Denudation“ eröffnet. Redner gab zunächst Erklärungen mit Hülfe
mathematischer Betrachtungen über die verschiedene Wirksamkeit
des fliefsenden Wassers auf die Umgestaltung der Strombetten. Selbst
in den härtesten Felsboden arbeitet sich das fliefsende Wasser theils
durch Auswaschen theils durch Ausschleifen langsam ein, und je
stärker das Gefälle der Stromrinne ist, desto grörser ist die Ge-
schwindigkeit der Wassorabführung, von welcher sich wiederum die
mechanische Thätigkeit des Stromes, d. h. dessen Fähigkeit abhängig
erweist, Geschiebemassen fortzuführen und Schlammtheile schwebend
zu erhalten. Aber nicht nur bei den unmittelbar vom Gebirge herab-
kommeuden Gewässern, den sogenannten „Wildwässern“, wie die Isar,
bemerkt man die Wirkungen der Erosion und Denudation, — diese
müssen sich auch bei solchen Strömen kundgeben, welche, wie der
Rhein und die Weichsel, nur geringes Gefälle aufweisen und daher
im Gegensatz zu ersteren „Stillwässer“ genannt werden. Flüsse mit
einem Gefälle von 4 cm auf 1000 m gehören bereits zu den letzteren;
bei ihnen wird der grörstc Theil ihrer mechanischen Kraft zur Ueber-
windung des Reibungswiderstandes an den Uferrändem verbraucht,
wobei indefs gelegentlich doch verwitterte Theilchon mit fortgeschwemmt
und anderswo abgelagert w'erden. Ein Gefalle von 16 cm auf den Kilo-
meter bringt gerade noch die geringste direkte meclianischo Wirkung
auf ein Strombett hervor, sodafs dieses schliefslich in einen Beharrungs-
zustand gelangen mufs, wo die Schnelligkeit des Fliefsens im Gleich-
gewicht mit der Form und dem Widerstand des Bodens steht. Ist
dieses „untere Denudationsniveau“ bei der Gesamtheit aller die Erd-
oberfläche durchfurchenden Stromrinnen erreicht, so werden nur noch
schmale Felskämme und schroffe Bergpyramiden an den Wasserscheiden
übrig bleiben, während alle sonstigen Unregelmiirsigkeiten des Fest-
landes, Höhen und Tiefen, sich ausgeglichen haben müssen. Die schliefs-
liche Abtragung auch dieser Ruinen durch den Einflufs der Atmo-
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658
sphärilien ist das Ziel des langsam, aber rastlos thätigen Erosions- und
Denudationsprozesses.
Darauf ergriff Herr Prof. Brückner aus Bern das Wort zur
Behandlung des Themas .in wie weit ist das heutige Klima
constant ?- Die geographische Vertheilung der vorgeschichtlichen
Thier- und Pflanzenwelt im Gegensatz zu ihrer jetzigen Verbreitung,
sowie die allerorten beobachteten Spuren einer einstigen Vereisung
haben die Wissenschaft zu der Annahme geführt, dafs die nämlichen
Regionen der Erdoberfläche in den verschiedenen geologischen Epochen
unter dem Einflüsse wechselnder Temperaturverhältnisse gestanden
haben. Es friigt sich nun aber, ob derartige klimatische Schwankungen
von allgemeinerem Charakter und Umfang, die sich von den Witterungs-
schwankungen der Jahresperiode unterscheiden, noch heute bestehen
oder sich doch wenigstens für historische Zeiträume erweisen lassen.
Während der Geologe und Geograph diese Frage gern bejahen, hält
der Meteorologe die Beständigkeit des Klimas innerhalb gewisser
Grenzen für einen feststehenden Glaubenssatz. Nach den Ausführungen
des Redners liegen dagegen in der That eine Reihe von Wahr-
nehmungen vor, welche für eine noch jetzt andauernde Aenderung
des Klimas sprechen. Hierhin gehören die von Richter, Forel
und Lang in den Alpen beobachteten Gletscherschwankungen, sowie
die periodischen Höhenänderungen im Wasserspiegel des schwarzen
Meeres, der Ostsee und des Kaspimeeres, bei denen hydrographische
Untersuchungen erkennen liefsen, dafs der Wechsel im Wasserstande
mit Säkularschwankungen der meteorologischen Verhältnisse Hand
in Hand geht. Redner hat sich nun der Aufgabe unterzogen, den
Charakter dieser Kliraaschwankungen und ihre mulhmafsliche Perio-
dicität festzustellen durch Verarbeitung der Beobachtungen von mehr
als 600 meteorologischen und hydrographischen Stationen, welche
insgesamt das gewaltige Material von etwa 30 U00 Jahren umfassen
sollen. Als Resultat dieser Arbeit ergab sich, dafs die Jahre von
1840 — 50 regenreich waren, dafs um das Jahr 1860 eine allgemeine
Abnahme, dagegen schon um 1870 — 80 eine Zunahme der durch-
schnittlichen jährlichen Niederschlagsmengen eintrat. Wenn auch
keine genaue Uebereinstimmung der Eintrittsepochen für die ver-
schiedenen Gebiete vorhanden ist, so zeigt doch die genügende
Deckung der Maxima und Minima, so wie die deutliche Verschärfung
derselben gegen das Innere der Festlande, dafs man es hier mit
thatsächlichen Perioden zu thun hat. Ausnahmen hiervon bilden aller-
dings einige Gebiete Südeuropas und die Ostküste von Amerika,
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659
wo sich der Einflurs des atlantischen Oceans geltend zu machen
scheint. Besonders auffällig ist, dafs die Temporaturbeobacli-
tungen sich mit den Niedersehlagsboobachtungen decken, sodafs
trockenen Periodon auch warme, feuchten kalte entsprochen. Als
weiteres Hülfsmittel zur Ergründung der Klimaschwankungen hat
der Vortragende die Erträge der Weinernten in Frankreich und der
Schweiz herangezogen und auch hier seine Schlüsse bestätigt gefunden.
Jedenfalls ist die Feststelhuig des Verlaufes derartiger Klimaschwan-
kungen und die Aufdeckung ihrer zur Zeit noch dunklen Ursachen
für das gesamte Kulturleben der Menschheit von äufserst praktischer
Wichtigkeit.
Zu diesem Vortrage bemerkte Herr Prof. Hahn, dafs schon vor
Jahren von ihm und Herrn Prof. Fritz ähnliche Untersuchungen an-
gestellt seien, um eine Abhängigkeit der irdischen meteorologischen
Zustiindo von der 1 1 jährigen Sonnenfleckenperiode zu begründen.
Prof. Brückner erwiederte, dafs er bei seinen Arbeiten von wesentlich
anderen Gesichtspunkten ausgegangen und auch zu andern Resultaten
gelangt sei, da die Dauer der von ihm ermittelten Periode etwa 36
bis 37 Jahro beträgt.
Im Zusammenhänge mit dem vorigen Vortrag stand der folgendo
dos Herrn Prof. Part soh aus Breslau „über Klimaschwankungen
in den Mittelmeerländern“. Redner führte aus, wie die äufserste
Vorsicht am Platze sei, wenn man aus historischen Ueberlieferungen
über Aenderungen in der Vegetation und Wanderungen der Thierwelt
Schlüsse auf etwaigen Klimawechsel ziehen will. Die klimatischon
Verhältnisse seien nicht die einzigen maßgebenden Faktoren bei der
Verbreitung der Lebewesen und Vegetationsformen, oft käme hier
auch der Wille des Menschen als mitentscheidend in Betracht Indem
Redner die geschichtlichen Zeugnisse unter diesom kritischen Ge-
sichtspunkte prüfte, kam er zu der Ueberzeugung, dafs in historischen
Zeiten merklicho Klimaänderungen im Mediterrangobieto nicht statt-
gefunden haben.
Alsdann theilte Herr Dr. Götz aus München kurz die Ergebnisse
seiner Untersuchungen über „die dauernde Abnahme dos
fliefsenden Wassers auf dem Festlands“ mit. Den Grund
für die langsame Verminderung des irdischen Wasserreichthums er-
blickt der Vortragende in der unausgesetzten Erzeugung von Wasser
verbrauchender Humusmaterie, sowie in der Bildung von Hydraten
beim Verwitterungsprozefs der Gesteine. Immerhin sei aber zum
Himmel und Erde. I. II. 47
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660
Glück für die Menschheit die Gefahr einer Austrocknung noch auf
Jahrtausende hinaus nicht zu befürchten.
In der Nachmittagssitzung desselben Tages sprach der Landes-
geologe Herr Ur. Wahnschaffe „über die Bedeutung des
Baltischen Höhenrückens für die Eiszeit.“ Redner führte
aus, wie der ältere Gesteinskern dieser Bodenerhebung unseres nord-
deutschen Flachlandes zur Zeit der Vergletscherungen für die von
Norden vordringenden Eisströme ein Hindernifs abgeben mufste, an
dem sich die gewaltigen Eismassen aufstauten und so Veranlassung
zu beträchtlichen Scliicklenstürungen und an Bergabhängen beob-
achteten Ueberkippungen wurden. Andererseits bewirkten sie durch
die Ablagerungen des vorwärts geschobenen Steingerölles umfang-
reiche Diluvialaufschüttungon und die Bildung der sogenannten
„Grundmoränen“, welche als charakteristische Zeugen einer einstigen
Vereisung unserer norddeutschen Ileimath an vielen Orten des Bal-
tischen Höhenzuges erhalten sind. Ausflüge nach den Rüdersdorfer
Kalksteinbrüchen und nach Chorin boten den Mitgliedern der Ver-
sammlung Gelegenheit, die dort befindlichen Spuren der Eiszeit in
Augenschein zu nehmen; an erste rem Orte waren es namentlich die
von der Bergbauverwaltung frisch aufgedeckten Gletscherschliffe und
Gletschertöpfe, am letzteren dio Moränenbildung, welche das Interesse
auf sich lenkten. In dem sich anschliefsenden Vortrage „über
Glacialerscheinungen in Südafrika“ zeigte Herr Dr. Schenck,
dars für dieses Gebiet Spuren einer diluvialen Eiszeit und früheren
Meeresbedeckung nicht nachweisbar sind, nur in der Karooformation
finden sich Conglomerate , welche die Thätigkeit des Eises er-
kennen lassen.
Ein Problem von mehr theoretischer Tragweite behandelte Herr
Dr. v. Drygalsky aus Berlin in seinem Vortrage „über die Be-
wegungen der Continente zur Eiszeit und ihren Zusammen-
hang mit den Wärmeschwankungen der Erdrinde“. Die
Frage nach der Entstehung der Niveauänderungen zwischen Festland
und Meer beim Uebergang der Tertiär- zur Glacialperiodc ist, wie
Redner bemerkte, eine brennende geworden, seitdem Suefs und die
neuere Forschung L. v. Buchs Elevationstheorie verlassen und zur
Erklärung in grofsem Mafsstabe sich vollziehende Schwankungen der
Weltmeere geltend gemacht haben. Da aber zur Stütze der letzteren
Anschauung keine stichhaltigen wissenschaftlichen Belege erbracht
werden können, hat Redner den Versuch gemacht, die Höhenände-
rungen der Festlande mit einer allseitig anerkannten Kraftäufserung
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661
unseres Planeten, der Zusammenziehung durch die fortschreitende
Abkühlung, in Beziehung zu setzen. Auf die Einzelheiten dieser
Theorie näher einzugehen, können wir uns hier versagen, weil die
Veröffentlichung einer gröfseren Arbeit übor diesen Gegenstand vom
Redner in Aussicht gestellt worden ist.
Herr Prof. Reyer aus Wien, der einen Vortrag „über Typen
der Eruptivmassen und Gebi rgsty pen mit Demonstrationen“
angekündigt hatte, war wegen Kürze der Zeit zu einer wesentlichen
Einschränkung dieses interessanten Themas gezwungen. Durch Vor-
führung einer stattlichen Anzahl geologischer Karten , Durchschnitte,
Photographien und farbiger Wandbilder unterstützte er seine Erläute-
rungen über den inneren Bau und die Schichtungsverhältnisse des
Erdballs und erörterte in anschaulicher Weise, wie die experimentelle
Geologie durch Versucho mit plastischen, zähflüssigen Substanzen
(Thon und Seifenfladen) über die Entstehung der Pressungen, Ver-
werfungen und Faltungen in den Gebirgsmassiven Licht verbreitet hat
Herr Überberghauptmann Dr. Iluyssen berichtete „über den
gegenwärtigen Stand der Frage nach den Wärmeverhält-
nisson des Erdinnern“. Bei früheren Temperaturmessungen der
Erdrinde hat man mit Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt, deren
theilweise Beseitigung nunmehr der Technik durch Anwendung eines
neuen Bohrverfahrens gelungen ist. Bei Herstellung des Bohrloches
zu Schladebach, des gegenwärtig tiefsten der Erde, wo man sich
dieses Verfahrens bediente, hat man denn auch durchaus günstigere
Resultate erzielt, als bei Sperenberg, wo noch die ältere Methode
benutzt wurde. Es hat sich hierbei ergoben, dafs die mittlere geo-
thermische Tiefenstufe nicht zu 40“ für 1°R., wie früher, sondern
etwas gröfser zu 4G “ anzusetzen ist, ferner dafs eine regelmäfsige
Wärmezunahme mit der Tiefe nur in ganz gleichgestalteten Erd-
schichten angetroflen wird. Ueberall da, wo ein Wechsel im durch-
bohrten Gesteinsmaterial stattflndet, wird das veränderte Leitungs-
vermögen Unregelmäfsigkeiten im Gange der Wärmezunahme
bedingen , welche noch verstärkt werden durch das unablässige
Hinzuströmen bald wärmerer, bald kälterer Quellwässer. Es ist
daher erklärlich, dars dio für die einzelnen Bohrlöcher gefundenen
Zahlenwerthe erheblich von einander abweiohen, dafs z. B. die geo-
thermische Tiefenstufe in dem wasserdurchlässigen und leioht Wärme
leitenden Steinsalzlager zu Sperenberg sich zu 40“ ergab, während
bei Schladebach , dessen Untergrund schlechtes Leitungsvermögen
besitzt, für diese Gröfse 46,9 “ gefunden wurde.
47'
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G62
Herr Prof. Jordan aus Hannover hielt hiernach einen Vortrag
„über die Methode und Ziele der verschiedenen Arten von
Höhenmessungen“, in welchem er die gegenseitige Werthstellung
der drei gangbaren Verfahren der Höhenmessung, des Nivellements, der
trigonometrischen und barometrischen Messung eingehend erörterte.
Sohliefslich sprach Herr Dr. Böhm aus Wien „über die Genauig-
keit orometrisoher Mafsbestimmungen“ auf Grund eigener
Untersuchungen des Uachsteingebirges.
Die letzte Sitzung war wiederum geschäftlichen Angelegenheiten
gewidmet, sowie der Wahl des nächsten Versammlungsortes, für den
auf Vorschlag Prof. Pencks für das Jahr 1891 Wien in Aussicht
genommen wurde. Dr. P. Sch wahn.
*
Mittlere Höhe der Kontinente und mittlere Tiefe der Meere.
Von F. S. Archonhold.
Unter Berücksichtigung aller bekannten Landhöhen- und Meertiefen-
Messungen hat Herr General A. von Tillo im „Bulletin de la Societe de
Geographie de Russio du 8. decerabre 1888“ folgende Werthe*) für
die mittlere Höhe der Festlande und mittlere Tiefe der Meerestheile
abgeleitet
Mittlere Höhe
Meter
von Europa 317
„ Asien 957
„ Afrika 612
„ Nordamerika 622
„ Südamerika Gl 7
„ Australien 240
der Kontinente der nördlichen Halbkugel . . . 713
,, ., „ südlichen Halbkugel . . . 634
aller Kontinente über dem Meerespiegel . 693
Mittlere Tiefe
Meter
des Stillen Ozeans 438Ü
,. Atlantischen Ozeans .... 4022
., Indischen Ozeans 3674
„ Nordmoeres 3627
., Südmeeros 3927
der gosamten Meere .... 3803
•) Comptcs Rendus 1889 T. CV1H No. 2.i S. 1324.
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603
Diese Zahlen gewähren uns einen interessanten Einblick in die
Gestaltung« Verhältnisse der Erdoberfläche. Sie zeigen uns, dafs die
mittlere Höhe sämtlicher Kontinente 5*/2 mal geringer ist als die mitt-
lere Tiefe aller Meere. Hieraus folgern wir ohne weitoros, da sich
der Flächenraum der Festlandsmassen der Erde und der Ozeane be-
kanntlich wie 1 : 2.76 oder annähernd wie 3 : 8 verhält, dafs sich die
Volumina der Kontinente über dom Meeresspiegel zu denen der Ozeane
wie 1 : 16 verhalten. Man könnte also die über der Meeresfläche her-
vorragenden Festlandsmassen 15 mal infolge unserer Rechnung in dio
ozeanischen Wassermassen hineinschütten. Würden alle Unebenheiten
dor Kontinente wirklich abgetragen und ins Meer versenkt worden,
so würde sich die Tiefe des Meeres doch nur um 250 m verringern.
Dor grofse Unterschied der Tilloschen Zahlen von den bisherigen
bestbestimmten Angaben, 440 m für dio mittlere Höhe dor Kontinente
von Dr. Leipoldt und 3440 m für die mittlere Tiefe des Ozeans von
Prof. Krümmel, darf uns nicht befremden, da seit den Leipoldt-
Krümmelschcn Berechnungen*) nicht allein die Höhenmefs- und
Tiefseeloth-Apparate eine grofso Vervollkommnung erfahren, sondern
auch die erforderlichen Messungen in der Neuzeit eine ungeahnte Aus-
dehnung erlangt haben.
Erscheinungen ain Sternenhimmel Im Monat August-September.
, (Sämtliche Zeitangaben gelten für berliner Zeit)
i. Der Mond.
18. August Letztes Vicrtoi
21. w Erdferne
2G. , Neumond
2. Sept. Erstes Viertel
6. „ Erdnähe
0. „ Vollmond
Maxima der Lihration: 28.
Aufgang
10h 30 Ab.
Mittern.
4 23 Mg.
1 18 Nm.
5 34
7 0 Ab.
Untergang
lh 17“ Nm.
4 25 .
7 2<i Ab.
9 58 „
0 38 Mg.
1 4» ,
Aug., 11. Septembor.
•) Nach den Lcipoldt-Krümmolschon Daten verhalten sich dio Volu-
mina der Fcstlande Uber dem Meeresspiegel zu donen der Ozeane wie 1 : 21,
so dafs hiernach durch eine Versenkung aller Unebenheiten der Kontinente
ins Meer dio Tiefe des letzteren nur um IGO m abnehmen würde.
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664
2. Die Planeten.
Merkur
Venus
Rectas.
Declin.
Aufg. ,
Unterg.
Rectas.
Declin. 1 Aufg.
j Unterg.
17. Aug.
10»27m +11*20'
5k 39» Ip.
"h 47® Ab.
Gk 54®|+21* 12' 1" 3®lg.
15® Nn
21- .
10 53
+ 8 21
6 5 „
7 41 .
7 18
+20 53 1 9 . |
5 18 .
25. .
11 18
+ 5 20'
0 31 .
7 83 .
7 33
+20 34 1 15 .
5 18 .
29. .
11 41
+ 2 20
6 54 „
7 26 .
7 52
+20 0 1 21 „
5 19 .
2. Sept.
12 3
— 0 35
7 15 .
7 17 _
8 12
+19 21 I 29 „
5 19 .
G. .
[12 23
— 3 23
7 34 „
7 6 .
8 31
+18 31 1 38 .
5 16 .
10. .
12 43
- 6 2
7 52 .
6 56 „
8 50
+17 33 1 1 48 .
5 14 .
14. „
13 0
|— 8 30 j
8 7 .
16 45 .
9 9
+16 27 1 58 . ,
5 10 .
10. Sept, Sonnenferne.
M
a r s
Jupiter
i
Rectas.
Declin.]
Aufg.
Unterg.
Rectas.
Declin. j
Aufg.
Unterg.
17. Aug.
8k 37»
+19*40' 2k 59» Ip.
Gh 51m?f«.
17h54»
—23*24'
4b23»J«.
1 1» 57» 14.
23. „
8 53
+ 1841 12 57 »
6 37 „
17 53
—23 25
3 58 . 1
1 1 32 .
29. .
9 9
+ 17 38
2 56 „
6 22 .
17 53
—23 26 | 3 35 .
11 9 .
4. Sept.
9 24
+ 16 31
2 54 „
6 6 .
17 54
-23 27
3 12 .
10 46 .
10. „
9 39
|+15 20 1
2 52 „
5 50 .
17 55
—23 28
2 49 .
10 23 .
16. . 1
9 54
1+14 G1'
2 51 „ 1
5 35 „
17 57 1
—23 28*
1 2 27 .
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Saturn
Uranus
Rectas.
Declin.;
Aufg.
Unterg.
Rectas.
Deelin.
Aufg.
] Unterg.
13. Aug.
9h 15» i 14’4S
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7h41®3m.
13kl 1»
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13 12
— 6 59
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1 6 46 .
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— 7 8
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6. Sopt.
9 56
+13 49 1
3 38 „
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13 15
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14. Aug. |
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+ 19 26
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13. Sept j
4 12
+ 19 26
8 47 „ | 0 39 ,
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665
3. Beobachtbare Verfinsterungen der Jupitertrabanten.
lß.
Aug.
I. Trab. Verfinst. Austritt
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48® Ab.
31.
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»»
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34 .
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Sept.
I.
*1
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7
2 .
15.
I.
„
„
8
57 .
4. Sternbedeckungen durch den Mond.
(Zwischon dem 15. Aug. und 15. Sept. finden keine in Berlin sichtbare Stern-
bedeckungen statt.)
5. Veränderliche Sterne,
a) Maxirna variabler Sterne:
Maximum
Helligkeit
im
1889
am
Max.
Min.
Rectas.
Deel in.
R Arietis
7. Sept.
7.8®
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2k
9® 48« + 24“
32'
U Monoc.
19. Aug.
6
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33
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18. „
6
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56 + 35
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26. .
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13
11
58
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24
T Ursae maj.
5. Sept.
7
12
12
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20 + 60
6
R Bootis
2- „
6
12
14
32
17 + 27
13
R Lyrae
5. „
4.3
4.6
18
51
57 + 43
48
R Vulpec.
11. .
7.8
13
20
59
28 + 23
83
U Cephoi .
Algol
5 Librao
U Coronae .
U Ophiuchi
Y Cygni .
T Monoc. .
ß Lyrao
rj Aquilae .
$ Cephei .
b) Minima der Storno vom Algol-Typus:
. 16., 21., 26., 31. Aug., 5., 10., 15. Sept Morg.
. 16., 22. Aug. Mg., 27. Ab., 2. Sept Nra., 8. Mg., 14. Mg.
. 19. Aug. Nm., 24. Vra., 28. Mttn., 2. Sept. Nm., 7. Vm., 11. Ab.
. 20. Aug. Mg., 27. Mg. 3. Sept. Mg., 9. Ab.
. (Jedes 4. Min.): 18. Aug. Mg., 21. Vm., 24. Ab., 28. Mg., 31. Mitt,
3. Sept. Ab., 7. Mg., 10. Nm., 13. Ab.
. (Jedes 3. Min.): 18. Aug. Nm., 23. Mg., 27. Nm., 1. Sept. Mg.,
5. Nm., 10. Mg., 14. Nm.
c) Minima einiger Veränderlicher kurzer Periode:
. 31. Aug., 27. Sept.
. 29. Aug., 11. Sept.
. 22., 29. Aug., 5., 12. Sept.
. 18., 24. 29. Aug., 3., 9., 14. Sept.
6. Meteoriten.
Der Monat September ist für Sternschnuppenbeobachtungen nicht be-
sonders wichtig. Einige Aufmerksamkeit in den letzten Tagen des August
verdient nach Denning das Auftreten von Meteoriten aus der Himmelsgegend
hei t Aurigae, etwa 3 Grad östlich von diesem Stern. Diese sporadischen
Sternschnuppen sind nur in den Morgenstunden beobachtbar. (Radiant hei
AR = 76°, D = -f 33°).
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666
7. Nachrichten über Kometen.
Der Barnard’sche Septemberkomet zeigt nach einer Beobachtung vom
3. Juni eine neue gegen dio Sonne gerichtete Ausstrahlung, eine bei der bereits
grofsen Entfernung des Kometen sehr bemerkonswortho Erscheinung. — In der
Nacht vom 23. zum 24. Juni hat Barnard einen neuen Kometen im Stembilde
der Andromeda gefunden. Der Komet war schwach und hatte eino nördliche
Bewegung.
t
Astronomisch-photographischer Congrefs. Die Astronomen, welche
sich zur Theilnahine an den Arbeiten betreffs der photographischen Aufnahme
des Himmels entschlossen haben, werden am 15. September in Paris zu einer
abermaligen Berathung zusammentreten. Hauptsächlich wird über die Gröfse
der Platten verhandelt worden. Auf Gills Vorschlag sollen auch schon die
Fragen über die Vcrthoilung dos Himmels an die theilnchmenden Observatorien,
über dio Gattung der Platten, und über die Controlo der Exposition, welche zur
Erreichung der Aufnahmen der einzelnen Grüfsenklassen von Sternen noth-
wondig ist, erörtert werden.
Vorlag von llormann l’aetel in Berlin. — Druck von Wilhelm Gronau's Buchdruckcrei ln Berlin.
Für dio Rodaction verantwortlich : Dr. M. Wilhelm Moyer in Berlin.
Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt
Uebersetxungsrecht Vorbehalten.
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Ueber die Bedeutung der photographischen Methoden in
der Astronomie.
Von Dr. J. Silieiner.
Astronom »m astrophysikalischon Obsonratorium bol Potsdam.
V (Schlufs.)
H ine getreue Wiedergabe einer Pariser Stemaufnahme, eine Stelle
•*fc, des Himmels aus dem Sternbilde dos Schwans darstellend, ist
auf Seite 669 beigefügt; sie kann als eine der besten Stern-
aufnahmen gelten, welche bisher überhaupt erhalten worden sind. Es
ist auf dieser Aufnahme kein Stern enthalten, der mit blofsem Auge zu
sehen wäre, die schwächsten Sterne, welche auf dieser Reproduktion zu
erkennen sind, mögen etwa der 12. bis 13. Oröfsenklasse angehüren, das
Original -Negativ enthält noch fast die doppelte Anzahl von ganz
schwachen Sternen bis zur 14. Gröfse, die wogen ihrer Feinheit auf
der Kopie nicht mehr mitgekommen sind. Am besten dürfte dem
Leser eine Anschauung von dom Sternreichthum, der auf dieser
Photographie vorhanden ist, gegeben werden, wenn wir bemerken,
dafs eine derartige Aufnahme über den ganzen Himmel ausgedehnt,
etwa 20 bis 30 Millionen Sterne umfassen würde! Nur die Vor-
stellung, wirklich dermaleinst eine solche Karte des Himmels zu be-
sitzen, mufs jeden Astronomen auf das höchste erfreuen; ist doch
schon die Astronomie mit Recht stolz auf die Katalogisirung und
Mappirung des für uns benutzbaren Theiles des Himmels, vom Nordpol
bis zum 23ten Grade südlicher Deklination, die in einer langen Reihe von
Jahren mit fast unglaublichem Fleifse und gröfsester Ausdauer auf der
Bonner Sternwarte hergestellt ist, und unter dom Namen der Bonner
Durchmusterung für alle Zeiten ein Denkmal astronomischen Schaffens
Himmel und Erde. I. 12. 13
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668
bleiben wird. Diese Durchmusterung umfafst auf dem angegebenen
Theile des Himmels die Anzahl von nahe einer halben Million Sterne
bis etwa zur 10. Grörsenklasse.
Die Ausführung einer photographischen Karte über den ganzen
Himmel ist nicht ein leeres Hirngespinst mehr, sie ist bereits vor
zwei Jahren auf dem Pariser Astronomen -Kongresse als ein inter-
nationales Unternehmen der grofsartigsten Art beschlossen worden,
und die hierfür bestimmten Instrumente, nach den oben angedeuteten
Prinzipien konstruirt, sind bereits in der Ausführung begriffen oder
schon vollendet Auch Deutschland, speziell das Potsdamer Ob-
servatorium, wird sich an dieser Arbeit betheiligen.
Es ist keine Frage, dafs mit der Uebernahme dieser Arbeit eine
neue Epoche der Fixsternastronomie beginnt Wenn wir von der Be-
deutung, die eine derartige Himmelskarte schon allein als Orientirungs-
mittel am Himmel beim Aufsuchen kleiner Planeten, bei der Unter-
suchung über neue Sterne, eventuell auch bei der noch immer nicht
positiv zu beantwortenden Existenzfrage eines transneptunischen Pla-
neten besitzt, auch gänzhch absehen, eröffnet sich dennoch in weiter
Perspektive ein Arbeitsfeld von hoher Bedeutung, dessen wesentliche
Früchte aber erst unsere Nachkommen ernten werden. Wir meinen
die Erforschung der Konstitution unseres Fixsternsystems.
Dieser Zweck kann aber nicht durch die Karte selbst erreicht
werden oder wenigstens doch nur unvollkommen, hierzu ist eine Aus-
messung der Aufnahmen nöthig. Die Arbeit, die sämtlichen Sterne
der Himmelskarte, also etwa 60 bis 40 Millionen auszumessen, ist eine
so enorme, dafs selbst der Fleifs des Astronomen davor zurück-
sohreckt; sio würde in absehbarer Zeit nicht auszuführen sein. Da-
gegen ist man fest entschlossen, einen Theil der Sterne, nämlich die-
jenigen bis zur 11. Gröfse auszumessen und zu katalogisiren, mit
einer Genauigkeit, die diejenige der Meridianbeobachtungen wohl
noch etwas übertrifft. Der „photographische“ Sternkatalog würde
alsdann etwa 3 Millionen Sterne enthalten, die mit gröfster Genauig-
keit festgelegt wären, ein kaum zu fassender Fortschritt gegen
unseren jetzigen Standpunkt, da die Anzahl der im Meridian be-
stimmten Sterne auch nach Fertigstellung des grofsen, seit etwa
25 Jahren in Arbeit befindlichen Zonenuntemehmens 200,000 nicht
übersteigen dürfte. Ein solcher Katalog wird in seinen Folgen von
völlig umgestaltendem Einflüsse auf die meisten astronomischen Unter-
suchungen sein, besonders auch dann, wenn gleichzeitig die Hellig-
keit der Sterne mit bestimmt wird. Dafs unsere Naclikommen erst
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669
den Hauptnutzen hiervon haben werden, weil einerseits die Fertig-
stellung des Katalogs Jahrzehnte in Anspruch nehmen dürfte, anderer-
seits die wesentlichsten Resultate erst aus einer späteren Wieder-
holung der Arbeit nach 50 oder 100 Jahren zu erhalten sein werden,
kann den Eifer und die Freude an dieser Arbeit nicht erlahmen
Copic einer Himmelsphotographie aus dem Sternbilde des Schwans
lassen; der Astronom ist an derartige Arbeiten gewöhnt: serit arbores
quae prosint saeclo altero.
Es ist bei Gelegenheit eines Aufsatzes im 4. Hefto dieser Zeit-
schrift, über die Ermittelung der Eigenbewegungen der Fixsterne im
48*
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670
Visionsradius, bereits auf die Wichtigkeit des in Krage tretenden
Punktes hingewiesen worden, und wir dürfen wohl kühn behaupten,
ilafs vielleicht hier wie da die Photographie den Schlüssel zu den
Kiithseln der Sternenwelt dem Astronomen aushiindigen wird.
Außerhalb der im Verhältnifs zum unendlichen All engbegrenzten
Kixsternwelt vertheilt sich nun die Welt der Sternhaufen und Nebel-
flecke, zum Theil selbst solche Fixsteminseln bildend, wie diejenige,
der unser Sonnensystem angehört, zum Theil ein Chaos gasförmiger
Materie darstellend. Zu Tausenden sind sie am Himmel zerstreut,
mannigfach an Form und Helligkeit, dem blofsen Auge sichtbar und
nur dem stärksten Fernrohr sich erschliefsend. Ehe noch der Astro-
nom die Zusammensetzung des eigenen Fixsternsystems gefunden hat,
will er auch schon die Nachbarwelten ergründen, indem er hofft, durch
Messung und Zeichnung Veränderungen in diesem Gebilde nachweisen
zu können. Aber die Ausmessung von Sternhaufen ist eine mühsame
und langwierige Arbeit und diejenige von Nebelflecken ist wegen der
Verwasclienheit und Lichtschwäche dieser Objekte nur bei wenigen
Exemplaren auszuführen. Auch hier tritt die Photographie epoche-
machend zur Hülfe und zwar ganz besonders bei den eigentlichen
Nebelflecken. Sie zeigt hier weit mehr, als das Äugt; erblicken
kann; sie zeigt es nicht blos, sondern sie hält es auch auf der Platte
fest als untrügliches Dokument für spätere Zeiten; die Ausmessung
einer photographischen Aufnahme eines Nebelflecks bereitet nicht
entfernt die Schwierigkeiten, wie diejenige einer direkten Messung
am Himmel und ist von unvergleichlich grüfserer Genauigkeit als die
letztere.
Es ist wirklich interessant, die Zeichnungen mit einander zu
vergleichen, die von demselben Nebelfleck von verschiedenen Astro-
nomen oder an verschiedenen Instrumenten erhalten worden sind. Sie
sind gemacht worden, um Veränderungen im Nebel konstatiren zu
können, aber sie zeigen zuweilen solche Unterschiede, dufs es gar
nicht möglich ist, dasselbe Objekt in ihnen zu erkennen.
Es war bekanntlich lange Zeit hindurch eine Streitfrage, ob der
berühmte Spiralnebel in den Jagdhunden wirklich eine spiralförmige
Anordnung seiner Tlieile hat, oder ob dies nur auf Täuschung be-
ruht; eine einzige photographische Aufnahme mit einem verhältnifs-
mäfsig sehr kleinen Instrumente vermochte diese Krage, die vorher
nur dio stärksten Instrumente mit Sicherheit entscheiden konnten,
ohne weiteres dahin zu beantworten, dafs thatsächlich der Nebel spiral-
förmig gewunden ist. Besonders bei den chaotisch gestalteten
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671
schwächeren Nebeln ist eine photographische Aufnahme von gröfserer
Bedeutung, als alle vorhergehenden mit gröfster Anstrengung und
Mühe gefertigten Zeichnungen.
Es giebt Sterne, die gleichsam wie in einer Atmosphäre ein-
gehüllt erscheinen, die, sei es zufällig, sei es in physischem Zusammen-
hang, sich in einem Nebel resp. auf demselben projizirt zeigen. Nur
wenige solcher Nebelsteme waren bis vor kurzem bekannt, die Photo-
graphie hat jetzt schon eine ganze Anzahl neuer derartiger seltsamer
Gebilde entdeckt, so z. B. die berühmten Nebel in den Plejaden, die
theilweise allerdings auch, nachdem einmal ihre Existenz bekannt
ist, mit grofsen Instrumenten direkt wahrgenommen werden können.
Das Auge wird durch den Stern geblendet, so dafs es unempfäng-
lich für die schwachen Lichteindrücke in der Nachbarschaft wird, die
photographische Platte hat nicht unter diesem physiologischen Uebel
zu leiden.
Als bestes Beispiel für die Leistungen der Photographie auf dem
Gebiete der Nebelflecke wollen wir eine Aufnahme anführen, die neuer-
dings Roberts bei einer Expositionszeit von 4 Stunden vom Andro-
meda-Nebel erhalten hat. Diese Aufnahme zeigt innerhalb des dem
blofsen Auge sichtbaren Nebels eine Anordnung der Nebelmaterie,
welche die Anschauung, die man nach dem bisherigen Anblicke dieses
Nebels von seiner Konstitution haben mufste, völlig umwirft und da-
für eine neue, sehr viel verständlichere setzt. Der Nebel besteht aus
einer Reihe von konzentrischen Ringen, die einen hellen Nebelknoten
umgeben, und gegen welche wir schräg hineinsehen. Es ist eine
Ihatsächliche Aehnlichkeit mit dem Anblicke Saturns vorhanden; auch
planetcnartige Verdichtungen, die man früher als isolirte Nebel betrachtet
hatte, vervollständigen das Bild eines Nebels, der, vollkommen passend
mit der Kantschen Weltbildungshypothese, in der Entwickelung zu
einem Sonnensystem begriffen ist
Die erfolgreiche Anwendung der Photographie auf die Nebelflecke
ist noch sehr jungen Datums, es sind noch kaum Messungen ange-
stellt, und doch läfst sich schon jetzt ohne Uebertreibung sagen, dafs
sie einen ähnlichen Aufschwung in der Astronomie der Nebelwelt
hervorbringen wird, wie ihn Herschel durch seine klassischen Arbeiten
geschaffen hat.
Wenn wir uns nun zu dem zweiten Gebiete der Astronomie wenden,
auf welchem die Photographie in hervorragender Weise den Beobachter
unterstützt, zur Spektralanalyse, so möchten wir in erster Linie auf
die bereits im vierten Hefte dieser Zeitschrift ausführlich dargelegten
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672
Errungenschaften verweisen, die bei der Ermittelung der Bewegung
der Sterne im Visionsradius durch die Anwendung der Photographie
erreicht worden sind. Es würde dies allein genügen, um die Bedeutung
der Photographie für die Spektralanalyse zu beweisen, der \ ollstän-
digkeit halber müssen wir aber auch auf andere photographisch-spektral-
analvtische Arbeiten eingehen, doch dürfte es im Hinblick auf den
erwähnten Aufsatz nicht erforderlich scheinen, die Gründe, welche den
Vortheil der photographischen Methode bedingen, hier auseinander-
zusetzen.
Es wäre hier zunächst dio photographische Darstellung des
Sonnenspektrums von Kowland zu nennen, die das ganze sichtbare
Spektrum von B bis H umfafst, und sich auch noch weiter in das
Ultraviolett hinein erstreckt. Die Genauigkeit, mit welcher in diesem
Spektrum die Lage der einzelnen Linien bestimmt ist, ist zwar jeden-
falls nicht gröfser, sondern eher geringer als diejenige in der bis dahin
umfangreichsten Darstellung des Sonnenspektrums, welche auf dem
Potsdamer Observatorium angefertigt worden ist; auch der Reichthum
an Linien ist nur ganz unbedeutend gröfser; der Vorzug dieser
photographischen Darstellung liegt auf einem anderen Felde, nämlich
in der Treue, mit welcher die Stärke und das Aussehen der Linien
wiedergegeben ist, eine Treue, die eben auf keine andere Weise er-
reicht werden kann, und die in gewissen Fällen die gröfste Wichtig-
keit besitzt.
Die Beobachtung und Messung eines Fixsternspektrums am
Himmel ist unstreitig eine der schwierigsten Aufgaben der Beobach-
tungskunst, wegen der Lichtschwäche und der flatternden Bewegungen
des Spektrums. Bei den genannten Messungen, welche bis jetzt an
Spektren heller Sterne erhalten wurden, hat man im günstigsten Falle
eine Genauigkeit erreicht, welche etwa dem sechsten Theile des Ab-
standes der beiden D-Linien entspricht, und nur ganz wenige Spektra
sind thatsächlich mit dieser Genauigkeit gemessen. Mit Hülfe der
Photographie aber kann man nunmehr sehr viel stärkere Dispersionen
anwenden, so starke, dafs bei Betrachtung mit dem Auge wegen der
Lichtschwäche des Spektrums nicht mehr die Spur einer Linie zu er-
kennen ist; die photographische Platte aber registrirt sie alle und
gewährt nachher ein Spektrum, dessen Linienreichthum bei sonnen-
ähnlichen Sternen den bis vor wenigen Jahren besten Darstellungen
des Sonnenspektrums selbst von Ängström nur sehr wenig nachsteht.
Die in Ruhe auszuführende Messung dieser Linien gewährt eine
Genauigkeit, welche die vorhin bei Stemspektren angegebene um
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673
das 10- bis 20 fache übersteigt und den feinsten Messungen am Sonnen-
spektrum sehr nahe kommt Dooh dies, was wir hier eben berichten,
ist noch allemeuesten Datums und befindet sioh augenblicklich über-
haupt erst auf dem Potsdamer Observatorium in Arbeit Verfasser
hofft später einmal dem Leser über die Resultate dieser von ihm
unternommenen Arbeit ausführlicher berichten zu können.
Es sind auch schon anderwärts photographische Aufnahmen von
Sternspektren bei stärkerer Zerstreuung aufgenommen worden —
allerdings ist man dabei noch nicht so weit gegangen wie in Potsdam
— bei deren Ausmessung man jedenfalls schon eine sehr bemerkens-
werthe Genauigkeit erreicht haben würde; es ist aber über die Aus-
messung solcher Spektra nooh nichts verlautet Es läfst sich bei
dieser Gelegenheit eine Bemerkung schwer unterdrücken über eine
gewisse Gefahr, welche die Photographie durch ihre Anwendung in
die Astronomie hineinbringt. Es kann nicht genug betont werden,
dafs es nur die grofse Exaktheit und die strenge Anwendung der
Mathematik gewesen ist und noch ist welche die Astronomie auf ihren
erhabenen Standpunkt gebracht hat Die blofse Betrachtung durchs Fern-
rohr hat noch niemals viel Nutzen gebracht, sondern nur die Messung
und ihre nachherige rechnerische Verwerthung. Die Freude aber,
man möchte sagen, ein gewisses ästhetisches Behagen, welche das
Gelingen einer coelestischen Photographie gewährt, und gleichzeitig
der Gedanke, dafs eine solche Aufnahme ja späterhin zu jeder Zeit
eine Ausmessung erlaubt verleitet zu dem Streben, immer mehr Auf-
nahmen anzufertigen, und sich mit dem Messen nicht zu befassen. Eine
nicht ausgemessene Photographie einer Himmelsregion hat aber meistens
wissenschaftlich keinen gröfseren Werth als ein unabgelesener Re-
gistrirstreifen, und ein derartiges Verfahren widerspricht den Grund-
prinzipien der Astronomie. Es mufs wohl bedacht werden, dafs dio
Anwendung der Photographie in der Astronomie auf die Dauer nur
dann von Nutzen sein kann, wenn sie sich mit aller Strenge den
konservativen astronomischen Anschauungen über Exaktheit und
mathematische Forschung unterwirft
Doch kehren wir von dieser Abschweifung wieder zu unserm
eigentlichen Thema zurück. Besondere Beachtung verdienen auch
die spektroskopischen Durchmusterungsarbeiten auf photographischem
Wege mit Hülfe des Objektivprismas, die auf der Harvard College
Sternwarte in Cambridge U. S. ausgeführt werden. Man kann be-
kanntlich von Fixsternen dadurch Spektra erzeugen, dafs man vor
dem Objektive eines grofsen Refraktors ein grofses Prisma mit ge-
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<>74
ringem brechendem Winkel anbringt; alle Sterne, die sonst im Ge-
sichtsfelde als Punkte erscheinen, stellen sich dann in ihre Spektra
ausgezogen dar, und selbst bei recht schwachen Sternen liifst sich
die Natur der Spektra noch erkennen. Zu detaillirten Untersuchungen
sind sie indessen ihrer geringen Dispersion wegen nicht geeignet.
Auf der genannten Sternwarte sind nun sehr gut gelungene Versuche
unter Anwendung der Photographie gemacht worden; man erhält auf
der Platte bei einer einzigen Aufnahme in sternreichen Gegenden
hunderte von Spektren gleichzeitig und kann die letzteren auch, da
sie gleichzeitig die Sternkonstellation getreu wiedergeben, leicht mit
den betreffenden Sternen identifiziren. Es sind auf diese Weise schon
viele schwächere Sterne mit interessanten Spektren aufgeftindeu worden.
Wir haben bis hierher dem Leser eine Skizze von der Bedeutung
der Photographie in der Astronomie vorgefuhrt und haben auch schon
hie und da Punkte angedeutet, bei denen die Photographie ohne
wesentlichen Nutzen bei ihrer Anwendung sein würde. Eis ist leicht
zu verstehen, dafs bei der aufserordeutlichen Bedeutung dieses modernen
Hülfsmittels in der Astronomie, diese Bedeutung denn doch zuweilen
überschätzt wird, und dafs. wie einerseits noch immer Astronomen
existiren, die sich dieser Bedeutung gerne verschliefsen möchten, es
andererseits nicht an Stimmen fehlt, die in der entgegengesetzten
Richtung zu weit gehen und dann erst eine goldene Zukunft der
Astronomie erwarten, wenn einmal überall die Netzhaut durch die
Bromsilbergelatineschicht ersetzt sein wird.
Wir glauben der Bedeutung der photographischen Methode in
der Astronomie keinen Abbruch zu thun, wenn wir nunmehr zum
Schlüsse unter der Leitung der Wahrheitsliebe noch auf diejenigen Zweige
der Beobachtungskunst kurz eingehen, auf die nach dem jetzigen
Stande der Wissenschaft die Photographie voraussichtlich keinen um-
gestaltenden Einflufs ausüben wird.
Es ist dies zunächst aus dem Gebiete der Mikrometermessungen
das wichtige und interessante Kapitel der Doppelsteme. Bei dem grofsen
Durchmesser der Slernscheibchen werden engere Doppelsterne niemals
genügend scharf von einander getrennt, besonders, wenn die beiden
Componenteu sehr verschieden an Helligkeit sind, im letzteren Falle
ist die Photographie durchaus unbrauchbar; es bleiben also nur die
Mikrometermessungen bei mittleren und weiten Distanzen für die
Photographie offen.
Wohl für immer ausgeschlossen wird die Photographie bleiben
von den sogenannten Fundamentalbestimmungen mit Hülfe der Meridian-
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675
Passagen- und Hüheninstrumente, überhaupt allgemein ausgedrüekt von
allen astronomischen Messungen, sofern sie nicht Mikrometerbestim-
mungen sind, wobei allerdings in letztere Kategorie dann die Zonen-
beobachtungen mit Meridianinstrumenten einzuschliefsen sind.
Qewifs wird man auch hierbei zum Tlieil das Auge ersetzen
können, indem man z. H. Kreiseinstellungen erst photographirt und dann
später abliest; vielleicht ist es auch sogar möglich die Auge-Ohr-Me-
thode, oder das elektrische Registriren von Durchgängen irgendwie
auf photographische Weise zu ersetzen. Zunächst bliebe es hierbei
noch zweifelhaft, ob hiermit ein wirklicher Vortheil, ein Zuwachs von
Genauigkeit, verbunden wäre, aber auch wenn dies der Fall wäre,
so würde hiermit keine wesentliche Umgestaltung der' astronomischen
Methode verbunden sein. Das Meridianinstrument bleibt immer noch
Meridianinstrument und die Fundamentalbestimmung der astronomischen
Constanten wird ihrem Wesen nach ungeändert bleiben.')
') Im ersten Abschnitte dieses Artikels ist auf Seite 263 ein sinnstorender
Druckfehler stehen geblieben. Zeile 19 von oben mufs es statt „links“ heifsen
„rechts“, und Zeile 21 statt „rechts“ „links“.
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Die norwegische Nordmeer -Expedition.
Von Prof. Dr. H. Mohn,
Direktor des Norwegischen Meteorologischen Instituts in Christianiau )
(Schlufs.)
Wissenschaftliche Ergebnisse der Expedition.
•t'-'T’
ZA jif den drei Reisen der Nordmeer-Expedition in den Jahren 1876,
cfi^. 1877 und 1878 sind im ganzen 375 Lothungen, 119 Temperaiur-
reihen und 87 Würfe mit dem Schleppnetz oder Travelnetz aus-
geführt worden. Der norwegische Reichstag hat zu diesen Reisen die
schöne Summe von 251308 Kronen (280000 Reichsmark) bereitwilligst
hergegeben.
Der Generalbericht über diese norwegische Nordmeer-Expedition
fing im Jahre 1880 zu erscheinen an, und bis jetzt sind 18 Hefte theils
zoologischen, thoils geophvsischen Inhalts herausgekommen. Von den
zoologischen Abhandlungen stehen noch mehrere aus; die geophvsischen
hingegen sind abgeschlossen. Die Titel derselben sind :
H. Tornöe: „lieber den Luft-, Kohlensäure- und Salzgehalt des
Meerwassers,“
I. Schmelck: „lieber die festen Bestandteile des Seewassers."
„lieber die Ablagerungen des Meerwassers.“
C. Wille: „Historischer Bericht“ „Die Apparate und deren
Gebrauch.“ „Magnetische Beobachtungen.“
H. Mohn: „Astronomische Beobachtungen.- „Geographie und
Naturgeschichte.“ „Meteorologie.“ „Die Tiefe, Temperatur
und Strömungen des Nordmeeres.“ „Das Piezometer als
Tiefenmesser.“
Unter Zugrundelegung dieser Resultate der norwegischen Nord-
meer-Expedition werde ich versuchen, im folgenden eine kurze Schilde-
rung der physikalischen A'erhiihnisse unseres Nordmeeres
zu geben.
') Aus dem norwegischen Original-Manuskripte übersetzt von F. S
Archonhold und revidirt vom Verfasser.
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677
Der Boden des Nordatlantischen Meeres erhebt sich aus einer
Tiefe von über 3000 Meter hinauf bis zu den Bänken westlich von
Irland, Schottland und Färöer, südlich und westlich von Island.
Die britischen Inseln liegen sämtlich auf der Bank, die den Boden der
Nordsee bildet und gegen Westen einen jähen Absturz zeigt. Zwischen
der südlichen Farö-Bank und der Nordsee-Bank, im Norden der
Hebriden, im Nordwesten der Orkney-Inseln, giobt es einen zu-
sammenhängenden schmalen Rücken, Wy ville-Thomson-Rücken
genannt, der in einer Tiefe von mehr als 600 Meter die Tiefe des
nordatlantischen Meeres von der unseres Nordmeeres trennt. Diese
Trennung setzt sich ohne Unterbrechung durch tiefere Stellen über
die Farö-Bänke und weiter gegen Nordwest über Island bis Grön-
land fort Zwischen der Farö-Bank und Ost-Island erhebt sich
ein breiter Rücken in ungefähr 450 Meter Tiefe. Sein tiefster Punkt
liegt 507 Meter unter der Oberfläche in der Nähe der Farö-Bank.
In der Dänemark-Strafse, zwischen Island und Grönland, liegt
auch ein Rücken ungefähr mitten in der Strafse, auf 66° nördlicher
Breite, wo die Tiefe nur 583 Meter erreicht Das europäische Nord-
meer ist sonach unten vollständig von der Tiefe des atlanti-
schen Meeres abgeschlossen; nur in den obersten 600 Metern
können diese Meere ihre Wassermassen austauschen.
Die Nordsee ist im ganzen genommen untief; in dem südlichen
Theil beträgt die Tiefe nur ungefähr 40 Meter, in dem nördlichen 100
bis 200 Meter. Längs der Westküste Norwegens, von den Bänken
aufserhalb der Küste von Romsdal an, erstreckt sich eine wohl be-
grenzte tiefere Rinne — die norwegische Rinne — mit ihrer
innem Böschung immer nahe bei der norwegischen Küste, um
Lindesnes herum in das Skagerak hinein bis zur schwedischen
Küste. Im Skagerak hat sie, aufserhalb Arendal, ihre gröfste Tiefe,
810 Meter. Ihre flachste Stelle, 250 Meter, liegt aufserhalb Bömmelö.
Zwischen Shetland und Färöer erstreckt sich die Farö-Shetland-
Rinne gegen Südwest von der Tiefe des Nordmeers. Der Boden der
Rinne liegt 1100 Meter tief. Sie wird gegen Siidwest von dem Wyville-
Thomson-Rücken begrenzt.
Die Tiefe des Nordmeers ist durch den von Jan-Mayen aus
gegen Ost-Nord-Ost in der Richtung von Beeren-Eiland gehenden unter-
seeischen Rücken, den ich Querrücken genannt habe, in zwei Becken
getheilL Die tiefsten Stellen des Rückens liegen 2380 Meter unter der
Meeresfläche. Das südliche Becken entspricht am meisten dem norwe-
gischen Meer. Seine tiefste Partie — die norwegische Tiefe —
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liegt westlich von Norwegen, nordöstlich von Island und südöstlich
von Jan-Mayen. Ihre Tiefe beträgt 3667 Meter. Die Axe der Tiefe
geht hier südnördlich; aber zwischen Jan-Mayen und Lofoten-Ves-
teraalen erstreckt sich ihre unmittelbare Fortsetzung gegen Osten in
einer Tiefe von 2900 bis 3300 Meter. Diesen Theil nenne ich die
Lofoten-Tiefe. In dem Winkel zwischen der Lofoten-Tiefe und
der norwegischen Tiefe schiefst die Fortsetzung der norwegischen
Küstenbänke nach der Tiefe zu wie eine Bastion ab. Gegen Westen steht
das grönländischeMeer durch die Jan-Mayen-Rinne, in 2000 Meter
Tiefe, in direkter Verbindung mit der norwegischen Tiefe.
Nördlich des Querrückens senkt sich die gröfste Tiefe des
grönländischen Meeres, westlich von Spitzbergen, über 4850 Meter
welche Tiefe von der schwedischen Expedition auf „Sofia“' im
Jahre 1868 gelothet worden ist Ich nenne sie die schwedische
Tiefe. Der westliche Theil ist noch gänzlich unbekannt, da das Meer
hier vom Gröndlandeis bedeckt ist, das in diesen hohen Breiten noch
von keiner Tiefsee-Expedition durchsegelt ist. Nordnordwestlich von
Jan-Mayen zeigt das grönländischeMeer eine Tiefe von 2600 Meter,
eine Partie, die ich nach der deutschen Nordfahrt von 1869 — 1870,
welche hier gelothet hat, die deutsche Tiefe nenne; sie setzt sich
theils in die Dänemark -Strafse, theils in die Jan-Mayen-
Uinne fort.
Oestlich von der Linie Westspitzbergen-Vesteraalen nähert
sich der Meeresgrund im Barentz-Meer auf einige hundert Meter der
Oberfläche. Dies Meer ist verhältnifsmäfsig untief, etwa 200 — 400 Meter.
Von der murmanischen Küste bis nach Novaja-Semlja hält sich die
Tiefe unter 200 Meter. Von Ostspitzbergen erstreckt sich die
Beeren - Eiland-Bank mit ihren ausgedehnten, untiefen Flächen
südwärts bis ein wenig südlich von dieser Insel.
Der Abfall des Bodens verläuft von der Küste aus gegen die
Tiefe hin in der Kegel nicht gleichmäfsig. Das erste Stück aufser-
halb der Küste wird im allgemeinen von einer schwach absteigenden,
verhältnifsmäfsig ebenen Fläche, der Küstenbank, gebildet, welche
in greiserem oder kleinerem Abstande vom Lande, in einer gröfseren
oder kleineren Tiefe vermittelst einer Schneide in stärkere Senkung
übergeht. Eine bemerkenswerthe Schneide (Egge) ist in Norwegen
die grofso Schneide (Storeggen) aufserhalb der Küste von
Komsdal, wo der Boden sich in einer kurzen Strecke von 200 auf
1000 Meter senkt und in noch höherem Mafse die Vesteraalen-
schneide, wo der Boden von 200 auf 3000 Meter in die Lofoten-
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liefe hinabschiefst. Zwischen diesen Stellen geht die 400 -Meter-
Linie außerhalb der Küste Norwegens weit in das Meer hinein und
die Schneide ist nicht sehr scharfkantig. In ähnlicher Weise haben
Shetland, Färöer, Island, Jan-Mayen, Grönland und West-
spitzbergen ihre Bänke mit mehr oder weniger ausgeprägten Schneiden
als Begrenzung. An der Küste von Finnmarken sinkt der Boden
schnell bis zu 200 Meter, aber aufserhalb bildet der Meeresboden eine
ausgedehnte Ebene mit nur schwacher Wellenform.
Die Temperatur des Xordmeeres. Seitdem ich im Jahre
1869 zum ersten Mal eine kartographische Darstellung der Temperatur
der Oberfläche unseres Nordmeeres gegeben habe, habe ich stetig
gesucht, diese Karten zu verbessern. In diesen ist die Vertheilung der
Temperatur dargestellt durch Jsothermen für jeden Grad Celsius.
Diese Jsothermen zeigen durchgehends starke Biegungen, sie bilden
zungenförmige Linien. Aus der Richtung dieser Zungen oder deren
Axen kann man auf die Richtung und Beschaffenheit der Strömungen,
welche ihre Ursache sind, schliefsen. Es giebt zwei Arten von Zungen,
Wärmezungen und Kältezungen. Beiden Wärmezungen sind die
Wurzeln wärmer als die Spitzen, bei den Kältezungen sind die Wurzeln
kälter als die Spitzen. Die Karten zeigen nun, dafs die Wärmezungen
ihre Wurzeln in dem atlantischen Meere haben, die Kältezungen die
ihrigen in dem von Eis starrenden Grönlandsmeer oder in dem Eismeer
östlich von Spitzbergen. Eine Wärmeaxe geht mit ihren Wärmezungen
von Shetland nördlich aufserhalb der Küste N orwegens und sendet
einen Arm östlich in das Barentz-Moer längs der Küste Finnmarken s
und einen anderen Arm nördlich bis zu Spitzbergens Westküste
und Nordküste. Eine Kiilteaxe kommt mit ihren Kältezungen von
Ostspitzbergen, eine andere aus dom Grönlandmeer östlich
von Jan-Mayen und eine dritte aus demselben Meer südlich längs
der Ostkiiste Islands. Im August ist die Wärmeaxe sozusagen
auf die Westküste Norwegens geworfen, so dafs nur die westlichen
Hälften der Zungen auf dein Meere zu sehen sind ; sonst pafst die Be-
schreibung auf alle Jahreszeiten. Im Meere östlich von Spitzbergen
und im westlichen Theile des grönländischen Meeres zeigt das Thermo-
meter immer Kältegrade. Bei Shetland beträgt die Temperatur der
Oberfläche 7° im März, 13° im August und 10" im Durchschnitt
während des ganzen Jahres. In unserem Nordmeer liegt sie zwischen
den soeben angegebenen Grenzen. Die jährliche Variation der Temperatur
der Oberfläche ist am gröfsten an den Küsten, am geringsten draufson
im Meere. Im Skagerak geht sio bis über lu°, an der Westkiisto
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Norwegens bis 11°, draufsen in dem norwegischen Meere bis 5°.
Im grönländischen Meer und östlich von Spitzbergen, wo es stets
Treibeis giebt, beträgt die jährliche Variation nur 1° — 2°, während
die Meerestemperatur selbst sich zwischen 0°, dem Schmelzpunkt des
Eises und — 2°, dem Oefrierpunkt des Meerwassers hält.
Karte der Isothermen des Nordmeeres.
Die Temperatur des Meeres in der Tiefe. In grofsen Zügen
läfst sich die eigenthümliche Vertheilung der Temperatur in unserm
Xordmeer wie folgt beschreiben. Im nordatlantischen Meere trifft man
überall Wärmegrade von der Oberfläche bis zum Boden. Die
Temperatur ist am höchsten an der Oberfläche, am niedrigsten am
Boden. Sie nimmt am schnellsten mit der Tiefe ab in den oberen
Schichten, am langsamsten in den allertiefsten. Im Nordmeer nimmt
die Temperatur in gleicher Weise mit der Tiefe ab, aber mit dem grofsen
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Unterschied, dafs das Wasser im Nordmeer in den tieferen Schichten
unter einer gewissen Grenze eiskalt ist und zwar unter 0°. Zwischen
den Wärmegraden des atlantischen Meeres und den Kältegraden des
Nordmeeres in der Tiefe ist eine bestimmte Grenze gesetzt. Das ist
der zusammenhängende unterseeische Rücken, der ohne Unterbrechung
die Nordseebänke mit Grönland verbindet und auf welchem die
älteren und jüngeren vulkanischen Bergmassen von Färöer und Island
ruhen. An der Oberfläche erstreckt sich das warme Wasser in
dem südlichen Theil des Nordmeeres von der Dänemarkstrafse bis Nor-
wegen, aber weiter gegen Norden wird seine Ausdehnung von Westen
nach Osten kleiner, indem das eiskalte Wasser des grönländischen
Meeres sich weiter ausdehnt. Auf dem 70. Breitengrade reicht das
warme Wasser an der Oberfläche kaum bis Jan-Mayen und west-
lich von Spitzbergen ist es noch weniger vertreten. Auf der öst-
lichen Seite dagegen reicht das warme Wasser bis Norwegen, bis
weit hinein in das Barentz-Meer, ungefähr bis Novaja Semlja und
bis zu Spitzbergens Westküste. Gegen Norden reicht es bis zum
81. Breitengrade westlich von Spitzbergen und bis zum 76. Breitengrade
im Barentz-Meer. In der Tiefe wird das Areal, welches das warme
Wasser einnimmt, wenn man weiter nördlich kommt, nach und nach
oingesohränkt, namentlich auf der westlichen oder Grönlandsseite. Die
Fläche, welche im Nordmeer die Grenze zwischen dem warmen und
dem eiskalten Wasser bildet, — die isothermo Fläche für 0° —
liegt bei weitem nicht überall in derselben Tiefe. Im grönländischen
Meer erreicht sie die Oberfläche. An der Küste von Norwegen und
Spitzbergen liegt die isotherme Fläche zumeist etwas höher als draufsen
in der Mitte des Meeres, da hier das kalte Bodenwasser über die
äufseren Abhänge der Bänke hinaufgesaugt wird. Draufsen im Meere
liegt sie nicht am tiefsten im südliohen Theile desselben. Im Gegen-
theil. In der Farö-Shetland-Rinne, welche 1200 Meter tief ist,
findet sich eiskaltes Wasser schon in einer Tiefe von 600 Metern und
es drängt sich herauf bis zum Wyville-Thomson-Rücken, ja über-
schreitet diesen möglicherweise an einer einzelnen Stelle, aber in einer
so dünnen Schicht, dafs sich dieselbe bald in dem warmen Wasser des
atlantischen Meeres verliert Weiter nördlich im Meere liegt 0° tiefer
bis zum 70. Breitengrade, wo das warme Wasser ganz bis zu 1200 Meter
hinuntergeht; alsdann aberhebt sich dieGrenzscheidebis zum 80. Breiten-
grade, aufserhalb Spitzbergens, wo sie doch noch ganze 800 Meter tief
liegt. Drinnen an den Küstenbänken Norwegens und Spitzbergens
senkt sich die Nullgradslinie zuerst bis 800 Meter unter dem 64. Breiten-
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grade, hebt sich alsdann bis 640 Meter aufserhalb Helgeland, senkt
sich wieder bis 1020 Meter unter dem 70. Breitengrade, steigt von hier
bis 660 Meter unter dem 74. Breitengrade und senkt sich wieder bis
900 Meter unter dem 78. Breitengrade aufserhalb Spitzbergens. Hier
liegt sie auf dem 80. Breitengrade noch 700 Meter tief. Xoch stärkere
Biegungen, auf ungefähr denselben Breitengraden, zeigt die Isotherme
für — 1 °. In der oberen warmen Schicht senken sich die Isothermen
von West gegen Ost in der Richtung der Westküste Norwegens und
Spitzbergens. Doch sind die Verhältnisse nahe an der Küste etwas
andere, indem liier eine Abkühlung vom Lande aus eintritt. Die gröfste
Wärmemenge hat sich also in den oberen Schichten aufserhalb dieser
Küsten angesammelt. Das untiefe Barentz-M eer hat auf dem Boden
noch Wärmegrade bis zu einer Linie, die im grofsen genommen von
Südspitzbergen bis zum weifsen Meere geht
Der gröfste Theil der Tiefe des Nordmeeres ist also mit eiskaltem
Wasser angefüllt. Die niedrigste Temperatur desselben geht jedoch
nicht bis zum Gefrierpunkt des Meerwassers, bis — 2°, hinab, sondern
allerhöchstens bis — 1°,7> nämlich nördlich von Jan -Mayen. Die
norwegische Tiefe ist etwas weniger kalt als die schwedische.
Das grönländische Meer ist von der Oberfläche bis zum Boden
kalt, ebenso der nördliche Theil des Barentz-Meeres. Merkwürdig ist
eine Meeresbodenstrecke zwischen Jan-Mayen und Norwegen, wo die
Temperatur — 1°,2 beträgt, während sie rund herum niedriger ist,
— und eine kalte Gegend östlich von der Jan-May en-R inne,
wo die Temperatur sogar — 1°,3 beträgt, während sie noch weiter
südlich, gegen die Farö - Shetland-Rinne hin, bis — 1°, 1 steigt.
Diese Vertheilung der Bodentemperatur entspricht dem merkwürdigen
Befund unseres Chemikers, II. Tornöes, dafs das Meerwassor gerade an
den relativ wärmer bezeichnten Stellen am Boden einen geringeren Luft-
gehalt und gröfseren Salzgehalt, also einen mehr atlantischen Charakter
hat als an den relativ kälter bozeichneten Stellen, wo der Luftgehalt
ein gröfserer und der Salzgehalt ein geringerer ist, und so das Wasser
eine mehr polare Beschaffenheit zeigt. Alles dieses entspricht den
Biegungen, die die isotherme Fläche für — 1° zeigt Wo die isotherme
Fläche sich hinunterbiegt, hut das Meerwasser ein Maximum dor Tem-
peratur und des Salzgehaltes und ein Minimum des Luftgehaltes (die
Luft ist nach Tornöe bei einer höheren Temperatur an der Oberfläche
von dem Meereswasser aufgenoinmon) ; w'o sie sich hinaufbiegt, hat es
ein Minimum der Temperatur und des Salzgehaltes und ein Maximum
des Luftgehaltes. Hierdurch werden niedergehende Strömungen von
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warmem (atlantischem) und aufsteigende Strömungen von kaltem
(polarem) Wasser angedeutet.
Die Bänke um Island und Färöer herum, die Nordseebänke,
die Küstenbänke Norwegens, der südliche und westliche Theil des
Barentz-Meeres, die Bänke Westspitzbergens bis zum 81. Breitengrade
und vielleicht ein kleiner Theil der Bänke von Jan -Mayen, südlich
der Insel, — sind von warmem Wasser bedeckt.
Die auf den norwegischen Bänken und in den norwegischen
Fjorden gemachten Beobachtungen sind von besonderem Interesse.
Die Bänke schrägen sich von der Küste langsam nach aus-
wärts ab, um alsdann aufserhalb der Schneiden sich rascher nach
der Meerestiefe zu senken. Sie bilden also einen W all zwischen
der Küste und der Meorestiefe, aber dieser Wall lehnt sich direkt an
die Küste an ohne eine dazwischenliegende zusammenhängende Rinne.
Am innem Theil der Bänke finden sich stellenweise gröfsere oder klei-
nere abgeschlossene Vertiefungen. Die Fjorden bilden zumeist ähnliche
Vertiefungen, indem ihre Böden gewöhnlich tiefer, theilweise sogar
mehrere Hundert Meter tiefer liegen als die Oberfläche der Bänke.
Der Sognefjord ist z. B. 1200 Meter tief, während die Bank an seiner
Mündung nur 400 Meter tief ist. Das Allermerkwürdigste ist, dafs
keines der Tiefbassins, die sioh in den Fjorden oder auf den Bänken
befinden, seine Ausmündung durch die Bänke zu den Meerestiefen hat.
Der Wall der Bänke ist immer ohne Unterbrechung. Der-
selbe hält dergestalt das eiskalte Wasser von unsern Küsten ab und
hindert es, in die Tiefen unserer Fjorde zu dringen. Ueberall auf
den Bänken und in den Fjorden hat das Wasser Wärmegrade. Auf den
Bänken beträgt die Temperatur von 7° ausserhalb der Küste Romsdals,
bis 4° aufserhalb der Küste Finnmarkens. In den Tiefbassins ist die
Temperatur in der Tiefe von 7°, 2 im Foldenfjord, bis 3°, 4 im
Saltenfjord. Der Sognefjord und Wrestfjord haben 6°, 5 in
der Tiefe.
Vergleichen wir die Temperatur in den Tiefbassins mit der
mittleren Jahrestemperatur der Luft, so finden wir, dafs es in der
Tiefe am wärmsten ist, ausgenommen in dem der Winterkälte des
Landes mehr ausgesetzten Skagerak. Vergleichen wir die Tiefen-
temperatur mit der mittleren Wintertemperatur der Luft, so finden wir,
dafs die Tiefentemperatur überall mehrero Grade höher ist, von 5°
im Skagerak bis zu 11° höher im Altenfjord. Und stellen wir
hiernach die Temperatur der Meeresoberfläche mit der der Luft zu-
sammen, so finden wir, dafs im Durchschnitt für das ganze Jahr dio
Himmel und Erde. 1. 12. 40
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Temperatur des Meeres 2° höher ist, als die der Luft. Es sind nur
ein paar Sommermonate, in denen die Luft wärmer ist. Im Januar
ist die Meeresoberfläche überall wärmer als die Luft und zwar mit
einem Ueberschufs von 3° an der Skagerakküste und von ganzen
7° am Nordkap. Aus allen diesen Vergleichungen können wir den
Schlufs ziehen, dafs es das Meerwasser ist, welches Wärme an die
Luft abgiebt und dafs das Meer seine Wärmegrade an anderen Stellen
erhalten haben mufs, wo die Luft wärmer ist. Dieses deutet un-
widerstehlich darauf hin, die Wärmequelle in südlicheren Gegenden
zu suchen, aus denen das Wasser auf unsere Bänke und in unsere
Fjorde durch Strömungen hergeführt ist — ebenso wie die Zungen-
form der Isothermen der Oberfläche hierauf hindeutet.
In vollkommener Uebereinstimmung hiermit steht auch die von
Tornöe dargestellte Vertheil ung des Salzgehaltes des Meerwassers.
Je näher dem atlantischen Meere, um so gröfser ist der Salzgehalt
und um so geringer, je näher dem eiserfiillten Polarmeer und den
niederschlagsreichen Küsten.
Der Wechsel der Temperatur im Nordmeer im Laufe eines
Jahres ist ganz eigenthümlich. Im Sommer ist überall im Nordmeer
die Oberfläche am wärmsten, aber im März wird die Oberfläche
überall kälter als das Wrasser in 200 Meter Tiefe. Wir müssen
ganz hinunter bis nach Shetland gehen, um die Oberfläche in dieser
Jahreszeit ebenso warm zu finden wie die tieferen Schichten. Die
höchste Temperatur während des Winters findet sich im Nordmeer
gleichfalls in ungefähr 200 Meter Tiefe. In grösseren Tiefen nimmt
die Temperatur zu jeder Jahreszeit mit der Tiefe ab und ihre jähr-
liche Veränderung ist unmerklich. Der Gegensatz zwischen der
niedrigen Temperatur der Oberfläche und der höheren der unteren
Schichten im Winter ist an den Küsten und an der Eisgrenze am
stärksten. Dieses zeigt auch die L’rsache an. Sie geht vom Lande
oder von der in meteorologischer Hinsicht damit äquivalenten festen
Eisdecke aus. Es sind die im Winter hier herrschenden kalten Land-
winde, dio ihre Kälte durch die starke Ausstrahlung des Erdbodens oder
der Eisflächen in den langen Winternächten erhalten haben, welche
dio Oberfläohe des Meeres abkühlen. Ihre Wirkung ist am stärksten
in der Niiho des Landes und wird weiter ab vom Lande, wo die Luft
auf ihrem Wege über dem wärmeren Meere erwärmt wird, schwächer.
Die warme Meeresströmung, die sich in dem norwegischen Meere
nordwärts bewegt, wird im Winter an der Oberfläche von der kalten
Luft abgekühlt, so dafs ihre wärmsten Theile in 200 Meter Tiefe
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liegen. Es sieht so aus, als ob der warme Strom unter die Oberfläche
taucht, aber dies ist Täuschung. Man braucht nicht gleich einen
„Polarstrom“ anzunehmen, wenn man an der Oberfläche kälteres Wasser
als in der Tiefe findet.
Die Landkälte erklärt Alles. Sie ist auch die Ursache des
hohen Luftdrucks über dem Lande und dadurch die der Richtung
der herrschenden Winde. In dieser Beziehung ist das Land dem
Meere überlegen.
In der Nähe des Landes, auf den Bänken und in den Fjorden,
und da, wo das Polareis während des Sommers verschwindet, zeigt
sich durchgehende die Wirkung der Landkälte während des Winters
in einem Minimum der Temperatur in einer gewissen Tiefe zwischen
der Oberfläche und der 200 Meter-Tiefe, das auch im Sommer zu er-
kennen ist und noch nicht überall im Horbst verschwunden ist.
Die eigenthümliche Vertheilung der Temperatur und des Salz-
gehaltes im Nordmoer beruht, aufser auf den klimatischen Verhältnissen,
auf der Lufttemperatur und den Niederschlägen, am meisten jedoch auf
den Strömungen, die im Meere stattfinden. Das Wesen dieser Strö-
mungen habe ich nach einer Methode zu erforschen gesucht, die im
wesentlichen dieselbe ist wie die, welche wir in der Meteorologie
an wenden, um die Richtung und Stärke der Winde zu studiren.
Ebenso wie die Bewegungen in der Atmosphäre von der verschiedenen
Gröfse des Luftdruckes an verschiedenen Stellen abhängig sind, so sind
die Bewegungen des Meerwassers bedingt durch den Unterschied des
Wasserdruckes in einer und derselben Horizontalen oder, wie man sie
nennen kann, Niveaufläche.
Die Bewegungen des Meerwassers werden hervorgebracht und
unterhalten hauptsächlich von zwei Faktoren, nämlich den herrschen-
den Winden und den Ungleichheiten in der Dichtigkeit des Meerwassers.
Um die Richtung und Stärke der herrschenden Winde zu finden,
wie sie für das ganze Jahr im Durchschnitt auftreten, habe ich zu-
nächst nach den Barometerbeobachtungen im Nordmeer und denen
der umliegenden Länder die Vertheilung des Luftdruckes über dem
Nordmeer berechnet und hieraus die entsprechende Richtung und Ge-
schwindigkeit der Winde. Es liegt ein Minimum dos Luftdruckes im Süd-
westen von Island und ein anderes schwächeres Minimum erstrockt
sich über das norwegische Meer von Ost-Island bis hin nach dem
Nordkap. Um diese Minima kreisen die herrschenden Winde in
umgekehrter Richtung des Ganges der Zeiger einer Uhr. So gehen
4!>‘
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die südwestlichen Winde westlich von Norwegen, die nordöst-
lichen östlich von Grönland.
Diese Winde treiben das Wasser der Meeresoberfläche mit sich
und halten es in Bewegung, und diese Bewegung theilt sich den
tiefer liegenden Schichten mit Die Richtung der Bewegung wird
immer durch die Form des Festlandes, der Küsten und des Meeres-
bodens und deren Lago in Bezug auf die Richtung der herrschenden
Winde, modificirt. Das Resultat ist eine kreisende Bewegung, die das
Wasser nördlich längs der Westküste Norwegens und südlich längs
der Ostküste Grönlands fuhrt.
Die Geschwindigkeit, welche die herrschenden Winde der Meeres-
oberfläche zu geben vermögen, habe ich aus britischen Schiflsbeob-
achtungen der Windstärke und Stromgeschwindigkeit in dem aequatorialen
atlantischen Meer und aus Sir Leopold M’Clintocks Treiben mit
der „Fox“ im Polareis der Baffins-Bai zu berechnen versucht
Auf diese Weise konnte ich aus den herrschenden WTinden die
daraus folgenden wahrscheinlichen Strömungen ableiten und eine Karte
derselben entwerfen, die für jede Stelle im Nordmeer die Richtung
und Geschwindigkeit der Strömungen angiebt
Aber diese Karte konnte gleichzeitig etwas anderes ausweisen,
nämlich die von der Niveaufläche abweichende Form, welche die
Oberfläche des Meeres während der Bewegung annehmen mufs. Eine
Niveaufläche ist eine Fläche, die in jedem Punkte auf der Richtung
der Schwerkraft senkrecht steht Wenn das Meer in Ruhe wäre, so
würde seine Oberfläche eine Niveaufläche bilden. Aber sobald es in
Bewegung ist, entstehen auf Grund der Trägheit des Wassers Kräfte,
die der Oberfläche eine von der Niveaufläche abweichende Form zu
geben bestrebt sind. Solche Kräfte sind die sogenannte Centrifugal-
kraft und die auf der Umdrehung der Erde um ihre Axe beruhende
Kraft, die auf der nördlichen Halbkugel immer bestrebt ist, einen auf
der Erdoberfläche bewegten Körper nach rechts zu treiben. In unserm
Nordmeer wirken diese beiden Kräfte von der Mitte des Meeres nach
aufsen gegen die Küsten und stauen das Wasser gegen diese auf,
so dafs es hier höher steht in Bezug auf die Niveaufläche als in der
Mitte des Meeres. Die Oberfläche des Meeres wird so gewissertnafsen
hohl. Es ist dasselbe Phänomen wie das, welches man beobachten
kann, wenn man das Wasser in einem runden Kübel herumdreht.
In letzterem Falle ist es die Centrifugalkraft, welche wirkt; im Nord-
meer ist es hauptsächlich die Erdrotationskraft. Die Wirkung der
herrschenden Winde verbindet sich also mit der Umdrehung der Erde
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um ihre Axo, um eine Oborfläche zu gestalten und zu erhalten, die
sich von der Mitte des Meeres aus gegen die Ufer hin mehr und mehr
über die Niveaufläche erhebt, welche durch deren tiefste Punkte geht.
Diese Fläche nenne ich die Windfläche; sie kann dargestellt werden
mit Hülfe von Linien, die als Linien gleicher Höhen auf einer Karte
durch die Punkte gezogen sind, welche dieselbe Höhe über derselben
Niveaufläche haben. Diese Linien geben die Richtung der Strömung
an, und je dichter sie liegen, desto gröfser ist die Geschwindigkeit
der Strömung.
All das Süfswasser, das als Niederschlag oder durch die Flüsse
und Gletscher ins Meer dringt, legt sich über das salzige Meerwasser
und erhöbt so die Oberfläche. Da der Niederschlag an don Küsten
grösfer ist als draufeen im Meere, so arbeiten alle droi genannten
Faktoren daran, das Niveau des Meeres an den Küsten zu erhöhen.
Hier haben wir aber noch eine Ursache, die die Meeresoberfläche in
Hezug auf die Niveaulläche hohl macht. Die durch das Süfswasser
hervorgerufene Oberfläche nenne ich die Dichtigkeitsfläche. Sie
ist berechnet nach der Vertheilung der ungleichen Dichtigkeit des
Meerwassers, die, wie die Beobachtungen zeigen, an den Küsten am
geringsten ist. Auch aus dieser hohlen Meeresfläche folgt eine ent-
sprechende kreisende Bewegung, die in derselben Richtung vor sich
gehen mufs, wie die, welche der Windfläche zugehört.
Vereinigen wir nun die Windfläche und die Dichtigkeits-
fläche zu einer einzigen, indem wir in jedem Punkt deren respective
Höhen über der Niveaufläche addiren, so erhalten wir eine neue Fläche,
die ich die Stromfläche nenne, und welche uns, die Ungleichheiten des
Luftdruckes abgerechnet, die wirkliche Oberfläche des Meeres in Bezug
auf die Niveaufläche angiebt. Die Stromfläcbe hat ihren tiefsten Punkt
zwischen Jan -Mayen und Norwegen in GS'/j0 Breite und 1°
westlicher Länge von Greenwich. Sie erhebt sich über die Niveau-
fläche dieses Punktes an der Westküste Norwegens und Ska-
geraks sowie bei Grönland bis über 1,4 Meter, bei Novaja
Semlja bis 1,2 Meter, bei Schottland bis ein wenig über 1 Meter, bei
Spitzbergen bis 1 Meter, bei Finnmarkens Küste bis 0,9 Meter,
bei der Nordküste Islands und bei Jan-Mayen bis 0,6 Meter und
bei Boeren-Eiland bis 0,3 Meter.
Ein Wasserpartikelchen, das auf der Stromfläche hegt, befindet sich
also auf einer Hohlfläche, die nach der Mitte zu abfällt, folglich wird die
Schwere bestrebt Bein, es die schräge Fläche hinab zu treiben. Indem es
sich aber bewegt, wird es nach rechts abgelenkt Die Kraft, welche es
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nach rechts treibt, ist gleich grofs und entgegengesetzt der Komponente
der Schwere, die es nach links treibt; sie geht den Linien gleicher
Höhen der Stromfläche entlang. Je dichter diese liegen, je gröfser
also die Schrägheit ist, desto gröfser ist die Schnelligkeit der Strömung.
Die Karte giebt so ein anschauliches Bild von den allgemeinen Strömun-
gen in der Oberfläche des Nordmeeres.
Die ungleich grofsen Höhen des Wassers in der Stromfläche
stellen die Druckunterschiede in der Niveaufläche dar, und die Richtung
und Geschwindigkeit der Bowegung könnten, wie in der Meteorologie,
leicht hierauf zurückgefiihrt werden. Bei meinen Berechnungen der
Bewegungen in dor Tiefe des Nordmeeres bin ich der letzten Methode
gefolgt, indem ich den Druck in Atmosphären in einer Reiho von
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Punkten der Niveauflächen berechnet habe, welche in einer Tiefe von
800, 500, 1000 und 1500 Faden liegen, und hiernach die entsprechenden
Isobaren oder Linien gleichen Drucks construirt habe. Hiermit ist die
Aufgabe auf eine in der Meteorologie den synoptischen Karten ent-
sprechende Basis gebracht Nur mufs man noch berücksichtigen, dafs
das Wasser sich in seinen Bewegungen uach der Form des Beckens,
in dem es eingeschlossen ist, richten mufs. Aber im Meere wie in
der Luft wird ein Mininum von Druck von aufsteigenden Bewegungen,
ein Maximum von Druck von niedersteigenden Bewegungen begleitet
sein und diese vertikalen Bewegungen werden das Wasser von unten,
beziehungsweise von oben an sich saugen und so auf die horizontale
Bewegung einwirken; ein hohler Raum kann im Wasser nicht statt-
haben.
Bis zu einer Tiefe von 1000 Meter finde ich draufsen im Meere
zwischen Jan-Mayen und Norwegen ein Druck-Minimum. Um
dasselbe kreisen die Wassennassen cyklonisch, während in den obersten
600 Metern die Strömung an der Ostkiiste Grönlands unaufhörlich
von dem inneren Eismeer hin zu der Dänemark-Strafse geht.
In den Tiefen von 2000 Metern bis zum Boden findet sich ein
ganz anderes Drucksystem vor als in den obersten 1000 Metern, nämlich
mehrere Druckmaxima und mehrere Druckminima. Die ersten
geben niedersteigende, die letzten aufsteigende Strömungen. Durch
dieso werden alle Strömungen in der Tiefe ausgeglichen, so dafs ebenso
viel Wasser auf- wie niedersteigt. Durch diese wird der Tiefe auch
die Luft zugeführt, welche die Thiere zu ihrem Leben gebrauchen;
es sind die Ventilatoren des Meeres. Wir finden niedersteigende
Strömungen auf dem 64., dem 70. bis 71. und dem 77. Breitengrade,
die das atlantische warme, salzreiche und luftarme Wasser auf Kälte-
grade bringen, indem es in der Tiefe von dom umgebenden kalten
Wasser abgekühlt wird. Wir finden aufsteigende Strömungen auf dem
67. bis 68. und dem 74. Breitengrade, wo das kalte Bodenwasser, das
ursprünglich in das Grönländische Meer hinabgestiegen ist, unter ab-
kühlender Wirkung emporsteigt Wo in den vertikalen Querschnitten
die Isothermen und die Linien für gleichen Salzgehalt sich nieder-
biegen, da haben wir die niedersteigenden, wo diese Linien in die
Höhe gehen, die aufsteigenden Strömungen, völlig in Uebereinsümmung
mit Tornöes Resultaten. Eine andere interessante Uebereinstimmung
ist es, dafs der kohlensaure Kalk am Meeresboden, der hauptsächlich
in den Schalen der Foraminiferen vorkommt, die mit den Strömungen
aus dem atlantischen Meer hereingeführt werden, in dem kalten Nord-
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meer aber absterben und niedersinken, — nach den Bestimmungen des
Chemikers Schmelck gerade an den Stellen am häufigsten sich vor-
findet, wo niedersteigende Strömungen in Druckmaxima das atlantische
Wasser in die Tiefe führen.
Das milde Klima Norwegens wird verständlich, wenn wir an
dessen Küstenbänke denken, welche den warmen Meeresstrom vor
Abkühlung von unten beschützen und gleichzeitig das Eindringen
des eiskalten Wassers in die Fjorde verhindern. Die Winterkälte
des Landes erzeugt Landwinde, die an der Westküste südliche Richtung
haben und das warme Wasser aus dem atlantischen Meer emportreiben.
Die Frühlingssonne vermag schon des Winters Eis und Schnee zu
schmelzen, so dafs die Sommersonne mit voller Kraft wirken kann.
— Welcher Kontrast gegen Grönland, das namentlich auf der Ostseite.
aber theilweiso auch auf der Westseite von einem kalten cisführenden
Meeresstrom umflossen wird und das mit seinen grofsen Höhen ein
Land ist, wo Schnee und Eis nie vor den Strahlen der Sonne ver-
schwinden!
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Unser Wissen über das Thierkreislicht
Von Prof. Dr. Wilhelm Koerster zu Berlin.
f nlGjie im Juni-Hefte dieser Zeitschrift enthaltenen Darlegungen des
’tcy Herrn Sherman in Baltimore über das Thierkreis-Licht bieten
nach zwei Richtungen hin eine sehr dankenswerthe Vervollständi-
gung meiner eigenen in dem November-Heft (1888) dieser Zeitschrift ent-
haltenen Mittheilungen über diesen Gegenstand. Erstens hinsichtlich einer
jährlichen Periode der sogenannten Elongation des Thierkreis-Lichtes,
nämlich der Strecke, um welche dasselbe sich von der Sonne aus in
der Richtung nach dem der letzteren gegenüberliegenden Punkte des
Thierkreises ausdehnt; zweitens hinsichtlich der Beziehungen, welche
zwischen den jährlichen Mittelwerthen dieser Elongationen und der
Häufigkeit der Sonnenflecken zu bestehen scheinen.
In Bezug auf die ersterwähnten Ergebnisse, nämlich die jährliche
Periode der Elongationen, erlaube ich mir jedoch von der Deutung
des Herrn Sherman abzuweichen.
Es ergiebt sich nämlich aus seinen offenbar sehr umsichtig ab-
geleiteten Zahlenwerthen. dafs die gröfste Ausdehnung des Thierkreis-
Lichtes von der Sonne nach dem sogenannten Gegenschein hin, und
zwar ganz überwiegend auf Grund von Beobachtungen, welche in der
gemiifsigten Zone der nördlichen Halbkugel angestellt worden sind,
in den Dezember fallt.
In diesem Monate aber erhebt sich der Thierkreis und der Ort
des Gegenscheines in den Nachtstunden am höchsten über den Horizont
dieser Erdgegenden, und es ist deshalb wohl sehr wahrscheinlich,
dafs die Vergrößerung der Ausdehnung des Thierkrcis-Liehtes nach
dom Gegenschein hin, welche gegen den Monat Dezember ihr Maxi-
mum hat, nicht sowohl der Erstreckung des Thierkreis-Lichtes selber,
sondern den viel günstigeren Bedingungen der Wahrnehmbarkeit zu-
zuschreiben ist, welche mit der gröfseren Höhe des Thierkreises über
dem Horizonte verbunden sind. Von der Einwirkung dieser lokalen
Sichtbarkeits-Bedingungen wird man erst dann frei werden, wenn man
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692
ganz entsprechende Reihen von Beobachtungen auch von der süd-
lichen Erdhalbkugel besitzen wird, weil in diesen Gegenden der Erde
im Dezember die ungünstigsten Sichtbarkeits-Bedingungen hinsicht-
lich der Lage des Thierkreis-Lichtes zum Horizonte stattfinden müssen.
Erst dann, wenn die Mittelwerthe aus den Elongationen, wie sie aus
Beobachtungen auf beiden Erdhalbkugeln folgen, dieselbe jährliche
Periode zeigen, welche von Herrn Sherman bisher nur in den Mittel-
werthen aus weit überwiegenden Beobachtungen in der nördlichen
Erdhalbkugel abgeleitet ist, wird man an eine objektive Erklärung
solcher jährlichen Veränderungen der Elongationen zu denken haben.
Es ist sodann einleuchtend, dafs ähnliche Einwirkungen der
klimatischen Sichtbarkeits-Bedingungen auch die Beziehungen zwischen
dem Gange der Jahresmittel der Elongationen und dem Gange der
Sonnenflecken-Häufigkeit verursacht haben können, insofern die Sonnen-
Vorgänge auch durch Vermittelung der meteorologischen Verhältnisse
die blofsen Sichtbarkeits-Bedingungen des Thierkreis-Lichtes beein-
fiufst haben könnten. Auch hier wird man die objektive Bedeutung
jener Uebereinstimmung erst dann behaupten können, wenn durch
Verbindung von gleichwerthigen Beobachtungen des Thierkreis-Lichtes
in den verschiedensten Zonen der Erde gewisse Besonderheiten der kli-
matischen Schwankungen von Jahr zu Jahr, welche selber vom Sonnen-
flecken-Stand abhängig sein können, aus den Vergleichungsergebnissen
ausgeschieden sind.
Ferner sei mir gestattet zu bemerken, dafs die Andeutungen des
Herrn Sherman hinsichtlich einer Entstehung des Thierkreis-Lichtes
aus schweifartigen Loslösungen von der Sonnenkorona für einen der
wesentlichsten und zweifellosesten Grundzüge der bisherigen auf das
Thierkreis-Licht bezüglichen Beobachtungs-Ergebnisse keinerlei Er-
klärung geben, nämlich für die Gebundenheit dieser Lichtstreifen an den
Verlauf des Thierkreises. Herr Sherman unterläfst jede nähere An-
deutung darüber, wie die von ihm angenommenen Ausströmungen der
Sonne sich gerade in der Ebene der Erdbahn ausbreiten sollen ; denn
die wahrscheinlichste Ausbreitungsebene derselben würde, wie mir
scheint, die Ebene des Sonnenäquators sein, welche bekanntlich eine
so erhebliche Neigung gegen die Erdbahn-Ebene hat, dafs jene
schweifartigen Ausströmungen der Sonne in die Erdbahn eigentlich
nur in diejenigen Gegenden fallen könnten, nach welchen die Durch-
schnittslinie der Ebene des Sonnenäquators und der Erdbahn gerichtet
ist. In allen übrigen Gegenden der Erdbahn könnten jene Aus-
strömungen der Sonnenkorona nicht in der Erdbahn, also am Himmel
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693
nicht in der Thierkreislinie ausgebreitet zu sein scheinen. Die mit voller
Sicherheit und Ausschliefslichkeit den Thierkreis entlang beobachtete
Ausbreitung des in Iiede stehenden Leuchtens erklärt sich aber in
der einfachsten Weise nach den in meiner Darlegung gemachten
hypothetischen Annahmen.
Schliefslich möchte ich noch darauf hinweisen, dafs letztere An-
nahmen in allerneuester Zoit eine gewisse Bestätigung dadurch zu er-
fahren scheinen, dafs man bei einer der letzten Mondfinsternisse eine
Fortsetzung der Begrenzung des Erdschattens über den Mondrand
hinaus in den scheinbar leeren Raum beobachtet hat. Diese Fort-
setzung würde sich dadurch erklären lassen, dafs die von mir ange-
nommene von der Sonne abgekehrte Ausströmung aus den höchsten
Atmosphären-Schichten der Erde die Umgebung des Mondes gerado
in der Finsternifs-Stellung mit feinen Massentheilen erfüllen könnte,
welche im allgemeinen theils mit zurückgestrahltem Sonnenlicht, theils
mit einem dem Polarlicht ähnlichen Eigenlichte zu leuchten scheinen.
Diejenigen dieser Theilchen, welche innerhalb des Erdschattens
liegen, würden dann natürlich etwas weniger hell erscheinen, und so
liefse sich die bei der Mondfinsternis beobachtete Fortsetzung der
Begrenzung des Erdschattens über den Mondrand hinaus eiuigermafsen
erklären; denn es ist eine bekannte Erfahrung, dafs man derartige
feine Lichtuuterschiede, welche unter gewöhnlichen Verhältnissen sich
der Wahrnehmung entziehen, deutlich bemerkt, wenn man durch ge-
gebene Oestaltverhältnisse einen gewissen Anhalt für die Erfassung
derselben empfängt. Dieser bei den Mondfinsternissen gegebene
Anhalt könnte möglicherweise eine Gegenwirkung gegen den un-
günstigen Einflufs bieten, welchen das N'ebenlicht des unverfinsterten
Theiles der Mondscheibe auf die Sichtbarkeit feiner Lichtunterschiede
in der Nähe des Gegenscheines des Thierkreis-Lichtes ausüben müfste.
Jedenfalls erscheint es rathsatn, diese Wahrnehmung bei den
verschiedensten Mondfinsternissen in Verbindung mit sonstigen Unter-
suchungen über das Thierkreis-Licht aufmerksam zu verfolgen, man
kann behaupten, dafs hierdurch das Interesse an der sorgfältigen
Beachtung aller bei den Mondfinsternissen hervortretenden Erscheinungen
um ein Bedeutendes gestiegen ist.
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Versuch einer beweisführenden Darstellung des Welt-
gebäudes in elementarer Form.
Von
Dr. M. Wilhelm Meyer-Berlin.
(Schiufa.)
llie Schwerkraft der Erde regiert den Mond. Das ist bewiesen.
> i£X Diese selbe Kraft strahlt auch noch weit über den Umfang der
Mondbahn in den Raum hinaus. Sollte deshalb nicht auch die
Bewegung der Sonne dadurch erklärt werden und die Gelehrten des
Alterthums Recht behalten können, welche die Erde im Mittelpunkte des
Weltalls festhielten und alle Gestirne nur um sie kreisen liefson? Der
offenbare Augenschein zeigt ja unzweifelhaft, dafs nur Eines von Beiden
siattfinden kann: entweder bewegt sich die Sonne in der That um die
Erde, so wie es uns scheint — und dann stellen sich die Bewegungen
aller übrigen Planeten recht komplizirt und schwer verständlich heraus
— oder es ist umgekehrt, d. h. die Erde bewegt sich um die Sonne,
worauf sich sofort die himmlischen Bewegungen ganz wesentlich ver-
einfachen und die Sonne zum gewaltigen Kraftmittelpunkte eines ein-
heitlich regierten Systems wird. Bis jetzt war die Entscheidung
zwischen diesen beiden Alternativen nicht möglich; wir mufsten uns
mit der allerdings sehr viel grüfseren Wahrscheinlichkeit für die Be-
wegung der Erde begnügen. Aber unsere gegenwärtig absolvirten
mathematischen Betrachtungen geben uns nunmehr die Entscheidung
darüber in die Hand; die Rechnung, die Zahlen allein können das
grofse Urtheil fällen, ob die Erde aus dem Mittelpunkte der Welt ver-
drängt worden soll oder nicht Gehen wir an diesen Urtheilsspruch;
er ist reif.
Die erste peinliche Frage, welche wir zu diesem Examen an die
N'atur stellen, ist die: Wie grofs ist die Anziehungskraft der Erde in
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695
der Entfernung der Sonne? Die letztere ist inzwischen nach bekannten
Methoden ausgemessen und gleich 20 023 000 Meilen oder rund 148 600
Millionen Meter befunden. Aus dem Gesetz der quadratischen Abnahme
der Schwerkraft folgt, nach der früher gefundenen Formel
rä
:
in welcher g die oft benützte Schwerkraft auf der Oberfläche der Erde,
r der Halbmesser der letzteren und r, ihre Entfernung von der Sonno
bedeutet, dafs ein Körper in dieser Entfernung von der Erde in einer
I
Sekunde nur um
111300000
Meter durch ihre Schwerkraft ihr genähert
wird. Um diese höchst geringfügige Gröfse fällt also wirklich die
Sonne in einer Sekunde gegen die Erde hin. Dies ist nicht anzuzweifeln.
Nun fragt es sich ob die Sonne, wenn sie sich in der oben ge-
nannten Entfernung wirklich um die Erde bewegt, um so viel auf ihrer
Bahn von der Tangente an dieselbe nach der Erde hin abweicht, mit
anderen Worten, ob das nach der früher angewendeten Formel ge-
fundene x gleich dem oben ermittelten g, ist oder im algebraischen
Ausdrucke ob
r* 2 r, -2
S|=*V=-G*- = X
ist. Hier ist u gleich der Umlaufszeit der Sonne um die Erde oder
umgekehrt; also u = 365.26 Tagen oder rund 31 560 000 Sekunden.
Die Rechnung ergiebt mit diesen Zahlen, dafs
x = 0.002945 = 5 i . Meter
oov.o
ist, ein Resultat, welches mit den vorhin gefundenen & = - .
111 olHJ UUU
Meter absolut nicht übereinstimmt. Unsere Theorie, welche in bezug
auf den Mond zu so triumphirendem Einklang führte, versagt hier
vollständig: Die Erde regiert nicht die Sonne, os ist umgekehrt; Die
Sonne strahlt eine gewaltige Anziehungskraft aus und macht die Erde
und alle Planeten sich ewig unterthan.
Alle Planeten? Ist das nicht voreilig ausgesprochen? Können
wir in der eben vorgetragenen Theorie nicht noch direktere Beweise
hierfür finden, als die früher entwickelten Betrachtungen von der Ver-
einfachung der Bewegungen enthalten, sobald wir die Bewegung der
Erde um die Sonne einmal mit Gewifsheit erkannt haben? In der
That sind wir diesen Beweis noch schuldig, und auch zugleich den,
dafs die ungleich gewaltigere Anziehungskraft der Sonno denselben
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696
Gesetzen unterthan ist, wie die der Krde. Sie mufs an sich konstant
sein und deshalb das Gesetz der quadratischen Abnahme mit der
Entfernung zeigen. Um dies zu ermitteln, können wir jeden Pla-
neten in derselben Weise behandeln wie vorhin den Mond und müssen
dabei für eine bestimmte Entfernung stets auf die gleiche Gröfse der
Anziehungskraft stofsen. Sehen wir, ob dies zutrifft.
Wir müssen zu diesem Ende zunächst bestimmen, wie grors die
Anziehungskraft der Sonne überhaupt ist. Die mangelnde Ueberein-
stimmung der letztgefundenen Zahlen x und g, zeigte, dafs diese
Kraft der Sonne sehr viel gröfser ist als die der Erde. Das
Verhültnifs beider zu einander ist offenbar sofort gefunden, indem wir
diese beiden Zahlen durch einander dividiren. Denn das früher ge-
fundene g, ist doch die effektive Anziehungskraft der Erde in der
Entfernung der Sonne: das x dagegen bedeutet nach unserer neuen
Erkenntnifs die Gröfse, um welche die Erde durch die Sonne in jeder
Sekunde wirklich von ihrer gerade fortschreitenden Richtung zu einer
kreisförmigen Bahn abgelenkt wird, d. h. x ist die wirkliche Fall-
strecke der Erde oder die Schwerkraft der Sonne in derselben
Entfernung, in Metern und für eine Sekunde ausgedrückt, wie es auch
für g, der Fall war. Das Verhültnifs der Schwerkraft der Sonne zu
der der Erde ist also gleich
- = — = 327 800
g, 339.6
Das hoifst also, die Sonne strahlt eine um beinahe den dritten
Theil einer Million mal gröfsere Kraft in das Weltall hinaus als die
Erde: Das ist die ungeheure Centralgewalt, durch welche die Ord-
nung in unserm schönen Systeme wohlthätig aber zugleich mit un-
erschütterlicher Konsequenz erhalten wTird, und mit der die Allein-
herrscherin sich ihre unbedingte Autorität über ihre Unterthanen sichert.
Von dieser ungeheuren Kraft, welche aus dem Centrum unseres
Systems strahlt, können wir uns keine Vorstellung machen. Würde
die Erde eine gleiche Kraft besitzen, so müfsten die Körper auf ihrer
Oberfläche nicht 4.89 in in der erston Sekunde, sondern 4.89 X 32780(1
oder rund 1 600 000 m herabstürzen und ein winziger Gegenstand, etwa
ein Papierschnitzelchen von 10 mm quadratischer Seitenlänge, ■welches
bei uns ungefähr ein Centigramm wiegt, würde durch die Anziehungs-
kraft der Sonne horabgezogen, in unserer Hand zu einem schweren
Gewichte von 327800X0.00001, also 3'/4 Kilo werden: Ein Papier-
stückchen, das sechs Pfund wiegt: Welch ungeheurer Druck muss die
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Massen in der Sonne zusammenpressen ! Welche unvorstellbar grofsen
inneren Kräfte arbeiten in diesem Centralherdo unseres engeren Welt-
gebäudes und versorgen uns durch den Uebergang dieses ganz un-
ermefslichen Druckes in Wärme und Licht mit unversiegbarer, wunder-
voller Lebenskraft!
Allerdings auf der Oberfläche der Sonne ist dieser Druck bei
weitem nicht so bedeutend, als wir es soeben gefunden hatten. Der
Durchmesser der Sonne ist sehr viel gröfser als der der Erde und
wir hatten vorhin unsere Rechnung für die Entfernung des Erdhalb-
messers vom Mittelpunkt ausgefiihrt, um überall für den Vergleich
dieselben Einheiten einzuführen. Aus der bekannten Entfernung der
Sonne und ihrem scheinbaren, von der Erde aus gemessenen Durch-
messer können wir aber nach früher erläuterten Methoden ihre wahre
(irörse leicht bestimmen und finden, dafs die Sonne unsere Erde um
das 108.6 fache im Durchmesser übertrifft. Dio Anziehungskraft nimmt
mit dem Quadrat der Entfernungen ab; folglich müssen wir, um die
Schwerkraft auf der Sonnenoberfläche zu finden, die oben ermittelte
Verhältnifszahl 327 800 durch 108.6 X 108.6 dividiren, um die ge-
wünschte Zahl gleich 27.8 zu erhalten. Ein Gegenstand, der hier ein
Kilo wiegt, würde also auf der Oberfläche der Sonne 27.8 Kilo schwer
sein. Liefsen wir diesen Körper frei fallen, so würde er in der ersten
Sekunde offenbar 27.8 X 4.89 = 136 m herabfallen. Das sind That-
sachen, die wir von Schlufs auf Schlufs weiter vordringend und nur
wirklich Beobachtetes als Prämissen einführend, entdeckt haben. Un-
sere Geisteskraft überzeugte uns von Dingen und Eigenschaften der
Materie mit aller logischen Bestimmtheit, welche in vielen Millionen
von Meilen Entfernung, für uns gänzlich unerreichbar, nothwendig
vorhanden sind.
Aber noch andere interessante Schlufsfolgerungen können wir
aus den ermittelten Thatsachen ableiten. Es stellt sich nämlich heraus
und ist auch beinahe unmittelbar verständlich, dafs jeder Körper in
demselben Verhältnis mehr Anziehungskraft ausübt, als er schwer
ist oder Masse enthält. Das ist im physikalischen Laboratorium zu
konstatiren. Es folgt daraus erstens, dafs die Sonne 327 400 mal
schwerer ist als die Erde. Wir haben die Sonne auf die Waagschale
gelegt; sie hat uns ihr Riesengewicht verrathen müssen. Ans der
Masse, welche sich in der Sonne vereinigt, könnte man folglich 327 400
Kugeln von der Gröfse der Erde und der gleichen mittleren Dichtig-
keit der irdischen Gesteinschichten formen. Nun verhält sich aber
bekanntlich der Rauminhalt zweier Kugeln, wie die dreimal mit sich
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selbst multiplizirten Durchmessor derselben. Da also die Sonne im
Durchmesser 108.6 mal gröfser ist als die Erde, so erhalten wir ihr
Volum gleich 108.6 X 108.6 X 108.6 = 1280 000. Da sich auf diesen
Raum die nur um 327 800 mal gröfsere Masse verbreiten mufs, so folgt
also, dafs die Materie der Sonne in ihrem Körper weniger dicht ge-
drängt neben einander lagert wie bei uns. Die Dichtigkeit der Sonne
im Vergleich zu der der Erde ist folglich
327 800
1 280 ÖbcT
= 0.256
oder der vierte Theil derselben. Trotz des gewaltigen Druckes, wel-
cher die Massen der Sonne Zusammenhalt, ist die Materie derselben
doch viermal lockerer vertheilt wie bei uns. Da man jedoch an-
nehmen mufs, dafs die Dichtigkeit nach dem Innern der Sonne sehr
beträchtlich zunimmt, wofür die Oberflächenschichten also — wir
können ja nur eine mittlere Zahl für die Dichtigkeit Anden — um
so lockerer sein müssen, so ist wohl aus diesem Grunde allein der
Schlufs .berechtigt, dafs in der Nähe der uns sichtbaren Oberfläche
der Sonne sich leichte Gase befinden, wie es das Zcugnifs des Spek-
troskops ja in dor That bestätigt
Ich bin nun noch den Beweis dafür schuldig geblieben, dafs
diese Schwerkraft der Sonne, über deren besondere Wirkungen wir
uns soeben unterhalten haben, auch allen anderen Planeten gegenüber
demselben Gesetze folgt, wie die der Erde, das heifst, dafs sie gleichfalls
mit dem Quadrat der Entfernung abnimmt. Erst wenn dieses durch
die Beobachtung endgültig bewiesen ist, sind auch die übrigen Schlüsse
unantastbar richtig. Der Beweis ist mit unserm inzwischen angesam-
melten werthvollen Material sehr leicht geliefert Wenn nämlich dieses
Gesetz der quadratischen Abnahme statttindot, so mufs offenbar für
jeden Planeten das für ihn geltende g mit dem zugehörigen x über-
einstimmen. Also in algebraischer Schreibweise mufs sein:
und für einen zweiten
Hieraus folgt:
g _ ru2,
gi ~ ft u3
Nach dem Gesetz der quadratischen Abnahme der Schwerkraft
mufs nun aber auch noch das Verhältnite stattfinden:
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699
_g _ £,3
gi r-
P*
Tragen wir diesen letzeren Ausdruck für — auf der linken
gi
Seite der vorangehenden Formel ein, so erhalten wir endlich
£is - L . "•*
rä r, u2
ein berühmter Ausdruck, der besagt, dafe, wenn das quadratische
Gesetz der Schwerkraft auch für die Sonne gilt, die dreimal mit Bich
selbst multiplizirte Entfernung jedes beliebigen Planeten von der
Sonne, dividirt durch seine zweimal mit sich selbst multiplizirte Um-
laufszeit eine für unser ganzes System konstante Zahl sein mufs. Wir
haben das sogenannte dritte Keplersche Gesetz, welches der grofse
Reformator als ein wunderbares Faktum entdeckt hat, ohne es erklären
zu können, als eine nothwendige Folge des Sohweregesetzes erkannt.
Sein Wortlaut ist bekanntlich: Die Cuben der halben grofsen
Axen der Planetenbahnen verhalten sich wie die Quadrate
dor Umlaufszeiten.
Dafs es sich in der That so verhält, können wir aus dem uns
vorliegenden Beobachtungsmaterial sofort auf das Leichteste nachweisen.
Im 8. Hefte dieser Zeitschrift haben wir gezeigt, wie man durch die
irdische Beobachtung allein die Umlaufszeiten der Planeten um die
Sonne ermitteln kann. Auf Seite 485 sind dieselben angegeben. Im
darauf folgenden Hefte ist ferner auch die Methode ausführlich be-
schrieben, welche uns in den Stand setzt, auch die Entfernungen der
Planeten wenigstens in Einheiten unseres Abstandes von der Sonne
zu finden. Ich will die Resultate der betreffenden Beobachtungsreihen
hier neben einander stellen. Es ist für
p
u
Merkur =
0.3871 .
. . . . 87.97 Tage
Venus
0.7233 .
.... 224.70
«
Erde =
1.0000 .
.... 365.26
*1
Mars =
1.5237 .
.... 686.98
M
Jupiter =
5.2028 .
.... 4332.58
N
Saturn =
9.5389 .
.... 10759.22
n
Uranus -=
19.1833 .
.... 30686.51
Neptun =
Himmel uod Erde, I. 19.
30.0551 .
.... 60186.64
n
50
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700
Welche Reihe wir auch hier herausgreifen mögen, wir werden
immer, wenn wir die erste zum Cubus, die zweite zum Quadrat er-
heben und die erhaltenen Produkte durch einander dividiren. ein und
dieselbe sehr kleine Zahl erhalten, welche als gemeiner Bruch nieder-
geschrieben den Zähler 1 und den Nenner 1334000 hat. Letztere
Zahl giebt, wTenn man die Quadratwurzel aus derselben zieht, 365.26,
d. h. die Umlaufszeit der Erde um die Sonne, aus leioht ersichtlichen
Gründen.
Mit der Ableitung dieses alle Planeten verbindenden wunderbaren
Gesetzes ist das in so überwältigend großartigem Stylo einheitlich
errichtete Weltgebäude gekrönt. Unsere Aufgabe ist erledigt Wir
haben uns überzeugt, und zwar auf dem unerschütterlich festen Fun-
dament der logisch mathematischen Kombination von Thatsachen augen-
scheinlicher Beobachtung, dafs ein einheitliches, ewiges Gesetz die
Bewegungen des weiten Weltalls regiert. Denn auch überall, wo
wir außerhalb unseres Systems bis in die letzten Tiefen des un-
ergründlichen Universums Bewegungen von Himmelskörpern mit
genügender Sicherheit prüfen konnten, befolgten sie ganz ausnahmslos
diese großen drei Gesetze Keplers, die der nothwendige Ausfluß
von dem einen größesten sind, dem Ne wtoni sehen Gesetze von
der Abnahme der Anziehungskraft mit dem Quadrate der Ent-
fernungen.
Zum Schluß jedoch bin ich genötliigt, diejenigen meiner Leser
um Entschuldigung zu bitten, welche in diesen Aufsätzen nicht ge-
funden haben, was sie sonst in meinen Schriften wohl zu finden ge-
wohnt sind. Namentlich die letzten Kapitel sind von schwerwiegenden
Betrachtungen, die dem Geiste einigermaßen angestrengte Thiitigkeit
zumutheu, erfüllt gewesen, und Zahlen, sehr viele und sehr lange, die
allein beweisen können, durften nicht weggelassen werden. Dennoch
bin ich kühn genug zu behaupten, daß diese Lektüre für alle die-
jenigen, welche die Wollust des Erfindens kennen, von weit größerem
Genuß gewesen ist, als irgend eine leichtfertige feuilletonistische Plau-
derei über Verhältnisse der Himmelsräume, die man wohl anstaunen,
aber nicht begreifen kann, und welcho folglich das jedem denkenden
Geiste unerträglich bittero Gefühl des Zweifels zurücklassen muß.
Wer den hier vorgetragenen Betrachtungen und Schlüssen aufmerksam
folgte, wird fortan dem Himmel viel näher stehen. Seinem Geiste ist
der Weg erschlossen, welcher zu den Wundern der Verwaltung dieses
ewigen Gebäudes geführt hat. Er wird mit großer Genugtliuung dem
slemdurcliwebten Firmamente seine Augen zuwenden und tiefere, er-
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701
hebendere, andachtvollere Gedanken von der Einheit und ordnenden
Kraft des Ganzen werden sich ihm an diesen Anblick knüpfen. Und
er empfindet, wie die Erde klein, unendlich klein und noch kleiner der
Mensch ist, der dennoch mit der unergründlichen Kraft seines logisohen
Geistes alle diese Unendlichkeiten erleuchtend umspannt. Schande
Dem, der diese ihm allgütig verliehene göttliche Kraft des Gedankens
schmählich verkümmern und verkommen läfsL
30*
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Das Okularende des groben Refraktors der Sternwarte zu Pulkowa.
Unser Titelbild, welches das Okularende des groben Refraktors
der Sternwarte zu Pulkowa darstellt, zeigt deutlich die grofse Anzahl
von Hülfsinstrumenten, mit welchen ein gröfseres Fernrohr ausgerüstet
sein mufs, um in bequemer und nutzbringender Weise gebraucht werden
zu können. Das Okular selbst nimmt nur den kleinen Mittelpunkt
des ganzen Apparates ein. Es ist zunächst umgeben von dem wich-
tigsten Mefsinstrument, einem Positions-Mikrometer. Zur Rechten von
diesem bemerken wir kreisförmige Handhaben, welche zur Festklem-
mung und zur feinen Bewegung des Fernrohrs dienen; links dagegen
sehen wir oberhalb und unterhalb kleinere, schmalo Fernrohre, welche
die Ablesung der an den beiden Drehungsaxen befindlichen einge-
theilten Kreise vom Platze des Beobachters aus ermöglichen. Das
dickere Rohr, welches sich vom Mikrometer aus nach links hin erstreckt,
trägt am Ende eine Lampe, deren Licht durch eine Drehscheibo mit
verschiedenfarbigen Gläsern beliobig abgeschwächt werden kann und
dann durch den weiten Tubus mit Hülfe kleiner Spiegel nach den
verschiedensten Stellen am Instrument hingeleitet wird, wo immer eine
Erleuchtung für die Beobachtungen zur Nachtzeit erforderlich ist. —
Das kurze Fernrohr oberhalb des Beleuchtungstubus steht dem groben
Refraktor parallel und dient als Sucher, indem es bei sehr schwacher
Vergröberung ein weit gröberes Gesichtsfeld hat, als das Hauptrohr,
und deshalb geeignet ist, die zu betrachtenden Objekte leicht aufzu-
finden und in die Mitte des Gesichtsfeldes zu bringen. — Das Haupt-
Fernrohr selbst erscheint in unserer Abbildung stark verkürzt, deut-
lich sind aber rechts die beiden Axen zu sehen, um welche es dreh-
bar ist. Die mehr hervortretende dieser Axen steht steil empor ge-
richtet und bildet mit der Horizontalebene einen Winkel von 59° 40',
der geographischen Breite von Pulkowa. Diese Axe, Stundenaxe ge-
nannt, steht parallel der Erdaxe und mithin senkrecht zur Ebene des
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"lZ-TV
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Das Ocularende des grofsen Refractors zu Pulkowa.
703
Aequators, weswegen ein derartig aufgestelltes Instrument als „Aequa-
toreal“ bezeichnet wird. Die andere Axe dagegen heifst Deklinations-
Axe, weil durch Drehung um sie die Deklination des Punktes, nach
welchem das Fernrohr hinzeigt, geändert wird. Nur bei Aequatorealen
ist es möglich, das Fernrohr durch gleichmässige Drehung um die
Stundenaxe vermittelst eines Uhrwerks dem einmal eingestellten Stern
so nachzufdhren, dafs er trotz der täglichen Bewegung beständig in
der Mitte des Gesichtsfeldes bleibt.
Das Objektivglas des erst vor wenigen Jahren fertig gestellten
45 Fürs langen Fernrohrs besitzt 30 Zoll (81 cm) im Durchmesser
und ist an Gröfse bis jetzt nur von dem Refraktor der Licksternwarte
übertroffen worden. Die Glasmasse wurde, nachdem ein von Cliauce
Brothers in Birmingham gelieferter Block bei der Bearbeitung ge-
sprungen war, von der berühmten Pariser Firma Feil unter der Auf-
sicht des zu diesem Zweke aus Amerika herübergereisten Herrn
Alvan Clark hergestellt und erst nach zwei Jahren war der Gufs
einer vollständig fehlerfreien Masse gelungen. Clark brachte nun
bei der Konstruktion des Objektivs die wichtige Neuerung an, dafs
er die beiden Linsen des achromatischen Systems nicht nahe an
einander legte, sondern durch einen gröfseren Zwischenraum von ca.
C Zoll trennte, wodurch eine leichtere, völlig gefahrlose Reinigung
der Innenflächen, sowie auch ein schnellerer Temperaturausgleich
ermöglicht wurde. — Die gesamte Montirung endlich ist von Gebrüder
Repsold in Hamburg verfertigt worden und für die Bedachung des
Instrumentes ist wegen des schneereichon winterlichen Klimas von
Pulkowa an Stelle der sonst üblichen Kuppelform ein 55 Fufs hoher
Drehthurm gewählt worden. F. Kbr.
t
Die submarinen Tiefebenen in ihrer Beziehung zur vulkanischen
Thätigkeit. Die Untersuchung der Frage, ob die vulkanische Kraft bei
der Umgestaltung der Meeresbecken betheiligt ist, bildet den Gegen-
stand einer von E. S. Dana in der letzten Märznummer des American
Journal of Science veröffentlichten Abhandlung.
Die in der Nähe vulkanischer Inselgruppen vielfach beobachteten
Tiefseethiiler von bedeutender Ausdehnung, legen auf den ersten Blick
die Vermuthung nahe , dafs zwischen solchen unterseeischen Ein-
senkungen der Erdrinde und der vulkanischen Thätigkeit Beziehungen
irgend welcher Art bestehen. Man könnte etwa solche Einsenkungon
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704
auf Unterminirungen der Erdkruste zurückfuhren, welche nach Mafs-
gabe der Erhebung vulkanischer Inseln über den Meeresboden augen-
scheinlich von bedeutendem Umfange gewesen sein müssen, oder
auch auf einen aus der Schwere erwachsenden vermehrten Druck der
Erdkruste in der Umgebung vulkanischer Gegenden, eine Spekulation,
die das Empordringen schmelzflüssiger Lava alsdann dadurch erklären
dürfte, dafs die sich senkenden Erdschollen in die zähflüssige Median-
zone hineinragen und durch ihre pressende Kraft Gluthmassen an
den benachbarten schwächeren Stellen zum Ausbruch bringen.
Allerdings giebt es, wie Dana zeigt, eine Reihe von Thatsaohen,
welche die Hypothese des vulkanischen Ursprunges der Tiefseemulden
begünstigten, aber denen gegenüber steht eine andere Reihe von
Fällen, die mit grüfserer Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dafs die Ge-
staltung des Meeresbodens in der Nähe von Eruptionscentren durch diese
nicht beeinflufst worden ist. Fälle der ersten Art werden im Stillen
Ozean besonders häufig angetrolTen. Die Lothungen haben hier die
Existenz zweier kontinuirlich sich ausdehnender muldenförmiger Ver-
tiefungen der Erdrinde in unmittelbarer Nähe der grofsen Krater
Mauna-Loa und Mauna-Kea auf den Hawaii-Inseln erwiesen; eine
derselben liegt nordöstlich von Oahu und besitzt eine Tiefe von 5.53 km,
die andere, östlich von Hawaii, hat 5.23 km Tiefe. Hier werden also
in unmittelbarer Nähe der Insel Abgründe angetroffen, deren Tiefe die
mittlere Tiefe der Weltmeere bedeutend übersteigt1)
In dem westlichen Theile des Stillen Ozeans, und zwar an dem
südlichen Ende der vulkanischen Gruppe der Ladronen, haben
die Lothungen der britischen Korvette Challenger erst in 8.19 km
Grund ergeben2), und östlich von dem japanischen Insel-Archipel und
den Kurilen, eine Gegend, die mächtige Kettenvulkane aufweist, be-
findet sich die am meisten ausgedehnte und tiefste Einsenkung des
Ozeanbodens; ihre Länge beträgt 1800 engl. Meilen und ihre Tiefe
schwankt zwischen 7.32 und 8.51 km. Mehr östlich in der Nähe der
Aieuten-Gruppe trifft man eine Vertiefung von gegen 7.32 kin an, welche
sich wahrscheinlich von den Kurilen bis nach der vulkanischen Kette
der Aleuten hinzieht und in diesem Falle eine Länge von 2500 engl.
Meilen erreichen würde.
Aehnliche Beziehungen zwischen vulkanischen Ketten und Ein-
*) Nach neueren Berechnungon von General Tillo beträgt die mittlere
Tiefe der Ozeanbecken 3.80 km, siehe Heft 11, S. 662.
s) Vergl. „Himmel und Erde', Hoft 5, S. 318.
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705
Senkungen des Meeresbodens wird man bei genauerer Betrachtung
der Tiefseekarten vielfach auffinden, doch dürften wohl wenige Fälle
mit mehr Gewifsheit zu Gunsten des vulkanischen Ursprunges solcher
ozeanischen Depressionen sprechen, als die hier in Betracht ge-
zogenen.
Andererseits bietet der Stille Ozean längs der Küstenlinien
von Nord- und Süd-Amerika überzeugende Belege für die Ab-
wesenheit von unterseeischen Thälern gerade in Gegenden aufser-
ordentlich starker vulkanischer Tlüitigkeit. Die südamerikanischen
Küstenvulkane sind zahlreich und von bedeutender Höhe, und
doch hat der Stille Ozean längs des ganzen Geländes hier nur
zwischen 3.68 und 4.94 km Tiefe. Die einzigen Ausnahmen, welche bis
jetzt gefunden wurden, sind eine wenig umfangreiche Einsenkung von
5.49 bis 6.16 km in der Nähe der Küstenlinien von Peru, sowie eine
weitere unter der Breite von St. Franziska an der Nordküste Amerikas.
An der europäischen Küste des Atlantischen Ozeans waren die Vul-
kane wenigstens seit der sibirischen Epoche reichlich vertreten, und
doch weist die nichtvulkanische Seite von Nordamerika bei weitem
gröfsere Sonkungsfelder und mittlere Tiefen auf, als die europäische.
Die vorgefiihrten Thatsachen sprechen nach Dana durchaus nicht
für einen mafsgebenden Ein Hufs der vulkanischen Thiitigkeit auf
die Bildung unterseeischer Thiiler. Auch die Annahme, dieselben
könnten irgend welchen oberflächlich wirkenden Kräften ihre
Existenz verdanken, mufs zurückgewiesen werden, da die über den
Meeresboden sich erstreckende Erosionsthätigkeit wohl kaum fähig
war, stellenweise Thiiler von solchem Umfange in die Erdrinde ein-
zugraben.
Der Umstand, dafe die Entstehung der vulkanischen Inselgruppen
des grofsen Weltmeeres wahrscheinlich auf gewaltige Dislokationen
der Erdrinde, d. h. Verschiebungen ihrer Niveauflächen, zurückzu-
führen ist, macht es nach Dana annehmbar, dafs gerade in ihrer Nähe
die schwächsten Stellen der Binde angetroffen werden. Vielleicht sind
langsame Verschiebungen längs alter Bruchlinien und die dort vor-
handene geringe Widerstandsfähigkeit der Erdschollen die Ursache der
Einsenkungen. Schw.
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706
Spektroskopische Beobachtungen am Eiffelthurm.
Nachdem der Eiffelthurm kaum vollendet ist, wird er bereits von
den Gelehrten für Forschungen von höchstem Interesse benutzt. Am
Sonntag den 12. Mai hat Janssen einen Versuch angestellt, der einen
glänzenden neuen Beweis fiir seine Theorien über die Beschaffenheit
der Sonnenatmosphäre liefert.
Die Luftlinie von der Spitze des Thurmes bis zum Observatorium
von Mcudon beträgt 7800 Meter, ebensoviel wie die Dicke der Erd-
atmosphäre betragen würde, wenn die Dichtigkeit der ganzen Lufl-
inasse, welche sie bildet, anstatt abzunehmen, wenn man sich vom
Mittelpunkte des Planeten entfernt, gleichmäfsig wäre, und gleich
der der Luft auf der Oberfläche der Erde; infolge dessen ist die
Anzahl der Luftmoleküle, denen ein vom Eiffelthurm auf das Obser-
vatorium von Meudon gerichteter Strahl begegnet, gleich derjenigen,
welchen ein von der Sonne ausgehender Strahl im Sommer um Mittag
begegnet.
Janssen war schon seit langer Zeit durch theoretische Erwägungen,
die hier weiter keinen Platz finden sollen, die aber durch die auf dem
Pic du Midi und den Grands Mulets angestellten Versuche noch be-
stärkt wurden, zur Ansicht gekommen, dafs die Sonnenatmosphäre keinen
Sauerstoff besiifse, und dafs die Sauerstofllinien, die das Spektroskop
im Sonnenlicht zeigt, nicht diesem Licht eigenthüinlich, sondern einzig
und allein der Veränderung zuzuschreiben sind, die dasselbe beim
Durchgang durch die Luftmoleküle erleidet.
Bei dem Versuche des 12. Mai ward die Linie B, das wuchtigste
Merkzeichen des Sauerstoffs, in dem Spektrum des in Meudon aus
einem der mächtigsten elektrischen Reflektoren des 300 Meter-Thurmes
erhaltenen Strahles, der genau dieselbe Macht hatte, als wenn er von
der Sonne ausgegangen wäre, gefunden; nun ist aber nach einem
bekannten Gesetz der Spektralanalyse die Intensität der charak-
teristischen Linien eines Gases proportional zu der Anzahl der vom
Lichtstrahl begegneten Moleküle; es ist daher einleuchtend, dafs
die durch das Vorhandensein der Linie B angedeutete Modifikation
einzig und allein dem Sauerstoff der Luft zuzuschreiben ist Wenn
man daher ein Spektroskop an der äufsersten Grenze unserer Atmos-
phäre aufstellen könnte, so würde der Sonnenstrahl, den es bei dessen
Austritt aus dem zwischen dem Himmelskörper befindlichen leeren
Raum auffängt, keine Spuren von Sauerstoff anzeigen.
Dieser Versuch ward am 19. Mai unter Verhältnissen erneuert,
die ihn noch unbestreitbarer machen, indem das Prisma fiir die
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707
photographischen Versuche durch ein Gitter von 3000 Parallellinien
welche mit dem Diamanten auf eine Glasplatte von 0,1 m Länge, deren
sich Janssen schon bedient hatte, um auf einer der Karolinen die
totale Sonnenfinsternifs von 1880 zu studiren, gravid waren, ersetzt
wurde. Die Resultate waren denen vom 12. Mai identisch, die erhaltenen
Beweise aber, die am 20. Mai der Akademie der Wissenschaften vor-
gelegt wurden, zeigen einen noch höheren Grad von Vollkommenheit.
Janssen beabsichtigt, sich als Gegenprobe mit seinen Apparaten
auf einem der Thürme des Trokadero aufzustellcn, d. h. auf eine Ent-
fernung vom Eiffelthurm, die gering genug ist, dafs, da die Luftschicht
eine unbedeutende ist, die Sauerstofflinien fast vollständig verschwinden;
ferner soll er noch die Absicht hegen, den Kriegsminister zu bitten,
ihm einen der beweglichen Projektoren, die einen Theil der Armirung
der pariser Forts bilden, und dio noch mächtiger als die des 300 Meter-
Thurmes sind, zur Verfügung zu stellen, um ein Lichtbündel von
äufserster Stärke durch seine 100 Meter lange Röhre, die reinen Sauer-
stoff unter dem Druck von 200 Atmosphären enthält, fallen zu lassen.
Diese Versuche sind von äufserstem Interesse für das Studium
der Astrophysik, die schon so viel den Arbeiten Janssens verdankt;
und es sind sicherlich nicht die letzten, denen dieses Monument,
das bisher seines Gleichen nicht gehabt, infolge seiner Ausnahme-
stellung eine ebenso kostbare wie ungehoffte Unterstützung leihen wird.
Berghaus, Major a. D.
f
Entstehung der elliptiseheu Bcweguug der Kometeu.
Wir kennen gegenwärtig bereits eine Reihe von Kometen, (etwa 14 wiederholt
beobachtete) deren Bewegung iin Sonnensystem elliptisch ist, die also in be-
stimmten Perioden zum selben Punkto ihrer Bahn zurückkehreu und dann von
der Erde aus unter mehr oder weniger günstigen Verhältnissen wieder gesehen
werden können. Die weitaus gröfsero Zahl der Kometen hat parabolische Be-
wegung, durchwandert also nur unser Sonnensystem, ohne jemals wieder dahin
zurückzukehren. Man hat die Entstehung der elliptischen Bewegung einzelner
Kometenindividuen aus Störungsursachen in den Bahnen parabolischer Kometen
erklärt, indem vermöge der Anziehungskraft der Planeten von grofser Masse
(namentlich durch Jupiter) so bedeutende Störungen parabolischer Bewegungen
stattfinden können, dafs die Bahn dieser Kometen eine ganz wesentliche Ver-
änderung erleidet. Tisserand hat nun vor kurzem speciell die Einwirkung
des Jupiter auf den Lauf parabolischer Kometeu näher untersucht,*) die dieser
Planet unter Umständen durch seine Bahnstörungen ausüben kann. Er be-
trachtet unter Zugrundelegung des mittleren Abstandes von Sonne und Jupiter,
der Masse und Bewegungsverhältnisse des letzteren die Bahn, welche entsteht,
•) Compt. rend. 23. April 189P.
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708
wenn ein mit parabolischer Geschwindigkeit in die Attraktionssphäre des Ju-
piter eingedrungener Komet diese Sphäre wieder verläfst. Es zeigt sich, dafs
die Halbaxcn der neuen Bahnen einen bestimmten Werth wohl kaum je über-
schreiten können. Den Kometen kommt dann auch immer eine gewisse Ex-
contricität zu, die ebenfalls in Grenzen eingeschlossen ist. Tisserand findet,
dafs für die Halbaxo einer Kometenbahn
von 3.0 die Exentrieität gröfser als 0.Ö0
„ 3.8 „ „ 0.5*2
sein müsse.
Seit geraumer Zeit vermuthet man, dafs die Entstehung der elliptischen
Kometenbahnen nicht blofs in grofsen Störung« Wirkungen des Jupiter ihre
Ursache haben dürfte, sondern dafs dabei wahrscheinlich Bewegungsvorgänge
im Innern der Kometen selbst Anlafs zu Bahnveränderungen geben. Allbe-
kannt ist die Theilung des Bielaschen Kometen in zwei Körper, die ver-
schiedene Bahnen verfolgt haben; oder die des Kometen Liais im Frühjahre
1K60. Die aufmerksame Verfolgung einer lieihe hellerer Kometen der neueren
Zeit hat zur Entdeckung merkwürdiger Veränderungen und Neubildungen in
Kometenköpfen geführt, von welchen hier nur auf die Kometen Sawerthal
(.Himmel und Erde' Oktoberheft) 188*2 II (Aprilheft) und Brooks 1880
(vorlieg. Heft) verwiesen sei. Es liegt sehr nahe anzunehmen, dafs die
so grofso Erscheinungen bewirkenden Kräfte auch auf die Bahn des
Körpers, in welchem sie auftreten, Störungen ausüben und diese also
verändern könnten. Diesen Gedanken hat neuestem» Bredichin in einem
Aufsatze »Sur lorigine des Coindtes plriodiques**) verfolgt. Er sieht in
der Theilung und in den grofsen Veränderungen der Kometenköpfe das Re-
sultat einer eruptiv wirkenden Kraft, die nach ihrer Stärke und Richtung bis-
weilen geeignet sein kann, Kometentheile in elliptische Bahnen zu schleudern.
Die diesbezügliche von ihm vorgonomracne mathematische Untersuchung der
Frage zeigt, dafs man die Aehnlichkeit der Bahnelemente zweier Kometen von
der Gröfse des Stofses ableiten kann, welcher die Theilung des Urkometen
bewirkt hat; diese Stofsstärke selbst aber hängt wieder vornehmlich von der
Periheldistanz des erzeugenden Kometen ab. Die Rechnung unter Annahme
einer bestimmten Gröfse der theilbildenden Kraft ergiebt, dafs mail mit ge-
wissen Werthen derselben für die mittleren Periheldistanzen der Kometen-
bahnen ^tatsächlich die ungefähren Verhältnisse der existirenden elliptischen
Kometen, nämlich Halbaxeu und Umlaufszeiten, erhalten kann. Bei jenen
Kometen, deren Durchschnitts -Periheldistanz kleiner als 0.1 ist, würde
man mit der Stofsstärke 0.0375 eine Halbaxe von 3.7 und eine Umlaufszeit von
7.1 Jahren bekommen, also damit die mittleren Verhältnisse dieser Kometen
treffen. Bredichin hat, ura die Anwendung seiner mathematischen Theorie
auf dio uns gegenwärtig bekannten Kometenhahnen zu zeigen, letztere
in 4 Gruppen getheilt: in jene zwischen 60— 7G Jahre Umlaufszeit, jene von
22 — 33, 10—14 und 5—7 Jahre. Unter Voraussetzung der Periheldistanz
O.tH würden für diese vier Gruppen folgende Geschwindigkeiten nothwendig
gewesen sein und folgende Halbaxcn sowie Uralaufszeiten hätten darin auf-
treten müssen:
Geschwindigkeit
Halbaxe
Umlaufszeit
In der ersten Gruppe
0.008
17.6
73.8 Jahre
» „ zweiten „
o.ou
10.3
83.1 .
» „ dritten
0.024
5.8
14.1 „
- „ vierten ,
0.0«
3.3
6.0 .
'•) Bullet, de 1« eociet»1 imp. des Nat de Moscou. 18*9.
Xo. 2.
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709
Aus diesen und anderen Ausführungen schliefst Brcdichin, dafs der Ge-
danke, aus der Aehnlichkeit der Bahnelemente mehrerer elliptischer Kometen
untereinander auf einen gemeinsamen Ursprung derselben aus einem Ur-
kometen zu schliefscn, wissenschaftlich ganz berechtigt sei. Trotz der oft
nicht unbeträchtlichen Abweichung der Periheldistanzen und Bahnneigungen
mehrerer elliptischer Kometen von nahe gleicher Umlaufszeit dürft« diesen
Kometen eine und dieselbe Entstehungsquelle zugesprochen werden. So ist
Bredichin geneigt, für die Kometen Lexell (Umlfszt. 5.63 Jahre), de Vico
(5.47), D’ Arrest (6.69) und Tempel II (5.21) einen Urkometen anzunehmen,
welcher diese Haarsterne durch Theilung erzeugte. Die elliptischen Kometen
1815 III, 1S57 IV, 1861 I, 1840 IV (zwischen 250—400 Jahren Umlaufszoit) und
andere wären seiner Meinung nach ein Eruptionsresultat, weungleich auch dio
deformirende Kraft Jupiters auf diese Bahnen bei dergleichen Betrachtungen
nicht zu läugnen und zu vernachlässigen sei. Dio Kometen von 1672, Tuttle
und Pons Brooks entstammen demselben Objecte, der Enckescho Komet
endlich hätte möglicherweise seinen Urahnen in dem grofsen Kometen von 1231
zu suchen. — Den Bredichinschen Ausführungen kann selbstverständlich
manches entgegengehalten worden, immerhin aber ist es werthvoll, die
interessante Frage über den Ursprung der elliptischen Kometen von diesem
Standpunkte aus betrachtet zu sehen. ,
*
Erscheinungen am Sternenhimmel im Monat September-Oktober.
(Sämtliche Zeitangaben gelten für Berliner Zeit.)
1. Der Mond.
Aufgang Untergang
17. Sept.
Letztes Viertel
10*
12® Ab.
2h
17®
Nm.
18. ,
Erdferne
10
59
„
3
11
„
25. „
Neumond
a
49
Mg.
6
28
„
1. Oktob.
Erdnäho
l
41
Nm.
9
25
Ab.
2.
Erstes Viertel
2
41
„
10
26
n
9- »
Vollmond
5
59
6
15
Mg.
15. ,
Erdferne
8
49
Ab.
1
4
Nm.
Maxima der Libration: 24. September, 9. Oktober.
a. Die Planeten.
Merkur I Venus
1
Rectas.
Deel in.
Aul#.
Unter#.
Rectas. 1 Declin. Aufg.
Unterg.
14.
Sept.
131 0m
— 8° 30'
8»
7™lp.
fih 45™ Al.
9k
9®
+16*27' lo 58® lp.
5* 10“ In.
18.
0
13 17
-10 43
8
20 „
6 34 .
9
89
+15 14 2 9 .
.57.
22.
0
13 31
1-12 3S
8
20 .
6 21 .
9
47
+ 13 53 2 20 .
1 5 2 .
26.
0
13 43
—14 10
8
34 „
6 8.
10
6
+12 26 2 31 .
4 57 .
30.
13 51
-15 9
8
32 .
5 54 Sn.
10
25
+ 10 53 2 43 .
4 51 .
4.
Okt.
13 53
—15 25
8
20 . !
5 40 „
10
43
+ 9 14 2 54 .
4 44 .
8.
n
13 49
—14 40
7
55 .
5 23 .
11
*>
,+ 7 31 3 6 .
4 38 .
12.
n
13 37
-12 44
7
IG .
5 8.
11
20
+ 5 45 3 19 . j
4 31 .
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Jupiter
710
Mars
Kectas.
, Declin.
Aufg.
Unterg.
Hectas.
Declin.
Aufg.
Unterg.
lß.
Sept.
fik
54 m
+ 14" ff
2‘
5l»Ig.
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1 35” 5«.
171*
57®
—23«
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10
8
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2
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5
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17
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29
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9
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28.
„
10
23
i+1 1 30
2
47 „
5
1 .
18
1
—23
30;
1 44 „ !
9
18 .
4.
Okt
10
37
+10 9
2
4ß .
4
44 .
18
4
—23
30
1 24 .
8
58 .
10.
„
10
:.i
+ 84ß
2
44 .
4
26 „
18
7
—23
31 i
1 S .
8
37 .
iß.
*
io
|+ 7 22;
2
42 . 1
4
10 .
18
11
1-23
30
0 43 »
8
17 .
Saturn
Uranus
Rectafi.
Declin.
Aufg.
U nterg.
Hertas. Declin. Aufg.
Unterg.
14.
Sept.
I0<>
0®
+13*30'
3h 12”* ■*.
5b 4 6” \n
ISMßm .— 7*28' 8b ISmIr.
7k 6® IV.
22.
„
10
4
+13 11
2 4ß .
5 lß .
13 IS —7 3!l! 7 49 .
6 33 *
30.
*
10
7
+12 53
2 20 .
4 4ß .
13 20 —7 50 7 21 .
6 5 5*l
8.
Okt
10
11
+12 37
1 53 .
4 17 „
13 22 —8 1 ß 52 .
5 36 ,
Iß.
-
10
14
+12 21
1 25 „
3 47 .
13 24 — 8 12 ß 2ß „
1 II
6 8«.
Neptun*)
Hertas. Dcclin. ! Aufg. Unterg.
13. Sept 4H 12« | + 19*25' Sk 47» kb. 0h39»5«.
28. . I1 4 11 -f *9 24 | 7 48 . j 11 40 V«.
13. Okt. 4 10 + 19 20 ß 48 . 10 38 „
3. Beobachtbare Verfinsterungen der Jupitertrabanten.
22. Sept. II. Trab. Verfingt. Austritt 7h 24™ Ab.
1. Oktob. I. „ * 7 IG *
4. Sternbedeckungen durch den Mond.
(Für Berlin sichtbar.)
Oröfse Eintritt Austritt
17. Septemb. *CTauri 3.3®
2 ß“
Morg.
2b
29”
Morg.
20. *'l‘Ophiuchi 5.0
ß 9
Ab.
7
12
Ab.
13. Oktober *1 Tauri 5.5
7 5ß
„
8
49
15. „ *r( Gemin. 3 — 4
4 21
Morg.
5
38
Morg.
•) Kitiigu bemerkengwerthe scheinbare Annäherungen der Planelen an Regulus und
Spioa finden am 19., 20. und 25. Sept. statt u. *. steht
am 19. Sept. Morg. Merkur nahe bei Spiea
• 19- . . Saturn . * Regulus
■ 9°- - • Mars . . •
■ 25. . Nachm. Venus » . .
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711
5- Veränderliche Sterne,
a) Maxima variabler Sterne:
Maximum
Helligkeit
im
18S9
am
Max.
Min.
Rectas.
Declin.
S Ceti
1. Oktob.
7m
10.11*
0h 18">
25*
—
9°
56'
U Monoc.
4. T>
6
7
7
25
29
—
9
33
U Virginia
26. Sept.
7.8
12.13
12
45
28
+
6
10
S Librae
22. .
8
12.13
15
15
1
—
19
59
W Herculis
20. .
8
12
16
31
18
+
37
34
S „
29. „
6
12
16
46
50
+
15
8
R Scuti
3. Oktob.
5
8.9
18
41
34
—
5
49
R Cygni
4. .
6
13
19
33
50
+
49
57
R Delphini
1- „
7.8
13
20
9
34
+
8
45
T Aquarii
15. Sept.
6.7
12.13
20
44
5
—
5
33
s
14. Oktob.
8
11.12
22
51
9
—
20
56
U Cephei .
Algol
U Coronae .
U Ophiucbi
Y Cygni .
b) Minima der Sterne vom Algol-Typus:
20., 25., 30. Sept., 5., 10., 15. Oktob. Morg.
19. Sept. Ab., 23. Nm., 1. Okt. Mg., 6. Mttn., 12. Ab.
16. Sept. Ab., 23. Ab., 30. Nm., 7. Oktob. Nm., 14. Mttg.
(Jedes 4. Min.): 17. Sept. Mg., 20. Nm., 23. Ab., 27. Mg., 30. Nm.,
4. Okt. Mg., 7. Mg., 10. Ab., 14. Mg.
(Jedes 3. Min.): 19. Sept. Mg., 23. Nm., 28. Mg., 2. Okt Nm.,
7. Mg., 11. Nm.
T Monoc. .
3 Lyrae
7) Aquilae .
$ Cephei
c) Minima einiger Veränderlicher kurzer Periode:
. 27. Sept.
. 24. Sept, 6. Okt.
. 19., 27. Sept., 4., 11. Okt
. 20., 25. 30. Sept, 6., 11. Okt
6. Meteoriten.
Den Hanptschwarm des Monats Oktober bilden die „Orionidon", welche
vom 9. bis 29. aus einer Himmelsgegend naho der Keule des Orion schwärmen
und ihr Maximum um den 18. Oktober zeigen. (Radiationspunkt: AR=92®,
D=-j-15°). Der Schwarm wird, da der Mondschein nicht mehr störend ist
gut verfolgt werden können. Die Oktobernächte verdienen übrigens auch in
Bezug auf einigo andere sporadisch auftretende Meteorströme die Aufmerk-
samkeit der Beobachter.
7. Nachrichten über Kometen.
Der ßarnardsche Märzkomet, auf dessen jetzt günstigere Sichtbarkeit
wir im Junihefte hingewiesen haben, erreicht mit Anfang September bei fort-
während südlicher Bewegung den nördlichen Theil des Sternbildes Eriilanus;
seine Helligkeit beträgt dann um ein Drittel mehr als bei der Entdeckung.
Der Komet, den Barnard am 23. Juni aufgefunden hat, ist nach den
übereinstimmenden Berichten der Beobachter sehr schwach. Die Sonnenhöhe
dieses Gestirns dürfte um den 21. Juni eingetreten sein; es bewegte sich im
Juli und August mit sehr geringer Deklinationsveränderung quer durch das
Sternbild des Perseus und wird Anfang September in den nördlichsten Theil
des Fuhrmanns treten ; die Entfernung von der Erde nimmt zu und die Hellig-
keit sinkt dann auf ein Drittel jener bei der Entdeckung.
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712
Am ß. Juli wurde von Brooks in den „Fischen“ ein Komet gefunden,
welchen die Beobachter als etwas länglich oder kurz geschwänzt bezeichneten.
Der Komet war nicht zu schwach und besäte eine nördliche Bewegung. Laut
einer telegraphischen Nachricht ist am 1. August auf dem Lick-Observatoriura
an diesem Objekte das merkwürdige Phänomen einer Dreitheilung wahrge-
nominen worden.
Aus Queensland wird von Davidson die Entdeckung eines hellen
Kometen am 21. Juli gemeldet. Der Komet stand in dem südlichen Sternbild
des Centaur und bewegte sich nordwärts.
*
Bezüglich der in unserem neunten Hefte wiedergegebenen Mondphoto*
gramme erfahren wir nachträglich von Herrn Prof. Holden, date dieselben
von Herrn Prof. Burnham, Astronomen der Lick-Sternwarte, aufgenommen
worden sind.
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A. Blytt. The probable cause of displacement of boaehlities, with
two additional liotes. Christiania, 1889, in Kommission hoi Jakob
Dy b w ad.
Ho worth sowohl wie Suefs haben aus dem Vorkommen paralleler
Strandlinien und Terrassenbildungen an den Küsten des hohen Nordens und
Südens den Schlufs gezogen, dafs die Pole des Erdballs Zentralpunkte seien,
um welche die Landmassen seit der jüngsten geologischen Epoche in aufstei-
gender Bowegung begriffen sind. Die Erklärung dieses Vorganges sucht Suefs
in einem dauernden Abströmon der Meeresgewässer von den höheren nach
den niedrigeren Breiten und bezeichnet gelegentlich als möglicho Ursache
solcher ozeanischen Wasserversetzung eine Vermehrung der Schwungkraft
des Erdballs, die eine Beschleunigung der Rotation in der letzten geolo-
gischen Zeitepocho bedingen würde.
Hiergegen bemerkt A. Blytt mit vollem Recht, dafs die Astronomie
keine Gründe für eine Verkürzung der Rotationsdauer unseres Weltkörpers
anzugoben weifs; vielmehr macht sie uns mit einer anderen, durch die Erfah-
rung noch nicht hinlänglich verbürgten, aber theoretisch doch gesicherten
Lehre vertraut, welche gerade zu entgegengesetzten Folgerungen fuhrt. Es
ist dies die Lehre von der Verzögerung der Erdumwälzung durch die soge-
nannto „Fluthreibung“. I)a nämlich unser Weltkörper vermöge der täglichen
Drehung unter der durch die Mond- und Sonnenanziehung zuriickgchaltenen
Ozeanfluth welle fortrollt, mufs ein Theil der lebendigen Kraft des Umschwungs
durch die Reibung dieser Welle gegen den Meeresboden in Warme umgesetzt
werden, und in dem beständigen Wirken der Gczcitcnreibung liegt somit eine
Ursache für eine dauernde Zunahme der Tagesliinge. Diese von Kant zuerst
ausgesprochene Idee ist von R. Mayer, Thomson, Dolan nay und Ferrel
als folgerecht anerkannt worden, während ihre tiefere Behandlung durch G. II.
Darwin für die Kosmogonie Gesichtspunkte von weittragender Bedoutung
eröffnet hat.
In der oben genannten Schrift hat nun der Verfasser mit dieser Lehre
eine Hypothese zur Erklärung der Niveauänderimgen zwischen Festland und
Meer in Verbindung gebracht Dabei geht er von der durch Darwin (Nature,
188ß, S. 4*22) naher begründeten Vorstellung ans, dafs die Abnahme der
Schwungkraft Spannungen im Innern der plastischen, nicht absolut starren
Materie unseres Weltkörpers erzeugt, durch deren zeitweise erfolgende Aus-
gleichungen die Erdgestalt sich mehr und mehr der Kugelform zu nähern
sucht. In der hiermit verbundenen Anschwellung des festen Erdganzen rings
um die Pole und in der sie begleitenden Zusammenstellung am Aequator sucht der
Verfasser die wahrscheinliche Ursache der Veränderlichkeit in den Grenzlinien
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zwischen Festland und Meer. Allerdings werden bei verminderter Fliehkraft
auch die Wassermassen der Oceane nach den Polen zu strömen, die ungleiche
Widerstandskraft der festen Erdschollen kann indessen unter dem Einilufs
der inneren Kräfte stellenweise Erhöhungen des Festlandes gegen den See-
spiegel bedingen, so dal's die in höheren Breiten beobachteten negativen Ver-
schiebungen der Strandlinien sich mit dieser Hypothese sehr wohl verein-
baren lassen.
In Uebercinstimmung mit Lapparent spricht sich Blytt für die Mög-
lichkeit einer regelmäßigen Wiederkehr der Schwankungen zwischen dem
festen und dem flüssigen Elemente aus, und will dies theoretisch dadurch
begründen, dafs die Intensität der Fluthwelle und folglich auch die Rotations-
dauer mit der Excentricitüt der Erdbahn periodischen Veränderungen unter-
worfen ist; innerhalb des größten und kleinsten Werthes der Excentricität soll
die flutherregende Kraft um 1 m ihrer Oröfso variiren können.
Wesentliche Schwierigkeiten erwachsen dem Verfasser dadurch, dafs
er bei plausiblen Voraussetzungen über die Verlängerung des Sterntages aus
soincr Hypothese nur auf Schwankungen zwischen Festland und Meer von
wenigen Metern schließen kann,*) womit in anbetracht der bedeutenden
NiveaudifTerenzirungen, welche seit der Tertiärepoche stattgefunden haben, der
geologischen Wissenschaft wenig gedient ist. Aus diesem Grunde erscheint
auch der Versuch des Verfassers etw'as gewagt, jene gewaltigen Katastrophen,
von denen die marinen Ablagerungen verschiedener Perioden, sowie die häu-
figen Wechsellagerungen rein mariner Schichten mit Land- und Süßwasser-
bildungen Zeugnifs ablegcn, auf periodische Veränderungen der Rotation infolge
der geringen Exccntricitätsschw7ankungen der Erdbahn und der Gezeitenreibung
zurückzuführen.
Ein weiterer Theil der Schrift hat die Vergleichung der astronomischen
Excentrieitätspcriode mit der Reihe geologischer Formationen zum Gegenstand.
Es w’ird hier der Versuch gemacht, an der Hand eines Curvenzuges, welcher
die Schwankungen der Exentricität in ihrer Abhängigkeit von der Zeit vor-
flihrt, Mafsbestimmungen für die Dauer der hauptsächlichsten geologischen
Epochen zu erzielen.
Dr. P. Sch wahn.
$
Jahrbuch der Naturwissenschaften, 1888 — 89, herausgegeben von Dr.
Wildermann. Verlag von Herder, Freiburg i./Br.
Das vorliegende Jahrbuch der Naturwissenschaften bietet in knapper
und klarer Darstellung einen zusammenfassenden Bericht über die Fortschritte
in den gesamten Naturwissenschaften irn Laufe des letzten Jahres und ist
darum ganz besonders jenen Lesern unserer Zeitschrift zu empfehlen, weiche
auch auf den von derselben nicht vertretenen Gebieten der Naturwissenschaften
über die neuesten Forschungsergebnisse unterrichtet zu bleiben wünschen.
Die Redaktion läßt an Sorgfalt und Vollständigkeit nichts zu wünschen übrig
und die Korrektheit des Inhaltes ist dadurch verbürgt, daß die einzelnen Dis-
ziplinen von namhaften Spezialforschern bearbeitet worden sind.
•) Nach il. RTotlti mufa bei lOSectimlen Verlängerung der RotaUonspcriodc der Ae.jua-
torealradius der Erde um 5.6 Meter abnehmen und dio Verlängerung der Polaxe ILS Meter
betragen. (Geologieal Effects of a varying Rotation of tho Enrth, Amor. Naturalist XVII, 1683).
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Neben den theoretischen, experimentellen und beschreibenden Natur-
wissenschaften sind in besonderen Abschnitten auch die angewandte Mechanik,
die Forst- und Landwirtschaft, die Anthropologie und Urgeschichte, Gesund-
heitspflege und die medizinischen Wissenschaften, Handel, Industrie und Ver-
kehr, und endlich auch die Länder- und Völkerkunde behandelt Zum Schlüsse
finden wir noch einige sehr willkommene Zugaben in einem Bericht über die
61. Naturforscher -Versammlung, einem astronomischen Jahreskalender für
1889/90, und endlich noch einem leider ziemlich reichhaltigen Todtenbuch.
Der überaus reiche und mannigfaltige Inhalt des 36 Bogen starken Bandes
wird jedem Leser eine Menge interessanter Mittheilungen bieten. Wir wünschen
dem verdienstvollen Unternehmen auch ferner den guten Erfolg, welchen
bereits der vorangegangene Jahrgang errungen hatte.
*
Verzeichnifs der vom 1. Februar bis zum 1. August 1889 der Redaktion
zur Besprechung eingesandten Bücher.
A. B 1 y 1 1 , The probable cause of the displacemcnt of beach-lines (Second
additional nole). Christiania, A. W. Brogger, 1889.
F. Busch, Beobachtungen über die Polarisation des Himmelslichtes, insbe-
sondere zur Zeit der Abenddämmerung. Meteorologische Zeitschrift, 1889.
P. Car us, Fundamental Problems. The Mothod of Philosophy as a systematic
Arrangement of Knowledge, Chicago, Open Court Publishing Company,
1889.
K. K. Central-Anstalt für Meteorologie und Erdmagnetismus, Jahrbuch, 1887.
Wien, W. Braumüller, 1888.
K. Geodätisches Institut, Polhöhenbestimmung aus dem Jahre 1886 für
zwanzig Stationen nach dem Meridian des Brockens vom Harz bis zur
dänischen Grenze. Berlin, Stankiewicz, 1889.
J. Hann, Untersuchungen über die tägliche Oscillation des Barometers. Wien,
K. K. Hof- u. Stautsdruckerei, 1889.
P. Hayn, Der Ursprung der Gruben wasser. Mit 6 graphischen Darstellungen.
Freiberg i/S.» Graz & Gerlach, 1887.
H. Helmholtz, Ueber die Erhaltung der Kraft, No. 1 von Ostwalds Klassiker
der exakton Wissenschaften. Leipzig, W. Engelmann, 1889.
F. Hoffmann, DerSinu für Naturschönlieiten in alter und neuer Zeit. Hamburg,
A. G. vorm. J. F. Richter, 1889.
E. S. Holden. Publications of the Lick Obscrvatorv of the University of Cali-
fornia. Sacramento, J. D. Young, 1887.
Jahrbuch der Naturwissenschaften 1888 — 1889. Mit 18 in den Text gedruckten
Holzschnitten. Freiburg i/B., Herder, 1889.
M. Kirchner, Die geographische Länge und Breite von Duisburg. Altenburg,
Pierer’scho Hofbuchdruckerei, 1889.
C. Koppe, Ueber die Prüfung von Aneroiden, Sonderabdruck aus der Zeit-
schrift für Instrumentenkunde. Springer, Berlin, 1889.
C. Koppe, Die Photogrammetrie oder Bildmefskunst. Weimar, Deutsche Photc-
grapheu-Zcitung, 1889.
A. Krebs, Beiträge zur Kenntnifs und Erklärung der Gewitter-Erscheinungen
auf Grund der Aufzeichnungen über die Gewitter Hamburgs in den
Jahren 1878-1887. Stuttgart, J. Maier, 1889.
A. Lancaster, Le Climat de la Belgique en 1888. Bruxelles, F. Hayez, 188*.
Himmel und Erde. 1. 12. Öl
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R. Lepsius, Geologie von Deutschland und den angrenzenden Gebieten. Erster
Band, Lieferung 1 und II. (Mit einer geologischen Karte und zahlreichen
Profilen im Texte. Stuttgart, J. Engel horn, 1887.
R. Paarmann, Die Schöpfung und das Geistige in derselben. Eine natur-
wissenschaftliche Studie. Königsberg, Hartung, 188!).
J. Palisa, Wie man sich die Zeit bestimmen kann. Vortrag, gehalten im
Wissenschaftlichen Club in Wien am 21. März 18S9.
E. Pasquier, De l’Unification des heures dans le Service des chemins de fer.
Bruxelles, Economie finaneiöre, 1889.
E. Pasquier, Apropos du „Canon des Eclipses- d’Oppolzer, Extrait de la
Revue Ciel et Terre, 1889.
E. Pasquier, Encore le Canon des Eclipses, Reponso äM. Flammarion, Extrait
de la Revue Ciel et Terre, 1889.
B. Peter, Monographie der Sternhaufen G. C. 44G0 und G. C. 1 440, sowie einer
Sterngruppe bei o Piscium. Mit 2 Tafeln und 2 Holzschnitten. Leipzig,
S. Hirzel, 1889.
J. Radanyi, Die Rotation der Himmelskörper oder das Gesetz der Axcn-
drehung und Bahnbowegung. Kronstadt, Alexi, 1889.
A. Ritter, Untersuchungen über die Constitution gasförmiger Weltkörper.
Leipzig, J. A. Barth, 1889.
R. Röttger, Erdbeben. Hamburg, A.- G. vonn. J. F. Richter, 1889.
J. L. Sanguet, Tables trigonomötriques cent£simales. Paris, Gauthier-Villars
et Fils, 1889.
J. V. Sch iaparelli, Sulla Distribuziono App ar oute Delle Stelle Visibili Ad
Occhio Nudo. Milano, Ulrico Iloepii, 1889.
J. F. H. Schulz, Zur Sonnenphysik I, Separatabdruck aus dem Repertorium
der Physik. Wien, 1888.
Schweizerische Geodätische Com miss io u, Das Schweizerische Dreiocks-
netz, Band IV, Die Anschlursnetzc der Grundlinien. Zürich, S. Höhr, 1889.
Scientific Transactions of the royal Dublin Society, Volume IV,
Observation« of the Planet Jupiter, mado with the Reflector of three feet
aperture at Birr Castle by O. Boeddicker, 1889.
P. Tacchini, Eclissi totale di Sole del 1870, 1883, 18S6 e 1887. Roma, Eredi
Botta, 1888.
M. Tejera, Origen y Constituciön Mecänica del Mundo. Barcelona, L. T. Sorra
1889.
R. Thommen, Unser Kalender. Hamburg. A.- G. vorm. J. F. Richter. 1889.
W. Val entiner, Veröffentlichungen dor Grofsherzoglichen Sternwarte zu Karls-
ruhe, Heft III. Karlsruhe, Braun, 1889.
E. W eifs, Annalen der K. K. Universitäts-Sternwarte in Wien, Band V und VI,
Jahrgang 1885 und 1886, Wien 1887 und 1888.
H. Wild, Normaler Gang und Störung der erdmagnetischen Declination.
Kaiserliche Akademie, St. Petersburg, 1889.
Verlag von Hermann Paetfl In Berlin. — Druck von Wilhelm Gronau*« Buchdruckerei in Berlin.
Fllr die Hedaction verantwortlich : Dr. M. Wilhelm Moyor in Berlin.
Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt
l'eberaotzungsrecht Vorbehalten.
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