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Full text of "Indiens Literatur und Cultur in historischer Entwicklung; ein Cyklus von fünfzig Vorlesungen zugleich als Handbuch der indischen Literaturgeschichte"

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Indiens 
Literatur  und 
Cultur  in 
historischer 
Entwicklung 


Leonold  von 


Schroeder 


*CY\Y 


INDIENS 
LITERATUR  MD  CULTUR 

* 


IN  HI8T0RISCHEK  ENTWICKLUNG 


EIN  CYKLUS  VON  FÜNFZIG  VORLESUNGEN 


ALS  HANDBUCH  DER  WDISCHEN  LITERATURGESCHICHTE.  NEBST 
ZAHLREICHEN,  U*  DEUTSCHER  UEBERSETZUNG  M1TGETHEILTEN 
PROBEN  AUS  INDISCHEN  SCHRIFTWERKEN 


D*  LEOPOLD  v.  SCHROEDER  I 

i  _  ' 

AI»  PCR  UXIVKRSrTÄT  DORPAT. 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  H.  HAE68EL. 

1887.  *  i  '  I  . 


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T!!E  NEW  YORK 

PUBLIC  LIBRARY 

ASTOH,  LENÜX  AND 
TILDEN  FOUNDATIONS 
R         1932  L 


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OTTO  BÖHTLINGK 

DEM  GROSSEN  INDOLOGEN 

DEM  VÄTERLICHEN  FREUNDE 
IN  VEREHRUNG,  LIEBE  UND  DANKBARKEIT 

GEWIDMET 

VOM 

■ 

VERFASSER. 


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Inhalt 


Seit« 

Vorlesung  1  Einleitung.  Alter,  Umfang  und  Ortginalitat  der 
indischen  IJteratnr.  Ursprung  and  Jbntwickelnng  der  Indo- 
logie in  Europa»   .   .   .   .   7  ~.  1 

L  Abschnitt, 


Das  indische  Alterthum ,  die  vedische  Periode  19 


voriOBung  n    ui&  xcriouo  uer  maopcroiacnon  Cjinnoii.  i/ie 
Zeit  des  nigveaa.    LuinirverniUtnisBe  zur  zeit  aos  nigYetia 

Ol 

Yorlesnng  III   Culturrerhaltnisae  zur  Zeit  des  Rigveda  (Fort- 

•A^vrtn  er    n  v%  #4               1  n  o  o  \ 
TT  a  r  1  n  B  Tl  n  f>    T  V                T"     W  lfrv^Ho     M  r\  /I     Dalna     (\  i  \  \  t  £1TH7  fl  ]  t 

OO 

46 

Vorlesung  V   Die  Götterwelt  des  Rigveda  (Fortsetzung).   .  . 

mr  mm 

67 

Vorlesung  VI   Die  Gotterwelt  des  Rigveda  (Fortsetzung  und 

Schluss).   Polytheismus  und  Henotheismus.  Monotheistische 

68 

Neigungen.  Philosophisches.  Literatur  zum  Studium  des  RV. 

Vorlesung  VII   Periode  des  Yajorveda.   Die  Wandlungen  und 

Umwälzungen  dieser  Zeit.  Charakteristik  der  Gottesverehrung 

84 

Vorlesung  VIII  Die  Gottesyerehrung  gor  Zeit  des  Yajurveda 

97 

Vorlesung  IX   Die  Gottesyerehrung  zur  Zeit  des  Yajurveda 

110 

126 

Vorlesung  XI  Die  Priesterschaft  zur  Zeit  des  Yajurveda  .  . 

146, 

Vorlesung  XII  Das  Entatehungsland  des  Yajuryeda  und  der 

specinsch  brahmanischen  Cultur.  DerSamaveda.  DerAtharva- 

163 

Vorlesung  XIII  Die  Periode  der  Brahmana's,  Aranyaka's  und 

179 

Vorlesung  XIV   Die  Sütra's.    Standische  Verhaltnisse.  Die 

Tier  Acrama's  oder  Lebensstufen.  Geistige  Bewegung  der 

193 

212 

Vorlesung  XVI   Die  Philosophie  der  Upanishaden  (Fortsetzung 

226 

□  by  VjOOQIC 


—     VI  — 

II.  Absohnitt, 

Seite 

Die  Anfange  des  indischen  Mittelalters.    Historische  Skizze. 


All  ry/~i  7~i~\  üin          l^Ti  1  f  11  »*V*i  In     ri  aü     i  *i  #i            ?  f  f  £\l  o  I  f  Ära 

Vorlesung  XVII  Geistige  und  religiöse  Neubildungen  der  Ueber- 

gangsperiode  aus  der  vedischen  Zeit  in  das  Mittelalter.  Der 

männliche  Gott  Brahma.    Die  Lehre  von  der  Seelenwande- 

Vorlesung  XVIII    Buddha,  sein  Leben  und  seine  Lehre 

Zbl 

Vorlesung  XIX   Das  Nirvana.    Moral  des  Buddhismus.  Ge- 

270 

meinde  und  Cultus.   Conanen  nnd  Canon.    Literatur.    .  . 

Vorlesung  XX  Chronologische  nuckschau   Geschichte  Indiens 

von  dflr  Zpit  Buddhas  bis  auf  Acoka 

290 

Vorlesung  XXI   Geschichte  Indiens  nach  Acoka  bis  auf  die 

7.ftit  dfir  firftRflmntmlf1 

Vorlesung  XXII   Die  Cultur  des  indischen  Mittelalters.  Die 

804 

rj/iftflrw Alf  flipRor  7rnt      T^at  crmQHA  flntt  Vinhnn 

UUlWlWvlIt  UiCBOr   fjvl*>       X/vi>    glVBBO    UVH     T  IBUHU         .       .       •  . 

Vorlesung  aaIII    Der  grosse  Gott  Visnnu  (Fortsetzung  und 

329 

TT        _  ^    _   _                         TT       T TT         T*V   _      /*!  —  i.A.     /~1  ?  __  _ 

341 

Vorlesung  XXV  Brahma.   8ystem  der  drei  grossen  Götter. 

3M 

Nachrichten  der  Griechen  Uber  die  indischen  Götter  .    .  . 

Vorlesung  XXVI   Die  Übrigen  Götter  des  ind.  Mittelalters. 

Die  Weitenhüter.   Indra  und  seine  Umgebung  u.  8.  w.   .  . 

Vorlesung  XXVII  Allgemeines  Cnlturbild  des  ind.  Mittelalters. 

Parallele  mit  Europa.    Nähere  Bestimmung  des  ind.  Mittel- 

381 

alters.    Mönchthum,  Einsiedlerwesen,  Askese  

Vorlesung  XXVIII    Die  Moral  des  ind.  Mittelalters.  Seelen- 

39« 

Vorlesung  XXIX   Standische  Gliederung  der  Gesellschaft  (Ka- 

410 

Vorlesung  XXX   Häusliche  Verhältnisse.    Ehe  und  Stellung 

der  Frauen.    Wittwenverbrennung.    Kriegswesen.  Mandel 

427 

HL  Abschnitt. 

Die  Literatur  des  indischen  Mittelalters  445 

Vorlesung  XXXI   Allgemeine  Charakteristik  der  Literatur  des 
indischen  Mittelalters.    Das  Epos.    Mah&bhärata  und  Kä- 


447 

Vorlesung  XXXII   Das  Mahabhärata. 

Seine 

Entwickelangs- 

469 

Vorlesung  XXXIII   Historischer  Hinte« 

gTund 

der  Fabel  des 

MahabhArata.    Episoden  des  Mahabfc 

tarata. 

Die  Sintüuth. 

476 

NaJ.  Sävitri  

Diaiti76d  bv  Coool( 


—   vn  — 

» 

BdtA 

Vorlesung  XXXIV  Episoden  doB  Mahäbharata:  Arjuna,  Hi- 
dimba  u.  a.  Ausgaben  dos  Mahäbharata.  Inhalt  des  Rä- 
mayana  491 

Vorlesung  XXXV  EpiBoden  des  Rftmayana.  Ausgaben  des- 
selben.  Die  Puranas.   Die  Kavya's   .........  503 

Vöries  nag  XXXVI   Die  Mänflien-  und  Fabelliteratur    ...  517 

Vorlesung  XXXVII  Die  Märchen-  und  Fabelliteratur  (Fort- 
setzung und  Schluss)  532 

Vorlesung  XXXVIII    Die  lyrische  Poesie.    Grössere  lyrische 

^Dichtungen   548 

Vorlesung  XXXIX   Die  kleinen  lyrischen  Gedichte  der  Inder  563 

Vorlesung  XL   Der  lyrisch  -  dramatische  Gitagovinda  ....  577 

Vorlesung  XLI  Das  indische  Drama.  Ursprung.  Charakte- 
ristik.   Bluthezeit  des  Dramas       .    .    .    .  591 

Vorlesung  XLII    Die  Dramen  des  Käliriäsa   .  610 

Vorlesung  XLIII   Die  Mricchakatika  des  Cüdraka  629 

Vorlesung  XLIV  Die  Dramen  des  foiharsha,  Bhavabhüti,  Vica- 
khadatta  und  andrer  Autoren.  Krishnamicras  Prohodhacan- 
drodaya  044 

Vorlesung  XLV   Die  Sprüchpoesie  des  ind.  Mittelalters.   .   .  667 

Vorlesung  XL  VI   Die  philosophischen  Systeme  682 

Vorlesung  XL VII   Die  Sprachwissenschaft  der  Inder.  Rhetorik 

und  Poetik.    Geschichte  701 

Vorlesung  XLVIII    Mathematik  und  Astronomie.    Medicin    .  717 

Vorlesung  XLIX    Die  Rechtsliteratur  734 

Vorlesung  L   Musik  und  bildende  Kunst  752 

lU'll'X  •  •  •  :  .  .  ,  .  ,  ,  .  .  ,  ,  .  ,  •  ,  :  •  :  III) 


NB.  Bei  den  indischen  Worten  und  Namen  spreche  man  stets: 

c  wie  tsch 
j  wie  dsch 
y  wie  j 

c,  and  sh  wie  sch. 


IL 


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Schlusswort  des  Verlages. 


Seit  einem  Jahrzehnt  gehört  das  vorliegende  Werk  des  in  Wien 
verstorbenen,  aus  Dorpat  gebürtigen  Sanskritisten  zu  den  seltensten 
und  gesuchtesten  Büchern.  Durch  diese  im  Jahre  1887  erschienene 
erste  umfassende  und  erschöpfende  Veröffentlichung  über  „Indiens 
Literatur  und  Kultur"  wurden  derlndologie  neue  Wege  erschlossen, 
und  zahlreiche  junge  Gelehrte  wurden  durch  dieses  —  trotz  seiner 
wissenschaftlichen  Gründlichkeit  mit  einem  unerreichten  dichte- 
rischen  Schwünge  geschriebene  —  Buch  zum  indologischen  Studium 
begeistert.  Schroedcrs  Werk  ist  eine  markante,  durchaus  eigen- 
artige Erscheinung  in  der  Entwicklungsgeschichte  der  Indologie 
und  zugleich  einer  der  bedeutsamsten  Ausgangspunkte  des  heute 
so  tiefgreifenden  Interesse^  für  Indien  in  Deutschland.  Dem  Ver- 
lage ist  es  daher  als  Pflicht  erschienen,  in  einem  aufs  sorgsamste 
hergestellten  Manuldruck  das  Werk  in  einer  würdigen  Ausgabe 
erneut  aufzulegen.  Die  Eigenart  des  Buches  gestattet  keine  über- 
arbeitenden Eingriffe;  sie  würden  die  ausgeprägten  Vorzüge  des 
Originalwerkes  nur  in  bedauerlicherweise  mindern.  Darum  wurde 
im  Interesse  des  Werkes  der  unveränderte  Neudruck  beschlossen 
und  durchgeführt. 

Leipzig,  Sommer  1922.  H.  Haessel,  Verlag. 


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Von  diesem  Werke  wurden  750  Exem- 
plare im  Manuldruck  im  Sommer  1922 
bei  der  Spamerschen  Buchdruckerei, 
Leipzig,  gedruckt  und  bei  der  Spamer- 
schen Buchbinderei,  Leipzig,  gebunden. 

Dieses  Exemplar 
trägt  die  Nummer 


Erste  Vorlesung 


Einleitung. 

Alter,  Umfang  und  Originalität  der  indischen  Literatur.   Ursprung  und 

Entwickelung  der  Indologie  in  Europa. 


Meine  Herren! 

Erst  die  letzten  hundert  Jahre  haben  uns  eine  Literatur 
erschlossen,  welche  früher  so  gut  wie  ganz  unbekannt  war; 
eine  Literatur,  die  neben  der  griechischen  sicher  die  bedeu- 
tendste von  den  Literaturen  der  alten  Völker  genannt  werden 
muss;  deren  erste  Anfänge  in  ein  graues  Allerthum  zurück- 
reichen, höher  hinauf  als  die  ältesten  griechischen  Schrift- 
werke, und  deren  letzte  Ausläufer  sich  bis  in  die  neueste  Zeit 
fortgesetzt  haben,  so  dass  wir  eine  Entwickelung  durch  mehr 
als  drei  Jahrtausende  an  ihr  beobachten  können;  eine  Ent- 
wickelung, die  uns  die  mannigfaltigsten  und  interessantesten 
Erscheinungen  in  reicher  Fülle,  geistige  Wandlungen  und  Um- 
wälzungen gewaltigster  Art  vorfuhrt.  Hier  treten  uns  im  Laufe 
der  Jahrhunderte  Gegensätze  vor  die  Augen,  so  gross  und 
bedeutsam,  dass  man  .fast  darüber  staunen  möchte,  wie  Solches 
innerhalb  der  Grenzen  ein  und  derselben  Nationalitat  überhaupt 
möglich  gewesen.  Und  dies  nicht  etwa  durch  fremde  Einflüsse, 
durch  Einwirkungen  von  seiten  andrer  Völker;  vielmehr  zeichnet 
sich  die  indische  Literatur  gerade  dadurch  aus,  dass  sie  sich 
so  durchaus  selbständig,  so  ganz  von  innen  heraus  entwickelt 
hat 

Nur  auf  wenigen  Gebieten,  wie  z.  B.  dem  der  Astronomie, 
und  auch  dies  erst  in  späteren  Jahrhunderten,  nicht  in  der 
Zeit  der  grössten  und  folgenreichsten  Bildungen,  lassen  sich 
solche  fremdländische  Einwirkungen  spüren,  und  wo  dieselben 
vorliegen,  da  sind  sie  meist  nicht  sehr  tiefgreifender  Art  und 
stets  in  durchaus  national-indischer  Weise  verarbeitet  und  um- 

t.  S'farftdar.  Indien*  Lit.  *.  Cttlt.  1 


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—    2  - 

gestaltet,  ähnlich  wie  auch  die  nationale  Kraft  der  Griechen 
alles  Fremdländische  so  umzuformen  wusste,  dass  es  als  voll- 
berechtigt Hellenisches  erschien.  Aber  die  ganze  Culturent- 
wickelung  der  Inder  darf  in  noch  höherem  Grade  als  eigen- 
artig und  selbständig  bezeichnet  werden  wie  die  der  Griechen, 
welche  letzteren  doch  frühe  schon  von  Aegypten,  Phönizien 
und  andern  Ländern  her  beeinflusst  worden  sind.  Bei  den 
Indern  dagegen  sehen  wir,  —  soweit  uns  wenigstens  bis  jetzt 
die  Forschung  belehrt  hat  — ,  wohl  über  ein  Jahrtausend  ver- 
gehen, ehe  die  geringste  Einwirkung  von  aussen  stattfindet, 
und  als  dieselbe  endlich  —  im  Zeitalter  Alexanders  des  Grossen 
—  eintritt,  da  ist  die  indischo  Culturwelt  in  der  Hauptsache 
schon  ganz  fest  gestaltet  und  so  in  sich  abgeschlossen,  dass 
sie  im  Wesentlichen  nicht  mehr  zu  verändern  oder  zu  vorrücken 
war. 

So  erklärt  es  sich,  warum  die  indische  Literatur  überall 
den  Stempel  höchster  Originalität  an  sich  trägt,  welcher  ihr 
für  die  vergleichende  Literatur-Betrachtung  stets  ein  besonderes 
Interesse  sichert  Sie  ist  selbständig  und  originell  sogar  bis 
zur  Untugend  und  Wunderlichkeit;  es  ist  eben  Alles  aus  eigener 
Kraft  geschöpft.  Dieser  Gesichtspunkt  nöthigt  uns  bei  der 
Betrachtung  der  grossen  und  schönen  indischen  Geistesprodukte 
die  höchste  Bewunderung  ab,  und  er  ist  es  auch,  der  bei  der 
Beurtheilung  ihrer  Schwächen  stets  im  Auge  behalten  wenten 
muss. 

Neben  diesem  hervorstechenden  Charakterzug  tritt  insbe- 
sondere der  vielseitige  Reichthum  der  indischen  Literatur 
hervor. 

Die  tiefe  religiöse  und  philosophische  Anlage  des 
indischen  Geistes  offenbart  sich  schon  in  den  ältesten  Schöpf- 
ungen, den  Hymnen  des  JjLigveda;  t*nd,  was  die  wertere  Ent- 
wickclung  anlangt,  so  hat  der  philosophische  Tiefsinn  der  Upa- 
nishaden  und  der  Bbagavadgit«,  um  von  Anderem  zu  schweigen, 
die  gerech to  Bewunderung  der  bedeutendsten  Geister  bei  uns 
erregt 

Was  die  religiöse  Begabung  anbetrifft,  ist  es  sehr  be- 
merkenswerte, dass  die  Inder  unter  allen  den,  nach  so  vielen 
Seiten  hin  hervorragend  begabten,  indogermanischen  Völkern 
die  einzigen  sind,  welche  als  Schöpfer  grosser  Religionen  be- 
zeichnet werden  müssen,  nämlich  des  Brahmaismus  und  des 
Buddhismus,  welche  noch  bis  in  die  neueste  Zeit  viele  hundert 
Millionen  von  Anhängern  zählen,  weit  über  die  Grenzen  Indiens 
hinaus,  während  die  ursprünglichen  Religionen  alle)*  andern 


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-    3  - 


indogermanischen  Völker  seit  vielen  Jahrhunderten  nur  noch 
ein  historisches  Interesse  beanspruchen  dürfen,  nachdem  sie 
einer  reineren  und  heiligeren  Lehre  für  immer  Platz  gemacht 
haben.  Wenn  der  hervortretendste  Charakterzug  der  hellenischen 
geistigen  Schöpfungen  —  neben  aller  sonstigen  hohen  Begabung 

—  der  der  Schönheit,  des  Maasses,  der  vollendeten  Harmonie 
ist,  so  möchte  ich  von  den  Indem  sagen,  dass  bei  ihnen  der 
religiöse  und  der  philosophisch-theosophische  Zug  dem  Ganzen 
das  eigentlich  entscheidende  Gepräge  aufdrückt.  Ist  das  Ideal 
des  Griechen  von  der  Welt  des  Schönen  unzertrennlich,  so  ist 
der  Inder  undenkbar  ohne  religiöse  Spekulation.  Für  Jeden, 
der  ein  Interesse  nimmt  an  der  Geschichte  der  nichtchrist- 
lichen Religionen  wird  die  Entwickelung  gerade  des  indischen 
Volkes  das  belehrendste,  das  wichtigste  Objekt  der  Forschung 

Dio  analytisch-wissenschaftliche  Begabung  der  Inder 
zeigt  sich  am  Glänzendsten  in  ihren  Forschungen  auf  gramma- 
tischem Gebiete,  durch  welche  sie  —  wenn  auch  nur  indirect 

—  hahnbrechend  sogar  in  die  Geschichte  der  neueren  Wissen- 
schaft eingegriffen  haben. 

Wenden  wir  uns  dann  zu  den  poetischen  Schöpfungen, 
so  ist  unter  allen  Gattungen  der  Dichtung  nicht  eine  einzige, 
in  welcher  die  Inder  nicht  Ausgezeichnetes  geleistet  hätten. 

Auf  dem  Gebiete  der  erzählenden  Dichtung  treten  uns 
die  Colossalgestalten  der  alten  Heldengedichte  Mahabharata 
und  Raniayana  entgegen,  mit  ihren  zahlreichen  schönen  und 
tiefsinnigen  Episoden;  und  späterhin  die  reiche  Märchen-  und 
Fabel-Literatur,  deren  Anziehungskraft  so  gross  war,  dass  sie 
schon  im  Mittelalter  durch  zahlreiche  Uebersetzungen  weit  über 
Orient  und  Occident  hin  wanderten. 

Tief  Tind  schön  ist  sodann  die  religiöse  Hymnendich- 
tung des  Veda,  reizend  die  lyrische  Poesie,  insbesondre  die 
Erotik  des  Mittelalters;  höchst  bedeutsam  und  besonders  reich 
ausgebildet  und  gepflegt  die  reflectirende  Dichtung  der  Sen- 
tenzen und  Weisheitssprüche. 

Und  endlich  das  Drama  mit  den  zarten,  tief  poetischen 
Schöpfungen  Kälidasa's,  des  Dichters  der  Sakuntala  und  Urvacl, 
mit  dem  dramatisch -lebensvoll  bewegten  Mricchakatika,  dem 
philosophisch-allegorischen  Prabodhacandrodaya,  —  es  kann  sich 
in  Schönheit  und  Eigenart  dem  Drama  jedes  andern  Volkes 
an  die  Seite  stellen. 

Als  schwacher  und  schwächster  Punkt  dieser  sonst  so 
grossartig  vielseitigen  Literatur  tritt  uns  der  Mangel  aller  zu- 


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verlässigen  historischeu  Werke  entgegen.  Eine  Geschichts- 
wissenschaft existirt  überhaupt  nicht,  —  nicht  einmal  eine  zu- 
verlässige Chronologie.  Wenn  -uns  Könige  angegeben  werden, 
deren  Regierungszeit  sich  über  mehrere  hundert  Jahre  erstrecken 
soll,  so  wissen  wir  schon,  mit  welcher  Art  von  Geschichts- 
schreibern wir  es  da  zu  thun  haben.  Um  die  Unsicherheit 
dieser  Chronologie  zu  charakterisiren,  genügt  es  wohl  anzuführen, 
dass  man  über  das  Zeitalter  eines  so  wichtigen  und  keineswegs 
in  grauer  Vorzeit  lebenden  Mannes  wie  Kalidäsa  so  ungewiss 
war,  dass  man  ernstlich  darüber  discutirte,  ob  er  im  1.  Jahr- 
hundert vor  Chr.  oder  vielleicht  gar  im  11.  Jahrhundert  nach 
Chr.  gdlebt  habe!1 

Wunder,  Märchen  und  mythische  Erzählungen  von  den 
Göttern  durchziehen  a  e  sogenannte  Geschichte.  Es  ist,  als  ob 
der  religiöse,  philosophische  und  poetische  Trieb  bei  den  Indern 
allen  historischen  Sinn  überwuchert  habe,  so  dass  er  zu  völliger 
Unbedeutendheit  verkümmert  ist,  —  eine  völkerpsychologisch 
höchst  merkwürdige  und  ganz  vereinzelt  dastehende  Thatsache; 
es  ist  dies  ein  Mangel,  der  sich  uns  im  Verlaufe  der  Betrach- 
tung leider  noch  oft  genug  fühlbar  machen  wird. 

Aber  von  diesem  einen  Mangel  abgesehen  muss  die  indische 
Literatur  als  eine  grossartige  und  weitumfassende  bezeichnet 
werden.  Wie  umfangreich  dieselbe  ist,  können  Sie  schon  da- 
raus entnehmen,  dass  die  Zahl  der  noch  in  Handschriften  vor- 
handenen Einzelwerke  in  sanskritischer  Sprache  nach  einer 
Angabe  Max  Müller's  gegenwärtig  auf  nicht  weniger  als 
10,000  geschätzt  wird.» 

Der  gewaltige  Bau  dieser  Literatur  ist  mehrere  Jahr- 
tausende hindurch  gewachsen  und  hat  sich  immer  vollkommener 
und  schöner  ausgestaltet,  ohne  dass  das  Abendland,  ohne  dass 
die  stammverwandten  indogermanischen  Völker  eine  irgend 
nennenswerthe  Kenntniss  davon  erlangt  hätten. 

Wohl  haben  Reisende  schon  Jahrhunderte  vor  Christi 
Geburt  Merkwürdiges  und  Wunderbares  über  Indien  und 


1  Vergl.  Weber's  Ind.  Literaturgeschichte,  II.  Aufl.  p.  218  flg.  Mit 
Genugthuung  füge  ich  übrigens  hier  die  Bemerkung  hinzu,  dass  dieser 
Streitpunkt  gegenwärtig  als  definitiv  erledigt  angesehen  werden  darf. 
Vergl.  weiter  unten. 

*  8.  Max  Müller,  Vorlesungen  über  den  Ursprung  und  die  Ent- 
wiekelung  der  Religion.  Strassburg  1880,  p.  153.  —  Desgl.  M.  Malier, 
Indien  in  seiner  weltgeschichtlichen  Bedeutung.  Leipzig  1884,  p.  67. 
68.  „Ich  glaube,  dies  fct  mehr  al*  die  ganze  klassische  Literatur  von 
Griechenland  und  Italien  zusammengenommen",   (ebdas.  p.  68.) 


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die  Inder  berichtet;  wohl  schien  es  zu  Alex;  uders  des  Grossen 
Zeit  sogar,  als  würde  diese  Welt  ihre  starren  Thore  aufthun 
und  des  makedonischen  Welteroberers  Plan,  die  Cultnr  des 
Orients  und  des  Hellenismus  zu  verschmelzen,  in  Erfüllung 
gehen;  wohl  waren  es  interessante  und  auf  wirklicher  Sach- 
kenntnis beruhende  Mittheilungen,  die  der  Grieche  Megasthe- 
nes  über  Indien  gab,  der  als  Gesandter  de  Seleukos  um  das 
Jahr  300  vor  Chr.  am  Hofe  des  Königs  (Xndragupta  (Sandro- 
kottos)  zu  Pataliputra  (Palibothra)  im  Herzen  der  indischen 
Culturwelt  lebte;  w  hl  brachten  auch  andere  Griechen  mehr 
oder  weniger  werthvolle  Nachrichten;  wohl  ist  auch  die  Mög- 
lichkeit eines  Einflusses  indischer  Lehren  auf  griechische  Phi- 
losoph eme,  auf  die  gnostischen  und  neupl?  tonischen  Systeme 
lange  schon  bemerkt  worden;  wohl  brachten  im  Mittelalter 
die  Araber  Kunde  von  der  indischen  Medicin  und  lehrten  uns 
mit  den  indischen  Zahlzeichen  schreiben,  die  wir  zum  Dank 
nach  unseren  Lehrmeistern  arabische  Ziffern  nennen,  während 
die  Araber  selbst  vielmehr  den  Indern  die  Ehre  der  Erfindung 
gaben:  wohl  wanderten  im  Mittelalter  auch  die  indischen  Fabeln 
und  Märchen  über  Persien  und  Arabien  nach  Europa,  befruchtend 
auf  die  Phantasie  der  abendländischen  Völker  wirkend;  aber 
trotz  all  dieser  immerhin  höchst  werthvollen  Mittheilungen  und 
Nachrichten  kann  doch  von  einer  wirklichen  Kdimtniss  der 
indischen  Literatur  vor  dem  Ende  des  18.  Jahrhunderts  nicht 
die  Bede  sein.  Nur  eine  unbestimmte,  nebelhafte  Ahnung  da- 
von, dass  in  jenem  Lande  grosse  geistige  Schätze  verborgen 
lägen,  hat  sich  durch  die  Jahrhunderte  hin  erhalten  in  der 
sagenhaften  Erzählung  von  der  wunderbaren  Weisheit  der 
Inder. 

Der  griechisch-römischen  Culturwelt  war  es  nicht  be- 
schieden, die  fremde  Welt  des  eigentlich  doch  stammverwandten 
Volkes  aufzuschliessen.  Wohl  hatte  Alexander  ruhmreich  ge- 
siegt über  den  erlauchten  und  tapfern  indischen  König  Porös 
und  ihn  zur  Anerkennung  seiner  Oberhoheit  gezwungen;  aber 
seine  Macedonier  selbst  zwangen  den  sieggewohnten  Beherrscher 
der  Welt  umzukehren,  bevor  er  ins  Herz  von  Indien  einge- 
drungen. Alexanders  weittragende  Pläne  erfüllten  sich  nicht, 
and  volle  zwei  Jahrtausende  sollten  noch  vergehen,  bis  die 
abendländische  Cultur  in  Indien  festen  Fuss  fasste  und  andrer- 
seits die  indische  Cultur  ins  Abendland  getragen,  hier  mit 
Eifer  studirt,  gelehrt  und  verkündigt  wurde. 

Die  Culturwelt  der  Inder  zu  erobern,  v  den  Germanen 
▼orbehalten;  sie  schlössen  die  langgetrennten  äusserten  Glieder 


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jener  grossen  Völkerfamilie  wieder  zusammen,  die  schon  lange 
mit  nicht  anpassendem  Namen  als  die  indo-germanische  be- 
zeichnet wird. 

Während  der  eine  germanische  Stamm,  die  Engländer, 
mit  Waffengewalt  und  Staatsklugheit  sich  das  reiche  Indien 
Gebiet  um  Gebiet  eroberten,  war  der  andre,  waren  die  Deutschen 
friedlichere  und  selbstlosere  Ostindienfahrer;  und  wenn  wir 
auch  den  Engländern  die  erste  Einfühlung  in  die  Sanskrit- 
Literatur  und  manch  werthvolle  weitere  Forschung  und  Mit- 
theilung verdanken,  —  insbesondere  auf  archäologischem  Ge- 
biete, auf  weichem  sich  Männer  wie  James  Prinsep,  Cunning- 
ham,  Edw.  Thomas,  Fergusson,  Burgess,  Burneil  u.  a.  auszeich- 
neten, —  so  fiel  doch  den  Deutschen  der  LÖwenantheil  zu,  so- 
wohl *n  der  Erforschung  der  Literatur  Indiens,  als  auon  bei 
der  Verwerthung  der  dort  gehobenen  geistigen  Schätze.1 

Die  Deutschen  haben  von  allen  Gliedern  der  indogerma- 
nischen Völkerfamilie  die  meiste  Aehnlichkeit  mit  den  Indern, 
ja  zwischen  Deutschen  und  Indern  besteht  eine  eigentümliche 
Wahlverwandtschaft,  wie  der  geistreiche  dänische  Literarhisto- 
riker Brandes  hübsch  ausgeführt  hat.'  Auf  den  deutschen 
Geist  übt  das  Wort  „Indien"  schon  seit  langer  Zeit  einen  ganz 


1  H.  Heine  sagte  vor  Jahren  in  »einem  „Buch  der  Lieder1'  In 
einer  Anmerkung  zu  den  an  A.W.  Schlegel  gerichteten  Sonetten:  „Por- 
tugiesen, Hollander  und  Englander  haben  lange  Zeit  Jahr  aus  Jahr  ein 
auf  ihren  grossen  Schiffen  die  Schatze  Indiens  nach  Hanse  geschleppt; 
wir  Deutsche  hatten  immer  das  Zusehen.  Aber  die  geistigen  Schatze 
Indiens  sollen  uns  nicht  entgehen.  Schlegel,  Bopp,  Humboldt, 
Frank  u.  s.  w.  sind  unsre  jetzigen  Ostindienfabrer:  Bonn  und  Mün- 
chen werden  gute  Faktoreien  sein'*.  —  Der  Dichter  bat  sich  hier  als 
ein  guter  Prophet  bewährt. 

1  6.  Brandos,  Die  Hauptströmungen  der  Literatur  des 
neunzehnten  Jahrhunderts,  (übers,  v.  A.  Strudtmann).  Bd.  I  (Berlin  1872), 
p.  270  flg.  Er  beginnt  den  Abschnitt  „Deutschland  und  Hindustan"  p.  270 
mit  den  Worten:  „Es  war  kein  Wunder,  dass  ein  Augenblick  in  der 
Geschichte  Deutschlands  erschien,  wo  man  mit  Leib  und  Seele  begann, 
den  Geist  und  die  Cultnr  des  alten  Indiens  in  sich  aufzunehmen  und 
sich  zu  eigen  zu  machen.  Denn  dies  grosse,  dunkle,  traumreiche  und 
gedankenvolle  Deutschland  ist  in  Wirklichkeit  ein  modernes  Indien.  — 


Nirgend»  hat  in  der  Weltgeschichte  die  beschauliche  Betrachtung,  die 
eigentliche,  von  aller  empirischen  Forschung  sich  losreissende  Metaphysik, 
eine  so  hohe  und  so  allseitige  Entwicklung  erreicht,  wie  in  dem  alten 
Indien  und  dem  modernen  Deutschland.  -  Indien  zieht  die  deutschen 
Dichter  wie  mit  einem  geheimen  Zauber  an.  —  —  Die  Analojgieen 
zwischen  Indien  und  Deutschlaad  sind  zahlreich  und  drängen  sich  Einem 
▼on  selber  auf.  —  Es  folgt  dann  eine  feinsinnige  sehr  lesenswerthe 
Durchführung  dieser  Parallele. 


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eigentümlichen  Zauber  aus.  Die  Inder  sind  das  V  k  der 
Romantik  im  Alterthum,  die  Deutschen  sind  es  in  der 
neueren  Zeit.  In  keinem  Lande  hat  das  Studium  des  Sanskrit, 
trotz  seiner  geringen  praktischen  Vortheile,  eine  so  starke  An- 
ziehungskraft für  die  jungen,  strebsamen  Geister  als  in  Deutsch- 
land, nirgends  giebt  es  so  zahlreiche  uiuLso  tüchtige  Forscher, 
uirgends  hat  auch  die  Regierung  durch (Lrejruu^  von  Lehrstellen 
so  viel  für  die  wissenschaftliche  Erforschung  des  Sanskrit  gethan 
als  eben  in  Deutschland.  Wer  die  alt -indische  Sprache  und 
Literatur  wahrhaft  wissenschaftlich  studiren  will,  muss  in  kein 
anderes  Land  als  nach  Deutschland  gehen.  Mit  wahrhaftem 
Bieuenfleiss  haben  die  deutschen  Gelehrten  Ausgaben,  Ueber- 
setzungen,  Grammatiken  und  Wörterbücher  der  Sanskrit-Litera- 
tur zusammen  getragen  und  zusammen  gearbeitet;  und  wenn 
heutzutage  die  indische  Literatur  und  Sprache  in  der  ganzen  cul- 
tivirtcn  Welt  hoch  geachtet  wird,  so  darf  man  nie  vergessen, 
mit  welch  tiefem  Verständniss  ein  Goethe  und  ein  Rückert 
der  indischen  Poesie  entgegen  kamen  und  ihr  Lob  verkündigten, 
und  wie  andrerseits  mit  der  Kenntniss  des  Sanskrit  durch 
Friedrich  Schlegel  und  Bopp  eine  der  interessantesten  Wissen- 
schaften begründet  wurde,  die  vergleichende  Sprachforschung, 
die  in  erster  Linie  eine  deutsche  Wissenschaft  genannt 
werden  darf. 

Und  es  sind  in  der  That  erst  die  letzten  hundert  Jahre 
die  uns  den  ganzen  reichen  Schatz  dieser  grossen  und  be- 
deutenden Literatur  von  Indien  erschlossen  haben. 

Im  Jahre  1785,  also  gerade  vor  100  Jahren,  veröffent- 
lichte der  Engländer  Ch.  Wilkins  seine  Uebersetzung  des 
berühmten  theosophischen  Gedichtes  Bhagavadgita,  des  Liedes 
von  der  Gottheit,  das  erste  Werk  aus  der  ganzen  indischen  Lite- 
ratur, welches  in  Europa  bekannt  wurde.  Und  erst  im  Jahre 
1792,  also  nicht  viel  über  90  Jahre  zurück,  erschien  der  erste 
gedruckte  Sanskrittext,  Kalidasa's  Gedicht  Ritusamhara,  eine 
farbenreiche  Schilderung  der  indischen  Jahreszeiten. 

Ueberschauen  wir  heute  die  Gesammtheit  dessen,  was  in 
diesem  doch  nicht  allzulangen  Zeitraum  für  die  Kenntniss  der 
indischen  Literatur  und  Cultur  geschehen  ist,  —  sind  wir  da- 
bei im  Stande,  die  ungeheuren  Schwierigkeiten  zu  beurtheilen, 
mit  denen  das  Eindringen  in  viele  Gebiete  dieser  Literatur 
verbunden  war,  so  ergreift  uns  unwillkührlich  ein  Gefühl  ehr- 
fürchtiger Bewunderung,  denn  fast  der  ganze  grossartige  Bau 
der  indischen  Literatur  steht  in  zum  Theil  mustergültigen  Aus- 
gaben bereits  vor  uns  aufgerichtet  da,  ausgestattet  mit  den  besten, 


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ausreichendsten  Hülfsmitteln  für  das  Studium,  mit  mehreren 
vortrefflichen  Grammatiken,  mit  einem  Wörterbuch,  so  voll- 
ständig und  gediegen,  wie  es  keine  der  alten  klassischen  Sprachen 
noch  besitzt,  mit  zum  Theil  vorzüglichen  Uebersetzungen  der 
wichtigsten  uhd  interessantesten  Werke;  und  mit  Stolz  «dürfen 
wir  es  sagen,  dass  diese  Arbeit  zum  grossen,  ja  zum  grössten 
Theile  von  Deutschon  ausgeführt  ist. 

Versuchen  wir  es,  in  kurzen  Zügen  die  Entwicklung  dieses 
Studiums  zu  skizziren. 

Engländer  waren  es,  welche  uns  die  erste  Kenntniss  der 
indischen  Literatur  vermittelten.  Das  erste  Werk,  welches  das 
Interesse  der  Europäer  auf  den  eigentümlichen,  philosophisch 
und  dichterisch  bedeutenden  Inhalt  jener  Literatur  lenkte,  war 
die  schon  erwähnte  Uebersetzung  der  Bhagavadgita  von 
Charles  Wilkins  i.  J.  1785.1  Derselbe  Forscher  Hess  dann 
auch  i.  J.  1787  eine  Uebersetzung  des  ebenfalls  sehr  bedeut- 
samen indischen  Fabelwerkes  Hitopadega  erscheinen  und  ver- 
öffentlichte späterhin  noch  eine  Grammatik  der  Sanskrit- 
Sprache.  * 

Weit  bedeutender  und  folgenreicher  noch  war  die  Wirk- 
samkeit des  Engländers  William  Jones,  der  als  Oberrichter  , 
in  Fort  William  in  Bengalen  lebte  und  dort  i.  J.  1784  in 
CalcutUi  die  „Asiatic  Society«  gründete,  deren  Thätigkeit  für 
die  Sanskrit-Literatur  von  hoher  Bedeutung  geworden  ist 
Jones  war  es,  der  i.  J.  1789  eine  englische  Uebersetzung  des 
schönsten  indischen  Dramas,  der  Sakuntala  des  Kalidasa 
veröffentlichte  und  damit  zuerst  die  Europäer  ahnen  liees, 
welch  ein  Reichthum  von  Poesie  in  der  indischen  Literatur 
verborgen  läge.  Es  ist  bekannt,  dass  Georg  Forster  diese 
Jones'sche  Uebersetzung  der  Sakuntala  i.  J.  1791  in  deutscher 
Uebersetzung  herausgab  und  dass  diese  Uebersetzung  von 
Männern  wie  Herder  und  Goethe  mit  Begeisterung  begrüsst 
wurde*,  so  dass  die  Namen  Sakuntala  und  Kälidäsa  mit  einem 


1  In  demselben  Jahre  noch  erschien  eine  rassische  Uebersetzung, 
1787  eine  französische  und  1801  eine  deutsche.  Vgl.  Benfey,  Ge- 
schiebte der  Sprachwissenschaft  p.  345. 

*  Im  Jahre  1808.  —  Es  war  die  vierte  der  von  Europäern  bearbei- 
teten Sanskritgrammatiken.  Die  erste  war  die  des  Jesuiten  Hanxleden, 
welcher  1699  nach  Indien  ging  und  dort  Ober  30  Jahre  in  der  malaba- 
rischen  Mission  arbeitete  (f  1782.)  Vgl.  Benfey,  Geschichte  der 
Sprachwissenschaft,  p.  335.  345. 

*  Herder  lenkte  die  Aufmerksamkeit  des  deutschen  Publikums 
durch  mehrere  Briefe  aowie  durch  eine  Einleitung  zur  zweiten  Aurlage 
der  Sakuntala  in  der  Forsterschen  Uebersetzung  auf  dieses  poesievolle 


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Schlage  zu  Berühmtheiten  bei  uns  wurden.  Jones  war  es 
auch,  der  eine  Uebersetzung  des  wichtigsten  Werkes  für  die 
Kenntniss  indischer  Sitten  und  staatlicher  Institutionen,  des 
berühmten  sogen.  „Gesetzbuches  des  Manu"  herausgab,  und 
endlich  verdanken  wir  ihm  auch  den  ersten  Druck  eines  Sans- 
kritwerkes in  der  Sprache  des  Originals;  es  war  der  schon 
erwähnlc  Ritusanihära  des  Kälidasa,  i.  J.  1792  zu  Cal- 
cutta  erschienen,  der  bedeutsame  Vorläufer  einer  stattlichen 
Menge  von  Sanskrit-Drucken. 

Der  Erste,  welcher  sodann  mit  strenger  philologischer 
Methode  an  das  Studium  der  Sanskrit-Literatur  herantrat  und 
durch  eindringenden  Scharfsinn  und  seltene  Gründlichkeit  nach 
den  verschiedensten  Seiten  hin  bahnbrechend  wirkte,  war  Henry 
Thomas  Colebrooke  (geb.  1765,  gest  1837),  der  in  Mirza- 
poor  Richter,  nachher  politischer  Resident  am  Hofe  von  Berar 
war.  Er  erwarb  sich  die  gründlichste  Kenntniss  vom  Sanskrit, 
arbeitete  an  der  dem  Europäer  so  ungemein  schwer  verständ- 
lichen Grammatik  des  Päuini,  der  Grundlage  der  indischen 
Philologie,  sowie  an  dem  Lexicon  Amarako^a.  Er  veröffent- 
lichte eine  höchst  werthvolle  Sanskrit- Grammatik  (1805). 
betheiligte  sich  an  der  Herausgabe  vieler  Sanskritwerke,  des 
Fabelwerkes  Hitopadcc,a  (1803.  1804),  verschiedener  indischer 
Lexica  (1807)  und  des  P  an  in  i  (1810);  studirte  aufs  Eingehendste 
das  indische  Recht,  die  Philosophie  und  Mathematik,  und  ver- 
breitete durch  seine  werthvollen  Abhandlungen  Licht  über  viele 
dor  schwierigsten  Gebiete  der  indischen  Literatur.  Endlich  ist 
er  es  auch  gewesen,  der  i.  J.  1805  zuerst  von  wirklicher  Sach- 
kenntnis zeugende  Mittheilungen  über  die  Veden,  die  ältesten 
heiligen  Schriftwerke  der  Brahmanen,  machte  (s.  Benfey,  Ge- 
schichte der  Sprachwiss.  p.  349).  —  Sanskrit-Grammatiken  wurden 
auch  noch  von  Carey  (Serampore  1806)  und  Forst  er  (Cal- 
cutta  1810)  herausgegeben.  —  Endlich  muss  als  hervorragender 
Pionier  der  jungen  Sanskritwissenschaft  in  England  noch  H.  H. 
Wilson,  der  Verfasser  des  ersten  europäischen  Sanskritwörter- 
buches,1 genannt  werden. 


Drama;  Goethe,  von  Anderem  abgesehen,  insbesondere  durch  die  be- 
kannten Distichen: 

Willst  du  die  Blüthe  des  frühen,  die  Früchte  des  spateren  Jahres, 
Willst  du  was  reizt  und  entzückt,  willst  du  was  sättigt  und  nährt, 
Willst  du  den  Himmel,  die  Erde  mit  einem  Namen  begreifen, 
Nenn  ich  Sakontala  dir,  und  so  ist  Alles  gesagt. 

1  A  Dictionary,  8anscrit  and  English:  translated,  amended 
and  ^ularged,  from  an  original  eompilation  prepared  by  learned  natifes 


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—  10 


Die  bahnbrechenden  Arbeiten  dieser  1  ngländer  riefen  in 
Deutschland  sogleich  das  lebhafteste  Interesse  für  die  indische 
Sprache  und  Literatur  wach,  und  die  übersetzten  Dichtungen 
erregten  hochgespannte  Erwartungen,  Vor  Allem  trafen  die 
Schöpfungen  indischen  Geistes  auf  wahlverwandte  Gemüther 
bei  den  Romantikern,  deren  Stern  damals  gerade  aufzugchen 
begann.  Die  Romantiker,  die  sich  in  die  mittelalterliche  Ritter- 
zeit  als  ihr  Ideal  hinein  träumten,  erneuerten  auch  jene  Züge 
der  Ritter  in  den  Orient,  wenn  auch  nur  auf  dem  friedlichen 
Gebiete  der  literarischen  Forschung.  In  Indien  fanden  sie  eine 
Welt,  die  ihrer  Idealwelt  nahe  verwandt  war.  Die  Chorführer 
der  romantischen  Schule,  die  beiden  Brüder  Schlegel,  scheuten 
die  Mühe  nicht,  die  von  nur  sehr  Wenigen  gekannte  schwierige 
Sprache  selbst  zu  erlernen,  und  wurden  die  Begründer  des 
Studiums  der  indischen  Literatur  in  Deutschland;  Friedrich 
von  Schlegel1  durch  sein  interessantes  und  geistvolles  Buch 
„Ueber  die  Spraclie  und  Weisheit  der  Indier,"  Heidelberg  1808, 
dem  als  Anhang  deutsche  metrische  Uebersctzungcn  au?  dem, 
Ramäyana,  Mahabharata  und  dem  Gesetzbuch  des  Manu  beige- 
fügt waren;  in  noch  höherein  Grade  aber  sein  Bruder  August 
Wilhelm  von  Schlegel  durch  eine  ganzo  Reih?  philologisch 
bedeutender  Arbeiten,  die  von  gründlichster  Kenntniss  des  Sans- 
krit Zeugniss  ablegen *  und  das  strengwissenschaftliche  Studium 
desselben  in  Deutschland  einbürgerten.  Schon  im  Jahre  1818 
als  erster  Professor  des  Sanskrit  an  die  neugegründete  Univer- 
sität Bonn  berufen,  gab  er  im  Jahre  1823  den  Sanskrittext 
der  so  hochwichtigen  Bhagavadgita  nebst  einer  vorzüglichen 
lateinischen  Uebersetzuüg  heraus;  desgleichen  zwei  Bände  einer 
Ausgabe  des  Ramäyana  (Bonn  1829  und  1838),  und  im 
Verein  mit  Lassen  i.  J.  1820  das  mehrfach  schon  genannte 
interessante  Fabelwork  Hitopade$a;  auch  wirkte  er  durch 
seine  Zeitschrift  „Indische  Bibliothek«  (3  Bände,  1820—1830) 
anregend  in  weiten  Kreisen.  —  Zu  gloichcr  Zeit  mit  den 

for  the  College  of  Fort  William,  by  Horace  Hayman  Wilson,  Cal- 
cutta  1819.  Vgl.  dazu  die  Anzeige  von  A.  W.  v.  Schlegel,  ladische 
Bibliothek,  I  p.  295  flg.  —  Eine  2.  Auflage  des  Wilson'schen  Werkes 
erschien  1832. 

1  Er  hatte  das  Sanskrit  in  Pari6  von  Alexander  Hamilton  gelernt 
einem  Englander,  der  sich  wahrend  Beines  Aufenthalts  in  Indien  die 
Kenntniss  desselben  angeeignet.  Schlegel  lebte  zu  Anfang  des  Jahr- 
hunderts in  Paris,  von  wo  er  einer  Napoleon ischen  Bestimmung  gemäss 
damals  nicht  in  die  Heimath  zurückkehren  durfte. 

1  Seit  dem  J.  1814  beschäftigte  er  sich  mit  dem  Sanskrit  (s.  Benfey, 
Gesch.  der  Sprachwiss.  p.  372.  379  flg.) 


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-  11  - 

Brüdern  Schlegel  hatte  der  geniale  Franz  Bopp  seine  Wirk- 
samkeit begonnen,  der  nicht  bloss  durch  seine  Schrift  „Ueber 
das  Conjugationssy stein  der  Sanskritsprache  in  Vergleichnng 
mit  jenem  der  griechischen)  lateinischen,  persischen  und  ger- 
manischen Sprache"  (Frankfurt  a  M.  1816)  den  Grund  legte 
für  die  so  eminent  wichtige  Wissenschaft  der  vergleichenden 
Sprachforschung1,  sondern  auch  durch  eiue  Reihe  speciell  phi- 
lologischer Arbeiten  für  die  gründliche  Kenntniss  des  Sanskrit 
Hervorragendes  leistete.  Mit  glücklichem  Instincte  hatte  er  aus 
dem  ungeheuer  umfangreichen  Mahabharata  die  schönste  Episode, 
die  Erzählung  von  Nal  und  Damayanti,  herausgegriffen  und 
veröffentlichte  dieselbe  i.  J.  1819  im  Urtext  mit  lateinischer 
Uebersetzung. '  Dem  folgte  i.  J.  1827  die  ungemein  werthvolle 
erste  Bopp'sche  Sanskrit-Grammatik8,  der  sich  i.  J.  1830  noch 
ein  kleines  Sanskrit-Glossar  anschloss.4 

Die  durch  die  Thätigkeit  dieser  Männer  begründete  erste 
Periode  des  Sanskrit-Stadiums  in  Deutschland  ist  dadurch  ge- 
.  gekennzeichnet,  dass  die  Forscher  sich  so  gut  wie  ausschliesslich 
mit  dem  sogenannten  klassischen  Sanskrit,  der  Literatur  des 
indischen  Mittelalters,  beschäftigten,  während  von  den  Veden 
zu  jener  Zeit  noch  so  gut  wie  gar  keine  Kenntniss  verbreitet 
war. 

Neben  den  Schlegels  und  Bopp  zeichnete  sich  bald  Chri- 
stian Lassen  aus,  welcher  schon  in  den  Jahren  1829—1831 
mit  Schlegel  zusaminon  den  Hitopade$a  herausgegeben  hatte, 
dem  er  i.  J.  1836  die  Ausgabe  des  reizenden  lyrisch  drama- 
tischen Idylls  Gltagovinda  folgen  liess,  i.  J.  1832  die  des 
Dramas  M&latlmadhava  u.  so  fort.5  Vor  Allem  berühmt  ist 


1  Dem  tonjugationssystem  folgte  spater  das  Hauptwerk  „Vergleich- 
ende Grammatik  des  Sanskrit,  Zend,  Griechischen,  Lateinischen,  Lit- 
thauischen,  Gothischen  und  deutschen'*,  welches  In  den  Jahren  1838— 
1*52  erschien. 

-  Nalus,  carmen  sanscritum  e  Mahabharato,  edidit,  latine  vertit 
et  adnotationibus  illustrarit  Francis  cos  Bopp  (London  1819). 

*  Ausführliches  Lehrgebäude  der  Sanskrits -Sprache;  yon  Franz 
Bopp,  Berlin  1827.  —  2,  Aufl.  Berlin  1832  in  lateinischer  8prache.  — 
Dum  eine  deutsche  „Kritische  Grammatik  der  Sanskritasprache  in 
kürzerer  Fassung,  1834,  die  späterhin  noch  mehrfach  wiederaufgelegt 
wurde. 

4  Glossarium  sanscritum  a  Fr.  Bopp  (Berlin  1830). 

5  Eine  Sanskrit- Anthologie  gab  Laasen  1838  heraus,  welche 
nachher  noch  mehrfach  aufgelegt  für  die  Einbürgerung  des  Sanskrit- 
Studiums  auf  den  Universitäten  von  Bedeutung  war.  —  Wichtig  waren 
ferner  seine  „Institutiones  linguae  Pracriticae"  1837. 


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aber  Lassen  durch  seine  grossartig  umfasseude  „Indische 
Alterthumskunde"  in  vier  Bänden,  welche  i.  J.  1843  zu  er- 
scheinen begann;  in  ihr  hat  er  die  ganze  Fülle  seines  Wissens 
von  dem  indischen  Alterthum  zu  einem  reichhaltigen  Ganzen 
vereinigt 

Ein  anderer  etwa  gleichzeitig  auftretender  fleissiger  Sans- 
kritforscher, Poter  von  Bohlen,  Hess  im  Jahre  1830  sein  Werk 
„Das  alte  Indien  mit  besondrer  Rücksicht  auf  Aegypten4*  in 
zwei  Bänden  erscheinen;  gab  i.  J.  1833  die  geistvollen  Sprüche 
des  Bhartrihari  heraus  und  i.  J.  1840  den  IJitusarnhAra. 

Von  hoher  Bedeutung  war  os  für  die  junge  Wissenschaft, 
dass  auch  eine  nach  so  vielen  Seiten  hin  hervorragende  Per- 
sönlichkeit wie  Wilhelm  von  Humboldt  sich  mit  Eifer  den 
Sanskritstudien  zuwandte.  Humboldt  trug  durch  eine  höchst 
interessante  Abhandlung  „Ueber  die  unter  dem  Namen  Bbaga- 
vad-Gita  bekannte  Episode  des  Mahäbbarata" 1  wesentlich  dazu 
bei,  die  Aufmerksamkeit  der  gebildeten 'Welt  auf  dieses  geist- 
volle philo80])hi8che  Gedicht  zu  lenken.  Er  war  so  entzückt« 
von  demselben,  dass  er  darüber  an  Gentz  schrieb,  er  danke 
Gott,  dass  er  ihn  so  lange  habe  leben  lassen,  um  dieses  Ge- 
dicht lesen  zu  können. * 

Dabei  hatte  die  SanskritrLiteratur  das  seltene  Glück,  neben 
so  manchen  Anderen,  einen  so  dichterisch  genialen  und  sprach- 
gewandten Uehersetzer  zu  finden  wie  Friedrich  Rücke  rt, 
unter  dessen  U Übersetzungen  ich  nur  die  des  Nal  (zuerst  1828) 
und  die  des  Gitagovinda  (1837^)  als  besonders  gelungen  her- 
vorheben will;  die  erstere  schon  lange  in  den  weitesten  Kreisen 
bekannt,  die  letztere  ein  wahres  Meisterstück  kunstvoller  Ueber- 
setzung. 3 

Zu  dieser  älteren  Generation  von  deutschen  Sanskritisten 
gehört  ferner  der  auch  als  Sprachforscher  rühmlichst  bekannte 
Theodor  Benfey,  welcher  i.  J.  1840  seinen  werthvollen  Ar- 
tikel „Indien1*  in  der  „Allgemeinen  Encyklopädie  der  Wissen- 
schaften und  Künste  von  Ersch  und  Grober«  erscheinen  liess; 
zu  ihr  ist  auch  Hermann  Brockhaus  zu  rechnen,  desgleichen 


1  Gelesen 'in  der  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin  am  30. 
Juni  1825  und  25.  Juli  1826. 

*  Vgl.  Boxberger's  Uebersetzung  der  Bhagavadgita  Vorwort  p.12. 

3  Ausserdem  1831  „Achtunddreissig  sanskritische  Liebesliedchen  des 
Amaru";  1833  „Ajas  und  Indumati";  1837  Verschiedenes  aus  dem  Bhar- 
trihari; 1838  mehrere  brahmanische  Erzählungen,  darunter  die  Sa  vi  tri; 
1858—59  ein  Stück  aus  dem  Markantfeya- Purana;  aus  seinem  Nachlass 
-  ist  auch  eine  Uebersetzung  der  Sakuntala  veröffentlicht 


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der  noch  lebende  hoch  verdiente  Ad.  Friedlich  Stenzhi. 
ferner  R.  Lenz,  J.  Gildemeister,  Th.  Goldstücker,  F.  Bol- 
lensen, A.  Hoefer  und  manche  Andre.1  Zu  ihr  gehört  voi 
allen  Dingen  auch  noch  Otto  Böhtlingk,  von  dessen  Werken 
ich  aus  dieser  Periode  als  bahnbrechend  vor  Allem  die  Ausgabe 
des  so  ungemein  schwer  verständlichen,  ja  räthselhaften  und 
doch  so  wichtigen  Grammatikers  Panini  nebst  Erläuterungen 
dazu  hervorheben  will  *  Ausserdem  sei  nur  noch  seine  Aus- 
gabe der  Sakuntala  nebst  Uebersetzung,  aus  dem  Jahre  1842. 
erwähnt.*  — 

In  der  zweiten  Hälfte  der  vierziger  Jahre  vollzieht  sich 
ein  Umschwung  in  den  deutschen  Sanskritstudien,  indem  fast 
alle  hervorragenden  jüngeren  Kräfte  zu  jener  Zeit  sich  der  Er- 
forschung der  so  emiuent  wichtigen  Veden,  der  ältesten  Literatur 
der  Inder,  zuwandten,  deren  Verständniss  zuerst  fast  unüber- 
windliche Hindernisse  entgegen  zu  stehen  schienen.  Es  war 
bis  dabin  nur  eine  erste  sachkundige  Mittheilung  i.  J.  1805 
von  Colebrooke  über  die  Veden  gemacht  worden,  und  Fried- 
rich Rosen  hatte  i.  J.  1838  das  erste  Achtel  des  Rigveda 
veröffentlicht,  wurde  aber  durch  den  Tod  daran  verhindert,  das 
wichtige  Unternehmen  weiter  fortzusetzen.  Da  war  es  insbe- 
sondre der  geistvolle  französisebe  Forscher  Burnouf,  der  sich 
ernstlich  an  das  Studium  des  Veda  machte  und  durch  seine 
Vorlesungen  am  College  de  France  Andre  in  dasselbe  Studium 
einzuführen  und  für  dasselbe  zu  begeistern  verstand.  4 


1  So  II.  Ewald,  F.  H.  Windischmann,  Othmar  Frank,  Ad.  Holtzmann, 
F.  0.  L.  Kosegarten,  L.  Poley,  Haeberlin,  E.  Meier,  K.  Schütz  u.  A.: 
neben  Ihnen  mögen  hier  noch  genannt  werden  der  Dane  N.  L.  Wcster- 
g^ard  und  die  Franzosen  Chezy  und  Loisek  r  Deslongchamps. 

*  Zwei  Bande.  Bonn,  1839.  1840.  —  Von  hervorragender  Bedeutung 
ist  die  neue  i.  J.  188G  begonnene  und  schon  ziemlich  weit  vorgeschrit- 
tene Ausgabe  des  Panini  nebst  deutscher  Uebersetzung,  Erlaute- 
rangen und  Indices;  Leipzig,  Verlag  von  II.  Haessel. 

'  £r  gab  1847  die  Grammatik  des  Vopadeva  heraus:  1847  mit 
Charles  Rieu  zusammen  Heraacanrira'b  Abhidhanacintäuiani ;  1845 
schon  eine  Sanskrit  -  Chrestomathie ;  spater  bewonders  nichtig  3  Bände* 
„Indische  Sprüche4',  Petersburg  1864  flg.  (auch  zum  zweiten  Male 
aufgelegt^:  dann  eine  vorzügliche  Uebersetzung  des  Dramas  Mriccha- 
katika,  Petersburg  1877  u.  s.  w.  Ueber  rtas  grosse  Sanskrit -Wörter- 
buch s.  weiter  unten. 

4  Ueber  den  massgebenden  Einfluss  des  grossen  französischen 
Orientalisten  auf  diesen  Umschwung  in  den  Sanskritstudien  vgl.  M. 
Maller,  Indien  In  s.  culturgesch.  Bed.  p.  75.  76.  —  Auch  in  seinem 
Aufsatz  „Damals  und  Jetzt"  in  der  „Deutschen  Rundschau",  Jahrgang 
1884 — 85  p.  470  sagt  M.  Müller  von  Bnrnouf:  „Er  war  der  Erste,  der 


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—    14  — 


Im  Jahre  1846  licss  Rudolf  Roth,  ein  Schüler  Burnoufs, 
sein  Buch  „Zur  Literatur  und  Geschichte  des  Veda"  er- 
scheinen, welches  für  das  Studium  des  Veda  von  epochemachen- 
der Bedeutung  war.1 

Jetzt  folgten  die  wichtigsten  vedischen  Arbeiten  Schlag 
auf  Schlag. 

Im  Jahre  1848  erschien  Theodor  Bonfey's  Ausgabe  des 
Samaveda  mit  Uebersetzung  und  Glossar. 

Im  Jahre  1849  begann  Max  Müller,  ebenfalls  durch  Bur- 
nouf  angeregt,  seine  berühmte  grosse  Ausgabe  des  Rigveda,  sammt 
dem  Gommentar  des  Säyana,  erscheinen  zu  lassen,  dio  in  sechs 
mächtigen  Foliobänden  nun  schon  seit  zehn  Jahren  vollendet 
vorliegt.  Diesem  geistreichen  Forscher  und  seinen  zahlreichen, 
demselben  Gegenstande  gewidmeten  Arbeiten,  Reden  und  Auf- 
sätzen verdanken  wir  es  wohl  in  erster  Linie,  dass  das  Studium 
des  Veda  in  weiteren  Kreisen  Beachtung  und  Interesse  ge- 
bunden hat. 

Im  Jahre  1852  erschien  sodann  der  „weisse  Yajurveda," 
von  Albrecht  Wober  herausgegeben,  dem  sich  in  den  folgen« 
den  Jahren  das  dazu  gehörige  ^atapathabrahmaiia  und  Kätya- 
yana's  Qrautasütnt  anschlössen. 

Den  „schwarzen  Yajurvecla"*  begann  Ed.  Roer  im 
Jahre  1854  herauszugeben.  Eine  vollständige  Ausgabe  dieses 
Veda  lieferte  späterhin  der  unermüdlich  thütige  Albrecht 
Weber.» 

Den  Atharvaveda  endlich  gab  im  Jahre  1856  Rud.  Roth 
im  Verein  mit  dem  amerikanischen  Gelehrten  W.  D.  Whitney 
heraus. 


in  seinen  Vorlesungen  am  College  de  Franre  uns  in  das  wahre  Studium 
des  Voda  einführte".  —  „Im  Jahre  1845,  als  ich  meine  Vorarbeiten  «n 
einer  Ausgabe  des  Rigveda  begaun,  war  Burnouf  der  Einzige,  der  die 
grosse,  zum  Veda  gehörige  Literatur  übersah,  der  Handschriften  ge- 
sammelt und  sich  mit  der  eigentümlichen  Sprache  dieses  Literatur- 
kreises vertraut  gemacht  hatte". 

1  Dieser  Arbeit  liess  Roth  i.  J.  1852  „J&ska's  Nirukta  sammt  den 
Nighantavas"  folgen,  eiue  mit  werthvollcn  Erläuterungen  versehene  Aus- 
übe der  ältesten  einheimisch-indischen  Arbeiten  zum  V*rbtandniss  des 
Veda.   Vgl.  unten  Vorlesung  XLVIf. 

*  D.  h.  die  sogen.  SamhitA  der  mm  schwarzen  Vajurveda  gehörigen 
Taittiriya-Schule.  Von  anderen  und  alteren  Schulen  schwarzen 
Yajurveda  werden  wir  weiter  unten  sprechen. 

3  Als  11.  und  12.  Band  seiner  sehr  reichhaltigen  und  werthvollen 
„Indischen  Studien"  erschienen  i.  J.  1871  u.  1872. 


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-    15  - 

Eine  vollständige,  werthvolle  und  viel  benutzte  Ausgabe  dos 
Rigveda  in  Transscription  veröffentlichte  Theodor  Aufrecht 
>chon  in  den  Jahren  1861  und  1863  (6.  und  7.  Band  von 
Weber's  Indischen  Studien;  nachher  im  Jah^e  1877  in  2.  Auf- 
lage selbständig  erschienen).1 

Viel  Aufhellung  verdankte  der  Rigveda  sodann  in  mytho- 
logischer und  exegetischer  Hinsicht  einer  Reihe  von  Arbeiten 
des  bekannten  Adalbert  Kuhn,  des  langjährigen  Herausgebers 
der  sogen.  Kuhn'schen  Zeitschrift 

Von  den  späterhin  für  den  Veda  thätigen  Forschern  will 
ich  noch  Martin  Haug's  gedenken,  der  durch  seinen  längeren 
Aufenthalt  in  Indien  im  Stande  war,  uns  sehr  werthvollo,  auf 
Autopsie  beruhende  Mittheilungon  über  das  indische  Opferwesen 
zu  machen,  sowie  vor  Allem  des  ebenso  schlichten  als  tüchtigen 
Hermann  Grassmann,  der  als  vielbeschäftigter  Gymnasial- 
lehrer in  Stettin  lebend  uns  nicht  nur  ein  vorzüglich  ange- 
ordnetes vollständiges  „Wörterbuch  zum  Rig-Veda**8,  sondern 
auch  eine  vollständige  Üebersctzung  desselben*  dargeboten  hat. 
Eine  Üebersctzung  des  ganzen  IJigveda  lieferte  auch  der  scharf- 
sinnige und  gelehrte  Alfred  Ludwig.4  Endlich  muss  ich  noch 
der  exegetischen  und  culturhistorischen  Forschungen  des  Eng- 
länders John  Muir  und  der  werthvotlen  grammatischen  Ar- 
beiten B.  Delbrück's  Erwähnung  thun,  sowie  der  „Siebenzig 
Lieder  des  Rigveda,  übersetzt  von  K.  Geldnor  und  Ad.  Kaegi, 
mit  Beiträgen  von  R.  Roth"*;  und  des  culturhistorisch  wich- 
tigen und  interessanten  „Altindischen  Lebens"  von  Hein- 
rich Zimmer.6 

Ich  habe  hier  natürlich  nur  die  hervorragendsten  Werko 
namhaft  gemacht  und  eine  Menge  wichtiger  Arbeiten  für  dio 
Erklärung  des  Veda  unberücksichtigt  gelassen,  aber  schon  das 
Angeführte  wird  genügen,  um  Ihnen  eine  Vorstellung  davon  zu 
erwecken,  welch  rege  Thätigkoit  seit  dem  Ende  dor  40ger  Jahre 
sich  auf  diesem  Gebiete  entfaltet  hat.  Dem  verdanken  wir.  was 
vor  vierzig  Jahren  noch  kaum  geahnt  und  gehofft  werden  konnte,  — 


1  Neben  diesen  deutschen  Forschern  mögen  als  Herausgeber  vedischer 
Texte  noch  genannt  werden  der  Inder  Bajendralala  Mitra  nnd  der 
Engländer  Cowell. 

•  Leipzig  1P73. 

•  Zwei  Bande,  Leipzig  1876.  1877. 

4  Prag  1876,  2  Bande,  denen  sp&ter  noch  drei  weitere  Bande  mit 
Erlauterungen  und  Ergänzungen  gefolgt  sind. 

5  Tübingen  1875. 

•  Berlin  1879. 


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—    16  - 


eine  wirklich  eindringende  Kenntniss  auf  den  meisten  Gebieten 
der  so  umfangreichen  als  schwierigen  vedischen  Literatur. 

Als  hervorragende  Forscher  dieser  Periode,  die  sich  nicht 
specieil  dem  Veda  gewidmet,  sondern  den  Schwerpunkt  ihrer 
Wirksamkeit  auf  das  Gebiet  der  klassischen  Sanskrit-Literatur 
und  der  Grammatik  verlegt  haben,  waren  vor  Allem  Georg 
Bühler,  F.  Kielhorn  und  der  holländische  Gelehrte  H.  Kern 
zu  nennen.1 

Auch  die  allgemeineren  Werke  dieser  zweiten  Periode  des 
Sanskrit- Studiums  zeugen  schon  von  der  bis  in  die  vedische 
Zeit  hin  erweiterten  Kenntnis  der  indischen  Literatur.  So  be- 
reits die  im  Jahre  1852  erschienene,  Scharfsinn  und  grosse 
Gelehrsamkeit  bekundende  „Indische  Literaturgeschichte** 
von  Albrecht  Weber2;  so  die  ausgezeichnete  „Indische 
Grammatik"  von  W.  D.  Whitney,  erschienen  im  Jahre  1879. 3 
So  vor  Allem  die  grossartigste  Schöpfung  der  gesammten  Indo- 
logie, das  „Sanskrit- Wörterbuch"  von  Otto  Böhtlingk 
und  Rudolf  Roth,  welches  im  Jahre  1852  zu  erscheinen  be- 


1  In  jüngster  Zeit  (etwa  seit  den  70ger  Jahren^  ist  wieder  eine  gleich- 
massigere  Vertheilung  eingetreten,  und  eine  Reihe  der  tüchtigsten  jüngeren 
Kräfte  haben  sich  jetzt  der  klassischen  Sanskrit-Literatur  zugewandt, 
so  C.  Cappeller,  R.  Pischcl,  H.  Jacobi.  F.  Johaentgcn,  der  ta- 
lentvolle Uebersetzer  L.  Fritze;  ferner  Ad.  Holtzmann,  Th.  Zacha- 
riae,  J.  Schönberg  u.  a.  Die  Mehrzahl  der  Jüngeren  dürfte  freilich 
auch  jetzt  noch  auf  dem  Gebiete  der  vedischen  Literatur.,  der  Brahma- 
rta's  undSütra's  thatig  sein;  so  R.Garbe,  A.  Hillobrandt,  Ad.  Kaegi, 
K.  Geldner,  G.  Tbibaut,  B.  Lindner,  H.  Zimmer.  Charles  R. 
Lanman,  P.  von  Bradke.  F.  Knauer,  J  Schwab  und  der  Verfasser 
der  vorliegenden  Literatur-Geschichte;  auf  beiden  Gebieten  bewegen 
sich  die  Arbeiten  von  Eggeling,  J.  Jolly  und  E.  Wiudisch;  H. 
Oldenberg  hat  auch  der  vedischen  Literatur  bedeutende  Dienste  geleistet, 
beschäftigt  sich  aber  hauptsachlich  mit  der  vornehmlich  im  Pali-Dialekl 
verfassten  buddhistischen  Literatur,  welcher  specieil  auch  die  Ar- 
beiten Ernst  Kuhn's  und  Ed.  Müller's  gewidmet  sind.  Werden  die 
Namen  dieser  jüngeren  deutschen  Forscher  genannt,  ho  erfordert  es 
die  Gerechtigkeit,  die  hervorragendsten  Kenner  der  buddhistischen 
Literatur  ausserhalb  Deutschlands  nicht  unerwähnt  zu  lassen.  Der 
erste  Platz  gebührt  unstreitig  dem  geistvollen  Franzosen  Burnouf,  der 
auch  auf  diesem  Gebiete  bahnbrechend  gewesen  ist;  neben  ihm  mögen 
genannt  werden  Spence  Hardy,  V.  lausböll,  R.  Cbilders,  de 
Alwis,  E.  Senart  u.  A.  Auf  dem  Gebiete  der  Prakritliteratur  specieil 
Bind  Siegfried  Goldschmidt  und  Paul  Goldschmidt  thatig  ge- 
wesen. 

*  Akademische  Vorlesungen  über  Indische  Literaturge- 
schichte, Berlin  1852:  2.  Aua.  Berlin  1870. 

3  Indische  Grammatik,  umfassend  die  klassische  Sprache  und 
die  alteren  Dialekte,  von  William  Dwight  Whitney,  au-  dem  Eng  - 
lischen übersetzt  von  H.  Zimmer,  Leipzig  1871*. 


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-    17  - 


gann  und  dessen  7.  und  letzter  Band  i.  J.  1875  abgeschlossen 
war.1  In  diesem  gewaltigen  Werke,  durch  dessen  Drucklegung 
sich  die  Kaiserliche  Akademie  zu  St.  Petersburg  ein  dauerndes 
Verdienst  um  die  Indologie  erworben,  hat  Böhtlingk  die  ganze 
Fülle  seines  staunenswerthon,  fast  die  gesammte  klassische  in- 
dische Literatur  umfassenden  Wissens  niedergelegt,  während 
Roth  in  dem  vedischen  Theile  desselben  für  die  so  überaus 
schwierige  Exegese  des  Veda  das  Bedeutendste  und  Werthvollste 
lieferte,  was  überhaupt  geleistet  worden  ist.  Dieses  grosse 
Werk  ist  darum  als  das  Centrum  und  die  Grundlage  aller  auf 
die  Erforschung  der  indischen  Literatur  gerichteten  Studien  zu 
bezeichnen.*  Es  steht  da  wie  ein  stolzer,  stattlicher  Dom  in- 
mitten einer  prächtigen  Stadt,  wo  sich  mancher  Thurm,  mancher 
kunstvoll  gebaute  Palast  erhebt,  während  auch  die  zahlreichen 
wohnlichen  Häuser  der  bescheideneren  Einwohner  nicht  ver- 
misst  werden.  Heutzutage,  wo  wir  bis  zu  den  ältesten  Quellen 
mit  Glück  und  Erfolg  hinauf  gelangt  sind,  wo  der  Veda  wirk- 
lich schon  als  gründlich  durchforscht  bezeichnet  werden  darf, 
ist  es  wohl  der  Mühe  werth,  einmal  von  der  strengen  Arbeit 
auszuruhen  und  den  betrachtenden  Blick  über  den  ganzen 
Reichthum  des  Gewonnenen  und  Geschaffenen  hinschweifen  zu 
lassen.  Heutzutage  vermögen  wir  es,  dank  der  rastlosen  Arbeit 
einer  ganzen  Reihe  hervorragender,  ja  genialer  Köpfe,  sowie 
zahlreicher  fleissiger  Forscher,  die  Darstellung  der  indischen 
Literatur  und  Cultur  vom  grauen  Alterthum  an  bis  in  die 
neuere  Zeit  fortzuführen.  Und  dies,  meine  Herren,  wollen  wir 
in  den  uns  vorliegenden  Stunden  versuchen. 

Wir  wollen  die  ersten  Anfänge  des  schaffenden  indischen 
Geistes  in  den  Hymnen  des  Rigveda  belauschen;  wollen  be- 
obachten ,  wie  er  in  den  Yajurveden,  in  den  Brahmana's  und 
Sütra's  immer  mehr  und  immer  eifriger  sich  eine  ganze  grosse 
Welt  des  Gebetes  und  der  Opfer  aufbaut,  wie  er  daun  im 
Gangesthaie  seinem  Staate  für  immer  entscheidend  den  Stempel 
aufdrückt,  indem  er  das  Gebet  und  die  Beter,  Brahma  und 
die  Brahmanen,  zu  seinen  obersten  Herrschern  erhebt  und 


'  Sanskrit- Wörterbuch,  herausgegeben  von  der  Kaiserlichen 
Akademie  der  Wissenschaften,  bearbeitet  von  Otto  Böhtlingk  und 
Rudolph  Roth,  St  Petersburg  1852—1875,  7  starke  Quartbande. 

*  Zahlreiche  werthvolle  Nachträge,  Ergänzungen  und  Berichtigungen 
ru diesem,  dem  sogen.  „Petersburger  Wörterbuch  ",  bietet  das  „Sanskrit- 
Wörterbuch  in  kürzerer  Fassung",  bearbeitet  von  Otto  Böhtlingk, 
dessen  1.  Theil  zu  St  Petersburg  i.  J.  1879  erschien;  der  Druck  des- 
selben ist  bereits  ziemlich  weit  vorgerückt,  doch  noch  nicht  abgeschlossen. 

t.  Bekr6d«r,  Ud.  LH.  o.  Colt.  2 


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-    18  - 

das  Dogma  der  Seeleuwanderung  schafft;  wie  durch  den  über- 
wuchernden Ceremoniencultus  der  Drang  nach  reinerer  Gottes- 
erkenntniss  in  der  Stille  der  Wälder  die  Philosophie  <*er  Upani- 
shaden  entstehen  losst,  während  in  einem  anderen  Landstrich 
eine  andere  philosophische  Geistesrichtung,  die  die  Achtung 
vor  den  alten  Göttern  völlig  verloren  hat,  nur  einem  Ziele 
noch  zustrebt:  Befreiung  von  den  Fesseln  des  leidvollen  Daseins, 
Erlösung  aus  eigener  menschlicher  Kraft,  —  die  Lehre  des 
Buddha;  wie  dann  im  Gegensatz  zu  dieser  immer  mächtiger 
werdenden  Richtung  die  Brahmanon  ihrer  Götterwelt  eine  neue 
Gestaltung  zu  geben  suchen,  indem  sie  die  Verehrung  gewisser 
allbeliebt*»r  Volksgötter  mit  der  Brahma -Vorehrung  zu  ver- 
schmelzen suchen;  wie  tiefer  angelegte  Gemüther  einor  mono- 
theistischen Klärung  der  alten  Götterwolt  zustreben,  während 
andere,  mehr  aufs  Praktische  gerichtet,  die  eisernen  Ordnungen 
des  brahmanischen  Staates  immer  schroffer  ausbauen;  wie  dann 
in  den  prächtig  aufblühenden  Städten  die  alten  epischen  Sagen, 
die  Sagen  von  Kämpfen  der  einzelnen  Stamme,  von  Kämpfen 
der  Könige  und  Priester  gesungen  und  rzählt  wurden;  wie 
eine  reizende  Lyrik  aufsprosste,  eine  gedankenvolle  Poesie  der 
Weisheitssprüche,  der  Fabeln  und  Märchen,  und  die  Krone  der 
Dichtung,  das  Drama,  in  mannigfaltiger  und  reicher  Gestaltung; 
wie  auch  das  wissenschaftliche  Denken  wuchs  und  erstarkte 
und  auf  dem  Gebiete  der  Sprachforschung  das  Bedeutendste, 
auf  dem  Gebiete  der  Philosophie  Hervorragendes  loistoto.  Dies 
Alles,  meine  Herren,  wollen  wir  an  uns  vorüberziehen  lassen, 
indem  wir  in  erster  Linie  die  Literatur  und  ihre  Schöpfungen 
betrachten,  zugleich  aber  auch  die  übrigen,  mehr  oder  minder 
damit  in  Zusammenhang  stehenden  Bildungen  der  Cultur,  unter 
welchen,  dem  Charakter  des  indischen  Volksgoiftes  gemäss,  die 
Geschichte  der  Religionen  die  hervorragendste  Stelle  einnehmen 
muss. 

So  werden  wir  ein  lebendiges  Bild  gewinnen  von  dem 
geistigen  Wachsen  und  Werden  dieses  merkwürdigen,  uns  frem- 
den und  doch  so  nah  verwandten  Volkes,  dessen  Gedanken- 
schöpfungen schon  jetzt  für  das  geistige  Leben  unserer  Zeit 
von  hoher  Bedeutung  gewesen  sind,  unseren  Horizont  nach 
vielen  Seiten  hin  erweitert,  unsere  eignen  Leistungen  bereichert 
und  vertieft,  und  so  schon  jetzt  auf  verschiedene  Gebiete  unserer 
Cultur  deutlich  erkennbaren  Einfluss  geübt  haben,  und  solchen 
Einfluss,  solche  Bedeutung  im  Laufe  der  Zeit  gewiss  in  noch 
weit  höherem  Maasse  gewinnen  werden. 


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I.  Abschnitt. 

Das  indische  Alterthum,  die  vedische  Periode. 

(c.  1600—600  tof  Chr.  Gek.) 


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Zweite  Vorlesung. 


Die  Urzeit.  Die  Periode  der  indopersischen  Einheit.  Ue  berein  Stimmungen 
and  Abweichungen  in  Religion,  Mythologie  and  Cultus  des  Zendvolkes 
und  der  redischen  Inder.  Wanderung  der  Inder  in  das  Penjab  und 
Aufenthalt  derselben  ebendort  in  der  Periode  des  Kigveda.  Culturver- 
haltnisse  der  Inder  in  dieser  Zeit  (Ackerbau,  Viehzucht,  Gewerbe). 


Wenn  der  forschende  Geist  sich  bemüht,  die  ersten  An- 
fange des  geistigen  und  religiösen  Lebens  eines  historischen 
Volkes  wie  die  Inder  zu  erkunden,  so  strebt  er  naturgemäss  über 
die  durch  geschichtliche  Denkmäler  bezeugte  Zeit  hinaus  und 
fragt  nach  dem  Aeltesten,  sei  es  auch  nur  in  nebelhafter  Ferne 
und  in  dunklen  Umrissen  zu  erschauen.  Hier  hat  uns  für  rlas 
indische  Volk  die  vergleichende  Sprachforschung  unschätzbare 
Dienste  geleistet,  und  wenn  auch  in  erster  Linie  die  euro- 
päischen Völker  dem  Sanskrit  für  die  Aufhellung  ihrer  ersten 
sprachlichen  und  culturgeschichtlichen  Anfänge  zu  Dank  ver- 
pflichtet sind,  so  hat  doch  auch  die  Indologie  der  Vergieichung 
mit  den  verwandten  Sprachen  viel  zu  danken. 

Wir  wissen,  dass  die  Inder,  als  sie  noch  mit  den  anderen 
indogermanischen  Völkern  ein  Volk  bildeten,  sei  es  nun  dass 
sie  im  Hochlande  von  Iran  oder  auch  in  den  Grenzen  eines 
anderen  Landes1  ihre  Heerden  weideten,  sich  in  gesitteten, 
wenn  auch  nicht  hoch  cultivirten  Zuständen  befanden,  dass  sie 
in  Stämmen  unter  einzelnen  Herrschern  lebten,  dass  die  Familie 
wohlgeordnet  bestand,  dass  sie  neben  der  Viehzucht  bereits  den 
Ackerbau  und  manches  nützliche  Handwork  pflegten.  Ueber 


1  Die  früher  ziemlich  allgemein  geltende  Annahme,  dass  Iran  der 
Wohnsitz  des  urindogermanischen  Volkes  gewesen,  erscheint  mir  auch 
jetzt  noch  als  die  wahrscheinlichste;  die  Grunde,  welche  von  einigen 
Seiten  für  Europa  als  Wohnsitz  unserer  indogermanischen  Voreltern 
in  geführt  worden  sind,  haben  mich  nicht  überzeugt.  Doch  will  ich  nicht 
unterlassen  zu  bemerken,  dass  ich  diese  Frage  noch  nicht  für  eine  end- 
gültig erledigte  ansehe. 


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ihr  religiöses  Leben  können  wir  zwar  nicht  viel  Detail  angeben; 
dennoch  haben  wir  neben  Anderem  insbesondere  eine  That- 
sache  von  unschätzbarem  Werthe.  Im  Veda  findet  sich  eine 
alte,  schon  etwas  verblassende  Göttergestalt,  Dyaüs  pitar  der 
Himmel- Vater,  der  Himmel  als  Vater  angerufen.  Und  dieser 
Dyaüs  pitar  ist  unzweifelhaft  identisch  mit  Zevg  xccrfo,1  dem 
obersten  Gotte  der  Griechen,  dem  Vater  der  Götter,  mit  dem 
Ju-piler  des  lateinischen  Volkes,  mit  dem  Tfr  der  altisländischen 
Edda  und  dem  Zio  der  alten  Deutschen.  Wir  wissen  also,  dass 
das  indogermanische  Urvolk  den  leuchtenden  Himmel  *  als  Gott 
verehrte  und  dam  es  sich  diesen  Gott  persönlich  dachte,  dass 
es  ihn  Vater  anredete. 

Auf  die  Periode  der  indogermanischen  Einheit  folgte  die 
der  indopersischen  oder  arischen,  nachdem  die  anderen 
Völker  sich  abgetrennt  und  nur  die  späteren  Inder  und  Perser, 
die  man  auch  unter  dem  Namen  Arier  zusammenfasst,  noch 
längere  Zeit  als  ein  Volk  verbunden  lebten«  Und  während 
uns  an  jene  früheste  indogermanische  Periode  meist  nur  noch 
schwerer  zu  entziffernde  Gedenksteine  erinnern,  liegt  die  nahe 
Verwandtschaft  der  Inder  und  Perser,  speciell  in  ihren  ältesten 
Producten,  den  Hymnen  des  Rigveda  und  den  Gathas  des  Zend- 
Avesta  klar  am  Tage.  Wer  mit  den  Hymnen  des  Rigveda 
vertraut  ist,  den  berührt  es  in  der  That  fast  wunderbar, 
wenn  er  die  auf  Zarathustra  oder  Zoroaster  zurückgeführten 
ältesten  Lieder  des  sogenannten  Zend -Volkes,  des  in  Nordost- 
iran  oder  Baktrien  lebenden  Zweiges  des  persischen  Volkes, 
kennen  lernt. 

Schon  die  Sprache  des  Avesta  zeigt  ihre  nahe  Verwandt- 
schaft mit  der  des  Rigveda  auf  allen  Gebieten,  oft  in  ganz 
überraschender  Weise,  und  für  die  Aufklärung  der  sehr  corrupt 
überkommenen  Zend-Texte  hat  der  Veda  die  wichtigsten  Bei- 
träge geliefert.  Insbesondere  ist  es  Rudolf  Roth,  der  beste 
Kenner  des  Veda,  der  diesen  nahen  Zusammenhang  stets  in 
lichtvollster  und  fruchtbarster  Weiste  hervorgehoben  hat. 

Der  höchste  und  heiligste  Gott  des  Rigveda  ist  Varuna, 
der  in  einer  höchsten  Lichtregion  über  allen  anderen  thront, 
umgeben  von  seinen  sechs  Brüdern,  den  Aditya's;  eine  erhabene, 


1  Sehr  bemerkenawerth  ist  die  genaue  formelle  Ueberein  Stimmung 
in  dem  Accent  von  dv&üs  und  Ztvg\  Nom.  dyaüa  —  Voc  dyftü,  Nom. 


Religion,  8.  166. 

*  Dyaua  kommt  von  der  Wurzel  div  „leuchten,  glAnien". 


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sittlich  reine  Göttergestalt,  die  den  Weltlauf  regelt  und  über 
Recht  und  Unrecht  unter  den  Menschen  wacht  Dieser  oberste 
Gott  Varuna  ist,  wie  Roth  bemerkt  hat,  aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  arsprünglich  identisch  mit  dem  Ahura  Mazda  des 
Zend-Avesta,  welcher  ebenfalls  von  sechs  wesensverwandten 
Genien,  den  sogenannten  Amesha  cpefita's  oder  „heiligen  Un- 
sterblichen" umgeben  in  einer  höchsten  Lichtregion  waltet. 
Diese  Uebereinstiinmung  wird  vor  Allem  durch  die  allgemeine 
Wesensverwandtschaft  beider  Götter  deutlich  und  tritt  auch 
darin  hervor,  dass  Varuna  im  Veda  gern  das  Epitheton  asura 
„der  geistige  oder  lebendige",  oder  „der  Herr14  erhält,1  und 
dieses  Wort  asura  ist  identisch  mit  dem  zendischen  ahura, 
indem  in  dieser  Sprache  dem  sanskritischen  s  ein  h  entsprechen 
rn  1.1    .  , 

Unzweifelhaft  ist  sodann  die  Uebereinstimmung  des  vedi- 
sehen  Gottes  Mitra,  der  oft  mit  Varuna  eng  verbunden  er- 
scheint, mit  dem  zendischen  Mithra,  dessen  Oult  sich  übrigens 
später  in  der  griechisch-römischen  Zeit  mit  Mysterien  verbunden 
weit  verbreitete,  ja  durch  die  römischen  Legionen  sogar  bis 


1  Dies  Epitheton  erhalten  im  Veda  übrigens  auch  noch  andere 
Götter. 

*  Die  Etymologie  dei  Wortes  asura  ist  nicht  ganz  sicher.  Meist 
wird  es  wohl  vom  sanskrit.  asu  „Geist,  Leben,  Lebenshauch-4  abgeleitet, 
so  dass  es  ursprünglich  etwa  „der  Geistige,  Lebendige41  bedeuten  dürfte 
Doch  verdient  auch  die  Zusammenstellung  mit  latein.  erus,  alt  esus, 
entschieden  Beachtung,  wonach  asura  sich  etwa  durch  „der  Herr14  wieder 
geben  lieeae.  Vgl.  Brugman  in  Kuhn's  Zeitachr.  XXIII.  95.  P.  v.  Bradke. 
Dyaus  Asura,  Ahura  Mazda  und  die  Asuras.  Halle  1885,  p.  85.  86.  - 
Bradke  sucht  in  der  letztangeführten  lesenswerthen  Schrift  wahrschein- 
lich zu  machen,  dass  das  Epitheton  asura  „der  Herr"  oder  „der  höchste 
Gott"  in  der  arischen  (indo-  persischen)  Periode  dem  alten  Dyaus  bei- 
gegeben wurde.  Bei  den  Persern  war«  ans  dam  alten  Dyaus  Pitar  Asnr» 
ein  abstracter  Ahura  mit  dem  Beinamen  Mazda  geworden,  währen«! 
bei  den  Indern  die  Devas  den  alten  Dyaus  Pitar  Asura  ganz  überwuchert 
hatten  (a.  a.  0.  p.  113).  —  Ich  gestehe,  daas  mir  die  Construction  jenes 
arischen  Dyaus  Asura  noch  nicht  ganz  gesichert  erscheint,  utui  glaube, 
dass  wir  jedenfalls  an  der  Identificirung  des  Ahura  Mazda  mit  dem  ihm 
wesensverwandten  Varuna  festhalten  müssen.  Es  ist  aber  vielleicht  mög- 
lich, beide  Ansichten  zu  vermitteln.  Varuna,  der  Umfassende  \pi-»%*tv6e\ 
ist  ursprünglich  ebenfalls  Bezeichnung  des  Himmels;  es  hat  sich  also 
bei  den  Indern  der  alte  Himmelsgott  in  zwei  Gottergestaltcn  getrennt 
\Dyaus  und  Varuna),  von  denen  die  eine  mehr  die  sinnliche  Erscheinung, 
*  die  andere  mehr  die  sittlichen  Qualitäten  des  alten  Himmelsgottes  über- 
nommen  hat  Der  zendische  Ahura  ist  ans  Jenem  noch  ungetrennten 
Himmelsgott  entstanden,  und  so  erklart  es  sich,  wie  er  zugleich  dem 
Dyaus  und  dem  Varuna  der  Inder  entspricht.  Diese  Vermuthung  scheint 
mir  recht  viel  für  sich  zu  haben. 


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-    24  - 


nach  Deutschland  hin  gelangte,  wo  man  am  Rhein  und  in 
Württemberg  Denkmäler  dieses  Gottes  gefunden  hat. 

Unzweifelhaft  ist  es  ferner,  dass  der  vedische  Yama,  der 
Sohn  des  Vivasvant,  der  älteste  Mensch,  der  als  der  erste  Ge- 
storbene nachher  Fürst  im  Todtenreiche  wird,  mit  Yima,  aem 
Sohn  des  Vivanhvao,  im  Zendavesta  identisch  ist,  der  später 
in  der  persischen  Heldensage  als  König  Dschemshid  erscheint.1 

Auch  das  göttliche  oder  halbgöttliche  Wesen  Trita  Äptya 
im  $igveda  entspricht  dem  zendischen  Thrita  oder  Thraetaona, 
Sohn  des  Äthwya,  der  später  in  der  persischen  Heldensage  als 
Feridun  auftritt. 

Für  die  Uebereinstimmung  im  Cultus  der  alten  Inder  und 
Perser  ist  vor  Allem  wichtig  der  Umstand,  dass  dem  Sorna, 
dem  berauschenden  heiligen  Trank,  den  die  Brahmanen  zum 
Opfer  für  die  Götter  bereiten  und  der  dann  selber  auch  ver- 
göttlich t  wird,  bei  dem  Zendvolke  ganz  genau  der  haoma 
entspricht,  welches  Wort  ja  auch  identisch  ist  mit  indischem 
soma.  Die  Mazdapriester  bereiten  den  Trank  ganz  wie  die 
Brahmanen;  auch  die  Zumischung  von  Milch  findet  sich  bei 
beiden.1 

Noch  wichtiger  aber  ist  der  sehr  ausgebildete  Feuer- 
cultus,  der  sich  bei  beiden  Völkern  vorfindet.  Bei  beiden  war 
es  Sitte,  das  heilige  Feuer,  dem  die  Anbetung  gezollt  wird, 
durch  das  Aneinanderreihen  bestimmter  Hölzer  zu  erzeugen.3 
In  dem  Hause  jedes  Mazdaverehrers  brannte  ein  nie  verlöschen- 
des Feuer,  dessen  Pflege  die  Pflicht  des  Familienoberhauptes 
war4;  ganz  ebenso  wie  auch  bei  den  Indern  der  Hausvater  für 
das  heilige  Feuer  in  seinem  Hause  Sorge  tragen  muss.  Der 
Feuerpriester  wird  im  Avesta  athrawa  genannt,  welches  Wort 
von  ätar,  das  Feuer,  abzuleiten  ist,  und  im  Veda  begegnet  uns 
Atharvan,  ein  mythisches  Wesen,  eine  Art  indischer  Pro- 
metheus, der  das  Feuer  zuerst  erzeugt  haben  soll6;  ausser- 
dem ist  das  Wort  Atharvan  Bezeichnung  einer  berühmten  in- 

1  Wie  dem  Yama  seine  Zwillingsschwester  Yaml  zugesellt  wird,  so 
in  späteren  Büchern  dem  Yima  seine  Schwester  Yimak  (s.  Justi,  Hand- 
buch der  Zendsprache  s.  yima). 

•  Vgl.  W.  Geiger,  Ostiranische  Cultur,  p.  467  und  470.  Auch 
Windischmann  Ueber  den  Somacultus  der  Arier,  in  den  Abhand- 
lungen der  köni?l.  bayr.  Akad.  der  Wissensch.  1847.  —  Zimmer,  Alt- 
indisches  Leben,  p  272  flg.  • 

*  Vgl.  Geiger  a.  a.  0.  p.  257. 

4  Vgl.  Geiger  a.  a.  0.  p.  472. 

5  Vgl.  RV.  6,  lfr,  13  tvam  agne  pushkarad  adhy  atharva  nir  aman- 
thata  u.  a. 


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—  25 


dischen  Priesterfamilie,  Es  kann  kaum  einem  Zweifel  unter- 
liegen, dass  das  Wort  atharvan  in  die  Periode  der  indoper- 
sischen Einheit  zurückreicht  und  dort  den  Feuerpriester  be- 
zeichnete. 

Endlich  ist  für  beide  Völker,  Inder  wie  Perser,  ganz  be- 
sonders charakteristisch  die  merkwürdige  Verehrung  der  Kühe, 
die  bis  zur  Vergöttlichung  derselben  geht  Der  Urin  der  Kühe 
wird  bei  beiden  Völkern  vielfältig  als  geheiligtes  Reinigungs- 
mittel gebraucht.1 

Noch  Vielt»  Hesse  sich  neben  diesen  hervorstechenden  Zügen 
anfuhren,  was  ich  übergehen  muss,  weil  es  uns  zu  weit  fuhren 
würde,1  Sie  werden  die  nahe  Verwandtschaft  auch  in  der  Ter- 
minologie dieser  Götterverehrung  überall  beobachten  können; 
so  z.  6.  werden,  die  „verehrungswürdigen  Götter"  im  Veda  als 
yajata  bezeichnet,  im  Avesta  dem  entsprechend  als  yazata. 
Das  Opfer,  die  Götterverehrung,  heisst  im  Veda  yajfia,  im 
Avesta  yacna.  Die  heiligen  Lieder  des  Avesta  werden  gathä's 
genannt,  von  der  Wurzel  gä  „singen",  und  genau  ebenso,  ohne 
auch  nur  in  einem  Buchstaben  abzuweichen,  lautet  das  Wort 
auch  im  Indischen.  Ja  die  TJebereinstimmung  erstreckt  sich 
zum  Tb  eil  sogar  bis  auf  das  Metrum,  die  Sylbenzahl  in  den 
Versreihen  dieser  Lieder,  so  dass  z.  B.  die  elfsylbigen  Verse 
in  den  Gäthä's  des  Avesta  den  vedischen  sogenannten  Trishvubh- 
Versen  mit  elf  Sylben  entsprechen,  die  achtsylbigen  den  so- 
genannten Anushtubh-  und  Gayatri- Versen  mit  acht  Sylben  im 
Veda,  und  gelesen,  bei  der  Aehnlichkeit  der  Sprache,  einen 
merkwürdig  verwandten  Eindruck  hervorrufen.  Es  geht  deut- 
lich daraus  hervor,  dass  in  der  Zeit  der  indopersischen  Einheit 
der  Cultus  schon  soweit  ausgebildet  war,  dass  es  sogar  eine 
religiöse  Hymnenpoesie  gab,  wenn  dieselbe  auch  vielleicht  nicht 
auf  sehr  hoher  Stufe  stand.  Dieser  Punkt  scheint  mir  ein  sehr 
wichtiger  zu  sein. 

Wenn  die  angeführten  Thatsachen  nun  auch  mit  Sicherheit 
darauf  schli essen  lassen,  dass  die  Inder  und  das  Zendvolk  noch 


1  Vgl.  Geiger,  Oatiranische  Cultur,  p.  268.  Ueberhaupt  findet 
sich  Uebereinstimmung  in  den  Reinigungsvorschriften;  ebenda  p.  256  flg. 

*  Vgl.  das  Zweigbündel,  welches  die  Mazdapriester  tragen,  mit  dem 
heiligen  Grase  bei  den  Indern  (bares  man  und  barhis).  —  Vgl.  auch  das 
p&nar  astam  6hi  „geh  wieder  heim**  RV  10,  14,  8,  was  dem  Todten  zu- 
gerufen wird,  mit  dem  penischen  Fravashi  -  Glauben ;  (Geiger  a.  a.  0. 
d.  287).  Damit  steht  der  Manen-Cult  in  Zusammenhang.  Die  Manen, 
insbesondere  der  Verwandten  werden  bei  Persern  und  Indern  verehrt  als 
Helfer  in  der  Noth,  besonders  im  Kampfe  (Geiger  a.  a.  0.  p.  289). 


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ziemlich  lange  als  ein  Volk  bestanden  und  ihre  religiöse  Cultur 
schon  in  nicht  unbeträchtlichem  Grade  ausgebildet  hatten,  ehe 
sie  sich  von  einander  trennten,  so  tritt  doch  auch  der  Gegen- 
satz zwischen  beiden  Völkern  und  ihren  Religionen  sehr  deutlich 
hervor  und  an  einigen  der  wichtigsten  Punkte  in  so  schroffer 
und  entschiedener  Weise,  dass  dieser  Umstand  bereits  früh  zu 
der  Vermuthung  gefuhrt  hat»  die  Trennung  beider  Völker  sei 
gerade  durch  religiöse  Differenzen  hervorgerufen.  Es  ist  in  der 
That  im  allerhöchsten  Grade  merkwürdig,  dass  im  Zendaresta 
die  bösen  Geister  und  Dämonen,  deren  Verfolgung  und  Be- 
kämpfung beständig  anempfohlen  und  erfleht  wird,  Daeva's 
genannt  werden,  während  bei  den  Indern  doch  die  Deva's 
gerade  die  guten  Götter  sind,  in  Uebereinstimmung  mit  den 
verwandten  Sprachen,  indem  ja  deva  bekanntlich  identisch  ist 
mit  latein.  deus  u.  s.  w.  Got  Indra  ist  der  nationale  Held 
der  Inder,  im  Zendavesta  aber  begegnet  uns  nur  ein  böser 
Dämon  Ifidra  oder  Afidra,  der  bei  der  Auferstehung  von  dem 
guten  Gotte  Asha  vahista  getödtet  werden  soll.  Andererseits 
finden  wir  die  auffallende  Thatsacho,  dass  das  Wort  asura,  — 
allerdings  im  Rigveda  nur  in  einem  Theile  der  Stellen,  und  erst 
vom  Yajurveda  an  consequent,  —  bei  den  Indern  böse  Dämonen 
bezeichnet,  während  das  entsprechende  Wort  ahura  im  Zend 
die  Bezeichnung  des  grössten  guten  Gottes  ist  In  den  Yajor- 
veden  und  Brahmana's  stehen  immer  die  guten  Deva's  gegen- 
über den  bösen  Asura's;  im  Avesta  dagegen  steht  der  gute 
Ahura  gegenüber  den  bösen  Daeva's.1 

Es  erleidet  keinen  Zweifel,  dass  die  Inder  hier  im  Weser  V 
liehen  das  Aeltere  bewahrt  haben.  Die  Religion,  die  in  den 
Liedem  des  Zendavesta  verkündigt  wird,  giebt  sich  deutlich 
selbst  als  eine  Reformation  zu  erkennen,  als  eine  neue  reinere 
Lehre,  geknüpft  an  den  Namen  eines  Mannes,  des  Zarathustra 
(Zoroaster),  den  die  persische  Legende  aus  Rai  oder  Ragha  in 
Medien  nach  Balkh  an  den  Hof  des  Königs  Vishtaspa  kommen 


1  Der  Umstand,  dass  das  Wort  asura  im  pigveda  oft  genug  noch 
seine  beste ,  ehrendste  Bedeutung  bat  (wahrend  in  anderen  Hymnen  des 
Rigveda  freilich  auch  die  Bedeutung  „odser  Geist,  Dämon"  vielfach  be- 
gegnet), macht  es  unmöglich,  die  Ausbildung  des  Gegensatzes  zwischen 
dem  zendischen  Ahura  und  den  bösen  Indischen  Asura's,  im  Yajurveda 
und  weiterhin,  in  die  Zeit  der  indopersischen  Einheit  zu  verlegen;  wir 
müssen  denselben  wohl  vielmehr  auf  einen  spateren  feindlichen  Zu- 
sammenstoss  der  Ahura  verehrenden,  die  Deva's  verabscheuenden  Iranier 
mit  den  schon  zu  einem  besonderen  Volke  mit  selbständiger  Cultur  for- 
rcirtou  Indern  zurückführen.  Das  Problem  ist  gerade  in  diesem  Punkte 
•twas  complicirt.   Vgl.  P.  v.  Bradke,  Dyaus  Asura,  p.  106—109. 


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_    27  — 

und  den  neuen  Glauben  lehren  lässt. 1  Diese  Legende  enthält 
sicherlich  einen  wahren  Kern.  Es  ist  eben  jene  religiöse  Reform, 
die  an  den  Namen  Zarathustra*s  geknüpft  wird,  von  Medien 
ausgegangen  und  hat  sich  von  dort  nach  Baktrien  in  das  Land 
des  Zandvolkes  Bahn  gebrochen. 

Der  Kern  dieser  Reformation  des  Zarathustra  muss  in  der 
Richtung  auf  eine  höhere,  reinere,  geistigere  Auffassung  der 
Götter  bestanden  haben,  also  in  einer  Richtung,  die  wir  durchaus 
als  einen  Fortschritt  anerkennen  müssen,  im  Gegensatz  zu  einer 
älteren  sinnlicheren  Auffassung.  Der  oberste  Gott,  den  die 
Inder  mit  dem  unzweifelhaft  alten  Namen  Varuna  bezeichnen, 
wird  Tom  Avesta  der  Ahura  mazda,  d.h.  der  weise  oder  der 
reine  Geist  (oder  Herr)  genannt;  und  während  die  den  Varuna 
umgebenden  Genien,  die  Aditya's,  offenbar  ältere,  zum  Theil 
etymologisch  undeutliche  Namen  tragen,1  sind  die  Benennungen 
der  den  Ahura  mazda  umgebenden  Genien,  der  Amesha  cpefita's, 
reine  Abstracta  von  offenbar  jüngerer  Bildung,  wie  vohu  mano 
die  rechte  Gesinnung,  asha  vahista  die  beste  Reinheit,  kshathra 
Tairya  die  treffliche  Streitbarkeit,  cpefita  annaiti  die  heilige 
Andacht,  haurvat  die  Vollkommenheit  und  ameretat  die  Un- 
sterblichkeit Schon  die  Namen  dieser  obersten  Götter  charak- 
terisiren  auf  das  Deutlichste  das  Wesen  der  zarathustrischen 
Reform.  Das  sind  keine  altmythologischen  Namen  und  Gestalten 
wie  Varuna,  Mitra,  Bhaga  —  das  sind  abstracto  Begriffe,  Neu- 
schöpfungen, die  der  Reformator  an  die  Stelle  älterer  Götter- 
gcstalten  gesetzt  hat  In  den  Liedern  des  Avesta  sehen  wir 
die  Gemeinde  der  Mazda- Gläubigen  noch  deutlich  als  eine 
ecclesia  militans  vor  uns,  die  mit  Eifer  für  den  neuen  reinen 
Glauben  gegen  die  unreinen  Andersgläubigen,  die  Daeva- 
Verehrer,  kämpft 

Während  nun  das  Volk  des  Avesta  unter  Leitung  des 
Zarathustra  dieser  höheren,  abstracteren  und  geistigeren  Gottes- 
erkenntniss  zustrebte,  blieben  die  Inder,  die  sich  von  ihnen 
geschieden,  nicht  nur  der  alten  polytheistischen  Naturreligion, 
dem  Glauben  an  die  Deva's,  treu,  sondern  sie  haben  diese 
Religion  aufs  Reichste  und  Eigenartigste  weiter  ausgebildet  und 
gestaltet.  Bietet  uns  der  Avesta  eine  reinere  und  wahrere  Auf- 
fassung der  Gottheit,  so  hat  der  Veda  dagegen  lebendigere, 
plastischere,  schönere  Gestalten.  Darin  liegt  sowohl  die  Stärke 
ab  die  Schwäche  jedes  der  beiden. 


1  Vgl.  Geiger,  Ostiran.  Cultur,  p.  489—493. 
*  Mitra,  Aryaman,  Bhaga,  Daksha,  Am$a. 


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Als  Vertreter  der  alten  Naturreligion,  die  der  Avesta  be- 
kämpfte, erscheinen  dort  die  bösen  kavi  und  ucij,  und  dies 
sind  beides  gerade  vedische  Bezeichnungen  der  Opferpriester 
und  Hymnensänger. 1  So  sehen  wir  den  erwähnten  feindlichen 
Gegensatz  der  beiden  einst  so  eng  verbundenen  Völker  bis  in 
kleine  Einzelheiten  hinein  sich  bewähren.  — 

Von  ihren  alten  Stammesgenossen  sich  scheidend  müssen 
die  Inder  aus  dem  Hochplateau  von  Iran  über  das  Gebirge  ins 
Land  der  fünf  Ströme,  das  sogenannte  Penjab,  gestiegen  sein. 
Hier  ist  es,  wo  wir  sie  zur  Zeit  des  Rigveda  ansässig  finden. 
Jene  älteste  Literaturperiode,  in  welcher  die  Hymnen  des  Rig- 
veda entstanden,  muss  sich  über  eine  ganze  Reihe  von  Jahr- 
hunderten erstreckt  haben.  Der  reiche  Schatz  dieser  Lieder, 
zahlreichen  alten  Sängern  und  Sängerfamilien  zugeschrieben, 
bildet  fast  eine  Literatur  für  sich,  in  der  wir  ältere  und  jüngere 
Perioden  unterscheiden  können. 

Die  Entstehungszeit  der  ältesten  Stücke  dieser  Hymnen- 
poesie werden  wir  etwa  um  1500  v.  Chr.,  wenn  nicht  noch 
einige  Jahrhunderte  früher,  anzusetzen  haben.*  Und  eine  be- 
trächtliche Zeit,  wenigstens  mehrere  Jahrhunderte  noch  früher, 
muss  die  Einwanderung  der  Inder  im  Penjab  stattgefunden 
haben,  da  mindestens  so  viel  Zeit  dazu  nöthig  war,  bis  sich 
diejenige  speeifisch  indische  Sprache  und  der  opeciell  indische 
Culturzustand  herausbilden  konnte,  wie  er  uns  in  den  ältesten 
Hymnen  des  Rigveda  bereits  fertig  entgegen  tritt.  Wenn  ich 
das  Jahr  1500  v.  Chr.  als  ungefähre  Zeitbestimmung  für  die 
älteren  Rigvoda-Hymnen  angegeben  habe,  so  will  ich  dazu  be- 
merken, dass  ich  die  Begründung  für  diese  jetzt  unter  den 
Kennern  ziemlich  allgemein  angenommene  Bestimmung  mir  für 
eine  spätere  Betrachtung  vorbehalte,  da  sich  dieselbe  wesentlich 
auf  das  Verhältnis  und  den  Charakter  der  verschiedenen  Lite- 
raturepochen stützt,  welche  zwischen  der  Zeit  des  Rigveda  und 
der  des  Buddhismus  liegen,  welcher  letztere,  im  sechsten  Jahr- 
hundert v.  Chr.  seinen  Anfang  nehmend,  uns  den  festen  Punkt 
*  bietet,  von  dem  aus  wir  rückwärts  schreitend  unsere  ungefähren 
Berechnungen  anstellen  müssen. 

Dass  die  Inder  in  jener  ältesten  Literaturperiode  im  Lande 
der  fünf  Ströme  lebten  und  noch  nicht  in  das  weitere  Indien 
vorgedrungen  waren,  geht  aus  den  Hymnen  selbst  deutlich  her- 


1  Vgl.  auch  Geiger,  Ostiran.  Cultur,  p.  466. 
a  Ja,  es  ist  möglich,  dass  sie  zum  Theil  sogar  bis  2000  v.  Chr. 
hinaufreichen. 


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vor.  Insbesondere  gründet  sich  diese,  jetzt  allgemein  durch- 
gedrungene Annahm*1  auf  die  in  den  Hymnen  vorkommenden 
Frassnamen ,  die  uns  den  geographischen  Gesichtskreis  der 
Dichter  kennen  lehren.  Es  sind  die  Flüsse  des  Penjab.  In 
erster  Linie,  fort  und  fort  erwähnt,  finden  wir  da  die  Sindhu, 
heutzutage  Sindh  genannt;  es  ist  der  Fluss,  den  wir  Indus 
nennen  im  Anschluss  an  das  griechische  Iv66q>  welche  Namens- 
form jedenfalls  auf  die  persische  Form  Hindu,  lautgesetzlich 
für  Sindhu,  zurückgeht.  Ebenso  wird  die  Gomatl  erwähnt, 
heute  Gomal  genannt;  die  Krurau,  heutzutage  Kurum;  ferner 
die  Kubhä,  von  den  Griechen  Km<prjv  genannt,  heutzutage  der 
Kabul-Fluss;  der  Suvästu,  von  den  Griechen  Zouörog  genannt; 
die  Vitast 4,  welche  die  Griechen  YSdojirig  oder  BtdaOJtTjg 
nennen;  die  Asikni,  von  Alexander  dem  Grossen  mit  geschickter 
Gricisirung  lixtoivrjq  „der  Heilende"  genannt1;  endlich  noch 
Vipäc,  und  Qutudri,  die  beiden  Ströme,  an  welche  ein  herr- 
liches Lied  des  Vigvamitra  gerichtet  ist  (RV  3,  33);  Vipac,,  bei 
Arrian  "Ytpaoiq  genannt,  bei  Plinius  Hypasis,  bei  Ptolcmaios 
BLraoig,  heutzutage  Bias  oder  Bejah;  und  die  Qutudri,  von 
Ptolemaios  ZadaÖQrjq*  genannt,  heutzutage  der  Setledsch. 3 

Alles  dies  sind  Ströme  des  Penjab.  Dagegen  wird  der 
Ganges,  oder  richtiger  die  Ganga,  später  bekanntlich  der 
meistgenannte,  wichtigste  und  heiligste  Strom  Indiens,  bloss  in 
einem  Liede  namhaft  gemacht  (RV  10,  75,  5)  und  zwar  gleich- 
sam im  Vorübergehen,  neben  vielen  anderen  Strömen,  dazu  noch 
in  demjenigen  Buch  des  IJigveda,  welches  sicher  die  jüngsten 
Stacke  enthält;  man  sieht  offenbar  nur  eine  entferntere  Kennt- 
nis! dieses  später  wichtigsten  Stromes.4,  Aueh  die  Yamuna, 
der  Schwesterstrom  der  Ganga,  wird  ausser  im  erwähnten  Liede 


1  Dieser  FIusb  soll  damals  Candrabh&ga  'Mondstreif)  goheissen 
haben,  da  aber  dieser  Name  im  griechischen  Gewände  {Snvöapoif-ayos) 
schlimm  gedeutet  werden  konnte,  nämlich  „AlexandcrfrcBsor",  so  soll 
nach  Hesychius  Alexander  ihm  den  oben  erwähnten  günstigen  Namen 
im  Anschluss  an  eine  ältere  (eben  die  vedische)  Bezeichnung  desselben 
Flosses  gegeben  haben.  Vgl.  Roth,  Zur  Lit  und  Gesch.  des  Veda, 
p.  139.  Kaegi,  der  Rigveda,  die  älteste  Literatur  der  Inder  (2.  Aufl.)» 
p.  146. 

•  var.  lect.  Zapadpo^. 

•  Für  diese  Flussnamen  vgl.  man  Kaegi,  der  Rigveda,  die  älteste 
Literatur  der  Inder  (2.  Aufl.)  p.  146.  147.  Auch  Max  Müller,  Indien 
in  seiner  weltgeschichtlichen  Bedeutung,  übersetzt  von  C.  Cappeller, 
Leipzig  1884;  p.  148.  144. 

4  Indirect  noch  erwähnt  RV.  6,  46,  81  in  dem  adj.  gäiigya  „zur 
Gafigi  gehörig*4.  —  Um  die  Bedeutung,  welche  der  Gaügä  in  späterer 
Zeit  beigelegt  wurde,  zu  illuatriren,  sei  es  mir  erlaubt  nur  einen  Vers 


■ 


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30  — 


nur  noch  zweim&v  genannt.  Es  sind  wahrscheinlich  wohl  gegen 
das  Ende  der  vedischen  Periode  schon  einige  feste  Ansiedlungen 
der  Arier  dorthin  vorgeschoben  gewesen,  während  die  Hauptr 
masso  des  Volkes  noch  im  Penjab  lebte. 1  Des  Vindhyagebirgos 
and  des  Narmadaflusses  (der  Nerbudda)  wird  in  den  Hymnen 
gar  nicht  Erwähnung  gethan. 

Mit  der  Annahme,  dass  die  Inder  des  rjigveda  im  Penjab 
ansässig  waren,  stimmen  auch  Fauna  und  Flora,  sowie  die 
sonstigen  in  den  Hymnen  erwähnten  äusseren  Verhaltnisse  (das 
Klimatische,  die  Bodenverhältnisse  u.  dgl.)  aufs  Beste  überein. 

Die  Inder  nennen  sich  in  jener  Zeit  mit  dem  Gesammt- 
namen  Arya,  d.  h.  die  Edlen  oder  die  Volksgenossen,  ent- 
sprechend zendischem  airya,  und  im  Gegensatz  zu  an  arya  den 
Unedlen,  oder  dasyu  den  Feinden.  Diesem  Worte  dasyu  ent- 
spricht im  Zend  genau  das  Wort  dahyu.  Auch  Darius  nennt 
sich  in  den  Keilinschriften  „Ein  Arier,  aus  arischem  Samen, 
ein  Perser,  eines  Persers  Sohn**,  der  nicht  nur  über  die  Arier, 
sondern  auch  über  die  Dahyu  König  sei 

Es  wird  in  den  Hymnen  auch  von  der  „schwarzen  Haut* 
oder  den  „schwarzen  Leuten"  geredet,  welche  die  Arier  mit 
Indra's  Hülfe  sich  unterwerfen.1  Das  sind  die  dunkelfarbigen 
Ureinwohner  des  indischen  Landes,  welche  bekanntlich  bis  auf 
den  heutigen  Tag  in  manchen  Gebieten  Indiens  noch  in  grosser 
Anzahl  vorhanden  Bind,  wenn  auch  viele  von  ihnen  in  jenen 
alten  Kämpfen  ausgerottet,  viele  durch  Mischung  in  dem  indi- 
schen Volke  aufgegangen  sein  mögen. 

Die  vedischen  Inder  waren  ein  pekerbautreibendes  Volk. 
Sie  hatten  den  Ackerhau  ja  schon  in  der  Periode  der  indo- 
germanischen Einheit  gekannt,  und  im  IJigveda  werben  viele 
Einzelheiten,  die  sich  auf  die  Ackergerät  he,  Bestellung  des 
Feldes  u.  dgL  m.  beziehen,  wiederholt  namhaft  gemacht  Die 
Ackerfurche  (slta)  wird  sogar  vergöttlicht  und  angerufen.  Be- 
merkenswerth ist  in  Bezug  auf  die  angebauten  Feldfrüchte, 
dass  kn  Bigveda  der  Reis  nirgends  genannt  wird  und  auch 
nichts,  was  auf  seine  in  vieler  Hinsicht  so  besondere  Cultur 
hindeutet    Der  Reis  stammt  nach  Roxbourgh  aus  dem  südöst- 


aus  dem  Mahabharata  (lö,  1793)  hier  anzuführen:  „Wie  alle  Kasten  und 
die  verschiedenen  Lebensstadien  eines  Brahmanen  ohne  Tugend  und 
ohne  Kenntnisse,  wie  Opfer  ohne  Somasaft,  so  wäre  die  Welt  ohne 
Gaflga."    (S.  Böhtiingk,  Indische  Sprüche  4971,  V 

1  Tgl.  auch  Zimtner,  AlÜnd.  Leben,  p.  5. 

•  Vgl.  Zimmer,  Altind.  Leben,  p.  113. 


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-    31  - 

lieben  Indien  und  war  dem  Volke  des  Rigveda  offenbar  noch 
unbekannt. 1 

Eine  weit  grössere  Rolle  als  der  Ackerbau  spielte  aber  zu 
jener  Zeit  die  Viehzucht,  insbesondere  die  Zucht  der  Rinder. 
Wir  haben  gesehen,  dass  schon  in  der  Periode  der  indopersischen 
Einheit  mit  der  Kuh  ein  förmlicher  Cultus  getrieben  wurde,  sie 
war  ein  heiliges  Thier.    Diese  Richtung  steigert  sich  bei  den 
Indern  im  Laufe  der  Zeit  noch  um  ein  Bedeutendes  und  hat 
sich  als  charakteristischer  Zug  bis  in  die  neueste  Zeit  erhalten. 
Alles,  was  von  der  Kuh  stemmt  oder  mit  ihr  in  Zusammenhang 
steht,  ist  späterhin  bei  den  brahmanischen  Indern  heilig  und 
werth,  zu  geweihten  Zwecken  verwendet  zu  werden;  Tödtung 
eines  Rindes  gilt  als  eines  der  schwersten  Verbrechen  u.  s.  w. 
Die  Erklärung  für  diese  Denkart  bietet  uns  gerade  der  Rigveda, 
denn  wir  sehen  es  deutlich,  wie  in  jener  Zeit  das  Denken  und 
Wünschen  des  Inders  sich  hauptsächlich  mit  dem  Besitz  und 
der  Pflege  der  Rinderheerden  beschäftigt.    Beständige  Bitten 
um  Reichthum  an  Kühen  sind  ein  hervorstechender  Zug  der 
Tedischen  Lieder,  mehr  noch  als  die  Bitten  um  Nachkommen- 
schaft und  Sieg  über  die  Feinde.    Der  Kampf  wird  geradezu 
.»Begierde  nach  Kühen"  genannt  (gavish^i);  kampflustig  heisst 
„nach  Rindern  verlangend"  (gavyu).     Charakteristisch  ist  es 
auch,  dass  die  poetischen  Bilder  nicht  selten  aus  diesem  Ge- 
biete genommen  werden.    Indra  wird  oft  genug  ein  starker 
Stier  genannt,  desgleichen  andere  Götter;  die  Morgenröthe  heisst 
eine  rothe  Kuh;  die  Gewitterwolken  Kuh  ,  die  ihre  Milch 
strömen  lassen  u.  dgl.  m.  Wie  naiv  und  merkwürdig  ist  es  z.  B., 
wenn  ein  vedischer  Sänger  sagt  (RV  1,  25,  16):  „Es  ziehen 
meine  Gebete  hin,  wio  Kühe  auf  die  Weide  zieh'n,  suchend 
den  Weithinschauenden"  (d.  i.  Varnpa).  Oder  wenn  der  Dichter 
Vasishtha  zu  Gott  Varuna  fleht  (RV  7,  86,  5):  „Nimm  weg  von 
uns  die  Sünden  unsrer  Väter  und  was  wir  selbst  begangen,  — 
befrei,  o  König,  den  Vasishtha  wie  ein  Kalb  vom  Stricke!"  — 
Neben  dieser  Hauptbeschäftigung  werden  im  Rigveda  noch  ver-  • 
schied ene  Gewerbe  namhaft  gemacht;  so  das  des  Zimmer- 
manns und  des  Wagenbauers,  des  Schmiedes,  des  Töpfers 
und  des  Gerbers,  während  die  Frauen  die  Fertigkeiten  des 
Webens,  Nähens  und  Flechtens  ausüben.    Der  Handel,  , 
soweit  er  erwähnt  wird,,  scheint  wesentlich  noch  Tausch- 
handel gewesen  zu  sein. 


1  Vgl.  Zimmer,  Altind.  Leben,  p.  239. 


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Dritte  Vorlesung 


Cultunrerhaltnisse  der  Inder  zur  Zeit  des  Rig?eda  (Fortsetzung  und 
Schlags).  Wohnsitze.  Staatliche  Organisation.  Gab  es  damals  schon 
Kasten?  Streitbarkeit.  Die  berühmte  Schlacht  der  Bharata  und  Tritau. 
Kleidung.  Dichtkunst.  Musik  und  Tanz.  Wettrennen.  WürfelspieL 
Das  Lied  eines  unglücklichen  Spielers.  Die  Familie.  Gab  es  Wittwen- 
verbrennung?  Bestattung  der  Todten,  Verbrennung  und  Beerdigung. 
RV  10,  18.   Leben  nach  dem  Tode.  Ahnenverehrung. 


Zur  Zeit  des  Rigveda  lebten  die  Inder  in  Dörfern  oder 
Weilern,  grama  genannt,  welche  bisweilen  auch  befestigt  sein 
konnten  (pur),  nicht  aber  in  eigentlichen  Städten,  ähnlich  wie 
es  nach  H.  Zimmer's  Ausführungen  auch  bei  Germanen,  Slaven 
und  Italikern  in  alter  Zeit  der  Fall  gewesen.1 

Die  staatliche  Organisation  der  vedischen  Inder  erinnert 
lebhaft  an  die  Verhältnisse  bei  den  alten  Germanen,  wie  sie 
uns  von  Tacitus  vorgeführt  werden.1  Das  Volk  zerfällt  in 
Stämme,  bei  den  Indern  jana,  bei  den  alten  Germanen  thiuda 
genannt,  welche  wieder  in  Gaue  getheilt  sind  (bei  den  Indern 
vic,,  bei  den  Germanen  von  Tacitus  pagus  genannt);  endlich 
Dorfschaften  (indisch  grama  oder  vrjana;  germ.  thorp,  vicus).* 
Diese  Eintheilung  der  Stämme  in  einzelne  Gaue  und  Ort- 
schaften, deren  Bewohner  wohl  näher  mit  einander  verwandt 
waren,  scheint  auch  bei  der  Anordnung  in  der  Schlacht  zur 
Geltung  gekommen  zu  sein,  ebenso  wie  bei  den  alten  Germanen  4 


1  Vgl.  Zimmer,  Altind.  Leben,  p.  145  flg. 

*  Zimmer  vergleicht  sie  auch  weiter  mit  altiranischen,  altßla- 
viseben  und  altitalischen  Verhältnissen,  worauf  ich  hier  nicht  naher  ein- 

'    gehen  kann. 

•  Vgl.  Zimmer,  Altind.  Leben,  p.  160. 

4  Aus  Tacitus  Germania  Cap.  7  sowie  aus  einheimischen  Quellen 
Wissen  wir,  dass  bt  den  alten  Germanen  das  Heer  so  geordnet  war, 
, ,dass  Gau  neben  Gt  stand  und  diese  wieder  nach  Verwandtschaften 
und  Familienkreisen  s.ch  ordneten."   Zimmer,  Altind.  Leben,  p.  161. 


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-    33  — 

• 

und  wie  es  bei  den  den  Indern  und  Persern  verwandten 
Afghanen  noch  heutzutage  der  Fall  sein  soll;  wie  es  übrigens 
ähnlich  auch  Nestor  dem  Agamemnon  anräth,  IL  2,  362: 

xfftf  ayS^ag  xaxa  tpvka  xaxa  <pWXQa$,  AvafUfiyov, 

An  der  Spitze  des  Stammes  stand  ein  König  oder  Herzog, 
r&jan  genannt  (das  Lateinische  rex).  Die  Wurde  des  König- 
thums war  in  vielen  Fällen  jedenfalls  erblich,  und  können  wir 
das  Geschlecht  mehrerer  Herrscher  durch  eine  Reihe  von  Gene- 
rationen verfolgen;  in  anderen  Fällen  wurde  aber  diese  Würde 
jedenfalls  durch  Wahl  der  Stammesversammlung  ertheilt1  Das 
Konigthum  war,  wie  bei  den  alten  Germanen,  nirgends  ein  ab- 
solutes, sondern  durch  den  Willen  der  Volksversammlung  be- 
schränkt Wir  sehen  den  König  selbst  an  der  Volksversammlung 
theilnehmen.*  Das  Volk  bringt  ihm  Geschenke,  einen  frei- 
willigen Tribut  dar;  zu  Kriegszeiten  ist  er  der  Heerführer,  der 
Herzog,  und  hierin  besteht  sein  Hauptamt.  Sänger  und  Priester 
werden  von  ihm  unterstützt  und  manches  vedische  Lied  erwähnt 
reiche  Geschenke  an  Kühen,  Wagen,  Gewändern  und  Gold,  von 
Königen  an  fromme  Dienter  und  Opferer  gespendet. 

Neben  den  Königen  finden  wir  vielfach  schon  ihre 
Porohita's  oder  Hauspriester,  deren  Amt  mit  der  Zeit  erblich 
wurde  und  die  uns  die  Anfänge  des  später  so  mächtigen  erb- 
lichen Priesterstandes  darstellen.  Die  Kasteneintheilung  hat 
zur  Zeit  des  Qigveda,  so  lange  die  Inder  noch  im  Penjab 
lebten,  jedenfalls  nicht  bestanden.  Diese  alte  Streitfrage  dürfen 
wir  gegenwärtig  als  endgültig  erledigt  ansehen.  Nur  in  einem 
einzigen,  jedenfalls  späteren  Liede  des  rjigveda  werden  die 
Kasten  genannt  Wohl  gab  es  damals  schon  Priester  (brahman), 
aber  nicht  als  Kaste,  und  ebenso  Krieger,  aber  keinen  ge- 
schlossenen Krieger-  oder  Ritterstand;  vielmehr  war  das  ganze 
Volk  in  jener  vielbewegten  Zeit  streitbar. 

Das  kräftige  kriegerische  Wesen  ist  für  die  Inder  zur  Zeit 
des  Rigveda  besonders  charakteristisch.  Oft  genug  tönt  in  den 
alten  Hymnen  die  flehende  Bitte  um  Sieg  und  Beutegewinn  zu 
den  Göttern  empor,  und  stolze  Siegeslieder  preisen  nach  ge- 
wonnenem Ziel  die  himmlischen  Helfer.  Um  tüchtige  Nach- 
kommenschaft, um  heldenhafte  Söhne,  die  die  streitbare  Mann- 
schaft des  Stammes  mehren,  fleht  der  dem  frischen  Leben  zu- 


1  Vgl.  Zimmer,  Altind.  Leben,  p.  162. 

1  tabha  oder  samiti  genannt.      "  S.  Zimmer,  a.  a.  0.  p.  174. 

».Schröder,  Iadiens  Llt.  o.  C«lt.  3 


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-  34 


gewandte  Sinn  jener  eroberungsfrohen  Penjab-Bewohner.  Ge- 
deihen der  Heerden,  Sieg  über  die  Feinde  und  tüchtige  Nach- 
kommenschaft, —  in  diesen  dreien  zusammen,  kann  man  sagen, 
besteht  das  Ideal  des  vedischen  Inders. 

Zahlreiche  Kämpfe  der  vordringenden  Stämme  mit  den 
Urbewohnern  fanden  statt,  und  von  manchem  Siege  über  das 
„schwarze  Volk**  wissen  die  Lieder  zu  sagen;  aber  auch  zwischen 
den  einzelnen  arisch-indischen  Stämmen  kam  es  oft  genug  zum 
Kampfe,  wenn  sie  einander  das  gewonnene  Gebiet  oder  sonstigen 
Besitz,  vor  Allem  die  Heerden,1  streitig  machten.  Gegen  die 
Dasyu  und  Ärya  zog  man  zu  Felde  und  wurden  die  Götter 
beim  Opfer  um  Beistand  im  Kampfe  angefleht. 

Die  vornehmste  und  wichtigste  Art  des  Kampfes  bei  den 
vedischen  Indern  ist  die  auf  dem  Streitwagen  (ratha).8  Rei- 
terei im  Kampfe  wird  nirgends  erwähnt:  man  fährt  stets  zu 
Wagen,  wie  die  Griechen  im  homerischen  Zeitalter.  Auf  dem 
Wagen  befinden  sich  der  Kämpfer  (asthätar)  und  der  Wagen- 
lenker (sarathi),  welch  letzterer  Peitsche  und  Zügel  handhabt. 
Diese  Kampfart  begegnet  uns  auch  später  noch  in  den  Schlachten, 
von  denen  das  Mahabhärata  erzählt,  wo  selbst  Gott  Krishna  es 
nicht  verschmäht,  dem  Helden  Arjuna  die  Dienste  eines  Wagen- 
lenkors  zu  leisten.  Natürlich  kommt  neben  dem  Wagenkampf 
auch  der  Kampf  zu  Fuss,  das  Handgemenge  vor  (mushtihatyä). 

Hauptvertheidigungsmittel  der  vedischen  Inder  war  der 
Panzer  (varman),  der  die  Schultern  und  wichtigsten  Theile 
des  Oberkörpers  bedeckt;  ob  derselbe  ganz  aus  Metall  geflochten 
oder  nur  mit  Metall  bedeckt  war,  ist  ungewiss.  Das  Haupt 
bedeckte  ein  Helm;  goldene  Helme  werden  den  streitbaren 
Sturmgöttern,  den  Marute,  beigelegt.  Die  wichtigste  Waffe 
der  vedischen  Inder  war  der  Bogen,  dhanus  oder  dhanvan. 
genannt.  Am  Arme  trug  man  einen  Schutzriemen  (hastaghna) 
gegen  den  Anprall  der  Sehne.  Pfeile  werden  erwähnt  mit 
Hornspitzen,  die  vergiftet  sind,  sowie  auch  Pfeile  mit  eherner 
Spitze.  Ferner  Speere  und  Lanzen  (rshti,  caru),  Messer, 
Aexte  u.  a.  m. 

Berühmte  Schlachten  zwischen  den  einzelnen  indischen 
Stämmen  werden  in  den  Liedern  des  Veda  erwähnt,  so  nament- 
lich die  mehrfach  vorkommende  „Zehnkönigsschlacht**,  in  welcher 


1  Vgl.  d&a  oben  p.  31  Bemerkte. 

*  Man  kämpft  rathena  „mit  dem  Wagen'*;  oder  arvata  „mit  dem 
Ross",  da  beim  Wagenkampf  die  Rosse  mit  das  Wichtigste  sind  (im 
Gegensatz  zum  FusBkampfe). 


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-    35  — 


Snd As,  König  der  Tritsu,  über  die  Bharata  mit  ihren  Bundes- 
genossen, zusammen  zehn  Könige,  siegte.  Auf  Seiten  der  Bha- 
rata steht  Vicvamitra  als  Sänger  und  leitender  Priester,  auf 
Seiten  der  Tritsu  dagegen  Vasishtha,  zwei  Namen,  die  hier 
zuerst,  und  zwar  in  diesem  feindlichen  Gegensatz,  begegnen. 
Ein  lebensvolles  Bild  gewähren  uns  hier  die  Lieder  des  Rlgr 
yeda.  Da  finden  wir  zuerst  den  Gesang  Vicvamitra's  an  die 
beiden  Schwesterströme  Vipac  und  (Jutudri,  die  er  auffordert, 
sich  in  ihrem  Bette  zu  trennen  und  das  Volk  der  Bharata 
trocknen  Fusses  hindurchschreiten  zu  lassen,  wie  Moses  die 
Juden  durchs  rothe  Meer  geführt  Man  kann  es  richtiger  ein 
Gespräch  Vicvamitra's  mit  den  Flüssen  nennen  (RV  3,  33). 

Die  beiden  ineinanderströmenden  Flüsse  schildernd  beginnt 
der  Sänger1: 

Es  eilen  lustig  aus  dem  Schooss  der  Berge 
Im  Wettlauf  wie  zwei  losgelassne  Stuten, 
Wie  schmucke  Kühe,  lockend  ihre  Kalber, 
Vipac  und  fotudrl  mit  ihren  Flutben. 

Auf  Indra'g  Ruf  und  kaum  den  Wink  erwartend 
Wie  Wagenrenner  strebet  ihr  cum  Meere. 
Zusammenlaufend  mit  geschwollnen  Wogen 
Ergiesst  ihr  in  einander  euch,  ihr  schöne. 

„Wir  sind  hierher  gekommen  zu  dem  mütterlichen  Strome, 
zu  den  beiden,  die  in's  gleiche  Bette  strömen",  —  kündigt 
Vicvamitra  an.  Und  die  Flüsse  fragen:  „Was  will  der  Sänger, 
dass  er  die  Ströme  ruft,  die  auf  göttliches  Geheiss  dahinfluthen. 
eilend  und  nicht  zu  hemmen?"  Da  fleht  Vicvamitra:  „0  bleibet 
stehen  meinem  Wort  nur  einen  Augenblick!  Hülfesuchend  rufe 
ich  zu  dem  Strome,  ich  der  Sohn  des  Kucika!"  Doch  die 
Flüsse  erwidern:  „Uns  hat  der  Donnerkeilträger  Indra  die  Bahn 
gegraben,  nachdem  er  den  bösen  Dämon  getödtet,  der  die 
Wasser  gefangen  hielt;  Gott  Savitar  hat  uns  geleitet  und  auf 
sein  Gebot  strömen  wir  dahin.4*  Da  preist  der  Sänger  die 
herrliche  Kraftthat  des  Indra  in  begeisterten  Worten,  und 
freundlich  neigen  sich  ihm  die  Flüsse  zu  und  mahnen  ihn,  in 
seinen  Liedern  rühmend  ihrer  zu  gedenken,  ihnen  Achtung  zu 
zollen.  Da  bringt  denn  auch  er  wieder  seine  Bitte  deutlicher 
Tor  und  spricht: 


1  Die  metrischen  Verse  dieses  Liedes  gebe  ich  nach  K.  Oeldner 
and  ^d.  Kaegi,  8iebeniig  Lieder  des  Rigveda.  Mit  Beitragen 
tos  K.  Roth  (Tübingen  1875),  p.  132  flg. 

3» 


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-    36  — 

Und  ihr,  ihr  Schwestern,  merket  auf  den  Sanger: 
Von  Ferne  kam  ich  her  mit  Rosa  und  Wagen. 
Drum  neiget  euch  und  macht  mir  leicht  den  Durchgang, 
Und  netzt  die  Achsen  nicht  mit  euern  Wellen. 

Freundlich  gewährend  erwidern  die  Flüsse: 

Wir  merken  wohl,  o  Sänger,  deine  Worte, 

Von  Ferne  kamst  du  her  mit  Ross  und  Wagen. 

Ich  neige  mich  und  offne  meine  Arme 

Für  dich,  wie  für  den  Mann  die  blühnde  Jungfrau. 

Und  Vi^vainitra  sagt: 

Wenn  erst  die  Bharata  euch  überschritten, 
Die  rüstige  Schaar,  nach  Indra's  Willen  kriegend, 
Dann  mögen  pfeilschnell  eure  Wasser  schiessen; 
Um  eure  Gnade  bitt*  ich  euch,  ihr  hehre  1 

Und  berichtend  fügt  der  Dichter  hinzu,  dass  die  kampf- 
lustigen Bharata  wirklich  hinüberschritten  durch  die  Gunst  der 
Flüsse,  —  nun  mögen  sie  wieder  schwellend  eilends  in  ihrem 
Bette  dahinströmen! 

Es  kam  zur  Schlacht,  aber  der  Sieg  ward  nicht  den  Bha- 
rata's,  sondern  ihrem  Gegner,  dem  Tritsu -Könige  Sudas,  und 
freudig  feiert  dessen  Sänger  Vasishtha  den  Sieg  (RV  7,  83). 
Es  ist  ein  Lob-  und  Danklied  an  Indra  und  Varuna,  die  mäch- 
tigsten Götter  jener  Zeit,  deren  Hülfe  der  Sänger  den  Sieg 
zuschreibt,  während  er  zugleich  mit  Stolz  darauf  hinweist,  dass 
die  Gebete  der  Sänger  die  helfenden  Götter  herbeigeführt1 

Auf  euch,  auf  eure  Freundschaft  bauend,  o  Indra  und  Varuna,  — 
so  ruft  der  Sanger,  —  sogen  die  Kampfer  in  die  Schlacht,  mit  breiter 
Axt  bewehrt;  da  schlüget  ihr  die  Feinde,  Arier  wie  Barbaren,  und  wart 
dem  SudAs  nah  mit  eurer  Hülfe. 

Man  sah  der  Erde  Enden  rings  in  Staub  gehüllt, 
Gen  Himmel  stieg,  Indra- Varuna,  Schlachtgeschrei; 
Der  Menschen  Hass  und  Feindschaft  standen  wider  mich, 
Doch  eure  Hülfe,  treubereite,  war  mir  nah. 

Unwiderstehlich  träfet  ihr  mit  eurem  Wurf, 
Den  Bheda,'  rettetet  den  Sudas  aus  der  Noth. 
Ihr  Rufen  im  Gebet  habt  ihr  erhört, 
Und  untre  Fürsprach •  für  die  Tritsu  hat  gewirkt. 


1  Die  metrisch  gegebenen  Verse  sind  wiederum  den  ,.9  leben  zig 
Liedern"  entnommen  (p.  32  flg.). 

*  Einer  der  sehn  Könige. 

*  D.  h.  die  Fürsprache,  die  Gebete  und  Lieder  der  opfernden  Priester. 


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-   37  — 

Ei  drohte  am  mich  her,  o  Indra-Varuna, 
Verderben  durch  den  Hass  des  hinterlistigen  Feinds, 
Doch  ihr  allein  seid  Herren  über  Schlachtenglück, 
Auf  onarer  Seite  wart  ihr  beim  EnUcheidungstag. 

Der  Fürsten  sehen,  Götterfeinde,  konnten  nicht 
Den  Sudas  niederk&mpfen,  Indra-Varuna, 
Erfolgreich  war  der  Preis  der  Manner  boi  dem  Mahl,1 
Die  Götter  kamen  ja  auf  ihren  Ruf  herbei. 

Umringt  war  Sudas  in  dem  Zehenkönigskampf, 
Doch  ihr  war't  seine  Helfer,  Indra-Varuna. 
So  neigen  jetzt  sich  euch  in  glaubigem  Gebet 
Die  Triton  weissgek  leidet  mit  geflochtnem  Haar. 

Eigentümlich  ist  die  in  den  letzten  Worten  erwähnte 
Haartracht.  Das  Haar  flechten  eben  zur  Zeit  des  Rigveda  nicht 
ausschliesslich  die  Frauen,  sondern  Dasselbe  wird  bisweilen  bei 
Männern  ausdrücklich  erwähnt,  wie  eben  bei  dem  Priester- 
geschlecht  der  Vasishtha's,  die  als  besonderes  Merkmal  das 
Haar  nach  der  rechten  Seite  aufgewunden  tragen.*  Etwas 
Aehnliches  fuhrt  Zimmer9  an  von  den  altnordischen  Hadding- 
jar,  dem  Königs-  und  Priestergeschlecht  der  Astingi  bei  den 
Vandalen.  Im  Uebrigen  Hesse  sich  von  der  Tracht  der  ve- 
dischen  Inder  noch  bemerken,  dass  dieselbe  aus  einem  Gewand 
oder  Unterkleid  (vasas  oder  vastra)  und  einem  Mantel  oder  Ueber- 
wurf  (adhivasa,  drapi)  bestand.  Auch  mannigfacher  Schmuck 
wird  erwähnt:  Spangen  an  Armen  und  Füssen,  goldener  Hals- 
schmuck und  goldener  Schmuck  auf  der  Brust  und  am  Ohre, 
Edelsteine  an  Schnüren  u.  dgl.  m.4 

Von  den  Künsten  blühte  zu  jener  Zeit  eigentlich  nur 
eine,  die  Dichtkunst,  und  zwar  speciell  die  lyrische  Hymnen- 
poeeie.  Diese  ist  in  ihrer  Art  vollendet  zu  nennen.  Da  finden 
wir  Kraft,  Gedrungenheit  und  Frische  in  Gedanken  und  Aus- 
druck, in  höherem  Grade  sogar  wie  späterhin.  Wir  finden  feste 
metrische  Gesetze,  mehrere  wohlklingende  und  zum  Theil  sogar 
kunstvolle  Maasse,  unter  denen  die  achtsylbige  Gayatrl  und 
Anushtubh  sowie  die  elfsylbige  Trishtubh  die  wichtigsten  sind.5 
Die  Hymnen  sind  lyrisch  und  zwar  meist  religiösen  Inhalts; 


1  D.  h.  der  Priester  bei  dem  Opfermahl. 
1  Daher  heissen  sie  dakshinataskaparda. 

3  Altind.  Leben  p.  264,  nach  Grimm  deutsche  Myth.  S.  317, 
Gesch.  d.  d.  8pr.  814.  333. 

«  Vgl.  Zimmer,  Altind.  Leben,  p.  268. 

*  Aus  dem  Anushtubh -Metrum  hat  sich  der  später  am  meisten  ge- 
brauchliche Vera,  der  sogen,  (loka,  entwickelt. 


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—   38  — 


doch  finden  sich  auch  Anfänge  des  Didaktischen1  und  Epischen; 
für  das  Letztere  kann  uns  gerade  das  vorhin  angeführte  Lied 
von  der  Zehnkönigsschlacht  als  Beispiel  dienen,  das  man  etwa 
mit  dem  sogenannten  Ludwigslied,  auf  den  westfränkischen 
König  Ludwig  nach  seinem  Siege  über  die  Normannen  (im 
Jahre  881)  vergleichen  kann.  Auch  etliche  Scherz-  und  Spotte 
gediente  kommen  vor,  wie  wir  späterhin  noch  sehen  werden, 
doch  treten  sie  dem  Religiösen  gegenüber  ganz  in  den  Hinter- 
grund. 

Die  Schreibkunst  war  damals  jedenfalls  noch  unbekannt; 
die  Hymnen  wurden  mündlich  überliefert.  Von  der  Schrift  werden 
wir  darum  er'st  später  handeln. 

Die  Musik  war  bei  den  vedischen  Indem  sehr  beliebt, 
wenn  auch  noch  nicht  zum  Range  einer  Kunst  entwickelt.  Da 
werden  mancherlei  Instrumente  erwähnt;  so  Harfen  oder  Lauten, 
jedenfalls  Seiteninstrumente  (vina);  Flöten  (väna,  vani,  tünava); 
Cymbeln  oder  Klappern  (karkari).  Auch  zu  den  Preisliedern 
der  Götter  wurde  gespielt8  Trommeln  (dundubhi)  und  Blas- 
instrumente im  Kriege  (bakura)  fehlen  natürlich  auch  nicht 

Beliebt  scheint  auch  der  Tanz  gewesen  zu  sein,  der  mehr- 
fach in  Bildern  verwandt  wird;  Ushas,  die  Morgenröthe,  er- 


> 

In  Zusammenhang  mit  dem  kriegerischen  Charakter  des 
Volkes  steht  unter  den  Vergnügungen  das  Wettrennen  mit 
Wagen  in  der  Rennbahn.  Dass  dasselbe  beliebt  war,  sieht  man 
aus  den  zahlreichen  Bildern,  die  daher  genommen  sind.*  In 
späterer  Zeit  war  es  nicht  mehr  gebräuchlich. 

Von  sonstigen  Vergnügungen  will  ich  nur  noch  das  Würfel- 
spiel hervorheben,  welches  schon  zur  Zeit  des  IJigveda  mit 
Leidenschaft  betrieben  wurde,  so  dass  gar  Mancher  Hab  und 
Gut  und  zuletzt  die  eigene  Person  verspielte.  Dies  ist  cultur- 
historisch  höchst  interessant,  denn  ganz  dasselbe  fast  berichtet 
uns  bekanntlich  Tacitus  von  der  Leidenschaft  der  alten  Ger- 
manen zum  Würfelspiel  Es  ist  für  uns  ein  Cuiturbild  im 
Kleinen,  wenn  ein  Sänger  im  ßigveda  (7,  86,  6)  Gott  Varuna 
um  Vergebung  seiner  Schuld  anfleht  und  gleichsam  entschuldi- 
gend hinzufügt:  „Es  war  ja  nicht  der  eigene  Wille,  o  Varuna, 


1  So  a  B.  RV  10,  117. 
»  8.  RV  8,  69,  9. 

•  Man  kann  damit  etwa  den  Waffentanz  bei  den  alten  Germanen 
yergleichen  (Zimmer  a.  a.  0.  p.  291),  als  solche  kriegerische  Belustigung. 


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_   39  — 

es  war  Verführung,  der  Branntwein,  der  Jähzorn,  die  Würfel 
und  der  Unverstand." 

Wie  in  späterer  Zeit  König  Nal,  von  der  Würfelleidenschaft 
bethört,  sich  selbst  und  sein  treues  Weib  ins  Elend  bringt, 
wird  Ihnen  bekannt  sein.  Vielleicht  aber  ist  es  Manchem  von 
Ihnen  neu,  dass  wir  schon  im  Rigveda  ein  Lied  vorfinden,  in 
welchem  ein  unglücklicher  herabgekommener  Spieler  seine  un- 
selige Leidenschaft  und  das  Elend,  in  das  er  gerathen,  in  er- 
greifenden Worten  beklagt.  Ich  will  Ihnen  dieses  Lied  mit- 
theilen, weil  es  ein  so  lebensvolles  Bild  giebt,  und  schicke  nur 
erklärend  voraus,  dass  das  Spiel  mit  den  beerenartigen  Früchten 
des  Vibhidaka-Baumes  betrieben  wurde  und  dass  man  diese  in 
einer  Rinne  (ab  Spielbrett)  rollen  Hess.1 

Der  un^tickliche  Spieler  klagt  (RV  10,  34): 

1.  Die  kreisenden  (Würfel)  des  hohen  (Baumes)  berauschen  mich, 
wenn  sie  in  der  Rinne  rollen:  wie  der  Trank  des  Sorna  vom  Berge  Muja- 
vant,  so  gefallt  mir  der  lustige  Yibhidaka-Baum. 

2.  Nicht  stritt  (mein  Weib)  mit  mir,  nicht  zürnte  sie,  freundlich 
war  sie  den  Genossen  und  auch  mir;  ach,  um  des  Würfels  willen,  der 
mir  Alles  gilt,  habe  ich  mein  treuergebenes  Weib  Verstössen! 

3.  Es  hasst  mich  die  Schwiegermutter,  mein  Weib  stüsst  mich  von 
sich,  nicht  findet  der  Bedrängte  einen  Erbarmer;  wie  an  einem  alten 
Gaul,  der  theurea  Geld  kostet,  so  finde  ich  keinen  Nutzen  an  einem 
Spieler. 

4.  Andre  umarmen  das  Weib  desjenigen,  nach  dessen  Besitz  der 
rasche  Würfel  gierig  war;  der  Vater,  die  Mutter,  die  Brüder  sagen  von 
ihm:  Wir  kennen  ihn  nicht,  führt  ihn  gebunden  fort! 

5.  Wenn  ich  mir  vornehme:  Ich  will  nicht  mit  ihnen  gehen*! 
Dann  werde  ich  von  den  weggehenden  Genossen  verlassen.  Die  hie  ge- 
worfenen Braunen  (d.  h.  die  Würfel)  geben  ihren  Klang,  ich  geh*  zu 
ihrem  Stelldichein  wie  eine  Buhlerin. 

6.  Ins  Spielhaus  geht  der  Spieler,  in  die  Brust  sich  werfend,  indem 
er  zu  sich  spricht:  Ich  werde  schon  siegen!  Die  Würfel  steigern  noch 
seine  Begierde,  und  geben  dann  doch  den  Gewinn  dem  Gegner. 

7.  Mit  Haken  sind  die  Würfel  venehen,  sie  bohren  sich  ein,  sie 
sind  Betrüger,  sie  quälen  und  peinigen;  hinfällige  Gaben  nur  verleihen 


*  Man  meinte  früher,  dass  diese  Früchte  des  V  Nüsse  gewesen 
seien,  bis  uns  Bühler  in  dem  Report  seiner  Reise  nach  Kaachmir  darüber 
belehrt  hat,  dass  es  besondere  Beeren  sind.  Die  Zahl  der  Würfel  war  58 
(ef.  RV  10,  84,  8):  sie  wurden  in  eine  Rinne  geworfen  und  es  kam  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  dabei  auf  Schnelligkeit  im  Zahlen  an.  Darauf 
fahrt  uns  namentlich  auch  der  Umstand,  dass  Nal,  nachdem  er  die  Kunst 
des  zauberhaft  schnellen  Zahlens  erlangt  hat,  seinen  Gegner  ohne  Weiteres 
im  Spiele  zu  besiegen  vermag,  was  bei  einem  Hasard  unmöglich  ge- 
wesen wäre. 

•  Ich  leite  davishani  von  du,  davati  ab,  welches  mit  der  Bedeutu 
„gehen,  sich  bewegen"  Dhatup.  und  Top.  belegt  ist. 


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-  40 


sie,  indem  sie  den  Sieger  wieder  zu  Fall  bringen;  für  den  Spieler  aber 
sind  sie  voller  Süssigkeit. 

8.  Es  tummelt  sich  ihre  aus  Dreiundfünfzig1  bestehende  Schaar, 
die  ihre  Gesetze  aufrecht  hält  gleichwie  Gott  Savitar;  sogar  dem  Zern 
eines  Gewaltigen  beugen  sie  sich  nicht;  sogar  der  König  zollt  ihnen 
Verehrung. 

9.  Sie  rollen  herab,  sie  springen  empor,  ohne  Hände  bewältigen  sie 
den  mit  Händen  Versehenen;  die  zaubrischen  Kohlen,  in  die  Rinne  ge- 
worfen, versengen  das  Herz,  obschon  sie  kalt  sind. 

10.  Es  quält  sich  das  verlassene  Weib  deB  Spielers,  die  Mutter  des 
Sohnes,  der  irgendwo  umherirrt;  verschuldet,  furchtsam,  Geld  suchend 
geht  er  bei  Nacht  in  die  Behausung  anderer  Leute. 

11.  Es  schmerzt  den  Spieler,  wenn  er  ein  Weib  sieht,  die  Gattin 
Anorer  und  ihren  wohlbestellten  Wohnsitz;  frühmorgens  schirrt  er  sich 
seine  braunen  Rosse  (d.  h.  die  Würfel);  wenn  das  Feuer  erlischt,  dann 
sinkt  der  Wicht  zusammen. 

Und  am  Schlnss  des  Liedes  fleht  der  Unglückliche  die 
Würfel  an,  sie  möchten  doch  endlich  von  ihm  lassen  nnd  sich 
ein  anderes  Opfer  ausersehen. 


Was  die  Familie  anbetrifft,  so  herrschte  zur  Zeit  des 
Ijtigveda  noch  durchaus  Monogamie,  während  in  späteren 
Zeiten  bei  den  Indern  bekanntlich  die  Polygamie  sich  einbür- 
gerte. Von  der  barbarischen  Sitte  der  Wittwenverbrennung  ist 
hier  noch  keine  Spur  wahrzunehmen,  und  es  war  eine  grobe 
Fälschung,  vermittelst  deren  die  Brahmanen  es  versuchten,  in 
-  den  rjigveda  das  Gebot  der  Wittwenverbrennung  hineinzubringen, 
an  einer  Stelle,  welche  klärlich  das  gerade  Gegentheil,  nämlich 
das  Lebenbleiben  der  Wittwen  und  ihre  Scheidung  von  dem 
verstorbenen  Gatten  besagt.*  Obgleich  nun  also  diese  Sitte 
dem  Volke  des  ßigveda  durchaus  abzusprechen  ist,  hat  Zimmer 
es  doch  durch  Vergleichung  einzelner  ähnlicher  Vorkommnisse 
bei  den  Griechen,  Germanen  und  Slaven  wahrscheinlich  zu 
machen  gesucht,  dass  dieselbe,  vereinzelt  und  ausnahmsweise 
geübt,  schon  uralt  sei.  Das  nordische  Alterthum  hat  schöne 
Beispiele.  Nanna  wird  mit  Baldr  verbrannt,  und  Brynhild  lässt 
sich  mit  Sigurd  verbrennen.  „Wenn  ich  ihm  nachfolge,  sagt 
Brynhild  —  Völs.Cap.  31  —  fallt  ihm  die  schwere  Thür  der 


1  Vgl.  oben  die  Anmerkung  p.  39. 

*  Nämlich  RV  10,  18,  7,  wo  sie  in  dem  Verse  &  rohantu  janavo 
yönim  agre  die  letzten  Worte  änderten  zu  yönim  agn^b,  was  den  Sinn 
vollständig  verschiebt.  Vgl.  darüber  Colebrooke,  liiscellaneous  Essays 
1,  182  flg.  ed.  Cowell.  Wilson,  Journ.  R.  As.  8.  16,  202.  Roth, 
Ztschr.  d.  Dtsch.  Morg.  Ges.  8,  468.  M.  Müller,  Essays  2,  80  flg. 
278  flg.   Kaegi,  Rigveda,  p.  224. 


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Unterwelt  nicht  auf  die  Ferse. 4  Der  Gudrun  gereichte  es  zum 
Vorwurf,  dass  sie  ihren  Gemahl  tiberlebte  (Saem.  224,  h). 
Herodot  5,  5  erzählt,  dass  es  bei  thrakischen  Völkern  Sitte 
sei,  dass  die  liebste  Frau  eines  Mannes  auf  dessen  Grabe  ge- 
testet werde.  Mela  2,  2  meldet  es  als  allgemeinen  geti sehen 
Brauch. 

Von  den  Herulern  berichtet  dasselbe  Prokop.  Auch  über 
die  Slaven  finden  sich  ähnliche  Berichte.1  An  diese  und  andere 
bemerkenswerte  Mittheilungen  knüpft  Zimmer  —  meiner  An- 
sicht nach  mit  viel  Wahrscheinlichkeit  —  die  Vermuthung,  dass 
die  Wittwenverbrennung  vielleicht  bei  einigen  Stämmen  der 
Inder  in  alter  Zeit  vereinzelt  vorgekommen  sei  und  später  dann 
im  mittelalterlich- indischen  Staat  mit  so  schauerlicher  Conse- 
quenz  auf  alle  Wittwen  ausgedehnt  wurde. 

Die  Todten  werden,  wie  uns  die  Hymnen  deutlich  zeigen, 
theils  durch  Feuer  bestattet,  theils  beerdigt.  Jakob  Grimm 
hat  in  seiner  Abhandlung  „Ueber  das  Verbrennen  der  Leichen-  Ä 
nachgewiesen,  dass  bei  mehreren  indogermanischen  Völkern  — 
so  auch  bei  den  Germanen  —  in  alter  Zeit  Begraben  und  Ver- 
brennen neben  einander  bestand.  Dies  ist  offenbar  auch  bei 
den  Indern  zur  Zeit  des  Rigveda  der  Fall  gewesen,  während  ' 
in  späterer  Zeit  bekanntlich  die  Todten  immer  verbrannt 
werden,  und  das  Begraben  nur  bei  Kindern  vorkommt.8 

In  einem  Liede  des  Rigveda  (10,  15,  14)  werden  die  Väter 
angerufen,  welche  „durch's  Feuer  verbrannt-  und  welche  „nicht 
durch's  Feuer  verbrannt-  sind.4  Wir  haben,  von  anderen  Er- 
wähnungen abgesehen,  im  Rigveda  einen  Hymnus,  der  bei  der 
Verbrennung  recitirt  wurde,  wo  das  Feuer  angefleht  wird,  den 
Todten  nicht  zu  versengen,  seinen  Leib  nicht  zu  verletzen.  In 
Leben  sich  hüllend  soll  er  mit  einem  neuen  Leibe  sich  ver- 
einigen, einen  Harnisch  soll  er  anthun,  das  Feuer  soll  ihn  in 


1  So  bei  Maurikios,  Bonifacius,  Ibn-Dasta,  Ibn-Fadhlan  und  Thiet- 
mar;  s.  Zimmer,  a.  a.  0.  p.  330. 

*  Abhandlungen  der  Berl.  Akad.  d.  Wiss.  1849. 

*  Vgl.  Jolly's  Recension  von  Zimmer's  Altind.  Leben,  Allgem. 
Zeitung  von  1879.  Nr.  199.  p.  2915a.  —  Manu  6,  68.  69.  103.  Yajna- 
▼alkya  3,  1.  2. 

4  agnidagdba  und  anagnidagdha.  Im  Atharvaveda  18,  2,  34  werden 
genannt  nikhatah,  paropta^i,  dagdhaji,  uddhitah  d.  b.  die  Begrabenen, 
Weggeworfenen,  Verbrannten  und  Ausgesetzten  (sc.  als  Greise).  Bei  den 
Weggeworfenen  (paroptafr)  vermuthet  Zimmer  eine  Sitte,  die  der  erani- 
schen  Ähnlich  war,  die  die  Paraen  noch  heute  üben,  wahrend  Jolly  in 
seiner  oberwahnten  Recension  meint,  es  sei  das  Werfen  in's  Wasier  ge- 
meint; 80  erklart  es  der  Commentator  dos  Kathakagrihyasutra. 


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die  Welt  der  Frommen,  zu  den  Vätern  geleiten.  Da  heisst  es 
(RV  10,  16): 

1.  Versenge  jenen  nicht,  o  Agni,  verbrenne  ihn  nicht,  lass  seine 
Haut  niAt  schrumpfen1  noch  seinen  Leib!  Wenn  du  ihn  gar  gemacht 
hast,  o  Wesenkenner,*  dann  sende  ihn  den  Vätern  zu. 

2.  Wenn  du  ihn  gar  gemacht,  o  Wesenkenner,  dann  übergieb  du 
ihn  den  Vätern!  Wenn  er  in  jenes  Geisterleben  eingeht,  dann  soll  er 
nach  der  Götter  Willen  sich  fuhren. 

3.  Zur  Sonne  soll  sein  Auge  gehn,  in  den  Wind  der  Athem,  in 
Himmel  und  Erde  die  Theilo,  die  ihrer  Natur  nach  dahin  gehören;  oder 
geh  in  die  Wasser,  wenn  dort  es  dir  bestimmt  ist,  geh  in  die  Krauter 
mit  deinem  Leibe  u.  s.  w. 

Wiederholt  ist  nun  aber  auch  von  dem  Haus  der  Erde  die 
Rede,  in  welches  der  Todte  hinabsteigt  So  fleht  ein  kranker 
Sänger  Gott  Varuna  an,  er  möge  ihn  noch  nicht  sterben  lassen, 
mit  den  Worten:  »Möge  ich  noch  nicht,  o  Varuna,  hinabgehen 
in  das  Haus  von  Erde!"8  Es  ist  uns  ein  schöner  Hymnus  er- 
halten (RV  10,  18),  der  bei  der  Beerdigung,  von  sinnigen 
Bräuchen  begleitet,  recitirt  wurde-. 

Der  Liturg  beschwört  zuerst  den  Tod,  weit  weg  zu  ziehen 
auf  seiner  eigenen  Strasse,  geschieden  von  dem  Götterwege, 
nicht  die  Kinder,  nicht  die  Männer  zu  verletzen. 

Entfern  dich,  Tod,  und  ziehe  deine  Strasse 
Für  dich,  geschieden  von  dem  Weg  der  Götter. 
Du  siehst  und  hörest,  was  ich  zu  dir  rede, 
Verletz  uns  nicht  die  Kinder,  nicht  die  Mann  er  1* 

Symbolisch  scheidet  dann  der  Liturg  die  Welt  der  Lebenden 
von  der  Welt  der  Todten,  indem  er  einen  Stein  hinsetzt  zwischen 
die  Versammelten  und  den  Ort,  wo  die  Leiche  liegt,  und  dazu 
den  Lebendigen  alles  Glück  und  langes  Leben  wünscht: 

Ich  setz'  die  Scheidewand  für  die,  so  leben, 
Das s  Niemand  mehr  zu  jenem  Ziele  laufe. 
Sie  sollen  hundert  lange  HerbBte  leben, 
Den  Tod  durch  diesen  Felsen  Ton  sich  halten. 

Dann  fordert  der  Liturg  die  unverwittwoten  Frauen  au£ 
mit  Schmuck  und  Salben  zuerst  zum  Opfer  heranzutreten.  Die 
Gattin  allein  war  bis  dahin  bei  der  Leiche  sitzen  geblieben. 


1  So  Ludwig  und  nach  ihm  Zimmer,  Altind.  Leben,  p.  402. 

*  Jatayedas,  ein  Beiname  Agni'*,  dos  Feuergottes. 

•  Vri.  auch  Atharvaveda  5,  80,  14. 

4  Die  metrischen  Stücke  gebe  ich  nach  Roth's  Uebersetzung,  der 
dieses  Lied  aufs  SchönBte  übersetzt  und  erläutert  hat,  Ztschr  d.  Dtsch. 
Morg.  Ges.  8,  468  flg. 


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Jetxt  mahnt  der  Liturg  auch  sie,  sich  zu  erheben  und  wieder 

in  die  Welt  der  Lebenden  einzutreten: 

Erhebe  dich,  o  Weih,  zur  Welt  des  Lebens: 
Des  Odem  ist  entflohn,  bei  dem  du  sitseat, 
Der  deine  Hand  einst  fasste  und  dich  freite, 
Mit  ihm  ist  deine  Ehe  nun  vollendet.1 

Dann  nimmt  der  Liturg  aus  der  Hand  des  Todten  den 
Bogen,  durch  diese  symbolische  Handlung  andeutend,  dass  Kraft 
und  Streitbarkeit  bei  den  Lebendigen  bleiben  solle: 

Den  Bogen  nehm*  ich  aus  der  Hand  des  Todten, 
Für  uns  ein  Pfand  der  Herrschaft,  Ehre,  Starke. 
Du  dort,  hienieden  wir  als  brave  Männer, 
Wir  wollen  schlagen  jedes  Feindes  Angriff. 

Dann  endlich  wird  der  Todte  mit  Segenswünschen  in  die 
Gruft  gesenkt: 

Du  Erde  thu  dich  auf  für  ihn  und  sei  nicht  eng, 
Den  Eintritt  mach  ihm  leicht,  er  schmieg  sich  an  dich  an. 
Bedeck  ihn  wie  die  Mutter,  die 
Das  Kind  in  ihr  Gewand  verhüllt. 

Geräumig  stehe  fest  die  Erdenwohnung, 

Von  tausend  Pfeilern  werde  sie  getragen. 

Von  nun  an  bleibe  das  sein  Haus  und  Reichthum, 

Ein  sichres  Obdach  ihm  für  alle  Zeiten. 

Zum  Schluss  aber  fleht  der  Betende  noch,  dass  Yama  dem 
Verstorbenen  im  Jenseits  den  Sitz  bereiten  möge. 

Ueber  Scheiterhaufen  und  Grab  hinaus  strebte  das  Hoffen 
des  Inders.  Ein  Leben  nach  dem  Tode  wurde  geglaubt  in 
jenen  seligen  Gefilden,  wo  Yama  Herrscher  ist,  wo  er  unter 
einem  schönbelaubten  Baume  mit  den  Göttern  und  Vätern  ge- 
meinsam trinkt  (RV  10,  135,  1);  wo  nie  erlöschendes  Licht 
und  Himmelsglanz  erstrahlt,  wo  die  ewigen  Wasser  strömen, 
wo  alle  Räume  glanzvoll  sind,  wo  alle  Wünsche  ihre  Erfüllung 
finden,  wo  Lust  und  Freud'  und  Fröhlichkeit  und  Wonne  wohnen, 
dort,  wo  das  Reich  der  Unsterblichkeit  ist,  dorthin  soll  Yama 
den  Gestorbenen  fuhren  (RV  9,  113,  7  flg.). 

Das  ist  der  lichte,  hoffnungsvolle  Abschluss  eines  natur- 
wüchsigen, frischen  und  freudigen  Lebens! 

Die  in  die  Gemeinschaft  mit  den  Götter  eingegangenen 
Väter,  die  sogenannten  Pitaras,  werden  fast  göttlich  verehrt 


1  Und  in  dieses  Lied,  wo  dieser  unzweideutige  Vers  des  weitere 
Schicksal  der  Wittwen  ausspricht,  haben  die  Brahmanen  das  Gebot  der 
Wittwen Verbrennung  hineinzubringen  versucht! 


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Sie  werden  zum  Opfer  eingeladen  und  ihnen  wird  der  Trank 
Svadha  dargebracht.  Wir  finden  im  Rigveda  Hymnen,  die  an 
die  Väter  gerichtet  sind,  wo  sie  angerufen  werden,  zum  Opfer 
zu  kommen,  sich  auf  die  Streu  zu  setzen  und  den  dargebrachten 
Trank  Zu  gemessen.1  Diese  Ahnenverehrung  muss  sehr  feste 
Wurzeln  im  indischen  Volke  geschlagen  haben;  sie  blüht  zur 
Zeit  des  indischen  Mittelalters  und  hat  sich  sogar  bis  in  die 
neuere  Zeit  noch  erhalten. 

Dass  es  nach  dem  Glauben  der  vedischen  Inder  auch  einen 
schlimmen  Ort  für  die  Bösen  nach  dem  Tode  gegeben,  läset 
sich  aus  einigen  Andeutungen  vermuthen,  wenn  derselbe  auch 
nicht  näher  geschildert  wird  und  wohl  kaum  mehr  als  eine 
unbestimmte  Vorstellung  davon  existirte.*  Gott  Yama  aber  war 
zu  jener  Zeit  jedenfalls  noch  der  selbst  in  Seligkeit  lebende 
Herrscher  der  Seligen  und  erst  später  ist  er  zu  einem  Gegen- 
stand des  Schreckens,  dem  fürchterlichen  Todesgotte,  geworden. 
Viel  später  erst  bringt  die  krankhaft  gesteigerte  Grübelei  in 
dies  Gebiet  des  Denkens  ein  ganzes  Heer  unheimlicher  Schatten 
und  Schreckgebilde;  den  Indern  des  Rigveda  aber  können  wir 
auch  hier  diejenige  Gesundheit  des  Denkens  und  Empfindens 
zusprechen,  die  uns  überall  an  ihnen  erquickt  hat 


1  Näheres  Qber  diesen  Manencultus  der  Inder  findet  man  bei  Mai 
Müller,  Indien  in  seiner  weltgeschichtlichen  Bedeutung,  191 — 209. 
Auch  der  Hymnus  an  die  Vater  RV.  10,  16  ist  dort  p.  196—197  übersetzt 

9  Man  beachte  die  wegebehütenden  Hunde  des  Yama,  an  denen 
man  erst  vorbei  muss,  wenn  man  an  den  seligen  Ort  kommen  will;  die 
Bezeichnung  derselben  als  cabala  (Nbf.  carvara,  karvara,  cabara)  ist 
wohl  mit  griecii.  KtQßtQoq  zu  identificiren  (vgl.  Weber,  Ind.  Stud. 
II,  298;  Benfey,  Vedica  und  Verwandtes,  p.  149—164).  Wahrscheinlich 
wurde  schon  zur  indogermanischen  Zeit  ein  solcher  Ort  geglaubt.  Man 
beachte  die  Uebereinstimmung  zwischen  dem  indischen  Bhrigu  und  den 
Kriech.  <Pkeyvai\  ersterer  muss  nach  dem  Catapatha  Brahmana  wegen 
Uebermuths  die  Höllenstrafen  ansehen;  letztere  werden  wegen  Ueber- 
muths  zu  harten  Höllenstrafen  verdammt  (vgl.  Zimmer,  a.a.O.  p.  419; 
Weber  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  9,  242).  Ob  vielleicht  sogar  mit  Benfey 
indisches  talatala  =  TaQxctQoq  zu  setzen,  lasse  ich  unentschieden. 


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Vierte  Vorlesung. 

Der  $igveda  und  seine  Götterwelt.  Inhalt,  Ursprung  and  Anordnung 
dee  $igveda.  Allgemeiner  Charakter  der  Hymnen.  Weltliche  Lieder 
im  Kigveda.  Varuna  und  die  an  ihn  gerichteten  Hymnen.  Die  anderen 
Aditya*s.  Eintheilnng  der  vedischen  Götterwelt.  Die  Götter  der  himm- 
lischen Lichterscheinungen :  Die  Afvinen;  die  Morgenröthe. 


Der  Kigveda,  dessen  Charakteristik  wir  uns  nun  speciell 
zuwenden,  ist  das  älteste  Denkmal  nicht  nur  des  indischen, 
sondern  des  indogermanischen  Geisteslebens  überhaupt,  dem 
höchstens  noch  die  ältesen  Gatha's  des  Zendavesta  an  die  Seite 
gestellt  werden  können.  Er  hegt  uns  in  einer  Sammlung  von 
1028  Hymnen1  vor,  welche  in  zehn  Bücher,  Mandala's  oder 
Kreise  genannt,  zerfallen.  Die  Art  ihrer  Entstehung  und  Ueber- 
lieferuug  wird  deutlich  dadurch  charakterisirt,  dass  die  Mehr- 
zahl dieser  Bücher  bestimmten  altberühmten  priesterlichen 
Sängerfamilien  als  specielles  Eigenthum  zugeschrieben  wird;  so 
das  zweite  Buch  den  Oritsamada's,  das  dritte  dem  Vicva- 
mitra  und  seiner  Familie,  das  vierte  den  Vämadeva's,  das 
fünfte  dem  Atri  und  seinen  Abkommen,  den  Ätreya's,  das 
sechste  den  Bharadvaja's,  das  siebente  Vasish^ha  und  den 
Seinigen,  das  achte  vorwiegend  wenigstens  dem  Kanva  und  den 
Kanviden.  Buch  1,  9  und  10  stammen  von  verschiedenen 
Verfassern;  das  neunte  ist  speciell  dem  Somaopfer  gewidmet; 
das  erste  und  zehnte  ganz  gemischten  Inhalts;  das  zehnte  ent- 
hält jedenfalls  die  jüngsten  Stücke. 

Diese  Lieder,  meist  von  priesterlichen  Dichtern,  den  so- 
genannten IJishi's  oder  Weisen  der  Vorzeit,  verfasst,  erbten  als 
werthvolles  Kleinod  in  den  Familien  ihrer  Verfasser  von  Ge- 
schlecht zu  Geschlecht,  so  dass  einzelne  hervorragende  Familien 
schliesslich  einen  ganzen  Schatz  von  Liedern  besassen.  Diese 
verschiedenen  Kreise  der  Hymnendichtung  wurden  in  einer 


1  Resp.  1017  Hymnen,  je  nachdem  man  nämlich  die  11  sogenannten 
Valakhüya-Hymnen  mitrechnet  pder  nicht 


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46  — 


spateren  Zeit,  als  sich  die  Priester  bereits  als  geschlossener 
Stand  fühlten  und  das  Bedürfniss  nach  systematischer  Ordnung 
und  Uebersicht  ihres  gesammten  Hymnenschatzes  empfanden, 
in  der  grossen  Sammlung,  die  den  Namen  Plig-veda,  d.  h.  der 
Veda  der  Lieder  oder  Hymnen,  führt,  zusammengefasst.  Diese 
Zusammenstellung  fand  gewiss  erst  statt,  als  die  Inder  bereits 
aus  dem  Penjab  in  das  Gangesthal  gewandert  waren,  und  dürfte 
etwa  gegen  das  Jahr  1000  v.  Chr.  zu  Stande  gekommen  sein. 
Die  Schöpfung  der  Hymnen  selbst  reicht  aber  ohne  Zweifel  um 
Jahrhunderte  weiter  zurück. 

Dies  wird  einleuchtend,  wenn  man  den  ungeheuren  Abstand 
der  Cultur  betrachtet,  wie  sie  sich  in  den  Liedern  des  Rigveda 
darstellt,  im  Gegensatz  zu  der  Periode,  welche  etwa  mit  dem 
Jahre  1000  v.  Chr.  beginnt  und  welche  wir  die  Periode  der 
Yajurveden  und  Brahmana's  nennen  wollen.  Dieser  Gegensatz 
wird  uns  bei  der  Schilderung  jener  zweiten  Periode  von  selbst 
in  die  Augen  springen*  Für  jetzt  wollen  wir  es  nur  unter- 
nehmen, den  Geist  und  Inhalt  der  Hymnen  des  Rigveda  zu 
schildern. 

Charakteristisch  ist  diesen  Hymnen  Kraft,  Frische  und 
Ursprünglichkeit  der  Empfindung,  gegenüber  der  in  der 
späteren  Poesie  sich  findenden  Zartheit,  ja  Weichlichkeit  und 
Ueppigkeit;  desgleichen  Einfachheit  und  Gesundheit  der 
Anschauungen  und  nicht  selten  eine  gewisse  Naivität  der  Ge- 
danken und  Bilder,  gegenüber  später  sich  findenden  Ueber- 
treibungen,  Maßlosigkeiten,  ja  Ungeheuerlichkeiten.  Von  den 
spater  so  deutlich  hervortretenden  romantischen  Eigenschaften 
ist  im  IJigveda  gar  nichts  zu  finden,  weder  nach  der  guten, 
noch  nach  der  schlimmen  Seite.  Kraftvolle  poetische  Schilde- 
rungen der  Natur,  die  sich  bis  zu  kühnem  Schwung  erheben, 
treten  uns  hier  entgegen.  Wie  die  Culturstufe  des  Rigveda 
uns  an  die  Schilderung  der  Germanen  bei  Taoitus  erinnert,  so 
hat  auch  die  Poesie  des  Rigveda  eine  gewisse  Wahlverwandt- 
schaft mit  der  altgermanischen  Poesie.  Es  ist  ein  kühner, 
kraftvoller,  streitbarer  Geist,  der  in  diesen  Hymnen  lebt,  noch 
ungebrochen  durch  die  später  erst  entstehenden  priesterlichen 
Satzungen.  Mit  freudiger  Lust  klammert  sich  der  Inder  des 
Rigveda  an  das  frische,  blühende  Leben.  Er  will  leben,  will 
reichen,  tüchtigen  Besitz,  streitbare  Söhne  haben  und  hundert 
Winter  fröhlich  und  gesund  schauen.  Seinen  Göttern  will  er 
gern  und  freudig  dienen,  sie  sollen  ihm  dafür  aber  auch  helfen, 
hier  glücklich  und  reich  zu  leben  und  dereinst  in  die  seligen 
Gefilde  Yama's  einzugehen. 


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—  47 


Die  geistige  Verwandtschaft  der  Poesie  des  Higveda  mit 
der  altjgennanischen  lässt  es  mir  nicht  als  Zufall  erscheinen, 
dass  wir  gerade  deutschen,  congenialen  Forschern  die  Auf- 
hellung dieses  ursprünglichen  Geistes  der  Vedalieder  verdanken. 
Denn  es  ist  hervorzuheben,  dass  bei  den  Indern  selbst  das 
eigentliche  Verständuiss  für  diese  ihre  älteste  Poesie  verloren 
gegangen  war.  Der  Veda  war  ja  für  sie  ihr  heiligstes  Reli- 
gionsbuch geworden,  und  es  war  natürlich,  dass  man  ihn  später 
als  Object  des  theologischen  Studiums  vielfältig  miss verstand 
und  Dinge  in  ihn  hineindeutete,  welche  niemals  in  ihm  gelegen 
haben.  Die  Commentatoren  und  gelehrten  Interpreten  haben 
in  dieser  Hinsicht  unglaublich  viel  zur  Verdunkelung  des  Ver- 
ständnisses des  alten  ursprünglichen  Charakters  der  Lieder  ge- 
than~  Die  europäische  Wissenschaft  suchte  sich  diesen  indisch- 
theologischen  Erklärern  zuerst  ganz  anzusch  Li  essen,  erkannte 
aber  mit  der  Zeit,  wie  wenig  zuverlässige  Führer  dieselben  zu 
einem  wirklichen  Verständniss  des  Higveda  waren.  Rudolf 
Roth  war  der  Erste,  der  sich  in  seiner  ^Ligveda- Forschung 
kühn  von  diesen  Leitern,  unter  denen  namentlich  Sayana  her- 
vorragt, emaneipirte,  den  Weg  der  freien  vorurteilslosen  philo- 
logischen Forschung  betrat  und  in  bahnbrechender  Weise  uns 
den  ursprünglichen  Geist  des  Veda  zur  Anschauung  brachte. 
Lange  widerstrebten  noch  einige  conservativere  Geister,  aber 
die  überzeugende  Wahrheit  der  Roth'schen  Darlegungen,  vor 
Allem  gestützt  durch  seine  eigenen  Uebersetzungen  und  Inter- 
pretationen, ist  im  Laufe  der  Zeit  durchgedrungen  und  hat  im 
Wesentlichen  die  Zustimmung  der  sachkundigen  Forscher  ge- 
funden.1 

Neben  dem  Schönen  und  Bedeutenden  in  der  Poesie  des 
rjigveda  läuft  natürlich  auch  sehr  vieles  Unbedeutende  und 
Gleichgültige  mit,  wie  ja  so  ziemlich  in  jeder  Literatur.  Ins- 
besondere ist  eine  gewisse  Monotonie  nicht  abzuleugnen,  nament- 
lich wenn  man  das  Ganze  überblickt.  Es  ist  dies  um  so  er- 
klärlicher, als  die  Lieder  ja  aus  verschiedenen  Stämmen  des- 
selben Volkes  gesammelt  sind,  wo  dann  eine  beträchtliche 
Anzahl  gleichartiger  Hymnen  an  gewisse  Götter  gar  nicht  zu 
vermeiden  war.  Eine  grosse  und  vollständige  Sammlung  von 
Völksliedern  aus  zahlreichen  kleinen  Stämmen  ein  und  desselben 


1  Es  ist  dabei  natürlich  nicht  ausgeschlossen,  dass  uns  jene  indi- 
schen Gelehrten  in  ihren  Commentaren  ausserordentlich  viel  Werthvolles 
erhalten  haben  and  dass  dieselben  bei  der  Erklärung  sehr  berücksichtigt 
werden  müssen;  wir  ordnen  uns  nur  ihrer  Autorität  nicht  bedingungslos 
anter. 


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—    48  - 

Volkes  wird  wohl  immer  diesen  Charakterzug  erhalten,  und  bei 
der  grossen  Masse  des  Gleichartigen  wird  der  Leser  leicht  eine 
Ermüdung  spüren,  was  dem  bedeutenden  Werthe  der  Sammlung 
darum  keinen  Eintrag  thut.  Wir  wissen,  welcher  Reichthum, 
wie  viel  Schönheit  und  Poesie  im  deutschen  Volksliede  steckt; 
wer  aber  grosse  mehrbändige  Sammlungen  deutscher  Volkslieder 
sich  bemüht  durchzuarbeiten,  wird  eines  ähnlichen  Gefühles 
sich  gewiss  nach  einiger  Zeit  nicht  entschlagen  können.  In 
höherem  Maasse  noch  dürfte  dies  für  die  Hymnen  des  Rigveda 
zutreffen. 

Der  Inhalt  der  Hymnen  ist  meist  ein  religiöser;  theils  sind 
es  Götteranrufungen,  theils  Lieder,  die  gewisse  liturgische 
Handlungen  begleiten,  wie  z.  B.  die  Pressung  des  Somatranks, 
die  Beeidigung,  Verbrennung  oder  dergleichen.  Doch  finden 
sich  in  der  grossen  Sammlung  auch  einige  rein  weltliche  Ge- 
dichte. So  z.  B.  das  Lied  des  Spielers,  welches  ich  früher 
angeführt  habe  (RV  10,  34);  derart  ist  auch  z.  B.  das  Lied 
«ines  Arztes  (RV  10,  97),  welcher,  als  Arzt  und  Apotheker 
in  einer  Person,  mit  seinem  Kräuterkästchen  herumzieht  und 
seine  Waare  anpreist,  in  halb  humoristischer  Weise  mit  seinen 
Kräutern  sich  unterhält  und  sie  recht  eindringlich  ermahnt, 
ihm  auch  richtig  zu  helfen  und  ihm  seine  Kranken  gesund  zu 
machen.1 

Derart  ist  auch  eine  Schilderung  der  Frösche,  wie  sie, 
nach  der  langen  Hitze,  zur  Regenzeit  wieder  erwachen  und  nun 
lustig  an  zu  quaken  und  herumzuspringen  beginnen.  Dies 
lustige  Quaken  und  Lärmen  wird  —  in  keineswegs  respektvoller 
Weise  —  mit  dem  Gesang  trunkener  Priester  verglichen,  die 
um  ihre  Somakufe  herumsitzen,  und  mit  dem  Geleier  von 
Schülern,  die  dem  Lehrer  das  vorgesetzte  Pensum  wiederholen. 
Das  Lied  ist  mit  entschiedenem  Humor  und  satirischem  Talent 
verfasst.* 

Es  ist.  natürlich  eine  Albernheit,  wenn  in  späterer  Zeit 
allen  diesen  Liedern,  weil  sie  einmal  dem  Rigveda  einverleibt 
sind,  bestimmte  Gottheiten  zugetheilt  werden,  an  welche  sie 
gerichtet  sein  sollen;  wenn  z.  B.  in  dem  letztangeführten  Liede 
die  Frösche  als  „die  Gottheit"  genannt  werden;  oder  in  dem 
Spielerliede  „das  Lob  der  Würfel  und  des  Spielers  Tadel". 


1  Dies  Lied  Ist  sehr  gelungen  von  Roth  übersetzt,  Zuchr.  d.  D. 
Morg.  Ges.  26,  646.  Anoä  in  die  „Siebenzig  Lieder"  von  K.  Geldner 
and  Ad.  Kaegi  aufgenommen,  p.  172—176. 

•  Trefflich  übewetst  in  den  „Siebensig  Liedern'4,  p.  169  flg. 


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—   49  — 

Ein  anderes  Lied  variirt  in  zum  Theil  ziemlich  derber 
Weise  das  sehr  wenig  geistliche  Thema,  dass  alle  Welt  hinter 
dem  Erwerb  herlaufe,  jeder  auf  seine  Weise  (RV  9,  112):  Ver- 
schieden ist  der  Leute  Sinn  und  ihr  Beruf  —  so  meint  der 
Dichter.  Der  Zimmermann  und  der  Arzt  suchen,  wo  etwas 
zerrissen  oder  zerbrochen  ist,  der  Priester  sucht  sich  einen 
kelternden  Opferer;  der  Schmied  mit  seinem  Ambos,  mit  Reisig 
auf  dem  Herd  und  dem  Flederwisch,  zum  Anfachen  des  Feuers, 
in  der  Hand,  sucht  einen  reichen  Kunden.  Ich  bin  Poet,  mein 
Vater  Arzt,  und  meine  Mutter  Müllerin.  So  jagen  wir,  Jeder 
in  seiner  Art,  dem  Erwerbe  nach.1 

Man  hat  in  späterer  Zeit  den  rein  weltlichen  Charakter 
dieses  Liedes  zu  verwischen  gesucht,  indem  man  jedem  Verse 
als  Refrain  die  absolut  nicht  dahin  passenden  Worte  anfügte: 
„0  Sorna,  ströme  dem  Indra  zu!"  Und  so  sollte  nun  das  Lied 
an  Sorna  als  Gottheit  gerichtet  sein! 

Wenn  nun  auch  die  angeführten  Sachen  uns  culturhistorisch 
sehr  interessant  sind,  so  stehen  sie  doch  vereinzelt  da,  und  die 
meisten,  so  zahlreichen  Hymnen  bestehen  in  Anrufung  und 
Preis  der  Götter,  so  dass  der  Veda  seinen  religiösen  Titel  im 
(ranzen  durchaus  mit  Recht  trägt.  Snchen  wir  diesen  Liedern 
etwas  näher  zu  treten,  so  entrollt  sich  unwillkürlich  vor  uns 
das  Bild  der  gestaltenreichen  vedischen  Götterwelt,  die  den 
wesentlichen  Inhalt  derselben  bildet. 

Die  höchste,  reinste  und  erhabenste  Göttererscheinung  des 
IJigveda  ist  Varuna,  von  dessen  ursprünglicher  Identität  mit 
Ahura  Mazda  ich  bereits  früher  gesprochen  habe.  Varuna,  von 
der  Wurzel  var  „unihüllen,  einschliessen,  umfassen",  heisst 
eigentlich  „der  Umschli  essende,  Umfassende",  und  ist  ursprüng- 
lich eine  Bezeichnung  des  allumfassenden  Himmels  gewesen, 
identisch  mit  dem  griechischen  ovQavog.  Wahrscheinlich  war 
dies  eigentlich  ein  Beiwort  des  alten  Dyaus,  das  sich  aber  dann 
als  besondere  Persönlichkeit  ablöste.  Im  Rigveda  ist  Varuna 
über  diese  ursprüngliche  Naturbedeutung  hoch  hinauf  gehoben, 
in  eine  höhere,  geistigere  Region.  Hier  ist  er  der  hoch  über 
aller  Welt  im  Lichte  thronende  Herr  über  alles  Licht  und 
Leben,  der  allwissende  Vater  aller  Wesen.  Er  hat  die  Welt 
geschaffen  und  geordnet;  nach  seinen  unverbrüchlichen  Satzungen 


1  Wörtlich:  wir  laufen  den  Kühen  nach.  Die  Kühe  Bind  Wer 
gleichbedeutend  mit  Besitz  oder,  nach  moderner  Ausdrucks  weise,  mit 
dem  Gelde.  —  Auch  dieses  Lied  findet  man  in  den  „Siebenzig  Liedern" 
in  gelungener  Uebersetzung. 

r.  Sekrftdtr,  Indiens  LH.  u.  Colt.  4 


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—  50 


wandeln  Sonne  und  Mond;  auf  sein  Geheiss  strömen  die  Ge- 
wässer, und  Niemand  vermag  seinen  Geboten  zu  trotzen.  In 
ein  glänzendes  Gewand  gekleidet  sitzt  er  hoch  oben  in  seiner 
Himmels- Veste  und  schaut  hinab  in  das  Verborgene;  sieht,  was 
da  ist,  was  war  und  was  sein  wird,  umgeben  von  seinen  Spähern, 
die  auf  der  Menschen  Wandel  merken.  Vor  des  Gottes  sittlich 
reiner,  erhabener  Erscheinung  erschauert  der  Mensch  im  Gefühl 
seiner  Sünde  und  fleht  zu  ihm,  dass  er  ihm  gnädig  und  ver- 
gebend, freundlich  wieder  das  Antlitz  zuwenden  möge.  Der 
erhabene  Schwung  dieser  Lieder  erinnert  uns  bisweilen  an  die 
Psalmen  des  Alten  Testamente. 

Lassen  Sie  mich  nun  in  der  Uebersetzung  Ihnen  eine  dor 
zahlreichen  Varunahymnen  vorführen,  in  welcher  mehr  oder 
weniger  diese  verschiedenen  Züge  des  Gottes  hervortreten,  und 
die  Ihnen  auch  mit  der  rührenden  Naivität  ihrer  Bilder  eine 
deutliche  Vorstellung  von  dem  Charakter  der  rJigveda-Poesie 
geben  kann. 

Der  Sänger  fleht  (RV  1,  26)  *: 

1.  Wenn  irgend  wir  nach  Menschenart,  o  Gott  Varuna,  dein  Gebot 
verletzen  Tag  für  Tag; 

2.  So  überantworte  uns  doch  nichc  der  tödtenden  Waffe  des  Zür- 
nenden, nicht  dem  Grimm  des  Wüthenden. 

3.  Zur  Gnade  möchten  wir  deinen  Sinn  durch  Lieder  lösen,  o  Va- 
runa, wie  ein  Wagenlenker  das  geschirrte  Roes. 

4.  Es  fliegen  meine  Wünsche  hin,  das  Heil  zu  suchen,  wie  Vögel 
fliegen  in  ihr  Nest. 

5.  Wann  werden  wir  wohl  ihn,  den  in  der  Herrschaft  strahlenden 
Mann,  den  Varuna  herbeischaffen,  zur  Gnade  ihn,  den  Weithinschauenden? 

7.  '  Er  ist  es,  der  die  Spur  der  Vögel  kennt,  die  durch  den  Luft- 
raum fliegen;  er  kennt  die  Schiffe  als  der  Meerbewohner. 

8.  Er,  dessen  Satzungen  unverbrüchlich  sind,  kennt  die  12  Monate 
sammt  ihrer  Nachkommenschaft;  er  kennt  auch  den,  der  noch  dazu  ge- 
boren wird  (d.  h.  den  Schaltmonat). 

9.  Er  kennt  die  Bahn  des  weiten,  erhabenen,  gewaltigen  Windes; 
er  kennt  auch  die,  welche  darauf  sitzen  (d.  h.  die  Bewohner  der  Wind- 
region). 

10.  Varuna,  dessen  Satzungen  unverbrüchlich  sind,  hat  sich  nieder- 
gesetzt in  seiner  Veste,  um  Herrschaft  zu  üben,  der  Weise. 

11.  Von  dort  aus  schaut  er  alle  Geheimnisse,  der  Einsichtsvolle, 
was  gethan  ist  und  was  noch  gethan  werden  wird. 

12.  Er,*  der  weise  Aditya  (d.  h.  der  Sohn  der  Unendlichkeit)  soll 
uns  auf  jede  Art  gute  Bahn  bereiten;  er  soll  unser  Leben  lange  wahren 
lassen. 


1  Als  Verfasser  dieses  Liedes  wird  Cunafccepa  Ajigarti  angegeben. 

8  Vers  6  ist  von  mir  ausgelassen,  weil  er  nur  fälschlich  in  dies 
Lied  hineingerathen  ist. 


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-    51  — 

13.  Varuna  tragt  einen  goldenen  Mantel  und  hüllt  sich  in  ein 
prächtiges  Gewand;  rings  herum  haben  seine  Späher  sich  niedergesetzt. 

14.  Er,  der  Gott,  dem  die  Schadiger  nicht  zu  schaden  wagen,  noch 
die  Bösen  unter  den  Menschen,  noch  die  Feinde; 

15.  Der  auch  unter  den  Menschen  sich  unvergleichlichen  Ruhm 
bereitet  hat,  und  auch  an  unsern  Leibern.1 

16.  Es  ziehen  meine  Gebete  hin,  wie  Kühe  auf  die  Weide  ziehn, 
suchend  den  Weitbinschauenden. 

17.  Nun  lass  uns  beide  wieder  Z wiesprach  halten,  da  mein  süsser 
Trank  dargebracht  ist  und  du  wie  ein  Priester  die  Uebe  Speise  zu  dir 

18.  Schauen  will  ich  ihn,  den  Allsichtbaren,  schauen  seinen  Wagen 
auf  der  Erde,  diese  meine  Lieder  möge  er  freundlich  annehmen. 

19.  Höre,  o  Varuna,  diese  meine  Anrufung  und  sei  gnadig  heute; 
hülfesuchend  sehne  ich  dich  herbei. 

20.  Du  Weiser  herrschest  über  das  All,  über  den  Himmel  und  die 
Erde;  erhöre  mich  auf  deiner  Bahn.* 

21.  Lose  ab  von  uns  die  oberste  Fessel,  knüpfe  los  die  mittlere 
und  was  zu  untertt  ist,  damit  wir  lebent 

Gott  Varuna  hat  die  Welt  geordnet  und  waltet  in  ihr.  So 
hören  wir  im  tfigveda  (7,  86,  1): 

Von  tiefer  Weisheit  zeugen  seine  Werke!  Er  hat  die  beiden  weiten 
Welten  (d.  h.  Himmel  und  Erde)  gefestigt,  das  erhabene  Firmament  hat 
er  erhöht  und  die  Sterne  und  das  Erdreich  ausgebreitet. 

Und  ferner  (RV  7,  87,  1.  2.  5): 

Varuna  hat  der  Sonne  ihre  Pfade  gebahnt,  er  liess  die  fluthenden 
Gewässer  strömen,  er  schuf  den  Tagen  ihre  weiten  Bahnen. 

Sein  Odem  ist  der  Wind,  der  die  Luft  durchrauscht,  wie  ein  wei- 
dendes Thier,  das  im  Grase  sich  stürmisch  hin  und  her  bewegt;  zwischen 
Himmel  und  Erde,  den  beiden  grossen,  erhabenen,  ist  Alles  nur  dein 
liebes  Reich,  o  Y  am  na ! 

Die  drei  Himmel  sind  in  ihn  hineingesetzt  und  die  drei  Erden,  die 
darunter  liegen;  der  kluge  König  hat  dort  am  Himmel  die  goldene 
Schaukel  (d.  h.  die  Sonne)  geschaffen,  damit  sie  glänze. 

Und  in  einem  anderen  Hymnus  heisst  es  (RV  5,  85,  2 — 4): 

Er  hat  den  Luftraum  mit  Wolken  durchwoben,  er  legte  Kraft  in 
die  Rosse  und  Milch  in  die  Kühe,  in's  Herz  pflanzte  Varuna  den  guten 
Willen,  setzte  die  Sonne  an  den  Himmel  und  den  Sorna  auf  den  Fels. 

Varuna  stürzt  die  Wolkentonne  um  und  lasst  sie  strömen  über  die 
Welten;  da  tränkt  er  die  Erde  wie  der  Regen  die  Feldfrucht,  er  der 
König  aller  Welt 

Er  tränkt  die  Erde  und  den  Himmel;  wenn  Varuna  nach  dem 
Nass  begehrt,  dann  hüllen  sich  die  Berge  in  Wetterwolken  und  es  fühlen 
sich  schwach  die  starken  Helden. 


'  D.  h.  er  hat  für  unsere  Nahrung  gesorgt. 
*  Oder  „beim  Opfer". 

4* 


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Besonders  schön  sind  die  Vanina-Hymnen  des  Vasishtha 
im  siebenten  Buche  des  IJigveda.1  Der  Sänger  rühmt  sich  in 
schwungvoll  begeisterten  Worten,  dass  er  zu  dem  Gk)tte  im 
innigsten  persönlichen  Verhältniss  gestanden,  dass  er  intim  mit 
ihm  verkehrt  habe  wie  ein  Freund  mit  dem  Freunde.  Er  rühmt 
sich  in  erhabener  Vision,  dass  er  einst  den  hehren,  tausend- 
thorigen  Palast  des  Varuna  besucht  habe  und  dass  sein  Anblick 
ihm  wie  strahlendes  Feuer  erschienen  sei.1  Er  rühmt  sich 
dessen,  dass  ihn  Varuna  einst  zu  sich  in  sein  SonnenschifF  ge- 
nommen habe  und  ihn  für  immer  zu  seinem  Sänger  geweiht, 
„so  lang  die  Tage  und  die  Morgenröthen  dauern."  Und  er 
freut  sich  in  prophetischer  Vision  dessen  wie  herrlich  es  sein 
werde,  wenn  er  wieder  einst  mit  Varuna  das  Schiff  besteigen 
dürfe,  wie  sie  dann  in  dem  Luftmeer  dahin  fahren  wollen  und 
sich  prächtig  schaukeln  wie  in  einer  Schaukel.3  Um  so  schmerz- 
licher drückt  es  den  Sänger,  wenn  er  die  alte  Freundschaft 
geschwunden,  wenn  er  sich  von  dem  Gotte  verlassen  sieht:  „Wo 
ist  diese  unsre  alte  Freundschaft  geblieben,  da  wir  doch  harm- 
los sonst  mit  einander  verkehrten?"  so  klagt  er  zweifelnd.4 

Er  fühlt  es,  dass  er  wohl  durch  seine  Sünde  des  Gottes 
Gnade  verscherzt  haben  müsse,  und  hier  tritt  nun  Varuna  mit 
seiner  höchsten«  schönsten  und  erhabensten  Seite  hervor,  als 
der  reine  und  heilige  Gott,  den  die  Sünde  beleidigt  und  der 
sie  ahnden  muss,  zu  dem  sich  darum  aber  auch  das  reuige 
Flehen  des  Menschen  um  Vergebung  der  Schuld  erhebt  und 
das  sehnende  Verlangen  des  Unglücklichen,  der  von  göttlicher 
Strafe  heimgesucht  zu  sein  glaubt. 

So  redet  Vasishtha  zu  dem  Gotte:5 

Ich  spreche  zu  mir  in  meinem  Herzen:  Wann  werde  ich  wohl  in 
Varun.  's  Nähe  dringen?  Wird  er  wohl  meine  Opfergabe  freundlich  an- 
nehmen? Wann  werde  ich  fröhlich  Beine  Onade  schauen? 

Ich  forsche  nach  meiner  Sunde,  o  Varuna,  und  möchte  sie  erfahren, 
ich  gehe  zu  den  Weisen,  um  sie  zu  fragen;  die  Seher  alle  sagten  mir 
das  gleiche  Wort:  Wahrlich,  Varuna  ist  es,  der  dir  zürnet! 

Was  war  das  für  eine  grosse  Schuld,  o  Varuna,  dass  du  den  Sanger, 
deinen  Freund,  verderben  willst?  Verkünde  mir  das,  du  untrüglicher, 
selbstherrlicher;  entsündigt  möchte  ich  von  dir  gehen,  eifrig  dich  ver- 
ehrend. 


•  Von  den  vorhin  angeführton  Versen  (s.  p.  51)  stammen  auch 
mehrere  von  Vasishtha. 

•  RV  7,  88,  2  und  5. 

•  RV  7,  88,  8  und  4. 
«  RV  7,  88,  5. 

•  RV  7,  86,  2-5. 


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—   53  — 

Löse  ab  von  uns  die  Sunden  unsrer  Viter  und  die  wir  selbst  be- 
gangen haben!  Wie  einen  Dieb,  der  sich  an  Heerden  gütlich  thut, 
o  KOnig,  wie  ein  Kalb  vom  Stricke  mach  los  und  ledig  den  Vasishtha  a.  s.  w. 

In  einem  anderen  Liede  (RV  7,  89)  fleht  der  Sänger, 
welcher  von  der  schweren  Krankheit  der  Wassersucht1  heim- 
gesucht ist  und  sich  vor  dem  Tode  fürchtet,  zu  Varuna: 

Ich  will  noch  nicht,  o  König  Varuna,  hinabgehn  in  das  Haus  von 
Erdel    Sei  gnadig,  Herr,  sei  gnadig  mir! 

Wenn  ich  zitternd  umhergehe  wie  ein  aufgeblasener  Schlauch,  

sei  gnadig,  Herr,  sei  gnadig  mlrl 

Wahrlich  ich  habe  mich  vergangen  in  der  Thorheit  meines  Hersens, 
du  Reiner!   Sei  gnadig,  Herr,  sei  gnädig  mir! 

Ich  stehe  mitten  im  Wasser  drin,  und  dennoch  quält  der  Durst 
deinen  Sanger.   Sei  gnädig,  Herr,  sei  gnadig  mir! 

Wenn  wir,  o  Varuna,  nach  Menschenart  die  Himmlischen  verletzen, 
wenn  wir  im  Unverstände  dein  Gebot  übertreten,  dann  strafe  uns  nicht, 
o  Gott,  um  solchen  Frevels  willen  1 

Und  der  Gott  ist  nicht  unerbittlich,  darum  rühmt  ihn  der 
Sänger  und  sagt:  „Du  bist  der  Gott,  der  selbst  über  den  Sünder 
sich  erbarmet." 9 

Dieser  Varuna,  der  Alles  schaffende,  lenkende,  richtende, 
der  strafende  und  vergebende  Gott  ist  eine  so  sittlich  erhabene 
Erscheinung,  wie  sie  ausser  dem  Ahura  Mazda  der  Eranier  kein 
indogermanisches  Volk  hervorgebracht  hat.3 

Neben  Varuna,  ihm  wesensverwandt,  aber  von  geringerer 
Bedeutung,  stehen  seine  sechs  Brüder,  die  lichten  Äditya's, 
d.  h.  Söhne  der  Aditi  oder  der  Unendlichkeit  Der  vornehmste 
unter  ihnen  ist  Mitra,  ursprünglich  wohl  ein  Sonnengott,  der 
im  Rigveda  vielfach  dualisch  eng  verbunden  mit  Varuna  an- 
gerufen und  gepriesen  wird  Dass  wir  denselben  Gott  auch 
bei  den  Persern  vorfinden,  ist  schon  früher  erwähnt  worden. 
Ein  anderer  von  den  Äditya's  ist  Bhaga,  der  auch  im  Avesta 
als  Bagha  erscheint  und  der  für  uns  insofern  von  besonderem 
Interesse  ist,  als  wir  diesen  Namen  bei  den  Slaven  als  Bezeich- 
nung Gottes  bis  in  die  neueste  Zeit  in  der  Form  6on  wieder- 
finden. Die  anderen  Äditya's,  Aryaman,  Daksha  und  Amca, 
sind  uns  von  geringerer  Bedeutung;  von  dem  sechsten  dieser 
Brüder  des  Varuna  lasst  sich  aus  den  Texten  nicht  einmal  der 
Name  sicher  feststellen. 


1  Diese  Krankheit  speciell  pflegte  als  Strafe  von  Gott  Varuna's 
Hand  aufgefasst  zu  werden. 
■  RV  7,  87,  7. 

3  Eine  Monographie  über  Varuna  verdanken  wir  Alfred  Hille- 
brandt. Varnna  and  Mitra,  Breslau  1877. 


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-    54  - 


Im  Ganzen  treten  diese  Äditya's  neben  Varuna  nur  wenig 
als  selbständige  Personen  hervor.  Sie  sind  mehr  oder  weniger 
nur  Entfaltungen  einer  Idee,  nämlich  des  Varuna,  und  nur  in 
Gemeinschaft  wirksam.  Die  Namen  Mitra  und  Aryaman  deuten 
auf  Freundschaft  und  Vertrautheit;  Bhaga  heisst  der  Gütige. 
Daksha  der  Geschickte,  Kluge  (de^os,  dexter),  Amca  der  Zu- 
theilende,  der  Spender.  Der  oberste  Gott  hat  gleichsam  einen 
hohen  Rath  befreundeter,  wesensgleicher  Götter  um  sich, 
welche  eigentlich  nur  Ausflüsse  ein  und  derselben  göttlichen 
Person  sind. 


Die  ganze  Welt  der  Götter,  welche  unter  Varuna's 
Lichtregion  in  den  verschiedenen  Gebieten  der  Natur  walten, 
zerfällt  in  drei  Hauptgruppen: 

1)  die  Götter  der  sichtbaren  himmlischen  Lichterschei- 
nungen, der  Sonne,  der  Morgenröthe  u.  &  w. 

2)  die  Götter  des  Luftraumes,  der  Luft  und  der  Wind- 
region. 

3)  die  Götter,  welche  auf  der  Erde  ihren  Sitz  haben. 

Unter  den  Göttern  der  himmlischen  Lichterschei- 
nungen sind  zuerst  die  beiden  Agvinen,  die  „mit  Rossen 
Versehenen"  oder  „die  Ritter"  zu  nennen,  welche  als  die  Ersten 
am  Morgenhimmel  erscheinen  und  das  Tageslicht  heraufgeleiten. 
Die  Zeit,  wo  Licht  und  Dunkel  noch  ringen  und  das  Licht 
allmählich  siegt,  die  Morgendämmerung  ist  nach  der  indischen 
Theologie  ihre  Zeit.  Die  Acvinen  sind  ein  Zwillingspaar  von 
Rosselenkern,  in  goldenen  Wagen  erscheinend,  von  geflügelten 
Rossen,  Adlern  oder  Falken  gezogen.  Ihre  Naturbedeutung  ist 
nicht  ganz  sicher  festzustellen.  Gegen  die  Deutung  auf  die 
ersten  Lichtstrahlen  spricht  der  Umstand,  dasB  sie  als  ein  Paar 
auftreten,  wofür  der  Grund  dabei  ganz  unverständlich  bliebe. 
Ebenso  wenig  befriedigt  aber  die  Deutung  auf  Morgenstern  und 
Abendstern,  da  sie  doch  zusammen  erscheinen.  Im  Uebrigen 
ist  aber  der  Charakter  der  Acvinen  sehr  klar  und  deutlich. 
Es  sind  gütige,  rettende  und  helfende  Götter,  von  denen  schon 
im  Veda  viel  ruhmeswürdige  Thaten  erzählt  und  gepriesen,  oft 
auch-  nur  angedeutet  und  als  bekannt  vorausgesetzt  werden. 
Die  beiden  ewig  in  jugendlicher  Schönheit  strahlenden  Helden, 
mit  Wunderkraft  und  Weisheit  begabt,  sind  auch  die  Aerzte 
der  Götter.  Sie  heilen  Blinde  und  Lahme,  sie  helfen  den 
Elenden.  Greise,  wie  den  Seher  Kali  und  den  alten  Cyavana, 
sollen  die  Acvinen  wieder  verjüngt  haben,  dem  Vimada  verhalfen 


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—   55  — 

sie  zu  einer  schmucken  Maid,  der  alternden  Ghosha  zu  einem 
Gatten.  Den  Vandana  befreien  sie  aus  einer  Falle  und  setzen 
der  lahmen  Vigpala  in  der  Schlacht  ein  ehernes  Bein  an,  so 
dass  sie  wieder  gehen  kann;  dem  weisen  Atri,  der  sammt  Beinen 
Mannen  durch  seiner  Feinde  List  in  einen  heissen  Schlund  ge- 
rathen  war,  bringen  sie  Kühlung  und  retten  ihn  daraus.  Ins- 
besondere aber  wird  ihnen  auch  Rettung  aus  Wassersnöthen 
nachgerühmt.  Die  gefeiertste  That  der  Acvinen  ist  die  Rettung 
des  von  seinem  Vater  Tugra  im  Stiche  gelassenen  Bhujyu  aus 
den  Wasserwogen.  Auf  sein  Hiilfeflehen  nahen  die  Acvinen  auf 
ihrem  Wagen  mit  den  von  selbst  sich  schirrenden  Flügelrossen 
und  retten  den  Bedrängten. 

Die  vergleichende  Mythologie  hat  es  lange  erkannt,  dass 
dies  hülfreiche  lichte  Brüderpaar  von  Göttern  in  die  indoger- 
manische Urzeit  zurückreicht  und  dass  sie  speciell  mit  den 
griechischen  Dioskuren  ursprünglich  identisch  sind.  Auch  diese, 
auch  Kastor  und  Polluz  sind  ein  Zwillingspaar  jugendlich  schöner 
Helden;  sie  werden  in  der  griechischen  Kunst  mit  Rossen  ab- 
gebildet, was  uns  deutlich  an  den  Namen  der  Acvin  erinnert; 
sie  sind  vor  allen  Dingen  &sol  owtrjQeQ,  wie  auch  die  Acvinen. 
Zu  Boss  und  Wagen  nahen  sie,  ihre  Freunde  zu  retten,  sie  er- 
scheinen dem  vom  Sturme  bedrängten  Schiffe  und  zeigen  ihre 
Ankunft  durch  Licht  am  Mäste  an.  Insbesondere  in  Wassors- 
noth  werden  die  Dioskuren  angerufen,  und  das  weist  uns 
deutlich  auf  die  am  meisten  gepriesene  That  der  Acvinen  hin. 

Den  Acvinen  folgt  am  Morgenhiinmel  die  schönste  und 
reizvollste  Gottheit  des  Lichtes,  die  Morgenröthe.  Der  indische 
Name  für  diese  Göttin,  Uahas,  ist  mit  dem  griechischen  jJcos, 
dem  lat  aurora  (aus  ausosa)  zusammenzustellen,  in  entfernterer 
Weise  auch  mit  slavischem  ympo  und  dem  deutschen  Ostara, 
Osten.  Auch  bei  Griechen  und  Römern  ist  die  Morgenröthe 
eine  Gottheit,  aber  ein  eigentlicher  Cultus  derselben  hat  sich 
dort  nicht  ausgebildet. 

Die  Morgenröthe  wird  eine  Schwester  der  Nacht  genannt 
und  willig  räumt  die  dunkle  der  strahlenden  Schwester  den 
Platz.  Sie  heisst  Tochter  des  Himmels,  auch  der  Sonne;  viel 
schöne  Hymnen  sind  an  sie  gerichtet,  aber  ein  ausgeprägter 
Mythus  ist  eigentlich  nicht  vorhanden.  Hervorgehoben  wird  die 
unverbrüchliche  Regelmässigkeit,  mit  der  die  Morgenröthen 
immer  wieder  erscheinen.  Zugleich  wird  der  Mensch  beim  An- 
blick dieser  immer  wiederkehrenden  Morgenröthen  an  die  Ver- 
gänglichkeit des  eigenen  Lebens  erinnert,  und  so  sagt  er,  dass 
üshas  die  Menschen  altern  macht,  dass  „sie  die  Geschlechter 


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—    56  — 

der  Menseben  hinschwinden  lässt,  während  sie  die  gottlichen 
Ordnungen  aufrecht  erhält"  (RV  1,  124,  2).  Strahlend  er- 
scheint sie  des  Morgens,  eine  Erweckerin  des  Lebens  (RV  1,  48): 

Leuchte  auf  —  ruft  ihr  der  Sauger  zu  —  Morgenröthe,  du  Tochter 
des  Himmele,  mit  schönem  Gut,  mit  hehrem  Glaus,  du  Strahlende,  mit 
Reichthum,  du  gabenreiche  Göttin l  (1)  Lau  Lobgesange  sich  bei  mir 
erheben  und  sporne  an  die  Freigebigkeit  der  Opferherren  (2).  Kanva, 
der  beste  der  Kauviden,  preist  hier  deinen  Namen  unter  den  Mannern.  (4) 
Wahrlich  wie  ein  holdes  Weib  naht  sich  die  Morgenröthe,  die  erfreuende; 
sie  wandelt  dahin  und  weckt  Alles,  was  Füsse  hat,  und  macht,  dass  die 

Vögel  auffliegen  (5).  Sie  entsendet  die  Geschäftigen  zum  Verkehr,  

nicht  bleiben  die  geflügelten  Vögel  sitzen  bei  deinem  Aufleuchten,  du 
rossereiche!  (6)  Sie  hat  ihre  Rosse  geschirrt,  aus  der  Ferne,  vom  Auf- 
gang der  Sonne  her,  mit  hundert  Wagen  wandelt  dort  die  herrliche 
Morgenröthe  au  den  Menseben  hin  (7).  Alles  Lebendige  beugt  sich  Tor 
ihrem  Anblick,  Licht  bereitet  die  Wonnige!  Mit  ihrem  Glänze  soll  die 
gabenreiche  Tochter  des  Himmels  fortscheuchen  die  Anfeindung,  fort  die 
Gegner  (8).  Strahle  her,  o  üshas,  mit  hellem  Glanz,  du  Tochter  des 
Himmels,  herfahrend  reiches  Glück  für  uub,  wenn  du  aufleuchtest  beim 
Opferfest  {$).  Denn  alles  Athmen,  alles  Leben  ruht  in  dir,  wenn  da 
aufleuchtest,  Wonnige!  Auf  deinem  hehren  Wagen,  du  Glanzende,  höre 
unsren  Ruf,  die  du  strahlende  Gaben  besitzest  (10).  Fahre  die  Götter 
alle  herbei  aus  dem  Luftraum  zum  Somatrunk,  o  Morgenröthe!  Du  sollst 
uns  rinder-  und  rossereichen,  preiswurdigen,  heldenhaften  Besitz  spenden, 
o  Morgenröthe!  (12)  Wenn  dich  auch  früher  schon  die  alten  Weisen 
zur  Labung  herbeigerufen  haben,  so  nimm  doch  jetzt  auch  unsre  Lob- 
gesange sammt  der  Spende  freundlich  an,  o  Ushas,  mit  hellem  Glanz !  (14) 
Wenn  du,  o  Ushas,  jetzt  des  Himmels  Thore  mit  Glanz  öffnest,  so  ver- 
leih' uns  sichern,  weitreichenden  Schutz  und  Labungen,  die  reich  mit 
Kühen  versehen  sind  (15).  Mit  hehrem,  allgeschmücktem  Reichthum  und 
Labungen  beschenke  uns,  mit  auslegendem  Glanz,  du  erhabene  Morgen- 
röthe, mit  Beute,  o  du  rossereiche!  (16) 

Verhält  sich  dieser  Hymnus  mehr  anrufend  und  bittend, 
so  Bind  andere  mehr  schildernd,  z.  B.  das  Lied  RV  1, 124,  welches 
man  in  den  „Siebenzig  Liedern**  übersetzt  findet 

Schliesslich  sei  noch  bemerkt,  dass  auch  die  Schwester  der 
Morgenröthe,  die  Nacht,  die  sterngeschmückte,  die  Ruhe- 
bringerin,  in  einem  schönen,  stimmungsvollen  Liede  des  Rigveda 
gefeiert  wird.1 


1  RV  10, 127;  vortrefflich  übersetzt  in  den  „8iebenzig  Liedern" 
p.  188.  189. 


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Fünfte  Vorlesung. 


Die  Götterwelt  des  Rigveda  (Fortsetzung).  Gotter  der  himmlischen  Licht- 
sncheinungen :  Sftrya,  Savitar,  Püshan,  Mitra,  Yishnu.  Die  Götter  des 
Luftraums:  Indra,  der  Gewittergott,  der  Damonentödter  und  Helfer  in 
den  Schlachten;  sein  Charakter  und  sein  Cultus;  Rangstreit  des  Indra 
und  Varuna.   Vayu,  Vata,  die  Maruts,  Rudra,  Parjanya,  die  RibhuV 


Den  Mittelpunkt  der  himmlischen  Lichterscheinungen  bildet 
natürlich  die  Sonne  selbst,  die  unter  verschiedenen  Namen 
und  Gestalten  im  Rigveda  verherrlicht  wird. 

Surya,*  die  Sonne,  personificirt  „der  Sonnengott'*,  folgt 
der  Spur  der  strahlenden  Morgenröthe  wie  ein  Jüngling  der 
Spur  des  Mädchens,  erhebt  sich  mit  seinen  lichten  Sonnen- 
rossen am  Rande  des  Himmels;  vorgebeugt  klimmen  sie  empor 
zur  Himmelshöhe  und  durchmessen  in  einem  Tage  den  Welt- 

Ein  anderer  und  häufiger  angerufener,  etwas  mehr  perr 
wnlich  hervortretender  Sonnengott  ist  Savitar,  der  Beieber 
oder  Erwecker,'  der  mit  seinen  goldenen  Armen,  den  Sonnen- 
strahlen, am  Himmel  aufsteigt  und  Alles  was  lebt  und  sich  regt 
in  Bewegung  setzt.  Er  ist  es,  der  dann  auch  des  Abends  Alles 
wieder  zur  Ruhe  bringt,  und  so  erscheint  er  dann  in  doppelter 
Wirksamkeit,  als  Lenker  und  Herr  des  Tages  wie  der  Nacht. 
Darum  wird  er  nicht  nur  in  seiner  strahlenden  Erscheinung 
bei  Tage  verherrlicht,  sondern  auch  angefleht,  bei  Nacht  die 
bösen  Träume  fern  zu  halten.  An  Gott  Savitar  sind  jene  Verse 
gerichtet,  die  seit  Uralten  bis  auf  den  heutigen  Tag  jeder 
Brahmane  tagtäglich  zum  Himmel  emporsenden  muss,  die  hoch- 
heilige sogenannte  Gayatri  oder  Savitrl.  Wenn  er  sich  erhebt, 


1  Das  Wort  surya  kommt  von  der  Wurzel  Sur  oder  avar,  und  ent- 
ipricht  dem  griech.  fjkios,  lat.  sol  und  gothischem  sauil. 

•  Von  der  Wurzel  8n  in  Bewegung  setzen,  beleben,  erwecken. 


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-    58  - 

in  der  frühesten  Morgendämmerung,  ehe  noch  die  Sonne  am 

Horizont  erscheint,  muss  er  dies  Gebet  sprechen  (RV  3,  62,  lO): 

tat  satitar  T&reny&m 
bhargo  derasya  dhlm&hi, 
dhiyo  yo  nah  pracodayat 

• 

„Den  herrlichen  Glanz  Gott  Savitar's  mögen  wir  erlangen!  Er  aoll 
unsre  Andacht  fördern!" 

So  ist  Savitar  seit  der  Zeit  des  Rigveda  bis  in  unsere  Tage 
ein  viel  angerufener  Gott 

Ganz  andersartig  ut  die  Gestalt  eines  anderen  Gottes,  den 
wir  ebenfalls  deutlich  als  Sonnengott  erkennen,  nämlich  des 
Püshan,  der  als  ein  Hirt  vorgestellt  wird,  mit  dem  Ochsen- 
stachel bewaffnet  oben  am  Himmel  wandelt  and  vor  Allem  den 
Heerden  Wachsthum  und  Gedeihen  spendet  Er  ist  so  recht 
ein  Gott,  wie  er  zu  dem  Hirtenvolk  der  alten  Arier  passt  Er 
wird  auch  als  der  Geleitsmann  auf  Wegen  und  Strassen,  als 
„Wegesherr*  verehrt  und  angerufen.  Vor  Allem  aber  soll  er 
dem  Vieb,  den  Rindern  und  Rossen  der  Opferer  und  Sänger 
nachgeben  und  sie  behüten,  dass  keins  sich  verliert,  keins  sich 
verletzt  und  keins  in  eine  Grube  fällt;  unversehrt  soll  er  sie 
alle  wieder  herbeibringen.1  Wahrscheinlich  weil  die  Ziege  von 
allem  Vieb  am  kühnsten  klettert,  ist  dem  Gott  auf  seiner 
schwindelnden  Höhe  ein  Ziegenpaar  verliehen,  das  seinen 
Wagen  zieht 

Aucb  der  als  einer  der  Äditya's  schon  früher  besprochene 
Mitra  ist  ursprünglich  ein  Sonnengott. 

Ein  Sonnengott  ist  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auch 
Vishnu,  der  Geschäftige  oder  Wirksame,  dessen  Gestalt  im 
Rigveda  nur  wenig  hervortritt,  der  aber  berufen  war,  in  spaterer 
Zeit  zu  dem  Range  eines  obersten  Gottes  emporzusteigen.  Aus 
dem  vedischen  Pantheon  könnte  er  herausgenommen  werden, 
ohne  dass  die  Lücke  merkbar  würde.  Es  wird  im  Rigveda  von 
ihm  hauptsächlich  das  Eine  berichtet,  dass  er  mit  drei  Schritten 
den  ganzen  Lichtraum  durchmisst;  Aufgang,  Höhepunkt  und 
Niedergang  des  Lichtes  sind  seine  drei  Fussstapfen,  schon  nach 
den  indischen  Commen tatoren.  Auch  erscheint  er  als  thätiger 
Freund  des  Indra.  An  diesem  bescheidenen  Gotte  bewährt 
sich  das  Wort,  dass  die  Letzten  die  Ersten  werden  sollen. 
Denn  er  ist  es,  der  später  als  Erhalter  der  Welt  gefeiert,  für 
die  Weltseele  selbst  erklärt  wird,  die  in  wiederholter  irdischer 
Verkörperung  der  Welt  und  den  Menschen  Heil  gebracht  hat 


1  S.  RV  6,  54,  5—7. 


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—  59 


Er  ist  es,  dessen  Cult  sich  in  späteren  Jahrhunderten  halb 
Indien  vornehmlich  weihte,  und  bis  zum  heutigen  Tage  wird  er 
dort  in  unzähligen  prächtigen  Tempeln  verehrt. 


Wir  kommen  nun  nach  den  Göttern  des  Lichtes  zu  den 
Göttern  des  Luftraumes,  der  Region  der  Winde  und 
Wolken. 

Der  Gewaltigste  unter  ihnen,  alle  anderen  weit  überragend, 
ist  Indra,  ein  starker  und  streitbarer  Gott,  dessen  Erscheinung 
uns  in  kräftigen,  ja  bisweilen  derben  und  ungeschlachten  Zügen 
im  IJigveda  vorgeführt  wird;  ein  Gott,  so  recht  nach  dem 
Herzen  des  kriegerischen  Inders  im  vedischen  Zeitalter.  Wahr- 
scheinlich existirte  Indra  schon  in  der  indopersischen  Periode; 
das  können  wir  aus  seiner,  wenn  auch  vereinzelten,  Erwähnung 
im  A vesta  vermuthen,  wo  ein  böser  Dämon  Ifidra  oder  Afidra 
erscheint.  Jedenfalls  aber  ist  er  erst  bei  den  Indern,  im  Zeit- 
alter des  Rigveda,  zu  wirklicher  Bedeutung  gelangt  In  dieser 
Zeit  drängt  sich  die  mächtige  Gestalt  Indra's  immer  mehr  in 
den^  Vordergrund,  eine  grosse  Menge  Hymnen  sind  an  ihn  ge- 
richtet, preisen  seine  Thaten,  rühmen  seine  Stärke,  bitten  ihn 
um  Hülfe  im  Kampfe  und  rufen  ihn  herbei  zum  Soma-Trinken. 
Man  sieht  es  deutlich,  wie  er  mehr  und  mehr  der  Liebling, 
der  eigentlich  nationale  Gott  der  Inder  wird,  der  zuletzt 
sogar  die  erhabene  Gestalt  Varuna's  in  den  Hintergrund  drängt 
Zur  Zeit  des  Rigveda  steht  Varuna  noch  hoch  und  gefeiert  da, 
aber  schon  merkt  man  es  deutlich,  dass  das  Herz  des  Volkes 
sich  dem  streitbaren  Indra  zuwendet  und  dass  die  bis  dahin 
unbestrittene  Herrschaft  des  alten  Himmelsgottes  gegen  das 
Ende  der  Rigveda-Periode  gefährdet  ist. 

Indra  ist  vor  Allem  der  Gott  des  Gewitters,  der  seinen 
Donnerkeil  gegen  die  bösen  Dämonen  schleudert,  welche  die 
befruchtenden  Wasser  der  Wolken  gefangen  halten.  Er  tödtet 
Vritra,  den  „Umhüller"  oder  „Einschliesser",  den  bösen  Wolken- 
dämon, zerspaltet  den  Wolkenfels,1  der  die  Wasser  einschloss, 
und  lässt  den  Regen  zur  Erde  strömen.  Der  Wolkendämon, 
den  er  tödtet,  wird  auch  Ahi  „die  Schlange"  oder  der  Drache 
genannt  der  die  Fluth  umlagerte;  ahi  ist  das  lateinische  Wort 
anguis,  griechisches  fy/s  (t#oVa),  zendisches  azhi,  und  der 
Drachentödter  Indra  ist  von  der  vergleichenden  Mythologie  mit 
dem  gernianischen  Siegfried,  dem  griechischen  Achilleus  zu- 
sammengebracht  Auch  andere  böse  Dämonen  werden  genannt, 

1  Die  Wolke  wird  als  ein  Wasser  bergender  Fels  aufgefasst. 


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—    60  — 

die  er  tödtet,  so  Vala,  Dänu,  Danava,  Qambara,  (Jushna, 
Kuyava  u.  a.,1  alles  Gestalten  ähnlichen  Charakters,  Dämonen 
der  Dürre  und  des  Misswachses.  Er  sucht  sie  in  ihren  Schlupf- 
winkeln auf,  er  entreisst  ihnen  die  Beute,  die  sie  geborgen;  er 
zerschmettert  sie  und  befreit  die  Kühe,  d.  h.  die  Wolken  wasser, 
die  sie  geraubt  Andere  stürzt  er  hinab,  wie  sie  den  Himmel 
erklimmen  und  stürmen  wollen,1  und  ▼errichtet  noch  viele  andere 
Heldenthaten. 

Selbst  alle  Götter  können  gegen  ihn  nicht  aufkommen: 

Eb  ist  kein  höherer  als  da, 

Kein  stärkerer,  da  Vritrsfeind, 

Ja  keiner  kommt  auch  nor  dir  gleich. 

Und  alt  die  Götter  alle  dich 
Ergrimmt  bekämpft,  den  einzigen, 
Schlugst,  Indra,  deine  Gegner  du.* 

Aber  in  der  Regel  ist  er  nicht  ein  Bekämpfer,  sondern  ein 

Beschirmer  der  Götter.   So  heisst  es  RV  4,  19: 

Fürwahr,  dich,  du  donnerkeiltragender  Indra,  erwählen  alle  Götter 
hier,  die  trefflich  anzurufenden  Helfer,  dich  den  gewaltigen,  grossen, 
erhabenen,  erwählen  Erd  und  Himmel  als  den  Einzigen  zur  Tödtung  des 
Vritra,  (1) 

Die  Götter  hatten  abgedankt  wie  Greise,  da  wurdest  da,  o  Indra, 
Herrscher  auf  dem  rechten  Thron;  da  tödtetest  den  Drachen,  der  die 
Fluth  umlagerte,  alltr&nkeude  Bahnen  hast  du  gebahnt  (2) 

Mit  Macht  erschütterte  Indra  den  Erdboden,  wie  der  Wind  das 
Wasser  mit  Gewalt;  das  Fette  riss  er  nieder,  seine  Kraft  aufbietend,  er 
schlug  herab  der  Berge  Gipfel.  (4) 

Nachdem  er  den  Vritra  getödtet,  liess  er  die  8tröme  rinnen;  die 
rings  umstellten,  eingeengten  Bache  bohrte  Indra  los,  dass  sie  zur  Erde 
strömen.  (8)  u.  s.  w. 

Diese  Heldenthat  des  Indra  gegen  den  Wolkendämon 
Vritra  wird  so  oft  gepriesen,  dafes  es  für  uns  schon  ermüdend 
ist  Indessen  mnss  man  dabei  wohl  berücksichtigen,  dass  die 
Inder  unter  anderen  klimatischen  Verhältnissen  lebten  wie  wir 
und  dass  Gewitter  und  Regengüsse  bei  ihnen  eine  ganz  andere, 
weit  grössere  Rolle  spielten  als  bei  uns. 

Vor  Indra's  Hauche  zittern  beide  Welten/  er  hat  die 
wankende  Erde  und  die  Berge  festgestellt,  er  durchmass  den 
Luftraum,  er  stützte  den  Himmel,6  er  zeugt  das  Feuer  zwischen 


1  So  auch  Pipru,  Arbuda,  Varcin. 

*  Z.  B.  Rauhma,  et  RV  2,  12,  12. 

»  RV  80,  1  und  6;  nach  den  „8iebenzig  Liedern",  p.  72. 

*  RV  2,  12,  1. 
5  RV  2,  12,  2. 


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Himmel  und  Erde,1  er  ist  es,  der  die  Sonne  und  die  Morgen- 
röthe  geschaffen,  der  die  Wasser  lenkt,  unter  dessen  Befehl 
Rosse  und  Rinder,  Heerschaaren  und  Wagen  stehen;'  ihn  rufen 
beide  Heere  an,  die  sich  kämpf  gerüstet  feindlich  gegenüber 
stehn,  ihn  rufen  die  Kampfer  in  der  Schlacht  um  Hülfe  an, 
denn  ohne  ihn,  den  starken  Gott,  der  selbst  das  Unbewegliche 
erschüttert,  können  die  Völker  niemals  siegen.8  Den  Freyler 
trifft  er,  ehe  er  es  ahnt,  mit  seinem  Speere,  dem  Trotzigen 
giebt  er  nimmer  nach,  er  zerschmettert  den  Bösen.4 

Vor  ihm  veraeigen  Himmel  sich  und  Erde, 
Vor  seinem  Hauche  beben  die  Gebirge; 
Den  man  beim  Somatranke  sieht,  die  Keule 
In  seiner  Faust,  —  da«  ist,  ihr  Völker,  Indral6 

Und  doch  giebt  es  Zweifler,  die  an  den  gewaltigen  Gott 
nicht  glauben  wollen,  die  da  fragen:  wo  ist  er?  und  sprechen: 
er  ist  ja  gar  nicht  vorhanden!  Aber  Indra  vernichtet  des 
Böeen  Besitz,  als  wäre  es  nichts,  —  darum  glaubet  an  ihn, 
so  mahnt  der  Sänger. 

Von  besonderer  Bedeutung  ist  Indra  als  Helfer  der  Helden 
in  der  Schlacht,  in  welcher  Eigenschaft  ihn  viele  Lieder  preisen. 

Und  eines  solchen  streitbaren  göttlichen  Beistandes  be- 
durften die  Inder  jener  Tage  wohl.  Mussten  sie  doch  von 
Kampf  zu  Kampf  schreiten,  wenn  sie  den  dunkelfarbigen  Ur- 
einwohnern das  Land  Stück  um  Stück  abgewannen,  und  dass 
es  auch  an  Kämpfen  der  einzelnen  arischen  Stämme  unter  ein- 
ander nicht  fehlte,  lehren  uns  die  Lieder  des  Veda  selbst  deut- 
lich genug;  das  Volk  war  ja  noch  nicht  zu  völliger  Seßhaftig- 
keit gelangt,  und  territoriale  Verschiebungen  und  Aenderungen 
mussten  immerwährende  Reibungen  hervorrufen  und  damit  An- 
la&s  zu  Kämpfen  geben.  Indra,  der  unbesiegbare  Held,  ward 
der  Liebling  des  um  seine  neuen  Wohnsitze  kämpfenden  Volkes. 

„Funfzigtausend  Schwarze  warfst  du  nieder  und  haBt  ihre  Burgen 
zerschmettert",  —  so  rühmt  der  Sanger*;  und  ein  anderer  ruft: 

„Welcher  Sterbliche  wagt  es,  den  anzugreifen,  der  dich  besitzt, 
o  Indra?  Wer  an  dich  glaubt,  du  gabenreicher,  gewinnt  die  Beute  am 
Ende  der  Schlacht."7 

Jeder  Sänger  und  Opferer  müht  sich,  den  Gott  zu  seinem 
Opfer  herbeizuziehen,  damit  er  den  Seinen  helfe  und  nicht  den 
Gegnern.   In  zahlreichen  Liedern  laden  sie  den  Indra,  oft  mit 


>  RV  2,  19,  4.  ■  RV  2,  12,  7.  9  RV  2,  12,  8.  9.  4  RV  2, 
12,  10.  •  RV  2,  12,  13  in  der  üebersetzung  der  „8iebenzig  Lieder". 
•  RV  4,  16,  18.      •  RV  7,  32,  14. 


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stürmischem  Drängen,  ein,  zum  Trinken  des  Sorna  herbei  zu 
kommen.  Der  Sorna  ist  ein  berauschender  Trank,  aus  dem 
Salt  einer  bestimmten  Pflanze  bereitet,  deren  fleischige  Stengel 
mit  Steinen  zerschlagen  und  gepresst  wurden.  Die  dazu  ge- 
brauchte Pflanze  ist  wahrscheinlich  zu  verschiedenen  Zeiten 
eine  verschiedene  gewesen  und  heutzutage  wohl  eine  andere  als 
damals,  wo  die  Inder  noch  in  anderen  Gegenden  lebten.  Gegen- 
wärtig ist  es  Sarcostemma  acidum  oder  Asclepias  acida.  Der 
Trank  musste  gähren  und  wurde  dann  entweder  rein  oder  mit 
Milch  und  anderen  Zuthaten  gemischt  dargebracht. 

Wenn  der  Soma-Trunk  für  den  Gott  bereit  gestellt  ist, 
dann  fleht  der  Sänger  etwa  folgendermassen  (RV  3,  42)1: 

1.  Komm  her  zu  unsrem  gekelterten  Trank.,  zum  Sorna,  o  Indra, 
der  mit  Milch  gemischt  ist,  mit  deinen  beiden  Falben!1 

2.  Komm  her,  o  Indra,  zu  diesem  Rauschtrank,  der  auf  der  Opfer- 
streu  steht  und  mit  Steinen  gekeltert  ist;  willst  du  dich  nicht  an  ihm 
ergötzen? 

3.  Zum  Indra  gehn  meine  Lieder  hin,  von  hier  entsandt,  um  ihn 
herbeizuschaffen  zum  Somatrunk. 

4.  Den  Indra  rufen  wir  zum  Trinken  des  Sorna  mit  Lobgesangen 
hier  und  Liedern.   Ob  er  wohl  kommen  wird? 

5.  0  Indra,  hier  sind  die  gekelterten  Somatranke,  nimm  sie  in  dich 
auf,  du  hundertfach  kraftiger,  rossereicher! 

6.  Wir  kennen  dich  ja  als  den  Beutegewinner,  der  kühn  ist  in  den 
Schlachten,  du  woiser!   Nun  bitten  wir  um  deine  Gunst  1 

7.  Trink,  Indra,  diesen  gekelterten  Trank,  der  mit  Milch  und  Gerste 
gemischt  ist,  herankommend  mit  deinen  Hengsten. 

8.  An  gewohnter  Stätte  lasse  ich  dir,  o  Indra,  den' Sorna  zum 
Trünke  strömen;  gern  weile  er  in  deinem  Innern! 

9.  Zum  Trinken  des  Sorna  rufen  wir  dich,  o  Indra,  den  Alten,  wir 
8öhne  des  Kucika,  Hülfe  begehrend. 

Und  die  Sänger  rühmen  sich,  dass  der  Sorna  trank  den 
Indra  begeistert  und  stark  macht,  so  dass  er  dann  erst  die 
rechte  Kraft  erlangt,  die  bösen  Dämonen  niederzukämpfen. 
Für  solchen  Dienst  beanspruchen  sie  dann  auch  in  naiver 
Weise  eine  Gegenleistung,  Hülfe  und  Förderung  von  Seiten  des 
Gottes.  Das  Keltern  des  Sorna  und  die  Einladung  des  Indra, 
zum  Trankopfer  zu  kommen,  wiederholt  sich  so  viel,  dass  wir 
recht  deutlich  sehen,  welche  Rolle  dieser  Cult  des  streitbaren 
trunkliebenden  Indra  zur  Zeit  des  Rigveda  bei  den  Indern 
spielte. 

Es  ist  ein  derbes  sinnliches  Bild,  wenn  der  nervige  Gott 
mit  der  Keule  bewaffnet  zum  Opfer  herangefahren  kommt,  am 


Das  Lied  ist  dem  Vicvamitra  zugeschrieben. 

Indra  fahrt  auf  einem  Wagen,  der  von  falben  Rossen  gezogen  wird. 


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Somatrank  sich  berauscht,  von  dem  er  gewaltige  Massen  hinab- 
giessen  kann,  wie  die  Sänger  mit  Behagen  ausmalen,  und  dann 
in  den  Kampf  gegen  die  bösen  Dämonen  stürzt.  Diese  derb- 
sinnliche Zeichnung  geht  so  weit,  dass  wir  sogar  ein  Lied  vor- 
finden, welches  ein  Selbstgespräch  des  betrunkenen  Indra  enthält, 
der  taumelnd  kaum  weiss,  was  er  sieht  und  thut,  mit  seiner 
Grösse  renommirt  und  im  Refrain  der  Verse  immer  wiederholt: 
Hab  ich  wohl  etwa  Sorna  getrunken? 

RV  10,  119: 

Wie  ist  mir  eigentlich  zu  8inn?  8oll  ich  erbeuten  Rind  und  Boss? 
Hab  ich  wohl  etwa  Sorna  getrunken?  (1) 

Wie  schüttelnde  Winde  so  haben  die  Tranke  mich  aufgerüttelt. 
Hab  ich  wohl  etwa  Sorna  getrunken?  (2) 

Die  Menflchenstamme  alle  fünf  scheinen  mir  kaum  ein  Sonnen- 
s taubchen  gross!    Hab  ich  wohl  etwa  Sorna  getrunken?  (6) 

Die  Welten  alle  beide  sind  nicht  meiner  einen  Hälfte  gleich!  Hab 
ich  wohl  etwa  Sorna  getrunken?  (7) 

Den  Himmel  überrage  ich  weit  und  diese  grosse  Erde!  Hab  ich 
wohl  etwa  Sorna  getrunken?  (8) 

Ha,  soll  ich  die  Erde  wohl  hierhin  setzen  oder  auch  dorthin?  Hab 
ich  wohl  etwa  etc.  (9) 

8chnell  will  ich  die  Erde  zerschmettern,  hier  oder  da!  Hab  ich 
wohl  etc.  (10) 

Im  Himmel  ist  meine  eine  Hälfte,  die  andre  schlepp  ich  unten! 
Hab  ich  wohl  etc.  (11) 

Machtig  gross  bin  ich,  hinaufgestreckt  zur  Wolkenhöhe!  Hab  ich 
wohl  etc  (12) 

Nun  geh  ich  nach  Hause  wohl  versehen  und  bring  den  Göttern 
Opfer  mit!   Hab  ich  wohl  etc.  (13) 

Dies  wird  geniigen,  um  Ihnen  von  der  Derbheit  und  Sinn- 
lichkeit der  Erscheinung  Indra's  eine  Vorstellung  zu  geben, 
und  es  ist  wohl  verständlich,  dass  die  einer  geistigeren  Religion 
zustrebenden  zendischen  Arier  von  einem  Gotte,  der  den  Keim 
zu  einer  solchen  Gestalt  in  sich  barg,  nichts  wissen  wollten 
und  ihn  zum  bösen  Dämon  stempelten,  während  die  Inder  ihn 
recht  mit  Behagen  gross  wachsen  und  zu  ihrem  ecbtnationalen 
Gotte  werden  Hessen,  was  wir  dem  derbgesunden  urwüchsigen 
Volke  weiter  nicht  verdenken  wollen. 

Wir  haben  im  Rigveda  (4,  42)  ein  historisch  höchst  merk- 
würdiges Lied,  in  welchem  Varuna  und  Indra  selbst  redend 
in  einer  Art  von  Rangstreit  auftreten  und  welches  zuletzt  mit 
einer  Anrufung  beider  Götter  endigt 

König  Varuna  tritt  zuerst  mit  dem  ganzen  Vollbewusstsein 
seiner  obersten  Würde  auf  und  nennt  sich  den  Gott,  dem  auch 
die  Gotter  sich  fügen;  aber  Indra  weiss  auch  seine  Bedeutung 
als  Gott  der  Schlachten  in  das  gebührende  Licht  zu  setzen, 


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und  der  Sänger  findet  es  gerathen,  beide,  im  dualischen  Com- 
positum Indravaruna  vereinigt,  anzurufen. 

„Mein  ist  fürwahr  das  Reich,  eo  beginnt  Varuna,  der  ich  der  Herr- 
scher bin!  Varuna's  Willen  folgen  die  Götter!  Ich  bin  der  König  Va- 
runa, mir  wurde  diese  Göttlichkeit  festgesetzt  zu  allererst!  Ich,  o  Indra,1 
bin  Varuna,  durch  meine  Macht  sind  die  Lufträume  festgegründet;  au 
kundiger  Schöpfer  habe  ich  alle  Wesen  (oder  Welten)  geschaffen,  habe 
Erd  und  Himmel  geschaffen  und  gefestigt.«« 

Aber  Indra  erwidert: 

„Ich  bin  e6,  den  die  reisigen  Männer,  ich  bin's,  den  die  in  der 
Schlacht  Bedrängten  rufen!  Ich  errege  den  Streit,  ich  der  gabenreiche 
Indra,  den  Staub  lass  ich  wirbeln,  der  ich  hervorragende  Kraft  besitze! 
Das  Alles  that  ich,  und  keine  Götterkraft  kann  mir,  dem  Unbezwungenen, 
wehren!  Wenn  mich  die  Somatränke  und  die  Lieder  berauschen,  dann 
furchten  sich  die  unendlichen  Lufträume.«« 

Und  der  Sänger  stimmt  preisend  dem  Indra  zu  und  ruft: 

„Ja,  alle  Welten  sind  dafür  die  Zeugen,  was  du  dem  Varuna  da 
rahmest!  Du  bist  berahmt  als  der  Vritra-Tödter,  du  Indra  liessest  die 
▼erschlossenen  Ströme  fliessen!«* 

Dann  aber  fleht  er  zu  beiden  Göttern: 

„Mögen  wir  an  Reichthum  uns  erfreuen,  die  Götter  an  der  Opfer- 
gabe, die  Kühe  an  der  Weide!  0  Indra  und  Varuna,  ihr  beide  sollt 
uns  aie  Milchkuh  schenken,  die  niemals  den  Melker  von  sich  stösst." 

Es  scheint  mir  deutlich,  dass  hier  der  Sänger,  der  zuerst 
den  majestätischen  Varuna  auftreten  lässt,  sich  doch  dann  mit 
seiner  Sympathie  dem  sohlachtenlustigen  Indra  zuwendet;  aber 
keiner  der  Götter  soll  gekränkt  werden  —  als  ein  untrennbares 
Paar  ruft  sie  darum  der  Schluss  des  Liedes  bittend  an. 

Dies  ist  in  der  That  charakteristisch  für  den  Umschwung 
in  der  Rangordnung,  welcher  sich  an  diesen  beiden  Göttern 
im  Laufe  der  vedischen  Periode  vollzieht.  Indra  geht  doch 
eigentlich  als  der  Sieger  aus  diesem  Rangstreit  hervor,  denn 
er  ist  der  dem  Herzen  des  Volkes  damals  näherstehende,  der 
besser  verstandene  und  mehr  geliebte  Gott! 

Neben  Indra,  dem  Gewittergott,  finden  wir  in  der  Region 
des  Luftraums  eine  ganze  Reihe  von  Göttern  der  Winde  und 
Stürme.  So  zuerst  Vayu  und  Vata,  beides  Namen  des  Windes, 
Götter,  bei  denen  ihre  Naturbedeutung  überall  klar  am  Tage 
liegt,  während  ihre  individuelle,  persönliche  Gestaltung  nicht 
gerade  weit  ausgebildet  ist. 

Vayu,  der  Wehende,  der  Wind  (von  der  Wurzel  va  „wehen-*) 
ist  ein  geehrter  Genosse  des  Indra.    Hervorheben  lässt  sich, 


1  Ich  lese  V.  8  ah  km  indra  varunas. 


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daas  anter  allen  Göttern  er  den  ersten  Somatrunk  erhält.  Vata, 
der  Wind,  Yon  derselben  Wurzel  abgeleitet,  ist  für  uns  Deutsche 
insofern  ron  speziellerem  Interesse,  als  in  neuerer  Zeit  der 
Nachweis  dafür  geliefert  ist,  dass  der  altgermanische  oberste 
Gott  Wotan  oder  Odin  wahrscheinlich  mit  diesem  indischen 
Vata  ursprünglich  identisch  zu  setzen  ist.  H.  Zimmer  hat  ge- 
zeigt, dass  die  Namen  nach  den  Lautgesetzen  zusammenstimmen, 
und  marfcher  Zug  am  Wotan  zeigt  uns  noch  deutlich  seine 
ursprüngliche  Bedeutung  als  Windgott1  Und  Wotan  ist  es  ja, 
der  im  germanischen  Aberglauben  noch  bis  in  die  neuere  Zeit 
an  der  Spitze  des  wü tuenden  Heeres  als  wüder  Jager  ge- 
spenstisch im  Sturme  dahinsaust1 

Beiläufig  ist  es  nicht  uninteressant  zu  bemerken,  wie  die 
Terschiedeoen  indogermanischen  Völker  ganz  verschiedene  von 
den  alten  Göttern  zu  ihrem  obersten  Gotte  machten.  Die 
Griechen  und  Römer  allein  haben  den  alten  Himmel- Vater  — 
Zevq  xaxTjQi  Jupiter  —  als  obersten  Gott  beibehalten;  bei  den 
Indopersern  trat  die  vergeistigte  Gestalt  des  Ahura-Varuna 
an  dessen  Statt,  von  dem  der  griechische  Uranos  nur  ein  dunkler 
Reflex  ist.  Bei  den  Slaven  finden  wir  den  Bhaga  der  Indo- 
perser,  der  hier  nur  eine  geringe  Rolle  spielt,  als  Öon  zum 
höchsten  Gott  erhoben,  und  die  Germanen  endlich  machten 
den  Windgott  Vata  als  Wotan  (Wodan,  Odin)  zum  Vater  der 
Götter  und  Menschen.  Das  deutet  auf  sehr  merkwürdige  Wand- 
hingen und  Verschiebungen  in  der  Göttergeschichte  dieser  einst 
zu  einem  Volk  verbunden  gewesenen  Völker. 

Neben  Vayu  und  Väta  finden  wir  in  der  Luftregion  vor 
Allem  noch  die  Marut's  oder  die  Sturmwinde,  welche  den  In- 
dra  als  seine  rechten  Kampfgenossen  mit  Jubel,  Lärm  und 
Gesang  begleiten.  Sie  fahren  dahin  in  grosser  Schaar,  von 
bunten  Hirschen  oder  Gazellen  gezogen,  als  kampfgerüstete 
Männer,  geziert  mit  allerhand  Schmuck,  Spangen  und  Gold, 
mit  Speeren  und  Harnischen  bewehrt  Die  Schilderungen,  welche 
die  vedischen  Dichter  von  der  wild  dahin  stürmenden  Schaar 
der  Maruts  geben,  sind  oft  sehr  schön,  kräftig  und  schwungvoll 
Es  ist  mit  Recht  daran  erinnert  worden,  dass  jene  indischen 


1  8.  ZUchr.  f.  deutsch.  Alterthum  19  p.  164.  —  Dagegen  Btellen 
Andre,  wie  F.  Kluge,  den  germ.  Wotan,  Wodan  yielmehr  mit  latein. 
?ates  zusammen,  und  soll  der  Name  darnach  eigentlich*  etwa  „Gesanges- 
herru  bedeuten.   Vgl.  P.  t.  Bradke,  Dyaus  Asura,  Vorwort  p.  X. 

*  Ein  lebendiger  Hymnus  an  Vita  findet  sich  RV  10,  168  (Siebenxig 
Lieder  p.  95). 

t.  BekrS4«r,  lad  Um  Ut.  m.  Cmlt.  5 


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Poeten  die  gewaltige  Erscheinaug  der  Monsune  kannten  und 
dieselbe  bei  ihren  Schilderungen  offenbar  vor  Augen  hatten.1 

Ein  Gott  des  Sturmes  ist  auch  Rudra,  dessen  Name  ent- 
weder der  „Heulende,  Brüllende"  oder  der  „Rothe"  bedeutet.1 
Er  steht  in  naher  Beziehung  zu  den  Maruts,  wird  ihr  Vater 
genannt3  und  repräsentirt  die  gefahrliche,  vorheorende  Gewalt 
des  Sturmes.  Aber  man  rühmt  ihn  auch,  vielleicht  mit  einer 
Art  euphemistischer  Schmeichelei,  als  einen  helfenden,  schützen- 
den .Gott  und  nennt  ihn  „Qiya",  d.  h.  den  Gütigen.  Er  ist  im 
Besitz  „heilsamer"  Arzeneien,  ja  er  wird  sogar  „der  beste  der 
Aerzte"  genannt,  und  es  scheint  dabei  in  der  That  an  die  heil- 
same, reinigende  Seite  der  Stürme  gedacht  zu  sein.4  Aus  diesem 
Rudra,  oder  doch  in  Anknüpfung  an  ihn,  entwickelt  sich  in 
späterer  Zeit  der  grosse  Gott  Qiva. 

Ein  uralter  Gott,  noch  aus  der  Periode  der  indogermani- 
schen Einheit  stammend,  ist  der  Regengott  Parjanya,  der  mit 
dem  litthauischen  Perkunas,  wahrscheinlich  auch  mit  dem  sla- 
yischen  Perun  ursprünglich  identisch  ist.  Im  Rigreda  hat  er 
sich  noch  erhalten  und  wird  in  herrlicher,  hochpoetischer  Weise 
gefeiert,  später  aber  ganz  vergessen.  Folgendes  kraftvoll-schöne 
Lied  des  Sängers  Atri  ist  an  Parjanya  gerichtet  (RV  5,  83): 

1.  Begrüsse  den  Machtigen  mit  diesen  Liedern,  preise  Parjanya, 
ruf  ihn  her  in  Denrath !  Mit  lautem  Brüllen  lasst  der  Stier  die  Tropfen 
rinnen  and  legt  seinen  Samen  als  Leibesfrucht  in  die  Pflanzen. 

2.  Er  zerschmettert  die  Baume  und  tfldtet  die  bösen  Dämonen,  vor 
seiner  machtigen  Waffe  bebt  ein  jedes  Wesen;  vor  dem  Gewaltigen 
flüchtet  selbst  der  schuldlose  Mensch,  wenn  Parjanya  donnernd  die  Misse- 
thater  niederschlagt 

8.  Wie  ein  Rosselenker,  der  mit  der  Peitsche  seine  Rosse  peitscht, 
so  scheucht  Parjanya  seine  Regenboten  auf;  es  erhebt  sich  wie  eines 
Löwen  Gebrüll  ans  der  Ferne,  wenn  Parjanya  sein  Gewölk  zum  Regen 
sammelt 

4.  Die  Winde  wehn,  die  Blitze  schiesBen  dahin,  die  Krauter  erheben 
sich,  es  schwillt  der  Himmel;  jedwedem  WeBen  wird  ein  Labetrnnk  zu 
Theil,  wenn  Parjanya  mit  seinem  Samen  die  Erde  erquickt. 

5.  Unter  dessen  Gebot  die  Erde  sich  beugt,  unter  dessen  Gebot 
sich  Alles  regt,  was  Hufe  hat;  unter  dessen  Gebot  alle  bunten  Krauter 
stehen,  du,  o  Parjanya,  sollst  uns  mächtigen  Schutz  verleihen. 


*  Vgl.  Zimmer,  Altind.  Leben,  p.  42 — 45.  —  Die  Hymnen  an  die 
Maruts  sind  von  Max  Müller  nebst  englischer  Uebersetzung  besonders 
herausgegeben  ^London  1869).    Vgl.  Anhang  zu  Vorlesung  VI. 

*  VgL  A.  Barth,  Reiigions  de  l'Inde  p.  11.  Pischel,  Zeitscbr 
d.  D.  M.  G.  Bd.  XL.  p.  120. 

*  Man  Tgl.  den  schönen  Hymnus  RV  2,  33. 

*  Diese  gnädige,  heilsame  Seite  des  Rudra  durfte  etwas  zu  stark 
betont  sein  bei  A.  Barth,  a.  a.  0.  p.  11. 


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6.  Spendet  uns  Hegen,  ihr  Maruts,  vom  Himmel  her,  lasat  schwellen 
die  Ströme  des  starken  Rosses;  komm  herbei  mit  deinem  Donner  in 
ansre  Nahe,  die  Wasser  strömen  lassend,  unser  göttlicher  Vater  I 

7.  Brülle  und  donnre,  befrachte  du,  fahr  umher  mit  deinem  Wagen, 
der  von  Wasser  überströmt;  den  geöffneten  Schlauch  schlepp  dahin,  nach 
unten  gekehrt,  Thal  und  Hügel  sollen  gleich  gemacht  werden. 

8.  Heb  auf  die  grosse  Kufe  and  gie&s  sie  aus,  efl  sollen  die  Bache 
entfesselt  vorwärts  strömen,  benets  mit  fruchtbarem  Nass  Erd  und  Himmel, 
eine  schöne  Tranke  soll  es  sein  für  unsre  Kühe. 

9.  Wenn  du,  o  Parjanya,  brüllend  und  donnernd  die  Uebelthater 
xu  Boden  schlägst,  dann  jauchzt  Alles  lustig  auf  in  dir,  was  irgend  auf 
der  Erde  lebt. 

Ich  wüsste  wenige  Schilderungen,  die  ein  so  lebensvolles 
Bild  der  mächtigen  Gewitter-  und  Regenerscheinungen  dar- 
bieten, wie  dieser  Hymnus. 

In  die  Luftregron  werden  auch  die  Ribhu's  versetzt,  welche 
für  uns  ein  mythologisch-historisches  Interesse  haben,  weil  sie 
ursprünglich  identisch  sind  mit  den  germanischen  Elfen.  Die 
Ribhu' s  sind  kunstfertige  Wesen,  die  durch  ihre  Geschicklich- 
keit1 sich. göttlichen  Rang,  Opfer  und  Unsterblichkeit  erworben 
haben.  Sie  sind  es,  die  den  wunderbaren  Wagen  der  Acvinen, 
die  Wunderkuh  des  Brihaspati  und  die  aufs  Wort  sich  schir- 
renden Rosse  des  Indra  geschaffen  haben.  Von  ihnen  rühmt 
man  auch,  dass  sie  ihre  altersschwachen  Eltern  wieder  jung 
gemacht  u.  a.  m.  Ihr  am  meisten  bewundertes  Werk  bestand 
aber  darin,  dass  sie  ans  Tvashtar's,  des  Götterkünstlers,  wunder- 
barer Schale  oder  Götterbecher  deren  vier  zu  verfertigen  wussten, 
so  dass  sich  Tvashtar  vor  Scham  und  Neid  versteckte.  Sowohl 
der  Name  als  auch  die  ihnen  nachgerühmte  Kunstfertigkeit 
sichert  die  Zusammenstellung  mit  den  elbischen  Wesen  bei 
den  Deutschen. 


1  Der  Käme  Ribhu  kommt  von  der  Wnrzel  arbb  oder  rabh  „an- 
futen"  und  bedeutet  eigenüich  anstellig,  geschickt 


5* 

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Sechste  Vorlesung. 


Die  Götterwelt  des  Rigveda  (Fortsetzung  und  Schluss).  Die  Götter  der 
Erdregion:  Agni,  Sorna  u.  a.  Brihaspati.  Charakter  der  vedischen  Bell- 
gion.  Polytheismus  oder  Henotheismus?  Darlegung  von  Muller's  Be- 
griff des  Henotheismus.  Die  vedische  Religion  ein  Polytheismus  mit 
ausgesprochener  Tendenz  zum  Pantheismus.  Götteridentificationen.  Dua- 
lische Verschmelzung  bestimmter  Götter.  Monotheistische  Neigungen 
und  Ansätze.   Philosophisches.  Anhang. 


In  der  Region  der  Erde,  welcher  wir  uns  nunmehr  zu- 
wenden, ist  der  wichtigste  und  vornehmste  Gott  Agni,  der 
Gott  des  Feuers,  dessen  Cult  jedenfalls  schon  in  die  indoper- 
sische Periode  zurückreicht.  Der  Name  Agni  bedeutet  „Feuer** 
und  fällt  zusammen  mit  dem  lat.  ignis,  slav.  wom.  Die  Erde 
kann  eigentlich  nicht  eines  grossen  Gottes  Heimath  sein.  Auch 
Agni  ist,  wie  die  Sage  erzählt,  vom  Himmel,  aus  der  Götter- 
welt herabgestiegen.  Atharvan  oder  Matariqvan,  eine  Art 
indischer  Prometheus,  soll  ihn  von  dort  geholt  haben,  aber 
nicht  als  einen  Raub,  sondern  als  eine  Gabe  der  Götter«  Dass 
diese  Sage  von  der  Herabkunft  des  Feuers  uralt  sei,  hat  Adal- 
bert Kuhn1  gezeigt. 

Agni  ist  der  gütige  Gott  des  Feuers,  der  auch  im  Dunkel 
der  Nacht  dem  Menschen  *em  Heim  traulich,  warm  und  hell 
macht  Er  ist  den  Outen  ein  Schützer,  er  durchbohrt  mit 
seinen  Flammenpfeilen  die  bösen  Dämonen,  die  Rakshasen,  die 
Zaubrer  und  Hexen.  Er  ist  selbst  ein  grosser  und  heiliger 
Gott,  aber  seine  Hauptfunction  besteht  doch  darin,  dass  er  der 
Bote  zwischen  Menschen  und  Göttern  ist.  Er  tragt  die  Opfer- 
gabe hinauf  zum  Himmel  und  an  seine  Gegenwart  ist  die  Gegen- 
wart der  Götter  beim  Opfer  gebunden.  Nicht  in  Tempeln, 
sondern  unter  freiem  Himmel,  auf  schmucklosem  Altar  wird 


1  Ad.  Kuhn,  Die  Herabkunft  des  Feuers  und  des  Göttertranks,  1859. 
Neu  herausgegebea  von- Ernst  Kuhn,  Gütersloh  1886. 


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—   69  - 

dieses  Opferfeuer  entzündet,  und  dort  erscheinen  die  Götter. 
In  der  Regel  —  und  dies  ist  das  Heiligste  —  wird  das  Feuer 
durch  Reibung  zweier  Hölzer  von  verschiedenen  Bäumen  erzeugt, 
die  seine  „Eltern"  genannt  werden.  Das  eine  Holz  wird  in 
einer  Vertiefung  des  anderen  gedreht  oder  gequirlt,  bis  der 
Funke  herausspringt. 1  Diese  Art  der  Feuererzeugung  ist  jeden- 
falls eine  uralte,  als  heilig  angesehene  Sitte,  und  ähnlich  hat 
sie  sich  auch  bei  anderen  indogermanischen  Völkern  noch  lange 
erhalten,  so  z.  B.  in  dem  germanischen  sogenannten  Nothfeuer. 
Dio  gewöhnlichste  Opferspende  ist  Butter  oder  Schmalz,  die 
ins  Feuer  gegossen  werden.  Die  religiöse  Dichtung  sucht  Gott 
Agni  auch  persönlich,  menschlich  zu  gestalten.  Er  wird  ge- 
schildert als  ein  kühner  Krieger,  der  auf  dem  Streitwagen  er- 
scheint, die  Flammen  sind  seine  Rosse,  —  aber  wenn  die  Dichter 
das  Feuer  schildern  wollen,  so  bricht  doch  immer  wieder  die 
Vorstellung  des  Naturelements  hindurch  und  die  Persönlichkeit' 
verblasst 

Agni  erscheint  am  Himmel  als  Sonne,  er  erscheint  in  der 
Luit  als  Blitz,  auf  Erden  als  Feuer  auf  dorn  Heord  und 
Altar  des  Menschen.  So  ist  er  überall,  in  allen  dr«i  Gebieten 
geboren,  gehört  allen  dreien  an.  Er  wird  auch  dor  „Sohn  der 
Wassor"  genannt,  offenbar  weil  er  aus  den  Wolkenwassern  als 
Blitz  entspringt.  Man  erzählt,  dass  er,  verfolgt,  sich  in  das 
Wasser  flüchtet;  so  wird  das  Erlöschen  des  Feuers  im  Wasser 
gedeutet;  es  ist  plötzlich  weg,  es  hat  sich  im  Wasser  versteckt. 
Auch  „Sohn  seiner  selbst"  wird  Agni  oft  genannt,  d.  h.  es  geht 
ihm  nichts  Analoges,  Homogenes  voraus,  er  springt  scheinbar 
ganz  von  selbst  aus  den  Hölzern,  wenn  sie  richtig  behandelt 
werden.  —  Dem  Menschen  ist  Agni  der  nächste,  liebste,  trau- 
teste Gott,  der  Hausesherr  und  Hausbewohner,  ein  willkommener 
Gast,  ein  allverehrter,  lieber  Hausfreund.  Unzählige  Hymnen 
sind  au  ihn  gerichtet.  Der  Rigveda  beginnt  mit  einem  Hymnus 
an  Agni,  und  auch  in  den  weiteren  Büchern  desselben  stehen 
die  Lieder  an  Agni  fast  durchweg  an  erster  Stelle,  als  wenn 
sich  dieser.  Vorrang  für  den  priesterlichen  Gott  von  selbst  ver- 
stünde.* 

Die  Phantasie  des  Inders  bevölkert  die  Erdregion  mit 


1  Das  eine  (das  männliche)  Holz  wird  vom  Ac  vattha- Baum  (Ficus 
religio«  L.)  genommen;  das  andere  (das  weibliche)  Holzstuck,  in  welches 
das  entere  hineingesteckt  und  gedreht  wird,  stammt  von  dem  $am1- 
fisum  (Acacia  Suma). 

1  Mit  Agni  ist,  wie  ich  neuerdings  nachgewiesen  habe,  ursprüng- 
lich Apollon  identbch. 


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-    70  - 

noch  vielen  anderen  geringeren  göttlichen  oder  halbgöttlichen 
Wesen,  Nixen,  Nymphen  oder  Kobolden.  Da  werden  eine  ganze 
Reihe  von  Flüssen  verehrt  und  um  Beistand  angefleht;  die 
Ackerfurche  und  Anderes,  was  mit  der  Bestellung  des  Ackers 
zusammenhängt,  wird  vergöttlicht  und  angerufen;  ein  Genius 
des  Hauses,  dor  Hausesherr  genannt  (Vastoshpati),  wird  um 
Schutz  und  Förderung  gebeten  u.  dgl  m. 

Unter'  diesen  kleineren  Genien  möchte  ich  nur  noch  die 
eigenthümlich  sympathische  Gestalt  einer  Waldfrau  hervor- 
heben, der  sogenannten  Aranyani,  einer  Genie  des  Waldes 
und  der  Waldeinsamkeit.  Es  ist  eine  harmlos  freundliche  Er- 
scheinung, die  auch  einen  Zug  von  jener  naiven  Unbeholfenheit 
an  sich  hat,  welche  in  der  deutschen  Sage  bisweilen  gütigen 
kleinen  Zwergen  oder  dergleichen  beigelegt  wird.  Der  Dichter1 
ruft  die  Waldfrau  an,  er  fürchtet,  dass  sie  sich  verirren  könne 
und  will  ihr  helfen,  das  Dorf  zu  finden.  Wenn  die  Vögel  im 
Walde  sich  rufen  und  Antwort  geben  und  lustig  auf  den  Zwei- 
gen hüpfen,  dann  freut  die  Waldfrau  sich.  Sie  kränkt  niemand, 
der  sie  nicht  selber  reizt;  sie  labt  eich  an  den  süssen  Früchten 
des  Waldes  und  legt  sich  dann  behaglich  hin  zum  Ausruhn. 
Sie  duftet  lieblich  nach  Salben;  Speisen  hat  sie  im  Ueberfluss, 
ohne  dass  sie  zu  pflügen  braucht,  und  als  gütige  Mutter  des 
Wildes  preist  sie  der  Dichter. 

Zum  Schluss  seien  nur  noch  zwei  Götter  hervorgehoben, 
die  schon  mehr  den  Eindruck  priesterlicher  Schöpfungen  machen 
und  uns  so  zu  einer  späteren  Periode  der  indischen  Gottes- 
verehrung hinüberleiten,  nämlich  Sorna  und  Brihaspati  oder 
Branmanaspati 

Sorna  ist  eigentlich  nur  der  früher  schon  besprochene 
Trank,  welchen  die  Priester  den  Göttern  darbringen,  durch  den 
die  Götter  Kraft  und  Stärke  zu  ihren  Thaten  gewinnen  und 
um  des8entwillen  sie  den  Menschen  dankbar  und  freundlich 
sind.  Wegen  dieser  seiier  hohen  Bedeutung  wird  der  Sorna 
dann  selbst  personificirt,  als  ein  Gott  dargestellt,  und  werden 
auf  ihn  eine  Menge  hoher  göttlicher  Qualitäten  gehäuft.  Er 
verleiht  nicht  nur  Indra  die  Kraft  zu  seinen  Kämpfen,  er  wird 
auch  Herrscher  und  König  der  ganzen  Welt  genannt,1  König 
der  Götter  uud  der  Menschen;3  es  hoisst,  dass  er  Alle  über- 
wältigt oder  überragt;4  ja  er  wird  Vater  und  Erzeuger  der 
Götter  genannt,  der  den  Himmel  gestützt  und  die  Erde  ge- 


1  RV  10,  146:  hübsch  übersetzt  in  den  „Siebenzig  Liedern"  p.  140. 
*  RV  9,  96.  10.      3  RV  9,  97,  24.      4  RV  9,  59,  4. 


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—    71  - 

festigt.1  Er  soll  die  Sünden  verzeihen,  er  dereinst  den  From- 
men in  das  Reich  der  Unsterblichkeit  fuhren.1  Das  ganze 
nennte  Buch  des  ßigveda  beschäftigt  sich  mit  ihm,  fast  alle 
(114)  Hymnen  desselben  sind  an  ihn  gerichtet 

Brihaspati  oder  Brahm anaspat i,  der  Gebetesherr,  ist 
ein  Ansatz  zu  einer  ähnlichen  Schöpfung  wie  sie  der  spätere 
Gott  Brahma  darstellt,  den  wir  im  Ijtigveda  noch  gar  nicht 
vorfinden,  Heldenthaten  anderer  Götter  werden  auf  diesen 
Gebetesgott  übertragen.  Er  soll  der  Erde  Enden  gestützt 
haben,  er  soll  das  All  umfassen.  Von  ihm  wird  gerühmt,  was 
sonst  Indra's  Ruhm  war,  dass  er  den  Wolkenfels  gespalten,  die 
Dämonen  besiegt  und  die  befruchtenden  Wasser  befreit  habe.8 
Er  soll  den  Göttern  erst  ihren  Opferantheil  verschafft  haben, 
—  eine  bedeutsame  That*  Von  dem  Werth  und  Einfluss  des 
Opfers  und  Gebetes  gewann  man  allmählich  immer  höhere 
Vorstellungen,  und  der,  welcher  Herr  über  das  Gebet  war, 
hatte  damit  eine  gewaltige  Mächt  in  Händen.  Er,  der  Bändiger 
auch  der  Starken,  wird  angefleht  um  Schutz  und  Hülfe  gegen 
jede  Anfeindung.5 

Nachdem  wir  so  dio  vedische  Götterwelt  in  ihren  hervor- 
ragendsten Erscheinungen  überblickt  haben,  wollen  wir  nun 
noch  einige  charakteristische  Züge  näher  in's  Auge  fassen,  durch 
welche  dieselbe  als  ganz  eigenartig  gekennzeichnet  wird,  und 
welche  für  das  spatere  religiöse  und  philosophische  Denken  der 
Inder  von  hervorragender,  folgenreicher  Bedeutung  gewesen  sind. 

Henotheismus. 

Wenn  Sie,  meine  Herren,  die  ganze  Schaar  der  von  uns 
besprochenen  Götter,  mit  denen  der  Inder  des  Rigveda  alle 
Reiche  der  Natur  und  Regionen,  die  noch  darüber  hinaus  gehen, 
bevölkert,  noch  einmal  in  der  Erinnerung  an  sich  vorüber  ziehen 
lassen,  so  werden  Sie  kaum  zweifelhaft  sein,  welcher  Kategorie 
von  Religionen  dieser  vedische  Glaube  zuzuzählen  sei;  Sie 
werden  wohl  unbedenklich  sagen,  dass  uns  hier  ein  gestalten- 
reicher Polytheismus  im  grossen  Style  vorliegt.  Dennoch  ist 
diese  Bestimmung  angestritten  worden  und  zwar  von  keinem 
Geringeren  als  Max  Müller,  der  in  dieser  vedischen  Götter- 
welt Züge  so  eigenthümlicher  Art  ausgeprägt  findet,  dass  er  ihr 
den  eigentlich  polytheistischen  Charakter  geradezu  absprechen 
will  und  eine  ganz  neue  Bezeichnung,  eine  neue  Begriifsbe- 


1  RV  9,  87,  2.  »  RV  9,  118.  ■  RV  2,  24.  *  RV  2,  28,  2. 
*  RV  2,  23. 


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Stimmung  für  sie  speciell  zarecht  macht,  indem  er  den  vedischen 
Glanben  Henotheismus  oder  Kathenotheismns  nennt,  d.  h.  Glaube 
an  einzelne  Götter,  oder  an  je  einen  einzelnen  Gott  Wenn 
nun  ioh  persönlich  auch  die  Bezeichnung  „Polytheismus*  fin- 
den vedischen  Glauben  nicht  geradezu  bei  Seite  schieben  möchte, 
so  ist  immerhin  die  Modincation,  welche  wir  an  dem  polythei- 
stischen Begriffe  in  diesem  Falle  vornehmen  müssen,  ungemein 
wichtig  und  bedeutsam,  und  dieselbe  dient  so  wesentlich  zum 
Verständnis  der  späterhin  in  Indien  sich  entwickelnden  reli- 
giösen und  philosophischen  Ansichten,  dass  sie  in  der  That 
einer  eingehenderen  Besprechung  und  Erläuterung  werth  ist 

Schon  in  seiner  History  of  ancient  Sanskrit  Literature 
(1853)  hat  Max  Müller  auf  diesen  eigentümlichen  Zug  des 
vedischen  Glaubens  hingewiesen.  Er  sagte  dort:  „Wenn  diese 
einzelnen  Götter  angerufen  werden,  werden  sie  nicht  dargestellt 
als  beschränkt  durch  das  Machtbereich  von  anderen,  als  höher 
oder  niedriger  in  ihser  Stellung.  Im  Geiste  der  Andächtigen  ist 
jeder  Gott  so  gut  als  alle  anderen  Götter.  Er  wird  im  Augen- 
blicke des  Gebets  als  eine  wahre  Gottheit,  als  höchstes  unum- 
schränktes Wesen  gefühlt,  trotz  aller  unabweislichen  Beschränk- 
ungen, welche,  unserer  Ansicht  nach)  noth wendig  mit  einer 
Mehrheit  von  Göttern  verbunden  sind.  Alle  anderen  Götter 
verschwinden  aus  dem  Sehfelde  des  Dichters,  und  nur  der  Gott, 
der  ihre  Wünsche  erfüllen  soll,  steht  in  klarem  Lichte  vor  den 
Augen  seiner  Verehrer." 1 

Unä  schärfer  noch  präcisirt  Max  Müller  späterhin  diesen 
Begriff  des  Henotheismus  oder  Kathenotheismus,  der  der  vedi- 
schen Religion  eigentümlich  ist,  indem  er  sagt,  es  sei  dies 
„ein  Glaube  an  einzelne  abwechselnd  als  höchste  hervortretende 
Götter.** *  Dieser  Henotheismus,  von  Big,  Gen.  ivog  „einer* 
im  Gegensatz  zu  povog  „nur  einer",  dieser  Glaube  an  einzelne, 
abwechselnd  als  höchste  gedachte  Götter  ist  nach  M.  Müller 
„ganz  verschieden  von  Monotheismus,  dem  Glauben  an  nur 
einen  Gott  mit  entschiedener  Leugnung  der  Möglichkeit  anderer 
Götter,  und  Polytheismus,  dem  Glauben  an  viele  Götter,  die 
zusammen  eine  Art  von  geordnetem  Götterstaat  bilden.**8  Jbn 
Veda  —  sagt  M.  Müller  —  wird  ein  Gott  nach  dem  anderen 
angerufen.  Für  den  Augenblick  wird  Alles,  was  von  einem 
göttlichen  Wesen  gesagt  werden  kann,  ihm  beigelegt  Während 


1  Vgl.  M.  Mflller,  Ursprung  und  Entwickelung  der  Religion,  p.  329 
»  M.  Müller  a.  a.  0.  p.  312. 
»  M.  Müller  a.  a.  0.  p. 


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-    73  - 

der  Dichter  diese  Gottheit  vor  sich  sieht,  scheint  er  keine 
andere  Gottheit  zu  sehen.  Und  doch,  nicht  nur  in  derselben 
Sammlung  Ton  Hymnen,  sondern  selbst  iu  demselben  Hymnus 
werden  andere  Götter  erwähnt,  und  auch  sie  sind  durchaus 
unabhängig,  durchaus  die  höchsten,  durchaus  göttlich.  Die 
Aussicht  des  Dichters  scheint  sich  plötzlich  zu  verändern,  und 
derselbe  Dichter,  der  noch  eben  nichts  als  die  Sonne  als  den 
Herrn  Himmels  und  der  Erde  kannte,  sieht  jetzt  Himmel  und 
Erde  als  den  Vater  und  die  Mutter  der  Sonne,  ja  als  die 
Eltern  aller  Götter."1  So  ist  denn  der  Henotheismus  nach 
IL  Müller  „eine  Religionsform,  die  es  möglich  macht,  dass, 
während  ein  Gott  nach  dem  anderen  angerufen  wird,  ein  jeder 
die  Attribute  eines  höchsten»  von  anderen  unübertroffenen  Wesens 
erhalt«1 

Ich  will  es  versuchen,  diese  eigentümliche  Phase  der 
Religionsentwickclung  durch  einige  Beispiele  deutlich  zu  machen; 

Von  Varuna  hieas  es  in  dem  Liede,  das  ich  früher  mit- 
geteilt habe,*  dass  er  über  Himmel  und  Erde  herrsche;  von 
im  heisst  es  auch,  dass  er  König  sei  über  Alle,  sowohl  über 
die  Menschen  als  über  die  Götter;4  diese  ganze  Welt  gehört 
ihm,  dem  weisen  Herrscher.5  Aber  auch  Indra  heisst  der 
Herrscher,6  gegen  den  alle  anderen  Götter  nicht  aufkommen 
können,  der  sie  alle  bezwingt;7  Erd  und  Himmel  haben  Indra's 
Herrschaft  anerkannt.8  Aber  auch  von  Püshan  wird  in  einem 
anderen  Hymnus  gesagt,  dass  er  der  Regierer  und  Herr  sei 
aber  Alles,  was  sich  bewegt  und  was  da  feststeht,9  und  wieder 
in  einem  anderen  Hymnus  wird  Sorna  genannt  der  König  der 
Welt10  und  an  einer  anderen  Stelle  König  der  Götter  und 
Menschen.11 

Indra  soll  an  Macht  und  Stärke  Alle  übertreffen: 

„Es  ist  kein  höherer  als  du, 

Kein  stärkerer,  du  Vritrafeind; 

Ja  Keiner  kommt  auch  nur  dir  gleich.44" 

So  rühmt  der  Sänger.  Nichts  ist  ihm  unbezwinglich,  ihm 
gleich  ist  keiner  an  Göttlichkeit; "  Indra  ist  mächtiger  als  Alle, 
rühmt  immerwiederkehrend  der  Refrain  eines  Liedes  (10,  86). 
Aber  auch  von  Rudra  wird  gesagt,  dass  er  der  unbesiegbare 
Sieger  ist,  der  selbstherrliche;14  auch  von  Sorna  heisst  es,  dass 

«  M.  Moller  a,  a.  0.  p.  313.  •  a.  a.  0.  p.  884.     »  RV  1,  25,  20. 

4  RV  2,  27.  TO.     •  RV  2,  28,  1.  •  RV  4,  19,  2.     »  RV  4,  80,  8  u.  5. 

•  RV  4  Xlt  1.      •  RV  1,  89,  5.  "  RV  9,  96,  10.     "  RV  9,  97,  24. 

»  RV  4,  80,  1.     *  RV  1,  165,  9.  "  RV  7,  46,  1. 


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er  Alle  tiberwältigt,1  der  Allbesieger;*  und  auch  von  Vishnu 
rühmt  der  Sänger,  dass  kein  Gott  das  äusserste  Ende  seiner 
Macht  erreicht  habe.5 

Mitra  überragt  an  Grösse  den  Himmel  und  an  Ruhm  die 
Erde;4  alle  Menschen  gehorchen  ihm  und  er  trägt  alle  Götter;6 
aber  ist  es  nicht  Varuna,  von  dem  es  hiess,  dass  er  die 
Himmel  und  die  Erden  umfasst?  Varuna  ist  es,  der  von  sich 
rühmen  darf,  dass  seinem  Willen  die  Götter  gehorchen;6  aber 
auch  von  Agni  wird  preisend  erzählt,  dass  alle  Götter  sich  in 
Ehrfurcht  vor  ihm  beugten;7  und  von  Gott  Savitar  heisst  es: 
„Er,  dessen  Satzung  weder  .Indra,  noch  Varuna,  weder  Mitra, 
noch  Aryaman,  noch  Rudra  verletzen  dürfen!"  Aehnlich  von 
Indra:  Alle  Götter  verletzen  nicht  seine  Gebote.6 

Varuna  wird  als  Weltschöpfer  und  -Ordner  gepriesen, 
weil  er  Himmel  und  Erde  auseinander  gestemmt,  das  erhabene 
Firmament  erhöht  und  die  Sterne  und  das  Erdreich  aus- 
gebreitet habe;*  er  hat  den  Sonnenball  droben  geschaffen, 
er  grub  der  Sonne  ihre  Pfade,  Hess  die  fluthenden  Gewässer 
strömen  und  schuf  den  Tagen  ihre  weiten  Bahnen;10  er  rühmt 
sich,  dass  durch  ihn  die  Lufträume  festgegründet  seien,  dass 
er  als  kundiger  Bildner  alle  Welten,  Erd  und  Himmel  ge- 
schaffen habe  und  sie  erhalte.  Aber  auch  von  Indra  wird 
wiederum  gerühmt,  dass  er  der  Erzeuger  des  Himmels  und  der 
Erde  sei!11  auch  von  Indra  wird  gesagt,  dass  er  die  Erde 
und  den  Himmel  gefestigt,  Sonne  und  Morgenröthe  erzeugt 
habe;16  und  ebenso  an  einer  anderen  Stelle,  dass  er  die  wan- 
kende Erde  festmachte,  dass  er  den  Himmel  stützte.16  Und 
ein  Hymnus  an  Vishnu  sagt  wiederum,  dass  er  es  war,  der 
Himmel  und  Erde  und  alle  Welten  festigte;14  auch  von  Vishnu 
wird  gerühmt,  dass  er  das  erhabene  Firmament  gestützt  habe.16 
Und  Sorna  hat  nach  einer  anderen  Stelle  den  gleichen  Ruhm; 
Sorna  ist  der  Stützer  des  Himmels  und  der  Festiger  der  Erde, 
singt  ein  Sänger.16  Von  Dyäus  und  Prithivi,  d.  h.  von 
Himmel  und  Erde  wird  es  ebenfalls  gesagt,  dass  sie  die  Welt 
geschaffen  haben;17  und  an  einer  anderen  Stelle  wieder  heisst 
es,  dass  es  ein  kundiger  Werkmeister  war,  der  diese  beiden, 
Himmel  und  Erde,  geschaffen;16  und  ähnlich  wo  anders:  „Jener 
grosse  Künstler  unter  den  Göttern  war  es,  der  die  beiden 

1  RV  9,  59,  5.     6  Ebenda  1.     *  RV  7,  99,  2.     •  RV  3,  69,  7. 

•  RV  8,  69,  8.     •  RV  4,  42,  1  u.  2.     *  RV  6,  9,  7.     ■  RV  3,  82,  8. 

•  RV  7,.  86,  1.     >0  RV  7,  87,  5  u.  1.     "  RV  8,  86,  4.     11  RV  3,  82,  8. 

•  RV  2,  12,  2.  "  RV  1,  164,  4.  "  RV  7,  99,  2.  "  RV  9,  87,  2. 
»  RV  1,  169,  2.     »•  RV  4,  66,  3. 


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-   75  - 

Welten  erzeugte.*41  Und  ein  anderer  Sänger  rühmt,  Brihas- 
pati  sei  es  gewesen,  der  mit  seinem  Schall  die  Enden  der 
Erde  auseinander  stemmte.  * 

Von  Mitra  wird  gesagt,  dass  er  die  Götter  trage  oder 
erhalte;»  aber  nach  einer  anderen  Stelle  sollen  Himmel  und 
Erde  Alles  tragen  oder  erhalten.4  Es  wird  von  Himmel  und 
Erde  gesagt,  dass  die  Götter  ihre  Kinder  seien,6  dass  sio  also 
die  Götter  gezeugt  haben,6  aber  doch  heisst  in  einem  anderen 
Liede  wiederum  Sorna  der  Vater  und  Erzeuger  der  Götter!7 

Sie  sehen  also,  wie  seltsam  und  widersprechend  diese  Aus- 
sagen sind!  Sie  sehen,  wie  die  Tedischen  Sänger  bald  auf 
diesen  bald  auf  jenen  Gott,  jenachdem  an  wen  das  Preislied 
jedes  Mal  gerichtet  ist,  die  höchsten  Auszeichnungen,  die  ober- 
sten göttlichen  Qualitäten,  die  grössten  Rnhmesthaten  häufen. 
Jetzt  ist  Varuna  der  oberste  Herr  und  König  der  Welt,  jetzt 
ist  es  Püshan,  jetzt  Indra,  jetzt  Sorna.  Jetzt  Boll  Indra  alle 
Götter  an  Stärke  überragen,  jetzt  Sorna,  jetzt  Rudra,  jetzt 
Vishnu.  Jetzt  heisst  es,  dass  Varuna  die  Welt  geschaffen  und 
geordnet,  Erd  und  Himmel  gefestigt  habe,  aber  dasselbe  wird 
auch  von  Indra  gerühmt,  dasselbe  von  Vishnu,  dasselbe  von 
Sorna,  dasselbe  von  Himmel  und  Erde,  dasselbe  auch  von  Bri- 
haspati.  Jetzt  sollen  Himmel  und  Erde  die'  Götter  erzeugt 
haben,  und  dann  heisst  wieder  Sorna  der  Vater  und  Erzeuger 
der  Götter! 

Es  ist  merkwürdig  genug,  zu  beobachten,  wie  hier  die 
Phantasie  der  vedischen  Dichter  jedesmal  bei  dem  Bilde  des 
einen  Gottes  verweilend  dasselbe  in  immer  höheren  und  grösse- 
ren Zügen,  in  immer  mächtigeren  Dimensionen  sich  vorstellt 
und  ausmalt,  bis  zuletzt  vor  diesem  Bilde  in  seiner  Riesen- 
grosse die  anderen  Göttergestalten  ganz  zurücktreten  und  ver- 
blassen. Ein  anderer  Tag  bringt  das  Opfer  und  den  Preis 
eines  anderen  Gottes,  und  der  gleiche  Process  wiederholt  sich 
mit  diesem  und  weiterhin  mit  anderen  und  wieder  anderen 
Göttern.  In  der  That,  in  einem  geordneten  Pantheon  würden 
diese  verschiedenen  allerhöchsten  Götter,  Weltenschöpfer  und 
Welten herrscher  nicht  neben  einander  bestehen  können,  und  in 
diesem  Sinne  hat  Max  Müller  Recht,  wenn  er  sagt,  es  wäre 
dies  eigentlich  kein  rechter  Polytheismus.  Aber  dennoch  ist 
es  Polytheismus,  es  ist  ein  Glaube  an  viele  verschiedene  Götter, 


1  RV  1, 160,  4.  *  RV  4,  50,  1.  »  RV  8,  69,  8.  4  RT  1,  186,  L 
5  8ie  werden  devaputre  genannt,  d.  h.  die  Götter  an  Kindern  habend. 
•  RV  1,  159,  1.     T  RV  9,  87,  2. 


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deren  Gestalten  wir  trotz  all  der  oben  bemerkten  Widersprüche 
sehr  wohl  von  einander  zu  scheiden  vermögen,  und  die  der 
Inder  des  rjigveda  sehr  wohl  neben  einander  kannte  und  zu 
unterscheiden  wusste.  Es  ist  ein  Polytheismus,  aber  mit  einem 
ganz  eigenartig  ausgeprägten  Charakter,  einer  eigentümlichen 
Modification,  einer  ganz  besonderen  Tendenz,  —  der  Tendenz 
auf  Erweiterung  und  Vergrößerung  der  Gestalt,  des  Wirkens, 
,des  Gebietes  jedes  einzelnen  Gottes,  bis  dieselben  mit  der  Ge- 
stalt, dem  Wirken,  dem  Gebiet  anderer  Götter  zusammenmessen. 
Es  ist  eine  Tendenz,  die  uns  zuletzt  hinfuhrt  zu  der  Erkenntnisa, 
dasa  all  die  verschiedenen  Göttergestalten  im  Grunde  gar  nicht 
von  einander  unterschieden  sind,  dass  sie  alle  im  Grunde  doch 
nur  Einer  sind,  dass  aus  dem  Einen  sie  alle  sich  entfaltet,  eine 
Tendenz  zum  Glauben  an  das  ev  xai  xav,  zum  Pantheismus. 
Mag  immerhin  der  Name  Henotheismus  oder  Kathenotheismus 
für  diese  Phase  des  religiösen  Denkens  bestehen  bleiben;  er 
ist  treffend  und  gut  gewählt;  für  uns  aber  bezeichnet  er  nur 
einen  ganz  eigenartig  und  besonders  modificirten  Polytheismus, 
dessen  Entwickelung  auf  den  Pantheismus  hin  gerichtet  ist.  Be- 
merkenswerth ist  bei  diesem  Process  auf  indischem  Gebiete  die 
völlige  Naivität,  mit  der  er  sich  entwickelt.  Es  sind  ja  noch 
keine  Philosophen,  diese  vedischen  Ijlishi's,  es  sind  priesterliche 
Sänger,  die  jedes  Mal  so  durchdrungen  sind  von  der  speciellen 
Erscheinung  des  Göttlichen,  der  sie  sich  eben  gerade  mit  ihrem 
Loblied e  zuwenden,  sei  es  nun  der '  allumfassende  Himmel,  sei 
es  die  Sonne,  sei  es  das  Feuer,  sei  es  Gewitter  und  Regen,  sei 
es  der  berauschende  Göttertrank,  dass  sie  seines  Ruhms  kein 
Ende  finden  können.  Und  erst  viel  später  fragt  dann  der  re- 
flectirende  Verstand,  der  diese  verschiedenen  Aeusserungen  über- 
schaut: Wenn  dies  hier  der  grosse  Eine  ist,  und  jenes  dort 
auch  der  grosse  Eine,  und  jenes  da  ebenfalls,  —  ist  nicht  eben 
dann  dies  Alles  er  der  grosse  Eine,  und  jedes  Einzelne  also 
nur  in  ihm  und  ein  Theil  von  ihm,  in  dem  er  sich  offenbart 
und  zeigt  in  seiner  Allmacht,  seiner  Grösse,  seiner  Güte  und 
liebe? 

Indessen,  meine  Herren,  ich  bin  damit  schon  über  den 
vedischen  Standpunkt  hinausgegangen,  ich  habe  eine  spätere 
Phase  des  Denkens,  die  aus  ihm  sich  entwickeln  musste,  anti- 
eipirt,  und  es  wird  besser  sein,  wieder  zurückzugreifen  und  die 
vedische  Auffassung  in  ihrer  Eigenart  nach  verschiedenen  Seiten 
hin  noch  näher  zu  charakterisiren,  weil  sie  ja  eben  so  beachtens- 
werth,  weil  sie  so  wichtig  und  folgenreich  ist  für  alles  weitere 
indische  Denken. 


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-    77  - 

Ea  ist  bei  den  vedischen  Göttern  auch  dies  hervorzuheben, 
dass  viele  von  ihnen  von  vornherein  in  ihrem  Wirkensgebiete 
zusammenfallen,  sich  in  Wesen  und  Funktionen  zum  Theil  ganz 
decken  und  eigentlich  nur  eine  andersartige  Auffassung  der- 
selben Erscheinung  darstellen.  Dyaus  war  der  leuchtende 
Himmel,  aber  auch  Varuna  war  ursprünglich  der  Himmel, 
sofern  er  Alles  umfasst  Surja  war  die  Sonne;  aber  auch 
Savitar  war  die  Sonne,  sofern  sie  Alles  belebt  und  in  Be- 
wegung setzt;  auch  Püshan  war  die  Sonne,  sofern  sie  ins- 
besondere den  Heerden  Gedeihen  schenkt  und  sofern  sie  dem 
Wanderer  Licht  und  Leitung  auf  seinen  Bahnen  giebt;  auch 
Vishnu  ist  die  Sonne,  sofern  sie  den  Himmelsraum  durch- 
schreitet Indra  war  der  gewaltige  Herr  und  Erzeuger  des 
Gewitters,  des  Donnen,  Blitzes  und  Regens;  aber  auch  von 
Parjanya  wird  dasselbe  berichtet,  und  auch  dem  Brihaspati 
wird  die  gleiche  Wirksamkeit  nachgerühmt.  Rudra  ist  der 
Sturm,  aber  auch  die  Marut's  sind  die  Stürme.  Vata  ist  der 
Wind,  aber  Vayu  nicht  minder  u.  &>  w.  Es  scheint  mir  ein- 
leuchtend, dass  diese  Eigentümlichkeit  der  vedischen  Götter- 
welt mit  dem  henotheistischen  Charakterzug  verwandt  ist  und 
sehr  wohl  zu  seiner  Ausbildung  mit  beitragen  konnte. 

Die  eigentümliche  Richtung  des  religiösen  Denkens  und 
Gestaltens  der  vedischen  Dichter  führte  sie  zuletzt  zu  völliger 
Identificirung  verschiedener  Götter,  und  sogar  solcher,  deren 
Wesen  und  Gebiet  eigentlich  einander  vollkommen  fern  stehen. 
Es  macht  den  Eindruck,  als  könne  der  vedische  Sänger  immer 
noch  nicht  genug  haben  bei  dem  Preise  des  Gottes,  den  er 
gerade  besingt,  als  müsse  er  zuletzt  geradezu  sich  hinreissen 
lassen  zu  der  Behauptung,  dieser  Gott  sei  ja  eigentlich  auch 
jener  andere  berühmte,  hochgelobte  Gott,  oder  gar  noch  din 
anderer.  Insbesondere  ist  es  Agni,  der  Gott  des  Feuers,  von 
dem  Aehnliche8  gesagt  wird.  So  singt  z.  B.  ein  Dichter  von 
ihm:  „Du,  o  Agni,  bist  Varuna,  wenn  du  geboren  wirst;  du 
bist  Mitra,  wenn  du  entflammt  bist;  in  dir,  du  Sohn  der  Kraft, 
sind  alle  Götter  enthalten;  du  bist  Indra  für  den  ver- 
ehrenden Sterblichen.  Du  bist  Aryaman  als  Werber  um  die 
Jungfrauen,  geheimnisvolles  Wesen  trägst  du  in  dir,  o  selbst- 
herrlicher I" 1 

,  Und  noch  mehr  in  einem  anderen  Hymnus: 

„Du,  Agni,  bist  der  stärkte  Indra»  du  bist  der  weitausschreitende 
yerehrungswürdige  Vishnn;  —  da,  Agni,  bist  König  Varuna  mit 

*  RV  6,  3,  1  und  2 


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78  — 


festen  Satzungen,  du  bist  der  wunderkraftige,  verehrungs würdige  Mitra, 
du  bist  auch  Aryaman,  der  Heerführer,  du,  o  Gott,  bist  Amc,a,  der 
beim  Opferfest  Gaben  austheilt;  du,o  Agni,  bist  Tvashfar;  du,  o  Agni, 
bist  der  lebendige  grosse  Radra,  du  bist  die  Marutschaar,  bist  Herr 
der  Labung;  mit  den  Winden  wandelst  du  dabin,  all  Pulhan  be- 
schützest du  (Üe  Verehrer;  Schatzspender  bist,  o  Agni,  du  dem  dienenden 
Opferer,  dn  bist  Gott  8avitar,  der  Schatxespender;  als  Bhaga  herrschest 
du  über  den  Reichthum,  o  Fürst;  du,  o  Gott  Agni,  bist  Aditi  für  den 
Verehrer,  als  Hotra  und  Bharatl  kräftigst  du  dich  durch  das  Lied; 
du  bist  14»,  die  hundertjährige,  du  bist  der  Vritratödter,  dn  8a- 
rasvati.1 

Aehnliche8  findet  sich  anoh  sonst  noch  vor.1  Sehr  merk- 
würdig aber  beisst  es  in  einem  Liede8:  ^Sie  nennen  ihn  Indra, 
Mitra,  Varuna,  Agnil  Dann  ist  es  der  himmlische  Vogel, 
der  Falkel  Das,  was  nur  Eines  ist,  nennen  die  Weisen  auf 
viele  Arten,  sie  nennen  es  Agni,  Yama,  Mataric,van!a 

Diese  eigonthümliche  Neigung,  die  Gestalten  verschiedener 
Götter  in  einander  übergehen,  zusammenniessen  und  verschmolzen 
zu  lassen,  zeigt  sich  auch  in  den  merkwürdigen,  im  Veda  sich 
vorfindenden  Compositis,  in  welchen  je  zwei  Götter  in  einem 
Worte  dualisch  zusammengefaßt,  gewissermassen  als  eine  Gott-% 
heit  dargestellt  und  angerufen  werden.  So  war  das  Siegeslied' 
des  Vasishtha  an  Indra-Varuna  als  eine  Gottheit  gerichtet 
So  finden  wir  häufig  Mitra-Varuna  als  eine  Gottheit;4  ebenso 
auch  Indra-Vayu,  d.  i.  Indra  und  Vayu  als  eine  Gottheit; 
desgleichen  Indra-Agni,  Indra-Püshan,  Indra-Brihas- 
pati,  Indra-Vishnu,  Indra-Soma,  Agni -Sorna,  Parjanya- 
Vata,  Soma-Püshan,  Soma-Rudra.5  Und  diese  Verschmel- 
zung ist  dann  eine  so  enge,  so  sehr  wird  der  eine  Gott  dem 
anderen  gleich  gedacht  und  gestaltet,  dass  man  z.  B.  von  den 
beiden  Mitra's6  spricht  und  darunter  Mitra  und  Varuna  ver- 
steht, oder  auch  von  den  beiden  Varuna 's,  was  wiederum 
so  viel  bedeutet  als  Mitra  und  Varuna,  und  so  fort 


1  RV  2,  1,  3—7.  11.  Hoträ  ist  die  Göttin  des  Opfergusses,  Bha- 
ratt  die  der  Darbringung,  I4&  die  des  LabetrunkB;  Sarasvatl  die  Göttin 

der  Rede,  des  Wortes. 

*  Vgl.  RV  3,  6,  4;  7,  12,  3;  10,  8,  6  u.  a,  8.  ferner  M.  Maller, 
Ursprung  und  Entwickelung  der  Roligiou,  p.  386. 

*  RV  1,  164,  46. 

4  Indisch  mltravaruna  oder  mitravarunaü  indrajaruna  oder  — 
nau  u.  s.  w. 

*  Vgl.  auch  M.  Mfiller.  Ursprung  und  Entwickelung  der  Religion, 
p.  386. 

*  Indisch  mitra  oder  mitran. 


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—    79  — 


Monotheistische  Neigungen  und  Ansätze.  Philoso- 
phisches. 

Bei  diesem  eigentümlichen  Charakter  des  vedischen  Glau- 
bens und  religiösen  Denkens  wird  es  uns  nicht  Wunder  nehmen, 
wenn  wir  in  den  jüngeren  Theilen  des  Rigveda,  speciell  im 
zehnten  Buche,  ein  Streben  wahrnehmen,  in  diese  zu  schwanken 
beginnenden  Verhältnisse  Sicherheit  und  Klarheit  zu  bringen, 
sei  es  nun  durch  entschiedene  Forderung  eines  einzigen 
Gottes,  sei  es  durch  philosophische  Statuirung  des  „Ignoramus", 
wenn  uns  also  theils  monotheistische,  theils  skeptische  Neigungen 
und  Bestrebungen  begegnen.  Wir  sehen  es  hier,  wie  der  indische 
Geist,  unbefriedigt  von  dem  bisher  Gebotenen,  nach  Neugestal- 
tungen bald  nach  der  einen,  bald  nach  der  anderen  Seite  hin 
ringt,  bald  positiv  fordernd  und  behauptend,  bald  hoffend, 
ahnend  und  fragend,  bald  auch  zweifelnd  oder  geradezu  negi- 
rend.  Schon  in  so  früher  Zeit  sehen  wir  bei  den  Indern  die 
Richtung  auf  philosophische  Speculation  hervortreten,  die  bei 
diesem  Volke  mit  dem  religiösen  Denken  fast  untrennbar  ver- 
bunden ist 

Der  Drang  darnach,  einen  Gott  als  den  alleinigen  Welten- 
schöpfer, als  den,  der  hinter  allen  Erscheinungen  doch  zuletzt 
verborgen  ist,  zu  glauben  und  zu  verehren,  dieser  monothei- 
stische Drang  offenbart  sich  in  mehreren  Hymnen  des  zehnten 
Baches,  die  einen  Gott  Vic,vakarman,  den  Schöpfer  aller 
Dinge,  feiern.    So  heisst  es  z.  B.  in  einem  derselben l: 

Was  war  das  wohl  für  ein  Standort,  was  war  das  für  ein  Stütz- 
punkt, und  wie  war  es,  von  wo  der  Allschöpfer,  die  Erde  erzeugend, 
den  Himmel  durch  seine  Macht  eröffnete,  der  allschauende?  (2) 

Er,  der  aberall  seine  Augen  hat  und  überall  seine  Münder,  überall 
»eine  Arme  und  überall  seine  Füsse,  mit  seinen  beiden  Armen  und  mit 
Schwungfedern  (als  Flederwischen)  schmiedet  er  Himmel  und  Erde,  er 
der  alleinige  Gott  (3) 

Was  war  das  für  ein  Holz  und  welches  war  der  Baum,  aus  dem 
man  Himmel  und  Erde  zimmerte?  Ihr  Weisen,  forscht  darnach  mit 
eurem  Geiste,  worauf  er  stand,  als  er  die  Welten  stützte.  (4) 

Den  Herrn  des  Worts,  den  Allschöpfer,  der  den  Geist  in  Bewegung 
*itxt,  ihn  möchten  wir  jetzt  heim  Opfer  herbeirufen;  er  möge  all  unsre 
Opferungen  freundlich  annehmen,  der  Allheilvolle,  Rechtwirkende,  damit 
er  uns  fordere.  (7) 

Und  in  einem  anderen  Hymnus  heisst  es': 

Der  als  unser  Vater,  Erzeuger  und  Schöpfer,  die  Ordnungen  kennt 
und  alle  Welten,  er,  der  fürwahr  allein  den  Göttern  ihre  Namen  gab, 
«  Ihm  kommen  die  anderen  Wesen,  um  ihn  zu  befragen.  (8) 


1  RV  10,  81.      »  BV  10,  82. 


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Was  Ober  den  Himmel  und  Ober  diese  Erde,  was  Ober  die  leben- 
digen Götter  hinausragt,  welches  war  der  erste  Keim,  den  die  Waaser 
empfingen,  als  alle  Götter  sich  versammelten?  (5) 

Diesen  ersten  Keim  empfingen  die  Wasser,  als  alle  Götter  *o- 
sammen  kamen,  das  Eine,  welches  eingefügt  ist  in  dem  Nabel  des  Un- 
geborenen, in  welchem  (oder  auf  welchem)  alle  Wesen  stehen.  (6) 

Den  werdet  ihr  nicht  erkennen,  der  diese  ersengte,  ein  Andres 
ist  für  euch  dazwischen;  von  Nebel  eingehüllt  und  von  Geschwate,  wan- 
deln dahin  die  Liedsanger,  am  Leben  sich  erfreuend.  (7) 

Es  ist  sehr  charakteristisch,  dass  selbst  neben  der  Er- 
scheinung dieses  Gottes,  der  der  einige  Weltenschöpfer  sein 
soll,  doch  die  Gestalten  der  anderen  Götter  wieder  herrortreten» 
wenn  auch  in  blassen  Umrissen,  und  dass  auch  hier  zuletzt  der 
Sänger  in  Zweifel  verfallt  und  den  Hörern  zuruft:  Ihr  werdet 
ihn  doch  nie  erkennen,  diesen  Allschöpfer.  Die  Gestaltung 
eines  echten  und  reinen  Monotheismus  ist  unmöglich!  Immer 
wieder  drängen  sich  einerseits  die  alten  Götter,  andererseits  der 
grübelnde  Zweifel  in  den  Vordergrund.1 

Ganz  besonders  merkwürdig  und  interessant  hinsichtlich 
dieser  monotheistischen  Neigungen  und  Strebungen  ist  ein  Lied, 
das  man  fast  vergleichen  möchte  mit  jenem  Altar,  den  der 
Apostel  in  Athen  „dem  unbekannten  Gotte"  aufgerichtet  fand. 
Mit  tiefem  Sehnen  sucht  und  forscht  der  Dichter  nach  dem 
Gotte,  der  der  Welten  Anfang,  erster  Keim  und  Schöpfer  alles 
Lebens  gewesen,  der  überall  in  der  Natur  sich  offenbart.  Er 
siebt  das  Göttliche  in  seinen  Aeusserungen  bald  hier,  bald  da, 
bald  dort,  und  immer  wieder  fragt  er,  zweifelnd,  suchend, 
sehnend  —  wer  ist  dieser  Gott  denn  eigentlich,  dem  wir 
unser  Opfer  darbringen? 

RV  10,  121: 

Am  Anfang  entfaltete  sich  ein  goldner  Keim,  es  war  der  eingeborene 
Herr  alles  Gewordenen;  er  stützte  die  Erde  und  diesen  Himmel,  —  wer 
ist  der  Gott,  dem  wir  mit  Opfern  dienen?  (1) 

Er,  der  den  Odem  verleiht  und  Kraft  spendet,  dessen  Gebot  alle 
GOtter  ehren,  dessen  Schatten  die  Unsterblichheit  und  der  Tod  lind«  — 
wer  ist  der  Gott,  dem  wir  mit  Opfern  dienen?  (2) 

Der  mit  Macht  König  geworden  ist  über  Alles,  was  da  athmet. 


1  Es  war  das  Schicksal  auch  der  in  spateren  Jahrhunderten  bei 
den  Indern  wiederholt  sich  kraftvoll  geltend  machenden  monotheistischen 
Bestrebungen,  doch  von  den  alten  Göttern  niemals  loszukommen,  immer 
wieder  in  den  alten  Polytheismus  au  verfallen  (man  vgl.  darüber  nament- 
lich das  vortreffliche  Buch  von  A.  Barth,  Les  Reiigions  de  rinde, 
Paris  1879).  Tief  wurzelt  im  indischen  Geiste  der  Glaube  an  die  Viel- 
heit der  Götter,  aber  gepaart  mit  einem  unverkennbaren  Drange  nach 
Erkenntniss  der  höheren  Einheit,  die  Allem  doch  zu  Grunde  liegt. 


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—   81  — 

was  die  Augen  bewegt  und  sich  regt,  der  da  herrscht  über  sweifüssige 
und  Tierfüssige  Weaen,  —  wei  ist  der  Gott,  dem  wir  mit  Opfern  dienen?  (3) 

Dessen  Macht  diese  Schneegebirge,  das  Meer  sammt  dem  Ocean 
anerkennen,  dessen  Arme  diese  Himmelsgegenden  sind,  —  wer  ist  der 
Gott,  dem  wir  mit  Opfern  dienen?  (4) 

Durch  den  der  gewaltige  Himmel  und  die  feste  Erde,  durch  den 
der  Aether  und  das  Firmament  gefestigt  sind,  der  in  den  Lüften  den 
Dunstkreis  durehmisst,  —  wer  ist  der  Gott,  dem  wir  mit  Opfern  dienen?  (5) 

Als  die  gewaltigen  Wasser  in  das  All  strömten,  den  Keim  em- 
pfangend, das  Feuer  gebärend,  da  entfaltete  sich  er,  der  Eine,  der 
Lebenshauch  der  Götter,  —  wer  ist  der  Gott,  dem  wir  mit  Opfern 
dienen?  (7) 

Und  am  Schluss  des  Liedes  redet  der  Dichter  diesen  un- 
bekannten Gott  an  und  nennt  ihn  „Herr  der  Geschöpfe", 
Praj&pati,  ein  Name,  der  in  der  folgenden  Periode  der  Yajur- 
Teden  und  Brahmana's  eine  bedeutende  Rolle  spielt.  Der 
Sanger  fleht: 

0  Herr  der  Geschöpfe,  kein  anderer  als  du  halt  alle  diese  Wesen 
umschlossen ;  welchen  Wunsch  hegend  wir  dir  opfern,  das  werde  uns  zu 
Theil!   Mögen  wir  Herren  sein  über  die  Reichthumer!  (10) 

Auch  in  diesem  Liede  sind  die  alten  Götter  noch  nicht 
ganz  verschwunden,  aber  das  monotheistische  Streben,  das 
Suchen  nach  dem  Einen  ist  doch  deutlich  zu  erkennen  und 
mu38  uns  gerade  dann  rührend  sein,  wenn  es  bei  der  Frage 
bleibt,  die  in  ihrer  bescheidenen  Wahrheit  aller  Selbstgewissheit 
baar  ist:  Wir  sehen  ihn  doch  in  seinen  Offenbarungen!  Wer 
ist  denn  dieser  Gott?  Wir  kennen  ihn  nicht  und  möchten  ihn 
doch  erkennen! 

Nach  der  philosophischen  Seite  hin  ist  ein  anderes,  viel- 
berühmtes Lied  das  Gröeste  und  Bedeutendste,  was  der  Veda 
uns  bietet  Mit  ihm  werde  ich  daher  wohl  passend  diese  Dar- 
legungen schliessen  dürfen,  da  es  mit  seinen  tiefsinnigen  Ge- 
danken wie  ein  ernster  Meilenzeiger  dasteht,  der  schon  weit  in 
die  künftige  Periode  hineinweist.  Mit  kühner  philosophischer 
Construction  boginnt  der  Dichter,  den  Weltenanfang  schildernd, 
mit  den  höchsten  Begriffen,  Sein  und  Nichtsein  und  jenem 
ersten  Einen  operirend,  bis  er  zuletzt  doch  mit  einer  schweren 
zweifelnden  Frage  schliesst. 

RV  10,  129: 

1.  Damals  war  weder  8ein  noch  Nichtsein,  nicht  war  der  Luftkreis, 
noch  der  Himmel  drüber.  Was  bewerte  sich?  wo?  und  in  wessen 
Schutze?  gab  es  das  Wasser  und  den  tiefen  Abgrund? 

2.  Nicht  Tod  war  damals,  nicht  Unsterblichkeit,  nicht  war  ein 
Unterschied  von  Nacht  und  Tag,  es  athmete  ohne  Hauch  durch  Selbst- 
wtsung  das  Da«1  allein,  und  ausser  diesem  gab  es  gar  nichts  Anderes! 

1  D.  h.  das  erste,  uranfanglicbe  Sein  (tat). 

t.  8ekr*d«r.  Indieu  Lit.  u.  Cmlt.  <i 


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3.  Finsterniss  war  von  Finsterniss  umhüllt  am  Anfang,  ein  unter- 
schiedloses Meer  war  dieses  All;  die  Oede  war  vom  leeren  Raum  um- 
schlossen, da  ward  geboren  das  Das  allein,  durch  die  Kraft  der  Warme.1 

4.  Da  entsprang  zu  Anfang  das  Verlangen,2  das  war  der  erste  Same 
des  Denkens;  das  Band  des  Seins  an  dem  Nichtsein  fanden  die  Weisen, 
im  Herzen  es  suchend  mit  Andacht 

5.  Querdurch  ist  ihre  Schnur  gezogen;  gab  es  ein  Unten V  gab  es 
ein  Oben?  Samengeber  gab  es,  Machte  gab  es;  Selbstsetzung*  unten, 
Gewährung  oben.* 

<>.  Wer  weiss  es  wohl,  wer  kann  es  hier  verkünden,  woher  sie  ge- 
kommen, -woher  diese  Schöpfung?  Ob  die  Götter  erst  nach  ihr  ent- 
standen?  Wer  weiss  es,  woher  sie  geworden? 

7.  Diese  Schöpfung,  woher  sie  geworden,  ob  sie  geschaffen  wurde 
oder  nicht?  Er,  der  im  höchsten  Himmel  waltet  über  dieser  Welt,  der 
weiss  es  wohl,  —  oder  weiss  auch  der  es  nicht? 


Anhang. 

Den  vorstehenden  Capiteln,  welche  sich  mit  dem  Kigveda 
speciell  beschäftigen,  darf  wohl  als  passender  Anhang  ein  Ver- 
zeichni8s  der  vornehmsten  Ausgaben,  Uebersetzungen  und  son- 
stigen Hülf8mittel  zum  Studium  desselben  beigefügt  werden. 

Ausgaben: 

F.  Rosen,  Rigvedae  speeimen,  London  1830. 

F.  Rosen,  Rigveda  Sanhita,  über  primus,  sanskrite  et  latine,  Lon- 
don, 1838. 

Max  Müller,  Rig- Veda-Sanhita,  the  sacred  hymns  of  the  Brau- 
mans,  together  with  the  commentary  of  Sayanacharya,  London 
1849—1874  (6  voll.). 

Max  Müller,  The  hymns  of  the  Rigveda,  London  1873  ,  2  voll  ; 
2.  Aufl.    Londou  1877.   (Enthält  nur  den  Text,  in  Sanskritlettern.) 


1  täpasas;  die  „Siebenzig  Lieder**  übersetzen  auch  „kraft  der 
Warme";  tapas  vereinigt  spater  beide  Bedeutungen:  „Gluth,  Warme" 
und  „Busse*4,  welch  letztere  in  den  Kosmogonieen  der  jetztfolgenden 
Periode  eine  wichtige  Rolle  spielt,  daher  man  auch  daran  denken  könnte, 
diesen  Betriff  hier  suchen  zu  wollen,  der  aber  freilich  auf  späteren  Ur- 
sprung des  ganzen  Liedes  deuten  würde.  Bas  Täittiriya  Brahmana  2,  8, 
9,  4  hat  eine  beachtenswerte  Variante,  nämlich  tämasas  „aus  dem 
Dunkel,  aus  der  Finsterniss".  Vielleicht  ist  dies  das  Alte,  später  durch 
täpasas  ersetzt. 

2  kama  Verlangen,  Begehren,  Wunsch,  oder  Liebe,  später  auch  der 
Liebesgott,  Eros. 

B  svadha  Selbstsetzimg,  Sitte;  auch  Bezeichnung  eines  süssen 
-Trankes,  der  insbesondere  den  Vätern,  den  Manen  dargebracht  wird. 

4  Ich  habe  diesen  einigermassen  dunklen,  rätselhaften  Vers  nicht 
aus  dem  Liede  ausscheiden  wollen.  Es  scheint  darin  von  der  Scheidung 
der  Götter-  und  der  Menschenwelt  in  kurzen  mystischen  Worten  geredet 
zu  werden. 


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-  83 


Tk  Aufrecht.  Die  Hymnen  des  Rigveda,  Berlin  1861  und  1863. 
v2  Bande,  in  Transscription ;  bildet  deu  6.  und  7.  Band  von  Weber's 
„Indischen  Studien").   2.  Aufl.    Bonn  1877  <als  besonderes  Werk). 

Roer'»  Ausgabe  von  Text  und  Commentar  des  Rigveda  (Calcntta  1849} 
ist  über  den  ersten  Anfang  nicht  hinausgekommen. 

lebersetzungen: 

F.  Max  Müller,  Rjg-Veda-Sanhita,  the  sacred  hymns  of  the  Brahmans, 
translated  and  explained.  Vol.  I,  Hymns  to  the  Maruts  or  the  Storm- 
Gods.   London  1869.   (Mehr  ist  bis  jetzt  nicht  erschienen). 

Hermann  Grassmann,  Rig-Veda,  übersetzt  und  mit  kritischen  und 
erläuternden  Anmerkungen  versehen,  Leipzig  1876  u.  1877.  2  Bande. 

Alfred  Ludwig,  Der  Rigveda  oder  die  heiligen  Hymnen  der  Brah- 
mana,  zum  ersten  Male  vollständig  ins-  Deutsche  übersetzt  mit  Oom- 
mentar  und.  Einleitung.  Band.  I  u.  II,  Prag  1876,  enthält  die  üeber- 
setzung.  Band  III  (1878)  eine  umfängliche  Einleitung;  Ba  lVu.V 
den  Commentar  (1881.  1883). 

SUbenzig  Lieder  des  Rigveda,  übersetzt  von  Karl  G  dner  und 
Adolf  Kaegi,  mit  Beitragen  von  R.  Roth.   Tübingen  1875. 

Lex  italisches: 

Ausser  den  in  erster  Linie  wichtigen,  von  R.  Roth  herrührenden 
vediscaen  Artikeln  des  „Petersburger  Wörterbuchs",  noch; 

Hermann  Grassmann,  Wörterbuch  zum  Rig-Veda,  Leipzig  1873. 

Erläuterndes: 

Colebrooke,  On  the  Vedas,  As.  Res.  Calcntta  1806.    Deutsch  von 

L.  Poley,  Leipzig  1847. 
R.Roth,  Zur  Literatur  und  Geschichte  desWeda,  Stuttgart  1846. 
Msx  Müller,  A  History  of  Ancient  Sanskrit  Literature,  so  far 

ad  it  illustrates  the  primitive  religion  of  the  Brahmaus.  London  1859. 
J.  Muir,  Original  Sanskrit  Texts  on  the  origin  and  history  of  the 

people  of  India,  their  religion  and  institutions,  collected,  translated 

and  illustrated.   Vol.  V,  London  872. 
Heinrich  Zimmer,  Altindisches  Leben,  die  Cultur  der  vedischen 

Arier,  nach  den  Samhita  dargestellt,  Berlin  1879. 
Adolf  Kaegi,  Der  Rigveda,  die  älteste  Literatur  der  Inder.  2.  Aufl. 

Leipzig  1881. 

Als  besonders  wichtig  wären  noch  viele  einzelne  Essays  und  Auf- 
sitze von  Max  Müller  hervorzuheben    die  sich  nicht  alle  einzeln 

namhaft  machen  lassen, 
fh.  Benfey,  Vedica  und  Verwandtes,  Strassburg  und  London  1877. 

Gram  nia  tischet»: 

B.  Delbrück,  Das  Altindische  Verbum,  aus  den  Hymnen  des  Rig- 
veda serneni  Baue  nach  dargestellt,  Halle  1874. 
B.  Delbrück,  in  den  „Syntaktischen  Forschungen"  von  B.  Del- 
brück und  E.  Windisch,  Bd.  I  u.  II,  Halle  1871.  1877.  (Bd.  1 
der  Gebrauch  des  Conjunctiv  und  Optativ  im  Sanskrit  und  Griechi- 
schen; Bd.  II  Altindiscbe  Tempuslehre). 
Charles R.  Lanman,  Noun-Inflection  in  the  Veda,  New  Häven  1880. 

Das  gesammte  grammatische  Material  des  Rigveda  findet  sich  be- 
reits lichtvoll  mit  verarbeitet  in  W.  D.  Whitney 's  vortrefflicher  „In- 
discher Grammatik",  vgl.  oben  p.  16. 


6* 


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Siebente  Vorlesung 


Uebersiedelung  io  das  Gangesgebiet.  Periode  des  Yajurveda.  Grosse 
Wandlungen  und  Umwälzungen,  welche  in  dieser  Zeit  stattgefunden 
haben  müssen.  Gegensatz  der  späteren  Zeit  verglichen  mit  der  des  rjlig- 
veda.  an  hervorragenden  CnJture  räch  einungen  verdeutlicht.  Veränderte 
äussere  Lebensbedingungen.  Literarische  Denkmäler  aus  der  Zeit  de* 
Ueberganges.  Die  culturhistorische  Bedeutung  der  Yajurveden.  Die 
fünf  uns  erhaltenen  Sawbita'B  verschiedener  Schulen  des  Yajurveda. 
Allgemeiner  Vergleich  des  Kigveda  und  Yajurveda  und  des  in  ihnen  zu 
Tage  tretenden  Geistes.   Charakteristik  der  Gottesverehrung  zur  Zeit 

des  Yajurveda. 


Auf  die  Periode  des  Kigveda  folgt  eine  Zeit  der  bedeut- 
samsten und  folgenreichsten  Umgestaltungen  in  der  Geschichte 
des  indischen  Volkes.  Ein  grosser,  wohl  der  grösste  Theil  der 
bis  dahin  im  Penjab  ansässigen  indischen  Stämme  zog  von  dort 
weiter  ostwärts  und  siedelte  sich  zunächst  im  oberen  Thale 
des  Ganges  und  der  Yamuna,  sowie  an  der  Sarasvati  uud 
Drishadvati,  zwei  kleineren  Strömen  im  Westen  der  eben- 
genannten, an,  während  dann  im  Laufe  der  Zeit  verschiedene 
Stämme  auch  noch  weiter  nach  Osten  vordrangen.  Hier  nimmt 
das  sociale  und  politische  Leben  ebenso  sehr  wie  das  geistige 
und  religiöse  allmählich  eine  wesentlich  veränderte  Gestalt  an. 
Die  Zeit  des  Hirtenlebeus  ist  abgeschlossen,  die  Inder  werden 
zu  einem  festangesessenen  Volke,  bei  welchem  Ackerbau  und 
Industrie  emporblüht.  Grosse  Städte,  Residenzen  erheben  sich, 
unter  denen  manche  im  Laufe  der  Zeit  als  Sitz  angesehener 
Königsgeschlechter  bekannt  und  berühmt  werden.  Das  früher 
in  zahlreiche  kleine  Stämme  gespaltene  Volk  vereinigt  sich  zu 
grösseren  Complexen  unter  dem  Scepter  dieser  Fürsten.  Feste 
ständische  Gliederung  des  Volkes  tritt  ein,  die  im  Laufe  der 
Jahrhunderte  immer  straffer  zugezogen  als  Resultat  endlich  das 
sogenannte  Kastenwesen  hervorbringt  Vor  Allem  war  es  der 
immer  mehr  zur  Herrschaft  gelangende  Priesterstand,  der  dem 


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-    85  - 

ganzen  indischen  Leben,  den  staatlichen  und  socialen  Institu- 
tionen wie  den  geistigen  Productionen  das  Gepräge  aufdrückte, 
wie  es  seinen  Anschauungen  und  Wünschen  entsprach. 

Wie  bedeutend  die  mannigfachen  Umwälzungen  und  Wand- 
lungen dieser  Jahrhunderte  des  Ueberganges  und  der  Ent- 
wickelung  gewesen,  vermag  man  am  besten  abzuschätzen,  wenn 
man  sich  das  Resultat  derselben,  die  Periode  des  indischen 
Mittelalters  (ca.  von  dem  Jahre  600  v.  Chr.  an)  in  ihren  her- 
vortretendsten  Zügen  vergegenwärtigt.  Ein  grösserer  Gegensatz, 
als  er  zwischen  der  Epoche  des  Mahabharata,  des  Ramayana 
und  des  Gesetzbuches  des  Manu  im  Vergleich  mit  der  Zeit  des 
Rigveda  besteht,  lasst  sich  in  der  That  kaum  denken,  und  ich 
stehe  nicht  an  zu  behaupten,  dass  wir  in  der  Entwickelung 
keines  einzigen  indogermanischen  Volkes  so  ungeheuere  Um- 
wandlungen, so  schroffe  Gegensätze  vorfinden.  Der  Gegensatz 
des  germanischen  Mittelalters  mit  seinem  Ritter-  und  Mönchs- 
wesen, seinen  Kreuzzügen  und  Wallfahrern,  seinem  Heiligen- 
und  Madonnencultus,  seinen  Flagellanten  und  Eremiten,  gegen- 
über den  altdeutschen  Zuständen,  wie  sie  Tacitus  schildert,  ist 
freilich  gross  und  bedeutend  genug,  aber  doch  noch  nicht  in 
dem  Maas8e  schroff  wie  der  Gegensatz  zwischen  der  vedischen 
Zeit  und  dem  Mittelalter  bei  den  Indern.  Ja  gerade  alle  die- 
jenigen Erscheinungen,  welche  den  fremdländischen  Beobachtern 
spaterer  Zeit  als  die  am  meisten  charakteristischen  Eigen- 
tümlichkeiten des  indischen  Volkes  on  vornherein  in  die 
Augen  sprangen,  sind  in  der  Periode  des  Rigveda  überhaupt 
nicht  vorhanden. 

Vor  allen 'Dingen  das  Kastenwesen,  welches,  bei  keinem 
Volke  der  Erde  mit  solcher  Schroffheit  ausgebildet,  mit  eiserner 
Gewalt  das  ganze  Leben  und  Denken  der  Inder  beherrschte 
and  die  niederen  Gassen  des-  Volkes  in  tiefes,  grenzenloses 
Elend  stiess.  Sodann  der  unerschütterliche  Glaube  an  die 
Seelen  Wanderung,  von  wolcher  im  Rigveda  noch  keine  Spur 
wahrzunehmen  ist  und  welche  doch  schon  im  sechsten  Jahr- 
hundert v.  Chr.  so  allgemein  als  unumstössliches  Dogma  geglaubt 
wurde,  dass  des  Gautama  Buddha  alleiniges  Streben  darauf 
gerichtet  war,  den  Weg  zu  finden,  wie  sich  der  gequälte 
Mensch  von  der  Nothwendigkeit  der  Wiedergeburt  zu  befreien 
vermag.  Ein  furchtbarer  und  schwer  lastender  Glaube,  der  in 
Indien  keineswegs  auf  die  Dogmatik  von  Philosophen  und 
Priestern  beschränkt  ist,  sondern  vielmehr  das  gesammte  Volk 
durchdringt,  sein  Handeln  und  Denken  beständig  beeinflusst 
Ferner  das  ausgebildete  Einsiedler-  und  Büsserwesen,  jene 


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-   86  — 


oft  unglaublich  scheinenden  Kasteiungen  und  Peinigungen,  denen 
sieb  die  Inder  freiwillig  unterziehen,  in  dem  Glauben,  ein  Gott 
wohlgefälliges  Werk  zu  vollführen  oder  gar  Kräfte  dadurch  zu 
gewinnen,  durch  die  sich  selbst  die  Götter  zwingen  lassen. 
Ungeheuerliches  berichten  uns  darüber  die  literarischen  Denk- 
mäler des  indischen  Mittelalters.  Ungeheuerliches  und  Grauen- 
volles erzählen  Reisende  seit  Jahrhunderten  von  diesen  Seibet- 
peinigungen der  indischen  Asketen,  denen  sicherlich  wieder  kein 
Volk  der  Erde  gleich  extreme  Erscheinungen  an  die  Seite  zu 
stellen  vermag.1  Von  alledem  war  zur  Zeit  des  ftigveda  keine 
Spur  zu  entdecken,  wo  wir  ein  frisches  naturwüchsiges  Volk 
vor  uns  sehen,  das  selbst  von  dem  Begriff  der  Sinnen- 
zügelung, mit  dem  später  so  viel  operirt  wird,  noch  keine 
Ahnung  hatte. 

Es  fehlten  also  in  der  ältesten  Periode  gerade  die  wich- 
tigsten Factoren,  die  später  das  innerste  Wesen  dieses  merk- 
würdigen Volkes  constituiren. 


Es  fehlten  in  jener  Periode  auch  die  seltsamen,  oft 
kolossalen  Tempelbauten  mit  ihren  Götterbildern,  deren 
Fratzonhaftigkeit  und  Sinnlichkeit  den  Missionaren  ein  schwerer 
AnBtoss,  ästhetisch  empfindenden  Menschen,  wie  z.  B.  Goethe, 
ein  Greuel  gewesen  sind.* 

Und  um  endlich  auch  das  Schöne  nicht  zu  vergessen,  — 
es  fehlte  zur  Zeit  des  Rigveda  völlig  jene  wunderbare  Weich- 
heit und  Zartheit,  die  uns  an  vielen  späteren  Poesien  ent- 
zückt, die  reiche,  blühende,  traumhaft  und  märchenhaft 
geartete  Phantasie,  und  jenes  zartpoetische  Zusammenleben 
mit  Blumen  und  Vögeln,  mit  Lotos,  Mangobäumen,  Gazellen 
und  Mondenschein ;  es  fehlte  auch  die  glühende  erotische 
Richtung  der  Folgezeit.  Im  Zeitalter  des  Kigveda  war  das  Alles, 
Alles  anders. 

Bei  so  ungeheueren  Veränderungen  und  Umgestaltungen 
wird  es  eine  Aufgabe  von  hoher  culturgeschichtliche  Bedeutung 
sein,  die  Gründe  dieser  Wandlungen  zu  erforschen  und  die  all- 
mähliche Entwicklung  derselben  an  der  Hand  glaubwürdiger 
Denkmäler  zu  verfolgen. 

Es  ist  in  dieser  Hinsicht  mit  Recht  schon  wiederholt  auf 


1  Vgl.  beiipielsweiae  C.  Meinera,  Geschichte  der  Religionen,  Bd.  II 
(Hannover  1807)  p.  168  flg. 

1  Vgl.  Zahme  Xenien,  zweite  Reihe:  , »Nehme  sie  Niemand  zum 


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—   87  - 


die  veränderten  geographischen  und  klimatischen  Bedin- 
gungen hingewiesen  worden,  in  welche  die  Inder  durch  die 
Uebersiedelung  in  das  Gangesland  eingetreten  waren.1  Die 
heisse,  an  Feuchtigkeit  reiche  Atmosphäre  des  in  seiner  tropi- 
schen Vegetation  üppig  wuchernden  Gangesthaies  musste  dem 
Charakter  der  alten  Arier  mit  der  Zeit  eine  andere  Färbuug 
geben.  Der  alte  streitbare,  kühne,  frische  Sinn  musste  in 
diesem  Klima  allmählich  erschlaffen.  Leicht  war  es  hier  in 
dem  in  Ueberfülle  fruchtbaren  Lande  des  Reises,  des  Zucker- 
rohrs, der  mächtigen  Feigenbäume  und  der  nahrhaften  Bananen 
seinen  Lebeosunterhalt  zu  finden;  um  so  leichter,  als  ja  der 
Körper  bekanntlich  bei  dem  heissen  und  feuchten  Klima  weniger 
Nahrung  beansprucht  Die 'Atmosphäre  selbst  zwingt  dort  den 
Menschen  zur  Ruhe,  und  leicht  vermag  sich  da  der  Hang  zum 
beschaulichen  Nachdenken  und  Grübeln  zu  entwickeln,  wofür 
die  Inder  offenbar  schon  eine  nicht  unbedeutende  Anlage  mit- 
brachton. 

Aber  so  wichtig  und  bedeutsam  uns  auch  dieser  klima- 
tische Factor  für  dio  Erklärung  der  allgemein  veränderten 
Grundstimraung  des  indischen  Geistes  sein  mura,  so  werden 
vir  uns  doch  daran  alloiu  nicht  genügen  lassen  können.  Wir 
werden  fragen  müssen,  ob  uns  denn  keine  literarischen 
Denkmäler  aus  jener  Zeit  des  Ueberganges,  der  folgenreichen 
inneren  Umwandlungen  erhalten  und  ob  dieselben  nicht  im 
Stande  sind,  uns  das  Verständniss  dafür  zu  eröffnen,  welche 
Wege  jener  Umwälzungsprocess  genommen,  welche  Kräfte  und 
Gewalten  in  jener  Zeit  als  die  activen,  bestimmenden  Factoren 
sich  offenbaren.  Solche  Denkmäler  sind  nun  in  der  That  vor- 
handen und  zwar  in  ziemlich  beträchtlicher  Anzahl.  Es  sind 
in  erster  Linie  die  bisher  culturhistorisch  noch  wenig  ver- 
werteten und  ausgebeuteten  Yajurveden,  an  welche  sich 
weiterhin  die  ihnen  im  Geiste  verwandten  sogenannten  Brah- 
mana's  anschliessen.  Eine  spätere  Stufe  repräsentiren  sodann 
die  Sutra's,  die  Aranyaka's  und  Upanishaden,  in  denen 
die  Entwickelung  schon  bedeutend  weiter  vorgeschritten  ist 

Der  Schwerpunkt  unserer  Untersuchung  muss  zunächst  auf 
den  Yajurveden  ruhen,  weil  dies  fast  die  einzigen  übrig  ge- 
bliebenen Zeugen  aus  jener  Zeit  sind,  welche  sich  unmittelbar 
an  die  Periode  des  rjigveda  anschliesst,  aus  der  Zeit  etwa 
zwischen  den  Jahren  1000  und  800  v.  Chr.    Wenn  irgendwo, 


1  Vgl  z.  B.  Kocppen,  Religion  de»  Buddha,  Bd.  I  p.  23.  24,  wo 
dieser  Factor  wohl  mit  Recht  sehr  hoch  angeschlagen  wird. 


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—   88  — 


so  müssen  wir  hier  den  geistigen  Wendepunkt  in  der  Ent- 
wicklung der  Inder  suchen,  von  dem  aus  uns  die  Folgezeit  in 
ihrer  eigenartigen  Gestaltung  nach  und  nach  verständlich 
werden  kann.  Wir  werden  also  zunächst  fragen:  Welche  Werke 
sind  es,  die  man  mit  dem  Namen  Yajurveda  bezeichnet?  wo- 
durch sind  sie  charakterisirt?  was  ist  ihr  Inhalt?  und  welche 
Stufe  der  geistigen  und  sittlichen  Entwickelung  ist  von  ihnen 
repräaentirt? 

Ich  will  mich  bemühen,  diese  Frage  möglichst  deutlich 
und  eingehend  zu  beantworten.  Und  ich  unternehme  dies  um 
so  Heber,  als  die  erwähnte  Periode  bisher  noch  nicht  die  ge- 
nügende Beachtung  gefunden  und  insbesondere  in  ihrer  cultur- 
ge8chichtlichen  Bedeutung  noch  'nirgends  deutlich  zur  An- 
schauung gebracht  worden  ist. 

Der  Yajurveda  oder  Veda  der  Opfersprüche,  von  dem 
Worte  yajus  „der  Opferspruch",  enthält  diejenigen  Sprüche  oder 
Verse,  welche  der  die  eigentliche  Opferhandlung  verrichtende 
Priester,  der  sogenannte  Adhvaryu,  zu  sprechen  oder  zu 
murmeln  hatte.  Diese  Sprüche  und  Verse  sind  ausserdem  von 
Bemerkungen  begleitet,  die  das  oft  sehr  complicirte  Ritual 
näher  erläutern  sollen,  und  es  schliessen  sich  daran  Gedanken 
und  Speculationen  über  das  Wesen  und  den  Werth  der  ein- 
zelnen Opferhandlungen  sowie  des  Opfers  im  Allgemeinen» 
symbolische  Deutungen,  Legenden,  Mittheilungen  und  Rath- 
schlage  für  die  Priester,  wie  sie  in  gegebenen  Fällen  am  besten 
in  ihrem  Interesse  verfahren  könnten.  Diese  erörternden,  pro- 
saischen Theile  der  Yajurveden  enthalten,  beiläufig  bemerkt, 
die  älteste  überhaupt  bekannte  indische,  ja  wohl  die  älteste 
indogermanische  Prosa1)  und  müssen  -  uns  also  auch  aus 
diesem  Gesichtspunkte  als  ehrwürdige  Denkmäler  erscheinen» 
die  der  Betrachtung  sehr  wohl  werth  sind,  mag  ihr  Inhalt  im 
Uebrigen  sein,  wie  er  wolle. 

Da  der  Yajurveda  das  praktisch  wichtigste,  das  Haupt» 
buch  für  den  handelnden  Priester  war,  so  muss  es  uns  sehr 
natürlich  erscheinen,  dass  uns  derselbe  in  den  mehr  oder 
weniger  abweichenden  Recensionen  verschiedener  Priesterschulen 
vorliegt,  die  aber  doch  auf  einer  der  Hauptsache  nach  durchaus 
übereinstimmenden  Basis  aufgebaut  sind.  Nirgends  machen 
sich  ja  so  leicht  abweichende  Meinungen  und  die  Neigung  zu 


1  Nur  die  prosaischen  TheUe  des  Avesta  könnten  hier  in  Con- 
currenz  treten,  and  es  wird  kaum  möglich  sein  zu  entscheiden,  ob  Inder 
oder  Perser  hier  die  Priorität  für  sich  beanspruchen  dürfen. 


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—    89  — 

sektarischen  Scheidungen  geltend  als  auf  dem  religiösen  und 
theologischen  Gebiete,  wofern  nicht  ein  strammes  einheitliches 
Kirchenregiment  dem  entgegen  steht,  was  bei  den  Brahmanen 
bekanntlich  nie  der  Fall  gewesen.  In  Indien  müssen  sich  früh 
diese  verschiedenen  Schulen  des  Opferveda  gebildet  haben,  die 
in  einer  Menge  unbedeutender  Einzelheiten  von  einander  ab- 
weichen, in  allem  Wesentlichen  aber  doch  ganz  Dasselbe  bieten, 
sowohl  in  Bezug  auf  die  zu  Grunde  liegende  Opferhandlung 
als  auch  hinsichtlich  der  Art  ihrer  Erklärung  und  sonstiger 
Erörterungen. 

Der  Yajurveda  ist  uns  bis  jetzt  in  den  Recensionen  von 
fünf  verschiedenen  Schulen  bekannt  geworden,  obgleich  es  sehr 
wahrscheinlich  ist,  dass  noch  manche  andere  Recensionen  existirt 
haben.    Die  drei  ältesten  unter  jenen  fünf  sind: 

1)  Das  K&thakam  oder  der  Yajurveda  in  der  Recension 
der  Katha-Schule;  bisher  nur  handschriftlich  vorhanden.1 

2)  Die  Kapishthala-Ha^ha-Samhita  oder  der  Yajur- 
yeda  in  der  Recension  der  Kapishthala-Ka^ha-Schule,  der  nur 
in  ziemlich  corrumpirten  Fragmenten  handschriftlich  vorliegt.* 

3)  Die  Mäitrayani  Sämhita  oder  der  Yajurveda  in  der 
Recension  der  Mäitrayaniya- Schule,  von  welchem  ich  eine  Aus- 
gabe veranstaltet  habe.3 

An  diese  drei  reiht  sich  als  ein  etwas  jüngeres  Werk: 

4)  Die  Taittirlya-Samhita  oder  der  Yajurveda  in  der 
Recension  der  Taittiriya-Schule.4 

Diese  vier  Recensionen  sind  unter  einander  näher  verwandt 
und  werden  auch  mit  dem  Gesammtnamen  „der  schwarze 
Yajurveda41  bezeichnet    Von  ihnen  scheidet  sich 

5)  Die  Vajasaneyi-Samhita,  die  auch  den  Namen 
„weisser  Yajurveda"  fuhrt.5  Diese  Recension  des  Yajur- 
veda wird  von  der  Schule  der  sogenannten  Vajasaneyin's  be- 


1  Die  Königl.  Bibliothek  zu  Berlin  besitzt  das  einzige  bisher  be- 
kannte vollständige  Exemplar  dieses  Werkes;  ich  habe  es  dort  durch- 
gearbeitet. 

*  Das  einzige  nach  Europa  gekommene  Exemplar  dieses  Werkes 
aabe  ich  durch  Prof.  Weber's  Freundlichkeit  längere  Zeit  bei  mir  haben 
kdnnen  und  auch  einige  Mittheilungen  darüber  gemacht  (Einl.  zur  Aus- 
gabe der  Maitr.  SamhA 

*  Mäitrayani  SarahiU,  herausg  v.  Dr.  Leopold  v.  8chroeder. 
Her  Bande,  Leipzig  1881—1886. 

4  Herausgegeben  yon  Albrecht  Weber  in  Transscription,  im  11. 
und  12.  Bande  seiner  Indischen  Studien,  Leipzig  1871.  1872. 

*  Herausgegeben  von  Albrecht  Weber,  The  White  Yajur- 
veda, Part  I  The  V&jasaneyi-Sanhita  in  the  Madhyandina-  and  the 


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—    90  - 

nutzt.  Sie  ist  jedenfalls  die  jüngste,  wenn  sie  auch  in  der 
Gegenwart  die  meisten  Anhänger  in  Indien  zählt.  Die  älteren 
Schulen  sind  im  Laufe  der  Zeit  verdrängt  worden  und  daher 
ihre  Bücher  auch  verhältnissmässig  spät  ans  Licht  gekommen. 
Gegenwärtig  wendet  man  ihnen  mehr  und  mehr  die  Aufmerk- 
samkeit zu.  In  allem  Wesentlichen  übrigens,  —  um  das  noch 
einmal  zu  betonen,  —  stimmen  die  vier  erstgenannten  Reoen- 
sionen  des  Yajurveda1  ganz  überein,  so  dass  man,  wenn  man 
das  eine  dieser  Werke  charakterisirt,  auch  die  anderen  mit 
schildert.  Sehr  vielfältig  ist  diese  Uebereinstimmuug  eino  ganz 
wörtliche,  namentlich  in  den  zu  sprechenden  Sprüchen  und 
Versen. 

Vergleichen  wir  nun  den  Yajurveda  mit  dem  lligvoda, 
—  worin  macht  sich  da  die  neue  Zeit  golteud,  worin  zeigt  sich 
ein  geistiger  Umschwung,  eine  veränderte  Richtung  der  geistigen 
Ziele? 

Zunächst  lässt  sich  nicht  leugnen,  dass  der  Yajurveda, 
wie  dies  ja  bei  dem  nicht  allzugrosson  Abstand  in  der  Zeit 
natürlich  ist,  in  gar  mancher  Beziehung  dem  Qigveda  noch 
recht  nahe  steht. 

Wie  die  Sprache  des  Yajurveda  im  Wesentlichen  noch 
mit  der  des  Rigveda  übereinstimmt  und  nur  im  Einzelnen 
grammatische  und  syntaktische  Besonderheiten  hervortreten 
lässt,  während  sie  von  der  sjiäteron  sogenannten  klassischen 
Sanskrit-Sprache  durch  eine  bedeutende  Kluft  getrennt  ist,  so 
finden  wir  im  Yajurveda  auch  im  Wesentlichen  noch  dieselbe 
Götterwelt,  wie  sie  uns  aus  dem  Kigveda  her  bekannt  ist.  Die 
alten  Götter  Varuna,  Indra,  Agni,  Mitra  u.  s.  w..  ob  auch  in 
einzelnen  Zügen  verändert,  begegnen  uns  auch  hier  als  die- 
jenigen, welchen  sich  Gebot  und  Opfer  zuwendet.  Im  Einzelnen 
machen  sich  aber  doch  Veränderungen  und  Verschiebungen  be- 
merkbar, die  nicht  ohne  Bedeutung  sind.  So  z.  B.  treten  zuerst 
hier  im  Yajurveda  die  Asura's  als  die  speeifisch  bösen 
Dämonen  auf,  während  im  Kigveda  selbst  Varuna  noch  das 
Epitheton  „asura"  erhält.  Erst  im  Yajurveda  ist  die  Geistor- 
welt getheilt  in  die  guten  Deva's  und  die  schlimmen  Asura's, 
die  als  zwei  feindliche  Parteien  sich  beständig  bekriegen  und  . 


Kauva-^akha  with  the  commentary  of  Mahidhara,  Berlin-London,  185*2. 
Part  II  The  Catapatha-Brahmana  etc.  1855.  Tart.  III  The  C'an- 
tasntra  of  Katyuyana  etc.  1859. 

1  Welche  eben  zusammen  den  sogenannten  „schwarzen  Yajurveda" 
ausmachen. 


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gegenseitig  zu  schaden  und  zu  übery ortheilen  suchen;  ein 
Gegensatz,  der  in  den  Legenden  des  Yajurveda  eine  bedeutende 
Rolle  spielt. 

Vishnu  tritt  im  Yajurveda  schon  etwas  mehr  hervor  als 
im  Rigveda;  er  wird  z.  B.  wiederholentlich  mit  dem  hier  über 
Alles  wichtigen  Opfer  identificirt  Auch  Qiva,  der  im  Rig- 
Ted  eigentlich  noch  ganz  fehlte,  ist  aufgetreten;  und  der  Be- 
griff des  Brau  man  macht  sich  vielfach  als  sehr  wichtig  geltend, 
nicht  mehr  bloss  als  „Gebet",  sondern  als  Jnbegriff  der  Ge- 
bets- und  Priesterheiligkeit«,  was  im  Rigveda  noch  nicht  der 
Fall  war.1 

Die  Apsarasen,  eine  Art  himmlischer  Nymphen,  die  im 
Rigveda  nur  wenig  bedeuten,  aber  in  der  späteren  Mythologie, 
umkleidet  mit  allen  Reizen  verführerischer  sinnlicher  Schönheit, 
eine  bedeutende  Rolle  spielen,  treten  im  Yajurveda  schon  mehr 
hervor,  indem  eine  ganze  Menge  von  ihnen  mit  Namen  auf- 
geführt werden.  Auch  der  seltsame  Cultus  von  Schlangen- 
göttern oder  göttlich  gedachten  Schlangen,  den  der  Rig- 
veda noch  absolut  nicht  kennt,  ist  im  Yajurveda  zuerst  anzu- 
treffen. 

Endlich  tritt  auch  die  Gestalt  Prajapati's,  des  Herrn  der 
Geschöpfe,  den  wir  in  späteren  Liedern  des  Rigveda  auftauchen 
sahen,  in  den  Legenden  des  Yajurveda  vielfältig  in  immer 
grösseren  und  kräftigeren  Umrissen  bedeutsam  in  den  Vorder- 
grund. 

Aber  so  wichtig  und  belehrend  auch  diese  einzelnen  Ver- 
änderungen und  Ansätze  zu  Neubildungen  sein  mögen,  so  be- 
achtenswerth  sie  uns  auch  für  das  Verstandniss  der  allmäh- 
lichen Entwickclung  der  indischen  Götterlehre  sein  sollen,  nicht 
dies  ist  es,  was  den  Werken  der  Yajus-Periode  ihre  hervor- 
ragende Wichtigkeit  verleiht.  Die  neueingetretene  wesentliche  • 
Veränderung  liegt  nicht  sowohl  in  irgend  welchen  neuaufge- 
tretenen Göttergestalton,  als  vielmehr  in  der  Art  und  Weise, 
wie  die  Götter  behandelt  werden,  in  der  Art  der  Verehrung 
und  des  Cultus,  der  ihnen  gewidmet  wird;  in  der  Art,  wie 
die  Brahmanen  über  diese  Verehrung,  hre  zwingende 
Macht  und  Bedeutung  philosophiren  und  das  von  ihnen 
Festgestellte  als  Glaubenssatz  promulgiren;  sie  liegt  end- 
lich, und  nicht  zum  geringsten  Theile,  in  der  Stellung,  zu 


1  Auch  der  m&nnliche  Gott  Brahma  taucht  an  einer  Stelle  schon 
auf,  nämlich  Maitrayani  Samhita  2,  9,  1:  doch  ist  dieselbe  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  spater  interpolirt. 


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welcher  die  Brahmanen  sich  selbst  hinaufschrauben.  Denn 
in  den  Werken  der  Yajus-Zeit  treten  uns  die  Priester  entgegen 
als  ein  geschlossener  Stand,  als  der  eigentlich  activ  sich  geltend 
machende  Factor  in  dieser  Zeit  mehr  und  mehr  eintretender 
Ruhe  und  Müsse,  unablässig  daran  arbeitend,  ein  complicirtee 
System  der  Gebete  und  Opfer  auszubilden,  dessen  immer  höher 
steigende  Macht  und  Bedeutung  seinen  Trägern  selbst  zur  Herr- 
schaft verhelfen  sollte. 

Der  Geist,  der  diese  ganze  weitschichtige  Literatur  der 
Yajurveden  und  der  daran  sich  schließenden  Brähmana's 
beherrscht,  ist  so  grundverschieden  von  demjenigen,  der  uns 
in  so  vielen  Hymnen  des  Rigveda  erfrischt  und  erhebt,  dass 
wir  bald  zu  der  Erkenntniss  gelangen:  Hier  hat  eine  ganz 
neue  Epoche  des  geistigen  und  socialen  Lebens  Platz  ge- 
griffen, die  Art  des  Empfindens  und  Denkens  ist  in  ihrem 
innersten  Kerne  eine  andere  geworden. 

Eine  schwüle,  dumpfe  Luft  weht  uns  aus  diesen  priester- 
lichen Werken  entgegen;  verschwunden  ist  der  frische  Hauch, 
der  über  das  Land  der  fünf  Ströme  dahinzog.  Das  Opfer  und 
seine  in  allen  Einzelheiten  richtige  Vollziehung  ist  der  Mittel- 
punkt alles  Denkens  und  Begehrens.  Vor  unseren  Blicken  baut 
sich  hier  ein  ungeheuer  complicirter  Apparat  von  Opfersprüchen 
und  Verrichtungen,  Vorschriften  und  Begehungen  aller  Art  auf. 
Formel  reiht  sich  hier  an  Formel;  in  unsäglich  erdrückender 
Monotonie  folgt  eine  Weisung  zur  richtigen  Opfervollziehung 
auf  die  andere.  Die  Begründungen,  meist  ziemlich  platter  und 
geistloser  Natur,  können  den  Leser  leicht  zur  Verzweiflung 
bringen,  bis  er  endlich  resignirt,  sich  mühsam  weiter  arbeitet 
und  von  dem  Folgenden  nicht  mehr  erwartet  als  von  dem  Bis- 
herigen. Und  die  Masse  des  Materials  ist  fast  unabsehbar 
•gross!  Es  ist  gleichsam  ein  unermessliöhes  Moor,  dessen  Ufer 
kaum  sichtbar  werden,  über  dem  eine  schwüle  Sonne  brütet 
und  in  dem  der  Wanderer  oft  zu  versinken  furchtet,  während 
an  manchen  Orten  böse  Dünste  aus  ihm  empor  steigen,  die 
Atmosphäre  mit  Krankheit  bringenden  Stoffen  erfüllend 

Vergegenwärtigt  man  sich,  dass  diese  Bücher  die  allei- 
nigen literarischen  Productionen  einer  Jahrhunderte 
langen  Epoche  bildeten,  so  wird  es  klar,  welcher  Geist  in 
dieser  Epoche  sich  über  das  ganze  Volk  lagern  musste.  Ein 
stumpfes,  dumpfes  und  gedrücktes  Wesen  musste  sich  der  Söhne 
jener  einst  so  frischen  Arier  bemächtigen.  Den  Priestern, 
welche  durch  die  Macht  des  Opfers  die  Götter  selbst  in  ihren 
Händen  hielten,  ja  welche  sich  selbst  für  leibhaftige  Gotter 


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-     93  — 

erklären,  mussten  sie  den  Vorrang  lassen  und  litten  es  nun  in 
resignirter  Ergebung,  dass  alle  freieren,  rein  menschlichen  gei- 
stigen Regungen  und  Empfindungen  langsam  zu  Boden  gedrückt 
wurden.  Mochten  auch  manche  von  ihnen  mit  Missbehageh 
diese  allmähliche  Wandelung  des  Gottesdienstes  mitansehen, 
sicherlich  trat  im  Laufe  der  Jahre  und  Jahrhunderte  die  dumpfe 
Empfindung  an  die  Stelle,  dass  es  nicht  anders  sein  könne,  ja 
dass  es  wohl  ewig  so  gewesen.  An  Stelle  berechtigten  Unmuths 
in  freier  angelegten  Naturen  trat  andächtige.  Scheu  vor  den 
Priestern  und  vor  dem  Opfer,  das  im  Laufe  der  Zeit  für  die 
anderen  Kasten  mehr  und  mehr  ein  Mysterium  wurde,  dessen 
oft  halb  oder  ganz  unverständliche  Formeln  als  ein  heiliges 
Abrakadabra  wirkten,  vor  dem  man  sich  in  stummer  Unter- 
ordnung beugte. 

Und  um  die  Wirkung  dieses  Rituals  richtig  zu  würdigen, 
muss  man  bedenken,  wie  viel  geopfert  wurde,  wie  so  manche 
Opfer  nicht  bloss  Tage,  sondern  Wochen,  Monate  und  selbst 
Jahre  dauerten,  während  andere  den  Menschen  Tag  um  Tag 
durchs  Leben  begleiteten. 

Die  geistige  Oedo  und  Formelhaftigkeit  dieses  Rituals, 
von  Jahr  zu  Jahr  wachsend,  musste  sich  wie  ein  schwerer 
Druck  auf  die  Gemüther  der  Menschen  lagern.  Ein  beständig 
geübter  Gottesdienst  solcher  Art  musste  in  tiefei  angelegten 
Naturen  mit  der  Zeit  unerträgliche  innere  Unbefriodigung  er- 
zeugen, und  wohl  ist  es  verständlich,  wenn  eine  solche  Stim- 
mung, krankhaft  nervös  sich  steigernd,  zuletzt  das  Einsiedler- 
wesen, die  Büssungen  und  Kasteiungen  ins  Leben  ruft, 
wo  der  Mensch,  trotz  aller  Opfer  unbefriedigt,  den  Grund  dafür 
in  sich  selber  sucht  und  duren  Selbstpemigung  die  sündige 
Natur  zu  läutern  oder  abzutödten  strebt  Solch  eine  Stimmung 
dumpfer  Gedrücktheit  vermochte  wohl  den  Geist  des  Volkes 
für  ein  Dogma  wie  das  der  Seelenwanderung  vorzubereiten,  wo 
der  Gläubige  sich  in  die  trostlose  Vorstellung  ergiebt,  durch 
unermesslich  weite  Zeiträume  hin,  durch  unendlich  viele  Leiber 
wandern  zu  müssen,  bis  er  endlich,  endlich  nach  so  manchem 
Misslingeii  das  Ziel  vielleicht  erreichen  kann.  Hat  man  doch 
schon  beim  blossen  Durcharbeiten  dieses  Opferrituals  den  Ein- 
druck einer  weiten  Wanderung  durch  öde,  traurige  Räume,  wo 
blutlose,  spukhafte  Schatten  umherschwirren ,  und  dumpfe 
Resignation  ist  die  einzige  Stimmung,  die  dabei  noch  be- 
stehen kann. 

In  dieser  schwülen  Atmosphäre  mochten  die  geschmack- 
losesten Legenden  wuchern,  und  selbst  die  fratzenhaftesten 


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Gottergestalteu  wurden  von  der  glaubigen  Menge  mit  Verehrung 
begrüast.  Solche  Stimmung  gab  den  Priestern  freie  Hand, 
nicht  bloss  die  Götterwelt,  sondern  auch  Staat  und  Loben  zu 
formen  und  zu  gestalten  nach  ihrem  Willen  und  wie  es 
ihnen  gefiel 

Schrecken  Sie  nicht  zurück,  meine  Herren,  wenn  ich  Sie 
jetzt  auffordern  werde,  mit  mir  gemeinsam  die  Opferplätze  der 
Brabmanen  zu  besuchen,  ihr  Ritual  und  ihre  theologischen 
Speculationen  etwas  näher  kennen  zu  lernen.  Wenn  Sie  von 
diesem  Besuch  auch  keine  ästhetische  und  philosophische  För- 
derung erwarten  dürfeo  so  werden  Sie  doch,  wie  ich  hoffe  und 
glaube,  am  Schluss  reichlich  entschädigt  werden  durch  den 
tieferen  Einblick  in  die  culturhistorischen  Zusammenhänge, 
durch  das  Verständniss,  welches  Sie  nur  von  diesem  Punkte 
aus  für  das  gesammte  weitere  Geistesleben  der  Inder  gewinnen 
können. 

Charakteristik  der  Gottesverehrung  zur  Zeit  des 

Yajurveda. 

Versuchen  wir  es  nun,  die  Art  der  Gottes  Verehrung,  wie 
sie  uns  aus  den  Yajurveden  entgegen  tritt,  etwas  näher  kennen 
zu  lernen. 

Es  liegt  hier  ein  beständiger,  eifriger  Verkehr  des  Menschen 
mit  seinen  Göttern  vor,  —  aber  was  bildet  den  Inhalt  des- 
selben? was  bildet  den  Inhalt  der  zahlreichen'  Sprüche  und 
Verse  im  Yajurveda?  das  ist  die  nächstliegende  Frago,  die  sich 
uns  aufdrängen  muss. 

Hier  ist  es  nun  charakteristisch,  dass  man  sich  zunächst 
wesentlich  zu  negativen  Bestimmungen  gedrungen  sieht  Es 
ist  in  der  That  auffällig,  wie  wenig  in  all  diesen  Sprüchen  und 
Versen  ein  tieferes  inneres  Verhältniss  des  Menschen  zu 
seinen  Göttern  deutlich  erkennbar  zu  Tage  tritt  Eine  warme 
innere  Betheiligung,  eine  echte  Stimmung  religiöser 
Andacht  fühlt  man  fast  nirgends  heraus,  während  uns  doch 
der  PJigveda  in  dieser  Hinsicht  schon  viel  Schönes  und  Bedeu- 
tendes geboten,  wenn  Sie  sich  z.  B.  der  angeführten  Hymnen 
an  Varuna  u.  dgl.  m.  erinnern.  Ja  selbst  von  der  im  Rigveda 
so  reichlich  vorhandenen  und  bei  den  einfachsten  Naturreli- 
gionen möglichen  Bewunderung  der  Macht,  Grösse  und 
Schönheit  der  Götter,  wie  sie  sich  in  den  Naturerscheinungen 
offenbaren,  ist  hier  im  Yajurveda  auch  nicht  das  Geringste  zu 
spüren ! 


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—   95  - 

Noch  wichtiger  ist  eine  andere  Bemerkung.  Unter  all  den 
massenhaften  Opferhandlungen  finden  wir  nirgends  ein  wirk- 
liches Dankopfer.  Alle  die  Spenden  sind  immer  auf  Erlan- 
gung gewisser  Vortheile  gerichtet  Nirgends  fühlt  sich  der 
Mensch  veranlasst,  freudig  seine  Gaben  vor  das  Angesicht  der 
Götter  zu  tragen,  um  ihnen  zu  danken  für  alle  Güter,  mit 
denen  sie  sein  Leben  gesegnet.  Trotz  all  der  zahllosen  Sprüche 
und  Verse,  —  ein  wirkliches  Dankgebet  oder  ein  Danklied 
ist  kaum  überhaupt  vorhanden. 

Unter  diesen  Umständen  wird  es  uns  nicht  weiter  Wunder 
nehmen,  wenn  wir  auch  ein  tieferes  Schuld-  und  Sünden- 
bewusstsein  gar  nicht  vorfinden.  Es  ist  auch  hier  besonders 
charakteristisch,  dass  es  in  dem  ganzen  grossen  Ritual  ein 
eigentliches  Sühnopfer  nicht  giebt,  gelegentliche  kleinere 
Spenden  ausgenommen,  die  gewisse  Verstösse,  beim  Opfer  oder 
sonst,  wieder  gut  machen  sollen.  Aber  in  der  Masse  der 
grossen  und  wichtigen  Opfer  spielt  dies  Moment  gar  keine 
Rolle,  und  es  ist  für  das  Gesammturtheil  nicht  weiter  von  Be- 
lang, dass  sich  ein  paar  darauf  bezügliche  Verse  des  Rigveda 
hierher  verirrt  haben. 

Wenn  aber  dieser  Cultus  weder  tiefere  religiöse  Andacht, 
noch  Bewunderung  der  göttlichen  Grösse  in  ihren  mannig- 
faltigen Erscheinungen,  weder  warmen  Dank  noch  echtes 
Sündenbewusstsein  enthält,  worin  kann  in  solchem  Falle  ein 
fortgesetzter  eifriger  Verkehr  des  Menschen  mit  seinen  Göttern 
bestehen,  als  in  äusserlichen  ceremoniellen  Verrichtungen,  die 
das  Innerste  des  Gemüthes  unberührt  lassen? 

Und  nach  dieser  Richtung  hin  haben  denn  in  der  That 
die  Inder  zur  Zeit  des  Yajurveda  erstaunlich  viel  geleistet 

Wir  sehen  ein  höchst  complicirtes  Ritual  vor  uns,  be- 
stehend aus  einer  Masse  äußerlicher  Ceremonien,  denen  zum 
grossen  Theil  symbolische  Bedeutung  beigelegt  wird  und  wo 
die  geringste  Kleinigkeit  mit  dem  Nimbus  ungeheurer  Wichtig- 
keit umgeben  wird,  als  hänge  das  ganze  Heil  und  Gedeihen 
des  Menschen  von  der  Beobachtung  dieser  Aeusserlichkeiten  ab. 
Zahlreiche  Sprüche  und  Verse  begleiten  diese  Handlungen  und 
helfen  sio  ausfüllen. 

Da  in  den  Yajurveden,  ihrer  eigentümlichen  Anlage  ge- 
mäss, die  Handlungen  für  die  meisten  Sprüche  nur  mehr  an- 
gedeutet sind  und  deren  systematische  Darlegung  sich  erst  in 
den  der  folgenden  Periode  entstammenden  Sütrawerken  vor- 
findet, so  müssen  die  letzteren  zur  Erklärung  und  Ergänzung 
mit  herangezogen  werden,  und  es  ist  gerade  keine  leichte  Ar* 


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beit,  ein  Gesammtbild  von  dem  einzelnen  Opfer  zu  entwerfen. 
Hier  verdanken  wir  wiederum  das  Meiste  den  eingehenden  und 
werth  vollen  Forschungen  Albrecht  Web  er 's,1  neben  dem  auch 
noch  Martin  Haug,  Alfred  Hillebrandt  u.  A.  zu  nennen 
wären.1 

Selbstverständlich  werde  ich  es  hier  nicht  unternehmen, 
das  ganze  grosse  Opferceremoniell  vorzufuhren,  aber  ich  will 
es  doch  versuchen,  einzelne  Theile  desselben  zu  schildern,  um 
Ihnen  in  Wesen  und  Charakter  desselben  einen  deutlichen  Ein- 
blick zu  verschaffen. 


1  Vgl.  namentlich  Weber's  Abhandlungen  „Zur  Kenntniss  des 
vedischen  Opfer-Rituals",  Ind.  8tud.  X  und  XIII. 

*  Auch  R.  Garbe,  B.  Lindner  und  J.  Schwab  haben  dahinein 
schlagende  Materien  behandelt. 


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Achte  Vorlesung. 


Charakteristik  der  Gottes  Verehrung  zur  Zeit  des  Yajurveda  (Fortsetzung). 
Das  indische  Opfer.   Die  Art  des  Opfers  an  einem  Beispiel,  dem  um- 
genannten Darcapürnam&sa  oder  Neu-  und  Vollmondsopfer,  veranschau- 
licht.  Somaopfer.  Agniciti. 


Die  ganze  Masse  der  indischen  Opfer  wird  in  zwei  Haupt- 
gruppen  eingetheilt: 

1)  Die  sogenannten  Havis-Opfer,  d.  h.  Darbringungen 
von  Milch,  Opferbutter,  Kuchen,  Brei,  Getreidekörnern  u.  dgl. 

2)  Die  sogenannten  Soma-Opfer,  d.  h.  Darbringungen 
des  aus  der  Somapflanze  gepressten  berauschenden  Saftes. 

Dazu  kommt  endlich  noch  das  Thieropfer,  welches  aber 
bei  der  üblichen  Klassificirung  meist  als  ein  bestimmter  Theil 
der  betreffenden  Ha  vi  8-  und  Soma-Opfer  functionirt 

Bei  allen  diesen  Opfern  spielt  das  Feuer  eine  grosse 
Rolle.  Die  erste  Opferceremonie,  die  allen  anderen  voraus- 
gehen muss,  ist  darum  das  Agnyädhänam,  d.  h.  die  Anlegung 
des  Feuers  auf  dem  Altar  des  sogenannten  Agni  Garhapatya, 
d.  i.  Feuer  des  Hausherrn,  welches  von  da  ab  beständig  zu 
erhalten  ist.  Der  Altar  für  dieses  Feuer  hat  eine  kreisrunde 
Oberfläche.  Neben  demselben  stehen  sodann  als  wichtigste 
Feuer  für  die  verschiedenen  Opfer  der  Dakshinagni  oder  das 
Südfeuer,  dessen  Altar  eine  halbkreisförmige  Oberfläche  hat, 
and  der  Ahavanlya  oder  das  Opferfeuer  xar  £§o;pJ*>,  bei 
dessen  Altar  die  Oberfläche  viereckig  gestaltet  ist.  Inmitten 
dieser  drei  Feueraltäre  befindet  sich  die  sogenannte  Vedi, 
d.  L  ein  vertiefter  Platz,  einige  Finger  breit  in  die  Erde  hinein 
gegraben,  mit  heiligem  Gras  bestreut,  worauf  als  auf  einem 
Opferaltar  verschiedene  Spenden  für  die  Götter  hingestellt 
werden.  Ich  schicke  dies  nur  voraus,  damit  Ihnen  bei  der 
Beschreibung  der  Opfer  diese  Haupttheile  des  Opferplatzes 
gegenwärtig  sind,  indem  ich  von  allein  Spezielleren  zunächst 
absehe,  um  nicht  zu  verwirren.  —  Diesen  drei  Feuern  hat  der 

v.  Behr»d«r,  Indien«  Lit.  u.  Cnlt.  7 


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98  - 

Hausvater  das  ganze  Leben  hindurch  täglich  Morgens  und 
Abends  das  in  einer  Milchspende  bestehende  Agnihotra  oder 
Feueropfer  darzubringen. 

Um  nun  ein  Beispiel  aus  diesem  Ritual  und  damit  einen 
Begriff  von  der  Art  dieser  Opfer  zu  geben,  wende  ich  mich 
zur  eingehenderen  Schilderung  eines  speciellen  Opfers,  des  so- 
genannten Darcapürn&mäsa  — ,  d.  h.  des  Neu-  und  Voll- 
mondsopfers, dessen  Verlauf  uns  ?on  Alfred  Hillebrandt  in 
einer  werthvollen  Monographie  detaillirt  dargestellt  ist1 

Es  soll  diese  Ceremonie  dreissig  Jahre  hindurch  immer 
zur  Zeit  des  Neumonds  und  des  Vollmonds  ausgeführt  werden. 
Mit  den  Sprüchen  zu  diesem  Opfer  beginnen  alle  unsere  Yajur- 
veden,  und  es  gilt  dasselbe  als  die  einfache  Grundform  für  all 
die  zahllosen  Opfer,  welche  zur  Erlangung  bestimmter  Wünsche 
dargebracht  werden.*  Es  empfiehlt  sich  die  Betrachtung  dieses 
Opfers  schon  darum,  weil  wir  es  hier  mit  einer  verhältniss- 
mässig  wenig  complicirten  und  darum  leichter  zu  überblickenden 
Ceremonie  zu  thun  haben. 

Es  fungiren  bei  demselben  vier  Priester,  ausser  dem  Opfer- 
herrn, dem  sogenannten  Yajamäna,  d.  i.  dem  Veranstalter  des 
Opfers,  zu  dessen  Nutz  und  Frommen  und  auf  dessen  Kosten 
dasselbe  ausgeführt  wird.3  Diese  Priester  sind:  der  Brahman, 
der  Hotar,  der  Adhvaryu  und  der  Agnldh.4  Unter  diesen  ist 
der  Adhyaryu  der  vorzugsweise  handelnde  Priester,  und  sein 
Ritualbuch  ist  der  Yajurveda,  während  der  Hotar  sich  an  den 
Rigveda  hält,  die  Hymnen  recitiren  muss,  der  Brahman  eine 
mehr  im  Allgemeinen  leitende  und  überwachende  Function  hat 

Am  ersten  Opfertage  findet  nach  einigen  einleitenden  Cere- 
monieen  das  Abschneiden  eines  Zweiges  von  einem  (Jami-  oder 
Palaca-Baume  durch  den  Adhvaryu  statt,  der  mit  diesem  Zweige 
naohher  dio  Kälber  von  den  zu  melkenden  Kühen  wegzutreiben 
hat.  Er  spricht  dazu  den  Spruch:  „Zur  Labung  (schneide  ich) 


1  Alfred  Hillebrandt,  Das  altindische  Neu-  und  Vollmonds- 
opfer  in  seiner  einfachsten  Form,  mit  Benutzung  handschriftlicher  Quellen 
dargestellt   Jena,  1880. 

•  Es  sind  dies  die  sogenannten  karaya  ishtayab. 

8  Mit  Recht  legt  A.  Barth  in  seinen  Religions  de  linde  (p.  34) 
ein  Gewicht  darauf,  dass  jedes  Opfer  bei  den  Indern  für  eine  be- 
stimmte Privatperson,  niemals  für  mehrere  oder  gar  für  eine  ganze 
Gemeinde  ausgeführt  wird.  Es  giebt  demnach  keine  öffentlichen  Opfer, 
überhaupt  keinen  öffentlichen  Gottesdienst,  keine  religiöse  Gemeinde- 
versammlung in  jener  Zeit. 

4  Bei  anderen  Opfern  sind  bedeutend  mehr  Priester  erforderlich, 
so  beim  Somaopfer  sechzehn  und  mehr,  u.  dgl. 


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dich,  zur  Speise  (schneide  ich)  dick"  Sodann  kann  der  Opfrer 
die  Observanz  antreten.  Er  wandelt  nun  zwischen  dem  Garha- 
patja -Feuer  und  dem  Dakshina- Feuer  hindurch  hinter  das 
Ahavaniya-Feuer,  mit  dem  Gesichte  nach  Osten  gerichtet,  blickt 
auf  das  Feuer,  berührt  mit  der  Rechten  die  Wasser  und  tritt 
die  Observanz  an  mit  dem  Spruche:  wO  Agni,  Herr  des  Ge- 
lübdes, das  Gelübde  will  ich  antreten  I  Möchte  ich  das  können, 
möchte  mir  das  gelingen  !M  Oder:  „Hier  wandle  ich  von  der 
Unwahrheit  zur  Wahrheit" 

Nun  muas  die  Milch  für  das  Opfer  gemolken  werden  und 
es  findet  zuerst  das  Wegtreiben  der  Kälber  von  den  zu  melken- 
den Kühen  statt  Der  Adhvaryu  spricht:  „Ihr  seid  Näscherr* 
Berührt  die  Kälber  mit  dem  vorhin  abgeschnittenen  Zweige 
und  treibt  sie  fort  Dann  redet  er  die  Kühe  an  mit  dem 
Spruch:  „Lasset  schwellen,  o  ihr  Unverletzlichen,  für  Indra  den 
Opferantheil,  an  Nachkommen  reich,  frei  von  Leid  und  Krank- 
heit 1  Nicht  soll  ein  Dieb  über  euch  die  Herrschaft  gewinnen, 
nicht  ein  Uebeldenkender;  bleibt  fest  und  zahlreich  bei  diesem 
Herrn!"  Dabei  berührt  er  eine  von  den  Kühen  mit  dem  Zweige. 
Dann  spricht  er:  „Des  Opfrers  Vieh  schütze !M  An  einem  ab- 
geschnittenen Theile  dieses  Zweiges  wird  sodaun  das  sogenannte 
Pavitra  oder  Läuterungsmittel  befestigt,  bestehend  in  zwei  oder 
drei  Halmen  des  heiligeu  Kucagrases,  mit  dem  Spruche:  „Für 
Yasu 1  bist  du  ein  Läuterungsmittel!" 

Es  folgt  das  abendliche  Agnihotra  oder  Feueropfer,  in 
diesem  Fall  mit  einigen  besonderen  Bestimmungen,  danach  end- 
lich das  Melken  der  Kühe.  Der  Adhvaryu  ergreift  den  Kübel, 
die  sogenannte  Sthall,  indem  er  spricht:  „du  bist  der  Himmel, 
dn  bist  die  Erde!"*  und  setzt  ihn  hin  mit  dem  Spruche:  „du 
bist  des  Matarigvan  Kessel,  Alles  enthältst  du;  sei  fest  durch 
die  höchste  Stätte!  nicht  sollst  du  zu  Fall  kommen!  nicht  soll 
dein  Opferherr  zu  Fall  kommen!"  Sodann  legt  er  das  Pavitra, 
jenes  Läuterungsraittel,  bestehend  in  einem  Zweigstück  mit 
mehreren  Kuca- Halmen  daran,  auf  den  Kübel  (Sthali),  indem 
er  den  Spruch  recitirt:  „Vasu's  Läuterungsmittel  bist  du,  das 
tausend  Ströme  enthaltende."  Sodann  melkt  der  Melker,  welcher 
kein  Qudra  sein  darf,  die  Milch  in  ein  Holzgefäss  und  giesst 
sie  über  das  Pavitra  in  den  Kübel,  während  der  Adhvaryu 
äüstert:  „Gott  Savitar  läutere  dich  mit  Vasu's  hundert  Ströme 


1  Die  Vasu's  sind  bestimmte  göttliche  oder  halbgöttliche  Wesen. 
a  Man  beachte  hier  und  in  anderen  Sprüchen  die  maasslosen  Hy- 
perbeln, in  denen  Ton  den  Opfergeratheo  gesprochen  .wird. 


—    100  — 

I 

enthaltendem,  schön  läuternden  Läuterungsinittel!"1  Sodann 
fragt  er  laut:  „Welche  hast  du  gemolken  ?"  Der  Melker  macht 
die  he  treffen  de  Kuh  namhaft,  und  der  Adhvaryu  sagt:  „Diese 
enthält  alles  Leben."  Der  Melker  melkt  die  zweite  Kuh,  es 
folgt  dieselbe  Ceremonie,  bis  nach  Namhaftmachung  der  Kuü 
der  Adhvaryu  spricht:  „Diese  ist  Alles  wirkend."  Und  in  der- 
selben Weise  geht  es  mit  den  anderen  Kühen  weiter  fort 
Nachdem  die  Melkung  beendigt  ist,  spült  der  Adhvaryu  den 
Melknapf  wieder  mit  einem  besonderen  Spruch*  aus  und  giesst 
das  Spülwasser  in  den  Kübel.  Dann  setzt  er  den  Milchtopf 
nach  Norden  hin  und  bringt  durch  Hineingiessen  der  sauren 
Milch,  welche  vom  letzten  Abendopfer  übrig  geblieben  ist,  die 
frische  Milch  zum  Gerinnen,  indem  er  den  Spruch  sagt:  „Als 
Indra's  Antheil  mache  ich  dich  durch  Sorna  gerinnen."  Dann 
deckt  der  Adhvaryu  die  Milch  zu  und  verwahrt  sie  mit  dem 
Spruch:  „0  Vishnu,  schütze  die  Opfergabe!" 

Die  Nacht  bringt  der  Opferer  mit  seiner  Frau  am  Boden 
neben  dem  Gärhapatya-  oder  Ähavaniya- Feuer  zu. 

Am  Morgen  des  folgenden  Tages  wird  zuerst  das  Agnihotra 
(Feueropfer)  dargebracht.  Dann  werden  die  Sitze  zurecht- 
gestellt und  ea  folgt  die  sogenannte  Wahl  des  Brahman.3  Der 
Opferer  sitzt  dem  Brahman  gegenüber,  fasst  unter  Beobachtung 
gewisser  Ceremonieen  mit  der  Rechten  das  rechte  Knie  des 
Brahman,  indem  er  sagt:  „0  Brahman  aus  dem  Stamme  N.  N., 
mit  dem  Brahmanen-Namen  N.  N.,  mit  dem  Neumonds-  (resp. 
Vollmonds-)Opfer  wollen  wir  opfern.  Du  Herr  der  Erde,  Herr 
der  Welt,  der  grossen  Schöpfung  Herr,  zum  Brahman  wählen 
wir  dich."  —  Der  Brahman,  der  sich  gebadet,  den  Mund  ge- 
spült und  die  Opferschnur  umgehangen  hat,  flüstert:  „Ich  bin 
der  Herr  der  Erde,  der  Herr  der  Welt,  der  grossen  Schöpfung 
Herrl4  Bhür  bhuva^  svafc!6  0  Gott  Savitar,  hier  wählt  er 
dich  den  Brihaspati  zum  Brahman.  Dies  künde  ich  dem  Geiste, 
der  Geist  der  Gayatri,  Gayatri  der  Trishtubh,  Trishtubh  der 
Jagati,  Jagat!  der  Anushtubh,  Anush^ubh  dem  Prajäpati,  Praja- 
pati  den  Allgöttern;  Brihaspati  ist  der  Brahman  der  Götter, 


1  Man  beachte  die  feine  Unterscheidung  bei  den  Sprüchen:  Einiges 
wird  gesprochen  oder  redtirt,  Anderes  geflüstert. 
*  8.  HiUebrandt  a.  a.  0.  p.  13. 
»  Der  oberste,  das  Ganze  leitende  Priester. 

4  Welche  Hyperbel  1 

5  Oft  wiederkehrende  heilige  Formel,  deren  Sinn  nicht  ganz  deut- 
lich ist;  bhü  bedeutet  die  Erde,  svah  der  Himmel;  bhuvat?  wird  auf  den 
Luftraum  gedeutet,  aber  ursprunglich  wohl  mit  Unrecht. 


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-    101  - 


ich  der  der  Menschen.*  Nach  einigen  weiteren  Sprüchen  und 
Ceremonieen  setzt  er  sich  auf  den  Brahmansitz  nieder  mit  den 
Worten:  „Hier  sitze  ich  auf  dem  Sitze  Brihaspati's,  auf  das 
Geheiss  des  Gottes  Savit&r;  dies  künde  ich  Agni,  dies  Vayu, 
dies  der  Erde*  Dabei  ist  sein  Gesicht  dem  Ähavanlya- Feuer 
zugekehrt.1  Es  folgt  nun  ein  Wechselgespräch  der  Priester, 
auf  die  Herbeibringung  der  Wasser  bezüglich,  welches  damit 
endigt,  dass  die  Wasser  hingestellt  werden.  Darauf  umstreut 
der  Opferer  oder  der  Adhyaryu  die  Feuer  mit  Darbha-Gras, 
beginnt  dabei  im  Osten  und  schlichst  beim  Südfeuer  (Dak- 
shinägni),  wobei  die  Spitzen  der  Gräser  nach  Osten  und  Norden 
gerichtet  sind.  Die  Paddfiati,  ein  erläuternder  Text,  giebt  fol- 
gendes Verfahren  dabei  an:  „Er  umstreut  zunächst  das  Aha- 
vaniya- Feuer  im  Osten,  die  Spitzen  der  Gräser  nach  Norden 
gerichtet,  dann  im  Süden,  die  Spitzen  der  Gräser  nach  Osten 
gerichtet,  dann  im  Westen,  die  Spitzen  der  Gräser  nach  Norden 
gerichtet,  schliesslich  im  Norden,  die  Spitzen  der  Gräser  nach 
Osten  gerichtet  Ebenso  geschieht  die  Umstreuung  des  Garha- 
patya  und  Dakshina."1  Die  nun  folgende  Anordnung  der 
zahlreichen  Gefässe  und  Gerätschaften  muss  ich  übergehen.* 
Der  Adhvaryu  stellt  sodann  den  mit  der  Opfergabe  (Körnern 
von  Gerste  oder  Reis)  versehenen  Wagen  hinter  dem  Garhapatya 
auf,  die  Deichsel  nach  Osten.  Nach  einigen  Ceremonieen  tritt 
er,  mit  dem  Spruch:  „Dem  weiten  Luftraum  wandle  ich  nach," 
zum  Wagen,  lässt  sich  vorne  nieder,  berührt  das  Joch  des 
Wagens  und  spricht:  „Du  bist  das  Joch,  schädige4  du  den 
Schädigenden;  schädige  den,  der  uns  schädigt;  schädige  den, 
welchen  wir  schädigen/'  Darauf  berührt  er  die  Deichsel  und 
flüstert:  „Du  bist  am  besten  für  die  Götter  fahrend,  gewinnend, 
spendend,  am  angenehmsten,  die  Götter  am  besten  rufend. 
Nicht  strauchelnd  bist  du,  ab  Träger  der  Opfergabe  sei  fest! 
Nicht  sollst  du  zu  Fall  kommen,  nicht  soll  dein  Opferherr  zu 
Fall  kommen."  Dann  steigt  er  hinten  um  den  Wagen  über 
das  südliche  Rad  hinauf  mit  dem  Spruch:  „Vishnu  besteige 
dich,"  blickt  auf  die  Körner  mit  dem  Spruch:  „Sei  weit  für 
den  Wind,"  und  wirft  etwaige  Erdtheile,  Gras  u.  dgl.  fort  mit 
dem  Spruch:  „Weggetrieben  ist  das  Rakshas."6    Sodann  fasst 


1  Hiilebrandt  a.  a.  0.  p.  17. 

•  Hillebrandt  p.  19 

*  Hillebrandt  p.  20. 

4  Wortspiel  mit  dhur  =  das  Joch  und  dhürva  =  schädige. 
4  Rakshas  ist  ein  böses  dämonisches  Wesen. 


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er  mit  dem  Spruch:  „Fassen  sollen  die  fünf'  (d.  i.  die  Finger) 
eine  Handvoll  Körner  und  wirft  sie  in  das  bereit  gehaltene 
Gefäss  mit  dem  Spruche:  „Auf  Gott  Savitar's  Geheiss,  mit  den 
Armen  der  Acvinen,  mit  den  Händen  des  Püshan  ergreife  ich 
dich,  dem  Agni  erwünscht/'  Die  auf  dem  Wagen  übrig  ge- 
bliebenen Körner  berührt  er  mit  dem  Spruche:  „(Ich  lasse 
dich)  einem  wirklichen  Wesen,  nicht  einem  Unhold blickt 
nach  Osten  mit  dem  Spruch:  „Glanz  möchte  ich  erblicken," 
und  steigt  hinab  mit  dem  Spruch:  „Fest  sollen  sein  die  Woh- 
nungen auf  der  Erde."  Dann  geht  er  zum  Garhapatya-Feuer 
mit  dem  Spruch:  „Dem  weiten  Luftraum  wandle  ich  nach," 
und  stellt  das  Gefäss  mit  den  Körnern  dahinter  mit  dem 
Spruch:  „In  der  Erde  Nabel  setze  ich  dich  in  Aditi's  Schooss; 
o  Agni,  schütze  die  Opfergabe." 

Schon  diese  ersten  vorbereitenden  Handlungen  lassen  die 
Art  der  Ceremonie  einigermassen  deutlich  erkennen;  ich  will 
mich  für  das  Weitere  immer  kürzer  zu  fassen  suchen,  indem 
ich  auf  die  detaillirte  Schilderung  bei  Hillebrandt  verweise. 

Der  Adhvaryu  stellt  darauf  noch  ein  Pavitra  oder  Laote- 
rungsmittel,  bestehend  in  einigen  Kuca- Halmen,  hin,  läutert 
damit  das  Wasser  und  besprengt  sodann  die  Opfergabe  mit 
Wasser,  —  Alles  mit  entsprechenden  Sprüchen.  Dann  ergreift 
er  das  Fell  einer  schwarzen  Antilope  mit  den  Worten:  „Ein 
Fell  bist  du,"  schüttelt  dasselbe  mit  dem  Spruch:  „Abgeschüttelt 
ist  das  Rakshas,  abgeschüttelt  die  feindlichen  Gewalten,"  und 
breitet  es  aus  mit:  „Aditi's1  Fell  bist  du;  Aditi  erkenne  zu 
eigen  dich."  Dann  stellt  er  den  Mörser  darauf  und  sagt:  „Ein 
Fels  bist  du,  vom  Baume  stammend,"  oder  „ein  Stein  bist  du 
mit  breitem  Boden"  u.  s.  w.  Dann  wirft  er  die  Körner  hinein, 
dann  den  Stössel  mit  den  Worten:  „Bereite  hier  den  Göttern 
diese  Opfergabe,  in  guter  Bereitung  bereite  es!"  Nun  stösst 
er  die  Körner,  ruft  die  Gattin  des  Opfernden  herbei  und  sie 
oder  der  Agnidh  besorgen  das  Enthülsen  der  Körner,  Alles 
mit  begleitenden  Sprüchen.  Dann  werden  die  Schalen  oder 
Schüsseln8  gewaschen,  auf  denen  der  Opferkuchen  gebacken 
werden  soll,  der  Grund  in  besonderer  Weise  abgezirkelt,  wo 
sie  hinkommen  sollen,  und  dann  eine  Schale  nach  der  anderen 
und  zwar  dicht  neben  die  andere  hingelegt.  Bei  der  ersten 
spricht  er:  „Fest  bist  du,  festige  die  Erde,  Heiligkeit  gewinnend, 
Herrschaft  gewinnend,  Verwandtschaft  gewinnend  lege  ich  dich 


1  Aditi,  die  Göttin  der  Unendlichkeit,  Motter  der  sogen.  Aditya's. 
1  Die  sogen.  Kap&UY 


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an,  zur  Vernichtung  des  Feindes."  Bei  der  zweiten:  ,.Eine 
Stütze  bist  du,  festige  deu  Luftraum,  Heiligkeit  gewinnend  u.  s.  w." 
Bei  der  dritten:  „Ein  Träger  bist  du,  festige  den  Himmel  u.  s.  w.<< 
Und  so  weiter  fori  Auf  die  Anordnung  dieser  neben  einander 
gelegten  Schalen  und  sonstige  Feinheiten  bei  diesem  Verfahren 
können  wir  nicht  näher  eingehen.1. 

Unter  verschiedenen  SprüoLen  werden  dann  die  Körner 
gemahlen,  so  z.  B :  „Getreide  bist  du,  erfreue  die  Götter.'  Zum 
Einathmen  (mahle  ich)  dich,  zum  Ausathmen  (mahle  ich)  dich, 
zum  Lebensathem  (mahle  ich)  dich." 

Nach  einigen  weiteren  Ceremonieen  verfertigt  der  Opferhorr 
den  sogenannten  Veda,  einen  Büschel  aus  Kuca-Gras;  wünscht 
er  Vieh,  so  macht  er  ihn  einem  Kalbsknie  ähnlich,  nach  links 
gedreht;  wünscht  er  Brahmanglanz  (d.  h.  Olanz  der  Heiligkeit), 
dann  macht  er  ihn  aus  drei  Seileu  geflochten,  die  mit  Lehm 
bestrichen  sind;  wünscht  or  Speise,  dann  giebt  er  ihm  die  Form 
eines  geflochtenen  Korbes.3  Der  Adhvaryu  legt  die  beiden 
Reiniger  (d.  i.  die  läuternden  Kuca-Gräser)  in  eine  Schüssel 
und  wirft  dann  das  Mehl  hinoin  mit  dem  Spruch:  „Auf  das 
öehoiss  des  Gottes  Savitar,  mit  den  Armen,  der  Aerius,  mit 
den  Händen  des  PAshan  lege  ich  dich  hinein."  Der  Agnidh 
bringt  das  Wasser  herbei  und  giesst  es  auf  das  Mehl,  während 
der  Adhvaryu  spricht:  „Es  mögen  die  Wasser  mit  den  Pflanzen 
sich  mischen,  die  Pflanzen  mit  dem  Saft"  u.  8.  w.  Er  mischt 
Mehl  und  Wasser  mit  dem  Spruch:  „Ich  mische  dich  zur  Zeu- 
gung." Dann  formt  er  zwei  Klösse  aus  dem  Teig  und  sagt 
bei  dem  einen:  „Dies  gehört  Agni;"  bei  dem  anderen:  „Dies 
gehört  Agni  und  Sorna."  Denn  diesen  Gottheiten  muss  je  ein 
Opferkuchen  dargebracht  werden,  der  erste  auf  acht,  der  zweite 
auf  elf  aneinandergereihten  Schalen. 

Inzwischen  nimmt  der  Agnidh  den  Vedabüschel  und  setzt 
die  Butter  zum  Kochen  an.  Der  Adhvary  legt  darauf  den 
einen  Kloss  auf  die  betreffenden  acht  Schalon,  den  anderen 
auf  die  betreffenden  elf  und  spricht:  „In  grosser  Breite  breite 
du  weit  dich  aus,  weit  soll  dein  Opferherr  sich  ausbreiten. 
Die  Schalen  waren  vorher  durch  glühende  Kohlen  heiss  gemacht. 
Jetzt  nimmt  der  Adhvaryu  eine  Kohle  oder  einen  Feuerbrand 
und  fuhrt  die  Paryagni-Ceremouie  aus,  indem  er  die  Kohle 
um  die  beiden  Kuchen  herum  führt    Dann  sagt  er:  ,3s  backe 


1  8.  Hillebrandt  a.  a.  0.  p.  84  flg. 

*  Wortspiel  mit  dhanya  Getreide  und  dhinuhi  „erfreue,  ergötze 

•  8.  Hillebrandt  a.  a.  0.  p.  88. 


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dich  Gott  Savitar  auf  dein  höchsten  Firmament,"  und  backt 
oder  röstet  die  Kuchen  der  Reihe  nach  durch  darüber  gehaltene 
brennende  Halme  von  Darbha-Gras. 

Nach  einigen  weiteren  Ceremonieen  folgt  das  sehr  umständ- 
liche und  weitläufige  Ausmessen  der  Vedi,  jenes  vertieften 
Altars,  auf  den  die  Spenden  gelegt  werden  sollen.1 

Aus  Schutt  und  Staub  von  der  Vedi  wird  sodann  nördlich 
davon  der  sogenannte  Utkara,  ein  Schutthaufen,  angelegt.  Dann 
fasst  der  Adhvaryu  zugleich  mit  Gras  den  Opferspan,  den  so- 
genannten Sphya,  ein  messerförmiges  Holzstück,  mit  dem  Spruch: 
„Auf  das  Geheiss  des  Gottes  Savitar,  mit  den  beiden  Armen 
der  Acvinen"  u.  s.  w.;  legt  ihn  in  die  Linke  und  fasst  ihn  mit 
der  Rechten,  indem  er  flüstert:  „Du  bist  des  Indra  rechter 
Arm,  mit  tausend  Zacken,  hundert  Schneiden,  du  bist  V&yu, 
mit  scharfer  Schneide,  eine  Waffe  gegen  den  Hasser.'*  Dann 
legt  er  unter  verschiedenen  Sprüchen  das  vorhin  erfasste  Gras 
auf  die  Vedi,  schleudert  den  Opferspan  in  solcher  Weise  auf 
die  Vedi,  dass  einiger  Schutt  aufgeworfen  wird,  fasst  diesen 
sodann  und  wirft  ihn  auf  den  Schutthaufen  mit  dem  Spruch: 
„Fessle,  o  GoH  Savitar,  auf  dem  fernsten  Gebiet  der  Erde  mit 
hundert  Schlingen  den,  welcher  uns  hasst,  und  den,  welchen 
wir  hassen;  nicht  löse  ihn  (N.  N.)  davon." 

Ein  neuer  Spruch,  —  und  dieselbe  sonderbare  Ceremonie 
wiederholt  sich.  Der  Agnidh  nimmt  darauf  den  Opferspan, 
drückt  den  Schutthaufen  mit  beiden  Händen  fest  nieder  und 
spricht:  „Fliege,  o  Böser,  nicht  zum  Himmel  lu  Dann  wird  das 
Wasser  berührt  und  der  Adhvaryu  schleudert  zum  dritten  Mal 
den  Opferspan  und  verfährt  wie  vorhin;  zum  vierten  Male 
ebenfalls,  jedoch  ohne  einen  Spruch.  Nun  muss  die  Vedi  mit 
verschiedenen  Linien  umzirkelt  werden.  Dies  thut  der  Adhvaryu 
mit  dem  Opferspan,  indem  er  spricht:  „Mit  dem  Gayatri- 
Metruni  umfriedige  ich  dich,  mit  dem  Trishtubh- Metrum  um- 
friedige ich  dich,  mit  dem  Jagati-Metrum  umfriedige  ich  dich!** 
Welche  einzelnen  Linien  bei  jedem  Spruche  und  nachher  ohne 
Spruch  gezogen  werden  sollen,  übergehe  ich  wohl  lieber.  Nun 
wird  die  Vedi  etwas  vertieft  in  die  Erde  gegraben  und  dann 
aufs  Neue  mit  gewissen  Linien  umzirkelt,  wobei  wieder  andere 
Sprüche  eintreten;  der  Holzspan  wird  auf  den  Schutthaufen 
geschleudert,  die  Wasser  werden  berührt  V  s.  w. 

Dann  folgt  eine  Ceremonie  mit  den  verschiedenen  Löffeln, 
welche  bei  der  Opferung  verwendet  werden.     Der  Agnidh 


1  S.  Hillebrandt  a.  a.  0.  p.  44  tig. 


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nimmt  den  sogenannten  Sruva- Löffel,  über  dessen  Constructiou 
natürlich  allerlei  besondere  Bestimmungen  vorliegen,  macht  ihn 
heiss  im  Gärhapatya-Fcuer  und  spricht:  „Verbrannt  ist  das 
Rakshas,  verbrannt  sind  die  feindlichen  Gewalten.**  Dan» 
wischt  er  ihn  mit  dem  Veda- Büschel  ab,  mit  dem  Spruch: 
„Nicht  geschärft  bist  du,  ein  Vernichter  der  Nebenbuhler;  dich 
wische  ich  (darum)  ab**  u.  s.  w.  Dies  geschieht  zuerst  auf  der 
Innenseite,  mit  dem  Stiel  beginnend  und  mit  der  Mündung 
schliessend;  sodann  dieselbe  Ceremonie  mit  demselben  Spruch 
auf  der  Aussenseite.  Dann  macht  er  den  Löffel  wieder  heiss, 
berührt  die  Wasser  und  übergiebt  ihn  dem  Adhvaryu.  Dieselbe 
Ceremonie  wiederholt  sich  mit  dem  wieder  anders  construirteji 
Juhü- Löffel;  sodann  mit  dem  Upabhrit-  und  mit  dem  Dhruvä- 
Löffel. 

Darauf  wird  unter  allerlei  Sprüchen  die  Gattin  des  Opferers 
durch  den  Agnidh  mit  einem  dreifachen  Band  aus  Schilfgras 
umgürtet;  am  Schluss  der  Ceremonie  fordert  er  die  Gattin  auf, 
die  Opferbutter  anzublicken.1  Diese  blickt  auf  die  Butter  mit 
dem  Spruch:  „Mit  im  geschädigtem  Auge  sehe  ich  auf  dich 
herab;  des  Agni  Zunge  bist  du,  sei  trefflich  rufend  den  Göttern 
zu  jedem  Platz  von  mir,  zu  jedem  Spruch."  Die  Butter  wird 
durch  Berührung  mit  den  läuternden  Gräsern  unter  bestimmten 
Sprüchen  geläutert,  und  darauf  muss  der  Adhvaryu  oder  der 
Opferer  sie  anblicken  mit  dem  Spruch:  „Glanz  bist  du,  leuch- 
tend bist  du,  unsterblich  bist  du/*  Der  Adhvaryu  fasst  mit 
der  Linken  den  Juhü- Löffel  und  den  Veda- Büschel,  mit  der 
Rechten  den  Sruva-Löffel  und  schöpft  mit  dem  letzteren  Butter 
in  den  ersteren,  indem  er  spricht:  „Eine  liebe  Stätte  bist  du 
für  die  Götter,  ein  unangreifbarer  Opfer  platz.**  Dies  geschieht 
noch  dreimal  ohne  Spruch,  oder  dreimal  mit  dem  Spruch  und 
einmal  leise.  Sodann  schöpft  er  mit  dem  Sruva-Löffel  Butter 
in  den  Upabhrit-LÖffel  und  zwar  einmal  mit  jenem  Spruch 
und  siebenmal  leise,  oder  dreimal  mit  ihm  und  fünfmal  leise. 
Dabei  soll  trotz  des  häufigeren  Eiugiessens  weniger  Butter  in 
der  Upabhrit  als  in  der  Juhü  sich  befinden.2  Endlich  wird 
Butter  mit  dem  Sruva-Löffel  in  den  Dhruva-Löffel  geschöpft. 
Dann  folgt  unter  allerlei  Sprüchen  die  Besprengung  des  Brenn- 


1  Das  Anblicken  ist  hier,  wie  öfters,  ein  Theil  der  Ceremonie. 
ebenso  sonderbar  wie  in  anderen  Fällen  das  Denken  an  gewisse  Dinge; 
wich  das  Flüstern,  gewisse  Fingerkrümmüngen  und  manches  An- 
dere bei  diesen  Ceremonieen  nimmt  sich  wohl  recht  sonderbar  aus 

*  3.  Hülebrandt  a.  a.  0.  p.  62. 


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—    106  — 

holzes.  Das  Bündel  mit  der  Opferstreu  wird  aufgebunden  mit 
dem  Spruch:  „Du  bist  Vishnu's  Schopf!"1  und  die  Vedi  dann 
dreifältig  (oder  fünf-,  siebenfältig  u.  &  w.)  bestreut  mit  dem 
Spruch:  „Wollenweich  streue  ich  dich,  dass  du  einen  guten  Sitz 
den  Göttern  bietest"  Man  beginnt  dabei  im  Osten  und  schliesst 
im  Westen,  doch  giebt  es  auch  andere  Arten.* 

Darauf  werden  die  sogenannten  Paridhi,  drei  Holzstücke 
yon  Armeslänge,  um  das  Opferfeuer,  gelegt.  Das  erste  wird 
westlich  vom  Feuer  hingelegt  mit  dem  Spruch:  „Der  Gandharve* 
Vic^avasu  lege  dich  herum,  damit  Alles  unversehrt  sei;  du  bist 
eine  Umhegung  für  den  Opferherrn"  u.  8.  w.  Das  zweite  Holz- 
stück südlich  mit  dem  Spruch:  „Du  bist  des  Indra  rechter 
Arm,  damit  Alles  unversehrt  sei"  u.  8.  w.  Das  dritte  nördlich 
mit  dem  Spruch:  „Mitra  und  Varuna  sollen  dich  im  Norden 
herumlegen  nach  festem  Gesetz,  damit  Alles  unversehrt  sei"  u.  8.  w. 
Nachdem  dann  mit  besonderen  Sprüchen  zwei  Scheite  ins  Feuer 
gelegt  sind,  blickt  der  Adhvaryu  das  Ähavaniva-Feuer  an  und 
flüstert:  „Die  Sonne  schütze  dich  im  Osten  vor  jedwedem 
Flucht« 

Dann  legt  der  Adhvaryu  mit  dem  Spruch:  „Savilar's  \rme 
seid  ihr,"  zwei  besondere  Grashalme,  Prastara  genannt  quer 
über  die  Opferstreu,  und  nach  noch  einigen  weiteren  Ceremonieen 
und  Sprüchen  werden  endlich  die  vorhin  gebackenen  Kuchen 
auf  die  Vedi  niedergesetzt. 

Jetzt  sind  eigentlich  erst  die  einleitenden  Ceremonieen  be- 
endigt, Altar,  Feuer,  Kuchen,  Butter  u.  8.  w.  sind  bereitet,  und 
es  folgt  nun  erst  der  Haupttheil  des  Opfers,  die  Darbringung 
der  betreffenden  Spenden.  Indessen  glaube  ich,  dass  die  bis- 
herige Schilderung,  bei  welcher  ich  noch  vielerlei  Detail  über- 
gangen habe,  ausreichen  wird,  um  den  Charakter  der  Sprüche 
und  Begehungen  deutlich  erkennen  zu  lassen.  Denn  ganz  in 
derselben  Weise  geht  es  nun  weiter  fort,  immer  neue  und 
andere  Ceremonieen,  immer  neue  und  andere  Sprüche.  Ich 
kann  es  Ihnen  nicht  zumuthen,  die  Entwickelung  all  dieser 
Einzelheiten  weiter  zu  verfolgen  und  will  mich  für  den  übrigen 
Theil  des  Opfers  ganz  kurz  fassen. 

Zuerst  wird  unter  bestimmten  Sprüchen,  den  sogenannten 
Samidbeni -Versen,  Brennholz  angelegt;  sodann  ein  kräftiger 


1  Wie  wanderlich  und  geschmacklos! 
4  S.  Hillebrandt  a.  a.  0.  p.  65 

9  Gandharven,  eine  besondere  KksBe  göttlicher  oder  halb  göttlicher 

Wesen. 


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—    107  — 


Strahl  von  der  Opferbutter  .ins  Feuer  gegossen  (der  sogenannte 
erste  Äghara);  dann  folgt  eine  Bitte  an  Agni,  dem  Opfernden 
halfreich  zu  sein»  wie  schon  den  Vorfahren  (der  sogenannte 
Pravara);  dann  ein  zweiter  Strahl  Butter  (der  sogenannte  zweite 
Äghara).  Daran  reihen  sich  fünf  Butterspenden  an  bestimmte 
Götter,  welche  Voropfer  (Prayaja)  heissen,  und  die  zwei 
Opferungen  von  Butter  für  Agni  und  Sorna.  Dann  endlich 
geht  man.  mit  der  Hauptsache,  der  Darbringung  jener  beiden 
Kuchen  für  Agni  und  Agni-Soma  (resp.  Indra-Agui)  tot,  woran 
sich  noch  eine  Grabe  an  Agni  Svishtakrit1  anschliesst.  Allee 
Einzelne,  die  Art  wie  die  Kuchen  zertheilt,  yon  den  Priestern 
und  dem  Opferer  verzehrt  werden  u.  s.  w.,  will  ich  übergehen. 
Es  folgen  die  drei  Nachopfer  (Anuyaja's),  die  sogenannte 
Qamyuvaka- Litanei,  die  Opferung  der  Butterreste,  und  noch 
eine  ganze  Reihe  anderer  Ceremonieen  und  Darbringungen,  von 
denen  ich  nur  noch  ganz  am  Schluss  die  drei  sogenannten 
Vishnu-Schritte  hervorheben  wilL  Der  Opferer  erhebt  sich 
und  macht  von  einem  bestimmten  Punkte  der  Vedi  drei  Schritte 
zum  Opferfeuer  hin,  wodurch  Vishnu's  Schritte  durch  den 
Weltenraum 1  dargestellt  werden.  Beim  ersten  Schritte  sagt 
er:  „Am  Himmel  schritt  Vishnu  aus  mit  dem  Jagati- Metrum; 
davon  ist  ausgeschlossen,  wer  uns  hasst  und  wen  wir  hassen." 
Beim  zweiten:  „Im  Luftraum  schritt  Vishnu  aus  mit  dem 
Trishtubh- Metrum"  u.  s.  w.  Beim  dritten:  „Auf  der  Erde 
schritt  Vishnu  aus  mit  dem  Gayatri-  Metrum"  u.  s.  w.*  Nach 
einigen  weiteren  Ceremonieen  entledigt  sich  der  Opfernde  des 
Gelübdes  mit  den  Worten:  „0  Agni,  Herr  des  Gelübdes,  das 
Gelübde  trat  ich  an,  das  konnte  ich,  das  ist  mir  gelungen;" 
oder  „Hier  bin  ich  wieder,  der  ich  bin."  Noch  ein  paar  Schluss- 
ceremonieen,  und  Alles  ist  beendigt. 

Dieses  Opfer  ist  zur  Zeit  des  Neumondes  und  mit  einigen 
Modificationen  zur  Zeit  des  Vollmondes  dreiseig  Jahre  hindurch 
dauernd  auszufuhren.  Die  Familie  der  Däkshayana's  erfand 
eine  Form,  in  der  das  Neumonds«  und  Vollmondsopfer  ver- 
einigt war.  Wer  in  solcher  Weise  opferte,  brauchte  dies 
Opfer  nur  fünfzehn  Jahre  fortzusetzen.  Wer  es  endlich  leistete, 
dies  Opfer  der  Däkshayana's  ein  Jahr  lang  täglich  zu  feiern, 


1  D.  i.  Agni  als  derjenige,  welcher  das  Opfer  glücklich  zu  Stande 
bringt. 

1  Vom  Himmel  zur  Erde  hin  (oder  umgekehrt). 
s  In  umgekehrter  Reihenfolge  gesprochen  bedeuten  diese  Sprüche 
dai  Hinaufschreiten  Vishnus  yon  der  Erde  zum  Himmel. 


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—    108  — 

war  von  da  ab  für  immer  vom  Neumonds-  und  Vollmondsopfer 
befreit.1  Aber  freilich,  welch  eine  Aufgabe,  das  ganze  Jahr 
hindurch  beständig  sich  nur  mit  dieser  Ceremonie  zu  be- 
schäftigen! 

Schon  jetzt  muss  ich  befürchten,  Sie  ermüdet  zu  haben, 
und  doch  habe  ich  nur  noch  eins  der  einfachsten  Opfer  und 
•  auch  nur  iu  flüchtiger  Skizze  vorgeführt  Von  der  Art  der 
Opferhandlung  werden  Sie  eine  Vorstellung  gewonnen  haben, 
und  ich  darf  Ihnen  nicht  zumuthen,  weiteres  Detail  anzuhören. 
So  will  ich  denn  von  den  vielen  anderen  Opfern  nur  hervor- 
heben, da8S  unter  ihnen  das  Sorna-Opfer  von  ganz  besonderer 
Wichtigkeit  und  Heiligkeit,  aber  auch  besonders  complicirt  ist 
Es  sind  schon  beim  sogenannten  Agnishtoma,  dem  einfachsten 
Sorna- Opfer,  nicht  weniger  als  sechzehn  Priester  beschäftigt, 
die  alle  ihre  besonderen  Functionen  haben.  Höchst  weitläufig 
und  umständlich  sind  schon  die  Ceremonieen,  die  bloss  dazu 
dienen,  um  den  Opfernden  und  seine  Gattin  für  das  Opfer 
einzuweihen.1  Dann  ko  mt  das  Einleitungsopfer,  dann  der 
seltsame  sogenannte  Somakauf,  mit  sehr  wunderlichen  Cere- 
monieen; das  Herumfahren  und  die  gastliche  Bewirthung  des 
Sorna;  die  Tanünaptra- Ceremonie,  in  der  sich  Priester  und 
Opferer  verpflichten,  sich  nicht  zu  betrügen.  Endlich  die 
Hauptsache,  der  Tag,  wo  der  Sorna  gepresst  wird.  Deren  giebt 
es  bei  den  verschiedenen  Somaopfern  verschieden  viele,  von 
einem  bis  zu  zwölf  Tagen.  Höchst  weitläufig  ist  dann  die 
Schöpfung  und  Vertheilung  der  verschiedenen  Somabecher  an 
die  verschiedenen  Gottheiten  u.  s.  w.  u.  s.  w. 

Eine  ausserordentlich  heilige  und  wunderthätige  Ceremonie 
ist  die  sogenannte  Agniciti  oder  Schichtung  eines  Feueraltars, 
welche  beliebig  als  Theil  eines  Somaopfers  begangen  werden 
kann  und  sich  über  mehr  als  ein  Jahr  hin  erstreckt  Sie 
beginnt  mit  einem  grossen  Thieropfer.  Dann  drehen  sich  die 
Ceremonieen  lange  Zeit  um  die  Herstellung  der  sogenannten 
Ukha,  einer  irdenen  Feuerschüssel,  in  welcher  das  Feuer 
während  der  Zeit  der  sogenannten  Weihe  ein  Jahr  lang 
unterhalten  und  zum  Theil  in  besonderer  Weise  herumgetragen 
werden  muss.  Mit  welcheu  Wunderlichkeiten  der  Thon  zu 
dieser  Schüssel  bereitet,  geformt,  geräuchert,  gebrannt  wird; 


1  8.  Weber,  Indische  Stadien  X,  p.  337. 

*  Die  sogen.  Diksha.  Dieser  Ceremonie  ist  eine  besondere  Mono- 
graphie gewidmet  von  B.  Lindner,  Die  Diksha  oder  Weihe  für  du 
Somaopfer,  Leipzig  1878. 


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—    109  — 

wie  dann  der  Feueraltar  in  einer  Reihe  verschiedener  Schichten 
mit  einer  Unmenge  von  Backsteinen,  wo  jeder  seine  besondere 
Form,  seinen  Namen,  seine  Bedeutung,  seine  gebührenden  Cere- 
monieen  und  Sprüche  hat,  langsam  und  allmählich  unter  Be- 
theiligung einer  Menge  von  Priestern  aufgebaut  wird,  —  mit 
der  Schilderung  davon  will  ich  Sie  verschonen  und  muss  Sie 
schon  bitten,  mir  zu  glauben,  dass  die  Umständlichkeit,  Com- 
plicirtheit  und  Langwierigkeit  dieser  Manipulationen  geradezu 
ans  Fabelhafte  grenzt  Dringt  man  hier  ins  Detail  ein,  so  wird 
es  Einem  oft  zu  Muthe,  als  versinke  man  in  einem  Ocean  un- 
absehbaren Formelkrames,  wo  eine  Welle  nur  sich  legt,  um 
einer  anderen  Raum  zu  geben.  Ja,  es  scheint  fast  unglaublich, 
wie  es  möglich  war,  all  diese  zahllosen  Einzelheiten,  bei  denen 
die  kleinste  Kleinigkeit  von  Bedeutung  ist,  im  Gedächtniss  zu 
haben  und  genau  auszuführen.  Und  es  war  dies  wohl  auch 
nur  möglich  in  einem  Lande,  wo  ein  zahlreicher  und  mächtiger 
Stand  seine  ganze  geistige  Arbeit,  sein  ganzes  Leben  darauf 
coücentrirte ,  dieses  unermessiiche  Ritual  auszubilden  und  fort- 
zupflanzen.1 

1  Abbildungen  der  zahlreichen,  beim  indischen  Opfer  zur  Verwen- 
dung kommenden  Gerätschaften,  deren  wir  auch  in  der  vorstehenden 
Skiüe  eine  ganze  Reihe  erwähnt  haben,  sind  von  Max  Müller  ver- 
öffentlicht im  9.  Bande  der  ZeiUchr.  d.  D.  M.  6.  Darstellungen  der 
complicirten  Feueraltare  bei  der  sogen.  Agniciti  hat  O.  Thibaut  ge- 
liefert im  Journal  of  the  As.  Soc.  of  Bengal,  Part  I,  No  in  (1875.  Calcutta). 


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Neunte  Vorlesung 


Charakteristik  der  Gottes  Verehrung  zur  Zeit  deB  Yajurveda  (Fortsetzung 
ond  Schluss).  Hervorhebung  einzelner  besonders  bezeichnender  Eigen- 
tümlichkeiten derselben.  Unverständliche  Interjectionen  und  Formeln. 
Monotone  Wiederholungen  und  Variationen  derselben  Gedanken  und 
Wendungen.  Vergleich  mit  den  schriftlichen  Aufzeichnungen  Schwach- 
sinniger. Kraft  und  Bedeutung  der  Sprüche  und  Formeln.  Schamani- 
stiacher  Charakter  dieser  Gottesverehrung.  Die  Zwecke  des  Opfers. 
Stellung  des  Menschen  gegenüber  seinen  Feinden  und  Nebenbuhlern. 


Versuchen  wir  es  nun  noch,  einige  besonders  charakteri- 
stische Eigentümlichkeiten  flcs  indischen  Opferrituals  hervor- 
zuheben, so  wäre  da  zunächst  bemerkenswerth  eine  Reibe  halb 
oder  ganz  unverständlicher  Ausrufe,  Worte  oder  Formeln,  die 
in  feierlicher  Weise  bei  gewissen  Stellen  der  Opferhandlang 
ausgerufen,  gesagt  oder  geflüstert  werden.  Derart  sind  Ausrufe 
wie  svabä,  svajä,  vashat  oder  mit  eigentümlicher  Dehnung 
vaushak  vat  oder  vot;  hin  und  im;  und  vor  Allem  das  bis  in 
die  neueste  Zeit  hochheilige  und  wirkungsvolle  Wort  om! 
Einiges  davon  ist  gewiss  von  vornherein  interjectional,  in  An- 
derem sind  wohl  verstümmelte  Worte  zu  vermuthen,  die  im 
Laufe  der  Zeit  zu  unverständlichen  Interjectionen  geworden 
sind.  Auch  das  heilige  Om  ist  vielleicht  eigentlich  nur  Neutrum 
eines  Pronomens,  aus  avam  verstümmelt  oder  contrahirt,  mit 
der  Bedeutung  „das"  oder  , jenes"!  Doch  ist  dies  nicht  ganz 
sicher.  Manche  dieser  Interjectionen  werden  viel  gebraucht, 
wie  om,  sväha,  vashat  u.  a.  Bisweilen  reihen  sich  auch  solche 
interjectionale  Worte  in  vielfacher  Repetition,  untermischt  mit 
einigen  verständlichen  Ausdrücken,  zu  längeren  Sätzen  zusammen. 


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~  ltl  - 

So  z.  B.  (M&itr.  S.  4,  9,  21)  h  nidh&yo  vAf  nidh&yo  vÄ  nidhAyo 
tä  oip  vA  oip  vft  oip  v&  e  Äi  oip  svarflajyotib!  Hier  ist  fast 
Alles  interjectional  oder  doch  bis  zur  Unkenntlichkeit  ver- 
stümmelt; nur  das  Letzte:  „goldener  Glanz"  (svarnajyotifc)  lässt 
sich  verstehen.  Es  heisst  weiter  mit  etwas  verständlicheren 
Ausdrücken8:  brihadbhä  brihadbhä  brihadbha,  bfihadbha  im 
bfihadbha  im  brihadbha  im,  im  im  im  svarnajyotib,  d.  h.  Hell- 
glänzend, hellglänzend,  hellglänzend!  Hellglänzend  im!  hell- 
glänzend im!  hellglänzend  im!  im  im  im!  goldner  Glanz!  — 
Derart  ist  die  oft  wiederholte  Formel  bhür  bhuvah  svab,  in 
deren  erstem  Theile  wir  wohl  das  Wort  bbü  „die  Erde  oder 
Welt"  erkennen,  so  wie  am  Schluss  das  Wort  svar  „Himmels- 


1  Mäitr.  S.  ist  Abkürzung  für  Mäiträyanl  Samhitä,  d.  i.  der- 
jenige Yajurveda,  aus  dem  ich  vorwiegend  meine  Citate  im  Folgenden 
tn  nehmen  gedenke.  (S.  oben  p.  89.)  Ich  wähle  dieses  Werk  nicht 
nur,  weil  ich  mit  ihm  mich  am  Eingehendsten  beschäftigt  habe,  sondern 
namentlich  auch,  weil  dies  unter  den  älteren  Recensionen  des  Yajurveda 
die  bestüberlieferte  ist.  Die  verschiedenen  Recensionen  des  schwarzen 
Yajurveda  sind  ihrem  wesentlichen  Inhalte  nach  so  übereinstimmend, 
dass  man  mit  Charakterisirung  einer  derselben  auch  die  andere  mit 
charakterisirt,  und  es  wäre  ein  Leichtes  für  die  zahlreichen  Belegstellen, 
die  ich  aus  der  Mäiträyanl  Samhitä  anführen  werde,  ganz  ahnliche 
and  entsprechende  Stellen  aus  den  anderen  Recensionen  beizubringen. 
Dies  würde  indessen  ungebührlich  viel  Raum  in  Anspruch  nehmen,  ohne 
inhaltlich  Neues  zu  bieten  und  würde  die  ohnehin  grosse  Monotonie  des 
Torliegenden  Stoffes  dadurch  noch  erheblich  vergrossert  werden.  Wem 
etwas  daran  läge,  der  könnte  leicht  durch  die  in  meiner  Ausgabe  der 
Mäiträyanl  Samhitä  gegebene  Concordanz  sich  ein  reiches  Material  derart 
issammenstellen.  Die  Mäiträyanl  Saiphitä  ist  der  Yajurveda  in  der 
Recension  des  Mäiträyanlya-Schuie.  Diese  Schule  muss  in  alter  Zeit 
eine  wichtige  Rolle  gespielt  haben.  Sie  zerfiel  in  sieben  Unterabtei- 
lungen, von  denen  eine  die  sogen.  Mänava's  waren,  von  denen  das 
Mänavadharma<;ästrara,  das  sogen.  Gesetzbuch  des  Manu  stammt 
Es  zeugt  von  der  hohen  Bedeutung  und  dem  Einfluss  dieser  Schule,  dass 
gerade  ihr  Gesetzbuch  als  das  für  ganz  Indien  kanonisch  gültige  aner- 
kannt wurde.  Die  Schule  der  Mäiträyaniya's  ist  mit  der  Zeit  ganz 
zusammengeschmolzen  und  existirt  nur  noch  in  einigen  Resten.  Nördlich 
von  der  Narmadä  (Nerbudda)  fand  Bühler  noch  eine  beträchtliche 
Colonie  von  Mäitrayanlya's.  Gujerat  ist  ein  Hauptsitz  derselben  gewesen. 
Vgl.  die  Einleitung  zu  meiner  Ausgabe  der  Mäiträyanl  Sainhita 
p.  XIX  flg.  Ferner  auch  meine  Abhandlungen  „Ueber  die  Mäiträ- 
yanl Samhitä"  in  der  Zeitschrift  der  Deutsch.  Morg.  Ges.  Bd.  XXXIII, 
p.  177 — 2U7;  und  „Das  Kä(hakam  und  die  Mäiträyanl  Samhitä" 
in  den  Monatsberichten  der  Kön.  Akad.  der  Wiss.  zu  Berlin,  Juli  1879, 
p.  675-704. 

*  Vgl.  im  Täitt  Aranyaka  4,  40,  1  nidhäyyo  \äyi,  ebenso  unver- 
ständlich. 

•  Mäitr.  S.  4,  9,  22. 


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—    112  — 


liebt,  Himmel",  deren  Ganzes  aber  doch  unverständlich  bleibt.1 
Von  dieser  Formel  bhür  bhuval?  svah  wird  gesagt1:  „Dies  für- 
wahr ist  das  Brahman  (d.  i.  der  Inbegriff  der  Heiligkeit),  dies 
die  Wahrheit,  dies  das  Recht,  ohne  dies  giebt  es  kein  Opfer." 
So  hoch  wird  die  Bedeutung  solch  einer  Formel  geschätzt  — 
Wir  haben  ferner  ganze  Sätze,  in  welchen  wir  die  meisten 
Worte  deutlich  erkennen,  und  die  doch  im  Ganzen  als  unver- 
ständliche Formeln  bezeichnet  werden  müssen.  So  z.  B.  das 
öfters  wiederkehrende  makhasya  ciro  asi,  d.  h.  „Du  bist  das 
Haupt  des  Makha".  Die  Bedeutung  von  makha  lässt  sich  aber 
nicht  angeben.9 

Solche  unverständliche  Worte  oder  Formeln,  in  geheimniss- 
voller oder  eindringlicher  Weise  gesprochen  oder  geflüstert, 
nehmen  geradezu  den  Charakter  von  Zauberformeln  an;  es  ist 
ein  mit  dem  Nimbus  religiöser  Heiligkeit  umgebenes  Abra- 
kadabra. 

Höchst  charakteristisch  für  dies  Ritual  sind  ferner  die 
monotonen,  immer  wiederkehrenden  Variationen  gewisser  For- 
meln und  Wendungen,  in  welchen  nicht  selten  ein  ziemlich 
gedankenloses  Spiel  mit  den  verschiedenen  Worten  und  Be- 
griffen getrieben  wird.  Ich  will  zur  Verdeutlichung  nur  ein 
Beispiel  derart  anfuhren. 

Die  UkhA,  jene  früher  erwähnte  irdene  Feuerschüssel,  die 
bei  der  Ceremonie  der  sogenannten  Agniciti4  eine  grosse  Rolle 
spielt,  wird  bei  ihrer  Verfertigung  und  Beräucherung  von  dem 
Priester  folgendermaßen  angeredet5: 

„Du  bist  des  Makha  Haupt!  Die  Vasu's  sollen  dich  bereiten  mit 
dem  Gayatri-Metrum  nach  der  Weise  der  Augirasen,4  o  Ukha!  Du  bist 
fest,  du  bist  die  Erde,  erhalte  bei  mir  Nachkommenschaft,  Reichthum, 
Herrschaft  über  das  Vieh,  Heldenkraft,  die  Verwandten  für  diesen 
Opferherrn!  Die  Rudra's  sollen  dich  bereiten  mit  dem  Trishtubh-Metrum 


1  Die  indischen  Erklärer  deuten  bhuvah  auf  den  Luftraum,  so  dass 
die  Formel  bedeuten  würde:  „Erde,  Luft,  Himmel".  Doch  kann  bhuvafe 
diese  Bedeutung  kaum  gehabt  haben;  das  Pet.  Wörterbuch  halt  dies 
Wort  für  den  Plural  von  bhu  „die  Erde".  Die  Sache  laset  sich  nicht 
sicher  feststellen. 

•  Mftitr.  S.  1,  8,  5. 

a  Derart  ist  z.  B.  auch  die  offenbar  verstümmelte  Formel,  welche 
Mftitr.  8.  1,  9,  1  und  5  und  auch  sonst  vorkommt:  v&caspate  hinvidhe 
naman  vidhema  te  nama  vidhe  tvam  asmakam  n&ma,  —  wofür  ich  keine 
üebersetzung  wagen  möchte  (vgl.  übrigens  das  Petersb.  Wörterbuch 
s.  v.  1  vidh). 

4  D.  i.  die  Schichtung  des  Feueraltars,  vgl.  oben  p.  108. 

•  Mftitr.  8.  2,  7,  6. 

•  Ein  altes  mythisches  Geschlecht. 


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-    113  — 

nach  der  Weise  der  Atigi rasen,  o  Ukha!  Da  bist  fest,  du  bist  der  Luft- 
raum, erhalte  bei  mir  u.  a.  w.  (wie  oben);  die  Aditya's  sollen  dich  be- 
reiten mit  dem  Jagati-Metrum  nach  der  Weise  der  Angirasen.  o  Ukha! 
Do  bist  fest,  du  bist  der  Himmel,  erhalte  du  u.  s  w.:  alle  Götter,  die 
allverehrten,  sollen  dich  bereiten  mit  dem  Anushtubh-Metrum  nach  der 
Weise  der  Angirasen,  o  Ukha!  Dn  bist  fest,  du  bist  die  Himmels- 
gegenden, erhalte  du  u.  s.  w.  Die  Vasu's  sollen  dich  räuchern  nach  der 
Weise  der  Angirasen,  die  Rudra's  sollen  dich  räuchern  nach  der  Weise 
der  Angirasen,  die  Aditya's  sollen  dich  räuchern  nach  der  Weise  der 
Atigirasen,  Indra  soll  dich  räuchern  nach  der  Weise  der  Angirasen. 
Varuiia  soll  dich  räuchern  nach  der  Weise  der  Angiraseu,  Vishnu  soll 
dich  räuchern  Jiach  der  Weise  der  Angirasen,  Brihaspati  soll  dich 
räuchern  nach  der  Weise  der  Angirasen.  Aditi,  die  göttliche,  allgött- 
liche, soll  dich  im  Schooss  der  Erde  nach  der  Weise  der  Angirasen 
graben,  o  Grube!  Die  Götterfrauen,  die  göttlichen,  allgottlichen,  sollen 
dich  im  Schooss  der  Erde  nach  der  Weise  der  Atigirasen  hinsetzen, 
o  Ukha  u.  s.  w. 

Im  gleichen  Style  geht  es  noch  eine  ganze  Weile  fort. 

Derartiges  liesse  sich  noch  viel  anführen,  wenn  ich  nicht 
befürchten  müsste,  Ihre  Geduld  allzu  sehr  in  Anspruch  zu 
nehmen. 

Diese  öden  und  elenden  Variationen  ein  und  desselben 
Gedankens  wirken  schon  bei  der  Leetüre  geradezu  nieder- 
drückend, und  es  liegt  auf  der  Hand,  dass  sie  auf  die  andäch- 
tigen Hörer  nicht  geistig  erhebend,  sondern  weit  eher  geistig 
verödend  und  lähmend  wirken  konnten.  Man  möchte  oft  ge- 
radezu daran  zweifeln  ob  man  es  noch  mit  verständigen 
Menschen  zu  thun  hat,  und  es  ist  in  dieser  Hinsicht  recht 
interessant,  zu  beobachten,  dass  in  den  schriftlichen  Aufzeich- 
nungen von  Personen  im  Stadium  des  Schwachsinus  gerade 
die  öden  und  einförmigen  Variationen  ein  und  desselben  Ge- 
dankens besonders  charakteristisch  sind.  So  schreibt  —  um 
ein  Beispiel  aus  dieser,  wohl  den  Meiston  unbekannten,  Sphäre 
anzuführen  —  eine  schwachsinnige  Kranke,  die  sich  früher  viel 
mit  Leetüre  beschäftigt  hatte: 

1.  Bitte: 

Schülers  Seele  und  Bewusstsein  erlösen 

Jesus  Seele  und  Bewusstsein  erlösen 

meiner  Mutter  Seele  und  Bewusstsein  erlösen 

van  der  Velde  seine  Seele  und  Bewusstsein  erlösen 

Trommtitz  seine  Seele  und  Bewusstsein  erlösen 

Gerstacker  seine  Seele  und  Bewusstsein  erlösen 

Voss  seine  Seele  und  Bewusstsein  erlösen 

Seume  seine  Seele  und  Bewusstsein  erlösen 

Körner  seine  Seele  und  Bewusstsein  erlösen 

Arndt  seine  Seele  und  Bewusstsein  erlösen 

und  die  Seelen  und  Bewusstsein  erlösen  aller  der  Dicnter  des  Gesangbuchs. 

.«chrüd«r,  Indiens  Lit.  u.  Cult.  8 


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114  - 


2.  Bitte 

aller  der  Namen,  die  in  Schülers  Werken  stehen 

8.  Bitte 
meiner  Familie  Seele 

4.  Bitte 

mein  Bewusstsein  Yenlichten  und  mein  Ich.1 

Erinnert  dies  nicht  einigermaßen  an  die  oben  angeführten 
Bitten:  die  Vasu's  sollen  dich  bereiten  mit  dem  Gayatri- 
Metrum,  —  —  die  Rudra's  sollen  dich  bereiten  mit  dem 
Trish^ubh- Metrum  u.  8.  w. 

Ein  Kranker  der  Anstalt  Rothenberg  bei  Riga  schrieb 
Folgendes  auf: 

Mit  Demuth  und  Rührung  die  Strasse  wandeln,  die  gewiesen,  mit 
ganzem  Wissen  die  Strasse  gehen,  die  erforderlich  ist,  um  demUthig  den 
Weg  an  gehen,  und  mit  tiefer  Frömmigkeit  die  Strasse  zu  gehen,  die 
erforderlich  ist,  die  Kirche  bauen  und  den  Frieden  zu  erhalten,  der  die 
Wege  weist,  die  dazu  nöthig  und  wünschenswerth  sind,  um  dann  niit 
Gottes  Wunsch  die  Wege  zu  bauen,  den  Frieden  zu  erkaufen,  nnd  dann 
mit  frohem  Muth  die  Kirche  zu  bauen,  die  dazu  erforderlich  ist,  und 
mit  rechtem  Wesen  die  Lehrstufe  zu  erringen,  die  dazu  wünschenswerth 
sein  könnte,  mit  frommem  Streben  die  Anstalt  mit  Rosen  beschenken, 
Gottes  Kirche  bauen  und  mit  vieler  Demuth  seine  Unterwürfigkeit  zeigen, 
mit  vieler  Unterwürfigkeit  und  vieler  Demuth  dieselbe  zu  erreichen 
suchen,  mit  vieler  Demuth  zu  erringen  suchen,  und  mit  Demuth  den 
Weg  wandeln,  der  dazu  erforderlich  ist,  Gottes  Liebe  benutzen,  mit  ganz 
ten  Vorsätzen  ein  gutes  Leben  führen,  und  mit  gutem  Entschluß»  den 
eg  führen,  der  dazu  erforderlich  ist,  mit  guten  Vorsitzen  den  Weg 
zu  gehen,  der  dazu  erforderlich  ist,  Gottes  Liebe  zu  gebrauchen,  mit 

Sitem  Fortgang  den  Weg  zu  gehen,  der  Gottes  Liebe,  die  Kirche  bauen, 
ottes  Liebe,  die  Kirche  bauen,  Gottes  Liebe,  die  Kirche  bauen,  die 
Kirche  bauen  und  mit  gutem  Vorsatz,  Gottes  Liebe,  die  Kirche  bauen, 
nnd  mit  gutem  Vorsatz,  Gottes  Liebe,  die  Kirche  bauen  (die  beiden 
letzten  Phrasen  wiederholen  sich  etwa  achtzig  Mal  nnd  ähnlich  geht  es 
dann  noch  über  mehrere  Seiten  weiter  fort). 

Auf  die  Frage  des  Arztes,  warum  er  denn  immer  dasselbe 
geschrieben  habe,  antwortete  der  Kranke,  er  habe  nichts  weiter 
gowusst.1 

Dies  Beispiel  ist  ein  sehr  extremes,  aber  dennoch  hoffe 
ich,  Sie  werden  mich  verstehen,  warum  ich  dies  zum  Vergleich 
heranziohe.  Das  Charakteristische  des  schwachsinnigen  Geistes 
besteht  eben  in  der  unablässigen,  elenden  und  öden  Reposition 
und  Variation  ein  und  desselben  Gedankens,  derselben  Formen 


1  S.  Dr.  Theobald  Güntz,  Der  Geisteskranke  in  seinen  Schriften, 
Thonberg  bei  Leipzig,  1861. 

4  Private  Mitteilung  von  Seiten  eines  Irrenarztes. 


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—    115  — 

und  Wendungen,  und  der  Yajurveda  bietet  uns  gar  Manches, 
was  dem  ganz  bedenklich  ähnlich  sieht,  von  gar  Manchem  er- 
hält man  wirklich  einen  ähnlichen  Eindruck,  wie  hier  von  dem 
Geschreibe  eines  Menschen  mit  geschwächtem  Geiste.  Ein 
Gottesdienst,  der  diesen  Stempel  an  sich  trug,  der  in  so  trost- 
loser Gedankenöde  sich  hin  und  her  bewegte,  an  absurden 
Sprüchen  und  Wendungen  reich,  wohlversehen  mit  allen  mög- 
lichen unverständlichen  Formeln  und  Exklamationen,  musste 
auf  die  Hörer,  die  ihm  frommgläubig  lauschten,  wie  auch  auf 
die  Priester,  die  ständig  sich  damit  beschäftigten  und  darin 
lebten,  im  Laufe  der  Zeit  eine  niederdrückende,  geistig  lähmende 
Wirkung  üben;  das  gesunde  Denken  mussto  geschwächt,  ja  es 
konnte,  wenn  Derartiges  durch  Jahrhunderte  seinen  Einfluss 
übte,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  zerrüttet  werden. 

Besonders  charakteristisch  für  diese  Gottesverehrung 
ist  sodann  die  grosse  Kraft  und  Bedeutung,  welche  den  Opfer- 
spriichen  und  Formeln  beigelegt  wird,  der  Glaube,  dass  man 
durch  eine  bestimmte  Reihe  gesprochener  oder  gemurmelter 
Worte  ausserordentliche,  ja  geradezu  zauberhafte  Wirkungen 
hervorbringen  könne.  So  werden  z.  B.1  die  sogenannten  Jaya- 
oder  Siegformeln  angeführt:  „Das  Geplante  und  das  Planen, 
das  Gedachte  und  das  Denken,  das  Ersehnte  und  das  Er- 
sehnen u.  s.  w.M*  Von  diesen  Formeln  wird  sodann  gesagt; 
„Prajftpati  erfand  die  Java-Sprüche,  er  gab  sie  dem  Indra, 
durch  diese  besiegte  er  fort  und  fort  die  Dämonen; 
fort  und  fort  besiegt  derjonige  seinen  Feind,  für  den  diese 
dargebracht  werden."  —  Solche  Kraft  soll  also  diesen,  keines- 
wegs vielsagenden  Worten  innewohnen!  Man  wird  unwill- 
kürlich mehr  an  Zaubern  und  Besprechen  als  an  irgend  welchen 
Gottesdienst  erinnert. 

Aehnlich  werden  an  einer  anderen  Stelle  9  folgende  Formeln 
vorgeschrieben:  „Die  Freunde  tragend,  die  Herrschaft  tragend, 
Kraft  tragend,  Stärke  tragend,  möchten  wir  siegen,  möchten 
wir  bewältigen,  möchten  wir  fortkommen,  möchten  wir  ge- 
deihen!" Und  dazu  heisst  es:  „So  (d.  h.  wenn  er  diese  Worte 
spricht)  siegt  er  in  der  Schlacht" 

An  einer  anderen  Stelle4  wird  gelehrt,  wenn  Jemand  Hegen 
wünsche,  dann  solle  er  eine  bestimmte  Darbringung  mit  folgen- 
dem Spruch  mischen:  „Welches  der  himmlische  Regen  ist,  mit 


1  Maitr.  8.  1,  4,  14. 

1  akütam  cakütis  ca,  cittain  ca  cittic.  ca,  adhitam  cadhitic  ca  u.  s.w. 
1  Mait^  8.  4,  2,  11.      *  fcaitr.  8.  4,  6,  9. 

8* 


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—    116  — 

dem  mische  ich  dichl"  „Dadurch  —  so  heisst  es  weiter  — 
läset  er  Regen  auf  das  Vieh  herabströmen." 

Wieder  wo  anders 1  werden  bestimmte  Sprüche  angegeben, 
durch  welche  man  Jemanden  von  den  sogenannten  Fesseln  des 
Varuna,  d.  i.  schlimmen  Heimsuchungen,  welche  namentlich  in 
Krankheit  bestehen,  zu  befreien  vermag.  Man  spreche  zu  diesem 
Zweck  die  Worte:  „O  König  Varuna,  welches  deine  Fessei  bei 
den  Göttern  ist,  die  opfere  ich  dir  hiedurch  weg!  Dir  sei 
Heill  0  König  Varuna,  welches  deine  Fessel  in  der  Speise  ist, 
1  die  opfre  ich  dir  hiedurch  weg!  Dir  sei  Heil!  0  König  Va- 
runa, welches  deine  Fessel  beim  zweifussigen  und  vierfüssigen 
Vieh  ist,  die  opfre  ich  dir  hiedurch  weg!  Dir  sei  Heil!  0  König 
Varuna,  welches  deine  Fessel  in  den  Kräutern,  Bäumen,  Wassern, 
auf  der  Erde,  in  den  Himmelsgegenden  ist,  die  opfre  ich  dir 
hiedurch  weg!  Dir  sei  Heil!"  Und  dazu  wird  die  Bemerkung 
gefügt:  „Dies  sind  die  Fesseln  des  Varuna,  von  denen  befreit 
er  ihn." 

Aehnliche8  erzielen  auch  ein  paar  andere  Sprüche9:  »Ge- 
löst ist  die  Fessel  des  Varuna!  —  mit  diesen  Worten  löst  er 
so  die  Fessel  des  Varuna.  Hingeworfen  ist  die  Fessel  des  Va- 
runa! —  mit  diesen  Worten  wirft  er  so  die  Fessel  des  Varuna 
hin"  u.  dgl.  m. 

An  einer  anderen  Stelle  heisst  es3:  „Wenn  man,  ohne  das 
Vieh  von  Rudra4  frei  zu  bitten,  die  Schichtung  des  Feueraltars 
vornimmt,  dann  stellt  Rudra  dem  Vieh  des  Betreffenden  nach. 
Wenn  er  spricht:  Aus  des  Rudra  Schaarenherrschaft  komm 
herbei!  Dann  hat  er  so  das  Vieh  von  Rudra  freigebeten  und 
schichtet  nun  Seinen  Feueraltar;  dann  schädigt  der  Herr  des 
Viehes?  nicht  sein  Vieh/'6 

Ebenso  wird7  der  Spruch  gelehrt:  „Des  Rudra  Waffe  soll 
euch  rings  vermeiden!"  und  dazu  wird  bemerkt:  „Mit  diesen 
Woiten  schützt  er  sie  (<L  h.  die  Kühe)  so  vor  Rudra."8 

Ueberall  sind  es  hier  also  kurze  Sprüche,  man  darf  wohl 
geradezu  sagen  „Beschwörungen",  welche  ein  drohendes  Unheil 
abwenden,  indem  sie  unfehlbar  bestimmend  auf  den  Willen  des 
Gottes  wirken  sollen. 

1  Maitr.  S.  2,  3,  1  a.  E.     *  Maitr.  S.  4,  8,  5.     *  Maitr.  S.  3,  1,  3. 

4  Ein  vielgefürchteter  Gott  Vgl.  oben  p.  66.  Er  wird  auch  als 
Herr  des  Viehs  (pa^upati)  verehrt. 

5  D!  i.  Rudra.  •  cf.  Taitt.  S.  5.  1,  2,  3.  7  Maitr.  S.  4,  1,  1. 
8  Vgl.  auch  Maitr.  S.  3,  1,  4  a.  E.   „Pein  kommt  dort  Uber  die 

Nachkommen,  wo  der  Feueraltar  gegraben  oder  geschichtet  wird;  wenn 
San  spricht:  Freundlich  den  Nachkommen,  nicht  schädigend  u.  s.  w., 
so  hat  man  ihn  auf  solche  Weise  den  Nachkommen  freundlich  gemacht" 


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—    117  — 


Aber  «noch  weit  mehr  wird  behauptet. 

Ich  führte  Ihnen  in  der  letzten  Vorlesung  die  Formeln 
an,  welche  der  Priester  beim  Hinlegen  der  Schalen  für  den 
Opferkuchen  spricht.  Deren  Wirkung  wird  nun1  folgendcr- 
massen  beschrieben.  Er  spricht:  „Du  bist  fest,  festige  die 
Erde!  —  Mit  diesen  Worten  macht  er  so  die  Erde  fest.  — 
Eine  Stütze  bist  du,  festige  den  Luftraum!  —  Mit  diesen 
Worten  macht  er  so  den  Luftraum  fest.  —  Ein  Träger  bist 
du,  festige  den  Himmel!  —  Mit  diesen  Worten  macht  er  so 
den  Himmel  fest"  u.  s.  w.  Hier  werden  den  Opfersprüchen,  — 
Worten,  die  man  an  ein  paar  Schalen  richtet,  —  Wirkungen 
zugeschrieben,  die  sich  auf  die  ganze  Natur  erstrecken  u.  dgl  m.' 

Neben  der  ungeheuren  Complicirtheit,  neben  der  erdrücken- 
den Weitläufigkeit  und  Formelhaftigkeit  des  Rituals  werden 
wir  gerade  dies  als  die  am  meisten  charakteristische  Seite  des- 
selben erkennen,  dass  die  Sprüche,  Formeln  und  Handlungen 
geradezu  wie  Zaubersprüche,  Zauberformeln  und  Zauber hand- 
lungen  betrachtet  werden.  Mit  ihrer  Hülfe  glaubt  man  un- 
bedingt Wirkungen  der  ausserordentlichsten  Art  hervorrufen  zu 
können,  Natur  und  Götter  selbst  zu  zwingen,  und  der  kundige 
Priester  ist  es,  der  diese  gewaltige  Macht  in  seiner  Hand  hat. 

So  haben  wir  eigentlich  in  diesem  indischen  Cultus  eine 
Art  Schamanismus  vor  uns,  wenn  auch  einen  verfeinerten  und 
mit  manchen  geistigen  Elementen  durchsetzten. 

Sehr  richtig  sagt  der  bekannte  Ethnolog  Oscar  Pesch el 
in  seiner  „Völkerkunde"  p.  281:  „Nichts  wird  teichter  scha- 
m&nistisch  missbraucht,  als  das  Gebet,  denn  es  wird  in  dem 
Augenblicke  zur  Zauberformel,  sobald  man  seinen  Worten 
irgend  eine  Wirkung  auf  den  göttlichen  Willen  zuschreibt" 
Und  p.  283:  „Besteht  das  Wesen  des  Schamanismus  in  der 
Ausübung  irgend  eines  Zaubers,  der  seinen  Zwang  auf  göttlich 
gedachte  Mächte  erstreckt,  ihnen  die  Erfüllung  irgend  eines 
Begehrens  oder  die  Offenbarung  künftiger  Begebenheiten  ab- 
nöthigt,  so  ist  es  offenbar  ganz  gleichgültig,  ob  das  angewendete 
Mittel  im  Rühren  einer  Trommel,  im  Schütteln  einer  Klapper, 
in  Opfern,  in  Gebeten,  in  Fasten  oder  Bussübungen,  im  Be- 
fragen thierischer  Eingeweide  oder  des  Vogelflugs  bestehe." 


1  Maitr.  S.  4,  1,  8. 

*  Auch  Maitr.  S.  3,  8,  9  a.  A.:  „Schreitet  mit  dem  Feuer  zum 

Firmament!  —  So  spricht  er,  um  die  Himmelswelt  zu  erlangen.  

Kraftnahrung  verleihe  uns,  den  zweifüssigen  und  vierfüssigen  Geschöpfen ! 
—  Mit  diesen  Worten  legt  er  Kraftnahrung  in  das  zweifüssige  und  vier, 
füssige  Vieh  hinein"  u.  s.  w. 


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—    118  — 

Wir  werden  somit  die  Brahmanen  des  Yajurveda  nicht 
freisprechen  können  von  dem  Vorwurf,  Gebet  und  Opfer  scha- 
manistisch  zu  missbrauchen.  Wenn  die  Inder  in  späteren  Jahr- 
hunderten dem  Fasten  und  verschiedentlichen  Kasteiungen  ganz 
unglaubliche,  zaubermächtige  Wirkungen  zuschreiben  und  nicht 
müde  werden,  Geschichten  davon  zu  erzählen,  so  ist  das  nur 
eine  Uebertragung  des  erwähnten  schamanistischen  Aber- 
glaubens auf  ein  anderes  Gebiet.  Und  wie  bei  den  Brahmanen 
durch  die  Macht  der  Busse,  so  werden  bei  den  Buddhisten 
endlich  durch  die  blosse  Macht  der  Heiligkeit  Wunder,  Zauber 
und  Kunststücke  aller  Art  ausgeführt  Das  Alles  sind  bloss 
Umwandlungen  des  alten  folgenschweren  Irrwahns,  der  im 
Yajurveda  seine  Wurzel  hat,  und  die  hier  gepflegte  ungesunde 
geistige  Richtung  ist  in  späteren  Jahrhunderten  recht  üppig 
weiter  ins  Kraut  geschossen,  ja  sie  hat  zum  Theil  Dimensionen 
angenommen,  dass  wir  fast  von  einer  partiellen  Zerrüttung  des 
Denkvermögens  reden  möchten.1 


Die  Zwecke  des  Opfers. 

Das  Charakteristische  einer  Gottesverehrung  liegt  ferner 
sehr  wesentlich  in  den  Zwecken,  welche  der  Mensch  mit  der- 
selben zu  erreichen  strebt.  Werth  oder  Unwerth  des  Gottes- 
dienstes bemisst  sich  vor  Allem  nach  der  Empfindung,  die 
der  Mensch  seinen  Göttern  entgegen  trägt;  ob  er  sich  einem 
Zuge  zu  andächtiger  Vertiefung  hingiebt,  oder  ob  er  von  anderen 
Absichten  erfüllt  ist. 

In  dieser  Hinsicht  bieten  uns  die  Yajurveden  ein  reiches 
Material,  denn  auf  Schritt  und  Tritt  wird  bei  den  verschiedenen 
Formeln  und  Ceremonieen  der  Zweck  angegeben,  zu  dessen 
Erreichung  man  dieselben  ausführen  soll.  Gerade  hierin  tritt 
deutlich  der  vorhin  besprochene  schäm  anistische  Zug  hervor, 
und  leider  sind  es  vorwiegend  ganz  materielle  und  sinnliche 
Güter,  zu  deren  Erlangung  das  Opfer  verhelfen  soll.  Die  Be- 
gierde nach  Besitz  tritt  stark  dabei  hervor,  sowie  der  Wunsch 
nach  Herrschaft  und  Wohlsein  jeder  Art  Ich  will  nicht  von 
den  Sprüchen  und  Versen  reden,  in  welchen  die  Götter  um 
diese  Dinge  gebeten  werden.  Weit  charakteristischer  und 
wichtiger  sind  die  massenhaft  zahlreichen  Angaben  über  Zweck 


1  Man  vgl.  unten  Vorlesung  XX VII. 


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-    J19  - 


und  Folge  bestimmter  Ceremonieen  und  Sprüche.  Stellt  man 
dieselben  zusammen,  so  orgiobt  sieb  ein  ausgebreitetes  System, 
wo  fast  für  jegliches  Begehren,  das  aufs  Wohlbehagen  hinzielt, 
alsbald  eine  Reihe  von  Verrichtungen  parat  sind,  durch  welche 
man  dasselbe  befriedigen  kann,  —  vorausgesetzt  natürlich  dass 
man  kundige  und  wohlgeneigte  Priester  zur  Hand  hat,  die  das 
Erforderliche  ausführen  können. 

Wenn  z.  B.  Jemand  nach  Vieh  begehrt,  so  werden  ihm 
dafür  im  Yajurveda  an  einer  ganzen  Reihe  von  Stellen  wirk- 
same Ceremonieen  gelehrt  Wünscht  er  sich  Speise  (d.  h.  reich- 
liche Nahrung)  zu  verschaffen,  so  findet  er  dafür  fast  unzählige 
Begehungen  angegeben.  Will  man  Nachkommenschaft  er- 
langen, so  werden  wirksame  Ceremonieen  dafür  in  einer  Reihe 
Ton  Capiteln  gelehrt  Wünscht  man  Lebenskraft,  so  finden 
sich  gleich  an  verschiedenen  Stellen  entsprechende  Ceremonieen; 
desgleichen  wenn  man  Glanz  der  Heiligkeit  begehrt,  ein 
damals  besonders  geschätzter  Vorzug.  Ebenso,  wenn  man 
Wohlsein  im  Allgemeinen,  oder  Indra-Kraft,  oder  Herr- 
schaft und  Königthum  zu  erreichen  strebt;  desgleichen  wenn 
man  den  Lebenshauch  zu  erhalten  wünscht  Will  man  die 
Stellung  eines  Oberpriesters  (purodha)  haben,  so  giebt  es 
auch  dafür  eine  bestimmte  Ceremonie.  Wünscht  man  den 
Besitz  eines  Dorfes,  so  stehen  Einem  eine  ganze  Reihe 
solcher  zu  Gebote.  Nicht  minder,  wenn  man  Glanz,  wenn 
man  Macht  oder  wenn  man  Sieg  begehrt.  Eine  ganze  Reihe 
wirksamer  Ceremonieen  sollen  Schutz  vor  den  bösen  Dä- 
monen (rakshas)  verschaffen;  andere  befreien  von  den 
Fesseln  des  Varuna;  andere  schaffen  Schutz  vor  dem 
Gegner,  oder  Schutz  im  Allgemeinen,  oder  Unverletzt- 
heit; andere  werden  als  wirksam  gerühmt,  wenn  man  krank 
ist,  oder  wenn  man  sich  vor  Alter  und  Tod  fürchtet. 

Aber  weit  exorbitantere  Wünsche  kann  man  durch  diese 
Opferbräuche  befriedigen.  So  wird  gelehrt  von  bestimmten  , 
Verrichtungen,  dass  man  durch  dieselben  diese  Welten  er- 
langt, oder  die  Weltgegenden  ersiegt  oder  gewinnt, 
oder  alle  Weltgegendon,  alle  Welten  gewinnt.  Andere 
dienen  dazu,  das  Jahr  zu  erlangen,  was  am  Ende  ein  un- 
gefähr ebenso  thörichtes  Begehren  ist,  als  wenn  man  den  Mond 
zu  erlangen  strebt  In  aller  möglichen  Art  will  man  durch 
diese  Ceremonieen  Einfluss  auf  dio  Natur  üben,  resp.  ihr  Hülfe 
leisten.  So  finden  sich  bestimmte  Ceremonieen,  die  den  Zweck 
haben,  die  Weltgegenden  zu  festigen,  was  doch  mindestens 
eir  höchst  unnöthiges  Beginnen  ist;  andere  dienen  dazu,  diese 


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-  120 


Welten  zu  festigen,  andere  das  Jahr  zu  festigen,  andere 
die  Kräuter  festen  Stand  gewinnen  zu  lassen  u.  dgL  m. 

Dann  fehlen  natürlich  auch  nicht  verschiedene  Cere- 
monieen,  durch  welche  man  andere  Leute  bezaubern,  oder 
sie  schädigen  oder  ihnen  sonst  irgend  welche  Unan- 
nehmlichkeiten zufügen  kann.  Endlich  giebt  es  auch  wirk- 
same Ceremonieen,  durch  welche  man  jeden  beliebigen 
Wunsch  oder  alle  Wünsche  erlangen  kann,  wobei  gelehrt 
wird:  Was  irgend  wünschend  man  dies  vollfuhrt,  das  erlangt 
man  auchl 

Man  kann  die  verschiedenen  Opfer  mit  ihren  respectiven 
Wirkungen  schliesslich  in  übersichtliche  Tabellen  bringen,  wo 
man  dann  deutlich  gleich  sieht,  was  man  von  jedem  einzelnen 
hat.  Die  einer  folgenden  Periode  entstammenden  Sütra's 
streben  nach  solcher  Uebereichtlichkeit,  und  so  finden  Sie  z.  B. 
eine  solche  Zusammenstellung  am  Schlüsse  des  von  R.  Garbe 
edirten  und  übersetzten  Vaitäna-Sütra.1  Sie  beginnt  in 
Cap.  43  mit  §  8  flg. 


8.  Das  (normale)  Agnihotra  .... 

9.  Mit  (frischer)  Milch  (geopfert)  . 

10.  Mit  saurer  Milch  (geopfert)  .  . 

11.  Mit  Schmalz  

12.  Mit  Sesamöl  

13.  Mit  Muss  

14.  Mit  Reisbrühe  

15.  Mit  Reiskörnern  

16.  Mit  Sorna  

17.  Mit  Fleisch  

18.  Mit  Wasser  

19.  Das  Dar capüruamasa- Opfer  .  .  . 

20.  Das  Dakshayana-Opfer   

21.  Das  Sakamprasthayya-Opfer  .  . 

22.  Das  Sam kram a- Opfer  

23.  Das  Idadadha-Opfer  

24.  Das  Särvasena-Opfer  

25.  Das  faunaka-Opfer  

26.  Das  Vasisbtha-Opfer  

27.  Das  Dyaväprthivyorayana  .... 

28.  Diese  (von  §§  21—27  genannten  Opfer) 
des  Darcapurnamasa-Opfers. 


<5. 


W 
5" 

o 


die  himmlische  Welt 
Alles 

körperliche  Kraft 
Macht 
Schönheit 
Kinder 

Besitz  eines  Dorfes 
Kraft 

geistlichen  Vorrang 
Wohlstand 
langes  Leben 
Alles 
Kinder 
Vieh 
Alles 
Vieh 
Kinder 

Die  Zauberkunst 
Kinder 

einen  festen  Standpunkt 
Bind  die  periodischen  Formen 


1  Vaitana  Sütra,  the  Ritual  of  the  Atharvaved*,  edited  with 
critical  notes  and  indices  by  Dr.  Richard  Garbe,  London  1878.  — 
Vaitana  Sütra.  das  Ritual  des  Atharvaveda,  aus  dem  Sanskrit  Über- 
setzt und  mit  Anmerkungen  versehen  von  Dr.  phü.  Richard  Garbe, 
Strassburg  1878. 


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—    121  — 


^  Nahrung 

w  £  Alles 

langesLeben, Kinder u.Yieh 

-  sf 

-  Gesundheit  und  für  Einen, 
~*  3»    der  die  Welt  der  Vater 
•*  Kinder 


M 

4  = 

II 

"1 


29.  Das  Agrayana  

30.  Die  CAturmasya  

31.  Das  Thieropfer  an  Indrau.  Agni 

32.  (Die  Opferung)  eines  papa- 
geigelben oder  auch  weissen 
(Stieres)  an  Yama  

33.  Eines  stuteoähnlichen  Heng- 
stes an  Tvashtar   

34.  Diese  beiden  (letzten  Opfer)  sind  beliebig. 

35.  Die  Sutyatage  |  Alles 

36.  Der  ükthya  |  |*|  Vieh 

37.  Der  Vajapeya  (  ?     unumschränkte  Herrschaft 

38.  Der  Atiratra   g/g:  Wohlfahrt 

39.  Das  Gavämayana  ist  dem  Dvadac&ha  gleichwerthig. 

40  Der  Rajasüya  1  |U  unumschränkte  Herrschaft 

41.  Der  AcTamedha  oder  Puru-  I  g  f? 
shamedha  |  -  ^  Alles 

42.  Der  Sarvamedha  IS"*  Vorrang 

43.  Wenn  die  Wünsche  endlos  sind,  haben  in  Folge  dessen  auch  die 
Opfer  keine  Beschränkung. 

Solche  „Tabellen  der  Opferzwecke"  sind  die  natürliche 
Consequenz  der  Art,  wie  das  Opfer  im  Yajurveda  schon  be- 
handelt wird. 


Stellang  des  Menschen  gegenüber  seinen  Feinden  und 

Nebenbuhlern. 

Für  die  Beurtheilung  der  sittlichen  Stufe,  auf  der  sich 
eine  bestimmte  Gottesverehrung  befindet,  ist  es  von  grosser 
Wichtigkeit,  wie  sich  der  Mensch  bei  Gebet  und  Opfer  seinen 
Feinden  und  Widersachern  gegenüber  verhält;  ob  er  auch  vor 
dem  Angesichte  der  Götter  in  der  Stunde  der  Andacht  und 
Vertiefung  jenen  Krieg  des  gemeinen  Lebens  fortsetzt,  oder  ob 
er  im  Stande  ist,  sich  zu  höheren  und  reineren  Empfindungen 
zu  erheben. 

In  späteren  Jahrhunderten  finden  wir  gerade  bei  den  In- 
dern in  schönster  Weise  eine  liebende,  duldende  und  tragende 
Moral  ausgebildet,  nach  welcher  die  Kränkungen  und  Anfein- 
dungen von  Seiten  der  Gegner  still  ertragen  und  vergeben 
werden  Bollen.  Aber  in  der  vedischen  Epoche  ist  von  Ge- 
danken dieser  Art  nicht  die  leiseste  Spur  wahrzunehmen.  Im 
Rigveda  finden  wir  die  erste,  naturwüchsig  naive  Stufe,  wo  der 
Mensch  mit  Heerden  und  Nachkommenschaft  sich  ausbreitend 


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bald  hier  bald  dort  auf  Widerstand  stösst,  sich  kräftig  zur 
Wehre  setzt  und  den  Feind  ehrlich  und  tüchtig  als  Feind  be- 
handelt Da  steigt  manch  zorniger  Hymnus  auf,  der  um  Ver- 
tilgung der  Gegner  betet.  Aber  im  Yajurveda  ist  diese  Be- 
kämpfung des  Gegners  durch  Gebet  und  Opfer  mit  priester- 
lichem Raffinement  ausgebildet.  Wenn  im  Rigveda  der  streit- 
bare Mann  zu  den  Göttern  um  Hülfe  fleht  gegen  seine  Wider- 
sacher, —  da  können  wir  noch  recht  gut  sympathisiren.  Ab- 
stoßend aber  sind  im  Yajurveda  die  unzähligen  Formeln  und 
Verrichtungen  beim  Opfer,  die  darauf  ausgehen,  die  Feinde  auf 
alle  mögliche  Art  zu  schädigen. 

Manche  jener  zornigen  Verse  aus  dem  $igveda  sind  auch 
in  den  Yajurveda  übergegangen,  gar  Manches  aber  ist  auch 
dem  Yajurveda  allein  eigen.  So  bittet  man  z.  B.1:  „Welcher 
Mensch  uns  feindlich  ist  und  welcher  uns  hasst,  welcher  uns 
schmäht  und  schaden  will,  alle  die  sollst  du  zu  Staub  zer- 
reiben!" Der  Gott  des  Feuers  wird  angefleht*:  „0  Agni,  mit 
deiner  Gluth  glühe  los  gegen  den,  weicher  uns  hasst  und 
welchen  wir  hassen!  0  Agni,  mit  deiner  Flamme  brenne  los 
gegen  den,  welcher  uns  hasst  und  welchen  wir  hassen!  0  Agni, 
mit  deinem  Strahl  strahle  gegen  den,  welcher  uns  hasst  und 
welchen  wir  hassen!  0  Agni,  mit  deiner  packenden  Kraft  packe 
den,  welcher  uns  hasst  und  welchen  wir  hassen!  0  Agni,  mit 
deiner  spitzigen  Schärfe  stachle  den,  welcher  uns  hasst  und 
welchen  wir  hassen!4*  Oder  es  wird3  gebetet:  „Der  Todesgott, 
das  Verderben  soll  die  Nebenbuhler  ergreifen!"  Agni  wird 
angefleht4:  „Erhebe  dich,  o  Agui,  spanne  den  Bogen,  senge 
nieder  die  Feinde,  der  du  ein  scharfes  Geschoss  fuhrst!  Wer 
uns  Anfeindung  bereitete,  o  du  Entflammter,  den  brenne  paeder 
wie  trocknes  Gestrüpp!"  Oder  Indra6:  „Schmettre  auseinander 
unsre  Feinde,  o  Indra!  Wirf  nieder  die  Kämpfenden!  Unter 
die  Füsse  schaff  uns  den,  welcher  uns  anfeindet!" 

Unzählige  Mal  kehrt  bei  bestimmton  Opferhandlungen  odor 
Sprüchen  die  Verheissung  wieder,  dass  man  auf  solche  Weise 
seinen  Gegner  bewältigen,  schädigen  oder  vernichten  könne. 

So  heisst  es  z.  B.  an  einer  Stelle6:  „Auf  solche  Weise  be- 
wältigt den  Nebenbuhler,  den  Feind,  die  Noth  derjenige,  welcher 
solches  wissend  das  Feuer  anlegt."  Und  in  demselben  Capitel: 
„Wen  er  hasst,  an  den  möge  er  dann  im  Geiste  denken,  so 


1  Mfcitr.  S.  2,  7,  7.  »  Maitr.  3.  1,  5,  2.  9  Mftitr.  8.  2,  5,  6. 
*  MAU.  S.  2,  7,  15  «  RV  4,  4,  4.  «  M&itr.  8.  4,  12,  3;  vgl.  RV  10, 
152,  4.      «  MÄitr.  8.  1,  6,  3. 


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schleudert  er  den  Donnerkeil  gegen  ihn  und  wirft  ihn  zu 
Boden"  u.  s.  w.1 

Alle  möglichen  Ceremonieen  gehen  darauf  aus,  den  Gregner 
zu  berauben,  ihm  Besitz,  Speise,  Kraft  u.  dgl.  zu  entwenden. 

So  wird  z.  B.  bei  einer  bestimmten  Verrichtung 1  gesagt: 
„So  bringt  der  Opferherr  Erwerb,  Besitz  und  Speise  des  Gegners 
an  sich"  (d\  h.  enthält  sie  jenem  vor),  u.  dgl.  Öfters. 

Bei  einer  anderen  Gelegenheit  heisst  ea  *:  „ An  seiner  eignen 
Opferstätte  raubt  der  Opferherr  so  dem  Gegner  sein  Vieh,  und 
das  Vieh  geht  von  ihm  nicht  fort"  An  eine  andere  Ceremonie 
wird  die  Verheissung  geknüpft4:  „Kraftnahrung  und  Speise 
raubt  der  Opfrer  so  dem  Gegner.4*  —  Und  ein  anderes  Mal9: 
„So  raubt  der  Opferherr  dem  Gegner  den  freien  Raum  und 
die  Speise."  —  Und  ferner*:  „So  raubt  der  Opferherr  dadurch 
dem  Gegner  Kraft  und  Stärke." 

Schmerz  und  Noth  aller  Art  sucht  man  durch  die  Opfer- 
verrichtungen dem  Gegner  zu  bereiten. 

So  wird  z.  B.  bei  einer  bestimmten  Ceremonie 1  verheissen: 
„Wen  er  hasst  und  wer  ihn  hasst,  die  beide  bringt  er  auf 
solche  Weise  in  Pein."  —  Wo  anders8  lautet  die  Verheissung: 
„Auf  solche  Weise  schickt  er  den  Hunger  zu  dem  Gegner" 
u.  dgL  m. 

Häufig  kehrt  der  Gedanke  wieder,  daes  man  durch  diese 
oder  jene  Opferhandlung  den  Gegner  vertreibt  oder  ganz  aus 
diesen  Welten  verdrängt.  So  wird9  erzählt,  dass  die  Götter 
durch  die  Upasad- Ceremonie  dio  Dämonen  aus  diesen  Welten, 
aus  Tag  und  Nacht  vertreiben:  „Darum,  wer  solches  wissend 
sich  an  die  Upasad -Ceremonie  macht,  der  vertreibt  seinen 
Gegner  auf  solche  Weise  aus  Tag  und  Nacht  und  aus  diesen 
Welten;  ihm  selbst  geht  es  gut,  sein  Gegner  geht  zu  Grunde." 

An  gar  manche  Ceremonie  knüpft  sich  lockend  die  Ver- 
heissung: „Wer  solches  weiss  (oder  thut),  der  gedeiht  mit 
seiner  Person,  der  Gegner  geht  zu  Grunde." 

An  einer  Stelle  (Mäitr.  S.  1,  5,  8)  wird  von  dem  Anlegen 
gewisser  Holzscheite  geredet  und  es  heisst  dann:  „Den  bÖson 
Nebenbuhler  richtet  zu  Grunde,  wer  solches  wissend  diese 


1  Maitr.  S.  1»  4,  12  geben  Gandharven  und  Apsarasen  einen  Rath, 
wie  man  opfern  solle,  um  den  Ocgner  zu  besiegen,  und  dazu  heisst  es: 
„Den  Gegner  bewältigt  durch  das  Opfer  derjenige,  welcher  solches  weiss/' 

•  Maitr.  a  8,  2,  2.  *  Maitr.  S.  4,  2.  4.  4  Maitr  S.  4.  4,  2. 
s  Maitr.  8  4,  6,  9.  •  Maitr.  8.  3,  4,  l.  T  Maitr.  S.  4.  1.  4.  *  Maitr. 
8.  I,  10,  15.      »  Mftitr.  8.  3,  8,  1. 


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Holzscheite  anlegt"  Es  liegt  also  eine  magische,  zauberkräftige 
Gewalt  in  diesen,  im  Opferfeuer  verbrannten,  Holzscheiten.1 

An  einer  anderen  Stelle1  wird  eine  beim  Opfer  gebrauchte 
Haue  oder  Hacke  angeredet:  „Du  bist  die  Haue,  du  bist  das 
Weib;  hier  schneide  ich  des  Eakshas9  Hals  durch;  wer  mich 
als  ein  Gleicher,  wer  als  ein  nicht  Gleicher  anfeindet,  dessen 
Hals  schneido  ich  durch!"  Das  ist  doch  ganz  Zauberei  und 
Beschwörung,  die  des  Gegners  Leben  vernichtet  I 

Wiederholentlich  4  werden  verschiedene  Gottheiten  der  Reihe 
nach  angerufen  mit  der  immer  wiederkehrenden  Wendung:  „Die 
sollen  uns  gnädig  sein!  Wen  wir  hassen  und  wer  uns  hasst, 
den  legen  wir  in  ihr  Gebiss  (oder  Rachen).*4 

Wir  finden  ferner  an  einer  Stelle6  folgende  Beschwörung: 
„Hier  vernichte  ich  den  N.  N.,  Sohn  des  N.  N.,  Sohn  der  N.  N., 
in  dieser  Himmelsgegeud."  Weiterhin  heisst  es:  „Wenn  er  den 
Namen  nennt,  so  zerreisst  er  ihm  dadurch  die  Opferstätte.«4 

Man  gönnt  dem  Gegner  auch  die  heiligen  Verrichtungen 
und  die  himmlischen  Güter  nicht  Sehr  charakteristisch  ist 
dafür  die  folgende  Stelle8:  „Die  Götter  gelangten  durch  das 
Opfer  in  den  HimmeL  Nun  dachten  sie:  Hierdurch  werden 
auch  noch  Andere  als  wir  in  den  Himmel  kommen!  —  Da 
erfanden  sie  die  Metra  und  verflochten  sie  unter  einander 


1  Man  wird  hier  wieder  auffallend  an  gewisse  Vorstellungen  von 
Völkern  auf  schamanistischer  Religionsstufe  erinnert,  bei  denen  Er- 
krankung und  Tod  oft  der  Fernewirkung  übelwollender  Zauberer  zuge- 
schrieben wird.  Interessant  zum  Vergleich  ist  z.  B.  die  eigentümliche 
Nahak-Ceremonie,  wie  sie  sich  bei  den  Papuanen  auf  der  Insel  Tanna, 
einer  der  neuen  Hebriden,  vorfindet.  Unter  Nahak  versteht  man  die 
vernachlässigten  Nahrungsüberreste,  welche  eigentlich  verbrannt  oder 
verscharrt  werden  müssen.  Findet  nun  der  Zauberer  eine  übriggelassene 
Bananenschale,  so  lässt  er  sie  des  Nachts  langsam  am  Feuer  verbrennen 
und  zieht  auf  solche  Weise  unfenbar  demjenigen  den  Tod  zu,  von  dem 
der  Fruchtabfall  her  stammt.  Diejenigen,  deren  Gewissen  belastet  ist, 
bitten  einen  der  Ihrigen,  durch  die  Klange  eines  Muscholhorns  den 
Schamanen  in  seinem  Beginnen  Einhalt  thun  zu  lassen.  Dann  werden 
am  andern  Morgen  Lösegelder  für  das  Nahak  geboten.  —  Diese  Nahak- 
Ceremonic  findet  sich  mit  einigen  Abänderungen  auch  auf  der  Marquesas- 
insul  Nukahiwa,  ferner  auf  den  Fidschiinseln;  Aehnliches  auch  in  Austra- 
lien, wo  der  feindselige  Schamane  das  sogen.  Pringurru,  ein  heilig  ge- 
haltenes Stück  Bein,  das  auch  oeim  Aderlasse  dient,  verbrennen  muss, 
um  die  betreffende  Wirkung  zu  erzielen.  Vgl.  Peschel,  Völkerkunde 
p.  276.  277 

1  Maitr.  S.  1,  2,  10. 

*  Ein  böser  Dämon,  böser  Geist  oder  Gespenst. 

4  Mäitr.  8.  2,  8,  10;  2,  9,  9;  2,  13,  12;  2,  13,  21  u.  a. 

5  Maitr.  8.  3,  3,  5. 

•  Maitr.  S.  4,  7,  5. 


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—    125  — 

(zu  einem  Gewebe),  damit  man  die  Himmelswelt  nicht  sehe." 
Und  alsbald  folgt  die  Nutzanwendung  auf  die  menschlichen 
Verhältnisse:  „Wenn  er  die  Metra  unter  einander  verflicht  (ver- 
webt), dann  bringt  der  Opferherr  den  Raum  und  die  Metra 
des  Gegners  in  Verwirrung,  damit  er  die  Himmelswelt  nicht 
erblicke." 

Wenn  die  Götter  mit  solchem  Beispiele  vorangehen,  dann 
trifft  die  Menschen,  welche  ebenso  handeln,  in  der  That  kein 
harter  Vorwurf.  Aber  freilich,  —  diese  Götter  mit  diesen 
klaglichen  Schwächen  haben  die  Brahmanen  sich  selbst  er- 
sonnen. 


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Zehnte  Vorlesung. 


Charakteristik  der  Theologie  des  Yajurveda.  Allgemeine  Bestimmung. 
Das  Symbolislren  und  Identificiren.  Etymologieen.  Die  Lehre  Ton  der 
Macht  und  Bedeutung  des  Opfers.  Bedeutung  des  theologischen  Wissens. 
Die  Legenden.  Der  Charakter,  in  welchem  die  Götter  in  diesen  Er- 
sahlungen erscheinen.    Brahmanisirung  der  Götter,  —  das  Gegenstück 

zur  Deificirung  der  Priester. 


Nachdem  wir  uns  zunächst  mit  dorn  Cultus  zur  Zeit  des 
Yajurveda  beschäftigt  haben,  wollen  wir  nun  den  Versuch 
machen,  auch  die  theologischen  Speculationen  dieser  Zeit 
etwas  näher  kennen  zu  lernen. 

Wenn  ich  hier  das  Wort  Theologie  gebrauche,  so  muss 
ich  fast  um  Entschuldigung  deswegen  bitten,  so  wenig  dürfte 
das,  was  die  Yajurveden  bieten,  mit  demjenigen  übereinstimmen, 
was  man  heutzutage  mit  diesem  Worte  bezeichnet  und  was  Sie 
demnach  wohl  erwarten  dürften.  Um  Ihre  Erwartungen  also 
nicht  zu  sehr  zu  enttäuschen,  will  ich  vorausschicken,  dass  es 
sich  hier  nur  um  die  ersten  Anfänge  und  Versuche  theologischen 
Denkens  handelt,  gewissermassen  einen  Keim,  der  noch  dazu 
in  seiner  Unfbrmlichkeit  und  Gestaltlosigkeit  nur  wonig  Hoff- 
nung für  die  spätere  Entwicklung  zu  erwecken  vermag.  Dass 
dennoch  das  theosophische  Denken  der  Brahmanen  in  späterer 
Zeit  sich  zu  bedeutender  Höhe  aufgeschwungen,  ist  allbekannt 
In  den  Upanishaden,  deren  Entstehung  sich  an  die  der  Bräh- 
mana's  und  Aranyaka's  anschliesst,  treten  uns  wirklich  tief- 
sinnige und  bedeutende  Gedanken  und  Betrachtungen  entgegen. 
Aber  auch  dort  ist  das  Gold  noch  oft  sehr  stark  mit  unreinen 
Elementen  gemischt;  abstruse  Phantasmen,  die  sonderbarsten 
Allegorieen  und  Legenden  treten  bisweilen  recht  störend  und 
unerfreulich  in  den  Wreg.  Es  gilt  da  immer  erst  das  reine 
Metall  von  den  Schlacken  zu  sondern,  und  es  findet  sich  wirk- 
lich schönes  und  reines  Metall.  Was  uns  aber  in  den  Yajur- 
veden an  theologischen  Speculationen  entgegen  tritt,  ähnelt  fast 


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127  - 


Alles  noch  diesen  Schlacken,  und  nur  selten  entdeckt  man  eine 
blitzende  Ader  edlen  Metalles. 

Wenn  man  bei  den  Upanishaden  sich  bisweilen  nicht  genug 
darüber  wundern  kann,  wie  bedeutende,  ja  erhabene  Betrach- 
tungen mit  so  verworrenem  und  plattem  Zeugo  vermischt  werden 
konnten,  dann  wird  zum  Verständniss  dieser  Eigentümlichkeit 
gerade  die  Kenntniss  der  Yajurveden  sehr  wesentlich  beitragen 
können,  denn  aus  den  prosaischen  Theilen  dieser  Werke  ent- 
wickeln sich  die  Brähmana's  und  Äranyaka's,  und  aus  diesen 
keimen  sodann  die  Upanishaden  hervor.  Diesen  Ursprung 
können  sie  nie  ganz  verleugnen,  und  es  ist  nicht  uninteressant, 
den  unförmlichen  Keim  in  seiner  Entwickelung  zu  beobachten, 
wo  wir  ihn  dann  zuletzt  manche  schöngestaltete,  werthvolle 
Blüthe  hervortreiben  sehen. 

Erwarten  Sie  kein  theologisches  System!  Ein  solches  bietet 
uns  der  Yajurveda  überhaupt  nicht,  vielmehr  nur  eine  Menge 
von  Erklärungen,  Deutungen  und  Speculationen  über  die  ein- 
zelnen Theile  der  Opferhandlung,  wobei  ein  beständiges  Sym- 
bolisiren  und  Identificiren  derselben  uuter  einander  und  mit 
den  verschiedensten  Dingen  auf  der  Erde  und  im  Himmel,  vor 
Allem  mit  deu  Göttern  selbst,  eine  Hauptrolle  spielt.  Dazu 
kommen  dann  eine  Menge  meist  recht  sonderbarer  Legenden, 
Betrachtungen  über  die  grosse  Bedeutung  der  Opferhandlungen, 
des  heiligen  Wissens  u.  dgl.  m.  Ist  es  auch  noch  keine  Theo- 
logie in  unserem  Sinne,  so  werden  wir  daran  doch  die  Art  des 
theologischen  Denkens  und  Schliessens,  die  Vorstellungen  der 
Brahmanen  jener  Zeit  über  die  Götter,  die  Welt  und  das 
Opfer  genugsam  kennen  lernen  können,  und  dies  ist  es  ja,  was 
uns  jetzt  in  erster  Linie  interessiren  muss,  sowie  es  auch  in 
Indien  während  jener  Jahrhunderte  den  Mittelpunkt  des  Inter- 
esses bildete. 

Das  Symbolisiren  und  Identificiren. 

Wir  haben  im  $igveda  eine  eigentümliche  Richtung  des 
indischen  religiösen  Denkens  beobachtet,  die  darauf  ausging, 
die  Gestalten  der  verschiedenen  Götter  in  einander  übergehen 
und  zusammenfliessen  zu  lassen,  ja  schliesslich  verschiedene 
Götter  geradezu  mit  einander  zu  identificiren.  Die  Neigung 
zu  solchem  Identificiren  finden  wir  nun  in  der  theologischen 
Speculation  der  Yajurveda- Periode  in  noch  weit  höherem  Maasso, 
und  zwar  —  was  uns  von  Interesse  sein  muss  —  von  einer 


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ganz  anderen  Seite  ausgehend.  Es  muss  tief  in  der  Eigenart 
des  indischen  Geistes  begründet  sein,  wenn  derselbe  so  —  von 
verschiedenen  Ausgangspunkten  beginnend  —  immer  wieder 
gerade  dieser  Form  des  Denkens  und  Vorstellens  zustrebt. 

Symbolische  Deutungeu  der  einzelnen  Theile  des  Opfers, 
seiner  Geräthe,  Spenden  u.  s.  w.  bilden  einen  Haupttheil  der 
theologischen  Erörterungen  dos  Yajurveda.  Sie  dienen  sehr 
wesentlich  dazu,  diese  Opferhandlungen  mit  dem  Nimbus  tiefer, 
geheimnissvoller  Bedeutung  zu  umgeben,  dunkle  und  wunder- 
bare Gewalten  in  ihnen  ahnen  zu  lassen.  Vom  Symbolisiren 
ist  dann  der  Schritt  zum  Identificiren  nur  ein  kleiner,  und  es 
ist  oft  kaum  möglich,  die  Grenze  zwischen  beiden  klar  und 
deutlich  zu  ziehen,  kaum  möglich  oft  zu  sagen,  ob  es  nur  noch 
heisst:  „Dies  bedeutet!"  oder  schon:  „Dies  ist!"  In  dem  Denken 
jener  Brahmanen  war  die  Grenze  wohl  auch  schwerlich  scharf 
ausgeprägt.  Dennoch  können  wir  viele  Fälle,  wo  nur  symbo- 
lische Beziehung  behauptet  wird,  deutlich  scheideu  von  anderen, 
die  durchaus  als  Identificationen  bezeichnet  werden  müssen. 

Die  symbolische  Beziehung,  die  der  Theologe  des  Yajur- 
veda im  Opfer  sieht,  liegt  sehr  häufig  in  gewissen  Zahlenver- 
hältnissen. So  z.  B.,  wenn  es1  heisst:  „Viermal  ist  die  Opfer- 
butter geschöpft;  das  Vieh  ist  vierfüssig;  so  verschafft  man 
sich  das  Vieh."  Oder  an  einer  anderen  Stelle*:  „Drei  Upasad's* 
opfert  er;  drei  Welten  giobt  es;  (dies  geschieht)  um  diese 
Welten  zu  gewinnen."  Oder4:  „Dreimal  erhebt  er  die  Stimme, 
denn  dreimal  wahr  sind  die  Götter**  (d.  h.  in  Gedanken,  Worten 
und  Werken).6  Offenbar  symbolisch  ist  es  auch,  wenn  es  z.  B. 
heisst6:  „Er  betritt  das  Bocksfell;  das  Bocksfell  ist  das  Vieh; 

so  tritt  er  iq  das  Vieh  hinein  (d.  h.  gelangt  dazu);  er 

opfert  mit  einem  Löffel  aus  Udumbara-Holz;  der  Udumbara- 
Baum  ist  die  Kraftfulle  (Saft  und  Kraft,  stärkende  Nahrung); 
das  geschieht,  um  Kraftfulle  zu  verschaffen." 

Nur  symbolisch  kann  es  auch  verstanden  werden,  wenn  es 
z.  B.  von  dem  beim  Opfer  gebrauchten  Grasbüschel  und  der 
Opferstreu  heisst7:  „Der  Grasbüschel  ist  der  Opferherr,8  die 


1  Maitr.  S.  8,  7,  5.  *  Maitr.  S.  3,  8,  1.  8  Upasad  ist  der  Name 
einer  bestimmten  Ceremonie.      4  Maitr.  S.  4,  1,  3. 

5  Vgl.  auch  die  8telle  Maitr.  S.  3,  2,  2:  „Mit  zwölf  (Sprüchen)  ver- 
ehrt er;  zwölf  Monate  machen  das  Jahr;  so  erlangt  und  verschafft  er 
sich  das  Jahr.4' 

6  Maitr.  S.  1,  U,  8.  •  Maitr.  S.  3,  S,  6.  *  D.  h.  doch  offen- 
bar „bedeutet,  stellt  dar  den  0." 


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Streu  seine  Nachkommenschaft/*  Oder1:  „Er  bindet  die  Streu 
zusammen;  die  Streu  ist  die  Nachkommenschaft;  (das  geschieht) 
damit  die  Nachkommenschaft  sich  ununterbrochen  fortsetzt  und 
nicht  beseitigt  wird;  darum  hängt  die  Nachkommenschaft  durch 
ein  Band  zusammen."  Bisweilen  trägt  dies  Syinbolisiren  schon 
einen  durchaus  phantastischen  und  mystischen  Charakter,  z.  B. 
wenn  es  von  dem  in  Gestalt  eines  Vogels  gebildeten  Feueraltar 
bei  der  Ceremonie  der  Agnidti1  heisst5:  „Ein  Adler  bist  du; 
der  Tri vrit- Lobgesang  ist  dein  Haupt,  der  Gesang  ist  dein  Auge, 
die  beiden  Saman4  Brihat  und  Rathantaram  sind  deine  zwei 
Flügel,  das  Loblied  ist  die  Seele,  die  Metra  sind  die  Glieder, 
die  Opfersprüche  der  Name,  das  Saman  Vamadevyam  ist  dein 
Leib,  das  (Saman)  Yajnayajniyam  ist  der  Schwanz,  die  Feuer- 
stätten sind  die  Klauen;  ein  Adler  bist  du,  geh  zum  Himmel 
ein,  flieg  in  den  Aether!" 

Aber  der  indische  Geist  drängt  über  das  blosse  Symboli- 
siren hinaus  zum  Identificiren.  Wenn  sich  auch,  wie  erwähnt, 
die  Grenze  zwischen  beiden  oft  nicht  sicher  ziehen  lasst,  so 
finden  wir  doch  jedenfalls  in  grosser  Anzahl  Identificationen,  bei 
denen  es  sich  um  symbolische  Beziehung  gar  nicht  mehr  han- 
deln kann,  wo  nicht  mehr  bloss  bestimmte  Theilo  des  Opfers 
mit  Dingen  oder  Personen  aus  dem  Reiche  der  Natur  oder  der 
Götterwelt  gleichgesetzt  werden,  sondern  auch  diese  Dinge, 
Personen,  Gottheiten,  Begriffe  aller  Art  in  den  mannigfaltigsten 
Variationen  einander  gleichgesetzt,  für  Ein  und  Dasselbe  erklärt 
werden. 

Bisweilen  erkennt  man  den  Grund  für  gerade  diese  oder 
jene  Identification  in  irgend  welcher  Wesensverwandtschaft  oder 
doch  einem  gewissen  Zusammenhang  der  beiden  identificirten 
Objecte.  Sehr  häufig  läast  sich  aber  auch  ein  solcher  gar  nicht 
wahrnehmen,  ja  nicht  selten  tragen  diese  Identificationen  einen 
geradezu  abstrusen  und  verschrobenen  Charakter  und  machen 
den  Eindruck  der  Willkür  und  phantastischen  Spielerei.  Dies 
kommt  uns  besonders  deutlich  zum  Bewusstsein,  wenn  wir 
sehen,  wie  ein  und  dasselbe  Ding  oder  Wesen  an  einer  Stelle 
mit  dem  Einen  identificirt  wird,  an  einer  anderen  Stelle  aber 
mit  ganz  etwas  Anderem,  an  einer  dritten  Stelle  mit  noch  etwas 
Anderem,  und  so  fort,  wobei  jedes  Mal  andersartige  Schlüsse 

1  Miitr.  3.  4,  1,  2. 

1  Der  Schichtung  des  Feueraltars. 

•  MAitr.  8.  2,  7;  8. 

*  Saman  sind  bestimmte  Gesänge  beim  Opfer  (vgl.  unten  Samaveda, 
Vöries.  XII). 

t.  Schrödtr,  Ind.  Lit.  a.  Colt.  9 


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aus  der  betreffenden  Identification  gezogen  werden.  In  diesem, 
leider  nur  allzuoft  in  verschrobenen  Spielereien  sich  verirrenden 
Bestreben,  Eins  mit  dem  Anderen  zu  identificiren,  ein  Ding 
oder  Wesen  in  dem  Anderem  zu  sehen  und  zu  erkennen,  werden 
wir  —  trotz  aller  Ausartungen  —  doch  eben  jene  charakteri- 
stische Richtung  des  indischen  Geistes  wiederfinden,  die  in  der 
Folgezeit  zu  der  pantheistischen  Weltanschauung  fuhrt,  sur 
Leugnung  aller  Unterschiede  der  einzelnen  Dinge  und  Wesen, 
indem  diese  Unterschiede  überhaupt  für  Schein,  für  eine  Täu- 
schung erklärt  werden,  welche  der  Weise  durchschauen  soll, 
also  zur  völligen  Aufhebung  des  principium  individuationis,  zur 
Erkenntniss  des  Einen  in  dem  All  und  des  All  in  dem  Einen; 
jener  Geistesrichtung,  die  auf  moralischem  Gebiete  dem  Indi- 
viduum lehrt,  in  jedem  Anderen  sich  selbst  zu  erkennen,  und 
zu  dem  berühmten  tat  tvam  asi  hinleitet.  Ich  werde  es  nicht 
unternehmen,  den  Pantheismus  und  jene  Moral  im  Yajurvoda 


KU 

es  lässt  sich  schwer  anders  bezeichnen  —  auf  so  früher  Stufe 
zu  beobachten,  welche  späterhin  bei  gereifterer  Entwickel- 
ung  mit  zu  jenen  philosophischen  und  moralischen  Anschau- 
ungen geführt  hat,  welche  der  Beachtung  in  so  hohem  Grade 
würdig  sind. 

Eine  Reihe  von  Beispielen  wird  meine  Behauptungen  an- 
schaulich machen.  Dabei  bitte  ich  stets  im  Auge  zu  behalten, 
dass  die  Identificirung  sich,  wie  schon  erwähnt,  bisweilen  nicht 
klar  scheiden  lässt  von  dem  bloss  symbolisirenden:  „Es  be- 
deutet, es  repräsentirt  Dies  oder  Jenes." 

Es  heisst  z.  B.1:  „Einen  Kuchen  auf  elf  Schalen  möge  man 
Agni  und  Vishnu  darbringen,  wenn  man  das  Neu-  und  Voll- 
mondsopfer  beginnen  will;  Agni  ist  alle  Gottheiten,  Vishnu 
ist  da 8  Opfer;  auf  solche  Weise  die  Gottheiten  und  das  Opfer 
anfassend  beginnt  man  (fasst  man  an)  das  Neu-  und  Vollmonds- 
opfer.** Hier  liegt  eine  deutliche  Identification,  ohne  symbo- 
lischen Charakter,  vor. 

Es  ist  verständlich,  wenn  z.  B.  an  oiner  Stelle*  der  Leben s- 
hauch,  der  Athem  (Prana)  mit  dem  Winde  identificirt  wird; 
weniger  leicht  ist  es  dagegen  zu  verstehen,  wenn  man  an  anderen 
Stellen  den  Athem,  die  Lebensgeister  mit  den  Gottheiten* 

1  Maitr.  S.  1,  4,  14. 

*  Miitr.  S.  3,  9,  7. 

*  Miitr.  S.  2,  3,  5  a.  A.  prana  vai  devatah;  oder  mit  den  „schatz- 
spendenden Göttern**,  Miitr.  S.  3,  2,  1  prana  vai  deva  dr&vinodah. 


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—    131  - 

identificirt,  während  an  einer  anderen  Stelle  da«  Einathmen  und 
Ausathmen  —  offenbar  symbolisch  —  der  gesprenkelten  Butter, 
d.  i.  dem  mit  saurer  Milch  gemischten  Opferschmalz  gleich- 
gesetzt wird.1 

An  einer  anderen  Stelle*  heisst  es:  „Das  Metrum  Gayatri 
ist  das  Einathmen,  das  Metrum  Jagati  das  Ausathmen,  das 
Metrum  Trishtubh  ist  der  den  Körper  durchströmende  Athem." 
Ueberhaupt  sind  die  Metra  oft  bei  diesen  Identifikationen  an- 
gewandt. So  wird  e.  B.  an  einer  bestimmten  Stelle8  ein  Vers 
mit  Trishtubh-Metrum  vorgeschrieben,  und  dazu  heisst  es:  „Die 
Trishtubh  ist  Kraft  und  Stärke;  auf  solche  Weise  tritt  man  in 
Kraft  und  Stärke  hinein."  Hier  ist  doch  ein  Gedankenzusammen- 
hang vorhanden,  denn  die  Trishtubh  ist  Indra,  dem  stärksten 
Gotte,  geweiht  Bei  dem  ersten  Beispiel  war  davon  nicht  die 
Rede.  —  An  einer  anderen  Stelle  heisst  es4:  „Die  Metra  sind 
die  Fesseln  des  Varuna."  Wieder  wo  anders5  wird  die  Vac, 
d.  i.  die  Göttin  der  Rede,  mit  den  Metren  identificirt  An 
mehreren  Stellen6  wird  gesagt:  „Die  Metra  sind  das  Brahman;"  T 
dann  finden  wir  wieder  die  Behauptung8:  „Brihaspati  ist  das 
Brahman,  die  Metra  sind  Brihaspati."  Wo  anders9  heisst  es: 
Jhe  Metra  sind  das  Gewand  des  Agni,"  Wieder  wo  anders10 
finden  wir  die  Behauptung:  „Die  Metra  sind  das  Vieh."11  An 
einer  bestimmten  Stelle18  werden  die  Metra  Mä,  Prama  und 
Pratima  für  Erde,  Luftraum  und  Himmel  erklärt  Nach  anderen 
Stellen  aber  ist  das  Metrum  Gayatri  die  Erde.18  Wieder  wo 
anders14  wird  gesagt,  das  Metrum  Anushtubh  sei  gleich  allen 
Metren.  Wir  finden  also  die  Metra  gelegentlich  identificirt  mit 
den  Fesseln  des  Varuna,  mit  der  Vac,  mit  Brihaspati,  mit  dem 
Brahman,  mit  dem  Vieh;  sie  werden  für  Agni's  Gewand  er- 
klart, gewisse  von  ihnen  sollen  gleich  Erde,  Luft  und  Himmel 
sein,  andere  gleich  dem  Einathmen  und  Ausathmen;  endlich 
wird  eines  von  ihnen  auch  allen  anderen  gleichgesetzt! 

An  einer  Stelle18  wird  der  Termitenbau,  welcher  bei  einer 
bestimmten  Opferceremonie  zur  Verwendung  kommt,  für  die 


1  Maitr.  S.  3,  10,  4.  •  Maitr.  8.  3,  4,  4.  1  Maitr.  S.  2,  4,  4. 
4  Maitr.  8.  2.  3,  3.     Ä  MAitr.  8.  2,  2,  3.     6  Maitr.  S.  3,  1,  2;  3,  1,  7  u.  ö. 

*  Brahman  ist  in  erster  Linie  „das  Gebet'4,  dann  das  Wesen  nnd 
der  Inbegriff  des  Heiligen,  wie  es  in  Gebet,  im  Opfer  und  in  den  Priestern 
erscheint  Man  darf  diesen  Begriff  hier  durchaus  nicht  mit  dem  spateren 
Gotte  Brahman  verwechseln. 

*  Maitr.  8.  2,  2,  3.  9  Maitr.  S.  3,  1,  5.  10  Maitr.  8.  3,  2,  8. 
»  Vgl  such  Maitr.  8.  3,  3,  2.  »  Maitr.  8.  3,  2,  9.  *  Maitr.  S.  3. 
1,  1  and  3,  1,  2.      M  Maitr.  S.  3,  l,  4.      »  Maitr.  S.  1,  6,  3. 

9* 


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-   132  — 


Brust  des  Prajapati,  des  Herrn  der  Geschöpfe,  erklärt  Aber 
an  einer  anderen  Stelle1  heisst  es  wieder,  die  Vollmondsnacht 
und  die  Neumondsnacht  seien  die  beiden  Brüste  des  Prajapati. 
Endlich  sollen  auch1  ein  aus  Gerste  und  ein  aus  Reis  ver- 
fertigter Kuchen  die  beiden  Brüste  des  Prajapati  sein.  So 
kommen  in  der  That  die  heterogensten  Dinge  zusammen:  ein 
Termitenbau,  die  Vollmondsnacht  und  die  Neumondsnacht,  end- 
lich zwei  besondere  Kuchen,  welche  alle  für  die  Brust,  resp. 
die  beiden  Brüste  des  Prajapati  erklärt  werden,  und  das  in 
Capiteln,  welche  gar  nicht  weit  von  einander  entfernt  sind! 

Vielfach  erscheinen  auch  Himmel  und  Erde  bei  diesen 
Identificationen.  So  heisst  es  z.  B.9:  «Das  Recht  ist  die  Erde, 
die  Wahrheit  ist  der  HimmeL«  Gleich  darauf  aber  wird  ge- 
sagt: „Das  Recht  ist  der  Tag,  die  Wahrheit  ist  die  Nacht,«  — 
und  so  käme  denn  der  Tag  in  Beziehung  zur  Erde,  die  Nacht 
zum  HimmeL  Die  Erde  wurde  an  mehreren  Stellen4  mit  dem 
Metrum  Gayatri  identificirt;  aber  dann  auch  wieder  mit  dem 
Metrum  Ma.5 

Auch  soll  sie  das  Rathan taram,  ein  bestimmter,  zu  den 
sogenannten  Säman  gehöriger  heiliger  Gesang  sein;0  dann  heisst 
es  wieder,7  Prajapati  sei  die  Erde,  der  Termitenbau  ihr  Ohr, 
während  eine  andere  Stelle8  erklärt:  „Agni  Väicjänara9  ist  die 
Erde."  Die  erste  Schicht  des  Feueraltars  bei  der  sogenannten 
Agiüciti  soll  ebenfalls  die  Erde  sein,  was  aber  offenbar  nur 
symbolisch  zu  verstehen  ist.  Jedenfalls  fällt  hiernach  auch  die 
Erde  mit  den  allerverschiedensten  Dingen  zusammen:  einmal 
mit  dem.  Recht,  dann  mit  dem  Metrum  Gayatri,  mit  dem 
Metrum  Ma,  mit  dem  Saman  Rathantaram,  mit  dem  Gott  Praja- 
pati, mit  dem  Gott  Agni  Vaigvänara! 

Dem  Himmel  widerfährt  Aehnliches.  Wenn  er  nach  einer 
vorhin  angeführten  Stelle10  die  Wahrheit  war,  so  heisst  e?  an 
einer  anderen  Stelle,11  die  Unsterblichkeit  sei  die  Himmelswelt, 
die  Himmelswelt  aber  sei  das  Jahr,  daher  könne  man  durch 
die  zwölf  Opferungen  (welche  das  Jahr  mit  seinen  zwölf 
Monaten  darstellen)  die  Unsterblichkeit  erwerben.1* 


1  Maitr.  8.  1,  6,  9.     s  Nach  Maitr.  S.  1,  6,  5.     »  Maitr.  S.  3.  I,  6. 

*  Maitr.  S.  3,  1,  1;  3,  1,  2.     5  Maitr.  S.  3,  2,  y.     •  Maitr.  S.  3,  1,  1. 

*  Maitr.  8.  3,  1,  3.     8  Maitr.  S.  2,  I,  2. 

•  D.  i.  Agni  als  der  bei  allen  Menschen  Verehrte. 

»  Maitr.  S.  3,  1,  6.      "  Maitr.  S.  t,  10,  17. 

"  Man  beachte,  dass  hier  wie  auch  sonst  noch  oft  bei  diesen  Identi- 
ficationen der  Schluss  gezogen  wird  nach  dem  Grundsatz:  „Zwei  Grosse*, 
derselben  dritten  gleich,  sind  unter  einander  gleich." 


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—    133  — 

Es  heisst,1  das  Metrum  Jagati  sei  der  Himmel;  dann 
wieder*  das  Metrum  Pratiraä;  und  wieder  wo  anders8  der 
Saman-Gesang,  welcher  den  Namen  Brihat  führt  Endlich  re- 
präsentirt  die  dritte  Schicht  des  Feueraltars  bei  der  Agniciti 
ebenfalls  den  Himmel4  So  ist  er  denn  die  Wahrheit,  die  Un- 
sterblichkeit, das  Jahr,  das  Metrum  Jagati,  das  Metrum  Pratima, 
das  Sarnau  Brihat! 

Der  Luftraum  soll  das  Metrum  Trishtubh  sein;5  aber 
auch  das  Metrum  Prama;6  nach  einer  Stelle  sogar  das  Vieh;7 
endlich  die  zweite  Schicht  des  Feueraltars  bei  der  Agniciti8 

Die  Sonne  wird  an  einer  Stelle8  mit  Indra  identificirt, 
wahrend  ihre  Strahlen  die  herumspielenden  Maruts,  die  Be- 
gleiter des  Indra,  sein  sollen,  ganz  gegen  die  gewöhnliche  An- 
schauung, nach  welcher  Indra  Gott  des  Luitraums,  des  Don- 
nere u.  s.  w.  ist    Wo  anders10  aber  heisst  es,  die  Sonne  sei 


ijftfi 

die  Sonne  mit  Prajapati,  dem  Herrn  der  Geschöpfe,  ident 
Dagegen  soll  nach  einer  anderen  Stelle 11  die  Sonne  das  Auge 
des  Prajapati  sein;  dort  heisst  es  auch,  dass  der  klare  Sorna 
(Qukra)  und  der  mit  Mehl  gemischte  Rührtrank  (Manthin)  die 
Augen  des  Prajapati  seien;  der  klare  Sorna  aber  sei  die  Sonne, 
der  gemischte  der  Mond.  Dagegen  wird  wo  anders18  gesagt, 
die  Sonne  sei  das  Auge  der  Götter,  der  Mond  das  der  Väter 
oder  Manen.  Also  die  Sonne  ist  Gott  Indra,  Gott  Agni 
Vaicvanara,  Gott  Prajapati,  das  Auge  des  Prajapati,  das  Auge 
der  Götter! 

Das  Jahr  wird,  wie  wir  vorhin  gesehen  haben,  mit  der 
Rimmelswelt  identificirt;14  aber  nach  einer  anderen  Stelle16  soll 
Indra  Qunasira  das  Jahr  sein;  und  dann  heisst  es16  wieder,  der 
Götterkünstler  Tvashtar  ist  das  Jahr.  „Das  Jahr  ist  die  Lebens- 
kraft,1*17 sagt  eine  andere  Stelle.  Endlich  heisst  es18:  »Das 
Opfer  ist  das  Jahr,  Prajapati  ist  das  Opfer,"  wodurch  dann 
wieder  das  Jahr  zu  Prajapati  ins  Verhältnis  der  Gleichsetzung 
kommt  Bedenkt  man  dann  ferner,  mit  wie  verschiedenen 
Dingen  Prajapati  identificirt  wird  (z.  B.  mit  der  Sonne,  der 
Erde  u.  dgl),  die  dann  wieder  allem  möglichen  Andern  gleich- 


»  MAitr.  &  3,  1,  2.  *  MAitr.  8.  8,  2,  <).  *  MAitr.  8.  3,  1,  1. 
4  Mtitr.  8.  8,  8,  8.  *  MAitr.  8.  8,  1,  2.  «  MAitr.  8.  8,  2,  9.  *  MAitr. 
8.  8,  9,  7.  •  MAitr.  &  8,  8,  3.  9  MAitr.  S.  1,  10.  16.  10  MAitr. 
8.  2,  1,  2.  "  Mütr.  8.  2,  8,  8.  "  MAitr.  8.  4,  6,  8.  1S  MAitr. 
8.  4,  2,  1.  "  MAitr.  8.  1,  10,  17.  »•  MAitr.  8.  4,  3,  3.  MAitr 
&  4,  4,  7.      "  Avus;  MAitr.  8.  4,  6,  8.      «•  MAitr.  8.  4,  6, 


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gesetzt  werden,  so  bekommt  man  lange  Ketten  fortlaufender 
Identificationen. 

Das  Vieh  soll  gleich  den  Kräutern  sein  (nach  Maitr.  S.  2, 
5,  1);  an  anderen  Stellen1  aber  wird  das  Vieh  mit  Reis  und 
Gerste  identificirt.  Dann  heisst  es  (1,  7,  2)  sogar,  das  Vieh 
seien  die  lieben  Leiber  der  Götter.  An  verschiedenen  Stellen  * 
wird  gesagt:  „Püshan  ist  das  Vieh;"  dieser  Gott  wird  be- 
kanntlich als  Hirte  und  Beschützer  der  Heerden  gedacht.  An 
anderen8  aber:  „die  Schmelzbutter  ist  das  Vieh."    Auch  wird 


M 

IM 

demselben  Capitel  heisst,  das  Wasser  sei  mit  der  Heiligkeit* 
identisch,  welche  ihrerseits  wieder  so  viel  wie  Agni,  der  Gott 
des  Feuers,  sein  soll.  Nach  einer  früher  angeführten  Stelle4 
soll  das  Vieh  sogar  der  Luftraum  sein.  Kurz,  da  haben  wir 
wieder  ein  buntes  Durcheinander. 

Die  Wasser  sahen  wir  eben  mit  dem  Vieh  und  mit  der 
Heiligkeit  identificirt;  dann  aber  werden  sie  auch7  dem  Donner- 
keil gleichgesetzt;  und  ganz  abweichend  davon  auch  dem 
Frieden;8  endlich  sollen  die  Wasser  so  viel  wie  alle  Götter 
sein.9 

Dass  auch  ein  und  dieselbe  Gottheit  mit  sehr  Verschiedenem 
identificirt  wird,  war  schon  aus  dem  Bisherigen  zu  ersehen. 

Agni  Vaicvanara,  d.  i.  der  bei  allen  Menschen  verehrte 
Agni,  wird  wiederholt  mit  dem  Jahr  für  identisch  erklärt;10 
dann  aber  soll  Agni  Vaicvanara  auch  die  Erde  sein,  und  endlich 
auch  die  Sonne,  wie  in  demselben  Capitel11  behauptet  wird;  und 
diese  müssen  nun  wieder  unter  einander  gleich  sein. 

Prajapati,  den  Herrn  der  Geschöpfe,  sehen  wir  mit  der 
Sonne,11  mit  der  Erde,18  mit  dem  Opfer14  identificirt,  während 
wieder  an  manchen  anderen  Stellen18  Vishnu  mit  dem  Opfer 
identificirt  wird. 

Mitra  soll  die  Wahrheit  sein;18  aber  in  demselben  Capitel 
heisst  es  auch,  Mitra  sei  das  Kriegerthum.17 

Die  Aditya's  sollen  nach  einer  Stelle18  gleich  dem  Puna- 
radheyam  sein,  d.  i.  der  Ceremonie  der  Wiederanlegung  des 


1  So  Maitr.  S.  1,  6,  11;  2,  3,  1.  »  So  Maitr.  S.  3,  3,  8;  4.  4,  3: 
4,  4,  7.  *  Maitr.  S.  3,  7,  5:  4,  2,  11.  4  Maitr.  8.  3, -8,  4.  •  Brahma 
varcasa.  4  Maitr.  S.  3,  9,  7.  '  Maitr.  S.  2,  1,  9.  *  Maitr.  S.  4,  6,  4. 
•  Nach  Maitr.  S.  4,  5,  3.  14  So  Maitr.  S.  2,  1,  2;  2,  3,  6;  2,  5,  6;  3, 
1,  10  u.  dgl.  m.  "  Maitr.  S.  2,  1,  2.  "  Maitr.  S.  2,  3,  3.  14  Maitr 
8.  3,  1,  8.  14  Maitr.  S.  4,  6,  6.  14  So  Maitr.  8.  2,  1,  7;  8,  1,  10; 
4,  7,  2.  14  Maitr.  8.  4,  3,  9.  "  kahatra^  vat  mitrah.  18  Maitr. 
&  1,  7,  6. 


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-    135  - 


Feuers;  dann  aber  heisst  es  wieder  an  mehreren  Stellen1:  „die 
Geschöpfe  (die  lebenden  Wesen)  sind  die  Aditya's." 

In  Bezug  auf  Agni,  den  wir  ja  schon  im  Rigveda  mit 
verschiedenen  Göttern  identificirt  sahen,  wird  oft  gesagt:  „Alle 
Götter  sind  Agni."1 

Bisweilen  liegt  bei  diesen  massenhaften  Identificationen  ein 
wirklicher  näherer  Bezug  der  identificirten  Objecto  vor;  sehr 
häufig  ist  ein  solcher  aber  auch  gar  hicht  wahrnehmbar,  und 
die  Zusammenstellung  erscheint  willkürlich  oder  absurd. 

Verständlich  ist  es  z.  B.,  wenn  die  Himmelswelt  der  Un- 
sterblichkeit gleichgesetzt  wird;  wenn  es  aber  gleich  darauf 
heisst,  das  Jahr  sei  die  Himmelswelt,  so  lässt  sich  da  schwer 
ein  Gedankenzusammenhang  finden.  Wenn  Agni,  der  Priester 
und  der  Götterbote,  allen  Göttern  gleichgesetzt  wird,  so  lässt 
sich  das  verstehen;  oder  auch,  wenn  die  Sonne  das  Auge  der 
Gotter  genannt  wird  u.  dgL  m.  Dagegen  klingt  es  doch  ganz 
absurd,  wenn  z.  B.  die  Väter,  d.  i.  die  Manen,  mit  den  Jahres- 
zeiten identificirt  werden,8  oder  Agni  Vaicvanara  mit  der  Erde 
und  mit  dem  Jahr,  oder  das  Vieh  mit  dem  Luftraum  und  den 
Leibern  der  Götter,  oder  die  Erde  mit  dem  Metrum  Gayatri, 
der  Luftraum  mit  der  Trishtubh,  dor  Himmel  mit  der  Jagati» 
die  Himmelsgegenden  mit  der  Anushtubh.4 

Es  waltet  und  wuchert  eben  zuletzt  der  Identiticationstrieb 
mit  völliger  Zügellosigkeit 

Etymologieen. 

Ein  anderer  Theil  der  theologischen  Untersuchungen  des 
Yajurveda  besteht  in  etymologischen  Grübeleien  nach  den  Zu- 
sammenhängen der  einzelnen  Dinge  und  Begriffe  unter  einander, 
nach  ihren  Ursprüngen  u.  dgl.  m.  Der  etymologische  Trieb  ist 
tief  in  dem  Wesen  des  indischen  Geistes  begründet.  In  dem 
Worte  selbst,  in  dem  Namen  sucht  der  b rahmanische  Theologe 
die  Lösung  des  Räthsels  von  dem  Wesen  eines  Dinges.  Die 
so  gefundenen  etymologischen  Begründungen  sind  zwar  oft 
willkürlich,  ja  absurd,  aber  auch  öfters  ganz  richtig  und  werth- 
▼oll,  den  Anfang  bildend  für  die  später  so  bedeutenden  ety* 
mologisch-grammatischen  Forschungen,  für  welche  die  Inder 


1  Maitr.  S.  2,  2,  1;  4,  4,  5.  1  So  Maitr.  S.  2,  1,  7;  2,  3,  5; 
2,  6,  5;  3,  1,  10;  3,  7,  8;  3,  10,  1;  4,  3,  1;  4,  3,  7;  4,  5,  4;  4,  7,  2 
u.  dgl  m.      3  Maitr.  S.  1,  10,  17.      *  Maitr.  S.  3,  1,  2. 


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—    136  - 

eine  ausgesprochene  Vorliebe  und  entschiedenes  Talent  be- 
sitzen. 

Sehen  wir  uns  einige  Beispiele  dieser  etymologischen  Ver- 
suche im  Yajurveda  etwas  näher  an.  So  wird  der  Ursprung 
des  Pferdes  auf  diese  Weise  zu  ergründen  gesucht.  Es  wird 
erzählt,1  dass  das  Auge  des  Prajäpati  einstmals  anschwoll 
(acvayat,  von  der  Wurzel  cri  „schwellen");  aus  dieser  SchweU 
lung  (cvayatha)  soll  das  Pferd  (acva)  geworden '  sein.  Acva 
„das  PferöV  und  acvayat  „es  schwoll  an"  klingen  freilich  zu- 
sammen, aber  in  der  That  liegt  nicht  die.  geringste  etymolo- 
gische Verwandtschaft  vor,  und  die  absurde  Legende  ist  ohne 
jeden  Werth. 

An  einer  anderen  Stelle*  wird  erzählt,  die  Götter  hätten 
die  Viraj,  ein  bestimmtes  mythisches  Wesen,  durch  den  Opfer- 
löffel herbeigerufen.  Darum  soll  der  Opferlöffel  juhü  heissen, 
von  ahvayanta  „sie  riefen".  Auch  hier  ist  Unzusammengehöriges 
zusammen  gebracht;  juhü  ist  von  einer  Wurzel  hu  „opfern"  ab- 
geleitet, welche  von  der  Wurzel  hu,  hve  „rufen"  ganz  ver- 
schieden ist. 

Doch  wir  finden  auch  Besseres. 

Der  Ursprung  des  Acvattha,  des  heiligen  Feigenbaumes 
(ficus  religioaa),  wird9  darauf  zurückgeführt,  dass  Prajäpati, 
der  Herr  der  Geschöpfe,  in  Gestalt  eines  Rosses  (acva)  ein 
Jahr  lang  dagestanden  sei,  das  Haupt  zur  Erde  gebeugt 
niederhaltend.  Da  wäre  aus  seinem  Haupte  der  Acvattha-Baum 
entsprungen.  Die  Geschichte  ist  freilich  absurd,  dennoch  sehen 
wir,  dass  die  brahmanischen  Theologen  hier  das  Wort  acvattha 
bereits  richtig  in  seine  Bestandteile  aufgelöst  haben.  Auch 
das  Petersburger  Wörterbuch  hält  acvattha  für  zusammengesetzt 
aus  acva  „das  Pferd"  und  Wurzel  stha  „stehen"  und  erklärt  es 
als  „Standort  der  Pferde".4 

Prajäpati  soll  die  Asuren  durch  einen  bestimmten  Lebens- 
hauch (asu)  geschaffen  haben;6  in  der  That  ist  das  Wort 
asura  wahrscheinlich  von  asu  „Leben,  Lebenshauch"  abgeleitet6 

An  einer  Stelle  wird  erzählt:  Als  es  Tag  war,  schuf 
Prajäpati  die  Götter,  das  ist  das  Wesen  der  Götter.7  Auch 
hier  ist  ein  gewisser  richtiger  Kern  enthalten;  das  Adverbium 
diva  „bei  Tage"  ist  etymologisch  verwandt  mit  deva  „der 


1  Maitr.  S.  1,  ß,  4.      *  MÜtr.  S.  3,  1,  1.      *  Maitr.  8.  1,  6,  12. 
*  Vgl  d.  Pet.  Wörterb.  8.  v.  acvattha. 
6  Maitr.  8.  4,  2,  1. 

6  Eine  andere  Auffassung  s.  oben  p.  23  Anm. 
Maitr.  S.  4,  2,  1. 


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—   137  — 

Gott*,  in  beiden  steckt  die  Wurzel  dir  „glänzen";  die  Legende 
beruht  also  doch  immerhin  auf  einer  richtigen  etymologischen 
Zusammenstellung. 

Es  wird  erzählt:  Als  Prajäpati  die  Götter  geschaffen  hatte, 
tann  er  nach  (amanasyata);  dadurch  schuf  er  die  Menschen; 
das  ist  das  Wes*n  der  Menschen.1  Auch  hierin  ist  etwas  ganz 
Richtiges  enthalten,  denn  das  Wort  manushya  „der  Mensch44 
stammt  Ton  der  Wurzel  man  „denken,  nachsinnen",  yon  welcher 
auch  die  Form  amanasyata  abgeleitet  ist 

Wir  sehen  also  die  Brahmanen  bei  diesen  etymologischen 
Grübeleien,  ihren  frühesten  sprachphilosophischen  Versuchen, 
»eh  zwar  öfters  verirren,  aber  doch  einem  anerkennenswerthen, 
richtigen  Triebe  folgend  in  glücklichen  Augenblicken  schon  früh 
ganz  die  richtigen  Spuren  finden,  deren  consequente  Verfolgung 
späterhin  zu  den  schönsten  Resultaten  fuhren  sollte.  Wir  sehen 
so  den  Keim  für  die  spätere  etymologisch-grammatische  Wissen- 
schaft schon  im  Yajuxveda  enthalten. 


Macht  und  Bedeutung  des  Opfers. 

Ein  weiterer  wichtiger  Theil  der  Theologie  des  Yajurreda 
besteht  in  der  Lehre  von  der  ausserordentlichen  und  übernatür- 
lichen Macht  und  Bedeutung  des  Opfers.  Manches  darauf  Be- 
zügliche haben  wir  bereits  früher  kennen  gelernt  Wir  sahen, 
dass  man  durch  bestimmte  Opferceremonieen  sich  selbst  alles 
mögliche  Gute  verschaffen,  den  Feinden  Schaden  aller  Art  zu- 
%en  konnte.  Aber  mehr  als  das,  —  das  Opfer  wird  von  den 
brahmanischen  Theologen  als  die  eigentlich  treibende  und 
schaffende  Potenz* in  der  Natur,  im  Menschenleben  und  sogar 
in  der  Götterwelt  gedacht  und  dargestellt 

So  heisst  es  z.  B.1:  „Die  Lebenskraft  wird  durch  das 
Opfer,  der  Odem  wird  durch  das  Opfer,  das  Auge  wird  durch 
das  Opfer,  das  Gehör  wird  durch  das  Opfer,  der  Geist  wird 
durch  das  Opfer,  die  Rede  wird  durch  das  Opfer,  der  Priester 
wird  durch  das  Opfer,  die  Höhe*  wird  durch  das  Opfer,  der 
Himmel  Wjird  durch  das  Opfer,  das  Opfer  wird  durch  das 
Opfer« 

Beim  Schöpfen  verschiedener  Becher  des  Somatrankes  wird 


1  8.  Maitr.  S.  4,  2,  1. 

*  Maitr.  a  1.  11,  3. 

*  Die  Höhe,  prshtham,  entweder  die  Himmelshöhe,  oder  eine  be- 
stimmte Sarnau  -  Form  dieses  Namens. 


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gesagt1:  »Ich  schöpfe  dich,  um  die  fünf  Winde  aufrecht  zu 
halten  I  —  —  Ich  schöpfe  dich,  um  die  fünf  Himmelsgegenden 
aufrecht  zu  halten.  —  Ich  schöpfe  dich,  um  die  fünf  Meere 
aufrecht  zu  erhalten!  —  Ich  schöpfe  dich,  um  die  fünf  Ge- 
schlechter* aufrecht  zu  erhalten!"  u.  s.  w. 

Von  der  richtigen  Bereitung  des  sogenannten  Patnivata- 
Bechers,  oder  des  Bechers  der  Gattin,  hängt  das  richtige  Ver- 
hältniss  der  Weiber  zu  den  Männern  ab.  Es  wird  gesagt*: 
„Den  Patnivata-Becher  kocht  man  mit  Butter;  dadurch  beraubt 
man  die  Gattin  der  Kraft;  darum  ist  das  Weib  ohne  Kraft, 
der  Mann  mit  Kraft  begabt;  darum  gehen  die  Männer  in  die 
Versammlung,  nicht  die  Weiber.  Wenn  man  andere  Soma's 
kocht,  nicht  den  Pätnivata,  dann  möchten  wohl  die  Weiber  in 
die  Versammlung  gehen,  nicht  die  Männer.*4 

Die  Naturverhältnisse  sind  abhängig  vom  Opfer,  ergeben 
sich  aus  diesem  So  heisst  es  z.  B.A:  „Die  Theologen  sagen: 
Auf  welche  Weise  kommt  das  beim  Opfer  zu  Stande,  dass 
einiges  Vieh  mit  der  Hand  fasst,  anderes  mit  dem  Munde? 
(Antwort):  Weil  der  Upämcu- Becher  mit  der  Hand  geschöpft 
wird,  darum  fasse  der  Affe,  der  Mensch  und  der  Elephant* 
mit  der  Hand.  Das  Vayavya-Gefäss  ist  der  Mund;  weil  mit 
dem  Vayavya-Gefäss  die  anderen  Becher  geschöpft  werden, 
darum  fasst  das  übrige  Vieh  mit  dem  Munde.4*  Gleich  darauf 
wird  in  ganz  ähnlicher  Weise  durch  das  Verfahren  mit  ge- 
wissen Soma-Bechern  begründet,  warum  das  Vieh  gleich  nach 
der  Geburt  gehen  und  stehen  kann,  der  Mensch  aber  erst  nach 
einem  Jahre  u.  dgL  m. 

Dass  sich  auch  die  Götter  des  Opfers  und  der  Sprüche  als 
eines  Machtmittels  bedienen,  sahen  wir  früher  in  der  Erzählung, 
wie  Indra  vermittelst  der  von  Prajapati  erfundenen  sogenannten 
Jaya-  oder  Siegsprüche,  welche  übrigens  ziemlich  inhaltsleer 
sind,  fort  und  fort  die  Dämonen  besiegt.  Aehnliches  wird  nun 
sehr  häufig  von  den  Göttern  berichtet  Indra,  der  in  Fesseln 
geboren  wird,  befreit  sich  z.  B.  von  denselben  durch  eine 
Opferung  an  Indra  und  Brihaspati,6  wobei  die  Absurdität  nicht 

1  Maitr.  S.  1,  4,  9.  , 
1  Die  fünf  Geschlechter  sind:  Götter,  Menschen,  Gandharven  nebet 
Apsarasen,  Schlangen(götter),  Vater  oder  Manen. 
"  Maitr.  8.  4,  7,  4. 

*  Mütr.  8.  4,  5,  7. 

5  Der  Rüssel  des  Elephanteo  gilt  als  Hand.  Der  gewöhnliche  Name 
des  Elephanten,  hastin,  bedeutet  geradezu:  der  mit  einer  Hand  Ver- 
sehene, das  handbegabte  Thier  (hasta  =»  die  Hand). 

•  Nach  Maitr.  S.  2,  1,  12. 


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—    139  — 

anetössig  zu  sein  scheint,  dass  er  das  Opfer  zur  Hälfte  an  sich 
selbst  richtet  Es  ist  eben  ein  schamanistisches  Zaubermittel 
auch  in  der  Götterhand. 

Sehr  charakteristisch  ist  folgende  eigentümliche  Legende: 
„Die  Götter  und  die  bösen  Dämonen  waren  im  Streit  begriffen; 
sie  gingen  und  thaten  ganz  dasselbe  beim  Opfer;  was  die  Götter 
gerade  thaten,  das  thaten  auch  die  Dämonen;  sie  kamen  zu 
keiner  Unterscheidung  (Auszeichnung).  Da  erfanden  die  Götter 
die  Darbringung  eines  kleinen  (zwerghaften)  Opferthiores,1  dies 
opferten  sie  als  dem  Vishnu  heilig;*  darauf  gewann  Vishnu 
diese  Welten;  darauf  trieben  die  Götter  die  Dämonen  aus  diesen 
Welten  fort;  da  befanden  sich  die  Götter  wohl,  den  Dämonen 
schlecht."  s 

Sehr  interessant  und  charakteristisch  ist  es  an  dieser  Stelle, 
dass  die  bösen  Dämonen,  die  Asura's,  zuerst  den  Göttern  die 
Wage  halten,  und  zwar  bloss,  weil  sie  beim  Opfer  immer  das- 
selbe thun  wie  jene.  Götter  und  Dämonen  streiten,  nicht  mit 
Waffen,  sondern  —  Opfer  wider  Opfer!  Wer  den  anderen  Theil 
durch  wirksame  Opfer  überbietet,  so  zu  sagen  über  opfert,  der 
geht  als  Sieger  aus  dem  Kampfe  hervor.  Nicht  ihre  höhere 
Göttlichkeit,  nicht  ihre  sittlich  reinere  Natur  verschafft  schliess- 
lich den  Göttern  den  Vorrang,  sondern  die  Darbringung  eines 
bestimmten  Opferthiores! 

Prajapati,  der  Herr  der  Geschöpfe,  soll4  das  Varavan- 
Üyam,  einen  bestimmten  heiligen  Gesang  (eine  Saman-Art)  ge- 
schaffen haben;  nun  erreichte  er  jeden  Wunsch,  den  er  irgend 
dabei  hegen  mochte,  und  in  gleicher  Weise  wird  demjenigen, 
der  das  Varavantiyam  singt,  die  Erreichung  jeden  Wunsches 
verhitssen. 

Auch  durch  gewisse  Backsteine  bei  der  Schichtung  des 
Feueraltars  soll  Prajapati *  erlangt  haben,  was  er  irgend  wünschte. 
Dasselbe  vormag  nun  auch  der  Opferer  durch  diese  Backsteine 
zu  erreichen. 

Ja  sogar  ihre  schöpferischen  Thaten  vollführen  die  Götter 
durch  das  Opfer,  und  es  erscheint  dasselbe  geradezu  als  ein 
kosmogoni8ches  Princip. 

So  wird  z.  B.6  erzählt:  Prajapati,  der  Herr  der  Ge- 


1  Eigentlich:  sie  erfanden  das  kleine  Opferthier  (v&mana). 

*  Vishnu  erscheint  in  einer  seiner  Verkörperungen  als  Zwerg  (va- 
mmaV 

*  Mite.  S.  2.  5,  3.  4  Nach  Mftitr.  S.  1,  6,  7.  6  Nach  Maitr. 
8.  3,  2,  10.      •  MAitr.  S.  1,  8,  1  and  2. 


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schöpfe,  brachte  eine  Opferung  dar;  aas  dieser  entstand  der 
Mensch.  Er  opferte  das  zweite  Mal,  da  entstand  das  Rose. 
Er  opferte  das  dritte  Mal,  da  entstand  das  Rind.  Er  opferte 
das  vierte  Mal,  da  entstand  das  Schaf.  Er  opferte  das  fünfte 
Mal,  da  entstand  die  Ziege.  Er  opferte  das  sechste  Mal,  da 
entstand  die  Gerste.  Das  siebente  Mal,  da  entstand  der  Reis. 
Dann  opferte  er  das  achte  Mal,  da  entstand  der  Frühling.  Er 
opferte  das  neunte  Mal,  da  entstand  der  Sommer.  Er  opferte 
das  zehnte  Mal,  da  entstand  die  Regenzeit  Er  opferte  das 
elfte  Mal,  da  entstand  der  Herbst  Er  opferte  das  zwölfte  Mal, 
da  entstand  der  Winter.  Die  dreizehnte  Opferung  war  erst 
dargereicht  (noch  nicht  geopfert),  da  entstand  daraus  die  kühle 
Jahreszeit 

Im  allerhöchsten  Grade  mysteriös  und  phantastisch  wird 
die  Erschaffung  der  Geschöpfe  durch  Prajäpati  an  einer  an- 
deren Stelle  erzählt1:  „Prajäpati  war  ganz  allein,  da  fasste  er 
den  Wunsch:  Zum  Opfer  werdend  möchte  ich  die  Geschöpfe 
schaffen!  Da  theilte  er  sich  selbst  zum  Dacahotar- Opfer;*  er 
machte  sich  das  Denken  zum  Löffel,  das  Gedachte  zur  Opfer- 
butter, die  Stimme  (oder  Rede)  zur  Vedi,8  das  Beabsichtigte 
(Ersehnte)  zur  Opferstreu.  Nachdem  er  sich  selbst  zehnfaltig 
getheilt  und  paarig  geordnet,  suchte  er  eine  Opferstätte.  Er 
erschaute  als  Opferstätte  den  dreifältigen  Lebenshauch;  damit 
schuf  er  die  Geschöpfe."  —  Das  ist  eine  so  echtindische,  über- 
sinnlich-phantastisch-allegorische Geschichte,  dass  unser  abend- 
ländisches Denken  fast  davor  erschrickt  Der  Herr  der  Ge- 
schöpfe will  die  Wesen  schaffen,  und  nicht  genug,  dass  er  dies 
durch  ein  Opfer  bewirkt,  nein,  er  selbst  bildet  dieses  Opfer, 
indem  er  seine  Person  zehnfältig  theilt  und  allerlei  abstracte 
Begriffe  als  Opfergegenstände  benutzt! 

Durch  die  Catur  ho  tar- Liturgie  sollen  die  Götter  den  In- 
dra  erzeugt  haben.4  Durch  die  Paflcahotar- Liturgie  schufen 
sie  das  Vieh.  Durch  die  Saptahotar- Liturgie  sind  die  Götter 
in  den  Himmel  gekommen.  Und  an  einer  anderen  Stelle5  heisst 
es:  „Durch  das  Opfer  sind  die  Götter  in  die  Himmelswelt  ge- 
langt." 

Mehr,  in  der  That,  kann  man  nicht  verlangen I  Wem 
1  Maitr.  8.  1,  9,  8. 

1  Dacahotar  ist  ein  bestimmter  liturgischer  Abschnitt;  das  hier  er- 
wähnte Opfer  ist  mit  dem  betreffenden  Abschnitt  versehen. 

*  D.  h.  zu  dem  Vedi  genannten  Altar. 

*  Nach  MAitr.  8.  1,  9,  5. 

*  Maitr  S.  4,  7,  5. 


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-    141  — 


eigentlich  geopfert  wird  und  was  solch  ein  Opfer  noch  für 
einen  Sinn  hat,  —  wer  will  darnach  fragen?  Das  Opfer  mit 
seinen  einzelnen  Theilen,  Sprüchen  und  Verrichtungen  ist  hier 
eben  zum  machtigen  Zaubermittel  geworden,  das  m  der  Hand 
des  Kundigen  zu  den  höchsten  Zwecken  verhilft.  Sei  er  Mensch 
oder  Gott,  —  vom  Opfer  hängt  er  ab,  und  Höheres,  Mäch- 
tigeres kann  er  nicht  erringen  als  jene  felsenfeste  Kenntniss  des 
Rituals,  die  auch  in  den  kleinsten  Kleinigkeiten  nicht  schwankt. 
Sie  wird  zur  Waffe  in  seiner  Hand,  zur  gewaltigen,  siegreichen 
Waffe,  der  sich  Alles  im  Himmel  und  auf  Erden  beugen  muss! 

Bedeutung  des  theologischen  Wissens. 

Nicht  bloss  die  richtige  Opfervollziehung,  sondern 
schon  die  blosse  Einsicht  in  diese  Verhältnisse,  das  Wissen 
Ton  alledem,  was  wir  hier  als  „Theologie"  bezeichnet  haben, 
wird  mit  hohem  Preise  gekrönt  Eis  ist  eine  stehende,  unzahlige 
Male  in  allen  verwandten  Schriftwerken  wiederkehrende  Formel 
am  Schlüsse  irgend  einer  Auseinandersetzung:  dies  oder  das 
erlangt,  —  wer  solches  weiss!1 

Die  Legenden. 

Einen  nicht  unwesentlichen  Bestandtheil  der  theologischen 
Erörterungen  des  Yajurveda  bilden  die  zahlreichen  Legenden, 
von  denen  uns  im  Verlaufe  unserer  Betrachtung  schon  manches 
Beispiel  entgegen  getreten  ist  und  welche  oft  zur  Begründung 
bestimmter  Ansichten  und  Behauptungen  angeführt  werden. 
Welch  wunderliche  Phantasmen  in  diesen  priesterlichen  Schöpf- 
ungen ihr  Spiel  treiben,  wird  Ihnen  insbesondere  durch  tlie 
forhin  angeführten  kosmogonischen  Legenden  deutlich  geworden 
sein.  Sehr  charakteristisch  sind  dabei  die  phantastischen  AUe- 
gorieen  und  Personificationen  abstracter  Begriffe,  des  Opfers 
und  seiner  einzelnen  Theile.  Wenn  z.  B.*  sich  die  sogenannten 
Caturhotaras,  d.  i.  Sprüche,  welche  einen  bestimmten  liturgischen 
Abschnitt  bilden,  als  Priester  zum  Opfer  hinsetzen,  indem  sie 
den  Sorna  zum  Hausherrn  haben,  die  Erde  als  Hotar,  den 
Himmel  als  Adhvaryu,  Gott  Tvashtar  als  Agnidh,  Gott  Mitra 
als  Upavaktar3;  und  nun  erzeugen  sie  durchs  Opfer  den  Indra; 

1  ya  evam  veda. 

*  MAitr.  S.  1,  9,  4. 

*  Hotar,  Adhvaryu,  Agnidh  und  Upavaktar  sind  bestimmte  Priester, 
die  beim  Opfer  fungiren. 


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—    142  - 


dann  wollen  sie  in  den  Himmel  gehen.  Die  Paficahotaras, 
auch  ein  liturgischer  Abschnitt,  setzen  sich  als  Priester  hin, 
mit  Varuna  als  Hausherrn  u.  s.  w.  u.  8.  w.  Zum  Opferplatz 
ersahen  sie  den  aus  dreimal  neun  Gliedern  bestehenden  Lob- 
gesang. Diesen  machten  sie  zur  Brücke  und  gingen  so  in  den 
Himmel  ein! 

Welche  Phantasmen  sind  dies!  Welch  eine  Vorstellung, 
dass  bestimmte  liturgische  Abschnitte  als  Priester  auftreten, 
Götter  erzeugen,  in  den  Himmel  gehen;  dass  ein  bestimmtes 
Loblied  als  Opferplatz  und  dann  als  Brücke  zum  Himmel  be- 
nutzt wird  u.  dgl.  m. 

Aber  es  finden  sich  dazwischen  auch  schöne  und  sinnvolle 
Legenden,  die  es  wohl  werth  sind,  aus  der  Masse  der  übrigen 
hervorgehoben  zu  werden.  So  z.  B.  die  kleine  Erzählung  von 
der  Erschaffung  der  Nacht,  welche  in  der  Maitrayanl  Saqihita 
berichtet  wird.  Dort  heisst  es1:  „Yama  war  gestorben;  die 
Götter  suchten  den  Yama  der  Yami  (d.  i.  seiner  Gattin  und 
Schwester)  aus  dem  Sinne  zu  reden  (d.  h.  sie  über  seinen  Tod 
zu  trösten).  Wenn  sie  dieselbe  fragten,  dann  sagte  sie:  Er  ist 
ja  heute  (erst)  gestorben!  Die  (Götter)  sprachen:  So  wird  sie 
ihn  nicht  vergessen!  Wir  wollen  die  Nacht  schaffen!  Damals 
war  nämlich  nur  der  Tag,  nicht  die  Nacht  Die  Götter  schufen 
die  Nacht;  da  entstand  ein  morgender  Tag;  darauf  vergass  sie 
ihn.  Damm  sagt  man:  Tag  und  Nacht  lassen  das  Leid  ver- 
gessen 1" 

Eine  ganz  sinnige  Sage  ist  auch  die  folgende  *:  „die  Berge 
waren  (zu  Anfang)  geflügelt;  sie  flogen  umher  und  setzten  sich 
hin,  wo  sie  irgend  wollten.  Die  Erde  aber  schwankte  da  hin 
und  her.  Indra  schnitt  ihnen  (den  Bergen)  die  Flügel  ab  und 
machte  dadurch  die  Erde  fest.  Die  Flügel  wurden  zu  den 
Gewitterwolken ;  darum  schwimmen  diese  immer  zum  Ge- 
birge hin." 

Noch  Eines  muss  ich  zum  Schluss  als  cultur historisch 
wichtig  bei  diesen  Legenden  besonders  hervorheben,  das  ist 
die  Rolle,  welche  die  Götter  in  denselben  spielen.  Es  ist 
charakteristisch,  dass  dieselbe  sittlich  keine  sehr  hochstehende 
ist  und  dass  die  Götter  meist  in  dem  Charakter  hadernder, 
selbstsüchtiger  Brahmanen  auftreten. 

Von  Varuna,  der  im  Rigveda  so  hoch  dasteht,  wird  hier3 


1  Miitr.  S.  1,  5,  12. 

•  M&itr.  S.  1,  10,  13.   Vgl  dazu  RV  2,  12,  2. 

•  Miitr.  S.  1,  10,  10. 


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—    143  — 

ertählt,  dass  er  die  Geschöpfe,  als  sie  noch  schwach  waren, 
packte,  und  Indra  und  Agni  erst  bringen  den  Bedrängten 
Hilfe. 

Indra  und  Agni  sollen1  dem  Prajäpati  seine  Geschöpfe 
versteckt  haben,  und  erst  als  dieser  sich  mit  einer  bestimmten 
Opfergabe  an  sie  wendet,  geben  sie  sie  ihm  wieder  heraus. 

Aehnliche  ganz  unbegründete  Willkürhandlungen  werden 
noch  oft  berichtet  Aber  auch  Schlimmeres  kommt  vor.  So 
inden  wir  z.  B.*  eine  Legende,  in  der  es  erzählt  wird,  dass 
Agni  sich  als  Brahmanenschüler  zum  Varuna  begab.  Er  fand 
denselben  nicht  zu  Hause,  verging  sich  mit  seinem  Weibe  und 
wurde  dabei  auf  frischer  That  ertappt  —  Dazu  ist  zu  be- 
merken, dass  Unkeuschheit  mit  der  Frau  des  Lehrers  als  ganz 
besonders  schwere  Sünde  gilt;  und  das  wird  in  so  naiver  Weise 
toq  Gott  Agni  berichtet! 

Einen  kleinlich  egoistischen  Eindruck  macht  es,  wenn  die 
Götter  —  wie  es  häufig  vorkommt  —  in  irgend  welche  Noth 
zerathen,  sich  an  einen  speciellen  Gott  um  Hülfe  wenden,  und 
iieaer  nun  immer  vorher  um  den  Preis  der  Hülfeleistung 
feilscht  »Es  werde  mir  was  dafür  zu  Theil,"  ist  dann  die 
stetig  wiederkehrende  Forderung,  und  dann  kommt  die  Ver- 
edlung. 

So  wird  z.  B.  erzählt,3  dass  die  Götter  den  Sorna  tödten 
wollten,  sie  konnten  es  aber  nicht,  weil  Vayu,  der  Wind,  als 
L*beoshauch  in  ihm  war.  Nun  bereden  sie  diesen,  den  Sorna 
u  Stich  zu  lassen.  Er  erwidert:  „Es  werde  mir  etwas  zu 
Heil!**  Sodann  erhält  er  auf  seinen  Wunsch  mehrere  Gefasse, 
d»  ihm  beim  Opfer  speciell  geweiht  sein  sollen. 

Ein  anderes  Mal  wollen  die  Götter  den  Vritra  tödten,4 
ud  Mitra  soll  es  ausführen.  Dieser  weigert  sich,  da  es  seiner 
N'ttor  widerspreche.5  Sie  sagen  ihm:  „Tödte  dennoch!"  Er 
?rach:  „Es  worde  mir  etwas  zu  Theil!"  „Wähle!"  sprachen  sie; 
W  nun  giebt  er  seine  Forderung  an,  die  in  einer  bestimmten 
Opferspende  besteht. 

Dann  wieder  wird  erzählt,6  dass  Götter  und  Asuren  im 
Kampfe  begriffen  waren.   Da  baten  die  Götter  den  Indra,  ihnen 

Siege  zu  verhelfen.  Er  sprach:  „Es  werde  mir  etwas  zu 
laeil*    Und  dann  macht  er  seine  Bedingungen. 

Sehr  charakteristisch  ist  folgende  Legende7:  „Shanda  und 


1  Nach  MAitr.  8.  2,  1,  1.  3  Maitr.  S.  1,  6,  12.  3  Maitr.  S.  4, 
*.  B.  «  Maitr.  8.  4,  5,  8.  *  Mitra  heisst  nämlich  „Freund*'.  6  Maitr. 
1  Ä.  4.  1.     '  Mütr.  S.  4.  6,  3. 


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Marka  waren  die  beiden  Oberpriester  der  Asuren;  die  Götter 
konnten  diese  (die  Asuren)  nicht  tödten,  denn  sie  waren  mit 
Priestern  versehen.  Da  geboten  die  Götter  den  Beiden :  „Kommt 
herbei  zu  uns!"  Die  Beiden  sprachen:  „Es  werde  uns  etwas 
zu  Theill"  „Wählet!"  sprachen  sie.  Die  Beiden  wählten  den 
lautern  und  den  mit  Mehl  gemischten  Sorna.  Die  Götter  dach- 
ten: „Wenn  wir  diese  beiden  Soma's  als  asurische1  opfern  wer- 
den, dann  werden  danach  die  Asuren  gedeihen;  wenn  wir  sie 
nicht  opfern  werden,  dann  werden  sie  nicht  gedeihen."  Da 
trieben  sie  die  Beiden  weg  und  opferten  dem  Indra  u.  s.  w.  — 
Die  Erzählung  ist  merkwürdig  genug!  Götter  und  Asuren 
stehen  sich  gerade  so  wie  der  Mensch  und  sein  Gegner  gegen- 
über, beide  opfern  und  haben  Priester.  Die  Götter  wollen  ihre 
Gegner  Yernichten.  Wie  sie  das  der  feindlichen  Priester  wegen 
nicht  können,  suchen  sie  die  letzteren  abspenstig  zu  machen 
XL  8.  w.f 

Das  braiimanisch-schamanistische  Operiren  mit  den  Opfer- 
werken und  Sprüchen  wird  den  Gottern  in  unzähligen  Ge- 
schichten nachgesagt.  * 

Es  heisst  z.  B.,*  dass  der  Regen  und  die  Speise  Ton  den 
Göttern  fortgingen;  da  vertrocknete  Alles,  Die  Götter  baten 
Prajapati  um  Hülfe;  dieser  liess  sie  mit  der  Opferung  Karin 
opfern  und  verschaffte  ihnen  dadurch  Regen  und  Speise  wie- 
der. —  Ein  anderes  Mal4  bewirkt  er  dasselbe  durch  bestimmte 
Backsteine.  Indra  verliert  einmal6  die  Kraft  und  durch  Er- 
findung eines  bestimmten  Saman  oder  heilicon  Gesanges  er- 
langt er  dieselbe  wieder.  —  Die  Asuren  schicken6  den  Hunger 
zu  den  Göttern;  diese  werden  ihn  aber  wieder  los,  indem  sie 
einen  bestimmten  Opferbrei  kochen. 

Merkwürdig  ist  auch  folgende  Legende.7  Götter  und  Asu- 
ren waren  im  Streit  begriffen.  Die  Gayatri  stand  mit  aller 
Speise  zwischen  beiden  Parteien.  Wohin  diese  sich  wenden 
würde,  derjenigen  Partei  sollte  es  gut  gehen.  Beide  Parteien 
suchen  sie  nun  für  sich  zu  gewinnen.  Die  Götter  sprechen  den 
Spruch:  „Du  bist  die  Kraft,  du  bist  die  Macht,  du  bist  die 


1  Aeurisch  waren  sie ,  wenn  sie  dem  Shanda  und  Marka  geweiht 
wiren. 

*  Ich  erinnere  auch  an  die  früher  angeführte  Legende  wie  die 
Götter,  nachdem  sie  den  Himmel  erlangt,  durch  eine  Verschlingung  der 
Meum  allen  Anderen  den  Weg  zum  Himmel  abzuschneiden  suchten. 

•  Mai*,  ß.  2,  4,  8.  «  Maitr.  S.  3,  3,  1.  •  Maitr.  S.  4,  4,  & 
•  Maitr.  8.  1,  10,  15.     *  Maitr.-  S.  2,  1,  11. 


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Stärke,  da  bist  der  Glanz,  da  bist  der  Götter  Sitz  genannt« 
Und  durch  diese  Sprüche  gewinnen  de  sie  wirklich. 

Wir  sehen  in  all  diesen  und  vielen  anderen  Beispielen  die 
Götter  ganz  wie  Brahmanen  mit  Opfern  und  Sprüchen  hand- 
tieren,  wobei  man  zugleich  an  ihre  Motive  und  Handlungen 
keinen  allzuhohen  sittlichen  Maassstab  anlegen  darf.  An  diesem 
merkwürdigen  Beispiele  bewahrheitet  sich  auf  das  Schlagendste 
der  oft  ausgesprochene  Satz,  dass  der  Mensch  sich  seine  Götter 
nach  dem  eigenen  Bilde  schafft  oder  doch  umgestaltet  Schufen 
sich  die  kriegs-  und  eroberungslustigen  Inder  des  ßigveda 
ihren  starken  und  streitbaren  Gott  Indra,  rüsteten  sie  ihn  aus 
mit  Panzer  and  Helm  und  der  Donnerkeule  und  Hessen  ihn 
fort  and  fort  mit  starker  Hand  die  feindlichen  Dämonen  be- 
siegen, so  gaben  die  Brahmanen  des  Yajurveda  ihren  alten 
Göttern  statt  dessen  Opferlöffel,  Butter,  Backsteine  und  heilige 
Streu  in  die  Hand,  und  lehrten  sie  wirksame  Sprüche  und 
heilige  Gesänge.   Und  die  Götter  —  wurden  zu  Priestern I 

Die  Priester  ihrerseits  aber  wurden  zu  GötternI  — 
Wie  das  geschah,  werden  wir  in  der  nächsten  Vorlesung,  der 
letzten,  in  der  wir  uns  noch  mit  der  Periode  des  Yajurveda 
beschäftigen,  näher  kennen  lernen. 


T.  Sefarftd«!,  InAiMi  LH.  u.  Cult. 


10 


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Elfte  Vörlesung 


Charakteristik  der  Priesterschaft  zur  Zeit  des  Yajurveda.  Göttlichkeit 
der  Brahmanen.  Yerhaltniss  des  Priesters  zum  Yajamana.  Verhältnis« 
der  einzelnen  Stande  zu  einander.  Nahe  Verbindung  des  Priester-  und 
Ritterstandes,   Stellung  der  Frauen.   Sexuelle  Verhältnisse.  Materielle 

Vortheile  der  Priester  vom  Opfer. 

Wir  haben  am  Schluss  unserer  letzten  Vorlesung  die  merk- 
würdige Beobachtung  gemacht,  dass  die  Götter  in  der  Periode 
des  Yajurveda  ganz  den  Charakter  und  das  Ansehen  von  opfern- 
den Brahmanen  angenommen  haben,  ganz  in  derselben  Weise 
wie  diese  denken,  schliessen  und  sich  benehmen.  Fassen  wir 
nun  aber  die  Brahmanen  selbst  in's  Auge,  untersuchen  wir 
etwas  näher,  welchen  Charakter  dieser  Stand  zu  dieser  Zeit  an 
sich  trägt,  so  gewahren  wir  zu  unserer  Verwunderung,  dass 
die  Brahmanen  ihrerseits  sich  zum  Range  von  Göttern  empor- 
gehoben haben.  Es  ist  dies  in  der  That  nicht  etwa  eine  über- 
treibende Redensart  von  meiner  Seite,  sondern  das  Gesagte  ist 
durchaus  im  wörtlichen  Verstände  zu  nehmen.  So  unglaublich 
es  klingen  mag,  es  ist  dennoch  wahr,  der  geistliche  Hochmath, 
die  Ueberhebung  des  Priesterstandes,  welcher  sich  in  dem 
sicheren  Besitze  des  allmächtigen,  Natur-,  Menschen-  und 
Götterwelt  lenkenden  Opfers  wusste,  ist  in  dieser  Zeit  so  hoch 
gestiegen,  dass  uns  an  mehreren  Stellen  des  Yajurveda  unver- 
hüllt und  dreist  die  anmassende  Behauptung  entgegen  tritt, 
die  Brahmanen  seien  selbst  Götter  und  als  eine  besondere 
Klasse  neben  die  anderen  Götter  zu  stellen.  So  heisst  es  z.  B.1: 
„Zweierlei  Arten  von  Göttern  besuchen  das  Haus  des  Opfer- 
herrn: die  Einen  trinken  den  Sorna,  die  Anderen  trinken  den 
Sorna  nicht;  die  Einen  essen  das  Geopferte,  die  Anderen  essen 
das  Geopferte  nicht  Die  Einen  sind  die  Brahmanen;  die  hat 
Derjenige  zur  Gottheit,  der  noch  nicht  geopfert  hat;  sie  herr- 

1  Maitr.  S.  1,  4,  6. 


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f 


-    147  - 

sehen  über  seine  Nachkommenschaft  und  sein  Vieh.  Wenn  sie 
unbefriedigt  sind,  dann  gehen  sie  fort  und  nehmen  ihm  Saft 
und  Kraft  mit  Diese  (Gottheit)  befriedigt  man,  wenn  man 
den  Anvaharya-Brei  bereitet;  die  anderen  Götter  werden  durch 
die  Opferungen  befriedigt" 

An  einer  Stelle  des  Käthakam  (8t  13)  werden  die  Brah- 
manen „verehrungswürdige  Götter"1  genannt  In  der  Taittirlya- 
Sainhita  heisst  es:  „Die  Brahmanen  lind  leibhaftige  Götter."8 

Dass  es  zweierlei  Arten  von  Göttern  giebt,  die  eigentlichen 
alten  Götter  und  die  Brahmanen,  wird  dann  später  in  den 
Br&hmana's  noch  mehrfach  wiederholt.8 

Es  liegt  mehr  als  gewöhnlicher  geistlicher  Hochmuth  in 
diesen  maasslos  überhebenden  Aeusserungen,  welche  in  den 
priesterlichen  Schriften  so  naiv  ausgesprochen  werden;  hier 
wird  das  Heilige  der  Gottheit  selbst  verletzt,  indem  der  Priester 
für  sich  selbst  göttlichen  Rang  beansprucht 

Diese  Anschauung  von  der  Göttlichkeit  der  Brahmanen 
wird  auch  in  späteren  Zeiten  beibehalten,  ja  gesteigert  Das 
Gesetzbuch  des  Manu4  sagt:  „Der  Brahmane,  er  mag  ungelehrt 
oder  gelehrt  sein,  ist  eine  grosse  Gottheit,  wie  auch  das  Feuer, 
es  mag  zu  den  Altären  hingetragen  sein  oder  nicht,  eine  grosse 
Gottheit  ist." 

Ja  es  kann  uns  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  im  Verlaufe 
der  Entwickelung  der  Brahmane  sich  sogar  über  die  Götter 
erhebt  und  wir  schliesslich  ähnlichen  Sätzen  begegnen  wie 
l  B.:  „Ein  Brahmane  ist  schon  durch  seine  Geburt  selbst  für 
die  Götter  eine  Gottheit I" 6  Oder:  „Auf  die  Brahmanen  stutzen 
sich  die  Welten  und  Götter  immerdar;"6  „Auf  alle  Weise  müssen 
die  Brahmanen  geehrt  werden,  denn  sie  sind  die  höchste  Gott- 
heit4« 7 


1      a  devafc. 

8  ete  väi  deväh  pratvaksham  yad  brähmannh  (TS  1,  7,  3,  1). 

*  So  z.  B.  Catapatha  Brahmana  2,  2,  2,  6*:  Zweierlei  Götter  giebt 
es;  die  Götter  sind  Götter  (schlechthin);  aber  die  gelehrten  und  kun- 
digen Brahmanen  sind  Menschengötter.  Zwieftltig  ist  ihnen  das  Opfer 
xugetheilt:  die  Opferspenden  gehören  den  Göttern,  die  Dakshina  [d.  1.  der 
Opferlohn)  den  Menscbengöttern ,  den  gelehrten,  kundigen  Brahmanen. 
Durch  die  Opferspenden  befriedigt  man  die  Götter,  durch  die  Dakshina 
die  Menschengötter,  die  gelehrten,  kundigen  Brahmanen.1*  —  Vgl.  übri- 
gens die  unten  angeführte  Stelle  des  Manu,  wo  die  Forderung  der  Ge- 
lehrsamkeit ausdrücklich  aufgegeben  ist.  —  S.  Weber,  Ind.  Stud.  X. 
p.  86.  36. 

4  Manu  9,  317  (Böhilingk,  Ind.  Sprüche  3625). 

6  Mann  11,  84  brähmanah  sambhavenäiva  devänäm  api  däivatam. 

«  Manu  9,  316.         7  Manu  9,  319. 

10  ♦ 


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—   148  — 

- 

Die  Consequenzen  der  oben  erwähnten,  schon  im  Yajur- 
veda  hervortretenden  Aoschauung  von  der  Stellung  der  Brah- 
manen  können  wir  nicht  minder  am  Buddhismus  beobachten, 
wenn  derselbe  auch  sonst  in«  Tieler  Hinsicht  dem  Brahmanen- 
thum  feindlich  gegenüber  tritt  Wenn  z.  B.  in  der,  buddhisti- 
schen Legende  die  höchsten  Götter  dem  Gautama  Buddha 
gegenüber  eine  ganz  untergeordnete  Stellung  einnehmen,  ihm 
huldigen,  ihn  anflehen  u.  s.  w.,  so  ist  hier  oben  der  Mensch 
auf  der  höchsten  Stufe  geistlicher  Entwicklung  weit  über  die 
Götter  emporgehoben.  Und  nicht  nur  Buddha,  sondern  jeder 
buddhistische  Arhant  oder  Mönch  des  höchsten  Grades  steht 
weit  über  den  Göttern,  verdient  von  den  Göttern  angebetet, 
verehrt  und  gegrüsst  zu  werden.1  Ganz  im  Einklang  damit 
steht  es  auch,  wenn  in  späterer  Zeit  beim  buddhistischen 
Gottesdienst  die  Götter  aufgefordert  werden,  herbeizukommen 
und  sich  durch  das  Anhören  der  Predigt  belehren  und  be- 
kehren zu  lassen. *  Der  Buddha  steht  über  den  Göttern,  und 
seine  Weisheit  ist  eine  höhere  als  die  der  Götter. 

Man  wird  den  organischen  Zusammenhang  dieser  später 
erscheinenden  Anschauungen  mit  dem»  was  der  iajurveda  lehrt» 
gewiss  nicht  verkennen  können. 


Verhältniss  des  Priesters  zum  Yajamäna 

Ein  besonders  eigentümliches  Streiflicht  fällt  auf  die  Ge- 
sinnung und  Handlungsweise  der  Brahmanen  durch  eine  Reihe 
von  Stellen,  welche  sich  auf  das  Verhältniss  des  Priesters  zum 
Opferherrn,  dem  sogenannten  Yajamäna,  beziehen,  d.  h  zu  dem- 
jenigen Manne,  in  dessen  Dienst  und  auf  dessen  Kosten  der 
Priester  die  heilige  Handlung  verrichtet  Wir  finden  nämlich 
in  den  heiligen  Schriften  selbst  in  zahlreichen  Fällen  mit  er- 
staunlicher Naivität  die  Regeln  dafür  auseinandergesetzt,  wie 
der  Priester  beim  Opfer  verfahren  solle,  jenachdem  er  wünscht, 
dass  es  dem  Opferherrn  gut  oder  aber  sohlecht  gehe.  Der 
Priester  fühlt  sich  also  nicht  gebunden,  das  Opfer  richtig  und 
gewissenhaft  auszufuhren,  wie  es  den  Göttern  wohlgefallt,  son- 
dern das  thut  er  bloss,  wenn  es  ihm  beliebt,  und  er  droht 
damit,  dass  er  es  auch  anders  machen  könne,  zum  grossen 


1  8.  Koeppen,  Religion  des  Buddha,  Bd.  I  p .  128. 

■  So  noch  jetzt  auf  Ceylon,  s.  Koeppen,  Religion  des  Buddha. 

Bd.  I  p.  123. 


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-   149  - 

t 

Naohtheil  des  Opferveranstalters.  Mehr  als  ein  specielles  Un- 
gemach lehrt  man  den  Priester  durch  eine  geringfügige  Modi- 
fikation bei  der  Vollziehung  des  Opfers  seinem  Opferherrn  zu- 
zufügen, „wenn  es  ihm  so  gefällt" 1 

Glück  und  Unglück  des  Opferherrn  liegt  in  der  Hand  des 
opferkundigen  Priesters;  Ton  dessen  Laune  und  Willkür  hangt 
das  Schicksal  seines  Yajamäna  ab.  Daraus  folgt,  dass  Letzterem 
Alles  daran  liegen  muss,  sich  den  Priester  geneigt  zu  machen 
and  durch  möglichst  reiche  Geschenke  sein  Wohlwollen  zu  ge- 
winnen. 

Die  Opferherren  sind  es,  von  deren  Freigebigkeit  die  dienst- 
thuenden  Priester  leben,  von  ihnen  erhalten  sie  Essen,  Kleider 
und  Geschenke;  dessenungeachtet  üben  sie,  „wenn  es  ihnen  so 
gefallt",  den  schwärzesten  Verrath  an  diesen  ihren  Brodherren. 

In  der  That,  es  lässt  sich  kaum  eine  schmählichere  Art 
des  Betruges  und  der  hinterlistigen  Bosheit  denken:  Bei  einer 
heiligen  Opferhandlung,  für  welche  er  zudem  von  dem  betreffen- 
den Opferherrn  besoldet  wird,  fugt  der  Priester  diesem  unver- 
merkt den  grössten  Schaden  zu,  während  er  doch  die  Miene 
annimmt,  als  führe  er  das  Opfer  zu  Heil  und  Frommen  seines 
Yajamäna  aus.  Und  ein  solches  Verfahren  wird  in  den  hei- 
ligen, für  offenbart  geltenden  Büchern  ganz  direct  gelehrt  und 
an  die  Hand  gegeben.  Ganz  kühl  werden  diese  Regeln  und 
Handgriffe  in  den  Yajurveden  dargelegt,  als  wenn  sich  das  so 
ganz  von  belbst  verstünde! 

80  lesen  wir  z.  B.f:  „Wenn  er  (der  Priester)  wünscht: 
Es  möge  ihm  (dem  Opferherrn)  weiterhin  immer  schlechter  und 
schlechter  gehen,  dann  möge  er  für  ihn  die  Opfergaben  ein- 
zeln (getrennt)  darbringen;  so  hat  er  ihn  getrennt  (d.  h.  vom 
Opfer  und  dessen  Vortheilen),  dadurch  geht  es  Jenem  weiter- 
hin immer  schlechter  und  schlechter.  Wenn  er  aber  von  Einem 
wünscht:  Es  möge  ihm  nicht  besser  und  nicht  schlechter  gehen, 
fe  den  möge  er  alle  Opfergaben  mit  einem  Male  darbringen; 
•0  hemmt  er  ihn  (hält  ihn  fest),  dadurch  geht  es  Jenem  weder 
besser  noch  schlechter.  Wenn  er  aber  von  Einem  wünscht: 
Es  möge  ihm  weiterhin  immer  besser  und  trefflicher  gehen, 
dann  möge  er  für  den  erst  dem  Agni  Pavamana  opfern,  sodann 
dem  (Agni)  Pavaka  und  $uci  zwei  weitere  Opfergaben  auf 
derselben  Opferstreu  darbringen;  so  hat  er  ihn  emporgebracht, 
dadurch  geht  es  Jenem  weiterhin  immer  besser  und  besser." 


1  y*di  kAmayetA. 
1  Maitr.  S.  1,  6,  8. 


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Wenn  der  Priester  z.  B.  will,  dass  der  Yajamana  reich  an 
Vieh  werde,  dann  soll  ihm  die  Thierhäupter  beim  Opfer  so 
legen,  dass  sie  alle  nach  der  Mitte  hingewandt  sind. 

Wenn  er  dagegen  Einem  wünscht:  Er  möge  ohne  Vieh 
sein!  Dann  soll  er  ihm  die  Thierhäupter  so  legen,  dass  sie 
nach  verschiedenen  Richtungen  auseinander  streben;  dann  geht 
Jenem  das  Vieh  nach  verschiedenen  Richtungen  auseinander, 
und  er  wird  zu  Einem,  der  ohne  Vieh  ist1 

Wenn  er  Einem  wünscht:  Er  soll  taub  werden!  Dann 
möge  er  für  den  mit  einem  Mal  alle  (Opfergaben),  auf  einen 
Sturz  opfern;  dann  vermengt  er  ihm  die  Lebensgeister  und 
Jener  wird  taub.' 

Will  er,  dass  seinem  Opferherrn  ein  böser  Gegner  geboren 
werde,  so  kann  er  ihm  denselben  durch  besondere  Art  des 
Opferns  an  seiner  eigenen  Opferstätte  erzeugen.9 

Wünscht  der  Priester,  dass  es  dem  Gegner  seines  Opfer- 
herrn gut  gehe  und  dass  dieser  den  Opferherrn  verdränge,  80 
wird  ihm  auch  dafür  der  Modus  des  Opferns  gelehrt4  Von 
der  richtigen  Ordnung  hängt  beim  Opfer  Alles  ab;  diese  kann 
der  Priester,  wenn  er  will,  stören  und  auf  solche  Weise  Unheil 
bewirken.  So  heisst  es  z.  B.  von  einer  Ceremonie,  bei  welcher 
ein  Ross  und  ein  Esel  verwandt  werden5:  „Das  Ross  fuhrt 
man  voran,  den  Esel  hinterdrein,  um  Verwirrung  zu  ver* 
meiden;  wenn  er  (der  Priester)  wünscht:  Es  möge  Ver- 
wirrung sein!  Dann  führe  er  den  Esel  voran,  das  Ross 
hinterdrein.  Dadurch  hat  schon  Vipüjana  Sauraki  Verwirrung 
bewirkt;  so  bewirkt  er  Verwirrung."  —  Man  beruft  sich  also 
noch  auf  die  Autorität  eines  Priesters  der  früheren  Zeit,  der 
bereits  seinem  Yajamana  diesen  Streich  gespielt  habe.  In  der 
That,  kein  sehr  rühmliches  Andenken,  das  seine  Glaubensbrüder 
hier  dem  Vipüjana  Sauraki  gestiftet  haben! 

Hunger  kann  der  Priester  bewirken,  Regen  kommen  oder 
ausbleiben  lassen,  Saft  und  Kraft  dem  Opferherrn  verleihen 
oder  entziehen.  So  heisst  es  z.  B.  bei  der  Zurichtung  des 
Opferpfostens,  an  welchen  das  zu  tödtende  Thier  gebunden 
wird8:  „Wenn  er  (d.  h.  der  Priester)  wünscht:  Sie  mögen  den 
Hunger  kennen  lernen I  Dann  errichte  er  den  Opferpfosten 
ohne  Strick;  dann  lernen  sie  den  Hunger  kennen.  Wenn  er 
wünscht:  Parjänya  möge  regnen,  mit  Saft  und  Kraft  möchte 
ich  den  Yajamana  begaben,  —  dann  möge  er  den  oberen 


1  Maitr.  8.  3,  2,  7.  9  Maitr.  8.  8,  1,  9  a.  A.  »  8.  1.  B.  Maitr. 
8.  3,  1,  9.    *  Miitr.  8.  4,  7,  9.    •  Maitr.  8.  3,  1,  3.    •  Maitr.  8.  3,  9,  4. 


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-    151  - 

Strick,1  nachdem  er  ihn  herumgeschlungen,  heraufschieben;  so 
schiebt  er  ihn  zum  Hegen  hin  und  begabt  den  Yajamäua  mit 
Saft  und  Kraft.  Wenn  er  wünscht:  Parjanya  möge  nicht 
regnen,  ich  möchte  dem  Yajamana  Saft  und  Kraft  rauben,  — 
dann  möge  er  den  unteren  (Strick),  nachdem  er  ihn  herum- 
geschlungen, herunterschieben;  so  schiebt  er  ihn  sammt  dem 
Regen  (weg)  und  raubt  dem  Yajamana  Saft  und  Kraft." 

Will  er  Einen  des  Glanzes,  der  Gottheiten  und  der  Kraft 
berauben;  will  er,  dass  Einem  sein  Opfer  vom  Verderben  er- 
griffen werde,  oder  wünscht  er,  dass  Einem  die  Nachkommen- 
schaft missrathe,  so  findet  er  dafür  das  geeignete  Verfahren  an 
bestimmten  Stellen  angegeben.1  —  Endlich  ist  mehr  als  eine 
Anweisung  für  den  Prieser  sogar  direct  gegen  das  Leben  des 
Opferherrn  gerichtet.  So  heisst  es  z.  B.9:  „Er  (der  Priester) 
möge  den  Fettstrahl  so  giessen,  dass  er  gerade  und  aufrecht 
ist  (d.  h.  ein  gerader  Strahl  yon  oben  nach  unten).  Der  Fett-, 
strahl  ist  der  Lebenshauch;  so  geht  alle  Lebenskraft  in  den 
Yajamana  ein.  Wenn  er  Einen  hasst,  dann  möge  er  für  den, 
wenn  er  giesst,  (den  Strahl)  zerreissen,  so  dass  derselbe  ver- 
stümmelt ist;  so  reis8t  er  ihm  den  Lebenshauch  entzwei  und 
Jener  geht  jählings  zu  Grunde."4 

Kurzum  es  ist  eine  ganze  Serie  von  Unglücksfällen  und 
Leiden  aller  Art,  für  welche  die  heiligen  Bücher  selbst  dem 
Priester  das  Verfahren  an  die  Hand  geben,  wie  er  sie  dem 
Opferherrn  zufügen  könne.  Dem  wird  in  der  Regel  das  Glück 
gegenübergestellt,  welches  der  Priester  schaffen  kann,  wenn  er 
Einem  wohlwill. 

So  bleibt  dem  Opferherrn  denn  keine  Wahl!  Will  er 
nicht  in  sein  Verderben  rennen,  so  muss  er  Alles  dazu  thun, 
ran  sich  mit  den  Brahmanen  gut  zu  stellen.  Wehe  dem,  der 
den  Priester  erzürnt  und  so  zu  Einem  wird,  den  er  hasst.6 
Bald  droht  ihm  dann  Ungemach  im  Allgemeinen,  bald  Taub- 
heit, bald  Verlust  seines  Viehstandes;  ein  schlimmer  Gegner 
wird,  ihm  geschaffen,  der  vorhandene  in  seinen  Unternehmungen 
unterstützt;  Hunger  und  Dürre  kommen  über  ihn,  Saft  und 
Kraft  geht  ihm  aus;  sein  Opfer  wird  dem  Verderben  geweiht, 
seine  Kinder  missrathen,  bis  ihm  endlich  gar  die  Lebensgeister 
  * 

1  Am  Opferpfosten  befinden  sich  zwei  Stricke;  einer  derselben  dient 
rar  Fewelang  des  Opferthiers. 

•  Tftitt  8.  6,  8.  4,  4  and  6;  T&itt.  S.  6,  6,  5,  4. 
1  Mtttr.  8.  4,  1,  14. 

*  Sehnliches  MAitr.  8.  3,  6,  3  und  4,  8,  4. 

■  yam  dvishyat,  eine  viel  gebrauchte  Bei eichnung. 


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—   152  — 

zerrissen  werden,  so  dass  er  elend  umkommen  muss.  Ans 
alledem  klingt  immer  das  eine  drohende  Mahn  wort  entgegen: 
Hütet  euch,  es  mit  den  Priestern  zu  verderben! 

Man  kann  die  hierarchischen  Verirrungen,  die  durch 
tausend  versteckte  Ränke  gefährliche  Willkürherrschaft  kaum 
deutlicher  illustriren,  als  es  die  indischen  Priester  in  ihren 
heiligen  Büchern  selbst  gethan  haben. 

Wegen  derartiger,  öfters  geübter  Verratherei  beim  Opfer 
wurde  die  sogenannte  Tanünaptra-Ceremonie  eingeführt,  deren 
wesentlicher  Inhalt  darin  besteht,  dass  Priester  und  Opferer 
sich  gegenseitig  einen  heiligen  Eid  schwören,  einander  nicht 
durch  absichtliche  Fehler  bei  der  Opfervollziehung  zu  schaden.1 


Verhältniss  der  einzelnen  Stände  zu  einander. 

Die  Yajurveden  sind  die  ältesten  Schriften,  in  welchen 
uns  das  indische  Volk  bereits  durchweg  ständisch  gegliedert 
entgegen  tritt,  und  zwar  in  der  bekannten  Viertheilung: 
1)  Brahmana;  2)  Rajanya  (ein  Fürstlicher  oder  ein  Königischer) 
oder  Kshatriya  (ein  Herrschender,  Adliger);  3)  Vaicva;  4)  Qudra; 
d.  i.  also  1)  Priester;  2)  Ritter  oder  Krieger;  3)  Volk;  4)  nicht- 
arische Bevölkorung. 

Hierbei  sind  genau  genommen  nur  die  beiden  ersten, 
Brahmana  und  Rajanya,  wirklich  Stände  im  eigentlichen  Sinne 
des  Wortes.1  Der  Name  Vaicja  ist  ein  Gesammtname  für  das 
ganze  arisch-indische  Volk,  soweit  es  nicht  Priester  oder  Ritter 
waren,  sondern  Leute,  welche  irgend  welchen  anderen  Berufs- 
zweigen oblagen,  während  unter  dem  Worte  Qüdra  alle  die 
vielen  nichtarischen,  oder  doch  nicht  rein,  arischen  Elemente 
begriffen  werden,  die  doch  auch  nicht  eigentlich  einen  Stand 
bildeten. 

Ich  habe  hier  absichtlich  die  Bezeichnung  Stände  und 
nicht  Kasten  gebraucht,  denn  die  Gerechtigkeit  erfordert  et, 
ausdrücklich  hervorzuheben,  dass  von  dem  schroffen  und  un- 
barmherzigen Kastenwesen,  wie  es  im  indischen  Mittelalter  er- 

  f 

1  8.  M.  Haag,  7dt.  Br&hman*,  Bd.  U  p.  58. 

*  Diese  beiden  obersten  St&nde  werden  auch  mit  den  neutralen 
Namen:  Brahman  und  Kshatram  bezeichnet;  Brahman  eigentlich 
Gebet,  dann  Inbegriff  der  Gebets-,  Opfer-  und  Priesterheiligkeit,  endlich 
geradezu  der  Priesterstand;  Kshatram  eigentlich  die  Herrschaft,  Ober- 
gewalt, Macht,  dann  der  fürstliche  8tand,  Bezeichnung  der  zweiten, 
adligen  oder  ritterlichen  Kaste. 


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—  153 


scheint,  hier  in  der  Periode  des  Yajnrveda  noch  nichts  zu 
spüren  ist  Wir  können  hier  in  der  That  bloss  Ton  einer 
ständischen  Ordnung  des  Volkes  reden,  die  uns  bei  der  all- 
mählichen Consolidirung  der  staatlichen  und  socialen  Verhält- 
nisse, nachdem  die  Inder  sich  einmal  im  Gangesthaie  fest  an- 
gesiedelt hatten,  durchaus  natürlich  erscheinen  muss. 

Es  war  natürlich,  wenn  die  alten  Priester-  und  Sänger- 
familien, unter  denen  vornehmlich  die  Kunde  der  Lieder  und 
Opfer  gepflegt  wurde,  z.  B.  die  Vasishtha's,  Kncika's,  Atri'a, 
Gautama's  u.  dgL  m  sich  als  ein  geistlicher  Adel  dem  übrigen 
Volke  gegenüber  mehr  und  mehr  bewusst  wurden  und  sich  von 
demselben  absonderten.  Es  war  ebenso  natürlich,  wenn  die 
zahlreichen  kleinen  Fürstenfamilien  mit  ihrem  ritterlichen  An- 
hang sich  als  ein  besonderer  Stand,  als  ein  ritterlicher  Adel 
zusammenschlössen.  Die  übrigen  arischen  Inder  hiessen  wie 
früher  „das  Volk"  (vic,),  und  der  Einzelne  dazu  Gehörige  ein 
„Volksgenosse"  oder  Vaicja.  Dass  man  endlich  die  dunkle, 
nichtarische  Bevölkerung,  soweit  sie  sich  dem  arisch-indischen 
Staatsvcrbancle  eingefügt,  resp.  untergeordnet  hatte,  als  eine 
besondere  Menschenklasse  von  den  Ariern  unterschied,  muss 
uns  fast  als  selbstverständlich  erscheinen.1  Von  den  unüber- 
stei glichen  Schranken  zwischen  diesen  Ständen,  sowie  insbesondere 
▼on  der  Verworfenheit  der  untersten  Schichten  der  Bevölkerung 
ist  im  Yajurveda  nirgends  die  Rede. 

Wir  werden  es  durchaus  natürlich  finden,  dass  bei  manchen 
gottesdienstlichen  Verrichtungen  die  Bestimmungen  für  die  ein- 
zelnen Stände  von  einander  abweichen.  So  wenn  z.  B.  die 
Zeit  für  die  Anlegung  des  heiligen  Feuers  bei  den  einzelnen 
Ständen  eine  verschiedene  sein  soll;  für  den  Brahmaneh  ist  es 
das  Frühjahr,  für  den  Adligen  oder  den  Krieger  der  Sommer, 
für  den  Vaicya  der  Herbst  oder  die  Regenzeit.*  Auch  die 
dab  ei  zu  sprechenden  Formeln  sind  etwas  abweichend  von 
einander,  schon  darum,  weil  die  speziellen  Schutzgottheiten  der 
einzelnen  Stände  andere  sind.  Der  Brahmane  hat  das  Vorrecht 
deren  besonders  viele  zu  besitzen^  Meist  wird  Brihaspati  oder 

Brahmanaspati  als  Gottheit  des  Brahmanen  genannt;8  gelegent- 

 • 

1  Es  ist  diese  Scheidung  der  dunklen  Ureinwohner  von  den  hellen 
Ariern  sogar  wahrscheinlich  der  Ausgangspunkt  für  die  Kasteneintheiluflg 
flberhanpt  gewesen.  Darauf  deutet  —  wie  schon  öfters  bemerkt  worden 
ist  -  das  Sanskritwort  für  Kaste,  Varoa,  was  eigentlich  „Farbe"  be- 
deute t. 

•  S.  Maitr.  8.  1,  6,  9;  C»t.  Br.  2,  1,  8,  6. 

»  Vgl.  Maitr.  S.  2,  2,  3;  2,  6,  7  und  8;  4,  4,  9;  4,  7,  8. 


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lieh  auch  Mitra,1  oder  Mitra-Varuna.Ä  Nach  einer  Stelle  hat 
der  Brahmane  fünf  Schutzgottheiten:  Agni,  Sorna,  Savitar, 
Brihaspati  und  Sarasvati,  und  es  heisst  dazu:  „Darum  suchen 
die  anderen  Menschen  heim  Brahmanen  Hülfe,  denn  dieser  hat 
am  meisten  Gottheiten." 8  Die  specielle  Gottheit  des  Ritters 
oder  Kriegers  ist  Indra,  gelegentlich  auch  Indra-Varuna  oder 
Varuna.4  Der  Vaicja  hat  zur  Schutzgottheit  die  Maruts;6  ge- 
legentlich auch  Agni- Varuna, 8  die  Vic,ve  Devah  oder  Allgötter, T 
oder  auch  Varuna.8  Man  sieht,  dass  die  Scheidung  keine 
scharfe  ist. 

Auch  die  vorgeschriebenen  Opfergaben  sind  bisweilen  für 
die  einzelnen  Stände  verschiedene; 8  desgleichen  die  sogenannte 
Dakshina  oder  der  Opferlohn,  den  der  Priester  zu  erhalten 
hat;10  ebenso  die  Fasten  speise. 11 

Wiederholt  wird  es  ausgesprochen,  dass  der  Brahmane  an 
der  Spitze  aller  Stände,  ja  aller  Geschöpfe  überhaupt  stehe, 
dem  Rajanya  aber  ist  der  Vaicja  untergeordnet.11  Dem  Ritter- 
stande wird,  wenn  er  den  Brahmanen  den  Vorrang  giebt,  ver- 
heissen,  dass  ihm  das  Volk  (die  Vic,  die  V&icya's)  folgen 
werde.18  Wir  sehen  also,  dass  sich  die  Brahmanen  in  der 
That  die  Superiorität  anmassen,14  dieselbe  scheint  aber  —  so- 
weit wir  nach  dem  Yajurveda  urtheilen  können  —  noch  keines- 
wegs eine  drückende  gewesen  zu  sein. 

Bei  allen  vorhin  erwähnten  Bestimmungen  war  von  dem 
Cüdra  gar  nicht  die  Rede.  Das  kann  uns  nicht  Wunder 
nehmen,  denn  die  niohtarische  Bevölkerung  bekannte  sich  wohl 
gar  nicht  zum  Glauben  an  die  arischen  Götter,  oder  doch  nur 
in  Ausnahmefällen;  oder  sie  wurde  dessen  auch  nicht  werth 
erachtet  Es  wird  ausdrücklich  gesagt,  dass  der  Qüdra  des 
Opfers  unfähig  sei.16  Er  ist  dessen  nicht  werth;  die  historische 
Erklärung  dafür  liegt  aber  offenbar  in  dem  Umstände,  dass  er 
einer  anderen  und  andersgläubigen,  nur  mit  Gewalt  unter- 
worfenen Race  angehörte  und  darum  naturgemäss  an  dem  Opfer 
der  Arier  keinen  Antheil  haben  konnte. 


»  cf.  MAitr.  8.  4,  6,  8;  KAth.  12,  1.  »  cf.  MAitr.  8.  2,  3,  1. 
•  Miitr.  8.  4,  &,  8.       4  cf.  MAitr.  8.  2,.<8,  1;  4»  6,  8.  cf.  MAitr. 

8.  2,  2,  3;  2,  6,  7  u.  8;  4,  7,  8.       •  MAitr.  8.  2,  8,  L      V  MAitr.  a 
4,  4,  9.       8  KAth.  12,  1.       •  cf.  MAitr.  8.  2,  6,  7.       i0  Vgl.  MAitr. 
8.  2,  6,  5.       11  cf.  TAitt.  8.  6,  2,  5,  2  und  8;  TAitt.  &r.  2,  8,  8;  lud 
Stud.  X,  p.  25.      11  cf.  MAitr.  &  4,  7,  8.      *  cf.  KAth.  29,  10. 

"  Vits  tritt  auch  darin  hervor,  dass  bei  der  Besprechung  der 
Stände  fast  immer  die  Reihenfolge  beobachtet  wird:  BrAhmana,  RAjanya, 

88  cf.  z.  B.  TAitt  8.  7,  1,  1,  6. 


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—    l&ö  — 

Den  Gegensatz  des  Cüdra  gegenüber  jenen  drei  arischen 
Ständen  kennzeichnet  auch  das  wiederholt  vorkommende  Com- 
positum Qüdraryau,  d.  h.  Qüdra  und  Arier.1  Dieser  Gegensatz 
wird  in  symbolischer  Weise  dargestellt  in  dem  merkwürdigen 
Kampfe,  welcher  an  dem  vorletzten  Tage  (Mahavrata)  der  so- 
genannten Gavämayana-Feier,  also  bei  einem  Opfer,  von  einem 
Qüdra  und  einem  Arier  ausgeführt  wurde.  Sie  zerren  an  einem 
runden  weissen  Stück  Leder,  welches  die  Sonne  vorstellt,  um 
die  sich  Götter  und  Dämonen  streiten.  Zuletzt  muss  natürlich 
der  Arier  als  Vertreter  der  Götter  siegen.* 

Wir  können  es  den  arischen  Indern  nicht  verdenken,  wenn 
sie  z.  B.  die  Bestimmung  treffen,  dass  die  Kuh  beim  Agnihotra- 
Opfer  nicht  von  einem  Qüdra  gemelkt  werden  dürfe;9  oder 
wenn  es  heisst,  der  Melkkübel  beim  Opfer,  die  sogenannte 
SthAll,  solle  von  einem  Arier  (und  nicht  von  einem  Cudra) 
verfertigt  sein.4  Das  Alles  sind  gerade  keine  für  den  Cudra 
drückenden  Bestimmungen,  wenn  auch  gewiss  aus  denselben 
hervorgeht,  dass  er  nicht  für  voll  gerechnet,  nicht  als  rein  an- 
peschcn  wird.6 

Wir  finden  im  Yajurveda  das  Gebet«:  „Schaff  uns  Glanz 
bei  den  Brahmanen,  erhalte  den  Glanz  bei  den  Rittern  (oder 
Adligen),  Glanz  bei  den  Vaicja's  und  Qüdra's,  spende  mir 
Glanz  über  Glanz!"  Hier  ist  es  doch  bemerkenswerth,  dass 
auch  der  Qüdra  mit  zu  Denjenigen  gehört,  unter  denen  ,  der 
Betende  Glanz  zu  erhalten  wünscht;  der  Qüdra  steht,  nicht  so 
tief,  dass  ihm  nicht  auch  daran  etwas  läge.  Aehnliches  findet 
sich  im  Atharvaveda  an  mehreren  Stellen;  so  z.  B.:  Mach  mich 
lieb  bei  den  Göttern  (d.  h.  den  Brahmanen),  mach  mich  lieb 
bei  den  Rajanya's,  beim  Qüdra  und  beim  Arier.7   Im  Yajurveda 


1  Vgl.  Maitr.  8.  2,  8,  6.  1  Vgl.  Kath.  84,  5;  Taitt.  8.  7,  6,  9,  8; 
lad.  Btud.  X,  p.  4  u.  5.     1  Vgl.  Maitr.  8.  4,  1,  8.     4  Mai|r.  S.  1,  8,  3. 

•  In  den  Brahmana's  finden  wir  noch  einige  weitere  Beschränkungen. 
Z.  B.  darf  der  zum  Opfer  Geweihte  (der  sogenannte  Dlkshita)  nicht  mit 
einem  Cudra  reden,  sondern  muss  das,  was  er  ihm  zu  sagen  hat ,  durch 
einen  Dritten  sagen  lassen,  weil  die  Götter  nur  mit  dem  B rahm  an  a, 
Rajanya  und  Vaicja  reden,  nicht  aber  mit  einem  Qüdra  (£at  Br.  8,  1, 
1,10).  —  Auch  dürfen  nur  ein  Braamana,  Rajanya  und  Vaicja  den  ver- 
hallten Schuppen  (£ala  oder  V im i tarn)  auf  dem  Opferplatz  betreten,  da 
nur  diese  opferrein  (yajniyatn  sind  (s.  fat  Br.  3,  1,- 1,  9).  —  Beim  so- 
genannten Menschenopfer  (Purushamedha)  wird  ein  Brahmane  dem  Brah- 
man,  ein  Krieger  dem  Kshatram,  ein  Vaicja  den  Winden,  ein  Qüdra  der 
Büssung  (tapas)  geweiht  (s.  V8  30,  5;  Cat  Br.  13,  6,  2,  10). 

•  Maitr.  S.  3,  4,  8.  Fast  ebenso  TS  6,  7,  6,  4;  K&\h.  40,  13;  VS 
18,  48. 

1  AV  19,  62,  1.   Vgl.  auch  AV  19,  32,  8. 


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finden  wir  die  Bestimmung,  dass  man  bei  einer  besonderen 
Gelegenheit  einen  Stier  nehmen  solle  ans  der  Heerde  eines 
V&icja  oder  eines  begüterten  Qüdra,  die  so  neben  einander 
genannt  werden,  dass  die  Stellung  des  Qudra  als  keine  ganz 
schlechte  gedacht  werden  kann.1  Wir  finden  auch  in  einem 
Gebete*  die  Worte:  Was  wir  gegen  einen  Qüdra,  was  gegen 
einen  Arier  für  eine  Sünde  begangen  haben, 

Dies  Alles  lehrt  uns,  dass  zur  Zeit  des  Yajurveda  die 
ständische  Gliederung,  speciell  jene  Viertheilung,  zwar  schon 
eingetreten,  aber  noch  nicht  zu  dem  drückenden  Kastensystem 
der  späteren  Zeit  verhärtet  ist  Den  gefahrlichen  Keim  dazu 
haben  wir  aber  freilich  bereits  früher  kennen  gelernt,  —  er 
liegt  in  dem  wachsenden  Hochmuth  und  der  Herrschsucht  dee 
brah manischen  Standes. 

Zum  Schlus8  dieser  Betrachtung  ist  es  der  Mühe  wohl 
werth,  einen  Punkt  noch  näher  zu  beleuchten,  nämlich  das 
Verhältniss  der  Priester  zu  den  Rittern,  zum  kriegerisch-adligen 
Stande.  Der  Grundgedanke  für  dieses  Verhältniss  wird  wieder- 
holt deutlich  ausgesprochen:  Priester  und  Krieger  müssen  fest 
zusammenhalten  und  sich  gegenseitig  unterstützen;  vereint  stehen 
sie  fest  und  unüberwindlich  da. 

So  wird  z.  B.  an  einer  Stelle  ein  bestimmter  Spruch*  ge- 
lehrt und  dazu  heisst  es:  „Mit  diesen  Worten  kraftigt  er  so 
das  Kriegerthum  (den  ritterlichen  Adel)  durch  das  Priesterthum 
und  das  Priesterthum  durch  das  Kriegerthum;  so  hat  er  dann 
das  Priesterthum  und  das  Kriegerthum  mit  einander  vereinigt 
In  Bezug  darauf  ist  folgender  Vers  gesagt:  Vereinigt  gerathen 
Priesterthum  und  Kriegerthum  (Ritterthum,  Adel)  nicht  in« 
Schwanken !  *  Das  Priesterthum  fördert  das  Kriegerthum  (oder 
die  Herrschaft)  des  Kshatriya,6  das  Kriegerthum  fördert  das 
Priesterthum  des  Brahmanen/  wenn  9ie  verbunden  ihre  Thaten 
ausführen."7 

Verschiedene  Verrichtungen  beim  Opfer  zielen  direct  darauf 
hin,  das  Priesterthum  und  den  ritterlichen  Adel  (das  brahman 


*  Maitr.  S.  4,  2,  6.   Vgl.  auch  Maitr.  &  4,  2,  10  a.  E. 

*  V8  20,  17;  Kath.  38,  5. 

*  ta^Qitain  xne  brahma  sa^cita^  Ttryam  balam»  <L  i.  angefeuert 
(gekräftigt)  ist  mir  das  Priesterthum,  angefeuert  (gekräftigt)  Starke  und 
Kraft  (Malta:.  &  8,  1,  9). 

4  brahma  kshatra^  sayuja  na  yyathete. 

5  kshatram  kshatriyasya. 
9  brahma  brahmanasya. 

'  Fast  gani  dasselbe  auch  Maitr.  S.  2.  7,  7. 

i 


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—    167  — 

und  das  kshatram)  zu  vereinigen.  So  soll  z.  B.  ein  Priester, 
der  gerne  die  Würde  eines  Purohita 1  erlangen  möchte,  ein 
Muss  an  Brihaspati  opfern.  Gelingt  es  aber  auf  diese  Art 
nicht,  dann  soll  er  dem  Indra  und  ßrihaspati  opfern;  dann 
hat  er  Kriegerthum  und  Priesterthum  vereinigt,  und  man  macht 
ihn  alsbald  zum  Purohita.*  —  An  einer  anderen  Stelle3  wird 
▼erhiessen:  »Wenn  man  mit  dem  Opferspruch  zugleich  (die 
Opfergabe)  darbringt,  dann  vereinigt  man  so  das  Kriegorthum 
mit  dem  Priesterthum.4* 

Insbesondere  wird  es  dem  Herrscher,  der  nicht  ganz  sicher 
steht,  empfohlen,  durch  bestimmte  Opfergaben  dafür  zu  sorgen, 
dass  Priesterthum  und  ritterlicher  Adel  sich  vereinige.  Es 
heisst4:  „Wessen  Herrschaft  einigermassen  schwankend  ist,  den 
möge  man  mit  dieser  an  Mitra  und  Brihaspati  gerichteten 
Opferung  opfern  lassen;  Mitra  ist  das  Kriegerthum  (od.  Ritter- 
thum), Brihaspati  das  Priesterthum;  so  lässt  er  das  Kriegerthum 
auf  dem  Priesterthum  festen  Fuss  fassen,  damit  Festigkeit  und 
kein  Schwanken  da  sei."6 

Diese  Stellen  zeugen  von  früherwachtem  politischen  Scharf- 
blick. Sind  doch  bis  auf  den  heutigen  Tag  der  ritterliche 
Adel  und  das  Priesterthum  im  Verein  als  die  festesten  Stützen 
der  Throne,  die  Wahrer  der  conservativen  Ordnung  bekannt.  — 
Es  darf  dabei  aber  von  Seiten  des  herrschenden  Fürsten,  der 
zun  Ritterstande  gehört,  nicht  vergessen  werden,  dass  die 
Herrschaft  dem  Priesterthum  dankbar  sein  und  ihm  sich  unter- 
ordnen soll.  Darum  schliesst  eine  ähnliche  Stelle  mit  den 
Worten:  „Er  bewirkt  aber  auf  diese  Weise,  dass  die  Herrschaft 
(das  Königthum)  von  den  Priestern  abhängig  ist"6 

Wir  werden  uns  nach  alledem  nicht  wundern,  wenn  in 
den  Opfern  und  Gebeten  Priesterthum  und  ritterlicher  Adel 
(brahman  und  kshatram)  häufig  neben  einander  genannt  werden, 
beiden  Gedeihen  gewünscht  wird. 

Indessen  liegt  es  klar  am  Tage,  dass  auch  dies  Verhältnis 
zu  dem  Ritter-  oder  Kriegerstande  von  den  Priestern  nur  so- 


1  D.  i.  eines  Oberpriesters  oder  Hauspriesters  beim  Könige. 

•  Maitr.  8.  9,  2,  8. 

•  Mütr.  8.  3,  2,  8  a.  E. 

•  Mlitr.  8.  4,  8,  9. 

•  Die  Solidarität  der  Interessen  der  beiden  Stande  hebt  auch  das 
Gesetzbuch  des  Manu  (9,  822)  klar  hervor:  „Nicht  gedeiht  das  Krieger- 
thom  ohne  das  Priesterthum,  nicht  wachst  das  Priesterthum  ohne  das 
Kriegerthum." 

•  atho  brahmana  eva  r&shtram  anukam  karoti  (Maitr.  8.  4,  8,  &). 


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-    158  - 

weit  aufrecht  erhalten  wird,  als  es  ihrem  eigenen  Vortheil 
dienlich  ist  Scheint  es  ihnen  für  den  Augenblick  besser  und 
nützlicher,  so  scheuen  sie  sich  nicht,  diesen  Bundesgenossen  zu 
schädigen,  ja,  wenn  sie  wollen,  zu  Grunde  zu  richten. 

Auch  für  diesen  Fall  wissen  die  heiligen  Bücher  Rath. 
So  heisst  es  z.  B.1:  »Einen  Kuchen  für  Indra  auf  elf  Schalen 
und  einen  Kuchen  für  die  Maruts  auf  sieben  Schalen  möge 
derjenige  darbringen,  welcher  da  wünscht:  Ich  möchte  Händel 
zwischen  dem  Volk  (den  Vaicja's)  und  den  Kriegern  hervor- 
rufen. Dann  möge  er  bei  der  Indra-Darbringung,  nachdem  er 
den  Indra-Spruch  recitirt  hat,  mit  dem  Marut-Spruch  [der 
eigentlich  nicht  hierher,  sondern  zum  Folgenden  gehört]  opfern; 
und  möge  bei  der  Marut-Darbringung,  nachdem  er  den  Marut- 
Spruch  recitirt  hat,  mit  dem  Indra-Spruch  opfern  [der  nicht 
dahin,  sondern  zum  Kruheren  gehört].  So  bereitet  er  ihnen  Händel 
an  dem  eignen  OpferautheiL«  f 

Indem  er  also  unberechtigter  Weise  den  Marut-Spruch, 
der  den  Vaicja's  gehört,  bei  der  Opfergabe  der  Krieger  an- 
bringt und  umgekehrt,  bringt  er  die  Gebiete  beider  in  Collision 
und  es  muss  Zank  und  Streit  daraus  entstehen.  Und  solch 
ein  Spiel  treibt  der  Brahmane  mit  den  Opfergaben  und 
Sprüchen,  die  doch  den  Göttern  dargebracht  werden  1  Wenn 
es  in  seinem  Interesse  liegt,  dass  die  beiden  anderen  Stände 
sich  befehden  und  gegenseitig  aufreiben,  so  scheut  er  sich 
nicht,  das  Heilige  zur  Erreichung  dieses  Zweckes  zu  miss- 
brauchen. 

An  einer  anderen  Stelle  endlich  werden  dem  Priester  ge- 
naue Anweisungen  dafür  gegeben,  wie  er  beim  Opfer  zu  ver- 
fahren habe,  wenn  er  die  Krieger  (Ritter)  durch  das  Volk 
tödten  möchte!  Ferner  für  den  Fall,  wenn  er  das  Volk 
durch  die  Krieger  tödten  möchte!  Sowie  endlich  auch  für 
den  Fall,  dass  er  die  Krieger  durch  die  Krieger  zu  Tür- 
nich ten  wünscht.8 


1  Maitr.  S.  2,  1,  9. 

•  Aehnlich  Taitt.  8.  2,  2,  11,  2. 

*  Maitr.  S.  3,  3,  ,10:  „Wenn  er  wünscht:  Ich  möchte  die  Krieger 
(Ritter)  durch  das  Volk  tödten!  Dann  möge  er  die  Reihe  (von  Spenden 
oder  Sprüchen),  welche  zum  Aranye  anuvaka  [d.  i.  einer  bestimmten 
Litanei]  gehört,  durch  die  anderen  Reihen  in  Verwirrung  bringen;  so 
tödtet  er  die  Krieger  durch  das  Volk.  Wenn  er  wünscht:  Ich  möchte 
das  Volk  durch  die  Krieger  tödten I  Dann  möge  er  durch  die  Reihe 
(von  Spenden  oder  Sprüchen),  welche  zum  Aranye  anuvaka  gehört,  die 
anderen  Reihen  in  Verwirrung  bringen;  so  tödtet  er  das  Volk  durch  die 
Krieger.  —  Wenn  er  wünscht:  Durch  Kriegerthum  will  ich  sein  [d.  i.  des 


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—   159  — 


So  kann  denn  der  Priester,  jenachdem  es  seine  Politik 
erfordert,  die  Bitter  durch  das  Volk,  das  Volk  durch  die 
Bitter,  oder  auch  die  Ritter  durch  die  Ritter  zu  Grunde 
richten,  wie  es  ihm  gefallt,  —  und  das  Allee  durch  bestimmte 
Verrichtungen  bei  der  Opferhandlung! 

Stellung  der  Frauen.  Sexuelle  Verhältnisse, 

Dass  die  Stellung  der  Frauen  bei  den  Indern  zur  Zeit 
des  Yajurveda  eine  geachtete  war,  lässt  sich  mit  Sicherheit 
daraus  schliessen,  dass  auch  die  Frau  beim  Opfer,  dem  Heilig- 
sten und  Höchsten  zu  jener  Zeit,  sich  mit  betheiligt  Nicht 
nur  der  Hausherr,  sondern  auch  dessen  Gattin  hat  beim  Opfer 
ihren  bestimmten  Platz,  verschiedene  Ceremonieen  verrichten 
die  Beiden  gemeinsam,  andere  sind  speciell  für  die  Gattin 
bestimmt 

Im  Gegensatz  dazu  Enden  wir  nun  freilich  auch  Stellen, 
in  denen  die  Frauen  herabsetzend  behandelt  werden,  z.  B.  wenn 
es  heisst:  Das  Weib  ist  die  Unwahrheit!1  oder:  Das  Weib  ist 
das  Verderben!*  oder:  Drei  Dinge  sind  der  Göttin  des  Ver- 
derbens (Nirrti)  geweiht  (und  darum  selbst  Verderben  bringend), 
die  Würfel,  die  Weiber,  der  Schlaf  1 3 

Dass  die  Frau  dem  Manne  gegenüber  doch  weit  weniger 
geachtet  wird,  geht  schon  aus  der  Bestimmung  hervor,  dass 
nur  der  Mann  zur  Erbfolge  berechtigt  ist,  die  Frau  dagegen 
nicht*  Noch  mehr  aber  aus  der  Angabe,  man  könne  weibliche 
Kinder  aussetzen,  männliche  dagegen  nicht;  denn,  so  lautet  die 
Begründung,  Weiber  sind  überschüssig.6    Es  ist  dies  übrigens 


Gegners]  Kriegerthum  tödten,  seines  eigenen  Sitzes  gehe  er  verlustig! 
Dann  möge  er  durch  die  Reihe,  welche  zum  Aranye  anuvaka  gehört, 
den  beim  Feuer  befindlichen  Wagenuntersatz  verstümmeln ;  diese  (Reihe) 
ist  das  Kriegerthum  der  Maruts;  der  beim  Feuer  befindliche  Wagen- 
untersatz  tragt  das  Kriegerthum  des  Kriegers ;  so  tfldtet  er  ihm  Krieger- 
thom  durch  Kriegerthum. " 

1  Mütr.  8.  1,  10,  11. 

■  Mütr.  8.  1,  10*  16. 

•  Mütr.  8.  8,  6,  3. 

*  Maitr.  8.  4,  6,  4.   Vgl.  die  folg.  Anm. 

8  Miitr.  8.  4,  6,  4  a.  E.  yat  sthall^  ricanti,  na  darumayam;  tas- 
mat  puman  dayadab,  stry  adiyad;  atha  yat  sthalim  paräsyanti  na  daru- 
mayam; tasmat  striyam  jatam  paräsyanti,  na  puma^sam;  atha  striya 
evatiricyante.  —  Der  äats  vom  Aussetzen  der  weiblichen  Neugeborenen 
findet  sich  wörtlich  ebenso  im  NJrukta  3,  4;  der  von  der  Erbfolge  ebenda, 
in  geringer  Modifikation. 


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—    160  — 

ein  Brauch,  der  sich,  wie  bekannt,  in  einigen  Gegenden  Indiens 
leider  bis  auf  die  neuere  Zeit  erhalten  hat 

Unordnungen  in  sexueller  Beziehung  werden  keine  Selten- 
heit gewesen  sein;  darauf  lassen  bisweilen  ein  paar  kurze 
Bemerkungen  oder  Bestimmungen  interessante  Streiflichter 
fallen.  Wenn  z.  B.  Jemand  das  grosse  und  heilige  Opfer  der 
Agniciti  oder  Schichtung  des  Feueraltars  ausgeführt  hat,  dann 
ist  er  damit  iu  ein  höheres  Stadium  der  Heiligkeit  getreten, 
ist  —  wie  sich  die  Texte  ausdrücken  —  gleichsam  selbst  zu 
einer  Opfergabe  geworden.  Ihm  wird  nun  als  besondere  Be- 
stimmung das  Verbot  auferlegt,  nicht  die  Frau  eines  An- 
deren zu  besuchen.1  Thut  er  es  dennoch,  so  muss  er  sich 
durch  eine  bestimmte  Opfergabe  an  Mitra  und  Varuna  reinigen.3 
Solch  unerlaubter  Verkehr  muss  also  doch  wohl  ziemlich  an  der 
Tagesordnung  gewesen  sein. 

Anderes  derart  will  ich  lieber  übergehen,  muss  aber  doch 
einer  höchst  seltsamen  Ceremonie  Erwähnung  thun,  die  in  den 
Yajurveden  Torkommt  und  einen  integrir enden  Theil  der  so- 
genannten Mahävrata-Feier  bildet  Sie  ist  culturhistorisch  zu 
merkwürdig,  als  dass  ich  sie  übergehen  dürfte.  Dieselbe  be- 
steht darin,  dass  ein  Brahmanenschüler  und  ein  öffentliches 
Mädchen  (pumccali),  letztere  ausserhalb  der  Vedi  stehend,  sich 
gegenseitig  hart  schmähen  und  dann  innerhalb  der  Vedi  in 
einem  verhüllten  Schuppen  sich  sexuell  vereinigen.*  Als  Theil 
einer  religiösen  Feier  ist  dies  wohl  eine  der  sonderbarsten 
und  anstössigsten  Ceremonieen.  Uebrigens  wird  dieselbe  später 
als  „alt,  abgekommen  und  nicht  zu  vollziehen"  bezeichnet4 

Die  an  die  Brahmana's  sich  anschliessenden  Sütra-Werke 
geben  recht  leichte  Bussen  für  sexuelle  Vergehungen  an,  die 
also  wohl  häufig  vorkamen.  Buddha  eifert  gegen  das  zügellose 
weltliche  Leben  der  Brahmanen,  während  die  späteren  Gesetz- 
bücher, wie  z.  B.  Manu,  strenge  Vorschriften  zum  Schutz  der 
geheiligten  Ordnung  aufstellen.  Es  ist  nicht  unmöglich,  dass 
gerade  das  Auftreten  des  Buddhismus  wesentlich  jene  schärfere 
Zucht  hervorgerufen  habe,  wie  sie  sich  in  den  späteren  Gesetz- 
büchern darstellt,  ähnlich  wie  bei  uns  der  Katholicismus 
durch  unsere  eigene  Reformation  regenerirt  und  neubelebt 
wurde.5 


1  i  c.  upa,  Bezeichnung  der  sexuellen  Vereinigung. 
»  8.  MAitr.  8.  8,  4,  7. 

•  KAth.  84,  6;  TAitt.  8.  7,  5,  9,  4.  Vgl.  Weber,  Ind.  Stud.  X,  p.  12& 

*  CAfikh.  17,  6,  2. 

5  S.  Weber,  Ind.  Studien  X,  p.  104;  Ind.  Skizzen,  p.  56. 


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161  - 


Materielle  Vortheile  der  Priester  vom  Opfer. 

Bei  'den  Opfern  des  Yajurveda  spielt  die  Dakshina  oder 
der  Opferlohn,  den  der  Priester  zu  erhalten  hat,  eine  wichtige 
Rolle.  Verlangten  doch  selbst  die  Götter  in  den  früher  von 
mir  angeführten  Legenden  in  der  Regel  eine  Belohuung,  ehe 
sie  den  Ihrigen  Hülfe  versprachen,  und  auch  das  Verhältniss 
zwischen  Menschen  und  Göttern  beruht  auf  dem  gegenseitigen 
Vortheil;  opfert  der  Mensch,  so  beansprucht  er  auch  von  den 
Göttern,  dass  sie  nicht  passiv  bleiben.  Dies  charakterisirt 
treffend  folgender  Vers:  „Spende  mir,  ich  spende  dir!  Schenke 
mir,  ich  habe  dir  geschenkt!  Bring  gleichsam  als  Entgelt 
herbei!  Wer  möchte  wohl  Einem  spenden,  der  selbst 
nicht  spendet?"1  So  ist  es  denn  natürlich,  dass  auch  der 
Priester  seinen  Lohn  beansprucht 

Die  Dakshina  besteht  in  der  Regol  aus  Rindern,  Geld  oder 
Kleidern.  Je  nach  den  verschiedenen  Opfern  werden  allerlei 
Unterschiede  gemacht,  z.  B.  in  Bezug  auf  Lebensalter  und 
sonstige  Eigenschaf  ton  der  betreffenden  Thiere;  im  Ganzen  aber 
finden  wir  da  ziemliche  Einförmigkeit.  So  fungiren  z.  B.  bei 
verschiedenen  Anlässen  als  Dakshina:  Eine  Kuh,  die  weder 
trächtig  ist,  noch  ein  Kalb  nährt  (vac,a);  eine  Milchkuh 
(dhenufr);  eine  Stute;  eine  milchende  Stute;  eine  gesprenkelte 
Milchkuh;  ein  bestimmtes  Ross;  hundert  dergleichen  Rosse;  ein 
beliebiger  Wunsch;  ein  kleiner  Stier;  ein  Stier  (der  den  Karren 
zieht);  saure  Milch  und  ein  Linnengewand;  ein  erstgeborenes 
Kalb;  ein  bestimmter  Pflug;  ein  lastziehender  Pflugstier;  eine 
lastziehende  Milchkuh;  ein  mit  Fünfen  bespannter  Wagen;  eine 
zuchtfähige  Kuh  zwei  Stiere;  ein  Gewand;  Goldschmuck; 
Gold.  —  Die  Zahlung  hält  sich  hier  in  ganz  massigen  Grenzen, 
ja  sie  macht  bisweilen  sogar  einen  recht  bescheidenen  Ein- 
druck, z.  B.  wenn  als  Dakshina  beim  Punarädheyam ,  der 
Wiederanlegung  des  Feuers,2  vorgeschrieben  wird:  ein  geflicktes 
Kleid,  ein  renovirter  Wagen,  ein  ausgemerzter  Stier.  Doch 
mochten  die  Kosten  bisweilen  auch  recht  bedoutende  sein,  ins- 
besondere bei  Opfern,  wo  viele  Priester  bethoiligt  waren.  Da 
wird  z.  B.s  vorgeschrieben:  Ein  Goldschmuck  für  den  Hotar, 
ein  Kranzgewinde  für  den  Udgatar,  Würfel  für  den  Adhvaryu, 
ein  Ross  für  den  Prastotar,  eine  Milchkuh  für  den  Pratihartar, 


1  Maitr.  S.  1,  10.  2;  Takt.  S.  1,  8,  4,  1;  VS  8,  50. 
«  Maitr.  S.  1,  7,  2. 
•  Maitr.  S.  4,  4,  8. 

t.  Schröder,  Indien«  Lit.  u.  Cult.  11 


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eine  unfruchtbare  Kuh  für  den  Mäiträvaruna,  ein  Stier  für 
den  Bramanäcchainsin,  ein  Gewand  für  den  Potar,  ein  Laststier 
für  den  Ne9htar,  eine  Kuh  desgleichen  für  den  Agüidh,  ein 
einspänuiger  Wagen  mit  Gerste  für  den  Achaväka  —  zusammen 
schon  eine  beträchtliche  Summe.  Für  die  Dakshina  wird  nun 
aber  auch  dem  Opferer  viel  Schönes  in  Aussicht  gestellt. 
Z.  B.  wenn  Einer  Gold  spendet,  so  wird  ihm  Lebenskraft  und 
Männlichkeit  verhiessen;  schenkt  er  drei  Milchkühe,  so  sollen 
ihm  alle  drei  Welten  zu  Milchkühen  werden;  spendet  er  den 
Gelehrten  aus  altheiligem  Geschlecht»  so  gedeiht  er  dadurch  in 
der  Götterwelt.  Es  heisst1:  „Wenn  die  Dakshina's  gespendet 
werden,  dadurch  kommt  man  in  die  Himmelswelt."1 

Nach  der  Auffassung  des  Qatapatha  Brihmana  steigt  das 
Opfer  zum  Himmel,  die  Dakshina  hinter  ihm  drein,  und  der 
Opferer  mit  dieser,  indem  er  sich  an  ihr  festhält 

Es  ist  charakteristisch,  dass  an  einer  Stelle,  wo  die  ver- 
schiedenen Sühnungen  für  Verstösse  beim  Opfer  aufgeführt 
werden,  bei  Weitem  die  schwerste  Pön  für  ein  Opfer  ohne 
Dakshina  zu  zahlen  ist.8 

Späterhin,  in  den  Brahmana's  und  Sütra's,  werden  die 
Ansprüche  der  Brahmanen  beträchtlich  höhere,  ja  sie  gehen 
bisweilen  ins  Maasslose.  Um  so  erfreulicher  mag  es  für  uns 
sein,  zu  constatiren,  dass  die  Brahmanen  im  Yajurveda,  wenn 
sie  auch  ganz  gut  für  sich  zu  sorgen  verstanden,  sich  in  dieser 
Hinsicht  doch  noch  in  massigen  Grenzen  halten,  wie  wir  ja 
auch  bei  der  ständischen  Scheidung  noch  ein  humanes  Maass 
eingehalten  sahen. 


1  Maitr.  8.  4,  8,  3. 

8  Sehr  unzweideutig  heisst  es  auch  später  in  dem  Gesetzbuch  des 
Mann  [7,  84]:  „Das  beste  von  allen  Opfern  ist  das,  was  man  in  des 
Priesters  Mund  opfert;  es  fallt  nicht  vorbei,  schrumpft  nicht  ein  und 
geht  auch  nimmer  verloren"  (s.  Böhtlingk,  Ind.  Sprüche  4366). 

•  In  sehr  naiver  Weise  findet  sich  an  einer  Stelle  der  Maitr.  8. 
(1,  4,  5)  die  Gesinnung  der  Priester  ausgesprochen,  denen  das  Opfer  in 
erster  Linie  als  Quell  materieller  Vortheile  galt.  Es  heisst  dort:  „Fol- 
genden Ausspruch  hat  Kapivana  Bhauvayana  gethan:  Wozu  opfert  wohl 
Derjenige  mit  dem  Opfer,  der  das  Opfer  nicht  wie  eine  Kuh  melkt?  Ja, 
es  lasst  sich  noch  besser  melken  als  eine  Kuh!"  (sudohatsro  hi  gor  itl) 


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Zwölfte  Vorlesung:. 

o 


Das  Entstehungsland  des  Yajurveda  and  der  specifisch  brah  manischen 
Cultnr.  Madhyade?a.  Das  Land  der  Koru-Pancala.  Kurukshe  tra.  Be- 
deotung  dieses  Landes  im  Epos  und  im  Gesetzbuch  des  Manu.  Die 
östlichen  Lander.  Der  Bamaveda.  Der  Atharvaveda.  Beispiele  der 
Besprechungen  und  Beschwörungen  des  Atbarvaveda.  Uralte  Sprüche, 
die  sich  im  Atharvaveda  erhalten  haben. 


Bevor  wir  von  der  Periode  des  Yajurveda  endgültig  Ab- 
schied nehmen,  werden  wir  gut  daran  thun,  uns  geographisch 
ein  wenig  zu  orientiren,  um  zu  sehen,  welche  Gebiete  Indiens 
als  das  Entstehungsland  der  in  Rede  stehenden  culturhistori- 
ßchen  Umwandlungen  anzusehen  sind. 

Zunächst  ist  es  klar,  dass  uns  die  geographischen  Data 
sowohl  in  den  Yajurveden  als  in  den  daran  sich  schli essenden 
Brahmana's  nach  Madhyadeca,  dem  heiligsten  Theile  von  Hin- 
dostan,  führen.  Madhyadeca  oder  das  „Land  der  Mitte"  ist  das 
Gebiet,  welches  sich  vom  Himalaya  im  Norden  bis  zum  Vindhya 
im  Süden,  von  Vinacana  im  Westen  (<L  i.  von  der  Gegend,  wo  die 
Sarasvati  sich  im  Sande  der  Wüste  verliert)  bis  zum  Zusammen- 
fluss  von  Ganga  und  Yamunä  im  Osten  (dem  sogenannten 
Prayaga)  erstreckt  Jn  diesem  Tieflande  —  sagt  Lassen1  von 
Madhyadeca  —  ist  die  indische  Cultur  ganz  eigentlich  zu 
Hause,  hier  hatte  sie  sich  am  frühesten,  folgereichsten  und 
vollständigsten  entwickelt;  ein  alter  Hauptsitz  der  Herrschaft, 
des  Unterrichtes  und  der  religiösen  Verehrung,  des  gesetzlichen 
und  verfeinerten  Lebens,  der  Kunst,  des  Gewerbfleisses  und  des 
Handels  reihte  sich  an  den  andern." 

Aber  innerhalb  dieses  Gebietes  noch  weit  specieller  be- 
grenzt ist  das  Land,  welches  wir  als  die  Heimath  des  Yajur- 
veda und  der  ganzen  im  Zusammenhang  damit  stehenden  Cultur- 
entwickelung  betrachten  müssen.  Uebereinstimmend  weisen  uns 

1  Indische  Alterthumskunde,  2.  Aufl.,  Bd.  I  p.  152. 

11* 


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164  — 


alle  Yajurveden  auf  das  Land  der  Kuru  und  Paücala,  welche 
Volksstämme  auch  häufig  collectiv  in  dem  Compositum  Kuru- 
paöcalah  zusammengefasst  werden,  d.  L  auf  den  westlichen  Theil 
von  Madhyadeca.  Insbesondere  gilt  Kurukshetra,  das  Kuruland, 
in  den  Yajurveden  sowie  in  den  daran  sich  schliessenden  Brah- 
mana's  als  das  eigentlich  heilige  Land.  Kurukshetra  liegt 
zwischen  Sarasvati  und  Drishadvati,  zwei  kleineren  Strömen 
der  im  Westen  von  Ganges  und  Yamunä  gelegenen  Ebene,  und 
erstreckt  sich  von  da  noch  weiter  in  südöstlicher  Richtung, 
zur  Yamunä  hin.  Von  diesem  Lande  wird  in  den  Yajurveden 
wiederholt  berichtet,  dass  die  Götter  dort  ihr  Opfer  feierten; 1 
und  auch  das  (Jatapathabrahmana  noch  sagt:  „In  Kurukshetra 
führen  die  Götter  ilir  Opfer  aus;8  Kurukshetra  ist  der  Götter 
Opferplatz.** 3  Daran  schliesst  sich  dann  weiter,  in  der  Richtung 
von  Nordwesten  nach  Südosten  zwischen  Gangä  und  Yamunä 
sich  hinziehend,  das  Gebiet  der  Paflcala,  welche  mit  den  Kuru 
in  engster  Verbindung  erscheinen.  Auch  die  Stadt  Kämpila, 
welche  die  Yajurveden  erwähnen,  hat  schon  Weber,  wohl  mit 
Recht,  mit  Kämpüya  identificirt,  welches  im  Mahäbhärata  und 
Rämäyana  genannt  wird  und  im  Gebiet  der  Paflcala,  im  süd- 
lichen Madhyadeca  liegt 

Wir  werden  nicht  daran  zweifeln  können,  dass  der  Yajur- 
veda  in  diesem  Lande  der  Kuru  und  Pancäla  entstanden  und 
ausgebildet  ist4  und  dass  insbesondere  Kurukshetra  als  seine 
engere  Heimath  zu  betrachten  ist.  Später  hat  sich  der  Yajur- 
veda  in  mehrere  Schulen  gespalten,  die  sich  im  Laufe  der  Zeit 
über  verschiedene  Gegenden  Indiens  ausgebreitet  haben.  Kuru- 
kshetra aber  ist  als  das  Geburtsland  der  specifisch  brahmanischen 
Cultur  zu  betrachten,  die  in  und  mit  dem  Opferwesen  sich  auf- 
baut; von  dort  aus  wurde  auch  das  übrige  Indien  allmählich 
brahmanisirt  In  späteren  Jahrhunderten  finden  wir  die  Schulen 


* 

1  Z.  B.  Maitr.  S.  2,  1,  4;  4,  5.  9  a.  A. 

*  Cat.  Br.  4,  1,  5,  13. 
3  Cat.  Br.  14,  1,  1,  2. 

*  Janamejaya,  König  der  Kuru,  spielt  in  den  Brahmana's  eine 
glanzende  Rolle,  während  sich  im  Atharvaveda  (20,  127,  7)  ein  Preislied 
auf  seinen  Vater  Parikshit  findet.  —  Wie  Parikshit  und  Janamejaya 
unter  den  Königen,  so  steht  Aruni  nnter  den  Opferkundigen,  deren  die 
Yajurveden  und  die  Brahmana's  gedenken,  obenan.  Ja,  Oldenberg  ver- 
muthet  wohl  mit  Recht,  „dass  bei  Aruni  und  in  den  Kreisen,  die  ihn 
umgaben,  das  wichstigste  Centrum  für  die  Bildung  und  Fortpflanzung 
der  Brahmana-Doctrinen  gesucht  werden  muss."  (Oldenberg,  Buddha, 
p.  404).  Dieser  Aruni  aber  war  ein  Kaurupancala  (s.  fat.  Br.  11, 
4,  1.  2). 


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* —    165  — 


des  Yajurveda  derartig  vertheilt,  dass  die  Katha's  und  Ka- 
pishtbala's  die  westlichen  Gebiete,  Kaschmir  und  das  Penjab 
occupirt  habeir;  die  Maitrayaniya's,  welche  in  älterer  Zeit  den 
Namen  der  Kaläpa's  trugen,  in  Gujerat,  insbesondere  nördlich 
Ton  der  Narmada  wohnen,  während  die  Täittiriya's  den  Süden  In- 
diens einnehmen,  die  Anhänger  des  weissen  Yajurveda  dagegen 
die  nord- östlichen  Distrikte.  Der  alte  Grammatiker  Patafljali 
nennt  uns  noch  die  Katha's  und  Käi&pa's  (d.  i.  Maitrayaniya's) 
als  die  allbekannten  Schulen  des  Yajurveda,  deren  Bücher  in 
jedem  Dorfe  verkündigt  würden;1  und  im  Epos  werden  sie  ge- 
nannt als  die,  welche  auch  in  Ayodhyä  in  hohen  Ehren  standen.1 
Später  aber  haben  die  jüngeren  Schulen  der  Taittiriya's  und 
Väjasaneyin's  sie  fast  ganz  verdrängt;  die  Katha's  finden  sich 
heute  nur  noch  in  Kaschmir,  die  Kapishthala's  sind  ganz  ver- 
schwunden, und  von  den  Maitrayaniya's  giebt  es  nur  noch  einige 
Reste  im  Gebiete  der  Narmada  (Nerbudda).3 

Doch  kehren  wir  zum  Stammland  des  Yajurveda  zurück. 

Das  Gebiet  der  Kuru-Paficala  ist  uns  auch  darum  noch 
Ton  besonderer  Wichtigkeit,  weil  es  das  klassische  Land  des 
indischen  Epos  ist  Besteht  doch  der  Kern  des  Mahäbharata, 
wie  wir  später  sehen  werden,  gerade  in  dem  Kampfe  der  Pafi- 
cala  und  Matsya  gegen  die  Kuru.4 

Dass  der  Schauplatz  jener  hochberühmten  Kämpfe,  welche 
das  Mahabharata  schildert,  gerade  in  jenen  Gegenden  liegt,  wo 
nach  unserer  Darlegung  die  specifisch  brahmanische  Cultur  mit 
ihrer  hierarchischen  Tendenz  entsprungen  ist  und  ihren  Aus- 
gang nimmt,  stimmt  aufs  Schönste  mit  der  Ansicht,  welche  von 
bedeutenden  Kennern  schon  früh  geäussert  worden  ist,  dass 
uns  das  alte  Epos  Erinnerungen  an  jene  Streitigkeiten  auf- 
bewahrt, die  die  allmählich  aufwachsende  Hierarchie  mit  ihren 
neuen  staatlichen  und  socialen  Ansprüchen  und  Tendenzen  noth- 
wendig  hervorrufen  musste.  Als  berühmte  Residenzen  treten 
uns  in  jener  späteren  epischen  Zeit  in  diesen  Landstrichen 
Hastinapura  am  oberen  Ganges,  Indraprastha 6  an  der  Yamuna, 
und  darnach  KaucAmbl,  nicht  weit  von  der  Vereinigung  des 


1  gräme  grame  kalapakaro  käthakam  ca  procyate.  Vgl.  Weber, 
Ind.  Stud.  XIII,  p.  440,  Desgleichen  meine  Einleitung  zur  Maitrayanl 
SamhiüL,  Th.  I,  p.  X. 

*  RaraAy.  2,  32,  18.  19.  Schtegel. 

1  Man  vgl.  für  diese  geographische  Frage  meine  Einleitung  zum 
ersten  Buche  der  Maitrayanl  Sarahita,  p.  XIX— XXYIII. 

4  resp.  die  Bharata. 

5  Es  ist  dies  das  nachherige  Delhi. 


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—   166  — 


Ganges  und  der  Yamuna  entgegen.  Den  Kuru-Paflcala  benach- 
barte indisch -arische  Volksstämme  «ind  die  Matsya  und  die 
Qürasena,  südlich  von  der  Yamuna,  mit  den  Städten  Mathura 
und  Krishnapura. 

Es  ist  Ton  hohem  Interesse,  dass  auch  das  berühmte  so- 
genannte Gesetzbuch  des  Manu1  ab  das  Land  der  Brahmarshi 
oder  Brahma-Weisen  gerade  Kurukshetra  und  das  Gebiet  der 
Matsya,  der  Paflcala  und  Qürasena  angiebt,  also  das  Duab  des 
Ganges  und  der  Yamuna.  Hier  soll  es  die  tapfersten  Kshatriya 
und  die  heiligsten  Priester  geben.  Die  Gebräuche  und  Sitten 
dieser  Gebiete  gelten  für  die  maassgebenden.  Voi*  einem  im 
Lande  der  Brahmarshi  geborenen  Brahmanon  sollen  alle  Xrya 
den  rechten  Wandel  lernen;  dort  sollten  alle  Arya  eigentlich 
wohnen.8 

Noch  8pecieller  aber  nennt  das  Gesetzbuch  den  westlich- 
sten Theil  dieses  Gebietes,  das  Land  zwischen  Sarasvatl  und 
Drishadvati  das  Brahmävarta  oder  das  eigentliche  Brahma- 
Land.3  Diese  Darstellung  dee  um  viele  Jahrhunderte  jüngeren 
-  Manava-Dharmagastra*  stimmt  ja  genau  zu  dem  Bilde,  das 
wir  aus  den  Yajurveden  selbst  gewonnen  haben.  Hier  muss 
die  priesterliche  Beform  der  Religion  und  des  Staatswesens 
ihren  Ursprung  haben,  und  vielleicht  waren  es  die  Fürsten  aus 
der  Dynastie  der  Päncju,  die  Herrscher  von  Käuc&mbi,  welche 
jene  Neuerungen  mit  besonderem  Eifer  und  Erfolg  unterstützten,5 
und  die  dafür  als  Dank  ihre  Verherrlichung  in  dem  gewaltigen 
Epos  erhielten,  welches  als  ein  Werk  priesterlicher  Dichter 
gelton  muss. 

Hier  mag  auch  die  Bemerkung  Platz  finden,  dass  wir 
nach  der  sehr  wahrscheinlichen  Vermuthung  einiger  Forscher 
in  jenen  Kuru's  wohl  das  schon  aus  dem  Rigveda  her  bekannte 
Volk  der  Bharata,  oder  doch  einen  Theil  desselben,  zu  er- 
kennen haben,6  daher  denn  auch  das  Epos  den  Namen 
Mahabharata  trägt,  d.  i.  das  grosse  Lied  von  den  Bharatiden. 


1  8.  Manu  2,  19;  7,  193. 

*  8.  Mann  2,  18.  20.  Man  vgl.  auch  Duneker,  Geschichte  des 
Alterthums,  Bd.  m,  4.  Aufl.,  p.  112;  desgl.  Oldenberg,  Buddha,  p.  9 
und  10. 

■  S.  Manu  2,  17. 

4  Dies  der  indische  Titel  des  bei  uns  meist  „Gesetzbuch  des  Manu" 
genannten  Werkes;  richtiger  wäre  es  zu  übersetzen  „Gesetzbuch  der 
Mäna?a",  d.  i.  derjenigen  Unterabtheilung  der  Maitrayanlya'i,  welche 
den  Namen  der  Manava  trug.   8.  oben  p.  111  Anm. 

*  8.  Duneker,  a.  a.  0.  p.  112. 

*  Vgl.  dazu  Oldenberg,  Buddha,  p.  416.  417. 


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-    167  — 

Wir  müssen  nun  neben  den  vorhin  erwähnten  Völkern, 
welche  den  eigentlichen  Stamm  der  brahmanischen  Cultnr  re- 
prasentiren,  noch  einige  andere  nennen,  die  für  die  folgende 
Periode  von  hervorragender  Wichtigkeit  sind. 

Es  sind  dies  die  weiter  nach  Osten  vorgeschobenen  Stämme 
der  Inder.  Zunächst  die  Ko$ala,  die  nordöstlich  vom  Ganges 
aasen  und  deren  Hauptstadt  das  später  sehr  berühmte  AyodhyÄ 
war,  welches  wir  noch  heute  als  Oudo  kennen.  Noch  weiter 
östlich  finden  wir  die  Videha  mit  der  Hauptstadt  Mithila. 
Am  unteren  Laufe  des  Ganges,  nach  dessen  Vereinigung  mit 
der  Yamuna  residirten  die  Könige  der  Kaci  in  der  Stadt  Kaci 
oder  Varanasi,  dem  heutigen  Benares;  und  davon  wieder  weiter 
im  Osten  finden  wir  den  Stamm  der  Anga  mit  der  Hauptstadt 
C&mpa.  Endlich  im  Süden  vom  unteren  Laufe  des  Ganges  lag 
dis  Reich  der  Magadha  mit  der  Hauptstadt  Rajagriha.  Von 
diesen  östlichen  Provinzen,  die  erst  später  der  brahmanischen 
Gihur  gewonnen  wurden,  sollte  in  der  Folge  die  neue  Lehre 
üiren  Ausgang  nehmen,  die  dem  Brahmaismus  lange  erfolgreich 
die  Wage  gehalten  hat,  die  Lehre  des  Buddha,  und  Magadha 
speciell  ist  das  Stammland  des  Buddhismus,  der  sich  sewisser- 
msssen  als  die  Antwort  der  freier  entwickelten  Völker  des 
Ostens  auf  die  von  Westen,  vom  K  um- Lande  aus  sich  ver- 
breitende brahmanisch-hierarchischc  Strömung  bezeichnen  lässt. 

Der  Samaveda. 

Von  den  vier  Veden  sind  uns  noch  zwei  zur  Besprechung 
übrig  geblieben,  —  der  Samaveda  und  der  Atharvaveda. 

Der  Samaveda,  welcher  gewöhnlich  im  engeren  Anschluss 
tu  den  Rigveda  besprochen  wird,  hat  mit  dem  Yajurveda  dies 
$snein,  dass  sie  beide  ganz  speciell  für  das  Ritual,  den  Cultus 
vvfettt  sind,  und  nicht  etwa,  wie  der  Kigveda,  Partieen  ent- 
halten, die  mit  dem  Cultus  nichts  zu  schaffen  haben.  Ich  be- 
spreche ihn  nach  dem  Yajurveda,  weil  er  diesem  an  cultur- 
historischer  Wichtigkeit  unendlich  nachsteht  und  dazu  ganz 
unselbständig  ist  Hinsichtlich  der  Entstehungszeit  dürften  sie 
ziemlich  auf  gleicher  Stufe  stehen. 

Ski n an  heisst  Gesang,  und  der  Samaveda  ist  eine  Samm- 
lung von  Versen,  welche  beim  Sorna- Opfer  gesungen  werden, 
un  Gegensatz  zu  denjenigen,  welche  recitirt,  gesprochen  oder 
geflüstert  werden.  Der  Samaveda  ist  also  ein  Gesangbuch, 
specieU  bestimmt  für  denjenigen  Priester,  welcher  Udgatar  heisst 
and  die  Function  hat,  jene  Verse  zu  singen. 


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—    168  — 


Die  in  dem  Samaveda  enthaltenen  Verse  sind  fast  alle 
dem  Rigveda  entnommen;  man  zählt  deren  in  zwei  Büchern 
im  Ganzen  1549,  von  welchen  sich  nur  78  nicht  im  rjigveda 
nachweisen  lassen;  doch  entstammen  wahrscheinlich  auch  diese 
einer  Recension  des  Rigveda,  die  uns  nicht  erhalten  ist.  Die 
meisten  Verse  des  Sämaveda  sind  aus  dem  achten  und  neunten 
Mandala  des  Rigveda  genommen.  Diese  an  einander  gereihten 
Verse  haben  keinen  Zusammenhang;  ein  jeder  steht  für  sich 
da  und  hat  seine  Bedeutung  nur  in  dem  Zusammenhang  und 
an  der  Stelle  des  Rituals,  an  welchor  er  eingefügt  wird.  Es 
sind  da  Verse  an  Agni  und  Sorna,  und  vor  Allem  an  Indra,  den 
Soma-Trinker,  gerichtet. 

Die  sogenannte  Samhitä  des  SAmaveda  führt  die  Verse  in 
der  Form  auf,  wie  sie  gesprochen  werden,  also  wie  im  Rigveda, 
nur  mit  einem  anderen  Accentuationssystem  versehen.  Daneben 
aber  haben  wir  noch  mehrere  Gana's  oder  Gesangbücher,  die 
die  Verse  in  der  Gestalt,  wie  sie  eigentlich  beim  Gesänge  er- 
scheinen, vorführen,  d.  h.  mit  besonderen  Sylbendehnungen, 
Wiederholungen  von  verschiedenen  Sylben  und  Einschiebungen 
anderer,  wie  dies  für  den  gesanglichen  Vortrag  passend  erachtet 
wurde.  So  das  Gramageyaganam,  zum  Gesang  in  den  Grama's 
oder  Ortschaften  bestimmt,  und  das  Aranyaganam,  für  den  Ge- 
sang im  Walde  bestimmt.1 

Inhaltlich  sind  die  Saman- Verse  fast  durchgängig  höchst  un- 
bedeutend. Es  sind  die  monotonen  Gedanken  und  Anrufungen,  die 
sich  im  Kreise  der  Sorna-Bereitung  und  des  Soina-Trunkes  bewegen. 

Albrecht  Weber  sprach  sich  in  seiner  Indischen  Lite- 
raturgeschichte2  dahin  aus,  dass  die  zahlreichen  Varianten  in 
den  Versen  des  Samaveda  gegenüber  denen  des  Rigveda 
manches  Alterthümliche  enthielten  und  dass  daher,  diese  Verse 
den  Liedern  zu  einer  Zeit  entlehnt  sein  möchten,  als  dieselben 
noch  nicht  zu  der  gegenwärtig  vorliegenden  IJigveda^Samhita 
vereinigt  waren.  Diesen  Eindruck  habe  ich  meinerseits  von 
diesem  Verhältniss  keineswegs  gewonnen ,  stimme  vielmehr 
Theodor  Aufrecht  bei,  der  diesen  Varianten  so  gut  wie  gar 
keinen  Werth  beimisst  (in  der  Einleitung  zu  den  „Hymnen  des 
ljigveda",  II.  Aufl.,  2.  Th.,  p.  XLI).  Sie  tragen  durchaus  den 
Charakter  von  willkürlichen  Aenderungen  und  Umgestaltungen, 
wie  sie  bei  Verfassern  von  Gesangbüchern  nicht  selten  sind.3 

1  S.  Weber,  Ind.  Literaturgeschichte,  2.  Aufl.,  p.  (>9. 
4  ±  Aufl.  p.  10. 

3  Um  nur  ein  frappantes  Beispiel  der  Aenderung  ad  hoc  anzuführen, 
yerweise  ich  auf  SV  10,  340,  wo  der  sehnsüchtige  Vers  der  nach  Yama 


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—    169  - 


Sehr  lehrreich  ist  in  dieser  Hinsicht  eine  Znsammen- 
stellung von  P.  Gerhardts  schönem  Liede  „Nun  ruhen  alle 
Wälder**  in  seiner  ursprünglichen  Fassung  mit  einer  anderen 
Version,  wie  sie  sich  in  einem  1775  zu  Budiszin  erschienenen 
Gesangbuch  vorfindet  und  die  uns  Aufrecht1  vorfuhrt.  Ich 
setze  nur  die  ersten  Verse  beispielsweise  her: 


Gerhardt. 

Nun  ruhen  alle  Walder, 

Vieh,  Menschen,  Stadt  und  Felder, 

Es  schlaft  die  ganze  Welt; 

Ihr  aber,  meine  Sinnen, 

Auf,  auf,  ihr  sollt  beginnen, 

Was  eurem  Schöpfer  wohlgeiallt. 

Wo  bist  du,  Sonne,  blieben? 
Die  Nacht  hat  dich  vertrieben, 
Die  Nacht  des  Tages  Feind; 
Fihr  hin!    Ein  ander  Sonne, 
Mein  Jesus,  meine  Wonne, 
Gar  hell  in  meinem  Herzen  scheint. 


Gesangbuch. 

Nun  ruht  schon  in  den  Waldern, 
In  Städten,  auf  den  Feldern 
Ein  Theil  der  müden  Welt; 
Ihr  aber,  meine  Sinnen! 
Sollt  noch  vorher  beginnen, 
Was  eurem  Schöpfer  wohlgefällt. 

Der  Sonne  Licht  und  Glänzen 
Entweicht  von  unsern  Grenzen, 
Und  Dunkelheit  tritt  ein. 
Geh  immer  unter,  Sonne! 
Wenn  Jesus,  mir  zur  Wonne, 
Mich  nur  erfreut  mit  seinem  Schein. 


Und  so  geht  es  nun  fort  durch  das  ganze  Lied,  im  Wesent- 
lichen dasselbe  darbietend,  doch  mit  beständigen  Abweichungen. 
Achnlich  ist  das  Verhältniss  des  Samaveda  zum  Rigveda.  Die 
zahlreichen  Abweichungen,  die  nicht  selten  seicht  oder  gesucht, 
dunkel  und  unverständlich  sind,  tragen  darum  noch  durchaus 
nicht  den  Charakter  von  variantes  doctiores. 

Der  Text  des  Samaveda  wurde  schon  im  Jahre  1842 
herausgegeben  und  in  genauem  Anschluss  an  die  Tradition 
übersetzt  von  dem  Missionar  Stevenson.2  Diese  Ausgabe  ist 
indessen  so  gut  wie  ganz  verdrängt  durch  die  von  Theodor 
Benfey,  welche,  mit  Glossar,  Uebersetzung,u.  A.  versehen,  im 
Jahre  1848  erschien.* 


verlangenden  Yaml  RV  10,  10,  1  ö"  cit  sakhäyam  sakhyä  vavrtyam  (zu 
freundlichem  Thun  möchte  ich  den  Freund  herbeilocken)  sich  vorfindet 
in  der  Aenderung  a  tva  sakhayafr  sakhyä  vavrtyub  (es  möchten  die  Freunde 
dich  zu  freundlichem  Thun  oder  zum  Freundesbund  herboilocken),  damit 
er  passe  anf  die  Sanger,  welche  den  Gott  zum  Opfer  herbeischaffen 
mochten,  welchen  Sinn  wohl  Niemand  in  den  ursprünglichen  Vers  wird 
hineinlegen  wollen. 

1  a.  a.  0.  p.  XXXIX. 

*  Nach  Roth  ist  der  Text  von  Stevenson  höchst  incorrect,  die 
rjebersetznng  gänzlich  unbrauchbar  (s.  Zur  Lit  u.  Gesch.  d.  Veda  p.  2). 

•  Die  Hymnen  des  Säma-Veda,  herausgegeben,  übersetzt  und 
mit  Glossar  versehen  von  Theodor  Benfey,  Leipzig  1848. 


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~    170  — 


Der  Atharvaveda. 

Einen  völlig  anderen  Charakter  trägt  der  Atharvaveda 
oder  Yeda  der  Atharvans  an  sich,  der  uns  in  20  Kardia 's  oder 
Büchern  mit  160  Hymnen,  die  ca.  6000  Verse  enthalten,  vor- 
liegt. Nur  der  bei  weitem  kleinere  Theii  derselben  lasst  sich 
auch  im  Rigveda  nachweisen.1  Der  Atharvaveda  steht  dem 
eigentlichen  Gultus  gerade  fast  ganz  fern*  und  enthält  »vor- 
zugsweise Sprüche,  welche  gegen  verderbliche  Wirkungen  der 
göttlichen  Gewalten,  gegen  Krankheiten  und  schädliche  Thiere 
schützen  sollen,  Verwünschungen  der  Feinde,  Anrufungen  heil- 
samer Kräuter  nebst  Sprüchen  für  allerlei  Vorkommnisse  des 
gewöhnlichen  Lebens,  Bitten  um  Schutz  auf  Reisen,  Glück  im 
Spiele  und  ähnliche  Dinge." 9  Am  meisten  erinnert  der  Inhalt 
des  Atharvaveda  an  die  auch  im  deutschen  Volke  zahlreich 
verbreiteten  Beschwörungen  oder  sogenannten  „Segen",  die  mit 
Vorliebe  mit  heiligen  Dingen,  Personen  und  Begriffen  operirend, 
nicht  selten  dem  Gebete  sich  nähernd,  dennoch  nicht  zum 
Gottesdienst  gerechnet  werden  können,  sondern  jenen  Charakter 
nur  um  der  grösseren  Wirksamkeit  willen  annehmen.  Es 
macht  durchaus  den  Eiudruck,  dass  der  Atharvaveda  mehr 
dem  eigentlichen  Volke,  als  den  Priestergeschlechtern  seinen 
Ursprung  verdankt  und  dass  in  ihm  die  beim  Volke  beliebtesten 
und  gangbarsten  Sprüche  und  Beschwörungen  zu  einer  Samm- 
lung vereinigt  sind,  die  sowohl  sprachlich  als  auch  in  anderer 
Hinsicht  jünger  erscheint  als  die  Sammlung  der  Rigveda- 
Lieder,  ohne  dass  ich  dies  deswegen  für  den  ganzen  Schatz 
der  im  Atharvaveda  enthaltenen  Verse  und  Gesänge  behaupten 
will;  Vieles  darin  ist  vielmehr  jedenfalls  uralt4  Für  die  Kunde 
des  indischen. Volksthums  ist  dieser  Veda  weit  interessanter 
als  die  von  uns  vorher  besprochenen  rituellen  Veden.  Der 
ganze  Charakter  des  Atharvaveda  lässt  es  uns  aber  auch 


1  Vgl.  Roth,  Zur  Lit  und  Gesch.  des  Yeda,  p.  5. 

*  Doch  findet  der  Atharvaveda  praktische  Verwendung  bei  gewissen 
hauslichen  Cultushandlnngen ,  bei  der  Geburt,  Hochzeit  und  Bestattung; 
desgleichen  bei  gewissen  Staatsactionen,  wie  der  Königsweihe. 

*  Roth,  Zur  Lit.  u.  Gesch.  d.  Veda,  p.  12. 

*  Weber  sagt  bei  einem  Vergleich  des  l^igveda  und  des  Atharva- 
veda: „Der  Geist  beider  Sammlungen  ist  freilich  ein  ganz  anderer:  im 
$ik  weht  ein  lebendiges  Naturgefuhl,  eine  warme  Liebe  sur  Katar,  im 
Atharvan  dagegen  herrscht  nur  Bcheue  Furcht  vor  deren  bösen  Geistern 
und  ihren  Zauberkräften  ;  dort  stand  das  Volk  eben  noch  in  freier  Selbst- 
thatigkeit  und  Ungebundenbeit  da,  hier  ist  es  in  die  Fesseln  der  Hie- 
rarchie und  des  Aberglaubens  gebannt   Es  sind  übrigens  auch  in  der 


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-    171  — 

wiederum  vollkommen  verständlich  erscheinen,  warum  derselbe 
sich  niemals  ganz  zum  Range  eines  unbestritten  kanonischen 
Veda  hat  aufschwingen  können,  in  der  That  ist  er  sicher 
von  allen  vier  Veden  zuletzt  zur  Anerkennung  gelangt,  und 
auch  späterhin  scheint  seine  Geltung  wiederholt  beanstandet 
worden  zu  sein.1 

Nach  Burneil,  einem  der  gelehrtesten  englischen  Sanskrit- 
Forscher,  der  leider  yor  einigen  Jahren  zu  früh  verstorben  ist, 
wollen  die  Brahmanen  Südindiens  bis  in  die  Gegenwart  noch 
die  Autorität  des  Atharvaveda  nicht  anerkennen.  Seine  spe- 
ciellen  Anhänger  freilich,  deren  es  auch  in  der  Gegenwart  noch 
manche  giebt,*  stellen  ihn  über  alle  anderen  Veden. 

Die  älteste  Bezeichnung  dieses  Veda  ist  Atharvafigirasas, 
i  L  die  Atharvans  und  die  Angiras;  dies  sind  die  Namen  der 
ältesten  Rishi-Geschlechter,  die  uns  sogar  bei  dem  persischen 
Bruderstamm  begegnen,  also  wohl  noch  in  die  indopersische 
Periode  gehören.  Möglich,  dass  hierin  eine  Erinnerung  daran 
liegt,  dass  der  Atharvaveda  manche  uralte  Stücke  enthält; 
wahrscheinlich  ist  es  jedoch,  dass  die  Bezeichnung  gewählt 
wurde,  „um  den  darin  enthaltenen  Verwünschungen  etc.  eine 
desto  grössere  Heiligkeit  und  Autorität  zu  leihen«»  Sie 
werden  auch  mit  dem  alten  Geschlechte  der  Bhrigu  mehrfach 
in  specielle  Verbindung  gesetzt4  Mit  den  alten  Atharvan's, 
wfern  dies  Wort,  wie  wir  früher  gesehen,  ursprünglich  Feuer- 
priester bedeutet,  hat  der  Atharvaveda  nichts  zu  schaffen;  eine 
besondere  Beziehung  zum  Feuercultus  ist  in  demselben  durchaus 
nicht  vorhanden. 

In  den  späteren  Atharvan-Schriften  wird  dieser  Veda  auch 
Brahmaveda  genannt,  was  nacn  der  U eberlief erung  so  viel 
bedeutet  als  »der  Veda  für  den  Brahman",  d.  h.  den  obersten, 
das  ganze  Opfer  leitenden  Priester,  während  von  den  anderen 
Veden  der  Ijligveda  dem  recitirenden  Hotar,  der  Yajurveda 
dem  die  Handlung  besorgenden  Adhvaryu,  der  Samaveda  dem 


Atharra-Samhita  sicher  sehr  alte  Stücke  enthalten,  vielleicht  solche,  die 
mehr  dem  eigentlichen  Volke,  den  niederen  Schichten  desselben,  an- 
gehörten, wahrend  die  Lieder  des  Rik  mehr  den  Geschlechtern  anzu- 
gehören scheinen."  (Ind.  Lit,  2.  Aufl.  p.  11.)  —  Weber  stellt  auch  die 
Yermathung  auf,  dass  die  Lieder  des  Ath&rvaveda  rielieicht  hauptsäch- 
lich ihre  Pflege  den  unbrahmanisch  lebenden  westlichen  Ariern  ver- 
danken.  (S.  a.  a.  0.  p.  85.) 

*  &  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  165  Anm. 

•  Z.  B.  in  Kaschmir  und  Gajerat. 

1  8.  Weber,  Ind.  Lit.,  2.  Aufl.,  p.  164. 
4  8.  Weber,  a.  a.  0.  p.  165. 


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—    172  — 


singenden  Udgätar  gehören,  welche  alle  drei  dem  Brahman 
untergeordnet  sind.  Dieser  Anspruch  ist  aber  „durch  nichts 
motivirt  als  durch  den  geschickt  benutzten  Umstand,  dass 
allerdings  für  den  Brahman  kein  besonderer  Veda  da  ist,  in- 
sofern derselbe  sie  nämlich  alle  drei  kennen  soll."  „Je  schwächer 
nun  diese  Ansprüche  sind,  um  so  heftiger  werden  sie  in  den 
Atharvan-Schriftcn  geltend  gemacht,  und  ist  in  der  That  in 
ihnen  eine  sehr  grosse  Animosität  gegen  die  übrigen  Veda  zu 
bemerken."1  Uebrigens  erklärt  das  Petersburger  Wörter- 
buch, dem  auch  Weber2  beistimmt,  das  Wort  brahmaveda 
trotz  jener  Ueberlieferung  als  „Veda  der  brahmani",  der  Ge- 
bete, d.  h.  hier  prägnant  „der  Zaubersprüche".  Mir  scheint 
das  im  Hinblick  auf  die  eben  besprochene  Tradition  gewagt 
zu  'sein. 

Die  mit  dem  Rigveda  gemeinsamen  Verse  des  Atharvaveda 
finden  sich  hier  oft  in  sehr  abweichender  Gestalt,  resp.  in  be- 
trächtlicher Umänderung.  Nach  Weber8  sind  diese  Varianten 
den  Lesarten  des  Rigveda  meist  gleichberechtigt,  was  wohl  eine 
allzuhohe  Schätzung  sein  dürfte. 

Herausgegeben  ist  der  Text  des  Atharvaveda  von 
R.  Roth  und  W.  D.  Whitney  i.  J.  1856.* 

Einzelne  Partieen  desselben  sind  von  Weber,  Aufrecht, 
Grill  u.  A.  übersetzt;  eine  vollständige  Uebersetzung  steht 
aber  noch  zu  erwarten.  Der  edirte  Text  gehört  der  Schule 
der  £aunaka*s  an.  Es  giebt  aber  noch  eine  andere  Atharvan- 
Schule,  nämlich  die  der  Päippalada's ,  die  insbesondere  in 
Kaschmir  ihren  Sitz  zu  haben  scheint.  Dort  entdeckte  Bühl  er 
auf  seiner  durch  viele  Funde  berühmt  gewordenen  Reise  eine 
werthvolle  alte  Handschrift  des  Atharvaveda  in  der  Paippalada- 
Recension,  auf  Blättern  von  Birkenrinde.5  Leider  ist  sie  sehr 
vielfältig  zerrissen  und  verdorben.  Jedenfalls  enthält  aber 
diese  Rccension  Vieles,  was  in  der  bisher  bekannten  nicht 
vorhanden  ist.  Roth  hat  darüber  berichtet  in  seiner  Schrift 
„der  Atharvaveda  in  Kaschmir**.8 

.Aeusserlich  unterscheiden  sich  die  Manu  Scripte  des  Atharra- 


1  Weber,  Ind.  Lit.,  2.  Aufl.,  p.  166. 

9  A.  a.  0.  Anm. 

a  Ind.  Lit.,  2.  Aufl.,  p.  164. 

*  Atharva  Veda  Sanhita,  herausgegeben  von  R.  Roth  und 
W.  D.  Whitney.   Erster  Band.    Text.    Berlin  1856. 

4  Ein  sogenanntes  Bhürja-Ms.  (bhürja  =  Birke). 

•  Tübingen  1875. 


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—    173  — 


?eda  von  denen  der  übrigen  Veden  durch  einige  Besonderheiten 
in  der  Accentuation. 

Ein  paar  Proben  des  Inhalts  werden  Ihnen  den  Charakter 
dieses  vierten  Veda  noch  deutlicher  machen. 

Eine  grosse  Menge  von  Versen  des  Atharvaveda  dienen 
zur  Besprechung  bestimmter  Krankheiten.  Es  werden  uns 
deren  viele  vorgeführt  und  zum  Theil  in  ihren  Symptomen 
mehr  oder  weniger  deutlich  geschildert,  so  dass  der  Atharva- 
xeda  auch  als  ältestes  Denkmal  der  indischen  Heilkunde  Werth 
bat  Eine  wichtige  Krankheit  z.  B.  ist  der  Yakshma,  von 
welchem  es  verschiedene  Arten  giebt,  unter  denen  z.  B.  Raja- 
yakshma  (der  Königs- Yakshma)  die  Lungenschwindsucht  be- 
deutet. Eine  andere  sehr  gefarchtete  Krankheit  ist  der  Takmau, 
das  in  jenen  Breiten  sehr  gefährliche  Fieber,  u.  dgl.  m. 

Eine  derartige  Besprechung  oder  Beschwörung  von  Krank- 
heiten lautet  z.  B  wie  folgt,  Atharvaveda  9,  8l: 

Kopfschmerz,  Kopfleidon,  Ohrenstechen,  Entzündung  (?),  jede  Kopf- 
krwkheit  bannen  wir  dir  fort  mit  unserm  Spruch  (11 

Aua  deinen  Ohren,  aus  den  Kaükftsha,'  bannen  wir  mit  unserm 
Spruche  fort  das  Ohrenstechen,  das  Reissen,  jede  Kopfkrankheit  (2\ 

Damit  der  Yakshma  weiche  aus  den  Ohren,  aus  dem  Munde,  bannen 
wir  jede  Kopfkrankheit  dir  fort  mit  unserm  Spruch  (3). 

Dessen  fürchterliche  Erscheinung  den  Menscheu  zittern  lasst,  den 
Tornau,  der  in  jedem  Herbste  wiederkehrt,  bannen  wir  fort  mit  unserm 
Sprach  (6). 

Der  in  die  beiden  Schenkel  kriecht  und  in  die  Leisten  eindringt, 
den  Yakshma,  den  bannen  wir  dir  aus  den  Gliedern  fort  mit  unserm 
Spruch  (7). 

Aus  dem  Bauche,  der  Lunge,  dem  Nabel,  dem  Herzen  rief  ich  dir 
&iler  Yakshma- Arten  Gift  heraus  (12). 

Die  stechenden  Schmerzen,  welche  den  Scheitel  auf  dem  Haupte 
»rreissen,  sie  sollen  ohne  zu  verletzen,  ohne  zu  schaden  heraus  laufen  (13). 

Die  das  Herz  stechen,  längs  dem  Brustbein  und  den  Rippen- 
knorpeln  sich  ausdehnen,  sie  sollen  —  etc.  (14). 

Die  die  Seiten  stechen,  längs  den  Rippen  bohren,  sie  sollen  —  (15). 

Die  stechenden  Schmerzen,  welche  querdurch  in  den  Weichen  dich 
quälen,  sie  sollen  —  (16). 

Die  in  die  Gedärme  kriechen  und  die  Eingeweide  in  Unordnung 
bringen,  sie  sollen  —  (17). 

Die  das  Mark  aussaugen  und  die  Gelenke  zerreissen,  sie  Bollen  —  (18). 

Die  die  Glieder  lähmen,  die  Yakshma's,  welche  dir  Leibschmerz 
verursachen,  aller  Yakshma- Arten  Gift  rief  ich  aus  dir  heraus  u.  dgi  um  19 

Und  gegen  das  furchtbare  Fieber,  den  Takinan,  wendet 
sich  die  vorsichtig  mit  unterwürfiger  Verehrung  gemischte  Be- 
schwörung (AV  6,  20): 

1  VgL  auch  Zimmer,  Altind.  Leben,  p.  378. 
a  Wahrscheinlich  bestimmte  Theile  des  Ohres. 


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—    174  - 

Verehrung  sei  dem  Rudra,  Verehrung  dem  Takman,  Verehrung  dem 
ungestümen  König  Varunal  Verehrung  dem  Himmel,  Verehrung  der 
Erde,  Verehrung  den  Kräutern.  (2) 

Du,  der  du  glühend  bist,  alle  Körper  gelblich  machst,  dir  dem 
röthlichen,  dem  braunen,  dem  ans  dem  Waide  stammenden  Takman 
bringe  ich  Verehrung  dar!  (3) 

Und  an  einer  anderen  Stelle  lautet  die  ans  Poetische  streifende 
Beschwörung  (AV  1,  25,  2  u.  3): 

Wenn  du  Feuer  oder  wenn  du  Gluth  bist,  oder  wenn  deine  Geburts- 
statte  glimmend  ist,  Hrü<Ju  mit  Namen  biet  du!  Du  Gott  des  Gelben, 
▼erschone  uns  als  ein  kundiger,  o  Takman!  (2) 

Wenn  du  Flamme  bist  oder  sengende  Gluth v  oder  wenn  dn  König 
Varuna's  Sohn  bist,  Hrudu  mit  Namen  bist  du!  Du  Gott  des  Gelben, 
verschone  uns  als  ein  kundiger,  o  Takman!  (3)  u.  dgl.  m. 

Ferner  AV  5,  22,  2: 

Der  du  Alle  (die  du  erfassest)  gelb  machest,  sie  in  Flammen  setsend 
wie  flackerndes  Feuer,  mögest  du  kraftlos  werden,  o  Takman;  herab  oder 
herunter  geh  hinweg! 

Auch  AV  7,  116,  2: 

Verehrung  dem  hitzigen,  erschütternden,  aufregenden,  ungestümen, 
Verehrung  dem  kalten,  nach  altem  Triebe  thatigen.*  (1) 

Der  an  jedem  folgenden  Tage,  an  awei  aufeinander  folgenden  Tagen 
sich  einstellt,  auf  diesen  Frosch  soll  er  übergehen,  der  verruchte  u.  dgl.  m. 

■> 

Der  Husten  wird  beschworen  (AV  6,  105): 

Wie  der  Geist  mit  den  Vorstellungen  eilends  hinweg  fliegt,  so  sollst 
dn,  Husten,  wegfliegen  mit  des  Geistes  Flug!  (1) 

Wie  der  gut  geschärfte  Pfeil  eilends  hinweg  fliegt,  so  fliege  du, 
Husten,  weg  über  der  Erde  Strich!  (2) 

Wie  der  Sonne  Strahlen  eilends  weg  fliegen,  bo  flie&e  dn,  o  Husten, 
weg  über  des  Meeres  Abfluss!  (3) 

Und  so  werden  noch  eine  ganze  Menge  von  Krankheiten 
und  Gebrechen  besprochen,  Aussatz,  Herzkrankheit,  Augen- 
leiden, Wahnsinn,  Würmer,  Unfruchtbarkeit  der  Frauen,  Im- 
potenz u.  dgl.  m. 

Feindlicher  Zauber  gilt  als  vornehmste  Krankheitsursache, 
und  des  kundigen  Arztes  wichtigste  Aufgabe  ist  es,  den  wirk- 
samen  Gegenzauber  zu  finden,  ganz  im  Gegensatz  zu  jener 
tiefer  ethisch  begründeten  Anschauung,  die  uns  früher  in 
mehreren  Liedern  des  Vasishtfia  im  fligveda  entgegen  getreten 
ist,  wo  die  Krankheit  als  göttliche  Strafe  der  menschlichen 
Sünden  gefasst  wurde  und  den  Sänger  zur  Einkehr  trieb  in 


1  Vgl.  Zimmer,  Altind.  Leben,  p.  881.  Grohmann,  Ind.  Stud. 
9,  868. 


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—    175  — 

sich  selbst.  Auch  im  IJigveda  giebt  es  einige  Verse  gegen  boso 
Zauberer,1  im  Atharraveda  aber  spielen  dieselben  eine  hervor- 
ragende Rolle. 

Den  Zauber  sucht  man  auf  den  Bösen  zurück  zu  bannen, 
der  ihn  entsandt,  und  wirksame  Pflanzen  oder  dergleichen 
werden  dabei  verwandt   So  heisst  es  z.  B.  (AV  5,  14): 

Ein  Adler  fand  dich  auf,  ein  wilder  Eber  grub  dich  mit  der  Schnauze; 
suche  «u  schaden,  o  Kraut,  dem  Schadiger,  schlage  zurück  den  Hexen- 
meister. (1) 

Schlage  zurück  die  Dämonen,  schlage  zurück  den  Zauberer  und 
den,  der  uns  zu  schadigen  sucht,  schlage  du  zurück,  o  Kraut!  (2) 

Die  Zauber  sollen  auf  den  Zauberer  zurückfallen,  der  Fluch  auf 
den  Fluchenden;  wie  ein  Wagen  mit  guter  Nabe  rolle  der  Zauber  wieder 
zu  dem  Zauberer  zurück.  (5) 

Wenn  ein  Weib  oder  wenn  ein  Mann  den  Zauber  anthat  zum  Un- 
heil, so  fahren  wir  denselben  ihm  wieder  zu  wie  ein  Boss  am  Zügel.  (6) 

Wenn  du  von  göttlichen  Wesen  angethan  bist,  oder  wenn  von  Men- 
schen angethan,  mit  Indra  als  Genossen  führen  wir  dich  dem  wieder  zu.  (7) 

Oerader  als  ein  Pfeil  soll  er  (d.  i.  der  Zauber)  auf  ihn  los  fliegen, 
o  Himmel  und  Erde!  Er  soll  ihn  ergreifen  wie  ein  Wild,  der  Zauber 
den  Zauberer  wieder.  (12)   U.  s.  w. 

In  dieses  Gebiet  der  Besprechungen  und  Beschwörungen 
hat  wieder  Adalbert  Kuhn  in  interessanter  Weise  Licht  ge- 
bracht,* indem  er  solche  indische,  besonders  im  Atharvayeda 
erhaltene  Segensformeln  zur  Bannung  von  Krankheiten  mit 
ähnlichen  germanischen  zusammen  stellte,  welche  bei  beiden 
Völkern  „nicht  nur  in  Zweck  und  Inhalt,  sondern  auch  in  der 
Form  zum  Theil  so  merkwürdig  zu  einander  stimmen,  dass 
maa  in  ihnen  unbedenklich  die  Reste  einer  Art  Poesie  erkennen 
muss,  welche  den  Inhalt  zu  gewissen  Zwecken  bestimmter 
Segenssprüohe  bereits  [in  der  indogermanischen  Urzeit]  zu 
einer  festen  Form  ausgeprägt  hatte,  die  sich  nachher  durch 
alle  daraus  hervorgegangenen  Formeln  bis  auf  die  neueste  Zeit 
hindurchzieht.** 3 

Also  uralte  Sprüche,  die  im  Munde  des  Volkes  umgingen 
and  die  sich  bei  den  Indern  wie  bei  den  Germanen  als  ein 
sorgsam  gehütetes  Erbe  längstvergangener  Zeiten  erhalten 
haben. 

Nur  ein  einziges  Beispiel  derart  will  ich  anführen,  das 
aus  mehreren  Gründen  für  uns  von  speziellem  Interesse  ist 


»  Vgl.  z.  B.  RV  10,  87. 

*  A.  Kuhn,  Indische  und  germanische  Segenssprüche;  Ztochr.  f. 
▼gL  Sprachforschung,  Bd.  XIII,  p.  49—74  und  113—157. 

*  Vgl.  Kuhn  a  a.  0.  p.  60. 


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—    176  — 


Es  wird  Ihnen  Allen  vermuthlich  der  von  Jakob  Grimm 
herausgegebene,  aus  dem  10.  Jahrhundert  n.  Chr.  stammende 
sogenannte  „Merseburger  Zauberspruch"  bekannt  sein,  der  nach 
einer  epischen  Einleitung  die  Besprechung  eines  verletzten 
Beines  enthält,  offenbar  aus  der  heidnischen  Zeit  stammend: 
Phol  ende  Wodan  vuorun  zi  holza  etc.  Derselbe  lautet  in  neu- 
hochdeutscher U  ebersctzung: 

Phol  und  Wodan 

Fuhren  zu  Holze, 

Da  ward  dem  Fohlen  Bälden 

Sein  Fuss  verrenket. 

Da  besprach  (besang)  ihn  Sinthgunt, 

Sünna  ihre  Schwester; 

Da  besprach  ihn  Folla, 

Frija  ihre  Schwester j 

Da  besprach  ihn  Wodan, 

Wie  er  wohl  wusste: 

So  Beinrenkung, 

So  Blutrenkung, 

So  Gliedreokung : 

Bein  zu  Beine, 

Blut  zu  Blute, 

Glied  zu  Gliedern, 

Als  ob  sie  geleimet  seien. 

Im  Atharvaveda  finden  wir  nun  (4,  12)  eine  Besprechung 
oder  Beschwörung  mit  gleichzeitiger  Verwendung  von  Heil- 
kräutern für  einen  ganz  ähnlichen  Fall,  die  in  ganzer  Ausführ- 
lichkeit in  Ad.  Kuhn's  gelungener  Uebersetzung 1  folgendor- 
inassen  lautet: 

Aufrichtend  bist  du,  Rohani,8  aufrichtend  das  gebrochne  Bein! 
Richte  dies  auf,  .Arundhatl.* 

Was  dir  verletzt,  was  dir  gebrochen,  was  dir  gequetscht  an  deinem  Leib, 
Das  richte  glücklich  wieder  ein  der  Schöpfer  dir  mit  Glied  an  Glied. 
Zusammen  werde  Mark  mit  Mark,  und  auch  zusammen  Glied  an  Glied, 
Was  dir  an  Fleisch  vergangen  ist,  und  auch  der  Knochen  wachse  dir. 
Mark  mit  Marke  sei  vereinigt,  Haut  mit  Haut  erhole  sich. 
Blut  erheb'  sich  dir  am  Knochen,  Fleisch  erhole  sich  am  Fleisch. 
Haar  mit  Haar,  füg'  es  zusammen,  füge  mit  der  Haut  die  Haut, 
Blut  erheb*  sich  dir  am  Knochen!  Was  da  zerbrach,  rieht"  ein,  o  Kraut. 
Steh  auf,  geh  hin,  du,  eile  fort! 

(Wie)  schön  an  Rad,  Felge  und  Nab'  ein  Wagen  (lauft). 
Steh  aufrecht  fest! 

Wenn  in  die  Grube  stürzend  es  zerbrach,  oder  ein  Stein,  geworfen,  hat 

getroffen, 

Zusammen  wie  des  Wagens  Theile,  so  füge  Ribhu  Glied  an  Glied! 


1  S.  Kuhn  a.  a.  O.  p.  58.  59. 

Ä  rohani  ein  Mittel  zum  Verheilen  (Pet.  Wört.);  ich  vermuthe,  eine 
Pflanze 

3  arundbati  eine  heilkraftige  Schlingpflanze. 


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-    177  - 


Man  vergleich*  namentlich  die  eigentliche  Beschwörung 
„Mark  mit  Marke"  etc.  mit  dem  germanischen  „Bein  zu  Beine" 
u.  8.  w.  Diese  Beschwörungsformel  hat  Kuhn  auch  im  Letti- 
schen und  Russischen  nachgewiesen.1  Im  Germanischen  ist 
später  an  Stelle  der  alten  Götter  Jesus  gesetzt,  wie  uns  die 
von  J.  Grimm  mitgetheilten,  norwegischen  und  schottischen 
Versionen  des  Spruches  lehren.*  Interessant  ist  es  speciell  für 
uns  Bewohner  der  baltischen  Provinzen,  dass  ein  entsprechender 
Spruch  auch  bai  den  Esten  gefunden  worden  ist»  der  vermuth- 
lich  in  sehr  alter  Zeit  von  den  Germanen  herüber  genommen 
wurde.  Die  verschiedenen  Versionen  des  Spruches  sind  vor 
einigen  Jahren  in  den  Sitzungsberichten  der  hiesigen  „gelehrten 
estnischen  Gesellschaff  von  Dr.  Wolf  gang  Schlüter  über- 
sichtlich zusammengestellt  worden.3  Ich  will  zum  Schiusa  nur 
den  einen  estnischen  Spruch  noch  mittheilen: 

Wider  Verrenkung.* 

Jesus  ging  dahin  zur  Kirche 
Mit  dem  Rothross,  mit  dem  Rappen, 
Mit  dem  lachsschwarz  mohrenköpfgen, 
Mit  dem  fischfarb  mausefahlen. 
Da  verrenkte  das  Pferd  den  Fuss; 
Nieder  bei  dem  Rade  Jesus, 

1  Kuhn,  Ztschr.  XIII,  p.  161.  153. 

«  Grimm,  Deutsche  Mythologie,  3.  Aufl.  p.  1181  u.  1182. 

Norwegische  Version,  in  üebersetzung: 

Jesus  ritt  zur  Haide, 

Da  ritt  er  entzwei  sein  Fohlonbein, 

Jesus  stieg  ab  und  heilte  (?)  das; 

Jesus  legte  Mark  in  Mark(?), 

Bein  in  Bein,  Fleisch  in  Fleisch, 

Jesus  legte  darauf  ein  Blatt, 

Dass  das  sollte  sein  in  demselben  Stande. 

Die  schottische  Version,  in  Üebersetzung: 

Der  Herr  ritt, 

Und  das  Fohlen  glitt; 

Er  stieg  ab  ' 

Und  er  richtete  es  ein. 

Setzte  Gelenk  zu  Gelenk, 

Bein  zu  Bein 

Und  Sehne  zu  Sehne. 

Heil  in  des  heiligen  Geistes  Namen! 

■  Sitzungsberichte  der  gel.  estnischen  Gesellschaft  zu  Dorpat,  Jahr- 
gang 1882,  p.  6«  ttg. 

*  S.  Kreutz wald  und  Neos,  Mythische  und  magische  Lieder  der 
Esten,  Petersburg  1854,  p.  97.  Uebrigens  auch  schon  von  Kuhn  ver- 
glichen, a.  a.  0.  p.  55.  56. 

t.  Schröder,  Iadioas  Ltt.  «.  Colt.  12 


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178 


Zu  besprechen  des  Pferdes  Fuss: 
Hier  ist  ein  Gelenk  verrenket, 
Hier  die  Sehn*  Obergesprongen, 
Hier  ein  Spruogbein  ausgestemmet. 
Geh  Gelenk  an  Gelenk  hinwieder, 
Gehe  Sehn'  in  Sehn*  hinwieder, 
Gebe  Sprang  an  Sprang  hinwieder, 
Gehe  Fleisch  an  Fleisch  hinwieder: 
Streiche  Nass  darauf  Maria! 
Vater  unser  u.  ■.  w. 

Ist  es  nicht  merkwürdig,  vereinzelte  Theile  jenes  alten 
Schatzes  indogermanischer  Besprechungsformeln ,  die  am  voll- 
ständigsten wohl  im  Atharvaveda  bewahrt  sind,  in  unserer 
Zeit  und  in  unseren  baltischen  Landstrich  versprengt  zu 
finden? 


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Dreizehnte  Vorlesung. 

Die  Periode  der  Brahmana's,  der  Aranyaka's,  Upanishaden  und  SütraV 
Allgemeine  Charakteristik.  Uebersicht  der  wichtigsten  Brahmana's,  Aran- 

yaka's  und  Upanishaden. 

Auf  die  Zeit,  in  welcher  die  Hymnen  des  Rigveda  ge- 
sammelt und  zusammengestellt  wurden,  in  welcher  der  Yajur- 
yeda,  der  Saman  und  der  Atharvaveda  entstanden,  folgt  die  in 
mancher  Hinsicht  merkwürdige  Periode  der  Brahmana's.  Von 
dem  Charakter  derjenigen  Schriften,  welche  man  Brahmana's 
nennt,  oder  doch  wenigstens  der  älteren  unter  denselben, 
werden  Sie  sich  eine  ziemlich  deutliche  Vorstellung  machen 
können,  wenn  ich  Ihnen  sage,  dass  eben  jene  prosaischen  Theile 
der  Yajurveden,  mit  deren  ausführlicher  Schilderung  ich  in 
trüberen  Vorlesungen  Ihre  Geduld  auf  eine  vielleicht  schon 
allzu  harte  Probe  gestellt  habe,  als  die  ältesten  Brahmana- 
artigen  Denkmäler  bezeichnet  werden  müssen.  Ja,  man  kann 
geradezu  sagen,  die  schwarzen  Yajurveden  sind  die  ältesten 
bekannten  Brahmana's,  nur  verquickt  und  untrennbar  verbunden 
mit  dem,  was  bei  den  anderen  Veden  Sarahita  genannt  wird, 
mit  den  Liedern,  den* Versen  und  Sprüchen.  Vom  schwarzen 
Yajurveda  muss  man  ausgehen,  wenn  man  die  Periode  der 
Brahmana's  schildern  will,  und  so  sind  denn  wir  durch  das 
Vorhergegangene  einer  sehr  bedeutenden  Mühe  überhoben,  der 
Einführung  in  den  Geist  und  Ton  der  Brahmana's. 

Erläuterungen  und  Besprechungen  des  complicirten  Opfer- 
rituals, theologische  Speculationen  und  Meinungen,  Legenden 
aüer  Art,  praktische  Rathschläge  für  die  Priester  und  Bestim- 
mungen für  verschiedene  Vorkommnisse  beim  Opfer,  ab  und  zu 
eine  historische  Mittheilung,  meist  noch  nicht  des  sagenhaften 
Gewandes  entkleidet,  gelegentlich  auch  eine  etymologische  Be- 
merkung, die  aus  der  Sprache  philosophische  oder  theosophische 
Belehrung  zu  schöpfen  sucht,  resp.  die  Sprache  dazu  benutzen 
will,  eine  bestimmte  theologische  Meinung  zu  bekräftigen»  — 

12* 


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—    180  - 

Dies  und  Aehnliches  bildet  den  Inhalt  der  Brähmana-Literatur, 
die  in  den  nun  folgenden  Jahrhunderten  mächtig  emporwächst 
und  durch  Zahl  und  Umfang  ihrer  Werke  in  der  That  verdient, 
eine  Literatur  für  sich  genannt  zu  werden. 

Viele  von  den  Werken  dieser  Periode  sind  jedenfalls  ver- 
loren gegangen;  das  lehren  uns  die  zahlreichen  Namen  und 
Anführungen,  die  in  den  noch  erhaltenen  Brähmana's  citirt 
und  zum  Theil  bekämpft  werden.  Es  scheint,  dass  die  in 
diesen  Parteikämpfen  siegreichen  Werke  ihre  weniger  glück- 
lichen Rivalen  zum  Theil  so  verdrängt  haben,  dass  dieselben 
spurlos  verschwunden  sind.  Immerhin  aber  ist  noch  eine 
recht  bedeutende  Anzahl  dieser  Werke  bis  heute  erhalten.1 

Diese  Brahmana's  sind  der  geistige  Spiegel  einer  mehrere 
Jahrhunderte  dauernden  Epoche;  einer  Zeit,  die  uns  —  cha- 
rakteristisch genug  —  keine  literarischen  Denkmäler  hinter- 
lassen hat  ausser  diesen;  deren  ganzes  geistiges  Streben  sich 
nur  in.  dieser  Richtung  bewegt  und  überall  eine  unverkennbar 
charakteristische  Färbung  an  sich  trägt  Das  Opfer  ist  der 
grosse  geistige  Mittelpunkt,  um  den  sich  Alles  bewegt  Die 
Beschreibung  seiner  Ceremonieen,  Darlegung  ihres  Werthes, 
ihres  Ursprunges  und  sonstiger  Beziehungen,  —  darauf  con- 
centrirt  sich  das  Interesse  des  priesterlichen  Denkens  jener 
Tage.  Ein  Werk  dieser  Art  nach  dem  anderen  %chiesst  empor, 
das  eine  an  diesen,  das  andere  an  jenen,  das  dritte  an  einen 
dritten  Veda  und  die  Functionen  seiner  speciellen  Priester  sich 
mit  seinen  Erläuterungen  anlehnend.  So  einförmig  diese  Lite- 
ratur im  Ganzen  ist,  so  gewahren  wir  doch  eine.  Entwickelung, 
ein  Fortschreiten,  und  ein  Werk  wie  das  Qatapatha-Brahmana 
erhebt  sich  inhaltlich  schon  sehr  bedeutend  über  jene  ersten 
und  ältesten  Brähmana-artigen  Bücher. 

a  n  die  Brahmana's  schliefen  sich  dann  die  sogenannten 
Aranyaka's  oder  die  „Waldbücher*',"  bestimmt  für  die  in  den 
Wald  sich  zurückziehenden  Frommen,  die  keine  Opfer  mehr 
ausfuhren,  aber  im  Durchdenken  des  Rituals  und  dessen,  was 
damit  zusammenhängt,  eine-  Art  Gottesdienst  üben  sollen.  In 
diesen  Äranyakä's  nimmt  die  theosophische  Spekulation  all- 
mählich einen  immer  breiteren  Raum  ein  und  gehen  aus  ihnen 
schliesslich  die  sogenannten  Upanishaden  hervor,  die  ältesten 
speculativen  Tractate  der  Inder. 

In  den  Brahmana's  liefen  Erklärung  und  Bestimmung  des 
Rituals  einerseits,  und  die  daran  geknüpften  und  darüber  hinaus- 


1  Vgl.  Weber,  Ind.  Lit.,  2.  AufU  p.  13  14. 


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—  181 


gehenden  Speculationen  andererseits  noch  neben  einander.  Das 
Eine  war  untrennbar  mit  dem  Andern  verbunden.  Die  Specu- 
lation  knüpfte  sich  an  die  Ceremonie  an,  und  die  Ceremonie 
gründete  sich  auf  die  Speculation  und  bewies  ihr  Recht  durch 
diese.  Im  Laufe  der  Zeit  gehen  sie  beide  aber  mehr  und 
mehr  auseinander,  und  in  der  auf  die  Brähmana's  folgenden 
Epoche  finden  wir  beide  gesondert  behandelt.  Es  sind  andre 
Werke,  die  dem  Ceremoniell  des  Opfers  dienen,  andere,  die 
dem  speculativen  Bedürfniss  Genüge  thun.  Das  Erstere  über- 
nehmen die  Sutra's,  das  Letztere  die  Äranyaka's  und  Upani- 
shaden. 

Die  Brähmana's  boten  keine  fortlaufende  Darstellung  des 
Opt'ers,  sondern  vielmehr  Erläuterungen  zu  demselben.  Der 
Gang  des  Opfers  wird  in  ihnen  als  bekannt  vorausgesetzt  und 
nur  durch  einzelne  Anführungen  ab  und  zu  ins  Gedächtnis* 
gerufen.  Mit  der  Zeit  aber  mussto  sich  das  Bedürfniss  nach 
einer  systematischen  Uebersicht  des  Opferganges  fühlbar  machen, 
und  eine  solche  bieten  uns  die  der  folgenden  Literaturepoche 
entstammenden  Sütra's,  speciell  die  sogenannten  Qrauta-  oder 
Kalpa-Sütra's,  neben  denen  die  Grihya-Sutra's  wiederum- 
das  häusliche  und  tägliche  Leben  des  Frommen  regeln  und  die 
damit  verbundenen  religiösen  Handlungen  angeben.  Die  Qrauta- 
oder  Kalpa-Sütra's  sind  also  Ergänzungen  und  Fortsetzungen 
der  Brähmana's  nach  der  Seite  des  Rituals.  Aber  eine  weit 
wichtigere  und  bedeutsamere  Fortsetzung  war  die  nach  der 
Seite  der  Speculation,  welche  ganz  eigentlich  aus  dem  Schoosse 
der  Brähmana's  hervorgeht  und  in  ganz  allmählicher,  stufen- 
weiser Entwicklung  aus  den  jüngeren  Brähmana's  in  die  von 
diesen  zuerst  nur  wenig  unterschiedenen  Äranyaka's  und  aus 
diesen  dann  in  die  Upanishaden  hinüberleitet,  unter  denen  die 
älteren  zum  Theil  noch  geradezu  als  Äranyaka's  oder  Theile  von 
Äranyaka's  bezeichnet  werden. 

Wir  wollen  nun  zunächst  einen  Ueberblick  über  die  Bräh- 
mana's und  die  an  dieselben  sich  anschliessenden  literarischen 
Denkmäler  zu  gewinnen  suchen.  Ich  werde  aber  natürlich  nur 
die  allerbedeutendsten  und  bekanntesten  unter  ihnen  hervor- 
heben, um  jede  Verwirrung  durch  Ueberfulle  des  Stoffes  zu 
▼ermeiden. 

Da  sich  die  Brähmana's  immer  je  an  einen  speziellen  Veda 
anschliessen,  so  werden  wir  am  Besten  thun,  sie  in  dieser 
Weise  zu  gruppiren. 

Zum  Rigveda  speciell  gehören  zwei  Brähmana's,  nämlich 
das   Aitareya-Brähmana   und   das   (^änkhäyana-  oder 


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182  — 


Kaushitaki-Brahmana.  Insbesondere  das  Äitareya-Brah- 
mana  ist  von  Wichtigkeit.  Dasselbe  wurde  von  Martin  Haug 
sammt  Uebersetzung  herausgegeben.1  Doch  Hessen  Text  und 
Uebersetzung  gar  Manches  zu  wünschen  übrig,  wenn  auch  die 
Uebersetzung  namentlich  die  Kunde  der  Brahmana-Literatur 
wesentlich  gefordert  hat1  Der  Text  dieses  Brahmana  ist 
später  noch  einmal,  sehr  correct  und  schön,  von  Th.  Aufrecht 
in  Transscription  herausgegeben  worden.5  Im  Aitareya-Brah- 
mana,  welches  jedenfalls  zu  den  ältesten  Schriften  dieser  Gattung 
gehört,  wird  ganz  speciell  das  Sorna-Opfer  behandelt,  wobei 
wesentlich  nur  Dasjenige  Berücksichtigung  findet,  was  dem 
Hotar,  dem  die  rjigveda -Verse  recitirenden  Priester,  speciell 
obliegt,  da  es  ja  eben  ein  Brahmana  des  Jjttgveda  ist  Inter- 
essant ist  es  für  uns,  dass  das  Äitareya-Bräbmana  uns  in  geo- 
graphischer Hinsicht  wieder  auf  das  Land  der  Kuru  und 
Paficala  hinweist,  denn  in  demjenigen  Capitel  (8,  14),  welches 
die  verschiedenen  indischen  Stämme  aufzählt,  heisst  es,  dass  in 
der  Mitte  die  Kurupaficala  sammt  den  Vaca  und  Ucinara 
wohnen.  Die  übrigen  Stämme  gelten  als  südliche,  östliche, 
nördliche  und  westliche.  Die  Kurupaflcala  bilden  also  den 
Mittelpunkt  in  dem  geographischen  Gesichtskreis  dessen,  der 
dieses  Brahmana  verfasst  hat  Es  geht  daraus  hervor,  dass 
auch  die  Ausbildung  des  $igveda-Rituals  eben  in  diesem 
Landstrich  stattgefunden  hat,  wie  wir  das  ja  freilich  nach 
unseren  früheren  Auseinandersetzungen  schon  entschieden  er- 
warten mussten.  Wir  werden  auch  schwerlich  fehlgehen,  wenn 
wir  annehmen,  dass  dasselbe  Land  als  dasjenige  anzusehen  ist, 
in  welchem  die  Sammlung  und  Vereinigung  der  Rigveda- 
Hymnen  zu  der  uns  vorliegenden  Samhita  stattgefunden  hat. 

Das  Qänkhäyana-Brahmana  steht  in  naher  Beziehung 
zu  dem  Aitareya-Brahmana,  ist  aber  mehr  ein  vollständig  ge- 
ordnetes Werk,  systematisch  nach  einem  bestimmten  Plane 
über  das  ganze  Opferwerk  vertheilt,  obschon  auch  hier  das 
Sorna-Opfer  die  Hauptstelle  einnimmt4 

Viele  Sagen  und  Legenden  machen  diese  Brahmana's 
wichtig.  Die  merkwürdige  Sage  von  Quna^cepa,  den  sein 
eigner  Vater  dem  Opfertode  weinen  will  und  der,  schon  an  den 
Opferpfahl  gebunden,  nur  durch  Gott  Varuna's  Gnade  erlöst 


1  In  2  B&nden,  Bombay  1863. 

•  Vgl.  Weber's  Kritik,  Ind.  Stud.  IX,  p.  177  flg. 

a  Bonn  1879. 

4  Vgl.  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  48. 


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183  — 


wird,  hat  Roth  bereits  vor  längerer  Zeit  übersetzt1  and  be- 
sprochen.* An  jedes  dieser  beiden  Br&hmana's  ist  nun  noch 
ein  Aranyaka  angefügt,  und  in  den  Aranyaka's  wiederum  findet 
sich  je  eine  Upanishad.  Im  Aitareya- Aranyaka  bilden  die 
vier  letzten  Abschnitte  des  zweiten  Buches  die  Aitareya- 
Upanishad,  während  das  dritte  Buch  des  Kaushltaki- 
Aranyaka  in  der  sehr  interessanten  Kaushltaki-Upanishad 
besteht.3 

Die  zum  Samaveda  gehörigen  Brahmana's  zeichnen  sich 
dadurch  aus,  dass  die  phantastischen  und  mystischen  Spielereien 
in  ihnen  vielfach  alles  Maas*  überschreiten,  wodurch  sie  natür- 
lich recht  ungenießbar  werden,4' wenn  sie  auch  im  Uebrigen 
fiel  historisch  Interessantes  enthalten.  Der  spielenden  Identi- 
ficationen  verschiedener  Sarnau -Arten  (wie  Brihat,  Rathan- 
taram  u.  s.  w.)  mit  allen  möglichen  irdischen  und  himmlischen 
Dingen  werden  Sie  sich  vielleicht  noch  aus  unserer  Besprechung 
des  Yajurveda  erinnern.  Möglich,  dass  gerade  der  überaus 
dürftige  Inhalt  ihrer  Samhita  die  Anhänger  des  Samaveda  zu 
diesen  übertriebenen  Phantasmen  verleitete.  Da  sich  an  den 
Stoff  selbst  gedanklich  so  überaus  wenig  anlehnen  liess, 
moaste  man  umsomehr  dafür  sorgen,  ihn  mit  einem  geheimniss- 
Tollen  Nimbus  zu  umgeben,  und  schuf  sich  aus  demselben  eine 
Welt  mystischer  Gebilde. 

Dies  gilt  gleich  in  erster  Linie  von  dem  umfangreichen 
Tandy a-Brahmana,  das  aus  25  Büchern  besteht  und  darum 
auch  Paflcavim^a-Brahmana  genannt  wird.6  Dasselbe  be- 
schäftigt sich  natürlich  nur  mit  den  Sorna-Opfern,,  auf  welche 
allein  ja  der  Samaveda  überhaupt  Bezug  hat,  von  den  kleineren 
und  einfacheren  an  bis  zu  den  grösseren,  welche  Sattra  oder 
Sitzung  heissen  und  hundert  Tage,  ja  sogar  mehrere  Jahre 
dauern  können«  Bemerkenswerth  sind  neben  vielen  Legenden 
und  sonstigen  Mittheilungen  insbesondere  die  ausführlich  ge- 
schilderten Opfer  an  der  Sarasvati  und  Drishadvati,  welche  uns 
wieder  in  jene  Gegend,  das  Geburtsland  des  Opferrituals,  ver- 
setzen.   Auch  Kurukshetra  wird  erwähnt,  während  andere 


1  Roth,  Ind.  Stud.  I,  458  flg. 
*  Ind.  Sind.  II,  p.  112  flg. 

3  Eine  dritte  Upanishad  des  Rigveda  ist  die  sogenannte  Vashkala- 
Upanishad,  welche  uns  nur  tat  Anqnetil  Duporron's  Onpnekhat 
(II,  366  flg.)  bekannt  ist  und  einer  sonst  nicht  mehr  erhaltenen  Schule 
des  Rigveda,  den  Vashkala's,  angehörte.  (S.Weber,  Ind.  Lit,  p.  56.  57.) 

4  S.  Weber,  Ind.  Lit.,  p.  72. 

5  pancarimva  heisst  m  Sanskrit  „aus  25  bestehend,  25  enthaltend". 


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—    184  — 


Daten  auch  wiederum  nach  Osten  weisen.  Bemerkenswerth 
sind  ferner  die  sogenannten  Vratyastom&b,  d.  h.  diejenigen 
Opfer,  durch  welche  arische,  aber  nicht  nach  brahmanischer 
Ordnung  lebende  Inder  den  Eintritt  in  den  brahmanischen  Ver- 
band gewinnen.1  Bitter  wird  in  diesem  Brahmana  gegen  die 
Kaushitaki's  polemisirt* 

Ein  Nachtrag  zu  diesem  Brähmana  ist  das  sogenannte 
Shadviinca-Brahmana,  d.«h.  „das  sechsund zwanzigste  Buch". 

Das  dritte  Brahmana  des  Samaveda  ist  das  sogenannte 
Chandogya-Brabmana,  von  dem  Wort  Chandogya  „der 
Saman-Theologe".  Die  acht  letzten  Capitel  dieses  Br&hmana 
bilden  die  sogenannte  Chandogya-Upanishad,*  die  in  mancher 
Hinsicht  bedeutungsvoll  ist. 

Als  Rest  eines  vierten  Brahmana  des  Samaveda  gilt  die 
sogenannte  Kena-Upanishad  oder  Talavakara-Upanishad, 
welche  angeblich  das  neunte  Buch  desselben  bildet4 

Beim  sogenannten  schwarzen  Yajurveda  bilden,  wie 
schon  erwähnt,  die  früher  von  uns  so  ausfuhrlich  besprochenen 
prosaischen  Theile  der  Samhita  selbst  die  ältesten  und  wich- 
tigsten Brahmana's.  Für  die  älteren  Schulen  dieses  Veda,  die 
Kat,ha's  und  Maitrayaniya's  (al.  Käläpa's),  lässt  sich  ausser 
jenen  Brähmana-Theilen  der  Samhita's  auch  weiter  kein  Brah- 
mana nachweisen,  wenigstens  nicht  als  selbständiges  Werk. 
Wohl  aber  für  die  Schule  der  Taittiriya's,  nämlich  das  von 
dem  Inder  Rajendralala  Mitra  (1855 — 1870)  herausgegebene 
Täittiriya-Brähmana  in  drei  Büchern,  das  sich  aber  übrigens 
in  seinem  ganzen  Charakter  von  der  Taittiriya-Samhita  fast 
gar  nicht  unterscheidet  und  nur  als  ein  Nachtrag  zu  dieser 
anzusehen  ist,  der  theils  das  in  der  Samhita  Behandelte  näher 
ausfuhrt  und  begründet,  theils  einige  dort  noch  nicht  be- 
sprochene Opfer6  behandelt.  Merkwürdig  ist  dabei  noch,  dass 
die  letzten  vier  Abschnitte  des  letzten  Buches  im  Taittiriya- 
Brähmana  dem  weisen  Kat*ha  als  Verfasser  zugeschrieben  wer- 
den, also  dem  Stifter  der  Katha- Schule.  Dasselbe  gilt  von 
zwei  Abschnitten,  welche  sich  nur  bei  den  Ätreya's,  einer  den 
Taittiriya's  verwandten  Schule,  vorfinden,  sowie  auch  von  den 
beiden  ersten  Büchern  des  sogenannten  Taittiriya-Äranyaka. 


1  S.  Weber,  Ind.  Lit.  p.  73. 

3  Weber,  a.  a.  0.  p.  75. 

•  S.  Weber,  lad.  Lit.  p.  77. 

4  S.  Weber,  a.  a.  0.  p.  80.  81. 

5  Wie  -  den  Purushamedha  (das  Menschenopfer)  and  das  Opfer  an 


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—    185  — 


Diese  acht  Abschnitte,  welche  alle  ausdrücklich  dem  Katha  zu- 
geschrieben werden,  unterscheiden  sich  auch  äusserlich  schon 
sehr  deutlich  vom  Taittiriya-Brahmana  und  -Aranyaka  durch 
das  Fehlen  der  bei  den  Taittiriya's  ganz  speciell  beobachteten 
Lautgesetze,  insbesondere  durch  den  Mangel  der  Zerdehuungen 
von  y  und  y  zu  iy  und  uv.  Diese  acht  Abschnitte  zusammen 
werden  vennuthlich  ursprünglich  eine  Brahmana- artige,  resp. 
Aranyaka-artige  Fortsetzung  des  Käthaka  gebildet  haben,  die 
uns  aber  als  selbständiges  Buch  nicht  mehr  erhalten  ist1 

An  das  Täittiriya-Brähmana  reiht  sich  das  schon  er- 
wähnte Taittiriya-Äranyaka,  welches  mit  jenen  zwei  letzten 
Katha-Abschnitten  beginnt.  Die  vier  letzten  Bücher  dieses 
Aranyaka  werden  durch  zwei  Upanishad's  gebildet,  und  zwar 
die  Taittiriya-Upanishad  und  die  Yajfiikl-  oder  Nara- 
yaaiya-Upanishad.* 

Bei  der  Maitrayani  Samhita  vertritt  ein  sogenanntes 
Ergänzungsbuch  (Khilakanda)  die  Stelle  eines  besonderen 
Brahmana  oder  Aranyaka,  und  ich  glaube,  dass  wir  hierin 
gerade  eine  ältere  Stufe  der  Ent Wickelung  sehen  müssen.8  Die 
weiterhin  auch  der  Maitrayani  Samhita  angereihte  Upanishad 
dieser  Schule  (Mäitri-,  Mäiträyana-  oder  Maitrayaniya-Upanishad) 
ist  von  Weber  und  Cowell  früher  wiederholt  für  ein  jüngeres 
Produkt  erklärt,  während  neuerdings  M.  Müller,  wie  ich  glaube 
entschieden  mit  Recht,  diese  Upanishad  mit  zu  den  älteren  und 
wichtigeren  Denkmälern  dieser  Gattung  zählt.4 

Der  sogenannte  weisse  Yajurveda  unterscheidet  sich  da- 
durch von  dem  schwarzen,  dass  in  ihm  die  Verse  und  Sprüche 
nicht  mit  den  Brahmana-artigen  erörternden  Partieen  unter- 
mischt, sondern  streng  von  denselben  unterschieden  sind,  und 
hat  schon  Weber  diesen  geordneteren,  systematischeren  Zuschnitt, 
gewiss  mit  Recht,  als  den  jüngeren  bezeichnet  Die  Vajasa- 
neyi-Samhita  enthält  lediglich  die  Sprüche  und  Verse,  welche 


1  Die  gegen  Schluss  des  zweiten  dieser  Abschnitte  (prap.  XI,  8) 
angeführte  Legende  von  dem  Besuch  des  Naciketas  in  der  Unterwelt 
?ab  den  Anlas«  zur  Entstehung  der  zum  Atharvaveda  gerechneten  Ka- 
thaka-Upanishad. 

•  Vgl.  Weber,  Ind.  Lit.  p.  103. 

*  Die  alteren  Schulen  kennzeichneten  ihren  Nachtrag  eben  als 
Nachtrag,  wahrend  die  jüngeren  denselben  unter  dem  Namen  Brahmana, 
resp.  Aranyaka  wichtig  aufbauschten.  Auch  hielten  sich  die  alteren 
Schulen  mit  dieser  Nachtragsliteratur  in  massigeren  Grenzen  als  die 

jüngeren. 

4  F.MaxMüller,  Sacred  Books  of  the  East,  Vol.  XV,  (Oxford  1884), 
Introduction,  p.  XLVII  flg. 


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186  — 


der  Adhvaryu  zu  sprechen  hat,  jede  Erörterung  ist  vermieden. 
Diese  findet  sich  nun  dafür  in  allerreichstem  Maasse  in  dem 
zu  dieser  Schule  gehörigen  Brahmana,  dem  sogenannten  Qata- 
patha-Brahmana  oder  dem  „Brahmana  der  hundert  Pfade.**1 
Es  ist  dies  das  umfangreichste,  wichtigste  und  interessanteste 
Product  der  gesammten  Br&hmana- Periode,  seiner  Entstehungs- 
zeit nach  aber  jedenfalls  eines  der  jüngeren. 

„In  keinem  der  vedischen  Texte  —  sagt  Ohlenberg*  — 
können  wir  so  Schritt  für  Schritt  der  Genesis  des  Gedankens 
der  Einheit  in  Allem  was  da  ist,  von  dem  ersten  leisen  Sich- 
ankündigen dieses  Gedankens  bis  zur  selbstgewissen  Klarheit 
nachgehen,  wie  in  dem  Werk,  das  nach  den  Hymnen  des  $ig- 
veda  als  das  bedeutungsvollste  der  ganzen  vedischen  Literatur 
angesehen  zu  werden  verdient,  dem  Brahmana  der  hundert 
Pfade." 

Dies  hervorragende  Werk  ist  bereits  im  Jahre  1855  in 
vortrefflicher  Weise  von  Albrecht  Weber  herausgegeben  wor- 
den, und  bildet  den  zweiten  Band  seiner  grossen  Edition  des 
weissen  Yajurveda.8  Uebersetzt  sind  bisher  von  dem  umfang- 
reichen Werke  nur  einzelne  Partieen.  So  das  erste  Capitel  von 
Weber,4  Verschiedenes  von  Muir  in  seinen  Original  Sanskrit 
Texte,  das  Capitel  über  die  Dlksha  oder  die  Weihe  zum  Sorna- 
opfer  von  B.  Lindner;6  verschiedene  Partieen  ferner  mit  fein- 
sinnigem Verständnis  für  den  Brahniäna-Styl  von  Delbrück.6 
Endlich  ist  vor  einigen  Jahren  (1882)  als  zwölfter  Band  von 
Max  Müller's  bekannten  „Sacred  Books  of  the  East"7 
eine  Uebersetzung  des  ersten  und  zweiten  Buches  des  Qata- 
patha-Brahmana  von  Prof.  Julius  Eggeling  erschienen.8 


1  Von  cata  „hundert"  und  patha  „der  Pfad",  weil  es  au*  hundert 
Abschnitten  besteht;  vgl  Weber,  Ind.  Lit.  p.  129. 

*  Buddha,  p.  26. 

*  VgL  oben  p.  89. 

*  Ztschr.  d.  d.  Morg.  Ges.  IV,  1860. 

*  S.  oben  p.  108  Anm. 

6  In  seinen,  mit  E.  Windisch  zusammen  herausgegebenen  „Syntak- 
tischen Forschungen";  vgl.  namentlich  Bd.  II  and  III. 

T  Besprochen  von  Whitney  im  American  Journal  of  Philology, 
Vol.  III,  No.  12. 

■  Kancja  I— IX  des  £at.  Br.  fahren  die  18  ersten  Bücher  des  Vajas. 
SamhitA  Wort  für  Wort  auf,  erklären  sie  dogmatisch  und  begründen  Bie 
rituell.  Kano>  X  enthält  das  Agnirahasyam,  d.  i.  mystische  Feuerlegenden. 
Käno^a  XI  ist  nur  Recapitulation  des  Rituals  und  Anleitung  zum  Studium. 
Käiuja  XII  enthalt  die  Präyaccitta  oder  Sühnungen;  Kanda  XIII  den 
Acvamedha  oder  das  Pferdeopfer;  Kända  XIV  das  Aranyakam.  (VgL 
Weber  a.  a.  0.  p.  130.  131). 


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—    187  — 

Das  Qatapatha-Brähmana  besteht  aus  vierzehn  KanoVs 
oder  Büchern,  unter  welchen  die  ersten  neun  jedenfalls  den 
ältesten  Theil  des  Werkes  bilden.  Die  Bücher  X — XIII  ent- 
halten theils  mystische  Legenden  und  Deutungen,  theils  Re- 
capitulation  des  gegebenen  Rituals,  theils  rituelle  Ergänzungen 
und  Nachträge.  Das  vierzehnte  und  letzte  Buch  heisst  Aranyaka 
und  die  letzten  sechs  Capitel  dieses  Buches  bilden  ein  Werk 
für  sich,  eine  Upanishad,  welche  den  Namen  Brihad-Aranyaka, 
d.  L  das  grosse  Aranyaka  oder  Waldbuch,  trägt.  Und  zwar  ist 
dies  mit  die  gross te  und  bedeutendste  unter  den  Upanishaden.1*'1 

Auch  das  Qatapatha-Br&hmana  weist  auf  das  Land  der 
Kuru-Paficala  als  Stammland  der  specifisch  brahmanischen  Cultur. 
Gerade  im  Qatapatha  -  Brahmana  wird  Kurukshetra  wiederholt 
der  Opferplatz  der  Götter  genannt;  hier  tritt  der  berühmte 
Kuru-König  Janamejaya3  auf  und  jener  berühmteste  Lehrer 
der  Opferweisheit,  Aruni,  wird  gerade  hier4  ein  KAurupaflcala 
genannt  Aber  nichtsdestoweniger  fuhren  uns  andere  Data  des- 
selben Brahmana  viel  weiter  nach  Osten,  über  Madhyadeca 
hinaus  in  das  Land  der  Kocala  und  Videha,  und  es  bewährt 
sich  durchaus  die  von  Weber  ausgesprochene  Vermuthung,  dass 
der  weisse  Yajurveda  in  den  östlichen  Gebieten  Hindostan's 
redigirt  worden  sei.6 

Yäjftavalkya,  die  Hauptautorität  des  £atapatha  Brahmana, 
resp.  des  weissen  Yajurveda,  begegnet  uns  in  diesem  Brahmana 
am  Hofe  des  Königs  Janaka  von  Videha,  also  ziemlich  weit  im 
Osten.  Janaka  ist  der  Patron  und  Schirmherr  des  Yajflavalkya, 
und  am  Hofe  dieses  Fürsten  fanden  nach  dem  Berichte  des 


1  Als  Upanishaden  des  weissen  Yajurveda  werden  ausserdem  ge- 
rechnet Buch  XVI  der  Väjasaneyi-Samhita  (fatarudriya);  XXXI  (Puru- 
shasükta);  XXXII  (Tadeva);  der  Anfang  von  XXXIV  ((ivasamkalpa) ; 
XL  flca-üp.).   (cf.  Weber  a.  a.  0.  p.  119.  128.) 

*  Uebrigens  ist  noch  eine  andere  Gruppirung  des  Stoffes  not- 
wendig. Die  fünf  ersten  Kän(Ja  und  die  vier  letzten  gehören  insofern 
enger  zusammen,  als  in  ihnen  Yajflavalkya  die  Autorität  bildet;  auch 
werden  in  ihnen  fast  Hur  östliche  Völker  oder  solche  des  mittleren 
Hindostan  erwähnt,  die  Kurupancäla ,  Kocala,  Videha,  Srnjaya.  In 
Kän<JaVI — X  ist  dagegen  Qändilya  die  endgültige  Autorität,  und  Yäjna- 
valkya  wird  gar  nicht  genannt;  die  hier  erwähnten  Völker  sind  nord- 
westliche, die  Gändhära,  Salva  und  Kekaya.  Die  Entstehungsseit  dieser 
Bücher  ist  übrigens  wahrscheinlich  dieselbe,  wie  die  von  Kända  I— V 
(vgl.  Weber,  a.  a.  0.  p.  147). 

*  8.  Weber  a.  a.  p.  135. 
4  rjat.  Br.  11,  4,  1,  2. 

*  Vgl.  Weber  a.  a.  0.  p.  147,  Anm.  143;  vgl.  ferner  namentlich 
die  lichtvolle  Darstellung  bei  Oldenberg,  Buddha,  p  405. 


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—    188  — 


CatÄpatha-Brahinana  berühmte  Redeturniere  schriftgelehrter 
Brahmanen  statt  Aus  diesen  theologischen  Wettkämpfen  geht 
Yäjfiavalkya  als  Sieger  hervor.  Er  bringt  durch  seine  über- 
legend Weisheit  alle  Brahmanen  der  Kurupaflcala  zum  Schweigen, 
den  Uddalaka  Äruni,  den  Acvala,  den  Vidagdha  ^äkalya,  den 
Kahola  Kaushitakeya  und  die  Gargi  Väcaknavi,  die  Vertreter 
des  schwarzen  Yajurveda  und  des  rjigveda.1  So  berichtet  das 
Yäjnavalkiyakanda,  einer  der  späteren  Abschnitte  des  (^atapatha- 
Brahmana,  während  eine  andere  Stelle  Yäjfiavalkya  als  den 
Schüler  jenes  Uddalaka  Aruni  bezeichnet, Ä  womit  doch  wiederum 
deutlich  ausgesprochen  wird,  dass  auch  Yäjfiavalkya  die  Opfer- 
wissenschaft ursprünglich  von  jenen  Brahmanen  des  Kurupaü- 
cala-Landes  gelernt  hatte,  wenn  er  auch,  wie  Oldenberg  ver- 
muthet,3  selbst  von  Geburt  ein  Videha  war.  Für  die  in  Rede 
stehende  Culturentwickelung,  die  Verbreitung  der  brahmanischen 
Cultur  von  Madhyadeca  nach  Osten  hin,  sind  gerade  diese  Be- 
richte des  Qatapatha-Brahmana  von  Wichtigkeit  Jene  Brah- 
manen, die  am  Hofe  des  über  das  östliche  Land  der  Videha 
herrschenden  Königs  Janaka  disputirten,  waren  fast  alle  Kuru- 
paflcala, und  die  ältere  Autorität  des  Kurupaficala-Landes  für 
das  heilige  Wissen  wird  durchaus  anerkannt,  wenn  auch  das 
im  Osten  redigirte  Buch  den  Hauptlehrer  der  neuen  östlichen 
Schule  als  Sieger  aus  allen  Kämpfen  hervorgehen  lässt 

Vielfach  werden  im  ^atapatha-Brahmana  die  Caraka-Adh- 
varyavas,  d.  h.  die  Adhvaryu-Priester  der  Caraka-Schule  ge- 
tadelt Darunter  sind  die  Vertreter  jener  älteren  Schulen  des 
sch warzen  Yajurveda,  die  Katha's,  Kapishthala's  und  Maitra- 
yaniya's  (resp.  Kalapa's)  zu  verstehen,  welche  unter  dem  ge- 
meinsamen Namen  Caraka's  zusammengefasst  werden.  Aus  dem 
Westen  ist  die  Opferweisheit  nach  dem  Osten  vorgedrungen, 
und  hier  hat  sich  eine  neue  und  einflussreiche  Schule  derselben 
gebildet,  welche  sich  nun  der  älteren  überlegen  erachtet  und 
solche  Ueberlegenheit  durch  Tadeln  des  Aelteren  ins  rechte  Licht 
zu  setzen  sucht 

Sehr  deutlich  ist  diese  allmähliche  Wanderung  der  brah- 
manischen Cultur  von  Westen  nach  Osten  in  einer  Legende 
ausgesprochen,  die  sich  im  ersten  Buche  des  ^atÄpatha-Brahmam 
findet4: 


1  S.  auch  Weber,  Ind.  Lit,  p.  142—144. 
•  fat.  Br.  14,  9,  3.  15;  9,  4,  33. 
»  Buddha,  p.  405. 

4  gat.  Br.  1,  4,  1,  10;  vgl.  Weber,  Ind.  Stud.  1,  170  flg.  Olden- 
berg, Buddha  p.  406.  , 


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189  — 


„Videgha  Mathava,  der  Stammheros  der  Videha,  zieht  über 
die  Sadänira1  nach  Osten  und  begründet  dort  die  Herrschaft 
der  Videha  Aber  Agni  Vaic,vanara,*  der  von  der  Sarasvatl 
kommt,  geleitet  ihn  nicht  hinüber;  er  kann  nicht  über  die 
Sadänira  hinwegflammen»  Deshalb  gingen  früher  keine  Brah- 
manen  über  die  Sadänira  nach  Osten,  denn  es  war  schlechtes 
Land,  davon  Agni  Väicvänara  nicht  gekostet  hatte.  'Jetzt 

aber  wohnen  östlich  von  dort  viele  Brahmanen;  jetzt  ist 

es  gar  gutes  Land,  denn  nun  haben  Brahmanen  es  mit  Opfern 
geniessbar  gemacht/"  8 

Von  Interesse  und  Wichtigkeit  ist  uns  im  (Jatapatha- 
Brahmana  insbesondere  auch  die  Beziohung  zu  denjenigen  Ge- 
stalten, welche  später  in  den  grossen  Epen  erscheinen.  So 
wird  z.  B.  Janamejaya,  der  aus  dem  Mahäbhärata  berühmte 
Kuru- König,  hier  zuerst  genannt  Es  heisst,  dass  dieser  Jana- 
mejaya, Sohn  des  Parikshit,  mit  seinen  Brüdern  durch  ein 
Pferdeopfer  „von  aller  Uebelthat,  allem  Brahmanenmorde"  4  be- 
freit wird;6  dunkle  und  nicht  näher  bekannte  Greuel,  in 
welchen  nach  Weber  die  Grundlage  der  Sage  des  Mahäbhärata 
zu  suchen  wäre,6  resp.  des  im  Mahäbhärata  geschilderten -Unter- 
ganges des  Kuru-Geschlechtes.  Das  nach  dem  grossen  Epos 
siegreiche  Geschlecht  der  Pändu  begegnet  uns  noch  nirgend« 
in  den  Brähmaua's,  und  es  ist  bemerkenswerth  für  die  Genesis 
dieses  Epos,  dass  der  Name  des  Haupthelden  der  Pändu,  des 
Arjuna,  im  ^atapatha-Brähmana 7  noch  als  Name  des  Indra 
erscheint,  mit  dem  er  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ursprünglich 
identisch  ist.6 

In  jenem  schon  früher  erwähnten  König  Janaka,  dem 
frommen  Schutzherrn  des  Yäjflavalkya,  müssen  wir  wohl  den 
gleichnamigen  Vater  der  Sitä,  der  Heldin  des  Rämäyana, 
wiedererkennen. 

Die  Sage  von  der  Sündfluthd  begegnet  uns  zuerst  im 
Qatapatha-Brähmana  und  ist  von  dort  in  das  Epos  über- 
gegangen.  Desgleichen  finden  wir  hier  die  rührende  Erzählung 

1  D..  i.  über  den  Grenzfluss  Sadänira. 

*  D.  i.  das  allvorehrte  heilige  Feuer. 

*  Oldenberg,  Buddha,  p.  406.  407. 

*  brahmahatyä. 

5  Vgl.  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  139. 

a  Weber,  a.  a.  0.  p.  151. 

'  Wie  auch  in.  der  Vajasaneyi-Sainhitt. 

8  Weber,  a.  a.  0.  p.  151.    Im  Epos  gilt  er  als  Sohn  des  Indra. 

9  Ueber  die  auch  im  Zendavesta  (Vendidad,  Fargard  II)  ein  Bericht 
vorliegt. 


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—    190  — 

von  der  Liebe  und  der  gewaltsamen  Trennung  des  Purftravas 
und  der  Urvaci,1  die  den  Stoff  für  eines  der  schönsten  indi- 
schen Dramen  abgeben  sollte.  Ja,  auch  Bharata,  der  Sohn 
des  Duhshanta  (Dushyanta)  von  der  Apsaras  Qakuntala  tritt 
schon  im  Qatapatha-Brahmana  auf.  Wir  sehen  also  eine  Fülle 
der  wichtigsten,  später  viel  benutzten  Sagenstoffe  hier  im  Qata- 
patha-Brahmana  theils  angeführt,  theils  angedeutet 

Auch  nach  anderen  Richtungen  hin  eröffnet  uns  das  Qata- 
patha-Brahmana  neue  Perspectiven.  Es  finden  sich  hier  Be- 
rührungspunkte mit  der  Tradition  von  der  Entstehung  der 
Samkhya-Lehre  und  mit  den  Anfängen  des  Buddhismus.  So 
wird  z.  B.  Asuri  von  der  Tradition  als  eine  Hauptautorität 
für  die  Samkhya-Lehre  genannt,  und  Asuri  ist  der  Name  eines 
im  Qatapatha-Brähmana  vielfach  erwähnten  Lehrers.* 

Die  Gautama's,  mit  welchem  Geschlechtsnamen  sich  auch 
die  Qakya'8  von  Kapilavastu  nannten,  denen  Buddha  entstammte» 
sind  unter  den  Lehrern  und  in  den  Lehrerlisten  des  Qatapatha- 
Brahmana  besonders  oft  genannt,  und  in  dem  Lande  der 
Kocala-Videha  fasste  der  Buddhismus  ja  zuerst  festen  Fum 
Bemerkenswerth  ist  auch  das  Vorkommen  der  Worte  Arhant,* 
Qramana4  und  Pratibuddha.  Wenn  dieselben  auch  noch  nicht 
in  dem  technischen  Sinne  der  Buddhisten6  gebraucht  werden, 
so  ist  doch  schon  das  erstmalige  Auftreten  dieser  Worte  von 
Interesse,  weil  die  Buddhisten  offenbar  hier  anknüpften. 

Kurzum  das  Qatapatha-Brahmana  ist  für  uns  eine  Fund- 
grube wichtiger  und  bemerkenswerther  Erzählungen  und  Data, 
sowie  auch  die  demselben  einverleibte  Upanishad,  das  Brihad- 
Aranyaka,  mit  Recht  für  die  grösste  und  schönste  aller  Upani- 
shaden  gilt6 

Als  Brahmana  des  Atharvaveda  gilt  das  sogenannte  Go- 
patha- Brahmana,  doch  liegt  in  demselben  ein  näherer  Bezug 
zur  Samhita  des  Atharvaveda  eigentlich  nicht  vor.  Atharvan 
tritt  in  demselben  als  ein  Prajäpati  auf,  der  von  Brahman  äls 
Demiurgos  bestellt  ist7 


1  Deren  übrigens  auch  schon  ein  vielfach  dunkles  Lied  des  Ri^veda 
Erwähnung  thut  (RV  10,  95). 

■  S.  Weber  a.  a.  0.  p.  152. 
a  S.  gat  Br.  3,  4,  1,  3  flg. 

*  S.  Brih.  Ar.  4,  1,  22;  Taitt  Ar.  2,'  7  neben  tapasa. 

*  Vgl.  Weber»  a.  a.  0.  p.  152.  153. 

6  Aus  dieser  Upanishad  werden  wir  in  den  folgenden  Capiteln 
fTTössere  Stücke  mittheilen. 

7  Vgl.  Weber,  Ind.  LH.,  2.  Aufl.,  p.  167. 


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191  - 


An  Upanishaden  wird  eine  sehr  grosse  Anzahl  zum 
Atharvaveda  gerechnet,  aber  es  sind  dies  zum  grossen  Theil 
viel  jüngere  Producte,  die  sogar  bis  in  die  Puräna-Zeit  hinab- 
reichen. Man  muss  in  der  Upanishaden-Literatur  sehr  sorg- 
faltig scheiden  zwischen  den  älteren  Werken,  die  wir  bereits 
als  integrirende  Bestandteile  der  drei  Hauptveda's  kennen  ge- 
lernt haben,  und  jüngeren  oder  auch  ganz  jungen  Schriften 
dieser  Art,  und  darf  sich  also  durch  die  blosse  Bezeichnung 
„Upanishad"  nicht  irre  leiten  lassen.  Die  Anhänger  des 
Atharvaveda  haben  auch  mehrere  der  den  anderen  Veden  ein- 
verleibten oder  angehörigen  Upanishaden  in  einer  Atharva- 
Recension  ihrem  Veda  zugezählt.  Eine  derselben  ist  uns  von 
Wichtigkeit,  weil  sie  uns  nur  in  dieser  Recension  erhalten  ist, 
nämlich  die  Käthaka-Upanisbad,1  die  offenbar  der  alten  Schule 
der  Katha's  angehört  und  uns  ihres  Inhaltes  wegen  von  ent- 
schiedenem Interesse  ist  Den  Upanishaden  der  älteren  Veda's, 
die  sich  mit  der  Untersuchung  über  das  Wesen  des  Allgeistes, 
des  Ätman,  beschäftigen,  stehen  unter  den  speciell  zum  Atharva- 
veda gehörigen  Upanishaden  am  nächsten  wohl  die  Mun<)aka- 
und  die  Pracna-Upanishad,  welche  von  den  späteren  Autoritäten 
der  Vedänta-Philo8ophie  (Badaräyana  und  Qamkara)  viel  citirt 
werden.*  Eine  jüngere  Kategorie  von  Atharvaveda-Upanishad's 
beschäftigt  sich  nicht  mehr  mit  der  philosophischen  Unter- 
suchung des  Allgeistes,  sondern  behandelt  den  Yoga,  d.  h.  die 
Versenkung  in  den  Allgeist  (Ätman),  die  Stufen  in  derselben 
und  die  äusseren  Mittel  dazu;8  während  eine  dritte,  noch  be- 
deutend jüngere  Kategorie  dieser  Atharvaveda- Upanishad's 
sektarische  Zwecke  verfolgt,  an  Stelle  des  Atman  den  Vishnu 
oder  Qiva  setzt,  und  offenbar  jenen  viel  späteren  Jahrhunderten 
entstammt,  wo  sich  Indien  vornehmlich  dem  Cultus  dieser  beiden 
Götter  weihte. 

Die  Gesammtzahl  der  bis  jetzt  bekannten  Upanishaden  ist 
schon  eine  sehr  bedeutende.  Weber  zählte  (i.  J.  1876)  deren 
235.4  Doch  sind  für  uns  bei  unserer  gegenwärtigen  Unter- 
suchung nur  die  ältesten  unter  ihnen  von  Bedeutung,  d.  h.  vor 
Allem  diejenigen,  welche  sich  als  Schlusstheile  der  drei  Haupt- 
Veden  erhalten  haben  und  welche  darum  den  Namen  Vedanta 
oder  „Ende  des  Veda"  tragen;  ein  Name,  der  später  auf  die 


1  Oder  Katbopanish&d. 

*  8.  Denssen,  Vedanta,  p.  12;  Weber,  Ind.  Lit.,  p.  175. 

•  Weber,  a.  a  0.  p.  180. 

■  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  171  Anm. 


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orthodoxe  Philosophie  übergegangen  ist,  welche  ihre  Lehi 
wesentlich  auf  diese  Schriften  gründet.1 


1  Nach  Weber  (a.  a.  0.  p.  172  Anm.)  w&ren  die  ältesten:  Aitarej 
Kaushitaki-,  Vaehkala-,  Chando^ya-Up.,  (atarudriya,  QikshavalH  o* 
Taittiriya-Samhitopanishad,  Tadeva,  Qivasamkalpa,  Purushasukta,  *Ica-i 
und  Brihad-Aianyakam.  Zu  diesen  möchte  ich  noch  KäthaJca-,  Mai 
und  C?etac,vatara-Up.  hinzufügen;  vielleicht  auch  Mundaka-  und  Pra«, 
Up.  Vgl.  noch  M.  Müller,  Sacred  Books  of  the  Eaat,  Vol.  XV,  Int 
duction. 


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Vierzehnte  Vorlesung. 


Die  (ranta-  und  Smarta- Sütra's.  Die  wichtigsten  Werke  der  Qr&uta- 
Literatur.  Charakteristik  der  Grihyasiltra's  und  Angabe  der  wichtigsten 
Werke  dieser  Art.  Einiges  über  die  standischen  Verhältnisse.  Die  vier 
A.crama'8  oder  Lebensstufen.  Versuch,  deren  Entstehung  historisch  zu 
begreifen.  Allgemeine  Schilderung  der  geistigen  Bewegung  jener  Zeit 
Der  theologische  Wettkampf  bei  König  Janaka  Ton  Videha, 


Anf  die  Periode  der  Brahmana's  folgte,  wie  früher 
wähnt,  die  der  Sütra's,  welche  in  ihrer  Fortsetzung  wohl  bis 
weit  in  die  buddhistische  Zeit  hineinreicht.  Das  Wort  „Sutra", 
Ton  der  Wurzel  siv  „nähen",  heisst  eigentlich  soviel  als  „Faden, 
Schnur**,  daher  dann  auch  „Leitfaden,  Lehrbuch",  und  diesen 
Charakter  von  Leitfaden  tragen  die  betreffenden  Werke  in  der 
Tbat  an  sich.  Nach  all  den  weitschweifigen,  umfangreichen 
und  oft  verworrenen  Untersuchungen  und  Darlegungen  der 
Brahmana's  empfand  man  das  Bedürfhiss,  die  Regeln,  nach 
denen  das  Opfer  wie  überhaupt  das  Leben  der  Frommen  sich 
richten  sollte,  in  übersichtlicher  Gestalt  vor  sich  zu  sehen,  und 
es  entstanden  die  Sütra's,  welche  aber  nicht  etwa  bloss  als  ein 
Extract  der  Brahmana's  anzusehen  sind,  sondern  vielmehr  sehr 
Vieles  darbieten,  was  bis  dahin  nur  mündlich  gelehrt  und  über- 
liefert worden  war. 

Die  Sütra's  zerfallen  in  zwei  Hauptabtheilungen:  die  so- 
genannten Qräuta-  oder  Kalpasütra's,  welche  sich  ausschliess- 
lich mit  der  systematischen  Darstellung  des  Opferrituals  be- 
schäftigen, und  die  sogenannten  Smärtasütra's,  welche  das 
häusliche  und  bürgerliche  Leben  regeln  sollen. 

Qr&utasütra  heisst  soviel  als  ein  Sütra,  welches  auf  der 
^rutd,1  d.  h,  der  heiligen  Ueberlieferung,  der  auf  höhere  Offen- 
barung zurückgehenden  Tradition  beruht,  worunter  der  Veda  und 

1  £rnti  von  der  Wurzel  cru  „hören"  (cf.  xXvw)  bedeutet  eigentlich 
das  „Hören",  das  „Gehör". 

Scfar&ier,  Indiens  Ut.  ».  Cnlt.  13 


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—   194  — 

hier  insbesondere  die  Br&hmana's  Yerstanden  werden.  Smarta- 
sütra  dagegen  kommt  von  dem  Worte  Smriti,  d.  h.  Erinne- 
rung, Gedächtniss,  dann  speciell  eine  als  massgebende  Autorität 
geltende  Ueberlieferung  profanen  Charakters.  Es  sind  die  münd- 
lich überlieferten  Regeln  für  häusliches  und  öffentliches  Leben, 
für  Sitte  und  Gesotz,  welche  nicht  den  Anspruch  erheben,  auf 
göttlicher  Offenbarung  zu  beruhen.  Sie  zerfallen  wieder  in  die 
sogenannten  Grihyasütra'B  oder  die  Haus-Regeln,  welche  die 
im  häuslichen  und  ehelichen  Leben  zu  beobachtenden  Cere- 
monieen  behandeln,  wie  sie  z.  B.  bei  der  Geburt,  beim  Eintritt 
in  die  Lehrjahre,  bei  der  Verheirathung  u.  dgl.  zu  vollfuhren 
sind;  und  zweitens  die  Dharmasütra's  oder  Gesetzes-Sütra's, 
welche  das  Recht  darstellen  und  den  späteren  Gesetzbüchern 
zu  Grunde  liegen. 

Auch  bei  den  Sutra's  müssen  wir  —  ebenso  wie  bei  den 
Upanishaden  —  stets  ältere  und  jüngere  unterscheiden,  und 
die  Periode,  in  welcher  diese  Werke  entstanden,  hat  sich  jeden- 
falls über  mehrere  Jahrhunderte  hin  erstreckt  Einen  besonders 
alterthümlichen  Eindruck  hat  mir  unter  den  (Jrautasütra's  das 
sogenannte  Manava-Qräutasütra  gemacht,  zur  Schule  der  MAna- 
va's  gehörig,  der  auch  das  berühmte  sogenannte  „Gesetzbuch 
des  Manu"  entstammt  und  die  eine  Unterabtheilung  der  M&iträ- 
yaniya's  bildete.1  Dieses  Werk  ist  noch  nicht  edirt,  es  finden 
sich  aber  in  der  Münchener  Hof-  und  Staatsbibliothek  zwei 
Manuscripte  desselben  vor,  die  ich  durchgesehen  habe. 

Das  Mänava-Qr&utasütra  hat  noch  mehr  einen  schil- 
dernden, darstellenden  Charakter,  schliesst  sich  in  Styl  und  Art 
ganz  eng  an  die  Brahmana-Theile  des  Y%jurveda  und  unter- 
scheidet sich  von  diesen  eigentlich  nur  dadurch,  dass  es  eben 
auschliesslich  den  Gang  des  Opfers  darstellt,  ohne  sich  auf 
weitere  Speculationen,  Legenden  iL  dgL  einzulassen.  In  der 
Folge  strebten  aber  die  Verfasser  der  Sütra-Werke  immer  mehr 
nach  Gedrängtheit  und  Kürze  im  Ausdruck,  um  auf  solche 
Weise  die  grösste  Uebersichtlichkeit  zu  erreichen.  So  bestehen 
die  Sutra's  zuletzt  nur  aus  ganz  kurzen  formelhaften  Sätzen, 
zu  deren  Verständniss  es  eingehender  Commentare  bedarf.  Es 
ist  uns  ein  charakteristischer  Ausspruch  der  Brahmanen  hier- 
über erhalten,  des  Inhalts,  dass  der  Verfasser  eines  Sütra  sich 
mehr  darüber  freue,  einen  einzigen  Buchstaben  erspart  zu  haben, 
als  über  die  Geburt  eines  Sohnes.1 

1  Vgl.  oben  p.  111  Anm. 

*  8.  Max  Müller,  Ursprung  und  Entwickelung  der  Religion,  p.  168  — 
Weber  Bagt  über  diesen  Punkt  in  seiner  Ind.  Literatargesch.  II  A.  p.  17. 


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195  — 


Man  kann  sich  diese  Entwickelung  sehr  anschaulich  machen, 
wenn  man  z.  B.  das  vorhin  erwähnte,  mehr  darstellende  Qrauta- 
sütra  der  Manava's  mit  dem  schon  ganz  formelhaft-kurzen 
des  Katyayana,1  dem  Crautasütra  des  weissen  Yajurveda,  zu- 
sammenhält und  vergleicht  Zum  schwarzen  Yajurveda  gehören 
ausser  dem  erwähnten  Sütra  der  Manava's  noch  mehrere  andere. 
In  der  Schule  der  KaYha's  war  das  Sütra  des  Laugakshi  in 
Geltung.  Von  den  uns  bekannten,  zur  Taittiriya-Schule  ge- 
hörigen, Qrautasutra's  gilt  als  ältestes  das  des  Baudhayana; 
zur  selben  Schule  gehören  das  Qrautasütra  des  Bharadvaja, 
das  des  Äpastamba  und  das  des  Hiranyake$in.*  Ausser 
diesen  Werken  müssen  vor  Allem  aber  noch  die  beiden  Qrauta- 
sttra  des  Rigveda  namhaft  gemacht  werden,  nämlich  das  des 
Xcvalayana  und  das  des  Qankhayana,  von  denen  das  entere 
eich  an  das  Aitareya-Brahmana  anschliesst,  das  letzere  an  das 
Qlfikhayana-Brahmana. 8 

Zum  Samaveda  gehören  die  Qrautasütra  des  Magaka, 
des  LatyAyana  und  Drahyäyana.4  Zum  Atharvaveda 
endlich  das  Vaitanasütra.6 


„Die  Breite  der  Darstellung  in  den  Einzelnheiten  mnsste  einer  kurzen 
Uebersicht  der  Gesammtheit  dieser  Einzelnheiten  weichen :  bei  der  grossen 
Misse  derselben  wir  aber  die  möglichste  Kürze  nöthig,  nm  das  Gedacht- 
nisa  nicht  an  sehr  zu  beschweren,  eine  Kurze,  welche  übrigens  sehr  ge- 
dringt und  anigmatisch  ausgefallen  ist,  und  zwar  um  so  mehr,  je  selbst- 
itlndiger  die  Sütra-Literatur  ward,  je  mehr  man  sich  der  daraus  ent- 
springenden Vortheile  bewusst  wurde:  je  alter  daher  ein  Sütram,  desto 
verstandlicher  ist  es,  je  rathselhafter,  desto  jüngeren  Ursprung  bekundend." 
—  Dem  entsprechend  unterscheidet  auch  Panini  (4,  8, 105)  wie  bei  den 
Br&hmana's,  so  auch  bei  den  Kalpa's,  d.  h.Kalpa-  oder  ^rautasütra's, 
die  Ton  den  Alten  herrührenden  von  denen,  die  seiner  eigenen  Zeit  naher 
stehen  (Tgl.  Weber  ebenda). 

1  Veröffentlicht  als  dritter  Band  von  Web er's  Ausgabe  des  weissen 
Yajurveda,  vgl.  oben  p.  89  Anm. 

•  Auch  ein  Vaikhanasa-Sntra  wird  dazu  gerechnet.  Veröffent- 
licht ist  von  allen  diesen  grautasutra's  des  schwarzen  Yajurveda  bis  jetzt 
nur  ein  Theil  des  Apastamba-Qr.  S.,  und  zwar  von  R.  Garbe  in  der 
Bibiiotheca  Indica.  (The  Qr&uta-Sütra  of  Apastamba,  belonging  to 
tbe  Taittiriya-Samhitä,  with  the  common tary  of  Rudradatta  edited  by 
Dr.  Richard  Garbe,  Prof.,  Vol.  I  Calcutta  1882.  Vol.  II  Calcutta 
1883-1886.) 

»  Vgl.  Weber,  Ind.  Iit,  2.  Aufl.,  p.  57.  —  Das  grautaaütr*  des 
Xcvalayana  ist  sammt  dem  Commentare  des  Narayana  Gargya  ver- 
öffentlicht in  der  Bibiiotheca  Indica,  Calcutta  1864—74,  vop  Rama- 
Narayana  und  Anandacandra.  —  Eine  Ausgabe  von  (ankhayana't 
fraotasütra  hat  A.  Hillebrandt  begonnen  (Bibiiotheca  Indica,  Cal- 
catta  1886.  Fase.  I  n.  II). 

4  Näheres  s.  bei  Weber,  Ind.  Iit,  2.  Aufl.,  p.  82  flg. 

5  Das  letztere  ist  herausg.  von  Dr.  Richard  Garbe,  London  1878 

18» 


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—   196  - 


Für  das  richtige  Verständniss  des  Opferrituals  sind  diese 
Werke  von  unschätzbarem  Werth,  ja  unentbehrlich,  so  wenig 
anziehend  und  interessant  sie  im  Uebrigen  auch  sein  mögen. 

Weit  mehr  allgemein  menschliches  Interesse  als  diese 
rituellen  Bücher  können  die  sogenannten  Grihyasütra's  für 
sich  in  Anspruch  nehmen,  denn  hier  blicken  wir  hinein  in  das 
häusliche  und  tägliche  Leben  des  Inders,  wie  sich  dasselbe 
altem  Brauch  gemäss  gestaltet,  hier  hören  wir  die  Rathschläge, 
denen  gemäss  der  Fromme  in  den  wichtigsten  Wechselfällen 
des  Erdendaseins  verfahren  soll.  Manch  sinnige,  manch  merk- 
würdige Sitte  ist  in  diesen  Büchern  aufbewahrt,  und  Manches, 
das,  wie  die  Vergleichung  lehrt,  x  seinem  wesentlichen  Inhalt 
nach  in  uralte  Zeit  zurückreicht.  Die  Grihyasütra's  sind  die 
ältesten  und  wichtigsten  indischen  Denkmäler  für  alles  das,  was 
wir  unter  dem  Wort  „Sitte"  zusammenfassen. 

Da  werden  die  häuslichen  Opfer  gelehrt,  mit  denen  der 
Mann  seiner  Wohnstätte  die  rechte  Weihe  giebt,  die  Gebete, 
die  er  täglich  sprechen,  die  Spenden,  die  er  darbringen  soll 
Da  entrollt  sich  vor  uns  in  lebendigen  Zügen  das  Bild,  wie 
der  junge  Inder  seinen  Hausstand  begründet,  wie  er  nach 
einem  passenden  Mädchen  sich  umsieht  und  seine  Brautwerber 
aussendet;  wie  die  Werber  im  Hause  der  Jungfrau  feierlich 
ihr  Anliegen  vorbringen,  die  Geschlechtsnamen  des  freienden 
Jünglings  herzählend;  wie  beide  Parteien  dann,  wenn  man  sich 
gegenseitig  gefällt,  ein  Gefäss  berühren,  das  mit  Blumen,  zer- 
stossenem  Getreide,  Früchten,  Gerste  und  Gold  gefüllt  ist:  wio 
der  Lehrer  mit  segnenden  Sprüchen  dies  Gefäss  der  Jungfrau 
aufs  Haupt  setzt  und  so  die  Verlobung  geschlossen  ist;  wie 
dann  der  glücklich  Verlobte  ein  feierliches  Opfer  darbringt 
und  wie  die  Jungfrau  zum  Hochzeitsfest  bereitet,  mit  duftendem 
Wasser  gewaschen  und  in  festliches  Gewand  gekleidet  wird. 
Opfer  werden  gebracht,  junge  Weiber  führen  Tänze  auf  und 
man  speist  die  Brahmanen.  Der  festlich  bereitete  Bräutigam 
wird  von  glücklichen  jungen  Frauen  zum  Hause  des  Mädchens 
geleitet,  wobei  auch  Scherz  und  Muthwille  ihr  Recht  finden.1 
Nach  feierlicher  Begrüssung  überreicht  der  Bräutigam  der 
Braut  seine  Geschenke  und  erhält  vom  Schwiegervater  eine 


(Vaitana  Siltra,  The  Ritual  of  the  Atbarvaveda);  und  von  Demselben 
übersetzt,  Strasburg  1878. 

1  Nach  Qaükh.  1,  12  wird  der  Bräutigam  bei  dieser  Gelegenheit 
von  den  hingen  Frauen  ein  wenig  gehänselt:  er  darf  ihnen  aber,  wenn 
sie  mancherlei  von  ihm  verlangen,  nicht  widerstreben,  natürlich  in  den 
Grenzen  des  Erlaubten. 


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-    197  — 


Kuh  als  Ehrengabe.1  Der  Bräutigam  fasst  mit  der  Rechten 
die  Rechte  der  Braut  mit  den  Worten:  „Ich  ergreife  zum  Heil 
deine  Hand!*4  und  fuhrt  sie  zu  einem  bestimmten  Stein,  den 
sie  mit  der  rechten  Fussspitze  betreten  muss,  ein  symbolischer 
Act,  der  die  Ueberwindung  alles  Feindlichen  in  Zukunft  be- 
deutet Dann  umwandeln  sie  gemeinsam  das  Feuer  und  die 
Braut  bringt  mit  eigener  Hand  ein  besonderes  Opfer  von  ge- 
röstetem Opferschrot,  mit  Mimosenblütben  untermischt,  im 
Feuer  dar,  wozu  der  Bräutigam  begleitende  Sprüche  spricht. 
Dann  machen  sie  zusammen  noch  sieben  feierliche  Schritte, 
und  nun  gilt  der  Ehebund  als  fest  besiegelt  Die  Braut  nimmt 
Abschied  vom  Elternhaus  und  es  folgt  die  Brautfahrt,  durch 
manchen  sinnigen  Brauch  ausgezeichnet  Im  Hause  des  Gatten 
wird  der  Neuvermählten  ein  Knabe  aus  guter  Familie  auf  den 
Schooss  gesetzt;  das  soll  eine  gute  Vorbedeutung  sein.  Nach 
Sonnenuntergang  zeigt  der  junge  Mann  ihr  den  Polarstern 
und  ermahnt  sie,  so  fest  und  unwandelbar  bei  ihm  zu  vor- 
harren. Drei  Tage  sollen  sie  Enthaltsamkeit  üben;2  am  vierten 
erst,  nach  feierlichen,  glückverheissenden  Bräuchen,  findet  die 
endgültige  eheliche  Vereinigung  statt3  —  Ist  die  junge  Frau 
guter  Hoffnung,  so  müssen  nun  wieder  zu  bestimmten  Zeiten 
glückbringende  Bräuche  ausgeführt  werden,  die  endlich  in  der 
Ceremorfie  für  den  Neugeborenen  und  der  Namengebung  gipfeln. 
Kach  zehn  Tagen  wird  das  Aufstehen  gefeiert,  nach  sechs 
Monaten  das  Kosten  der  Speise.  Nach  einem  Jahre  endlich, 
oder  im  dritten  Jahre  findet  die  Ceremonie  des  Haarschneidens 
statt4  Der  Knabe  wird  im  bestimmten  Alter,  mit  einem  Fell 
oder  einem  frischen  Gewand,  mit  Gürtel  und  Stab  gerüstet, 
einem  Brahmanen  als  Schüler  zugeführt,  und  mit  sinnigen 
Sprüchen6  und  Wechselreden  wird  das  Vorhältniss  zwischen 
iihrer  und  Schüler  geknüpft  Wie  dann  der  Schüler  im  Hause 

*  Ein  ähnlicher  Brauch  findet  Bich  auch  hie  und  da  im  deutschen 
Volk;  vgl.  die  schwabische  Sitte,  „dass  man  der  Braut  die  schönste  Kuh 
im  Stalle  mitgab;"  nach  A.  Birlinger  angefahrt  in  Ind.  Stud.Vp.  455. 

»  Man  ?gl.  die  drei  Tobiasnachte  der  Deutschen;  8.  Ind.  Stud.  V, 
p.  466.  456. 

*  Die  Heirathsgebrauche  der  I  der  nach  den  Grihyasütra 
sind  eingehend  behandelt  und  dargestellt  van  Haas,  Ind.  Stud.  V,  p.  267 
bis  412;  dazu  vgl.  Weber  ebenda  177—266. 

4  So  beim  Brahmanen;  beim  Krieger  im  fünften,  beim  Vaicja  im 
siebenten  Jahre. 

a  So  sagt  z.  B.  der  Lehrer:  „In  meinen  Willen  nehme  ich  dein 
Herz,  meinem  Denken  folge  dein  Denken;  meines  Wortes  freue  dich  von 
ganzer  Seele;  Brihaspati  verbinde  dich  mir!"  (C  *•».  Grihy.  2,  4;  Ind. 
Stud.  XV,  p.  52). 


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-    198  - 

des  Lehrers  sich  zu  benehmen,  wie  und  was  er  zu  lernen, 
welche  Opfer  und  Gebete  er  auszuführen  hat,  das  Alles  wird 
in  den  Grihya-Sütren  eingehend  dargelegt;  ebenso  wie  ein 
würdiger  Gast  zu  empfangen  ist  u.  a.  m.  Ist  endlich  der  junge 
Mann  vom  Lehrer  als  reif  entlassen  und  will  er  sich  sein 
eigenes  Haus  bauen,  so  geben  wieder  die  Grihya-Sütren  die 
Regeln  und  Bräuche  dabei  an.  Dann  wird  gelehrt,  wie  er  zu 
verfahren  hat  und  welche  Sprüche  er  sprechen  muss,  wenn  er 
verreist  und  wenn  er  wieder  heimkehrt;  unter  welchen  Bräuchen 
er  die  Erstlingsfrüchte  gemessen  soll,  was  er  sprechen  soll 
über  die  auf  die  Weide  gehenden  Kühe  und  welche  Bräuche 
befolgt  werden  müssen  beim  Kennzeichnen  der  Kühe,  beim  Zu- 
lassen des  Stieres  u.  dgL  m.  Auch  die  Spende  für  die  Vor- 
fahren und  das  Todtenopfer  für  die  Verstorbenen  giebt  das 
Sütra  an.  Es  lehrt,  wie  nun  der  selbständig  gewordene  Manu 
ßelbst  bei  sich  in  festlicher  Feier  die  Yedenschule  eröffnet,  wie 
er  das  Studium  vorzunehmen  hat,  bei  welchen  Vorkommnissen 
er  pausircn  darf  u.  dgl.  m.  Die  Weihe  von  Teichen,  Brunnen 
und  Seeon,  die  Weihe  eines  Gartens,  das  Verfahren  nach  bösen 
Träumen  oder  wenn  man  schlimme  Vorzeichen  erblickt  hat, 
wenn  eine  Eule  sich  auf  dem  Hause  niedergelassen,  wenn  eine 
Krankheit  ausgebrochen,  wenn  sich  im  Hause  Bienen  oder 
Ameisen  angesiedelt,  dieses  und  gar  manches  A  eh  n  Ii  che  und 
Andere  wird  in  den  häuslichen  Sutren  angegeben,  die  nach 
alledem  von  hohem  culturgeschichtlichen  Werthe  sind  und 
Jeden  fesseln  müssen,  der  für  das  Leben  des  Volkes,  seine 
Vorstellungen,  Sitten  und  Gebräuche  ein  Interesse  hat;  und 
dies  um  so  mehr,  als  sich  gar  Vieles,  was  bei  den  Indern 
bräuchlich  ist,  auch  bei  den  stammverwandten  Völkern  vorfindet, 
was  dann  zum  Theil  bis  in  die  Zeit  der  indogermanischen  Ein- 
heit zurückreicht 

Von  den  verschiedenen  uns  vorliegenden  Grihyasütra's 
seien  zuerst  die  beiden  zum  Rigveda  gehörigen  genannt,  welche 
dem  Acvalayana1  und  dem  Qankhayana*  zugeschrieben 
werden.  Zum  schwarzen  Yajurveda  gehört  das  Kathaka- 
Grihyasütra,  das  hoffentlich  bald  veröffentlicht  werden  wird, 
sowie  auch  das  Man ava-  Grihyasütra,  über  welches  P.v.Bradke 


x  Herausgegeben  und  übersetzt  von  Ad.  Fr.  Stenzler,  1864.  1866. 
(Abhandlungen  d.  dtsch.  Morgenl.  Ges.  Bd.  III  No.  4  and  Bd.  IV  No.  1. 
Text  mit  Comm.  auch  in  der  Bibliotheca  Indica  1866.  1869.)  Englisch 
von  H.  Oldenberg  in  den  Sacred  Books  Vol.  XXIX. 

*  Herausgegeben  und  übersetzt  von  H.  Oldenberg,  Ind.  Stud.  XV 
p.  1—166.   Englisch  von  demselben  in  den  Sacred  Books  Vol.  XXIX. 


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—    199  — 

yor  einigen  Jahren  berichtet  hat1  Dem  weissen  Tajurreda 
gehört  das  Grihyasütra  des  Paraskara*  an;  dem  Samaveda 
das  des  Gobhila;9  zum  Atharvaveda  das  Kan$ikasütra.4 

Die  Besprechung  der  zweiten  C lasse  Ton  Smartasütra, 
nämlich  der  sogenannten  Dharmasütra  oder  Gesetzea-Sütra, 
werden  wir  am  Besten  wohl  auf  eine  spätere  Zeit  Terschieben, 
wo  wir  die  Rechtsliteratur  zu  betrachten  haben.  Sie  werden 
uns  dann  als  Grundlagen  der  späteren  Gesetzbücher  oder 
DharmacAstra's  von  Wichtigkeit  sein.6 


Ueberschauen  wir  im  Allgemeinen  die  Verhältnisse  dieser 
Periode,  deren  Literatur,  mit  deu  Brahmana's  beginnend,  sich 
einerseits  in  den  Sütra's,  andererseits  in  den  Aranyaka's  und 
Upanishaden  fortsetzt,  so  gewinnen  wir  zunächst  den  Eindruck, 
dass  im  Verlaufe  dieser  Jahrhunderte  die  specifisch  brahma- 
nische  Caltur  mit  den  immer  starrer  werdenden  Schranken  und 
Satzungen,  die  sie  sowohl  dem  gottesdienstlichen  Thun  wie 
auch  dem  täglichen  Verhalten  des  Menschen  auferlegte,  sich 
immer  fester  und  entschiedener  ausbildet. 

Fester  zogen  sich  die  ständischen  Verhältnisse  zusammen, 
entschiedener  und  sicherer  traten  die  Priester  mit  ihren  An- 
sprüchen auf;  doch  darf  das  Vorschreiten  in  dieser  Richtung 
seit  der  Zeit  der  Yajurveden  kein  sehr  bedeutendes  genannt 
werden;  es  ist  mehr  Regelung  und  Ordnung  dieser  Verhält- 
nisse, was  diese  Periode  zu  Wege  gebracht  hat  Einzelne 
Notizen,  die  hierher  gehören,  dürften  indessen  doch  von 
Interesse  sein. 

Ein  Schiedsrichter,  sagte  schon  die  Taittirlya-  Sainhita,  hat 
stets  einem  Brahmanen,  nicht  seinem  Gegner,  der  kein  Brah- 


1  In  der  Ztschr.  d.  deutsch.  Morg.  Ges.  Bd.  XXXVI,  p.  417  flg. 
Leider  ist  der  Text  dieses  Sütra  sehr  incorrect  überliefert. 

*  Dasselbe  ist  herausgegeben  und  übersetzt  Yon  Ad.  Fr.  Stensler, 
Leipzig  1876.  1878  (Abhandlungen  d.  dtsch.  Morg.  Ges.  Bd.  VI  No.  2 
und  No.  4.)   Englisch  Ton  H.  Oldenberg,  Sacr.  Books  XXIX. 

*  Der  Text  von  Gobhila's  Grihyasütra  samxnt  Commentar  ist 
in  der  Bibliotheca  Indica  durch  Chandrak&nta  Tarkalafikara  (Cal- 
catta  1880)  herausgegeben,  und  neuerdings  wieder  von  Friedrich 
Knau  er,  Dorpat  1884  (Doctor-Diss.);  der  Letztere  hat  auch  eine  vor- 
treffliche Uebersetzung  dieses  Sütra  nebst  eingehenden  Anmerkungen 
veröffentlicht  (Leipzig  1886,  in  Commission  bei  Simmei).  Das  Sutra  des 
Gobhila  darf  als  eines  der  ältesten,  vollständigsten  und  interessantesten 
Gnhy&werko  bezeichnet  werden. 

*  Man  vgl.  darüber  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  168.  169. 

*  Tgl.  unten  Vorlesung  XLIX. 


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-    200  - 

mane  ist,  Recht  zu  geben.1  Später  wird  gelehrt,  hartnäckiger 
Widerstand  gegen  die  Superiorität  eines  besonderen  Gelehrten 
habe  augenblicklichen  Tod,  ja  sogar  Verlust  der  Gebeine  des 
Todten  zur  Folge.8 

An  einer  Stelle  des  Qatapatha-Brähmana  heisst  es 
sogar:  Anderer  Todtschlag  als  der  eines  Brahmanen  ist  kein 
wirklicher  Todtschlag.3  —  Insbesondere  zeugen  manche  Stellen 
von  der  schlechten  und  verächtlichen  Behandlung  des  Qüdra. 
So  sagt  eine  Stelle  des  Äitareya-Brähmana,4  der  Brah- 
ma ne  sei  Gaben  empfangend,  trinklustig,  (überall)  einkehrend, 
nach  Belieben  sich  aufmachend;  der  Kshatriya  wird  nach 
dem  Zusammenhang  der  Stelle  übergangen;  der  Vaic,ya  ist 
den  Anderen  (beiden  Kasten)  tributpflichtig,  ihnen  unterworfen, 
nach  Belieben  auszunutzen;  der  Qüdra  ist  der  Anderen  Diener, 
nach  Belieben  hinauszuwerfen  und  zu  tödten.6 

Die  Begehrlichkeit  der  Priester  in  materieller  Hinsicht 
scheint  mit  der  Zeit  entschieden  zu  wachsen.  Wir  sehen  im 
Yajurveda  im  Ganzen  bescheidene  Bestimmungen  in  dieser 
Hinsicht.  Das  Qatapatha-Brahmana  sagt  aber  schon  z.  B.:  Bei 
einem  Sorna- Opfer  dürfen  nicht  unter  100  (Rinder)  gegeben 
werden.6  Nach  dem  Äitareya-Brähmana  (8,  20)  soll  der  con- 
secrirende  Brahmane  bei  der  Königsweihe  Gold,  1000  Rinder 
und  ein  Stück  Land  erhalten.  In  dem  weit  jüngeren  Kätyayana 
Qr.  heisst  es,  dass  beim  sogenannten  Gosava  10000  Rinder  zu 
geben  seien;7  beim  Abhisheka,  einem  Theile  der  Königsweihe, 
100000-/  Lätyäyana  verlangt  sogar  240000'.9 

DieBrahmana's  erzählen  bisweilen  von  enormen  Schenkungen, 
doch  mag  dabei  auch  manche  Uebertreibung  mit  unterlaufen. 
„Die  Habgier  der  Brahmanen  —  sagt  Weber  —  feiert  hier 
wahre  Orgien."10  Im  Allgemeinen  stellt  derselbe  Gelehrte  in 
dieser  Hinsicht  den  Satz  auf:  „Je  älter,  je  bescheidener;  je 
später,  je  massloser 11 

Dabei  scheint  es  mit  der  Sittlichkeit  eben  nicht  besser 
geworden  zu  sein.    Wenigstens  machen  die  leichten  Bussen 

1  TS.  2,  6,  11,  9.       *  S.  Weber,  Ind.  Stud.  X,  118. 

•  Cat  Br.  13,  3,  5,  3:  8.  Weber,  Ind.  Stud.  X,  p.  66. 

4  Ait.  Br.  7,  29. 

5  S.  Weber,  Ind.  Stud.  X,  p.  14. 

6  <>t.  Br.  4,  3,  4,  3;  Ind.  Stud.  X,  p.  52. 
1  Katy.  22,  11,  6. 

•  Katy.  15,  4,  51. 

•  Laty.  9,  1,  9—13. 

10  Vgl.  Ind.  Stad.  X,  p.  54. 
"  Ind.  Stud.  X,  p.  54. 


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-    201  — 

and  Sühnungen,  die  in  don  Sütra's  für  oft  recht  bedeutende 
Keuschheitsvergehen  vorgeschrieben  werden,  durchaus  den  Ein- 
druck laxer  Moral,  und  die  Anklagen,  welche  Buddha  gegen 
das  allzu  freie  und  weltliche  Leben  der  Brahmanen  erhebt, 
werden  wohl  schwerlich  ganz  unbegründet  gewesen  sein.1  lu- 
dessen zeigt  uns  doch  auch  diese  Zeit  wieder  viel  zu  viel 
wirkliche  geistige  Arbeit  und  ideales  Streben,  als  dass  wir  ein 
Recht  hätten,  die  damaligen  Brahmanen,  die  bei  der  geistigen 
Arbeit  jedenfalls  hervorragend  betheiligt  waren,  nur  als  herrsch- 
süchtige und  begehrliche  Pfaffen  zu  kennzeichnen. 

Regelung  und  Ordnung  trat  für  das  Leben  jedes  Einzelnen 
in  seinen  verschiedenen  Entwickelungs  -  Stadien  mehr  und 
mehr  ein. 

Die  Kunde  der  heiligen  Schriften  sollte  eifrig  gepflogt 
werden.  Jeder  Arya  sollte  die  Veden  kennen  lernen;  das 
häusliche  Leben  musste  von  Opfern  und  Gebeten  begleitet  sein. 
Aber  auch  dem  allmählich  erwachenden  Drange,  in  die  Stille 
der  Wälder  zu  flüchten  und  dort  ein  beschauliches  Leben  zu 
fuhren  oder  gar,  Allem  entsagend,  als  frommer  Bettler  um- 
herzuwandern, musste  Rechnung  getragen  werden,  und  so  ent- 
stand mit  der  Zeit  die  Eintheilung  des  Lebens  in  vier  Stufen 
oder  Stadien,  Acrama's  genannt,  von  denen  der  Theorie  nach 
der  Brahmane  alle  vier,  der  Kshatriya  drei,  der  Vaicja  zwei 
durchmachen  sollte.8 

Es  sind  keineswegs  etwa  die  Brahmanen  allein  privilegirt, 
den  Veda  zu  lesen  und  zu  studiren,  wie  man  dies  früher  wohl 
fälschlich  dargestellt  hat,  indem  man  sie  als  einen  Stand  be- 
liehne te,  der  die  heiligen  Schriften  als  sein  alleiniges  unan- 
tastbares Eigenthum  beanspruchte,  seinen  Schatz,  dessen  aus- 
schliessliche Kunde  ihm  die  Herrschaft  über  die  anderen  Kasten 
Terbürgte,  und  den  er  deswegen  neidisch  vor  den  Anderen  als 
Geheimlehre  hütete.  Dies  ist  völlig  unrichtig.  Vielmehr  war 
das  Studium  des  Veda  auch  den  anderen  arischen  Ständen 
nicht  bloss  erlaubt,  sondern  es  wurde  sogar  von  ihnen  gefordert. 
Der  nichtarische  Qüdra  allein  ist  davon  ausgeschlossen-  Darum 
soll  jeder  arische  Inder  seinen  Lebenslauf  als  BrahmacArin* 
oder  Brahmanenschüler  beginnen. 


1  Vgl.  Weber,  Ind.  Stud.  X,  p.  102—104. 

a  Dem  Cüdra  bleibt  bloss  eine,  nämlich  das  ihm  ein  für  allemal 
ingewiesene  Leben,  in  welchem  er  jenen  Acrama's  der  arischen  Stande 
KMi  fremd  bleibt 

1  Nach  M.  Maller  „Brahmastudent*?,  weil  der  Veda  auch  Brahman 
heisrt.  (8.  Ursprung  und  Entwicklung  der  Religion,  p.  390.) 


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-  202 


Ein  junger  Brahmane  soll  im  achten  oder  zehnten  Jahre 
nach  der  Empfängniss,  ein  Kshatriya  im  elften,  ein  Vaicja  im 
zwölften  Jahre  nach  der  Empfängniss,  also  im  siebenten  bis 
elften  Lebensjahre  soll  ein  jeder  Arier- Knabe  in  das  Hans 
ein  es  Lehrers  gebracht  und  demselben  zum  Zwecke  des  Unter- 
richtes im  Veda-Studium  übergeben  werden.1  Nur  das  Vorrecht 
dieses  Unterrichtes  scheinen  die  Brahmanen  sich  vorbehalten 
zu  haben. 

Der  Brahmacarin  musste  Morgens  und  Abends  seine  Ge- 
bete sprechen  und  im  Hause  des  Lehrers  sich  manchen  Dienst- 
leistungen unterwerfen.  Er  müsste  bei  Haus-  und  Feldarbeit 
dem  Lehrer  helfen;  musste  das  heilige  Feuer  bedienen,  Brenn- 
holz und  Wasser  holen,  den  Boden  um  den  Herd  rein  halten; 
das  Vieh  des  Lehrers  hüten  und  im  Dorfe  herumwandern,  um 
Spenden  für  den  Lehrer  einzusammeln.8  Dafür  wird  ihm  nun 
von  dem  Lehrer  der  Veda  gelehrt,  und  zwar  besteht  der 
Unterricht  im  systematischen  Auswendiglernen  der  wichtigsten 
heiligen  Schriften.  Der  Lehrer  spricht  bei  der  Lection  immer 
ein  paar  Worte  vor  und  die  Schüler  müssen  dieselben  nach- 
sprechen und  sich  genau  einprägen.  Ist  auf  diese  Weise  ein 
Abschnitt  beendet,  so  müssen  ihn  alle  mit  erhobener  Stimme 
und  der  richtigen  Betonung  der  Reihe  nach  wiederholen  und 
lernen,  bis  sie  ihn  inne  haben,  —  und  so  geht  das  fort  Es 
wurde,  wie  wir  jetzt  sicher  wissen,  der  Veda  auf  solche  Weise 
ausserordentlich  correct  und  genau  überliefert,  mit  peinlichster 
Beobachtung  der  kleinsten  Aeusserlichkeiten;  und  das  hat  sich 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  noch  bis  auf  den  heutigen  Tag 
erhalten.8 

Als  die  kürzeste  Frist  für  das  Veda-Studium  giebt  das 
Sütra  des  Äpastamba  12  Jahre  an,  als  längste  48  Jahre.4  Ist 
die  Lohrzeit  beendet,  so  muss  der  Schüler  noch  gewisse  Ge- 
schenke als  Zahlung  entrichten  und  verlasst  das  Haus  des 
Lehrers  als  ein  Snätaka  oder  „Einer,  der  gebadet  hat"  (oder 
Samavrtta,  d.  h.  Einer,  der  zurückkehrt).     Einige  blieben 

1  Bis  zum  sechzehnten  Jahre  ist  für  den  Brahmanen  die  Zeit  noch 
nicht  vorüber;  bis  zum  zweiundzwanzigsten  für  den  Krieger,  bis  zum 
vierandzwanzigsten  für  den  Vaicva.  Nach  diesem  Termine  sind  sie  nicht 
mehr  als  Schüler  anzunehmen,  nicht  zum  Vedastudium  und  Opfer  zuzu- 
lassen, man  soll  nicht  mit  ihnen  verkehren.   (Vgl.  £ankh.  Grihy.  2,  1.; 

*  C&rikh.  Grihy.  2,  6  „Tägliches  Anlegen  des  Brennholzes,  Bettel- 
gang, Schlafen  auf  dem  Boden,  Gehorsam  gegen  den  Meister  sind  die 
stehenden  Pflichten  des  Schülers.*1   (S.  Ind.  Stud.  XV,  p.  54.) 

3  Vgl.  M.  Müller,  Ursprung  u.  Entw.  d.  Rel.  p.  184. 

4  Xp.  1,  2.  12;  s.  M.  Müller,  ürspr.  u.  Entw.  d.  Rel.  p.  390. 


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—    203  — 

übrigens  auch  dauernd  im  Hause  des  Lehrers  als  sogenannte 
Naishtfüka's;  andere  zogen  fort,  um  im  Walde  als  Einsiedler 
zu  leben,  oder  als  religiöse  Bettler  herumzuwandern.  Die 
Regel  aber  ist,  dass  der  Arier  nach  Vollendung  der  Lehrjahre 
sich  sein  eigenes  Haus  gründen  soll. 

Er  verheirathet  sich  und  tritt  damit  in  das  zweite  Lebens- 
stadium ein,  indem  er  Grihastha  oder  Hausvater  wird.1 
Er  hat  jetzt,  abgesehen  von  seinen  Pflichten  für  Haus  und 
Familie,  den  Veda  selbst  zu  studiren,  resp.  auch  zu  lehren, 
und  es  liegt  ihm  in  fest  vorgeschriebener  Ordnung  die  Dar- 
bringung einer  ganzen  Reihe  von  Opfern  an  die  Götter,  sowie 
an  die  Manen  seiner  Vorfahren  ob. 

Erst  wenn  er  erwachsene  Söhne  hat,  die  selbst  ihr  Haus 
sich  gründen,  mag  er  sein  Haus  verlassen  und  allein  oder  mit 
seiner  Frau  in  den  Wald  ziehen.  Er  beginnt  damit  das  dritte 
Leben sstadium  oder  Äcrama,  als  Waldeinsiedler  oder  Vana- 
prastha.  Der  indische  Wald  bot  einen  angenehmen  Aufent- 
halt zum  beschaulichen  Leben,  und  solch  ein  Einsiedler  zu 
werden  bedeutete  in  jenen  südlichen  Gegenden  ganz  etwas 
Anderes,  als  es  in  unseren  Himmelsstrichen  bedeuten  würde. 
Die  Früchte  des  Waldes  boten  dem  Vänaprastha  seine  Nahrung 
dar.  Er  mochte  nun  noch  diese  oder  jene  fromme  Verrichtung 
ausüben,  im  Ganzen  aber  genoss  er  Freiheit  und  ruhige  Müsse, 
und  sollte  vor  Allem  nur  in  stiller  Vertiefung  des  heiligen 
Wissens  innerlich  recht  bewusst  zu  werden  suchen.  Den  Gang 
der  Opfer  und  ihre  Bedeutung  sollte  er  durchdenken  und 
seinem  Geiste  vergegenwärtigen.  Diesem  Zwecke  waren  jene 
an  die  Brahmana's  sich  anschliessenden  Aranyaka's  oder 
Waldbücher  gewidmet,  von  denen  ich  früher  erzählt  habe.  Bei 
dieser  geistigen  Vertiefung  sollte  er  dann  bis  zur  Betrachtung 
des  Allgeistes,  der  Weltseele,  die  in  Allem  wirkt  und  waltet, 
gelangen,  wie  sie  in  den  Upanishaden,  den  Schlusssteinen 
der  vedischen  Weisheit,  gesucht  und  in  begeisterten  Worten 
verkündigt  wird.  Auch  konnte  Askese  verschiedener  Art  in 
diesem  Lebensstadium  geübt  werden.  Vor  Allem  aber  war  es 
ein  still  beschauliches  Leben,  frommen  Gedanken  geweiht,  an- 
gemessen dem  hohen  Alter  dieser  Einsiedler. 

Für  den  frommen  Brahmanen  gab  es  dann  noch  ein  viertes 
Lebensstadium.  War  es  endlich  mit  aller  Lebensarbeit,  auch 
der  bloss  geistigen  Anstrengung  meditirender  Versenkung  und 
philosophischen  Nachdenkens  zu  Ende,  dann  sollte  er  Alles 


1  Eigentlich  ein  „im  Hause  Befindlicher". 


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abthun,  er  sollte  in  das  vierte  Stadium  treten  und  ein  Sam- 
nyasin  werden,  d.  h.  eben  Einer,  der  von  sich  abgelegt,1  auf- 
gegeben oder  entsagt,  d.  h.  der  Welt  ganz  und  völlig  entsagt 
hat  Er  mochte  aller  Pflichten  ledig  dann  als  Bettler1  umher- 
ziehen nnd  von  den  Spenden  frommer  Menschen  leben,  bis  der 
Tod  seinem  gottgeweihten  Leben  ein  Ziel  setzte.  Er  durfte 
ruhig  sterben;  er  hatte  allen  Pflichten  genügt. 

Dies  das  ideale  Bild  von  dem  Leben  des  Frommen  jener 
Tage,  wie  es  uns  die  Bücher  der  Brahmanen  vorführen.  Wie 
weit  die  Wirklichkeit  diesen  theoretischen  Anforderungen  ent- 
sprochen haben  mag,  lässt  sich  mit  Sicherheit  nicht  entscheiden. 
Indessen  haben  wir  keinen  Grund  daran  zu  zweifeln,  dass  die 
Glieder  des  brahmanischen  Glaubens- Verbandes  sich  im  Wesent- 
lichen nach  diesen  Vorschriften  richteten. 

Freilich  macht  es  zunächst  einen  etwas  seltsamen  Eindruck, 
dass  man  im  Alter  das  Haus  verlassen,  im  Walde  leben  und 
zuletzt  als  Bettler  herumziehen  solle.  Es  könnte  eingewandt 
werden,  dass  diese  ganze  Lebenseinrichtung  doch  sehr  gekünstelt 
erscheint.  Wer  den  Drang  nach  frommer  Meditation  und  dem 
Einsiedlerleben  empfindet,  wird  ein  Solcher  warten,  bis  er  er- 
wachsene und  vcrheirathete  Söhne  hat?  Und  wer  diesen  Drang 
nicht  empfindet,  —  wird  der  sich  im  Alter  den  Mühsalen 
solchen  Lebens  unterwerfen  wollen? 

Eine  solche  Frage  ist  zunächst  durchaus  berechtigt,  in- 
dessen muss  es  betont  werden,  dass  das  indische  Waldleben, 
wio  schon  früher  bemerkt,  keine  so  schlimme  oder  mühselige 
Existenz  war,  und  ferner,  dass  die  einheimisch-indischen  Quellen 
in  diesem  Punkte  völlig  übereinstimmen,  dass  uns  in  der  Lite- 
ratur zahlreich  gonug  die  Beispiele  entgegentreten,  die  uns 
zeigen,  dass  man  wirklich  das  Leben  in  dieser  Weise  gestaltete. 
Auch  den  Griechen,  als  sie  im  vierten  Jahrhundert  Indien 
kennen  lernten,  fielen  vor  Allem  die  zahlreichen  Waldeinsiedler, 
die  sie  treffend  vloßioi  nannten,  als  etwas  Wunderbares  und 
Merkwürdiges  in  die  Augen.  Ja,  bis  in  die  jüngste  Zeit  be- 
richtet man  ähnliche  Fälle  vom  Sichzurückziehen  in's  Einsiedler- 
leben nach  vollbrachter  Lebensarbeit  Wir  werden  also  wohl 
nicht  zweifeln  können,  dass  jene  Bestimmungen  für  das  Leben 
der  alten  Inder  wirklich  reale  Bedeutung  hatten.3 

1  Das  Wort  Sainnyasin  kommt  von  der  Wurzel  as  (werfen)  mit  den 
Praepp.  sam  und  nif  in  der  Bedeutung  „von  sich  abwerfen,  ablegen". 

*  bhikßhu  oder  parivraj,  parivrajaka. 

•  Vgl.  auch  M.  Müller,  Ursprung  u.  Eotwickel.  d.  Religion  p.  389. 
398—401.  Uebrigöns  ißt  immer  im  Auge  zu  behalten,  daas  dies  Einsiedler- 


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—    205  - 


Ich  denke,  wir  müssen  es  versuchen,  diese  merkwürdigen 
Erscheinungen  historisch  zu  begreifen,  dann  werden  sie  uns 
nicht  mehr  so  unwahrscheinlich  vorkommen. 

Jene  Zeit  des  immer  mächtiger  heranwachsenden,  Lieben 
und  Denken  beherrschenden  Opferwesens  brachte  in  notwen- 
diger Folge  den  ebenfalls  immer  mächtiger  wachsenden  Drang 
nach  innerer  Vertiefung,  Sammlung,  Ruhe  hervor.  Gerade  die 
tiefer  angelegten  Naturen  konnten  von  der  Ausübung  all  des 
unendlichen  Geremoniells  unmöglich  wahrhafte  und  volle  innere 
Befriedigung  erlangen.  Sie  mussten  es  empfinden,  dass  trotz  der 
scheinbar  völlig  ausreichenden  Erfüllung  der  heiligen  Pflichten 
doch  im  tiefsten  Innern  eine  Leere  blieb,  die  sich  schmerzlieh 
nach  Ausfüllung  sehnte.  Und  es  trieb  sie  hinaus  in  Wald  und 
Einsamkeit,  um  'dem  nachzusinnen,  was  sich  da  in  ihrem  Innern 
regte,  ihrem  eigensten  inneren  Wesen  und  dem  Göttlichen  und 
Heiligen,  das  in  der  Natur  und  im  Opfer  wirken  sollte.  Noch 
Andere  warfen  Alles  von  sich,  zogen  als  fromme  Bettler  umher 
und  verzichteten  in  mönchischer  Weise  auf  alles  Lebensglück, 
um  bloss  den  Gedanken  an  das  Heilige  zu  loben.  Diese  Rich- 
tung wuchs  offenbar  mit  der  Zeit  immer  mehr  an  Einfluss  und 
Verbreitung,  bis  zuletzt  dadurch  die  heilige  Opferordnung  selbst, 
die  Frucht  jahrhundertelanger  Arbeit  und  mühevollen  Strebens, 
geradezu  völlig  in  Frage  gestellt  wurde.  Wer  sollte  denn  noch 
opfern,  wer  die  altberühmten,  Welt.  Götter  und  Leben  regieren- 
den Ceremonieen  vollziehen,  wer  den  heiligen  Pflichten  genügen, 
wenn  eine  Richtung  die  Oberhand  gewann,  die  das  Alles  von 
sich  warf  und  in  den  Wald  oder  in  die  weite  Welt  hinaus  zog? 
Das  war  gleichbedeutend  mit  oiner  Auflösung  der  socialen  Vor- 
hältnisse, das  durfte  nicht  in  gefährlicher  Weise  um  sich  greifen. 
Darum  machten  die  ßrahmanen  mit  entschieden  praktischem 
Scharfblick  den  Versuch,  jene  idealen,  aus  dem  innersten  Ge- 
müth  geborenen  Strebungen,  deren  tiefe  Berechtigung  gerade 
die  Besten  unter  ihnen  gewiss  selbst  mächtig  empfanden,  mit 
den  praktischen  Forderungen  des  Lebens  und  seiner  Ordnung 
zu  versöhnen.  Sie  vindicirten  jener  Richtung  ihr  volles  Recht, 
aber  sie  verlegten  sie  in  ein  späteres  Stadium  des  Lebens.  Sie 
sagten:  Ja,  es  ist  nicht  nur  Recht,  es  ist  sogar  Pflicht,  hinaus 
zu  ziehen  und  den  Gedanken  über  das  Göttliche  und  Heilige 


leben  im  Alter  nur  vor  den  Brahmanen  und  Kriegern  gefordert  wurde, 
nicht  aber,  wie  schon  oben  erwähnt,  von  den  Vaicjas,  die  doch  jeden- 
falls die  Hauptmasse  des  Volkes  ausmachten;  von  den  C;adra's  gar  nicht 
ru  reden.  Das  vierte  Lebensstadium  endlich  war  nur  dem  brahmanischen 
Stande  eigen. 


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-    206  — 

sich  hinzugeben,  aber  zuvor  muss  der  Mann,  der  wahrhaft  gott- 
ergebene Mann,  den  Pflichten,  die  das  Leben,  die  die  Gesell- 
schaft ihm  auferlegt,  auch  wirklich  genügt  haben.  Er  muss 
zuerst  in  eifrigem  Studium  den  Inhalt  der  heiligen  Schriften 
sich  angeeignet,  er  muss  die  gebotenen  Opfer  Jahr  um  Jahr 
ausgeführt,  er  muss  oinen  Sohn  gezeugt  haben,  der  einst  für 
ihn  das  Manenopfer  darbringen  kann  und  der  an  seiner  Statt 
nun  den  Pflichten  eines  Hausvaters  Genüge  leistet,  —  wenn  er 
das  Alles  vollbracht  hat,  dann  ist  die  Zeit  für  ihn  gekommen, 
dann  gehe  er  in  den  Wald,  dann  versenke  er  sich  in  die  Be- 
trachtung des  heiligen  Wissens  und  in  die  Gedanken,  die  zur 
Erkenntniss  des  Allgeistes  hinfuhren.  Dann  mag  er  auch  zuletzt 
als  Bettler,  aller  Pflichten  ledig,  über  die  Erde  hinziehen,  wie 
es  ihm  behebt,  —  er  hat  gethan,  was  ihm  obläg,  und  heilig 
und  gesegnet  ist  sein  Ende. 

Sie  sehen  also,  die  neuausgebildete  brahmanische  Lebens- 
ordnung der  vier  Äcjama's  oder  Lebensstufen,  sie  ist  der  gross- 
artige Versuch,  jene  zwei  mächtigen  geistigen  Strömungen,  von 
denen  eine  die  andere  aufzuheben  und  zu  vernichten  drohte, 
die  Richtung  auf  das  Veden-Studium  und  das  Opferwerk  einer- 
seits, und  die  Richtung  auf  rein  geistige,  quietistische  Ver- 
tiefung in  das  Heilige  und  das  Wesen  des  Allgeistes  anderer- 
seits, ausgleichend  und  friedlich  mit  einander  zu  vermitteln 
und  zu  versöhnen.  Sie  waren  beide  berechtigt,  aber  es  waren 
verschiedene  Stadien  der  Entwickelung,  und  so  sollten  sie  denn 
auch  in  verschiedenen  Lebensaltern  geübt  werden. 

Ich  habe  diesen  Versuch  einen  grossartigen  genannt,  und 
er  verdient  die  Bezeichnung,  denn  er  hat  seine  gewaltige  Kraft, 
seine  Lebensfähigkeit  durch  Jahrtausende  bewiesen.  Wohl  ge- 
lang es  dem  ganz  ideal  angelegten  Buddhismus,  der  nur  den 
Mönch,  den  frommen  Bettler  als  vollberechtigtes  Glied  der 
Gemeinde  der  Heiligen  ansieht,  sich  für  Jahrhunderte  den  Vor- 
rang zu  verschaffen,  aber  er  musste  endlich  doch  weichen  und 
der  brahmanischen  Lebensordnung  wieder  Platz  machen. 

Suchen  wir  nun  noch  in  kurzen  Zügen  ein  Bild  von  der 
geistigen  Physiognomie  der  in  Rede  stehenden,  von  den  Brah- 
mana's  ausgehenden  und  in  den  Upanishaden  gipfelnden  und 
abschliessenden  Zeitepoche  zu  gewinnen. 

Es  muss  eine  Zeit  rastloser  geistiger  Arbeit  gewesen  sein, 
jene  Jahrhunderte,  wo  die  mächtigen  Veden  gesammelt,  ge- 
ordnet und  zum  Theil  neu  geschaffen  wurden,  wo  der  ungeheure 
Bau  des  Opferrituals  sich  aufthürmte,  wo  in  den  prosaischen 
Th eilen   der  Yajurveden  und  Brähmana's  die  theologischen 


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—    207  — 

Meinungen  und  Speculationen  der  Priester  zusammengetragen 
wurden.  Mag  man  noch  so  gering  über  den  Werth  dieser 
ganzen  Opferweisheit  denken,  Eines  muss  unbedingt  zugegeben 
werden  und  nöthigt  uns  Achtung  ab:  Das  beständige,  rastlose 
Ringen  und  Arbeiten,  mit  dem  man  jene  vermeintlich  höchsten 
geistigen  Schätze  zu  erläutern  und  zu  mehren  suchte,  mit 
dem  man  strebend  und  immer  strebend  durch  zahllose  Mühen 
sieb  hindurcharbeitet.  Und  soll  nicht  auch  hier  das  Wort 
gelten: 

Wer  immer  strebend  sich  bemüht, 
Den  dürfen  wir  erlösen!  — 

Aber  so  leicht  war  hier  ein  Uebergang  nicht  zu  finden. 
Erst  nrasste  tiefe,  schmerzliche  Sehnsucht  die  Gemüther  er- 
fassen, Sehnsucht  nach  etwas  Anderem,  Höherem,  Besserem, 
nach  dem  Höchsten  und  Besten,  was  Menschensinn  und  -Herz 
ra  fassen  vermag.  Und  in  der  That,  wir  sehen  es,  —  während 
die  brahmanische  Cultur  von  ihrem  Geburtslande  im  Westen 
aus  sich  über  die  anderen  indischen  Stämme,  die  Stämme  des 
Ostens  zu  verbreiten  beginnt,  bemächtigt  sich  eine  immer 
wachsende  Erregung  der  Gemüther,  geistige  Gährungsprocesse 
Ton  unberechenbarer  Tragweite  nehmen  ihren  Anfang;  ein 
Drang  erwacht,  mit  dem  Auge  des  Geistes  das  tiefste  Innere 
der  Welt  und  des  eigenen  Ich  zu  erschauen,  das  Heilige,  die 
Seele  der  Welt  zu  erkennen. 

Man  fragt  nach  jenem  unbekannten  Gotte,  dem  goldenen 
Keim  der  Welt,  der  in  allen  Bingen  sich  offenbart;  man  fragt 
nach  dem  Prajapati,  dem  Herrn  der  Geschöpfe,  der  durch  sich 
selbst  und  aus  sich  selbst  alle  Wesen  und  Welten  geschaffen; 
nach  dem  Urwesen,  dem  Purusha,  aus  dem  Alles  geworden; 
nach  dem  Atman,  der  Seele  der  Welt  wie  des  eigenen  Wesens, 
nach  dem  Brahman,  dem  Inbegriff  aller  Heiligkeit  und  geist- 
lichen Hoheit.  Eine  Sehnsucht  erwacht  nach  Frieden  und 
Ruhe  in  einer  höheren  Erkenntniss,  die  dem  Herzen  mehr  zu 
geben  vermag  als  das  bestvollendete*  Opferwerk;  und  zum 
ersten  Mal  in  der  Weltgeschichte,  so  weit  wir  sie  kennen,  er- 
scheinen Menschen  und  nehmen  immer  zu  an  Zahl,  welche  die 
Güter  der  Erde  verschmähen,  weil  sie  nur  ein  Streben  noch 
kennen:  die  Erkenntniss  des  Höchsten.  So  sagt  uns  eine  Stelle 
des  Brihad-Aranyaka,  jener  wunderbaren  Upanishad,  die  im 
vierzehnten  Buche  des  (^atapatha-Brähmana  enthalten  ist:  „Ihn 
den  Atman  (die  Weltseele)  erkennend,  stehen  Brahmancn  davon 
ab,  nach  Söhnen  zu  begehren  und  nach  Reich thum  zu  be- 


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-   208  - 

gehren  und  nach  der  Welt  zu  begehren  und  ziehen  als  Bettler 
umher« 1 

Aber  nicht  Brahmanen  allein,  —  nein,  das  Charakteri- 
stische jener  Zeit  besteht  gerade  darin,  dass  der  tiefe  theologisch- 
philosophische  Drang  ein  allgemeiner  wird,  dass  von  ihm  Stände 
und  Schichten  ergriffen  werden,  die  ähnlichen  Fragen  und 
Untersuchungen  früher  gänzlich  ferne  standen  und  die  nun 
mit  einem  Male  mit  fascinirender  Gewalt  von  ihnen  gefesselt 
werden.   Könige  veranstalten  geistliche  Turniere,  wo  die  ge- 
lehrtesten Brahmanen  sich  mit  ihrer  Weisheit  messen;  ja  sie 
selbst  betheiligen  sich  mit  Eifer  an  der  Lösung  der  theosophi- 
schen  Fragen,  und  es  ist  kein  vereinzelt  dastehendes  Bild, 
wenn  im  Brihad-Xranyaka  der  stolze  Brahmane  Bäläki  Gärgya 
im  Wettstreit  mit  König  Ajatacatru  von  Ka$i  über  das  Wesen 
des  brahman,  sich,  zuletzt  besiegt  geben  muss  und  den  König 
bittet:  „So  belehre  denn  du  mich!"   Und  der  König  thut  es 
und  yerkündigt  ihm  seine  Gedanken.  -  Auch  der  weise 
Yajfiavalkya  lässt  sich  von  König  Janaka  belehren.    Ja,  es 
scheint,  dass  bei  der  Schöpfung  der  theosophischen  Upanishaden 
der  Stand  der  Ritter  und  Könige  in  hervorragender  Weise  be- 
theiligt war.8   Selbst  das  weibliche  Geschlecht  ist  nicht  aus- 
geschlossen. Weise  Frauen  erscheinen  in  den  geistlichen  Wett- 
kämpfen, wie  jene  streitlustige  Gärgi  Vacaknavi,  die  zu  Yäjfla- 
valkya  spricht3:  „Wie  der  Sohn  eines  (Je waltigen  von  K-kqi 
oder  Videha  an  seinem  Bogen  die  Sehne  aufziehend  und  zwei 
feindedurchbohrende  Pfeile  in  die  Hand  nehmend  sich  aufmacht 
so  habe  ich  mich  zu  dir  aufgemacht  mit  zwei  Fragen;  die 
sage  du  mir!"    Und  Yajfiavalkya  spricht:  „Frage  nur,  Gargi!u 
Sie  fragt  er  antwortet,  und  sie  preist  seine  Weisheit 

Ein  anderes  Capitel  des  Brihad-Aranyaka  zeigt  uns  den 
weisen  Yajfiavalkya  im  eifrigen  Gespräch  mit  seinem  Weibe 
Mäitreyi,  das  ihn  über  die  höchsten  und  letzten  Fragen  um  Be- 
lehrung bittet  u.  dgl.  m. 

Dieser  merkwürdige  Zug  jener  Zeit,  der  uns  die  allgemeine, 
gerade  auf  theologische  und  philosophische  Fragen  gerichtete 
geistige  Erregung  zeigt,  der  uns  Frauen  und  Könige  mit  Brah- 
manen über  die  Räthsel  der  Welt  disputirend  vorführt,  erinnert 
uns  lebhaft  an  die  ersten  nachchristlichen  Jahrhunderte,  wo  ja 
auch  die  theologischen  und  dogmatischen  Fragen  in  weiten 

1  S.  gat.  Br.  14,  6,  4,  1. 

*  Vgl  M.  Müller,  Urspr.  u.  Entwickel.  d.  Rel.  p.  388;  Deussen, 
Ve<tenta  p.  18. 

*  gat.  Br.  14,  6,  8. 


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-   209  - 

Kreisen  die  Gemüther  erregten,  wo  man  allerorten  über  diese 
Fragen  disputirte,  wie  heutzutage  etwa  über  Politik,  wo  die 
gnostischen  Philosopheme  entstanden  und  gottsuchende  Gemüther 
in  die  Felsenzellen  des  Sinai  flüchteten,  um  als  Einsiedler  und 
Mönche  zu  leben. 

Gestatten  Sie  mir  zum  Schluss,  Ihnen  als  ein  rechtes 
Zeitbild  in  kurzen  Zügen  jenen  theologischen  Wettkampf  vor- 
zuführen, den  uns  das  Brihad-Aranyaka  schildert1: 

König  Janaka  von  Videha  brachte  ein  Opfer  dar  mit 
reichem  Opferlohn.  Da  waren  die  Brahmanen  der  Kurupaficala's 
zusammengeströmt.  Janaka  von  Videha  aber  wünschte  zu  er- 
fahren: Wer  von  diesen  Brahmanen  ist  wohl  der  gelehrteste? 
Er  Hess  1000  Kühe  absondern  und  an  die  Hörner  einer  jeden 
waren  zehnmal  zehn  Päda  Goldes  gebunden.  Darauf  sprach 
er  zu  jenen:  „Ehrwürdige  Brahmanen!  Wer  von  euch  der  beste 
Brahmane  (oder  Brahman- Kenner)  ist,  der  möge  diese  Kühe 
wegtreiben!"2  Die  Brahmanen  aber  wagten  es  nicht.  Da 
sprach  Yäjöavalkya  zu  seinem  Schüler:  „Lieber  SämaQrava, 
treibe  du  die  Kühe  weg!'* 3  Und  er  brachte  sie  hinaus.  Da 
wurden  die  Brahmanen  zornig  und  sprachen:  „Wie?  will  etwa 
Dieser  unter  uns  der  beste  Brahmane  heissen?"  Es  war  da 
aber  Ac.  vala,  der  Opferpriester  (Hotar)  des  Janaka  von  Videha, 
der  fragte  ihn:  „Bist  du  wohl  etwa,  o  Yajfiavalkya,  unter  uns 
der  beste  Brahmane?"  Jener  aber  sagte:  „Vorehrung  bezeige 
ich  gern  dem  besten  Brahmanon,  —  auf  die  Kühe  aber  ist 
nun  einmal  mein  Begehren  gerichtet 1" 4 

Da  begann  ihn  Acvala,  der  Opferpriester,  zu  fragen.  Yajfia- 
valkya aber  bekundete  bei  allen  seinen  Antworten  vollkommene 
Kenntniss  des  Rituals  und  seiner  Bedeutung.  Gleich  bei  der 
ersten  Antwort  weiss  er  in  schmeichelhafter  Weise  die  hohe 
Bedeutung  des  „Opferpriesters"  ans  Licht  zu  setzen;  die  rechte 
Zahl  und  die  Namen  der  Gebete,  Spenden,  Gottheiten  und 
Lobgesänge  weiss  er  richtig  anzugehen.  Da,  so  heisst  es  zu- 
letzt, verstummte  der  Opferpriestcr  Acvala. 

Und  nun  beginnt  Ärtabhaga  zu  fragen  nach  all  den 
Graha's  und  Atigraha's,  d.  i.  den  verschiedenen  Somabechern 
und  Libationen,  und  keine  Antwort  bleibt  ihm  Yajnavalkya 


1  Qat.  Br.  14,  6,  1  flg. 

-  1).  h.  als  eine  ihm  zufallende  Ehrengabe. 

*  Da  kein  Anderer  don  Kampf  aufnimmt  und  den  Anspruch  auf  die 
Kühe  als  Ehrengabe  fttr  den  besten  Brahmanen  erhebt,  thut  es  Yajfia- 
valkya. 

4  D.  h.  er  fordert  also  die  Anderen  zum  Wettkampf  heraus. 

r.  Scbrdder,  Indiens  Lit.  u.  Cnlt.  14 


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—   210  — 


schuldig.  Da  dringt  Jener  endlich  tiefer  und  fragt:  „Wenn  der 
Mensch  gestorben  ist  und  seine  Stimme  in's  Feuer  geht,  sein 
Odem  in  den  Wind,  sein  Auge  in  die  Sonne,  sein  Geist  in  den 
Mond,  sein  Gehör  in  die  Himmelsgegenden,  sein  Körper  in  die 
Erde,  seine  Seele  in  die  Luft,  seine  Körperbaare  in  die  Kräuter, 
seine  Kopfhaare  in  die  Bäume,  Blut  und  Same  in  das  Wasser» 

—  wo  ist  dann  dieser  Mensch?" 

Und  merkwürdig  genug  ist  Yajfiavalkya's  Antwort.  „„Gieb 
mir  die  Hand,  lieber  Artabhäga,  spricht  er.  Wir  beide  wollen 
das  wissen,  aber  es  ziemt  sich  nicht  für  uns  darüber  zu  reden 
an  diesem  mit  Menschen  gefüllten  OrteIM"  Da  gingen  sie  hinaus 

—  fährt  der  Text  fort  —  und  unterredeten  sich.  Da  sprachen 
sie  von  dem  Thun,  da  priesen  sie  das  Thun!1  Rein  wird 
man  durch  reines  Thun,  böse  wird  man  durch  böses  Thun  I" 
(Diese  Gedanken,  welche  hier  noch  wie  eine  Geheimlohre  be- 
handelt werden,  deuten  Offenbar  die  Theorie  der  Seelen  Wande- 
rung an,  nach  der  der  Mensch  das  wird,  was  sein  Thun, 
seine  Werke  verdienen.) 

Darnach  schwieg  auch  *Artabhaga. 

Und  nun  fragt  Bbujyu  Läuhyayani  und  nach  ihm  Ka- 
li od  a  Käushitakeya:  „Das  offenbare,  nicht  verborgene  Brah- 
man,  den  'Atman,  der  in  Allem  ist,  erkläre  mir  den,  o  Yajfia- 
valkya! Welcher  Art  ist  dieser  Atman,  der  über  Hunger  und 
Durst,  Leid  und  Bethörung,  Alter  und  Tod  erhaben  ist?  Der 
Atman,  den  erkennend  Brahmanen  ablassen  nach  Söhnen  zu 
begehren,  nach  Reichthum  zu  begehren,  nach  der  Welt  zu  be- 
gehren!" Und  Yajfiavalkya  weiss  ihm  befriedigende  Antwort 
zu  geben. 

Darnach  fragt  auch  Ushasta  Cakrayana  nach  dem  offen- 
baren und  nicht  verborgenen  Brahman,  dem  Atman,  der  in 
Allem  ist:  „Wenn  man  sagt:  Dies  ist  ein  Rind,  dies  ist  ein 
Boss!  —  so  ist  das  damit  aufgezeigt  Was  aber  das  offenbare 
und  nicht  verborgene  Brahman  ist,  der  Atman,  der  in  Allem 
ist,  —  das  erkläre  du  mir,  o  Yajfiavalkya!"  Und  Yajfiavalkya 
weiss  auch  ihn  zufrieden  zu  stellen. 

Desgleichen  giebt  er  die  rechte  Antwort  auf  die  Fragen 
jenes  Uddalaka  Aruni,  der  an  einer  anderen  Stelle  sein 
Lehrer  genannt  wird.  „Der  ungesehene  Seher  —  so  lauten  die 
letzten  Worte  seiner  Antwort  — ,  der  ungehörte  Hörer,  der 
ungedachte  Denker,  der  unerkannte  Erkenn  er,  kein  anderer 
Seher  ist,  kein  anderer  Hörer,  kein  anderer  Denker,  kein  auderer 


1  Oder  die  That  (karman).  • 


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Erkenn  er,  das  ist  dein  Ätman,  der  im  Innern  weilt;  was  tob 
ihm  unterschieden  ist,  ist  leidvoll  !a  Da  schwieg  auch.  Uddalaka 
Aruni. 

Und  nun  kommt  die  gelehrte  Frau  Gärgi  V£caknavi 
mit  jener  herausfordernden  Einleitung,  und  nachdem  ihr  Ant- 
wort geworden,  preist  sie  freudig  den  Yajfiavalkya  vor  allen 
Brahmanen. 

Da  tritt  endlich  noch  Vidagdha  Qäkalya  mit  seinen 
Fragen  hervor.  Aber  diesmal  nimmt  es  ein  schlimmes  Ende. 
Weil  er  nicht  das  Rechte  weiss,  fällt  dem  Cakalya  nach  Yajfla- 
valkya's  Prophezeiung  der  Kopf  herunter! 

Da  sprach  Yajfiavalkya:  „Ehrwürdige  Brahmanen!  Wer  von 
auch  es  wünscht,  der  möge  mich  fragen,  —  oder  fraget  mich 
auch  Alle!  Wer  von  euch  es  wünscht,  den  will  ich  fragen,  — 
oder  ich  will  auch  euch  Alle  fragen!"  —  Sie  aber  wagten  es 
nicht 


In  den  nächsten  Vorlesungen  will  ich  es  versuchen,  Ihnen 
ron  den  philosophischen  Gedanken,  die  das  Resultat  dieser 
Epoche  sind  und  die  wir  vornehmlich  in  den  seit  Alters  be- 
rühmten Upanishaden  niedergelegt  finden,  eine  Vorstellung  zu 
geben,  —  den  Upanishaden,  welche  die  Grundlage  der  orthodox- 
brahmanischen  Philosophie  des  Vedänta  bilden  und  auch  in 
neuerer  Zeit  noch,  selbst  in  der  unvollkommenen  Uebersetzung 
des  Anquetil  Duperron,  im  Stande  gewesen  sind,  hervorragende 
Denker  mit  dem  Tiefsinn  ihrer  Aussprüche  zu  fesseln. 


14* 


Fünfzehnte  Vorlesung. 

Die  Philosophie  der  Upauishaden.  Ihre  Ursprünge  und  ihre  Entwickelung 
Vicvakarman,  Praj&pati,  Purusha;  Atman  und  Brahman.  Gespräch  det 
Balaki  Gargya  mit  König  Ajatayatru  von  K&cj,  aus  dem  Brihad-Aranyaka 

Frühe  schon  war  in  dem  Geiste  der  Inder  jener  Triefe 
erwacht,  der  in  die  Tiefe  des  Göttlichen  zu  dringen  strebte. 
Frühe  schon  wurden  hei  ihnen  die  Fragen  nach  dem  Welten- 
ursprung, nach  dem  Geheimniss  des  Werdens,  nach  den  Grün- 
den des  Seins  aufgeworfen.  Und  was  uns  hei  diesen  ersten 
Regungen  des  philosophischen,  resp.  theosophischen  Denkens 
und  Suchens  der  Inder  von  vornherein  charakteristisch  er- 
scheinen muss,  das  ist  der  Ernst,  der  unablässige  Eifer,  mit 
dem  bald  von  dieser,  bald  von  jener,  bald  von  einer  dritten 
Seite  die  Lösung  der  Fragen  versucht  wird.  Was  uns  in  der 
Philosophie  der  Upanishaden  als  schönes  und  tiefsinniges  Re- 
sultat vorliegt,  das  ist  nicht  das  Verdienst,  die  Schöpfung 
einiger  weniger  hervorragender,  erleuchteter  Geister,  nein,  wir 
sehen  seit  Alters  gleichsam  das  ganze  indische  Volk  an  der 
Lösung  dieser  Fragen  mitarbeiten.  Die  gesammte  Art  und 
Stimmung  des  religiösen  Denkens  trägt  einen  Charakter  an 
sich,  der  wie  mit  Naturnotwendigkeit  auf  jene  späteren  Resul- 
tate hindrängt. 

Ajrir  sahen  in  den  Hymnen  des  Rigveda  die  Inder  in  den 
einzelnen  Reichen  und  Erscheinungen  der  Natur  das  Göttliche 
suchen  und  erkennen.  Aber,  nicht  befriedigt  durch  die  be- 
grenzte Einzelerscheinung  des  Göttlichen  in  der  Natur,  die 
gerade  in  ihrer  harmonischen  Umgrenzung  einem  mehr  ästhe- 
tisch als  philosophisch  angelegten  Geiste  volles  Genügen  ge- 
währt hätte,  sucht  der  Inder  in  dieser  einzelnen  und  begrenzten 
Erscheinung  ein  hohes  und  höchstes  Göttliches,  das  durch  keine 
Schranken  mehr  in  seiner  Macht,  seiner  Grösse,  seiner  Weisheit 
und  Herrlichkeit  beschränkt  wird;  und  indem  dieses  Suchen, 
von  verschiedenen  Punkten  ausgehend,  sich  immer  weiter  und 


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-    213  - 


weiter  ausbreitet,  müssen  sich  die  verschiedenen  Gebiete,  in 
denen  der  gottsuchende  Geist  das  Höchste  gefunden  zu  haben 
glaubt,  mit  einander  berühren,  sie  fliessen  in  einander,  er  kommt 
Tom  Einzelnen  zum  Allgemeinen,  Allumfassenden,  Unumschränk- 
ten, Höchsten,  Ewigen  und  Unendlichen.  Von  der  Vielheit  der 
Erscheinungen  kommt  er  zu  der  Einheit,  die  im  Kern  und 
Grunde  all  der  Vielheit  verborgen  liegt. 

Wir  sahen  darum  zuletzt  einen  monotheistischen  Drang 
erwachen.  Einer  musste  es  doch  gewesen  sein,  der  all  das 
Viele  geschaffen,  und  man  nannte  ihn  Vicvakarman,  den  All- 
schöpfer. Einer  musste  es  doch  sein,  der  goldene  Keim  der 
Welt,  der  Erd  und  Himmel  stützte,  dessen  Gebot  die  Götter 
ehren,  der  über  Alles  herrscht,  den  Schneegobirg  und  Meer  in 
seiner  Macht  anerkennen,  dessen  Arme  die  Himmelsgegenden 
sind,  der  der  Lebenshauch  der  Götter  selbst  ist,  —  wer  ist 
der  Gott,  den  wir  mit  unserem  Opfer  ehren?  so  fragte  der 
fromme  Dichter.  Und  der  letzte  Vers  desselben  Liedes,  viel- 
leicht ein  später  zugefügter,  giebt  ihm  den  Namen  Prajäpati, 
der  Herr  der  Geschöpfe.1 

Wir  sahen  dann  in  den  prosaischen  Theilen  des  schwarzen 
Yajorveda,  in  den  ältesten  Brahmana's  die  Gestalt  dieses  Prajä- 
pati, der  den  älteren  Hymnen  des  IJigveda  völlig  fremd  ist, 
mehr  und  mehr  in  den  Vordergrund  treten.  Er  ist  es,  der 
Götter  und  Asuren  geschaffen.1  Prajäpati  wird  als  der  Schöpfer 
der  Welt  und  der  Wesen  gefeiert 

Wir  sahen  in  den  formlosen  Anfängen  theologischer  Speku- 
lation wieder  in  anderer  Gestalt  jenes  Suchen  nach  dem  Einen, 
dem  Gemeinsamen  in  der  Vielheit,  sich  offenbaren.  Die  Sprache 
jener  Zeit,  die  Sprache  der  Opfersymbolik  findet  in  den  ein- 
zelnen Theilen  des  Opfers  bald  diesen,  bald  jenen  Gott,  bald 
dieses  oder  jenes  Ding,  diesen  oder  jenen  Begriff,  Und  weiter- 
gehend nennt  das  Denken  jener  Tage  das  Eine  mit  dem  Namen 
des  Anderen,  findet  das  Eine  in  dem  Anderen,  aber  auch  in 
noch  einem  Anderen,  einem  Dritten,  völlig  Anderen,  und  so 
fort,  bis  es  kaum  noch  Unterschiede  zu  geben  scheint.  Es 
findet  den  einen  Gott  in  einem  anderen  und  auch  in  einem 
dritten  Gotte  wieder,  findet  ihn  in  der  Sonne,  dem  Jahre,  den 
Wassorn,  in  Himmel  und  Erde,  den  Kräutern  und  dem  Vieh; 


1  Die  beschränkte  und  wunderliche  Theologie  der  Folgezeit  erfand 
mf  Grund  dieses  Liedes  (RV  10,  121)  einen  besonderen  Gott  „Ka"  oder 
».Wer",*  weil  es  ja  eben  heisst  „wer  ist  der  Gott"  u.  s.  w.  (kasm&i  de- 
väya  haviaha  vidhema?)   Dieser  Gott  Ka  oder  Wer  ist  Prajäpati. 

a  Vgl.  fat  Br.  14,  4,  1,  1  dvaya  ha  präjapatyah,  deyac,  casurac.  ca  / 


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aber  ebenso  oder  ähnlich  auch  einen  anderen  Gott,  und  so  fort 
Dieser  Process  des  rastlosen  Identificirens,  der  wie  mit  dämo- 
nischem Reiz  die  theologischen  Denker  jener  Zeit  erfasst  zu 
haben  scheint,  drängt,  obschon  bisweilen  in  Aberwitz  sich  ver- 
irrend, doch  immer  hin  auf  das  Erfassen  des  Gemeinsamen,  des 
Einen,  welches  die  Vielen  verbindet,  und  welches  erkennend 
man  sagt;  Dies  ist  das!  Und  jemehr  bei  diesem  Durcheinander- 
werfen aller  Dinge  und  Begriffe  Verwirrung  zu  befürchten  ist, 
um  so  mehr  verlangt  der  Geist  nach  einem  festen  Ausgangs- 
punkt Wo  soll  ihn  das  Denken  jener  Zeit,  der  Zeit  des  Opfers 
und  der  Ceremonieen,  finden  als  im  Opfer?  Prajapati  opferte, 
und  es  wurde  daraus  der  Mensch;  er  opferte  wieder,  und  es 
entstand  das  Roes;  und  zum  dritten  Mal,  da  entstand  das  Rind; 
und  ein  anderes  Mal,  da  entstand  der  Frühling;  und  wieder 
ein  anderes  Mal,  da  entstand  der  Sommer,  und  so  fort  Durch 
ein  Opfer  schufen  die  Götter  das  Vieh,  durch  ein  Opfer  den 
Indra,  durch  ein  Opfer  sind  die  Götter  in  die  Himmelswelt 
gelangt.  Aber  mehr  als  das  verkündet  die  immer  tiefer  drin- 
gende mystische  Opferweishoit:  PrajApati  war  ganz  allein,  da 
fasste  er  den  Wunsch:  Zum  Opfer  möchte  ich  werden  und  so 
die  Geschöpfe  schaffen!  Da  theilt  er  sich  selbst  zehnfältig 
zum  Dacahotar-Opfer,  sucht  Opfergeräthe  und  Opferstätte,  und 
schafft  so  die  Geschöpfe.  •— 

Hier  zum  ersten  Mal  begegnet  uns  die  Idee  der  Emanation, 
der  Entstehung  der  Wesen  aus  einem  ersten  göttlichen  Wesen, 
das  aus  seiner  Einheit  die  Vielheit  horvorgehen  lasst.  Mehr 
als  einmal  finden  wir  dies  wieder,  wie  Prajapati  allein  war  und 
wünschte:  Ich  möchte  eine  Vielheit  sein,  ich  möchte  mich  fort- 
pflanzen!1  und  verschiedenartig  wird  dann  der  Schöpfungsmythus 
erzählt. 

Dieser  Zeit  ungefähr  muss  auch  ein  merkwürdiges  Lied 
entstammen,  das  sich  im  zehnten  Mancjala  des  Ijtigveda  vor- 
findet, aber  offenbar  sehr  viel  später  dort  eingefügt  ist,  da  es 
—  von  Anderem  abgesehen  —  von  rjik,  Saman  und  Yajurveda 
als  schon  bestehenden  Grössen  redet,  desgleichen  von  den  vier 
Ständen  oder  Kasten.  Es  ist  dies  Lied  auch  als  Haupttheil 
des  31.  Buchs  der  Vajasaneyi-Samhita  erhalten  und  wird  seines 
Inhalts  wegen  später  unter  die  Upanishaden  gerechnet,  wird 
selbst  geradezu  eine  Upanishad  genannt  Es  ist  das  sogenannte 
Purushasükta  oder  das  Lied  vom  Purusha.  Der  Purosha, 
Mensch  oder  Person,  ist  in  diesem  Liede  ein  Urwesen,  ein 


1  S.  s.  B.  MAitr.  S.  4,  2,  8. 


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-  215 

ystischer  Urmensch  oder  Riese,  aus  dem  durch  Thoilung  im 
Opfer  alle  Welten  und  Wesen  entstanden  sind,  der  tausend- 
köpfig, tausondäugig  und  tausendfüssig'  überall  in  einem  Theile 
zu  schauen  ist. 

Das  Lied  lautet  folgendermassen  (RV  X,  90)  *: 

1.  Der  tausendköpfige  Purusha,  der  tausend&ugige ,  tausendfussige, 
die  Erde  von  allen  Seiten  bedeckend  ragte  er  noch  nm  zehn  Finger 
darüber  hinaus. 

2.  Purusha  ist  dies  All,  was  da  war  und  was  da  sein  wird;  auch 
über  die  Welt  der  Unsterblichen  ist  er  Herr,  die  durch  ;  Opfer- )Speise 
gross  wachst. 

8.  So  gross  ist  seine  Grösse,  und  noch  grösser  ist  Purusha;  ein 
Viertel  von  ihm  sind  alle  Geschöpfe,  drei  Viertel  von  ihm  ist  die  Welt 
der  Unsterblichen  im  Himmel. 

4.  Mit  drei  Vierteln  ging  Purusha  aufrecht  empor,  ein  Viertel  von 
ihm  aber  blieb  hier;  darauf  vertheilte  er  sich  nach  allen  Seiten,  in  4as. 
*as  Speise  geniesst  und  was  keine  8peise  geniesst. 

6.  Aus  ihm  ward  geboren  Viraj,*  aus  Viraj  aber  der  Purusha;  als 
er  geboren  war,  da  ragte  er  über  die  Erde  hinaus,  hinten  und  auch  vorne. 

6.  Als  die  Götter  das  Opfer  zurichteten  mit  dem  Purusha  als  Opfer- 
g&be,  da  war  der  Frühling  dabei  die  Opferbutter,  der  Sommer  das  Brenn- 
holt,  der  Herbst  die  Opfergabe. 

7.  8ie  beträufelten  das  Opfer  auf  der  Opferstreu,  den  Purusha,  der 
za  Anfang  geboren  war;  mit  ihm  opferten  die  Götter,  die  man  sich  ge- 
neigt macheu  soll,  und  die  Jiishi's. 

8.  Aus  diesem  vollständig  dargebrachten  Opfer  ward  bereitet  das 
gesprenkelte  Opferschmalz;  er  schuf  die  Thiere  der  Luft  und  die  in 
Wäldern  und  Dörfern  leben  (die  wilden  und  zahmen). 

9.  Aus  diesem  vollständig  dargebrachten  Opfer  wurden  erzeugt  die 
Lieder  des  $igveda  und  die  des  Sämaveda ;  aus  ihm  .wurden  erzeugt  die 
Zauberlieder;*  aus  ihm  entstand  der  Yajurveda. 

10.  Aus  ihm  entsprangen  die  Rosse  und  alle  Thiere,  die  mit  zwei 
Zshnreihen  versehen  sind:  aus  ihm  entsprangen  die  Rinder,  aus  ihm  die 
Ziegen  und  Schafe. 

11.  Als  sie  den  Purusha  vertheilten,  wievielfacb  haben  sie  ihn  da 
umgestaltet?  Was  war  Bein  Mund,  was  seine  Arme,  was  nennt  man 
seine  Schenkel  und  Fasse? 

12.  Der  Brahmane  war  sein  Mund,  aus  seinen  Armen  wurde  der 
RÄjanya  gemacht;  seine  Schenkel,  das  ist  der  Vaicja;  aus  den  Füssen 
entsprang  der  (l&dra. 

18.  Der  Mond  entsprang  aus  seinem  Geiste,  aus  meinem  Auge  ward 
die  Sonne  geboren;  aus  dem  Munde  wurden  Indra  und  Agni,  aus  dem 
Athem  der  Wind  geboren. 

14.  Aus  dem  Nabel  ward  der  Luftraum,  aus  dem  Kopfe  entstand 
der  Himmel |  aus  den  Füssen  die  Erde,  aus  dem  Gehör  die  Himmels- 
gegenden; so  bildeten  sie  die  Welten. 


'  Iflit  unbedeutenden  Varianten  auch  VS  81,  1  flg. 
1  Viraj  d.  i.  „Herrscher44  oder  „Herrscherin4*,  ein  bestimmtes  mysti- 
sches kosmogonisches  Wesen;  vgl.  das  Petersb.  Wörterbuch  s.  v.  viraj. 
»  D.  h.  wohl  der  Atharvaveda  (im  Text  chandamsi). 


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216  - 


15.  Sieben  Paridhi- Hölzer  waren  da,  dreimal  sieben  Brennhöker 
bereitet,  als  die  Götter  das  Opfer  ausführend  den  Purusha  als  Opfer- 
tbier  anbanden. 

16.  Durch  Opfer  opferten  die  Qötter  das  Opfer,  das  waren  die 
ersten  Satzungen;  sie  die  Erhabenen  gelangten  zu  dem  Firmament,  wo 
die  alten  Götter  weilen,  die  man  sich  geneigt  machen  soll. 

Sie  sehen  hier  also  einen  phantastischen  Schöpfungsmythus, 
der  uns  in  gar  mancher  Hinsicht  an  jene  kosmogonischen  Le- 
genden des  Yajurveda  erinnert.  So  verschroben  und  wunderlich 
hier  aber  auch  Manches  sein  mag,  deutlich  tritt  immerhin  der 
Gedanke  der  Emanation  hervor.  Ein  Urwesen  gab  es;  aus 
dessen  verschiedenen  Theilen  wurde  Alles,  was  da  ist,  die  Welt 
der  Unsterblichen  und  der  Sterblichen,  rjtigveda,  Samavoda  und 
Yajurveda;  der  Brahmane,  der  Räjanya,  der  Vai$ya  und  der 
£üdra;  Mond  und  Sonne,  Himmel  und  Erde,  Wind  und  Luft, 
Lndra  und  Agni,  Menschen  und  Thiere.1  Und  es  stört  den 
Dichter  nicht  der  Widerspruch,  dass  er  die  Götter,  die  doch 
nur  ein  Theil  des  Urwesens  sein  sollen,  doch  wiederum  handelnd 
bei  der  Opfertheilung  dieser  mystisch  -kosmogonischen  Potenz 
auftreten  lässt. 

Dieser  Purusha,  das  Urwesen,  erscheint  wiederholt  in  den 
späteren  Philosophemen  und  zwar  in  ganz  vergeistigter,  abstracter 
Form;  Purusha  heisst  später  geradezu  der  Urgeist.  Man  be- 
merke auch  noch  speciell  die  Wendung  in  Vers  5:  „Aus  ihm 
ward  geboren  Viraj,  aus  dem  Viraj  aber  der  Purusha."  Dieser 
Viraj,  übrigens  meist  als  Femininum  erscheinend,  „Herrscher* 
oder  „Hemcherin",  ist  auch  eine  solche  kosmogonische  Potenz, 
ein  der  Speculation  angehöriges  göttliches  Wesen,  als  Tochter 
oder  Sohn  des  Purusha  oder  auch  des  Prajapati  aufgefasst,  even- 
tuell aber  auch  mit  Purusha  identificirt;  späterhin  als  Tochter 
oder  Sohn  des  Brahman,  aber  auch  als  Mutter  oder  Vater  des 
Brahman  erscheinend.  Es  kann  uns  dies  Verfahren  nicht  Wunder 
nehmen.  Ist  man  von  einer  Seite  zu  einer  ersten  kosmogoni- 
schen Potenz,  z.  B.  Viraj  oder  Prajapati,  gelangt,  und  kommt 
man  nun  bei  einer  neuen  Speculation  zu  einer  solchen,  die  man 
Purusha  nennt,  so  muss  man  sich  mit  der  ersteren  auseinander- 
setzen. Man  sagt  da  eben:  aus  Purusha  ist  Viraj  geworden 
und  aus  Viraj  Purusha;  oder  man  identificirt  sie  einfach.  Wie 
sollte  auch  dieser  Purusha  wiederum  bestehen  neben  dem  welt- 


1  Man  bemerke,  dass  boi  dieser  Emanation,  diesem  Hervorgehen 
aus  dem  Urwesen  auch  schon  verschiedene  Stufen  angedeutet  sind, 
indem  es  ja  heisst:  Per  Brahmane  ward  aus  dem  Munde,  der  Rajanya 
aus  den  Armen,  der  V&ieya  aus  den  Schenkeln,  der  Qüdra  aus  den  Füssen. 


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—    217  — 

schöpferischen  Prajäpati  der  Brahmana- Legenden,  der  sich  selbst 
im  Opfer  theilt  und  die  Welt  aus  sich  entstehen  läast?  Hier 
war  es  nur  möglich,  sie  zu  vereinigen,  indem  man!  sie  identi- 
ficirtc.  Und  so  finden  wir  auch  z.  B.  in  dem  als  eine  Upa- 
nishad  gerechneten  31.  Buche  der  Vajasaneyi  -  Sainhitä  den 
Purusha  geradezu  als  Prajäpati  bezeichnet.  Es  heisst  dort  in 
den  Versen,  welche  dem  Purusha-Liede  folgen: 

„Ich  kenne  diesen  Purusha,  den  grossen,  den  sonnen  farbigen,  jen- 
seits der  Finsterniss;  diesen  erkennend  kommt  man  Über  den  Tod  hin* 
aber;  kein  anderer  Pfad  findet  sich  da  zu  gehen.  (18) 

Praj&pati  bewegt  sich  in  dem  Keime;  ohne  geboren  zu  werden, 
wird  er  doch  vielfältig;  es  schauen  die  Weisen  seinen  Mutterschoo  ss ; 
in  ihm  fürwahr  sind  alle  Wesen  befindlich.  (19) 

Der  den  Göttern  Wärme  zustrahlt,  der  der  Götter  Oberpriester  ist, 
der  früher  geboren  ist  als  die  Götter,  —  Verehrung  dem  göttlichen 
Lichte!  (20) 

Man  möchte  sich  wohl  versucht  fühlen,  bei  der  Gestalt 
dieses  Purusha,  aus  dem  die  ganze  Welt  gebildet  wird,  an  den 
Riesen  Ymir  der  altnordischen  Sage  zu  denken,  aus  dessen  Leib 
die  Götter  Himmel  und  Erde,  Meer  und  Berge,  Wolken  u.  8.  w. 
bilden.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  in  dieser  Erzählung 
ein  uralter  Kern  enthalten  ist.  Aber  sie  ist  im  Indischen  so 
speeifisch  national  umgeformt,  nur  noch  in  die  Zeit  das  Opfer- 
cnltus  hineinpassend,  dass  wir  sie  fuglich  in  diesem  Zusammen- 
hang betrachten  müssen. 

Es  ist  das  Charakteristische  dieser  Zeit  des  Suchens  nach 
dem  AU-Einen  bei  den  Indern,  dass  sie  sich  nicht  dabei  be- 
ruhigen, wenn  der  eine  Versuch  anscheinend  glücklich  gelungen, 
wenn  der  Allschöpfer  (Vicvakarman),  wenn  der  Herr  der  Ge- 
schöpfe (Prajäpati)  an  die  Spitze  des  Weltprocesses  getreten 
ist.  Neue  Gedanken  tauchen  auf,  ein  neues  Suchen  beginnt* 
immer  tiefer  ist  man  bemüht  in  das  innerste  Wesen  der  Dinge, 
der  Welt  und  der  Götter  zu  dringen,  und  das  Neugewonnene, 
Neuerkannto  behauptet  sein  Recht  und  muss  mit  dem  Erst- 
gefundenen in  Einklang  gesetzt,  resp.  durch  Identification  nur 
als  vertieftere  Erkenntniss  jenes  Ersten  dargestellt  werden 

Prajäpati,  der  Herr  der  Geschöpfe,  Purusha,  das  Urwesen, 
—  sie  waren  noch  zu  persönlich,  zu  menschlich  gedacht;  ein 
Höheres,  Abstracteres,  Geistigeres  erstrebte  das  Denken  der  Inder. 

Zwei  Begriffe  sind  es  hauptsächlich,  die  in  der  Periode  der 
Brahmana's  sich  mehr  und  mehr  in  den  Vordergrund  drängen, 
mehr  und  mehr  an  Bedeutung  und  Inhalt  wachsen,  bis  sie  zu- 
letzt den  Charakter  weltbeherrschender  Potenzen  annehmen,  — 
der  Begriff  des  IVtman  und  der  des  Brahman. 


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—   218  - 

Ätman  heisst  zunächst  „Hauch,  Odem".  „Seui  Odem  ist 
der  Wind,  der.  die  Luft  durchrauscht,*  sagt  Vasishtha  in  einem 
Hymnus  an  Varuna1  und  braucht  da  das  Wort  Atman;  atman, 
„der  Lebenshauch",  bedeutet  dann  soviel  als  „die  Seele",  und 
weil  die  Seele  den  Kern  unseres  Wesens  bildet,  so  bedeutet  e6 
auch  „das  Selbst,  die  Person,  das  Ich".  Der  Athem  spielt  von 
Anfang  an  in  den  brahmanischen  Speculationen  eine*  Rolle.  Das 
Einathmen,  das  Ausathmen,  der  den  Körper  durchdringende 
Athem  u.  s.  w.,  kurz  die  Athemkräftc,  die  Prana's  überhaupt, 
sind  wichtige  Potenzen,  und  es  heisst  sogar  die  Prana's  sind  die 
Götter.  Aber  am  wichtigsten  doch  ist  der  Atman,  das  Innerste, 
die  Seele;  auf  ihn  gründen  sich  die  Athemkräfte.  Er  tritt 
immer  mehr  hervor  als  der  wichtigste  Begriff,  der  den  Kern- 
punkt des  Seins  bezeichnet;  und  wenn  das  Denken  vom  indi- 
viduellen Sein  in  die  objectivo  Welt  hinübersch weift,  —  muss 
nicht  auch  dort  jener  Kernpunkt,  die  Seele,  zu  finden  «ein? 
Lässt  doch  der  Inder  die  Stimme,  den  Sinn,  das  Gohör  u.  dgl.  m. 
als  objectivo  Kräfte  in  der  Welt  walten,  —  wie  sollte  dort  der 
Atman  fehlen?  Das  Wichtigste  muss  er  sein  von  Allem,  die 
innerste,  bewogende  und  schaffende  Potenz  des  Alls. 

Und  auf  der  anderen  Seite  das  Brahman.  Frühe  schon, 
in  den  ältesten  prosaischen  Texten,  den  schwarzen  Yajurveden, 
tritt  uns  das  Brahman  als  ein  hervorragend  wichtiger  und  be- 
deutender Begriff  entgegen.  Das  Wort  „brahman",  welches  im 
Rigveda  nur  noch  Gebet  bedeutet,  hat  hier  in  der  Blüthezeit 
der  Gebete,  Sprüche  und  Opfer,  in  der  Zeit,  wo  die  Götter  zu 
Priestern  und  die  Priester  zu  Göttern  wurden,  einen  immer 
tieferen,  immer  umfassenderen  Inhalt  gewonnen.  Es  ist  zum 
Inbegriff  der  Gebets-  und  Priesterheiligkeit  geworden.  Alle 
jene  wirksamen,  weltbewegenden  Sprüche  wie  auch  die  heiligen 
Lieder  des  Rigveda,  sie  gehören  zum  Brahman,  sie  sind  das 
Brahman.  Das  Opfer,  die  kosmogonische  Potenz  dieser  Zeit, 
es  gehört  zum  Brahman,  es  ist  im  Brahman  enthalten.  Alles, 
was  an  dem  Priester  gross  und  heilig  ist,  —  Alles  das  ist  das 
Brahman.  Obenan  in  der  Welt  wie  im  menschlichen  Leben 
muss  also  das  Brahman  stehen,  es  ist  das  Höchste,  Heiligste 
und  Gewaltigste.  Und  ähnlich  wie  einst  die  Göttergestalten 
des  Rigveda  zuletzt  in  ihren  Umrissen  in  einander  übergingen 
und  sich  vereinigten,  so  wachsen  hier  Ätman  und  Brahman  in 
ihrer  Bedeutung  grösser  und  grösser,  bis  sie  endlich  zusammen- 
strömen und  sich  vereinigen.    War  der  Ätman  das  Innerste 


1  Vgl.  oben  p.  61. 


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f 

—   219  — 

der  Kernpunkt  der  Welt  und  alles  Seins,  der  Alles  lenkt  und 
regiert,  nnd  das  Brahman  doch  das  Oberste,  Höchste,  Heiligste, 
Alles  Lenkende,  dann  ist  eben  der  Ätman  das  Brahman,  und 
das  Brahman  ist  der  Atman,  es  sind  zwei  Namen  für  das  Eine, 
Höchste. 

„Es  hat,  sagt  Oldenberg,1  etwas  von  der  ruhig  unaufhalt- 
samen Notwendigkeit  eines  Naturprocesses  dieses  Vordringen 
oder  dieses  Anschwellen  jener  beiden  Vorstellungen,  des  Ätman 
und  des  Brahman,  von  denen  jede  erst  in  ihrem  Kreise  den 
Herrscherplatz  gewinnt  und  dann  von  dem  vorwärtsdringenden 
Gedanken  in  Weltweiten  hinausgetragen  wird  und  auch  da  eine 
immer  wachsende  Macht  bethätigt.  So  verschieden  die  Bilder 
sind,  die  dem  Inder  von  Haus  aus  mit  Beiden  sich  verknüpften, 
so  konnte  es  nicht  anders  geschehen,  als  dass  im  Lauf  einer 
solchen  Entwickelung  der  Gedanke  des  Ätman  sich  dem  des 
Brahman,  und  der  des  Brahman  sich  dem  des  Ätman  immer 
mehr  anähnlichte." 

Ätman  und  Brahman,  ein  jedes  wird  für  sich  als  Urgrund 
und  Mittelpunkt  der  Welt  erkannt,  und  die  Lösung  des  Räthsels 
findet  der  suchende  Geist  endlich  in  der  weiteren  Erkenntniss, 
dass  Ätman  und  Brahman  identisch  sind,  dass  dies  beides  nur 
Namen  sind  für  das  grosse  ewige  Eine,  aus  welchem  Alles  ge- 
worden, in  welchem  Alles  lebt  und  webt,  in  dessen  wunder- 
barem Wesen  alle  Verschiedenheit  aufhört,  plle  Gegensätze  ver- 
schwinden. 

Schon  im  zehnten  Buche  des  Qatapatha-Brähmana  (10,  6,  3), 
das  wohl  noch  nicht  zu  den  jüngsten  Partieen  dieses  Werkes 
zählt,  sehen  wir  Brahman  und  Ätman  neben  einander  göttlich 
verehrt:  „Das  Brahman  ist  die  Wahrheit!  so  möge  man  Ver- 
ehrung darbringen.  —  —  Dem  Ätman  möge  man  Verehrung 
darbringen,  dem  geistigen,  dessen  Leib  der  Odem  ist,  dem 
lichtgestaltigen,  dessen  Selbst  der  Aether  ist,  der  nach  Belieben 
sich  Gestalten  schafft,  dem  gedankenschnellen,  das  mit  wahr- 
haftigem Wollen  und  wahrhaftiger  Festigkeit  begabt  ist,  mit 
allem  Duft  und  allem  Saft,  das  in  alle  Himmelsgegenden  dringt, 
dieses  AU  durchdringt,  ohne  Wort,  nichts  beachtend;  wie  Reis 
oder  Gerste  oder  Hirse  oder  ein  Hirsekorn  (so  klein)  so  ist 
dieser  Geist  (Purusha)  in  dem  Ich;  goldig  wie  Licht  ohne 
Rauch,  grösser  als  der  Himmel,  grösser  als  der  Aether,  grösser 


1  Buddha,  p.  30.  —  Vergl.  übrigens  auch  zu  dem  Vorausgehenden 
wie  zu  dem  Folgenden  die  Entwickelung  bei  Koeppen,  Religion  des 
Bnddha,  Bd.  I,  p.  28-81. 


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—   220  — 

als  diese  Erde,  grösser  als  alle  Wesen;  er  ist  die  Seele  (das 
Selbst)  des  Odems,  er  ist  mein  Selbst  (mein  Atman);  mit  diesem 
Atman  werde  ich,  wenn  ich  von  hinnen  scheide,  mich  vereinigen. 
Wer  also  denkt,  wahrlich,  da  ist  kein  ZweifeL  So  hat  Candilya 
gesagt." 

Man  beachte  es,  dass  hier  der  Atman  auch  Purusha  oder 
der  Geist  genannt  wird.  Jener  Purusha,  das  Urwesen,  ist  hier 
eben  schon  zum  Urgeist  geworden  und  ist  der  Atman.  Man 
beachte  ferner,  dass  der  Weise  vom  Atman,  der  Weltseele,  sagt: 
„Er  ist  mein  Selbst  und  im  Tode  werde  ich  mich  mit  ihm 
vereinigen!"  Die  Identität  der  individuellen  Seele  mit  der  Welt- 
seele ist  erkannt  und  ausgesprochen.  Und  wie  hier  der  Atman 
geradezu  der  Purusha  genannt  wird,  so  sehen  wir  ihn  auch  an 
die  Stelle  jenes  mehr  persönlich  gedachten  Weltschöpfers,  des 
Prajapati,  getreten. 

So  berichtet  uns  das  Brihad^-Äranyaka 1  im  Legendenstyle, 
zu  Anfang  sei  der  Atman  dagewesen,  geistartig; Ä  er  habe  sich 
umgeschaut  und  gesprochen:  Ich  hm  es!  Dann  habe  er  sich 
in  der  Einsamkeit  gefürchtet  und  keine  Freude  gefunden.  Er 
sehnte  sich  nach  einem  Zweiten,  er  theilte  sich  und  schuf  sich 
um  in  Mann  und  Weib,  die  sich  umschlungen  halten;  da  wurden 
Menschen  gezeugt.  Darauf  verwandelt  er  sich  mit  dieser  Doppel- 
gestalt in  Stier  und  Kuh,  und  es  werden  Rinder  gezeugt;  dann 
in  Hengst  und  Stute,  dann  in  Esel  und  Eselin,  Bock  und  Ziege, 
Widder  und  Schaf,  und  immer  werden  die  betreffenden  Thiere 
gezeugt.  Dann  schuf  er  das  Flüssige  und  das  Feuer,  Gott 
Sorna,  Gott  Agni  u.  s.  w.  Es  erinnert  diese  ganze  Schöpfungs- 
geschichte auffallend  an  ähnliche  Legenden  der  Brahmana's  von 
Prajapati,  dem  Herrn  der  Geschöpfe.  Aber  alsbald  erhebt  sich 
die  Darstellung  in  eine  höhere  Sphäre,  jene  legendenhaft-sinn- 
lichen Vorstellungen  abstreifend: 

„Er  (der  Atman)  ist  hier  in  diese  Welt  eingedrungen,  bis 
in  die  Nagelspitzen;  wie  ein  Scheermesser,  das  in  seiner  Scheide 
ruht,  oder  wie  das  allerhaltende  Feuer  in  seinem  Behälter,  so 
sieht  man  ihn  nicht,  denn  er  ist  nicht  vollständig  (in  seinen 
Manifestationen  erscheinend).  Athmend  heisst  er  der  Odem 
(Präna),  sprechend  heisst  er  die  Stimme,  sehend  heisst  er  das 
Auge,  hörend  heisst  er  das  Ohr,  denkend  heisst  er  der  Geist 
Dies  sind  die  Namen  seiner  Thätigkeiten.    Wer  ihn  darum 


1  Cat.  Br.  14,  4,  2. 

*  Oder  Purusha- artig  (purusha  vidha) ;  man  sieht  hier  wieder  die 
Verschmelzung  des  Atman  und  des  Purusha. 


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-   221  — 


einzeln  verehrt  [d.  h.  nur  in  einer  dieser  Erscheinungen],  der 
kennt  ihn  nicht,  denn  er  ist  da  nicht  vollständig,  er  wird  es 
durch  das  Einzelne.  Mit  dem  Worte  „Ätinan"  möge  man  ihn 
verehren;  denn  in  ihm  sind  alle  Diese  Eins.1  Darum  ist  es 
der  Atman,  dessen  Spur  man  suchen  soll  in  diesem  All,  denn 
mit  ihm  kennt  man  dies  All.  Und  so  wie  man  durch  eine 
Fussspur  etwas  findet,  so  verschafft  sich  Preis  und  Ruhin,  wer 
solches  weiss.  —  Dies  ist  theurer  als  ein  Sohn,  theurer  als 
Reichthum,  theurer  als  alles  Anderel  Dieser  Atman  ist  das 
Innerste.  Wer  einen  Anderen  als  den  Atman  für  theuer  (d.  i. 
ihm  lieb  und  theuer)  erklärt,  zu  dem  kann  man  sagen:  Was 
dir  theuer  ist,  das  wirst  du  beweinen!  Man  kann  es  (sagen), 
denn  so  ist  es.  Den  Atman  möge  man  als  den  Theuren  ver- 
ehren I  Wer  den  Atman  also  als  sein  Theures  verehrt,  dem 
geht  das,  was  ihm  theuer  ist,  nicht  verloren." 

Dann  hören  wir  weiter:  „Das  Brahman  war  zu  Anfang  da; 
da  erkannte  es  sich  selbst:  Ich  bin  das  Brahman!  Darum 
werde  es  dies  All  Darum,  wer  immer  von  den  Göttern  dies 
begriff  der  wurde  dies,  so  auch  von  den  $ishi's,  so  von  den 
Menschen.  —  Solches  schauend  ist  auch  der  IJishi  Vamadeva 
dahin  gelangt:  Ich  war  Manu  und  die  Sonne!  —  So  nun  auch 
jetzt,  wer  solches  weiss:  Ich  bin  das  Brahman!  Der  wird  dies 
All*  Selbst  die  Götter  haben  keine  Gewalt  über  dieses  sein 
Werden  (<L  h.  seine  Entwickelung  zum  All,  zum  Brahman),  denn 
er  wird  ihr  Selbst"  (ihre  Seele,  ihr  Atman).  —  [Verehrt  man 
dagegen  nur  eine  einzelne  andere  Gottheit,  so  bleibt  man  den 
Göttern  unterworfen  und  ist  ihnen  dienstbar,  wie  ein  Thier 
etwa  dem  Menschen  dient.] 

Und  immer  wieder  heisst  es:  Zu  Anfang  war  der  Atman 
allein,  zu  Anfang  war  das  Brahman  allein.  Dem  Atman  möge 
man  Verehrung  weihen,  dem  Brahman  möge  man  Verehrung 
weihen!8 

1  Hier  liegt  ein  Wortspiel  im  Sanskrit  vor  mit  atman  und  ete 
„Diese1*. 

1  Und  dieses  Wissen,  durch  welches  der  Mensch  sich  selbst,  sein 
innerstes  Ich  im  Brahman,  in  dem  All  erkennt,  es  soll  fortgeerbt  werden 
als  ein  theures  Vermächtnis«  vom  Vater  auf  den  Sohn.  So  lehrt  das 
Brihad  -  Aranyaka  „das  Vermächtniss"  (Qat.  Br.  14,  4,  3,  25):  „Wann 
ein  Sterbender  es  für  gut  findet,  dann  spricht  er  zu  seioem  Sohne:  Du 
bist  das  Brahman,  du  bist  das  Opfer,  du  bist  die  Welt!  —  Und  der 
Sohn  erwidert:  Ich  bin  das  Brahman,  ich  bin  das  Opfer,  ich  bin  die 
Welt!" 

*  Man  beachte,  wie  hier  Atman  und  Brahman  ganz  zusammen  und 
fast  schon  als  ein  und  dasselbe,  gleichsam  nur  als  verschiedene  Namen 
für  denselben  Begriff  behandelt  werden. 


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-   222  - 


Suchen  wir  nun  etwas  tiefer  in  diese  Weisheit,  die  Wissen- 
schaft vom  Ätinan  und  Brahman,  wie  sie  in  den  Upanishaden 
gelehrt  wird,  einzudringen,  und  es  wird  sich  vor  unserem  Blick 
immer  mehr  und  immer  klarer  Tiefsinniges  und  Bedeutendes 
enthüllen. 

Es  ist  uns  im  Brihad-Aranyaka  ein  schönes  und  merk- 
würdiges Gespräch  zwischen  König  Ajatacatru  von  Kac,i  und 
dem  stolzen  Brahmanen  Bäläki  Gargya  erhalten,  das  uns  ganz 
in  die  Tiefen  jener  Speculation  hineinführt. 

Es  wird  erzählt  (Qat.  Br.  14,  5,  l)1: 

„Der  stolze  Baläki  war  ein  Gelehrter  aus  dem  Stamme 
der  GArgya.  Der  sprach  zu  Ajatacatru  von  Kaci:  Ich  will 
dir  das  Brahman  verkünden!  Da  sagte  Ajatacatru:  Tausend 
Kühe  gebe  ich  dir  für  dieses  Wort!  Janaka,  Janaka*  (ist  es)! 
so  (rufend)  werden  die  Menschen  herbeilaufen. 

Da  sprach  GArgya:  Der  Geist  (Purusha),  der  in  der  Sonne 
ist,  den  verehre  ich  als  Brahman!  —  AjAtac.atru  sagte:  Ver- 
suche es  nicht,  mit  mir  darüber  zu  reden!  Id.  h.  es  wäre  un- 
nütz; ich  kenne  ihn  schon!]  Ich  verehre  inn  schon  mit  den 
Worten:  Du  stehst  da  als  aller  Wesen  Haupt  und  König!  — 
Wer  ihn  so  verehrt,  der  wird  aller  Wesen  Haupt  und  König." 

Gargya  geht  weiter  und  rühmt  sich,  er  kenne  den  Geist, 
der  im  Monde  ist  und  er  verehre  ihn  als  Brahman.  Aber 
auch  dies  ist  dem  Könige  bekannt,  wie  auch  der  Name,  mit 
welchem  jenes  Brahman  zu  verehren  ist  Und  weiter  rühmt 
sich  GArgya  und  hebt  Eins  um  das  Andere  hervor,  er  kenne 
den  Geist,  der  im  Blitze  lebt  und  den,  der  im  Aether,  der 
im  Winde  und  in  dem  Feuer,  der  in  den  Wassern  und  in 
den  Himmelsgegenden  lebt  und  waltet,  und  immer  verehrt 
er  ihn  als  das«  Brahman.  Aber  jedes  Mal  erwidert  der  König, 
auch  er  wisse  und  kenne  das  wohl,  auch  ihm  sei  das  Brahman 


Dieser  Abschnitt  ist  früher  bereits  übersetzt  in  H.  Th.  Cole- 
brooke's  Abhandlung  über  die  heil.  Schriften  der  Indier.  Aus  dem 
Englischen  übersetzt  von  L.  Poley.  Nebst  Fragmenten  der  ältesten 
religiösen  Dichtungen  der  Indier,  Leipzig  1847;  p.  166—100. 

4  Janaka,  der  berühmte  König  der  Videha,  welchor  dem  am 
besten  des  Brahman  kundigen  Brahmanen  1000  Kühe  als  Preis  aussetzte; 
vgl.  oben  j>.  209.  Aj.  will  gern  sich  gleichen  Ruhm  erwerben,  wie  jener 
König,  und  w  ürde  sich  freuen,  wenn  die  Menschen,  ihn  mit  diesem  Ehren- 
namen nennend,  herbeiströmen  woUten.  Aber  er  kann  ea  dem  Gdrgya 
nicht  ohne  Weiteres  zugeben,  dass  dieser  wirklich  das  Wesen  des  Brah- 
man erfasst  habe,  und  so  muss  der  Brahmane  erst  seine  Weisheit  ent- 
wickeln, die,  wio  man  aus  dem  Weiteren  sieht,  den  König  nicht  be- 
friedigt. 


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-    223  - 

in  Blitz  und  Aether,  in  Wind  und  Feuer,  in  den  Wassern  und 
Himmelsgegenden  wohl  bekannt,  und  er  nennt  die  Namen,  mit 
denen  man  es  verehren  soll.  Im  Blitz  ist  es  das  Leuchtende, 
im  Feuer  das  Ueberwältigende,  im  Wasser  das  Sichanschmiegende 
und  so  fort  Da  geht  der  Brahmane  auf  immer  subtilere  Ob- 
jecto über. 

„Der  Schall,  der  sich  hinter  einem  gehenden  Menschen 
erhebt,  den  verehre  ich  als  Brahman,"  —  so  sagt  er.  Doch 
auch  in  dieser  Erscheinungsform  kennt  der  König  das  Brahman 
und  nennt  es  verehrend:  Das  Leben!  „Wer  ihn  also  verehrt, 
der  gelangt  in  dieser  Welt  zu  aller  Lebenskraft,  und  nicht  ver- 
läset ihn  sein  Odem  vor  der  Zeit." 

Und  wieder  sprach  Gärgya:  „Der  Geist,  der  als  Schatten 
erscheint,  den  verehre  ich  als  Brahman!"  Aber  Ajätacatru  er- 
widert ihm:  „Versuch  es  nicht,  mit  mir  darüber  zu  reden!  Ich 
verehre  ihn  schon  mit  den  Worten:  Der  Tod!  Wer  ihn  also 
verehrt,  der  gelangt  in  dieser  Welt  -zu  aller  Lebenskraft,  nicht 
tritt  der  Tod  vor  der  Zeit  an  ihn  heran." 

Und  endlich  kommt  der  Brahmane  zum  Höchsten  und 
Letzten;  er  sagt: 

„Der  Geist,  der  in  der  Seele1  ist,  den  verehre  ich  als 
Brahman!"  Aber  auch  dies  ist  dem  König  nicht  neue  Weisheit. 
Abermals  sagt  er:  „Versuch  es  nicht,  mit  mir  darüber  zu  reden! 
Ich  verehre  ihn  schon  mit  den  Worten:  Der  Beseelte  (oder  . 
Seelenhafte)!*  Wer  ihn  also  verehrt,  der  wird  beseelt  (oder 
seelenhaft)  und  seine  Nachkommenschaft  wird  auch  beseelt" 

Da  wusste  Gärgya  nichts  weiter  und  verstummte. 

„Ajätacatru  sprach:  Geht  dein  Wissen  nur  so  weit?  —  Es 
geht  soweit  (sprach  Jener).  —  Damit  ist  er  noch  nicht  erkannt! 
(sprach  Ajätacatru).  —  Da  sagte  Gärgya:  Dann  will  ich  dich 
am  Belehrung  bitten!  —  Ajätacatru  sprach:  Es  ist  wohl  ver- 
kehrt, wenn  ein  Brahmane  einen  Kshatriya  um  Belehrung  bittet 
(denkend):  Er  wird  mir  das  Brahman  verkünden!  Ich  will  es 
dich  aber  doch  erkennen  lehren!  —  Und  er  ergriff  ihn  bei  der 
Hand  und  stand  auf.  Da  gingen  sie  beide  zu  einem  schlafenden 
Menschen.  Den  redete  er  mit  diesem  Namen  an:  Grosser,  weiss- 
gewandiger  König  Sorna!  Er  aber  stand  nicht  auf.  Da  berührte 
er  ihn  mit  der  Hand  und  weckte  ihn  auf,  und,  er  stand  auf. 

Ajätacatru  sprach:  Als  dieser  Mensch  schlief,  wo  war  da 


1  Oder  „in  dem  Selbst"  (atman). 

»  Der  Text  braucht  das  Wort  atmanvin,  d.  h.  mit  Seele  (atmaiO 
begabt,  oder  atman-artig. 


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—  224 

sein  in  Erkenntniss  bestehender  Geist  (Purusha),  und  von  wo 
ist  er  jetzt  wiedergekommen?  —  Gargya  aber  wusste  es  nicht 
—  Ajatacatru  sprach:  Wenn  dieser  Mensch  eingeschlafen  ist» 
dann  vereinigt  dieser  in  Erkenntniss  bestehende  Geist  seine 
Erkenntniss  mit  der  Erkenntniss  dieser  Lebensorgane  (nimmt 
diese  also  fort,  zieht  sie  in  sich  hinein)  und  ruht  als  Aether 
drinnen  im  Herzen.  Wenn  er  diese  ergreift  (und  mit  sich  ver- 
einigt), dann  schläft  dieser  Geist;  von  ihm  ergriffen  ist  der 
Odem,  ergriffen  die  Stimme,  ergriffen  das  Auge,  ergriffen  das 
Ohr,  ergriffen  der  Sinn.  Wenn  er  nun  im  Traume  wandelt, 
dann  ist  er  bald  gleichsam  ein  grosser  König,  bald  ein  grosser 
Brahmane,  bald  steigt  er  aufwärts,  bald  nach  unten.  Gleichwie 
ein  grosser  König,  die  Unterthanen  festhaltend  (regierend)  in 
seinem  Lande  nach  Belieben  umherwandelt,  so  auch  dieser,  die 
Lebensorgane  festhaltend,  wandelt  in  seinem  Leibe  nach  Be- 
lieben umher. 

Wenn  er  aber  fest  eingeschlafen  ist  und  nichts  mehr  weiss 
(das  Bewusstsein  verloren  hat,  im  traumlosen  Schlaf),  dann  ver- 
breitet er  sich  in  den  72000  Adern,  welche  Hita  heissen  und 
vom  Herzen  in  die  Wandung  des  Herzens  eintreten,  und  ruht 
in  der  Wandung  des  Herzens.  Gleichwie  ein  Kind  oder  ein 
grosser  König,  die  höchste  Stufe  der  Wonne  erreichend,  ruht, 
so  ruht  dieser  da.  —  Wie  eine  Spinne  mit  ihrem  Gewebe 
herauskommt,1  wie  aus  dem  Feuer  die  kleinen  Funken  heraus- 
kommen, so  auch  aus  diesem  Atman  kommen  alle  Lebensorgane, 
alle  Welten,  alle  Götter,  alle  Wesen,  alle  Seelen  (Atman's) 
%  heraus.  Die  Unterweisung  von  dieser  Wahrheit  ist  die  Wahr- 
heit! Die  Lebensorgane  sind  die  Wahrheit,  und  er  ist  ihre 
Wahrheit"  — 

Sie  sehen  in  diesem  tiefsinnigen  Gespräch  verschiedene 
Stufen  der  Wissenschaft  vom  Atman -Brahman,  welche  beide 
als  Bezeichnungen  desselben  Einen  neben  einander  laufen.  Auch 
was  Gargya  lehrt,  ist  Brahman -Weisheit,  aber  eine  tiefere  Er- 
kenntniss hat  sich  König  Ajatacatru  erschlossen.  Den  trau- 
menden Geist  hat  er  erkannt  als  den  Atman-Brahman,  der  sich 
Welten  schafft  und  nach  Belieben  bald  ein  König,  bald  ein 
grosser  Brahmane  ist  Aber  noch  eine  höhere,  seligere  Stufe 
giebt  es,  wo  alle  jene  Erscheinungen  geschwunden  sind;  das 
ist  der  traumlose  Schlaf,  das  Innerste,  die  höchste  Stufe  des 
Atman*  Es  war  die  erste,  —  als  es  noch  keine  Welten  gab  — , 
und  es  wird  die  letzte  sein,  wenn  der  Atman  alle  Traum - 


1  D.  b.  wohl  sich  mit  demselben  oder  in  demselben  heraus  bewegt. 


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-    225  — 

eracheinimgen  fahren  lässt  und  mit  allen  Lebensorganen  sich 
zusammenzieht  in  die  Seligkeit  des  tiefen,  traumlosen  Schlafes. 

Das  Leben  ein  Traum  —  sagte  uns  der  spanische  Dichter; 
die  ganze  Welt  ein  Traum  —  sagt  hier  der  Inder,  ein  Traum 
der  grossen  Weltenseele. 

Gewiss  ein  geistvoller  Versuch,  das  Wesen  des  All -Einen 
zu  erläutern,  das  Eines  ist  und  doch  auch  wieder  die  ganze 
Welt 


8tkrftd«r,  IftdUM  Lit.  fc.  feit.  15 


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Sechszehnte  Vorlesung. 


Die  Philosophie  der  Upanishaden  (Fortsetzung  und  Schluss).  Mittheilungen 
aus  der  Chandogya-Upanishad,  Brihadaranyaka,  Ica-Upanishad,  K&thaka- 
Upanishad  u.  a.  Anquetil  Duperron's  Oupnekhat  Urthell  Schopenhauer  s 

über  dasselbe. 


Wir  haben  am  Schlüsse  der  letzten  Vorlesung  ein  inter- 
essantes Gespräch  ans  dem  Brihad-Äranyaka  kennen  gelernt, 
in  welchem  der  Versuch  gemacht  ist,  das  Wesen  der  Welteeele 
in  ihren  verschiedenen  Entwickelungsphasen  durch  Vergleich 
mit  dem  träumenden  und  endlich  traumlos  selig  schlafenden 
Geiste  deutlich  zu  machen.  Nun  begegnen  wir,  in  andere  Form 
gekleidet,  einem  ähnlichen  Versuch  auch  in  der  Chandogya- 
Upanishad,  den  ich  nur  in  kurzen  Zügen  skizziren  will.1 

Dort  tritt  Prajapati,  der,  Herr  der  Geschöpfe,  auf  und 
redet  weise  Worte  von  dem  Ätman,  der  Seele,  dem  Selbst,  zur 
Erbauung  Aller,  die  es  hören.  Er  sagt:  „Das  Selbst,  welches 
frei  von  Sünde,  frei  von  Alter,  von  Tod  und  Kummer,  von 
Hunger  und  Durst  ist,  welches  Nichts  verlangt,  als  was  es  ver- 
langen soll,  Nichts  denkt,  als  was  es  denken  soll,  das  müssen 
wir  zu  verstehen  suchen.  Wer  dieses  Selbst  gefunden  und  ver- 
standen hat,  erreicht  alle  Welten  und  alle  Wünsche." 

Die  Götter  und  die  Asuren  hören  diese  Worte  und  be- 
schliessen  nun  auch  nach  diesem  Selbst  zu  suchen.  Und  nun 
geht  von  den  Göttern  Indra,  von  den  Asuren  Virocana  zu  Praja- 
pati hin,  und  sie  wohnen  dort  als  seine  Schüler  zweiunddreissig 
Jahre.  Da  lässt  Prajapati  sie  in  eine  Wasserschale  hineinsehen, 
und  als  sie  nun  sich  selbst,  ihr  Spiegelbild  darin  erblicken, 
spricht  er:  „Das  ist  das  Selbst,  das  Unsterbliche,  das  Furcht- 
lose, das  ist  Brahman!"  —  Sie  gehen  fort,  und  der  Asure 


1  Chändogyop.  VIII,  7 — 12«  Die  Erzählung  findet  sich  übersetzt 
bei  M.  Müller,  Urspr.  u.  Entw.  d.  Rel.  p.  367—378.  Die  wörtlich  an- 
geführten 8tellen  sind  nach  dieser  üebersetzung  gegeben. 


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-    227  — 

Virocana  predigt  fröhlich  diese  Lehre,  deren  tieferen  Sinn  er 
nicht  begriffen  hat.1  Aber  Indra  ist  unbefriedigt,  denn  er 
sieht  die  Wandelbarkeit  und  Mangelhaftigkeit  dieses  individu- 
ellen körperlichen  Selbst,  dessen  Abbild  im  Wasser  sich  ebenso 
verändern  muss.  Er  geht  zu  Prajäpati  zurück,  bittet  um  weitere 
Belehrung  und  weilt  dort  wieder  zwoiunddroissig  Jahre.  Da 
offenbart  ihm  Prajäpati:  „Er,  der  glücklich  im  Traume  wandelt, 
das  ist  das  Selbst,  das  ist  das  Unsterbliche,  das  Furchtlose, 
das  ist  Brahman."  Frohen  Herzens  geht  Indra  fort,  aber  weiter 
denkend  wird  er  wieder  unbefriedigt,  denn  er  erkennt,  wenn 
auch  das  Selbst  im  Traume  nicht  wirklich  geschlagen  wird, 
Schmerz  leidet  und  Thränen  vergiesst,  so  ist  es  doch,  als  ob 
es  geschlagen  wird,  Schmerz  leidet  und  Thränen  vergiesst.  Das 
kann  doch  immer  noch  nicht  das  höchste  Selbst  sein.  Er  kehrt 
zurück,  weilt  wiederum  zweiunddreissig  Jahre  bei  Prajäpati, 
und  nun  offenbart  ihm  dieser:  „Wenn  ein  Mensch  eingeschlafen, 
gesammelt  und  ganz  zur  Ruhe  gesunken  ist,  keine  Träume  mehr 
sieht,  das  ist  das  Selbst,  das  ist  das  Unsterbliche,  das  Furcht- 
lose, das  ist  Brahman/*  Aber,  als  er  weggegangen  ist,  erkennt 
Indra  wieder:  „Fürwahr,  so  kennt  er  ja  nicht  mehr  sein  Selbst, 
dass  es  Ich  ist,  noch  diese  Wesen;  er  ist  ganz  untergegangen. 
Was  hilft  mir  diese  Lehre?"  Wiederum  kehrt  er  traurig  zu 
Prajäpati  zurück  und  offenbart  ihm  seinen  Zweifel.  „So  ist  es 
in  der  That,  sagt  Prajäpati;  weile  noch  fünf  Jahre  bei  mir,  ich 
will  es  dir  noch  weiter  erklären."  Und  dann  erklärt  er  es 
Ihm:  „Maghavan,*  dieser  Körper  ist  sterblich,  stets  vom  Tode 
gehalten«  Er  ist  die  Wohnung  des  Selbst,  welches  unsterblich 
und  körperlos  ist.  Während  das  Selbst  im  Körper  weilt  (indem 
es  denkt,  ich  bin  dieser  Körper),  ist  es  unter  Freude  und 
Schmerz.  So  lange  es  im  Körper  ist,  entgeht  es  nie  der  Freude 
and  dem  Schmerz.  Wenn  er  aber  vom  Körper  frei  ist,  wenn 
er  sich  ab  verschieden  vom  Körper  kennt,  «dann  berührt  ihn 
weder  Freude  noch  Schmerz"  .  .  .  u.  &  w. 

„Er,  der  weiss,  ich  möchte  dies  sagen,  er  ist  das  Selbst, 
die  Zunge  ist  nur  das  Werkzeug.  Er,  der  weiss,  ich  möchte 
dies  hören,  er  ist  das  Selbst,  das  Ohr  ist  nur  das  Werkzeug. 


1  Prajäpati  kann  von  dem  individuellen  Selbst  sagen,  dass  es  „das 
Selbst,  das  Unsterbliche,  das  Brahman"  sei,  denn  er  hat  erkannt,  dass 
dies  individuelle  ßelbst  identisch  ist  mit  dem  grossen  Selbst,  der  Welt- 
seele.  Wem  abei  diese  Erkenntnis»  noch  mangelt  und  wer  ohne  die- 
selbe das  Einzelselbst  direct  frischweg  für  die  Weltseele  nimmt,  der 
bleibt,  wie  der  Asure  Virocana,  in  grober  Täuschung  befangen. 

1  Beiname  des  Indra,  eigentlich  der  „Gabenreiche"  bedeutend. 

15* 


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—    228  — 

Er,  der  weiss,  ich  möchte  denken,  er  ist  das  Selbst,  die  Seele 
ist  sein  göttliches  Auge.  Er,  das  Selbst,  sieht  diese  Freuden 
(welche  Anderen  verborgen  sind  wie  ein  vergrabener  Goldschatz) 
mit  seinem  göttlichen  Auge,  der  Seele,  und  ist  glücklich. 

Die  Devas  in  der  Welt  des  Brahman  verehren  dieses  Selbst 
(wie  es  Prajapati  Indra  und  Indra  die  Devas  gelehrt  hat).  Sie 
haben  dort  alle  Welten  erlangt  und  alle  Wünsche.  Wer  dieses 
Selbst  kennt  und  versteht,  erlangt  alle  Welten  und  alle  Wünsche. 
So  sagte  Prajapati/' 

Doch  kehren  wir  wieder  zum  Brihad-Aranyaka,  der  inhalt- 
reichsten aller  Upanishaden,  zurück. 

Eines  der  geistvollsten  Kapitel  dieses  Werkes  bildet  die 
Abschiedsunterredung  des  weisen  Yajfiavalkya  mit  seinem  Weibe 
Maitreyi  Yajfiavalkya  hatte  zwei  Frauen,  Maitreyi  und 
Katyäyanl  mit  Namen.  Maitreyi  war  eine  Brahman-Kundige, 
Katyäyant  hatte  nur  das  gewöhnliche  Wissen  der  Frauen.1  Er 
wollte  Abschied  nehmen  vom  Leben,  seine  Habe  den  beiden 
Frauen  vertheilen  und  in  die  Einsamkeit  ziehen  ((Jat  Br.  14>  5,4): 

„Maitreyi!  sagte  Yajfiavalkya;  höre,  ich  will  von  diesem 
Orte  weg  in  den  Wald  ziehen!   Wohlan,  so  will  ich  denn  mit 
dir  und  der  Katyayani  abschliessen  (d.  h.  die  Theilung  machen). 
—  Maitreyi  sprach:  Wenn,  o  Ehrwürdiger,  diese  ganze  Erde, 
mit  Reichthümern  angefüllt,  mein  wäre,  würde  ich  dadurch 
unsterblich  sein?  —  Nein,  sagte  Yajfiavalkya.    Dein  Leben 
würde  sein  wie  das  Leben  wohlhabender  Leute;  auf  Unsterblich- 
keit aber  ist  keine  Hoffnung  durch  Reichthum.  —  Maitreyi 
sprach:  Wodurch  ich  nicht  unsterblich  werde,  was  soll  ic1l| 
damit  thun?    Wenn  der  Ehrwürdige  es  weiss,  so  sage  er  eil 
mir!  —  Yajfiavalkya  sprach:  Wahrlich,  theuer  bist  da  mht\ 
Liebes  redest  du.    Komm,  setze  dich,  ich  will  es  dir  erklär«  J 
du  aber  achte  auf  mich,  wenn  ich  es  dir  sage!  —  Es  rede  de  1 
Ehrwürdige  (sprach  Maitreyi).  —  Yajfiavalkya  sprach:  Fürwakl 
nicht  um  des  Gatten  willen  ist  der  Gatte  lieb,  sondern  m 
des  Atman  willen  ist  der  Gatte  lieb!    Fürwahr,  nicht  um  de 
Weibes  willen  ist  das  Weib  lieb,  sondern  um  des  Ätman  wille  i 
ist  das  Weib  lieb!    Fürwahr,  nicht  um  der  Söhne  willen  sin 
die  Söhne  lieb,  sondern  um  des  Ätman  willen  sind  die  Söhn 
lieb!  Fürwahr,  nicht  um  des  Reichthums  willen  ist  der  Reich 
thum  lieb,  sondern  um  des  Atman  willen  ist  der  Reichthui 
lieb!     Fürwahr,  nicht  um  der  Brahmanen  willen  sind  di 
Brahmanen  lieb,  sondern  um  des  Atman  willen  sind  die  Brat 


1  So  in  4er  zweiten  Fassung  dieser  Erzählung,  Qat.  Br.  14,  7,  3 


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-  229 


manen  lieb!  Fürwahr,  nicht  um  der  Krieger  willen  sind  die 
Krieger  heb,  sondern  um  des  Atman  willen  sind  die  Krieger 
heb.  Fürwahr,  nicht  um  der  Welten  willen  sind  die  Welten 
lieb,  sondern  um  des  Atman  willen  sind  die  Welten  lieb!  Für- 
wahr, nicht  um  der  Götter  willen  sind  die  Götter  lieb,  sondern 
am  des  Atman  willen  sind  die  Götter  lieb!  Fürwahr,  nicht 
um  der  Geschöpfe  willen  sind  die  Geschöpfe  lieb,  sondern  um 
des  Atman  willen  sind  die  Geschöpfe  lieb!  Fürwahr,  nicht  um 
des  All  willen  ist  das  AU  lieb,  sondern  um  des  Atman  willen 
ist  das  All  lieb.1  Fürwahr,  der  Atman  ist  es,  der  gesehen 
werden  muss,  der  gehört  werden  muss,  der  gedacht  werden 
muss,  über  den  nachgedacht  werden  muss,  o  Mäitreyi!  Dadurch, 
dass  man  den  Atman  sieht,  hört,  denkt  und  erkennt,  ist  dieses 
All  erkannt  —  Den  verlassen  die  Brahmanen,  der  die  Brah- 
manen  wo  anders  sucht  als  im  Atman!  Den  verlassen  die 
Krieger,  der  die  Krieger  wo  anders  sucht  als  im  Atman!  Den 
verlassen  die  Welten,  der  die  Welten  wo  anders  sucht  als  im 
Atman!  Den  verlassen  die  Götter,  der  die  Götter  wo  anders 
sucht  als  im  Atman!  Den  verlassen  die  Geschöpfe,  der  die 
Geschöpfe  wo  anders  sucht  als  im  Atman!  Den  verlasst  das 
All,  der  das  All  wo  anders  sucht  als  im  Atman!  Diese  Brah- 
manen, diese  Krieger,  diese  Welten,  diese  Götter,  diese  Ge- 
schöpfe, dies  All  ist  der  Atman! 

Wie  nun,  wenn  eine  Trommel  geschlagen  wird,  man  nicht 
im  Stande  ist,  die  herausgedrungenen  Töne  zu  ergreifen,  wenn 
man  aber  die  Trommel  oder  den  Trommelschläger  ergreift,  so 
ist  auch  der  Ton  ergriffen.  Wie,  wenn  eine  Laute  gespielt 
wird,  man  nicht  im  Stande  ist,  die  herausgedrungenen  Töne  zu 
ergreifen,  wenn  man  aber  die  Laute  oder  den  Lautenspieler 
ergreift,  so  ist  auch  der  Ton  ergriffen.  Wie,  wenn  eine 
Muschel  geblasen  wird,  man  nicht  im  Stande  ist,  die  heraus- 
gedrungenen Töne  zu  ergreifen,  wenn  man  aber  die  Muschel 
oder  den  Muschelbläser  ergreift,  so  ist  auch  der  Ton  ergriffen. 
Wie  von  einem  Feuer,  das  mit  grünem  (feuchtem)  Holz  an- 
gelegt ist,  Rauchwolken  gesondert  hervorgehen,  so  auch  fürwahr 
aus  diesem  grossen  Wesen  ist  hervorgehaucht  der  Rigveda,  der 
Yajurveda,  der  Sämaveda,  der  Atharvaveda,  Sage,  Legende, 
Wissenschaften,  Upanisbaden,  Verse,1  Sütra's,  Erklärungen  und 
Commentare,  —  aus  ihm  ist  dies  Alles  hervorgebaucht"  .... 

„Wie  ein  Stück  Salz,  ins  Wasser  geworfen,  sich  im  Wasser 


1  Alles  Dies  hat  seinen  Werth  nur,  weil  der  Atman  darin  steckt 
•  Qloken. 


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230  - 


auflöst  und  nicht  herausgenommen  werden  kann;  von  wo  man 
aber  auch  kostet,  da  ist  Salz,  —  so  auch  dieses  grosse  Wesen, 
das  unendliche,  unbegrenzte,  ganz  in  Erkenntniss  bestehend, 
steigt  aus  diesen  Geschöpfen  empor  und  geht  wieder  in  ihnen 
unter.  Nach  dem  Tode  aber  ist  kein  Bewusstseiu  mehr  da! 
Wahrlich,  das  sage  ich!  —  So  sprach  Yäjfiavalkya. 

Mäitreyi  aber  sagte:  der  Ehrwürdige  hat  mich  verwirrt  mit 
den  Worten:  Nach  dem  Tode  ist  kein  Bewusstsein  da! 

Yäjfiavalkya  sprach:  Wahrlich,  ich  sage  dir  nichts  Ver- 
wirrtes, dies  genügt  zur  Erkenntniss.  Denn  wo  es  eine  Zweiheit 
giebt,  da  sieht  Einer  den  Andern,  da  riecht  Einer  den  Andern, 
da  begrüsst  Einer  den  Andern,  da  hört  Einer  den  Andern,  da 
denkt  Einer  den  Andern,  da  erkennt  Einer  den  Andern.  Wo 
aber  der  Atman  sein  Alles  geworden  ist,  —  durch  wen  und 
wen  soll  er  sehen,  durch  wen  und  wen  soll  er  riechen,  durch 
w$n  und  wen  soll  er  begrüssen,  durch  wen  und  wen  soll  er 
hören,  durch  wen  und  wen  soll  er  denken,  durch  wen  und  wen 
soll  er  erkennen?  Durch  welchen  er  dies  Alles  erkennt,  durch 
wen  soll  er  den  erkennen?  Durch  wen  soll  er  den  Erkenner 
erkennen?*'  — 

Und  in  jenem  merkwürdigen  theologischen  Wettkampf  am 
Hofe  des  Videha-Königs  Janaka,  sehen  wir  da  nicht  oft  schon 
aus  der  Art  der  Frage,  wie  weit  jene  Wissenschaft,  der  Glaube 
an  den  Atman,  der  zugleich  das  Brahinan  ist,  sich  als  aner- 
kanntes Gemeingut  der  Denker  befestigt  hatte.  So  z.  B.,  wenn 
sowohl  Käushitakeya  als  Cäkräyana  den  Yäjüavalkya  fragen 
und  sagen:  „Das  Brahman,  welches  offenbar  und  nicht  ver- 
borgen ist,  den  Atman,  der  in  Allem  weilt,  den  erkläre, 
0  Yäjfiavalkya!  Dieser  dein  Atman,  der  in  Allem  weilt,  den 
erkläre  mir,  0  Yäjfiavalkya!"  Und  dort  wird  er  genannt  der, 
welcher  über  Hunger  und  Durst,  über  Kummer  und  Bethörung, 
über  Alter  und  Tod  erhaben  ist,  und  es  heisst:  Was  von  ihm 
verschieden  ist,  das  ist  leid  voll!  —  Nicht  kannst  du  sehen 
den  Seher  des  Sehens,  nicht  kannst  du  hören  den  Hörer  des 
Hörens,  nicht  kannst  du  denken  der  Denker  des  Denkens, 
nicht  kannst  du  erkennen  den  Erkenner  des  Erkennens! 

In  demselben  Disput  fragt  Uddälaka  Aruni  den  Yäjfia- 
valkya nach  der  geheimen  Kunde  von  dem  „inneren  Lenker** 
(antaryämin),  von  der  sein  weiser  Lehrer  Kapya  Patamcala 
einst  hatte  bekennen  müssen,  dass  er  sie  nicht  kenne.  Und 
inhaltsvoll  ist  die  Antwort  des  Yäjfiavalkya1:  „der  in  der  Erde 


1  Cat.  Br.  14,  6,  7. 


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—   231  — 

befindlich,  von  der  Erde  verschieden,  den  die  Erde  nicht  kennt, 
dessen  Leib  die  Erde,  der  die  Erde  im  Innern  lenkt,  das  ist 
dein  Ätman,  der  innere  Lenker,  der  unsterbliche.  —  Der  in 
den  Wassern  befindlich,  von  den  Wassern  verschieden,  den  die 
Wasser  nicht  kennen,  dessen  Leib  die  Wasser,  der  die  Wasser 
im  Innern  lenkt,  das  ist  dein  Ätman,  der  innere  Lenker,  der 
unsterbliche.  —  Der  im  Feuer  befindlich,  vom  Feuer  ver- 
schieden, den  das  Feuer  nicht  kennt,  dessen  Leib  das  Feuer, 
der  das  Feuer  im  Innern  lenkt,  das  ist  dein  Atman,  der  innere 
Lenker,  der  unsterbliche.  —  Der  im  Aether  befindlich,  vom 
Aether  verschieden,  den  der  Aether  nicht  kennt,  dessen  Leib 
der  Aether,  der  den  Aether  im  Innern  lenkt,  das  ist  dein 
Atman,  der  innere  Lenker,  der  unsterbliche.  —  Der  im  Winde 
befindlich,  vom  Winde  verschieden,  den  der  Wind  nicht  kennt, 
dessen  Leib  der  Wind,  der  den  Wind  im  Innern  lenkt,  das  ist 
u.  s.  w.  —  Der  in  der  Sonne  befindlich,  von  der  Sonne  ver- 
schieden, den  die  Sonne  nicht  kennt,  dessen  Leib  die  Sonne, 
der  die  Sonne  im  Innern  lenkt,  das  ist  u.  s.  w.  —  Der  in 
Mond  und  Sternen  befindlich,  von  Mond  und  Sternen  ver- 
schieden, den  Mond  und  Sterne  nicht  kennen,  dessen  Leib 
Mond  und  Sterne,  der  Mond  und  Sterne  im  Innern  lenkt,  das 
ist  u.  s.  w.  —  Der  in  den  Himmelsgegenden  befindlich,  von 
den  Himmelsgegenden  verschieden,  den  die  Himmelsgegenden 
nicht  kennen,  dessen  Leib  die  Himmelsgegenden,  der  die  Him- 
melsgegenden im  Innern  lenkt,  das  ist  u.  s.  w.  —  Der  im 
Blitze  befindlich,  vom  Blitze  verschieden,  den  der  Blitz  nicht 
kennt,  dessen  Leib  der  Blitz,  der  den  Blitz  im  Innern  lenkt, 
das  ist  u.  s.  w.  —  Der  in  dem  Donner  befindlich,  vom  Donner 
verschieden,  den  der  Donner  nicht  kennt,  dessen  Leib  der 
Donner,  der  den  Donner  im  Innern  lenkt,  das  ist  dein  Atman, 
der  innere  Lenker,  der  unsterbliche.  Diese  Kunde  geht  über 
die  Gottheiten  und  über  die  Welten  hinaus.  —  Der  in  allen 
Welten  befindlich,  von  allen  Welten  verschieden,  den  alle 
Welten  nicht  kennen,  dessen  Leib  alle  Welten,  der  alle  Welten 
im  Innern  lenkt,  das  ist  dein  Ätman,  der  innere  Lenker,  der 
unsterbliche.  Diese  Kunde  geht  über  die  Welten  und  über 
die  Veden  hinaus  I  —  Der  in  allen  Veden  befindlich,  von  allen 
Veden  verschieden  u.  s.  w.  Diese  Kunde  geht  über  die  Veden 
und  über  das  Opfer  hinaus!  —  Der  in  allen  Opfern  befindlich, 
von  allen  Opfern  verschieden  u.  8.  w.  Diese  Kunde  geht  über 
das  Opfer  und  über  die  Wesen  hinaus.  —  Der  in  allen  Wesen 
befindlich,  von  allen  Wesen  verschieden,  den  alle  Wesen  nicht 
kennen,  dessen  Leib  alle  Wesen,  der  alle  Wesen  im  Innern 


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—   232  — 


lenkt,  das  ist  dein  Ätman,  der  innere  Lenker,  der  unsterbliche. 
Diese  Kunde  geht  über  die  Wesen  und  über  den  Ätman 
hinaus.  —  Der  in  dem  Athem  befindlich,  vom  Athem  ver- 
schieden, den  der  Athem  nicht  kennt,  dessen  Leib  der  Athem, 
der  den  Athem  im  Innern  lenkt,  das  ist  dein  Ätman,  der  innere 
Lenker,  der  unsterbliche.  —  Der  in  der  Stimme  befindlich, 
von  der  Stimme  verschieden  u.  s.  w.  —  Der  im  Auge  befind- 
lich, vom  Auge  verschieden  u.  a.  w. —  Der  im  Ohre  befindlich, 
vom  Ohre  verschieden  u.  s.  w.  —  Der  im  Geiste  befindlich, 
vom  Geiste  verschieden  u.  s.  w.  —  Der  in  der  Haut  befindlich, 
von  der  Haut  verschieden  u.  s.  w.  —  Der  im  Lichte  befindlich, 
vom  Lichte  verschieden  u.  s.  w  . —  Der  in  der  Finsterniss  be- 
findlich, von  der  Finsterniss  veischieden  u.  s.  w.  —  Der  im 
Samen  befindlich,  vom  Samen  verschieden  u.  s.  w.  —  Der  in 
der  Seele  befindlich,  von  der  Seele  verschieden  u.  8.  w.  — 
Der  ungesehene  Seher,  der  ungehörte  Hörer,  der  ungedachte 
Denker, 'der  unerkannte  Erkenner;  kein  andrer  Seher  ist,  kein 
andrer  Hörer,  kein  andrer  Denker,  kein  andrer  Erkennen 
Dies  ist  dein  Ätman,  der  innere  Lenker,  der  unste  bliche;  was 
von  ihm  verschieden  ist,  das  ist  leidvolL  —  Da  schwieg  Udda- 
laka  Äruni.« 

Und  die  weise  Frau  Gargl  Vacaknavl  fragt  den  Tajfia- 
valkya:  „Was  über  dem  Himmel,  was  unter  der  Erde,  und  was 
(doch)  zwischen  Himmel  und  Erde  befindlich,  was  da  war,  was 
da  ist  und  was  da  sein  wird,  worin  ist  das  eingewebt  und  ver- 
webt? (d.  i.  worin  lebt  und  webt  das?).  —  Yajfiavalkya  sprach: 
Was  über  dem  Himmel,  was  unter  der  Erde,  und  was  (doch) 
zwischen  Himmel  und  Erde,  was  da  war,  was  da  ist  und  was 
da  sein  wird',  im  Aether  ist  das  eingewebt  und  verwebt!  — 
Worin  aber  ist  der  Aether  eingewebt  und  verwebt?  —  Er 
sprach:  Das,  o  Gargl,  nennen  die  Brahmanen  das  Unvergäng- 
liche (aksharam),  das  nicht  gross  und  nicht  klein,  nicht  kurz 
und  nicht  lang,  ohne  Blut  und  Fett,  ohne  Schatten,  ohne  Finster- 
niss, ohne  Wind,  ohne  Aether,  ohne  Verbindung,  ohne  Berührung, 
ohne  Duft,  ohne  Saft,  ohne  Auge,  ohne  Ohr,  ohne  Stimme,  ohne 
Sinn,  ohne  Glanz,  ohne  Athem,  ohne  Antlitz,  ohne  Namen,  ohne 
Familie,  nicht  alternd,  nicht  sterbend,  furchtlos,  unsterblich^ 
ohne  Staub,  ohne  Schall,  nicht  offenbar,  nicht  verborgen,  ohne 
Früheres,  ohne  Späteres,  ohne  Inneres,  ohne  Aeusseres,  es  isset 
nicht  und  wird  von  Niemand  gegessen.  In  dieses  Unvergäng- 
lichen Gewalt,  o  Gargl  stehen  Erde  und  Himmel  festgehalten; 
in  dieses  Unvergänglichen  Gewalt,  o  Gargl,  stehn  Sonne  und 
Mond  festgehalten;  in  dieses  Unvergänglichen  Gewalt,  o  Gargi, 


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—    233  — 


stehn  Tage  und  Nächte,  die  Halbmonate,  die  Monate,  die  Jahres- 
zeiten, die  Jahre  festgehalten;  in  dieses  Unvergänglichen  Gewalt, 
o  Gargi,  strömen  die  einen  Flüsse  nach  Osten  aus  den  weissen 
Bergen,  die  anderen  nach  Westen  und  in  welche  Himmels- 
gegenden es  irgend  sei  .  .  .  Wer  dieses  Unvergängliche  nicht 
erkannt  habend,  o  Gargi,  in  dieser  Welt  opfert,  spendet,  sich 
kasteit,  auch  viele  Jahrtausende,  endlich  ist  dem  die  Welt. 
Wer  dieses  Unvergängliche  nicht  erkannt  habend,  o  Gargi,  aus 
dieser  Welt  scheidet,  der  ist  beklagenswerth.  Wer  aber,  o  Gargi, 
dies  Unvergängliche  erkannt  habend  aus  dieser  Welt  scheidet, 
der  ist  ein  (wahrhaftiger)  Brahmane!  —  Dies,  o  Gargi,  ist 
das  Unvergängliche:  das  nicht  gesehene  Sehende,  das  nicht  ge- 
hörte Hörende,  das  nicht  gedachte  Denkende,  das  nicht  er- 
kannte Erkennende;  kein  anderes  Sehendes  ist,  kein  anderes 
Hörendes,  kein  anderes  Denkendes,  kein  anderes  Erkennendes! 
Dies,  wahrlich,  ist  das  Unvergängliche,  in  welchem  der  Aether 
eingewebt  und  verwebt  ist!  —  Sie  aber  sprach:  Brähmanen, 
dies  fürwahr  sollt  ihr  hochschätzen!  .  .  .  Wahrlich,  keiner  von 
euch  wird  diesen  besiegen  im  Wettstreit  um  das  Brahman! 

Und  auch  wir,  sicherlich,  werden  zugestehen  müssen,  dass 
hier  wirkliche  Weisheit,  tiefes  philosophisches  Denken  in  Yäjfla- 
valkya's  Worten  enthalten  ist.  So  weit  wir  das  Denken  des 
Menschengeschlechtes  kennen,  ist  hier  zuerst  das  Absolute1 
erkannt  und  verkündigt  worden;  und  man  fühlt  es  den  warmen, 
begeisterten  Worten  an,  dass  die  Denker  jener  Tage  gehoben, 
stolz  und  glücklich  sind  durch  diese  herrliche  neugewonnene 
Erkenntnis«,  und  darum  auch  nicht  müde  werden,  wieder  und 
wieder  dieselben  Gedanken  zu  wiederholen,  ganz  erfüllt  von 
dem  schönen  und  stolzen  Bewusstsein,  dass  hier  die  wahre 
Weisheit  verborgen  ist,  unendlich  viel  mehr  werth  als  Alles, 
was  man  in  früheren  Tagen  für  begehrenswerth  gehalten  hatte. 

Der  Zeit  ungefähr,  die  diese  Gedanken  hervorbrachte,  mag 
vielleicht  auch  jenes  Lied  des  Rigveda  entstammen,  das  ich 
Ihnen  früher  mitgetheilt  habe  und  das  mit  den  Worten  begann: 
Am  Anfang  war  weder  Sein  noch  Nichtsein  u.  s.  w.  Dass  es 
ein  späteres  Einschiebsel  sei,  machen  die  darin  enthaltenen 
Gedanken  sehr  wahrscheinlich. 

Es  Hesse  sich  noch  vieles  Bedeutende  und  Schöne  aus  der 
Upanishaden-Literatur  anführen;  doch  muss  ich  mich  hier  auf 
einige  Hauptsachen  beschränken. 

Sehr  interessant  und  inhaltreich  ist  die  Käushitaki- 


1  Man  beachte  die  negative  Bestimmung  desselben  oben  p.  232. 


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—    234  — 


Upanishad,  welche  das  dritte  Buch  des  zum  Kigveda  gehörigen 
Kaushitakaranyaka  bildet.  Im  ersten  Abschnitt  dieses  Buches 
tritt  wieder  ein  weiser  König,  Citra  G&ngyayani  mit  Namen,  auf, 
der  den  Brahmanen  Xruni  belehrt.  Den  Inhalt  dieser  Dar- 
legung bilden  hauptsächlich  die  Vorstellungen  von  dem  Wege 
in  die  jenseitige  Welt  und  die  Ankunft  daselbst.  Dort  wird 
der  Ankommende  gefragt:  Wer  bist  du?  Und  wenn  er  ant- 
wortet: Ich  bin  das  Brahman!  so  ist  er  ein  Wissender  und  geht 
ein  in  die  Seligkeit.  —  Der  vierte  Abschnitt  enthält  wieder  in 
etwas  anderer  Gestalt  die  Belehrung  eines  sich  weise  dünkenden 
Brahmanen  durch  den  König  von  Käcj,  Ajatacatru,  die  ich  Ihnen 
in  der  Fassung  dos  Brihad-Aranyaka  bereits  vorgeführt  habe. 

Merkwürdig  ist  auch  der  Inhalt  der,  ebenfalls  zum  Uig- 
veda  gerechneten,  Väshkala- Upanishad,1  welcher  in  seinem 
Kerne  an  die  griechische  Sage  von  Ganymedes  erinnert.  Indra, 
in  Gestalt  eines  Widders,  entführt  Kanva's  Sohn  Medhatithi. 
Während  des  Fluges  befragt  ihn  derselbe,  wer  er  sei.  Indra 
antwortet  ihm  lächelnd  und  giebt  sich  ihm  kund  als  den  All- 
gott, sich  mit  dem  All  identificirend.2 

Das  vierzigste  und  letzte  Buch  der  SamhitA  des  weissen 
Yajurveda  ist  ebenfalls  eine  Upanishad,  die  wenig  umfangreiche 
"Icopanishad,  aus  der  ich  Ihnen  als  Probe  einige  Verse  an- 
führen möchte: 

Vom  Herrn  umschlossen  ist  dies  All  und  was  irgend  auf  der  Erde 
sich  bewegt;  geniease  das,  nachdem  du  darauf  verzichtet,  begehre  nicht 
nach  dem  Besitz  von  irgend  Jemand.  (1) 

Unbeweglich  ist  das  Eine,  (und  doch)  schneller  als  der  Gedanke» 
eilt  voran,  nicht  erreichen  es  die  Götter;  obschon  es  steht,  überholt 
es  doch  die  Andern,  welche  laufen;  in  dies  setzt  M&taricvan  die  Ge- 
wässer. (4) 

Es  bewegt  sich  und  bewegt  sich  auch  nicht;  es  ist  fern  und  ist 
auch  nah;  es  ist  in  diesem  All  und  ist  auch  ausserhalb  dieses  Allf.  (5) 

Wenn  man  alle  Wesen  in  sich*  sieht  und  sich  selbst  in  allen 
Wesen,  da  giebt  es  keine  Ungewissheit  (6) 

Für  den,  welcher  erkennt:  Das  Selbst  tder  Atman)  ist  es,  in  wel- 
chem alle  Wesen  sich  befinden,  —  was  giebt  es  rar  eine  Bethörung, 
was  für  Kummer  für  den,  welcher  die  Einheit  schaut?  (7) 

Er  verbreitet  sich  überallhin,  strahlend,  körperlos,  wundenlos,  ohne 
Sehnen,*  rein,  frei  von  Fehlern,  der  Weise,  der  Seher,  der  Umfassende, 


1  Diese  Upanishad  ist  bis  jetzt  nur  aus  Anquetil  Duperron's  Oupne- 
khat  II,  366-71  bekannt. 

1  Vgl.  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  57. 

*  Ssk.  atmann  eva. 

*  I».  h.  Binder. 


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235  — 


durch  sich  selbst  Seiende;  in  rechter  Art  hat  er  die  Dinge  geordnet  seit 
ewigen  Jahren.  (8^ 

Mit  einem  goldenen  Deckel  ist  der  Wahrbpit  Mund  bedeckt!  Der 
Geist,  der  in  der  Sonne  ist  der  hin  ich!  (17) 

•  Om!    Das  Brahmair  ist  der  Aother! 


Nur  noch  eine  dieser  Upanishaden  lassen  Sie  mich  zum 
Schluss  besprechen. 

In  einem  jener  Abschnitte  des  Taittiriya-Brabmana,1  welche 
dem  weisen  Katha  als  Verfasser  zugeschrieben  werden,  findet 
sich  die  ErzähJung  von  dem  Besuch  des  Naciketas  in  der 
Unterwelt.  Er  wünscht  die  Befreiung  vom  Tode  zu  erlangen, 
und  der  Todesgott  lehrt  ihm,  —  ganz  im  Geiste  der  Brah- 
mana's  — ,  wie  er  dieselbe  durch  bestimmte  Opfer  erreichen 
könne.  Diese  Erzählung  nun  hat  den  Anlass  gegeben  zu  einer 
der  merkwürdigsten  und  schönsten  Upanishaden,  der  sogenannten 
KAthaka-  oder  Ka^ha-Upanishad,  welche  in  der  uns  vorliegenden 
Fassung  zum  Atharvaveda  gerechnet  wird.3 

Sie  erzählt:  Ucan,  der  Sohn  des  Vajacravas,  brachte  ein 
Allopfer  dar,  wobei  er  all  seine  Habe  den  Priestern  hingab. 
Wie  sein  Sohn  Naciketas  die  Kühe  des  Vaters  wegführen  sieht, 
kommt  ihm  der  Gedanke  über  die  Vergänglichkeit  der  Welten, 
die  man  durch  solche  irdische,  vergängliche  Gaben  erlangen 
kann.  Er  fragt  den  Vater:  „Wem  wirst  du  mich  geben?"  — 
Dieser  will  ihm  zuerst  nicht  antworten,  wie  aber  die  Frage 
zum  dritten  Mal  wiederholt  wird,  sagt  er:  „Ich  gebe  dich  dem 
Tode!"  —  Der  Sohn  spricht:  „Viele  werden  mir  nachfolgen, 
viele  sind  vor  mir  den  Weg  gegangen;  wozu  bedarf  Yama,  der 
Todesfurst,  meiner?"  Der  Vater  erwidert:  „Blicke  zurück  und 
blicke  vorwärts!  Wie  das  Korn  reift  das  Menschengeschlecht 
und  wird  neu  erzeugt!"  —  Der  Sohn  steigt  nun  hinab  in  die 
Behausung  des  Todesgottes.  Dort  wird  er  zuerst  nicht  bemerkt 
und  weilt  drei  Tage  ungeehrt  im  Todtenreiche.  Da  wird  Yama 
auf  seine  Anwesenheit  aufmerksam  gemacht  und,  weil  es  ein 
Vergehen  ist,  einen  Brahmanen  so  lange  ungeehrt  im  Hause 


1  3,  11,  8. 

9  Vgl.  oben  p.  191.  —  Eine  Uebersetzung  dieser  Upanishad  findet 
•ich  schon  in  H.  Th.  Colebrooke's  Abhandlung  über  die  heil.  Schriften 
der  Indier.  Aus  dem  Englischen  übersetzt  von  L.  Polcy,  nebst  Frag- 
menten der  ältesten  religiösen  Dichtungen  der  Indier.  Leipzig  1847; 
p.  113—128.  S.  nun  auch  M.  Müller,  Ursprung  u.  Entwickel.  d.  Rel. 
p.  377—382. 


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zu  haben,  will  er  diese  Schuld  sühnen,  indem  er  den  Naciketas 
auffordert,  drei  Wünsche  nach  Belieben  zu  wählen.  Naciketas 
wählt  als  ersten  Wunsch,  dass  sein  Vater  ihm  nicht  zürnen 
möge,  wenn  er  zurückkehre;  als  zweiten  Wunsch  bittet  er. um 
die  Kunde  des  Opferfeuers,  durch  welches  man  die  Himmels- 
welt erlangen  könne.  Wie  er  aber  den  dritten  Wunsch  thun 
soll,  da  spricht  er:  „Wenn  der  Mensch  gestorben  ist,  dann 
sagen  Einige,  er  ist»  Andere,  er  ist  nicht!  Diesen  Zweifel 
löse  mir,  das  möchte  ich  wissen,  von  dir  belehrt,  das  sei  der 
Gaben  dritte."  Der  Tod  erwidert:  „Selbst  von  den  Göttern 
ist  vormals  hierüber  gezweifelt  worden,  denn  es  ist  nicht  leicht 
zu  erkennen,  es  ist  ein  feiner  Punkt.  Wähle,  o  Naciketas, 
eine  andre  Gabe,  binde  mich  nicht  an  mein  Versprechen,  erlass 
mir  diese  Gabe!"  Naciketas  sprach:  „Selbst  von  den  Göttern 
ist  hierüber  gezweifelt  worden,  und  du  sagst,  dass  es  nicht 
leicht  zu  erkennen  ist.  Besser  als  du  wird  niemand  das  ver- 
künden, und  keine  andre  Gabe  ist  dieser  gleich."  —  Aber  der 
Tod  sucht  ihn  zu  verlocken  und  auf  andre  Gedanken  zu 
bringen:  „Wähle  doch  hundertfache  Lebenskraft  besitzende 
Kindeskinder,  viel  Vieh,  Elephanten,  Gold  und  Rosse;  wähle 
ein  grosses  Gebiet  der  Erde  und  lebe  selbst  soviel  Jahre  du 
wünschest!  Wenn  dieser  Wunsch  dir  gleich  erscheint,  so  wähle 
Reich thum  und  langes  Leben!  Sei  gross  auf  dieser  Erde,  o 
Naciketas,  ich  lasse  dich  all  deine  Wünsche  gemessen!  Die 
Wünsche,  welche  schwer  zu  erlangen  sind  in  der  Welt  der 
Sterblichen,  alle  Wünsche,  die  dir  gefallen,  wähle  du!  Jene 
reizenden  Jungfrauen  mit  Wagen  und  Harfen,  nicht  sind  solche 
zu  erlangen  von  den  Menschen,  ich  schenke  sie  dir,  lass  dich 
von  ihnen  bedienen,  Naciketas,  aber  frage  mich  nicht  über  das 
Sterben  1"  Naciketas  erwidert:  „Die  wechselnden  Tage  lassen, 
o  Tod,  dem  Sterblichen  aller  Sinne  Kraft  altern,  das  ganze 
Leben  ist  nur  kurz,  dein  sind  die  Rosse,  dein  ist  Tanz  und 
Gesang.  Nicht  kann  der  Mensch  durch  Reichthum  befriedigt 
werden.  Werden  wir  Reichthum  haben,  wenn  wir  dich  schauten? 
Wir  werden  leben,  so  lang  du  gebietest;  ich  aber  w#  wählen 
diesen  Wunsch!  Worüber  man  da  zweifelt,  o  Tod,  in  grossem 
Streite,  das  verkünde  du  mir!  Diese  Gabe,  die  im  Verborgenen 
liegt,  keine  andre  als  diese  wählt  Naciketas!" 

Und  nun  endlich  ist  der  Tod  durch  solche  Beharrlichkeit 
besiegt  und  enthüllt  ihm  das  Geheimniss  von  Leben  und 
Sterben.  Darnach  sind  Leben  und  Tod  nur  verschiedene 
Phasen  der  Entwickelung.  Die  wahre  Weisheit  besteht  in  der 
Erkenntniss  der  Identität  der  Seele  mit  dem  Allgeist,  der 


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—    237  — 


Weltenseele,  wodurch  inaii  über  Leben  und  Tod  erhoben 
wird.1 

Der  Tod  spricht: 

„Ein  Andres  ist  das  Heil,  ein  Andres  das  Vergnügen;  die  beiden 
von  verschiedenem  Wesen  fesseln  den  Menschen.  Wer  unter  diesen 
beiden  das  Heil  erwählt»  der  wird  glücklich;  wer  das  Vergnügen  wählt, 
der  geht  des  Ziels  verlustig.  ^2,  1} 

Dem  Thoren,  der  genusssüchtig  und  durch  Reichthum  bethört  ist, 
^leuchtet  keine  Zukunft  entgegen.  Dies  ist  die  Welt,  es  giebt  keine 
andre  1  so  denkend  kommt  er  wieder  und  wieder  in  meine  Gewalt  (2,  6) 

Wer  den  schwer  zu  schauenden,  ins  Verborgene  eingegangenen,  im 
Verborgenen  liegenden,  im  Abgrund  befindlichen  Alten,  den  Gott,  durch 
Vereinigung  mit  dem  höchsten  Atman  im  Denken  erfasst  hat,  der  Weise 
lässt  Freude  und  Schmerz  hinter  sich.  (2,  12) 

Der  Weise  wird  nicht  geboren  und  stirbt  auch  nicht,  er  kommt 
nicht  irgendwoher  und  ist  auch  nicht  irgendwer;  ungeboren,  beständig, 
ewig  ist  er,  der  Alte,  nicht  wird  er  getödtet,  wenn  der  Körper  getödtet 
wird.  (2,  18) 

Der  Atman  ist  feiner  als  fein,  grösser  als  gross,  verhüllt  im  Innern 
der  Geschöpfe;  wer  keine  Wünsche  mehr  hat  und  frei  von  Kummer  ist, 
der  schaut  des  Atman  Grösse  durch  die  Gnade  des  Schöpfers.  (2,  20) 

Sitzend  wandert  er  in  die  Ferne,  ruhend  wandelt  er  überall  hin; 
wer  ausser  mir  kann  diesen  Gott  verstehen,  der  sich  freut  und  doch 
nicht  freut?  (2,  21)  # 

Wenn  der  Weise  diesen  grossen  machtigen , Atman,  der  körperlos 
in  den  Körpern  weilt,  den  Bestandigen  in  dem  Unbeständigen,  im  Denken 
erfasst  hat,  dann  trauert  er  nicht  (2,  22) 

Nicht  kann  dieser  Atman  durch  die  Brahmana's  erfasst  werden, 
nicht  durch  Verstand,  nicht  durch  vieles  Lernen.  Wen  er  (d.  h.  der 
Atman)  erwählt,  von  dem  kann  er  erfasst  werden;  dessen  Selbst  erwählt 
der  Atman  als  sein  eigen.  (2,  23) 

Wer  nicht  vom  Bösen  abgelassen  hat,  nicht  beruhigt  und  andachtig 
ist,  nicht  ruhigen  Geistes,  der  kann  ihn  nicht  durch  Erkenntniss  er- 
langen. (2,  24) 

Dieser  Atman  ist  in  allen  Wesen  verborgen  und  erscheint  nicht 
offenbar;  er  wird  aber  geschaut  von  der  höchsten,  feinen  Einsicht  der 
Scharfsichtigen.  12) 

Steht  auf,  erwacht,  herrliche  Gaben  erlangend  merket  aufl  Wie 
die  scharfe,  schwer  zu  überschreitende  Schneide  eines  Scheermessers, 
schwierig  ist  dieser  Pfad,  so  sagen  die  Weisen.  (3,  14) 

Aus  welchem  die  Sonne  aufsteigt  und  in  welchem  sie  niedersinkt, 
in  dem  sind  alle  Götter  enthalten  und  über  ihn  hinaus  geht  keiner.  (4, 9) 

Merk  auf,  ich  wül  dir  nun  verkünden  das  geheime,  ewige  Brahman, 
und  wie  die  Seele  wird  im  Tode,  o  Gautama!  (5,  6) 

Einige  Menschen  gelangen  wieder  in  den  Mutterschooss,  um  einen 
neuen  Leib  anzunehmen;  andre  gehen  in  Festes  über  (wie  Stöcke  und 
Steine),  je  nach,  ihrem  Thun  und  Wissen.  (5,  7) 

Der  Geist  (Purusha),  der  in  den  Schlafenden  wacht,  nach  Belieben 
sich  gestaltend,  das  ist  das  Reine,  das  das  Brahman,  das  fürwahr  wird 


1  Vgl.  anch  Weber  a.  a.  0.  p.  174.  M.  Müller,  Urspr.  u.  Entw. 
d.  Rel.  p.  880—382.   Indien  in  seiner  weltgeschichtl  Bed.  p.  212—214. 


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—    238  — 


das  Unsterbliche  genannt;  in  dem  ruhen  alle  Welten,  und  darüber  hinaus 
geht  Keiner.  (5,  8) 

Wie  die  Sonne,  das  Auge  der  ganzen  Welt,  durch  die  äusseren 
Mängel,  auf  die  das  Auge  fällt,  nicht  befleckt  wird:  so  wird  auch  dieser 
eine,  in  allen  Wesen  befindliche  Atman  nicht  beneckt  durch  das  Leiden 
dieser  Welt,  denn  er  ist  draussen.  <5.  11) 

Er  der  alleinige  Herrscher,  der  in  allen  Wesen  KMiridliche  Atman, 
der  die  eine  Gestalt  vielfältig  gestaltet;  den  Weisen,  welche  ihn  in 
ihrem  eignen  Selbst  erblicken,  denen  wird  ewige»  (iiuik  zu  Theil,  nicht 
Andern.  (5,  12) 

Seine  Gestalt  bietet  sich  nicht  dem  Anblick  dar,  und  Niemand 
schaut  ihn  mit  dem  Auge;  durch  das  Herz,  Geist  und  Denken  wird  er 
erlangt;  die  Solches  wissen,  werden  unsterblich.  (6,  9) 

Er  ist  nicht  durch  das  Wort,  nicht  durch  den  Geist,  nicht  durch 
das  Auge  zu  erreichen.  Wie  kann  er  anders  begriffen  werden,  als  wenn 
man  sagt:  Er  ist!  (6,  12) 

Er  ist!  So  soll  man  ihn  begreifen  und  durch  das  wahrhaftige 
Wesen  beider  (d.  h.  seiner  und  der  Welt).  Er  ist!  Wer  ihn  also  be- 
greift, dem  wird  klar  das  wahrhaftige  Wesen.  (6,  13) 

Wenn  alle  Begierden,  die  im  Herzen  ruhen,  abgelegt  sind,  dann 
wird  der  Mensch  unsterblich,  dann  erreicht  er  das  Brahman.  (6,  14) 

Wenn  alle  Fesseln,  die  das  Herz  hier  binden,  zerschnitten  sind, 
dann  wird  der  Mensch  unsterblich,  —  soweit  geht  diese  Lehre!  (6,  15) 

In  der  Geschichte  von  der  \  ersuc  hung  des  Naciketas 
durch  den  Tod ,  der  ihn  bewegen  will ,  zeitliche  Güter  zu 
wählen  und  von  der  höchsten  Erkenntniss  abzustehen,  hat 
neuere  Forschung  wohl  mit  Recht  das  Vorbild  für  die  Ver- 
suchungsgeschichte Buddha's  durch  den  Todesgott  erkannt1 
Mrityu,  der  Tod,  in  der  Katha-Upanishad,  ist  ein  Synonym 
von  Mara,  dem  Versucher  des  Buddha.  Auch  Mära  zeigt  dem 
Buddha  schöne  Jungfrauen  und  Herrlichkeiten  aller  Art,  um 
ihn  zu  bewegen,  dass  er  von  der  höchsten  Erkenntniss  abstehe; 
aber  er  lässt  sich  nicht  verlocken  und  gelangt  zur  Erleuchtung 
wie  Naciketas  in  der  Upanishad. 


Die  mitgetheilten  Stücke  aus  der  ältesten  Upanishaden- 
Literatur  werden,  wie  ich  glaube,  hinreichen,  um  ein  deutliches 
Bild  von  dem  Charakter  dieser  Schriftwerke  zu  geben.*  Es 
ist  kein  geschlossenes  System  philosophischer  Weltanschauung, 
das  hier  in  logischer  Folge  entwickelt  wird.  Es  sind  vielmehr 
halb  poetische,  halb  philosophische  Phantasieen,  Visionen,  Dia- 
loge und  Dispute,  halb  erbaulichen,  halb  metaphysischen  In- 


1  Vgl.  Oldenberg,  Buddha,  p.  59. 

4  Man  vgl.  übrigens  auch  Max  Müller,  the  Upanishads,  with 
an  introd.  and  notes  translat  Oxford  1879—84.  2  Voll.  (Sacred  books 
of  the  East,  Vol.  I  und  XV.) 


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—    239  — 

halts,  und  nicht  selten  erhebt  sich  die  Rede  zu  hohem  Schwünge 
des  Ausdrucks.  Die  Erkenntniss  des  Ätman  -  Brahman ,  der 
Weltseele,  ist  das  wesentliche  Thema  dieser  Schriften.  Gewisse 
Grundgedanken  darüber  kehren  oftmals  wieder  und  tauchen 
auf  ganz  verschiedenem  Hintergrunde  in  leuchtenden  Zügen 
auf,  von  einem  streng  entwickelten  System  kann  aber  nicht  die 
Rede  sein.  Was  hier  vorliegt  ist  vielmehr  ein  rastloses  Suchen 
und  Fragen  nach  jenem  höchsten  Geheimniss,  das  man  bald 
unter  diesem,  bald  unter  jenem  Bilde  zu  fassen  glaubt  Gerade 
die  lebendige  Unmittelbarkeit,  mit  der  hier,  fern  von  aller 
Schulweisheit,  den  neuen  Gedanken  Ausdruck  gegeben  wird, 
die  Begeisterung,  mit  der  sie  verkündet  werden,  giobt  diesen 
Schriften  ihren  ganz  besonderen  Reiz.  In  späterer  Zeit  baute 
man  auf  diese  philosophisch-poetischen  Schriften  das  System  der 
Vedänta-Philosophie  auf,  deren  Gedankengang  wir  in  der  Folge 
näher  kennen  lernen  werden.1 

Der  Ruhm  der  TJpanishaden,  von  denen  die  ältesten 
etwa  im  siebenten  und  sechsten  Jahrhundert  v.  Chr.  entstanden 
sein  dürften  und  die  in  der  Folge  die  Grundlage  der  orthodox- 
indischen Philosophie  bildeten,  hat  mehrere  Jahrtausende  über- 
dauert. Im  siebzehnten  Jahrhundert  n.  Chr.  wurden  sie,  da  ihr 
Ruhm  so  gross  war,  auf  Befehl  des  ebenso  edlen  als  unglück- 
lichen Prinzen  Mohammed  Daraschakoh,  eines  Sohnes  des 
Grossmoguls  Schah  Dschehan,  ins  Persische  übersetzt;  aus  dem 
Persischen  übertrug  sie  im  vorigen  Jahrhundert  der  verdienst- 
volle Anquetil  Duperron  ins  Lateinische  und  gab  sie  unter 
dem  Titel  Oupnekhat*  heraus.  Obschon  diese  Uebersetzung, 
wie  man  sich  denken  kann,  in  vieler  Hinsicht  mangelhaft  sein 
musste,*  so  war  dieselbe  durch  den  diesen  Werken  inne- 
wohnenden Reiz  doch  im  Stande,  einen  so  bedeutenden  Denker 
wie  Schopenhauer  mit  Begeisterung  zu  erfüllen.  Für  Schopen- 
hauer waren  die  Oupnekhat  förmlich  seine  Bibel,  sein  Gebet- 
buch geworden,  der  Inbegriff  der  höchsten  Weisheit;  er  hatte 
sich  in  dieses  Werk  und  seine  eigentümliche  Sprache  so  ganz 
hineingelebt,  dass  er  auch  von  directen  Uebersetzungen  aus 
dem  Sanskrit  in  europäische  Sprachen  nicht  viel  wissen  wollte 
und  recht  misstrauisch  solchen  Versuchen  gegenüberstand.*  Wohl 


1  8.  Vorlesung  XLVI. 

*  Oupnekhat  Ist  eine  Verstümmelung  von  Upanishad. 

1  Max  Müller  nennt  diese  Uebersetzung  geradezu  eine  „fürchter- 
liche". Vgl.  seinen  Aufsatz  „Damals  und  Jetzt"  in  der  „Deutschen 
Rundschau"  1884-^86  p  470. 

4  8.  Parerga  und  Paralipomena,  4.  Aufl.,  Bd.  II,  p.  426-  428  I  186) 


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—    240  — 


hat  das  Urtheil  dieses  grossen  Denkers  ein  Recht,  am  Schlüsse 
dieser  unserer  Betrachtung  gehört  zu  werden.  Schopenhauer 
sagte  von  dem  Oupnekhat:  „Es  ist  die  belohnendste  und  er- 
hebendste Leetüre,  die  in  der  Welt  möglich  ist:  sie  ist  der  Trost 
meines  Lebens  gewesen  und  wird  der  meines  Sterbens  sein."1 


1  Parerga  und  Paralipomena,  4.  Aufl.,  Bd.  II.  p.  427  (§  185).  Eben- 
daselbst p.  428  nennt  er  die  Upanishaden  „die  Ausgeburt  der  höchsten 
menschlichen  Weisheit"  (§186).  —  Auch  Schelling  war,  wie  sein  ein- 
stiger  Zuhörer  Max  Müller  berichtet,  von  den  Upanishaden  „ganz  ent- 
zückt"; Müller  übersetzte  ihm  damals  mehrere  derselben.  „Dieses  Ent- 
zücken —  fahrt  der  Erzähler  fort  —  theilte  er  mit  seinem  Antipoden, 
Schopenhauer,  und  wenn  zwei  so  entgegengesetzte  Geister  so  unerwartet 

übereinstimmen,  so  muss  wohl  etwas  Wahres  dahinter  sein.  Schelling, 

wie  Schopenhauer,  hielten  die  Upanishaden  für  die  Urweisheit  der  Indier 
und  der  Menschheit."  Vgl.  M.  Müller,  „Damals  und  Jetzt"  in  der 
„Deutschen  Rundschau",  Jahrgang  1884—85,  p.  469.  —  Als  Curiosum 
mag  noch  angeführt  werden,  dass  vor  einigen  Jahren  (1882,  in  Dresden) 
von  einem  Dr.  med.  Franz  Mischel  ein  Buch  herausgegeben  ist  unter 
dem  Titel:  Oupnek'hat,  die  aus  den  Veden  zusammengefasste  Lehre 
von  dem  Brahm.  Aus  der  sanskrit-persischen  Uebersetzung  des  Fürsteu 
Mohammed  Daraachekoh,  in  das  Lateinische  von  Anquetil  Duperron,  und 
von  da  in's  Deutsche  übertragen."  —  Der  Recensent  im  Literarischen 
Centraiblatt  (Wi.,  lit.  Centr.  1882,  Nr.  41)  nennt  das  Buch  „das  Werk 
eines  Schwärmers,  der  in  der  Lehre  vom  Brahma  seine  Religion  gefunden 
hat"  Um  das  Sanskrit -Original,  die  directen  Uebersetzungen  in  euro- 
päische Sprachen  und  sogar  um  Weber's  Analyse  der  in  Anquetil  Duper- 
ron's  Uebersetzung  enthaltenen  Upanishaden  kümmert  er  sich  gar  nicht. 
Noch  ganz  durchdrungen  von  dem  oben  erwähnten  Schopenhauerschen 
Vorurtheil  meint  er,  dass  die  europäischen  Sanskrit -Uebersetzer  da* 
Original  nicht  treu  wiedergeben,  und  glaubt  seinerseits  durch  Ueber- 
setzung des  Anquetirschen  Latein  etwas  Treueres  und  Zuverlässigeres 
zu  bieten. 


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II.  Abschnitt. 


Das  Mittelalter. 


Die  Anfänge  des  indischen  Mittelalters.  Geistige  und  religiöse 
Neubildungen  in  der  Uebergaugsperiode  von  der  vedischeu  Zeit 
zum  Mittelalter.  Buddha  und  seine  Lehre.  Historischer  Bückblick 
und  Ausschau  in  die  folgende  Zeit  Skizze  der  indischen  Geschichte 
im  Mittelalter.    Allgemeines  Gulturbild  des  indischen  Mittelalters. 


v.  3ebr6d«r,  Indien«  Lit.  u.  Cult.  il» 


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Siebzehnte  Vorlesung, 

Geistige  und  religiöse  Neubildungen  der  Uebergangsperiode  aas  der  ve- 
dischen  Zeit  in  da8  Mittelalter.  Der  männliche  Gott  Brahma.  Die  Lehre 
ton  der  Seelen  Wanderung,  ihr  Ursprung  und  ihre  erste  Entwickelung 
Buddha  und  der  Buddhismus.  Die  Quellen  cum  Studium  desselben. 
Geistiger  Zusammenhang  Buddha's  und  seiner  Lehren  mit  der  voran- 
gehenden Epoche. 

Mit  den  Upanishaden  hat  die  vedische  Periode  ihren  Ab- 
schluss  gefanden;  Vedanta,  Ende  des  Veda,  nennt  sie  darum 
der  Inder.  Sie  bezeichnen  den  Höhepunkt  in  der  Gedanken- 
entwickelung  dieser  Zeit,  zugleich  aber  enthalten  sie  im  Keim, 
zum  Theil  auch  schon  mehr  oder  weniger  entwickelt,  geistige 
Elemente,  Neubildungen,  die  in  der  nun  folgenden  Periode  zu 
hober  Bedeutung  gelangen  sollten.  Diese  neue  Zeit  beginnt 
etwa  mit  dem  Jahre  600  vor  Chr.  Sie  ist  gleich  zu  Anbeginn 
dadurch  gekennzeichnet,  dass  in  ihr  —  sehr  im  Gegensatz  zu 
der  altvedischen  Periode  —  lauter  und  lauter  die  Predigt  er- 
schallt, abzulassen  von  den  vergänglichen  Gütern  und  Freuden 
dieses  Lebens  und  zu  fliehen  von  der  Welt  Sie  ist  gekenn- 
zeichnet durch  das  Auftreten  mehr  als  eines  Mönchsordens, 
mehr  als  einer  asketischen  Gemeinschaft,  mehr  als  eines  mön- 
chischen Lehrers  und  Sektenhauptes,  und  ihr  ganzes  Wesen,  die 
sittlich-religiöse  Basis,  auf  der  sie  sich  constituirt,  wie  auch 
dre  äussere  Physiognomie,  die  sie  gewinnt,  ist  in  so  vielen  Be- 
ziehungen aufs  Nächste  verwandt  mit  jener  Periode  in  der  Ent- 
wickelung des  Abendlandes,  die  wir  mit  dem  Namen  Mittelalter 
zu  benennen  pflegen,  dass  wir  dieser  Periode  in  der  Geschichte 
Indiens,  wie  ich  glaube,  keinen  treffenderen  Namen  geben 
können  als  den  des  „indischen  Mittelalters".  Ich  behalte 
es  mir  für  eine  der  späteren  Vorlesungen  vor,  diese  Parallele 
zwischen  dem  indischen  und  dem  bendländischen  Mittelalter 
näher  auszufuhren,1  und  will  für  jetzt  mir  nur  erlauben,  Ihre 

1  Einiges  darüber  habe  ich  bereits  früber  bemerkt  in  meinem  Vor- 
trag „Ueber  die  Poesie  des  indischen  Mittelalters",  Dorpat  1882. 

16* 


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-    244  - 


Aufmerksamkeit  auf  einige  der  wichtigsten  geistigen  und  reli- 
giösen Neubildungen  zu  lenken,  die  während  der  Uebergangs- 
zeit  aus  der  vedischen  in  die  darauf  folgende  Periode  sich  ent- 
wickelt haben  und  bestimmt  waren,  weiterhin  eine  hervorragende 
Rolle  zu  spielen. 

Als  eine  solche  Neubildung  ist  der  männliche  Gott 
Brahma  zu  bezeichnen,  oder  richtiger  der  Glaube  an  einen 
solchen  Gott. 

Es  ist  ein  merkwürdiges  Schauspiel  in  der  Geschichte  des 
indischen  Geisteslebens,  dass  der  auf  dem  Wege  abstracter 
theosophischer  Speculation  gefundene  Begriff  des  Brahman  zu 
einem  Element  des  Volksglaubens  wird.  In  keinem  Lande  hat 
die  philosophisch-theosophische  Speculation  in  den  priesterlichen 
Kreisen  so  viel  bedeutet  wie  in  Indien,  und  nirgends  haben 
ferner  die  Priester  das  religiöse  Leben,  ja  überhaupt  das  Denken 
und  Empfinden  des  Volkes  so  beeinflusst  und  beherrscht  als 
wiederum  in  Indien.  So  allein  erklärt  es  sich,  wie  es  möglich 
war,  dass  der  Begriff  des  Gebetes,  erweitert  zu  dem  Inbegriff 
aller  Heiligkeit,  die  in  Gebet,  Opfer  und  Priester  vereinigt  ist, 
endlich  gesteigert  zü  dem  Begriff  des  Heiligen  und  Göttlichen 
an  sich,  der  Weltenseele,  des  Absoluten  —  höchstes  Object  der 
religiösen  Verehrung  werden  konnte.  Dies  Brahman,  identiffeirt 
mit  dem  Atman,  war  als  das  Höchste  und  Heiligste  aus  der 
ganzen  priesterlichen  Ideenentwickelung  der  vedischen  Zeit  zu- 
letzt hervorgesprungen;  ihm  —  so  erkannten  die  theosophischen 
Denker  —  muss  die  höchste  Verehrung  gezollt  werden,  mehr 
als  irgend  einer  der  alten  Götter  beanspruchen  konnte;  und 
dasselbe  lehrten  sie  nun  auch  das  Volk  Aber  hier  tritt  als- 
bald eine  wichtige  Umwandlung  ein.  Jenes  neutrale  abstracto 
Brahman,  der  Inbegriff  aller  Heiligkeit  und  Göttlichkeit,  das 
Absolute,  war  seiner  Natur  nach  nur  dem  Denker  möglich  zu 
erfassen.  Dies  Göttliche,  so  ganz  abstracter  Begriff,  war  doch 
allzuweit  von  jeder  Vorstellung  entfernt,  als  dass  es  je  vom 
Volke  wirklich  aufgenommen  werden  konnte,  gesehweige  denn 
sich  irgend  welcher  Sympathieen  erfreuen.  Das  Göttliche,  soll 
es  vom  Volke  verehrt  werden,  muss  persönlich  gestaltot  sein, 
—  und  so  erklärt  es  sich,  dass  aus  dem  neutralen  Brahman 
bald  der  männliche  Gott  Brahma  gebildet  wird.  Man  gab 
jenem  Absolutuni  Person  und  Geschlecht  Nun  konnte  man 
es  sich  als  Weltenschöpfer  denken  und  als  den,  zu  dem  der 
Fromme  sein  Gebet  empor  senden  mag. 

Diese  merkwürdige  und  interessante  Entwickelung  des  neu- 
tralen Brahman  zum  männlichen  Gott  Brahma  können  wir  in 


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—   245  — 


unseren  Quollen  im  Einzelnen  nicht  verfolgen.  Soviel  aber  lässt 
91'ch  bestimmt  behaupten,  dass  dieselbe  vor  dem  Auftreten  des 
Buddhismus  vollendet  gewesen  sein  muss;  denn  in  den  Be- 
richten von  Buddha,  seinem  Leben  und  Wirken  spielt  der 
männliche  Gott  Brahma  Sahapati  oder  Sahampati 1  eine  hervor- 
ragende Rolle.  Kein  anderes  göttliches  Wesen  ist  der  Vor- 
stellung der  Buddhisten  so  geläufig  wie  dieser  Brahma  Saham- 
pati, Ä  Bei  allen  wichtigen  Vorkommnissen  im  Leben  Buddha's 
steigt  dieser  Gott  aus  seinem  Himmel,  huldigt  dem  Buddha, 
lieht  ihn  an,  oder  äussert  sonstwie  seine  respectvolle  Meinung. 
Man  sieht  hieraus  deutlich,  wie  verfehlt  es  wäre,  die  Entstehung 
der  Lehre  vom  Ätman-Brahman  zu  nah  an  die  buddhistische 
Zeit  heranzurücken.  Dieselbe  muss  lange  vor  Buddha  abge- 
schlossen gewesen  und  es  muss  nachher  noch  eine  geraume  Zeit 
Terflossen  sein,  in  welcher  sich  aus  jenem  neutralen  Begriff  der 
männliche  Gott  Brahma  herausbilden  und  zu  einem,  dem  Volks- 
bewusstsein  ganz  geläufigen,  Gotte  werden  konnte. 

In  diesen  letzten,  dem  Buddhismus  vorausgehenden  Jahr-^ 
minderten  kam  noch  ein  anderer  hochwichtiger  Glaube  auf,  der 
ebenfalls  wohl  zuerst  nur  den  Kreisen  der  theologischen  Denker 
angehörte,  mit  der  Zeit  aber  vollständig  zu  einem  wichtigen 
Element  des  Volksglaubens  wurde  und  so  allgemein  durchdrang, 
dass  derselbe  mit  dem  religiösen  Denken  des  indischen  Mittel- 
alters untrennbar  verbunden  bis  in  die  neueste  Zeit  noch  fort- 
lebt Es  war  dies  die  Lehre  von  der  Seelenwanderung,  die 
jedenfalls  zu  Buddha's  Zeit,  also  im  sechsten  Jahrhundert  vor 
Chr.,  schon  allgemein  verbreitet  gewesen  sein  muss. 

Es  ist  nicht  ganz  leicht,  das  Entstehen  dieser  Lehre  an 
der  Hand  der  uns  vorliegenden  Denkmäler  zu  verfolgen.  Die 
Quellen  gewähren  uns  über  diesen  Punkt  nur  lückenhafte  Auf- 
klärung. Theoretische  Construction  und  Vermuthung  muss  bald 
hier  bald  da  die  fehlenden  Zwischenglieder  in  der  Entwicke- 
lungsreihe  zu  ergänzen  suchen  und  sie  kann  dies  nur  in  un- 
vollkommenem Maasse.  üebrigens  ist  die  Frage  auch  noch 
nicht  eingehend  und  gründlich  genug  untersucht  worden,  und 
ist  der  künftigen  Forschung  hier  noch  ein  wichtiges  Object 
vorbehalten.  Indessen  werden  wir  doch  versuchen  müssen,  so 
weit  uns  dies  für  jetzt  möglich  ist,  einen  Einblick  zu  gewinnen 


1  Die  Bedeutung  dieses  dem  Brahma  gegebenen  Epitheton's  ist 
nicht  ganz  klar.  Das  Pet.  Wort,  übersetzt  Sahapati  „Herr  der  von  den 
Menschen  bewohnten  Welt". 

*  Vgl.  Oldenberg,  Buddha,  p.  60. 


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—   246  - 


in  die  Entstehungsgeschichte  dieser  Lehre  in  Indien  und  die 
Voraussetzungen,  auf  denen  sich  dieselbe  aufbaut. 

Um  die  Grundstimmung  der  Gemüther  richtig  zu  verstehen, 
die  das  Emporkommen  dieses  Glaubens  möglich  machte,  müssen 
wir  uns  den  Charakter  jener  Zeit  ms  Gedächtniss  rufen,  in 
welcher  die  Yajurveden  und  Brähmana's  entstanden.  Für  den 
düster n,  traurigen  Glauben,  gebunden  zu  sein  an  eine  endlose 
Reihe  freudloser  Existenzen,  waren  die  Gemüther  vorbereitet 
und  recht  gestimmt  durch  jene  düstere,  traurige  Zeit,  wo  das 
immer  mehr  anwachsende  Opferritual  die  Geister  niederdrückte, 
wo  unter  den  endlosen  Formeln  und  Ceremonieen  der  frische 
freie  Sinn  der  alten  Zeit  erstickte.  Statt  des  Brodes  bot  man 
den  lechzenden  Herzen  Steine  zum  Bau  der  Opferaltäre.  Eine 
schwüle  Athmosphäre  lagerte  sich  auf  das  Denken  und  Em- 
pfinden der  Menschen.  Ergebung  in  das  Unvermeidliche,  stumme 
Resignation  trat  ein,  Verzicht  auf  die  Befriedigung  freierer,  höherer 
Regungen,  indess  der  Geist,  sich  ergötzend,  sein  Spiel  trieb  mit 
den  zahllosen  Phantasmen,  die  das  Denken  jener  Zeit  charak- 
terisiren,  in  seltsamen,  wirren,  verschrobenen  Ideengängen  sich 
hin  und  her  bewegend. 

Keine  unwichtige  Rollo  spielt  dabei  die  seltsame  Identi- 
ficirungssucht,  mit  der  alle  möglichen  Dinge,  Personen  und 
Begriffe  in  Einem  fort  einander  gleich  gesetzt,  für  Ein  und 
Dasselbe  erklärt  werden,  bisweilen  an  gewisse  Vergleichs-  und 
Anhaltspunkte  angeknüpft,,  nicht  selten  aber  auch  in  ziemlich 
wüstem,  phantastischem  Durcheinander.  Die  Unterschiede  der 
Einzel-Dinge  und  -Wesen  werden  verwischt,  der  Geist  gewöhnt 
sich  ganz  daran,  immer  Eins  in  dem  Anderen  wiederzufinden, 
den  gleichen  Wesenskern  durch  zahlreiche  Erscheinungen  zu 
verfolgen,  gewissermaßen  von  Einem  zum  Andern  wandern  zu 
lassen.  Etwas  Verwandtes  hat  auf  jeden  Fall,  wie  mir  scheint, 
diese  Manie  des  Identificirens  mit  dem  Wandernlassen  ein  und 
derselben  Seele  durch  eine  Menge  verschiedener  Erscheinungs- 
formen. Sie  ist  als  vorbereitendes  Moment  von  entschiedener 
Bedeutung. 

Durchaus  hinein  passend  in  die  düstere  Phantastik  jener 
Zeit  ist  nun  das  Auftreten  der  Idee,  dass  der  Tod  oder  ver- 
schiedene Todesmächte  uns  beständig  verfolgen,  wenn  wir 
sie  nicht  durch  Spenden  zu  befriedigen  wissen.  Sie  setzen 
solche  Verfolgung  unerbittlich  fort,  in  dieser  und  in  jener  Welt, 
und  lassen  den  unversöhnten  Sünder  immer  wieder  sterben. 
Wir  finden  diesen  Gedanken  namentlich  deutlich  in  dem  der 
jüngeren  Brahmana-Zeit  angehörigen  Qatapatha-Brahmana  aus- 


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247  - 


gesprochen.  Es  liegt  auf  der  Hand,  dass  dieser  Gedanke  des 
Immerwied  ersterbens  schon  das  Durchlaufen  verschiedener» 
dem  Tode  unterworfener  Existenzen,  und  damit  auch  die  An- 
nahme neuer  Leiber,  also  Seelen  Wanderung  voraussetzt.  Eis  ist 
aber  merkwürdig  und  sehr  charakteristisch,  dass  gerade  dieser 
Gedanke  des  Wiedersterbens  die  erste  Form  ist,  in  welcher 
uns  der  Glaube  an  eine  Wanderung  der  Seelen  entgegentritt.1 
Die  bleiche  Macht  des  Todes  erscheint  hier  als  das  Schreckens- 
bild, welches  die  armen  geäugsteten  Seelen  jagt  aus  einer  Exi- 
stenz in  die  andere  und  ihnen  nirgends  eine  ruhige  Wohnstatt 
gönnt.3  Nur  eine  Möglichkeit  giebt  es,  vor  dieser  Gefahr  sich 
zu  schützen'  von  dieser  quälenden  Angst  sich  zu  befreien;  sie 
besteht  darin,  dass  man  den  Tod  und  seine  Gewalten  durch 
bestimmte  Opfer  zufriedenstellt,  —  so  wird  ganz  im  Geiste 
jener  Zeit  der  Brähmana's  gelehrt.  Auf  solche  Weise  kann 
man  sich  von  dem  immer  erneuerten  Tode  erlösen  und  in  das 
Reich  der  Unsterblichkeit  eingehen.3 

Im  Qatapatha-Brahmana  (10,  4,  3)  wird  erzählt,  dass  die 
Götter  sich  vor  dem  Tode  fürchteten  und  ein  Opfer  nach  dem 
anderen  veranstalteten,  um  von  demselben  los  zu  kommen,  aber 
ohne  Erfolg.*  Da  lehrt  ihnen  Prajäpati  ein  Opfer,  bei  welchem 


1  Dies  hatOldenberg  zuerst  in  das  rechte  Licht  gesetzt ;  s.  Buddha, 
p.  45-48. 

*  Es  muss  die  Frage  aulgeworfen  werden,  oh  nicht  am  Ende  diese 
«rate  Form  des  Seelenwanderungsglaubens  in  dieser  oder  jener  Hinsicht 
an  die  abergläubischen  Vorstellungen  der  Ureinwohner  Indiens,  ihren 
Geister-  und  Gespenstercultus  anknüpft.  Es  wäre  wohl  denkbar,  dass 
manche  der  hier  auftretenden  schreckhaften  Wahngebilde  von  dorther 
stammen,  und  die  Thatsache,  dass  der  Seelenwanderungsglaube  später 
so  absolut  fest  in  dem  Denken  de»  Volkes  wurzelt,  dürfte  eine  solche 
Annahme  wohl  unterstützen.  Aber  wir  kommen  in  diesem  Punkte  nicht 
Aber  vage  Vermuthungen  hinaus,  da  uns  alle  festereu  Anhaltspunkte 
mangeln. 

*  „Wer,  ohne  vom  Tode  sich  frei  gemacht  zu  haben,  in  jene  Welt 
hinübergeht,  der  wird,  wie  in  dieser  Welt  der  Tod  von  keiner  Rücksicht 
weiss  und,  wann  er  will,  ihn  tödtet,  also  auch  in  jener  Welt  immer  und 
immer  wieder  des  Todes  Beute/'  —  „Durch  alle  Welten  fürwahr  walten 
Todesmachte ;  opferte  er  diesen  keine  Spenden,  würde  von  Welt  zu  Welt 
der  Tod  ihn  finden;  wenn  er  den  Todesmächten  Spendcu  opfert,  schlägt 
er  durch  Welt  auf  Welt  den  Tod  von  sich  zurück."  -S.  Oldenberg, 
a.  a.  0.  p.  45.)  —  In  und  mit  dem  Agnihotra-Opfer  wird  die  Erlösung 
vom  Tode  zu  Wege  gebracht  Und  dazu  heisst  es:  „Eis  löst  sich  vom 
Wiedertode,  wer  diese  Erlösung  vom  Tode  im  Agnihotra  also  weiss." 
(8.  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  47). 

*  Es  ist  zu  beachten,  dass  von  dem  Tode  auch  im  Jenseits  und  in 
der  Götterwelt  die  Rede  ist.  Das  Wandern  der  Seele  nimmt  auch  in 
der  jenseitigen  Welt  seinen  Fortgang.  Es  wird  von  hervorragenden  Per- 


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-    248  — 


sie  alle  seine  Gestalten1  symbolisch  in  einer  Menge  besonderer 
Steine  des  Opferaltars  darstellen.  Dadurch  werden  nun  die 
Götter  unsterblich.  Der  Tod  aber  murrt  und  sagt:  So  werden 
nun  auch  alle  Menschen  unsterblich  werden!  Was  werde  ich 
dann  für  einen  Antheil  haben?  —  Die  Götter  aber  versichern 
ihm,  fortab  solle  Niemand  mehr  mitsammt  dem  Körper  un- 
sterblich werden,  wenn  er  (der  Tod)  diesen  (den  Körper)  als 
seinen  Antheil  nehmen  wolle.  „Nur  vom  Körper  sich  trennend 
soll  fortan  unsterblich  werden,  wer  überhaupt  unsterblich  wird, 
sei  es  durch  Wissen  oder  Thun.  Unter  Wissen  und  Thun  ver- 
standen sie  aber  hier  die  Schichtung  des  Feueraltars.  Die, 
welche  nun  dieses  wissen  oder  diese  That  (das  Opfer)  voll- 
führen, werden  nach  dem  Tode  wiedergeboren,  und  zwar  werden 
sie  zur  Unsterblichkeit  wiedergeboren.'  Welche  das  aber  nicht 
wissen  oder  dieses  Opfer  nicht  ausführen,  werden  nach  dem 
Tode  wiedergeboren  und  werden  wieder  und  wieder  seine  (des 
Todes)  Beute.«8 

Es  ist  hier  also  im  Catapatha  -  Brähmana  schon  vom 
Wiedergeborenwerden4  die  Hede,  wenn  auch  in  deutlichem 
Zusammenhange  mit,  oder  Abhängigkeit  von  jener  Idee  des 
Wiedersterbens,  welche,  wie  erwähnt,  die  erste  Form  ist,  m 
der  dieser  Glaube  erscheint5 


Bönen  bisweilen  erzählt,  dass  sie  im  Laufe  ihrer  langen  Seelenwanderong 
wiederholentlich  Indra,  Brahma  u.  dgl.  gewesen  seien ,  Behauptungen,  die 
sich  mit  der  Vorstellung  von  ein  und  demselben  alten  Gott  Indra  u.  8.  w. 
nicht  vereinigen  lassen,  zu  deren  Erklärung  man  aber  vielleicht  gerade 
an  die  hier  vorgetragene  Lehre  von  wiederholtem  Sterben  auch  im  Jen- 
seits erinnern  darf.  Man  bedenke  ferner,  dass  ja  in  späterer  Zeit  ge- 
legentlich auch  ein  zorniger  Heiliger  im  Stande  ist,  andere  Welten, 
andere  Götter,  Indr&'s  u.  s.  w.  üu  schaffen,  und  man  wird  nicht  mehr 
zu  sehr  vor  jenen  phantastischen  Vorstellungen  zurückschrecken.  Dem 
Denken  und  Vorstellen  der  Inder  ist  eben  mehr  möglich,  als  unser  abend- 
ländischer Verstand  zu  fassen  vermag. 
1  sarväni  rüpäni. 

*  D.  h.' natürlich  im  Jenseits. 

•  Eigentlich  seine  „Speise". 

4  Sanskrit,  punafr  sam-bhu  wieder  werden,  wieder  entstehen. 

6  Auch  in  der  früher  mitg  et  heilten  Erzählung  von  Naciketas  in  der 
Kathaka-Up.  wird  von  dem  sich  immer  wiederholenden  Tode  gesprochen, 
dem  der  Thor  verfallt  (s.  oben  p.  237).  Der  Tod  spricht  (Käth.-Up.  2, 6) : 
„Dem  Thoren,  der  genusssüchtig  und  durch  Reichthum  bethört  "ist,  leuchtet 
keine  Zukunft  entgegen.  Dies  ist  die  Welt,  es  giebt  keine  andere!  so 
denkend  kommt  er  wieder  und  wieder  in  meine  Gewalt/'  —  Erkenntniss 
soll  davon  erlösen.  —  Wie  nah  noch  der  Gedankenkreis  der  Upanishad 
dem  oben  aus  dem  £at.  Br.  entwickelten  steht,  zeigt  auch  der  Umstand, 
dass  Naciketas  sich  als  zweite  Gabe  die  Kunde  des  Opferfeuers  aus- 
bittet, durch  welches  man  die  Himmelswelt  erlangt.  (S.  oben  p.  236). 


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-    249  — 


Es  ist  weiter  daran  zu  erinnern,  dass  in  eben  dieser 
selben  Zeit  der  jüngeren  Brähmana's  sich  auch  der  Glaube  an 
den  Atman-Brabman  ausbildete,  dessen  Entstehung  wir  bereits 
früher  ausführlich  besprochen  haben.  Der  Atman-Brahman, 
die  heilige  Weltenseele,  zeigte  sich  als  das  höchste  Ziel,  dem 
wir  mit  Anstrengung  all  unserer  Kräfte  zustreben  sollen.  Die 
Erkenntniss  seines  wahren  Wesens  führte  —  so  wurde  gelehrt 
—  zur  Vereinigung  mit  ihm,  zum  höchsten  Glück.  Aber  es 
war  doch  offenbar,  dass  dieses  Ziel  nur  der  Vollkommenste 
erreichen  konnte,  der  sich  von  den  Täuschungen  dieser  Welt, 
von  den  Fesseln  irdischer  Begier  und  des  Vielheitglaubens 
wirklich  frei  gemacht  und  in  Allem  den  Atman  erkannt  hat. 
Was  aber  soll  aus  all  den  Andern  werden,  die  solches  Ziel 
nicht  erreichen  können?  Sollen  sie  den  Höllenstrafen  verfallen? 
Das  stände  bei  den  meisten  in  keinem  Verhältnis  zu  ihrer 
Verschuldung.  Naturgemäss  fordert  das  Gerechtigkeitsgefühl, 
dass  es  zwischen  der  Höllenpein  und  dem  höchsten  Heü  eine 
Reihe  von  Zwischenstufen  geben  müsse  für  alle  die,  welche  das 
höchste  Heil  noch  nicht  erreichen  konnten,  aber  doch  auch 
durchaus  keine  verdammungswürdige  Existenz  geführt.  Da 
bieten  sich  nun  sehr  erwünscht  die  vielen  verschiedenen,  oft 
recht  elenden  und  gequälten  Existenzen,  in  welchen  der  Mensch 
immer  wieder  und  wieder  des  Todes  Beute  wird.  Es  sind  dies 
Läuterungsstufen  zwischen  Hölle  und  Himmel,  dem  katholischen 
Fegefeuer  nicht  ganz  unähnlich.1 

Niedrig  stehende  Seelen  gehen,  wie  die  Upanishad's  lehren, 
nach  dem  Tode  in  feste  Gegenstände  (wie  Stöcke  und  Steine) 
über;2  bessere  gelangen  aufs  Neue  in  einen  Mutterschooss;  die 
Gerechten  und  Edlen  kommen  in  die  Seligkeit  der  Mondwelt, 
von  wo  sie  nach  einer  bestimmten  Zeit  wieder  zur  Erde 
zurückkehren;  nur  die  wahrhaft  Wissenden  gelangen  in  die  Welt 
des  Brahman.3 

Der  Atman-Brahman  »hat  die  ganze  Welt,  all  die  vielen 
Einzelexistenzen  aus  sich  hervorgehen  lassen.  Während  nun 
ein  Theil  dieser  Wesen  ihm  noch  näher  steht,  sind  die  andern 
Wesen  in  einer  Menge  von  Abstufungen  weiter  und  immer 

1  Eine  Existenz,  fern  von  der  Vereinigung  mit  dem  Atman,  kann 
als  Lauterungsstufe  wirken,  weil  sie  mit  Schmerz  verbunden  ist.  „Was 
von  ihm  (dem  Atman)  verschieden  ist,  ist  leidvoll,"  sagt  das  Brihad- 
Aranyaka.  und  auch  die  Käthaka-Up.  (5,  11)  spricht  von  „dem  Leiden  der 
Welt"  (vgl.  oben  p.  238).  Mit  dem  Glauben  an  jenes  höchste  selige  Eine 
tritt  auch  die  Ueberzeugung  von  der  Unvollkommenheit  dieser  Welt  auf. 

*  Vgl.  Kathaka-Ui>.  5,  7  (oben  p.  237\ 

*  Vgl.  z.  B.  KAush.  Up. 


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—    250  — 


weiter  von  ihm  entfernt.  Nach  Maassgabe  dieser  Entfernung 
von  dem  einstigen  Ausgangspunkte  hat  jedes  Wesen,  oder  viel- 
mehr der  Kern,  die  Seele  desselben,  einen  kürzeren  oder  wei- 
teren Weg  zurückzulegen,  um  wieder  in  den  Atman-Brahman 
einzugehen.  Die  pantheistische  Weltauffassung,  ihre  Evolutions- 
oder Emanations-Theorie,  die  in  den  Upanishaden  in  mannig- 
fachen Bildern  vorgeführt  wird,  gehört  aufs  Engste  mit  der 
Lehre  von  der  Wanderung  der  Seele  durch  eine  ganze  Reihe 
verschiedener  Existenzen  zusammen. 

Die  Stufenfolge  dieser  verschiedenen  Existenzen,  welche 
die  Seele  zu  durchlaufen  hat,  wird*  mit  der  Zeit  immer  syste- 
matischer ausgebildet  Von  Wichtigkeit  ist  in  dieser  Hinsicht 
vor  Allem  das  Auftreten  der  Lehre  von  dem  Karman,  d.  h.  dem 
Thun,  der  That,  welche  die  Wanderung  der  Seele  bestimmt 
Wir  sind  derselben  bereits  früher 1  in  einer  Upanishad  begegnet, 
in  dem  Wettstreit  zwischen  Yäjfiavalkya  und  Artabhaga.  Dort 
wurde  sie  noch  wie  eine  Art  Geheimlehre  behandelt.  „Rein 
wird  man  durch  reines  Thun,  böse  durch  böses  Thun,"  d.  h. 
der  Mensch  wird  nach  dem  Tode  das,  was  sein  Thun,  seine 
Werke  verdienen. 

Sehr  schön  spricht  sich  das  Qatapatha-Brahmana  über 
diese  Frage  in  folgender  Stelle  aus:  „Wie  eine  Weberin  von 
einem  bunten  Gewände  ein  Stück  abnimmt  und  eine  andere, 
neue,  schönere  Form  webt,  so  lässt  auch  der  Geist  (im  Tode) 
diesen  Leib  fallen  und  das  Bewnsstsein  erlöschen  und  bereitet 
sich  eine  andere,  neue  Gestalt,  von  Manen  oder  Gandharven, 
von  Brahman's  oder  Prajapati's  Natur,  oder  eine  göttliche  oder 
eine  menschliche,  oder  von  anderen  Wesen  ....  Wie  er  ge- 
handelt, wie  er  gewandelt,  so  wird  er:  wer  Gutes  that,  wird 
zum  guten  Wesen,  wer  Böses  that,  zum  bösen;  rein  wird  er 
durch  reine  That,  böse  durch  böse  That  ....  So  wer  im  Be- 
gehren befangen  ist  Wer  ohne  Begehr,  vom  Begehren  frei  ist, 
wer  nur  den  Ätman  begehrt,  wer  sein  Begehr  erreicht  hat, 
aus  dessen  Leib  entweichen  die  Odemkräfte ,  nicht  (in  einen 
anderen  Leib),  sondern  ziehen  sich  hier  zusammen;  er  ist  das 
Brahman  und  zum  Brahman  geht  er  .  .  .  Und  weiter  heisst 
es:  „Auf  dem  Begehren  beruht  des  Menschen  Natur.  Wie 
sein  Begehren  ist,  so  ist  sein  Streben;  wie  sein  Streben  ist, 
solche  That  (Karmar)  thut  er;  welche  That  er  thut,  zu  einem 
solchen  Dasein  gelangt  er.** 8 


1  S.  oben  p.  210. 

4  8.  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  49. 


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—  251 


Wer  yon  allem  Begehren  frei  ist,  gelangt  somit  zur  höchsten 
Seligkeit  Jeder  Andere  erlangt  nach  Maassgabe  seines  Thuns 
eine  andere  Existenz. 

Es  liegt  für  das  sittliche  Gefühl  etwas  sehr  Befriedigendes 
in  dieser  Annahme,  dass  der  Mensch  sein  Glück  und  Unglück, 
seine  ganze  Existenz  als  Lohn  für  seine  Thaten  in  einem 
früheren  Leben  erhält  Die  scheinbare  Ungerechtigkeit  im 
Leben  des  Einzelnen,  die  sonst  zu  so  viel  Zweifel  und  Murren 
wider  das  Geschick  oder  die  Vorsehung  Anlass  giebt,  erklärt 
sich  von  diesem  Standpunkt  völlig  ausreichend,  in  über- 
raschender Weise.  Wir  dürfen  wohl  annehmen,  dass  dies 
Moment  die  Hauptrolle  dabei  spielte,  wenn  die  Theorie  der 
Seelenwanderung  sich  in  das  indische  Volksbewusstsein  so  un- 
erschütterlich fest  einwurzeln  konnte.1  Der  Seelen wanderungs- 
glaube  verschmolz  vollständig  mit  dem  Moralsystem  und  musstc 
ihm  als  Stütze  dienen.  Die  grösste  Schwierigkeit,  das  stärkste 
.  Hinderniss  für  den  Glauben  an  eine  sittliche  Weltordnung 
war  auf  diesem  Wege  weggeräumt  Wie  sollte  das  nicht  über- 
zeugend wirken? 

In  späterer  Zeit  führte  wohl  auch  die  immer  fester  sich 
ausbildende  Ordnung  der  Stände  oder  Kasten  den  schema- 
tisirenden  Verstand  der  Inder  zur  Annahme  ähnlicher  Verhält- 
nisse in  der  ganzen  Welt  und  damit  zu  einer  scharf  aus- 
geprägten Stufenleiter  der  Geschöpfe  nach  Werth  und  Würdig- 
keit Auf  dem  Wege  der  Seelenwanderung  war  für  diese  dann 
die  Möglichkeit  des  Fortschrittes  und  der  endlichen  Erlösung 
geboten.  Die  systematischere  Ausbildung  des  Seelenwanderungs- 
glaubens und  die  des  Kastenwesens  unterstützen  sich  gegen- 
seitig, und  müssen  wir  uns  ihr  Wachsthum  durchaus  gemeinsam 
denken.1 

Weiterhin  beförderten  wohl  auch  die  Brahmanen  gerne 
die  Ausbildung  und  Verbreitung  dieses  Glaubens,  weil  die  be- 
ängstigende VorsteUung  von  einer  Wanderung  durch  endlose 
Reihen  leidensvoller  Existenzen  ihnen  als  gewaltiges  Schreck- 
und  Bändigungsmittel  der  abergläubischen  Geister  dienlich  war. 
Ja,  nächst  Opfer  und  Gebet  verdanken  sie  vielleicht  ihre 


1  Auf  dies  Moment  legt  auch  Kern  das  grösste  Gewicht,  um  das 
Aufkommen  des  Seelen wanderongsglaubens  in  Indien  zu  erklären.  (Vgl. 
H.  Kern,  Der  Buddhismus  und  seine  Geschichte  in  Indien,  übersetzt 
von  H.  Jacobi,  Bd.  I,  Th.  I  p.  12). 

a  Vgl.  auch  unten  Vorlesung  XXVIII.  Duncker,  Gesch.  d.  Alterth., 
Bd.  III,  4.  Aufl.,  p.  104— 11G 


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—    252  — 


vollendete  Herrschaft  in  späterer  Zeit  in  erster  Linie  gerade 
diesem  Glauben.1 

Sehr  bemerkenswerth  ist  endlich  noch  der  Umstand,  den 
ich  schon  an  einem  anderen  Orte  hervorgehoben  habe,1  „dass 
wir  bei  den  Indern  nie  einem  Widerspruch,  nie  einer  Anfech- 
tung der  Seelenwanderungslehre  begegnen.  Ob  eine  Wanderung 
der  Seele  stattfindet,  wird  nirgends  gefragt,  sondern  immer 
nur:  wie  ist  es  möglich,  ihr  zu  entrinnen?  Sie  wird  allgemein 
und  unumstösslich  geglaubt.  Das  spricht  für  eine  naturgemässe, 
folgerechte  Entwickelung  aus  den  Prämissen,  welche  die  älteste 
indische  Cultur  bot.  Die  indische  Skepsis  ist  bisweilen  kühn 
genug,  sie  wagt  es  an  dem  Höchsten  und  Heiligsten  zu  rütteln, 
aber  an  dem  Seelenwanderungsglauben  meines  Wissens  nicht. 
Dieser  Glaube  gilt  von  der  Zeit  an,  wo  wir  ihm  überhaupt  be- 
gegnen, gewissermassen  als  selbstverständlich/1 

Zu  der  Zeit,  als  Buddha  auftrat,  muss  der  Glaube  an  die 
Seelenwanderung  schon  allgemein  verbreitet  und  fest  gewurzelt 
gewesen  sein,  da  ja  dieses  Religionsstifters  alleiniges  Streben 
darauf  gerichtet  war,  den  Weg  der  Befreiung  von  der  qualen- 
vollen Kette  der  Wiedergeburten,  der  Erlösung  aus  dem  Kreis- 
lauf des  Lebens  zu  finden;  und  ähnlich  war  es  bei  seinen  zeit- 
genössischen Rivalen. 

Das  Auftreten  Buddhas  bezeichnet  in  der  indischen  Ge- 
schichte einen  Wendepunkt  von  höchster  Bedeutung.  War  er 
auch  keineswegs  der  Erste,  welcher  das  Mönchthum  aufbrachte 
und  die  Weltflucht  predigte,  so  ist  er  doch  weitaus  die  hervor- 
ragendste Persönlichkeit,  in  welcher  sich  diese  neue,  das 
Mittelalter  einleitende  Geistesrichtung  gleichsam  klassisch  ver- 
körpert Wir  thun  daher  wohl  nicht  unrecht,  wenn  wir  die 
Epoche,  in  welcher  dieser  grosse  Mönch  lebte,  als  die  Grenze 
zwischen  indischem  Alterthum  und  indischem  Mittelalter  an- 
setzen. 

Die  Ansichten  über  den  Buddhismus  und  seine  Stellung 
in  der  indischen  Geschichte  haben  sich  in  neuerer  Zeit,  in 
Folge  vortiefterer  Quellenforschung,  nicht  unerheblich  verändert. 
Seit  den  fünfziger  Jahren  war  in  dieser  Hinsicht  vor  Allem 
das  Buch  von  Carl  Friedrich  Koeppen,  die  Religion  des 
Buddha,8  maass^ebend  und  tonangebend  gewesen.    Es  ist 


1  Vgl.  Koeppen,  Die  Religion  dos  Buddha,  Bd.  I,  p.  36.  37. 
8  In  meiner  Schrift  „Pythagoras  und  die  Inder",  Leipzig  1884, 
p.  27.  28. 

»  2  Bande,  Berlin  1857.  1859. 


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—   253  - 


•  dies  ein  ganz  vortreffliches,  klar  und  geistvoll  geschriebenes 
Werk,  das  auch  weiterhin  stets  von  Bedeutung  bleiben  wird 
und  zu  Leetüre  und  Studium  warm  empföhlen  werden  kann. 
Die  in  demselben  gegebene  Darstellung  von  Buddha  und  dem 
Buddhismus  beruht  aber  wesentlich  nur  auf  den  nordindi- 
schen, in  Sanskrit  geschriebenen  Quellen,  sowie  auf  den  tibe- 
tanischen und  chinesischen  Berichten,  welche  allesammt,  wie 
von  den  Kennern  dieser  Literatur  einstimmig  anerkannt  wird, 
an  Alter  und  Werth  bedeutend  zurückstehen  hinter  den  süd- 
indischen,  im  Pali- Dialekt  abgefassten  und  namentlich  in 
Ceylon  erhaltenen  Quellen.  In  den  ersteren  finden  sich  sehr 
viele  Zusätze,  Erweiterungen,  Ausschmückungen  und  Ueber- 
treibungen,  die  offenbar  jüngeren  Ursprungs  sind  und  den  ein- 
facheren und  treueren,  durchaus  glaubwürdigeren  Pali-Büchern 
fehlen.  Hier  können  wir  am  ehesten  die  Buddha-Legende  und 
-Lehre  in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt  kennen  lernen,  die  in 
den  Büchern  der  nördlichen  Buddhisten  vielfach  entstellt  ist. 

Als  Koeppen  sein  Buch  schrieb,  waren  die  Pali-Quellen 
noch  so  gut  wie  unbekannt,  war  die  Zeit  vor  Buddha,  waren 
vor  Allem  die  Brähmana's  nur  noch  ungenügend  erforscht  und 
verwerthet,  und  hatte  man  noch  nicht  gelernt,  die  spätere  Zeit 
der  brahmanischen  Herrschaft,  deren  sociale  Gestaltung  uns 
vor  Allem  das  sogenannte  Gesetzbuch  des  Manu  vorführt, 
deutlich  von  jener  früheren  Epoche  zu  scheiden.  Daraus  sind 
nun  manche  irrige  Anschauungen  und  Voraussetzungen  ent- 
sprungen. Koeppen  suchte  in  Buddha  vor  Allem  den  socialen 
Reformator,  der  den  niederen  Classen  des  Volkes  das  Evan- 
gelium der  Befreiung  predigt  und  Opposition  macht  gegen 
Druck  und  Tyrannei  der  oberen;  der  die  furchtbaren  Fesseln 
des  Kastenwesens  sprengt;  der  die  Armen  und  Elenden  zu 
sich  gerufen  und  ihnen  gelehrt,  jenes  ungerechte  Joch  ab- 
zuwerfen. Diese  Auffassung  wird  nun  durch  die  alten  Pali- 
Qnellen  nicht  bestätigt  Im  Lichte  der  letzteren  nimmt  sich 
Buddha's  Leben  und  Lehre  einigermassen  anders  aus.  Die  aus 
ihnen  sieh  ergebenden  Resultate  sind  vortrefflich  verwerthet  in 
dem  interessanten  und  gediegenen  Werk  von  Hermann  Olden- 
berg,  „Buddha,  sein  Leben,  seine  Lehre,  seine  Gemeinde."1 
Die  von  uns  im  Folgenden  gegebene  Darstellung  des  Buddhismus 
schiiesst  sich  der  Hauptsache  nach  an  dieses  Werk  an.» 


1  Berlin  1881. 

*  Eine  weitere  Bereicherung  unseres  Wissens  auf  diesem  Gebiete 
verdanken  wir  Heinrich  Kern,  „Der  Buddhismus  und  seine  Ge- 


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—  2.r)4 


Für  die  Treue  der  alten  Päli-Quellen  spricht  in  hohem 
Ma#sse  auch  der  Umstand,  dass  das  aus  denselben  gewonnene 
Bild  des  Buddha  und  seiner  Zeit  aufs  Beste  stimmt  und  sich 
trefflich  anschliesst  an  die  vorausgegangene  Entwicklung  des 
indischen  Denkens  und  Empfindens,  wie  sie  uns  durch  die 
Bruhmanas,  Arauyaka's  und  Upanishaden  vorgeführt  wird  und 
wie  ich  versucht  habe,  sie  Ihnen  darzulegen. 

Wir  haben  früher  gesehen,  dass  nach  Anleitung  der  ge- 
nannten Werke  in  jener  Zeit  zwar  schon  eine  ständische  Glie- 
derung des  Volkes  eingetreten  war,  aber  das  starre,  grausame 
Kastenwesen,  wie  es  z.  B.  Manu's  Gesetzbuch  zeigt,  noch  nicht 
-  existirte.  Ein  Kämpfer  gegen  das  Kastenwesen  ist  denn  auch, 
den  besten  Quellen  gemäss,  Buddha  eigentlich  nicht  gewesen.1 
Wenn  in  seinem  Mönchsorden  der  Unterschied  der  Stände  keine 
Geltung  hatte,  so  hatte  er  dies  mit  manchen  anderen  gleich- 
zeitigen Orden  gemein,  und  da  eben  das  Ständewesen  damals 
noch  nicht  so  drückend  war,  so  bedeutete  dies  noch  keine 
sociale  Revolution,  wenn  es  auch  in  der  Folge  in  immer  schär- 
feren Gegensatz  zu  der  brahmanischen  Gesellschaftsordnung 
treten  sollte. 

Die  Ideen  Buddha's,  seine  Ziele  und  Bestrebungen  gehen 
in  so  natürlicher  Weise  aus  der  vorgeschrittenen  brahmanischen 
Weisheit  jener  Zeit  hervor,  theilen  mit  ihr  so  viel  und  sind  so 
eng  mit  ihr  verknüpft,  dass  oft  gerade  die  Feststellung  des 
Unterscheidenden  Schwierigkeiten  macht  Der  schroffe  Gegen- 
satz zwischen  Buddhismus  und  Brahmanismus  in  späteren 
Jahrhunderten  ist  zu  einem  guten  Theil  jedenfalls  jüngeren 
Datums. 

Das  Wissen,  die  wahre  Erkenntniss  des  Ätman-Brahmau 
bringt  Erlösung,  —  d  as  war  der  Hauptgedanke  der  Upanishaden- 
Weisheit;  Nichtwissen  aber  bringt  Verderben  und  ein  immer 
neues  Verfallen  in  des  Todes  Gewalt  Das  Begehren,  der 
Durst  nach  dem  vergänglichen  Glück,  nach  Sein,  Leben,  Be- 
sitz u.  dgl.  bringt  Elend,  Wiedergeburt  und  Tod,  —  die  Be- 
freiung von  allen  Begierden  aber  fuhrt  zur  Erlösung. 
Dieses  Beides,  die  Erkenntniss  des  Höchsten  und  das  Ueber- 
winden  alles  Begehrens  hängt  aufs  Engste  zusammen  und 
lässt  sich  nicht  trennen.  „Wenn  der  Mensch  den  Xtman  er- 
kennt: das  bin  ich  selbst!  —  was  wünschend,  um  welches  Be- 

Bchichte  in  Indien4'.  Aus  dem*  Holländischen  ins  Deutsche  übersetzt  von 
Hermann  Jacobi,  Leipzig  1882.  1883.  (Bisher  ist  nur  der  1.  Band 
und  der  1.  Theil  des  2.  Bandes  erschienen-. 

1  Dieser  Punkt  wird  auch  weiter  unten  noch  näher  beleuchtet. 


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—    255  - 


gehrons  willen  sollte  er  am  Leiblichen  haften?"  Die  wahre 
Erkenntniss  vernichtet  alles  Begehren,  das  Nichtwissen  •  aber 
bewirkt,  dass  wir  am  Irdischen  hängen  bleiben. 

Wir  befinden  uns  hier,  bei  den  brahmanischen  Weisen,  in 
einem  Gedankenkreise,  der  dem  von  Buddha's  Lehre  aufs  Nächste 
verwandt  ist  „Die  Frage,  auf  der  die  buddhistischen  Gedanken 
von  der  Erlösung  ruhen,  wird  schon  hier  genau  in  derselben 
Weise  aufgeworfen  und  es  wird  dieselbe  doppelte  Antwort  auf 
diese  Frage  gegeben.  Was  hält  die  Seele  fest  in  dem  Kreis- 
lauf von  Geburt  und  Tod  und  Wiedergeburt?  Auch  der  Buddhis- 
mus antwortet:  Begehren  und  Nichtwissen.*1 

Freilich,  worin  nun  speciell  nach  Buddha's  Lehre  die  wahre 
Erkenntniss,  das  Wissen  besteht,  das  tritt  denn  doch,  wie  wir 
später  sehen  werden,  als  etwas  Besonderes  hervor,  ob  auch  in 
mancher  Hinsicht  verwandt  mit  anderen  damals  aufgekommenen 
Ideen. 

Es  ist  ferner  zu  beachten,  das  Buddha  auch  in  der  Ter- 
minologie, die  er  gebraucht,  in  Punkten  von  grosser  Wichtigkeit 
an  die  vorausgehende  brahmauische  Weisheit  anknüpft.  Wir 
finden,  wie  bereits  früher  (p.  190)  bemerkt  ist,  im  Brihad- 
Xranyaka  das  Wort  Qramana,  welches  Asket,  Bettelmönch  be- 
deutet und  später  insbesondere  auch  von  den  buddhistischen 
Mönchen  gebraucht  wird.  Auch  nennt  bereits  das  £atapatha- 
ßrahmana  den,  welcher  den  Atman  erkannt  hat,  einen  Prati- 
buddha,  d.  h.  einen  Erweckten,  Erleuchteten  u.  dgl.  m.2 

Feinsinnig  bemerkt  Oldenberg  auch,  dass  der  Buddhis- 
mus vom  Brahmancnthum  nicht  nur  eine  Reihe  seiner  Dogmen 
als  Erbtheil  überkommen  habe,  „sondern,  was  dem  „Historiker 


1  Oldenberg,  Buddha,  p.  52.  53  —  Kern  a.  a.  0.  p.  2  sagt 
geradezu  von  Buddha:  „Der  Inhalt  seiner  Lehre  war  wenig  verschieden 
von  der  seiner  Zeitgenossen,  wie  wir  sie  besonders  in  den  IJyanishad's 
finden."    Vgl.  auch  ebenda  p.  3. 

*  Vgl.  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  152.  153.  Ohlenberg, 
Buddha,  p.  53.  —  Ucbrigens  gaben  auch  andere  Sekten,  ausser  der 
buddhistischen,  z.  B  die  Jaina's,  ihrem  Religionsstiftcr  das  Epitheton 
,. Buddha".  Vgl.  weiter  unten.  —  Ich  mache  ferner  darauf  aufmerksam, 
dass  der  bei  den  Buddhisten  so  wichtige  Terminus  „Nirvana4*  auch  in 
brahmanischen  Schriften,  allerdings  erst  der  folgenden  Periode  (z.  B.  im 
Mahiibharata)  gebraucht  wird  in  dem  Sinne  „Erlöschen  der  Lebens- 
flamme,  ewige  Seligkeit,  Aufgehen  in  der  Gottheit".  Vgl.  Pet.  Wort, 
s.  v.  2.  nirvana.  Es  kommt  übrigens  auch,  mehr  präcisirt,  die  Bezeich- 
nung brahmanirvana  „Verwehen.  Aufgehen  in  Brahma"  vor.  Es  laast 
sich  nicht  bestimmt  entscheiden,  welche  von  beiden  Keligionsparteien 
das  Wort  zuerst  gebraucht  hat.  Der  Buddhismus  hat  zun&chst  wohl  das 
tfrösserr.  Anrecht  darauf. 


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256  — 


nicht  minder  bedeutend  ist  die  Stimmung  des  religiösen  Denkens 
und  Fühlens,  die  leichter  empfunden  als  in  Worte  gefasst  werden 
kann"  (a.  a.  0.  p.  54). 

In  dieser  Beziehung  verdient  auch  eine  Bemerkung  des 
französischen  Indologen  A.  Barth  über  die  Upanishaden  her- 
vorgehoben zu  werden.  Derselbe  sagt1  von  diesen  Schriften: 
„Der  Ton,  der  darin  herrscht,  besonders  in  Ansprachen  und 
Gesprächen,  in  denen  er  sich  zuweilen  durch  aussergewöhnliche 
Lieblichkeit  auszeichnet,  ist  der  einer  vortraulichen  Predigt. 
In  der  Beziehung  giebt  es  nichts  in  der  Literatur  der  Brah- 
manen,  was  so  sehr  einem  buddhistischen  Sütra  gleicht,  als 
einzelne  Stücke  aus  den  Upanishad's,  mit  dem  Unterschiede 
indessen,  dass  an  Erhabenheit  der  Gedanken  und  des  Styles 
diese  Stücke  Alles  übertreffen,  was  wir  bis  anjetzt  von  den 
Predigten  der  Buddhisten  kennen." 

Buddha  leugnete  die  Autorität  der  Veden  und  erklärte, 
dass  sie  nicht  zum  Heile  fuhren,  aber  auch  darin  waren  ihm 
jene  brahmanischen  Weisen  vorangegangen,  die  in  tiefer  Un- 
befriodigung  die  alten  Veden  aufgegeben  hatten,  um  nur  dem 
Suchen  nach  dem  Atman  zu  leben,  und  die  zuletzt  entdeckten 
und  verkündeten,  dass  nur  die  Erkenn tniss  des  Atman  (also 
nicht  der  Veda)  Erlösung  bringe. 

Im  Buddhismus  wird  die  Erlösung  gesucht  ohne  einen 
Gott,  allein  aus  menschlicher  Kraft  Der  Stifter  desselben 
macht  den  kühnen  Versuch,  einen  Glauben,  eine  Religion  zu 
begründen  ohne  einen  Gott.  Dem  hatte  sich  aber  auch  die 
brahmanische  Speculation  der  vorausgehenden  Zeit  mehr  und 
mehr  genähert.  Die  alten  Götter  waren  mehr  und  mehr  in 
den  Hintergrund  gedrängt,  ihre  Gestalten  verblasst,  und  der 
abstracte  Begriff  des  auf  den  Weltenthron  gesetzten,  für  die 
Seele  der  Welt  erklärten  Brahman  bot  keinen  entsprechenden 
Ersatz  für  diesen  Verlust.  Als  die  eigentlich  handelnde  Person 
in  dem  grossen  Drama  der  Weltentwickelung  und  Erlösung  er- 
scheint jetzt  der  Mensch,  der  durch  richtige  Erkenntniss  die 
Fessel,  die  ihn  an  diese  Welt  bindet,  zerstören  kann.1 

Ja,  in  einigen  Kreisen  brahmanischer  Denker  war  man  in 
dieser  Richtung  noch  bedeutend  weiter  gelangt. 

Neben  jener  in  den  Upanishaden  verkündeten  Lehre,  der 
gemäss  der  Mensch  durch  Erkenntniss  des  Atman -Brahman 


1  In  seinen  „Religions  de  1'Inde",  p.  49.  50.   Ich  gebe  die  Stelle 
nach  der  Jacob  lachen  Uebersetzung  von  Kern's  „Buddhismus",  p.  18. 
1  Vgl.  dazu  Oldenberg  a.  a.  0.  p.  54. 


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-   167  - 

sich  selbst  erlöst  ist  der  indischen  Tradition  zufolge  vor 
Buddha  bereits  eine  andere  Lehre  ausgebildet  gewesen,  an 
welche  sich  der  grosse  Religionsstifter  angeschlossen  haben  soll, 
—  die  Sämkhya-Lehre  des  Kapila.  Es  ist  nun  zwar  in 
neuerer  Zeit  sowohl  von  Max  Müller1  als  von  Oldenberg 
in  Abrede  gestellt  worden,  daas  zwischen  der  buddhistischen 
Weltanschauung  und  der  Sainkhya-Philosophie  ein  näherer  Zu- 
sammenhang, eine  Aehnlichkeit  bestehe,  aber  wie  ich  glaube 
mit  Unrecht.  Es  liegen  wichtige  Uebereinstimmungen  vor.  Die 
Samkhya- Lehre,  welche  wir  leider  nur  aus  Werken  jüngeren 
Datums  kennen,  vertritt  gegenüber  den  idealistischen  Doctrinen 
der  Upanishaden  einen  mehr  nüchternen,  rationalistischen  Stand- 
punkt Sie  weiss  nichts  von  jenen  hochfliegenden  pantheisti- 
schen  Ideen,  denen  gemäss  die  ganze  Welt  aus  dem  Atman- 
Brahman  hervorgeht  und  wieder  in  ihn  zurückkehrt;  sie  hat 
bei  ihrer  Construction  des  Weltprocesses  den  Atman-Brahman, 
die  Gottheit  überhaupt  ganz  eliminirt.  Sie  geht  von  dem  aus, 
was  sich  unserer  Beobachtung  darbietet,  der  Materie  und  einer 
Menge  individueller  Geister,  und  sie  bleibt  auch  dabei  stehen. 
Sie  löst  den  Gegensatz  dieser  beiden  Principien  nicht  in  einer 
höheren  Einheit  auf,  weder  auf  idealistische  noch  auf  materia- 
listische Weise,  und  so  ist  sie  denn  durch  und  durch  dualistisch. 
Sie  fordert  keinen  Gott  als  Schöpfer  der  Materie  und  der  indi- 
viduellen Geister,  sondern  nimmt  einfach  beide  als  einmal  ge- 
gebene Grössen  von  verschiedener  Qualität  hin.  Die  Erlösung 
tritt  ein,  Wenn  der  Geist  sich  als  grundverschieden  von  der 
Materie  erkannt  hat.  Dann  löst  er  sich  für  immer  los  von  ihr. 
Was  weiter  folgt,  bleibt  ungesagt.  Von  einer  Vereinigung  mit 
der  Gottheit  ist  nicht  die  Rede.  Aehnlich  aber  ist  auch  Buddha's 
Gedankengang.  Auch  er  hat  die  Gottheit  aus  dem  Welt- 
process  eliminirt,  er  kennt  keinen  Weltenschöpfer,  keinen  pan- 
theistischen  Atman-Brahman,  der  die  Welt  aus  sich  hervorgehen 
lasst  und  mit  dem  sich  zu  vereinigen  das  höchste  Ziel  wäre. 
Die  zahlreichen  individuellen  Seelen  sind  auch  ihm  ein  Ge- 
gebenes, das  nicht  auf  eine  ursprüngliche  Einheit  zurückverfolgt 
wird.    Das  endliche  Ziel  besteht  in  völliger  Loslösung  der  iti- 


1  Max  Müller  6agt  in  den  Chips  from  a  German  Workshop,  I,  226: 
„We  hatve  looked  in  vain  for  any  deiinite  simUarities  between  the  System 
of  Kapila,  as  known  to  us  in  the  Sankhyasütras,  and  the  Abhidharma, 
or  the  metaphysict  of  the  Buddhist«."  —  Dem  stimmt  Oldenberg. 
Buddha,  p.  93  Anm.  Yollstandig  bei.  —  Ich  bin  dieser  Meinung  bereite 
früher  entgegengetreten,  in  meiner  Schrift  „Pythagoras  und  die  Inder41 
p.  69.  70. 

v.  8chr5d»r,  Iadkat  Lit.  a.  Cult.  17 


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dividuellen  Seele  von  den  Banden  der  Körperwelt  Ist  diese 
gelungen,  so  tritt  das  Nirvana  ein,  von  dem  man  nach  buddhi- 
stischer Lehre  nicht  fragen  darf,  ob  es  ein  Sein  oder  Nicht- 
sein ist 

Vor  Allem  also  im  völligen  Abstreifen  der  Grottesidee  ist 
die  Samkhya-  Lehre  die  directe  Vorläuferin  des  Buddhismus, 
und  beide  haben  darum  auch  den  Vorwurf  des  Atheismus 
tragen  müssen.  Es  liegt  kein  ausreichender  Grund  vor,  die 
alte  Tradition  von  einem  Zusammenhang  zwischen  Buddha  und 
der  Samkhya-Lehre  zu  beanstanden,  wenn  auch  im  Uebrigen 
zwischen  der  ausgebildeten  buddhistischen  Metaphysik  und  dem 
Samkhya-System,  wie  wir  dasselbe  aus  späteren  Schriften  kennen, 
Unterschiede  genug  vorliegen  mögen. 

Auch  in  den  äusseren  Formen  des  geistlichen  Leben  war 
Buddha  und  dem  Buddhismus  durch  die  unmittelbar  voraus- 
gehende Zeit  der  Boden  bereitet  Nicht  mit  Buddha  beginnt 
das  Mönch th um,  wenn  er  auch  der  hervorragendste  Repräsentant 
desselben  ist,  sondern  schon  früher,  in  der  Zeit,  wo  die  Sehn- 
sucht, den  Ätman - Brahman  zu  erkennen,  so  viele  Gemüther 
anfing  ausschliesslich  zu  beschäftigen.  „Den  Ätman  erkennend 
lassen  Brahmanen  davon  ab,  nach  Reich thum,  nach  Kindern, 
nach  der  Welt  zu  begehren,  und  ziehen  als  Bettler  umher,tf 
so  sagt  das  Brihad-Äranyaka.1  Das  aufs  Höchste  gesteigerte 
Stieben  nach  der  wahren  Erkenntniss  lässt  alles  irdische  Glück 
nichtig  erscheinen  und  bringt  Weltflucht,  Mönchthum  und  Askese 
hervor.  Der  Inhalt  dieser  Erkenntniss  wandelt  sich  dann  bei 
den  verschiedenen  Ordensstiftern  und  Mönchsgemeinden,  aber 
immer  ist  es  doch  wesentlich  dasselbe  Streben,  das  immer  auf  s 
Neue  ähnliche  sociale  Erscheinungen  ins  Leben  ruft. 

Vielleicht  waren  es  zuerst  vorzugsweise  Brahmanen,*  die 
das  Einsiedler-  und  Mönchsleben  ergriffen,  äber  ein  ausschliess- 
liches Anrecht  darauf  beanspruchen  sie  nirgends.  Dagegen 
spräche  auch  schon  durchaus  die  hervorragende  Betheiligung 
des  Standes  der  Krieger  und  Könige  bei  der  Schöpfung  der- 
jenigen Literatur,  in  welcher  das  Streben  nach  Erkenntniss  dos 
Ätman  seinen  Höhepunkt  erreicht,  der  Upanishaden.  Im  Ein- 
zelnen lässt  sich  jene  Entwicklung  nicht  verfolgen,  so  viel  aber 
können  wir  mit  Bestimmtheit  behaupten,  dass  es  vor  Buddha 
und  gleichzeitig  mit  ihm  schon  eine  ganze  Reihe  solcher  Mönchs- 
und Asketengemeinschaften  gab,  die  jede  auf  ihre  Art  die  Er- 


1  Cat.  Br.  14,  6,  3,  2. 

■  Vgl.  die  oben  angeführte  Stelle  des  Brih.  Aranyaka. 


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—   259  — 

lösnng  suchte  und  in  denen  grossentheils  schon  Emanripation 
Ton  der  Autorität  des  Veda  eingetreten  war.  Man  nannte 
Personen,  die  in  solcher  Art  freiwillig  ein  weltflüchtiges  geist- 
liches Leben  auf  sich  nahmen,  Cramana,1  in  der  Volkssprache 
Samana»  und  diese  Bezeichnung  wurde  denn  auch  Buddha  und 
seinen  Anhängern  gegeben. 

Unter  den  verschiedenen  Mönchsgemeinschaften  jener  Zeit 
ragen  einige  besonders  hervor;  so  die  Nirgrantha's,  d  h.  »die 
von  Fesseln  Befreiten",  zu  den  sogenannten  Jaina's  gehörig, 
welche  sich  noch  bis  auf  die  Gegenwart,  besonders  im  Süden 
und  Westen  Indiens,  erhalten  haben.  Die  Jaina's  stehen  den 
Buddhisten  besonders  nah  und  wurden  wohl  auch  darum,  als 
gefährliche  Concurrenten,  von  diesen,  die  im  Ganzen  doch  tole- 
rant gegen  Andersgläubige  sind,  in  auffallendem  Maasse  gehasst 
und  geschmäht*  Dieser  Orden  wurde  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  von  einem  älteren  Zeitgenossen  des  Buddha,  Vardhamana 
Jfiataputra  (in  der  Volkssprache  Nataputta)5  begründet  Noch 
heute  verehren  die  Jaina's  diesen  Jfiataputra  (Nataputta)  als 
ihren  Stifter  und  Heiland,  ihren  „Jina",  d.  h.  „Sieger  oder  Ueber- 
winder**,  auch  geradezu  als  ihren  „Buddha".4  Die  Buddhisten 
nennen  sechs  grosse  Lehrer  (in  ihren  Augen  natürlich  Irrlehrer) 
als  Häupter  von  sechs  andersgläubigen  Sekten,  darunter  auch 
den  Nataputta.  Jaina's  wie  Buddhisten  nennen  als  Ort,  wo 
Nataputta  gestorben  sei,  die  Stadt  Pavä,  welche  Ueberein- 
stimmung  ganz  verschiedener  Quellen  die  Glaubwürdigkeit  der- 
selben sehr  erhöht  und  die  Wahrscheinlichkeit,  dass  es  sich 
hier  um  dieselbe  Person  handelt,  zur  Gewissheit  macht6 


1  „Asket,  Mönch,  Bettelmönch." 

*  Vgl.  Kern,  Buddhismus,  Bd.  I,  p.  566, 

•  Meist  mit  dem  Titel  Mahavlra,  d.  h.  der  grosse  Mann  oder  Held, 
bezeichnet 

4  Sie  gebrauchen  in  ihren  Texten  auch  eben  diesen  Namen  für 
ihn.  Es  ist  nicht  so  verwundern,  dass  Jaina's  und  Buddhisten  Öfters 
▼erwechselt  worden  sind.  Die  Hindu's  bezeichnen  beide  Sekten  mit 
demselben  Namen,  „ohne  dass  ihnen  darum  der  Unterschied  zwischen 
beiden  unbekannt  wäre."   S.  Kern,  Buddhismus,  Bd.  I,  Th.  1,  p  16. 

5  Wir  verdanken  die  obigen  Nachweisungen  über  Nataputta  Bühl  er, 
H.  Jacobi  und  Oldenberg.  Vgl.  Oldenberg,  Buddha,  p.  78.  Kern, 
Buddhismus,  Bd.  I,  Th.  1,  p.  17  Anm.  —  Zu  den  Jiina's  gehören  auch 
noch  die  Digambara's  und  andere  Sekten.  Brahmanische  Orden  werden 
in  den  alteren  buddhistischen  Schriften  selten  erwähnt  „Der  einzige, 
welcher  ausdrücklich  genannt  wird,  ist  der  der  Ajivaka's,  welche  Ver- 
ehrer des  Narayana  sind."  Kern,  Buddhismus,  Bd.  I,  Th.  1  p.  17. 
Ueber  die  Orden  und  Sekten  jener  Zeit  vgl  namentlich  auch  Olden- 
berg, Buddha,  p.  62—72. 


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-   260  - 

Ein  solches  Haupt  einer  Mönchsgemeinschaft  war  nun  auch 
Buddha.  In  der  üblichen  Tracht  der  Asketen,  mit  dem  Bettel- 
napf in  der  Hand,  zog  er  im  Lande  umher,  verkündete  seine 
Lehren  und  umgab  sich  mit  einer  Schaar  ihm  treuergebener 
Jünger,  deren  Leben  er  wie  sein  eigenes  nach  bestimmten 
Satzungen  regelte.  Seine  Predigt  aber  muss  eine  Gewalt  und 
eine  Tiefe  gehabt  haben,  mit  der  er  alle  anderen  Lehrer  weit 
hinter  sich  liess,  sonst  wäre  es  wohl  nimmer  geschehen,  dass 
noch  heutzutage,  nach  bald  2ljt  Jahrtausenden,  ein  Drittel  der 
gesammten  Menschheit  dieser  Lehre  und  Predigt  anhängt. 


Anmerkung. 

Zu  derselben  Zeit,  deren  Charakteristik  uns  soeben  beschäftigt  hat 
fand  auch,  wie  ich  an  einem  anderen  Orte  wahrscheinlich  gemacht  zu 
haben  glaube,  die  erste  directe  Berührung  der  griechischen  Coltnrwelt 
mit  der  indischen  statt.  Sie  war  individueller  Natur,  aber  die  Persön- 
lichkeit, um  welche  es  sich  dabei  handelt,  hat  einen  so  nachhaltigen 
Einfluss  in  der  griechischen  Welt  geübt,  dass  jene  Berührung  von  den 
bedeutsamsten  Folgen  gewesen.  Da  ein  näheres  Eingehen  auf  diese 
Frage  hier  nicht  am  Platze  wäre,  so  begnüge  ich  mich  damit,  auf  meine 
diesbezügliche  Arbeit  zu  verweisen  (Pythagoras  und  die  Inder.  Eine 
Untersuchung  über  Herkunft  und  Abstammung  der  pythagoreischen  Lehren. 
Leipzig  1884),  indem  ich  zugleich  die  Bemerkung  hinzufüge,  dass  Ich 
meine  Beweisführung  trotz  einiger  dawider  vorgebrachten  kritischen  Ein- 
wendungen der  Hauptsache  nach  auch  gegenwartig  noch  durchaus  auf- 
recht erhalte. 


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Achtzehnte  Vorlesung. 


Die  Senart 'sehe  Theorie.  Leben  und  Wirken  Buddha's.  Zeit  und  Ort 
•einer  Geburt.  Jugend  und  Auszug  zum  geistlichen  Leben.  Die  Zeit 
des  Riegen s  und  K&mpfens  und  die  Erleuchtung.  Erste  Ereignisse  dar- 
nach. Die  Predigt  zu  Beraum  Die  vier  heiligen  Wahrheiten.  Das 
Anwachsen  der  Gemeinde  in  ihrer  ersten  Form.  Mönche  und  Laien. 
Hervorragende  Betheiligung  der  oberen  Stande,  nicht  der  Armen  und 
Elenden.  Gegensatz  zu  den  Brahmanen.  Tod.  Theoretischer  Ursprung 
and  eminent  praktische  Bedeutung  der  Lehre  Buddha'a.  Seine  Lehre 
vom  Leiden,  dessen  Ursache  und  Aufhebung.  Elend  des  Daseins.  Poesie 

des  Weltschmerzes. 


Bevor  ich  es  versuche,  in  kurzen  Zügen  ein  Bild  von  dem 
Leben  und  Wirken  Buddha'a  zu  entwerfen,  ist  es  noth wendig 
einer  Theorie  zu  gedenken,  die,  wenn  sie  richtig  wäre,  uns 
dies  Alles  in  völlig  anderem  Lichte  erscheinen  lassen  würde. 
Der  französische  Gelehrte  fimile  Senart  hat  in  seinem  Buche 
„Essai  sur  la  legende  du  Buddha"1  den  Nachweis  zu  liefern 
gesucht,  dass  Alles,  was  uns  von  dem  Lehen  Buddhas  berichtet 
wird,  völlig  unhistorisch  und  in  der  That  nichts  weiter  als  ein 
in  die  Form  der  Legende  umgewandelter  Mythus  sei.  Er  be- 
streitet es  nicht,  dass  einstmals  ein  Mensch  Namens  Buddha 
gelebt,  der  die  nach  ihm  benannte  Gemeinde  gestiftet,  aber  er 
behauptet,  dass  das  wirkliche  Leben  dieses  Mannes  ganz  und 
gar  verdrängt  worden  sei  durch  die  alten  Mythen  von  dem 
Sonnengott,  dessen  Geburt  aus  der  Morgenwolke,  seinem  Kampf 
mit  den  Dämonen  der  Finsterniss  und  seinem  endlichen  Er- 
loschen, die  man  auf  den  gefeierten  Stifter  jener  Religions- 
gemeinschaft übertrug.  Das  wirkliche  Leben  des  grossen 
Mönchs  wurde  mit  der  Zeit  vollständig  vergessen  und  alle 
Berichte  davon  sind  nur  eine  lange  Reihe  umgewandelter 
Sonnenmythen.    Senart  hat  diese  seine  Ansicht  mit  einem 


1  Paris  1875. 


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—   262  - 


grossen  Aufwände  von  Schartsinn  und  Gelehrsamkeit  zu  ver- 
fechten gesucht,  doch  wird  dieselbe  sich  wohl  nur  eine  be- 
schränkte Anzahl  von  Anhängern  gewinnen  können.  Sie  ist, 
wenn  auch  geistreich  durchgeführt,  doch  zu  gesucht,  zu  wenig 
wirklich  wahrscheinlich,  als  dass  sie  jemals  durchdringen 
könnte.  Es  würde  uns  hier  viel  zu  weit  führen,  wenn  ich  die 
einzelnen  Deutungen,  welche  Senart  von  seinem  Gesichtspunkte 
aus  den  Berichten  über  Buddha's  Leben  zu  geben  sucht,  auch 
nur  andeuten  wollte.  Ich  beschranke  mich  darauf,  hervor- 
zuheben, dass  der  französische  Gelehrte  sich  ganz  an  die  weit 
weniger  authentische  nordindische  Ueberlieferung  hält  und  seine 
Gedanken  und  Theorieen  sehr  oft  gerade  auf  viel  später  hinzu- 
gefugten Legenden  und  Ausschmückungen  aufbaut,  welche  die 
ältere,  einfachere  und  treuere  Erzählung  von  Buddha  in  den 
Pali-Texten  gar  nicht  kennt  Dies  ist  ein  wesentlicher  Fehler» 
der  einer  Menge  von  Senart's  Deutungen  gerade  die  scheinbar 
überzeugendsten  Momente  ganz  entzieht. 

Oldenberg  hat  der  Senart'schen  Theorie  eine  so  be- 
sonnene und  überzeugende  Widerlegung  zu  Theil  werden  lassen, 
dass  die  innere  Unwahrscheinlichkeit  und  ungenügende  Be- 
gründung derselben  wohl  hinreichend  klargelegt  sein  dürfte. 
Ich  verweise  daher  für  alles  Nähere  auf  die  Ausfuhrungen 
dieses  Gelehrten 1  und  hebe  hervor,  dass  wir  in  den  Berichten 
von  Buddha,  seinem  Leben  und  Wirken,  trotz  manch  legenden- 
haften Beiwerks,  doch  feste  historische  Traditionen  vor  uns 
haben,  die  in  der  Hauptsache  anzuzweifeln  durchaus  kein  ge- 
nügender Grund  vorliegt 

Buddha  ist  nach  der  glaubwürdigsten  Tradition  in  der 
Mitte  des  sechsten  Jahrhunderts  vor  Christo  geboren.  Man 
rechnet  von  seinem  Tode  bis  zum  Concil  der  700  Aeltesten  zu 
Vaic&li  100  Jahre.  Dies  Concil  fand  i.  J.  380  v.  Chr.  statt 
Darnach  wäre  Buddha  gestorben  i.  J.  480  v.  Chr.,  und  da  er, 
der  Tradition  zufolge/  achtzig  Jahre  alt  wurde,  wäre  er  geboren 
L  J.  560  v.  Chr. 

Seine  Geburtsstadt  war  Kapilavastu  an  der  Rohini, 


1  Oldenberg,  Buddha,  p  78—96.  —  Leider  hat  auch  Kern  die 
Senart'sche  Hypothese  ganz  adoptirt,  wodurch  sein  Buch  über  den  Bud- 
dhismus, wie  mir  scheint,  erheblich  an  Werth  verloren  hat.  Die  un- 
befangene historische  Beurtheilung  muss  nothwendig  Schaden  leiden, 
wenn  man  in  jedem  Ereigniss,  das  von  Buddha  oder  seinen  Jftngern  be- 
richtet wird,  immer  irgend  welche  Vorgange  am  Firmament,  besondere 
Oestirncombinationen  u.  dgl.  zu  sehen  sich  bemüht,  resp.  derartiges  in 
alle  jene  alten  Erzählungen  irgendwie  hineinzudeuten  sucht. 


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—    263  — 

* 

einem  Flüsschen,  welches  in  die  Rapti*  strömt,  im  Nordosten 
des  Kocala-Reiches,  in  der  heutigen  Landschaft  Oude.  Kapila- 
vastu  gehörte  dem  edlen  und  zahlreichen  Rajanya-Geschlecht 
der  (Jakya  und  stand  in  einem  gewissen  Abhängigkeitsver- 
häitniss  zu  den  Königen  von  Kocala.  Aus  dieser  adligen  oder 
fürstlichen  Familie  der  Qakya's  stammte  nun  auch  der  grosse 
Mönch,  der  darum  oft  (^äkyasimha,  der  Löwe  aus  dem  Ge- 
schlecht der  Cakya,  oder  (^akyamuni,  der  Einsiedler  aus  dem 
Qakya- Geschlechte,  genannt  wird.  Er  hiess  mit  seinem  persön- 
lichen Namen  Siddhärtha;  da  aber  die  (Jakya  nach  Sitte  der 
Adligen'  aufch  den  Namen  eines  altvedischen  Sängergeschlechtes, 
der  Gautama's  oder  Nachkommen  des  Gotama,  angenommen 
hatten,  wird  er  meist  der  Asket  Gautama  genannt,  von  seinen 
Anhängern  und  Verehrern  der  Buddha.  Die  Qakya's  waren 
ein  vornehmes  Geschlecht,  ähnlich  den  heute  noch  erhaltenen 
Rajputen  -  Familien ;  ein  Königssohn  in  unserem  Sinne  des 
Wortes  ist  aber  Buddha  nicht  gewesen.*  Er  wurde  der  Sitte 
seines  Hauses  gemäss,  in  kriegerischen  Leibesübungen  erzogen, 
war  auch  in  verschiedenen  Künsten  und  Wissenschaften  ge- 
bildet; vedische  Gelehrsamkeit  aber  wird  ihm  nicht  nach- 
gerühmt.3 

Er  vermählte  sich  und  hatte  einen  Sohn  Namens  Rahula. 
Die  spätere  Legende  hat  das  prächtige,  alle  weltlichen  Genüsse 
bietende  Leben  des  jungvermählten  Qakya-Sohnes  in  seinem 
stattlichei  Palast,  umgeben  von  schönen  Trauen  und  Dienerinnen, 
die  dann  folgende  Wandlung  in  seinem  Innern,  den  Entschluss, 
Alles  aufzugeben  und  Mönch  zu  werden,  und  die  nächtliche 
Flucht  aus  dem  heimischen  Palaste,  den  Ritt  auf  seinem  treuen 
Rosse  Kanthaka  u,  s.  w.,  zu  einem  fesselnden,  farbenvollen 
Bilde  gestaltet.  Sinnreich  und  eindrucksvoll  ist  die  Erzählung 
von  jenen  vier  Ausfahrten,  die  die  völlige  Sinnesänderung  des 
in  Genüssen  aller  Art  lebenden,  von  seinem  Vater  absichtlich 
in  völliger  Abgeschlossenheit  und  Unkenntniss  des  Elends 
dieser  Welt  auferzogenen  jungen  Mannes  zu  Wege  bringen. 
Auf  de  ersten  dieser  Ausfahrten  begegnet  ihm  ein  Greis,  mit 
runzlichtem  Antlitz  und  kahlem  Haupt,  gebeugt  und  zitternd. 
Bei  der  zweiten  sieht  er  einen  elenden  Kranken,  vom  Fieber 
geschüttelt,  mit  Aussatz  und  Geschwüren  behaftet;  bei  der 


1  Die  Rapti  ((Jar&Yatl)  ergiesst  sich  in  die  Sarayü,  die  wiederum 
in  den  Ganges  mündet. 

•  8.  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  101.  —  Rajput  heisst  übrigens  eigent- 
Ucluauch  Königssohn. 

•  8.  Oldenberg.  a.  a.  0.  p.  102. 


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dritten  einen  verwesenden  Leichnam,  in  dem  die  Würmer 
hausen.  Von  seinem.  Wagenlenker  über  diese  ihm  neuen  Er- 
scheinungen belehrt  kehrt,  der  junge  Qakya-Sohn  jedes  Mal 
tief  erschüttert  nach  Hause  zurück.  Zuletzt  ruft  er:  „Wehe 
der  Jugend,  die  durch  das  Alter,  wehe  der  Gesundheit,  die 
durch  die  Krankheit  zerstört  wird"  u.  s.  w.  Er  will  fortab 
nachsinnen,  wie  die  Befreiung  von  diesen  Uebeln  zu  finden  sei. 
Bei  der  vierten  Ausfahrt  begegnet  ihm  ein  Mönch,  dessen 
ernstes  und  würdiges,  innere  Sammlung  bekundendes  Wesen 
ihm  tiefen  Eindruck  macht.  Da  beschliesst  er  selbst,  der  Welt 
zu  entsagen  und  Mönch  zu  werden  u<  8.  w. 

Von  diesen  und  ähnlichen,  zum  Theil  sehr  schönen  und 
fesselnden  Erzählungen  der  nördlichen  Quellen  wissen  die  alten 
Pftli-Bücher  wenig  oder  nichts  zu  melden.  Dort  nimmt  sich 
die  Geschichte  der  inneren  Wandlung  des  Buddha  sehr  viel 
schlichter  und  einfacher  aus.  Er  selbst  erzählt  sie  dort,  er 
schildert  den  Reich thum,  in  dem  er  einst  lebte,  und  sagt: 

„Mit  solchem  Reichthum,  ihr  Jünger,  war  ich  begabt,  in 
solch  übergrosser  Herrlichkeit  lebte  ich.  Da  erwachte  in  mir 
dieser  Gedanke:  Ein  thörichter  Alltagsmensch,  ob  er  gleich 
selbst  dem  Altern  unterworfen  und  von  des  Alters  Macht  nicht 
frei  ist,  fühlt  Abscheu,  Widerwillen  und  Ekel,  wenn  er  einen 
Andern  im  Alter  sieht.  Der  Abscheu,  den  er  da  fühlt,  kehrt 
sich  gegen  ihn  selbst.  Auch  ich  bin  dem  Altern  unterworfen 
und  von  des  Alters  Macht  nicht  frei.  Sollte  auch  ich,  der  ich 
dem  Altern  unterworfen  und  von  des  Alters  Macht  nicht  frei 
bin,  Abscheu,  Widerwillen  und  Ekel  fühlen,  wenn  ich  einen 
Andern  im  Alter  sehe?  Das  käme  mir  nicht  zu.  Indem  ich, 
ihr  Jünger,  also  bei  mir  dachte,  ging  in  mir  aller  Jugendmuth, 
der  der  Jugend  innewohnt,  unter.  —  Ein  thörichter  Alltags- 
mensch, ob  er  gleich  selbst  der  Krankheit  unterworfen  und 
von  der  Krankheit  Macht  nicht  frei  ist,"  u.  8.  f.  —  es  folgt 
dieselbe  Gedankenreihe,  die  eben  über  Alter  und  Jugend  ge- 
geben war,  jetzt  in  Bezug  auf  Krankheit  und  Gesundheit,  so* 
dann  in  Bezug  auf  Tod  und  Leben.  „Indem  ich,  ihr  Jünger," 
so  schliesst  diese  Stelle,  „also  bei  mir  dachte,  ging  in  mir  aller 
Lebensmuth,  der  dem  Leben  innewohnt,  unier .al 

Da  ist  nichts  von  den  farbenvoll  poetischen  Schilderungen 
des  nächtlichen  Auszuges  aus  dem  Palaste  zu  finden.  Davon 
berichten  die  alten  Texte  nur  ganz  einfach:  „der  Asket  Gotama 
ist  jung,  in  jungen  Jahren,  in  blühender  Jugendkraft,  in  der 


1  S.  Oldenberg  a.  a.  0.  p.  10f  flg. 


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ersten  Frische  des  Lebens*  tob  der  Heimath  in  die  Heimath- 
loeigkeit  gegangen.  Der  Asket  Gotama  hat,  ob  seine  Eltern  es 
gleich  nicht  wollten,  ob  sie  gleich  Thränen  vergossen  und 
weinten,  sich  Haare  und  Bart  scheeren  lassen,  gelbe  Gewänder 
angethan,  und  ist  von  der  Heimath  in  die  Heimathlosigkeit 
gegangen."  1 

Er  soll  zuerst  bei  Rajagriha  sich  von  zwei  berühmten 
Lehrern1  in  der  brah manischen  Weisheit  haben  unterrichten 
lassen*    Aber  sie  schafft  ihm  keine  Befriedigung. 

Nun  zieht  er  in  die  Wälder  von  UruvilvA*  und  kasteit 
sich  dort  auf  alle  Art.  Dorthin  begleiten  ihn  auch  noch  fünf 
andere  Asketen,  seine  Mitschüler  bei  einem  jener  brahmanischen 
Lehrer.  Aber  auch  die  furchtbarste  Askese  nützt  ihm  nichts, 
sie  giebt  ihm  nicht  den  inneren  Frieden,  nach  dem  seine  Seele 
dürstet.  Er  erkennt  endlich,  dass  dieser  Weg  nicht  zur  Er- 
leuchtung fuhrt,  giebt  die  Kasteiung  auf  und  nimmt  wieder 
reichlich  Speise  zu  sich.  Da  verzweifeln  seine  fünf  Genossen 
an  seiner  Kraft  und  Beharrlichkeit,  geben  ihn  auf  und  ziehen 
davon. 

Er  zieht  nun  nach  Gaya,  nach  ihm  Buddhagaya  genannt, 
und  unter  dem  berühmten  Bodhi-Baume,  dem  Baume  der  Er- 
kenntniss,  sitzend,  gewinnt  er  endlich  die  ersehnte  Erleuchtung, 
wird  ein  Erleuchteter,  wird  Buddha. 

Was  der  Qakya-Sohn  unter  jenem  Baume  durchlebt  hat, 
ist  wiederum  von  der  späteren  Legende  mit  phantastischen 
Ausschmückungen  ausgestattet  worden.  Mära,  der  Versucher, 
der  Gott  des  Todes  und  der  Sünde,  sieht,  dass  der  Qakya-Sohn 
nahe  daran  ist,  die  Erleuchtung  zu  erlangen,  und  er  weiss, 
dass  sein  eigenes  Reich  dann  gefährdet  ist;  darum  versucht  er 
mit  allen  Mitteln  das  Zustandekommen  jener  Erleuchtung  zu 
hindern.  Von  unerm esslichen  Heerschaaren,  Riesen,  Löwen, 
Tigern,  Schlangen  u.  8.  w.  umgeben,  selbst  auf  einem  150  Meilen 
hohen  Elephanten  reitend  greift  er  den  sinnenden  Asketen  an. 
Aber  alle  Angriffe  prallen  erfolglos  ab.  Auch  in  einem  Wort- 
kampf unterliegt  der  Versucher;  und  als  endlich  auch  seine 
verführerisch  schönen  Töchter  mit  allen  ihren  Reizen  den 
(JAkya-Sohn  nicht  aus  seiner  Ruhe  bringen  können,  da  ist  der 
Sieg  gewonnen,  und  der  Versucher  muss  das  Feld  räumen.4 


1  8.  Oldenberg  a,  a.  0.  p.  107. 

9  Arata  Ealama  und  Rudraka  (auch  üdraka,  im  Pali  Uddaka).  — 
S.  Oldenberg  p.  108.  Eoeppen  a.  a.  0.  Bd.  I,  p.  86. 
»  Im  Pili  Urnvela. 

*  Vgl.  die  Schilderungen  bei  Eoeppen,  a.  a.  0.  p.  88~90. 


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Diese  Schilderung  ist  den  alten  P Ali-Texten  fremd.  Nach 
ihnen  ist  es  lediglich  eine  Reihe  verschiedener  Seelenzustände, 
die  der  Qakya-Sohn  dort  unter  dem  Baume,  nach  der  Erkennt- 
niss  ringend,  durchmacht.  Und  endlich  geht  ihm  die  Er- 
leuchtung auf;  er  erkennt  das  Leiden  der  Welt,  seine  Ursache 
und  den  Weg,  der  zu  seiner  Aufhebung  fuhrt.  Er  selbst 
erzählt: 

„Da  ich  solches  erkannte  und  da  ich  solches  schaute, 
ward  meine  Seele  erlöst  von  der  Sünde  der  Begier,  erlöst  von 
der  Sünde  des  irdischen  Wesens,  erlöst  von  der  Sünde  des 
Irrens,  erlöst  von  der  Sünde  des  Nichtwissens.  In  dem  Erlösten 
erwachte  das  Wissen  von  der  Erlösung:  vernichtet  ist  die 
Wiedergeburt,  erfüllt  der  heilige  Wandel,  gethan  die  Pflicht, 
nicht  werde  ich  zu  dieser  Welt  zurückkehren;  also  erkannte 
ich  « 1 

Viermal  sieben  Tage  bleibt  er  fastend  unter  dem  Baume 
der  Erkenntniss.  Er  lässt  die  Verkettungen  von  Ursache  und 
Wirkung  an  seinem  Geiste  vorüberziehen,  jenen  grossen  Causal- 
nexus,  der  mit  dem  „Nichtwissen"  als  der  ersten  Ursache  be- 
ginnt und  als  letzte  Frucht  „Geburt,  Alter  und  Tod,  Schmerz 
und  Klagen,  Leid,  Kümmerniss  und  Verzweiflung*'  hervorbringt. 
Wird  aber  die  erste  Ursache  aufgehoben,  so  wird  auch  alles 
Leid  überwunden.  In  triumphirender  Freude  über  die  gewon- 
nene Erkenntniss  bricht  er  zuletzt  in  die  Worte  aus: 

Wenn  sich  enthüllt  ewiger  Ordnung  Walten 

Dem  Sinnen,  dem  glühenden,  des  Brahmanen, 

Zu  Boden  wirft  er  des  Versuchers  Schaaren, 

Der  Sonne  gleich,  die  durch  den  Luftraum  Licht  strahlt.2 

Nun  aber  tritt  nach  einigen,  wahrscheinlich  jüngeren  Be- 
richten Mära,  der  Versucher,  an  ihn  heran  und  will  ihn  be- 
wegen, gleich  in  das  Nirväna  einzugehen.  Er  widersteht,  denn, 
wenn  er  auch  selbst  schon  der  Erlösung  theilhaftig  ist,  so 
weiss  er  doch,  dass  er  erst  noch  den  anderen  Wesen  allen  die 
Lehre  der  Erlösung  predigen  muss,  um  auch  sie  auf  die  rechte 
Bahn  zu  fahren. 

Zwei  Kaufleute  kommen  des  Weges  gezogen,  Trapusha 
und  Bhailika  mit  Namen.  Sie  sind  die  Ersten,  die  den  endlich 
zum  Buddha  Erhöhten  in  seiner  Grösse  erkennen  und  ihm 
huldigen. 


1  S.  Oldenberg  a.  a.  0.  p.  109.  110. 
•  S.  Oldenberg  a.  a.  0.  p.  116.  117. 


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Darnach  aber  wird  Buddha  von  der  quälenden  Sorge  er- 
fasst,  ob  die  Menschheit,  in  ihrem  irdisch- thörichten  Treiben 
befangen,  ihn  auch  werde  verstehen  und  begreifen  können. 
Wenn  nicht,  dann  würde  er  ja  nur  nutzloser  Mühe  und  Noth 
sich  unterziehen;  und  er  neigt  sich  dazu,  die  Lehre  nicht  zu 
predigen.  Da  aber  steigt  Brahma  Sahampati  in  eigener 
Person  vom  Himmel  herab  und  fleht  den  Erhabenen  knieend 
und  mit  gefaltenen  Händen  an,  die  Lehre  dennoch  zu  predigen, 
zum  Heile  der  Welt.    Endlich  gewährt  Buddha  die  Bitte. 

Er  zieht  nun  nach  Benares,  wo  seine  früheren  fünf  Ge- 
nossen weilen,  und  dort  findet  in  dem  Gazellengehölz  die  be- 
rühmte erste  Predigt  statt,  wo  der  Erhabene  die  vier  heiligen 
Wahrheiten  verkündet,  welche  fortab  die  Grundpfeiler  des 
Buddhismus  bilden. 

Der  Erhabene  sprach:  „Thut  euer  Ohr  auf,  ihr  Mönche, 
die  Erlösung  vom  Tode  ist  gefunden!*  —  „Zwei  Enden1  giebt 
ee,  ihr  Mönche,  von  denen  muss,  wer  ein  geistliches  Leben 
fuhrt,  fern  bleiben.  Welche  zwei  Enden  sind  das?  Das  eine 
ist  ein  Leben  in  Lüsten,  der  Lust  und  dem  Genuss  ergeben; 
das  ist  niedrig,  unedel,  ungeistlich,  unwürdig,  nichtig.  Das 
andere  ist  ein  Leben  der  Selbstpeinigung;  das  ist  trübselig, 
unwürdig,  nichtig.  Von  diesen  beiden  Enden,  ihr  Mönche,  ist 
der  Vollendete  fern  und  hat!  den  Weg,  der  in  ihrer  Mitte  liegt, 
erkannt,  den  Weg,  der  das  Auge  aufthut  und  den  Geist  auf- 
teilt, der  zur  Ruhe,  zur  Erkenntnist,  zur  Erleuchtung,  zum 
Nirvana  führt  Und  welches,  ihr  Mönche,  ist  dieser  Weg  in 
der  Mitte,  den  der  Vollendete  erkannt  hat»  der  das  Auge  auf- 
thut und  den  Geist  aufthut,  der  zur  RuhcT,  zur  Erkenn  tniss, 
zur  Erleuchtung,  zum  Nirvana  führt?  Es  ist  dieser  heilige 
aihttheilige  Pfad,  der  da  heisst:  rechtes  Glauben,  rechtes  Ent- 
schliessen,  rechtes  Wort,  rechte  That,  rechtes  Leben,  rechtes 
Streben,  rechtes  Gedenken,  rechtes  Sich  versenken.  Dies,  ihr 
Mönche,  ist  der  Weg  in  der  Mitte,  den  der  Vollendete  erkannt 
hat,  der  das  Auge  aufthut  und  den  Geist  aufthut,  der  zur  Ruhe, 
zur  Erkenntni88,  zur  Erleuchtung,  zum  Nirvana  führt. 

Dies,  ihr  Mönche,  ist  die  heilige  Wahrheit  vom  Leiden: 
Geburt  ist  Leiden,  Alter  ist  Leiden,  Krankheit  ist  Leiden,  Tod 
ist  Leiden,  mit  Unliebem  vereint  sein  ist  Leiden,  von  Liebem 
getrennt  sein  ist  Leiden,  nicht  erlangen  was  man  begehrt  ist 
Leiden,  kurz  das  fünffache  Haften  (am  Irdischen)  ist  Leiden. 

Dies,  ihr  Mönche,  ist  die  heilige  Wahrheit  von  d«r 


1  D.  h.  rwei  Extreme. 


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Entstehung  des  Leidens:  es  ist  der  Durst  (nach  Sein),  der 
von  Wiedergebart  zu  Wiedergeburt  fuhrt,  sammt  Lust  und  Be- 
gier, der  hier  und  dort  seine  Lust  findet:  der  Durst  nach 
Lüsten,  der  Durst  nach  Werden,  der  Durst  nach  Macht 

Dies,  ihr  Mönche,  ist  die  heilige  Wahrheit  von  der 
Aufhebung  des  Leidens:  die  Aufhebung  dieses  Durstes  durch 
gänzliche  Vernichtung  des  Begehrens,  ihn  fahren  lassen,  sich 
seiner  entäussern,  sich  von  ihm  lösen,  ihm  keine  Stätte  ge- 
währen. 

Dies,  ihr  Mönche,  ist  die  heilige  Wahrheit  von  dorn 
Wege  zur  Aufhebung  des  Leidens:  es  ist  dieser  heilige 
achttheilige  Pfad,  der  da  heisst:  rechtes  Glauben,  rechtes  Ent- 
schließen, rechtes  Wort,  rechte  That,  rechtes  Leben,  rechtes 
Streben,  rechtes  Gedenken,  rechtes  Sichversenken.  

Ich  habe  es  erkannt  und  geschaut:  unverlierbar  ist  meines 
Geistes  Erlösung;  dies  ist  meine  letzte  Geburt,  nicht  giebt  ee 
hinfort  für  mich  neue  Geburten."1 

Jene  fünf  Mönche  bekehren  sich  nun  wirklich  zur  Lehre 
Buddha's.  Er  zieht  nach  Uruvilva,  predigt  tausend  brahmani- 
schen  Einsiedlern  die  Lehre,  und  auch  diese  bekehren  sich  zu 
ihm.  Dann  zieht  er  weiter  nach  Rajagriha,  der  Hauptstadt 
des  Magadha-  Reiches.  König  Bimbisara  zieht  ihm  mit  unge- 
heurem Gefolge  entgegen,  hört  die  Predigt  des  Buddha  und 
schliesst  sich  als  Laiengenosse  der  Gemeinde  an.  Diese  Ge- 
meinde wächst  nun  bald  in  gewaltigen  Dimensionen;  hervor- 
ragende Jünger  werden  gewonnen  und  eine  unzählige  Menge 
von  Anhängern.  Und  so  zieht  Buddha  viele  Jahre  lehrend  und 
predigend,  von  Almosen  lebend,  im  Lande  umher.  Insbesondere 
bewegt  er  sich  im  Reiche  der  Kocala,  in  Kaci  und  Magadha, 
dem  heutigen  Oude  und  Bihar,  also  in  den  östlichen  Gebieten 
des  Ganges -Landes.  Die  westlichen  Lande,  der  alte  und  fe- 
steste Sitz  des  Brahmanenthums,  werden  von  ihm  auf  seinen 
Reisen  zwar  auch  berührt,  aber  doch  seltener.  Hauptstationen 
waren  für  ihn  die  Residenzen  des  Kocala-  und  des  Magadha- 
Landes,  Crävasti  und  Rajagriha.  In  der  Nähe  mancher  Städte 
wurden  dor  Mönchsgemeinde  besondere  Haine' zum  Aufenthalte 
eingeräumt  und  Klöster  gebaut  Ein  berühmter  solcher  Hain 
war  der  Venuvana8  oder  Bambushain,  vormals  ein  Lusthain 
des  Königs  Bimbisara  von  Rajagriha,  den  dieser  fromme  Fürst 
den  Buddha- Jüngern  geschenkt;  ein  anderer  war  der  Jeta- 


1  Nach  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  129—131. 
*  Im  Pali  „Veluvana". 


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vana  bei  Crävasti,  Geschenk  des  reichen  Kaufmanns  Anatha- 
pindika 

Die  engere,  eigentliche  Gemeinde  des  Buddha  bestand  in 
einem  Orden  von  Bettelmönchen,  Bhikshu  (Bettler)  oder  Cranrana 
(Asketen)  genannt  In  weiterem  Sinne  konnten  sich  aber  auch 
Laien  der  Buddha- Lehre  anschliessend  die  dann  in  ihren  ge- 
wöhnlichen Lebensverhältnissen  verblieben;  sie  wurden  Upä- 
8aka'8  oder  „Verehrer"  genannt.  In  den  engeren  Orden  wurden 
ursprünglich  keine  Frauen  aufgenommen,  und  erst  nach  einigem 
Widerstreben 1  entschloss  Bich  Buddha  endlich  auf  die  Fürbitte 
seines  Lieblingsjüngers  Ananda,  dieselben  zuzulassen,  wenn  auch 
immer  nur  in  mehr  untergeordneter  Stellung;  so  bildete  sich 
neben  der  Mönchsgemeinde  auch  eine  Gemeinde  von  Nonnen. 

Innerhalb  der  Gemeinde  war  der  Unterschied  der  Kasten 
aufjgehoben.  Beim  Eintritt  in  dieselbe  musste  man  auf  etwaige 
Kastenvorrechte  verzichten.  Darüber  sagte  Buddha:  „Wie,  ihr 
Jünger,  die  grossen  Ströme,  so  viel  ihrer  sind,  die  Gafigä,  die 
Yamuna»  die  Aciravati,  die  Sarabhü,  die  Mahl,  wenn  sie  den 
grossen  Ocean  erreichen,  ihren  alten  Namen  und  ihr  altes  Ge- 
schlecht verlieren  und  nur  den  einen  Namen  führen:  der  grosse 
Ocean,  so  auch,  ihr  Jünger,  diese  vier  Kasten,  Adlige  und  Brah- 
manen,  Väicja  und  Qudra,  wenn  sie  nach  der  Lehre  und  dem 
Gesetz,  das  der  Vollendete  verkündet  hat,  ihrer  Heimath  ent- 
sagen und  in  die  Heimathslosigkeit  gehen,  verlieren  sie  den 
alten  Namen  und  das  alte  Geschlecht  und  fuhren  nur  den  einen 
Namen:  Asketen,  die  dem  ^akya-Sohne  anhangen."' 

Das  ist  gewiss  wichtig;  indessen  war  es  nicht  Buddha,  der 
den  niederen  Klassen  dieses  Recht  erstritt  Es  bestand  schon 
vorher.  Der  Stand  der  Qramana,  zu  dem  ein  Jeder  Zutritt 
hatte,  stand  lange  schon  in  öffentlichem  Ansehen.  Dieser  Zu- 
stand der  Dinge  war  dazumal,  der  buddhistischen  Tradition 
zufolge,  ein  unangefochtener  und  gleichsam  selbstverständ- 
licher.5 

In  diesem  Zusammenhange  mag  auch  noch  als  bemerkens- 
werth  hervorgehoben  werden,  dass  zu  den  Jüngern  Buddha's 
gerade  vorwiegend  Söhne  edler  Geschlechter  gehörten,  Brah- 
manen,  viele,  die  schon  früher  Einsiedler  oder  Asketen  gewesen 
waren,  Adlige,  Söhne  reicher  Kaufleute  und  Beamten  u.  dgl.  m. 
Die  Betheiligung  der  niederen  Volksklassen,  der  Armen  und 


1  Vgl.  Ohlenberg  a.  a.  0.  p.  168. 
1  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  154. 
•  VgL  Oldenberg  p.  156. 


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Elenden  ist  eine  weit  geringere.1  Ausdrücklich  werden  sogar 
Sklaven,  Soldaten,  kränkliche  und  gebrechliche  Leute  von  der 
Mönchsgemeinde  ausgeschlossen.1 

Unter  den  Gegnern  Buddha's  bildeten  die  Brahmanen,  die 
Anhänger  des  Veda  und  der  Opferwissenschaft,  nur  einen  TheiL 
Vielleicht  damals  noch  gefährlichere  Gegner  waren  die  Häupter 
anderer  Mönchsorden. 

Geeen  das  Oüferwesen  nolemisirt  Buddha  stark,  desgleichen 
gegen  die  vedische  Schriftgelehrsamkeit,  die  er  als  hohl  und 
leer  darstellt,  oder  gar  als  Betrügerei.  Ebenso  wird  der  brah- 
manische  Kastenhochmuth  von  ihm  gegeisselt* 

So  sehen  wir  denn  den  Qakya-Sohn  in  der  That  als  ent- 
schiedenen Gegner  der  Brahmanen,  aber  die  braJimanische 
Speculation  hatte  ihren  Ausgangs-  und  Stützpunkt,  das  Opfer, 
eigentlich  bereits  selbst  aufgelöst,  wenigstens  theoretisch,  Eft 
war  ganz  künstlich,  wenn  man  das  Alte  mit  dem  Neuen  noch 
zusammen  zu  erhalten  suchte.  Buddha  wirft  jenes  Alte,  den 
Veda  und  das  Opfer,  ganz  fort,  und  will  nur  noch  die  innere 
Läuterung,  Erkenn tniss,  Erlösung.  Vom  Opfer  will  er  nichts 
wissen.  Einem  Brahmanen,  der  ihn  nach  den  Eigenschaften 
eines  rechten  Opfers  fragt,  erwidert  er:  „Das  höchste  Opfer, 
das  ein  Mensch  bringen  kann,  und  der  höchste  Segen,  dessen 
er  theilhaftig  werden  mag,  ist,  wenn  er  die  Erlösung  erringt 
und  die  Gewissheit  gewinnt:  nicht  werde  ich  wieder  zu  dieser 
Welt  zurückkehren.  Das  ist  die  höchste  Vollendung  alles 
Opfers,"  4 

Die  anderen  Mönchsorden,  namentlich  die  Jaina's,  ähneln 
in  ihren  Lehren  vielfach  sehr  den  Buddhisten.  Ein  wichtiger 
Unterschied  von  den  meisten  derselben  liegt  in  Buddha's  Ver- 
werfung aller  strengen  Askese  und  SelbBtpeinigung.  Er  ver- 
gleicht das  rechte  geistliche  Leben  mit  einer  Laute,  deren 
Saiten  nicht  zu  lose  und  nicht  zu  straff  gespannt  sein  müssen, 
wenn  der  rechte  Ton  zu  Stande  kommen  soll.6  In  der  vorhin 
mitgetheilten  berühmten  Predigt  im  Gazellengehölz  zu  Benares 
trat  dieser  Gegensatz  Buddha's  zur  Askese  auch  bereits  deutlich 
hervor. 

*  Vgl.  Kern,  BuddhismuB,  Bd.  I.  p.  563:  „Es  las  st  sich  kein  Be- 
weis für  die  Behauptung  aufUhren,  dass  die  Lehre  des  Meisten  in  erster 
Linie  oder  hauptsächlich  für  die  niederen  Klassen  bestimmt  gewesen  sei." 

*  Vgl.  Kern,  Buddhismus,  Bd.  I,  p.  563  Anm.  —  Als  Laie  wurde 
übrigens  Jedermann  zugelassen. 

*  Vgl  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  175. 

*  S.  Oldenberg  a.  a.  Q.  p.  176. 

*  Vgl.  Oldenberg  a.  a.  0.  p.  179. 


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—   271  — 

Nach  langdauerndem  Wirken  stirbt  Buddha  endlich  in 
einem  Alter  von  achtzig  Jahren,  wohl  um  480  v.  Chr.  Die 
Sal-Bäume,  unter  denen  der  Sterbende  sich  hinlegt,  bedecken 
sich  über  und  über  mit  Blüthen,  obgleich  es  damals  nicht  die 
Blüthezeit  jener  Bäume  war.  Unter  ihnen  lagert  sich  Buddha 
wie  ein  Löwe.  Blüthen  fallen  auf  ihn  herab,  ein  Blumenregen 
strömt  vom  Himmel,  und  himmlische  Weisen  ertönen  von  oben, 
um  den  sterbenden  Heiligen  zu  ehren.1  Schaaren  von  Gläubigen 
strömen  herbei  Sterbend  ermahnt  er  Ananda,  seinen  Lieblings- 
jünger, nicht  zu  trauern,  weil  der  Meister  sterbe:  „Die  Lehre, 
Ananda,  und  die  Ordnung,  die  ich  euch  gelehrt  und  verkündigt 
habe,  die  ist  euer  Meister,  wenn  ich  hingegangen  bin."  Seine 
letzten  Worte  zu  den  Jüngern  waren:  „Wohlan,  ihr  Jünger, 
ich  rede  zu  euch;  vergänglich  ist  Alles,  was  da  geworden  ist; 
ringet  ohne  Unterlasse  Dann  ging  er  ins  Nirvana  ein.  Da 
soll  Brahma  diesen  Spruch  gesagt  haben: 

In  den  Welten  die  Wesen  all  legen  einst  ab  die  Leiblichkeit, 

So  wie  jetzt  Buddha,  der  Siegesfürst,  der  höchste  Meister  aller  Welt, 

Der  Machtige,  Vollendete,  zum  Nirvana  ist  gangen  ein.* 

Die  Lehre  Buddha's  schliesst  sich  an  die  philosophische 
Gedankenentwickelung  der  vorausgehenden  Zeit  an,  baut  sich 
auf  einer  festausgeprägten  philosophischen  Weltansicht  auf, 
umfasst  in  sich  eine  besondere  Metaphysik,  unterscheidet  sich 
also  durch  diesen  Ausgangspunkt  wesentlich  von  der  Lehre 
anderer  Religionsstifter.  Man  hat  sie  nicht  mit  Unrecht  einen 
philosophischen  Pessimismus  genannt*  Durch  lange  Reihen 
abstracter  Gedanken  will  Buddha  den  Beweis  hefern,  dass  in 
Wirklichkeit  alles  Leiden  schliesslich  aus  einer  Quelle  fliesst, 
dem  Nichtwissen.4  Aber  trotz  dieser  abstracten  Voraussetzungen 
trägt  die*  Lehr'e  des  Qakya- Sohnes  deunoch  einen  eminent 
praktischen  Charakter  an  sich.  Das  sehnsuchtsvoll  erstrebte 
Ziel  ist  die  Erlösung,  und  der  Heilige  will  der  Menschheit  nur 
das  offenbaren,  was  zum  Heil,  zur  Erleuchtung,  zur  Erlösung 
dient  Darum  sagt  er:  „Wie  das  grosse  Meer,  ihr  Jünger,  nur 
von  einem  Geschmack  durchdrungen  ist,  von  dem  Geschmack 


1  S.  Oldenberg  a.  a.  0.  p.  205. 

*  Oldenberg  a.  a.  0.  p.  207. 

*  Vgl.  Kern,  Buddhismus,  Bd.  I,  p.  562.  Weil  sie  eben  diesen 
Charakter  an  sich  traft,  wendet  sie  sich  durchaus  nicht  speciell  dem 
Elend  der  niederen  Volksklasaen  zu. 

4  Die  zum  Theil  ziemlich  verzwickte  Causalitatsreihe  de9  Buddha, 
die  Formel  vom  „Causalnezus  des  Entstehens14  kann  man  näher  kennen 
lernen  aus  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  22d  flg. 


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des  Salzes,  also  ist  auch,  ihr  Jünger,  diese  Lehre  and  diese 
Ordnung  nur  Ton  einem  Geschmack  durchdrungen,  von  dem 
Geschmack  der  Erlösung."1 

Den  eigentlichen  Ausgangspunkt  der  Lehre  Buddha's  bildet 
die  tiefe  Ueberzeugung  von  dem  Leiden  dieser  Welt,  von 
dem  Elend  des  Daseins.  Die  vier  heiligen  Wahrheiten, 
welche  durchaus  den  Kernpunkt  der  buddhistischen  Lehre Ä 
ausmachen,  den  Angelpunkt,  um  den  sich  Alles  dreht,  handeln 
nur  vom  Leiden  und  seiner  Aufhebung.  Die  meisten  anderen 
Kategorieen  und  Sätze  haben  die  Buddhisten  mit  anderen 
Religiösen  Indiens  gemein;  diese  vier  heiligen  Wahrheiten  aber 
treten  stets  als  dasjenige  hervor,  was  die  Anhänger  Buddha's 
von  allen  Andersgläubigen  unterscheidet8  Alles  Leben  ist 
Leiden,  —  von  dieser  Ueberzeugung  ist  Buddha  tief  durch- 
drungen, und  sein  einziges  Streben  ist  darauf  gerichtet,  die 
Erlösung' von  diesem  Leiden  zu  finden,  in  welches  die  Wesen 
durch  das  Gesetz  der  Seelenwanderung  hinein  gebannt  sind. 

Man  hat  den  Buddhismus  völlig  missverstanden,  wenn  man 
ihm  die  Anschauung  zu  Grunde  legte,  dass  das  wahre  Wesen 
alles  dessen,  was  ist,  das  Nichts  sei.  Vom  Nichts  ist  in 
Buddha's  eigner  Lehre  nirgends  die  Rede.  Wenn  Buddha  sich 
von  dieser  Welt  abwendet,  so  geschieht  es  nicht,  weil  er  sie 
für  ein  blosses  Scheinbild  erklärt,  das  eigentlich  ein  Nichts 
sei,  sondern  weil  sie  Leiden  und  nichts  als  Leiden  in  sich 
birgt.4 

Dieser  Gedanke,  mit  der  Kraft  einer  unerschütterlichen 
Ueberzeugung  ausgesprochen,  muss  wie  mit  dämonischer  Gewalt 
auf  die  Gemüther  der  Menschen  in  jener  Zeit  gewirkt  haben. 
Er'  tritt  als  etwas  Neues  auf  und  versetzt  die  Menschen,  die 
so  lange  an  dem  Sein  und  seiner  Lust  gehangen  und  die  dann 
lange,  lange  schon  tiefe  Unbefriedigung  gefühlt,  mit  einem 
Male  in  eine  völlig  neue  Empfindungswelt  und  eröffnet  ihnen 
die  Aussicht  auf  Befreiung  von  dem,  was  sie  unbewusst  schon 
lange  als  Qual  empfunden.  Hier  muss  das  Fascinirende  von 
Buddha's  Predigt  und  Persönlichkeit  gelegen  haben.  Alles 
Vergängliche,  Veränderliche  ist  dem  Leiden  unterworfen;  alles 
Sein  aber  ist  vergänglich  und  veränderlich,  und  darum  ist  alles 
Sein  dem  Leiden  unterworfen.     Ewig,  unentrinnbar  scheint 


1  S.  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  209. 

•  Des  sogenannt/m  Dharma  (im  Päli  Dhamma). 

*  Vgl.  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  214. 

4  Vgl.  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  216.  217. 


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-    273  — 


dieses  Leiden,  das  der  Seelen  Wanderungsglaube  in  die  Unend- 
lichkeit verlängert  Geburt,  Alter  und  Tod  sind  es,  die  das 
Leiden  bedingen;  wenn  diese  drei  nicht  wären,  so  wäre  der 
Vollendete  nicht  erschienen,  lehren  die  buddhistischen  Bücher.1 

Buddha  sagte:  „Die  Wanderung  (sainsara)  der  Wesen,  ihr 
Jünger,  bat  ihren  Beginn  in  der  Ewigkeit.  Kein  Anfang  lässt 
sich  erkennen,  von  welchem  an  die  Wesen,  im  Nichtwissen  be- 
fangen, vom  Durst  nach  Dasein  gefesselt,  umherirren  und  wan- 
dern. Wie  meint  ihr,  ihr  Jünger,  was  ist  mehr,  das  Wasser, 
•das  in  den  vier  grossen  Meeren  ist,  oder  die  Thräuen,  die 
geflossen  und  von  euch  vergossen  sind,  wie  ihr  auf  diesem 
weiten  Wege  umherirrtet  und  wandertet,  und  jammertet  und 
weintet,  weil  euch  zu  Theil  wurde,  was  ihr  hasstet,  und  nicht 
zu  Theil  wurde,  was  ihr  hebtet?  —  Der  Mutter  Tod,  des 
Vaters  Tod,  des  Bruders  Tod,  der  Schwester  Tod,  des  Sohnes 
Tod,  der  Tochter  Tod,  Verlust  der  Verwandten,  Verlust  der 
Güter,  das  Alles  habt  ihr  durch  lange  Zeiten  erfahren.  Und 
indem  ihr  durch  lange  Zeiten  dies  erfuhrt,  sind  der  Thräuen 
mehr  geflossen  und  von  euch  vergossen,  wie  ihr  auf  diesem 
weiten  Wege  umherirrtet  und  wandertet  und  jammertet  und 
weintet,  weil  euch  zu  Theil  wurde,  was  ihr  hasstet,  und  nicht 
zu  Theil  wurde,  was  ihr  liebtet,  als  alles  Wasser,  das  in  den 
vier  grossen  Meeren  ist."2 

Macht  euch  IVei  von  Lust  und  Leid  dieser  Welt,  nur  dann 
könnt  ihr  Erlösung  finden! 

Laut  und  eindringlich  tönt  diese  Lehre  von  der  Nichtig- 
keit aller  irdischen  Lust,  von  der  Thorheit,  ihr  nachzujagen, 
uns  aus  dem  Dhammapada,  der  schönsten  Sammlung  buddhi- 
stischer Sprüche,  entgegen.  Wie  mag  man  Scherz  und  Lust 
pflegen,  da  doch  das  Verderben  uns  rings  umgiebt? 

„Blumen  sammelt  der  Mensch,  nach  Lust  stoht  sein  Sinn; 
wie  über  ein  Dorf  Wasserfluthen  bei  Nacht,  so  kommt  der  Tod 
über  ihn  und  rafft  ihn  hin." 

Aus  irdischer  Freude,  aus  irdischer  Liebe  wird  doch  nur 
Leid  und  Furcht  geboren;  Leid  und  Tod  verfolgen  uns;  Be- 
freiung vermag  nur  der  zu  gewinnen,  der  auf  diese  Welt  hinab- 
schaut wie  auf  ein  LuftgebiJd,  eine  Schaumblase;  der  sich  von 
allen  Fesseln  löst,  die  uns  an  das  Dasein  knüpfen.3 

1  Vgl.  die  Stelle  aus  dem  Anguttara  Nikaya  bei  Oldenberg  a. a.  0. 


1  S. Oldeuberg  a.  a.  0.  p.  221. 

3  Ygl.  Oldenberg  a.  a.  0.  p.  223.  224.  Dass  übrigens  ßuddha  mit 
dieser  Lehre  von  der  Notwendigkeit,  sich  von  allen  irdischen  Banden, 


p.  221. 


t.  Sehrüder,  TnOt«n»  Lit.  u.  Cult. 


18 


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—    274  — 

Es  ist  die  Poesie  des  Weltschmerzes,  die  in  Buddba's 
Predigt  zum  ersten  Mal  mit  räthselhafter  Gewalt  die  Herzen 
erfasst  und  bald  ganze  Völker  in  ihren  Bann  zwingt  Aber 
nicht  trübsinnig  und  traurig  ist  die  Stimmung  des  gläubigen 
Buddhisten,  —  das  lehren  uns  die  buddhistiscnen  Bücher  mit 
unzweifelhafter  Gewissheit.  Nein,  ihn  erhebt  das  herrliche  Be- 
wusstsein,  die  Erlösung  aus  all  diesem  Leid  gefunden  zu 
haben,  und  mit  siegesfreudiger  Gewissheit  strebt  er  dem  letzten 
Ziele  zu. 

Das  Nichtwissen,  jene  Wurzel  alles  Uebels,  war  für  den% 
philosophirenden  Brahmaneu  das  Nichtwissen  von  der  Identität 
des  eigenen  Ich  mit  jenem  grossen  Ich,  welches  die  Quelle  und 
der  Inbegriff  aller  Ichheit  ist.  Für  den  Buddhisten  aber  ist  es 
das  Nichtwissen  von  den  vier  heiligen  Wahrheiten,  also  vom 
Leiden,  seiner  Entstehung  und  seiner  Aufhebung.  Alles  Sein 
ist  Leiden,  aber  das  Nichtwissen  spiegelt  uns  statt  dessen  ein 
Trugbild  von  Glück  und  Lust  vor,  dem  wir  nachjagen,  nur  um 
in  immer  neues  Leiden  zu  verfallen.  Es  verhindert  uns  daran, 
den  wahren  Werth  oder  richtiger  den  Unwerth  alles  Daseins 
zu  erkennen  und  ist  damit  die  Wurzel  alles  Leidens.1  Erst 
die  Vernichtung  dieses  Nichtwissens,  die  Zerstörung  alles 
falschen  Scheines  fuhrt  zur  Erlösung;  denn  „Leiden  nur  ent- 
steht, wo  etwas  entsteht;  Leiden  vergeht,  wo  etwas  vergeht*4 » 

Noch  Eines  möchte  ich  als  charakteristisch  für  die  buddhi- 
stische Weltanschauung  hervorheben.  Es  ist  die  Ueberzeugung 
von  der  absoluten  Gesetzmässigkeit  des  Weltprocesses,  von  dem 
unbedingten  Walten  des  Causalitätsgesetzes.  Woher  diese  Cau- 
salität  stammt,  wird  nicht  weiter  gefragt.  Der  Buddhismus 
führt  die  Welt  und  die  in  ihr  wirkenden  Gesetze  weder  auf 
einen  Schöpfer  zurück,  noch  lässt  er  sie  sich  aus  einer  Ur- 
substanz  entwickeln.  Er  nimmt  ihr  Dasein  und  diese  Gesetze 
als  ein  Gegebenes,  eine  Thatsache  hin.9  Und  darin  offenbart 
der  Buddhismus  wieder  seine  durchaus  praktische  Richtung. 
Die  Beantwortung  der  letzten  metaphysischen  Fragen  weist  er 
ab;  er  will  nur  geben,  was  zum  Heil,  zur  Erlösung  dient. 


allem  Begehren  und  Wünschen  zu  befreien,  ebenfalls  an  frühere  brah- 
manische  Gedanken  anknüpft,  geht  aus  dem  hervor,  was  wir  oben  z.  B. 
au«  der  Ka$haka-Upanishad  angeführt  haben  (i.  oben  p.  238).  Er  muai 
oi  aber  verstanden  haben,  mit  ganz  anderer,  ganz  neuer  Gewalt,  das 
Herz  der  Menschen  für  diese  Lehre  zu  gewinnen. 

1  Vgl  Oldenberg  a.  a.  0.  p.  247. 

3  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  255. 

*  Oldenberg.  a.  a.  0.  p.  257. 


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-   276  - 

„Ihr  Jünger,  sagt  Buddha,  denkt  nicht  Gedanken  wie  die 
Welt  sie  denkt:  die  Welt  ist  ewig  oder  die  Welt  ist  nicht 

ewig;  die  Welt  ist  endlich  oder  die  Welt  ist  unendlich.  

Wenn  ihr  denkt,  ihr  Jünger,  so  mögt  ihr  also  denken:  Dies 
ist  das  Leiden!  ihr  mögt  denken:  Dies  ist  die  Entstehung  des 
Leidens!  ihr  mögt  denken:  Dies  ist  die  Aufhebung  des  Leidens! 
ihr  mögt  denken:  Dies  ist  der  Weg  zur  Aufhebung  des 
Leidens!«*1  * 


1  S.  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  258. 


181 


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Neunzehnte  Vorlesung. 


Dm  Ninrana  —  ein  Sein  oder  ein  Nichtsein?  Antwort  Buddha'»  auf 
diese  Frage,  nach  der  Legende.  Stellung  der  altbuddhistischen  Kirche 
diesem  Punkte  gegenüber.  Geschichte  des  Mönches  Yamaka.  Antwort 
der  Nonne  Khema.  Die  Moral  des  Buddhismus.  Geschichte  des  Prinzen 
Kunala.  Hingabe  des  eigeneu  Leibes  und  Lebens.  Meditation  und  Weis- 
heit. Die  buddhistwebe  Gemeinde  und  der  Cultus.  Die  Concilien  und 
der  Canon.  Das  Dhammapada.  Die  Jataka's.  Anhang  (die  wichtigsten 
Quellen  zum  Studium  des  Buddhismus  und  seiner  Geschichte). 


Das  höchste  Ziel  des  gläubigeu  Buddbisten  besteht  darin» 
dereinst  toi  den  Fesseln  der  Seelen  Wanderung  befreit  ins 
Nirvana  einzugehen,  wie  Buddha  selbst  bei  seinem  Tode  ins 
Nirvana  eingegangen  ist.  Was  aber  hat  man  sich  unter  dem 
„Nirväna"  zu  denken?  Es  ist  in  unseren  Tagen  viel  über  diese 
Frage  gestritten  worden.  Das  Wort  „Nirväna* 1  bedeutet  seiner 
Etymologie  nach  soviel  als  „das  Verwehen,  Verlöschen".  Dar- 
nach war  man  früher  meistenteils  der  Meinung,  es  sei  mit 
diesem  Worte  die  allendliche  totale  Vernichtung  der  Existenz, 
das  Eingehen  in  das  Nichts  bezeichnet1  Aber  gegen  diese 
Auffassung  erhub  Max  Müller  seine  gewichtige  Stimme,  indem 
er* zu  zeigen  suchte,  dass  das  Nir?ana  bei  den  Buddhisten  die 
höchste  Vollendung,  nicht  aber  die  Aufhebung  des  Daseins 
bedeute.11  In  der  durch  ihn  angeregten  wissenschaftlichen 
Discussion  ist  dann  weiter  noch  vou  verschiedenen  Gelehrten 
wichtiges  Material  zur  Klarlegung  dieser  schwierigen  und  sub- 
tilen Frage  beigebracht  worden.  Es  ist  dabei  von  Wichtigkeit, 


1  Von  der  Wurzel  va  „wehen-4  mit  der  Präposition  nis  „aus,  weg. 

ver-". 

*  So  fasste  es  auch  Burnouf,  und  im  Anschluss  an  ihn  Koeppen 
a.  a.  0.  Bd.  1,  p.  306. 

*  In  der  EinL  zu  Rogers,  Buddhaghosha'a  Parables,  p.  XXXIX  flg 


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—  277 


die  Ansichten  der  Buddhisten  späterer  Zeit  zu  unterscheiden 
von  dem,  was  die  Gemeinde  in  der  ältesten  Zeit  darüber  lehrte 
und  als  Buddha'8  Lehre  angab.  Auch  in  diese  Frage  hat 
Oldenberg's  Buch  neues  und  interessantes  Licht  gebracht, 
wodurch  dieselbe,  wie  ich  glaube,  wohl  als  endgültig  gelöst 
betrachtet  werden  darf.  Die  alten  heiligen  Schriften  zeigen  es 
nämlich  mit  unzweifelhafter  Deutlichkeit,  dass  Buddha  selbst 
die  Beantwortung  der  Frage,  ob  das  Nirvana  ein  Sein  oder 
ein  Nichtsein  wäre,  direct  zurückweist  und  sogar  darnach  zu 
fragen  verbietet;  und  dass  die  älteste  Gemeinde  auf  diese  oft 
gestellte  Frage  nur  eine  Antwort  kennt:  Der  Erhabene  hat 
das  nicht  offenbart! 

Wir  sehen  auch  hier  wiederum  die  durchaus  ethisch-prak- 
tische Richtung  der  Lehre  des  Buddha  klar  hervortreten.  Es 
ist  uns  unter  Anderem  ein  höchst  interessantes  Gespräch  er- 
halten, in  welchem  Buddha,  gezwungen  auf  die  erwähnte  Frage 
zu  antworten,  einen  Bescheid  giebt,  der  in  der  That  merkwürdig 
genug  ist. 

Es  wird  erzählt,  dass  einst  der  ehrwürdige  Mälukya  zu 
Buddha  kam  und  sein  Befremden  darüber  aussprach,  dass  die 
Predigt  des  Meisters  gerade  eine  Reihe  der  wichtigsten  und 
tiefsten  Fragen  unbeantwortet  lässt.  „Ist  die  Welt  ewig  oder 
ist  sie  zeitlich  begrenzt?  Ist  die  Welt  unendlich  oder  hat  sie 
ein  Erde!  Lebt  der  vollendete  Buddha  (tathagata)  jenseits 
des  Todes  fort?  Lebt  der  Vollendete  jenseits  des  Todes  nicht 
fort?  Dass  dies  Alles  unbeantwortet  bleiben  soll,  sagt  jener 
Mönch,  gefällt  mir  nicht  und  scheint  mir  nicht  recht;  darum 
bin  ich  zum  Meister  gekommen,  ihn  über  diese  Zweifel  zu  be- 
fragen. So  möge  denn  Buddha,  wenn  er  kann,  antworten. 
Wenn  aber  Jemand  etwas  nicht  weiss  und  es  nicht  kennt,  so 
sagt  ein  gerader  Mensch:  Das  weiss  ich  nicht,  das  kenne  ich 
nicht" 

Und  Buddha  erwidert: 

„Wie  habe  ich  doch  früher  zu  dir  gesagt,  Malukyaputta? 
Habe  ich  gesagt:  Komm  Malukyaputta,  und  sei  mein  Jünger; 
ich  will  dich  lehren,  ob  die  Welt  ewig  oder  nicht  ewig  ist,  ob 
die  Welt  begrenzt  oder  unendlich  ist,  ob  die  Lebenskraft  mit 
dem  Körper  identisch  oder  von  ihm  verschieden  ist,  ob  der 
Vollendete  nach  dem  Tode  fortlebt  oder  nicht  fortlebt,  oder 
ob  der  Vollendete  nach  dem  Tode  zugleich  fortlebt  und  nicht 
fortlebt,  oder  ob  er  weder  fortlebt  noch  nicht  fortlebt?" 

„Das  hast  du  nicht  gesagt,  Herr." 

„Oder  hast  du*  fährt  Buddha  fort,  zu  mir  gesagt:  ich  will 


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—   278  — 


dein  Jünger  sein,  offenbare  du  mir,  ob  die  Welt  ewig  oder  nicht 
ewig  ist  u.  s.  w.?u 

Mälukya  muss  auch  dies  verneinen. 

„Ein  Mann,  so  redet  Buddha  jetzt  weiter,  wurde  von  einem 
vergifteten  Pfeil  getroffen;  da  riefen  seine  Freunde  und  Ver- 
wandten einen  Sündigen  Arzt  Wie,  wenn  der  Kranke  nun 
sagte:  Ich  will  meine  Wunde  nicht  behandeln  lassen,  bis  ich 
weiss,  wer  der  Mann  ist,  von  dem  ich  getroffen  bin,  ob  er  ein 
Adliger*  oder' ein  Brahmane,  ob  er  ein  Vaicja  oder  ein  (Judra 
ist  —  oder  wenn  er  sagte:  Ich  will  meine  Wunde  nicht  be- 
handeln lassen,  bis  ich  weiss,  wie  der  Mann  heißet,  der  mich 
getroffen  hat,  und  von  was  für  einer  Familie  er  ist,  ob  er  lang 
oder  kurz  oder  mittelgross  ist,  und  wie  seine  Waffe  beschaffen 
war,  mit  der  er  mich  getroffen  hat  Was  würde  das  Ende  der 
Sache  sein?    Der  Mann  würde  an  seiner  Wunde  sterben." 

Also  Buddha  antwortet  nicht  und  warum?  Weil  solches 
Wissen  nicht  den  Wandel  in  der  Heiligkeit  fördert,  nicht  zum 
Frieden  und  zur  Erleuchtung  dient  Was  dazu  dient  und  nöthig 
ist,  das  hat  Buddha  offenbart  in  den  vier  heiligen  Wahrheiten 
vom  Leiden,  seiner  Entstehung  und  Aufhebung.  „Deshalb,  — 
so  endet  der  Meister  —  Malukyaputta,  was  da  von  mir  nicht 
offenbart  ist,  das  lass  unoffenbart  bleiben,  und  was  offenbart 
ist,  das  lass  offenbart  sein."1 

Die  durchaus  praktische  Stellung  Buddha's  diesen  und 
ähnlichen  Fragen  gegenüber  geht  aus  obigem  Dialog  und  ins- 
besondere aus  dem  unstreitig  höchst  geistvollen  Gleichniss  mit 
grösster  Klarheit  hervor.  Wir  Menschen  hier  auf  Erden  sind 
allesammt  Kranke  und  Wunde,  die  des  Arztes  "bedürfen,  der 
uns  den  Weg  weist,  uns  zu  befreien  von  den  Leiden.  Ins  Weite 
greifende  Fragen,  die  hiermit  nichts  zu  thun  haben,  sind  müssig 
und  sogar  schädlich,  weil  sie  uns  daran  hindern,  die  Heilung 
zu  suchen.  In  dieser  rein  praktischen  Stellung  gegenüber  den 
letzten  metaphysischen  Fragen  erinnert  Buddha  auffallend  an 
Sokrates,  mit  dem  er  auch  in  der  Art,  den  Dialog  zu  fuhren, 
Vieles  gemein  hat 

Ob  Buddha  selbst  über  diesen  Punkt  eine  feste  Meinung 
gehabt  hat  und  welche,  das  lässt  sich  demnach  nur  vermuthen, 
nicht  mit  Sicherheit  entscheiden.   Er  hat  es  nicht  offenbart 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  die  alte  buddhistische 
Gemeinde  von  den  Bekennern  der  Lehre  ausdrücklich  den  Ver- 


1  Ich  entnehme  obige  Mittheilungen  Ohlenberg,  a.  a.  0. 
281—283. 


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■ 

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-  270 


zieht  auf  das  Wissen  vom  Sein  oder  Nichtsein  des  vollendeten 
Seligen  verlangte.1 

In  dieser  Hinsicht  ist  auch  die  Geschichte  des  Mönches 
Yamaka  sehr  belehrend.  Dieser  wagte  es  nämlich,  seino  Mei- 
nung dahin  auszusprechen,  dass  ein  von  Sünden  freier  Mönch 
nach  dem  Tode  nicht  sei,  und  erklärte,  dio  Lehre  des  Er- 
habenen eben  so  zu  verstehen.  Aber  er  wurde  deswegen  der 
Ketzerei  schuldig  befunden  Aind  von  dem  Jünger  Cariputra  eines 
Besseren  belehrt.*  Es  zeigt  uns  dies  deutlich,  wie  vollständig 
Diejenigen  fehl  gingen,  welche  das  NirvAna  als  ein  Aufgehen 
in  das  Nichts  erklärten,  denn  diese  Ansicht  wird  hier  ganz 
direct  als  eine  ketzerische  gebrandmarkt.  Aber  auch  die 
Gegenpartei  hatte  nicht  Recht  Buddhistisch-orthodox  ist  nur 
der  Verzicht  auf  die  Beantwortung  dieser  Frage. 

Wie  in  dem  oben  angeführten  Dialog  an  Buddha  selbst, 
so  tritt  dieselbe  Frage  in  der  Folge  wiederholt  an  seine  Jünger 
heran,  und  es  ist  interessant  zu  sehen,  wie  sie  sich  dem  gegen- 
über verhalten.  In  der  Hauptsache  besagen  ihre  dahingehenden 
Antworten,  dass  hier  ein  Unergründliches,  ünfassbares  vor  uns 
steht,  nach  dem  wir  nicht  forschen  und  fragen  sollen.  Qari- 
putra  sucht  jenen  ketzerischen  Mönch  davon  zu  überzeugen, 
dass  er  das  Wesen  des  Vollendeten  schon  im  irdischen  Leben 
gar  nicht  zu  fassen  und  zu  begreifen  vermöge;  wie  hätte  er 
also  ein  Recht,  direct  zu  behaupten,  dass  der  Vollendete  jen- 
seits des  Todes  nicht  sei?  Und  der  Mönch  sieht  seinen  Vor- 
witz ein  und  bekehrt  sich. 

Ein  König  von  Kocala  wendet  sich  mit  eben  dieser  Frage 
an  die  Nonne  KhemfL  Er  wünscht  zu  wissen,  ob  der  Voll- 
endete jenseits  des  Todes  sei,  oder  nicht  sei;  oder  ob  er  zu- 
gleich sei  und  nicht  sei,  oder  aber  zugleich  weder  sei  noch 
nicht  sei.  Immer  erhält  er  dieselbe  Antwort:  Der  Vollendete 
hat  das  nicht  offenbart!  —  Erstaunt  fragt  der  König  nach  der 
Ursache,  weswegen  der  Erhabene  das  nicht  offenbart  hat.  Die 
Nonne  antwortet: 

»Wie  meinst  du,  o  grosser  König,  hast  du  wohl  einen 
Rechner  oder  einen  Münzmeister  oder  einen  Zählbeamten,  der 
den  Sand  am  Ganges  zu  zählen  vermöchte,  der  da  sagen  könnte: 
So  viele  Sandkörner,  oder  so  viel  Hunderte  oder  Tausende  oder 
Hunderttausende  von  Sandkörnern  sind  dort? 

Den  habe  ich  nicht,  o  Ehrwürdige  1 


•  S.  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  283. 

4  Vgl.  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  287.  2*8. 


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280  — 


Oder  hast  da  einen  Rechner,  einen  Münzmeister  oder  einen 
Zählbeamten,  der  das  Wasser  im  grossen  Ocean  zu  messen  ver- 
möchte, der  sagen  konnte:  So  viele  Maass  Wasser,  oder  so  viel 
Hunderte  oder  Tausende  oder  Hunderttausende  von  Maassen 
Wasser  sind  darinnen? 

Den  habe  ich  nicht,  o  Ehrwürdige! 

Und  warum  nicht?  Der  grosse  Ocean  ist  tief,  unermess- 
lich,  unergründlich.  So  auch,  o  grosser  König,  wenn  man  das 
Wesen  des  Vollendeten  nach  den  Prädikaten  der  Körperlichkeit 
begreifen  wollte:  in  dem  Vollendeten  wären  diese  Prädikate 
der  Körperlichkeit  aufgehoben,  ihre  Wurzel  wäre  vernichtet, 
wie  ein  Palmbaum  wären  sie  abgehauen  und  beseitigt,  so  dass 
sie  sich  in  Zukunft  nicht  wieder  entwickeln  können.  Erlöst, 
o  grosser  König,  ist  der  Vollendete  davon,  dass  sein  Wesen 
mit  den  Zahlen  der  Körperwelt  zählbar  sei;  er  ist  tief,  uner- 
messlich,  unergründlich  wie  der  grosse  Ocean.  Der  Vollendete 
ist  jenseits  des  Todes,  —  dies  trifft  nicht  zu;  der  Vollendete 
ist  nicht  jenseits  des  Todes,  —  auch  dies  trifft  nicht  zu;  der 
Vollendete  ist  zugleich  und  ist  nicht  jenseits  des  Todes,  — 
auch  dies  trifft  nicht  zu;  der  Vollendete  ist  weder  noch  ist  er 
nicht  jenseits  des  Todes,  —  auch  dies  trifft  nicht  zu." 

Also  die  Nonne.  Und  der  König  nimmt  ihre  Rede  mit 
Freude  und  Beifall  auf.1 

Unser  Erkennen  ist  viel  zu  arm  und  beschränkt,  als  dass 
es  diese  Fragen  aufwerfen  dürfte;  sie  bleiben  ihm  ewig  ver- 
schlossen. 

Es  soll  nicht  gesagt  sein,  dass  sich  nicht  in  späterer  Zeit 
die  Ansicht  über  das  Nirvana  nach  dieser  oder  jener  Richtung 
gewendet  und  geändert,  einen  positiveren,  weniger  skeptischen 
Charakter  gewonnen  hätte.1  Wie  aber  die  altbuddhistische 
Gemeinde  die  Sache  ansah,  dürfte  nach  dem  Gesagten  wohl 
zur  Genüge  klar  sein. 


War  Buddha  wenig  geneigt,  seine  Jünger  über  die  letzten 
metaphysischen  Fragen  zu  unterrichten,  war  seine  Tendeuz  vor- 
wiegend eine  praktische,  so  ist  es  natürlich,  dass  der  Moral 
in  seiner  Lehre  ein  breiter  Spielraum  gewährt  war.  Die  vierte 
der  vier  heiligen  Wahrheiten,  die  vom  Woge  zur  Aufhebung 


1  So  nach  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  284— 

*  Vgl  auch  Koeppen.  a.  a  0.  Bd.  I,  p.  307. 


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—   281  — 


des  Leidens  handelt,  giebt  dem  Gläubigen  die  Richtschnur 
für  sein  Leben  und  Thun  und  begreift  also  das  in  sich,  was 
wir  Moral  nennen. 

Das  Ideal  des  Buddhismus  war  der  Mönch,  welcher  sich 
von  allen  Fesseln  dieser  Welt  frei  macht  und  nur  dem  letzten 
Ziele  zustrebt.  Das  wahre  heilige  Leben  ist  das  Leben  des 
Mönchs;  das  höchste  sittliche  Ideal  muss  demnach  ein  mönchi- 
sches sein. 

Aber  auch  Laien  gehörten  zur  buddhistischen  Kirche  und 
bald  in  grosser  Anzahl;  auch  ihnen  musste  der  rechte  Weg 
gewiesen,  auch  ihnen  die  Moral  gelehrt  werden,  nach  der  sie 
handeln  sollten;  und  es  hatte  das  weitergreifende  Folgen,  als 
die  allein  für  die  Mönche  gegebenen  Regeln. 

Drei  Dinge  sind  es  vornehmlich,  deren  Erreichung  dem 
Frommen  an/s  Herz  gelegt  wird;  drei  Kategorieen,  unter 
welche  die  verschiedenen  Vorschriften  für  Leben  und  Thun 
subsumirt  werden:  Rechtschaffenheit,  Sichversenken  und 
Weisheit.1 

Die  Rechtschaffenheit  begreift  das  in  sich,  was  wir  im 
engeren  Sinne  Moral  nennen. 

Jeder  Bekenner  Buddha's,  auch  der  Laie,  muss  vor  Allem 
die  fünf  grossen  Verbote  auf  sich  nehmen: 

1.  Kein  lebendes  Wesen  zu  iödten; 

2.  Sich  nicht  an  fremdem  Eigenthum  zu  vergreifen; 

3.  Nicht  die  Gattin  eines  Andern  zu  berühren; 

4.  Nicht  die  Unwahrheit  zu  reden; 

5.  Nicht  berauschende  Getränke  zu  trinken. 

Für  Mönche  tritt  natürlich  an  Stelle  des  dritten  Punktes 
das  Gebot  absoluter  Keuschheit  ein,  und  haben  sie  weiterhin 
sich  noch  einer  ganzen  Reihe  anderer  Vorschriften  zu  unter- 
werfen. 

Mit  jenen  fünf  Verboten  sind  natürlich  nur  die  gröbsten 
Sünden-  bezeichnet,  die  man  zu  meiden  hat  Es  versteht  sich, 
dass  die  Reden  und  Gleichnisse  Buddha" s,  die  Sprüche  und 
Erzählungen  der  buddhistischen  Lehrbücher  sehr  viel  mehr  an 
moralischen  Vorschriften  bieten,  wodurch  jene  ersten  und  wicli- 
tigsten  Forderungen  wesentlich  ergänzt  werden. 

Milde,  Güte  und  Barmherzigkeit  bilden  den  Grundzug 
der  buddhistischen  MoraL  Das  Wohlwollen  allen  Wesen  gegen- 
über wird  stark  betont.  Selbst  den  Feind  soll  man  nicht  hassen, 
ihm  nicht  zürnen. 


*  Vgl.  Oldenberg.  a.  a.  0.  p.  294. 


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-    282  - 


„Ein  Mönch,  sagt  Buddha,  lasst  davon  ab,  lebende  Wesen 
zu  tödten;  er  enthält  sich  der  Tödtung  lebender  Wesen.  Er 
legt  den  Stab  nieder;  er  legt  die  Waffe  nieder.  Er  ist  mit- 
leidig und  barmherzig;  freundlich  trachtet  er  nach  dem  Wohl 
aller  lebenden  Wesen.*'1 

Und  im  D  h  am  map  ad  a,  jener  berühmten  buddhistischen 
Spruchsammlung,  heisst  es:  „Durch  Nichtzümen  überwinde  man 
den  Zorn,  das  Böse  überwinde  man  mit  Gutem,  den  Geizigen 
überwinde  man  mit  Gaben,  durch  Wahrheit  überwinde  man 
den  Lügner."  * 

Güte  und  Freundlichkeit  selbst  gegen  Böse,  gegen  die 
eignen  Feinde  und  Verfolger  wird  in  mancher  buddhistischen 
Erzählung  verherrlicht!  Em  schönes  Beispiel  ist  die  Geschichte 
vom  Prinzen  Kunäla.  Dieser  war  mit  wunderbar  schönen 
Augen  begabt  und  führte  ein  stilles  frommes  Leben.  Eine  von 
den  Königinnen,  den  Weibern  seines  Vaters,  entbrennt  in  Liebe 
zu  ihm.  Er  widersteht,  und  aus  Rache  schmiedet  die  Ver- 
schmähte einen  teuflischen  Plan.  Sie  erlangt  es,  dass  der  Prinz 
in  eine  entfernte  Provinz  gesandt  wird,  dann  entwendet  sje  das 
Siegel  des  Königs  und  fälscht  einen  Befehl,  dass  dem  Prinzen 
die  Augen  ausgerissen  werden  sollen.  Dies  geschieht  auch 
wirklich.  Der  arme  Geblendete  kommt  im  Bettlergewand  vor 
des  Vaters  Palast  gezogen  und  singt  zur  Laute  ein  rührendes 
Lied.  Der  König,  seltsam  bewegt,  lässt  den  Sänger  herein- 
Sufen  und  erkennt  entsetzt  in  dem  grausam  Verstümmelten 
seinen  Sohn.  Alles  kommt  an  den  Tag  und,  überwältigt  von 
Schmerz  und  Wutb,  will  der  König  die  schuldige  Königin 
tödten.  Kunala  aber  fleht  ihn  an,  ihr  zu  vergeben.  Wohl- 
wollen und  Geduld  zu  üben  habe  Buddha  gelehrt.  Er  fallt 
dem  Könige  zu  Füssen  und  ruft:  „0  König,  ich  fühle  keinen 
Schmerz  und  trotz  der  Grausamkeit,  die  mir  widerfahren  ist, 
fühle  ich  nicht  das  Feuer  des  Zornes.  Mein  Herz  hat  nur 
Wohlwollen  für  meine  Mutter,  die  befohlen  hat,  mir  die  Augen 
auszureissen.  So  gewiss  diese  Worte  Wahrheit  sind,  mögen 
meine  Augen  wieder  werden,  wie  sie  waren"  —  und  seine 
Augen  glänzten  in  ihrer  alten  Schönheit  wieder  1 9 

Die  Hingabe  und  Aufopferung  des  eigenen  Selbst  zum 


1  S.  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  297. 

*  S.  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  299.  —  Ich  bemerke  übrigens,  dass 
sich  dieser  Spruch  wesentlich  ebenso  auch  im  Mahabhärata  3,  132f>3 
(Böhtlingk,  Ind.  Sprüche  942)  vorfindet.  Vgl.  die  Bemerkung  im  Text 
weiter  unten 

3  Vgl.  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  303.  304. 


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-    283  - 

Wohle  Anderer,  wie  sie  in  den  buddhistischen  Legenden  und 
Erzählungen  Yerherrlicht  wird,  geht  für  unser  moralisches  Gefühl 
sogar  entschieden  zu  weit.  Wenn  z.  B.  dem  Buddha  nachge- 
rühmt wird,  in'  früheren  Existenzen  wiederholt  sein  eignes 
Fleisch  hingegeben  zu  haben,  um  den  Hunger  Anderer  zu 
stillen;  wenn  er  als  Prinz  einstmals  seinen  Körper  einer  hung- 
rigen Tigerin  nfit  ihren  Jungen  preisgegeben,  als  Haschen  sich 
für  einen  Brahmanen  selbst  gebraten,  ein  anderes  Mal  Alles, 
zuletzt  die  eigenen  Kinder  sogar  aus  Wohlthätigkeitsdrang  weg- 
geschenkt haben  soll,  so  können  wir  da  nicht  mehr  sympathi- 
siren,  sondern  empfinden  mehr  Grausen  oder  Abscheu.  Aber 
von  solchen  Uebertreibungen  und  Ausschreitungen  abgesehen, 
lässt  es  sich  nicht  bezweifeln,  dass  der  Buddha  im  Wesent- 
lichen eine  reine,  schöne  und  milde  Sittenlehre  begründet  hat. 
Schonung  und  Duldung,  ein  weicher,  weiblicher  Zug  ist  ihr 
charakteristisch.  In  der  Hauptsache  stimmt  diese  Moral  mit 
derjenigen  überein,  die  späterhin  auch  in  den  brahmanischen 
Büchern  gelehrt  und  anempfohlen  wird;  nur  ist  bei  den  Buddhi- 
sten die  Milde  noch  mehr  vorherrschend,  das  Gefühl  des  Mit- 
leids noch  stärker  betont.1 

Wenn  wir  späterhin  die  Moralsprüche  des  indischen  Mittel- 
alters aus  brahmanischen  Werken  näher  kennen  lernen  werden, 
wird  die  nahe  Verwandtschaft  derselben  mit  den  buddhistischen 
Lehren  in  die  Augen  springen.  Ja,  wir  finden  die  buddhisti- 
schen Sprüche  nicht  selten  fast  wörtlich  in  den  brahmanischen 
Büchern  wieder,*  eine  Erscheinung,  die  noch  einer  näheren 
Untersuchung  bedarf.  Meine  Meinung  ist  dabei  die,  dass  der 
Buddhismus  in  den  Jahrhunderten,  wo  er  herrschend  war,  auf 
die  Gesammtmoral  des  indischen  Volkes  einen  durchgreifenden 
und  nachhaltigen  Einfluss  geübt  hat 

Von  hervorragendem  Werthe  für  die  Heiligkeit  ist  sodann 
nach  buddhistischer  Lehre  auch  die  fromme  Meditation,  die 
Versenkung,  der  man  in  Waldeseinsamkeit  oder  in  Berg- 
höhlen nachtrachtet.  Wir  finden  sie  in  manchem  buddhistischen 
Texte  verherrlicht    So  heisst  es  z.  B.: 

„Wenn  am  Himmel  die  Donnerwolke  die  Trommel  rührt, 
wenn  Regenströme  den  Pfad  der  Lüfte  erfüllen  und  der  Mönch 
in  einer  Bergeshöhle  der  Versenkung  sich  hingiebt,  —  keine 
höhere  Freude  mag  ihm  werden.  Am  Ufer  blumengeschmückter 
Strome,  die  mit  bunter  Waldkrone  gekränzt  sind,  sitzt  er 


1  Vpl.  auch  Kern,  Buddhismus,  Bd.  I  p.  545.  554.  560  flg. 
*  Ein  Beispiel  derart  habe  ich  oben  p.  282  bemerkt. 


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—    284  — 

fröhlich  der  Versenkung  hingegeben;  keine  höhere  Freude  mag 
ihm  werden.« 
Und  ferner: 

„Die  weiten,  herzerfreuenden  Gefilde,  von  'Kareri-Wäldern 
bekränzt,  die  lieblichen,  da  Elephanten  ihre  Stimme  erheben, 
die  Felsen  machen  mich  fröhlich.  Wo  der  Regen  rauscht,  die 
lieblichen  Stätten,  die  Berge,  wo  Weise  wandeln*,  wo  Pfauenruf 
ertönt,  die  Felsen  machen  mich  fröhlich.  Dort  ist  gut  sein, 
für  mich,  den  Freund  der  Versenkung,  der  dem  Heil  entgegen 
ringt.  Dort  ist  gut  sein  für  mich,  den  Mönch,  der  nach  dem 
wahren  Gut  trachtet,  der  dem  Heil  entgegenringt."1 

Am  höchsten  aber,  mehr  als  Rechtschaffenheit  und 
Versenkung,  wird  doch  die  Weisheit  gepriesen,  die  Erkennt- 
niss,  welche  das  Nichtwissen  zerstört  und  Erlösung  schafft 
Auf  den  Inhalt  derselben  brauchen  wir  nach  dem  früher  Ge- 
sagten nicht  mehr  näher  einzugehen. 


Ein  paar  Worte  seien  mir  noch  gestattet  über  die  bud- 
dhistische Kirche  oder  Gemeinde,  die  in  den  folgenden 
Jahrhunderten  in  Indien  eine  bedeutsame  Rolle  spielen  sollte. 

Wer  als  Mönch  oder  Laie  neu  hinzutreten  wollte  zur  bud- 
dhistischen Gemeinschaft,  musste  die  Worte  sprechen: 

Ich  nehme  meine  Zuflucht  beim  Buddha. 

Ich  nehme  meine  Zuflucht  bei  der  Lehre. 

Ich  nehme  meine  Zuflucht  bei  der  Gemeinde. 

Diese  Dreiheit  —  Buddha,  die  Lehre  und  die  Gemeinde 
—  constituirt  fortab  den  Buddhismus. 

Derjenige,  welcher  in  den  engeren  Verband,  den  Mönchs- 
orden eintreten  wollte,  musste  zuerst  eine  niedere  oder  vor- 
bereitende Weihe  durchmachen,  das  Hinausgehen2  genannt. 
Man  schied  damit  aus  dem  früheren  Stande,  dem  Laienleben 
oder  einem  anderen  Orden  aus.  Dem  folgte,  wenn  der  Neu- 
eintretende noch  nicht  zwanzig  Jahre  alt  war3  oder  vorher 
einem  anderen  Orden  angehört  hatte,  eine  Probezeit,  ein  Novi- 
ziat. Dann  endlich  fand  die  höhere  Weihe  oder  Ordination 
statt,  das  Hingelangen,  das  Erreichen4  genannt,  durch 


1  Auf  der  Theragäthä  (Lied  der  Alten),  nach  Ohlenberg,  a.  a.  0. 

p.  322.  376. 

*  Pravrajya,  im  Pali  Pabbajja  genannt;  s.  Oldenberg  a.  a.  0.  p.  354. 
8  Vor  dem  zwanzigsten  Jahre,  von  der  Empfängnias  gerechnet, 
durfte  Niemand  vollberechtigtes  Gerne mdeglied  werden. 
4  Upasarapada 


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285 


welche  man  vollberechtigtes  Gemeindeglied  wird.  Dem  neu 
Aufgenommenen  werden  die  vier  grossen  Verbote  mitgetheilt: 

Ein  ordinirter  Mönch  darf  nicht  geschlechtlichen  Verkehr 
pflegen,  auch  nicht  mit  einem  Thier. 

Ein  ordinirter  Mönch  darf  nicht  nehmen,  was  ihm  nicht 
gegeben  ist,  was  man  Diebstahl  nennt,  auch  nicht  einen  Gras- 
halm. 

Ein  ordinirter  Mönch  darf  nicht  wissentlich  ein  Wesen  des 
Lebens  "berauben,  auch  nicht  einen  Wurm  oder  eine  Ameise. 

Ein  ordinirter  Mönch  darf  sich  keiner  übermenschlichen 
Vollkommenheit  berühmen. 

Wer  dawider  handelt,  der  ist  kein  Mönch  mehr,  kein 
Jünger  des  QakyarSohnes.1 

Der  Mönch  heisst  Bhikshu  oder  „Bettler44  und  hat  ge- 
wissennassen schon  durch  seinen  Eintritt  in  die  Gemeinde  das 
Gelübde  der  Armuth  abgelegt  Weltliches  Wohlsein  und  Ueppig- 
keit  ist  ihm  verboten.  Nahrung,*  Kleidung  und  Wohnung  der 
Mönche  sind  geregelt  und  in  sehr  bescheidene  Grenzen  ein- 
geschränkt Die  Mönche  sind  für  ihren  Unterhalt  auf  die  Wohl- 
thätigkeit  der  Laien  angewiesen,  die  ihnen  den  Almosentopf 
füllen  und  die  gelben  Gewänder  reichen. 

Man  unterschied  vier  Grade  der  Heiligkeit.  Der  erste 
war  der  des  Srotaäpanna,  d.  i.  Einer,  der  den  Strom  erreicht 
in  die  Strömung  eingegangen  ist;  ein  Solcher  hat  nur  noch 
sieben  Geburten  durchzumachen  und  kann  nicht  mehr  als  Thier« 
oder  böser  Geist  wiedergeboren  werden.  Dann  folgt  der  Sa- 
kridagämin,  d.  i.  Einer,  der  nur  einmal  noch  auf  Erden 
wiedergeboren  wird.  Dann  der  Anägamin,  der  nicht  mehr 
als  Mensch,  nur  noch  in  höheren  Regionen  wiedergeboren  wer- 
den kann.  Der  Höchste  endlich  ist  der  Arhant,  der  Heilige, 
welcher  nach  dem  Tode  ins  Nirvana  eingeht3 

1  Näheres  8.  bei  Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  368 — 360. 

*  Man  sollte  nach  dem  auch  für  Laien  geltenden  Verbot,  kein 
lebendes  Wesen  zn  tödten,  wohl  voraussetzen,  dass  die  Nahrung  der 
Buddhisten,  insbesondere  der  Mönche,  eine  rein  vegetarische  war,  den 
Genuas  von  Fleisch  absolut  ausschloss.  Das  ist  nun  aber  nicht  der  Fall 
gewesen.  Die  Praxis  war  der  Theorie  gegenüber  inconsequent.  Aus- 
drücklich wird  erzählt,  dass  Buddha  selbst  einen  Antrag  Devadatta's, 
demgemäss  animalische  Nahrung  den  Mönchen  gaoz  verboten  sein  sollte, 
entschieden  zurückweist.  Ja,  die  Legende  berichtet  ganz  naiv,  dass  die 
letzte  Nahrung,  welche  Buddha  vor  seinem  Tode  zu  sich  genommen,  ein 
Gericht  Schweinefleisch  gewesen  sei.  Vgl.  Näheres  bei  Kern,  Buddhis- 
mus, Bd.  II,  p.  73—87.   Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  204. 

*  Diese  vier  Stufen  vergleicht  Kern  mit  den  vier  Stufen  des  brah- 
manischen  Yogin;  Buddhismus  ßd.  I,  p.  487.  492  flg. 


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—    286  — 


Der  Cultus  in  der  altbuddhistischen  Gomeinde,  oder  rich- 
tiger das,  was  in  dieser  Gemeinde  die  Stelle  des  Cultus  ver- 
trat,1 bestand  hauptsächlich  in  der  zweimal  im  Monat  (an 
den  sogenannten  Fasttagen)  stattfindenden  Beichtfeier,  einer 
schönen  und  ansprechenden  Institution,  wo  in  feierlicher  Ver- 
sammlung der  Mönche  die  Beichtformel 9  vorgetragen  und  die 
Sünden  bekannt  wurden.  Einmal  im  Jahre  wurde  die  Feier 
der  sogenannten  Einladung3  begangen,  wo  die  Brüder  sich 
versammeln  und  ein  Jeder  alle  anderen  bittet,  falls  er  in  dieser 
Zeit  irgend  etwas  Schlimmes  oder  Verdächtiges  begangen  habe, 
es  zu  nennen,  damit  er  es  sühnen  könne.  Später  hat  bekannt- 
lich der  buddhistische  Cultus  durch  den  Bilderdienst  und  die 
sehr  ausgedehnte  Reliquienverehrung  sich  in  seinem  Cha- 
rakter wesentlich  verändert  und  ist  dem  Cultus  in  anderen 
Religionen  ähnlich  geworden.4 

Ein 'einheitliches  Kirchenregiment  fehlte  den  Buddhi- 
sten. Die  einzelnen  Gemoinden,  die  einzelnen  Brüder  waren 
der  Hauptsache  nach  gleichberechtigt.  Das  hat,  wie  natürlich, 
zu  manchen  Misslichkeiten  ge fuhrt,  unter  Anderem  auch  zur 
Bildung  zahlreicher  Sekten.  Dieser  Umstand  war  es  auch,  der 
in  erster  Linie  die  Berufung  von  Concilien  nothwendig  machte, 
behufs  der  Einigung  in  strittigen  Fragen.  Das  erste  dieser 
Concilien,  die  in  der  Geschichte  der  buddhistischen  Kirche  von 
grosser  Wichtigkeit  sind,  fand  der  Tradition  zufolge  weuige 
Monate  nach  Buddha's  Tode  zu  fta'j«griha  statt,  um  die 
Reden  und  Verordnungen  Buddha's  zu  einem  allgemeingilt  igen 
Canon  zusammen  zu  stellen.  Das  zweite  hundert  Jahre  später, 
zu  Vaicall.6 

Die  Tradition  berichtet,  dass  auf  dem  ersten  Concil  An  an  da, 
der  Lieblingsjünger  des  Buddha,  von  dem  der  Erhabene  selbst 
gesagt  haben  soll,  dass  er  „das  Meiste  gehört  und  das  Gehörte 
am  besten  behalten  habe",  die  Aussprüche  des  Meisters  zu- 
sammenstellen musste,  welche  er  sämmtlich  auswendig  kannte. 
Mit  der  Aufzeichnung  der  Disciplin -Vorschriften  wurde  Upali 
beauftragt,  den  Buddha  selbst  für  den  besten  Kenner  der 


1  Von  einem  eigentlichen  Cultus  konnte  doch  nicht  die  Rede  sein, 
da  kein  Gott  zu  verehren  war,  nnd  Buddha  ins  Nirvana  eingegangen  war. 

•  Pratimoksha,  im  Pali  Patimokkha;  s.  Ohlenberg,  a.  a.  0.  p.  379. 

9  Prararani,  im  Pali  Pavarana;  s.  Ohlenberg,  a.  a.  0.  p.  888. 

4  Nicht  nur  Reliquien  Buddha's,  sondern  auch  seiner  Jünger,  be- 
stimmter Heiliger  u.  dgl.  wurden  verehrt.  —  Näheres  s.  bei  Koeppen, 
a,  a  0.  Bd.  I,  p.  493—586. 

»  Im  Pali  Vesali. 


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—    287  — 


Disciplin  erklärt  haben  soll;  mit  der  Zusammenstellung  der 
philosophischen  Lehren  endlich  Käc,yapa,  gewöhnlich  der  grosse 
Kacjapa1  genannt. 

Der  nach  der  Tradition  so  zu  Stande  gekommene 2  buddhi- 
stische Canon  trägt  den  Namen  Tripitaka,1  d.  h.  der  „Drei- 
korb", weil  er  nämlich  in  drei  Theile  zerfallt:  Sütra,  Vinaya 
und  Abhidharma.  Die  Sütra;  welche  wohl  den  ältesten  Theil 
dieses  Canon  ausmachen,  enthalten  Sprüche  und  Lehrreden 
Buddha' s,  Unterhaltungen  mit  seinen  Jüngern  u.  dgh  m.  Der 
Vinaya  behandelt  die  Disciplin  und  den  Quasi -Cultus.  Der 
Abhidharma  endlich  ist  dogmatisch -philosophischen  Inhalts, 
enthält  die  Metaphysik  der  Buddhisten.  Die  nördlichen  Bud- 
dhisten besitzen  diesen  Canon  in  sanskritischer  Sprache,  die 
südlichen  im  Pali-Dialekt 

Ausser  diesem  ersten  und  wichtigsten  Werke  will  ich  von 
der  spoeifisch  buddhistischen  Literatur  nur  noch  das  Dhamma- 
pada  und  die  J&taka's  hervorheben.  • 

Das  Dhammapada  ist  eine  Sammlung  von  Sprüchen  im 
Pali-Dialekt,  die  mit  das  Schönste,  Tiefste  und  poetisch  Worth- 
vollste enthalten,  was  die  buddhistische  Literatur  hervorgebracht 
hat.4  Oldenberg  nennt  dasselbe  den  „getreuesten  Spiegel  des 
buddhistischen  Denkens  und  Fuhlens"  (a,  a.  0.  p.  223). 

Manche  Gedanken  dieses  Werkes,  dessen  ich  schon  früher 
erwähnt  habe,  dürften  wohl  auch  auf  die  brahmanische  Lite- 
ratur anregend  gewirkt  haben.6 

Ein  besonders  charakteristischer  Theil  der  buddhistischen 
Literatur  sind  die  sogenannten  Jätaka's,  Erzählungen  von 
Buddha  aus  dessen  eigenen  früheren  Geburten,  deren  sich  der 
Erhabene  deutlich  zu  erinnern  behauptete,  ähnlich  wie  auch 
Pythagoras  sich  dessen  entsinnen  wollte,  dass  er  zur  Zeit  des 
trojanischen  Krieges  der  Panthoide  Eupborbos  gewesen.  Da 
der  Buddna  550  Geburten  durchgemacht  haben  soll,  war  Ge- 
legenheit zu  zahlreichen  Geschichten  derart  geboten.  Diese 
Jätaka's  sind  sehr  belehrend  für  die  buddhistische  Lebens- 
weisheit und  Moral.    Sie  haben  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 


1  Mahakacjapa. 

*  Es  ist  indessen  wahrscheinlich,  dass  nicht  der  gesammte  Canon 
»nf  dem  ersten  Concil  zusammengestellt  worden,  sondern  hauptsächlich 
nur  die  Aussprüche  und  Gebote  Buddha's,  die  sogen.  Sütra's. 

»  Im  Pali  Tipitaka. 

*  Aasgabe  und  Uebersetzungen  des  Dhammapada  s.  im  Anhang. 

*  Wenigstens  Bind  oft  die  Ueberoinstimmungen  so  frappant,  dass 
et  schwer  ist,  nicht  an  Entlehnung  zu  denken.   Vgl.  oben  p.  283. 


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288  — 


bei  der  Entstehung  der  Fabel-  und  Parabelpoesie  eine  wichtige 
Rolle  gespielt  und  manche  derselben,  wie  z.  B.  die  Geschichte 
von  dem  Königssohn  Vi^vantara,1  der  Alles,  was  er  hatte,  zu- 
letzt sogar  die  eigenen  Kinder  hingiebt,  erfreuten  sich  grosser 
Beliebtheit  und  Berühmtheit  bei  allen  Buddhisten.8 


Anhang  zu  Vorlesung  XIX. 

Die  wichtigsten  Quellen  zum  Studium  des  Buddhismus,  seiner 
Geschichte  und  Literatur. 

£.  Burnouf,  Introduction  a  l'histoire  du  Bouddhisme  indien,  1844 
(2.  Aufl.  1876). 

E,  Burnouf,  Le  Lotus  de  la  Bonne  Loi,  trad.  du  sanscrit,  accompagne' 
de  vingt  et  im  memoires  relatifs  au  bouddhisme,  1852. 

R.  Spence  Hardy,  Eastern  monachism,  an  account  of  the  origin,  laws, 
cet  of  the  order  of  mendicants  founded  by  Gotama  Buddha,  1868 
(2.  Aufl.  1868^. 

B.  Spence  Hardy,  A  Manual  of  Buddhism  in  its  modern  development, 

1863  (2.  Aufl.  ISeOX 

C.  F.  Koeppen,  Die  Religion  des  Buddha.  2  Bde.  1857.  1859. 

W.  Wassiljew,  Der  Buddhismus,  seine  Dogmen,  Geschichte  und  Lite- 
ratur (aus  dem  Russischen).  1860. 
J.  Barthllemy  Saint-Hilaire,  Le  Bouddha  et  sa  religion,  1862 
.(2.  Aufl.). 

Rhys  Davids,  Buddhism,  heing  a  sketch  of  the  lifo  and  teaebings  of 

Gautama,  the  Buddha  (1877). 
H.  Oldenberg,  Buddha,  sein  Leben,  seine  Lehre,  seine  Gemeinde, 

Berlin  1881. 

H.  Kern,  Der  Buddhismus  und  seine  Geschichte  in  Indien  (aus  dem 
Holland,  ins  Deutsche  übersetzt  von  H.  Jacobi),  Bd.  I,  1882;  Bd.  II, 
1.  Th.  1883. 

The  Lalitavistara  or  Memoirs  of  the  early  life  of  Cakya  Sinha,  ed. 
by  Rajendralala  Mitra,  Calcutta  1853—1877  (Bibl.  Ind.). 

Ph.  E.  Foucaux,  Rgya-Tcher-Rol-Pa,  ou  dlveloppement  des  jeux,  hi- 
stoire  du  Bouddha  Sakya-Mouni,  publ.  et  trad.  du  Tibetain  1847 
bis  1860  (die  tibetanische  Version  des  Lalitavistara). 

A.  Schiefner,  Eine  tibetische  Lebensbeschreibung  Qakyamunrs,  1849. 

R.  C.  Childers,  The  Mahäparinibbana  Sutta,  pali  text  and  commentary, 
Journ.  Roy.  As.  Soc.  VII.  VIII  (new.  ser.)  ^Bericht  über  die  letzten 
Tage  und  den  Tod  Buddhas).  Besonders  abgedruckt,  London  1878. 

S.  Beal,  The  romantic  legend  of  Sakya-Buddha,  from  the  Chinese,  1875. 

E.  Senart,  Essai  sur  la  legende  du  Buddha,  Paris  1875. 


1  Im  Pali  VesBaiitara.  Man  findet  die  Geschichte  bei  Kern,  Bud- 
dhismus, Bd.  I.  p.  388—406.  Vgl.  auch  Koeppen,  a.  a.  0.  Bd.  I,  p. 
324—326.   Oldenberg,  a.  a.  0.  p.  308.  309. 

*  Ueber  den  Charakter  der  Jataka's  vgl.  auch  Kern,  Buddhismus, 
Bd.  I  p.  332  flg.  Ein  Beispiel  ebenda  p.  329.  Ein  anderes  bei  Olden- 
berg, a.  a.  0.  p.  310.    Vgl.  ferner  Koeppen,  a.  a.  0.  p.  318  dg. 


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A.  Schiefner,  T&ranätha's  Geschichte  des  Buddhismus  in  Indien,  aus 
dem  Tibetischen  übersetzt,  St  Petersburg  1869. 

The  Vinaya  Pitakam,  one  of  the  Principal  Buddhist  Holy  Scriptures 
in  the  Pali  Language,  ed.  by  H.  Oldenbere:  vol.  I  The  Mahavagga, 
London  1879.    Vol.  II  The  Cullavagga  1880 

Dhammapada,  ed.  V.  Fausböll,  Havniae  1855. 

Dbammapada,  ins  Deutsche  übersetzt  von  A.  Weber,  Ztschr.  d.  D 
M.  G.  Bd.  XIV  p.  29  flg.  (cf.  auch  Ind.  Streifen  I,  p.  112  flg.).  " 

Dhammapada,  ins  Englische  übersetzt  von  Max  Müller,  Einleitung 
zu  „Buddhaghosha's  Parables,  transl.  by  T.  Rogers",  London  1870; 
desgl.  Sacred  books  of  the  East,  Vol.  X  (nach  dieser  englischen 
Uebersetzung  metrisch  ins  Deutsche  übertragen  von  Th.  Schultze, 
Leipzig  1885;  Schultze  nennt  sich  am  Schluas  des  Vorworts,  nicht 
aber  auf  dem  Titel  als  Uebersetzer);  ins  Englische  auch  von  S.  Beal, 
Scriptural  texte  from  the  buddhist  canon  commonly  known  as  the 
Dhammapada,  1878  (aus  dem  Chinesischen  übersetzt);  ins  Franzö- 
sische von  F.  HA  1878. 

V.  FauBböll.  The  Jataka  together  with  its  commentary,  being  tales 
of  the  anterior  births  of  Gotama  Buddha,  vol.  I,  1877;  vol.  II,  1879. 
(Die  Uebersetzung  dazu  sollte  R.  C.  Childers  liefern;  nach  dessen 
Tode  übernahm  die  angefangene  Arbeit  Rhys  Davids.)  Der  erste 
Band  der  Translation  ist  erschienen  London  1880. 

 ,  five  Jatakas,  1861. 

 ,  Dasarathajatakam  1871. 

 ,  ten  Jatakas  1872. 

The  Dlpavamsa,  an  Ancient  Buddhist  Historical  Record,  ed.  and 

transl at  by  H.  Oldenberg,  London  1879. 
V.  Trenckner,  The  Milindapanho  ed.,  London  1880. 
H.  Oldenberg  and  R.  Piachel,  The  Thera-  and  Therl-Gatha,  ed.,  1S83. 
L.  Feer,  Textes  tir£s  du  Kandjour  1869  flg. 
R.  Childers,  Khuddakap&tha  1869. 
Coomara  Svämy,  Suttanipata  1874. 

J.  F.  Dickson,  The  Patimokkha,  being  the  buddhist  ofrice  of  the  con- 
fession  of  priests,  pali  text  and  translation,  Tourn.  Roy.  As.  Soc.  VIII 
(new  ser.).  . 

Text  des  Pratimokshasütra  nebst  russischer  Uebersetzung  herausgegeben 

von  J.  Minayeff,  1869. 
Mahavamso,  ed.  by  G.  Turnour,  Colombo  1837. 
E.  Burnouf  et  Chr.  Lassen,  Essai  sur  le  Pali.    Paris  1826. 
R.  C.  Childers,  A  Dictionary  of  the  Pali  language,  1875  (sehr  wichtig, 

auch  in  sachlicher  Hinsicht). 
J.  Minayeff,  grammaire  palie  1874. 
E.  Kuhn,  Beitrage  zur  Pali-Grammatik,  1875. 
James  de  Alwis,  Introduction  to  Kacc&yana's  Grammar,  1863. 
E.  Senart,  Grammaire  Palie  de  Eaccäyana  1871. 
Stan.  Julien,  Voyages  des  p&erins  bouddhistes,  vol.  I  Histoire  de  la 

Tie  de  Hiouen-  Thsang  et  de  ses  voyages  daos  1'Inde,  trad.  du 

chinois  1853;  volL  II.  III  Mlmoires  sur  les  contrees  oed  dentales 

par  Hiouen-Thsang,  trad.  du  chinois,  1857—1859. 
S.  Beal,  The  travels  of  the  Buddhist  pilgrlm  Fah-Hian,  translat.  with 

notes  and  prolegomena,  1869. 
S.  Beal,  Si-yu-ki,  London  1884  (Uebersetzung  des  Hiuen-Thsang  aus 

dem  Chinesischen  ins  Englische). 


T.  rieh  ro  dar,  Ind.  Lit.  U.  Cnlt.  19 


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Zwanzigste  Vorlesung 


Chronologische  Rückschau  auf  die  alteren  Perioden  der  indischen  Lite- 
ratorgeschichte. Geschichte  Indiens  Ton  Buddha's  Zeit  bis  auf  Acoka 
BlmbisAra,  Ajata^atru,  KAla^oka,  Nanda,  Dhananauda.  Ausbreitung  der 
arischen  Herrschaft  in  Indien.  Bedrohung  des  Landes  von  Westen  her 
iKyroB,  Darios  Hystaspis,  Xerxes).  Alexander'»  des  Grossen  Einfall  und 
Kampf  mit  Porös,  sein  Sieg  und  Wegzug.  Die  Satrapen.  Porös*  Er- 
mordung. Candragupta,  der  Begründer  der  Maurya- Dynastie.  Acoka. 
der  grosse  Förderer  und  Beschützer  des  Buddhismus. 


Mit  dem  Buddhismus  betreten  wir  zum  ersten  Mal  einiger- 
massen  festen  historischen  Boden  ■».!  gewinnen  einen  Anhalts- 
punkt, von  dem  aus  wir  auch  die  vorangegangenen  Literatur- 
epochen wenigstens  annähernd  zeitlich  zu  fixiren  im  Stande  sind 

Buddha  gehört  dem  sechsten  Jahrhundert  vor  Chr.  an,  er 
war  nach  der  wahrscheinlichsten  Rechnung  i.  J.  560  vor  Chr 
geboren.  Wenn  wir  nun  erwägen,  dass  jene  Periode  der  brah- 
manischen  Speculation,  die  mit  der  Aufstellung  des  Atman- 
Brahman  als  höchster  Potenz  endigt,  nicht  bloss  vorher  beendet, 
sondern  dass  auch  ein  beträchtlicher  Zeitraum  inzwischen  ver- 
flossen gewesen  sein  muss,  in  welchem  aus  dem  philosophischen 
Absolutum  „Brahman"  der  im  Volke  gekaunte  und  in  den  Le- 
genden der  Buddhisten  erscheinende  männliche  Gott  Brahma 
sich  entwickeln  und  einbürgern  konnte,  und  in  welchem  anderer- 
seits die  mit  dem  Atman-Brahman  auftretende  Seelenwandrungs- 
lehre  sich  Bahn  brach  und  allgemein  verbreiteter  Glaube  ge- 
worden., i  i  welchem  endlich  auch  das  Mönchswesen  und  die 
Aske-e  «standen  und  sich  zu  einem  nicht  unbedeutenden 
Grade  entwickelt,  so  werden  wir  für  jene  Periode  der  Upam- 
shaden,  Aranyaka's  und' jüngeren  Brähmana's  wohl  mindestens 
bis  in  das  achte  Jahrhundert  vor  Chr.  geführt  Dieser  Periode 
war  aber  die  Zeit  vorausgegangen,  in  welcher  das  Opferweser 
emporwuchs  und  bis  zur  äussorsten  Complicirtheit  ausgebildet 


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—  291  - 

wurde,  die  Zeit,  in  welcher  die  grosse  Masse  der  Brahmana's 
bis  hinauf,  zu  den  prosaischen  Theilen  der  Yajurvedeu  ent- 
standen. Wir  greifen  schwerlich  zu  hoch,  wenn  wir  für  diese 
Zeit  mindestens  zwei  Jahrhunderte  beanspruchen,  das  wäre  das 
neunte  und  zehnte  Jahrhundert  vor  Chr.  In  den  unmittelbar 
vorausgehenden  Jahrhunderten  haben  sich  vennuthlich  die  Inder 
in  ihren  neuen  Wohnsitzen  im  Gangeslande  festgesetzt  und  der 
Hauptsache  nach  die  socialen  und  religiösen  Zustände  geschaffen 
oder  doch  angebahnt,  deren  Resultat  die  Br  Ahmana  -  Periode 
wiederspiegelt;  in  diesen,  dem  elften  und  zwölften  Jahrhundert 
vor  Chr.  dürften  wohl  auch  die  Hymnen  des  Rigveda  noch  ver- 
vollständigt und  vielleicht  auch  schon  gesammelt  und  theilweise 
zusammengestellt,  sowie  die  SamMta-Theile  der  anderen  Veden 
der  Hauptsache  nach  geschaffen  worden  sein.  Für  die  Periode 
des  Rigveda,  das  Leben  im  Indusgebiet  und  Fünfstromlande, 
werden  wir  dann  die  voraufgehenden  Jahrhunderte  in  Anspruch 
nehmen;  wie  viele?  —  das  lässt  sich  auch  annähernd  kaum 
bestimmen. 

Wir  bekämen  also: 

1)  Periode  des  Rigveda  und  des  Lebens  im  Pendschab 
1200  vor  Chr.  aufwärts  bis  vielleicht  2000  vor  Chr. 

2)  Periode  der  Festsetzung  im  Gangeslande  und  Arbeit 
au  den  Samhita's  1200—1000  vor  Chr. 

3)  Periode  der  prosaischen  Yajus-Theile  und  der  Brah- 
mana's 1000—800  vor  Chr. 

4)  Periode  der  jüngeren  Brahmana's,  Aranyaka's  und  Upa- 
nishaden  800—600  vor  Chr. 

5)  Periode  der  Sütra's  600—400  oder  300  vor  Chr. 
Selbstverständlich  sind  dies  nur  annähernde  Bestimmungen 

die  aber  schwerlich  zu  hoch  gegriffen  sein  dürften. 

Max  Müller  hat  früher1  die  Periode  des  Rigveda  mit 
grös8ter  Vorsicht,  um  nicht  zu  hoch  zu  greifen,  zwischen  1200 
bis  1000  vor  Chr.  angesetzt,  empfand  dies  aber  selbst  später 
als  zu  niedrigen  Ansatz  und  nahm  1500 — 1200  vor  Chr.  als 
Periode  der  vedischen  Hymnendichtung  an,1  was  mit  unserer 
Berechnung  sich  ganz  gut  verträgt. 

Hang8  setzte  jene  Periode  in  die  Zeit  von  2400—1400 
vor  Chr.,  wobei  die  obere  Zahl  wohl  ziemlich  willkürlich  ge- 
griffen ist 


•  History  of  Anc.  8*k.  Lit  p.  572. 

•  Esiays  I1,  11—1*,  18. 

•  Introduction  in  Xit  Br,  1.  *7  flg. 


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—  292  — 


Whitney 1  nimmt  als  Entstehungszeit  der  vedischen  Hymnen 
2000 — 1500  vor  Chr.  an.  Auch  dieser  Ansatz  dürfte  wohl  noch 
nicht  zu  hooh  gegriffen  sein  und  ist  vielleicht  sogar  der  wahr- 
scheinlichste. Trifft  man  doch  wohl  kaum  das  Richtige,  wenn 
man  jenen  grossen  Entwickelungsperioden  der  indischen  Cultur 
immer  nur  das  kleinstmögliche  Zeitmaass  zuweist  Aber  frei- 
lich, —  Vorsicht  ist  geboten.  Unsere  obige  Berechnung  ist 
wohl  eher  zu  niedrig  als  zu  hoch  angesetzt. 

Doch  kehren  wir  von  dieser  rückschauenden  Perspective 
zu  dem  neugewonnenen  historischen  Boden  zurück  und  sehen 
wir,  wie  weit  sich  für  uns  von  jetzt  ab  auch  eine  Geschichte 
Indiens  aus  dem  lang  andauernden  Nebel  der  Vorzeit  enthüllt, 
die  uns  als  fester  Hintergrund  für  unsere  Literaturbetrachtung 
dienen  kann. 

Dasjenige  Reich,  welches  in  den  auf  Buddha  folgenden  Jahr- 
hunderten zuerst  hervortritt  und  sich  zur  mächtigsten  Stellung 
in  ganz  Indien  emporarbeitet,  ist  das  Reich  von  Magadha, 
dessen  König  Bimbisara  wir  als  Zeitgenossen  des  Qakya- 
Sohnes  bereits  kennen  gelernt  haben,  der  mit  grossem  Gefolge 
aus  seiner  Hauptstadt  Rajagriha  dem  Erhabenen  eutgegerzog, 
seine  Lehre  annahm  und  eifrigst  förderte,  seinen  Luschain  Venu- 
vaua  den  Mönchen  als  Aufenthaltsort  einräumte  u.  a.  w.  Dieses 
Reich  sollte  auch  weiterhin  mit  der  Geschichte  des  aufstrebenden 
Buddhismus  eng  verbunden  bleiben,  und  von  der  grossen  An- 
zahl der  buddhisch- mönchischen  Aufenthaltsorte  oder  Vihära's 
hat  das  Land  zuletzt  sogar  seinen  Namen  Vihar  oder  Bihar 
erhalten,  den  es  heute  noch  trägt.  Bimbisara  soll  der  Dynastie 
der  CAicunaga  angehört  haben,  die  dem  aus  der  Sage  berühmten 
Geschlochte  des  Pradyota  auf  dem  Throne  von  Magadha  folgte. 
Das  Ende  dieses  Königs  war  ein  trauriges.  Sein  Sohn  Ajata- 
c.atru  soll  ihn  vom  Throne  gestossen  und  ermordet,  den  Bud- 
dha aber  feindselig  verfolgt  haben.  Nachmals  bekehrte  sich 
indessen  auch  dieser  Ajatacatru  zur  Lehre  des  Vollendeten, 
wurde  einer  seiner  eifrigsten  Verehrer  und  beanspruchte  nach 
dem  Tode  des  Meisters  sogar  dessen  sterbliche  Ueberreste,  Asche 
und  Knochen  für  sich.  Da  aber  auch  verschiedene  andere  An- 
sprüche sich  geltend  machten,  wurden  diese  Ueberreste  zuletzt 


1  Oriental  and  Ling.  Studie«  1,  21  u.  a.  a.  0.  —  Vgl.  auch  Whit- 
ney-Leskien „Leben  und  Wachsthum  der  Sprache"  (1876)  p.  197:  „Als 
die  Zeit,  aus  der  die  ältesten  Lieder  stammen,  ist  zu  vermuthen  das 
Jahr  2000  vor  Chr. ,  oder  eine  dem  naheliegende  Zeit."  —  S.  auch 
Duncker,  Gesch.  des  Alt.  III,  4.  Aufl.  p.  60.  —  Kaegi,  der  Rigveda 
j».  144.  145 


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-    293  - 


in  acht  Theile  zerlegt  und  vertheilt.  Seinen  Antheil  an  diesem 
köstlichen  Kleinod  legte  König  Ajatacatru  in  einem  sogenannten 
Stüpa,  einem  kuppel-  oder  glockenförmigen  Thurme,  bei  Raja- 
griha  nieder.  Diese  Stüpa's  (Topen),  die  Bewahrorte  der  bud- 
dhistischen Reliquien,  haben  seit  der  Zeit  eine  immer  wach- 
sende Bedeutung  in  Indien  gewonnen.  Ajatacatru  war  es  auch, 
der  am  Eingang  der  Nyagrod  ha  -Höhle  bei  Rajagriha  eine  be- 
sondere Hallo  erbauen  Hess,  wo  nach  dem  Berichte  der  Tradi- 
tion bald  nach  Buddha's  Tode  das  erste  Concil  tagte. 

Von  den  nächsten  Nachfolgern  des  Ajatacatru  wird  uns 
nur  berichtet,  dass  jeder  von  ihnen  seinen  Vater  umbrachte 
und  so  auf  den  Thron  gelaugte.  Von  Bedeutung  ist  uns  erst 
wieder  König  Kalagoka,  unter  dessen  Regierung  das  zweite 
buddhistische  Concil  zu  Vaicali  stattfand,  der  also  um  380 
Tor  Chr.  gelebt  haben  muss.  Dieser  Kalacoka  hat  sein  An- 
denken auch  noch  durch  die  Gründung  der  Stadt  Pätaliputra 
unsterblich  gemacht  Diese  Stadt,  das  Palibothra  der  Griechen, 
lag  am  Ganges,  dort,  wo  der  von  Südwesten  kommende  (Jona- 
Fluss  in  denselben  einmündet,  ein  beträchtliches  Stück  unter- 
halb Kaci  oder  Benares,  etwas  oberhalb  des  heutigen  Patna. 
P&taliputra,  dessen  künftige  Grösse  schon  Buddha  einst  ge- 
weissagt haben  soll,  erkor  sich  Kalacoka  zur  Residenz  an  Stelle 
des  alten  Rajagriha.  Zu  Megasthenes'  Zeit,  also  bald  nach 
Alexander  dem  Grossen,  war  Palibothra,  wie  dieser  Grieche 
erzahlt,  bereits  dit  gross te  und  berühmteste  Stadt  von  Indien, 
mit  herrlichem  Königspalast  und  grosser  Einwohnerzahl. 

Die  Dynastie  der  (Jaicunaga,  der  auch  Kalacoka  noch  an- 
gehörte, wurde  nach  buddhistischer  Ueberlieferung  durch  einen 
Räuber  namens  Nanda  gestürzt,  der  den  Sohn  des  Kalacoka 
entthronte.  Die  hervorragende  Stellung,  zu  der  das  Reich 
Magadha  unter  Ajatacatru  und  Kalacoka  gelangt  war,  wurde 
auch  von  der  Dynastie  der  Nanda  behauptet  und  wohl  noch 
erhöht  Diese  Dynastie  war  übrigens  wahrscheinlich  dem  brah- 
manischen  Wesen  zugethan,  sollte  aber  den  Thron  von  Magadha 
nicht  lange  inne  haben.  Der  letzte  echte  Nanda  wurde  der 
einheimischen  Tradition  zufolge  von  einem  Buhlen  seines  Weibes, 
einem  Barbier  namens  Indradatta  gestürzt.  Dessen  Sohn, 
Dhanananda  mit  Namen,  regierte  bis  zum  Jahre  315  vor  Chr. 
und  sass  am  dem  Throne  von  Magadha,  als  Alexander  von 
Macedonien  die  Grenzer.  Indiens  mit  seinem  Heere  überschritt 
und  die  Freiheit  des  Landes  bedrohte.  P  klassischen  Schrift- 
steller berichten,  dass  der  damals  im  Osten  Indiens  herrschende 
mächtige  König  der  Prasier,  den  sie  übrigens  Xandrames  oder 


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Agrames  nennen,  aus  niedrigem  Geschlechte  stammte,  dass  er 
der  Sohn  eines  Barbiers  gewesen,  der  durch  seine  Schönheit 
das  Herz  der  Königin  gewonnen,  welche  aus  diesem  Grunde 
ihren  Gatten  mordete  und  den  Geliebten  zum  König  machte. 
Mr  sieht,  dass  dieser  Bericht  der  klassischen  Schriftsteller 
garz  mit  dem  der  einheimischen  Tradition  übereinstimmt  Die 
Prasier,  wie  die  Griechen  jenes  mächtige  Volk  des  Ostens 
nannten,  sind  nichts  weiter  als  die  Pracya,  d.  h.  die  Oestlichen. 
Der  Name  Xandrames  scheint  mir  das  sanskritische  CandramAs 
„der  Mond"  zu  sein,  wahrscheinlich  ein  ehrendes  Beiwort  des 
Dhanananda. 

Die  Macht  dieses  Königs  der  „Prasier"  wurde  dem  Alexander 
als  eine  ausserordentlich  grosse  geschildert,  und  es  scheint,  dass 
diese  Schilderungen  nicht  wenig  dazu  beigetragen  haben,  dass 
der  sieggewohnte  Eroberer  trotz  der  Unterwerfung  des  west- 
lichen Königs  Porös  darauf  verzichtete,  weiter  nach  Osten  vor- 
zudringen, und  Indien  wieder  verliess,  ohne  das  Gangesland 
betreten  zu  haben.  Wir  dürfen  aus  jenen  Schilderungen  wie 
auch  aus  den  bald  darauf  folgenden  Ereignissen  mit  Sicherheit 
schli essen,  dass  das  Reich  von  Magadha  zu  jener  Zeit  eine 
dominirende  Stellung  im  Gangeslande  einnahm  und  dass  es 
somit  wohl  seit  Bimbisara's  Zeiten  stetig  an  Macht  und  An- 
sehen gewachsen  war.  Auch  hatte  sich  in  diesen  Jahrhunderten 
die  arische  Cultur  immer  weiter  über  das  indische  Land  aus- 
gebreitet. Bis  in  den  Süden  des  Dekhan  war  die  Kastenordnung 
und  das  brahmanische  Staatswesen  getragen  worden,  und  die 
ursprünglichen  Einwohner  der  Gebiete  tamulischer  Sprache,  die 
sich  nicht  fugen  wollten,  die  Paria's,  wurden  unterdrückt  und 
Verstössen  und  geriethen  im  Laufe  der  Zeit  in  eine  noch  elen- 
dere Lage  als  die  Candala's1  im  Gangeslande.  Auch  Ceylon 
wurde  in  diesen  Jahrhunderten  von  Ariern  besetzt.  Die  Völker 
der  Kaiinga,  Telinga  und  Tamila  auf  der  Ostseite  Indiens 
wurden  von  den  Ariern  unterworfen  und  in  arische  Lebens- 
und Staatsformen  gezwungen,  wie  auf  der  Westseite  die  Kar- 
näta,  die  Tuluva  und  die  Malabaren.  Doch  gab  es  auch  ein- 
zelne schwerzugängliche  Gebiete,  die  der  arischen  Cultur  das 
Vordringen  fast  unmöglich  machten,  wo  sich  darum  die  alten 
Völker  in  ihren  ursprünglichen  Zuständen  erhielten;  so  die 


1  Die  nach  der  brahmanischen  Theorie  verworfensten  und  niedrig- 
sten aller  Menschen,  tief  unter  den  £üdra  stehend;  der  Theorie  nach 
MischUnge  von  fadra -Vätern  und  Brahmanen- Müttern,  welche  Ver- 
mischung an  sich  eine  schwere  Sünde  war. 


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—   295  — 


Gonda's  im  Vindhya- Gebirge,  die  Toda's  in  den  blauen  Ber- 
gen* u.  a.  m. 

Zu  derselben  Zeit  aber,  wo  die  arischen  Inder  in  solcher 
Weise  ihre  Herrschaft  erweiterten,  begannen  von  Westen  her 
stammverwandte  Völker  sie  in  ihrem  Besitze  zu  gefährden. 
Soll  schon  Kyros  sich  den  ganz  im  Nordwesten  lebenden  in- 
dischen Stamm  der  Gandhara  unterworfen,  soll  schon  er  den 
Assakenern  oder  Assakanern,  d.  h.  den  indischen  Acvaka,  Tribut 
auferlegt  haben,*  so  steht  es  von  Darius  Hystaspis  durch  die 
Inschriften  von  Behistan  und  Persepolis  fest,  dass  er  Harauvatis, 
Idhus,  öandara  zu  seinem  Reiche  zählt,  wo  also  zu  den  Gandara 
auch  noch  die  Anwohner  des  Indus  hinzugekommen  sind.  Er 
rühmt  sich,  Gandarer  und  Inder  zu  beherrschen.  Auch  Herodot 
berichtet,  dass  Darius  sich  „die.  nördlichen  Inder",  wie  er  sagt, 
unterworfen  habe,  und  auf  Darius'  Befehl  soll  der  Grieche 
Skylax  i.  J.  509  vor  Chr.  eine  Reise  durch  indisches  Gebiet 
unternommen  und  den  Indus  befahren  haben.3 

In  dem  gewaltigen  Heere,  das  Xerxes  gegen  die  Hellenen 
führte,  werden  auch  die  Abtheilungen  der  Gandarer  und  Inder 
namhaft  gemacht,  deren  Kleidung  und  Ausrüstung  uns  Herodot 
beschreibt  Die  Satrapie  der  Inder  soll  nach  demselben  Schrift- 
steller sogar  den  höchsten  Steuersatz  im  ganzen  persischen 
Reiche  gezahlt  haben.4  Sie  brachten  das  Gold  dazu  aus  einer 
nach  Osten  gelegenen  grossen  Wüste,  wo,  wie  der  fabelhafte 
Bericht  lautet,  Ameisen,  grösser  als  Füchse,  aber  kleiner  als 
Hunde,  den  Goldsaud  aufgruben. 

Der  gewaltige  Eroberer,  dem  das  Perserreich  als  Beute 
zufiel,  führte  sein  Heer  auch  bis  in  diese  östlichsten  Theile 
persischer  Herrschaft  und  griff  mit  seinen  kühnen  Plänen  noch 
«Bit  darüber  hinaus.  Sein  Einfall  zuerst  bedrohte  Indien  mit 
ernstlicher  Gefahr,  denn  wenig  hatten  sich  bisher  die  brah- 
manischen  Bewohner  des  Gangeslandes  darum  gekümmert,  dass 
ein  Theil  ihrer  weitab  wohnenden  Stammesgenossen  im  Indus- 
gebiet, von  denen  sie  sich  durch  eine  jahrhundertelange  Cultur- 
entwickelung'  geschieden  fühlten  und  die  sie  gar  nicht  voll  zu 
sich  rechneten,  den  persischen  Herrschern  Tribut  entrichtete. 
Jetzt  aber  wurde  es  Ernst  mit  der  von  Westen  herannahenden 
Gefahr. 


1  Nilagiri,  Nügherry. 

•  VgL  Duncker,  Gesell,  des  Alterth.  Bd.  III  (4.  Aufl.)  p.  14. 
3  S.  Lassen,  Indische  Alterthumskunde  II  (2.  Aufl.)  p.  634. 

*  Vgl.  Duncker,  Geich,  des  Alt.  in  (4.  Aufl.)  p.  295. 


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—   296  - 


Im  Jahre  327  vor  Chr.,  zur  Frühlingszeit,  überschritt 
Alexander  der  Grosse  den  Hindukusch  mit  einem  Heere  von 
120,000  Fussgängern  und  15,000  Reitern.1  Nach  einer  Be- 
lagerung von  dreissig  Tagen  nahm  er  die  Stadt  Pushkalayati, 
von  den  Griechen  Peukelaotis  genannt,  am  Einfluss  des  Kabul 
in  den  Indus,  ein.  Bevor  er  aber  weiter  nach  Osten  vordrang, 
mussten  zuerst  die  Völkerschaften  der  Acvaka,  nördlich  vom 
Kabulflusse,  und  der  Gandhära,  südlich  von  demselben,  be- 
zwungen werden.  Insbesondere  die  Acvaka,  von  den  klassischen 
Schriftstellern  Assakaner,  Aspasier  und  Hippasier  genannt,  be- 
reiteten dem  stolzen  Eroberer  grosse  Schwierigkeiten.  Nach 
vielen  Kämpfen,  Belagerungen  und  Verhandlungen  durfte  end- 
lich der  Krieg  gegen  dieses  Volk  als  beendigt  angesehen  werden; 
darüber  aber  war  das  Jahr  327  hingegangen,  und  Alexander 
inusste  sein  Heer  im  Gebiete  der  Acvaka  überwintern  lassen. 

Zu  Anfang  des  Jahres  326  überschritt  er  den  Indus  und 
näherte  sich  dem  Reiche  von  Takshacila,  welche  Stadt  zwischen 
Indus  und  Vitasta  gelegen  ist;  die  Griechen  nennen  es  das 
Reich  des  Taxi  1  es.  Der  Fürst  dieses  Reiches,  seit  Alters  ver- 
feindet mit«  dem  benachbarten  Herrscher  aus  dem  Stamme  der 
Paurava  oder  Paura,  den  die  Griechen  Porös  nennen,  ergriff 
die  Gelegenheit,  den  mächtigen  Ankömmling  seinen  Interessen 
zu  gewinnen,  und  sandte  dem  Alexander  Boten  entgegen  mit 
dem  Anerbieten,  sich  ihm  zu  unterwerfen  und  mit  ihm  zu  ver- 
bünden. Dieser  Antrag  wurde  angenommen,  und  die  Griechen 
rückten  in  Takshacila  ein.1  Hierher  kam  auch  der  Bruder  des 
Königs  von  Kaschmir  um  Alexander  die  Unterwerfung  dieses 
Fürsten  anzukündigen,  desgleichen  eine  Reihe  kleinerer  Fürsten, 
die  persönlich  dem  Macedonier  ihre  Verehrung  bezeugten. 

Um  so  entschiedeneren  Widerstand  sollte  Alexander  dafür 
von  dem  Fürsten  des  Reiches  erfahren,  das  sich  zwischen  der 
Vitasta  und  Asikni,  von  den  Griechen  Hydaspes  und  Akesines 
genannt,  ausdehnte.  Es  war  das  Reich  der  Paurava  oder  Paura, 
welches  das  Mahabharata  als  in  der  Nähe  von  Kaschmir  liegend 
erwähnt,  dessen  Fürsten  die  Griechen,  offenbar  nach  seinem 
Geschlechtsnamen,  Porös  nennen. 


1  S.  Duncker,  a.  a.  0.  p.  301. 

*  Hier  sahen  die  Griechen  zum  ersten  Mal  einige  von  den  „weisen 
Männern"  der  Inder,  den  brahmanischen  Asketen,  und  wardn  erstaunt 
über  deren  seltsame  Askese  und  ihre  merkwürdigen  Lehren.  Wir  er- 
sehen aus  ihren  Berichte  .,  dass  die  brabmanische  Cultnr  übereinstimmend 
mit  den  buddhistischen  Angaben,  damals  schon  bis  in  den  äussersten 
Westen  Indiens  vorgedrungen  war. 


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—    297  — 


Dieser  tapfere  König  führte  Alexander  ein  bedeutendes 
Heer  (50,000  Fussgänger,  4000  Reiter,  200  Elephanten  und 
400  Streitwagen)  entgegen,1  dem  aber  Alexander^  Heer  doch 
etwa  um  das  doppelte  überlegen  war,  abgesehen  davon,  dass 
auch  der  Fürst  Ton  Takshacilä,  der  Feind  des  Porös,  ihn  mit 
seinen  Truppen  unterstützte. 

An  den  Ufern  des  Grenzflusses  Hydaspes,  der  vedischen 
Vitasta,  lagerten  die  beiden  Heere  einander  gegenüber.  Ob- 
gleich der  Strom  gefahrlich  angeschwollen  war,  entschloss  sich 
Alexander  doch  zum  fJebergang,  als  er  erfuhr,  dass  der  König 
von  Kaschmir,  trotz  seiner  angeblichen  Unterwerfung,  mit  einem 
ungefähr  gleichstarken  Heere  dem  Porös  zu  Hülfe  ziehe  und 
nicht  mehr  weit  entfernt  sei.  Er  theilte  sein  Heer  und  be- 
werkstelligte an  einer  geschickt  gewählten  Stelle  den  Ueber- 
gang.  Porös  musste  einen  Theil  seines  Heeres  den  Trupper 
des  KrateroS  gegenüber  zurücklassen  und  eilte  mit  der  Haupt- 
macht dem  Alexander  entgegen.  Die  jetzt  gelieferte  Schlacht 
gehört  zu  den  berühmtesten  in  der  alten  Geschichte.  Mace- 
donische  und  indische  Kriegskunst  massen  sich  hier,  und  wohl 
nur  die  überlegene  Macht  und  das  seltene  Genie  Alexanders 
gaben  diesem  nach  schwerem  Kampfe  den  Sieg.  In  langer 
Linie  standen  die  Elephanten  des  Porös  als  ein  mächtiges  Boll- 
werk im  Vordertreffen;  sie  schlugen  die  Reiterei  der  Mace- 
dohier  in  die  Flucht,  richteten  Verwüstungen  in  der  todes- 
muthig  kämpfenden  Phalanx  an.  Nachdem  Alexander  wieder- 
holt die  Angriffe  der  indischen  Reiter  wie  auch  das  Fussvolk 
zurückgeschlagen  hatte,  die  sich  beide  hinter  die  Elephanten 
zurückziehen  mussten,  wurde  auch  dies  furchtbare  Bollwerk 
zuletzt  bezwungen.  Die  Macedonier  wichen  dem  Anlauf  der 
Elephanten  aus,  verwundeten  die  umkehrenden  mit  Speeren 
oder  schlichen  ihnen  nach  und  hieben  ihnen  mit  Beilen  die 
Fersen  durch.  Porös  selbst,  der  als  Heerführer  wie  als  Kämpfer 
gewaltige  Thaten  verrichtete,  wurde  an  der  Schulter  verwundet, 
nachdem  schon  vorher  sein  Sohn  gefallen  war.  Dennoch  ge- 
hörte der  heldenmüthige  König  zu  den  Letzten,  die  da  wichen. 
Der  Fürst  von  Takshagila  sprengte  an  ihn  heran  und  forderte 
ihn  auf  sich  zu  ergeben,  wäre  aber  fast  vom  Speere  des  Porös, 
der  rasch  seinen  Elephanten  gegen  den  alten  Feind  umkehrte, 
durchbohrt  worden.  Alexander  bewunderte  den  indischen  König 
und  sandte  ihm  einen  alten  Freund  aus  früherer  Zeit  zur 
Unterhandlung  zu.   Porös,  von  Durst  übermässig  gequält,  stieg 


1  Vgl.  Lassen,  Ind.  Alterthumskunde,  II"  p.  155. 


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von  seinem  Elephanten  herab  und  Hess  sich  vor  Alexander 
führen.  Als  dieser,  seine  hohe  Gestalt  und  Würde  bewundernd, 
ihn  fragte,  wie  er  behandelt  zu  werden  wünsche,  antwortete 
Porta:  Königlich!  —  Das  thue  ich  schon  um  meinetwillen,  soll 
Alexander  erwidert  haben,  aber  sage,  was  du  wünschest  — 
In  diesem  Worte  ist  Alles  enthalten!  —  war  die  Antwort  des 
indischen  Königs. 

Alexander  beliess  den  Porös  nicht  blossen  seiner  Herr- 
schaft, sondern  er  vergrösserte  dieselbe  sogar  noch  um  ein  Be- 
deutendes. Der  König  von  Kaschmir  wagte  es  jetzt  nicht  mehr, 
mit  Alexander  zu  streiten,  und  unterwarf  sich  ihm.  Alexander 
rastete  dreissig  Tage  im  Lande  des  Porös  und  gründete  zwei 
Städte  am  Hydaspes.  Die  eine,  an  der  Stelle,  wo  er  den  Fluss 
überschritt,  nannte  er .  Bukcphala ,  zum  Andenken  an  sein  in 
der  Schlacht  gefallenes  Ross;  die  zweite  Nikaea,  au  der  Stelle, 
wo  der  Sieg  erfochten  wurde.  Dann  zog  er  weiter  nach  Osten, 
besiegte  die  Kathaier,  Kekaya,  Kshudraka,  Malava  u.  A.  und 
drang  bis  zur  Vipac  und  Qutudri  (Hyphasis  und  Zadadres)  vor. 
Es  kann  kaum  einem  Zweifel  unterliegen,  dass  Alexander  die 
Absicht  hatte,  noch  weiter  nach  Osten  vorzudringen  und  auch 
das  Gangesland  sich  zu  unterwerfen.  Aber  seine  gewaltigen 
Pläne  scheiterten  an  dem  hartnäckigen  Widerstand  seiner  Mace- 
donier,  die  sich  weiter  zu  ziehen  weigerten.  Die  furchtbaren 
Strapazen  der  letzten  Zeit  hatten  das  stolze  Heer  saumselig 
gemacht;  insbesondere  hatte  ihnen  die  indische  Regenzeit  grosse 
Mühsale  bereitet  Dazu  kam  die  hervorragende  Tapferkeit  der 
indischen  Völker  und  Fürsten,  die  sie  besonders  im  Kampfe 
gegen  Porös,  aber  auch  sonst,  kennen  gelernt  hatten.  Endlich 
die  Berichte  von  der  gewaltigen  Macht  des  im  Osten  herr- 
schenden Königs  der  Prasier  und  Gangariden,  der,  wie  es  hiess, 
über  ein  Heer  von  200,000  Fusssoldaten,  20;000  Reitern,  2000 
Kri egs wagen  •  und  4000  Kriegselephanten  gebiete.1  Alexander, 
der  mit  einem  unzufriedenen  Heere  wohl  auch  schwerlich  das 
grosse  Unternehmen  zu  einem  glücklichen  Ende  geführt  hätte, 
sah  sich  genöthigt,  umzukehren,  ohne  das  Pendschab  über- 
schritten zu  haben.  Er  gründete  noch  an  der  Asikni  eine 
Stadt  Alexandria  und  eine  gleichen  Namens  am  unteren  Laufe 
des  Indus,  setzte  den  Philippos  zum  Satrapen  des  Fünfstrom- 
landes ein,  den  Peithon  zum  Satrapen  des  unteren  Indusgebietes, 
befuhr  noch  die  Mündungen  des  Indus  und  zog  dann  durch 
Gedrosien  nach  Persien  zurück. 


1  8.  Leb sen,  Ind.  Alterthumskunde,  II*  p.  2rO. 


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Philippos  wurde  bald  nachher  von  meuterischen  Söldnern 
erschlagen;  an  seine  Stelle  setzte  Alexander  den  Endemos. 
Nach  Alexanders  Tode  bestimmte  der  Reichsverweser  Perdikkas, 
dass  die  Verhältnisse  in  Indien  so  bleiben  sollten,  wie  der 
grosse  König  sie  geordnet  t)es  Porös  Gebiet  ward  später  noch 
vergrössert;  aber  schändlicherweise  Hess  jener  Endemos  den 
tapfern  nnd  mächtigen  Inder  meuchlings  ermorden.  Dieser 
elende  Mord  ihres  erlauchten  nnd  ehrwürdigen  alten  Königs 
erbitterte  die  Inder  auf  das  Aeusserste.  Die  Folge  davon  war 
ein  Aufstand,  in  welchem  sie  das  griechische  Joch  abschüttelten. 
Dieser  Aufstand  bildet  einen  Wendepunkt  in  der  indischen 
Geschichte,  und  als  Hauptleiter  desselben  erscheint  ein  kühner 
junger  Abenteurer,  der  die  Gelegenheit  benutzte,  sich  selbst 
ein  mächtiges  Reich  zu  gründen,  das  mächtigste,  welches  auf 
indischem  Boden  bisher  bestanden.  Dieser  Mann  hiess  Can- 
dragupta, von  den  Griechen  Sandrakottos  genannt.1  Er 
war,  wie  die  Griechen  berichten,  von  niederer  Herkunft  und 
es  ist  wenig  Gewicht  darauf  zu  legen,  wenn  die  Buddhisten 
sich  bemühen,  sein  Geschlecht  —  es  ist  das  der  Maurya  — 
an  die  Qakya  von  Kapilavastu  anzuknüpfen;  es  lag  ihnen  offen- 
bar daran,  seinem  Enkel  Acoka,  dem  grössten  buddhistischen 
Herrscher,  zu  so  erlauchtem  Ursprung  zu  verhelfen.  Candra- 
gupta  muss  in  früheren  Jahren  im  Dienste  des  Magadhakönigs 
Dhanananda  gestanden,  dort  aus  irgend  einem  Grunde  in  Un- 
gnade gefallen  und  flüchtig  geworden  sein.  Er  soll  als  junger 
Mann  den  Alexander  selbst  gesehen  haben,  musste  also  damals 
(326)  im  Induslande  gewesen  sein.  Im  Jahre  321  finden  wir 
Porös  noch  als  regierenden  Fürsten  erwähnt;  einige  Jahre  darauf 
muss  er  ermordet  worden  sein;  der  Aufstand  der  Inder  brach 
aus,  die  griechischen  Satrapen  Eudemos  und  Peithon  mussten 
weichen,  und  im  Jahre  317  w&r  Candragupta  Herr  des  Indus- 
landes. Von  dort  aus  wendet  er  sich  nun  gegen. des  Ostreich, 
vor  dessen  König  Dhanananda  er  einst  hatte  fliehen  müssen.  Er 
wusste  von  diesem,  dass  er  beim  Volke  wegen  seiner  Schlechtig- 
keit und  niedrigen  Herkunft  missachtet  war.  Er  entthront  und 
tödtet  ihn,  erobert  P&taliputra  und  ist  im  Jahre  315  Herr  von 
Magadha  und  damit  auch  vom  ganzen  Gangeslande.  Er  nimmt 
seinen  Sitz  in  Pa^aliputra;  die  Herrschaft  der  Nanda  hat  ihr 
Ende  erreicht,  und  es  folgt  die  Dynastie  der  Maurya  des  Ge- 
schlechts des  Candragupta. 


1  Athen &us  schreibt XavÖQoxvnroQ,  was  der  indischen  Namensform 
noch  naher  kommt.  Vgl.  Schlegel,  Ind.  Bibl.,  I  p.  246.  II  p.  168.  175. 


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-   300  — 

Candragupta  hatte  ein  grösseres  Reich  gegründet,  als 
irgend  ein  indischer  König  vor  ihm.  Das  ganze  Gangesland 
bis  zur  Mündung  dieses  Stromes  und  das  Gebiet,  des  Indus, 
Alles,  was  zwischen  Himalaya  und  Vindhya  liegt,  gehorchte 
seinem  Scepter;  selbst  die  Halbinsel  Gujerat  im  Südwesten 
fügte  er  seiner  Herrschaft  noch  hinzu.  Wir  werden  uns  daher 
nicht  wundern,  von  klassischen  Schriftstellern  zu  hören,  dass 
Sandrakottos  Herr  über  ganz  Indien  war.1 

Ueber  die  Ordnung,  die  guten  Einrichtungen  und  den 
blühenden  Zustand  dieses  gewaltigen  Reiches  sind  uns  von  den 
Griechen  manche  Schilderungen  aufbewahrt.  Die  Heeres  macht 
des  Candragupta  wird  als  eine  sehr  grosse  angegeben;  er  soll 
600,000  Fusssoldaten,  30,000  Reiter,  9000  Elephanten  zur  Ver- 
fügung gehabt  haben.* 

Der  Grieche  Seleukos,  der  auch  einst  unter  Alezander  im 
Induslande  mitgekämpft,  hatte  sich  inzwischen  ein  bedeutendes 
Reich  im  Euphratlande,  Persien  und  Medien  gegründet  Er 
machte  den.  Versuch,  auch  das  Indusland  wieder  zu  erobern, 
muss  aber  bald  die  Unmöglichkeit  eingesehen  haben,  gegen 
Candragupta's  Macht  zu  kämpfen.  Ueber  den  Verlauf  dieses 
Angriffs  erfahren  wir  nur  wenig.  Er  war  jedenfalls  für  Seleukos 
nicht  glücklich,  das  sehen  wir  aus  den  Friedensbedingungen, 
in  denen  Seleukos  gegen  geringe  Zahlung  grössere  Länder- 
strecken dem  Candragupta  abtrat  Appian  berichtet,  dass  Se- 
leukos den  Indus  überschritt,  mit  Candragupta  kämpfte,  und 
dass  dem  Kampfe  dann  ein  Bündniss  und  Verschwägerung  der 
beiden  Herrscher  folgte.?  Seleukos  sandte  nachher  den  Mega- 
sthenes  als  Gesandten  an  den  Hof  von  Pataliputra,  und  diesem 
Griechen,  der  längere  Zeit  im  Herzen  Indiens  gelebt,  ver- 
danken wir  werth volle,  immer  mehr  als  zuverlässig  sich  be- 
währende Schilderungen  der  Inder  und  indischen  Verh  nisse 
zu  jener  Zeit. 

Candragupta  regierte  24  Jahre  lang  und  starb  L  J.  291 
vor  Chr.  Ihm  folgte  auf  dem  Thron  von  Pataliputra  sein  Sohn 
Vindusara,4  dessen  Regierung  durch  keine  hervorragenden 
Ereignisse  gekennzeichnet  ist  Um  so  mehr  lässt  sich  dies  von 
seinem  Sohn  und  Erben  sagen,  dem  mächtigen  und  berühmten 


1  Vgl.  Duncker,  Gesch.  d.  Alterth.  III4,  p.  339. 
4  Vgl.  Lassen,  Ind.  Alterthumskunde,  II*,  p.  222. 

3  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  II*,  p.  218. 

4  Von  den  Griechen  Amitrochätes,  d.  h.  Amitraghäta  „Feindetödter", 
gCDaimt. 


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301  - 


König  A$oka,  der  vom  Jahre  259 — 222  vor  Chr.1  regierte, 
dem  grossen  Reiche  noch  manche  weitere  Gebiete  hinzufügte 
und  seine  Regierung  durch  den  Uebertritt  zum  Buddhismus 
und  die  mächtige  Förderung  und  Verbreitung  der  Lehre  des 
Allerherrlich8t -Vollendeten  denkwürdig  gemacht  hat.  Unter 
seiner  Regierung  fand  das  dritte  buddhistische  Concil  statt. 
Er  ist  der  erste  indische  König,  der  uns  historische  Urkunden 
hinterlassen  hat,  —  die  berühmten  Inschriften  des  Acoka  auf 
Felsen  und  Säulen,  die  in  weit  von  einander  entfernten  Ge- 
bieten Indiens  von  jenen  Tagen  und  dem  frommen  König  Acoka 
«jrzählen. 

Der  Anfang k  seiner  Regierung  war  kein  sehr  würdiger.  Er 
liess  fast  alle  seine  Brüder  umbringen,  regierte  streng  und 
grausam  und  betheiligte  sich  persönlich  an  der  Hinrichtung 
der  Personen*  die  ihn  erzürnt  hatten.  Dabei  speiste  er  wie 
sein  Vater  täglich  60,000  Brahmanen.  Einst  liess  er  den  Bud- 
dhisten Samudra  aus  (Jrävasti  in  einen  Kessel  /oll  siedenden 
Fetts  und  Wassers  werfen;  aber  dem  Frommen  geschah  da- 
durch kein  Leid,  und  es  war  unmöglich,  das  Feuer  unter  dem 
Kessel  zu  entzünden.  Als  der  König  dies  Wunder  sah,  ward 
er  von  Reue  erfasst,  ging  in  sich,  bat  den  frommen  Mann,  ihm 
seinen  Frevel  zu  verzeihen,  bekehrte  sich  zum  buddhistischen 
Glauben  und  gelobte,  die  Erde  mit  Denkmalen  zu  Ehren  des 
Vollendeten  zu  bedecken.  Er  hat  dies  Versprechen  gehalten, 
wenn  es  auch  eine  sagenhafte  Uebertreibung  der  Buddhisten 
sein  mag,  dass  er  84,000  Stüpa's  für  die  Reliquien,  und  eben- 
soviel Vihara's  oder  Mönchswohnungen  errichtet  habe. 

Sein  eigener  Sohn  Mahendra  trat  in  den  Stand  eines  bud- 
dhistischen Bettlers,  desgleichen  seine  Tochter. 

Dieser  Mahendra  soll  die  Lehre  des  Buddha  in  Ceylon 
gepredigt  und  die  Insel  bekehrt  haben.  Acoka'  sandte  den 
Almosentopf  des  Buddha  und  dessen  rechtes  Schulterbein  nach 
Ceylon,  und  diese  hochheiligen  Reliquien  wurden  vom  König 
der  Insel  in  einem  Stüpa  niedergelegt.  Auch  ein  Zweig  des 
heiligen  Feigenbaumes,  unter  welchem  Buddha  die  Erkenntniss 
erlangte,  wurde  nach  Ceylon  gebracht  und  erwuchs  dort  zum 
stattlichen  Baume.  Bis  heute  sind  die  Bewohner  Ceylon's  die 
treuesten  Bewahrer  der  buddhistischen  Traditionen  geblieben. 

König  Acoka  soll  täglich  60,000  Bhikshu  gespeist  und 
während  der  Regenzeit  300,000  Jünger  des  Buddha  unterhalten 


1  Lassen  gab  263—226  als  Regierungszeit  A^oka's  an;  vgl.  aber 
M  Müller,  Indien  in  s.  w.  B.  p.  2t51. 


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-   302  — 

haben.  Unter  seiner  Regierung  fand  das  dritte  buddhistische 
Concil  zu  Patali putra  statt1  Es  ist  uns  in  der  Inschrift  von 
Bhabra  bis  heute  noch  ein  Sendschreiben  enthalten,  welches 
Acoka  an  diese  ehrwürdige  Versammlung  richtete,  und  in  wel- 
chem er  seine  Verehrung  für  Buddha,  die  Lehre  und  die  Ge- 
meinde ausdrückt,  dem  Concil  zu  seinen  Arbeiten  Glück  wünscht, 
seine  eigene  Ansicht  darüber  kund  thut  und  eifrigste  Förderung 
verspricht.  „Dies  ist  der  Ruhm,  auf  den  ich  das  grösste  Ge- 
wicht lege.  Deswegen  lasse  ich  euch  dies  schreiben.  Es  ist 
mein  Wille  und  meine  Erklärung.** Ä 

Die  Fassung,  in  welcher  uns  der  buddhistische  Canon  jetzt 
vorliegt,  hat  derselbe  wahrscheinlich  auf  diesem  Concil  erhalten, 
wenn  auch  Vieles  davon  bereits  früher  zusammengestellt  worden. 
Nach  diesem  Concil  wurde  einer  der  Aeltesten  nach  Kaschmir 
und  ins  Land  der  Gandhara  gesandt,  um  auch  diese  zu  be- 
kehren. Es  gelang,  und  Kaschmir  ist  seit  jener  Zeit  ein  Haupt- 
sitz des  Buddhismus  geblieben. 

Aber  obschon  Acoka  so  dem  Buddhismus  die  eifrigste 
Förderung  angedeihen  liess,  so  wurden  doch  auch  die  Brah- 
manen  von  ihm  keineswegs  verfolgt  und  bedrückt,  vielmehr 
besagen  seine  Inschriften,  in  denen  bisweilen  die  Brahmanen 
sogar  vor  den  Cramana's  genannt  werden,  dass  man  auch  jene 
ehren  und  beschenken  müsse.3  Ja,  Acoka  erhebt  sich  sogar 
zu  einem  noch  höheren  humanen  Gesichtspunkt,  wenn  er  in 
der  Inschrift  von  Girinagara  sagt:  „Der  von  den  Göttern  ge- 
liebte, hebevoll  gesinnte4  König  ehrt  alle  Religionen  wie  die 
Bettler  und  Hausherron  durch  Almosen  und  andere  Beweise 
der  Achtung.  Man  soll  seinen  eigenen  Glauben  ehren,  man 
darf  aber  den  Anderer  nicht  schelten.  Nur  Eintracht  frommt 
Möchten  die  Bekenner  jeden  Glaubens  reich  an  Weisheit  und 
glücklich  durch  Tugend  sein." 6 

Die  Inschriften  des  Acoka  sind  die  ältesten  indischen 
Schriftdenkmal e,  die  wir  überhaupt  besitzen  und  darum  von 
unschätzbarem  Werthe.  Sie  finden  sich  an  ganz  verschiedenen 
Orten  des  weiten  Reiches,  theils  in  Felsen  eingehauen,  theils 


1  Vgl.  Lassen,  Ind.  Alt.  II*,  p.  240. 

»  Vgl.  Duncker,  Gesch.  d.  Alt.  III*,  p.  409.  B&rnouf,  Iotas  de 
la  bonne  loi  p.  725.  727. 

8  8.  Lassen,  Ind.  Alt  II*,  p.  276. 

4  Devanampriya  Priyadarcin  (in  dem  Volksdialekt,  welchen  die  In- 
schriften ceigen,  Piyadasi).  So  nennt  sich  Acoka  auf  seinen  Inschriften 

6  Vgl.  Duncker,  Gesch.  d.  Alt.  III*,  p.  414.  Burnouf,  lotos  de 
la  bonno  loi  p.  762.  —  Koeppen,  Rel.  d.  Buddha,  Bd.  I,  p.  464.  465. 


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—    303  — 

auf  hoben  Säulen,  Gesetzessäulen  (dharmastambha)  genannt, 
die  über  einem  Kapital  von  Lotosblättern  einen  Löwen  tragen, 
das  Sinnbild  des  Buddha,  des  Löwen  ans  dem  Stamme  der 
(j&kya.1  Diese  Säulen  sind  einander  gl*  ^  h  gebaut  und  ent- 
lialten  im  Wesentlichen  die  gleichen  Inschriften.  Acoka  soll 
ihrer  viele  errichtet  haben;  uns  ist  wenigstens  eine  kleine  An- 
zahl erhalten.*  Felseninschriften  des  Acoka  finden  sich  auf 
der  Halbinsel  Gujerat  bei  Girnar  (Girinagara),  bei  Dhauli  in 
der  Nähe  der  Hauptstadt  von  Orissa,  sowie  nördlich  vom  Kabul- 
strome bei  Kapur-di-Giri,  in  der  Nähe  des  heutigen  Peschawar, 
und  endlich  bei  Khalsi.8  Alle  diese  Inschriften  hatten  den 
Zweck,  der  Verbreitung  des  Buddhismus,  des  „guten  Gesetzes", 
Vorschub  zu  leisten. 

Das  mächtige  Reich  seiner  Väter  hatte  Acoka  noch  ver- 
größert, er  hatte  Kaschmir  demselben  hinzugefügt,4  beherrschte 
die  Gandhara  und  unterwarf  sich  das  Reith  der  Kaiinga  im 
Süden  von  Orissa.  So  reichte  denn  seine  Herrschaft  von  der 
Gangesmündung  bis  in  den  äussersten  Westen  von  Iudien,  von 
Kaschmir  und  dem  Himalaja  bis  zum  Godaveri- Flusse.  Er 
rühmt  sich  auf  seinen  Inschriften  mit  echt  orientalischer  Ueber- 
treibung,  dass  auch  Antiyoka,  der  König  der  Yavana  (d.  h.  der 
Griechen),  und  vier  weitere  Könige:  Turamaya,  Antikina,  Maga 
und  Alikasandara  die  Gesetzesvorschrift  des  göttergeliebten 
Königs  befolgt  hätten.  Diese  Könige  sind:  sein  Nachbar  Anti- 
ochos,  sowie  ferner  Ptolemaeos  (Philadelphos)  von  Aegypten, 
Antigonos  (Gonnatas)  von  Makedonien,  Magas  von  Kyrene  und 
Alexander  von  Epeiros.6 

Uebertreibt  Acoka  auch  seinen  Einfluss,  so  sieht  man  doch, 
wie  weit  seine  Beziehungen  reichten. 

Und  dieser  mächtige  König  weihte  sein  Leben  vornehmlich 
der  Ausbreitung  der  Lehre  des  vollendeten  Buddha.  Es  war 
der  Glanzpunkt,  die  Blüthezeit,  die  der  Buddhismus  in  Indien 
erlebt  hat. 


1  £akyasiinha. 

*  S.  Lassen,  Ind.  Alterth.  II«  p.  224  flg. 

»  S.  Lassen,  a.  a.  0.  II*,  p.  227—230.  Weber,  Ind.  Lit.  »2.  Aufl. 
p.  195. 

4  S.  LasBeo,  a.  a.  0.  II*,  p.  258. 

6  8.  Lassen,  Ind.  Alterth.  II»,  p.253.  Duncker,  Gesch.  d.  \lt.lll\ 
p.406.  Oldenberg,  Ueber  Sanskritforschung,  Deutsche  Rundschau  XII,  9 
p.  408  (1886). 


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Einundzwanzigste  Vorlesung, 


Die  geschichtlichen  Ereignisse  Indiens  im  Mittelalter  (Fortsetzung  und 
Schlnss).  Acoka*s  Söhne  und  Nachfolger.  Die  Dynastie  der  $ufiga  in 
VidiciL  Das  griechisch- bak  tri  sehe  Reich.  Das  griechisch-indische  Reich. 
Die  Indoskythen;  Yue-tschi,  Qaka.  Kanishka  oder  Kanerki.  Das  vierte 
buddhistische  Concil.  Die  Dynastie  der  Gupta.  Die  Valabht- Könige. 
Der  Vikramaditya  des  Kalidasa  (Harsha  von  Ujjayini)  und  seine  Nach- 
folger. Einfalle  und  Eroberungen  der  Mohammedaner.  Mahmud  von 
Ghasna.   Timur  (Tamerlan).   Baber  und  das  Reich  der  Grossmogule. 


Bevor  wir  auf  die  Culturverhältnisse  des  indischen  Mittel- 
alters eingehen,  erlauben  Sie  mir  noch,  die  Schilderung  der 
politischen  Ereignisse  jener  Zeitperiode  weiter  fortzufuhren  und 
wenigstens  die  wichtigsten  Umwälzungen  und  Neugestaltungen 
der  folgenden  Jahrhunderte  kurz  anzudeuten. 

Wenn  es  zu  der  Zeit,  da  Candragupta  und  seine  nächsten 
Nachfolger  den  Thron  von  Pataliputra  inne  hatten,  wohl  scheinen 
konnte,  als  solle  Indien  jetzt  zu  einem  grossen  Reiche  zu- 
sammen wachsen  und  der  Segnungen  eines  einheitlichen  Regi- 
mentes gemessen,  so  brachte  schon  die  Zeit  unmittelbar  nach 
Acoka  Ereignisse,  welche  die  politische  Entwickelung  des  Landes 
in  wesentlich  andere  Bahnen  lenken  sollten. 

König  A$oka  starb  im  Jahre  222  vor  Chr.  nach  einer 
37jährigen  segensreichen  Regierung.  Nach  Beinern  Tode  zer- 
fiel das  grosse  Reich  der  Maurya  in  drei  kleinere,  indem  — 
nach  der  wahrscheinlichsten  Annahme  —  die  Söhne  Acoka's 
sich  in  das  Erbe  ihres  Vaters  theilten.1 

In  Magadha,  dem  Stammland  des  alten  Reiches,  herrschte 
Suyacas  und  dessen  Nachkommen.  Kaschmir  und  ein  grosser 
Theil  des  nordwestlichen  IndienB  fiel  dem  Jaloka  zu,  welchen 
die  Griechen  Sophagasenos  (d.  i.  Subhagasena)  nennen."  Im 


1  S:  Lassen,  Ind.  Alterth.  II»  p.  284.  360. 
*  S.  Lassen,  a.  a.  0.  II»,  p.  360. 


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—   305  - 


südwestlichen  Theilc  von  Acoka's  Reich  gelangte  Sampadi  zur 
Herrschaft,  der  seine  Residenz  wahrscheinlich  in  Vidicä  (Bidic,a) 
aufschlug,  dem  heutigen  Bhilsa,  welche  Stadt  am  obersten  Laufe 
der  Vetravati,  eines  von  Süden  kommenden  Nebenflusses  der 
Yanmnä,  gelegen  ist.  Nach  Lassen's  Annahme  wäre  nach  Acoka's 
Tode  ein  Streit  zwischen  den  drei  Brüdern  ausgebrochen,  in 
welchem  Jaloka  Sieger  blieb  uud  den  grösseren  Theil  des  väter- 
lichen Erbes  gewann,  während  dem  Suyagas  der  Osten,  Sampadi 
der  Südwesten  zufiel. 

Im  Ganzen  soll  das  Geschlecht  der  Maurya  137  Jahre 
regiert  haben,  also  bis  zum  Jahre  178  vor  Chr.  In  diesem 
Jahre  gelangte  Pushpamitra  zur  Regierung,  der  Gründer  der 
Dynastie  der  £unga.  Wahrscheinlich  stand  dieser  Pushpamitra 
früher  in  Diensten  des  letzten  Maurya-Königs  von  VidicÄ,  ver- 
drängte diesen  von  seiner  Herrschaft,  sowie  später  auch  den 
König  von  Magadha.1  Nach  Angabe  der  Buddhisten  sowie  der 
Puranas  residirte  er  in  Patali  putra,  nach  Lassen  in  Vidicfi..1 
Dieser  Pushpamitra,  der  erste  Herrscher  aus  der  Dynastie  der 
tyinga,  ist  der  Vater  des  Königs  Agnimitra,  den  uns  Kalidasa 
in  seinem  Drama  Malavi kägnimitra  als  Herrscher  von  Vidi^a 
vorführt. 

Die  Dynastie  der  Qunga  war  den  Brahmanen  freundlich 
und  wird  von  ihnen  gegen  die  Buddhisten  aufgereizt.  Es  sollen 
Verfolgungen  stattgefunden  haben.  Viele  Buddhisten  wandern 
aus  und  ziehen  sich  in  audere  Länder.  Dies  ist  wohl  auch  der 
Grund,  weswegen  das  vierte  buddhistische  Concil  (im  1.  Jahrh. 
nach  Chr.)  in  Kaschmir  abgehalten  wurde. 

Der  Zerfall  des  grossen  Reiches,  das  Candragupta  ge- 
gründet, trug  wohl  sehr  wesentlich  die  Schuld,  wenn  die  von 
Westen  das  indische  Land  bedrohenden  Feinde  jetzt  glücklicher 
in  ihren  Unternehmungen  waren  wie  ehedem.  Ist  es  auch  bei 
dem  sehr  lückenhaften  Zustande  der  Quellen,  unter  denen  die 
zahlreichen  Münzfunde  eine  wichtige  Rolle  spielen,3  kaum  mög- 
lich, ein  allseitig  klares  Bild  über  die  Vorgänge  zu  gewinnen, 
die  sich  in  jenen  Jahrhunderten  im  westlichen  Theile  Indiens 
abspielten,  —  so  viel  ist  gewiss,  dass  hellenische  Könige 


1  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  H\  p.  361. 

*  Vgl.  Weber  im  Vorwort  seiner  üebersetzung  Ton  „Malavika  und 
Agnimitra",  p.  XI. 

9  Eine  sehr  werth volle  Uebersicht  dieser  Münzfunde  hat  A.  v.  Sal  let 
gegeben  in  seiner  interessanten  Abhandlung  „die  Nachfolger  Alexanders 
des  Grossen  in  Baktrien  und  Indien",  Zeitschrift  für  Numismatik  Bd.  VI. 
p.  165  flg.,  p.  271  flg.  (mit  einem  Nachtrag  in  Bd.  VII,  p.  296  flg.). 

t.  Schröder.  Indiens  Lit.  n.  Cult.  20 


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scm; 


wiederholt  nicht  unbedeutende  Theile  Indiens  erobert  und  be- 
herrscht haben. 

Westlich  von  Indien  hatte  sich,  wie  wir  früher  gesehen, 
das  mächtige  Reich  der  Seleukiden  erhoben,  dessen  Stifter  nach 
einem  wahrscheinlich  nicht  glücklichen  Feldzuge  in  freundliche 
Beziehungen  zu  Candragupta  getreten  war.  Im  Bestände  des 
Seleukiden-Reiehes  waren  indessen  im  Laufe  der  Zeit  erhebliche 
Veränderungen  eingetreten,  insbesondere  durch  die  Gründung 
des  griechisch-baktrischen  Reiches. 

Der  Seleukide  Antiochos,  Mitte  des  dritten  Jahrhunderts 
vor  Chr.,  war  in  verschiedene  schwierige  Kämpfe  verwickelt, 
und  diesen  Umstand  benutzte  sein  Statthalter  Diodotos,  sich 
unabhängig  zu  erklären  und  das  griechisch- baktrische 
Reich  zu  gründen,  einige  Zeit  vor  d.  J.  250  vor.  Chr.1  Einige 
Decennien  später  (220  vor  Chr.)  empört  sich  der  Magnesier 
Euthydenios,  der  wahrscheinlich  Satrap  von  Areia  war,  gegen 
<lie  neubegründete  Dynastie  und  gewinnt  die  Herrschaft  über 
das  Reich.  Als  später  Antiochos  III,  der  Grosse,  gegen  diesen 
mit  Waffengewalt  vorrückte,2  kam  es  zu  Verhandlungen,  deren 
Resultat  die  Anerkennung  der  Unabhängigkeit  und  der  Königs- 
würde des  Euthydemos  von  Seiten  des  Antiochos  war.  Insbe- 
sondere soll  der  Seleukide  durch  die  einnehmende  Persönlich- 
keit des  Demetrios,  Sohnes  des  Euthydenios,  für  diesen  ge- 
wonnen sein.3  Antiochos  versprach  dem  Demetrios  seine  Tochter 
zur  Frau  zu  geben,  überschritt  den  indischen  Kaukasos  und 
befestigte  die  angestammte  Freundschaft  mit  dem  indischen 
Könige,  den  die  Griechen  Sophagasenos  nennen;  es  ist  Jaloka, 
der  Sohn  des  Ac,oka,  der  in  Kaschmir  herrschte.  Dieses  Bünd- 
niss  war  dem  Seleukiden  ohne  Zweifel  von  Wichtigkeit  wegen 
der  gefährlich  anwachsenden  Macht  der  griechisch-baktrischen 
Herrscher.    Er  zog  dann  wieder  in  sein  Land  zurück, 

Euthydemos  dehnte  seine  Eroberungen  bis  an  den  Hydaspes 
aus,  wo  er  eine  nach  seinem  Namen  benannte  Stadt  gründete-,4 
ei  besass  eine  sehr  bedeutende  Macht,  scheint  aber  von  Jaloka 
bei  einem  Angriff  auf  dessen  Reich  geschlagen  worden  zu  sein.5 

1  S.  Lassen,  Ind.  Alterth.  II*,  p.  295.  296.  A.  v.  Sallet,  in  der 
Ztschr.  f.  Numismatik  Bd.  VI,  p.  165.  191. 

*  S.  Lassen,  II*,  p.  311.  Die  Kampfe  des  Antiochos  III.  gegen 
Euthydemos  fallen  nach  Droysen  «Gesch.  d.  Hellenismus)  in  die  Jahre 
212—205  vor  Chr.  Vgl.  A.  v.  Sallet,  Ztschr.  f.  Numismatik,  Cd.  VI, 
p.  167. 

a  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  II«,  p.  310. 
4  Vgl.  A.  v.  Sallet,  a.  a.  0.  p.  168. 

6  Nach  der  Chronik  von  Kaschmir.  S.  Lassen,  a.  a.  0.  p.  312.  313. 


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Des  Euthydemos  Sohn  Demetrius  (ca.  200  vor  Chr.)  drang 
mit  seinen  Eroberungen  schon  bedeutend  weiter  in  das  indische 
Land  vor.  Er  soll  das  Gebiet  des  unteren  Indus  (Pattalene), 
die  Landschaft  Mailava  und  die  Halbinsel  Gujerat  beherrscht 
haben,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auch  Kaschmir.1  Derne- 
trios  war  der  Erste,  der  die  griechische  Macht  bis  nach  Gujerat 
ausdehnte.  So  wird  er  denn  auch  schon  „König  der  Inder" 
genannt.*  Er  zuerst  prägt  zweisprachige  Münzen,  auf  der  Vorder- 
seite griechisch,  auf  der  Rückseite  indisch  —  eine  Con- 
cession  an  die  von  ihm  beherrschte  Nationalität3  Die  Regie- 
rung des  Euthydcmos  und  die  des  Demetrios  bilden  die  Glanz- 
zeit des  griechisch -baktrischen  Reiches.*  Inzwischen  empörte 
sich  wieder  ein  Gewalthaber  von  unbekannter  Herkunft,  Eukra- 
tides, in  Baktricn  gegen  seinen  Oberherrn  Demetrios,  und  wenn 
derselbe  auch  zuerst  zurückgedrängt  wurde,  so  war  er  schliess- 
lich doch  siegreich,  dehnte  seine  Eroberungen  bis  in  das  in- 
dische Land  aus  und  unterwarf  sich  das  Fünfstromland  bis  an 
den  Hyphasis  (Vipac,).  Eukratides  giebt  sich  selbst  den  Bei- 
namen „der  Grosse"  und  wird  auch  von  Justin  so  genannt. 
Sein  Regierungsantritt  fällt  nach  Ausweis  der  Münzen  in  den 
Anfang  des  2.  Jahrhunderts  vor  Chr.,  etwa  um  das  Jahr  195 
vor  Chr/'  Er  herrschte  lange  —  noch  über  das  Jahr  165 
hinaus6  — ,  soll  aber  von  seinem  Sohne  nnd  Mitregenten  Heli- 
okles  auf  dem  Rückmarsch  aus  Indien  ermordet  worden  sein.7 

Das  griechisch-baktrische  Reich  wurde  zerstört,  — 
nach  Angabe  der  Alten  durch  die  Skythen,  nach  Lassen  durch 
Mithridates.*  In  Indien  aber  erhob  sich  nun  das  griechisch- 
indische  Reich,  dessen  Stifter  nacli  Lassen's  Annahme  Apollo- 
dotos  war,  ein  anderer  Sohn  des  Eukratides,  der  seinem  Bruder 


'  S.  Lassen,  a.  a.  0.  p.  314.  315. 

2  S.  A.  v.  Sallet,  a.  a.  0.  p.  170.  174. 

3  Die  Münzen  der  vorausgehenden  Könige  waren  sämmtlich  rein 

griechisch.    Vgl.  A.  v.  Sali  et,  a.  a.  0.  p.  174.  192. 

4  S.  Lassen,  a.  a.  0.  p.  316. 

»  S.  A.  v.  Sallet,  a.  a.  0.  p.  170—172.  Cunningham  setzte  den 
Regierungsantritt  des  Eukratides  in  d.  J.  190  vor  Chr.  (s.  A.  v.  Sallet 
a  a.  0.  p  172  Amn.).  Lassen  setzte  ihn  in  d.  J.  181  v.  Chr.  (Ind.  Alt.  II*, 
p.  318.  319).  —  Nach  A.  v.  Sallets  ansprechender  Vermuthung  versöhnten 
sich  Eukratides  und  Demetrios  nach  ihrem  oben  erwähnten  Kriege  und 
Eukratides  vermählte  seinen  Sohn  Heliokles  mit  des  Demetrios  Tochter 
Laodike  (vgl.  a.  a.  0.  p.  188.  189). 

6  S.  A.  v.  Sallet,  a.  a.  0.  p.  190. 

7  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  II-,  p.  325. 
*  S.  Lassen,  a.  a.  O.  p.  333. 

20* 


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—   308  — 

Heliokles  die  indischen  Provinzen  abgewann.1  Die  von  ihm 
geprägten  Münzen  sind  hauptsächlich  im  Penjab  gefunden.  Er 
regierte  gegen  die  Mitte  des  zweiten  Jahrhunderts  vor  Chr. 
Die  Ostgrenze  seines  Reiches  bildete  wahrscheinlich  der  Hy- 
phasis.* 

Der  hervorragendste  unter  seinen  Nachfolgern  war  Me- 
nandros,  der  wohl  noch  im  zweiten  Jahrhundert  oder  um  das 
Jahr  100  vor  Chr.  regierte;  genau  lässt  sich  die  Zeit  nicht 
bestimmen.8  Dieser  Menandros  erscheint  als  König  „Milinda*4 
in  buddhistischen  Schriften,  namentlich  dem  sogenannten  Mi- 
lindapafiha.4  Er  beherrschte  Guj erat,  drang  nach  Strabo  bis 
zur  Yamuna  vor,  nach  indischen  Quellen  sogar  bis  Pataliputra, 
und  belagerte  die  Stadt  Ayodhyä,  das  heutige  Oude.5  Münzen 
dieses  Königs  sind  in  grosser  Anzahl  gefunden  worden  und  er- 
scheint sein  Gesicht  auf  denselben  bald  als  ein  jugendliches, 
bald  als  alt  und  gefurcht;  offenbar  war  die  Dauer  seiner  Re- 
gierung eine  ziemlich  beträchtliche.6  Seine  Nachfolger  haben 
indessen  diese  östlichen  Länder  schwerlich  beherrscht,  be- 
schränkten sich  vielmehr  wohl  auf  die  westlichen  Gebiete.7 

Der  letzte  König  dieser  Dynastie  scheint  Hermaios  ge- 
wesen zu  sein,  der  im  ersten  Jahrhundert  vor  Chr.  regierte 


1  S.  Lassen,  a.  a.  0.  p.  336.  339.  Leider  wissen  wir  nor  sehr 
wenig  Sicheres  über  die  in  dieser  und  der  folgenden  Zeit  in  Indien  und 
Baktrien  herrschenden  griechischen  Fürsten  zu  sagen.  Die  Zahl  der- 
selben ist  nach  Ausweis  der  Münzen  für  die  verhaltnisBmasaig  kurze 
Zeit  (von  165  v.  Chr.  an,  wahrscheinlich  kein  volles  Jahrhundert)  eine 
auffallend  grosse  (ca.  24);  sie  scheinen  theils  nach  einander,  theils  aber 
auch  gleichzeitig  über  verschiedene  Theile  des  Landes  geherrscht  zu 
haben.  Eine  fortlaufend  herrschende  Dynastie  scheint  nicht  vorzuliegen. 
Die  Herrscher  sind  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  zu  einem  grossen 
Theile  Nachkommen  verschiedener  Generale  und  Beamten  Alexanders 
des  Grossen.  Aus  den  Schriftstellern  kennen  wir  von  ihnen  allen 
nur  Apollodotos  und  Menander,  die  von  Justin  als  „indische"  Könige 
erwähnt  werden.   Vgl.  A.  v.  Salle t,  a.  a.  0.  p.  194—207. 

*  Lassen,  a.  a.  0.  p.  339.  340. 

■  Lassen  (a.  a.  0.  p.  343)  nimmt  144  vor  Chr.  als  das  Jahr  seines 
Regierungsantritts  an,  doch  wie  mir  scheint  etwas  willkürlich.  S.  auch 
Oldenberg,  Buddha  p.  260. 

*  „Fragen  des  Milinda".  Einen  höchst  interessanten  und  geistvollen 
Dialog  zwischen  Milinda  und  dem  buddhistischen  Heiligen  Nagasena, 
über  das  Wesen  der  Persönlichkeit,  des  Ich,  findet  man  mitgetheilt  bei 
Oldenberg,  Buddha  p.  260  -263. 

5  S.  Lassen,  a.  a.  0.  p.  341.  342.  A.  v.  Sallet,  a.  a.  0.  p.  196. 
Strabo  355.  356. 

0  A.  v.  Sallet,  a.  a.  0.  p.  196. 

1  S.  Lassen,  a.  a.  0.  p.  351. 


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—    309  — 

und  dessen  Herrschaft  von  den  Indoskythen  gestürzt  wurde.1 
Damit  endete  überhaupt  die  Herrschaft  der  Griechen  in  diesen 
östlichen  Ländern,  denen  sie  durch  bald  zwei  Jahrhunderte 
hindurch  sich  so  oft  als  gefährliche  Gegner  und  siegreiche  Er- 
oberer gezeigt  hatten. 

Die  Völker,  denen  das  Erbe  der  Griechen  im  westlichen 
Indien  zufiel,  waren  nicht  so  edlen  Stammes  wie  die  Hellenen, 
und  wenn  die  Herrschaft  der  letzteren  neben  dem  Drückenden 
dem  Lande  doch  auch  manche  neue  geistige  Anregung,  manche 
Bereicherung  der  Cultur  brachte,  so  konnte  davon  bei  ihren 
Nachfolgern  nicht  wohl  die  Rede  sein.  Indoskythen  nennen 
die  Griechen  diese  neuen  Eindringlinge  auf  indischem  Boden 
und  fassen  unter  diesem  Namen,  der  nur  „in  Indien  wohnende 
Skythen**  bedeuten  soll,  mehrere  turanische  Völker  von  ver- 
schiedener Abstammung  zusammen,  über  deren  ethnologischen 
Charakter  wir  zum  Theil  nicht  sicher  urtheilen  können. 

Chinesischen  Berichten  zufolge  begann  die  sogenannte 
indoskythische  Völkerwanderung  i.  J.  165  v.  Chr.,'  veranlasst 
durch  das  türkische  Volk  der  Hiungnu,  welches  am  oberen 
Hoangho  in  der  Gegend  des  Schneegebirges  Inshan  wohnte  und 
wiederholt  Einfälle  nach  China  gemacht  hatte.  Die  wichtigsten 
Völker,  die  bei  dieser  Wanderung  und  Verschiebung  der  alten 
Sitze  betheiligt  waren,  simd  die  Yuei-tschi,  ein  tibetisches  Volk, 
die  Sse  und  die  Usun.  Am  meisten  im  Gebrauch  ist  aber  der 
NameQaka,  mit  welchem  die  alten  Perser  alle  skythischen  Völker 
bezeichneten. 

Die  Herrschaft  der  sogenannten  Qaka- Könige  in  Indien 
begann  im  ersten  Jahrhundert  v.  Chr.  und  dauerte  etwa  bis 
zum  Ende  des  zweiten  Jahrhunderts  n.  Chr.5  Der  berühmteste 
unter  ihnen,  ja  wohl  der  einzige  von  allen  indoskythischen 
Königen,  dessen  Ruhm  sich  weit  über  Indien  hinaus,  bis  in  das 
innere  und  östliche  Asien  hinein,  verbreitete,  war  Kanishka 


1  Nach  Lassen  i.  J.  85  vor  Chr.;  vgl.  a.  a.  0.  351—353.  Nach 
A.  v.  Sallet  trat  dies  wahrscheinlich  etwas  später  ein  (s.  a.  a.  0.  p.  202). 
DeB  Hermaios  unmittelbarer  Nachfolger  ist  Kadphises,  also  ein  König 
ungriechischen  Namens,  der  aber  die  grieeb.  Münzaufschrift  des  H.  bei- 
behalt  Vgl.  A.  v.  Sallet,  a.  a.  0.  p.  201. 

*  S.  Lassen,  a.  a.  0.  p.  372. 

*  Der  letzte  dieser  indoskythischen  Herrscher  regierte,  nach  einem 
numismatischen  Zeugniss,  bis  ungefähr  178  nach  Chr.  Vgl.  M.  Müller, 
Indien  in  8.  w.  B.  p.  261.  —  Das  heute  noch  im  Penjab  ansässige  Volk 
der  Jät's  (Dschafs)  gilt  als  Abkömmling  jener  indoskythischen  Stämme, 
die  in  den  Jahrhunderten  um  Christi  Gebort  herum  in  jenen  westlichen 
Gegenden  Indien's  kämpften  und  herrschten. 


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—    310  — 

oder  Kanerki,  welcher  im  ersten  Jahrhundert  n.  Chr.  in 
Kaschmir  herrschte.1  Die  Buddhisten  sind  es.  die  sein  An- 
denken feiern,  denn  er  war  ein  mächtiger  Beförderer  ihrer 
Lehre.  Die  Länder  des  Nord-Westens,  Kaschmir  und  Gandhära, 
wohin  die  buddhistischen  Sendboten  nach  dem  dritten  Concil 
unter  Acoka  im  dritten  Jahrhundert  v.  Chr.  ihre  Lehre  getragen 
hatten,  machte  er  zum  Hauptsitze  des  Buddhismus,  und  unter 
seiner  Regierung  fand  in  Kaschmir  das  vierte  buddhistische 
Concil  statt 

Das  Andenken  an  die  Herrschaft  der  ^aka- Könige  bewahrt 
die  indische  Zeitrechnung  bis  auf  den  heutigen  Tag;  die  so- 
genannte (Jaka-Aera  beginnt  mit  dem  Jahre  78  n.  Chr.,  —  ver- 
muthlich  das  Jahr,  in  welchem  die  Königsweihe  des  Kanishka 
stattfand.8 

Kanishka  schuf  sich  eine  mächtige  Herrschaft,  indem  er 
nicht  nur  bedeutende  Gebiete  des  inneren  Asien  seinem  Reiche 
(Kaschniir)  hinzufügte,  sondern  auch  Kanyakubja  am  Ganges 
eroberte  und  auch  weiter  nach  Süden  hin  seine  Herrschaft 
ausdehnte.  Der  Himalaya  trennte  sein  Reich  in  zwei  Theile, 
und  schon  durch  diesen  Umstand  war  dasselbe  einem  baldigen 
Zerfall  geweiht.3 

König  Kanishka  soll  ursprünglich  den  Buddhisten  feind- 
selig gewesen  sein  und  ihre-  Lehre  verachtet  haben.  Aber  er 
wurde  bekehrt  und  aus  einem  Gegner  einer  der  eifrigsten  An- 
hänger des  Buddha  und  einer  der  gefeiertsten  buddhistischen 
Könige.  Täglich  —  so  berichtet  die  Tradition  —  liess  er  sich 
von  dem  Patriarchen  Parcvika  die  drei  Pi^aka,  den  buddhisti- 
schen Canon,  erklären  und  studirte  selbst  eifrig  die  buddhi- 
stischen Schriften.  Auf  dem  unter  seiner  Regierung  abgehaltenen 
Concil,  das  —  charakteristisch  für  die  Stellung  des  Buddhismus 
in  jener  Zeit  und  die  Verdrängung  aus  seinen  früheren  Sitzen 
—  in  Kaschmir  stattfand,  soll  die  reine  Lehre  aufs  Neue  end- 
gültig festgestellt  und  sollen  ausserdem  Erklärungs werke  zu 


1  8.  Lassen,  Ind.  Alt  II*,  p.  848.  Er  gehört  specieil  zu  den 
sogenannten  Turushka-Königen. 

8  So  nach  Fergnsson's  und  Oldenberg's  Vermuthang;  vergl. 
H.  Oldenberg,  Ueber  die  Datirnng  der  älteren  indischen  Münz-  und 
Inschriftenreihen,  Ztschr.  f.  Numismatik  Bd.  VIII  p.  290  flg.;  M.  Müller, 
Indien  in  s.  w.  B.  p.  265—261.  Neben  der  Qaka-Aera  ist  hei  den  Indern 
insbesondere  die  sogenannte  Vikrama-Aera  für  die  Zeitrechnung  ge- 
bräuchlich; dieselbe  beginnt  1.  J.  66  vor  Chr.  and  verdankt  ihre  Ein- 
führung einem  König  Vikramaditya  aus  dem  6.  Jahrh.  nach  Chr.,  wie 
wir  späterhin  sehen  werden. 

1  S.  Lassen,  a.  a.  0.  II*,  p.  848—863. 


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—   311  — 

ahen  Theilen  des  Tripitaka  verfasst  worden  sein.1  Mit  diesem 
Concil  schliesst  die  erste  Periode  des  Buddbismus,  in  welcher 
durch  die  vier  allgemeinen  Concile  die  heiligen  Schriften  und 
die  Verfassung  der  buddhistischen  Kirche  wiederholt  festgestellt 
und  von  Verderbnissen  und  Fehlern  gereinigt  worden  waren. 
Die  Spaltung  zwischen  den  südlichen  und  nördlichen  Buddhisten 
war  aber  schon  früher  eingetreten,  veranlasst  dadurch,  dass  die 
Einen  von  ihnen  ein  anderes  drittes  Concil  als  das  gültige  an- 
erkennen wie  die  Anderen.  Auf  den  Münzen  des  Königs  Ka- 
nishka  oder  Kanerki*  sehen  wir  Bild  und  Name  des  Buddha 
erscheinen.8  Kanishka  gründete  auch  verschiedene  Klöster  und 
Stüpa's  und  hat  der  Verbreitung  des  Buddhismus  nach  Inner- 
asien jedenfalls  erheblichen  Vorschub  geleistet 

Die  welthistorische  Bedeutung  des  Buddhismus  war 
in  diesen  Jahrhunderten  immer  deutlicher  zu  Tage  getreten. 
Zum  ersten  Mal  in  der  Weltgeschichte  wurden  die  Schranken 
der  Nationalität  durchbrochen  durch  eine  weitherzige  Religion, 
die  aller  Welt,  allen  Stämmen  und  Völkern  das  Heil  ver- 
kündigen will.  Schon  auf  dem  dritten  Concil  unter  Acoka 
wurde  der  Beschluss  gefasst,  überall  hin  Missionen  zu  senden. 
Zu  jener  Zeit  schon  drang  der  Buddhismus  nicht  nur  nach 
Ceylon  und  Kaschmir,  sondern  auch  nach  Baktrien.  Dann 
wurde  er  im  ersten  Jahrhundert  n.  Chr.  auch  in  China  ein- 
geführt und  vom  kaiserlichen  Hofe  anerkannt.4  Aus  Kaschmir, 
wo  ihm  insbesondere  Kanishka  eine  Stätte  bereitete,  drang  er 
dann  weiter  nach  Nepal  und  Tibet;  aus  Ceylon  nach  Hinter- 
indien. In  China  gewann  er  insbesondere  im  dritten  Jahr- 
hundert n.  Chr.  grossen  Zuwachs  an  Bekennern.5 

Auch  der  Brahmanismus  war  durch  Ansiedler  in  andere 
Gebiete  Asiens  getragen  worden.  Brahmanen,  die  im  zweiten 
Jahrhundert  nach  dem  westlichen  Hinterindien  auswanderten, 
brachten  den  Cultus  des  Vishnu  dorthin.6  Nach  Java  war  der 
Cultus  dieses  Gottes  und  anderer  brahraanischer  Götter  schon 


1  Angeblich  in  300,000  ?loken:  vgl.  Lassen,  Ind.  Alt.  II*  p.  856. 

*  Kanerki  ist  die  Nainensform  des  Königs  auf  den  Münzen. 

*  Vgl.  Cunningham,  Journ.  As.  Soc.  Bengal  p.  430  und  Tafel  2; 
A.  v.  Sallet,  Ztschr.  f.  Numismatik  Bd.  VI  p.  387  tig.,  Bd.  VIII  p.  114  flg. 

4  Vgl.  Lassen,  a.  a.  0.  II*,  p.  443. 

*  Lassen,  a.  a.  0.  p.  1100. 

*  Als  Vasudeva  und  Rama.  Die  ältesten  Ansiedler  in  Java  sollen 
den  Vishnulsmus  dort  eingeführt  haben.  Brahmanen,  welche  318  dort- 
hin übersiedelten,  brachten  ein  besonderes  Göttersystem  mit.  mit  Batara 
Guru  an  der  Spitze.   &  Lassen  a.  a.  0.  II1,  p.  1112.  1113. 


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—    312  — 


früher  gedrungen.  Aber  der  Buddhismus  zeigte  doch  eine  ganz 
andere,  neue,  jugendliche  Kraft  bei  dieser  Verbreitung  in  andere 
Länder.  Die  humanen  Ideen  eroberten  ihm  die  Herzen.  Er 
vereinigte  zuletzt  eine  Menge  von  Völkern  durch  das  gemein- 
same Band  derselben  Religion  und  derselben,  damit  in 
Zusammenhang  stehenden  Literatur.  Darunter  nehmen  die 
turanischen  Völker,  denen  ja  auch  Kanishka  angehört,  keine 
unbedeutende  Stelle  ein.1 

Unter  den  Fürstengeschlechtern,  welche  im  Laufe  der 
nächstfolgenden  Jahrhunderte  in  Indien  eine  hervorragende 
Holle  spielten,  muss  vor  Allem  eines  besonders  hervorgehoben 
werden,  das  der  Gupta,  mit  dessen  Namen  eine  neue  ruhm- 
volle Periode  der  indischen  Geschichte  verknüpft  ist.  Denn 
unter  diesen  Herrschern  finden  wir  wieder  eineu  grossen  Theü 
von  Indien  zu  einem  Reiche  vereinigt,  das  einheimischen  Fürsten 
gehorchte,  nahezu  einen  so  grossen  Theil  von  Indien,  wie  dies 
zu  den  Zeiten  Candragupta's  und  seiner  ersten  Nachfolger  der 
Fall  gewesen.  Die  Dynastie  der  Gupta,  deren  Herrschaft,  mit 
dem  Jahre  319  beginnend,  in  das  4.  und  5.  Jahrhundert  n.  Chr. 
fällt,*  hatte  auch  mit  auswärtigen  Völkern  und  Fürsten  ihre 
Beziehungen,  z.  B.  mit  den  persischen  Sassaniden.  Sie  beför- 
derte einheimische  Literatur,  Dichtkunst  und  Gelehrsamkeit, 
sowie  die  brahmanische  Religion.8  Diese  Dynastie  trägt  also 
wieder  einen  indisch- nationalen  Charakter  in  grossem  Sinne. 
Die  Gupta,  von  denen  uns  Münzen  und  Inschriften  reichlich 
erhalten  sind,  hatten  ihre  Herrschaft  zunächst  längs  dem  Ganges 
bis  zum  Zusammenßuss  dieses  Stromes  mit  der  Yamuna,  sowie 
in  Ayodhyä  und  Magadha.  Der  Stifter  dieser  Dynastie,  die 
der  Tradition  zufolge  aus  der  Kaste  der  Vaicva  stammte,  hiess 
Gupta  oder  Qrlgupta.  Unter  seinen  Nachfolgern  ist  vor  Allem 


1  Als  Nachfolger  des  Kanishka  und  hervorragende  Glieder  der- 
selben Dynastie  der  Turashka  sind  Huvishka  und  Vasudeva  zu  nennen, 
welche  auf  den  Münzen  als  Ooerki  und  Bazodeo  erscheinen. 

3  Diese  Zeitbestimmung  halte  ich,  im  Anschluss  an  die  Ausfüh- 
rungen Oldenberg's,  für  die  richtige.  Man  Tgl.  den  wichtigen  und 
interessanten  Aufsatz  dieses  Forschers  „Ueber  die  Datirung  der  alteren 
indischen  Münz-  und  Inschriftenreihen",  Ztschr.  f.  Numismatik  Bd.  VTCI 
p,  289—329;  namentlich  p.  300  flg.  Dazu  den  Nachtrag  Bd.  IX  p.  90  flg. 
Die  sogenannte  Gupta-Aera  beginnt  darnach  mit  d.  J.  319  nach  Chr.  — 
Cunningham  und  Cleve  Bayley  setzen  den  Beginn  der  Aera  in  das 
Jahr  195  nach  Chr.,  wogegen  Oldenberg  mit  Recht  Opposition  macht 
(vgl.  a.  a.  0.  Bd.  IX  p.  91).  Noch  weniger  kann  Lassend  Zeitbestimmung 
angenommen  werden  (vgl.  a.  a.  0.  Bd.  VIII  p.  805). 

s  S.  Lassen  a.  a.  0.  II*  p.  957. 


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—   313  — 

Samudragupta  zu  nennen,  von  dem  wir  eine  historisch  höchst 
wichtige  Inschrift  besitzen,  auf  der  in  stattlicher  Reihe  die 
Namen  der  Fürsten,  die  dieser  König  überwunden,  und  der 
Länder,  die  er  beherrschte,  aufgezählt  werden.  Die  wichtigsten 
Theile  des  Gangeslandes  waren  ihm  unterworfen1,  wahrscheinlich 
auch  ein  grosser  Theil  von  Bengalen;  Malava  war  ihm  tribut- 
pflichtig, sowie  bestimmte  Völker  des  Penjab  und  Indusgebietes, 
vielleicht  auch  einige  Völker  in  der  Nahe  Kaschmir's.1  Später- 
hin fugte  Skandagupta  dem  mächtigen  Reiche  noch  die  Halb- 
insel Gujerat  hinzu,  sowie  die  gegenüberliegende  Küste  des  Fest- 
landes.' Dort  bewahrt  eine  Inschrift  in  Girinagara  sein  An- 
denken bis  auf  den  beutigen  Tag. 

Die  Dynastie  der  Gtipta  brachte  nach  so  manchen  schlim- 
men Einfällen  und  Gewaltherrschaften  fremder  Völker,  nach  so 
manchem  Durcheinander  in  der  indischen  Staatenentwickelung 
endlich  wieder  ein  grosses  und  starkes  Reich,  von  einheimischen 
Fürsten  regiert,  das  den  grössten  Theil  des  nördlichen  Indiens 
nebst  mehreren  anderen  Gebieten  noch  umfasste.  „Mit  der 
Machterlangung  der  Gupta's  —  sagt  Lassen  —  trat  ein  glück- 
licher Zustand  der  Ruhe  und  der  gesetzlichen  Ordnung,  der 
nur  selten  von  Kriegen  gestört  ward,  wieder  ein.  Während 
der  über  hundertundsiebenzig  Jahre  fortdauernden  Herrschaft 
der  Gupta  mussten  die  verheerenden  Eroberungszüge  der  rohen 
mdoskythischen  Kriegerschaaren  und  die  Vertreibung  der  in- 
dischen Völker  aus  ihren  Stammsitzen  ihr  Ende  erreichen.'1  s 

Es  ist  ein  bedeutsames  Factum,  dass  der  Beginn  der  Gupta- 
Herrschaft  zusammenfällt  mit  dem  Beginn  derjenigen  Epoche, 
welche  Max  Müller  als  die  Renaissance  der  Sanskrit-Literatur 
bezeichnet  hat  (von  ca.  300  nach  Chr.  an).  Unter  dem  Schutze 
dieser  Fürsten  fasste  die  indische  Literatur  aufs  neue  Wurzel 
und  bereitete  sich  auf  ihre  schönste  Blütbe-Periode  vor. 

Dabei  verstanden  die  Gupta  ihr  grosses  Reich  nach  einem 


1  Lassen,  a.  a.  0.  p.  981.  —  Die  Inschrift  des  Samudragupta  be- 
richtet auch,  dass  er  die  Gelehrten  beschützte  und  durch  eigene  Gedichte 
den  Ruhm  eines  Dichterkönigs  erworben  habe.  In  der  Musik  will  er 
sogar  die  halbgöttlichen  Närada  und  Tumburu  übertroffen  haben.  Siehe 
Lassen,  a.  a.  0.  p.  939.  958. 

*  Lassen  a.  a.  0.  p.  987.  —  Die  inschriftlichen  Daten  des  Skanda- 
gupta reichen  Ton  dem  Jahre  130 — 146  der  Gupta- Aera,  d.  h.  449—465 
nach  Chr.  Vgl.  Oldenberg,  Ztschr.  f.  Numismatik  Bd.  VIII  p.  801.  — 
Grosse  Mengen  von  Manzen  des  Skandaguptc  wie  auch  seines  Vaters 
Kumaragupta  haben  sich  in  Kathiawad  iGujerat)  gefanden  (Oldenberg, 
a.  a.  0.  p.  301). 

•  S.  Lassen,  a.  a.  0.  II»,  p.  1000.  1001. 


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vortrefflichen,  wohldurchdachten  System  zu  verwalten,  indem 
sie  richtig  zu  unterscheiden  wussten,  welche  Gebiete  sie  ihrer 
Herrschaft  ganz  einverleibten,  welche  sie  ihren  früheren  Fürsten 
Hessen,  indem  sie  dieselben  nur  zu  Tributzahlungen  verpflich- 
teten. 1 

Von  Bedeutung  war  es  für  das  indische  Land,  dass  die 
Gupta- Könige  dem  Brahmanismus  ergeben  waren,  die  brah- 
uianischen  Götter  verehrten  uud  denselben  Opfer  darbrachten.* 
Doch  behandelten  sie  die  Buddhisten  keineswegs  feindselig, 
sondern  Hessen  auch  ihnen  Schutz  und  Hülfe  angedeihcn.9 
Immerhin  aber  war  es  natürlich,  dass  die  crstere  Religion  er- 
starkte und  sich  immer  sicherer  zu  fühlen  begann,  während 
der  kosmopolitisch  angelegte  Buddhismus  mehr  und  mehr  über 
die  Grenzen  Indiens  hinaus  strebte. 

Gegen  das  Ende  des  5.  Jahrhundert  nach  Chr.  wurde  die 
Herrschaft  der  Gupta-Könige  in  Gujerat  durch  die  sogenannten 
Valabhi-Könige  zu  Fall  gebracht,  welche  etwa  seit  dem  Jahre 
480  nach  Chr.  daselbst  regieren  1  und  sich  bei  ihren  chrono- 
logischen Angaben  der  Gupta- Aera  (319  nach  Chr.)  bedienen.5 

Unter  den  indischen  Regenten  der  folgenden  Jahrhunderte 
strahlt  vor  Allem  ein  Name  in  unvergänglichem  Glänze.  Es 
ist  der  des  Vikramäditya  Harsha  von  Ujjayini,6  meist 
Vikrama  genannt,  welcher,  wie  wir  jetzt  mit  Bestimmtheit 
behaupten  können,  im  sechsten  Jahrhundert  nach  Chr.  lebte. 
Er  ist  es,  an  dessen  Hofe  ,  einer  überlieferten  Angabe  zufolge 
die  sogeuannten  „neun  Edelsteine**,  neun  berühmte  Dichter  und 
Gelehrte  lebten,  deren  bedeutendster  unstreitig  Kalidasa  war. 
An  den  Namen  dieses  Vikramaditya  oder  Vikrama  ist  die  so- 
genannte Vikrama- Aera  geknüpft,  die  mit  d.  J.  56  vor  Chr. 
beginnt  und  neben  der  Qaka-Aera  noch  heute  von  den  Indern 
am  meisten  angewendet  wird.  Dieser  Umstand  veranlasste  früher 
die  Gelehrten,  den  Vikrama  selbst  und  mit  ihm  auch  den  Kali- 
dasa in  das  erste  Jahrhundert  vor  Chr.  zu  setzen;  doch  dürfte 


1  Dasselbe  System  ist  nachher  von  den  Engländern  sehr  erfolgreich 
gehandhabt  worden. 

8  S.  Lassen,  a.  a.  0.  II«,  p.  1001.  1002. 

3  S.  Lassen,  a.  a.  0.  p.  1001. 

4  S.  Oldenberg.  a.  a.  0.  Bd.  VIII  p.  326. 

5  Man  hat  früher  irrigerweise  angenommen,  dass  die  Herrschaft 
der  Valabhi-Könige  i.  J.  319  begann  und  dass  die  der  Gupta-Könige 
damals  schon  zu  Ende  ging.  Vgl.  die  Zurechtstellung  von  Oldenberg, 
a.  a.  0.  Bd.  VIII  p.  300  flg. 

•  Ujjayini  ist  das  "O^tjvtj  der  Griechen,  später  Udschayn,  Odschein, 
im  westlichen  Indien,  am  Nordrand  des  Yindhya-Gebirgei. 


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—  315  — 

dieser  grobe  Irrthum  nun  wohl  genügend  aufgeklärt  sein.  Eine 
ganze  Reihe  wichtiger  historischer  wie  literargeschichtlicher 
Thatsachen  lassen  es  unzweifelhaft  erscheinen,  dass  die  Regie- 
rung dieses  Vikrama  yielmehr  in  das  6.  Jahrhundert  nach  Chr. 
fällt  Kein  urkundliches  Zeugniss  weiss  etwas  von  einem  König 
Vikrama  im  ersten  Jahrhundert  vor  Chr.  und  in  keiner  Inschrift 
vor  dem  6.  Jahrhundert  ist  seine  Aera  gebraucht 

Der  scharfsinnige  Fergusson  hat  uns  das  Räthsel  gelöst, 
wie  gerade  das  Jahr  56  vor  Chr.  zum  Ausgangspunkt  der  Aera 
des  Vikrama  werden  konnte.  Im  Jahre  544  schlug  nämlich 
Vikramaditya  in  der  grossen  Schlacht  bei  Korur  die  Barbaren 
(Mleccha)  entscheidend  aufs  .  Haupt  An  dies  Erei'gniss  an- 
knüpfend wurde  eine  neue  Zeitrechnung  eingerührt,  deren  An- 
fangspunkt gerade  600  Jahre  vor  das  Datum  jt-ner  Schlacht, 
also  auf  das  Jahr  56  vor  Chr.  festgesetzt  wurde.1 

Neben  dem  Ruhm,  den  jene  Schlacht  und  die  nach  ihm 
benannte  Zeitrechnung  dem  Vikrama  verleihen,  schmückt  ihn 
ein  noch  höherer,  der  Ruhm,  um  seinen  Thron  jene  schon  er- 
wähnten Dichter  und  Gelehrten  versammelt  zu  haben:  Dhan- 
vantari,  Kshapanaka,  Amarasimha,  Kalidasa,  Ghatakarpara,  Va- 
rähamihira,  Vararuci,  Canku  und  Vetalabhatta.  Kalidasa's 
Name  genügt,  um  die  Zeit  Vikramaditya's  als  Blüthezeit  der 
indischen  Poesie  erscheinen  zu  lassen. 

Diese  Blüthezeit  der  Literatur  dauerte  nun  auch  in  den 
nächstfolgenden  Jahrhunderten  noch  weiter  fort  Auf  Vikra- 
maditya folgte  in  der  Regierung  Qiladitya  PratapacUa;2  dann 
Prabhäkara;  dann  dessen  Sohn  Rajyavardhana,  und  dann  des 
letzteren  Bruder  Qiläditya  Harsha,  unter  dessen  langdauern- 
der Regierung  der  berühmte  chinesische  Pilger  Hiuen-Thsang 
Indien  bereiste,  weiche  Reisen  nach  der  chinesischen  Chrono- 
logie von  629—645  dauerten.3 

In  dieser  Zeit,  dem  sechsten  und  siebenten  Jahrhundert 
nach  Chr.,  scheinen  Brahmanen  und  Buddhisten  leidlich  gut 
neben  einander  existirt  zu  haben,  wie  etwa  Katholiken  und 


1  Man  vgl.  über  dies  Alles  namentlich  die  interessanten  und  ein- 
gehenden Erörterungen  bei  M.  Müller,  Indien  in  s.  w.  B.  p.  245  flg.  — 
Die  Literaturgeschichte  des  ind.  Mittelalters,  die  wir  weiter  unten  be- 
handeln, Wird  noch  mehr  als  ein  wichtiges  Factum  zur  Bestätigung  der 
oben  behaupteten  Datirung  beibringen.  Vgl  unten  namentlich  Vor- 
lesung XLI. 

■  Etwa  von  550  nach  Chr.  an;  vgl.  M.  Müller,  Indien  in  s.w.  B. 
p.  264.  255. 

»  8.  Müller,  a.  a.  0.  p.  251. 


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—    316  — 

Protestanten  bei  uns.  Aber  in  der  Folge  haben  doch  die 
Buddhisten  das  Feld  vollständig  räumen  müssen.  Das  achte 
bis  zehnte  Jahrhundert  dürfte  ungefähr  die  Zeit  sein,  wo  sie 
ihren  brahmanischen  Rivalen  weichen. 

Aber  jetzt  brachen  andersgläubige  Eroberer,  einer  nach 
dem  anderen,  in  Indien  ein,  und  es  folgten  die  Jahrhunderte 
der  mohammedanischen  Fremdherrschaft. 

Der  erste  dieser  mohammedanischen  Eroberer  war  Mahmud 
der  Ghasnewide,  der  um  das  Jahr  1000  nach  Chr.  lebte.1 
Er  entstammte  einer  Dynastie  deren  ursprünglicher  Sitz  Ghasna 
in  Afghanistan  war.  „Mit  dem  Zuge  Mahmud's  nach  Indien 
—  sagt  E.  Schlagintweit  —  beginnt  für  Hindostan  eine  der 
entsetzlichsten  Perioden  seiner  Geschichte.  Ein  Monarch  stürzt 
den  anderen,  keine  Dynastie  ist  von  Dauer,  jede  Thronbesteigung 
beginnt  mit  Verwandtenmord,  mit  Pjünderung  von  Städten, 
Verwüstung  des  platten  Landes  und  dem  Hinschlachten  Tausen- 
der von  Männern,  Frauen  und  Kindern  der  Anhänger  des  Vor- 
fahren; buchstäblich  raucht  während  fünf  Jahrhunderten  das 
nordwestliche  und  nördliche  Indien  von  der  Menge  des  ver- 
gossenen Blutes."8  Mahmud,  der  sein  Reich  auch  nach  Iran 
und  Turkestan  ausdehnte,  plünderte  auf  seinen  Zügen  durch 
Indien  die  Tempel,  äscherte  die  Städte  ein,  tödtete  die  Ein- 
wohner und  wollte  dem  Islam  eine  Stätte  in  Indien  bereiten. 
Unendliche  Schätze  wurden  nach  Ghasna  geführt,  wo  Mahmud 
glänzend  Hof  hielt. 

Der  Ghasnewide  Masüd  (um  1100)  war  der  erste  dieser 
mohammedanischen  Herrscher,  der  seine  Residenz  ganz  nach 
Indien,  und  zwar  nach  Lahore,  verlegte.  Die  Dynastie  erlosch 
Ende  des  zwölften  Jahrhunderts.3  Es  folgte  eine  ganze  Reihe 
anderer  Dynastieen,  meist  afghanischer  Herkunft,  die  zum  Theil 
schrecklich  im  Lande  hausten.  Unter  Kutab  ed  din,  etwa  um 
d.  J.  1200,  wurde  die  Residenz  nach  Delhi  verlegt.  Im  Jahre 
1398  brach  der  gewaltige  Mongolenfurst  Timur  oder  Tamerlan 
in  Indien  ein,  hauste  hier  in  schrecklichster,  blutigster  Weise, 
Hess  sich  in  Delhi  zum  Kaiser  von  Hindostan  ausrufen  und 
kehrte  1399  dem  Lande  wieder  den  Rücken. 

Ein  Nachkomme  Timur's,  Baber,  ursprünglich  Fürst  von 
Ferghana,  überschritt  im  sechzehnten  Jahrhundert  die  Grenzen 
Indiens,  nahm  im  Jahre  1526  Delhi  ein,  warf  die  tapferen 


1  Er  regierte  von  997 — 1028  nach  Chr. 

'  S.  E.  Schlagintweit,  Indien  in  Wort  und  Bild,  Bd.  II  p.  26.  27. 
9  1186  mit  Khosru  Malik. 


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-   317  - 

Rajputen  1527  in  einer  furchtbaren  Schlacht  nieder  und  be- 
gründete die  ruhmreiche  Herrschaft  der  sogenannten  Gross- 
mogul e  in  Indien.  Unter  seinen  Nachfolgern  ragt,  im  sech- 
zehnten Jahrhundert,  sein  Enkel,  der  edle  und  freisinnige 
Akbar  hervor.  In  demselben  Jahrhundert  beginnen  auch  die 
Europäer  an  verschiedenen  Punkten  des  Landes  festen  Fuss  zu 
fassen,  und  es  bahnt  sich  eine  neue  Zeit  für  Indien  an,  die  in 
der  endlichen  Begründung  der  englischen  Herrschaft  ihre 
Vollendung  finden  sollte. 


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Zweiundzwanzigste  Vorlesung 


Die  Cultur  des  indischen  Mittelalters.  Quellen  für  dieselbe.  Die 
Götterwelt  dieser  Zeit.  System  der  drei  grossen  Götter:  Brahma,  Vishnu, 
£iva.  Genesis  desselben.  Vishnu  im  Rigveda;  im  Yajurveda  and  in  den 
Brahmana's.  Vishnu  wird  Lieblingsgott  der  wichtigsten  Stamme  des 
Gangeslandes.  Verschmelzung  des  Vishnu  mit  verschiedenen  Volksgöttern : 
Hari,  Jan  Ardana,  Vasudeva.  Förderung  dieses  Cultus  durch  die  Brah- 
manen  im  Kampfe  gegen  den  aufstrebenden  Buddhismus. 


Nachdem  wir  in  den  letzten  Vorlesungen  die  wichtigsten 
politischen  Ereignisse  des  indischen  Mittelalters  an  uns  haben 
vorüberziehen  lassen,  wollen  wir  es  nun  versuchen,  die  Cultur 
und  ihre  Entwickelung  in  dieser  Periode  etwas  näher  ins  Auge 
zu  fassen. 

Fragen  wir  zunächst  nach  den  Quellen,  aus  denen  wir 
unsere  Kenntniss  der  Cultur  des  indischen  Mittelalters  schöpfen, 
so  sind  es  in  erster  Linie  die  literarischen  Denkmäler  Indiens 
selbst,  und  zwar  lassen  sich  insbesondere  die  grossen  Epen 
Mahäbhärata  und  Rämäyana  sowie  das  sogenannte  Gesetz- 
buch des  Manu  als  diejenigen  Werke  bezeichnen,  die  uns  am 
Ausgeprägtesten,  am  Vollständigsten  und  Treusten  das  Bild  der 
mittelalterlich  -  brahmanischen  Cultur  vor  die  Augen  fuhren. 
Misslich  sind  uns  diese,  sonst  so  ungemein  werthvollen,  Bücher 
nur  vor  Allem  wegen  der  Chronologie;  denn  schwer,  und  nur 
unter  Zuratheziehung  anderer  Quellen,  lässt  sich  die  Ent- 
stehungszeit der  uns  dort  vorgeführten  brahmanischen  Cultur 
feststellen,  schwer  lassen  sich  die  verschiedenen  Phasen  ihrer 
Entwickelung  scheiden.  Was  uns  im  Mahabharata,  im  Ramayana 
und  im  Gesetzbuch  des  Manu  fertig  entgegentritt,  muss  Jahr- 
hunderte hindurch  gewachsen  sein,  und  eben  dies  Wachsthum 
in  seinen  verschiedenen  Stadien  festzustellen  und  auch  zeitlich 
zu  bestimmen,  würde  uns  doch  gerade  von  besonderem  Interesse 


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« 


-    319  — 


sein.  Leider  ist  die  Unsicherheit  in  dieser  Hinsicht  so  gross 
und  auch  die  Abweichung  in  den  Meinungen  der  Gelehrten 
verhältnissmässig  so  bedeutend,  dass  wir  uns  nur  mit  grosser 
Behutsamkeit  auf  diesem  Boden  bewegen  dürfen. 

Hier  kommen  nun  als  eine  willkommene  Ergänzung  die 
buddhistischen  Texte  hinzu,  namentlich  die  im  Päli-Dialekt 
geschriebenen,  die  in  historischer  Beziehung  viel  zuverlässiger 
und  werthvoller  sind  als  die  der  Brahmanen1  und  deren  Er- 
wähnung brahmanischer  Götter  und  Culturverhältnisse  uns 
wiederholt  die  wichtigsten  Anhaltspunkte  bieten.  Diese  Texte 
sind  uns  um  so  wichtiger,  als  in  den  brahmanischen  Büchern 
der  Buddhismus  fast  gar  nicht  berücksichtigt  und  offenbar  ab- 
sichtlich ignorirt  wird;  und  doch  spielt  derselbe  in  der  grösseren 
Hälfte  des  indischen  Mittelalters  eine  ganz  eminente  Rolle  und 
ist  auch  auf  die  Umgestaltung  der  brahmanischen  Staatsordnung 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  von  grossem  Einfluss  gewesen. 
Das  Nebeneinanderbestehen  der  brahmanischen  und  buddhisti- 
schen Riiiitungen,  oder,  wie  die  Griechen  sageu,  der  Brah- 
manen und  der  Samanäer,  und  ihr  theils  offener,  theils  ver- 
steckter Widerstreit  gehört  sehr  wesentlich  zur  Charakteristik 
dieser  Zeit  Die  ältesten  Bestandteile  der  erwähnten  buddhi- 
stischen Texte,  speciell  der  sogenannten  Sütra,  sind  nach  dem 
Urtheil  eines  Kenners  wie  Oldenberg  jedenfalls  vor  dem  zweiten 
buddhistischen  Concil  (zu  Vaic&li),  d.  h.  vor  dem  Jahre  380 
vor  Chr.  verfasst,'  wahrscheinlich  zum  Theil  sogar  schon  in 
der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts,  welches  auf  Buddha's  Tod 
folgt' 

Dazu  kommen  als  eine  weitere  nicht  unwichtige  Ergänzung 
die  Inschriften  und  Münzen  der  indischen  Herrscher,  für 
deren  Vermittelung  wir  insbesondere  englischen  Forschorn  wie 
Cunningham,  Prinsep  u.  A.  zu  Dank  verpflichtet  sind. 

Endlich  —  und  es  ist  dies  nicht  das  Geringste  —  haben 
wir  auch  noch  die  Nachrichten  der  griechischen  Schriftsteller 
über  Indien  in  jenen  Jahrhunderten. 

Der  erste  Grieche,  von  dem  die  Alten  berichten,  dass  er 
Indien  bereiste  und  Mittheilungen  über  dieses  Land  gab,  war 
der  schon  früher  erwähnte  Skyl.uu4  welcher  seine  Reise  im 
Jahre  509  vor  Chr.  auf  Befehl  des  Darius  ausführte.  Aus 


1  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  II8,  p.  10. 

*  S.  Oldenberg,  Bnddba,  p.  77. 

'  Wir  setzen  denselben  in  das  Jahr  480  vor  Chr. 

4  S.  oben  p.  295. 


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seiner  Schrift  schöpften  manche  griechische  Schriftsteller  ihre 
Nachrichten  über  Indien,  darunter  auch  Herodot.1 

Wir  haben  dann  ferner  die  Nachrichten  des  Ktesias, 
welcher  als  Arzt  am  Hofe  des  Artaxerxes  Mnemon  lebte,  von 
den  Persern  Vieles  über  Indien  erfuhr  und  auch  selbst  weisse 
Inder  persönlich  kennen  lernte.  Er  verfasste  seine  Schrift, 
nachdem  er  i.  J.  398  vor  Chr.  in  sein  Vaterland  zurückgekehrt 
war.  Leider  sind  uns  seine  Berichte  nur  höchst  mangelhaft 
überliefert.  Der  Patriarch  Photios,  ein  Byzantiner  des  neunten 
Jahrhunderts  nach  Chr.,  hat  uns  einen  Auszug  derselben  hinter- 
lassen, der  so  voll  des  Wunderbaren  und  Fabelhaften  und  so 
nachlässig  gearbeitet  ist,  dass  es  sehr  schwer  wird,  das  Richtige 
und  Glaubwürdige  herauszusuchen.  Ktesias  selbst  wurde  schon 
von  den  Alten  der  Lügenhaftigkeit  beschuldigt;  doch  ist  es 
jetzt  erwiesen,  dass  so  manches  Fabelhafte,  was  er  berichtet, 
aus  den  Dichtungen  der  Inder  selbst  stammte,  von  denen 
Ktesias  gehört  hatte.8 

Von  den  Schriften  der  Männer,  die  Alexander  auf  seinem 
Zuge  nach  Indien  begleitet  hatten,  ist  uns  keine  erhalten;  wir 
finden  nur  Mittheilungen  über  dieselben  in  Werken  späterer 
Zeit.  Von  grossem  Werthe  aber  sind  für  uns  die  Nachrichten 
des  Megasthenes,  der,  wie  schon  früher  erwähnt,  etwa  um 
das  Jahr  300  vor  Chr.  als  Gesandter  des  Seleukos  Nikator  am 
Hofe  des  Candragupta  längere  Zeit  in  Indien  verweilte  und 
seine  Beobachtungen  und  Erkundigungen  in  einer  Schrift,  be- 
titelt tu  /vötxä,  niederlegte.  Er  war  nicht  nur  kenntnissreicher 
und  mit  besserem  Urtheil  begabt  als  seine  Vorgänger,  sondern 
hatte  auch  durch  längeren  Aufenthalt  im  Lande  selbst,  in  be- 
günstigter Stellung,  Gelegenheit,  sich  mit  dem  Volk  und  den 
Verhältnissen  wirklich  vertraut  zu  machen.  So  zeugen  denn 
seine  Nachrichten  von  wirklicher  Sachkenntniss  und  bilden  eine 
unserer  wichtigsten  Quellen  für  die  Culturgeschichte  Indiens  zu 
jener  Zeit. 

Alle  diese  verschiedenen  und  sehr  verschiedenartigen  Quellen 
—  die  Epen  und  Manu,  die  buddhistischen  Texte,  die  Inschriften 
und  Münzen,  die  Mittheilungen  der  Griechen  —  mit  einander 
in  Einklang  zu  bringen  und  ein  einheitliches  Bild  daraus  zu 
gewinnen,  ist  keine  ganz  leichte  Aufgabe.  Es  wird  uns  aber 
bei  den  bedeutenden  Vorarbeiten  anderer  Forscher  hoffentlich 
nicht  unmöglich  sein,  sie  wenigstens  annähernd  zu  erfüllen. 


4  Vgl.  Lassen,  lud.  Alt.  II*,  p.  G34. 
*  S.  Lassen,  a.  a  0.  II*,  j>.  G41. 


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—   321  — 

Die  Götterwelt  des  indischen  Mittelalters. 

Bei  keinem  Volk  der  Erde  hat  Religion  und  Theosophie 
in  dem  Maasse  alles  Leben  und  Denken  beherrscht  wie  bei 
den  Indern,  und  zu-  keiner  Zeit  tritt  dieser  Zug  so  bedeutsam 
hervor  wie  gerade  zur  Zeit  des  indischen  Mittelalters.  Es  ist 
darum  billig  und  natürlich,  wenn  eine  Schilderung  der  Cultur 
jener  Zeit  ihren  Anfang  nimmt  mit  der  Darstellung  der  reli- 
giösen Neubildungen  und  Umgestaltungen,  der  brahmanischen 
Reformen  und  der  neuen  Göttergestalten,  die  aus  dem  Schoosse 
des  Volkes  heraus  jenen  brahmanischen  Reformen  entgegen- 
wuchsen. 

Der  Brahmani8mus  des  indischen  Mittelalters  unterscheidet 
sich  sehr  wesentlich  von  der  brahmanischen  Religion  der  früheren 
Jahrhunderte.  Es  lässt  sich  diese  neue  Zeit  charakterisiron 
als  die  Periode  der  drei  grossen  Götter:  Brahma, 
Vishnu  und  Qiva.  Sie  sind  jetzt  die  höchstverehrten,  wenn 
auch  keineswegs  die  Einzigen.  Neben  ihnen  finden  wir  noch 
immer  den  streitbaren  Götterkönig  Indra,  dessen  Himmel  als 
verheissungsvollor  Wonneeitz  Kriegern  und  Helden  entgegen 
winkt  Neben  ihnen  findet  sich  ferner  eine  ganze  Reihe  von 
Göttern  zweiten  und  dritten  Ranges,  theils  aus  alter  Zeit  ererbt 
und  umgestaltet,  theils  auch  neu  entstanden:  so  die  Lokapala 
oder  die  Hüter  der  acht  Weltgegenden,  Agni  der  Feuorgott, 
Varuna  der  Wassergott,  Kubera  der  Gott  des  Reichthums. 
Yama  der  Todesgott,  Ganec,a  der  Gott  der  Wissenschaften, 
Kärttikoya  der  Kriegsgott,  Qri  oder  Lakshmi  die  Göttin 
der  Schönheit  und  des  Glückes,  Durga  oder  Parvatl  die 
furchtbare  Gemahlin  des  Qiva;  daneben  auch,  sehr  verblasst, 
Sorna,  Väyu  und  Sürya;  dann  die  göttlichen  Genien  und 
Geister,  die  musikliebenden  Gandharven  und  die  üppigen 
Apsarasen,  die  Bewohner  des  Indra-Himmels,  die  Kinnara's 
und  Yaksha's,  die  Siddha's,  Carana's  und  Vidyadhara's; 
die  Schlangengötter;  die  bösen  Geister.  Gespenster  und 
Riesen,  die  Räkshasa's  und  ihre  Genossen.  Allen  voran  stehen 
aber  doch  immer  an  Macht  und  Bedeutung  jene  drei  grossen 
Götter. 

Hinsichtlich  der  Zeit,  in  welche  wir  das  Auftreten  der 
drei  grossen  Götter  zu  setzen  haben,  ist  es  von  Wichtigkeit 
dass  wir  denselben  bereits  in  den  ältesten  buddhistischen  Texten 
begegnen,  die  wohl  schon  im  fünften  und  vierten  Jahrhundert 
vor  Clir.  entstanden  sein  dürften.  Diese  Texte  führen  uns  die 
betreffenden  Götter  als  zu  Buddha's  Zeit  bereits  von  den  Brah- 

y.  Sehrftdtr,  Iadieat  Lit.  n.  Call.  21 


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322  — 


raanen  verehrt  vor.  Damit  soll  indessen  keineswegs  gesagt  sein, 
dass  damals  schon  das  fortige  System  der  Dreigötter  bestand, 
wie  es  später  erscheint,  oder  dass  die  betreffenden  Götter 
schon  die  Ausbildung  und  die  hervorragende  Bedeutung  er- 
langt hatten,  mit  der  sie  uns  z.  B.  in  deu  epischen  Dichtungen 
entgegentreten.  Keineswegs!  Immerhin  aber  bleibt  es  von 
Wichtigkeit,  dass  nach  den  ältesten  buddhistischen  Texten  jene 
Götter  schon  zu  Buddha's  Zeit  verehrt  wurden.  Es  ist  nicht 
nur  Brahma,  der  mit  dem  Beinamen  Sahämpati  oft  in  jenen 
buddhi  b tischen  Schriften  genannt  wird.  Wir  begegnen  in  den- 
selben auch  den  Namen  Hari,  Janardana  und  Narayana  — 
und  dies  sind  späterhin  Bezeichnungen  des  Vishnu.  Wir  be- 
gegnen den  Namen  Qiva  und  Qamkara,  welches  letztere  auch 
nur  eine  Bezeichnung  des  Qiva  ist  Wir  begegnen  dort  neben 
Indra  und  Varuna  auch  dem  Kubera  und  finden  die  Namen 
Vicvakarman,  Gandharva,  Kinnara,  Gannja;1  es  werden  ferner 
die  Yaksha,  die  Asura,  Danava  und  andere  böse  Genien,  sowie 
die  Schlangengötter  erwähnt.  Am  häufigsten  aber  —  und  das 
ist  zu  beachten  —  wird  Indra  genannt  mit  verschiedenen  Bei- 
namen, wie  Qakra,  Vasava,  Kaugika,  Qacipati.*  Sehr  wichtig 
ist  es,  dass  der  Name  des  Krishna  in  den  alten  buddhistischen 
Sütren  noch  nicht  erscheint  und  dies  war  ja  die  später  be- 
sonders bedeutsame  Form,  in  welcher  Vishnu  verehrt  wurde. 

Wir  können  im  Ganzen  schliessen,  dass  zu  Buddha's  Zeit 
verschiedene  vedische  Götter,  namentlich  Indra,  im  Volke  ver- 
ehrt wurden,  dass  der  männliche  Gott  Brahma  eine  wichtige 
Rolle  spielte,  auch  Vishnu  und  Qiva  Verehrung  genossen,  im 
Ganzen  aber  doch  die  späteren  drei  grossen  Götter  noch  nicht 
die  hohe  Stellung  erhalten  hatten,  die  ihnen  in  der  Folge  zu 
Theil  wurde.5 

Wie  sollen  wir  uns  nun  die  Genesis  des  Systems  der  drei 
grossen  Götter  denken? 

Brahma's  Ursprung  ist  uns  bereits  bekannt  Wir  haben 
gesehen,  wie  in  der  Periode  der  Brahmana's  und  Upanishaden 
das  neutrale  Brahman,  das  Gebet,  in  seiner  Bedeutung  immer 
höher  gesteigert,  zum  Heiligen  an  sich,  zum  Höchsten,  zur 
Weltseele,  zum  Absolutum  wird.  Dies  neutrale  Brahman  wurde 
dann  später,  um  es  dem  Verständniss  des  Volkes  näher  zu 
bringen,  mit  Person  und  Geschlecht  begabt,  und  so  entstand 

1  Der  Vogel  des  Vishnu,  auf  dem  derselbe  reitet. 
8  D.  h.  Gemahl  der  Qaci. 

8  Vgl.  Lasten  Ind.  Alt  I*,  p.  862.  863.  Burnonf  hat  zuertt 
diese  religionsgeschichtlich  wichtigen  Aufhellungen  gegeben. 


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—  323 


der  männliche  Gott  Brahma,  der  schon  zu  Buddha's  Zeit  ver- 
ehrt  wurde. 

Aber  es  erwies  sich,  dass  auch  dieser  Schritt  nicht  genügte. 
Wenn,  auch  das  Volk  andächtig  und  gläubig  die  neue  Götter- 
gestalt aus  den  Händen  der  Brahmanen  entgegennahm,  — 
seinem  Herzen  stand  er  nicht  nah  und  konnte  er  nicht  näher 
treten.  Seinen  abstract -philosophischen  Ursprung  konnte  er 
niemals  ganz  verleugnen.  Es  fehlte  ihm  ein  Etwas,  ein  Lebens- 
element, das  ihn  den  Menschen  wahrhaft  lieb  und  werth  hätte 
machen  können;  es  fehlte  ihm,  was  bei  allem  Heiligen  und 
Religiösen  ?on  eminenter  Bedeutung  ist,  —  die  Tradition  im 
Volke! 

Andere  Götter  waren  es,  die  das  Volk  liebte  und  ver- 
ehrte. Und  auch  die  Brahmanen  selbst  waren  doch  nicht 
lauter  abstract  philosophische  Denker,  auch  sie  gehörten  zum 
Volke,  auch  sie  trugen  ein  ähnliches  Herzensbedürfnis  in  sich 
und  sie  mussten  es  begreifen  und  selbst  mitempfinden,  wenn 
eben  das  Volk  andere  Götter  begehrte,  als  den  Brahma  der 
Philosophenschulen. 

Hier  ereignet  sich  nun  das  Merkwürdige,  was  uns  in  der 
Geschichte  der  indischen  Religion  mehrmals  begegnet,  dass 
gerade  Göttergestalten,  die  bisher  eine  anscheinend  nebensäch- 
liche Rolle  gespielt,  mehr  und  mehr  in  den  Vordergrund  treten, 
weil  sie  in  ihrem  besonderen  Charakter  den  veränderten  Be- 
dürfnissen des  Volkes  in  höherem  Maasse  entsprachen. 

Wir  sahen,  wie  im  Induslande  an  Stelle  Varuna's,  des 
alten  Himmelskönigs,  sich  allmählich  mehr  und  mehr  der  streit- 
bare Gewittergott  Indra  in  den  Vordergrund  drängte,  der  in 
der  vorhergegangenen  indopersischen  Periode  zweifelsohne  nur 
eine  geringe  Rolle  gespielt  hatte,  den  aber  die  damals  beständig 
kämpfenden  und  erobernden  indischen  Stamme  in  der  Schlacht 
zu  Hülfe  riefen  und  mit  dem  Sorna-Trank  zum  Kampfe  kräf- 
tigten, —  ein  Gott  nach  ihrem  Herzen;  der  ihnen  auch  schon 
um  seiner  Naturbedeutung  willen  von  besonderer  Wichtigkeit 
war  in  einem  Lande,  wo  Gewitter  und  Regen  eine  weit  stärker 
hervortretende  Rolle  spielen  als  in  anderen  Gegenden.  Jetzt 
aber  waren  die  Gestalten  der  vedischen  Götter  mehr  und  mehr 
verblasst,  —  ein  neues  Leben,  im  Ganzen  ruhig  und  friedlich, 
in  festen,  geordneten  staatlichen  und  socialen  Verhältnissen,  in 
weiten,  behaglichen,  sicheren  Wohnsitzen,  inmitten  einer  reichen, 
üppigen,  von  Leben  überquellenden  Natur,  unter  einer  heissen 
Sonne,  war  eingetreten.  Derjenige  Gott,  welcher  nun  beim 
Volke  des  Gangeslandes  immer  mehr  hervortrat,  immer  mehr 

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geliebt  und  verehrt  wurde,  war  Vishnu,  der  „Wirkende"  oder 
„Thätige",1  einer  der  alten  Sonnengötter,  die  Sonne  als  die 
Leben  wirkende  Kraft  in  der  Natur,  aber  wohl  nicht  Sonnen- 
gott allein,  —  in  der  Zeit  des  rjigveda  auf  eine  mehr  neben- 
sächliche und  untergeordnete  Stellung  beschränkt. 

In  jener  ältesten  Zeit  wird  dem  Vishnu  vor  Allem  immer 
wieder  eine  Heldenthat  nachgerühmt,  —  dass  er  mit  drei  ge- 
waltigen Schritten  den  ganzen  Luftraum  durchmessen  habe! 
Es  ist  die  den  Himmel  durchwandelnde  Sonne.  Seine  drei 
ofterwähnten  Fussstapfen  sind  Aufgang,  Höhepunkt  und  Nieder- 
gang der  Sonne,  und  vor  Allem  wird  die  höchste  Stapfe  ge- 
priesen als  seliger  Ort  Es  heisst,  dass  auf  den  drei  weiten 
Schritten  des  Vishnu  alle  Wesen  wohnen;1  dass  er  allein  die 
dreigetheilte  Welt,  Erö?  und  Himmel  und  alle  Wesen  stützt 
und  erhält.3  Der  Sänger  sehnt  sich,  des  Vishnu  liebe  Stätte 
zu  erreichen,  wo  sich  die  frommen  Männer  freuen,  die  Freundes- 
schaar des  Weitschreitenden;  und  er  rühmt:  an  Vishnu's  höch- 
ster Stapfe  ist  des  Süssen  Quell!4  Diese  dritte  Fussstapfe  des 
Vishnu,  die  auch  die  beschwingten  Vögel  nicht  erreichen,  ist 
eben  die  Himmelshöhe. 

Besonders  oft  tritt  Vishnu  im  liigveda  in  Verbindung  mit 
Indra  auf,  und  dies  leg  die  Vermuthung  nahe,  dass  in  seiner, 
im  Rigveda  keineswegs  klar  und  scharf  hervortretenden  Per- 
sönlichkeit auch  andere  Seiten  noch  als  die  des  Sonnengottes 
zu  suchen  sind,  welche  letztere  übrigens  ja  auch  einigermassen 
verhüllt  und  verschleiert  hervortritt,  keineswegs  so  deutlich  ist, 
wie  otwa  bei  Surya,  Savitar  und  Pushan,  Bondern  nur  erschlossen 
und  vermuthet  werden  kann.  Mit  Indra  vereint  wird  Vishnu 
geladen,  zum  Somatrunk  herbei  zu  kommen  mit  den  feinde- 
besiegenden Rossen.  Mit  Indra  vereint  kämpft  er  in  der  Schlacht 
gegen  den  Wolkendämon  Vritra.  Bald  erscheint  er  als  von 
Indra  gesendet,  bald  Indra  von  ihm  gekräftigt  und  gestützt. 
Im  Rausch  des  Sorna  schreiten  sie  beide  weit  aus  und  besiegen 
den  Feind.  „Ihr  siegtet  beide  —  rühmt  der  Sänger  —  nicht 
wurdet  ihr  besiegt,  nicht  wurde  je  besiegt  einer  von  euch 
Beiden!«« 


1  Von  dor  Wurzel  vish  „wirken"  oder  „thfttig  sein". 

*  Vgl.  RV  1,  154,  2. 
1  Vgl.  RV  1,  154,  4. 
4  Vgl.  RV  1,  154,  5. 

T-  Dualisch  verbunden  erscheinen  sie  in  dem  Compositum  indri- 
vishmi  Indra  und  Vishnu. 

•  Vgl.  RV  6,  69,  9. 


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—  325 


Nächst  der  Verbindung  mit  Indra  erscheint  Vishnu  am 
häufigsten  neben  Püshan,  und  darin  offenbart  sich  wieder  sein 
Charakter  als  Sonnengott;  Vishnu  und  Püshan  —  der  Wirkende, 
Thätige  und  der  Gedeihen  Schaffende  —  beides  sind  nur 
zwei  Aeusserungen  derselben,  Leben  wirkenden  Sonnenkraft. 

Es  ist  möglich,  dass  gerade  das  etwas  Verhüllte  und  Ver- 
deckte in  Vishnu's  Person  und  Wesen  mit  dazu  beitrug,  dass 
gerade  er  zur  verborgen  schaffenden  und  wirkenden  Potenz  in 
der  Natur  erhoben  wurde.  Es  dürften  aber  wohl  auch  noch 
andere  Gründe  nöthig  sein,  um  es  zu  erklären,  warum  gerade 
er  zu  so  hohen  Ehren  gelangte. 

Hier  liegt  nun  die  Vermuthung  nicht  ferne,  dass  bei  den 
verschiedenen  indischen  Stämmen  auch  verschiedene  von  den 
zahlreichen  Sonnengöttern  vorwiegend  oder  auch  ausschliesslich 
verehrt  wurden,  und  dass  eben  gerade  der  oder  diejenigen 
Stämme,  bei  welchen  seit  Alters  Vishnu  besonders  verehrt 
wurde,  gerade  zu  jener  Zeit  und  bei  jener  religiösen  Bewegung, 
die  auf  einen  lebendigen,  persönlichen  Gott,  im  Gegensatz  zum  , 
Brahma,  hindrängte,  eine  entscheidende  Rolle  gespielt  haben. 
Dass  im  rjigveda  gewisse  Götter  wenig  hervortreten,  hat  zum 
Theil  wenigstens  jedenfalls  auch  darin  seinen  ' Grund  gehabt, 
dass  diejenigen  Stämme,  bei  welchen  diese  Götter  besonder! 
verehrt  wurden,  bei  der  Schöpfung  der  Rigveda-Hymnen  weniger 
betheiligt  waren. 

Es  waren  jedenfalls  wohl  Stämme  des  Gangeslandes,  die 
jenen  Cultus  des  Vishnu  schon  in  früherer  Zeit  besonders 
pflegten;  und  es  scheint,  dass  insbesondere  die  Qurasena  und 
die  Qibi  zu  diesen  Stämmen  zu  rechnen  sind.1 

In  der  Periode  des  Yajurveda  und  der  Brahmana's  ist 
zwar  Vishnu  auch  nur  ein  Gott  neben  vielen  anderen  Göttern, 
unter  denen  damals  ja  nur  Prajäpati  etwa  als  Prätendent  der 
höchsten  Götterwürdo  bezeichnet  werden  könnte.  Indessen  tritt 
doch  in  einer  Beziehung  Vishnu  bedeutsam  hervor;  nämlich 
darin,  dass  in  den  Büchern  dieser  Zeit,  schon  in  den  Prosa- 
t heilen  des  schwarzen  Yajurveda,  häufig  der  Satz  wiederkehrt: 
Vishnu  ist  das  Opfer!  Es  ist  bekannt,  welche  dominirende 
Stellung  in  jenen  Jahrhunderten  das  Opfer  einnimmt,  und  die 
Identification  mit  dem  Opfer  lässt  Vishnu  entschieden  als  keinen 
untergeordneten  Gott  erscheinen.  Er  muss  bei  den  Stammen, 
die  den  Yajurveda  schufen,  d.  h.  bei  den  Euru  und  Paficftla 
eine  gewisse  Bedeutung  und  Wichtigkeit  gehabt  haben.  Auf 

1  Vgl.  Arrian  Ind.  8,  5;  5, 12.  Du&cker,  Gesch.  d.  Alt  in«,  p.  326. 


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-    326  - 

die  zum  Theil  recnt  thörichten  Legenden,  die  von  Vishnu  in 
diesem  Zusammenhang  erzählt  werden,  wie  ihm  einmal  der 
Kopf  abgerissen  und  später  wieder  angefügt  wird,  wie  man  ihn 
in  drei  Theile  theilt  iL  dgl.  will  ich  nicht  näher  eingehen.1  Es 
genügt  hervorzuheben,  dass  diese  Identificirung  mit  dem  Opfer 
in  Vishnu's  Gestalt  einen  Keim  legt,  der  vielleicht  an  sich  schon 
fähig  war,  ihn  zur  grössten,  heiligsten  Gestalt  des  Pantheons 
heranwachsen  zu  lassen. 

Dieser  Gott  nun,  der  Held,  von  dem  der  alte  Mythus 
rühmte,  dass  er  den  weiten  Luftraum  in  drei  Schritten  durch- 
messen habe;  der  Wirkende,  Thätige,  —  die  wohlthätige,  warme, 
lebenwirkende  Sonnenkraft;  der  Genosse  des  Indra,  der  mit 
diesem  vereint  den  bösen  Wolkendämon  geschlagen  und  die 
befruchtenden,  lebenzeugenden  Wasser  zur  Erde  gesandt;  dieser 
lichte,  freundliche,  milde,  wohlthätige  Gott,  der  die  Sonnen- 
wärme und  die  befruchtende  Kraft  der  feuchten  Niederschläge 
in  sich  vereinigt;  der  Gott,  der  das  heilige  Opfer,  die  höchste  • 
,  lobenschaffende  Potenz  der  Brahmana-Zeit,  m  eigener  Person 
repräsentirt,  —  er  ist  es,  den  eine  Reihe  der  wichtigsten 
Stämme  des  Gangeslandes  zu  ihrem  Lieblingsgott  erwählten, 
der  ihnen  höher,  schöner,  liebevoller  und  liebenswerther  erschien, 
als  der  alte  Schlachtengott  Indra,  während  man  an  den  einst 
so  hoch  gefeierten  Varuna  kaum  noch  dachte. 

Und  nun  spielt  sich  ein  religionsgeschichtlich  sehr  inter- 
essanter und  merkwürdiger  Process  ab,  den  wir  aus  den  uns 
vorliegenden  Daten  und  Andeutungen  mit  ziemlicher  Sicherheit 
erschliessen  können;  es  ist  dies  das  Zusammenschmelzen  der 
Gestalt  des  Vishnu  mit  mehreren  anderen,  bei  verschiedenen 
Stämmen  des  Gangeslandes  besonders  verehrten  Volksgöttern. 

Ich  erwähnte  es  bereits,  dass  sich  aus  den  alten  buddhi- 
stischen Sütra's  eine  Verehrung  des  Hari  und  Janardana  er- 
giebt,  was  später  Namen  des  Vishnu  sind.  Es  ist  nun  schon  seit 
längerer  Zeit  üi  hohem  Grade  wahrscheinlich  gemacht  worden,  dass 
dieser  Hari  sowohl  als  auch  Janardana  ursprünglich  besonders 
beliebte  Volksgötter  bestimmter  indischer  Stämme  waren,  welche 

1  Eine  Legende  der  Brahmana's  erzahlt,  dass  die  Asuren  den 
Göttern  die  Welt  entrissen  hätten  und  dass  es  Vishnu  gewesen,  der  sie 
ihnen  wieder  zurückgegeben  habe.  Spaterhin  wird  diese  Erzählung  mit 
dem  alten  Mythus  von  den  drei  Schritten  des  Vishnu  sowie  mit  der 
ßpateren  Lehre  von  den  Verkörperungen  desselben  in  Zusammenhang 
gebracht  und  es  heisst,  dass  Vishnu,  in  einen  Zwerg  verwandelt,  durch 
jene  drei  Schritte  dem  Asuren  Bali  listig  die  Erde  abgewonnen  habe. 
Vgl.  Muir,  Or.  Sanskr.  Texts  IV,  p.  131.  262  flg.  Duncker  a.  a.  0.  p.  261; 
vgl.  auch  unten  am  Schiusa  der  folg.  Vorlesung. 


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327 


die  Brahmanen,  die  sich  für  die  Ausbreitung  und  Erhebung 
dos  Vishnu-Cultus  interessirten,  eben  mit  Vishnu  identificirten, 
indem  sie  den  betreffenden  Stämmen  mit  Freuden  die  Verehrung 
ihres  lebendigen,  persönlichen,  angestammten  Gottes  liessen  und 
sie  bloss  weiter  über  die  Natur,  das  wahre  Wesen  desselben 
aufklarten,  indem  sie  sagten:  Euer  Hari  ist  ja  unser  Vishnu, 
der  Alles  wirkende,  der  Leben  schafft  durch  das  Sonnenlicht 
und  das  Nass  des  Regens!  Verehret  ihn  nur,  und  auch  wir 
wollen  ihn  verehren,  er  ist  von  unserem  Gotte  nicht  ver- 
schieden! Und  ihr,  die  ihr  den  Janärdana  anbetet,  verehret 
ihn  nur,  auch  er  ist  Vishnu,  auch  er  ist  unser  Gott!  —  Die 
letztere  Identification  ist  um  so  bemerkenswerther,  als  dieser 
Gott  —  wenigstens  seinem  Namen  nach  zu  schliessen  —  in 
seinem  Wesen  wahrscheinlich  erheblich  von  Vishnu  verschieden 
war,  denn  „Janärdana"  heisst  soviel  als  „die  Menschen  auf- 
regend, bedrängend,  beunruhigend".  Gerade  dies  macht  es  nur 
noch  wahrscheinlicher,  dass  Janardana  ursprünglich  ein  ganz 
anderer  als  Vishnu,  der  nationale  Gott  eines  bestimmten  indischen 
Stammes  war.1 

Dies  ist  endlich  sicher  von  einer  dritten  Göttererscheinung, 
die  auch  als  Vishnu,  als  ein  anderer  Name  des  Vishnu  dar- 
gestellt und  verehrt  wird,  nämlich  dem  Vasudeva,  welcher 
ursprünglich  der  oberste  Gott  des  Volkes  der  Pumjra  war  und 
auch  den  Beinamen  Purushottama  trug.2  Auch  unter  diesem 
Namen  wird  in  späterer  Zeit  Vishnu  viel  gepriesen  und  verehrt 
In  den  ältesten  buddhistischen  Schriften  kommt  derselbe  noch 
nicht  vor,  wohl  aber  der  Name  Narayana,  unter  dem  späterhin 
ebenfalls  Vishnu  verehrt  wird.  Indessen  hat  Lassen  gezeigt, 
dass  Narayana  in  diesen  ältesten  buddhistischen  Texten  eine 
Bezeichnung  des  Brahmä  Svayambhü  ist,  des  durch  sich  selbst 
seienden  Weltenschöpfers.  Diese  Bezeichnung  wurde  später  auf 
Vishnu  übertragen,  resp.  der  Narayana  der  Brahmanen-Schulen 
mit  dem  bereits  einen  verbreiteten  Cult  geniessenden  Vishnu 
verschmolzen,  was  um  so  eher  möglich  war,  als  von  Narayana 
die  Ansicht  galt,  dass  er  sich  zum  Opfer  hingab,  um  die  Welt 
zu  erschaffen.3 


1  Von  Janardana  heisst  66  im  Mahabharata:  „Wird  auf  die  eine 
Seite  die  ganze  Welt  gestellt,  auf  die  andere  Janardana,  so  überwiegt 
Janardana  die  ganze  Welt  durch  seine  Wesenheit  (sara).  Janardana 
kann  durch  seine  Gedanken  die  ganze  Welt  in  Asche  verwandeln,  nicht 
aber  die  ganze  Welt  den  Janärdana."  8.  Lassen,  Ind.  Alt.  Is,  p.  919  Anm. 

•  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  I«,  p.  754. 

•  Vgl.  Lassen,  Ind.  Alt.  I*  p.  918—920. 


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—  328  - 


So  scheint  denn  die  Gestalt  des  grossen  Gottes  Vishnu 
zusammengeschmolzen  zu  sein  aus  dem  vedischen  Vishnu  mit 
dem  Narayana  der  Brahmanen-Schulen  und  mit  den  Volksgöttern 
Hari,  Janardana  und  Vasudeva,  —  eine  Genesis,  die  gewiss 
merkwürdig  genug  genannt  zu  werden  verdient. 

Dass  bei  diesem  Process,  aus  welchem  der  grosse  Gott 
Vishnu  hervorgeht,  die  Brahmanen  des  Gangeslandes  bewusst 
handelnd,  mit  der  Absicht  einer  religiösen  Reform,  eingriffen, 
ist  in  hohem  Grade  wahrscheinlich.  Es  war  ja  nicht  bloss  der 
abstracto  und  wesenlose  Charakter  jenes  obersten  Brahman ,  in 
welchem  die  Brahmanen  den  ganzen  Pantheon  aufgelöst  hatten 
und  der  doch  selbst  nie  zu  rechtem  Leben  gelangen  konnte; 
nicht  nur  das  Verblassen  der  vedischen  Götter,  was  eine  reli- 
giöse Verödung,  eine  Lücke  im  Gemüthsleben  hervorrief  und  so 
zu  einer  Reform  drängte.  Es  war  vielmehr  auch  ein  positiver 
Feind,  der  jetzt  den  Brahmanen  gegenüber  stand,  —  der  Bud- 
dhismus! Drang  die  Lehre  des  Cakya- Sohnes  durch,  dann 
bedeutete  dies  eine  Auflösung  der  ganzen  religiösen  und  so- 
cialen Ordnung  des  Brahmanenthums,  an  der  so  viele  Jahr- 
hunderte gearbeitet  Dann  waren  die  Götter  beseitigt,  das 
Opfer,  die  so  unsäglich  mühsam  erarbeitete  Opferordnung  ab- 
gethan,  dann  fielen  die  Kasten  zusammen,  und  das  Mönchthum 
vernichtete  die  Wurzeln  des  erblichen  Priesterstandes.  Gegen 
den  Buddhismus  zu  kämpfen,  wenn  auch  mit  friedlichen  Mitteln, 
war  darum  die  erste  Aufgabe  der  Brahmanen  in  den  Jahr- 
hunderten unmittelbar  nach  Buddha.  Es  war  dies  geboten 
durch  den  Selbsterhaltungstrieb,  mächtig  angespornt  durch  die 
unglaublichen  Erfolge,  die  die  Lehre  des  Buddha  in  Kurzem 
errang. 

Nicht  ablassend  von  den  Resultaten  ihrer  früheren  Specu- 
lation,  fühlten  die  Brahmanen  doch  deutlich,  dass  das  Volk 
eines  lebendigen,  persönlichen,  gütigen  Gottes  bedurfte,  dessen 
Verehrung  seit  Alters  schon  im  Volksbewusstsein  fest  wurzelte. 
Hier  war  eine  Handhabe,  hier  das  einzige  Mittel  geboten,  wirk- 
sam jenen  erkenntnissstolzen  Jüngern  des  Buddha  zu  begegnen, 
die  einen  Menschen  über  alle  Götter  setzten,  und  das  Opfer  ver- 
achteten. So  beförderten  denn  die  Brahmanen  die  bei  mehreren 
Stämmen  des  Gangeslandes  herrschende  Verehrung  des  Vishnu, 
verschmolzen  ihn  mit  Narayana,  dem  höchsten  Herrn,  den  sie 
verehren  wollten,  identificirten  ihn  mit  den  bei  anderen  Stämmen 
einheimischen  Volksgöttern  Hari,  Janärdaua  und  Vasudeva,  und 
schufen  endlich  so  Vishnu,  den  grossen  Gott  des  Gangeslandes. 


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Dreiundzwanzigste  Vorlesung. 


Die  Lehre  ron  den  Verkörperungen  oder  Avatara's  des  Visbnu,  speciell 
&la  Krishna  and  als  Rama.  Mathmaaslicher  Einfluss  des  Buddhismus 
auf  Entstehung  und  Entwickelang  dieser  Lehre.  Krishna  im  Mahabha- 
rata  in  seiner  doppelten  Eigenschaft,  als  menschlicher  Held  and  als  Gott. 
Rama  im  Rainayana.  Die  weiteren  Verkörperungen  Vishnu's :  als  Zwerg, 
alt  Fisch,  als  Schildkröte,  Eber,  Mannlöwe,  Paracurama,  Buddha  and 
Kalki.    Aeussere  Erscheinung  des  Vishnu.  Cultus. 


Die  Erhöhung  Vishnu's  zum  grossen,  hoch  über  andere 
emporragenden  Gotte  ging  wahrscheinlich  schon  in  den  ersten 
Jahrhunderten  nach  Buddha's  Tode,  d.  h.  im  fünften  und  vierten 
Jahrhundert  yor  sich,  denn  um  das  Jahr  300  vor  Chr.  war 
diese  Bewegung  wohl  bereits  zum  Abschluss  gekommen  oder 
doch  weit  vorgerückt,  das  lehren  uns  die  Mittheilungen  des 
Megasthenes.* 

Die  Brahmanen,  welche  den  Cultus  des  Vishnu  und  der 
mit  ihm  identificirten  Volksgötter  beförderten,  thaten  inzwischen 
noch  einen  weiteren,  eminent  wichtigen  Schritt  auf  diesem 
Wege.  Sie  nahmen  in  das  Dogma  von  dem  grossen  Gotte 
Vishnu  die  Lehre  von  den  Incarnationen  oder  Verkörperungen, 
den  sogenannten  Avatara's,  d.  h.  „Herabeteigungen",  auf.'  Vor 
Allem  wichtig  war  die  Identification  Vishnu's  mit  den  beiden 
gepriesensten  Helden,  deren  Andenken  die  Völker  des  Ganges- 
landes  feierten,  deren  Thaten  sie  in  ihren  epischen  Gedichten 
verherrlichten,  —  dem  Krishna  des  Mahäbhärata  und  dem 
Rama  des  Ramayana,  resp.  die  Lehre,  dass  Krishna  sowie 
Rama  als  Verkörperungen,  als  Menschwerdungen  des  grossen 
Gottes  Vishnu  aufzufassen  seien. 

Hatten  die  Brahmanen  früher  in  ihren  Speculationen  den 
höchsten  Gott  aller  persönlichen,  menschlichen  Eigenschaften 


1  Wir  werden  dieselben  weiter  unten  naher  kennen  lernen. 
*  Von  ava-tar  „herabsteigen". 


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—    330  - 


entkleidet  und  in  ein  neutrales  Absolutum  aufgelöst,  so  gingen 
sie  jetzt  nach  der  anderen  Seite  ins  Extrem,  liessen  die  Re- 
action  des  religiösen  Anthropomorphismus  gegen  jene  Richtung 
auf  äusserste  Abstraction  um  so  gründlicher  sein.  Denn  nicht 
genug,  dass  sie  den  höchsten  Gott  wieder  mit  Entschiedenheit 
anthropomorphisirten,  ihn  persönlich  und  menschlich  gestalteten, 
—  sie  lehrten  auch,  dass  dieser  höchste  Gott  selbst  als  Mensch 
auf  Erden  gewandelt  und  dass  er  die  Völker  des  Gangeslandes 
begnadet  habe,  als  ihr  nationaler  Heros  wiederholt  leibhaftig 
zu  erscheinen  und  ihnen  seine  Güte  und  Grösse  wie  ein  Freund 
und  Verwandter  zu  beweisen. 

Es  scheint  mir  in  hohem  Grade  wahrscheinlich  zu  sein, 
dass  gerade  diese  neue  und  merkwürdige  Lehre  von  den  Ava- 
tara's  des  Vishnu  durch  die  buddhistischen  Lehren  beeinflusst 
und  indirect  durch  dieselben  erzeugt  worden  ist 

Der  Buddhismus  war  damit  vorangegangen,  das  Höchste 
und  Heiligste,  was  alle  Götter  überragte,  in  einem  Menschen 
offenbart  zu  finden,  und  die  Brahmanen  mussten  es  sehen  und 
wohl  selbst  mitempfinden,  welch  mächtige  Anziehungskraft,  wel- 
chen Reiz  es  hatte,  den  Helden,  den  Lehrer,  den  grossen  Mann, 
der  unter  uns  gewandelt,  als  den  erkennen  und  verehren  zu 
dürfen,  der  der  Menschheit  das  Heil  gebracht,  der  die  Macht 
der  Hölle  und  des  Todes  bezwungen,  der  höher  und  herrlicher 
war  als  alle  die  landläufig  verehrten  Götter.  Ja,  Buddha  war 
doch  selber  früher  schon  Gott  gewesen,  sogar  mehr  als  ein 
Mal,  war  aus  dem  Götterhimmel  hinabgestiegen  in  den  Schoo ss 
der  Mäyä  und  hatte  sich  nur  als  Qäkyasohn  gebären  lassen, 
um  eine  noch  höhere  Stufe  zu  erreichen.  Unter  den  vielen 
früheren  Geburten,  die  Buddha  seiner  eigenen  Erinnerung  ge- 
mäss erlebt,  ehe  er  in  Kapilavastu  als  Sohn  des  Quddhodana 
geboren  wurde,  finden  wir  ihn  zwanzig  Mal  als  Gott  Indra 
und  vier  Mal  als  Mahäbrahman  d.  h.  als  der  grosse  Brahma 
geboren.1  Lag  es  nicht  solch  phantastischem  Dogma  gegenüber 
sehr  nahe,  den  Gedanken  zu  fassen:  Wie  hier  ein  Mensch  ge- 
lebt haben  soll,  der  früher  Gott  und  höchster  Gott  gewesen, 
warum  soll  nicht  auch  unser  Gott  Vishnu,  der  Höchste,  den 
wir  kennen,  Mensch  geworden  sein  und  als  Held  und  Kämpfer 
sich  gemüht  haben  zum  Segen  des  Menschengeschlechtes?  Eis 
liegt  auf  der  Hand,  dass  beide  Dogmen  einander  sehr  nahe 
verwandt  sind,  und  die  eine  Annahme  hat  kaum  grössere 
Schwierigkeiten  als  die  andere.    Hier  hatten  die  Brahmanen 


1  S.  Koeppen,  Religion  des  Buddha,  p.  320. 


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-    331  - 

wohl  die  Empfindung  des  Volkes  ganz  für  sich,  denn  sie  Hessen 
demselben  nicht  nur  seinen  angestammten  Gott,  sondern  sie 
verklärten  ihm  auch  noch  das  Bild  seiner  geliebten  nationalen 
Heroen  und  umgaben  deren  wohlbekannte  Gestalt  mit  dem 
hehren  Schimmer  der  Göttlichkeit.  Und  wenn  die  Buddhisten 
ihr  Dogma  weiter  bildeten  und  lehrten,  dass  nicht  nur  der 
eine  Buddha  geboren  sei,  um  der  Welt  das  Heil  zu  bringen, 
sondern  dass  schon  vor  ihm  andere  Buddha's  dagewesen  und 
dass  nach  ihm  noch  andere  kommen  werden;  dass  jedesmal, 
wenn  in  einem  Zeitalter  Schlechtigkeit  und  Irrthum  zu  weit 
gediehen  sind,  ein  neuer  Buddha  erscheine,  um  das  Rad  der 
Lehre  in  Schwung  zu  setzen  —  wie  sie  sich  ausdrücken  — ,  so 
lehrten  in  der  Folge  auch  die  Verehrer  des  Vishnu,  dass  ihr 
Gott  eine  ganze  Reihe  von  Malen  sich  verkörpert  habe,  um 
der  Welt  Heil  zu  bringen  in  verschiedener  Gestalt.  Es  ge- 
mahnt ganz  eigenthümlich  an  jenes  Dogma  der  Buddhisten, 
wenn  Vishnu  von  sich  selbst  in  der  Bhagavadgita  sagt1: 

„Immer  wieder  und  wieder,  wenn  Erschlaffung  der  Tugend 
eintritt,  o  Bharatide,  und  das  Unrecht  emporkommt,  dann  er- 
schaffe ich  mich  selbst  Zum  Schutze  der  Guten  und  zur  Ver- 
nichtung der  Uebelthäter,  mit  dem  Zwecke,  die  Tugend  wieder 
zu  festigen,  entstehe  ich  in  einem  Zeitalter  nach  dem  andern." 

Ohne  Wahrscheinlichkeit  ist  dagegen  wohl  die  Ansicht, 
welche  Weber  vor  längerer  Zeit*  aufgestellt  hat,  und  die  schon 
von  Lassen  bekämpft  wurde,  dass  nämlich  das  System  der  Ava- 
tara's  aus  einer  Nachahmung  des  christlichen  Dogmas  von  der 
Menschwerdung  Gottes  entstanden  sei.  Von  anderen  Gründen 
abgesehen  fällt  diese  Annahme  von  selbst  zusammen  mit  dem 
Nachweis,  dass  schon  zu  Megasthenes'  Zeit,  also  300  vor  Chr., 
Vishnu  in  der  Gestalt  des  Krishna,  seiner  vornehmsten  Mensch- 
werdung, verehrt  worden  ist3 

Krishna  war  ursprünglich  der  nationale  Held  des  Volkes 
der  Yadava,  welches,  in  mehrere  Stämme  zerfallend,  im  Süden 
von  der  Yamunä  ansässig  war.  Diese  Yadava,  hauptsächlich 
ein  Hirtenvolk,  spielen  neben  den  ihnen  benachbarten  und  ver- 
wandten Völkern  der  Matsya,  Qürasena  und  Paftcala  eine  nicht 
unbeträchtliche  Rolle  in  dem  gewaltigsten  Epos  der  Inder,  dem 
Mahabharata.  Sie  treten  hier  als  Helfer  und  Verbündete  der 
Panduiden  au£  denen  ihr  Held  Krishna  sehr  wesentlich  mit  zu 


1  Bhag.  4,  7  und  8. 

*  Ind.  Stud.  II  p.  169. 

*  S.  Lassen  a.  a.  0.  II*,  p.  1126;  4G5;  I»  p.  922. 


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dem  Siege  über  die  Kuruiden  verhilft.  Diesen  epischen  Sagen 
liegt  ohne  Zweifel  ein  historischer  Kern  zu  Grunde.  Wir 
werdeii  schliessen  dürfen,  dass  die  Yadava  in  der  That  als 
mächtige  und  einflussreiche  Bundesgenossen  demjenigen  Stamme 
oder  Geschlecht  zur  Seite  gestanden,  welches  sich  die  Herrschaft 
im  Gangeslande  in  feindlichem  Gegensatz  gegen  das  altberühmte 
Geschlecht  der  Kuruiden  erstritt,  und  wir  werden  es  billig  und 
natürlich  finden,  dass  diese  neuen  Herrscher  von  Madhyade^a 
die  Verehrung  des  nationalen  Heros  ihrer  Verbündeten  gern  zu 
fordern  und  zu  verbreiten  bereit  waren,  gern  den  Nimbus  des 
Helden,  welcher  nun  auch  ihr  Held  geworden  war,  noch  zu  er- 
höhen sich  bestrebten. 

Will  man  die  urspiiingliche  Gestalt  des  Helden  Krishna, 
wie  er  bei  den  Tadava  gefeiert  wurde,  sich  vor  die  Augen 
führen,  so  muss  man  sich  bemühen,  die  älteren  Züge  der  Sage 
von  den  späteren,  zum  Theil  tendenziösen  Zusätzen  zu  scheiden, 
was  in  vielen  Fällen  sich  mit  Evidenz  thun  lässt.  Krishna  er- 
scheint in  der  alten  Sage  als  der  Sohn  eines  Kuhhirten  Nanda 
und  erhält  als  solcher  den  Namen  Govinda  oder  Besitzer  der 
Kühe.  Er  erscheint  als  Anführer  von  Gopa's  oder  Hirten- 
schaaren, mit  denen  er  Königen  zu  Hülfe  zieht.  Eine  spätere 
Zeit  liebte  es,  insbesondere  dieses  Hirtenleben  des  Krishna  oder 
Govinda  mit  üppigen  erotischen  Tändeleien  auszufüllen,  im 
Tanz  und  Scherz  mit  den  Schaaren  der  reizenden  Hirtinnen. 
So  sehen  wir  ihn  später  namentlich  in  dem  schönen  lyrisch- 
dramatischen  Idyll  Gitagovinda  vorgeführt  Die  ältere  Sage 
weiss  von  diesen  pikanten  Abenteuern  wenig,  sie  berichtet  da- 
gegen von  Heldenthaten,  sie  erzahlt,  wie  der  Hirtensohn  Könige 
und  Helden  besiegt  und  vernichtet.1  Besonders  viel  gefeiert 
war  seine  Bezwingung  und  Tödtung  des  Tädava-Königs  Kansa 
von  Mathurä.  Aber  auch  sonst  wird  ihm  manche  Heldenthat 
nachgerühmt  Er  hatte  den  bösen  Stier,  der  die  Rinder  tödtete, 
bezwungen,  hatte  den  grossen  Asura  Pitha  erschlagen,  hatte 
Jarasamdha,  den  mächtigen  König  von  Magadha  und  noch  so 
manche  andere  gefährliche  Gegner  besiegt 

Bei  den  Thaten  und  Rathschlägen,  die  das  Mahabharata 
von  Krishna  berichtet,  zeigt  er  sich  in  der  Wahl  seiner  Mittel 
keineswegs  skrupulös,  wendet  ohne  Scheu  List  und  Trug  an, 
um  die  Gegner  zu  fällen,  kämpft  mit  Verschlagenheit  und 
Treulosigkeit  nicht  minder  als  mit  der  Kraft  der  Anne  und 
offenbart  also  sehr  menschliche  Schwächen  und  sehr  wenig  Ton 

1  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  I4,  p.  768.  769. 


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der  Natur  eines  höchsten  und  heiligsten  Gottes,  welche  später 
in  ihn  hineingedichtet  wurde.  Neben  jenen  Zügen  der  älteren 
Sage  bietet  uns  aber  das  Mahäbharata  andere  Abschnitte,  in 
welchen  Krishna  bereits  vergöttert  und  als  eine  Incarnatiou 
des  Vishnu  dargestellt  wird.  Schroff  und  unvermittelt  stehen 
sich  diese  seltsamen  Gegensätze  gegenüber,  und  es  erleidet 
kaum  einen  Zweifel,  dass  das  grosse  Epos,  welches  zu  einem 
bedeutenden  Theil  zweifelsohne  alte  Sagen  vorführt,  später  eine 
Ueberarbeitung  im  Sinne  der  speciellen  Vishnu -Verehrung  er- 
fahren hat,  wobei  man  sich  bemühte  den  Helden  Krishna  als 
Incarnation  des  grossen  Gottes  darzustellen.  Die  Pandava,  die 
Helden  des  Mahäbharata,  erscheinen  als  Beförderer  des  krishna- 
Dienstes.1 

Es  scheint  nach  alledem,  dass  die  Brahmanen,  welche  den 
Cultus  des  Vishnu  zu  verbreiten  strebten,  die  Verehrung  des 
Helden  Krishna,  die  beim  Volke,  bei  Königen  und  Kriegern 
wichtiger  Stämme  des  Gangeslandes  feste  Wurzeln  hatte  und 
behebt  war,  in  dem  Sinne  acceptirten  und  benutzten,  dass  sie 
auch  jenen  Helden  wieder  mit  ihrem  Gotte  identificirten." 

Aehnliches  gilt  nun  auch  von  dem  Helden  des  zweiten 
grossen  Epos  der  Inder,  dem  Rama  des  Ramäyana.  Auch  er, 
ursprünglich  ein  durchaus  menschlicher  Held,  wird  als  Ver- 
körperung des  Vishnu  dargestellt,  aber  in  Stücken,  welche 
offenbar  jüngeren  Datums  sind;  und  auch  hier  liegt  ohne 
Zweifel  die  Tendenz  vor,  die  Liebe  und  Verehrung,  welche  der 
Held  Rama  im  Volke  genoss,  auf  einem  Umwege  wieder  Gott 
Vishnu  zuzuwenden. 

„In  den  epischen  Gedichten,  sagt  Lassen,  erscheinen  Rama 


1  S.  Lasten,  a.  a.  0.  I\  p.  821. 

4  Adolf  Holtzmann  bemerkt  in  seinem  „Arjuna"  Strassburg  1879) 
p.  61  Qber  den  Kriahna  im  Mahäbharata  und  seine  Vergötterung:  „Im 
alten  Gedichte  war  Krishna  nur  ein  Mensch,  der  listige  aber  moralisch 
zweideutige  Anführer  eines  Hirtenvolkes,  das  sich  sogar  von  ihm  lossagt 
and  gegen  ihn  kämpft  Welches  Verhangniss  die  Inder  trieb,  einen 
solchen  Menschen  in  einer  Incarnation  des  höchsten  Gottes  zu  erheben, 
das  ist  für  uns  noch  ein  unerklärtes  Rathsel ;  es  müssen  gewaltige  poli- 
tische wie  religiöse  Umwälzungen  gewesen  sein,  welche  dieses  Resultat 
herbeigeführt  haben.  Der  alte  Krishna  des  Mahäbharata  muss  ver- 
schmolzen worden  sein  mit  einem  ganz  anderen  Krishna,  wie  er  uns 
s.  B.  im  Harivamca  sich  darstellt,  dem  vergötterten  Stammeshelden  einer 
tapferen  und  siegreichen  Völkerschaft,  mit  deren  mythologischen  Vor- 
stellungen die  alte  indische  Götterwelt  sich  zurechtfinden  musste."  Diese 
Hypothese  ist  mindestens  sehr  fraglich.  Zum  Verständnis»  der  doppel- 
gestaltigen  Schilderung  des  Krishna  im  Mahabh.  Tgl.  man  namentlich 
unten  Vorlesung  XXXIII. 


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und  Krishna  zwar  als  Verkörperungen  des  Vishnu,  aber  zu- 
gleich als  menschliche  Heroen,  und  diese  zwei  Vorstellungen 
sind  so  wenig  mit  einander  verschmolzen,  dass  beide  gewöhn- 
lich nur  wie  andere  höher  begabte  Menschen  auftreten,  nach 
menschlichen  Motiven  handeln  und  ihre  göttliche  Ueberlegen- 
heit  gar  nicht  geltend  machen;  nur  in  einzelnen,  eigens  zur 
Einschärfung  der  Göttlichkeit  hinzugefügten  Abschnitten  treten 
sie  als  Vishnu  hervor.  Man  kann  beide  Gedichte  nicht  mit 
Aufmerksamkeit  lesen,  ohne  an  die  spätere  Hinzufugung  dieser 
vergötternden  Abschnitte,  an  ihre  oft  ungeschickte  Einführung, 
ihre  lose  Verbindung  und  ihre  Entbehrlichkeit  für  den  Fort- 
gang der  Erzählung  erinnert  zu  werden.  Krishna  ist,  auch 
wie  das  Mahabbarata  jetzt  uns  vorliegt,  nicht  der  Hauptheld 
des  Gedichts;  dieses  sind  die  Pändava.  Er  gehörte  gewiss 
schon  zur  ursprünglichen  Pandavasage,  aber  als  Held  seines 
Stammes  und  nicht  höher  stehend  als  die  Pandava;  seine  Er- 
hebung über  die  Nebenhelden  gehört  späteren  Bemühungen, 
durchdringt  aber  nicht  das  ganze  Werk,  und  nur  in  sehr  seltenen 
Stellen  haben  die  späteren  Bearbeiter  gewagt,  das  Bharata  das 
heilige  Buch  von  Krishna  zu  nennen."1 

In  wesentlich  gleichem  Sinne  hatten  sich  übrigens  bereits 
früher  Kenner  wie  Wilson  und  A.  W.  v.  Schlegel  ausge- 
sprochen.1 

Lassen  ist  der  Ansicht,  „dass  wir  die  epischen  Gedichte 
in  wesentlich  derselben  Form  vor  uns  haben,  die  sie  schon  bei 
den  eigentlichen  Diaskeuasten  besassen  und  dass  nachher  vor- 
züglich nur  die  Bearbeitung  im  Sinne  der  ausschliesslichen 
Vishnu -Verehrung  hinzukam;  denn  diese  Auffassung  ist  an- 
geklebt, nicht  mit  dem  inneren  Wesen  der  alten  Sage  ver- 
wachsen."8 

Das  Mahabharnta  erzählt,  dass  die  Götter  den  Vishnu 
baten,  sich  auf  Erden  gebären  zu  lassen.  Da  zieht  er  sich 
zwei  Haare  aus,  ein  weisses  und  ein  schwarzes.  Diese  Haare 
gehen  in  zwei  Yadava- Frauen,  die  Weiber  des  Vasudeva,  ein. 
Aus  dem  weissen  wird  Balarama,  der  Bruder  des  Krishna,  ge- 
boren, aus  dem  schwarzen  Krishna.  Auf  diese  Theilung  wird 
aber  weiterhin  keine  Rücksicht  genommen,  vielmehr  erscheint 
Krishna  als  der  ganze  Gott  Vishnu  in  eigener  Person.  Er  ist 
der  höchste  Gott,  obschon  die  von  ihm  berichteten  Thaten  sehr 


1  8.  Lassen,  Ind.  Alt.  If,  p.  586. 

1  8.  ebenda,  Anm. 

*  Lassen,  a.  a.  0.  If,  p.  590 


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oft  keineswegs  den  Stempel  sittlicher  Reinheit  tragen.  Es  heisst 
von  Krishna,  dass  zu  Anbeginn  der  Welt  Brahma,  welcher  das 
All  ist,  aus  dem  Lotus  seines  Nabels  entsprungen  sei,  dass  alle 
Götter  aus  ihm  hervorgegangen  seien  und  ihm  gehorchen. 
Brahma  selbst  sagt  zu  den  Göttern:  „Ihr  müsst  diesen  Vasu- 
deva,1 dessen  Sohn  ich,  Brahma,  der  Herr  der  Welten  bin, 
▼erehren.  Nimmer,  o  ihr  grossen  Götter,  darf  der  mächtige 
Träger  der  Muschel,  des  Diskus  und  der  Keule*  für  einen  ein- 
fachen Menschen  geachtet  werden.  Dies  Wesen  ist  das  höchste 
Mysterium,  die  höchste  Existenz,  der  höchste  Brahma,  die 
höchste  Macht,  die  höchste  Freude,  die  höchste  Wahrheit. 
Dies  Wesen  ist  der  Unvergängliche,  der  Ununterscheidbare, 
der  Ewige.  Vasudeva  (Krishna),  von  unbegrenzter  Macht,  darf 
deshalb  nicht  von  den  Göttern,  auch  von  Indra  nicht  oder  von 
den  Asura  als  nur  ein  Mensch  missachtet  werden.  Wer  sagt, 
dass  er  nur  ein  Mann  sei,  dessen  Verständniss  ist  verkehrt; 
wer  den  Krishna  verachtet,  den  wird  man  den  niedrigsten  der 
Menschen  nennen.  Wer  Vasudeva  verachtet,  der  ist  voll  Finster- 
mgs. Wer  den  glorreichen  Gott  nicht  kennt,  dessen  Selbst  die 
Welt  ist,  der  ist  voll  Finsterniss.  Der  Mann,  welcher  dieses 
grosse  Wesen  verachtet,  das  Krone  und  Juwel  tragt,  das  seine 
Verehrer  von  Furcht  befreit,  der  ist  in  tiefe  Finsterniss  ge- 
stürzt«» 

Diese  Aussprüche  machen  den  Eindruck  einer  leidenschaft- 
lichen Verteidigung  oder  Propaganda;  sie  entstammen  darum 
wohl  einer  Zeit,  in  welcher  noch  eifrig  für  weitere  Verbreitung 
der  Krishna- Verehrung  gekämpft  wurde.  Wir  sehen  in  den- 
selben den  Krishna -Vishnu  sogar  über  Brahma  erhoben,  der 
sich  willig  vor  ihm  beugt.  Urd  das  war  auch  eigentlich  nur 
die  natürliche  Folge  jener  Strömung,  die  den  Vishnu  zum 
höchsten  Gott  erhob.  Auch  Brahma  musste  zuletzt  in  ihm 
aufgehen.  Vishnu  ist  gber  alle  anderen  Götter  hinausgewachsen, 
hat  den  Thron  des  Brahma  eingenommen.  Diese  Auffassung 
tritt  nun  auch  deutlich  aus  manchen  anderen  Stellen  des 
Mahabharata  hervor.  Dort  heisst  es:  „In  ihm,  dem  Hern»  aller 
Wesen,  sind  alle  Wesen  als  seine  Eigenschaften  enthalten,  wie 
Edelsteine  auf  die  Schnur  gereiht;  auf  ihm  ruht  das  seiende 
und  nicht  seiende  All.    Hari  (Vishnu)  mit  tausend  Häuptern, 

1  Dies  Patronymicum  bezeichnet  den  Krishna,  weil  er  als  Sohn  des 
Vasudeva  gilt. 

*  Embleme  des  Vi6hnu-Krisbna. 

•  Duncker,  Gesch.  d.  Alterth.  III4,  p  386.  nach  Muir,  Original 
Sanskrit  Texts,  Bd.  IV  j..  21«. 


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tausend  Füssen,  tausend  Augen  glänzt  mit  tausend  Gesichtern; 
er,  der  Gott,  der  über  Alles  hinausragt,  der  Kleinste  der 
Kleinen,  der  Weiteste  der  Weiten,  der  Grösste  der  Grossen, 
der  Hervorragendste  der  Hervorragenden,  ist  die  Seele  von 
Allen j  er,  der  Alles  Wissende,  der  Alles  Kennende,  ist  der 
Herrorbringer  von  Allem;  in  ihm  schwimmen  die  Welten,  wie 
Vögel  im  Wasser.  Vishiju  ist  ohne  Anfang  und  ohne  Ende, 
die  Quelle  der  Existenz  aller  Wesen.  Von  dem  tausendarmigen 
Vishnu,  dem  Haupt  und  dem  Herrn  der  Welt,  entsprangen  alle 
Wesen  im  Anfang  der  Zeiten,  in  ihn  kehren  sie  zurück  am 
Ende  der  Zeiten.  Hari  ist  der  ewige  Geist,  glänzend  wie  Gold, 
wie  die  Sonne  am  wolkenlosen  Himmel.  BrahmA  ist  aus  seinem 
Leibe  entsprungen  und  wohnt  mit  den  übrigen  Göttern  in 
seinem  Körper;  die  Lichter  des  Himmels  sind  die  Haare  seines 
Hauptes.  Ihn,  den  lotusäugigen  Gott,  preiset  der  ewige  Brahma, 
ihn  beten  die  Götter  an."1 

So  ist  Vishnu  denn  auch  der  grosse  Gott  der  pantheistischen 
Weltauffassung  geworden.  Alle  Herrlichkeit,  die  einst  dem 
Atman-Brahman  nachgerühmt  wurde,  wird  jetzt  auf  Vishnu 
übertragen.  In  der  Bhagavadgita,  jener  berühmten  Episode 
des  Mahäbhar&ta,  offenbart  sich  Vishnu -Krishna  dem  Arjuna 
auf  dessen  Bitte  in  seiner  wahren  Gestalt  Da  erscheint  er 
hoch  zum  Himmel  emporragend,  mit  einer  Menge  von  Köpfen, 
Armen  und  Augen,  ohne  Anfang,  Mitte  und  Ende,  eine  unzählige 
Menge  von  Leibern  und  Gestalten  in  sich  bergend.  Alle  Götter, 
und  die  Schaaren  der  verschiedenen  Geschöpfe,  alle  Weisen  der 
Vorzeit,  alle  Helden,  die  himmlischen  Schlangen,  ja  BrahmA 
selbst  auf  seinem  Lotussitze  erscheinen  im  Leibe  des  Allgewaltigen, 
sind  nichts  als  Theile  seines  unermesslichen,  Staunen  und  Schrecken 
erregenden  Leibes.1 

Im  Ramäyana  wird  erzählt,  dass  der  furchtbare  Riese 
Ravana  von  Brahma  die  Gunst  erbeten*  und  erhalten  hatte, 
durch  Götter,  Gandharven,  Yaksha's,  Dänava's  und  Rakshasa's 
unverwundbar  zu  sein.  Er  richtet  nun  den  gräulichsten  Unfug 
an  und  versetzt  die  Götter  in  den  grössten  Schrecken,  ohne 
dass  sie  etwas  gegen  ihn  thun  können.  Ravana  hatte  in  seinem 
Hochmuth  es  verschmäht  zu  bitten,  dass  er  auch  durch  Menschen 
unverwundbar  sein  möge.   Nun  feilen  die  Götter  vor  Vishnu 

1  S.  Duncker,  Gesch.  d.  Alt.  III«  p.  379,  nach  Muir.  Original 
Saaskr.  TexU  Bd.  IV,  p.  271  flg. 

*  Vgl.  den  elften  Gesang  der  Bhagavadgita,  insbesondere  ycd 
Vers  15  aa;  auch  Humboldt,  Ueber  die  unter  dem  Namen  Bhaga- 
vadgita bekannte  Episode  des  Mahabharata  p.  13. 


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nieder  und  flehen  ihn  an,  sich  als  Mensch  gebaren  zu  lassen, 
um  die  Welt  von  dem  Ungeheuer  zu  befreien.  Vishnu  gewährt 
die  Bitte  und  wird  als  RAma,  Sohn  des  Königs  Dacaratha  von 
AyodhyA,  geboren.  Als  solcher  vollführt  er  Heldenthaten  aller 
Art,  in  denen  er  aber  durchaus  als  menschlicher  Held  und 
Kämpfer  erscheint.  Gegen  das  Ende  des  Epos  aber  kommen 
BrahmA  und  die  anderen  Götter  zu  ihm,  um  ihm  zu  verkünden, 
wer  er  eigentlich  sei»  nämlich  «der  uranf&n gliche  Schöpfer  des 
Universums,  das  Haupt  der  Götterschaar,  dessen  Augen  Sonne 
und  Mond,  dessen  Ohren  die  Acyinen  sind.*  BrahmA  selbst 
redet  ihn  an  und  sagt:  „Du,  o  Wesen  ursprünglicher  Gewalt, 
du  bist  der  ruhmreiche  Herr,  mit  dem  Diskus  bewaffnet,  du 
bist  der  Eber  mit  einem  Horn,  der  Ueberwinder  der  gegen- 
wärtigen und  zukünftigen  Feinde,  du  bist  der  wahre  unvergäng- 
liche BrahmA  in  der  Mitte  und  am  Ende,  du  bist  die  höchste 
Rechtsordnung  der  Welt,  der  Bogenträger,  der  höchste  Geist, 
der  Unbesiegte,  der  Schwinger  des  Schwertes.  Du  bist  Einsicht, 
Geduld,  Selbstbezwingung.  Du  bist  die  Quelle  des  Entstehens 
und  die  Ursache  des  Vergehens.  Du  bist  Mahendra,1  du  voll- 
ziehst die  Funktionen  Indra's.  Du  hast  die  Veden  gebildet;  die 
Veden  sind  deine  Gedanken,  du  erstgeborener,  nur  von  dir  ab- 
hängiger Herr.  Du  bist  in  allen  Kreaturen,  in  den  Brahmanen 
und  in  den  Kühen,  du  'haltst  die  Geschöpfe  und  die  Erde  mit 
ihren  Bergen,  du  bist  am  Ende  der  Erde,  in  den  Wassern, 
eine  mächtige  Schlange,  welche  die  drei  Welten  trägt.  Die 
ganze  Welt  ist  dein  Körper,  Agni  ist  dein  Zorn,  Sorna  ist  deine 
Freude,  und  ich  (BrahmA)  bin  dein  Herz."' 

Also  auch  dieser  RAma- Vishnu  ist  der  pantheistische  Gott 
der  Brahmanen. 

Die  Lehre  von  den  Incarnationen  wurde  noch  bedeutend 
weiter  ausgedehnt  und  bot  den  Brahmanen  einen  sehr  bequemen 
Weg,  Vishnu  zum  Mittelpunkte  einer  ganzen  Reihe  der  wich- 
tigsten und  im  Volke  angesehensten  Sagen-  und  Mythenkreise 
zu  machen  und  so  dem  neuen  grossen  Gotte  auf  einem  Umwege 
die  Sympathie  und  Verehrung  einer  grossen  Menge  von  Völkern 
und  Stämmen  des  Gangeslandes  zuzuwenden. 

Die  Zahl  der  Verkörperungen  oder  AvatAra  's  des  Vishnu 
wird  zu  verschiedenen  Zeiten  und  in  verschiedenen  Werken 
anders  angegeben.   Meist  sind  es  ihrer  zehn,  es  werden  aber 


1  D.  h.  „der  grosse  Indra 4 

*  Duncker.  a.  a.  0.  III*  p.  383.  384.  nach  Muir,  Orig.  Sanskrit 
Text»  IV  p.  178  flg. 

v.  Sefcrödtr.  Indion«  Lit.  u  Oult.  2*2 


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auch  Doch  mehr  erwähnt.1  Die  wichtigsten,  ausser  der  schon 
Gesprochenen  Verkörperung  als  Krishna  und  der  als  Rama,  seien 
hier  kurz  angedeutet. 

Oft  erwähnt  ist  die  Verkörperung  Vishnu's  als  Vämana 
oder  Zwerg,  in  welcher  Gestalt  er  den  Asura  Bali  überlistete 
und  ihm  durch  die  altberühmten  drei  grossen  Schritte  die  Welt 
abgewann.  Schon  in  den  Brahmana's  wird  erzählt,  dass  einst 
die  Asuren  den  Göttern  die  Welt  entrissen  hätten  und  dass  es 
Vishnu  gewesen,  der  sie  ihnen  wieder  gegeben.  In  den  epi- 
schen Dichtungen  wird  nun  späterhin  diese  Erzählung  mit  dem 
alten  Mythus  von  den  drei  Schritten  des  Vishnu  in  Zusammen- 
hang gebracht  und  zugleich  mit  der  Lehre  von  den  Incar- 
nationen,  indem  es  heisst,  dass  der  böse  Asura  Bali  einst  die 
Götter  besiegt  und  die  Erde  gewonnen  habe.  Da  soll  Vishnu 
die  Gestalt  eines  Zwerges  (Vämana)  angenommen  und  den 
Bali  gebeten  haben,  ihm  soviel  Raum  zu  schenken,  als  er  mit 
drei  Schritten  durchmessen  könne.  Als  ihm  der  Asura  dies 
zugestanden,  habe  Vishnu  seine  wahre  Gestalt  angenommen, 
mit  drei  Schritten  Erde,  Luft  und  Himmel  durchmessen  und 
den  Asura  in  die  Hölle  gestossen.  j 

In  dieser  Erzählung  steckt,  wie  man  sieht,  ein  uralter  Kern. 

Dasselbe  ist  der  Fall  bei  Vishnu's  Verkörperung  als  Matsya 
oder  Fisch.  Als  solcher  erscheint  er  nämlich  zur  Zeit  der 
grossen  Fluth  und  zieht  das  Schiff  des  frommen  Königs  Satya- 
vrata,  der  auf  seinen  Befehl  sich  mit  den  sieben  Eishi's  darin 
geborgen,  durch  das  gewaltige  Wasser.  Hier  hegt  unzweifel- 
haft dem  Kerne  der  Erzählung  die  alte  Sinfcfluthsage  zu  Grunde, 
die  wir  ja  bei  so  verschiedenen  Völkern  wiederfinden.  In  der 
älteren  Sage  des  Mahabharata  erscheint  indessen  Brahma  als 
Fisch  uud  der  Gerettete  ist  Manu,  der  Vater  des  Menschen- 
geschlechtes. 

Als  Schildkröte  oder  Kurma  spielt  Vishnu  eine  Rolle  in 
der  phantastischen  Mythe  von  der  Quirlung  des  Weltmeeres 
und  Gewinnung  des  Amrita  oder  des  Unsterblichkeitstrankes 
und  noch  verschiedener  anderer  kostbarer  Güter.  Er  lässt  die 
Spitze  des  Berges  Mandara  sich  auf  den  Rücken  setzen;  Götter 
und  Dämonen  binden  die  Schlange  Vasuki  als  Seil  um  den 
Berg  und  drehen  denselben  nun  als  Quirl  in  dem  Weltmeere, 
bis  die  herrlichsten  Dinge  zum  Vorschein  kommen.1 


1  Das  Bhagavata-Purana  kennt  z.  B.  deren  zwanzig. 
a  Im  Berg  Mandar  be.im  heutigen  Bhagalpur  in  Behar  am  rechten 
Gangesufer  verehren  die  Hindu  diesen  Quirl;  am  Abhang  desselben  findet 


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Als  Eber  oder  Varaha  rettete  Vishnu  die  Erde  au*  der 
Gewalt  des  bösen  Dämon  Hiranyaksha,  d.  i.  des  Goldäugigen, 
der  dieselbe  auf  den  Boden  des  Oceans  hinabgezogen  hatte. 
Nach  einem  tausend  Jahre  dauernden  Kampfe  tödtet  Vishnu 
das  Ungeheuer  und  trägt  die  Erde  auf  seinen  Hauern  an  den 
alten  Ort 

Als  Nrisimha  oder  Mannlöwe,  mit-  einer  Gestalt,  halb 
Mann  halb  Löwe,  zerriss  er  den  bösen  Dämon  Hiraoyakacipu 
mit  seinen  Tatzen. 

Als  Paracnräma  oder  „Rama  mit  dem  Beil",  wohl  zu 
unterscheiden  von  dem  Rama  des  Ramayana,  machte  Vishnu 
den  langdaueruden  Kämpfen  zwischen  Brahmanen  und  Kriegern 
ein  Ende,  indem  er  die  übermüthigen  Kshatriya- Geschlechter 
vernichtete  und  so  als  Mitbegründer  der  brahmanischen  Staats- 
ordnung erscheint. 

Ja  sogar  Buddha  soll  nach  der  späteren  Lehre  der  Brah- 
manen eine  Incarnation  des  Vishnu  gewesen  sein,  einzig  und 
allein  zu  dem  Zwecke,  um  die  schlechten  Menschen  und  Dä- 
monen sich  selbst  vernichten  zu  lassen,  indem  sie  durch  Buddha 
dazu  gebracht  wurden,  das  Kastengesetz  zu  missachten  und  die 
Verehrung  der  Götter  über  Bord  zu  werfen  —  eine  sehr  ab- 
sonderliche Idee. 

Am  gefeiertsten  aber  blieb  doch  immer  die  Incarnation 
Vishnu'b  als  Krishna. 

Die  zehnte  und  letzte  Incarnation  des  Vishnu,  als  Kalki, 
wird  erst  in  der  Zukunft  erwartet.  Wenn  die  Welt  in  Schlechtig- 
keit ganz  versunken  ist,  wenn  die  heiligen  Schriften  ihr  An- 
sehen verloren  haben  und  das  Lebensalter  der  Menschen  nur 
noch  23  Jahre  beträgt,  dann  wird  Vishnu  wieder  leibhaftig 
erscheinen,  das  böse  Weltalter,  Kaliyuga,  in  dem  wir  jetzt  leben, 
wird  zu  Ende  gehen  und  es  wird  ein  neues,  vollkommenes  Zeit- 
alter, ein  Kritayuga  folgen.1 

Vishnu,  der  Gott  der  Lebenskraft,  die  durch  die  ganze 
Natur  geht  und  sie  erhält,  schläft  nach  dem  Glauben  der  Jnder 
während  der  Regenzeit,  auf  einem  Lotusblatt  im  Weltmeer 
schwimmend.  Dann  erwacht  er  wieder  zu  neuer  Thätigkeit. 
Er  wird  in  der  mittelalterlichen  Mythologie  gedacht  und  dem- 
gemäß auch  abgebildet  mit  vier  Armen,  eine  Keule  tragend, 


sich  eine  Göttermaske  von  unsicherer  Deutung.  8.  Schlagintweit, 
Indien  in  Wort  und  Bild,  Bd.  I  p.  170  Anna. 

1  Dieses  Dogma  erinnert  wieder  auffallend  an  die  Lehre  der  Bud- 
dhisten, nach  welcher  in  der  Zukunft  noch  ein  grosser  Buddha,  mit 
Namen  M&itreya,  erscheinen  soll. 

22* 


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—    340  — 

mit  Muschel  und  Diskus  versehen.  Er  reitet  auf  dem  Vogel 
Garuda,  ursprünglich  wohl  der  Sonnenvogel,  da  im  Rigveda 
die  Sonne  auch  als  Vogel,  als  Adler  gedacht  wird.  Seine  Ge- 
mahlin ist  <Jri  oder  Lakshmt,  die  Göttin  der  Schönheit  und 
des  Glückes. 

Der  Cultu8  des  Vishnu  wuchs  im  Mittelalter  immer  mehr 
an  Einflus8  und  Verbreitung  und  hat  sich  allen  Wechselfällen 
der  Geschichte,  allen  feindlichen  Gegenströmungen  zum  Trotz 
in  weitem  Umfang  bis  zum  heutigen  Tage  erhalten  Zahllose 
Tempel  in  Indien  sind  heute  noch  diesem  Gotte  geweiht  und 
die  Schaar  seiner  Anhänger  wird  nach  Millionen  gezählt. 


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Vierundzwanzigste  Vorlesung. 


Der  grosse  Gott  £iva,  seine  Herkunft  und  seine  Entwidkelung.  Rudra 
im  Rigveda.  Rudra-Qiva  in  den  Yajurveden;  seine  Epitheta  und  ter- 
schiedenen  Erscheinungsformen.  Verschmelzung  des  Rudra- Qiva  mit  ver- 
schiedenen anderen  Göttern,  wie  Bhava  und  Qarra,  Der  Name 
wird  Hauptname  des  Gottes.  Die  Gegenden,  wo  sein  Cultus  zuerst  hei- 
misch zu  sein  scheint.  Verschmelzung  des  Qiva  mit  dem  Gotte  Hara. 
Vereinigung  des  Phallusdienstes  mit  Beinern  Cultus.  Aeussere  Erschei- 
nung des  £iva.  Verherrlichung  desselben  als  obersten  Gottes  in  der 
mittelalterlichen  Poesie.   Beziehung  zu  Vishnu. 


Während  im  Gebiete  des  Ganges  sich  die  Verehrung  des 
Vishnu  mehr  und  mehr  eingebürgert  hatte,  war  in  anderen 
Theilen  Indiens  die  Gestalt  eines  anderen  Gottes  empor- 
gewachsen, eines  furchtbaren  und  gewaltigen  Gottes,  der  jenem 
freundlichen  Vishnu  als  gefährlicher  Rivale  zur  Seite  trat  und 
eigentlich  bis  auf  den  heutigen  Tag  noch  mit  ihm  um  den 
Vorrang  kämpft  Zwar  haben  es  die  Brahmanen  verstanden, 
beide  Götter  in  ihrem  theologischen  Systeme  zu  vereinigen, 
aber  es  haftet  diesen  dogmatischen  Versuchen  doch  immer 
einigermassen  der  Schein  der  Künstlichkeit  an.  Genau  ge- 
nommen sind  diese  Gegensätze  bis  heute  noch  nicht  ausgeglichen, 
und  auch  die  Hindu  unserer  Tage  lassen  sich  der  Hauptsache 
nach  scheiden  in  Verehrer  des  Vishnu  und  Verehrer  des 
§iva»  Welches  war  nun  die  Herkunft  dieses  Gottes  und  was 
war  es,  das  seine  Verehrer  an  ihn  fesselte? 

In  den  Hymnen  des  Rigveda  begegnen  wir  noch  keinem 
Gott  Civa,  er  ist  denselben  fremd;  indessen  ist  es  bereits  lange 
klargelegt,  dass  der  vedische  Rudra  als  derjenige  Gott  be- 
trachtet werden  muss,  aus  dessen  Gestalt  nach  manchen  Um- 
wandlungen und  Verschmelzungen  mit  anderen  Göttergestalten 
der  grosse  Gott  £iva  hervorgegangen  ist. 

Rudra,  der  „Brüllende"  oder  „Heulende",1  der  Vater  der 

1  Von  der  Wunel  rud;  nach  Anderen  „der  Böthliche,  der  Rothe". 


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-    342  — 

♦ 

Maruts,  der  Stnrmgötter,  repräsentirt  die  tosende  und  ver- 
heerende Gewalt  des  Sturmes.  Er  wird  gedacht  als  bewehrt 
mit  starkem  Bogen  und  raschem  Pfeil,  und  gefürchtet  ist  sein 
Geschoss,  mit  dem  er  die  Bösen  vernichtet.  Immer  wieder  be- 
gegnet uns  die  angstvolle  Bitte:  Des  Rudra  Waffe  möge  uns 
verschonen!  Er  möge  Menschen  und  Vieh  nicht  verderben!  — 
Rudra  wird  geschildert  als  röthlich  oder  braun,1  mit  goldenem 
Schmuck  geziert,  das  Haar  geflochten  oder  in  Form  einer 
Muschel  aufgewunden  tragend,1  eine  Tracht,  die  in  vedischer 
Zeit  auch  sonst  bei  männlichen  Personen  erwähnt  wird*  and 
bei  diesem  Gotte  nach  Roth  wohl  auf  die  im  Knäuel  geballten 
dunklen  Wolken  zu  deuten  ist4  Wir  werden  sehen,  dass  die- 
selbe Haartracht  auch  bei  Gott  Civa  uns  wieder  begegnet 

Neben  dieser  furchtbaren  und  schreckenerregenden  Seite 
seines  Wesens  zeigt  Gott  Rudra  aber  auch  eine  gütige  und 
wohlthätige,  dieselbe,  die  die  späteren  Namen  Qiva  und  Qamkara 
besonders  hervorheben.  Er  wird  nicht  nur  der  Stärkste  unter 
den  Starken  genannt,  sondern  auch  der  allerbeste  Arzt,5  der 
reich  versehen  ist  mit  den  trefflichsten  Heilmitteln  und  an- 
gefleht wird,  Noth  und  Leid  zu  lindern.  Nach  ihm  sehnt  sich 
der  Fromme  wie  ein  Knäblein  nach  des  Vaters  Grass.  Es  ist 
mit  dieser  heilenden  und  beglückenden  Eigenschaft,  die  in 
Rudra  neben  seiner  Schrecklichkeit  liegt,  ursprünglich  wühl  die 
heilsame,  reinigende,  schlechte  Stoffe  der  Atmosphäre  fort- 
schaffende Seite  der  Stürme  gemeint. 

Hören  wir  einen  Hymnus  des  Vasishtha  an  Rudra!  Er 
singt*: 

1.  Bringet  die  Lieder  dar  dem  Rudra  mit  starkem  Bogen  und 
schnellem  Pfeil,  dem  selbstherrlichen  Gotte,  dem  unbesiegbaren,  sieg- 
reichen, trefflichen,  der  mit  scharfer  Waffe  bewehrt  ist!  Erhören  mög 
er  uns! 

2.  Von  seinem  Sitze  scLaut  er  mit  Selbstherrschermacht  herab  auf 
irdische  und  himmlische  Geschlechter;  o  nahe  dich  freundlich  unsern 
Häusern,  die  dich  lieben!  Nahe  dich,  o  Rudra,  unsern  Kindern  ohne  Leid! 

3.  Mög  uns  verschonen  dein  Blitz,  der  vom  Himmel  herabgeschleudert 
Aber  die  Erde  hinfahrt!  Du,  vielersehnter,  hast  ja  tausend  Heilmittel. 
—  nicht  schädige  uns  an  Kind  und  Kindeskindern! 

4.  0  Rudra,  triff  uns  nicht,  gieb  uns  nicht  preis!  Nicht  möge  dein 
Zorn  losstürmen  gegen  uns!  Schenk  uns  die  heilige  Opferstreu  und  Preis 
unter  den  Lebendigen!   Ihr  Götter  schirmet  uns  in  steter  Wohlfahrt! 


1  arusha  oder  babhru. 

«  kapardin;  vgl.  das  Petersb.  Wörterbuch  unter  diesem  Worte. 

•  Vgl  oben  p.  37. 

4  S.  Lassen,  Ind.  Alt  I*,  p.  901. 

•  bhiahajam  bhishaktama  RV  2,  83,  4. 

•  RV  7,  46. 


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343  - 


Vollständiger  und  deutlicher  noch  als  in  diesem  Liede 
treten  uns  beide  Seiten  des  Rudra,  die  heilende  und  die 
schrcckvolie,  in  einem  anderen  Hymnus  des  Rigveda  entgegen1: 

1.  Da  Vater  der  Maruts,  es  komme  zu  uns  deine  Huld!  Beraube 
uns  nicht  des  Anblicks  der  Sonne!  Der  Held  sei  gn&dig  unsern  Rossen! 
0  Rudra,  schenk  uns  reichen  Eindersegen! 

2.  Durch  die  heil  vollen  Arzeneien,  die  du  spendest,  o  Rudra,  möchte 
ich  hundert  Winter  noch  erleben!  Scheuche  weit  weg  von  uns  die  Noth, 
die  Anfeindung,  die  Uebel  weg  nach  allen  Seiten! 

3.  Du,  Rudra,  bist  an  Schönheit  der  Schönste  der  Geborenen,  der 
Stärkste  der  Starken,  du  Donnerkeilträger!  Bring  rettend  uns  ans  andre 
Ufer  der  Noth,  zum  Heile,  halte  fern  von  uns  alle  Angriffe  der  Krankheit! 

4.  0  möchten  wir  dich  nicht  erzürnen,  Rudra.  durch  unsre  Ver- 
ehrung, nicht  durch  ein  schlechtes  Preislied  und  Geschrei.2  Hilf  unsern 
Helden  auf  mit  deinen  Arzeneien!  Den  besten  der  Aerzte  hör  ich  dich 
nennen. 

5.  Ihn,  der  durch  Anrufung  und  Opfer  herbeigerufen  wird,  den 
Rudra  möchte  ich  mit  Preisliedern  befriedigen;  der  süssen  Trank  ver- 
schafft und  trefflich  anzurufen  ist,  nicht  möge  uns  der  schönwangige 
Braune  dem  Zorne  überantworten. 

6.  Der  Stier,*  den  die  Maruts  umgeben,  hat  mich  mit  rüstiger  Kraft 
erfreut,  da  ich  flehte.  Möchte  ich  des  Rudra  Huld  erreichen  unversehrt, 
wie  den  Schatten  aus  der  Sonnenghtfh. 

7.  Wo  ist  denn,  Rudra,  deine  gnadige  Hand,  die  heilt  und  lindert? 
Der  du  die  gottgesandte  Krankheit  wegnimmst,  sei  gnädig  mir,  o  Stier! 

8.  Dem  braunen  Stier,  dem  glänzenden,  lass  ich  erschallen  laut 
den  grossen  Lobgesang!  Verehre  dpa  k+llfuakelnden  iu  Demuth!  Wir 
preisen  des  Rudra  gewaltiges  Woeea. 

9.  Mit  starken  Gliedern,  vielgestaltig,  furchtbar,  schmückte  der 
Braune  sich  mit  leuchtendem  Goldschmuck.  Von  ihm,  dem  Herrn  der 
grossen  Welt,  von  Rudra  weichet  nicht  göttliche  Lebensfülle. 

10.  Wohl  würdig  dessen  trägst  du  Pfeil  und  Bogen,  wohl  würdig 
dess  den  hehren  bunten  Goldschmuck,  wohl  würdig  dess  besitzest  du  all 
diese  Macht;  nichts  Stärkeres  giebt  es  als  dich,  o  Rudra. 

11.  Preise  den  berühmten  jugendlichen,  der  auf  dem  Streitwagen 
sitzet,  den  furchtbaren,  der  wie  ein  wildes  Thier  (den  Gegner)  anfällt! 
Sei  gnädig  dem  Sänger,  o  Rudra,  wenn  du  gepriesen  wirst!  Einen  Andern 
als  uns  mögen  deine  Geschosse  treffen. 

12.  Wie  ein  Knäblein,  das  seinen  Vater  begrüsst,  so  neige  ich  mich 
dem  Herannahenden,  o  Rudra!  Ich  preise  den  Spender  des  reichen 
Gutes,  den  Heerführer;  du,  der  Gepriesene,  spende  die  Heilmittel  uus 

13.  Eure  strahlenden  Arzeneien,  o  Maruts,  die  sehr  heilvoll  und 
wohithätig  sind,  ihr  Starken,  die  unser  Vater  Manu  sich  erwählte,  die 
wünsche  ich  von  Rudra  zu  Heil  und  Segen. 

14.  Des  Rudra  Waffe  möge  uns  erschonen!  Vorüber  gehen  mög 
an  uns  die  schwere  Ungunst  des  Gewaltigen!  Was  allzu  straff  ist,  spanne 


1  RV  2,  83;  Verfasser  Gritsamada. 

1  Eig.  Zusammenrufen,  d.  h.  wohl  Durcheinanderufen.  Schreien 
beim  Gebete. 

■  Stier,  starker  Stier,  brauner  Stier  — -  ehrendes  Beiwort  so  mancher 
Götter,  und  auch  des  Rudra. 


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—    344  — 

du  ab  für  unsre  Opferherrn!  0  gütiger,  sei  gnädig  da  Kind  und  Kindes- 
kindern ! 

16.  Da  brauner  Stier,  wenn  du  erscheinst,  so  zeig  dich  nicht  im 
Zorn  und  tödte  nicht!  Höre,  o  Rudra,  uoser  Gebet!  Laut  mög  im  Rath 
der  Untern  Stimme  schallen! 

So  der  Rigveda.  \ 

Gehen  wir  nun  zu  der  folgenden  Periode,  zu  den  Yajur- 
veden,  über,  so  finden  wir  in  denselben  ganz  besondere  Ab- 
schnitte specieU  der  Verehrung  des  Rudra  gewidmet,1  und  es 
machen  dieselben  im  Ganzen  einen  jüngeren  Eindruck  als  diese 
Texte  sonst2  Wahrscheinlich  kam  im  Laufe  der  Brähmana- 
Periode  mehr  und  mehr  die  Verehrung  des  Rudra  in  seinen 
mannigfaltigen  Gestalten  und  Erscheinungsformen  auf,  und  die 
grosse  Bedeutung,  welche  dieser  Gott  allmählich  erlaugte,  ver- 
anlasste die  Brahmanen,  die  an  ihn  gerichteten  Gebete  und 
Anrufungen  in  die,  einer  früheren  Periode  entstammenden,  Yajus- 
Bücher  einzufügen. 

Diese  Abschnitte  der  Yajurveden  sind  für  uns  von  bedeu- 
tendem religionsgeschichtlichen  Interesse,  denn  sie  sind  es,  aus 
denen  wir  mit  unzweifelhafter  Deutlichkeit  ersehen  können, 
dass  in  der  That  der  spätere  Gott  Qiva  aus  dem  vedischen 
.  Rudra  sich  herausgebildet  und  antwickelt  hajL 

Es  ist  Rudra,  der  hier  gefeiert  wird,  der  furchtbare 
Bogenschütze,  der  braunrothe  Flechtenträger,  der  angefleht 
wird,  seine  Waffe  gnädig  vorübergehen  zu  lassen.  Aber  dieser, 
mit  seinem  alten  Namen  und  allen  alten  Abzeichen  viel  an- 
gerufene Gott  wird  hier  in  einer  Mannigfaltigkeit  von  Erschei- 
nungen gedacht  und  erhält  eine  ganze  Reihe  von  Beinamen 
und  Epithetis,  in  denen  uns  schon  ganz  unzweideutig  der  spätere 
Gott  4'iva  mit  allen  seinen  wesentlichsten  Benennungen  ent- 
gegentritt. Er  wird  Qiva  „der  Gütige"  und  Qamkara  „der 
Heilbringer"  genannt,  Mahadeva  „der  grosse  Gott",  Bhava 
und  £arva,  später  geläufige  Namen  des  Qiysl;  Nllagrlva  „der 
Blaunackige",  ein  bekanntes  Epitheton  des  (Jiva,  Girica  und 
Giri^anta  „Herr  der  Berge",  Pagupati  „Herr  des  Viehs" 
u.  dgL  m. 

Einige  dieser  Namen  sind  ohne  Zweifel  ursprünglich  Be- 
zeichnungen anderer  Götter,  die  in  bestimmten  Stämmen  des 


a  Die  sogen.  Rudrajapa's. 

1  Dass  sie  später  in  dieselben  eingeschoben  sind,  halte  ich  auch 
deshalb  mr  wahrscheinlich,  well  das  entsprechende  Stock,  der  Rudra« 
japa,  im  Manava-Qrftutasütra,  welches  wohl  das  älteste  grautasütra  sein 
dürfte,  Bich  selbst  als  ein  jüngerer  Nachtrag  (ein  ParicUhta)  kennzeichnet. 


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—  345  - 

« 

indischeu  Volkes  eine  besondere  Verehrung  gemessen  mochten, 
und  wir  finden  hier  wieder,  ähnlich  wie  bei  Vishnu,  die  Gestalt 
des  Rudra- Qiva  aus  verschiedenen  Elementen,  verschiedenen 
Göttergestalten  zusammengeschmolzen.  Es  ist  dies  mehr  als 
blosse  Vermuthung,  es  lässt  sich  mit  Evidenz  erweisen.  Z.  B.  die 
Namen  (Jarva  und  Bhava,  später  Bezeichnungen  des  Rudra- 
Qiva,  treten  uns  im  Atharvaveda  als  Namen  zweier  Götter 
entgegen,  die  nicht  bloss  von  einander,  sondern  ebenso  auch 
von  Rudra  unterschieden,  und  nur  gelegentlich  neben  diesem 
genannt  werden,  weil  sie  ihm  jedenfalls  in  einigen  Stücken 
wesensverwandt  waren.1 

Wenn  es  z.  B.  im  Atharvaveda  (6,  93,  2)  heisst:  „dem 
Bogenschützen  Qarva  und  dem  König  Bhava,  den  verehrungs- 
würdigen, ihnen  bringe  ich  Verehrung  dar,4'  —  so  kann  nicht 
daran  gezweifelt  werden,  dass  hier  Bhava  und  £arva  als  zwei 
Götter  neben  einander  genannt  werden.  Dasselbe  ist  ebenso 
unzweifelhaft  der  Fall  in  dem,  mehrfach  im  Atharvaveda  be- 
gegnenden Copulativ-Compositum  JBhaväcarvau",  d.  h.  „Bhava 
und  Qarva*.  So  heisst  es  z.  B.  im  Atharvaveda  (11,  2,  1): 
»0  Bhava  und  (Jarva,  seid  gnädig,  wendet  euch  nicht  gegen 
(uns),  ihr  Herren  der  Wesen,  Herren  des  Viehs,  Verehrung 
euch!  Entsendet  nicht  den  aufgelegten,  angezogenen  Pfeil! 
Verletzet  uns  nicht  die  zweifüssigen,  nicht  die  vierfüssigen 
Wesen!" 

Aufs  Deutlichste  wird  man  hier  an  jene  vedischen  Bitten 
an  Rudra  erinnert,  —  aber  es  sind  Bhava  und  Qarva,  zwei  unter- 
schiedene Götter,  die  hier  angerufen  werden. 

An  einer  anderen  Stelle  heisst  esf:  „Zu  Bhava  und  Qarva 
sagen  wir  dies,  zu  Rudra  und  zu  dem,  der  der  Herr  des 
Viehs;  ihre  Pfeile,  die  wir  kennen,  sollen  uns  immerdar 
gnädig1  sein!" 

Hier  sind  also  Bhava  und  (Jarva  neben  Rudra  und  dem 
Herrn  des  Viehs  genannt,  als  wesensverwandte  Götter,  Pfeil- 
schützen,  die  um  Schonung  gebeten  werden.4 

Die  Verschmelzung  und  endliche  Identificirung  dieser  ver- 
schiedenen Götter  mit  dem  Rudra- (Jiva  zu  einer  Person  wird 
vermittelt  durch  die  Vorstellung  von  den  verschiedenen  Er- 
scheinungsformen oder  Gestalten  des  Rudra.  Schon  im  Rigveda 

1  8o  wird  i.  B.  ^arva  ein  Bogenschütze  (astar)  genannt,  wie  Rudra. 
1  AV  11,  6,  9. 

•  „Gaidig"  Ut  durch  dai  Wort  (Iva  aasgedrückt. 

*  Andere  ähnliche  Stellen  findet  msa  im  Petersburger  Wörterbuch 
i  v.  bhava. 


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—    346  — 

kommt  ein  Plural  „die  RudraV  Tor.  dieselben  bilden  da  eine 
besondere  Götterordnung  neben  den  Vasu's  und  Xditya's.  Im 
Yajurveda  ist  nun  in  viel  weiterem  Maasse  von  verschiedenen 
Rudra'8  die  Rede,  und  doch  auch  immer  wieder  von  dem  einen 
eigentlichen  Rudra,  der  eine  ganze  Reihe  von  wichtigen  Rei- 
namen erhalt,  bei  denen  es  aber  nicht  immer  ganz  deutlich  ist, 
ob  das  Wort  nur  als  ein  Epitheton,  oder  als  eine  besondere 
Erscheinungsform  des  Rudra,  oder  aber  am  Ende  noch  als 
ein  selbständiger,  nahestehender,  wesensverwandter  Gott  zu 
fassen  ist 

Sehen  wir  uns  beispielsweise  jenes  Capitel  der  Gebete  an 
Rudra-^iva  in  der  Maitrayani  Samhita  an.1 

Es  beginnt  folgcndermasseu : 

„Die  klugen  Falben  sammt  den  weissen,  lichten  Rossen,  den  wind- 
schnellen.  kraftvollen,  gedankenschnellen  sollen  dich  hierher  fahren  zu 
meiner  Spende  bei  diesem  Opfer,  o  Carva! 

Ihn,  der  früher  geboren  war  als  Götter.  Rishi's  und  Asuren,  den 
tausendäugigen  grossen  Gott*  £ivas  möchte  ich  herbei  fahren  lassen. 

Dies  (Opfer)  bringen  wir  dem  höchsten  Geiste4  dar,  wir  wollen  ei 
spenden  dem  grossen  Gott,  dann  möge  uns  Rudra  fördern !u 

Hier  sehen  wir  Rudra  bezeichnet  als  Purusha  oder 
höchster  Geist,  als  Mahadeva  oder  grosser  Gott  und  Qiva. 
und  auch  die  erste  Anrufung  £arva  kann  wohl  nur  auf  ihn 
gehen. 

Dann  wird  weiter  der  Zorn  und  die  gefährliche  Waffe  des 
Rudra  in  vielfältiger  Variation  beschworen5: 

„Verehrung,  Rudra,  deinem  Zorn  und  Verehrung  deinem  Geschoss ! 
Verehrung  deinem  Bogen  und  Verehrung  deinen  Armen! 

In  deiner  freundlichen  Gestalt,0  o  Rudra,  der  nicht  furchtbaren, 
nicht  hasslichen,  in  dieser  heilvollcn  Gestalt,  du  Bergesherrscher,  blick 
uns  an! 

Der  Pfeil,  den  du,  o  Bergeeherrscher,  in  der  Hand  trägst,  um  Um 
abzuschiessen,  —  lass  ihn  gnädig  7  sein,  o  Bergesherr,  nicht  schadige  da 
Mensch  und  Thier!  u.  s.  w. 

Löse  du  die  Sehne  vom  Bogen,  von  den  beiden  Bogenenden!  Die 
Pfeile,  die  du  in  der  Hand  hast,  wirf  sie  weg,  du  heiliger! 

Abspannend  den  Bogen,  du  tausend&ugiger,  hundert  Köcher  be- 
sitzender, der  du  schärfest  die  Spitze  der  Pfeile,  sei  uns  ein  Gnädig*: 
(ci?a),  Wohlwollender!  u.  s.  w. 

Auch  der  Name  ßhava  taucht  dazwischen  auf8:  „Ver- 
ehrung der  Waffe  des  Bhava,  Verehrung  dem  Herrn  der  lebenden 
Wesen  Iu 


1  Es  ist  Maitr.  S.  2,  9.  *  Mahadeva,  der  grosse  Gott.  3  Ode: 
„den  Gütigen,  Gnadigen".  4  Im  Texte  purusha.  5  Maitr.  S.  2,  9.  S. 
•  Im  Texte  civa  taniüj.      7  Im  Texte  civa.      "  Maitr.  S.  2,  9,  3. 


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—  347 


Und  weiterhin  heisst  es1*  „Verehrung  dem  Bhava  und 
dem  Qarva,  Verehrung  dem  Rudra  und  dem  Herrn  des  Viehs, 
Verehrung  dem  mit  geschorenem  Haar  und  dem  Flechtenträger,2 
Verehrung  dem  Blauhalsigen  und  dem  Weisshalsigen,  Verehrung 
dem  Tausendäugigen  und  dem  hundert  Bögen  Besitzenden,  Ver- 
ehrung dem  Bergesherrn  und  dem  CipivisH**5  Verehrung  dem 
sehr  Gnädigen  und  4em  mit  Pfeilen  Bewehrten"  und  so  fort  in 
langer  Reihe. 

Verehrung  wird  weiterhin4  gezollt  dem  Sorna  und  dem 
Rudra,  dem  Dunklen  und  dem  Röthlichen,  dem,  der  heilvoll  ist 
den  Kühen,  dem  Herrn  des  Viehs,  dem  Furchtbaren  und  dem 
Schrecklichen,  dem  von  vorne  Treffenden  und  dem  weithin 
Treffenden,  dem  Tödter  und  dem  viel  Tödtenden,  dem  zum 
Heil  Gereichenden  und  zur  Freude  Gereichenden,  dem  Heil 
Schaffenden  (camkara)  und  Freude  Schaffenden,  dem  Gütigen 
(cWa),  dem  sehr  Gütigen! 

Hier  begegnen  uns  wieder  deutlich  Qiva  und  (.'amkara  als 
Namen  Rudra's! 

Dann  heisst  es  weiter5:' M0  Rudra,  mit  deiner  freundlichen 
Gestalt,  die  freundlich  und  heil  voll  ist  ganz  und  gar,  freundlich 
und  heilend  das  Gebrochene,  mit  der  sei  uns  gnädig,  damit 
wir  leben  \u 

„Sehr  gnädiger,  sehr  gütiger,  sei  gütig  (civa)  uns  und  wohl- 
wollend" u.  s.  w. 

Endlich  werden  ganze  grosse  Schaaren  von  Rudra's,  Bhava's 
und  Qarva's  aufgeführt6: 

Die  unzähligen  Tauseode  von  Rudra's,  die  auf  Erden  sind,  deren 
Bögen  spannen  wir  ab  auf  eine  Entfernung  von  tausend  Yojana.* 

Die  Bhava's,  die  in  diesem  grossen  Meer,  in  der  Luft  sich  befinden, 
deren  Bögen  etc. 

Die  blaunackigen,  weisshalsigen  Rudra's,  die  sich  im  Himmel  be- 
finden, deren  Bögen  etc. 

Die  blaunackigen,  weisshalsigen  farva's,  die  unten  auf  der  Erde 
wandeln,  deren  Bögen  etc. 

Die  Herren  der  Geschöpfe,  die  ohne  Haarbusch,  die  mit  Flechten 
versehen  sind,  deren  Bögen  etc. 

Und  dann  werden  nachher  die  Feinde,  nach  Art  des 
Yajnrveda,  diesen  verschiedenen  Rudra's  „in  ihr  Gebi&s  gelegt". 
Wenn  wir  nun  auch  hier  von  einer  grossen  Vielheit  von 


1  Maitr.  S.  2,  9,  5.      *  kapardin.      *  Bezeichnung  Rudra-fiva's 
*  Maitr.  S.  2,  9,  7.     *  Maitr,  8.  2,  9,  9.     •  Maitr.  8.  2.  9,  9.     T  Ein 
bestimmtes  Langenmaass. 


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—   S48  — 


Rudra's,  Bhava's  und  (Jarva's  hören,  so  tritt  doch  an  bestimmten 
Stellen  deutlich  hervor,  dass  dies  immer  verschiedene  Gestalten, 
Erscheinungsformen  (rüpani)  des  einen  Rudra  sind.  So  heisst 
es  am  Schluss1:  „Verehrung,  o  Rudra,  sei  deinen  Gestalten, 
den  nicht  furchtbaren  und  den  furchtbaren,  den  nicht  furcht- 
baren und  den  sehr  furchtbaren"  u.  s.w.  Und  die  letzten 
Worte  lauten  charakteristisch:  „Verehrung  sei  dir!  Verletze 
mich  nicht!" 

Die  anderen  Yajurveden  stimmen  mit  dem  hier  Gegebenen 
in  allem  Wesentlichen  überein. 

Mehr  und  mehr  muss  dann  in  der  folgenden  Zeit  dieser 
Rudra -Qiva  mit  seinen  zahlreichen  Erscheinungsformen  einen 
einheitlichen  Charakter  gewonnen  haben,  sich  zu  dem  grossen 
Gott  Qiva  gestaltet  oder  verdichtet  haben,  bei  welchem  nun  die 
Namen  jener  verschiedenen  Erscheinungsformen  als  mehr  oder 
weniger  geläufige  Beinamen  sich  vorfinden.  In  den  alten  bud- 
dhistischen Sütra's  begegnet  er  uns,  wie  früher  erwähnt,  unter 
den  Namen  <Jiva  und  Qamkara,  der  Heilvolle,  und  der  erstere 
Name  erscheint  jetzt  als  seine  eigentliche  und  vorherrschende 
Bezeichnung.  Diesen  Namen  Qiva,*  d.  h.  der  Gnädige  oder 
Gütige,  wie  auch  den  Namen  (Jamkara  erhält  er  zum  Theü 
jedenfalls  durch  eine  Art  Euphemismus,  weil  man  wünschte, 
dass  der  furchtbare  und  gewaltige  Gott  dem  Menschen  seine 
gütige,  heil  volle  Seite  zukehren  möge;  dass  ihm  diese  andern- 
theils  aber  in  der  That  nicht  mangelte,  geht  schon  aus  den 
ältesten  Schriften,  aus  Rigveda  und  Yajurveda  hervor,  wie  wir 
früher  gesehen  haben. 

Qiva  erhält  weiterhin  ausser  den  schon  erwähnten  Namen 


1  Maitr.  8.  2,  9,  10. 

*  Benfey  bat  den  Namen  £iva  von  der  Wurzel  cn,  (vi  „wachsen, 
schwellen",  ableiten  wollen,  also  etwa  „der  Wachsende,  Schwellende", 
weil  (iva  auch  der  Gott  der  gewaltigen  Zeugungskraft  in  der  Natur  ist; 
und  auch  Lassen  nahm  dies  als  wahrscheinlich  an.  (Vgl.  Benfey, 
Indien  p.  179;  Lassen,  a.  a.  0.  I',  p.  923).  Meiner  Ansicht  nach  machen 
sowohl  etymologische  als  historische  Gründe  diese  Annahme  unmöglich. 
Bei  dieser  Ableitung  soll  das  Wort  c.iva  aus  $va  mit  Einschiebung  von 
i  gebildet  sein,  was  schwerlich  angeht  Und  dann  finden  wir  diesen 
Namen  dem  Gotte  schon  im  Yajurveda  beigelegt,  wo  von  seinem  zeugungs- 
kraftigen  Wesen  noch  nicht  die  Rede,  wo  er  noch  der  alte  gefürchtete 
Rudra- Qiva  ist,  den  man  anfleht,  gnädig  Mensch  und  Vieh  mit  seiner 
Waffe  zu  verschonen,  gnadig  von  seinen  Arzeneien  zu  spenden;  die  Be- 
ziehung zu  der  Zeugungs kraft  in  der  Natur  ist  erst  spater  in  diesen 
Gott  hineingelegt,  nachdem  derselbe  schon  zu  einer  der  ersten  und 
grö ästen  Göttergestaiten  herangewachsen  war.  Das  Wort  c>a  ist  ein 
gelaufiges  Adjectivum,  mit  der  Bedeutung  „gnädig,  gütig,  freundlich". 


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-  340  - 

—  Mahadeva  „der  grosse  Gott",  Girica  „der  Bergesherr",  Pacu- 
pati  „der  Herr  des  Viehs",  Bhava  und  Qarva  —  noch  manche 
andere.  So  wird  er  AI$vara,  d.  h.  der  Herr,  genannt,  Devadeva 
„der  Gott  der  Götter",  Sarvadeveca  „der  Herr  aller  Götter« 
u.  dgL  m.  Diese  letzteren  Bezeichnungen  entstammen  offenbar 
erst  der  Zeit,  wo  Qiva  zum  Range  eines  höchsten  Gottes  er- 
hoben wurde.  Es  geschah  dies  wohl  ebenso  wie  bei  Vishnu  in 
den  ersten  Jahrhunderten  nach  Buddha,  und  die  Gründe  seiner 
Erhöhung  waren  wesentlich  dieselben  wie  bei  Jenem.  Das 
Volk  war  in  verschiedenen  Theilen  Indiens  dem  Dienste  des 
Rudra-Qiva  zugethan,  und  die  Brahmanen,  welche  gerade  dem 
Buddhismus  gegenüber  den  Cultus  eines  persönlichen  Gottes 
nach  Kräften  stützten  und  förderten,  lieesen  dem  Volke  nicht 
nur  diesen  seinen  Gott,  den  es  fürchtete  und  verehrte,  sondern 
sie  umkleideten  denselben  immer  mehr  mit  den  Attributen  und 
dem  Nimbus  der  höchsten  Gewalt  und  Götterwürde.  Es  war 
dies  möglich  zu  derselben  Zeit,  wo  die  Vishnu -Verehrung 
emporkam ,  weil  es  in  anderen  Gegenden  Indiens  stattfand. 
Nach  Lassen  wurde  Qiva  im  östlichen  Indien  in  Magadha  und 
bis  zum  Flusse  Vaitarani  in  Kaiinga  verehrt,  desgleichen  an 
der  Westküste  in  Gokarna  Ganz  besonders  aber  war  die  Ver- 
ehrung dieses  Gottes  im  westlichen  Himalaya  heimisch.  Gafi- 
gadvära,  der  Ort,  wo  die  Ganga  aus  dem  Gebirge  hervortritt,  gilt 
als  ein  Hauptsitz  seiner  Verehrung.  Aui  dem  Berge  Kailasa  im 
Himalaya  soll  er  thronen.  Arjuna  ging  zum  höchsten  Himalaya, 
um  von  Qiva  die  göttlichen  Waffen  zu  erhalten.  Auch  in 
Kaschmir  wurde  er  früh  verehrt  Darum  wird  nun  auch  Qiva 
der  Herr  der  Berge,  Girica  oder  Girica,  genannt;  und  ebendarauf 
deuten  auch  die  Namen  seiner  Gemahlin  Parvati  oder  Durgä, 
deun  Parvati  heisst  „die  Bergestochter",  und  Durga  „die  schwer 
Zugängliche",  Bezeichnung  eines  Gebirgspasses.  Die  Sage  lässt 
die  Gaßga  vom  Himmel  herab  auf  das  Haupt  des  Civa  stürzen, 
und  von  dort  erst  gelangt  sie  dann  zur  Erde,  —  offenbar 
wieder  weil  Qiva  dort  heimisch  war,  wo  der  heilige  Strom  ent- 
springt Dort  im  Gebirge  ist  ja  auch  der  Sitz  der  furchtbarsten 
Stürme,  dort  musste  man  der  schreckenerregenden  Gewalt  dieses 
Gottes  sich  beugen.  Für  diese,  an  erhabenen  Schrecknissen 
der  Natur  reichen  Gegenden  war  Qiva  der  rechte  Gott,  wie  für 
das  Gangesland  der  milde,  wohlthätige  Vishnu.  Es  war  der 
dämonische  Reiz  des  Furchtbaren  und  Uebergewaltigen,  was 
unzählige  Inder  zur  Verehrung  des  Rudra-Qiva  in  schauernder 
Denrath  zwang. 

Man  übertrug  auf  Qiva  auch  manche  Züge  des  alten  Gott 


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—   360  — 

Agni.1  Mit  ihm  wurde  ferner  noch  die  Gestalt  eines  anderen 
Gottes  verschmolzen,  nämlich  des  H  ara»  d.  h.  des  1#Nchniers 
oder  Entreissers*4,  der  ihm  wohl  im  Wesen  ähnlich  sein  mochte 
und  vermuthlich  ebenfalls  ursprünglich  der  Gott  eines  bestimmten 
indischen  Stammes  war.  Hara  ist  später  ein  beliebter  Name 
des  (Jiva,  wie  Hari  des  Vishnu,  und  das  Compositum  Harih&rau, 
d.  L  Hari  und  Hara,  bezeichnet  darum  Vishnu  und  Qiva  zu- 
sammen. 

Dass  mit  der  Gestalt  des  Qiva  auch  noch  die  anderer 
Volksgötter  verschmolzen  wurde,  können  wir  wohl  auch  daraus 
schliessen,  dass  auf  ihn  der  Dienst  des  Linga  oder  Phallus 
übertragen  wurde.  Von  einem  Phallus-Dienst  ist  im  Veda,  in 
der  älteren  indischen  Zeit  überhaupt  nicht  die  Rede.9  Es  wird 
lies  Symbol  besonders  unter  den  Qivaiten  des  südlichen  Indien 
verehrt,  und  es  ist  die  wahrscheinlichste  Annahme,  dass  die 
Urbewohner  in  jenen  Landstrichen  dem  Phallus- Dienste  hul- 
digten und  dieser  dann  auf  Qiva  übertragen  wurda  Damit 
erhielt  er  dann  auch  die  früher  erwähnte  Beziehung  auf  die 
Zeugungskraft  in  der  Natur.  In  der  Aufnahme  des  Linga  in 
den  ^iva- Dienst  wäre  also  wieder  eine  Concession  an  einen 
bestehenden  Cultus  im  Volke  zu  erblicken,  und  zwar  im  nicht- 
arischen Volke,  das  sich  wohl  auch  nicht  so  ohne  Weiteres  seine 
alten  Götter  und  heiligen  Symbole  rauben  liess.5 

Gott  Qiva  wird  uns  geschildert  als  bewaffnet  mit  dem 
Dreizack  (tricüla)  und  versehen  mit  einem  Netz  (päca),  das 
seine  Herrschaft  über  die  Thiere  andeuten  soll.  Ihm  ist  der 
Stier  heilig;  er  wird  Vrishadhvaja  genannt,  d.  h.  der  Träger 
des  Stierbanners.  Er  trägt  das  Haar  geflochten,  wie  Rudra  im 
Rigveda,  und  heisst  darum  Jatadhara  oder  Dhürjati,  d.  h,  der 
Träger  des  Haarzopfes.  Dies  war  nun  auch  die  Tracht  der 
brahmanischen  Büsser  und  Asketen,  und  so  gestaltet  es  sich 
ganz  natürlich  —  mit  Anlehnung  an  jenen  alten  mythischen 
Zug  —  dass  Qiva  als  Büsser  gedacht  wird,  ein  Büsser,  der 


1  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  I«,  p.  924. 

1  Falls  übrigens  R.  Garbe  s  Erklärung  des  Wortes  cicnadeva  im 
Rigveda  (nämlich  „den  Phallus  zum  Gotte  habend4')  richtig  ist,  so  werdet 
dort  Phall  us-Diener  mit  Abscheu  genannt 

8  Die  sogen.  Lingaiten,  welche  Gott  Qiva  unter  dem  rhallus-Symbol 
verehren,  sind  noch  heutzutage  im  Süden  Indiens  zahlreich  vertreten  und 
sollen  anderen  brahroanischen  Sekten  gegenüber  einigermassen  intolerant 
sein  (vgl.  Schlagintweit,  Indien  in  Wort  und  BUd,  Bd.  I  p.  147).  — 
Nach  dem  Berichte  des  Missionars  Stevenson  sollen  übrigens  noch  in  der 
Gegenwart  die  Brahmanen  des  Südens  den  Dienst  bei  Tempeln,  wo  das 
Linga  verehrt  wird,  verachten. 


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-   351  - 


die  furchtbarste  Busse  übt  und  Gewaltiges  dadurch  erreicht. 
Es  entspricht  durchaus  dem  Geiste  der  späteren  Zeit,  welche 
der  Busse  die  höchste  Gewalt  im  Himmel  und  auf  Erden  zu- 
schreibt, dass  auch  der  gewaltigste  Gott  ein  Büsser  ist. 

Qiva  trägt  den  Mond  auf  seinem  Haupte  und  heisst  darum 
auch  Candracekhara,  d.  L  den  Mond  als  Kopfschmuck  tragend.1 

Die  zerstörende  Gewalt  des  alten  Rudra  und  Agni  in  sich 
vereinigend,  ist  er  zum  furchtbaren  Gotte  der  Vernichtung  und 
des  Todes  geworden,  und  als  solcher  trägt  er  eine  Kette  von 
Todtenschädeln  um  den  Hals.2  Ihm,  dem  furchtbaren  Zer- 
störer, werden  Opfer  von  Thieren  dargebracht3 

So  war  denn  (^iva  fair  einen  grossen  Theil  Indiens  zum 
höchsten  Gotte  herangewachsen,  und  die  Brahmaneu,  welchen 
es  daran  lag,  dem  ganzen  Indien  seine  Religion  zu  geben, 
mussten  wohl  oder  übel  die  beiden  Götter,  Vishnu  und  Qiva, 
neben  einander  als  höchste  Götter  bestehen  lassen. 

Wir  sahen,  wie  im  Mahäbharata  und  Ramäyana  Vishnu 
als  höchster  Gott  gepriesen  wird,  aber  es  finden  sich  nun  auch 
andere  Stellen  in  diesen  Epen,  die  den  Qiva  im  gleichen  Sinne 

ICloi  LI. 

Von  ihm  wird  im  Mahabharata  gesagt,  „er  sei  die  Zuflucht 
der  Götter,  der  Ursprung  der  Welt,  unbesiegbar  in  den  drei 
Welten  von  den  Göttern,  den  Asura  und  den  Menschen."4 

JEr  ist  die  Quelle,  die  ungeborene  Ursache  der  Welt,  der 
Bildner  des  Alls,  der  Beginn  aller  Wesen,  der  Former  der 
Götter,  der  unerzeugte,  unvergängliche  Herr,  der  Ursprung  der 
Vergangenheit,  der  Gegenwart  und  Zukunft  Er  ist  der  höchste 
Geist,  die  Heimath  der  Lichter,  der  Himmel,  der  Wind,  der 
Schöpfer  des  Oceans,  die  Substanz  der  Erde,  das  Brahman 


1  Man  hat  es  sogar  versucht,  den  $va  ganz  zu  einem  Mondgotte 
in  machen,  indem  man  seine  Beziehung  zur  Zeugungskraft  betonte,  die 
mit  dem  Monde  in  gewissem  Zusammenhang  steht;  dabei  wurde  dann 
der  Zusammenhang  £iva*s  mit  Rndra  bezweifelt.  Der  letztere  dürfte  in- 
dessen durch  das  oben  Gegebene  zur  Genüge  festgestellt  sein,  und  behalt  die 
indische  Theologie  in  diesem  Punkte  vollständig  Recht.  Der  Zusammen- 
hang Qiva's  mit  dem  Monde  dagegen  ist  viel  zu  oberflächlich,  als  das* 
sich  darauf  viel  bauen  liesse. 

a  S.  Lassen,  Ind.  Alt  I*  p.  924. 

*  Wenn  wir  dem  Berichte  des  Megasthenes  Glauben  schenken 
können,  so  fanden  zu  den  Festen  des  (»Uva,  den  er  Dionysos  nennt,  »»Auf- 
züge statt,  bei  denen  die  Könige,  Glocken  tragend  und  Pauken  schlagend, 
mhzogen,  die  Leute  gesalbt  und  bekränzt".  (S.  Lassen,  a.  a.  0.  I* 
p.  925).  Die  Inder  berichten  uns  nichts  derart,  doch  ist  es  deswegen 
noch  nicht  unmöglich,  sondern  könnte  ganz  wohl  stattgefunden  haben. 

4  8.  Lassen,  Ind.  Alt.  I4,  p.  926  Anm. 


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-    352  - 

* 

selbst   Aber  er  ist  auch  der  höchste  Zorn;  der  Schöpfer  der 
Welt  und  ihr  Zerstörer.   Er,  der  Alles  durchdringende  Gott, 
ist  der  Schöpfer  und  Herr  des  Brahma,  Vishnu  und  Indra;  sie 
dienen  ihm,  der  über  die  Materie  und  den  Geist  hinausreicht, 
der  zugleich  nicht  ist  und  ist  Als  er  durch  seine  Kraft  Materie 
und  Geist  in  Bewegung  setzte,  da  schuf  Qiya,  der  Gott  der' 
Götter,  der  Schöpfer  (Prajapati),  aus  seiner  rechten  Seite  Brah- 
man,  aus  seiner  linken  Vishnu.  Seine  Eigenschaften  können  in 
hundert  Jahren  nicht  erklärt  werden.  Er  ist  Indra,  er  ist  Agni, 
er  ist  die  Acrin,  er  ist  Sürya,  er  ist  Varuna.   Nichts  ist  über 
ihn  und  nichts  kann  seiner  grossen  Gottheit  widerstehen. .  Das 
Herz  der  Götter  erschrickt  im  Kampfe,  wenn  sie  seine  furcht- 
bare Stimme  hören,  keiner  kann  den  Anblick  des  zürnenden 
Bogenhalters  ertragen.    Er  hat  zwei  Körper  und  diese  haben 
mannigfaltige  Formen.  Der  eine  Körper  ist  wehevoU,  der  andere 
günstig.   Wenn  er  heftig  und  zornig  ist,  ist  er  ein  Esser  von 
Fleisch  und  Blut  und  Mark,  dann  heisst  er  Rudra.    Wenn  er 
zürnt,  sind  alle  Welten  verwirrt  beim  Klange  seiner  Bogensehne, 
Götter  und  Asuren  hülflos  und  niedergeschlagen,  die  Wasser 
in  Aufruhr,  und  die  Erde  bebt,  die  Berge  sinken,  das  Licht  der 
Sonne  erlischt,  der  Himmel  ist  zerrissen  und  in  dichte  Finster* 
niss  eingehüllt  —  Qiva  ist  die  Seele  aller  Welten;  er  wohnt 
im  Herzen  aller  Kreaturen,  er  kennt  alle  Begierden,  er  ist  sicht- 
bar und  unsichtbar;  Schlangen  sind  sein  Gürtel  und  Schlangec- 
bäute  sein  Gewand."1 

Natürlich  verträgt  sich  solch  eine  Verherrlichung  des  Q'ith 
schlecht  mit  dem,  was  wir  früher  aus  den  Epen  über  Vishnu 
und  den  eine  Incarnation  Vishnu's  darstellenden  Krishna  an- 
geführt haben.  Indessen  war  man  ja  bei  den  Indern  an  ähn- 
liche Widersprüche  schon  seit  den  Zeiten  des  Rigveda  gewohnt* 

Wir  finden  im  Mahäbharata  auch  den  Versuch,  die  beiden 
höchsten  Götter  mit  einander  zu  vereinigen,  sie  als  eine  Einheit1 
darzustellen.  Es  heisst  dort  in  einer  Anrufung:  „Heil  dem 
Vishnu-gestalteten  Qiva,  dem  Qiva-gestalteten  Vishnu,  dem  Ver- 
tilger des  Opfers  des  Daksha,  dem  Hari-Rudra!"*  ■ 

 r- 

1  8.  Duncker,  Gesch.  d.  Alt.  III4,  p.  386.  387;  Muir,  Orig.  8anik. 
Texte  Bd.  IV,  p.  184.  188.  205.  203.  191  flg. 

*  An  einigen  Stellen  dea  Mahabbarata  wird  Krishna  als  dem  Maha- 
de?a,  d.  h.  Civa,  untergeordnet  dargestellt,  and  wahrscheinlich  fand  di? 
Verehrung  des  Krishna  als  eines  höchsten  Gottes  besonders  grossen 
Widerstand  hei  den  £i?aiten.  (Vgl.  Lassen,  a.  a.  0.  IÄ,  p.  936;  Muir, 
a.  a.  0.  IV,  p.  239  flg.) 

*  S.  Lassen,  Ind.  Alterth.  I«,  p.  926  Anm.;  Muir,  a,  a.  O.  IV, 
p.  231  flg.  —  A.  Holtsmann  Bagt  über  diesen  Punkt  (Ztschr.  <L  D.  M. 


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—   353  — 

Indessen  sind  die  Gestalten  dieser  beiden  grossen  Götter 
doch  zu  Verschiedener  Art,  —  sie  lassen  sich  nicht  vereinigen. 
Und  doch  ist  wieder  ein  Jeder  von  ihnen  zu  gross  und  gewaltig, 
sein  Ansehen  zu  fest  als  das  des  höchsten  Gottes  bei  seinen 
zahlreichen  Anhängern  begründet,  als  dass  Einer  dem  Andern 
sich  unterordnen  könnte.  So  bleiben  sie  denn  Beide  als  höchste 
Götter  neben  einander  bestehen,  und  bald  wird  dem  Einen, 
bald  dem  Andern  der  höhere  Preis  zu  Theil. 


Ges.  XXXVIII  p.  203) :  „Der  Fried  ensschluss  zwischen  beiden  Göttern  oder 
historisch  gesprochen  der  Versuch  einer  Versöhnung  und  Verschmelzung 
des  Vishnuismus  mit  dem  £ivaismu8  ist  vielleicht  unter  den  in  unserem 
Gedichte  nachweisbaren  geschichtlichen  Thatsachen  die  jüngste.  Das 
Mahabhärata  in  seiner  jetzigen  Gestalt  und  in  seinen  jüngsten  Stöcken 
stellt  jene  beiden  Götter  als  gleichberechtigt  neben  einander  und  sucht 
sorgfaltig  den  civaitischen  Leser  ebenso  zufrieden  zu  stellen  wie  den 
vishnuitischen." 


t.  8chröd*r.  U4i«Bi  Lit.  n.  Cult. 


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Fünfundzwanzigste  Vorlesung. 


Brahrai  auch  ferner  noch  verehrt.  Sein  Charakter  und  seine  Bedeutung 
im  indischen  Mittelalter,  insonderheit  im  Mahabhärata.  Verhältnis  an 
Vishnn  und  Civa.  System  der  drei  grossen  Götter.  Die  Lehre  ton  der 
Dreieinigkeit  (Trimürti .  Nachrichten  der  Griechen  über  die  bei  den 
Indern  verehrten  Götter.  Der  regenbringende  Zeus.  Der  Ganges.  In 
den  Bergen  Dionysos,  in  der  Ebene  Herakles  verehrt.  Heraklee  identisch 
mit  dem  V ishnu - Kriahna  der  Inder;  Dionysos  mit  £iv».  Der  Cult  des 
Rudra-Qiva  und  des  Vishnu-Krishna  muss  um  300  vor  Chr.  schon  aus- 
gebildet gewesen  sein.  Die  acht  Lokapala  oder  Weltenhüter.  Indra,  der 

Götterkönig,  und  seine  Umgebung. 


Wir  haben  in  unseren  letzten  Vorlesungen  das  Empor- 
kommeD  der  beiden  grossen  Götter  V ishnu  und  Qiva  be- 
trachtet, welche  beide  bei  ihren  Verehrern  als  höchste  Götter 
gelten  und  deren  Cultus,  im  Volke  seit  Alters  wurzelnd,  von 
den  Brahmanen  befördert  wurde.  Den  Brahmanen  aber  hatte 
doch  früher  schon  ein  anderer  Gott  als  der  höchste  gegolten 
und  sie  Hessen  ihn  nicht  fallen,  wenn  sie  auch  aus  Terschiedenen 
früher  entwickelten  Gründen  die  Vishnn-  und  (^iva -Verehrung 
eifrig  pflegten:  Das  war  Brahma,  der  grosse  Gott,  der  schon 
in  8einom  Namen  seinen  innigen  Zusammenhang  mit  den  Brah- 
manen bekundet  und  als  ihr  Ahnherr  gilt.  Die  Verehrung  des 
Brahma  als  höchsten  Gottes  war  gleichsam  als  letztes  Resultat 
aus  der  gesammten  religiös  -philosophischen  Entwickelung  der 
vedischen  Periode  hervorgegangen;  und  wenn  auch  dieser  Gott 
im  Volke  keinen  Boden  hatte,  wenn  auch  sein  Cultus  nie  eigent- 
lich populär  werden  konnte,  so  Hessen  die  Brahmanen  dennoch 
nicht  ab  von  ihm,  den  sie  einmal  als  höchsten  Herrn  erkannt 
und  yerkündigt  hatten.  Er  Wieb  bestehen  in  seiner  Würde 
auch  neben  Visbnu  und  Qim 

Die  Verehrung  des  Brahma,  VishnU  und  Qiva,  die  neben 
einander  alle  drei  als  höchste  Götter  gelten,  nennen  wir  das 
System  der  drei  grossen  Götter. 


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—    355  — 

In  ihrem  Ursprung,  wie  wir  gesehen  haben,  sehr  von  ein- 
ander verschieden,  behauptet  doch  Jeder  von  ihnen  unabhängig 
seine  Würde. 

Brahmä  ist  in  seiner  Eigenschaft  als  grosser  Gott  der 
älteste  unter  den  dreien.  Er  gehört  bereits  durchaus  der  alten 
epischen  Poesie  an,  spielt  in  den  älteren  Partieen  des  grossen 
Epos  seine  Rolle,  während  die  Verherrlichung  Vishnus  und 
(Jiva's  als  höchster  Götter  vielmehr  in  jüngeren  Theilen  des- 
selben hervortritt1 

Im  Mahäbharata  erscheint  Brahma  als  das  personi- 
iicirte  Schicksal  und  Orakel  der  Götter.  In  erhabener  Ruhe 
thront  er  auf  seinem  Herrschersitz  und  steht  den  Göttern  mit 
seinem  Rathe  bei,  die  sich  in  jeder  Bedrängniss  zu  ihm  als 
ihrem  Schutz  und  Hort  flüchten.  Er  kennt  nicht  nur  das  Ver- 
gangene, sondern  auch  die  Zukunft  und  weiss  den  Göttern 
stets  das  geeignete  Mitte)  an  die  Hand  zu  geben,  um  sich  aus 
der  Verlegenheit  zu  helfen;  doch  greift  er  selbst  nicht  han- 
delnd ein. 

„In  allen  alten  Stücken  dieser  Art  —  sagt  Holtzmann*  — 
ist  nicht  nur  der  allgemeine  Verlauf  derselbe,  sondern  auch 
der  Ausdruck  im  Einzelnen:  die  Götter  kommen  durch  einen 
Asura  oder  durch  einen  büssenden  Heiligen  in  Bedrängniss,  sie 
wenden  sich  an  Brahma,  welcher  atzend  und  lächelnd,  wie 
etwa  ein  Grossvater5  die  kleinen  Leiden  seiner  Enkel  anhört, 
ihre  Klagen  entgegennimmt  und,  nachdem  er  einen  Augenblick 
nachgedacht,  ihnen  die  Mittel  anweist,  wie  sie  dem  üebelstande 
abhelfen  können;  wobei  er  regelmässig  erklärt,  er  habe  diesen 
Unfall  schon  lange  vorhergesehen  und  auch  die  Abhülfe  schon 
gefunden.  Aber  die  Auifulrung  überläset  er  den  Göttern."  Er 
tritt  aus  seiner  beschaulichen  Ruhe  nicht  heraus. 

Brahma  erscheint  im  grossen  Epos  als  Lehrer  und  als 
der  Herr  der  Götter,  die  nur  unter  seiner  Autorität  ihre  Herr- 
schaft ausüben.4 

Er  ist  der  Schöpfer  der  Welt  und  viele  Namen  feiern 
ihn  als  solchen.6  Eine  entschieden  jüngere,  speciell  vishnui tische 
Darstellung  ist  die,  dass  Brahma  die  Welt  im  Auftrage  des 


1  Hin  vgl.  den  werthvollen  Aufsatz  von  Ad.  Holtmann,  „Brah- 
man  im  MahAbharata14,  ZUchr.  d.  D.  M.  Gk  XXXVIII,  p.  168. 
1  In  »einem  eben  erwähnten  Aufsatz  p.  168. 
1  pitAmaha,  einer  seiner  häufigsten  Namen. 
4  Vgl.  Holtsmann,  a.  a.  0.  p.  177.  178. 

•  So  heUst  er  lokaarit,  lokakartar,  samlokakTh,  jagatsraahUr. 
Vgl.  Holtmann  a.  a.  0.  p.  180. 

23* 


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-    356  — 


Vishnu  erschaffen  habe.  Sie  erscheint  an  mehreren  Stellen  des 
grossen  Epos  und  ist  dort  jedenfalls  erst  später  eingedrungen. 
Die  vishnuitische  Bearbeitung  des  Mahabharata  konnte  Brahma 
seinen  alten  Ruhm  als  Weltenschöpfer  doch  nicht  nehmen  und 
suchte  die -Superiorität  Vishnu's  nun  in  der  Weise  zu  wahren, 
dass  sie  Brahma  als  in  Vishnu's  Auftrag  handelnd  darstellt1 

Von  Brahma  stammt  die  Ordnung  der  Welt;  er  erhalt 
und  regiert  sie.  Von  ihm  stammt  Recht  und  Sitte,  und  er 
hält  sie  aufrecht.  Er  hat  die  Ehe  gestiftet,  das  König thum 
eingesetzt  und  die  Kastenordnung  geschaffen.  Am  nächsten 
stehen  ihm  natürlich  die  Brahmanen.  „Nichts  geht  über  einen 
Brahmanen"  —  soll  der  grosse  Gott  selbst  gesagt  haben.1  Er 
hat  der  Sage  nach  die  Erde  einem  Brahmanen3  geschenkt,  und 
trotz  ihres  Widerspruchs  muss  sie  sich  zuletzt  d§rin  finden.4 

Von  Brahma  stammt  auch  das  Opfer,  der  ganze  Cultus 
her;  von  ihm  die  Busse,  deren  gewaltige  Macht  das  indische 
Mittelalter  so  über  alles  Maass  verherrlicht  Brahma  ist  es 
auch,  der  die  heiligen  Veden  geschaffen.5  Er  ist  ewig,  all- 
wissend und  heilig. 

Wenn  der  grosse  Gott  als  Weltenseele  gefeiert  wird,  aus 
der  Alles  hervorgegangen  und  in  die  Alles  wieder  zurückfluthet, 
dann  erscheint  er  auch  im  Mahäbharata  als  .ein  Neutrum,  als 
das  Brahma n. 6  Und  dies  ist  zweifellos  die  alte  und  ur- 
sprüngliche Auffassung.  Aus  jenem,  in  alter  Zeit  gefeierten 
neutralen  Brahman,  dem  Absolutum,  der  \Yeltseele,  hat  sich  ja, 
wie  wir  gesehen,  erst  der  männliche  Gott  Brahma  entwickelt, 
ist  aus  ihm  geworden. 

1  8.  Holtzmann  a.  a.  0.  p.  182.  „Es  ist  wohl  nur  Zufall,  — 
sagt  Holtzmann  ebenda  —  dass  wir  diesen  viahnuitischen  Kosmogonieen 
kern  cWaitisches  Gegenstück  zur  Seite  stellen  können;  denn  im  Allge- 
meinen wird  in  unserem  Gedichte  angstlich  darauf  gesehen,  dass  keiner 
jener  beiden  Götter  hinter  dem  anderen  zurückstehe,  und  was  von  dem 
einen  behauptet  wird,  muss  an  einer  andern  Stelle  auch  von  dem  anderen 
gesagt  sein.  Doch  findet  sich  der  Satz,  Qiva  habe  die  Welt  durch  Ver- 
mittelung  des  Brahma  erschaffen ,  nicht  ausdrücklich  ausgesprochen. 
Bestimmt  aber  wird  Brahma  von  £iva  als  Weltenschöpfer  anerkannt,  — 
und  ebenso  bestimmt  ist  Brahma  eine  Schöpfung  des  £iva." 

*  S.  Holtzmann  a.  a.  0.  p.  186. 

*  Dem  Kacyapa. 

4  Vgl.  Holtzmann  a.  a.  0.  p.  186:  ,.Der  Sinn  der  Sage  ist  deutlich: 
die  eigentlichen  Götter  der  Welt  sind  die  Brahmanen  und  jeder  Protest 
dagegen  ist  vergeblich.  In  den  spatesten  Stöcken  weiss  Brahma  Göttern 
und  Menschen  nichts  dringender  anzuempfehlen  als  Gehorsam  und  Ehr- 
erbietung gegen  die  Brahmanen/' 

•  Vgl.  Holtzmann  a.  a.  0.  p.  187—189. 

•  Vgl.  Holtzmann  a.  a.  0.  p.  193. 


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—    357  — 


Brahma  erscheint  in  der  bildlichen  Darstellung  mit  vier 
Köpfen,  vier  Gesichtern,  welche  den  vier  Veden  entsprechen.1 
Er  hat  vier  Arme;  in  einem  derselben  hält  er  die  heiligen 
Schriften,  im  zweiten  einen  Rosenkranz,  im  dritten  ein  Opfer- 
gefäss  oder  einen  Almosentopf,  im  vierten  einen  Opferlöffel. 
So  ist  in  ihm  der  fromme  Asket  symbolisirt.  Er  thront  in 
seinem  Himmel  auf  einem  Lotossitze.  Ihm  ist  der  Lotos 
heilig  und  der  Schwan.  Seine  Gattin  ist  Sarasvatl,  die  Göttin 
der  Rede,  des  Lernens  und  Lehrens.2 

Von  einem  eigentlichen  Cultus  des  Brahma  ist  kaum  die 
Rede.3  Das  liegt  in  seinem  abstract  philosophischen  Ursprung 
und  seinem  ganzen  Charakter  begründet.  Nur  wenige,  ver- 
einzelte Tempel  sind  in  dem  ganzen  grossen  Indien  ihm  geweiht 
gewesen,  und  so  ist  es  bis  auf  den  heutigen  Tag  geblieben, 
während  die  Tempel  des  Vishnu  und  Qiva  nach  Tausenden  und 
Abertausenden  zählten  und  heute  noch  zählen.4 

Im  Mahäbharata  sehen  wir  an  Stellen,  welche  auf  höheres 
Alter  und  reinere  Ueberlieferung  Anspruch  machen  dürfen,  Vishnu 
und  Qiva  noch  dem  Brahma  untergeordnet  auftreten.6  Sie  ver- 
ehren ihn,  wenden  sich  ebenso  wie  die  anderen  Götter  an  ihn 
um  Rath  und  führen  aus,  was  er  ihnen  aufträgt. 

Aber  weit  grösser  ist  die  Zahl  der  Stellen,  wo  eine  um- 
gekehrte Auffassung,  die  jedenfalls  jüngeren  Datums  ist,  in  dem 
grossen  Epos  Platz  gegriffen  hat,  wo  Brahma  als  dem  Qiva, 
resp.  dem  Vishnu  untergeordnet  dargestellt  wird. 

An  cWaitisch  gefärbten  Stellen  des  Mahäbharata  heisst  es, 
dass  Qiva  der  Schöpfer  und  Herr  des  Brahma,  Vishnu  und 
der  anderen  Götter  sei;  dass  er,  und  nicht  Brahma,  die  Welt 
geschaffen  habe.  „Du,  Qiva,  bist  es,  den  sie  für  Brahma  halten, 
in  dir  sind  alle  Götter  enthalten  wie  die  Kühe  im  Kuhstalle," 
—  heisst  es  einmal.    Ja  (Jiva  ist  geradezu  Brahma  selbst,  er 

1  So  erscheint  er  auch  im  Mahäbharata;  s.  Holtzmann,  a.  a.  0. 
p.  204. 

*  Im  Mahäbharata  wird  übrigens  nur  an  einer  Stelle  die  Gattin 
Brahma's  erwähnt,  und  da  heisst  sie  Sävitri  (Holtzmann  a.  a.  0.  p.  206). 

*  Auch  das  Mahäbharata  constatirt  diese  Thatsache  und  begründet 
sie  mit  der  rabigen  Unparteilichkeit  Brahmas.  „Die  Menschen,  heisst 
es  hier,  verehren  Götter  wie  Indra,  Agni,  Varuua,  Yama,  Rudra,  Skanda, 
von  welchen  sie  Sieg  über  ihre  Feinde  erhoffen,  aber  nicht  die  gegen 
alle  Wesen  unparteiischen  und  geduldigen  Götter  wie  Brahma,  Dhatar, 
Püshan."   S.  Holtzmann  a.  a.  0.  p.  207.  208. 

*  Die  Inder  zerfallen  der  Hauptsache  nach  in  Vishnuiten  und  Ra- 
iten; aber  Brahmaiten  —  wenn  das  Wort  erlaubt  ist  — ,  specielle  Ver- 
ehrer des  Brahma,  giebt  es  nicht. 

$  Vgl.  Holtzmann  a.  a.  0.  p.  197.  200. 


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—    358  — 


ist  auch  das  höchste  Brahman,  jenes  neutrale  Absolutum,  aus 
dem  Alles  stammt.1  Aber  dennoch  tritt  auch  an  manchen  der- 
artigen Stellen,  die  den  Qiva  über  alle  anderen  Götter  heben, 
deutlich  zu  Tage,  dass  diese  seine  hohe  Stellung  jüngeren  Ur- 
sprungs ist.  Ganz  naiv  giebt  uns  der  Dichter  dies  zu  erkennen. 
Brahma  kommt  erst  durch  langes  Nachdenken  zur  klaren  Er- 
kenntniss  von  (Jiva's  Wesen,  erklärt  ihn  dann  für  den  höchsten 
Gott  und  betet  ihn  an.*  An  einer  Stelle  des  MahäbhArata  er- 
scheint Qiva  als  kleines  Kind,  das  die  anderen  Götter  nicht 
erkennen.  Indra  will  den  Donnerkeil  nach  ihm  schleudern, 
aber  sein  Ann  erlahmt  Da  belehrt  BrahmA  sie,  dies  sei  Qiva, 
der  höchste  Gott,  den  sie  verehren  und  um  Gnade  bitten 
müssten.9 

An  visbiuitisch  gefärbten  Stellen  des  Epos  heisst  es,  dass 
Vishnu  selbst  den  Brahma  überrage.  Brahma  betet  ihn  an, 
opfert  ihm  und  erkennt  ihn  ausdrücklich  als  höchsten  Gott,  als 
seinen  und  der  Welt  Schöpfer  an.  Ueber  dem  Himmel  des 
Brahma  erhebt  sich  der  des  Vishnu.4  Wiederholentlich  wird 
Vishnu  als  der  pantheistische  Gott,  als  die  Weltseele  gefeiert, 
wie  früher  Brahmas  Bei  dieser  Auffassung  erscheint  Brahma 
als  ein  Theil  des  Vishnu,  wohnend  im  Nabel  des  Vishnu.  — 
Aber  auch  hier  finden  wir  Stellen,  aus  denen  man  deutlich 
sehen  kann,  dass  Vishnu's  hohe  Stellung  jüngeren  Ursprungs 
ist  Auch  Vishnu  erscheint  mehrmals  als  den  übrigen  Göttern 
noch  unbekannt  und  unverstanden,  und  Brahma  ist  es  dann, 
der  die  anderen  über  das  wahre  Wesen  des  Vishnu  als  höchsten 
Gottes  belehrt.5 

Gerade  die  Hinneigung  zum  Vishnuismus  ist  in  den  grossen 
epischen  Gedichten,  so  wie  dieselben  uns  gegenwärtig  vorhegen, 
besonders  stark  ausgeprägt  und  tritt  auch  namentlich  in  der 
Annahme  zu  Tage,  dass  die  Haupthelden  dieser  Gedichte,  Rama 
und  Krishna,  selbst  Verkörperungen  des  Vishnu  seien.  Aber 
BrahmA  bleibt  dennoch  in  seiner  Würde  bestehen,  Qiva  gilt  als 
dritter  grosser  Gott,  und  diejenigen  Abschnitte,  welche  den 
Vishnu  ausschliesslich  verherrlichen,  ihn  zum  höchsten  und  ein- 

1  Vgl.  Holtzmann  a.  a.  0.  p.  199.  200. 

1  S.  Holtzmann  a.  a.  0.  p.  198.  199.  „Also  selbst  nach  dieser 
spaten  und  streng  cjvaitischen  Stelle  ist  Brahma  sich  der  Superioritat 
des  £i?a  nicht  von  vornherein  bewusst,  er  gewinnt  diese  Einsicht  erst 
nach  längerer  Ueberlegung.  Deutlicher  kann  nicht  angedeutet  werden, 
dass  £iva  ein  Gott  jüngeren  Datums  ist  als  Brahma" 

*  8.  HoltzmaDn  a.  a.  0.  p.  199. 

4  S.  Holtzmann  a.  a.  0.  p.  202. 

5  S.  Holtzmann  a.  a.  0.  p.  201.  202. 


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—   359  - 


zigen  Gotte  machen  wollen,  sind  jüngeren  Datums  und  stehen 
im  Widerspruch  mit  älteren  Theilen.  Beachtet  man  diese  letzte- 
ren wohl  und  überblickt  die  Epen  im  Grossen  und  Ganzen,  so 
kommt  man  zu  dem  Schlust,  dass  sie  eben  die  Religion  der 
drei  grossen  Götter,  Brahma,  Vishnu  und  Qiva  verkünden, 
von  denen  ein  Jeder  an  seinem  Ort  als  der  höchste  Gott  ge- 
feiert wird.1 

Dies  System  der  drei  grossen  Götter  ist  wohl  zu 
unterscheiden  von  der  Lehre  einer  wirklichen  Dreieinigkeit 
oder  Trimürti,  wie  sie  erst  bedeutend  später  auftaucht. 

Wir  haben  gesehen,  dass  £iva  mit  Brahma  identificirt  wird, 
dass  man  Brahma  in  Vishnu  sucht,  dass  auch  eine  Vereinigung 
von  Qiv&  und  Vishmi  versucht  wird,  wenn  auch  erst  in  den 
jüngsten  Stücken  des  grossen  Epos.  Dies  Alles  sind  Gedanken, 
welche  die  Dreieinigkeitslehre  anbahnen,  aber  diese  selbst  ist 
damit  doch  noch  nicht  gegeben. 

Jene  drei  grossen  Götter  standen  ungefähr  gleich  hoch, 
gleichwertig  neben  einander.  Der  Versuch,  sie  alle  drei  irgend- 
wie mit  einander  zu  vermitteln  oder  zu  vereinigen,  lag  am 
Ende  nicht  so  ganz  ferne,  aber  dieser  Gedanke  ist  im  Maha- 
bhaxata  doch  noch  so  gut  wie  gar  nicht  vertreten.  Eine  ein- 
zige, offenbar  ganz  junge  Stelle  fuhrt  Hol tz mann  aus  dem 
ganzen  grossen  Mahabhärata  an,  welche,  wie  es  scheint,  aller- 
dings den  Dreieinigkeitsgedanken  deutlich  ausspricht:  „Es  er- 
schafft die  Brahman- Gestalt,  es  erhält  die  Form  als  Purusha, 
mit  der  Natur  des  Rudra  zerstört  er,  dies  sind  die  drei  Zu- 
stände des  Herrn  der  Geschöpfe.** Ä  Noch  deutlicher  zeigt  sich 
diese  Idee  der  Trimürti  in  einer  Stelle  des  Harivamga,  eines 
epischen  Werkes,  welches  als  Nachtrag  zum  Mahabhärata  gilt 
und  jedenfalls  beträchtlich  jünger  ist  als  dieses.  Dort  heisst 
es  (10662):  „Er,  der  Vishnu  ist,  ist  auch  tjiva,  und  er,  der 
fyiva  ist,  ist  auch  Brahma:  ein  Wesen,  aber  drei  Götter,  Qiva, 
Vishnu,  Brahma/43 

Das  ist  die  Idee  der  Trimürti  oder  Dreieinigkeit  —  es 
sind  drei  Götter  und  doch  nur  ein  Gott:  Brahma  ist  der 
Schöpfer,  Vishnu  der  Erhalter,  (Jiva  der  Zerstörer. 


1  Vgl.  auch  Lassen,  Ind.  Alt.  1%  p.  591. 

*  S.  Holtzmann  a.  a.  0.  p.  204.   Purusha- Vishnu;  Rudra-pva. 

'  Vgl.  Holtzmann  a.  a.  O.  p.  204.  Das  Alter  des  Haritaraga  ist 
schwer  bestimmt  anzugeben.  Zu  Albiruni's  Zeit  d.  h.  im  11.  Jahrh. 
galt  dasselbe  bereits  als  wichtige  Autorität  und  war  —  nach  Weber  — 
auch  schon  dem  Subandhu,  Verfasser  der  Vasaradatta  (7.  Jahrh.)  bekannt. 
Vgl.  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  206  Anm. 


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- 

—    360  — 


Diese  Idee  ist  weiter  aus  dem  15.  Jahrhundert  bezeugt 
durch  eine  Inschrift  des  Königs  Devaräja  von  Vijayanagarsu 
der  von  1420 — 1445  regierte.1 

Im  Ganzen  findet  sich  der  Dreieinigkeitsgedanke  im  in- 
dischen Mittelalter  nur  spärlich  vertreten.  Wir  haben  darum 
ein  Recht  zu  behaupten,  dass  derselbe  zu  jener  Zeit  eine  nur 
geringe  und  nebensächliche  Rolle  gespielt  haben  kann.  Ueber- 
haupt  ist  in  Indien  von  der  Trimürti  oder  Dreieinigkeit  lange 
nicht  so  viel  die  Rede,  als  man  wohl  in  Europa  angenommen  hat. 

Dass  die  indische  Lehre  von  der  Dreieinigkeit  sowohl  in 
ihrem  Ursprung  als  auch  in  ihrem  ganzen  Wesen  von  der 
Dreieinigkeitslehre  der  christlichen  Kirche  völlig  verschieden 
ist  und  mit  derselben  so  gut  wie  nichts  gemein  hat,  braucht 
nach  Allem,  was  über  dieselbe  bereits  gesagt  ist,  kaum  noch 
ausdrücklich  hervorgehoben  zu  werden. 


Wir  müssen  nun  auch  noch  die  Nachrichten  der  Griechen, 
insbesondere  die  des  Megasthenes,  über  die  bei  den  Indern  ver- 
ehrten Götter  kennen  zu  lernen  suchen.  Dieselben  sind  von 
hohem  Interesse  und  namentlich  auch  für  die  Bestimmung  der 
Zeit,  in  welcher  die  besprochenen  Umwandlungen  des  indischen 
Göttersystems  vor  sich  gingen,  von  entschiedener  Wichtigkeit. 

Die  griechischen  Berichterstatter  erzählen,  dass  die  Inder 
den  regenbringenden  Zeus  verehrten,  sowie  andere  ein- 
heimische Götter,  und  auch  den  Ganges.  Von  den  Göttern 
der  Griechen  würde  dort  Dionysos  in  den  Bergen,  Herakles 
in  der  Ebene  verehrt* 

Mit  dem  regenbringenden  Zeus  bezeichneten  sie  ohne 
Zweifel  Indra,  den  Götterkönig,  der  das  befruchtende  Wasser 
der  Wolken  befreit  und  zur  Erde  strömen  lässt.  Der  Ganges 
muss  in  jenen  Jahrhunderten  schon  jedenfalls  zum  heiligen  und 
verehrten  Strom  geworden  sein.  In  dem  bergbewohnenden 
Dionysos  aber  und  in  dem  Herakles,  den  die  Bewohner  der 
Ebene  verehren,  hat  man  schon  lange  die  beiden  grossen  Götter 
(Jiva  und  Vishnu-Krishna  erkannt.  Dies  mag  auf  den  ersten 
Blick  befremdlich  erscheinen,  denn  die  betreffenden  Götter  sind 
sich  doch  keineswegs  so  unmittelbar  ähnlich.  Es  bedarf  diese 
Behauptung  daher  einer  näheren  Prüfung  und  Begründung. 
Bekannt  ist  es  ja  freilich,  wie  sehr  gerade  die  Griechen  geneigt 


1  Vgl.  Lassen  a.  a.  0.  I5,  p.  926. 

*  S.  Duncker,  Gesch.  d.  Alt.  III4,  p.  325.  326. 


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—  361  — 

waren,  ihre  Götter  bei  anderen  Völkern  wiederzufinden;  es 
genügte  ihnen  zum  Aufstellen  ähnlicher  Behauptungen  oft  eine 
nur  flüchtige  Aehnlichkeit  und  sie  übersahen  nicht  selten  sehr 
wichtige  Verschiedenheiten.  Immerhin  aber  werden  für  die 
Identihcirung  irgend  welche  Gründe  vorliegen  müssen. 

Ich  beginne  mit  Herakles,  weil  mir  hier  die  Identität  mit 
Vishnu-Krishna  frappanter  in  die  Augen  zu  springen  scheint 

Megasthenes  berichtet,  der  indische  Herakles  habe  alle 
Menschen  an  Stärke  des  Körpers  und  des  Geistes  übertroffen, 
er  habe  die  ganze  Erde  und  das  Meer  von  Uebeln  gereinigt 
und  viele  Städte  gegründet.  Er  habe  viele  Frauen  gehabt  und 
▼on  diesen  eine  Menge  Söhne.  Unter  diese  habe  er  Indien 
vertheilt  und  lange  noch  hätten  seine  Nachkommen  geherrscht; 
noch  zu  Alexanders  Zeit  sollen  einige  ihrer  Reiche  bestanden 
haben.  Er  habe  auch  eine  Tochter  gehabt,  namens  IlavöaiTi. 
Nach  seinem  Tode  sei  ihm  göttliche  Verehrung  zu  Theil  ge- 
worden. Er  sei  in  der  Ebene  verehrt  worden  und  besonders 
bei  dem  Volke  der  (Jürasena  am  Jomanes  (d.  h.  an  der  Yamunä), 
deren  Städte  Mt&oQa  und  KXeiöoßoQa  seien;  auch  bei  den 
Qibi,  welche  Thierfelle  und  Keulen  wie  Herakles  trügen  und 
ihren  Rindern  und  Maulthieren  das  Zeichen  der  Keule  ein- 
brennton.1 Auch  der  indische  Herakles  habe  Keule  und  Löwen- 
haut getragen.2 

Wenn  uns  hier  schon  die  Bemerkung,  dass  Herakles  in 
der  Ebene,  d.  h.  im  Gangeslande,  verehrt  werde,  auf  die  Ver- 
muthung  führen  könnte,  dass  der  Grieche  den  Vishnu,  resp. 
Vishnu-Krishna  im  Auge  habe,  so  wird  diese  Vermuthung  zur 
Gewissheit  durch  die  specielle  Angabe,  dass  dieser  Herakles 
besondere  Verehrung  bei  den  Curasena  an  der  Yamunä  genoss, 
deren  Städte  Me&oQa  und  KXtiöoßoQa  seien,  denn  Mtd-oQa  ist 
ohne  Zweifel  das  indische  Mathurä,  und  diesen  Ort  kennen 
wir  als  die  Hauptstadt  der  Yadava,  als  den  Ausgangspunkt 
und  Hauptsitz  der  Verehrung  des  Krishna,  während  KXttöoßoQa 
bei  Plinius  Carisobora.  Cyrisobora  oder  Chrysobora  genannt 
wird,8  und  es  ist  evident,  dass  Peter  von  Bohlen  das  Richtige 
getroffen,  wenn  er  schon  in  seinem  Werke  „das  alte  Indien" 
(1,  233)  diese  Stadt  Cyrisobora  oder  Chrysobora  für  die  gräci- 
sirende  Wiedergabe  des  indischen  Krishnapura  erklärte,  die 
„Stadt  des  Krishna",  die  an  der  Yamunä  gelegen  ist  Wir 


1  Vgl.  Duncker  a.  a.  0.  p.  326. 

*  Vgl.  Lassen  a.  a.  0.  I»  p.  795  flg.;  Duncker  a  a.  0.  p.  313.  329 
3  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  I»  p.  7%  Anm. 


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—    362  — 

haben  hier  also  einen  festen  Ausgangspunkt  und  können  kaum 
daran  zweifeln,  dass  mit  dem  Herakles  der  Krishna -Vishnu 
der  Inder  gemeint  ist;  dazu  stimmen  nun  auch  die  übrigen 
Angaben. 

Wenn  es  bei  den  Griechen  heisst,  dass  der  indische 
Herakles  Erde  und  Meer  von  üebein,  bösen  Thieren  und  der- 
gleichen gereinigt  habe,  so  werden  wir  uns  alsbald  erinnern, 
dass  von  Krishna  in  der  That  ähnliche  Heldenthaten  berichtet 
wurden:  Tödtung  eines  wilden  Stiers,  eines  bösen  Dämon  u.  dgl.  m. 
Vielleicht  wurden  auch  die  Heldenthaten  des  Rama  dem  noch 
hinzugefügt,  denn  auch  er  war  ja  Vishnu.  Wenn  Megasthenes 
berichtet,  dass  dem  Herakles  nach  seinem  Tode  göttliche  Ver- 
ehrung zu  Theil  geworden  sei,  so  stimmt  das  ganz  zu  der 
Person  des  Krishna,  der  ja  auch  als  menschlicher  Held  auf 
Erden  gelebt  und  dann  nachher  als  Heros  göttlich  verehrt  und 
mit  dem  grossen  Grotte  Vishnu  zu  einer  Person  verschmolzen 
wurde  Der  indische  Herakles  trug  nach  Megasthenes  Keule 
und  Löwenhaut;  und  in  der  That  wird  Krishna  mit  einer  Keule 
bewaffnet  gedacht,  weswegen  er  auch  Gadädhara  oder  Gadäbhrit, 
der  Keulenträger,  heisst.  Die  Keule  des  Vishnu -Krishna  ist 
ihm  von  Varuna  verehrt  und  trägt  den  Namen  Kaumodaki. 1 
Krishna's  Volk,  die  Yadava,  trugen  als  Waffe  die  Keule. Ä  Wenn 
Megasthenes  dem  indischen  Herakles  auch  die  Löwenhaut  zu- 
schreibt, so  beruht  das  vielleicht  auf  einer  Ausschmückung,  die 
den  indischen  Herakles  dem  griechischen  ähnlich  zu  machen 
strebt  Bei  den  Indern  vermag  ich  diesen  Zug  wenigstens 
nicht  nachzuweisen.  Vielleicht  aber  dürfte  auch  Vishnu's  Er- 
scheinung  als  Nrisimha  oder  Mannlöwe  darauf  von  Einfluss  ge- 
wesen sein.* 

Wenn  Megasthenes  sagt,  dass  der  indische  Herakles  viele 
Frauen  und  von  diesen  viele  Söhne  gehabt  habe,  so  passt  auch 
dies  auf  Krishna,  den  üppig  erotisch  angelegten  Weiberfreund, 
von  dem  das  Vishnu-Purana  berichtet,  er  habe  16100  Frauen 
gehabt  und  mit  diesen  180000  Söhne  erzeugt4 

Mit  den  Königsgeschlechtern,  welche  durch  Söhne  des 
indischen  Herakles  begründet  sein  sollen,  sind  wohl  die  Pan<}ava- 
Geschlechter  gemeint,  welche  in  mehreren  Gegenden  Indiens 


1  Vgl  das  Petersburger  Wörterbuch  unter  diesem  Worte. 
9  S.  Duncker  a.  a.  0.  p.  329. 

*  Oder  darf  auch  daran  noch  erinnert  werden,  dass  die  (ibi,  bei 
welchen  gerade  der  indische  Herakles  verehrt  wurde,  Thierfelle  und 
Keulen  trugen?   Vgl.  oben  p.  361. 

4  S.  Lassen  a.  a.  0.  1Ä,  p.  797  Anm. 


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—   363  — 

herrschten.  Die  Pandava  oder  Panduiden  stehen  nach  der 
indischen  Sage  im  nächsten  Zusammenhang  mit  Krishna  und 
dessen  Cultus,  wenn  sie  seine  bonne  an- 

gesehen werden. 

Merkwürdig  und  ebenfalls  hierher  gehörig  ist  das,  was 
Megasthenes  von  der  einzigen  Tochter  des  Herakles,  Uav6cur\ 
mit  Namen,  erzählt  Er  berichtet  nämlich,  Herakles  habe 
dieser  Tochter  die  am  südlichen  Meere  gelegenen  Gebiete  von 
Indien  geschenkt  und  sie  dort  als  Herrscherin  eingesetzt.  Auch 
habe  er  im  Meere  einen  weiblichen  Schmuck,  Perlen  nämlich, 
gefunden;  habe  alle  Perlen  aus  dem  indischen  Meere  gesammelt 
und  dieselben  seiner  Tochter  zum  Schmuck  gebracht  Als  er 
seinen  Tod  herannahen  sah  und  keinen  Mann  wusste,  den  er 
der  Tochter  geben  sollte,  machte  er  sie,  die  erst  siebenjährige, 
mannbar  und  erzeugte  mit  ihr  das  königliche  Geschlecht  des 
Landes,  das  er  ihr  geschenkt  und  das  er  nach  ihr  Pandaia 
benannte.  Von  jener  Zeit  an  sollen  die  Mädchen  dieses  Lan- 
des den  Vorzug  gehabt  haben,  so  früh  mannbar  zu  werden. 
Die  Früchte  reiften  und  welkten  dort  früher  als  in  anderen 
Theilen  Indiens;  die  ältesten  Leute  wurden  nicht  über  40  Jahre 
alt;  es  lag  am  südlichen  Meere  und  von  dorther  kamen  die 
Perlen.1 

Der  Name  dieser  Tochter  IJavöaitf  hängt  nun  offenbar 
wieder  mit  dem  Geschlechte  der  Pandava  zusammen  und  stimmt 
zu  dessen  Namen  besonders  in  Ableitungsformen  wie  Pandavya, 
Pandaviya.  Und  nun  finden  wir  in  der  That  ganz  im  Süden 
Indiens  das  Reich  der  Pandya,  welche  Namensform  wohl,  wie 
Lassen  annimmt,  durch  Einfluss  einer  dekhanischen  Sprache  aus 
PancJ&vya  verstümmelt  worden  ist  Es  kann  kaum  daran  ge- 
zweifelt werden,  dass  dieses  südliche  Pandya-Reich  eben  jenes 
Reich  Pandaia  ist,  von  welchem  Megasthenes  berichtet  Offenbar 
hatte  sich  zu  jener  Zeit  in  Indien  die  Tradition  von  der  Stiftung 
des  südlichen  Pandya- Reiches  durch  die  Panduiden  erhalten, 
und  dieser  Zusammenhang  wird  in  überraschender  Weise  be- 
stätigt durch  die  Thatsache,  dass  die  Hauptstadt  des  Pamjya- 
Reiches  auch  den  Namen  Mathura  trug,  also  ebenso  hiess  wie 
die  alte  Hauptstadt  der  Yadava,  wo  der  Ursprung  und  Mittel- 
punkt des  Krishna- Dienstes  zu  suchen  ist,  und  die  nach  den 
im  Mahabharata  geschilderten  grossen  Kämpfen  den  Pänc-uiden 
gehörte!  Auch  wird  in  der  einheimischen  Geschichte  des 
Landes  eine  der  späteren  Dynastieen  in  der  Eigenschaft  von 


1  S.  Lassen,  a.  a.  0.  I*  p.  797. 


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—    364  - 


Unterkönigen  im  Reiche  der  Nachfolger  jener  Panduiden  vor- 
geführt.1 

Was  die  Erzählung  von  dem  Perlenschmuck  betrifft,  den 
Herakles  seiner  Tochter  aus  dem  Meere  geholt  haben  soll,  so 
lasst  sich  daran  erinnern,  dass  zu  den  Heldenthaten  des  Krishna 
auch  die  Bezwingung  des  Riesen  Paäcajana  gehörte,  welcher 
im  Meere  in  Gestalt  einer  Seemuschel  lebte.2  Vishnu  heisst 
bei  den  Indern  der  Träger  der  Muschel,  der  Herr  des  Juwels» 
und  die  Perlenfischerei  kann  allein  im  südindischen  Meere, 
zwischen  Mathurä  und  Ceylon,  betrieben  werden. 

Wenn  Megasthenes  erzählt,  dass  die  Tochter  des  Herakles 
im  siebenten  Jahre  mannbar  gemacht  wurde  und  dass  dies 
auch  weiterhin  den  Mädchen  des  Landes  geblieben  sei,  so  ist 
auch  diese  letztere  Thatsache  keine  Erfindung,  sondern  die 
Folge  der  sehr  südlichen  Lage  des  Landes,  das  sich  ja  stark 
dem  Aequator  nähert. 

Auf  eine  weitere  Untersuchung  der  Frage,  welche  Gestalt 
.  aus  der  indischen  Sage  diese  Uardaitj  repräsentire,  ist  es  wohl 
nicht  nöthig,  näher  einzugehen.  Es  genügt,  dass  die  Zusammen- 
hänge durchaus  deutlich  sind  und  der  indische  Herakles  bei 
Megasthenes  sich  unzweifelhaft  als  der  indische  Vishnu-Krishna, 
darstellt.  — 

Schon  fünfzehn  Menschenalter  früher,  als  Herakles  —  so 
berichten  die  Griechen  —  soll  Dionysos  in  Indien  gewesen 
sein  und  den  Indern  den  Ackerbau  und  Weinbau  gelehrt  haben; 
auch  soll  er  das  Königthum  gegründet  und  die  Inder  gelehrt 
haben,  die  Mitra  zu  tragen  und  den  Kordax,  einen  bakchischen 
Tanz,  zu  tanzen.3 

Megasthenes  sagt,  dass  die  Inder  in  den  Bergen  den  Dio- 
nysos verehrten,  wie  die  in  der  Ebene,  d.  h.  im  Gangeslande, 
den  Herakles.  Diese  Angabe  legt  uns  die  Vermuthung  nahe, 
dass  die  Griechen  unter  dem  „indischen  Dionysos"  den  Qiva 
verstanden,  denn  wie  im  Gangeslande  Vishnu -Krishna  verehrt 
wurde,  so  war  doch  das  indische  Bergland,  welches  die  Griechen 
kennen  lernten,  der  westliche  Himalaya,  der  Hauptsitz  des  Civa- 
Dienstes. 

Wir  kennen  ja  £iva  bereits  als  den  Herrn  der  Berge,  über 
dessen  Haupt  der  Grnges  herabströmt,  dessen  Gemahlin  Parvati 


I  Vgl.  Lassen,  a.  a.  0.  Ia,  p.  798. 

»  Vgl.  Lassen,  a.  a.  0.  I*,  p.  798  Anm.   Vishnu-Pur.  p.  562. 

II  Duncker  a.  a.  0.  p.  325;  Arrian  Ind.  7.  Diod.  2,  38.  39.  Pol} 
strateg.  1,1. 


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—   365  — 


„die  Berggeborene**  war;  der  Gott  der  wilden  Stürme,  die  das 
Hochgebirge  durchbrausten. 

Diese  Ansicht  ist  denn  auch  schon  lange  als  wahrscheinlich 
erkannt;  immerhin  aber  erscheint  es  auffällig,  wie  die'Griechen 
dazu  kamen,  in  Qiva  gerade  ihren  Gott  Dionysos  zu  suchen, 
denn  die  Vergleichungspunkte  sind  hier  doch  anscheinend  nur 
dürftige,  und  jedenfalls  viel  geringer  als  zwischen  Herakles  und 
Vishnu-Krishna. 

Bei  näherer  Untersuchung  ergeben  sich  indessen  doch  eine 
Reihe  von  Punkten,  die  jene  Identificirung,  bei  dem  allgemeinen 
Hang  der  Griechen,  ihre  Götter  bei  fremden  Völkern  wieder- 
zufinden, nicht  so  unnatürlich  erscheinen  lassen. 

Der  Rudra-4Jiva  der  Inder  war  ein  stürmischer  und  wilder 
Gott  Auch  sein  Cultus  hatte  Züge  der  Wildheit  in  sich,,  die 
bis  zur  Bohheit  und  Unsittlichkert  sich  steigern  konnten.  Ein 
stürmischer  Gott  War  auch  Dionysos,  wild  und  schwärmerisch 
war  sein  Cultus.  Rudra-Qiva  wurde  als  Herr  der  Berge  an- 
gerufen, ebenso  wie  Dionysos;  und  auch  in  Rudra-Qiva's  Per- 
sönlichkeit lag  eine  deutliche  Beziehung  zum  Wachsthum,  zur 
Fruchtbarkeit,  zur  zeugenden  Kraft  in  der  Natur.4 

Dazu  kamen  nun  wohl  noch  ganz  specielle  locale  Eindrücke, 
die  die  Griechen  in  dieser  Identification  bestärkten. 

Von  Nordwesten  kommend  betraten  sie  zuerst  das  bergige 
Land  der  Acvaka,  welche  nördlich  vom  Kabul-Strome  ansässig 
waren.   Dort  fanden  sie  den  Weinstock  wild  wachsen,  der  mit 
Ausnahme  von  einigen  Gebieten  am  Indusflusse  in  Indien  nicht 
recht  gedeiht.   Die  Bewohner  der  Ganges-Ebene  tranken  keinen 
Wein,  dagegen  berichten  noch  neuere  Reisende,  dass  einige 
Stämme  im  Hindukusch  den  Wein,  der  reichlich  im  Gebirge 
gedeihe,  sehr  lieben  und  ein  fröhliches  Leben  führen  *  Die 
Griechen  werden  nach  dem  Grotte  gefragt  haben,  der  hier  ver- 
ehrt werde,  und  wenn  ihnen  dann  der  Name  des  fiva,  des 
stürmischen,  wilden  Gottes  genannt  wurde,  wenn  ihnen  auf  die 
Frage,  wer  den  Wein  hierher  gebracht  und  ihnen  diesen  Segen 
geschenkt,  wieder  Qiya,  der  Gott  der  Fruchtbarkeit  genannt 
wurde,  so  konnten  sie  wohl  veranlasst  sein,  diesen  Qiva  für 
ihren  Dionysos  zu  halten,  um  so  mehr,  als  auch  der  Cult  des 
indischen  Gottes  dem  des  griechischen  ähnlich  war;  wenigstens 
erzählt  Megasthenes  ausdrücklich  von  den  Festen  zu  Ehren 
dieses  Gottes,  den  Aufzügen,  bei  denen  Könige  Glocken  tragend 


1  VgL  Duncker,  ».  a.  0.  p.  328. 

1  VfL  Duncker,  a.  a.  0.  p*.  328.  329. 


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-  366 


und  Pauken  schlagend  mitzogen,  die  Leute  gesalbt  und  be- 
kränzt. 

Nun  berichten  die  Griechen  ferner,  dass  zum  Alexander, 
als  er  im  Lande  der  Acvaka  weilte,  eine  Gesandtschaft  der 
Nysaeer  gekommen  sei,  mit  der  Mittheilung,  dass  Dionysos 
ihre  Stadt  gegründet,  ihr  den  Namen  Nysa  gegeben  und  den 
Berg  in  der  Nähe  Meron  genannt  habe.  Mit  dem  gräcisirten 
Namen  der  Nysaeer  ist  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  der  in- 
dische Stamm  der  Nishada  gemeint,  die  vermnthlich*  dem 
giva  dienten;  und.  auf  die  Frage  nach  den  Sitzen  des  Gottes 
werden  sie  den  Namen  des  berühmten  indischen  Götterberges 
Meru  genannt  haben,  der  offenbar  mit  dem  Meron  der  Griechen 
bezeichnet  ist.  , 

„Die  Griechen  —  sagt  Duncker  in  seiner  Geschichte  des 
Alterthums 1  —  sahen  in  den  Thälern  und  Bergen  der  Acvaka 
den  Weinstock  wild  wachsen,  die  dichten  Ranken  einer  dem 
Epheu  ähnlichen  Schlingpflanze,  Myrthe,  Lorbeer,  Buxbaum 
und  anderes  Immergrün,  neben  üppigem  Obstwuchs,  eine  Vege- 
tation, die  sie  an  die  Heimath  und  die  heiligen  Stätten  des 
Dionysos  gemahnte.  Als  sie  im  Hindukusch  den  indischen 
Namen  des  Stammes  Nishada  hörten  und  dazu  den  Namen  des 
Götterberges  Meru  vernahmen,  der  den  Indern  jenseit  des 
Himälaya  lag  (die  höchsten  Gipfel  waren  ihnen  der  Südabhang 
des  Götter berges),  da  war  kein  Zweifel  mehr,  dass  der  Gott 
von  Nysa,  der  in  der  nysäischen  Höhle,  auf  den  nysäiscben 
Bergen  gross  geworden,  wie  er  die  übrigen  Völker  von  Klein- 
asien bis  zum  Euphrat  hin  bezwungen  haben  sollte,  so  auch 
einst  nach  Indien  gezogen  sei.  So  wurde  der  nysäische  Berg, 
der  den  Griechen  zuerst  in  Boeotien  und  Thrakien  lag,  dann 
an  die  Grenze  Aegyptens,  dann  nach  Arabien  und  Aethiopien 
gerückt  worden  war,  auch  nach  Indien  verlegt  Den  Griechen 
waren  die  Nishada  Nysaeer,  und  ihre  Stadt  hiess  alsbald  Nysa; 
sie  waren  sofort  überzeugt,  dass  der  Meru  von  Dionysos  oder 
zu  Ehren  des  Dionysos,  den  sein  göttlicher  Vater  einst  in  den 
Schenkel  (prjQoq)  geborgen,  den  Namen  erhalten  habe."  — 

„Es  kam  dazu  —  fahrt  Duncker  weiter  fort  —  dass  die 
Auszüge  der  indischen  Fürsten  zu  den  Opfern  und  zur  Jagd 
die  Griechen  an  die  dionysischen  Pröcessionen  der  Heimath 
erinnerten.  Sie  vernahmen  den  Lärm  der  Pauken,  Cymbeln 
und  Becken;  sie  sahen  die  Menge  der  königlichen  Weiber  mit 
ihren  Dienerinnen  in  diesen  Zügen,  den  König  und  seine  Um- 



*  UI*,  p.  827. 


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—    367  - 

gebung  in  ihren  langen,  bunten,  geblümten  Gewändern  mit 
Turbanen  auf  dem  Haupte,  die  sie  an  die  Stirnbinde  des  Dio- 
nysos erinnerten;  sie  sahen  grosse  Schalen  und  Becher,  die 
Schätze  der  königlichen  Paläste,  endlich  Löwen  und  Panther, 
die  Thiere  des  Dionysos,  in  diesen  Zügen  aufgeführt;  man  sah 
gefärbte  Gesiebter  und  Barte,  wie  die  Hellenen  an  den  Feston 
des  Dionysos  das  Gesicht  zu  bemalen  pflegten."1 

Alle  diese  Eindrücke  zusammen  brachten  die  Griechen 
dazu,  in  dem  Gotte  £iva  ihren  Dionysos  zu  finden,  und  wenn 
sie  den  Cult  desselben  auf  die  Berge  beschränken,  so  ist  daran ' 
zu  erinnern,  dass  sie  ja  nicht  ganz  Indien  kennen  lernten, 
sondern  wesentlich  nur  den  westlichen  Himalaya,  das  Indusland 
und  die  Ebene  des  oberen  Ganges  und  der  Yamuna;  und  in 
diesen  Gebieten  vertheilte  sich  che  Verehrung  des  Vishnu  und 
Qiva  der  Hauptsache  nach  wirklich  in  der  von  den  Griechen 
angegebenen  Weise. 

Wir  können  nach  alledem  aus  den  griechischen  Nachrichten 
jedenfalls  wohl  schliessen,  dass  im  Jahre  300  vor  Chr.  der 
Cult  des  Rudra-Qiva  und  der  des  Vishnu  als  höchster  Götter 
bereits  ganz  in  den  Vordergrund  getreten  war,  dass  der  erstere 
im  Bergkrid,  der  letztere  in  der  Ganges-Ebene  verehrt  wurde, 
und  dass  schon  damals  der  Heros  Krishna,  vielleicht  auch 
Rama,  als  Incarnatiön  Vishnu  s  angesehen  und  göttlich  verehrt 
wurde. 

Bei  dem  Stande  der  indischen  Chronologie  ist  auch  dies 
schon  ein  Resultat  von  nicht  zu  unterschätzender  Bedeutung. 


1  &  Duncker,  a.  a.  0.  p.  327.  328. 


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Sechsundzwanzigste  Vorlesung. 


Die  den  drei  grossen  Göttern  untergeordneten  Göttergestalten.  Die  acht 
Lok&p&l*.  Indra,  der  Götterkönig  Sein  Himmel  und  sein  Hofstaat 
Gandhar?en,  Apsarasen.  Kinnara's  und  Carana's.  Siddha'ß  und  Vidyi- 
dhara's.  Yama,  der  Todesgott.  Varuna,  der  Wassergott.  Kubera,  der 
Gott  des  Reichthums.  Agni,  Surya,  Vayu,  Sorna.  Gaoega,  der  Gott  der 
Klugheit  und  der  Wissenschaften.  Skanda,  der  Kriegsgott.  Kama,  der 
Gott  der  Liebe.  Die  Schlangengötter.  Niedere  Gottheiten,  Genien, 
Geister,  Gespenster  und  Riesen.   Tempel  und  Götterbilder. 


Unter  den  drei  grossen  Göttern  Brahma,  Vishnu  und  Qiva 
stehen  in  dem  Göttersystem  des  indischen  Mittelalters  noch  als 
hervorragende  Gestalten  die  acht  Lokapala  oder  Welthüter,  von 
denen  ein  jeder  als  Schirmherr  einer  bestimmten  Weltgegend 
gedacht  wird.  Die  meisten  dieser  Götter  stammen  noch  aus 
der  vedischen  Zeit,  wenn  sich  ihr  Charakter  und  Aussehen 
auch  zum  Theil  nicht  unwesentlich  verändert  hat;  nur  Kub6ra, 
der  Gott  des  Reich thums,  ist  im  Veda  noch  nicht  vorhanden. 
Die  acht  Lokapala  sind  folgende:  Indra,  Yama,  Varuna,  Kubera, 
Agni,  Sürya,  Vayu  und  Sorna. 

Indra  wird  als  Hüter  des  Ostens  gedacht,  weil  dies  die 
vorzüglichste  Weltgegend  ist  und  er  unter  den  genannten 
Göttern  den  höchsten  Rang  einnimmt  Yama  ist  der  Hüter 
der  südlichen  Weltgegend,  wo  die  Unterwelt  als  feuriger  Ort 
gedacht  wird.  Varuna  hütet  den  Westen,  wo  den  Indern  das 
Weltmeer  gelegen  war.  Kub6ra,  der  Gott  des  Reichthums, 
waltet  im  Norden,  weil  dort  die  goldhaltigen  Berge  sich  be- 
finden. Die  anderen  vier  Götter  werden  als  Hüter  der  vier 
Zwischengegenden  gedacht. 

Der  hervorragendste  unter  diesen  Göttern  ist  jedenfalls 
Indra,  der  seit  der  Zeit  des  Rigveda  ein  beliebter  Volksgott 
geblieben  war,  wenn  auch  seine  Bedeutung  im  Laufe  der  Jahr- 


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hunderte  gradatim  sich  verringerte.1  Jene  vedische  Zeit  der 
beständigen  Kämpfe  und  Fehdezüge  hatte  den  Dämonentödter 
zum  obersten  und  belebtesten  Gott  gemacht;  aber  friedlichere, 
ruhigere  Zeiten  liessen  den  Helfer  im  Kampf  nicht  mehr  so 
wichtig  erscheinen  und  machten  es  möglich,  dass  andere  Er- 
scheinungen in  den  Vordergrund  traten  und  ihn  verdunkelten. 
Noch  hoisst  er  der  Götterkönig  und  nimmt  den  Thronsitz  in 
seinem  Himmel  ein,  aber  er  wird  doch  den  drei  grossen  Göttern 
untergeordnet  gedacht. 

Zwar  ist  Indra  noch  immer  der  muthige  Held,  der  auf 
dem  Streitwagen  dahinfährt,  mit  dem  Donnerkeil  bewaffnet, 
Dämonen  und  Götterfeinde  bekämpfend.  Aber  es  bildet  dies 
nicht  mehr  so  ausschliesslich  sein  Wesen,  wie  in  den  Tedischen 
Gesängen.  Auch  er  ist  in  einen  friedlicheren  Zustand  versetzt 
worden,  dessen  er  sich  mit  Behagen  erfreut.  Noch  schmückt 
ihn  der  altberühmte  Donnerkeil,  aber  es  ist  dies  doch  nicht 
mehr  jene  gefeierte,  immer  und  unwiderstehlich  siegreiche  Waffe, 
von  der  die  Lieder  des  Veda  sangen,  deren  gewaltige  Macht 
sie  nicht  aufhören  konnten  zu  preisen,  von  der  man  Heil,  Ge- 
deihen und  Sieg  erhoffte.  Nicht  selten  erbittet  sich  Indra 
jetzt,  weil  er  allein  mit  den  Feinden  nicht  fertig  werden  kann, 
die  Hülfe  Anderer,  auch  irdischer  Helden  und  Könige,  die  er 
auf  seinem  Wagen  zum  Dämonenkampfe  abholen  lässt  Auch 
sind  ihm  im  Laufe  der  Zeit  gefährlichere  Feinde  als  die  alten 
Dämonen  in  den  frommen  Büssern  und  Heiligen  erwachsen,  die 
ihn  vor  der  Macht  ihrer  Busse  erzittern  lassen.  Betrug  und 
Mord  wendet  der  Götterkönig  ebenso  an  wie  die  Lockungen 
der  Sinnenlust,  um  sich  dieser  gefährlichen  Gegner  zu  ent- 
ledigen. 

Gewissermassen  als  Ersatz  für  all  diese  Einbusse  an  Macht 
und  Bedeutung  hat  Indra  nun  seinen  prächtigen  Sitz  im  lndra- 
Himmel,  dem  Svarga,  erhalten,  wo  er  haust  in  Glanz  und 
Ueppigkeit  nach  Art  eines  irdischen  Königs,  wovon  in  der  alten 
Zeit  noch  nicht  die  Rede  war.  Wenn  der  beständig  kämpfende 
vedische  Indra  das  ideale  Abbild  der  streitbaren  Fürsten  und 
Herzöge  der  noch  nicht  sesshaft  gewordenen  vedischen  Stämme 
darstellte,  so  erkennen  wir  in  dem  Bilde  des  mittelalterlichen 
Gott  Indra  in  seinem  Himmel  die  mächtigen  prunkliebenden 
Könige  des  indischen  Mittelalters  in  ihren  sicheren,  prächtigen, 
üppigen  Residenzen  wieder.    Noch  ist  Indra  der  Herr  der 


1  Ueber  „Indra  nach  den  Vorstellungen  des  Mah&bhärata" 
vgl  man  A.  Holtsmann,  Ztschr.  d.  D.  M.  0.  Bd.  XXXIII,  p.  290  flg. 

t.  8ekr«d«r,  lad.  Lit.  «.  Ctlt.  24 


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—   370  — 


Maruts,  der  streitbaren  Sturmgötter,  seiner  alten  Genossen  und 
Helfer  im  Kampfe,  aber  neben  diesen  nmgiebt  ihn  jetzt  ein 
andersartiges  Gefolge,  ein  grosser  Hofstaat  von  Genien  und 
halbgöttlichen  Wesen  aller  Art,  von  Gand harren  und  Apsarasen, 
Siddha's,  Sadhya's,  Carana's  u.  8.  w.,  entsprechend  dem  üppigen 
Hofstaat  der  indischen  Fürsten.  Neben  dem  alten  Streitwagen 
besteigt  er  nicht  selten  den  Elephanten,  das  Reitthier  der  in- 
dischen Könige.1 

Der  Palast  des  Indra  befindet  sich  in  der  himmlischen 
Stadt  Amaravati,  zu  welcher  auch  der  herrliche  Lusthain  Nan- 
dana  gehört  Dort  sitzt  der  Götterkönig  mit  seiner  Gemahlin 
Caci  auf  dem  Throne,  umgeben  von  seinem  Gefolge,  während 
Uandharven  und  Apsarasen  ihn  mit  Lobgesängen  feiern,  mit 
Musik  und  Tanz  ihn  ergötzen.  Helden  und  himmlische  Weise 
besuchen  ihn  dort  Dort  waltet  ungetrübte  Seligkeit,  überall 
blühen  und  reifen  himmlische  Bäume,  und  herrliche  Sitze  laden 
zur  Ruhe  ein.  f 

Sehen  wir  uns  den  Hofstaat  des  Indra  ein  wenig  näher  an. 

Da  treten  vor  Allem  Gandharven  und  Apsarasen  stark 
hervor,  deren  Gestalten  in  der  vedischen  Poesie  noch  nicht  in 
näherer  Beziehung  zu  Indra  stehen. 

Im  Veda  ist  in  der  Regel  von  einem  Gandharven  die 
Rede,  er  erscheint  als  Finder  und  Hüter  des  himmlischen  Sorna 
und  steht  jedenfalls  zum  Luftmeer  in  naher  Beziehung.  Der 
Himmel  des  epischen  Indra  kennt  Gandharveu  m  grosser  Anzahl. 
Es  sind  üppige  Halbgötter,  die  sich  besonders  durch  ihre  Kennt» 
niss  der  Musik  und  des  Gesanges  hervorthun  und  den  erotischen 
Freuden  sehr  ergeben  sind.2  Sie  erscheinen  besonders  als  Be- 
sitzer von  göttlichen  Pferden,  zugleich  als  Kampfer  in  Indra's 
Schlachten.'  Sie  werden  von  einem  Gandharven -Könige  be- 
herrscht und  haben  einen  besonderen  Wohnsitz  im  Norden,  in 
der  Nähe  des  Man asa- Sees,  wo  sie  von  Kubera's  Sitz  nicht 
weit  entfernt  sind.    Viele  Einzelheiten  sprechen  dafür,  dass 


1  Der  Elephant  des  Indra  heisst  Airavata.  In  der  alten  vedischen 
Zeit  ist  der  Elephant  als  Reitthier  noch  durchaus  unbekannt,  derselbe 
gehört  aber  spater  sehr  wesentlich  zu  dem  Pompe,  welchen  die  indischen 
Herrscher  entfalten. 

8  Als  Frauenliebhaber  werden  die  Gandharven  schon  in  den  ältesten 
Brahmana-Texten,  den  prosaischen  Theilen  des  Yajurveda,  gekennzeichnet; 
vgl.  Maitr.  8.  3,  7,  3  strlkama  vai  gandharvah. 

*  Ihro  Gestalt  ist  bisweilen  eine  halb  oder  theilweise  thierische. 
Die  Kirtmaras,  welche  in  der  epischen  Poesie  erscheinen  und  zu  den 
Gandharven  gerechuet  werden,  sind  Dämonen  mit  Pferdeköpfen. 

- 


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-    371  — 

Adalbert  Kuhn  Recht  hatte,  die  Gandharveii  mit  den  grie- 
chischen Kentauren  zu  identificiren,  die  ja  auch  Pferdgötter 
sind,  ein  streitbares  Volk,  das  die  Frauen  sehr  liebt.  Kenntniss 
der  Musik  wird  wenigstens  dem  berühmtesten  unter  den  Ken- 
tauren, dem  Cheiron,  nachgerühmt  Wie  die  Gandharven  Närada 
und  Tumbu ru,  so  ist  er  ein  halbgöttlicher  Lehrer  der  musi- 
kalischen Kunst.  Es  liegt  allerdings  eine  lautliche  Schwierigkeit 
bei  der  Zusammenstellung  der  Worte  Gandharva  und  Kentauros 
vor,  aber  dieselbe  läset  sich  wohl  durch  Annahme  von  Volks- 
etymologie und  Anlehnung  des  griechischen  Namens  an  das 
Wort  xavQoq  „der  Stier**  wegräumen.1 

Neben  den  Gandharven  gehören  zum  Hofstaat  des  epischen 
Indra  vor  Allem  die  Apsarasen,  üppig-schöne  halbgöttliche 
Weiber,  die  zu  den  Gandharven  in  den  intimsten  Beziehungen 
stoben,  untrennbar  mit  ihnen  verbunden  sind.2  Der  Name  Ap- 
saras  bedeutet  nach  meiner  Ansicht  ursprünglich  wohl  „im 
Wasser  sich  bewegend4*,  von  ap  „das  Wasser**  und  sar  „sioh 
bewegen**.8  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  sind  die  Apsarasen 
ursprünglich  Göttinnen  der  Wolken  und  des  Wolkenwassors, 
himmlische  Wasserfrauen,  dann  Nixen  und  Nymphen.  Als  solche 
treten  sie  z.  B.  in  einer  märchenhaften  Sage  des  Qatapatha- 
Brahmana  hervor,  wo  sie  ganz  die  Rolle  der  germanischen 
ßchwanenjungfrauen  spielen.4  Dort  erscheint  die  berühmte 
Urvacl  wieder,  die  uns  schon  im  Rigveda  als  Geliebte  des 
Pururavas  begegnet.6 


1  Man  vgl.  übrigens  die  Arbeit  von  Elard  Hugo  Meyer,  Gan- 
dharven-Kentauren  (Berlin  1883),  in  welcher  die  ursprüngliche  Iden- 
tität dieser  zwei  Gruppen  von  Halbgöttern  mit  Recht  festgehalten  und 
ihre  Verwandtschaft  eingehend  untersucht  wird.  Die  Deutung  der  Gan- 
dharven-Kentauren  als  ursprüngliche  Windgötter  hat  Vieles  für  sich. 

*  „Beide  Namen  gehören  zusammen  wie  Satyrn  und  Nvmphen, 
Nereiden  und  Tritonen."  8.  Holtzmann  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  XXXIII, 
p.  685. 

*  Diese  Etymologie  findet  sich  übrigens  schon  bei  den  Indern.  Vgl. 
Holtzmann,  „Die  Apsaraa  nach  dem  Mahabharata",  Ztscbt*d.  D.  M.  G. 
Bd.  XXXIII,  p.  688.  —  Einige  europaische  Gelehrten  haben  andere  Ety- 
mologieen  versucht,  die  Ich  hier  wohl  Übergehen  darf.  Vgl.  E.  H.Meyer 
a.  a.  0.  p.  183. 

*  Qat  Br.  11,  5,  1,  4—6.  Urvacl  und  mehrere  ihrer  Genossinnen 
erscheinen  dort  dem  Pururavas  als  Wasservögel  (atayah)  im  Wasser 
schwimmend;  dann  nehmen  sie  ihre  wahre  Gestalt  an  und  Purüravas 
erkennt,  nun  die  verlorene  Geliebte. 

*  RV  10,  9B.   Sie  dort  als  Morgenröthe  zu  deuten,  liegt  kein  ge 
nügender  Grund  vor.   Wahrscheinlicher  ist  eine  ursprüngliche  Identität 
des  Pururavas  mit  Peleus,  dem  Geliebten  der  Nereide  Thetis.  Vgl 
E.  H.  Meyer  a.  a.  0.  p.  184. 

24» 


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-   372  — 

Dio  Verbindung  der  Apsarasen  mit  den  Gandharven  ist 
uralt,  denn  schon  im  Rigveda  erscheinen  sie  mit  einander  ver- 
mählt. Auch  dort  ist  ihre  Beziehung  zum  Wasser,  zum  Luft- 
meer erkennbar,  und  wenn  in  den  Hymnen  von  dem  Gandharven 
und  dem  Wasserweib  oder  den  Wasserweibern  geredet  wird,  so 
sind  mit  den  letzteren  die  Apsarasen  gemeint1 

Die  Yajurveden  zählen  eine  Menge  von  Apsarasen  mit 
Namen  auf. 

In  der  mittelalterlichen  Poesie  ist  bei  den  Apsarasen  die 
sinnliche  Schönheit,  das  erotische  Element  ganz  in  den  Vorder- 
grund getreten.  Es  sind  verführerisch  schöne,  üppige  Weiber, 
die  Buhlerinnen  in  der  Residenz  des  Götterkönigs,  die  in- 
dischen Houris.  Ihre  Lotusaugen,  ihr  langes,  schön  gelocktes, 
mit  Blumen  geschmücktes  Haar,  ihre  schwellenden  Brüste  und 
Hüften  werden  oft  gepriesen.*  Durch  Tanz,  Musik  und  fröh- 
liches Lachen  erheitern  sie  den  Götterkönig.  Sie  besingen 
preisend  seine  Helden thaten,  sie  bedienen  und  umtanzen  ihn 
und  begleiten  ihn  in  hellleuchtenden  Wagen,  wenn  er  ausfahrt; 
sie  werden  geradezu  die  Madchen  des  Indra  genannt3  Sie 
wohnen  in  Indra's  Himmel  und  halten  sich  besonders  gern  im 
Lusthain  Nandana  auf.  An  der  Gaiigä  dos  Himmels  stehen 
ihre  goldenen  Paläste,  an  himmlischen  Seen  und  Teichen  wan- 
deln sie  im  Verein  mit  frommen  Verstorbenen.*  „Dem  Helden, 
welcher  in  der  Schlacht  gefallen  ist  —  sagt  Indra  —  laufen 
Tausend c  der  schönsten  Apsaras '  entgegen  und  rufen:.  Sei  da 
mein  Gatte."  Wer  eifrig  fastet  und  wallfahrtet,  dem  wird  als 
Lohn  dereinst  das  Zusammenleben  mit  den  schönen  Apsaras 
verheissen.6 

Bisweilen  steigen  die  Apsarasen  auch  zur  Erde  nieder  und 
lassen  sich  nach  Gefallen  in  zeitweilige  Liebesbündnisse  mit 
hervorragenden  Sterblichen,  Königen  und  Helden  ein.  Insbe- 
sondere werden  sie  auch  ihrer  sinnlichen  Vollkommenheit  wegen 


1  So  sagt  z.  B.  Yama  zur  Yami  (RV  10,  10,  4):  Der  Gandharve  in 
den  Wassern  und  das  Wasserweib,  das  sind  unsere  nächsten  Verwandten 
(gandharvo  apsv  apya  ca'yosha).  Desgl.  RV  10,  11,  2  (gandharvlr  apya 
ca  yoshana).  Aach  die  Apsaras  Urvact  scheint  dies  Epitheton  -  zu  er- 
halten RV  10,  95,  10.  Die  „Wasserweiber"  erscheinen  auch  RV  3,  56,  5. 
Die  ursprüngliche  Identität  der  Apsarasen  und  der  Nereiden  findet  man 
bei  E.  H.  Meyer  a,  a.  0.  p.  183  flg.  naher  beleuchtet. 

*  Vgl.  Ad.  Holtzmann,  a.  a.  0.  p.  631. 
8  Vgl.  Holtzmann,  a.  a.  0.  p.  634. 

*  Vgl.  Holtzmann,  a.  a.  0.  p.  640. 

5  Durchaus  an  Mohammeds  Himmel  erinnernd.  Vfel.  Holtzmann, 
a.  a.  0.  p.  642. 


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-    373  - 

» 

Ton  Indra  gerne  zu  delikaten  Missionen  benutzt/  aus  welchen 
man  deutlich  sieht»  wie  sehr  der  ganze  Götterstaat  in  sittlicher 
Beziehung  in  den  Augen  der  Inder  gesunken  war.  Wenn  ein 
frommer  Büsser  in  seinen  Kasteiungen  allzu  energisch  und  aus- 
dauernd ist  und  durch  dieselben  endlich  so  grosse  Macht  er- 
langt, dass  selbst  die  Götter  in  Angst  und  Schrecken  gerathen, 
dann  wird  ihm  in  der  Regel  eine  recht  verführerische  Apsaras 
zugesandt,  die  ihn  zur  Sinnenlust  verlockt  und  so  das  Ver- 
dienst seiner  Busse  schmälert  oder  vernichtet  Nach  voll- 
brachter Lust  wird  die  schöne  Sünderin  dann  bisweilen  von 
dem  erzürnten  Büsser,  wie  er  den  Schaden  gewahr  wird,  ver- 
flucht, aber  die  Absicht  der  Götter  ist  dennoch  erreicht 

Zu  den  Genien  und  halbgöttlichen  Wesen,  welche  den 
Himmel  des  Indra  bevölkern,  gehören  auch  die  Kimnara's, 
die  halb  Mensch  halb  Thier  mit  Pferdeköpfen  gedacht,  auch 
zu  den  Gandharven  gezählt  und  wie  diese  als  Sänger  gerühmt 
werden;  desgleichen  die  Carana's,  welche  ebenfalls  himm- 
lische Sänger  sind.  Ferner  die  Siddha's,1  die  Vollendeten 
oder  Glückseligen,  eine  Klasse  von  Halbgöttern,  denen  über- 
natürliche Kräfte,  besonders  das  Fliegen  durch  den  Luftraum 
zugeschrieben  wurde.  Ferner  auch  die  Vidyadhara's,  Luft- 
genien, die  auch  im  Gefolge  des  Civa  im  Himalaja  wohnen 
und  im  Besitze  der  Zauberkunst  Btehen  u.  dgl.  m. 

Der  Himmel  des  Indra  war  das  Ideal  der  Helden  und 
Könige.  Dorthin  hofften  sie  nach  dem  Tode  zu  gelangen,  und 
in  den  epischen  Gedichten,  die  in  erster  Linie  für  Krieger  und 
Könige  berechnet  waren,  spielt  der  Indra- Himmel  eine  grosse 
Rolle.  „Wer  ohne  zu  fliehen  in  der  Schlacht  den  Tod  findet, 
kommt  in  den  Palast  des  Indra  zu  ewiger  Freude4*,  —  heisst 
et?  im  Mahabharata.1  In  der  Schlacht  sterben  heisst  „den 
Indra -Weg  gehen".  „Jetzt  werde  ich  dem  Indra  einen  Gast 
schicken4«,  ruft  Arjuna,  indem  er  den  Bhagadatta  tödtet  Und 
vor  der  Schlacht  erinnert  der  Heerführer  die  Krieger,  dass 
nun  wieder  dem  Tapfern  die  Pforten  zum  Paradies  des  Indra 
geöffnet  seien.8 

Ja  in  der  mittelalterlichen  Poesie,  die  so  reich  ist  an 
phantastischen,  märchenhaften  Zügen,  besteht  sogar  bei  Leb- 
zeiten der  Könige  und  Helden  ein  harmloser  und  ungezwungener 
Verkehr  zwischen  ihnen  und  Indra,  der  seinen  Götterwagen  mit 


1  Vgl.  das  Petersb.  Wort,  b.  v.  2.  sidh,  partic. 
*  Vgl.  Holtmann  a.  a.  0.  p.  322. 
9  Vgl  Holtzmann  a.  a.  0. 


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» 


—   874  — 

dem  Wagenlfcnker  Matali  aussendet,  um  bewährte  Kämpfer  zum 
Beistand  in  der  Schlacht  gegen  die  Götterfeinde  abzuholen, 
aber  auch  ohne  solchen  Anläse  die  tapferen  Helden  gerne  bei 
sich  sieht  So  wird  z.  B,  Dushyanta  in  der  QakuntaJA  ab- 
geholt, während  Arjuna  im  MahÄbhärata  dem  Indra  in  seinem 
Himmel  einen  Besuch  abstattet1 

Gehen  wir  nun  auch  auf  die  übrigen  Lokapala  noch  etwas 
Daher  ein,  so  ist  zunächst  Yama,  der  Hüter  der  südlichen 
Weitgegend,  keineswegs  mehr  jener  selige  König  Yama  im 
lichten  Himmelsraum,  zu  dem  sich  die  Frommen  in  der  vedi- 
dischen  Zeit  sehnten,  der  Erste  der  Gestorbenen,  der  mit  den 
Vätern  unter  einem  schönbelaubten  Baume  zecht,  —  nein, 
dieser  mittelalterliche  Yama  ist  der  Gott  des  Todes  mit  allen 
seinen  Schrecken,  der  Herrscher  in  der  Unterwelt,  wo  die 
Sünden  mit  unzähligen  Martern  gestraft  werden.  Im  Maha- 
bharata  erscheint  Yama  der  Savitri  als  ein  Mann  von  furcht- 
erregendem Aussehen,  in  rothem  Gewände,  schwarz,  gelb  und 
rothäugig,  in  der  Hand  einen  Strick,  mit  dem  er  die  Seele  ans 
dem  Leibe  des  Todten  zieht*  Immer  schrecklicher  malte  mit 
der  Zeit  die  Phantasie  das  Bild  des  Todesgottes  aus  und  grausen- 
voll  sind  die  mannigfaltigen  Qualen,  die  z.  B.  nach  dem  Gesetz- 
buch des  Manu  in  Yama's  Reich  den  Sündigen  erwarten. 

Varuna,  der  Lokapala  des  Westens,  ist  längst  nicht  mehr 
der  hohe,  reine  Himmelsgott,  der  heilige,  den  einst  Vasishtha 
pries.  Er  ist  herabgesunken  zum  blossen  Gotte  der  Gewässer, 
etwa  einem  griechischen  Moergott  zu  vergleichen.  Man  hat 
indessen  früher  mit  Unrecht  angenommen,  dass  diese  Beziehung 
dee  Varuna  zu  den  Gewässern  ihm  erst  ganz  spät  zuertheilt 
worden  sei.  Schon  im  Veda  —  das  hat  namentlich  Alfred 
Hillebrandt  deutlich  gemacht9  —  erscheint  er  als  ein  Herr 
der  Gewässer,  insbesondere  der  Wolkenwasser,  in  deren  Mitte 
er,  der  König,  wandelt*  Er  war  es  auch,  der  die  Flüsse  auf 
Erden  strömen  Hess.  Er  taucht  in's  Meer  hinab  und  herrscht 
in  der  Tiefe,  wie  droben  in  der  Höhe.  Die  Krankheit,  die  er 
als  Strafe  zu  senden  pflegte,  war  die  Wassersucht  Von  all 
den  schönen  und  reichen  Zügen,  die  das  Wesen  des  vedischen 
Gott  Varuna  ausmachten,  ist  ihm  nur  noch  diese  verhältniss- 


1  Diesen  Besuch  schildert  die  von  Bopp  edirte  Episode  des  Maha- 
bharata  „Indralokagamanam"  oder  Arjuna  s  Reise  tu  Indra'i  Himmel. 
Näheres  Qber  dieselbe  s.  unter  Vorlesung  XXXIV. 

1  Die  8eele  in  Gestalt  eines  daumengrossen  Mannchens  (puroshaV 

•  In  seiner  Schrift  „Varuna  und  Mitra",  Breslau  1877,  p.  83  flg. 

*  8.  RV  7,  49,  8. 


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-   375  - 

mäagig  nebensächliche  Beziehung  zum  Wasser  geblieben.  Allee 
Andere  ist  dem  einst  so  gefeierten  König  des  Himmels  und 
der  Erde  geraubt  Eine  gesunkene  Grösse  waltet  er  in  der 
einzig  ihm  gelassenen  Domäne,  im  Meere  des  Westens.  Noch 
tragt  er  freilich  jene  Schlinge  in  der  Hand,  mit  der  er  einst 
im  Veda  die  Bösen  fesselte,  vor  der  die  Sünder  sich  fürchteten. 
Aber  diese  Furchtbarkeit  ist  jetzt  geschwunden.  Kaum  ver- 
steht man  noch  die  Bedeutung  dieser  Schlinge;  der  altgewor- 
dene  Gott  trägt  sie  in  der  Hand  wie  ein  Emblem,  ein  müssiges 
Beiwerk. 

Kuvära  oder  Kubera,1  der  Gott  des  Reichthums,  der 
Hüter  der  nördlichen  Weltgegend,  war  nach  Rath  ursprünglich 
wohl  ein  Erdgeist,  der  in  der  Tiefe,  im  Dunkel  der  Erde 
waltete  und  die  metallischen  Schätze  hütete.  Er  wird  zwerg- 
haft, missgestaltet  gedacht;  schon  sein  Name  soll  dies  anzeigen.1 
Diese  Missgestalt  des  Kubera  erklärt  sich  gerade  aus  der  An- 
nahme, dass  er  eigentlich  als  Erdgeist  in  den  Höhlen  und 
Schlüften  der  Erde  lebte.  Man  braucht  dabei  wohl  nur  an 
die  germanischen  Zwerge  zu  erinnern.  Kubera  residirt  auf 
dem  Berg  Kailasa  im  Himalaja.  Seine  Untergebenen  sind  die 
Yaksha'8,  eine  besondere  Klasse  dämonischer  oder  halbgött- 
licher Wesen.8 

Die  vier  Hüter  der  Zwischengegenden,  Agni,  Sürja,  Vayu 
und  Sorna,  sind  sämmtlich  die  bekannten  vedischen  Götter, 
nur  in  verblasster  Gestalt. 

Wir  haben  nun  noch  eine  Reihe  von  anderen  Göttern  und 
göttlichen  Wesen  zu  nennen,  die  zum  grössten  Theil  in  der 
alten  Zeit  noch  nicht  vorhanden  waren.  Vor  Allem  drei  wich- 
tige Götter:  Ganeca,  Skanda  oder  Karttikeya,  und  Kama 
oder  Kamadeva. 

Ganec,a  gilt  als  ein  Sohn  des  (Jiva  und  seiner  Gemahlin, 
der  Parvati.  Sein  Name,  für  den  auch  das  gleichbedeutende 
(xanapati  gebraucht  wird,  bedeutet  eigentlich  Schaarenherr,  An- 
führer der  Schaaren;  er  ist  der  Anfuhrer  von  Civa's  Gefolge. 
Ganeca  ist  der  Gott  der  Klugheit  und  der  Wissenschaften, 
darum  finden  wir  meist  am  Eingang  der  indischen  Schriftwerke 
eine  Aiirufung  dieses  Gottes.4   Seine  bildliche  Darstellung  ist 


1  Aach  Vaicravana  genannt,  weil  er  Sohn  des  Vi;ravas  ist 

*  Nach  den  indischen  Lexicographen  von  ka  and  vera  „Körper**  1 

s  Der  berühmte  Meghadftta  oder  „Wolkenbote"  des  Kalidasa  ist 

das  Lied  der  Sehnsucht  eines  Yaksha. 

4  criganec&ya  namafc  „Verehrung  dem  heiligen  Ganeca!"  u.  dgl. 

Auch  namab  ganeciyu  vighnecvaraya  „Verehrung  Ganeca',  dorn  Herrn 


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—   376  — 

sehr  abschreckend.  Er  tragt  das  Gesicht  eines  Elephantea, 
wahrscheinlich  weil  der  Elephant  für  das  klügste  Thier  gilt; 
hat  nur  einen  Zahn  und  einen  Hängebauch.  Dazu  reitet  er 
auf  einer  Ratte,  wahrscheinlich  weil  dieses  Thier  in  die  Ter- 
borgenen  Schlupfwinkel  eindringt  Die  Schaaren  des  Qiva,  welche 
Ganeca  anfuhrt,  waren  ursprünglich  wohl  koboldartige  Berg- 
geister, und  damit  dürfte  es  in  Zusammenhang  stehen,  dass 
ihm  gerade  die  in  verborgenen  Gängen  umherschlüpfende  Ratte 
heilig  ist.  Uebrigens  wird  auch  der  Irrsinn  von  Ganeca  be- 
wirkt, wahrscheinlich  weil  er,  als  der  Gott  der  Klugheit,  wenn 
er  übelwollend  ist,  diese  dem  Menschen  rauben  kann.  Bis  auf 
den  heutigen  Tag  geniesst  dieser  Gott  in  Indien  noch  viel 
Verehrung.* 

Skanda  oder  Karttikeya  gilt  ebenfalls  als  ein  Sohn  des 
Qiva,  nach  anderen  Angaben  freilich  als  Sohn  des  Agni  Er 
ist  der  indische  Kriegsgott,  der  Heerführer  der  Götter.1  Man 
stellt  ihn  auf  einem  Pfauen  reitend  dar.  Der  Kau  ist  dem 
Inder  ein  kriegerischer  Vogel,  weil  er  das  kleine  giftige  Gewürm 
vertilgt,  nicht  Sinnbild  der  Eitelkeit  wie  bei  uns.  Der  Name 
Skanda  bedeutet  „der  Ueberfaller".  Auch  gilt  dieser  Gott  als 
ein  ewiger  Jüngling  und  wird  darum  Kumara  oder  Sanatkumara 
genannt 

Käma  oder  Kamadeva  ist  der  Gott  der  Liebe,  der  in- 
dische  Eros,  ein  Sohn  Dharma's;»  er  ist  Gemahl  der  Rati, 
d.  h.  der  Wollust  Auch  er  tritt  verhältnissmässig  spät  auf, 
ist  aber  in  der  mittelalterlichen  Literatur  einer  der  beliebtesten 
und  häufigst  vorkommenden  Götter.  Man  stellt  ihn  als  einen 
Knaben  dar,  mit  Pfeil  und  Bogen  bewehrt,  einen  Köcher  auf 


über  die  Hindernisse'4.  Den  letzteren  Namen  erhalt  er,  weil  es  heisst 
dass  er  Hindernisse  bereitet,  aber  dieselben  anch  wegzuräumen  weiss, 
wenn  er  wohlwollend  ist;  man  muss  ihn  sich  deshalb  geneigt  machen. 

1  Den  Beginn  eines  jeden  Geschäftes  eröffnet  ein  Gebet  an  Ganeca. 
Jeder  Geschäftsbrief,  jedes  Bach  beginnt  mit  einer  Anrufung  an  Aul 
Händler  bringen  sein  Bild  über  den  Läden  an.  Jede  Stadt  hat  Ufr 
Ganeca-Thor.  Zum  Jahresfeste  dieses  Gottes  finden  öffentliche  Umfüge 
statt,  bei  denen  das  Bild  desselben  zuletzt  in  einem  heiligen  Teich  oder 
Fluss  versenkt  wird.  In  Benares  finden  sich  200  Tempel  dieseß  Gottes. 
Die  Sekte  der  Gauapatya,  die  ihn  als  höchsten  Gott  verehrt,  ist  dort 
stark  vertreten.  An  seinem  Feste  wird  das  Bild  de*  Gottes  auf  Bootes 
umhergefahren  unter  feenhafter  Beleuchtung.  S.  Schlagintweit,  Indien 
in  Wort  und  Bild,  II.  p.  2. 

*  Er  ist  auch  das  Haupt  der  Kinder  befallenden  Krankheitsdämonan 
Vgl.  Petersburg.  Wörterb.  i.  v. 

9  Auch  Brahman's,  Samkalpa's  oder  Sahishnu's;  vgl  Petersburger 
Wörterbuch. 


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377 


dem  Rücken,  also  ganz  ähnlich  dem  griechischen  Eros,  der 
auch  nach  Ansicht  einiger  Forscher  sein  Vorbild  ist  Seine 
Pfeile  sind  aus  Blumen,  sein  Bogen  ist  aus  Zuckerrohr,  sein 
Reitthier  ist  ein  Papagei.  Er  heisst  auch  Ananga  „der  Körper- 
lose", weil  er  der  Sage  nach  einst  von  <Jiva  im  Zorn  zu  Asche 
verbrannt  wurde  und  seitdem  seinen  eigentlich  leiblichen  Körper 
verloren  hat  Man  nennt  ihn  ferner  Manmatha  „den  Erreger4'; 
auch  fuhrt  er  ausserdem  noch  eine  ganze  Menge  von  Beinamen, 
welche  alle  aufzuzählen  uns  zu  weit  führen  dürfte. 

Zu  den  göttlichen  Wesen,  deren  Verehrung  in  der  ältesten  Zeit 
noch  nicht  vorhanden  war,  gehören  auch  die  Schlangengötter. 

Im  Rigveda  sind  dieselben  ganz  unbekannt,  im  Yajurveda 
aber  finden  wir  bereits  Anrufung  und  Verehrung  .verschiedener 
Schlangen.1   So  heisst  es  z.  B.  (Maitr.  S.  2,  7,  15): 

Verehrung  sei  den  Schlangen,  die  irgend  auf  der  Erde  sind;  die 
in  der  Luft,  die  im  Himmel,  diesen  Schlangen  sei  Verehrung! 

Welche  die  Pfeile  der  Zauberer  sind,  welche  den  Bäumen  ange- 
hören, welche  in  den  Brunnen  liegen,  diesen  Schlangen  sei  Verehrung! 

Jene»  die  in  dem  Glanzraum  des  Himmels  oder  In  den  Strahlen 
der  Sonne,  die  in  den  Wassern  sich  niedergelassen  haben,  diesen  Schlangen 
sei  Verehrung!  u.  s.  w. 

Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  diese  Schlangenverehrung 
ursprünglich  bei  den  Ureinwohnern  des  eigentlichen  Indien  zu 
Hause  war  und  dass  die  arischen  Inder,  die  im  Pendschab  zur 
Zeit  des  Rigveda  nichts  davon  wussten,  sie  späterhin  von  den 
Eingeborenen  übernahmen  und  ihrem  System  einverleibten,  eine 
Concession  an  die  altgewohnten  Bräuche  des  Urvolks,  wie  sie  uns 
in  noch  mehr  als  einem  Punkte  begegnet  Dass  die  Schlangen- 
verehrung eigentlich  dem  nordwestlichen  Indien,  Kaschmir  und 
dem  Land  am  oberen  Indus  angehörte,  wie  Lassen  will,  halte 
ich  noch  nicht  für  ausgemacht. Ä  Jedenfalls  aber  war  dieser 
Cult  zur  Zeit  Alexandcr's  in  jenen  Gegenden  vorhanden.  Nach 
dem  Inder  Babu  Pratapacandra  Ghosha  war  der  Schlaugen- 
dienst ein  Zugeständniss  der  Arier  an  das  einheimische  Volk 
der  Näga,  welche  nach  Cunningham  in  Hindostan,  zwischen 
Ganges  und  Yamuna  lebten.9 

Die  SchlangongÖtter  spielen  in  den  epischen  Gedichten 
keine  unwichtige  Rolle,4  und  noch  heutzutage  ist  die  Schlangen- 


1  Z.  B.  Maitr.  8.  2,  8,  10;  2,  7,  15;  Ka*h.  6,  6. 

*  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  I',  856. 

*  8.  Schlagintweit,  Indien  in  Wort  und  Bild,  I  p.  6. 

4  Das  Mahabharata  soll  von  Vai^ampayana,  dem  Schüler  des  VjAsa, 
der  als  Verfasser  des  grossen  Epos  gilt,  bei  Gelegenheit  eines  grossen 
Schlangenopfers,  das  König  Janamejaya  feierte,  vorgetragen  worden  sein. 


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—    378  — 

Verehrung  in  Indien  weitverbreitet.  Alljährlich  werden  grosse 
Feste  gefeiert,  bei  denen  die  Schlangen  durch  die  Strassen  der 
Städte  getragen  und  mit  Milch  gefüttert  werden.  Schlagintweits 
„Indien"  zeigt  uns  das  Bild  eines  solchen  Festes  aus  Bombay.1 

Endlich  müssen  noch  die  bösen  Geister  und  Gespenster 
angeführt  werden,  unter  denen  die  Rakshas  oder  Rakshasa 
die  Hauptrolle  spielen.  Diese  Rakshas  sind  schon  im  Rigveda 
oft  genannte  böse  Geister  und  Unholde,  gegen  die  man  sich 
auf  verschiedene  Art,  durch  Beschwörung,  Götteranrufung  u.  dgl. 
zu  schützen  sucht.  Ihre  Gestalten  werden  von  der  indisch- 
mittelalterlichen Phantasie  noch  vielfältig  ausgemalt  und  grauen- 
voll dargestellt.  Es  .  sind  ursprünglich  Geister  der  Finsterniss. 
Sie  nahen  sich  den  Opfern,  um  sie  zu  stören.  So  wird  z.  B. 
König  Dushyanta  in  der  Qakuntala  von  den  Einsiedlern  ange- 
fleht, ihr  Opfer  vor  den  Rakshas  zu  schirmen,  die  dasselbe 
störten.*  Die  Rakshasa  spielen  in  den  Volksmärchen  eine 
grosse  Rolle.  Sie  gehen  durch  die  Luft,  können  sich  verwandeln, 
sind  riesenstarke  Menschenfresser.  In  diese  Vorstellungen  ist 
wohl  Manches  von  dem  Glanben  der  Ureinwohner  an  böse 
Geister  mitverwebt. 

Auch  Riesen  fürchterlicher  Art,  wie  der  berühmte  RAvana 
von  Lanka  im  Ramayana,  und  ähnliche  Schreckgestalten,  kennt 
das  indische  Mittelalter.  Doch  verlassen  wir  mit  diesen  Wesen 
bereite  das  Gebiet  des  eigentlichen  Göttersystems,  dessen  Be- 
trachtung zunächst  unsere  Aufgabe  war. 

Wenn  wir  zum  Schluss  noch  die  äussere  Form  der  Götter- 
verehrung im  indischen  Mittelalter  mit  derjenigen  der  vedischen 
Zeit  vergleichen,  so  liegt  der  augenfälligste  Unterschied  wohl 
in  den  zahlreichen  Tempeln  und  Götterbildern,  die  der  reli- 
giöse Cultus  des  Mittelalters  sich  geschaffen.  Dem  Alterthum, 
der  vorbuddhistischen  Zeit  sind  beide  noch  völlig  fremd.  Zur 
Zeit  des  Mittelalters  aber  erheben  sich  an  den  verschiedensten 
Orten  des  indischen  Landes  den  Göttern  geweihte  Tempel 
deren  Dach  von  zahlreichen  Säulen,  mit  krauser,  theils  wunder- 
licher und  phantastischer,  theils  auch  geschmackvoller  Orna- 
mentik, getragen  wird,  meist  eine  in  der  Form  von  der  anderen 
abweichend.  Zu  dieser  Zeit  entstehen  auch  die  Höhlen-Tempel, 
seltsame,  in  ihrer  Art  grossartige  Schöpfungen,  durch  Aus- 
höhlung massiver  Felsen  geschaffen,  staunenswerth ,  wenn  auch 
keineswegs  unseren  ästhetischen  Geschmack  befriedigend.  Dort 


1  8.  Schagintweit,  Indien  in  Wort  and  Bild,  I  p.  6. 
1  Am  Ende  des  zweiten  Aktes. 


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—  379  — 

finden  wir  Statuen  der  Götter  der  frommen  Verehrung  errichtet, 
während  reliefartige  Darstellungen  aas  Mythologie  und  Gotter- 
geschichte die  Wände,  auch  die  Säulen  und  Aussenmauern  be- 
decken. 

Leider  sind  wir  nicht  im  Stande,  über  die  Entstehung 
dieser  neuen  Form  des  Cultus  und  namentlich  auch  über  die 
Zeit  der  Entstehung  Genaueres  anzugeben.  Soviel  aber  scheint 
festzustehen,  dass  die  entsprechenden  religiösen  Bau-  und  Bild- 
werke der  Buddhisten  älter  sind  als  die  der  Brahmanen  und 
dass  die  letzteren  zunächst  durch  die  enteren  angeregt  ins 
Leben  traten.1 

Bei  den  Buddhisten  entwickelte  sich  zunächst  nach  dem 
Tode  ihres  Religionsstifters  ein  Reliquiendienst,  der  immer 
grössere  Dimensionen  annahm.  Es  wurden  zahlreiche  Stüpa's 
(Topen)  oder  Thiirme  zur  Aufbewahrung  der  Reliquien  erbaut, 
während  andererseits  auch  die  Zahl  der  Vihara's,  der  Klöster 
und  Versammlungshallen  für  die  buddhistischen  Mönche  be- 
ständig wuchs.  Dann  wurden  endlich  auch  Bilder  des  Buddha 
in  den  Versammlungshallen  aufgestellt,  und  es  wurde  üblich, 
denselben  anzurufen,  sich  in  diese  Bilder  niederzulassen.  Zu 
welcher  Zeit  solche  Bilder  zuerst  entstanden,  lässt  sich  leider 
nicht  sagen.  Die  Legende  behauptet,  die  ältesten  derselben 
seien  noch  zu  Lebzeiten  Buddha's  geschaffen,'  doch  können 
wir  darauf  wohl  kein  Gewicht  legen.  Die  zu  Mathura  gefundenen 
Bilder  des  Buddha  und  des  Stifters  der  Jaina-Religion  stammen 
zum  Theil  wohl  aus  dem  ersten  Jahrhundert  nach  Chr.  Geburt.8 
Diese  Bilder  sind  schwerlich  die  ältesten  und  man  wird  daher 
annehmen  dürfen,  dass  schon  in  den  letzten  Jahrhunderten 
Tor  Chr.  ähnliche  Bildwerke  geschaffen  wurden.4 

Wann  die  Brahmanen  damit  begannen,  ihren  Göttern 
Tempel  zu  bauen  und  Bildnisse  derselben  aufzustellen,  können 
wir  leider  nicht  angeben.    Wahrscheinlich  auch  schon  in  den 


1  Einiges  Nähere  aber  diese  dem  Caltus  geweihten  Schöpfungen 
der  bildenden  Kunst  s.  unten,  Vorlesung  L. 

*  Vgl.  Kern,  Buddhismus,  Bd.  II,  Th.  1  p.  199.  Koeppen,  Rel 
d.  Buddha,  Bd.  I,  p.  494. 

•  Vgl.  Kern,  Buddhismus,  Bd.  II,  Th.  1  p.  201. 

4  Koeppen  meint,  dass  vielleicht  Bchon  die  unmittelbaren  Schüler 
and  Freunde  Buddha's  zu  der  späteren  Bilderterehrung  den  ersten  An- 
»toBB  gaben.  9ie  sollen  ein  Abbild  desselben  entworfen  haben  u.  dgl. 
(Rel.  d.  B.  p.  496  flg.).  Zn  der  Zeit,  als  Acoka  zum  Buddhismus  über- 
trat (Mitte  des  dritten  Jahrhunderts),  bestand  jedenfalls  der  Reliquien- 
dienst; Bilderdienst  aber  wird  nicht  erwähnt.  In  den  Grotten  von  Bud- 
de agaya,  die  Ton  Acoka  und  seinem  Enkel  herrühren,  finden  sich  zwar 


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-   380  — 

letzten  Jahrhunderten  vor  Chr.  Gebort  Soviel  aber  ist  gewiss, 
dass  die  Blüthezeit  dieser  Tempelbanten  und  Bildwerke  durch- 
aus in  die  Jahrhunderte  nach  Christi  Geburt  zu  verlegen  ist1 


keine  Bilder,  aber  Sockel  and  Nischen  für  dieselben,  so  dass  ihr  einstiges 
Vorhandensein  wahrscheinlich  wird  (vgl.  Cunningham,  Snrvey  1,  46).  Es 
ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  der  Bilderdienst  zu  Ende  des  dritten 
Jahrhundert«  vor  Chr.  zur  Geltung  kam  und  rasch  weite  Verbreitung 
erlangte.   Vgl.  Duncker,  Gesch.  d.  Alt.  III*,  p  366  Anm.  p.  371. 

1  Nach  Lassen  findet  sich  die  älteste  Erwähnung  von  Götterbildern 
im  Adbhuta  Brahmana,  wo  es  heisst,  „dass  sie  lachen,  schreien,  singen, 
tanzen,  schwitzen  und  blinzeln".  Aehnlich  im  Mababharata:  „Die  in 
den  Tempeln  stehenden  Gottheiten  des  Beherrschers  der  Kaurava  leben 
und  lachen,  und  tanzen  und  weinen."  „Diese  Götterbilder  waren  in 
Tempeln  aufgestellt  und  das  abergläubische  Volk  glaubte,  dass  sie  von 
den  Gottheiten  belebt  seien,  welche  sie  darstellten."  S.  Lassen,  Ind. 
Alt.  I*  p.  939. 

Rajendralala  Mitra  folgerte  aas  Panini,  dass  es  zu  dessen  Zeit 
kleine  Idole  von  Vasudeva,  Vishnu,  £iva  und  den  Aditya  gegeben  habe 
(antiq.  of  Orissa  p.  152;  Duncker,  Gesch.  d.  Alterth.  III4,  p.  366  Anm.). 

Dass  in  der  That  Panini  von  Götterbildern  redet,  die  in  Tempeln 
zur  Verehrung  aufgestellt  werden  und  dieselben  unterscheidet  von  Idolen, 
die  in  den  Handel  kommen,  zu  diesem  Schluss  gelangt  auch  Böhtlingk, 
ohne  Zweifel  der  competenteste  Beurtheiler  (vgl.  Ztschr.  d.  D.  M.  G. 
Bd.  XXXIX,  p.  529).  So  fasste  auch  schon  Patanjali,  der  im  2.  Jahrh 
vor  Chr.  lebende  Commentator  des  Panini,  die  betreffende  Stelle  auf. 
Da  nun  Panini  aller  Wahrscheinlichkeit  nach,  im  4.  Jahrh.  vor  Chr. 
lebte,  müssen  wir  die  Anfertigung  von  Götterbildern  mindestens  in  diese 
Zeit  hinaufrücken.  Wie  vollkommen  dieselben  waren,  bleibt  dabei  frei- 
lich ganz  ungewiss. 


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Siebenundzwanzigste  Vorlesung. 

Allgemeines  Cnltarbild  des  indischen  Mittelalters.  —  Parallele  zwischen 
dem  Alterthum,  Mittelalter  und  der  neueren  Zeit  in  Europa  und  in  Indien. 
Nähere  Bestimmung  des  indischen  Mittelalters.  Mönchthum  und  Ein- 
siedlerleben. Busse  und  Askese.  Wunderbare  Macht  der  Askese.  Nach- 
richten der  Griechen  über 'die  indischen  Asketen. 


Nachdem  wir  in  den  letzten  Vorlesungen  das  Göttersystena 
des  indischen  Mittelalters  entwickelt  haben,  müssen  wir  nun 
noch  ein  allgemeines  Bild  von  den  brigen  Culturersch einungen 
dieser  Zeit  zu  gewinnen  suchen,  bevor  wir  zur  Schilderung 
ihrer  literarischen  Schöpfungen  übergehen. 

Wie  schon  aus  dem  Frühergesagten  hervorging,  lässt  sich 
die  Geschichte  Indiens  ebenso  wie  die  der  abendländischen 
Welt  deutlich  scheiden  in  ein  Alterthum,  ein  Mittelalter 
und  eine  neuere  Zeit. 

Diese  Eintheilung  ist  keineswegs  nach  der  Schablone  unserer 
abendländischen  Geschichtsdarstellung  künstlich  zugeschnitten, 
vielmehr  ergiebt  sie  sich  dem  tieferschauenden  Blicke  als  durch- 
aus naturgemäss  und  in  den  Verhältnissen  begründet 

Es  ist  in  der  That  auffallend  und  merkwürdig  genug,  wie 
sehr  die  tlrei  grossen  Epochen  der  indischen  Entwickelung  dem 
Alterthum,  Mittelalter  und  der  neueren  Zeit  Europa's  ähnlich 
sehen,  ohne  dass  — -  mit  Ausnahme  der  letzten  Jahrhunderte 
—  eine  nähere  Berührung  oder  irgend  bedeutende  Beeinflussung 
zwischen  den  beidenV  grossen  Culturgebieten  stattgefunden  hätte. 

Da  haben  wir  zuerst  das  Alterthum  mit  seinen  naiven 
und  urwüchsigen  Schöpfungen,  seinem  kräftigen,  gestaltenreichen 
Polytheismus,  seiner  Heroenzeit,  seinem  Opfercultus,  den  ersten 
bedeutenden  staatlichen  Bildungen,  den  ersten  grossen  und  auch 
für  die  Folgezeit  bestimmenden  Gestaltungen  des  philosophischen 
Triebes.  Dann  eine  Zeit  des  Uebergangs,  der  Verinnerlichung, 
der  religiösen  und  sittlichen  Einkehr  der  Menschen  in  sich 
selbst,  und  daraus  entspringend  das  Mittelalter  mit  seinem 


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—    382  — 

Mönchthum  und  Einsiedlerwesen,  seinen  Wallfahrten,  seiner 
Busse  und  asketischen  Selbstpeinigung,  dem  Ueberwuchern  der 
religiös-asketischen  Empfindung,  mit  seinen  romantisch-phanta- 
stischen Schöpfungen  auf  dem  Gebiete  der  Poesie,  seiner  Ethik 
des  Duldens  und  Leidens,  des  Gehorchens  und  der  Selbst- 
entäusserung,  mit  seinen  streng  geschlossenen  Ständen,  seiner 
Priesterherrschaft,  seinem  ritterlichen  Adel,  den  Städten  und 
ihren  Corporationen,  —  eine  reiche  und  eigenartige  Blüthe  der 
Cultur,  zuletzt  aber  doch  in  religiöser  Versumpfung  endigend 
Dann  der  Uebergang  zu  einer  neuen  Zeit,  bewirkt  durch  die 
Berührung  mit  fremden,  weit  entlegenen  Landern  und  Völkern, 
und  das  Auftreten  religiöser  Reformatoren,  in  Europa  Luther, 
Zwingli,  Calvin,  in  Indien  Kabir,1  Nänak,*  Caitanya.9  Nur  ver- 
hält sich  Indien  bei  den  fremdländischen  Einflüssen  mehr  passiv. 
Die  mohammedanischen  Eroberer,  die  Portugiesen,  Holländer, 
Franzosen  und  vor  Allem  die  Engländer  brechen  die  Herrschaft 
der  mittelalterlichen  Cultur  Indiens  und  inauguriren  eine  neue 
Zeit  freierer  und  vielseitigerer  geistiger  Bildung,  während  in 
Europa  die  leitenden  Völker  activ  vorgehend  durch  Entdeckung 
einer  neuen  Welt,  Eroberung  fremder,  ferner  Länder  und  Wieder- 
erweckung der  antiken  Cultur,  dem  bisher  begrenzten  Bildungs- 
horizont ungeahnte  Erweiterung  schufen;  auch  ist  die  Wirkung 
der  erwähnten  religiösen  Reformatoren  in  Europa  viel  starker 
und  weiter  reichend  als  die  der  indischen.  Aus  diesen  Grüuden 


1  Kabir,  der  kühne  Reformator,  der  Hlndu's  und  Mohammedanern 
in  gleicher  Weise  gerecht  zu  werden  wusste,  lebte  wahrscheinlich  n 
Ende  des  14.  oder  zu  Anfang  des  15.  Jahrb.  Einiges  Nähere  siehe  bei 
A.  Barth,  Religion«  de  rinde  p.  143  flg.;  auch  E.  Schlagint  weit, 
Indien  in  Wort  und  Bild  I,  p.  172.  Viele  von  Kabir  stammende  Vers« 
und  Lehren  sind  in  das  heilige  Buch  der  Sikhs  fibergegangen.  Einiges 
davon  findet  man  in  dem  in  der  folgenden  Anmerkung  citirten  Trumpp- 
scheh  Buch  Ober  die  Sikh-Religion. 

*  Naaak,  der  Stifter  der  sogenannten-  Sikh- Religion,  wurde  im 
Penjab  im  Jahre  1469,  also  14  Jahre  vor  Luther,  geboren.  Näheres  über 
ihn  und  seine  Lehren  siehe  in  dem  hübschen  Buche  von  Ernst  Trumpp, 
Die  Religion  der  Sikhs  (Leipzig  1881).  Weitere  Quellen  zum  Studium 
dieser  reformatorischen  Religionsbewegung  siehe  bei  A.  Barth,  a.  a.  0. 
p.  145  Anm. 

*  Caitanya,  geb.  in  Bengalen  im  Jahre  1485,  also  2  Jahre  nach 
Luther.  Er  ist  der  Hauptvertreter  derjenigen  viahnuitischen  Reform- 
bewegung, welche  das  Heil  in  der  Bhakti  (d.  i.  Eingebung,  auf  Glauben 
beruhende  Liebe)  suchte.  S.  Barth,  a.  a.  0.  p.  139  flg.  und  vorher; 
Schlagintweit,  I  p.  173.  Als  Vorläufer  dieser  und  der  obengenannten 
Reformbewegungen  sirld  Ramanuja  (im  12.  Jahrh.)  und  Ramananda 
(im  14.  Jahrh.)  zu  bezeichnen  (s.  Barth  a.  a.  0.  p.  11G>  Schlagintweit  I, 
p.  172). 


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-   383  - 

geht  denn  auch  der  Procees  der  Umwandlung  des  Mittelalters 
in  die  neuere  Zeit  in  Indien  weit  langsamer  vor  sich  als  in 
Europa. 

Den  Beginn  des  indischen  Mittelalters  setzen  wirin 
das  sechste  Jahrhundert  yor  Chr,  die  Zeit,  wo  Buddha  auftritt, 
wo  wir  das  Mönchthum  und  Einsiedlerwesen,  jene  specifisch 
mittelalterlichen  Erscheinungen,  zuerst  fertig  und  voll  ausge- 
bildet Tor  uns  sehen,  bestimmend  auf  das  ganze  Leben  wirkend 
und  dasselbe  regelnd,  die  Zeit,  wo  die  Predigt  vom  Leiden  der 
Welt,  von  der  Abtödtung  des  irdischen  Begehrens  die  Gemüther 
erfüllte,  wo  an  die  Stelle  des  irdischen  Wollens  und  Wün- 
schens ein  überirdisches  Sehnen  trat,  die  Quelle  und  Wurzel 
der  romantischen  Empfindung. 

Wohl  waren  auch  vorher  schon  Brahmanen  „aus  der  Heimath 
in  die  Heimathlosigkeit"  gegangen,  um,  ablassend  von  allem  ir- 
dischen Begehren,  der  Erkenntniss  der  Weltenseele  zu  leben, 
wie  anch  in  den  ersten  Jahrhunderten  nach  Christo  schon  welt- 
verachtende Einsiedler  in  den.  Felsenhöhlen  am  Sinai  hausten, 
als  die  Vorboten  einer  neuen  Periode  der  Weltgeschichte.  Aber 
erst  im  sechsten  Jahrhundert  vor  Chr.  Behen  wir  bei  den  Indern 
diese  Neubildungen  zu  der  Macht  und  dem  Range  grosser  ge- 
schichtlicher Factoren  herangewachsen,  wie  dies  im  Abendlande 
etwa  im  vierten  bis  sechsten  Jahrhundert  nach  Chr.  eintrat 
Das  indische  Mittelalter  beginnt  demnach  ungefähr  ein 
Jahrtausend  früher  wie  unser  abendländisches,  es  fällt  aber  in 
seinem  Ausgang  ungefähr  mit  dem  letzteren  zusammen,  denn 
das  Auftreten  und  Wirken  jener  religiösen  Reformatoren  — 
wie  Kabir,  Nanak,  Caitanya  —  fallt  in  das  14.,  15.  und  vor 
Allem  in  das  16.  Jahrhundert  n.  Chr.;  die  mohammedanischen 
Eroberungen,  die  schon  Jahrhunderte  vorher  begonnen  hatten, 
kamen  im  16.  Jahrhundert  durch  die  Begründung  des  Reiches 
der  Grosamogule  zum  vollen  Abschluss,  während  im  16.  Jahr- 
hundert auch  die  europäischen  Volker  damit  begannen,  ver- 
schiedene Theile  Indiens  zu  besetzen  und  die  Bildungselemente 
einer  neuen  Zeit  in  dieselben  hinein  zu  tragen.   Das  indische 
Mittelalter  hat  demgemäss  etwa  doppelt  so  lange  gedauert  wie 
das  europäische,  nämlich  mehr  als  zwei  volle  Jahrtausende, 
vom  6.  Jahrhundert  vor  Chr.  bis  zum  16.  Jahrhundert  nach  Chr. 
Es  ist  darum  begreiflich,  dasB  die  mittelalterlichen  Vorstellungen 
und  Institutionen  sich  ziel  tiefer  und  fester  im  Denken  und 
Leben  der  Inder  festsetzen  konnten  als  dies  jemals  bei  einem 
europäischen  Volke  der  Fall  gewesen.  Die  Inder  mit  ihrer  im 
Ganzen  entschieden  weichen  und  fügsamen  Naturanlage  ver- 


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—   384  — 

mochten  sich  nicht  durch  eigene  Kraft  ans  diesen  Fesseln  zu 
befreien.  Wie  kein  anderes  Volk  in  gleichem  Maasse  standen 
sie  im  Banne  der  Vergangenheit,  und  erst  den  kräftiger  und 
freier  entwickelten  europäischen  Bruderstämmen  sollte  es  ge- 
lingen, durch  thatkräftiges  Eingreifen  die  mehr  passiv  ge- 
wordenen, oft  genug  widerstrebenden  Inder  einer  neuen  freieren 
Zeit  entgegen  zu  Ähren  und  ihnen  die  geistigen  Fesseln  ab- 
zunehmen, die  sie  als  etwas  Selbstverständliches  trugen  und 
weiter  tragen  wollten. 

Nicht  grosse  politische  Umwälzungen,  sondern  geistige 
Wandlungen  waren  es,  die  aus  der  alten  Zeit  der  Inder  das 
Mittelalter  hervorgehen  Hessen.  Die  geistigen  und  religiös- 
sittlichen Factoren  dieser  neuen  Epoche  werden  wir  darum  billig 
zuerst  ins  Auge  zu  fassen  haben. 

Da  treten  vor  Allem  das  Mönchthum  und  das  Ein- 
siedlerwesen, die  Ausbildung  der  Askese  und  die  Verän- 
derung der  ethischen  Ideale  hervor,  welche  mir  die  am 
meisten  charakteristischen  Symptome  der  eingetretenen  inneren 
Wandlung  zu  sein  scheinen.  Es  sind  dies  —  möchte  ich  sagen 
—  die  xaz*  igoxyv  mittelalterlichen  Erscheinungen. 

2ur  Zeit  des  Rigveda  hatten  die  Inder  —  wie  wir  früher 
gesehen  —  das  Leben  frisch  und  derb  angefasst,  in  nairein 
Egoismus  nach  den  irdischen  Gütern,  nach  Besitz  und  Beute, 
nach  Nachkommenschaft  und  Sieg  über  die  Feinde  Btrebend. 
Auch  in  der  darauf  folgenden  Periode  des  Yajurreda  und  der 
Br&bmana's  war  das  Streben  noch  immer  wesentlich  auf  die 
Erlangung  dieser  irdischen  Güter  und  Vortheile  gerichtet,  und 
das  vielgepflegte  Opfer  sollte  als  Mittel  dazu  dienen;  durch 
das  Opfer  thal;  man  auch  den  Feinden  gern  nach  Möglichkeit 
Böses  an.  Als  aber  dann  das  ungeheure  Opferritual  immer 
schwerer  auf  den  Menschen  zu  lasten  begann,  als  ein  immer 
tieferes  Gefühl  der  Unbefriedigung  die  Gemüther  erfasste  und 
sie  antrieb,  nach  Besserem,  nach  höherer  Erkenntniss  zu  streben; 
als  der  grübelnde  Geist  nach  dem  Atman,  der  Weltenseele,  » 
suchen  anfing  und  den  Denkern  in  stillen,  weihevollen  Stunden 
wunderbare  Einsichten  aufgingen,  tiefsinnige  Wahrheiten  sich 
enthüllten,  da  regten  sich  immer  mächtiger  schwärmerisch- 
sehnsüchtige Empfindungen;  da  erschien  irdisches  Glück,  irdischer 
Besitz  nur  klein  und  gering  gegenüber  dem  erhabenen  Glück, 
das  die  Erkenntniss  des  Atman  verlieh;  da  erwachte  mit  Macht 
ein  früher  ungekannter  Trieb  nach  Einsamkeit  und  beschaulichem 
Leben. 

In  die  Waldesstille  zog  man  hinaus,  um  ungestört  über 


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—  3H5 


das  Höchste  und  Heiligste  nachzusinnen,  um  den  Atman,  die 
Erkenntniss,  die  Erlösung  zu  suchen  und  das  Herz  zu  reinigen 
von  allem  irdischen  Begehren,  das  die  Verfolgung  solcher  Ge- 
danken hätte  stören  können.  Die  Upanishaden,  in  denen  uns 
die  ersten  Gestaltungen  des  philosophischen  Tiefsinns  der  Inder 
entgegentreten  und  die  etwa  his  zum  Jahre  700  vor  Chr. 
hinaufreichen,  zeigen  uns  auch  die  ersten  Spuren  von  dem 
Beginn  jener  Richtung  auf  das  contemplative  einsiedlerische 
Leben.1 

Und  wie  sehr  war  die  Natur  des  Gangeslandes  dazu  äu- 
ge chan,  der  erwähnten  Richtung  Vorschub  zu  leisten!  War  doch 
das  Klima  köstlich  milde,  und  die  kühlen  schattigen  Wälder 
boten  mit  ihren  mannigfaltigen  Früchten  und  Wurzeln  Nahrung 
in  reicher  Fülle  dar.  Sorglos  durften  die  frommen  Einsiedler 
dort  ihren  Gedanken  leben.  Oft  genug  begegnen  wir  in  indi- 
schen Gedichten  Verherrlichungen  dieses  Eremiten-Daseins,  und 
lockend  wird  die  Waldesstille  geschildert,  die  den  Menschen  zum 
beschaulichen  Leben  einlädt 

Doch  nicht  allen  diesen  Erkenntniss  und  Erlösung  Suchen- 
den genügte  das  bloss  beschauliche  Leben.  Es  griffen  Manche 
nach  energischeren  Mitteln,  fingen  an  auf  mancherlei  Art  den 
eigenen  Leib  zu  kasteien  und  zu  peinigen,  um  so  die  innere 
Ruhe  zu  finden,  die  sie  auf  anderem  Wege  vergeblich  gesucht. 

Zu  der  Zeit,  als  Buddha  auftrat,  gab  es  bereits  Einsiedler, 
Mönche  und  Asketen  in  bedeutender  Anzahl.  Sie  suchten  das 
Heil  auf  verschiedenen  Wegen,  und  Buddha  war  nicht  der  Erste, 
der  Mönchthum  und  Entsagung  predigte.  Aber  er  verstand  es, 
durch  seine  Predigt  vom  Leiden  der  Welt  und  von  der  Er- 
lösung aus  solchem  Leiden  mehr  als  irgend  ein  Anderer  dio 
Herzen  zu  erschüttern,  und  zahllos  waren  bald  die  Schaaren  der 
Mönche,  die  ihm  anhingen. 

Das  Mönchthum  wurde  durch  Buddha  und  seine  Jünger 
in  ungeheurem  Maassstabe  über  ganz  Indien  ausgebreitet  Galt 
es  doch  nach  seiner  Lehre  als  die  nothwendige  Vorbedingung 
zur  Erreichung  der  rechten  inneren  Heiligung.  Vollgültiges 


1  In  dem  Brihad-Aranyaka  nimmt  der  berühmte  Yajüavalkya  Ab- 
schied Ton  seinen  beiden  Frauen,  weil  er  sich  vom  Lehen  zurückziehen 
und  in  die  Einsamkeit  gehen  will.  Er  belehrt  sie,  daas  die  höchste 
Seligkeit  in  der  Erkenntniss  des  Atman  bestehe,  und  diesem  Gedanken 
will  er  leben.  —  In  demselben  Texte  hiess  es  auch:  „Ihn  den  Atman 
erkennend  stehen  Brahmanen  davon  ab,  nach  Söhnen  zu  begehren  und 
nach  Reichthum  zu  begehren  und  nach  der  Welt  zu  hegehren  und  ziehen 
als  Bettler  umher44.   t^at.  Br.  14,  6,  4,  1). 

t,  SehrödeT,  Indiens  LH.  n.  Colt..  25 


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—   386  - 

Mitglied  der  buddhistischen  Gemeinde  konnte  ja  nur  ein  Mönch 
sein.  In  den  Jahrhunderten,  die  auf  Buddha  folgten,  vor  Allem 
zur  Zeit  des  glaubenseifrigen  Acoka,  wuchsen  allenthalben  Wohn- 
stätten dieser  Mönche  empor;  in  Klöstern  und  Hainen  in  der 
Nähe  der  Städte  und' Dörfer  wohnten  sie  beisammen,  ihr  Leben 
ganz  der  Erbauung  und  dem  Andenken  an  den  Vollendeten 
weihend,  oder  sie  zogen  bettelnd  und  lehrend  im  Lande  umher. 
Das  buddhistische  Mönchthum  hat  im  Culturleben  Indiens 
eine  hervorragende  Rolle  gespielt. 

Andererseits  entwickelte  sich  nun  auch  bei  den  Brah- 
manen  das  Einsiedler-  und  Büsserwesen  in  immer  reicherem 
Maasse.  Wir  wissen,  dass  seine  Anfänge  älter  sind  als  Buddha. 
Seine  weitere  Entwickelung,  bei  der  wohl  auch  der  Einfluss  der 
buddhistischen  Richtung  und  der  Gegensatz  zu  derselben  eine 
Rolle  gespielt  haben  mag,  im  Einzelnen  zu  verfolgen,  ist  nicht 
leicht  In  vollendeter,  festgeordneter  Form  fuhrt  es  uns  das 
Gesetzbuch  des  Manu  vor.  Demgemäss  soll  ein  Jeder,  der  zu 
den  drei  oberen  Kasten  gehört,  wenn  er  seine  Pflicht  als  Haus- 
vater erfüllt  hat,  „wenn  er  Runzeln,  graue  Haare  und  Nach- 
kommenschaft seiner  Nachkommenschaft  erblickt Dorf  oder 
Stadt  verlassen  und  in  den  Wald  ziehen.  Er  wird  dann  Väua- 
prastha  oder  Waldeinsiedler.1  Als  solcher  soll  er  von  Früchten, 
Wurzeln  und  Wasser  leben,  gekleidet  in  ein  Bastgewand  oder 
das  Fell  einer  schwarzen  Antilope.  Das  heilige  Feuer  nimmt 
er  mit,  verrichtet  noch  bestimmte  Opfer,  liest  die  heiligen 
Bücher,  Veden  und  Upanishaden,  und  bemüht  sich,  der  höchsten 
Erkenn tniss  theilhaft  zu  werden.  Auch  sind  ihm  verschiedene 
Büssungen  und  Kasteiungen  vorgeschrieben,  die  den  Geist  von 
den  sinnlichen  Leidenschaften  befreien  sollen.  Zwischen  vier 
brennenden  Feuern,  der  Sonne  als  fünftem  ausgesetzt,  soll  er 
in  der  heissen  Jahreszeit  leben,  in  der  Regenzeit  unbekleidet 
sein,  in  der  kalten  Zeit  ein  nasses  Gewand  tragen  u.  dgl.  m. 

Diese  Bestimmungen  des  kanonischen  Gesetzbuches  haben 
sicherlich  nicht  bloss  in  der  Theorie  bestanden,  —  das  lehren 
uns  so  wohl  die  einheimischen  Bücher,  wie  auch  die  Berichte 
der  Fremden.*  ihre  systematisch  geordnete  Form  verdanken 
sie  sehr  wahrscheinlich  dem  Gegensatze  zum  Buddhismus,  als 
es  für  die  Brahmanen  galt,  dem  überwuchernden  Hange  zum 
völligen  Möuchthum  in  einer  Weise  die  Spitze  zu  bieten,  die 
den  Bestand  der  brahmanischen  Staatsordnung  nicht  gefährdete. 

1  vkoßioq,  wie  der  Grieche  Megasthenes  sagt. 
a  Mega&theneB  schildert  uns  das  Einsiedlerleben  genau  so,  wie  es 
im  Geeetzbuche  vorgeschrieben  wird.  Vgl.  Lassen,  Ind.  Alt  II*,  p.  46i 


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387  — 


Die  grossen  Epen  der  Inder  zeigen  uns  das  Einsiedler- 
wesen in  üppigster  Blüthe.  Immerwährend  begegnen  wir  in 
denselben  Einsiedeleien  in  der  Stillo  der  Wälder,  oder  ganzen 
Kreisen  von  Einsiedeleien,  Äcrama-mamjtoda  genannt  So  be- 
sucht König  Dushyanta.  im  Mahabhärata  den  Kanva  in  seiner 
Einsiedelei,  wo  er  mit  anderen  Eremiten  zusammen  haust.1  So 
findet  Rania  im  Dancjaka-Walde  einen  Äcrama-mandala,  be- 
wohnt von  Büs8ern,  alten  Weisen  (Muni)  und  den  vorzüglichsten 
IJishi,  eine  Zufluchtsstätte  für  alle  Wesen.  *  Bisweilen  werden 
auch  einzeln  lebende  Einsiedler  erwähnt,  und  dies  dürfte  wohl 
gerade  das  A eitere  und  Ursprünglichere  sein.9 

Eine  wichtige  Rolle  spielen  bei  diesem  b rahmanischen 
Einsiedlerleben  die  sogenannten  Tirtha.  Es  sind  dies  heilige 
Badeplätze  an  Flüssen,  Seen  und  Teichen,  wo  die  frommen 
Männer  die  üblichen  entsündigenden  Bäder  nehmen.  Solche 
Stätten  stehen  in  besonderem  Ansehen,  wenn  dort  besonders 
heilige  Weise  schon  früher  sich  aufgehalten  haben.  Sie  werden 
dann  ein  Zielpunkt  frommer  Wallfahrten,  —  wiederum  eine 
echt  mittelalterliche  Erscheinung.  Schliesslich  heissen  Tirtha 
überhaupt  heilige  Stätten,  zu  denen  gewallfahrtet  wird,  doch  war 
dort  in  der  Kegel  Wasser  zu  finden. 

In  dem  Epos  wird  das  Wallfahrten  zu  diesen  Tirtha  als 
ein  hohes  Verdienst  bezeichnet.  Der  heilige  Narada  sagt,4  die 
Opfer  könnten  nur  von  Königen  und  reichen  Mannern  gebracht 
werden,  weil  dazu  grosse  Hülfsmittel  gehörten.  „Höre  von  mir 
—  so  fahrt  er  fort  —  welche  fromme  Handlung,  die  den 
Früchten  der  heiligen  Opfer  gleich  ist,  auch  von  den  Armen 
ausgeführt  werden  kann.  Dieses  ist  das  höchste  Geheimnis« 
der  Llishi:  Der  Besuch  der  Tirtha  ist  verdienstlicher  als  selbst 
die  Opfer.   Wer  nicht  drei  Nächte  fastot,  die  Tirtha  nicht  be- 

1  Besonders  an  der  Sarasvati  lebten  nach  dem  Mahabhärata  Yiele 
Einsiedler.  So  heisst  es  dort  z.  B.:  „Darauf  erblickten  sie  (die  Pan4ava) 
an  dem  Ufer  der  Sarasvati  in  der  ebenen  Wüatengegeod  den  von  den 
Muni  geliebten  Kamyaka-Waid;  dort  liessen  sich  die  Helden  nieder  in 
dem  an  Gazellen  und  Vögeln  reichen  Walde,  begleitet  und  getröstet  von 
den  Muni."  Und  wie  sie  in  den  Dvaitavana-Wald  ziehen,  „begleiten  sio 
viele  Braumanen,  solche,  die  ein  heiliges  Feuer  unterhalten  und  die  es 
nicht  thun,  dem  Studium  der  heiligen  Bücher  sich  widmende  und  wald- 
bewohnende Bhiltshu"  (s.  Lassen,  a.  a.  0.  I1,  697  Anm.). 

*  Ram.  III,  1.  3,  s.  Lassen,  Ind.  Alt  I*,  (594. 

3  Lassen  I*,  695.  —  Nach  Lassen  dürften  dieso  Einsiedlercentren 
auch  eine  culturhistorische  Mission  erfüllt  haben,  indem  sie  die  brah- 
manische  Civilisation  namentlich  nach  Süden  weiter  vorschoben.  Darauf 
deuten  verschiedene  Stellen  des  Ram.  (s.  Lassen,  a.  a.  0.  Ia,  695.  696). 

*  In  der  TlrthayAtra. 

25* 


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sucht  und  nicht  Gold  und  Kühe  schenkt,  wird  arm  geboren 
(ä.  h.  wiedergeboren).  Man  gewinnt  nicht  die  Frucht  durch 
das  Agniahtoma  und  die  übrigen  kostspieligen  Opfer,  die  durch 
den  Tirthabe8uch  gewonnen  wird."  Diese  Frucht  soll  so  viel 
werth  sein  wie  ein  Opfer  oder  Geschenke  von  hundert  oder 
tausend  Kühen,  man  erlangt  dadurch  den  Himmel  des  Brahma, 
Vishnu  etc.1  Wie  sehr  der  Besuch  und  das  Wohnen  an  den 
Tirtha  üblich  war,  beweist  auch  der  Umstand,  dass  die  Brah- 
manen  von  den  Buddhisten  geradezu  Tirthika  oder  Tirthopasika 
(Tirtha-Besucher  oder  -Bewohner)  genannt  werden.8 

Aber  als  höchstes  Verdienst,  höher  als  alles  bisher  An- 
geführte, galt  bei  den  Brahmanen  doch  die  Kasteiung  des  eigenen 
Leibes,  die  Busse  oder  richtiger  die  Askese.3 

In  den  Yajurveden  und  Brahmana's  können  wir  höchstens 
schwache  Anfänge  dieser  Richtung  wahrnehmen  in  gewissen 
Fasten  und  Observanzen,  die  bei  bestimmten  Opfern  vor- 
geschrieben werden.  Zu  Buddha's  Zeit  muss  aber  die  Askese 
schon  öfters  geübt  worden  sein,  denn  Buddha  selbst,  wie  auch 
Andere  neben  ihm,  peinigt  sich  längere  Zeit  mit  harten  Kastei- 
ungen. Aber  er  findet  in  denselben  nicht  den  Frieden,  und  in 
der  Folge  richtet  sich  seine  Predigt  gerade  gegen  alle  strenge 
Askese,  da  dieselbe  nicht  zum  Heile  führe.  Bei  den  Brahmanen 
dagegen  wurden  die  Ansprüche  in  dieser  Hinsicht  immer  höher 
geschraubt,  immer  bedeutender  wurde  das  Ansehen,  welches 
man  der  Kasteiung  zollte,  und  langsam,  allmählich  wurde  der 
ganze  Nimbus,  der  einst  das  Opfer  umgeben  hatte,  auf  die 
Busse  oder  Askese  übertragen.  Es  ist  nicht  unmöglich,  dass 
auch  bei  dieser  Steigerung  der  Gegensatz  zu  dem  immer  mäch- 
tiger werdenden  Buddhismus  von  Einfluss  war.  Gerado  das 
Mittel  der  Heiligung,  welches  die  Buddhisten  verschmiihteu, 
wurde  in  seinem  Werthe  von  den  Brahmanen  immer  höher 
und  höher  gepriesen. 

Wie  man  früher  durch  bestimmte  Gebete  und  Opfercere- 
monieen  übernatürliche  Wirkungen  zu  erzielen,  Natur  und 
Götter  zu  beherrschen  wähnte,  so  wird  jetzt  der  Macht  der 
Busse,  der  Askese  Aehnliches  und  mehr  noch  zugeschrieben. 
Durch  das  Opfer  konnte  man  früher  geradezu  Zauber  üben  und 

1  S.  Lassen,  a.  a.  0.  IV 698  Anm. 

2  S.  Lassen,  a.  a.  0.  II9,  467.  Im  Mahabharata  werden  ans  eiae 
ganze  Reihe  solcher  heiliger  Tirtha  aufgeführt  und  Legenden  von  ihnen 
^rz&hlt   (Lassen  a.  a.  0.) 

8  Im  Sanskrit  „tapas"  genannt,  welches  Wort  eigentlich  Hitze, 
Gluth  bedeutet. 


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—   389  — 


gewisse  Sprüche  galten  als  Zauberformeln.  Jetzt  waltet  der 
Glaube,  dass  ein  Mann,  der  gewaltige  Busse  geübt,  dadurch  die 
Kraft  erlangt  habe,  beliebig  Zauber  und  Wunder  aller  Art  aus- 
zuüben, dass  er  über  die  für  gewöhnlich  waltenden  Gesetze  der 
Natur  völlig  erhaben  sei  und  selbst  die  Götter  durch  seine  Macht 
in  Schrecken  setzen  könne. 

In  ungeheuerlichen  Dimensionen  sind  die  Wirkungen  dieser 
Busskraft  z.  B.  in  der  bekannten  Erzählung  des  Ramayana  vom 
Streite  des  Vasishtha  und  Vicvamitra  dargestellt.1 

Diese  Erzählung  ist  so  charakteristisch  für  die  bezüglichen 
Vorstellungen  des  indischen  Mittelalters,  dass  ich  mir  nicht  ver- 
sagen kann,  den  Gang  derselben  kurz  anzudeuten. 

König  Vicvamitra  begehrt  die  wunderbare  Kuh  des  heiligen 
Vasishtha  zu  erlangen,  die  dem  letzteren  jeden  seiner  Wünsche 
erfüllt.  Als  Vasishtha  dieselbe  nicht  hergeben  will,  braucht 
Vicvamitra  Gewalt  Seine  hundert  Söhne  stürmen  auf  Vasishtha 
ein,  aber  dieser  verbrennt  sie  einfach  durch  die  Gluth  der  An- 
dacht, die  aus  seinem  Munde  hervorgeht.  Vicvamitra  sieht 
kein  anderes  Mittel,  als  durch  die  unerhörtesten  Bussübungen 
sich  die  Kraft  zur  Besiegung  des  Vasishtha  zu  erwerben.  Er 
begiebt  sich  in  die  Einsamkeit,  steht  hundert  Jahre  auf  den 
Zehen  und  lebt  nur  von  Luft  Dadurch  erlangt  er  die  Waffen 
der  Götter  und  greift  nun  aufs  Neue  den  Gegner  an.  Dieser 
aber  schlägt  all  diese  Waffen,  selbst  die  des  Brahma  mühelos 
zurück,  weil  er  durch  seinen  Rang  als  Brahmane  dem  König 
Vicvamitra  weit  überlegen  ist.  Nun  unterwirft  sich  Vicvamitra 
den  härtesten  Kasteiungen,  um  durch  dieselben  den  Bang  eines 
Brahmanen  zu  erreichen.  Nach  tausend  Jahren  verleiht  ihm 
Brahma  den  Titel  eines  „königlichen  Weisen"  (Rajarshi);  aber 
das  genügt  ihm  nicht,  er  will  Brahmane  werden  und  büsst 
darum  weiter.  Durch  diese  Busse  hat  er  bereits  solche  Wunder- 
kraft erlangt,  dass  er  den  Tricafiku,  welcher  lebendigen  Leibes 
in  den  Himmel  zu  gelangen  wünscht,  wirklich  dahin  emporhebt. 
Als  aber  Indra  Diesem  den  Eintritt  in  den  Himmel  wehren 
will,  schafft  der  erzürnte  Vicvamitra  im  Süden  einen  neuen 
Himmel  und  neue  Götter,  bis  endlich  die  Götter  sich  über- 
wunden fühlen  und  den  Tricafiku  aufnehmen  müssen.  Nach 
weiteren  tausend  Jahren  der  Busse  begrüsst  Brahma  selbst  den 
Vicvamitra  als  einen  „Weisen"  (Rishi),  aber  immer  hoch  nicht 
als  Brahmanen;  so  büsst  er  denn  weiter.  Eine  schöne  Apsaras 


1  Diese  Geschichte  findet  sich  im  Auszug  übersetzt  von  F.  Bopp 
internem  „Conjugationssystem  der  Sanskritsprache". 


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▼erlockt  ihn  inzwischen  zur  Sünde.  Er  thut  aufs  Neue  Busse, 
tausend  Jahre  lang,  bis  er  von  Brahma  als  „grosser  Weiser*' 
hegrüsst  wird.  Aber  auch  das  genügt  ihm  nicht,  und  so  büsst 
er  weiter.  Die  Arme  emporgestreckt  steht  er  auf  einem  Beine, 
unbeweglich  wie  ein  Pfahl,  nur  von  Luft  lebend  u.  s.  w.  Weitere 
Anfechtungen  überwindend  steigert  er  seine  Busse  noch  mehr, 
zuletzt  kein  Wort  sprechend,  auf  einem  Beine  stehend,  sogar 
des  Athmens  sich  enthaltend,  tausend  Jahre  lang.  Da  bricht 
endlich  Rauch  aus  seinem  Haupte,  die  Welten  erzittern,  die 
Sonne  will  erlöschen,  und  die  Götter  flehen  den  Brahma  an, 
Vicvamitra's  Wunsch  zu  erfüllen,  weil  er  sonst  durch  die  Kraft 
seiner  Busse  die  ganze  Welt  zu  Grunde  richten  werde.  Brahma 
willfahrt  ihren  Bitten  und  erhebt  den  Vicvamitra  zu  dem  Range 
eines  Brahmanen,  nach  dessen  Erlangung  der  Streit  mit  Va- 
sishtha  beigelegt  wird. 

So  alles  Maass  überschreitend  sind  nach  dem  Epos  die 
Wirkungen  der  Busse.1 

Nicht  jeder  Büsser  erlangt  so  viel  wie  Vicvamitra,  über- 
natürliche Kräfte  werden  ihnen  aber  auch  sonst  ganz  gewöhn- 
lich zugeschrieben. 

Hellsichtig  schauen  sie  auch  das,  was  ihren  Augen  ent- 
rückt ist.  Als  z.  B.  Cakuntala  mit  ihrem  Gatten  wieder  ver- 
einigt wird,  wünscht  sie,  dass  auch  ihr  frommer  Pflegevater 
Kanva  davon  erfahre.  Die  Antwort  lautet,  dies  sei  nicht  mehr 
nöthig,  denn  dem  heiligen  Kanva  wäre  dies  Alles  schon  durch 
die  Macht  der  Busse  offenbar. 

In  der  Erzählung  von  König  Nala  im  Mahabbärata  findet 
die  in  der  Wildniss  irrende  Damayanti  eine  Schaar  von  Ein- 
siedlern, und  diese  weissagen  ihr  eine  schöne  Zukunft:  „Wir 
schauen  es  durch  unsere  Busse,  bald  wirst  du  den  Nisbadher 
sehen!"  so  sagen  sie.2 

Höchst  gefährlich  sind  die  Flüche  solcher  Bussereichen, 
denn  was  sie  sagen,  geht  in  Erfüllung,  —  das  muss  ja  auch 
die  arme  Qakuntalä  an  sich  erfahren. 

Zur  Veranschaulichung  dessen,  wie  naiv  man  sich  schliess- 
lich die  Zauberkraft  dieser  bussereichen  Brahmanen  dachte, 
will  ich  nur  eine  charakteristische  Geschichte  mittheilen.  Es 
ist  die  zwölfte  Erzählung  im  dritten  Buch  des  Pancatantra: 
„Die  verwandelte  Maus  soll  sich  einen  Bräutigam  wählen."  • 

1  Im  JÄahabharata  erbalt  auch  sogar  ein  Raubthier  seine  Kraft 
als  Lohn  seiner  Basse  von  Brahma!  (s.  Holtzmann,  Brahman  nach 

den  Vorstell.  des  Mhbh  p.  214). 

4  Nala  12,  92.         3  Benfey's  üebersetzung,  p.  262. 


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„Am  Ufer  der  Gangä  ist  "ein  Gefilde  von  Einsiedeleien, 
voll  von  Büssern,  welche  sich  einzig  mit  der  Vollziehung  der 
Werke  des  Gebets,  der  Sinnenbändigung,  der  Busse,  des  Stu- 
diums der  heiligen  Schriften,  des  Fastens  und  der  Meditation 
beschäftigen,  welche  nur  nach  sehr  reinem,  wenigem  Wasser 
verlangen,  ihren  Körper  durch  den  Genuss  von  Knollen,  Wurzeln, 
Früchten  und  Wasserpflanzen  kasteien  und  weiter  keine  Be- 
deckung tragen,  als  einen  aus  Baumrinde  gefertigten  Schurz. 
Da  war  ein  Familienhaupt  namens  Yajftavalkya.  Dieser  hatte 
sich  in  der  Tochter  des  Jahnu  (d.  h.  der  Gangä)  gebadet  und 
war  eben  im  Begriff  sich  den  Mund  auszuspülen,  als  ihm  ein 
Mäuschen,  aus  dem  Munde  eines  Falken  stürzend,  in  die 
Hand  fiel.  Nachdem  er  dies  erblickt,  setzte  er  es  auf  ein 
Feigenblatt,  badete  sich  von  Neuem,  spülte  sich  den  Mund  aus, 
vollzog  die  Sühne  und  übrigen  Andachtsübungen,  verwandelte 
dann  das  Mäuschen  durch  die  Macht  seiner  Busse  in 
ein  Mädchen,  ging  mit  diesem  in  seine  Einsiedelei  und  sagte 
zu  seiner  Frau,  die  kinderlos  war,  Folgendes:  Liebe,  nimm  hier 
diese  an  Tochterstatt  an  und  erziehe  sie  sorgfältig!"  Darauf 
erziehen  sie  nun  das  Mädchen,  bis  dasselbe  herangewachsen  ist 
und  der  Vater  daran  denkt,  ihm  einen  Gatten  zu  geben.  Seine 
Wahl  fallt  zuerst  auf  den  Sonnengott  „Darauf  rief  der  Weise 
die  Sonne.  Durch  die  Macht  der  Anrufung  vermittelst  Veden- 
sprüche  kam  die  Sonne  augenblicklich  herbei  und  sprach:  Er- 
habener, warum  rufst  du  mich?"  Der  Weise  erklärt  ihm  nun 
sein  Begehr,  aber  die  Tochter  findet  kein  Gefallen  an  dem 
Bräutigam,  da  er  zu  heiss  sei  Der  Weise  schafft  dann  der 
Reihe  nach  das  Gewölk,  den  Wind,  einen  Berg  herbei;  alle 
missfallen  dem  Mädchen,  bis  er  endlich  einen  Mäuserich  ruft 
Bei  dessen  Anblick  geräth  das  Mädchen  in  Entzücken  und  be- 
gehrt ihn  zum  Manne.  „Er  aber  verwandelte  sie  darauf 
durch  die  Macht  seiner  Busse  in  ein  Mäuschen  und 
gab  sie  jenem  zur  Frau." 

Durch  die  Macht  seiner  Busse  erlangt  hier  also  der  Brah- 
mane  ganz  den  Charakter  eines  Hexenmeisters  in  optima  forma. 
Und  in  der  That  gehen  offenbar  die  Gestalten  jener  weisen 
indischen  Zauberer,  von  denen  im  Mittelalter  viel  gefabelt  wurde 
und  die  in  so  manchen  Märchen  und  Abenteurer- Geschichten 
auftreten,  auf  eben  diese  mit  übernatürlichen  Kräften  ausge- 
rüsteten Büsser  und  Heiligen  als  ihre  Vorbilder  zurück.1 


1  Uebrigens  verrichten  auch-  in  den  buddhistischen  Erzählungen 
die  Heiligen  Zauber  und  Wunder  aller  Art,  und  zwar  thun  sie  das  hier 


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—    392  — 


Wenn  in  früheren  Jahrhunderten  das  Opfer  zum  Range 
einer  kosmogonischen  Potenz  emporgestiegen  war,  so  fand  jetzt 
ganz  dasselbe  mit  der  Macht  der  Busse  statt  Durch  sie 
soll  die  ganze  Welt  geschaffen  sein.  Das  Gesetzbuch  erzählt, 
Brahma  selbst  habe  sich  harten  Bussungen  unterzogen  und 
dadurch  den  Manu  hervorgebracht.  Dann  habe  wiederum  Manu 
die  schwerste  Busse  geübt  und  so  die  zehn  grossen  Weisen  ge- 
schaffen. Diese  wiederum  büssen  und  erschaffen  alle  Wesen, 
die  Götter,  die  verschiedenen  Himmel,  die  anderen  Heiligen  u.  s.  w. 
Man  sieht,  die  Busse  ist  das  eigentlich  schaffende  Princip  ge- 
worden. Auch  die  alten  Sänger  der  Vedahymnen  werden  jetzt 
zu  grossen  Büssern  umgestempelt,  und  Civa,  der  gewaltige  Gott, 
wird  als  ein  furchtbarer  Büsser  gedacht  und  dargestellt  Askese 
ist  die  höchste  Leistung  nicht  nur  für  Menschen,  sondern  selbst 
für  die  obersten  Götter.  Busse,  Askese  schafft  und  regiert  die 
Welt. 


durch  die  blosse  Kraft  ihrer  Heiligkeit,  —  da  Askese  bei  den  Buddhi- 
sten ja  nicht  geübt  wird.  Vieles  der  Art  findet  man  in  „Täranätha's 
Geschichte  des  Buddhismus  in  Indien",  übers,  von  A. Schiefner 
(Petersburg  1869).  Häutig  kommt  es  vor,  dass  die  Heiligen  oder  Arhant's 
in  Schaaren  weithin  durch  die  Luft  an  einen  beliebigen  Ort  fliegen; 
oder  sie  zaubern  die  wunderbarsten  Dinge  herbei,  nehmen  alle  mög- 
lichen Verwandlungen  mit  ihrem  Körper  vor  u.  dgl  m.  Die  Buddhisten 
wollten  sich  eben  in  Wunderdingen  nicht  von  den  Brahmanen  übertreffen 
lassen.  Merkwürdig  und  charakteristisch  i9t  —  nm  nur  dies  Beispiel 
anzuführen  —  ein  Wettstreit  in  Zauberkünsten  zwischen  Buddhisten  und 
Brahmanen,  der  bei  Taranatha  (p.  8  der  Uebers.)  berichtet  wird.  Es 
heisst  dort,  daas  der  in  Zauberkünsten  überaus  bewanderte  Brahmane 
Bharadväja  zur  Zeit  des  Königs  Aj&tacatru  nach  Magadha  gekommen 
sei,  um  mit  den  Bhikahu's,  d.  h.  den  buddhistischen  Mönchen,  in  Ver- 
wandlungen zu  wetteifern.  „Da  er  in  Gegenwart  des  Königs  und  der 
übrigen  Menschen  vier  Berge  aus  Gold,  Silber  Krystall  und  Lasurstein, 
auf  jedem  der  vier  Berge  vier  Edelsteinhaine  in  jedem  Hain  vier  Lotua- 
teiche,  angefüllt  mit  allerlei  Vögeln,  gezaubert  hatte,  zauberte  der  ehr- 
würdige Ananda  viele  wilde  und  unbändige  Elephanten,  diese  verzehrten 
die  Lotusse  und  zertraten  die  Teiche;  dann  entsandte  er  einen  heftigen 
Wind,  welcher  die  Bäume  niederwarf;  ein  Donnerkeil-Regen  vernichtete 
spurlos  die  Gehege  und  Berge.  Darauf  zeigte  der  ehrwürdige  Ananda 
fünfhundert  Körpergcstal hingen,  einige  gaben  Licht  von  sich,  andere 
Regen,  einige  vollzogen  die  vier  Bewegungen  in  der  Luft,  andere  Hessen 
von  oben  Feuer  flammen,  von  unten  Wasser  strömen,  und  nachdem  sie 
diese  und  andere  gemischte  Verwandlungen  gezeigt  hatten,  sammelte  er 
sie  wieder  In  sich.  Dem  mit  Jambhala  verwandten  Bharadväja  und  den 
übrigen  Menschenschaaren,  welche  gläubig  geworden  waren,  trug  er  die 
Lehre  wiederholt  vor  im  Laufe  von  sieben  Tagen  und  führte  Bharadväja 
an  der  Spitze  der  500  Brahmanen  und  andere  Menschen  80,000  in  die 
Wahrheit  ein."  Sie  überbieten  sich  also  in  Hexenmeisterstücken  und 
suchen  damit  die  Richtigkeit  ihres  Glaubens  zu  beweisen. 


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—   393  — 


Von  grossem  Interesse  sind  für  uns  die  Berichte  der  Griechen 
über  die  indischen  Asketen,  weil  sie  uns  in  allen  wesentlichen 
Punkten  die  Glaubwürdigkeit  der-  indischen  Darstellungen  be- 
stätigen. Die  indischen  Weisen1  —  so  erzählen  die  Griechen 
—  haben  das  schwerste  Leben.  Sie  werden  von  klein  auf  zur 
Weisheit  erzogen  und  leben  dann  als  erwachsene  Männer  „meist 
in  Hainen  in  einiger  Entfernung  von  den  Städten,  liegen  aif 
der  Erde,  bekleiden  sich  mit  Thierfellen,  essen  nichts  Lebendes, 
enthalten  sich  des  Beischlafes,  üben  viele  Standhaftigkeit  sowohl 
im  Ertragen  der  Schmerzen  wie  durch  Ausdauer,  indem  sie  un- 
bewegt den  ganzen  Tag  in  einer  Stellung  bleiben,  oder  lange 
Zeit  auf  einem  Beine  stehen,  und  fuhren  Gespräche  über 
wichtige  Gegenstände."  „Andere  Weise  zieuen,  mit  dem  Baum- 
wollengewande  bekleidet,  in  den  Städten  umher  und  lehren  und 
sind  meist  von  Schülern  begleitet  Die  meiste  Zeit  verweilen 
sie  auf  dem  Markte,  wo  sie  von  Vielen  um  Rath  gefragt  werden. 
Wieder  andere  leben  im  Walde,  unter  den  grossen  Bäumen, 
und  essen  nichts  als  Baumrinde  und  die  reifenden  Kräuter. 
Im  Sommer  ertragen  sie  nackt  die  brennende  Hitze 
des  Mittags,  und  den  Winter  bringen  sie  ebenso  die 
Regengüsse  aushaltend  unter  freiem  Himmel  zu."f 

.Megasthenes  sagt,  die  indischen  Weisen  seien  in  zwei 
Secten  getheilt,  die  Brahmanen  und  die  Sarmanen.  Mit  letzteren 
meint  er  offenbar  die  indischen  Qramana,  Asketen  und  religiöse 
Bettler,  brahmanische  wie  buddhistische.  Die  Brahmanen 
würden  höher  geachtet  als  die  Sarmanen,  da  sie  in  ihren 
Lehren  mehr  übereinstimmten.8  Für  die  geehrtesten  Sarmanen 
soll  Megasthenes  die  vXoßwc  oier  Waldbewohner  erklärt  haben, 
„die  m  Wäldern  lebten  von  Blättern  und  wilden  Früchten, 
mit  Kleidern  aus  Baumrinde,  ohne  Iiebesgenuss  und  Wein."4 

Als  die  Griechen  unter  Alezander  d.  Gr.  die  Stadt 
Takshacila  im  Indusgebiete  erreichten,  wurden  sie  durch  die 
seltsame  Erscheinung  solcher  weisen  Männer  in  Erstaunen  ge- 


1  Es  ist  charakteristisch  und  bemerkenswerte,  dass  sie  den  Griechen 
als  Weise  oder  Philosophen  (Gymnosophisten)  erschienen,  nicht  als  ein 
priesterlicher  Stand. 

1  8.  Dancker,  Gesch.  d.  Alt  III4  p.  321. 

'  Dancker,  a.  a.  ö.  p.  822. 

4  Nach  Strabo  15,  60  p.  713.  „Tobq  6h  raQ/uävas  (lies  HctOfiavao) 
xotQ  fib>  ivzijuotaxovc  vXofjlovq  <pt]olv  (b  Mevao&tvTjs)  Svo/ud\ea^ai. 
gwvrcrc  iv  talq  vXaig  unb  (pvXXmv  xal  xuQnüv  dypl&v,  da&rjroz  <pXoiwv 
öevÖQtliov,  <x(pQodiala>v  £a>(»2c  x*l  otvov."  Vgl.  Kaegi,  der  $igveda,  p.  132. 
Duncker  a.  a.  0.  p.  322. 


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-     394  — 


setzt.  Aristobulus  berichtet,1  er  habe  dort  zwei  Brahniauen 
gesehen,  die  sehr  geehrt  herumwandelten  und  auf  dem  Markte 
nehmen  konnten,  was  ihnen  gefiel.  „Unfern  der  Stadt  hätten 
sie  Standhaftigkeit  gelehrt,  indem  der  ältere  sich,  auf  der  Erde 
liegend,  der  Hitze  der  Sonne  und  danD  den  Regengüssen  aus- 
setzte; der  jüngere  aber  hätte  diesen  übertroffen,  indem  er  auf 
einem  Beine  stand  und  mit  beiden  Händen  ein  drei  Ellen 
langes  Holzscheit  emporhielt,  und  wenn  der  eine  Schenkel  er- 
müdet war,  stand  er  auf  dem  anderen,  und  so  fuhr  er  den 
ganzen  Tag  hindurch  fort.**  „Onesikritos  erzählt,*  er  habe 
fünfzehn  von  diesen  Weisen  südwärts  von  der  Stadt  gefunden, 
jeden  in  einer  anderen  Haltung,  den  einen  sitzend,  den  anderen 
stehend,  den  dritten  nackt  und  bis  zum  Abend  unbewegt  auf 
der  Erde  liegend.  Das  Schwerste  sei,  die  Hitze  zu  ertragen, 
die  um  Mittag  so  stark  sei,  dass  kein  Anderer  den  Boden  mit 
nacktem  Fuss  zu  betreten  vermöge.  —  Mandanis,*  welcher 
unter  ihnen  an  Alter  und  Weisheit  der  erste  war,  habe  gesagt: 
die  Lehre  sei  die  beste,  welche  die  Lust  und  den  Schmerz 
aus  der  Seele  entferne*'  u.  s.  w.4 

Alexandor  soll  ein  grosses  Interesse  an  diesen  merk- 
würdigen Männern  genommen  und  sich  sehr  bemüht  haben, 
einen  derselben  an  sich  zu  fesseln,  um  ihre  Lehren  kennen  zu 
lernen.  Es  gelang  ihm  dies  auch.  Kalanos,  einer  von  Denen, 
die  dort  bei  Takshacila  auf  den  Steinen  gelegen,  folgte  dem 
macedonischen  Eroberer,  obgleich  ihn  die  anderen  Weisen  des- 
wegen tadelten.  Merkwürdig  war  auch  der  Tod  dieses  Mannes. 
Es  heisst,  dass  er,  dem  Alezander  nach  Persien  gefolgt,  dort 
schwer  erkrankt  sei  „Alezander  habe  vergebens  versucht,  ihn 
von  dem  Entschluss  abzubringen,  sich  zu  verbrennen.  Zu 
schwach,  um  zu  gehen,  sei  Kalanos  zum  Scheiterhaufen  getragen 
worden,  nach  indischer  Weise  bekränzt  und  Hymnen  in  indischer 
Sprache  singend.  Und  als  der  Scheiterhaufen  entzündet  wurde, 
habe  er  mitten  in  den  Flammen  gelegen,  ohne  sich  in 
rühren.**6 

Megasthenes  berichtet,  dass  die  indischen  Weisen  sich 
nicht  nur  durch  Feuer  tödteten,  sondern  auch  indem  sie  sich 
in  Abgründe  und  Wasser  stürzten.   Doch  sagt  er  ausdrücklich, 


1  Bei  Strabo  p.  714. 
»  Bei  Strabo  p.  715. 

•  Bei  Aman,  Anab.  7,  2  und  Plutarch  Alex.  65  heisst  er  Dandamia. 

*  S.  Duncker,  a.  a.  0.  p.  305. 

5  So  enihlen  Arrian,  Onesikritos  und  Plutarch.  S.  Duncker, 
a.  a.  0.  p.  389. 


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—    395  - 


dass  der  Selbstmord  kein  Dogma  der  indischen  Weisen  sei  und 
dass  die,  welche  sich  selbst  tödteten,  für  übereilt  und  verwegen 
gehalten  würden.1 

So  lehren  uns  denn  die  Griechen  deutlich,  dass  im  vierten 
Jahrhundert  vor  Chr.  die  Askese  und  das  Emsiedlerwesen  in 
Indien  weitverbreitet  war,  und  ihre  diesbezüglichen  Mitthei- 
lungen stimmen  durchaus  zu  den  Angaben  der  indischen  Bücher. 


1  Duncker  a.  a.  0.  p.  390.  391.  Vgl.  zu  dem  Allem  auch  Lassen, 
Ind.  Alt  II»,  p.  705-714. 


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Achtundzwanzigste  Vorlesung. 


Die  Veränderung  in  den  ethischen  Anschauungen  und  Idealen.  Ent- 
sagung, Selbstlosigkeit,  Güte,  Müde,  Nachsicht  u.  s.  w.  Charakteristische 
Sprüche  als  Beispiele  für  diese  Anschauungen.  Die  Lehre  Ton  der 
Seelenwanderung  und  ihre  Beziehung  zur  Moral  Systematische  Aus- 
bildung und  Erweiterung  dieser  Lehre.  Die  Beinheitsvorschriften,  Speise- 

gesetze  u.  dgl.  m. 

In  unverkennbar  deutlichem  Zusammenhange  mit  der  das 
indische  Mittelalter  charakterisirenden  Richtung  auf  Weltflucht 
und  Askese  steht  die  ungeheure  Umwandlung,  welche  die 
ethischen  Anschauungen  und  Ideale  der  Inder  in  diesen 
Jahrhunderten  erfahren  haben.  Nicht  mehr  Besitz,  Reichthum, 
Genuss  des  irdischen  Glücks,  wie  in  der  alten  Zeit  sondern 
Entsagung  wird  jetzt  das  Losungswort  Vergänglich  sind  die 
irdischen  Güter,  vergänglich  alle  Lust,  die  sie  gewähren!  Leiden 
Bchliessen  sie  in  sich,  es  ist  nicht  werth,  sich  um  sie  zu  be- 
mühen! Dieser  Gedanke,  der  zuerst  in  den  Upanishaden  auf- 
taucht, den  dann  Buddha  der  Qakyasohn.  in  mächtigen  Worten 
gepredigt,  er  ist  auch  für  die  Ethik  der  Brahmanen  jetzt  der 
leitende  und  massgebende.  Sich  selbst  soll  man  hingeben  mit 
allen  seinen  Wünschen  und  Leidenschaften,  sich  opfern  für  das 
Wohl  der  anderen  Wesen.  Mit  den  vergänglichen  Gütern  suche 
man  unvergänglichen  Besitz  zu  erringen,  indem  man  Anderen 
Gutes  thut;  die  gute  That  aber  ist  ein  unvergänglicher  Schatz, 
der  auch  im  Tode  uns  treu  bleibt  Ein  jedes  Wesen  soll  der 
Mensch  anschauen,  als  wenn  er  es  selbst  wäre,  und  demgemass 
handeln,  so  durch  die  That  beweisend,  dass  er  die  hohe  Weis- 
heit der  Upanishaden  in  sich  aufgenommen,  die  uns  lehrt,  dass 
in  dir  und  mir  und  in  uns  Allen  derselbe  Ätman  lebt,  dass 
wir  in.  Wahrheit  nicht  von  einander  unterschieden,  dass  wir 

Alle  Eins  sind.1    Man  füge  Niemandem  Leid  zu,  Jedermann 

— — — ^ - 

1  Dies  der  Sinn  des  berühmten  tat  tvam  asi,  auf  welches  auch 
Schopenhauer  in  so  bestechender  Weise  seine  Moral  aufbaut. 

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-    397  — 

suche  man  Hülfe  und  Schutz  zu  gewähren.  Man  übe  Mitleid, 
Milde,  Güte  und  Nachsicht,  selbst  gegen  die  Bösen.  Man  sei 
fugsam  und  gehorsam.  Man  bezwinge  den  Zorn,  man  vergelte 
nicht  Böses  mit  Bösem.  Man  ertrage  die  Schmähung  und  handle 
freundlich  gegen  die,  die  uns  kränken! 

Wahrlich,  solche  Worte  sind  in  der  alten  Zeit  nicht  ge- 
sprochen worden!  Vergeblich  wird  man  auch  nur  annähernd 
Aehnliches  im  Rigveda  oder  in  den  Yajurveden  suchen.  Es 
ist  eine  völlig  neue  Zeit,  die  in  diesen  Gedanken  sich  aus- 
spricht Es  war  zu  den  Alten  gesagt:  Auge  um  Auge,  Zahn 
um  Zahn,  aber  jetzt  gilt  eine  neue  Lehre,  —  das  ist  die 
liebende,  leidende,  duldende  und  tragende  Moral  des  indischen 
Mittelalters. 

Es  springt  in  die  Augen,  wie  sehr  in  allen  wesentlichen 
Zügen  diese  neue  Ethik  der  Brahmanen  mit  der  der  Buddhisten 
übereinstimmt,  es  ist  aber  nicht  ganz  leicht,  die  Beziehung 
beider  zu  einander  präcise  zu  bestimmen.  Oft  gleichen  die 
Moralsprüche  der  brahmanischen  Bücher  fast  Wort  für  Wort 
deuen  der  buddhistischen.  Die  ersten  Keime  und  Anfänge 
dieser  Gedanken  finden  sich  jedenfalls  schon  in  den  Torbuddhi- 
stischen Werken  der  Brahmanen.  Dann  sind  sie  von  Buddha 
machtvoll  erfasst,  vertieft  und  begeistert  verkündigt,  und  wohl 
liegt  die  Vermuthuug  nicht  so  ferne,  dass  die  Predigt  des 
Qäkyasohnes  auch  auf  die  ethischen  Lehren  der  Gegner  nicht 
ohne  Einfluss  gewesen,  dass  auch  die  Brahmanen  im  gleichen 
Sinne  ihr  System  immer  mehr  und  mehr  vertieften.  Eins 
müssen  wir  jedenfalls  behaupten:  Die  Ethik  des  Buddha  und 
die  neue  Ethik  der  Brahmanen,  sie  tragen  den  Stempel  ein 
und  derselben  Zeit,  sie  sind  aus  demselben  Geiste  geboren,  — 
dem  Geiste  des  indischen  Mittelalters. 

Wie  nach  den  glänzenden,  freudigen  Tagen  des  hellenisch- 
römischen Alterthuni8,  nach  Zeiten  des  Ruhmes,  Sieges  und 
Genusses  die  alte  Welt  in  ihren  innersten  Fugen  erschüttert 
ward,  überall  Bussprediger  auftauchten,  Entsagung,  Flucht  von 
der  Welt  predigend,  und  das  Wort:  „Liebet  eure  Feinde !M  er- 
scholl, —  so  hier  in  Indien  zu  der  Zeit,  wo  die  alten  Ideale 
des  Lebens  und  Strebens  nach  Besitz,  Sieg  und  Herrschaft  als 
ungenügend  erkannt  sind,  wo  die  Menschen  gleichsam  er- 
schrecken über  die  Thorheit  ihres  bisherigen  Wollens  und  voll 
Schmerz,  Enttäuschung  und  Ekel  einen  neuen,  ganz  neuen  Weg 
zum  Heile  und  inneren  Frieden  suchen. 

Lassen  Sie  mich  nun  noch  einige  Sprüche  aus  brahmani- 
schen Werken  dieser  Periode  anführen,  die  Ihnen  die  vorhin 


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398  — 


allgemein  ausgesprochenen  moralischen  Lehren  näher  erläutern 

und  lebendiger  vorfuhren  werden. 

Vergänglich  sind  die  irdischen  Güter,  —  das  ist  die  erste 

Erkennt  niss,  die  den  Menschen  zur  Einkehr  in  sich  selbst 

treibt.    S«  heisst  es  z.  B.  in  dem  geistvollen  Spruchwerke  des 

Bhartrihari1: 

„Reizend  sind  des  Mondes  Strahlen,  reizend  der  Grasplatz  im 
Walde,  reizend  das  Glück,  das  aus  dem  Umgange  mit  Guten  hervorgeht 
reizend  die  Erzählungen  in  den  Werken  der  Dichtkunst,  reizend  der 
Geliebten  Antlitz,  das  von  den  Thranen  tropfen ,  die  der  Zorn  hervor- 
lockte,  erzittert;  Alles  ist  reizend,  hat  aber  der  Geist  die  Vergänglich- 
keit dieser  Dinge  erkannt,  so  ist  nichts  mehr  reizend.4' 

m 

Und  ferner2: 

„Das  Haus  ist  hoch,  die  Söhne  sind  von  Edlen  geachtet,  das  Ver- 
mögen unzählbar,  die  Geliebte  schön,  die  Jugend  im  ersten  Beginnen; 
so  sagt  der  durch  Unwissenheit  bethörte  Mensch  zu  sich,  hält  Alles  für 
unverfänglich  und  begiebt  sich  in  das  GefaDgniss,  das  Welt  heisst;  der 
Glückliche  aber,  der  erkannt  hat,  dass  alles  Dieses  nach  einem  Augen- 
blick zusammenstürzen  kann,  entsagt  der  Welt  und  ergiebt  sich  dem 
beschaulichen  Leben." 

Oder  auch8: 

„Die  Gegenstände  des  Sinnengenusses  gehen,  wenn  sie  auch  längere 
Zeit  bei  uns  verweilen,  doch  nothwendig  einst  von  dannen.  Was  fttr 
ein  Unterschied  ist  es,  wie  sie  sich  trennen,  dass  der  Mensch  sie  nicht 
selbst  fahren  lasst?  Gehen  sie  von  selbst  davon,  so  bereiten  sie  dem 
Herzen  unsäglichen  Schmerz,  giebt  man  sie  dagegen  freiwillig  auf,  so 
gewähren  sie  das  unendliche  Glück  der  inneren  Ruhe.4* 

Die  Unstätheit  und  Vergänglichkeit  aller  irdischen  Güter 
soll  uns  mahnen,  nach  Möglichkeit  Anderen  damit  Gutes  zu 
thun.   So  heisst  es  in  dem  bekannten  Fabelwerk  Hitopadega4: 

„Der  Kluge  gebe  Belchthümer  und  Leben  für  einen  Andern 
hin.  Da  Beides  doch  einst  nothwendig  zu  Grunde  geht,  so  ist  es  besser, 
dass  sie  für  eine  gute  Sache  geopfert  werden." 

Und  an  einer  anderen  Stelle5: 

„Das  Leben  der  Menschen  ist  so  unstät  wie  das  Bild  des  Mondes 
im  WasBer;  hat  man  Solches  erkannt,  so  übe  man  stets  Gutes." 

Und  derselbe  Text  mahnt  uns6: 

„Wie  dir  selbst  das  Leben  lieb  ist,  so  auch  den  übrigen  Geschöpfen; 

1  3,  80;  Ind.  Spr.  2590.  Die  Uebersetsung  dieses  und  der  folgenden 
Sprüche  ist  Böhtlingk's  Indischen  Sprüchen 
1  Bhartrih.  3,  21  (Ind.  Spr.  1039). 

*  Bhartrih.  3,  13  (Ind.  Spr.  243). 

*  Hit  lf  38  (Ind.  8pr.  1297). 

•  Hit  4,  127  (Kam.  Nitis.  3,  12;  Ind.  Spr.  946). 

•  Hit.  1,  10  Ond.  Spr.  1895). 


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—   399  — 

edle  Menschen  üben  gegen  Jedermann  Mitleiden,  Indem  fle  aber  all 

sich  selbst  sehen." 

Und  wieder  an  einer  anderen  Stelle1  heisst  es: 

„Manner,  die  sich  jeglicher  Leidsufügung  enthalten,  Alles  geduldig 
ertragen  und  Jedermann  Schutz  gewahren,  gehen  in  den  Himmel  ein.44 

Ja  sogar1: 

„Gute  üben  Mitleid  auch  gegen  Geschöpfe,  die  keine  Vorzüge  be- 
sitzen.  Der  Mond  entzieht  ja  nicht  sein  Licht  der  Hatte  des  Pariah." 

Hohe  und  schöne  Lehren  dieser  liebenden  und  duldenden 

Moral  finden  wir  auch  in  dem  grossen  Epos  der  Inder,  dem 

Mahabharata,  ausgesprochen.   So  heisst  es  z,  B.  sehr  schön9: 

„Den  Habsüchtigen  gewinne  man  durch  Freigebigkeit,  den  Lügner 
durch  Wahrheit,  den  rohen  Uebeithater  durch  Nachsicht,  den  Bösen 
durch  Gate.44* 

Und  ferner6: 

„Wer  den  Zorn  zurückhält,  wer  Beleidigungen  ruhig  ertragt  und 
wer,  von  Anderen  gepeinigt,  nicht  wieder  peinigt,  der  ist  ein  festes  Ge- 
fias  für  die  Glücksgüter  (d.  L  dem  fallen  alle  Glücksgüter  au)." 

Den  Zorn  sollen  wir  völlig  bezwingen.    Das  Mahabharata 

sagt": 

„Wer  den  ausgebrochenen  Zorn  in  aller  Ruhe  abschüttelt,  der  hat, 
dies  wisse,  o  Devayanl,  diese  ganze  Welt  erobert" 

Ja  es  heisst  sogar7: 

„Fragt  man,  wer  höher  stehe,  derjenige,  der  unermüdlich  jeden 
Monat  hundert  Jahre  hindurch  opfert,  oder  derjenige,  der  Niemand 
zürnt,  so  lautet  die  Antwort:  Derjenige,  der  nimmer  sttrnt." 

Das  Gesetzbuch  des  Manu8  sagt: 

„Man  soll  Niemand  einen  Schmerz  bereiten,  selbst  wenn  man  be- 
leidigt worden  wäre;  man  soll  keine  Feindschaft  gegen  den  Nächsten  an 


'  Hit.  1,  58  (Ind.  Spr.  3215). 
1  Hit  1,  56  (Ind.  fyr.  1605). 
3  Mhbh.  3,  13253  (Ind.  Spr.  942). 

'  Sehr  ähnlich  im  buddhistischen  Dhammapada  223.  Vgl.  oben 
p.  282.   8.  auch  die  übernächste  Anm. 

•  Mhbh.  1  3323  (Ind.  Spr.  2451). 

•  Mhbh.  1,  3321  (Ind.  Spr.  2454).  —  Man  vgl.  auch  den  Spruch 
Mhbh.  1,  3820  (Ind.  Sur.  2453):  „Wer  den  ausgebrochenen  Zorn  wie  ein 
Robb  zurückhält,  den  nennen  Weise  einen  Wagcnlenker,  nicht  den,  der 
die  Zügel  schiessen  lasst "  Und  damit  stimmt  wiederum  merkwürdig 
überein  der  Spruch  Dhammap.  222:  „Wer  den  Zorn,  der  sich  in  ihm 
erhebt,  in  der  Gewalt  halt,  wie  einen  rollenden  Wagen,  den  nenne  ich 
den  wahren  Wagenlenker;  ein  Anderer  ist  nichts  als  ein  Zügelhalter." 
(Oldenb.  p.  298). 

7  Mhbh.  1,  3324  lind.  Spr.  2555). 

•  Manu  2,  161  (Ind.  Spr.  1553). 
. 


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—   400  — 

den  Tag  legen,  weder  durch  die  That  noch  in  Gedanken,  man  soll  kein 
unangenehme!»  Wort  aussprechen,  durch  das  der  Andere  sich  gekrankt 
fohlen  könnte.'4 

Und  wieder  im  Mahäbharata1  heisst  es: 

„Harte  Worte  ertrage  er  (der  Asket)  geduldig,  Niemanden  achte 
er  gering;  wird  er  gereUt,  so  sage  er  etwas  Liebes;  wird  er  geschmäht, 
so  spreche  er:  Es  ergehe  dir  wohl!'4 

Also:  Segnet»  die  euch  fluchen  1 

Welch  ein  ungeheurer  Fortschritt  in  dieser  Moral  gegenüber 
der  einer  früheren  Zeit!. 

Fest  verwachsen  mit  den  ethischen  Anschauungen  des  in- 
dischen Mittelalters  und  von  hervorragender  Bedeutung  für 
dieselben  war  der  Glaube  an  die  Seelenwanderung. 

Diese  Theorie  verdankt,  wie  wir  früher  gesehen  haben, 
ihren  Ursprung  der  unmittelbar  vorausgehenden  Epoche  und 
war  zu  Buddha'8  Zeit  bereits  ziemlich  weit  verbreitet  und  in 
den  geistig  leitenden  Kreisen  allgemein  angenommen.  Gleich 
zu  Anfang  oder  doch  schon  früh  hatte  sich  dieselbe  mit  den 
Vorstellungen  von  Schuld  und  Strafe  eng  verbunden.  Man 
glaubte,  dass  die  Qualität  der  Existenz  eines  Menschen  nach 
dem  Tode,  —  der  irdischen  wie  der  himmlischen,  denn  durch 
beide  Bereiche  erstreckte  sich  der  Kreislauf  der  Geburten  — 
bestimmt  würde  durch  die  Qualität  seines  Handelns  im  Leben. 
„Wie  er  gehandelt,  wie  er  gewandelt,  so  wird  er  —  sagte  schon 
das  Catapatha  Brähmana  —  wer  Gutes  that,  wird  zum  guten 
Wesen,  wer  Böses  that,  zum  bösen;  rein  wird  er  durch  reine 
That,  böse  durch  böse  That"  u.  a.  w.  Das  ist  die  Lehre  vom 
Karman,  von  der  bestimmenden  Macht  der  Thai  Diese  Lehre 
wird  nun  in  der  nachbuddhistischen  Zeit,  im  Mittelalter,  sehr 
viel  weiter  ausgebildet  und  entwickelt  Der  grübelnde  Geist 
der  Inder,  dem  Schematisiren  und  Systematisiren  fast  leiden- 
schaftlich ergeben,  baute  sich  jetzt  allmählich  ein  grosses, 
complicirtes  System  der  Wiedervergeltung  durch  die  Art  der 
künftigen  Existenz  auf.  Für  die  scheinbar  oft  so  grosse  Un- 
gerechtigkeit im  Leben  des  Einzelnen  bot  sich  hier  ein  ganz 
überraschender  Erklärungsgrund.  Wer  unschuldig  zu  leiden 
schien,  von  dem  Hess  sich  alsbald  annehmen,  dass  er  dies  in 
einer  früheren  Existenz  verschuldet;  wem  es  ohne  Verdienst 
gut  ging,  der  hatte  —  so  meinte  man  —  dies  wohl  durch 
seine  Thaten  in  einem  früheren  Leben  verdient.    Wo  unsere 


1  Mhbh.  12,  9972  (Ind.  Spr.  3410).  Mehr  Beispiele  ähnlicher  Sitten- 
sprQche  findet  man  unten  iu  Vorlesung  XLV. 


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—    401  — 


theologischen  Denker  mit  dem  Begriff  der  Erbsünde  operiren, 
da  hat  der  Inder  die  frühere  Geburt  zur  Erklärung  bereit, 
und  diese  Erklärung  —  mag  man  im  Uebrigen  noch  so  viel 
dagegen  einwenden  —  hat  den  Vorzug  der  grösseren  Gerechtig- 
keit für  sich  und  musste  schon  aus  diesem  Grunde  anziehen 
und  überzeugend  wirken.  Dabei  ist  es  von  grosser  Wichtigkeit, 
dass  diese  Lehre  durchaus  nicht  etwa  ein  Theorem  der  Moral- 
philosophen geblieben,  Bondern  tief  in  das  Bewusstsein  und  die 
Empfindung  des  indischen  Volkes  eingedrungen  ist  und  darin 
fest  wurzelt  bis  auf  den  heutigen  Tag. 

Dieser  Glaube  —  wennschon  ein  Irrthum  —  hat  unleugbar 
seine  grosse  sittliche  Wirkung!  Denn  er  bringt  deu  Menschen 
dazu,  die  Ursache  des  Unglücks,  das  ihn  trifft,  in  sich  selbst, 
in  seinem  eignen  Wesen  und  Thun  zu  suchen,  sie  macht  ihn 
demüthig  und  ergeben. 

Ist  es  nicht  rührend,  wenn  z.  B.  die  reine,  schuldlose 
Damajanti,  im  Elend  umherirrend,  von  immer  neuen  schweren 
Schicksalsschlägen  getroffen,  dennoch  nicht  murrt  und  zürnt, 
sondern  meint:  Das  muss  ich  doch  wohl  Alles  selbst  in  einer 
früheren  Existenz  verschuldet  haben! 

An  die  eigene  Brust  schlägt  also  hier  der  Mensch,  statt 
Andere  oder  das  Schicksal  anzuklagen,  wie  das  sonst  wohl 
üblich  ist  —  Sehen  wir  uns  dies  System  der  Vergeltung  noch 
etwas  näher  an! 

Zwischen  dem  höchsten  Lohn,  dem  Eingehen  in  das 
Brahman,  und  der  schwersten  Strafe,  dem  Versinken  in  eine 
der  Höllen,  lag  eine  unabsehbare  Reihe  verschiedener  belebter 
und  unbelebter  Existenzen,  die  einem  Jeden  nach  Maassgabe 
seiner  Thaten  zu  Theil  werden  konnten,  von  den  Göttern  und 
Heiligen  an,  durch  die  verschiedenen  Stände  und  Ordnungen 
der  Menschen,  Brahmanen,  Krieger,  Vaicja,  Qüdra,  die  Mleccha 
oder  barbarischen  Völker  und  all  die  zahllosen  Thierordnungen 
hindurch  bis  hinab  zu  den  Pflanzen,  Steinen  und  anderen  leb- 
losen Gegenständen.  Aus  dem  Brahman  waren  sie  alle  — - 
direct  oder  indirect  —  ausgeströmt,  zum  Brahman  strebten  sie 
wieder  zurück.  Aber  nur  wer  die  höchste  Stufe  der  Reinheit 
und  der  Erkenntniss,  der  Loslösung  von  dem  Irdischen  erlangt 
hatte,  war  im  Stande  dies  höchste  Ziel  zu  erreichen,  ganz  und 
für  immer  in  dem  höchsten  unpersönlichen  Brahman  zu  ver- 
wehen. Die  Anderen  durften  höchstens  hoffen,  nach  dem  Tode 
eine  oder  einige  Stufen  höher  zu  steigen,  liefen  aber  beständig 
Gefahr,  durch  irgend  welchen  Fehltritt  tief  unter  das  bereits 
erreichte  Niveau  zu  sinken. 

v.  Schröder,  Indiens  LH.  «.  Colt.  26 

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-   402  — 

Wer  ein  gerechtes,  fromme«  Leben  geführt,  alle  Satzungen 
wohl  erfüllend,  ohne  doch  die  höchste  Erkenntnis  zu  erreichen, 
konnte  für  eine  bestimmte  Zeit  in  die  Seligkeit  des  Mondes, 
in  den  Himmel  des  persönlichen  Brahman  gelangen.  War  das 
Verdienst  seiner  Werke  dort  aufgezehrt,  so  kehrte  er  nieder 
in  andere  Existenzen  zur  Erde  zurück.  Tapfere  Krieger,  Könige 
und  Helden  gingen  in  den  Himmel  des  Indra  ein,  aber  immer 
nur  für  bestimmte  Zeit,  denn  der  Kreislauf  der  Geburten 
konnte  damit  nicht  abgeschlossen  sein.  Der  Krieger  musste 
erst  noch  zum  Brahmanen  emporsteigen,  ehe  er  das  höchste 
Ziel  erstreben  konnte;  der  Vaicya  musste  erst  Krieger,  der 
£üdra  Vaicya  geworden  sein  und  dann  so  weiter  fort  auf  der 
Stufenleiter  der  Existenzen.  Glücklich  Derjenige,  dem  es  gelang 
überhaupt  empor  zu  steigen.  Schon  geringere  Sündhaftigkeit 
konnte  es  bewirken,  dass  er  hinabstieg,  dass  er  als  Qudra  oder 
Glied  einer  anderen,  noch  verach toteren  Menschenklasse  oder 
als  eines  der  besseren  Thiere,  als  Elephant,  Löwe,  Tiger,  Eber 
oder  Vogel  wiedergeboren  wurde.1  Schlimmere  Thaten  ver- 
setzten ihn  in  die  vegetabilische  Welt  oder  brachten  ihn  in 
eleu  Leib  verachteter  Thiere,  wie  Esel,  Hund,  Fisch,  Schlange, 
Schakal,  Schildkröte,  Frosch,  Ratte,  Insect,  Wurm  u.  dgl.  m.Ä 
Wer  sich  Grausamkeiten  zu  Schulden  kommen  liess,  wurde  als 
reissendes  Thier  wiedergeboren;3  wer  eine  Kuh  geraubt,  als 
Eidechse  oder  Krokodil;4  wer  Früchte  und  Wurzeln  gestohlen, 
als  Affe:f>  wer  Korn  gestohlen,  als  Maus;*  wer  Honig  gestohlen, 
als  Stechfliege;7  wer  Milch,  als  Krähe;8  wer  Fleisch,  als  Geier;9 
wer  verbotene  Speise  gegessen,  als  Wurm10  u.  dgL  m.  Wer 
ein  schweres  Verbrechen  begangen,  sinkt  in  die  Hölle,  um  dort 
lange  Jahre  hindurch  gemartert  zu  werden.  Das  schwerste 
Verbrechen  ist  Brabmanenmord.  Hat  Einer  auch  nur  den  Ver- 
such gemacht,  einen  Brahmanen  zu  tödten,  so  soll  er  hundert 
oder  tausend  Jahre  in  der  Hölle  gepeinigt  werden,  je  nachdem, 
wie  weit  er  dabei  gekommen.  Ist  Blut  dabei  geflossen,  so 
bleibt  er  so  viel  tausend  Jahre  in  der  Hölle,  als  das  Blut  des 
Brahmanen  Sandkörner  berührt  hat.11  Hat  der  Sünder  sein 
Verbrechen  in  der  Hölle  gehörig  gebüsst,  so  beginnt  er  aufs 
Neue  den  Kreislauf  der  Geburten  als  eines  der  niedrigsten 


1  Vgl.  Manu  12,  43.  44.  YftjSa?.  3,  134.  135.  *  Vgl.  Manu  12, 
42.  55.  58.  64.  65.  Yajn.  3,  136.  207  flg.  4  Manu  12,  59.  4  Manu 
12,  64.  Yajn.  3,  215.  *  Manu  12,  67.  Yajfi.  3,  214.  •  Manu  12,  62. 
Yajn.  3,  214.  '  Manu  12,  62.  Yajfi.  8,  215.  •  Manu  12,  62.  Yajn. 
3,  214.  •  Manu  12,  63.  Yagfi.  3,  215.  10  Manu  12,  59.  »•  Manu  . 
11,  206.  207. 


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—   403  - 


Thiere  oder  Mitglied  der  verworfensten  Menschenklasse,1  und 
wieder  lag  eine  lange  Reihe  elender  Existenzen  vor  ihm,  die 
er  zu  durchwandern  hatta* 

Es  war  eine  furchtbare  Vorstellung,  dieses  endlose,  ruhe- 
lose Wandern  durch  undenkliche  Zeiträume  hindurch,  wohl  ge- 
eignet, zum  Gehorsam  gegen  das  als  göttlich  verkündete  Gesetz 
zu  mahnen.  Das  Gesetzbuch  des  Manu  ruft  dem  Sünder  zu, 
wohl  zu  bedenken,  in  welche  Qualen  er  sich  selbst,  resp.  seine 
Seele  stürzen  könne:  JEr  gedenke  der  Wanderung  seiner  Seele 
durch  tausend  Millionen  von  Mutterschössen !M  3 

Gerade  fiir  den  Geist  des  ruheliebenden  und  ruhesuchen- 
den Inders  war  diese  Vorstellung  schon  schrecklich  genug,  nicht 
zu  gedenken  der  fürchterlichen  Höllenqualen,  die  bei  schwereren 
Vergehen  eintraten,  und  die  die  Phantasie  der  Inder  des  Mittel- 
alters aufs  Aeusserste  zu  steigern,  mit  dem  grössten  Raffinement 
auszumalen  wusste,  wie  die  Geistlichkeit  Aehnliches  ja  auch  in 
unserem  Mittelalter  sehr  wohl  verstand  und  als  Schreckmittel 
benutzte.  Das  Gesetzbuch,  des  Manu  kennt  eine  ganze  Menge  (21) 
Höllen  mit  verschieden  abgestuften  Qualen.4  Da  giebt  es  den 
Ort  der  Finsterniss  und  den  Wald,  dessen  Blätter  Schwerter- 
klingen sind  u.  dgl.  m.ft  Die  Seelen  der  Verbrecher  werden 
von  Krähen  und  Eulen  zerfleischt  oder  in  Töpfen  gesotten;  sie 
müssen  glühend  heissen  Sand  verschlingen  und  noch  viel  andere 
furchtbare  Qualen  erdulden.6 

Alle  diese  Vorstellungen  mussten  wohl  die  Gemüther  der 
Menschen  mit  scheuem  Bangen  erfüllen  und  ihnen  unbedingten 
Gehorsam,  völlige  Fügsamkeit  gegenüber  der  bestehenden  Ord- 
nung als  einzige  Rettung  erscheinen  lassen. 

Aber  es  war  wirklich  keine  leichte  Aufgabe,  dieser  be- 
stehenden Ordnung  allseitig  gerecht  zu  werden,  denn  eine  Un- 
masse von  einzelnen  Vorschriften,  Bestimmungen  und  Geboten, 
die  sich  in  den  Gesetzbüchern  vorfinden,  regeln  das  Leben  des 
brahmanischen  Inders,  zwängen  sein  ganzes  Thun  und  Sein  fast 
auf  jedem  Schritt  in  enge  Schranken  hinein,  die  er  nicht  miss- 
achten darf,  wenn  er  sich  nicht  einer  Pflichtverletzung,  einer 


1  Vgl.  Manu' 12,  54  flg. 

*  Ein  Brahmanenmorder  wird  dann  als  Hund,  Eber,  Esel,  Cancjala 
u.  dgl.  wiedergeboren;  ein  Brabmane,  der  geistige  Getränke  getrunken, 
als  Wurm,  Iosect  u.  dgl.;  wer  das  Bett  seines  Lehrers  befleckt  batte, 
soll  hunderte  von  Malen  als  Gras,  Busch,  fleischfressendes  Thier  u.  dgl. 

.  geboren  werden.   Vgl.  Manu  12,  55-58. 

•  Vgl  Manu  6,  63.  *  Vgl.  Manu  4,  87-90.  12,  76  flg.  *  Manu 
12,  75.      •  Manu  12,  76. 

26* 


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Sünde  schuldig  machen  will.  Wie  sehr  der  Inder  des  Mittel- 
alters umgehen  war  von  Gefahren,  in  Sünde  zu  gerathen,  wie 
ängstlich  er  über  sich  wachen  musste,  um  nicht  der  Früchte 
seiner  guten  Handlungen  verlustig  zu  gehen,  kann  uns  das 
Beispiel  der  Reinigungsvorschriften  und  Speisegesetze  zeigen. 

Einiges  von  diesen  Vorschriften  mag  wohl  schon  in  hohes 
Alterthum  zurückreichen.  Dafür  spricht  die  Uebereinstimmung, 
die  wir  in  manchen  hierhergehörigen  Punkten  zwischen  Indern 
und  Iraniern  wahrnehmen,  so  namentlich  die  eigentümliche 
Rolle,  welche  dem  Urin  und  den  Excrementen  der  Kühe  bei 
den  Reinigungen  zugewiesen  ist.  Es  unterliegt  indessen  keinem 
Zweifel,  dass  die  eigentliche  Ausbildung  des  Systems  von  den 
Befleckungen  und  Reinigungen  durchaus  erst  dem  indischen 
Mittelalter  angehört  und  dass  die  Vorschriften  darüber  erst  in 
dieser  Zeit  eine  grosse,  weitreichende  Bedeutung  gewannen, 
beständig  aufs  Wirksamste  unterstützt  durch  die  Androhung 
von  Schädigung  und  Strafe,  die  den  Verächter  dieser  Bestim- 
mungen wie  auch  den  Fahrlässigen  nach  dem  Tode  in  einer 
künftigen  Existenz  sicher  ereilen  werde,  falls  nicht  die  nöthige 
Reinigung  und  Sühnung  für  das  Vergehen  stattgefunden. 

Die  körperliche  Berührung  mit  unreinen  Dingen  soll  streng- 
stens gemieden  werden.  Daher  darf  man  nicht  in  der  Nähe 
von  Excrementen,  Blut,  Schleim,  Speichel,  gebrauchten  Salben 
oder  Badewasser  stehen 1  oder  gar  auf  dergleichen  Dinge  treten, * 
denn  sie  sind  unrein.  Man  darf  nicht  stehen  auf  Haar,  Asche, 
Knochen,  Topfscherben  oder  Spreu.3  Daher  schliesst  eigentlich 
jeder  Schritt,  jede  Bewegung  die  Gefahr  einer  Verunreinigung, 
resp.  Versündigung  in  sich.4  Dinge,  die  mit  Unreinem  in  Be- 
rührung gekommen,  sind  selbst  unrein.  Es  muss  daher  die 
grosste  Sorgfalt  darauf  verwendet  werden,  Alles,  was  man  be- 
rührt, vorher  von  eventueller  Befleckung  zu  reinigen,  zu  sühnen. 
Dies  geschieht  durch  Waschen  mit  Wasser,  Abreiben  mit  Kuh- 
haaren,  durch  Fegen,  Besprengen  mit  Kuhurin  und  Bewerfen 
mit  Kuhmist  u.  a  m.6 


1  Vgl.  Manu  4,  132. 
»  Vgl.  YajÄ.  1,  162. 

•  Vgl.  Manu  4,  78.  YajÄ.  1,  189. 

4  Uebrigens  liegt  aber  eine  bedeutende  Milderung  der  Gefahr  in 
der  Angabe  der  Gesetzbücher,  dasa  Dinge,  von  deren  Unreinheit  man 
nichts  weiss,  in  der  That  nicht  verunreinigen  sollen.  Vgl.  Manu  4,  127. 
YajÄ.  1,  191. 

•  Genaue  Regeln  darüber,  bei  welchen  Gegenständen  diese  oder 
jene  Reinigung  vorzunehmen  ist,  finden  sich  bei  Manu  5,  111—126; 
Yajn.  1,  182-191. 


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-   405  — 

För  sehr  unrein  gilt  ein  Leichnam.  Stirbt  daher  Jemand, 
so  ist  die  Familie  eine  Zeitlang  unrein.  Sie  müssen  drei  Tage 
lang  baden,  dürfen  kein  Fleisch  essen  und  müssen  von  einander 
gesondert  auf  der  Erde  schlafen.1  Je  nach  der  Natur  des 
Falles,  und  dem  Charakter  der  betheiligten  Personen  ist  die 
Zeit  der  Unreinheit  verschieden  normirt  Im  Allgemeinen  wird 
der  Brah oaane  nach  zehn  Tagen  wieder  rein,  der  Kshatriya 
nach  zwölf,  der  Vaicja  nach  fünfzehn  und  der  Qudra  nach 
dreissig  Tagen.*  Unrein  wird  man  durch  die  Berührung  einer 
Frau,  die  ihre  Regeln  hat,  oder  eines  unreinen  Menschen,  Paria 
u.  dgL;  oder  auch  eines  solchen  Menschen,  der  von  Jenen  be- 
rührt worden  ist  Bäder,  Wasserschlürfen,  Gebete,  speciell  die 
heilige  sogenannte  Gayatri  (RV  3,  62,  10)  machen  den  Mann 
wiederum  rein.8  Haare-  und  Nägel  des  Zweimalgeborenen  müssen 
beschnitten  sein,  er  darf  dies  aber  nicht  selbst  thun,  da  es  ihn 
verunreinigen  würde.4  Er  darf  auch  nicht  die  Nägol  mit  den 
Zähnen  abbeissen,6  darf  nicht  mit  den  Zahnen  knirschen,6  nicht 
aus  einer  zerbrochenen  Schüssel  essen7  u.  dgl.  m.  Die  Art, 
wie  er  seine  Ausleerungen  vornehmen  soll,  wie  und  in  welcher 
Weise,  mit  welchen  Theilen  der  Hand  oder  des  Fingers  er  die 
reinigenden  Abwaschungen  zu  verrichten  hat,  das  Alles  und 
vieles  Andere  ist  genau  geregelt. 

Eine  Unachtsamkeit  in  irgend  einer  Richtung  kann  alsbald 
den  bösen  Geistern  Gewalt  über  den  Menschen  geben,  wie  ein 
solches  Vorkommniss  z.  ß.  in  der  Geschichte  des  Nal  eine 
Rolle  spielt8 

Verunreinigung  und  Sünde  kann  der  Mensch  auch  durch 
den  Genuas  gar  mancher  Nahrungsmittel  auf  sich  laden,  und 
es  waren  vielerlei  Beschränkungen,  die  die  Brahmauen  in  dieser 
Hinsicht  aufstellten. 


1  Vgl.  Manu  6,  73;  8.  auch  YftjS.  3,  16. 

•  VgL  Manu  5,  83,  YajS.  3,  18.  22.  -  Näheres  siehe  bei  Manu 
5,  59-83.   Yajü.  3,  16  flg. 

•  Tgl.  Manu  5,  85.  86.   YajS.  3,  30. 

4  8.  Manu  4,  69.   Das  Geschäft  soll  von  einem  Manne  niederer 
Kaste  verrichtet  werden. 
8  Mann  4,  69.  71. 
0  Manu  4,  64. 
'  &  Manu  4,  65. 

•  Der  höbe  Geist  Kali  verweilt  lange  in  der  Nähe  des  König  Nal, 
ohne  ihm  etwas  anhaben  zu  können,  bis  im  zwölften  Jahre  Nal  eines 
Tages  eine  vorschriftsmassige  Reinigung  der  Füsse  sub  Unachtsamkeit 
unterlasst.  Da  dringt  Kali  in  ihn  ein,  er  kann  sich  seiner  nicht  er- 
wehren und  jahrelanges  Elend  kommt  über  ihn.   Nalop.  7,  2.  3. 


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—    406  — 

In  der  alten  Zeit  war  von  Speisegesetzen  kaum  die  Rede. 
Wir  finden  nur  einen  Anfang  dazu  im  Yqurveda,  wo  bei  der 
Vorbereitung  zum  Opfer  der  Genuss  von  Fleisch,  Bohnen  u.  dgl. 
verboten  wird.  Jetzt  aber  wird  solchen  Verboten  eine  ganz 
andere  Ausdehnung,  eine  ganz  andere  Bedeutung  gegeben. 

Offenbar  in  Zusammenhang  mit  der  allgemeinen  ethischen 
Richtung,  gemäss  welcher  die  Schonung  alles  Lebendigen,  Mit- 
leid mit  jedem  Wesen,  „NichtVerletzung*'  (ahimsA)  anbefohlen 
wurde,  sowie  wohl  auch  unter  dem  Einfluss  des  immer  mäch- 
tiger wirkenden  Glaubens  an  die  Seelenwanderung,  nach  wel- 
chem in  den  Thieren  eventuell  auch  Seelen  unserer  Vorfahren, 
Freunde  u.  s.  w.  stecken  können,  wurde  jetzt  im  Prinzip  jede 
Fleischnahrung  perhorrescirt  und  insbesondere  die  Jagd  zu 
einem  durchaus  sündlichen  Thun  gestempelt,  vor  welchem  der 
Fromme  zurückschaudern  musste. 

Indessen  war  es  den  Brahmanen  nicht  möglich,  die  Ent- 
haltung vom  Fleischgenuss  praktisch  wirklich  durchzusetzen. 
Eine  Macht,  die  stärker  war,  als  die  Theoreme  der  Priester, 
verhinderte  dies;  die  Forderung  des  Naturtriebes  war  dagegen. 

Das  Gesetzbuch  des  Manu  hebt  das  Verdienst  der  Ent- 
haltung von  aller  Fleischnahrung  stark  hervor:  wer  kein  Fleisch 
esse,  erwerbe  sich  dadurch  das  gleiche  Verdienst,  wie  Einer, 
der  hundert  Jahre  lang  Jahr  um  Jahr  das  heilige  Rossopfer 
darbringe.1  Aber  alles  Fleisch  wirklich  zu  verbieten,  war  un- 
möglich. Daher  begnügt  man  sich  damit,  gewisse  Beschrän- 
kungen einzuschärfen.  Für  eine  besonders  grosse  Sünde  galt 
das  Tödten  und  Essen  der  Rinder,  denn  dies  sind  heilige 
Thiere.  Die  Gesetzbücher  fuhren  ferner  eine  Reihe  von  Thieren 
auf,  deren  Fleisch  zu  essen  verboten  war,  eutweder  weil  sie  für 
unrein  galten,  oder  auch  aus  anderen  Gründen.  Sa  verbietet 
Manu  das  Essen  von  fleischfressenden  Vögeln,  von  Vögeln,  die 
in  Städten  oder  Dörfern  nisten,  von  Sperlingen,  Flamingos, 
Kuckucks,  fischessenden  Tauchern  und  Papageien,  von  Haas- 
hahn, Rabe,  Kranich  und  anderen  Vögeln;  verboten  ist  ferner 
das  Fleisch  von  zahmen  Schweinen,  und  verschiedenen  Fischen;9 
desgleichen  Fleisch  vom  Schlachter  und  gedörrtes  Fleisch;' 
Fleisch  von  unbekannten  Thieren  oder  Vögeln,  sowie  von  allen 
denen,  die  fünf  Klauen  haben.4  Dagegen  werden  nun  eine 
Reihe  von  Fischarten  ausdrücklich  erlaubt,6  desgleichen  unter 


*  S.  Manu  5,  63.  Aehnlich  auch  Yajn.  1,  181.  *  VgL  Mm- 
5,  11—14.  Aehnlich  Yajn.  1,  172—176.  a  S.  Manu  5,  13.  Yajä. 
1,  175.      «  Manu  5,  17.      5  8.  Manu  5,  16.   Yajfi.  1,  177.  178. 


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—   407  — 

den  Thieren,  welche  fünf  Klauen  haben,  der  Hase,  die  Schild- 
kröte, das  Rhinocero8,  Igel,  Stachelschwein,  Eidechse  nnd  alle, 
die  nur  eine  Reihe  von  Zähnen  haben  (aasgenommen  das  Kamee!).1 
Vor  Allem  wichtig  aber  erscheint  die  Bestimmung,  dass  es  er- 
laubt war,  Fleisch  von  den  Opfern  für  Götter  und  Manen  zu 
geniessen.  Man  brauchte  daher  nur  Fleisch,  welches  man  ge- 
kauft oder  sich  sonst  verschafft  hatte,  vorher  den  Göttern  und 
Manen  zu  weihen,  indem  man  ihnen  einen  Theil  davon  dar- 
brachte, und  das  betreffende  Fleisch  war  damit  zu  Opferfleisch 
geworden,  durfte  somit  genossen  werden.1  Dadurch  ist  das 
ganze  Verbot  eigentlich  illusorisch  geworden;  und  es  wird  dies 
noch  mehr  durch  die  Bestimmung,  dass  man  Fleisch  essen  dürfe, 
wenn  man  es  zum  Lebensunterhalt  durchaus  nöthig  habe.8  Wenn 
man  freilich  Fleisch  leichtsinnig,  ohne  zwingenden  Grund  oder 
ohne  Beobachtung  der  heiligen  Regeln  geniesst,  so  wird  Einem 
das  im  Jenseits  als  eine  schwere  Sünde  angerechnet4  Hat 
man  Fleisch  gegen  die  Regel  gegessen,  so  soll  man  im  Jenseits 
von  Thieren  gefressen  werden.6  Vor  Allem  ist  es  dem  Brah- 
manen  streng  verboten  anderes  Fleisch  als  solches,  welches 
durch  die  vorgeschriebenen  Gebete  geweiht,  Opferfleisch  ge- 
worden ist,  zu  geniessen,  oder  ein  Thier  anders  als  zum  Opfer 
zu  tödten.  Thue  er  dies  dennoch,  so  soll  er  bei  seinen  späteren 
Geburten  so  oft  eines  gewaltsamen  Todes  sterben,  als  das  ge- 
testete Thier  Haare  auf  dem  Leib  hatte.8  Wenn  er  dagegen  ein 
Thier  zum  Opfer  für  Götter  oder  Manen  tödtet,  dann  begeht 
er  nicht  nur  kein  Unrecht,  sondern  bereitet  sich  sowohl  als 
auch  dem  Thiere  Heil,7  welchem  letzteren  nach  dem  Tode 
höhere  Geburten  in  Aussicht  gestellt  werden.8 

1  8.  Manu  6,  18.  Vgl.  Yajü.  1,  177.  1  S.  Manu  5,  31.  32.  Yajn. 
1,  179.  •  Manu  6,  27.  33.  Yajn.  1,  179.  4  8.  Manu  5,  33.  34. 
*  8  Manu  ft,  S3 

•  S.  Manu' 5,  36—38.  Bei  Yajft.  1,  180  heisst  es:  „Wer  Thiere 
gegen  die  Vorschrift  tödtet,  dieser  Böse  wird  so  Yiele  Tage  in  einer 
fürchterlichen  Hölle  wohnen,  als  das  Thier  Haare  hat.14 

'  8.  Manu  5,  42. 

•  S.  Manu  5,  40.  —  Die  Gesetzbücher  geben  auch  z.  B.  an,  welche 
specielle  heilsame  Wirkung  den  einzelnen  Fleischsorten  beim  Manen- 
opfer zukommt.  Wer  Fisch  darbringt,  befriedigt  die  Manen  auf  swei 
Monate;  wer  Wildpret,  auf  drei  Monate;  Hammelfleisch  befriedigt  sie 
für  Tier  Monate;  Vogelfleisch  für  fünf  Monate;  Ziegenfleisch  für  sechs 
Monate;  Fleisch  der  gefleckten  Antilope  für  sieben  Monate;  Fleisch  der 
Ena -Antilope  für  acht  Monate;  Fleisch  des  Ruru- Hirsches  für  neun 
Monate;  Fleisch  von  Schweinen  und  Büffeln  für  zehn  Monate;  Fleisch 
TOD  Hasen  und  Schildkröten  für  elf  Monate;  Fleisch  des  Bhinoceros  und 
der  rothen  Ziege  für  ewig.  (8.  Manu  3,  268—272;  Aehnliches  Yajn. 
1,  257— 2ö9.) 


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—    408  — 


Es  werden  in  den  Gesetzbüchern  noch  eine  lange  Reihe 
speciellerer  Beschränkungen  hinsichtlich  der  Nahrung  aufgestellt. 
Was  über  Nacht  aufbewahrt  gewesen,  was  ein  Vogel  angepickt 
ein  Hund  berührt,  ein  menstruirendes  Frauenzimmer  angefasst, 
eine  Kuh  berochen,  was  Einem  ohne  Ehrerbietung  angeboten 
ist  oder  was  Jemand  absichtlich  mit  dem  Fusse  berührt  hat, 
soll  man  nicht  essen.  Ebensowenig  die  Speise  eines  Wahn- 
sinnigen, eines  Kranken,  eines  Diebes,  eines  Sängers,  eines 
Schauspielers,  eines  Heuchlers,  eines  Gefangenen,  eines  Eunuchen, 
einer  Ehebrecherin,  eines  Jägers,  eines  Wucheres,  eines  Schnei- 
ders, eines  Schmieds,  eines  Waffen  Verkäufers,  eines  Hunde- 
abrichters, eines  Branntweinverkäufers,  eines  Kloiderwäschers, 
eines  Färbers,  eines  Mannes,  der  einen  Galant  seiner  Frau  im 
Hause  duldet,  sowie  eines  solchen,  der  seiner  Frau  ganz  unter- 
worfen ist  u.  s.  w.  u.  s.  w.1  Die  Milch  einer  Kuh,  die  vor 
weniger  als  zehn  Tagen  gekalbt  oder  die  ihr  Kalb  verloren 
hat,  soll  man  vermeiden;  desgleichen  Milch  von  Kameelen,  Ein- 
hufern, Waldthieren,  Getränk,  das  sauer  geworden  ist  u.  s.  w. 
u.  s.  w.* 

Wenn  ein  Verstoss  gegen  eines  der  Speiseverbote  vorge- 
kommen ist,  so  muss  derselbe  durch  verschiedene  Bussen  ge- 
sühnt werden.  Diese  bestehen  hauptsächlich  in  Gebeten  und 
bestimmt  geregelten  Fasten  oder  Beschränkung  auf  ein  be- 
stimmtes Quantum  von  Reisnahrung,  oder  auf  Milch,  die  mit 
Kuhurin  und  Kuhmist  gemischt  ist  u.  dgl.  m.9  Besonders  streng 
sind  die  Bussen  für  den  Genuss  berauschender  Getränke.  Wer 
sich  absichtlich  berauscht  hat,  der  soll  dasselbe  Getränk  in 
glühendheissem  Zustande,  oder  auch  Wasser,  Milch,  Schmelz- 
butter, Kuhurin  oder  den  Saft  des  Kuhmistes  —  alle  kochend 
heiss  —  trinken,  bis  er  stirbt;  dann  ist  er  rein.4  Es  werden 
aber  allerdings  gleich  auch  leichtere  Bussen  für  dasselbe  Ver- 
gehen angegeben,  und  diese  wurden  ohne  Zweifel  von  den  In- 
culpaten  vorgezogen.5 

Die  Reinheitsvorschriften  erstrecken  sich  nicht  bloss  aaf 
die  eigene  Person.  Auch  Feuer  und  Wasser  dürfen  z.  B.  nicht 
verunreinigt  werden.    Man  darf  nichts  Unreines  in  das  Fener 


1  Vgl.  Manu  4,  207—217.   Yajfi.  1,  161—109. 

*  S.  Mamu  5,  8—10.   YAjn.  1,  170.  167. 

•  Dieselben  sind  bei  Manu  im  11.  Buche  mitgetbeilt;  Einiges  dsror. 
so  die  „Mondbusse4'  und  die  Busse  Sanitapana,  findet  man  beschrieben 

bei  Duncker  a.  a.  0.  p.  130. 

♦  S.  Manu  11,  91.  92.   YajS.  3,  258. 

»  S.  Manu  11,  93.  250.   Yajfi.  3,  «64.  304. 


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-   409  — 

werfen,  darf  das  Feuer  nicht  mit  dem  Munde  anblasen,  noch 
seine  Füsse  daran  wärmen  oder  über  dasselbe  hinweg  schreiten 
oder  springen.  Von  dem  heiligen  Feuer  müssen  Speisereste, 
Urin,  Fusswasser  u.  dgl.  sogar  weit  weggebracht  werden.1  Auch 
in 8  Wasser  dürfen  unreine  Dinge  nicht  geworfen  werden,  Un- 
rath,  Exeremente,  Blut,  Gifte  und  was  damit  in  Berührung 
gekommen,  noch  darf  man  in  das  Wasser  speien.2  Eis  ist 
yerboten,  Wasser  aus  der  hohlen  Hand  zu  trinken,9  über 
einen  Fluss  zu  schwimmen,4  nackt  zu  baden  u.  dgl.  m.5  Ein 
Brahmane  mit  Speise  im  Munde  darf  nicht  mit  seiner  Hand 
eine  Kuh,  einen  Brahmanen  oder  Feuer  berühren;  noch  darf 
er,  wenn  er  unrein,  aber  doch  bei  guter  Gesundheit  ist,  zu 
den  Himmelskörpern  aufschauen.6  Auf  den  Schatten  eines 
Gotterbildes,  eines  geistlichen  Lehrers,  eines  Opferpriesters, 
eines  Königs,  eines  Brahmanenschülers,  der  seine  Studien  be- 
endigt hat  (snataka)  oder  der  Frau  eines  Andern  soll  man 
nicht  treten7  u.  dgl.  m. 

Was  ich  angeführt  habe,  ist  ▼erhältnissmässig  wenig,  aber 
es  genügt  vielleicht,  um  deutlich  zu  machen,  welch  ein  aus- 
gebreitetes System  yon  Geboten  und  Verboten  hier  vorlag,  bis 
in  welche  minutiösen  Details  sich  dieselben  erstreckten,  und 
wie  unendlich  schwierig  es  gewesen  sein  muss,  allen  diesen 
Forderungen  auch  nur  halbwegs  zu  entsprechen. 


>  Vgl.  Manu  4,  58.  64.  Yajä.  1,  187.  —  Manu  4,  161.  Yajn.  1, 154, 

»  Vgl.  Manu  4,  56.  YajiL  1,  187.  * 

•  Tgl.  Manu  4,  63.   Yljn.  1,  138. 

*  Vgl.  Manu  4,  77.   YAjfi.  1,  139. 

*  Vgl.  Manu  4, 129.  —  Mau  findet  noch  eine  Keine  ähnlicher  Ver- 
bote bei  Duncker  a.  a.  0.  p.  183.  183. 

•  Vgl  Manu  4,  142.   Aehnlich  YajiL  1,  155. 
'  Vgl.  Manu  4,  180.   YajÄ.  1,  162 


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Neunundzwanzigste  Vorlesung. 


III 


Die  ständische  Gliederung  der  Gesellschaft  im  indischen  Mittelalter. 
Das  Kastenwesen.  Schroffe  Ausbildung  desselben.  Reaction  gegen  den 
Buddhismus.  Bevorzugte  Stellung  und  Herrschaft  der  Brahmanen.  Keine 
geistliche  Centraigewalt  Das  Königthum  und  seine  Bedeutung  im  in- 
dischen Mittelalter  Strafgewalt  und  Steuererhebung.  SelfgOTernment 
auf  manchen  Gebieten.  Einfluss  der  Brahmanen  auf  die  Regierung. 
Ihre  rechtliche  Stellung.  Kshatriya,  Vaicja  und  Qudra.  Beschränkung 
des  Connubium's  der  Stande.  Mischkasten.  Paria's.  Spaltung  der  Kasten 
in  viele  Unterabtheilungen,  die  grossentheils  den  Charakter  der  Zünfte 
oder  Gilden  tragen.  Angabe  der  Griechen  über  die  indischen  Kasten. 


Höchst  charakteristisch  für  das  indische  Mittelalter  und 
von  hoher  Bedeutung  für  diese  Zeit  ist  die  scharfe  ständische 
Gliederung,  die  schroffe  Ausbildung  des  Kastenwesens. 

Starr  und  hart  wie  nie  zuvor  wurden  jetzt  allmählich  die 
Schranken,  welche  die  verschiedenen  Menschenklassen  von  ein- 
ander schieden.  Die  staatlichen  und  gesellschaftlichen  Ein- 
richtungen krystallisirten  in  einer  festen  Form,  um  in  derselben 
dann  für  lange  unverändert  zu  verharren. 

Auch  für  unser  abendländisches  Mittelalter  ist  eine  feste 
standische  Gliederung  charakteristisch;  der  Gegensatz  der  Geist- 
lichen, des  Adels,  der  Bürger  mit  ihren  Gilden  und  Zünften 
war  damals  schärfer  denn  je.  Standesvorurtheile  pflegt  man 
noch  heute  als  „mittelalterlich"  zu  bezeichnen,  so  sehr  sind  sie 
gerade  in  jener  Zeit  zu  Hause,  haben  damals  ihre  eigentliche 
Blüthe  erlebt.  Es  hängt  dies  wohl  zusammen  mit  der  stark 
ausgeprägten  Richtung  auf  fromme  Ergebung,  Duldung»  Ver- 
tiefung in  das  Ewige,  die  hier  wie  dort  dem  Mittelalter  eigen 
und  mehr  dazu  angethan  sind,  den  Menschen  zum  Verharren 
in  bestehenden  Verhältnissen  zu  veranlasoen,  als  zum  freien, 
kräftigen  Schaffen  neuer  Lebensformen.  In  gleicher  Scharfe 
wie  in  Indien  hat  aber  solche  ständische  Gliederung  im  Abend- 


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-   411  - 

lande  niemals  Platz  gegriffen;  nie  war  sie  hier  so  raffinirt  bis 
ins  Detail  ausgebildet,  so  fest  versteinert,  so  unbarmherzig, 
einer  gefühllosen  Naturgewalt  ähnlich,  wie  dies  in  dem  indischen 
Mittelalter  der  Fall  war. 

Die  Gliederung  in  die  vier  Stände  oder  Klassen  der  Brah- 
manen,  Kshatriya,  Vaicja  und  Qüdra  datirt  allerdings  schon 
einige  Jahrhunderte  vor  Buddha  zurück,  findet  sich  schon  im 
Yajurveda,  —  aber  sie  trägt  da  noch  einen  barmloseren  Cha- 
rakter und  entbehrt  jener  ehernen  Härte  und  Schroffheit,  die 
sie  späterhin  so  schrecklich  macht  Diesen  schroffen  Charakter 
gewann  sie  erst  im  Mittelalter. 

Gerade  in  diesem  Punkte  war  die  frühere  Auffassung  von 
Buddha  zu  berichtigen  gewesen,  der  gemäss  er  in  erster  Linie 
socialer  Reformator  war,  der  die  furchtbaren  Fesseln  des  Kasten- 
zwanges sprengte.  Diese  Fesseln  sind  vielmehr  erst  später,  erst 
im  Mittelalter  so  fest  geschmiedet  worden.  Es  geschah  dies 
nicht  zum  geringsten  Theile  in  Folge  einer  brahmanisch-reac- 
tionären  Bewegung  gegen  den  Buddhismus  und  überhaupt  gegen 
die  überspannt  mönchischen  Tendenzen,  die  an  der  Scheide 
der  alten  Zeit  und  des  Mittelalters  die  gesammte  bisherige 
Ordnung  der  Gesellschaft  aufzulösen  drohten.  Dieser  Feind 
war  nicht  mit  schwachen  Mitteln  zu  bezwingen;  es  mussten 
ihm  eherne  Fesseln  und  Schranken  der  gesellschaftlichen  Ord- 
nung entgegen  stehen.  Und  ähnlich  wie  der  Jesuitenorden 
erst  nach  der  Reformation  entstand,  die  alten  katholischen 
Tendenzen  unerbittlich  auf  die  Spitze  treibend,  —  so  in  noch 
höherem  Maasse  gaben  die  Brahmanen  erst  nach  Buddha  ihrem 
8ystem  die  Wendung  auf  die  extremste  Schärfe  hin,  schufen 
.  die  Ordnungen  von  Staat  und  Gesellschaft  in  diesem  hyper- 
reactionären  Sinne  um  und  brachten  wirklich  einen  Bau  zu 
Stande,  der  an  Starrheit  und  Unbewegiichkeit  seines  Gleichen 
sucht.  So  konnten  sie  später  lehren,  und  man  glaubte  es  ihnen, 
däss  diese  Ordnung  der  Dinge  seit  Anbeginn  der  Welten  schon 
fest  bestehe. 

Die  Brahmanen  hatten  es  durchzusetzen  gewusst,  dass 
ihr  Stand  durchaus  als  der  oberste,  der  vornehmste  und  wür- 
digste anerkannt  wurde,  und  in  einer  Menge  von  Vorrechten 
prägte  sich  diese  höhere  Stellung  aus.  Ein  Brahmane  stieg 
herab,  wenn  er  die  Tochter  eines  Ritters  oder  Kriegers  zum 
Weibe  nahm.  Ihm  zu  dienen,  ihn  zu  schützen  waren  die 
anderen  Stände  verpflichtet.  Die  Richtung  auf  das  Heilige, 
Himmlische  beherrscht  das  ganze  indische  Mittelalter;  der  Brah- 
mane trug  das  Heilige  in  sich,  er  stand  der  Gottheit  am 


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—   412  — 


nächsten,  nur  er  konnte  unmittelbar  in  das  Brahman  eingehen, 
ihm  gebührte  darum  auch  die  höchste  Verehrung  auf  Erden.1 
Nichtsdestoweniger  versuchten  es  die  Brahmanen  nicht, 
die  unmittelbare  irdische  Herrschaft,  das  Königthum  an  sich 
zu  reissen,  wie  etwa  die  Päpste  bei  uns  im  Mittelalter  sich  zu 
weltlichen  Souveränen  machten.  Diesen  Weg  haben  die  indi- 
schen Priester  verschmäht,  und  sie  hätten  auch  schwerlich 
dabei  gewonnen.  Um  so  unbedingter  nur  herrschten  sie  über 
die  Gewissen  und  Gemüther  der  Menschen  und  dadurch  wieder 
hatten  sie  den  gesammten  Staat  und  alle  gesellschaftlichen 
Ordnungen  in  ihrer  Hand.  Sie  nahmen  die  geehrteste,  am 
meisten  bevorzugte  Stellung  für  sich  in  Anspruch,  ohne  die 
Last  und  Verantwortung  der  Regierung  auf  sich  zu  laden. 
Der  König  sollte  sich  zu  Rathgebern  vornehmlich  Brahmanen 
wählen;  aber  er  allein  hatte  die  executive  Gewalt  Dieser 
Weg  führte  die  Brahmanen  zur  sichersten,  unerschütterlichsten 
Herrschaft  Er  war  klar  und  einfach  und  ohne  Widersprüche. 
Der  Versuch,  geistliche  und  weltliche  Herrschaft  zu  vereinigen, 
hat  stets  etwas  Gefahrliches  und  hat  den  europäischen  Kirchen- 
forsten  Missliches  genug  eingetragen.  Gerade  die  neuere  Zeit 
hat  uns  gelehrt,  dass  der  Papst,  seitdem  er  seine  weltliche 
Herrschaft  verloren,  nur  um  so  mächtiger  und  einflussreicher 
geworden  ist  Vor  den  Waffen  der  weltlichen  Souveräne,  die 
sein  Gebiet  besetzen  könnten,  braucht  er  jetzt  nicht  mehr  zu 
bangen.  In  ähnlicher  Weise  unabhängig  standen  die  indischen 
Priester  da. 

Von  der  katholischen  Hierarchie  unterschied  sich  die  der 
Brahmanen  merklich  dadurch,  dass  die  letzteren  keine  Rang- 
abstufungen unter  einander,  kein  eigentliches  Kirchenregiment» 
keine  geistliche  Centraigewalt,  resp.  kein  geistliches  Ober- 
haupt besassen,  von  dem  sie  regiert  worden  wären.  Alle  Brah- 
manen waren  als  solche  im  Range  sich  gleich.  Dies  ist  wichtig 
und  interessant  genug,  denn  es  zeigt  uns  das  Uebergewicht» 
die  Herrschaft  der  Brahmanen  wie  etwas  Natürliches  und  Selbst- 
verständliches,  das  aus  der  allgemein  herrschend  gewordenen 
Geistesrichtung  gleichsam  mit  Nothwendigkeit  resultirte.  Es 
waren  nicht  die  ehrgeizigen  Pläne  einzelner  Männer,  durch 
welche  die  Stellung  der  Brahmanen  so  hoch  hinauf  geschraubt 


1  Der  B rahm  an  e  war  ja  geradezu  selbst  göttlich:  „Wissend  oder 
unwissend,  der  Brahmane  ist  immer  eine  grosse  Qottheit,  gleichwie  das 
Feuer  eine  grosse  Gottheit  ist,  mag  es  zum  Altar  getragen  sein  oder 
nicht.  —  Immerdar  müssen  die  Brahmanen  verehrt  werden,  denn  dies 
ist  die  höchste  Gottheit"  —  so  lehrt  das  Gesetzbuch  des  Manu  ft,  317. 319). 


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-    A\3  -- 


wurde,  sondern  die  ganze  Bevölkerung  war  erfaast  und  ergriffen 
von  der  Sehnsucht  nach  dem  Heiligen»  nach  Loslösung  von 
dieser  Welt,  und  wie  von  8elbst  fiel  den  Brahmanen,  den 
obersten  Vertretern  dieser  Richtung,  der  Vorrang  vor  allen 
Anderen  zu.  Merkwürdig  aber  bleibt  es  für  alle  Zeit,  dass 
gerade  eine  so  organisirte  oder  vielmehr  gar  nicht  organi&irte 
Hierarchie  die  mächtigste  und  einflussreichste  gewesen  ist,  welche 
die  Geschichte  überhaupt  kennt 

Das  Königthum  blieb  also  den  Kshatriya's  und  es  war 
dasselbe  in  seiner  Machtstellung  im  Vergleich  zu  früheren 
Zeiten  noch  bedeutend  gewachsen.  Waren  doch  jetzt  an  die 
Stelle  der  früheren  zahlreichen  kleinen  Stamme  mit  ihren 
Fürsten  grössere  Staatenbildungen  getreten,  deren  Herrscher 
ihren  Untergebenen,  den  Edlen  wie  den  Niederen,  in  ganz  an- 
derer Weise  machtgerüstet  und  unabhängig  gegenüber  standen. 
Die  Priester  selbst  bemühten  sich,  das  Königthum  mit  einem 
hohen  Nimbus  zu  umgeben,  immer  aber  nur  unter  der  Voraus- 
setzung, dass  der  König  sich  ihnen  willig  unterordnete,  ihren 
höheren  Rang  anerkannte,  ihre  Privilegien  schützte,  ihren  Rath 
annahm.  Was  sie  brauchten,  waren  gerade  mächtige  und  zu- 
gleich ihnen  ergebene  Könige.  Der  Hauptsache  nach  war  dies 
Vorhältniss  ja  schon  in  früheren  Jahrhunderten  entschieden, 
das  Mittelalter  aber  Hess  beide  vereint  noch  um  ein  Bedeu- 
tendes emporsteigen,  erhob  beide  Verbündete,  den  Einfluss  der 
Priester  wie  die  Machtstellung  der  Könige  auf  den  Höhepunkt 
ihrer  Bedeutung. 

Im  Gesetzbuch  des  Manu  werden  die  Könige  mit  Göttern 
verglichen.  „Einen  König  —  heisst  es  dort  —  darf  man, 
selbst  wenn  er  noch  ein  Kind  ist,  nicht  als  gewöhnlichen  Menschen 
betrachten  und  ihn  darum  gering  achten;  er  ist  eine  grosse 
Gottheit  in  Menschengestalt.*41 

Das  ist  also  mehr  noch  als  das  Königthum  von  Gottesgnaden 
in  unserem  Mittelalter;  es  ist  die  orientalische,  die  indische  Ge- 
stalt eines  solchen. 

Mächtige  Königreiche  mit  stolzen  Herrschern  waren  im 
Gangeslande  emporgewachsen,  und  das  indische  Mittelalter  sah 
zeitweilig  sogar  das  Land  des  Ganges  und  Indus  zu  einem 
gewaltigen  Reiche  vereint  Jene  Zeiten,  in  denen  das  Ruhe- 
bedürfniss  ein  so  grosses  war,  überliessen  gern  kräftigen  Händen 
die  Executive  der  Staatslenkung. 

Der  König  soll  nach  dem  Gesetzbuch  vor  Allem  Ordnung 


*  Manu  7,  8  (Ind.  8pr.  1967). 


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—  414 


und  Recht  im  Staate  durch  Handhabung  der  Strafgewalt  gegen 
die  Uebelthäter  aufrecht  erhalten.  TÖdtung,  Verstümmelung, 
Brandmarkung  u.  a.  sind  die  Mittel,  mit  denen  er  diese  wichtige 
Aufgabe  erfüllt  Dafür  mag  er  nun  auch  durch  weitgehende 
Steuererhebung  sich  die  Mittel  verschaffen,  um  sich  mit  Glanz 
und  Macht  wie  sichs  gebührt  zu  umgeben.  Der  König,  welcher 
sein  Volk  durch  Handhabung  der  Strafgewalt  schützt,  kann  den 
sechsten  Theil  der  Ernte  erheben  und  es  fällt  ihm  nach  der 
Theorie  auch  noch  der  sechste  Theil  des  Verdienstes  für  alle 
frommen  und  guten  Handlungen  seiner  Unterthanen  zu.1 

Wenn  der  König  aber  die  Steuern  erhebt,  ohne  sein  Volk 
zu  schützen,  sö  fährt  er  zur  Hölle.2 

Von  der  weitausgedehnten  Steuerpflicht  des  Volkes  sind 
nur  die  schriftkundigen  Brahmanen  ausgenommen;  nie  darf  der 
König  von  diesen  Steuern  erheben,  und  wenn  er  auch  selbst 
darüber  Hungers  stürbe.3 

Das  System  der  Verwaltung  durch  Beamte  verschiedener 
Katogorieen,  wie  es  in  Manu's  Gesetzbuch  dargelegt  wird,  lässt 
schon  auf  einen  recht  complicirten  Staatsorganismus  schliessen. 
Waltet  auch  im  Ganzen  eine  despotische  Verfassung  vor,  so  ist 
doch  nicht  zu  übersehen,  dass  dem  indischen  Staatswesen  auch 
das  Selfgovernment  durchaus  nicht  ganz  fehlt  Es  wird  ein 
solches  z.  B.  durch  die  geschlossenen  Verbände  der  alten 
Familien  geübt,  die  über  das  moralische  Verhalten  ihrer  Mit- 
glieder wachten,  dieselben  vorkommenden  Falls  mit  gewissen 
Strafen  belegen  und  bei  gröberen  Verstössen  ganz  aus  der 
Familie  und  damit  auch  aus  der  Kaste  ausschliessen  konnten. 
Ein  so  Ausgestossener  war  ein  geächteter  und  in  seiner  gesell- 
schaftlichen Stellung  ruinirter  Mann;  es  hatten  also  die  Ge- 
schlechter damit  ein  ungeheures  Machtmittel  in  Händen.  Self- 
government finden  wir  vor  Allem  auch  in  der  Einrichtung 
der  Dorfgemeinden,  welche  offenbar  in  sehr  alte  Zeit  zurück- 
geht und  sich  zäh  conservativ  im  Wesentlichen  bis  heute  er- 
halten hat  Der  Dorf-Aelteste  vertheilt  die  Steuern  unter  den 
Gliedern  der  Gemeinde,  vertheilt  das  Land  und  Wasser  unter 
ihnen,  und  übt  die  Gerichtsbarkeit  innerhalb  des  Dorfes,4 
Beisitzer  oder  Schöffen  unterstützen  ihn.   Er  übt  seine  Thätig- 


>  Manu  8,  304.  Yajn.  1,  334. 
*  Manu  8,  307. 

3  Manu  7,  133. 

4  Ueber  Gemeindebesitz  und  Privatantheil  am  Gemeindelande  vgl. 
Jolly,  Outlines  of  an  Hist.  of  Hindu  Law  p.  88  flg.  Familienbesitz  und 
Theilung  desselben  ebenda  p.  89  flg. 


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—    415  — 


keit  Yor  versammelter  Gemeinde,  unter  einem  grossen  Baume 
aus  u.  s.  w.  Wir  werden  hiermit  lebhaft  an  fintsprechendes  in 
germanischen  Landen  erinnert  und  haben,  wie  erwähnt,  hier 
offenbar  uralte  Einrichtungen  vor  uns. 

Es  ist  auch  nicht  bedeutungslos,  wenn  es  im  Gesetzbuch 
des  Manu  heisst:  „Der  König,  welcher  des  Rechts  kundig  ist, 
möge  sein  eigenes  Gesetz  zur  Geltung  bringen,  nachdem  er 
zuvor  die  Rechte  der  Landbewohner,  der  Zünfte  und  Gilden, 
der  Geschlechter  und  Familien  wohl  ins  Auge  gefasst  hat,"1 

Die  Könige  wohnen  in  burgartig  befestigten  Residenzen, 
in  deren  Mitte  sich  der  Königspalast  erhebt.  Die  Pracht  und 
Herrlichkeit,  mit  der  sie  sich  umgeben,  der  Reichthum  ihres 
Hofstaates,  der  Glanz,  den  sie  bei  festlichen  Gelegenheiten  ent- 
falten, tritt  uns  nicht  nur  aus  einheimischen  Quellen  entgegen, 
sondern  auch  die  Griechen  schildern  dieselben  als  ausser- 
ordentlich. Gold,  Silber,  Edelsteine,  Elephanten  u.  dgL  hätten 
die  Könige  der  Inder  in  ungeheurer  Menge;  sie  gingen  mit 
Gold  und  Purpur  geschmückt,  trügen  Arme  und  Hals  mit  Perlen- 
schnüren umwunden,  und  selbst  die  Sohlen  ihrer  Schuhe  glänzten 
von  Edelsteinen  u.  s.  w.f 

Den  Residenzen  der  Könige,  wie  überhaupt  den  hervor- 
ragenden Städten  des  indischen  Mittelalters  fehlt  auch  das 
grossstädtische  Raffinement  nicht,  wie  uns  aus  vielen  Stellen  der 
indischen  Bücher  entgegen  tritt 

Auf  die  Regierung  hatten  die  Brahmanen  besonders  dadurch 
grossen  Einfluss,  dass  die  Könige  dazu  angehalten  wurden,  ihre 
Minister  und  höheren  Beamten  vor  Allem  aus  dieser  Kaste  zu 
wählen,  ihnen  gehorsam  zu  sein9  und  keinen  wichtigen  poli- 
tischen oder  socialen  Schritt  zu  thun  ohne  den  Rath  gelehrter 
Brahmanen. 

Diesen  Vorschriften  leisteten  die  indischen  Könige  that- 


1  S.  Manu  8,  41. 

a  Mit  phantastischer  Pracht  schildern  die  Griechen  besonders  den 
Aufzag  der  Könige,  wenn  sie  sich  zum  Opfer  begeben,  unter  Pauken- 
schlag und  Glockenspiel,  mit  gold-  und  silbergeschmückten  Elephanten, 
Zügen  von  Wagen  und  gerüstetem  Kriegsvolk,  herrlichen  Gerathen  und 
Kostbarkeiten  aller  Art.  Auch  wilde  Thiere  werden  im  Zuge  geführt, 
gebändigte  Löwen  und  Tiger,  Panther  und  Büffel  ochsen;  gross  blättrige 
Bäume  auf  vierrädrigen  Wagen,  besetzt  mit  prachtvoll  gefiederten  zahmen 
Vögeln  tl  dgl.  m.  (S.  Duncker  a.  a.  0.  p.  315;  nach  Strabo  688.  703. 
710.  718). 

*  „Nie  in  der  Schlacht  zu  weichen,  die  ünterthanen  zu  beschützen 
und  den  Brahmanen  zu  gehorchen,  das  ist  die  oberste  Ursache  für 
das  Glück  der  Könige,"  —  so  sagt  das  Gesetzbuch  des  Manu  (7,  88). 


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—    416  - 


sächlich  Folge,  wie  aus  dem  Epos  und  anderen  Werken  des 
Mittelalters  deutlich  zu  Tage  tritt1  Ja,  dies  Verhältniss  hat 
sich  zum  Theil  bis  in  die  neuere  Zeit  bewahrt.  „Noch  heute 
—  sagt  ein  neuerer  Schriftsteller  über  Indien*  —  ist  in  Hindu- 
Fürstenthümern  den  Brahmanen  ein  grosser  Einfluss  auf  die 
Regierung  beigelegt;  wie  in  alter  Zeit  verbleibt  der  Titel  dem 
Fürsten,  die  Macht  ruht  bei  den  Brahmanen."3 

Unaufhörlich  werden  in  den  mittelalterlich  -  indischen 
Schriften  die  Fürsten  ermahnt,  die  Brahmanen  zu  schützen  und 
in  freigebigster  Weise  zu  beschenken.  Was  der  König  den 
Brahmanen  schenkt,  das  ist  ein  unvergänglicher  Schatz,  den 
Diebe  und  Feinde  nicht  rauben  können,  so  lehren  die  Gesetz- 
bücher;4 was  man  in  des  Brahmanen  Mund  opfert,  das  ist 
besser  als  Feueropfer,  das  geht  nimmer  verloren  und  trägt 
Frucht  hundert-  und  tausendfältig.6  „Es  giebt  keine  höhere 
Pflicht  für  die  Könige,  als  die  im  Kriege  erbeuteten  Schätze 
den  Brahmanen  zu  geben  und  den  Unterthanen  beständige 
Sicherheit  zu  gewähren«*  —  so  sagt  das  Gesetzbuch  des  Yajfla- 
valkya.6 

Immer  wieder  und  wieder  wird  das  Lob  der  freigebigen 
Fürsten  gesungen,  und  mit  unglaublichen  Uebertreibungen  er- 
zählen das  Epos  und  andre  Bücher  von  diesen  gottgefälligen 
Thaten,  zu  Nachachtung  und  Beispiel  Aller,  die  Solches  angeht 
Furchtbar  dagegen  sind  die  Strafen,  welche  den  Brahmanen- 
Verächter  im  Jenseits  erwarten. 

Die  bevorrechtete  Stellung  der  Priester  zeigt  sich  ausser 
der  Exempthoit  von  den  Steuern  vor  Allem  auf  dem  Gebiete 
der  Strafjustiz.    Während  Anderen   gegenüber  Strafen  der 


1  Im  Epos  Anden  sich  noch  manche  Spuren  eines  älteren  Zustandes 
bewahrt;  das  Gesetzbuch  des  Manu  dagegen  zeigt  uns  die  Könige 
in  vollendeter  Unterwürfigkeit  gegenüber  den  Brahmanen.  „Nachdem 
er  frühmorgens  aufgestanden  —  sagt  das  Gesetzbuch  —  soll  der  König 
die  in  dem  Studium  der  drei  Veden  ergrauten  kundigen  Brahmanen 
verehren  und  in  ihrem  Befehle  verharren.  Von  ihnen  soll  er  stets  be- 
scheidenen Anstand  lernen,  selbst  wenn  er  schon  bescheiden  gesinnt  ist, 
denn  ein  bescheiden  gesinnter  Fürst  geht  nimmermehr  zu  Grunde.  Durch 
unbescheidenes  Benehmen  sind  viele  Könige  sammt  ihrem  Anhang  zu 
Grunde  gegangen;  durch  bescheidenes  Benehmen  aber  haben  selbst 
Waldsiedler  Königreiche  erlangt."  (Manu  7,  37.  39.  40.  Vgl.  auch 
Lassen,  Ind.  Alt.  I*,  p.  953.) 

*  E.  Schlagintweit,  Indien  in  Wort  und  Bild,  I  p.  68. 
3  Es  mag  dies  wohl  etwas  zu  stark  ausgedrückt  sein. 

*  S.  Manu  7,  82.  83    Yajfi.  1,  314. 
6  S.  Manu  7,  84.  85. 

6  Yajn.  1,  822. 


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-   417  - 

rohesten  Art,  nicht  nur  grausame  Hinrichtungen,  sondern  Ver- 
stümmelung uud  Misshandlung  ganz  üblich  und  vom  Gesetz- 
buch anbefohlen  sind,  darf  der  Brahmane  nie  und  nimmer 
körperlich  gestraft,1  nicht  einmal  sein  Vermögen  darf  einge- 
zogen werden.  Aueh  bei  den  schwersten  Vergehen  ist  es  nicht 
erlaubt,  über  ihn  die  Todesstrafe  zu  verhängen.  Verbannung 
ist  das  Schlimmste,  was  ihn  treffen  kann.'  Tödtung  eines  Brah- 
manen  ist  das  fürchterlichste  Verbrechen,  das  es  giebt.  Darum 
soll  der  König  auch  nicht  einmal  in  Gedanken  eine  solche  Ab- 
sicht hegen,  geschweige  denn  dieselbe  zur  That  worden  lassen.3 
Für  die  anderen  Kasten  dagegen  tritt  z.  B.  die  Todesstrafe 
nach  Manu's  Gesetzbuch  schon  bei  Diebstählen  ein,  die  über 
zehn  Maass  Getreide  hinausgehen;4  desgleichen  bei  Diebstählen 
von  Gold,  Silber  u.  dgl.  im  Gewicht  von  mehr  als  100  Pala's, 
sowie  den  feinsten  Kleidern;6  Todesstrafe  trifft  auch  alle  die- 
jenigen, welche  Elephanten,  Pferde  oder  Wagen  stehlen.6  Bei 
geringeren  Diebstählen  kann  Verstümmelung  von  Hand  oder 
Fuss  erfolgen,  und  nur  in  den  unbedeutendsten  Fällen  treten 
Geldstrafen  ein.7  Einem  Einbrecher  sollen  die  Hände  abge- 
hauen und  er  dann  gepfählt  werden.8  Wer  eine  Kornscheune, 
ein  Arsenal  oder  einen  Tempel  zerstört,  wird  unbedenklich 
hingerichtet.*  Wer  ein  Feld,  ein  Haus,  einen  Wald,  eine  Scheune 
anzündet,  soll  nach  Yajfiavalkya  mit  Strohfeuer  verbrannt  wer- 
den.10 Wer  durch  Betrug  einen  Anderen  um  sein  Vermögen 
bringt,  wird  sammt  seinen  Complicen  öffentlich  mit  dem  Tode 
bestraft.11  Taschendieben  soll  man  zwei  Finger  abschneiden, 
bei  einem  Rückfall  eine  Hand  und  einen  Fuss;  beim  zweiten 
Rückfall  müssen  sie  sterben.1*  Trinker  werden  auf  der  Stirn 
gebrandmarkt  u.  s.  w.  Dieser  Praxis  gegenüber  muss  jene 
Exiinirung  der  Brahmanen  von  allen  Leibesstrafen  in  der  That 
als  ein  ungeheures  Privilegium  angesehen  werden. 

1  S.  Manu  8,  124. 

*  S.  Manu  8,  380.  —  Auf  diese  Bestimmung  des  Manu  beruft  sich 
auch  der  Richter  bei  dem  Process  gegen  Carudatta  im  vorletzten  Akte 
der  Mricchakatika  (Böhtüngk's  Uebers.  p.  157).  —  Kahlscheeren  des 
Hauptergilt  beim  Brahmanen  als  Aeqmvalent  da,  wo  Mitglieder  der 
anderen  Kasten  die  Todesstrafe  erleiden  Bollen  (s.  Manu  8,  379).  — 

3  S.  Manu  8,  881. 

4  8.  Manu  8,  320.  —  Ein  Maass  (Kumbha)  =  20  Drona,  zwischen 
8  und  4  englische  Scheffel  (vgl.  Burneil,  Ordin.  of  Manu  p.  229;  Colo- 
brooke,  Essays  1,  534). 

*  S.  Manu  8t  321.  a  S.  Manu  9,  280.  Auch  Yajii.  2,  273. 
f  S.  Manu  8,  320.  322.  325-329.  Vgl.  Yajn.  2,  274.  275.  9  S.  Manu 
9,  276.  Yajn.  2,  273.  •  S.  Manu  9,  280.  10  S.  Yajii.  2,  282. 
»  8.  Manu  8,  193.      15  S.  Manu  9,  277;  Yajfi.  2,  274. 

t.  Schröder,  Indien*  Lit.  v.  Colt.  27 


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-   418  — 

Ueberhaupt,  je  höber  der  Stand,  um  so  leicbter  im  Ganzen 
die  Strafe.  Der  Brabmane  hat  bei  Beleidigungen  nur  ver- 
hältnissmassig  kleine  Strafsummen  zu  entrichten,  und  zwar  um 
so  weniger,  je  niedriger  der  Beleidigte  steht.1  Kshatriya  und 
Vaicja  müssen  schon  bedeutend  mehr  zahlen.'  Aber  ganz 
furchtbar  grausam  wird  der  Qüdra  bestraft  Schon  bei  ge- 
ringen Beleidigungen  gegen  Brahmanen  wird  er  körperlich  ge- 
straft.9 Bei  schwereren  Beleidigungen  gegen  ein  Mitglied  der 
höheren  Kasten,  soll  ihm  die  Zunge  aufgeschlitzt  oder  heisses 
Eisen  in  den  Mund  gestossen  werden;4  wagt  er  es,  Priester 
über  ihre  Pflicht  zurechtzuweisen,  so  soll  ihm  kochendes  Oel 
in  Mund  und  Ohren  gegossen  werden.5  Hebt  er  die  Hand 
gegen  einen  Zweimalgeborenen,  so  soll  sie  ihm  abgeschnitten 
werden;  stösst  er  ihn  mit  dem  Fuss,  so  wird  ihm  der  Fuss 
abgeschnitten;  packt  er  ihn  bei  den  Haaren,  so  soll  er  beide 
Hände  verlieren;  speit  er  ihn  an,  so  werden  ihm  die  Lippen 
abgeschnitten;6  und  überhaupt,  ein  jedes  Glied,  mit  dem  er 
sich  gegen  ein  Mitglied  der  höheren  Kasten  vergeht,  soll  ihm 
abgeschnitten  werden,  —  so  lehren  die.  Gesetzbücher.7  Dies 
allein  wird  genügen,  um  die  ungeheuren  rechtlichen  Unter- 
schiede zwischen  den  einzelnen  Kasten  klar  zu  machen. 

Um  aus  anderen  Gebieten  noch  Einiges  anzuführen: 

Für  entliehenes  Geld  zahlt  der  Brahmane  2  Procent,  der 
Kshatriya  3,  der  Vaicja  4,  der  Qudra  5  Procent8  Hat  ein 
Mitglied  der  anderen  Kasten  einen  Schatz  gefunden,  so  muss 
es  dem  König  einen  bestimmten  Antheil  davon  abgeben;  nur 
der  gelehrte  Brahmane  braucht  dies  nicht  zu  thun,  „denn  er 
ist  Herr  über  Alles.«*  u.  s.  w. 

Der  Stand  der  Kshatriya,  des  ritterlichen  Adels,  wurde, 
nachdem  einmal  seine  Unterordnung  unter  die  Brahmanen  end- 
gültig entschieden  und  anerkannt  war,  von  diesen  letzteren  in 
seiner  Stellung  und  Bedeutung  den  anderen  Ständen  gegenüber 
durchaus  gestützt;  war  er  doch  unentbehrlich  zur  Sicherung 
des  Staates  und  zur  Aufrechterhaltung  der  bestehenden  Ord- 
nung, an  der  den  Brahmanen  Alles  lag.  Gelegenheit,  ihr  Ritter- 
thum zu  bewähren,  gaben  die  Kämpfe  des  Mittelalters  den 
Kshatriya  oft  genug.  Dennoch  wurde  die  Bedeutung  dieses 
Adels  einigermassen  durch  die  hohe  Stellung  des  Königthums 


1  S.  Manu  8,  268.         »  8.  Manu  8,  267.  •  8.  Manu  8,  267 

*  S.  Manu  8,  270.  271.  •  8.  Manu  8,  272.  •  8.  Manu  8,  2S0. 

282.  283.  '  8.  Manu  8,  279  flg.  Yajfi.  2,  215.  •  S.  Manu  8.  142 
Yajn.  2,  37.       •  8.  Manu  8,  37. 


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—  419 


herabgedrückt  Nur  im  Pendschab  erhielt  sich  derselbe  in 
einer  freieren,  unabhängigeren  Stellung.1 

Die  Vaic,ya  und  Qüdra  sind,  wie  schon  früher  erwähnt 
ist,  eigentlich  gar  keine  geschlossenen  Stände.  Vaicja  hiessen 
alle  arischen  Inder,  die  nicht  Priester  oder  Ritter  waren,  und 
Qüdra  nannte  man  die  unarischen  Inder,  die  sich  der  brab- 
manischen  Staatsordnung  gefugt  hatten,  die  ihrerseits  aber  aus 
mancherlei  verschiedenen  Völkerschaften  sich  recrutirten.  Unter 
den  Namen  Vaicja  und  Qüdra  wird  demnach  zum  Theil  ganz 
Ungleichartiges  vereinigt  und  hat  die  ständische  Viertheilung 
eigentlich  nur  in  der  Theorie  bestanden.  Gegenwärtig  sind  die 
Bezeichnungen  Vaicja  und  Qüdra  ganz  bedeutungslos  geworden 
und  so  gut  wie  vergessen,  aber  auch  schon  für  jene  alte  Zeit 
bemerkt  Schlagintweit *  treffend:  „Die  Worte  Vaicja  und 
Qüdra  könnten  aus  Ramäyana  und  Mahabharata  ausgemerzt 
werden,  ohne  dass  sich  eine  der  beiden  Sammlungen  als  un- 
vollständig erwiese;  wollte  man  aber  die  Worte  Brahmane  und 
Kshatriya  ausstreichen,  so  würde  der  Rahmen  der  Gedichte 
sofort  zusammenbrechen." 

Die  Beschäftigung  der  einzelnen  Kasten  und  die  Art, 
wie  sio  sich  ihren  Lebensunterhalt  erwerben  sollen,  wird 
von  den  Gesetzbüchern  genau  normirt.  Die  Brahmanen  sollten 
ihr  Leben  mit  Opfern,  Gebeten,  Bussübungen,  dem  Studium  des 
Veda  und  der  anderen  kanonischen  Schriften  hinbringen.  Ihren 
Unterhalt  sollten  sie  vom  Opferlohn,  von  der  Bezahlung  für 
den  Unterricht  im  Veda,  von  der  Freigebigkeit  der  Könige 
und  anderer  mildthätiger  Menschen  beziehen.8  Den  anderen 
Kasten  ist  diese  Art  des  Erwerbes  verboten.4  Krieger  und 
Vaicja  sollen  zwar  auch  die  heiligen  Texte  lesen  und  für  sich 
opfern  oder  opfern  lassen;  seinen  Lebensunterhalt  soll  aber  der 
Kshatrija  durch  den  Kriegsdienst,  durch  Schwert  und  Speer 
gewinnen;  der  Vaic,ya  durch  Handel,  Viehzucht  und  Ackerbau.6 
Aber  in  aller  Strenge  Hessen  sich  diese  Bestimmungen  nicht 
durchführen  und  daher  sahen  sich  die  Gesetzbücher  zu  wich- 
tigen Einschränkungen  veranlasst.  Nur  eine  beschränkte  An- 
zahl der  ganzen  grossen  Brahmanenkaste  konnte  doch  von  Opfer 
und  Unterricht  wirklich  leben,  und  wenn  es  auch  Könige  gab, 
denen  man  nachrühmte,  dass  sie  60,000  und  80,000  Brahmanen 
täglich  speisten,  wenn  auch  Viele  bettelnd  umherzogen  und 


1  Es  sind  die  bekannten  sogenannten  Rajputen.  9  Schlagintweit, 
Indien  I  p.  63.  *  8.  Manu  10,  76.  76.  *  Manu  10,  77.  78.  a  Manu 
10,  79. 

27* 


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—   420  — 


auch  die  Griechen  uns  berichten,  dass  sie  mit  Geschenken 
überhäuft  wurden,  auf  dem  Markte  nehmen  konnten,  was  sie 
wollten  u.  s.  w.,  so  blieb  doch  immer  eine  grosse  Zahl  übrig, 
insbesondere  von  denen,  welche  als  Hausväter  Frau  und  Kinder 
zu  ernähren  hatten,  die  in  dieser  Weise  absolut  nicht  existiren 
konnten.  Die  brahmanischen  Gesetzgeber  sahen  sich  hier  ge- 
nöthtgt,  dem  Zwange  der  Verhältnisse  nicht  unbedeutende  Con- 
cessionen  zu  machen.  Das  Gesetzbuch  des  Manu  gestattet  es, 
dass  mittellose  Brahmanen  Kriegsdienste  nehmen,  als  Kahatriya 
leben;1  im  Nothfall  ist  ihnen  auch  der  Ackerbau,  die  Vieh- 
zucht* und  der  Handel  in  gewissen  Grenzen8  gestattet  Manche 
Branchen  desselben  sind  ihnen  aber  aufs  Strengste  verboten,  wie 
z.  B.  der  Handel  mit  berauschenden  Getränken,  mit  Essenzen 
und  Wohlgerüchen,  Fleisch,  Milch,  Schmalzbutter,  Honig,  Sesam, 
Salz,  Vieh  und  Menschen,  mit  gefärbten  Geweben,  mit  Sachen, 
die  aus  Hanf,  Flachs  oder  Wolle  verfertigt  sind,  mit  Wurzeln 
und  Kräutern,  Waffen  und  Giften,  Süssigkeiten,  Indigo,  Lack 
u.  a.  m.*  Aehnliche  Zugeständnisse  werden  auch  den  Ksha- 
triya  gemacht;5  und  auch  der  Vaicya  darf  im  Falle  der  Noth 
die  Beschäftigung  eines  Qüdra  auf  sich  nehmen.6  Aufs  Strengste 
aber  —  und  das  ist  wichtig  —  bleibt  es  den  niederen  Kasten 
verboten,  sich  die  Beschäftigungen  der  höheren  anzumaasen, 
unter  Androhung  empfindlicher  Strafen.7  Hierin  tritt  sehr  be- 
zeichnend der  Hochmuth  der  höheren  Stände  hervor,  die  das 
Emporkommen  der  niederen  schlechterdings  verhindern  wollten 
und  das  Emporstreben  zu  ihren  Beschäftigungen  als  ein  gott- 
loses Beginnen  stempelten.  # 

Der  Qüdra  soll  den  oberen  Kasten  dienen,  die  Knecht- 
schaft ist  ihm  eingeboren  und  unabänderlich.8  Er  mag  seinen 
Lebensunterhalt  durch  Dienst  bei  einem  Kshatriyä  oder  einem 
wohlhabenden  Vaicja  gewinnen;9  vor  Allem  aber  soll  er  den 


1  S.  Manu  10,  81.  Tain.  8,  35. 

•  S.  Manu  10,  82.  Allerdings  wird  in  den  anmittelbar  folgenden 
Versen  des  Gesetzbuches  vor  dem  Ackerbau  nachdrücklich  gewarnt,  weil 
man  bei  demselben  die  Erde  mit  dem  Pfluge  aufreisst  und  Thiere,  die 
in  der  Erde  wohnen,  tödtet  (s.  Manu  10,  83.  84). 

•  8.  Manu  10,  86. 

4  S.  Manu  10,  86—89. 
6  S.  Manu  10,  95. 
6  S.  Manu  10,  98. 

'  Wer  dawider  handelt,  dem  soll  der  König  sein  Eigenthum  weg- 
nehmen und  ihn  verbannen  (Manu  10,  96). 
0  S.  Manu  8,  414. 

•  S.  Manu  10,  121. 


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—   421  — 

Brahmanen  dienen,  ob  bezahlt  oder  unbezahlt1  Dem  Brah- 
manen  zu  dienen  ist  die  vorzüglichste  Beschäftigung,  die  oberste 
Pflicht  des  Qudra;1  dies  bedingt  sein  Glück,  denn  er  kann 
dadurch  nach  dem  Tode  höhere  Geburten  erlangen; s  dazu  ist 
er  geboren.4  Der  Brahmane  darf  ihn  ganz  als  seinen  Sklaven 
betrachten  und  ist  daher  auch  befugt,  ihm  sein  Eigenthum 
wegzunehmen,  denn  der  Besitz  des  Sklaven  gehört  seinem 
Herrn.6  Der  Qüdra  soll,  auch  wenn  er  dazu  in  der  Lage  ist, 
keine  Reich thümer  erwerben,  denn  dies  beleidigt  den  Brah- 
manen!4 Dem  (Jüdra  darf  man  endlich  unter  keinen  Umständen 
über  das  Gesetz  oder  die  religiösen  Observanzen  Mittheilung 
machen.  Wer  solches  thut,  fährt  sammt  demjenigen,  den  er 
belehrt,  in  die  Hölle  Asamvritta.7 

Die  hochmüthige  Abgeschlossenheit  der  oberen  Stände  zeigt 
sich  vor  allen  Dingen  in  den  Gesetzen  über  das  Gonnubium. 

War  es  schon  eine  scharfe,  ja  eine  eherne  Grenze,  wenn 
die  Bestimmung  durchgedrungen  war,  dass  Niemand  aus  der 
Kaste,  in  welcher  er  geboren,  in  eine  andere  übertreten  konnte, 
so  wurde  dieselbe  noch  um  ein  Bedeutendes  dadurch  ver- 
schärft, dass  man  auch  die  Ehen  mit  Weibern  aus  anderer 
Kaste  nach  Möglichkeit  zu  verhindern  suchte,  um  so  die  Tren- 
nung des  Blutes  zu  einer  vollständigen  zu  machen.  Diesen 
Zweck  zu  erreichen,  wurden  den  natürlichen  Empfindungen 
die  härtesten,  unnatürlichsten  Fesseln  auferlegt  und  unzählige 
menschliche  Wesen  ohne  jede  Schuld  von  ihrer  Seite  zu  einem 
Dasein  des  Elends  und  Jammers  bestimmt  Zuerst  mochte 
man  sich  wohl  darauf  beschränkt  haben,  dass  man  von  den 
Männern  verlangte,  als  erste,  legitime  Frau  ein  Weib  aus  der 
eigenen  Kaste  heimzuführen,  während  es  ihnen  weiter  gestattet 
war,  Nebenfrauen  auch  aus  niederen  Kasten  zu  wählen.  Diese 
Erlaubniss  erhält  indessen  in  Manu's  Gesetzbuch  eine  schwer- 
wiegende Beschränkung  durch  die  Bestimmung,  dass  alle  Kinder 
von  Frauen,  die  nicht  der  Kaste  des  Mannes  angehören,  selbst 
auch  nicht  zu_  dieser  Kaste  gerechnet  werden  dürfen,  sondern 
den  Stand  des  Vaters  verlieren  und  in  eine  der  zahlreichen 
Mischkasten  fallen,  deren  Stellung  im  starren  brahmanischen 
Staats  verbände  eine  äusserst  missliche  war.  Nur  Kinder  von 
Frauen  der  gleichen  Kaste  behalten  die  Kaste  des  Vaters.8 

Die  Vereinigung  mit  einem  Weibe  aus  anderer  Kaste  wird 


1  S.  Manu  10,  122.  8,  413.     *  Manu  10,  123.  v.  334.     8  8.  Manu 

9,  334.  335.     4  S.  Manu  8,  413.     5  S.  Manu  8,  417.  416.     •  S.  Manu 

10,  129.      1  S.  Manu  4,  80.  81.      8  8.  Manu  10,  6.  Vgl.  auch  10,  69. 


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-    422  — 

als  unrein,  als  sündig  gekennzeichnet,  und  so  sind  auch  die 
unglücklichen  Geschöpfe,  die  solcher  Verbindung  entspringen, 
von  Natur  schon  unrein,  schlecht  und  verworfen.  Dabei  hält 
die  brahmanische  Theorie  den  Grundsatz  aufrecht,  dass  guter 
Same  auf  schlechtem  Boden  noch  leidliche  Früchte  bringen 
könne,  schlechter  Same  dagegen  auf  gutem  Boden  die  abscheu- 
lichsten Resultate  zur  Folge  hat.  Demgemäss  gelten  die  Kinder 
eines  Brahmanen  von  Frauen  niederer  Kaste,  selbst  von  Qüdra- 
frauen,  noch  nicht  für  völlig  schlecht,  während  dagegen  die 
elendesten  und  verworfensten  Wesen  aus  der  Verbindung  eines 
Qudra  mit  einem  Brahmanenweibe  entspringen  mussien.1  Zahl- 
reiche Abstufungen  sind  hier  möglich,  und  demgemäss  giebt  es 
denn  auch  eine  ganze  Menge  unreiner  Kasten. 

Das  Gesetzbuch  des  Manu  nennt  alle  Kinder  eines  Brah- 
manen, Kshatriya  oder  Vaigya  von  einer  Frau  aus  niederer 
Kaste  als  die  des  Vaters  Ausgestossene  (apasadas).*  Indessen 
sollen  doch  diejenigen,  deren  Mutter  nur  um  eine  Kaste  tiefer 
stand  als  der  Vater,  nach  dem  Gesetze  der  Zweimalgeborenen 
leben;9  die  anderen  aber  nach  dem  Gesetze  der  Qüdra's  und 
schlimmer  als  Qüdra's.  Der  Sohn  eines  Brahmanen  von  einem 
VaicjarMädchen  ist  ein  Ambashtha;  von  einem  Qüdra-Mädchen 
ein  Nishäda  oder  Paracava.4  Der  Sohn  eines  Kshatriya  von 
einem  Cudra-Mädchen  heisst  ein  Ugra;6  von  einem  Brahmanen- 
mädchen  Süta;  der  Sohn  eines  Vaicja  von  einem  Kshatriya- 
mädchen  ist  ein  Magadha;  von  einem  Brahmanenmädchen  — 
ein  Vaideha.6  Der  Sohn  eines  Qüdra  von  einer  Vaicjafrau  ist 
ein  Äyogava;  von  einer  Kshatriyafrau  —  eia  Kshaftar;  von 
einer  Brahmanenfrau  —  ein  Candala,  der  niedrigste  der  Men- 
schen, wie  ihn  das  Gesetzbuch  nennt.7  Weitere  Mischung  giebt 
immer  neue  Kasten.  Der  Sohn  eines  Brahmanen  z.  B  von 
einem  Ambashtha- Mädchen  ist  ein  Äbhira;*  der  Sohn  eines 
Nishäda  von  einer  Qüdrafrau  ist  ein  Pukkasa9  u.  s.  w.  Wenn 
schon  die  Kinder  eines  Qüdra  von  einer  Brahmanin  als  Ver- 
worfene, Kastenlose  gelten,  so  ist  die  Verworfenheit  der  Kinder 
eines  solchen  Kastenlosen  mit  einem  Weibe  aus  einer  der  vier 
legalen  Kasten  noch  grösser,  und  so  kann  sich  nach  der  Theorie 
des  Gesetzbuches  die  Verworfenheit  noch  immer  weiter  poten- 
ziren.10  Der  Sohn  eines  Candala  von  einem  Nishäda-Weibe  ist 


1  S.  Manu  10,  66.  67.      *  Vgl.  Manu  10,  10.     5  S.  Manu  10,  41 
4  S.  Manu  10,  8.      5  8  Manu  10,  9.     •  S.  Manu  10,  11.     1  S.  Manu 
10,  12.         8  S.  Manu  10,  15.         9  S.  Manu  10,  18.         10  S.  Manu 

10,  31.  32. 


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-    423  - 

ein  Antyavasayin,  der  an  Stätten  der  Leichenverbrennung  leben 
soll  und  sogar  von  den  Kastenlosen  verachtet  wird1  n.  dgl  m. 

Merkwürdig  ist  der  Umstand,  dass  eine  ganze  Reihe  von 
Namen  dieser  unreinen  Mißchkasten  ursprünglich  offenbar  nichts 
weiter  sind,  als  die  Namen  verschiedener  unarischer  Völker- 
schaften, welche  auf  solche  Weise  mit  in  das  brahmanische 
System  eingereiht  werden.  So  sind  die  Nishada  ein  bekannter 
Volksstamm,  die  Ambash^ha  ebenso,  die  Abhira  ein  Volk  im 
unteren  Indusgebiet,  die  Cancjala  ein  recht  bedeutender  Volks- 
stamm, der  noch  heute  im  unteren  Gangeslande  lebt;  die  Mä- 
gadha  und  Vaideha  sind  Bewohner  der  Provinzen  Magadha 
und  Videha  u.  s.  w.  Damit  soll  nun  nicht  behauptet  werden, 
dass  nicht  wirklich  Mischkasten  existirten,  welche  jene  Namen 
trugen.  Die  brahmanische  Theorie  gefällt  sich  nur  darin,  die 
einzelnen,  aus  bestimmten  unerlaubten  Mischungen  hervor- 
gegangenen Sprösslinge  auf  gleiche  Stufe  mit  je  einem  jener 
unreinen,  ausserhalb  des  brahmanischen  Staatsverbandes  leben- 
den Völkerstämme  zu  stellen,  bei  welchen  ein  verschiedener 
Grad  der  Unreinheit  angenommen  wird.1  Die  Beschäftigung, 
welche  von  dem  Gesetzbuch  diesen  Mischkasten  zugewiesen 
wird,  scheint  auch  nur  die  gewohnheitsmässige  Beschäftigung 
der  betreffenden  Stämme  gewesen  zu  sein.  Es  ist  dies  eine 
theoretisirende  Spielerei,  wie  sie  die  Inder  liebten. 

War  schon  die  Stellung  des  (Judra  gegenüber  den  drei 
oberen  Kasten  eine  sehr  precäre  und  in  vieler  Beziehung  eine 
geradezu  recht-  und  schutzlose,8  so  gilt  dies  noch  in  weit 
höherem  Grade  von  den  Mischkasten  und  am  meisten  natürlich 
von  den  niedrigsten,  die  für  die  unreinsten  und  verworfensten 
gehalten  wurden.4 

Ein  elendes  Dasein  schreibt  das  Gesetzbuch  dem  Candala 
vor.  Fern  von  den  Wohnsitzen  anderer  Menschen  soll  er  hausen, 
Zeichen  an  sich  tragend,  durch  die  ihn  Jeder  erkennen  und 
meiden  kann,  denn  die  Berührung  mit  ihm  verunreinigt.  Nur 
bei  Tage  darf  er  in  die  Dörfer  kommen,  damit  man  ihm  aus- 
weichen kann.  Er  soll  nur  gemeine  Thiere,  wio  Hunde  und 
Esel  besitzen,  nur  aus  zerbrochenem  Geschirr  essen,  sich  nur 


1  S.  Mann  10,  39. 

*  Auch  die  in  südindischen  Dialekten  Paria's  genannten  Völker- 
■tamme  Bind  bekanntlich  zu  ganz  niedrigen,  unreinen  Kasten  gestempelt. 

•  Vgl.  oben  p.  420.  421. 

4  Ihr  Leben  hinzugeben  für  die  Sache  eines  Brahmanen  oder 
einer  Kuh  soll  für  die  Kastenlosen  das  höchste  Glück  sein.  S.  Manu 
10,  62. 


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—   424  — 

in  die  Gewänder  von  Todten  kleiden  u.  dgl  Sie  sollen  Dienste 
als  Henker  verrichten,  Jedermann  soll  sie  meiden  n.  s.  w.1  Es 
ist  Verachtung,  Jammer  und  Elend  in  höchster  Potenz,  die  der 
stolze  Brahmane  üher  diese  Elenden  verhängt. 

Leider  sind  diese  anwürdigen  Theorieen  auch  in  die  Praxis» 
ja  sie  sind  in  Fleisch  und  Blut  des  indischen  Volkes  über- 
gegangen. Es  ist  bekannt,  welch  entsetzliche  Eindrücke  Euro- 
päer oft  genug  empfingen,  wenn  sie  die  entwürdigende  Behand- 
lung dieser  verworfenen  Kasten  seitens  der  höheren  ansehen 
mussten.1 

„Paria"  ist  darum  auch  heute  noch  bei  uns  die  Bezeich- 
nung für  einen  elenden,  von  Allen  getretenen,  verstossenen  und 
verachteten  Menschen. 

Mit  tiefem  Mitleid  erfüllte  die  europäischen  Beobachter 
die  dumpfe  Ergebung,  mit  welcher  diese  Unglücklichen  ihr 
elendes  Loos  tragen,  fest  überzeugt,  dass  ihnen  nichts  Anderes 


1  S.  Manu  10,  51—66. 

*  Beispielsweise  führe  ich  nur  an,  was  der  Franzose  Sonnerat 
berichtet,  der  vor  ca.  100  Jahren  (1774 — 1781)  Indien  bereiste.  (Reise 
nach  Ostindien  und  China,  deutsche  Uebers.  Bd.  I  p.  47):  .Die 
Parias  machen  den  letzten  Stamm  aus;  Bie  werden  von  den  übrigen 
Indiern  als  unehrliche,  unreine,  abscheuliche  und  verworfene  Leute  an- 
gesehen. In  öffentlichen  Unterhandlungen  und  im  bürgerlichen  Leben 
setzt  man  sie  nicht  einmal  unter  die  Stämme.  Zufolge  dieser  Ver- 
achtung sind  sie  von  aller  Gesellschaft  verbannt  und  haben  ihre  Woh- 
nungen an  abgelegenen  Plätzen.  Noch  ist  man  nicht  damit  zufrieden, 
dass  sie  von  den  Städten,  Flecken  und  Dörfern,  den  gemeinschaftlichen 
Wohnplätzen  der  übrigen  Nation  entfernt  seien.  Sie  müssen  sich  sogar 
auf  eine  beträchtliche  Weite  davon  wegflüchten,  damit  der  Wind  keine 
unreinen  und  ansteckenden  Dürste  aus  ihrer  Nachbarschaft  verbreite; 
denn  dies  würde  man  wirklich  in  ihrer  Nähe  befürchten.  —  Ihre  Häuser 
sind  elende  Hüttchen,  in  die  kaum  ein  Mensch  hineingehen  kann;  und 
aus  solchen  bestehen  ihre  kleinen  Dörfchen,  die  man  Paretschari  nennt. 
Sie  dürfen  kein  Wasser  aus  den  Brunnen  der  anderen  Stamme  schöpfen, 
sondern  haben  eigene  Quellen  bei  ihren  Wohnungen,  die  sie  mit  Knochen 
von  Thieren  einfassen  müssen,  damit  man  sie  kenne  und  vermeide.  Ueoer- 
haupt  bestehen  die  Geschäfte  der  Parias  in  den  niedrigsten  und  ekel- 
haftesten Verrichtungen.  Wenn  ein  Indier  eines  anderen  Stammes  [d.  h. 
anderer  Kaste]  einem  solchen  ihn  anzureden  erlaubt,  muss  der  elende 
Wicht  eine  Hand  vor  den  Mund  halten,  damit  sein  Athem  nicht  gegen 
den  Andern  zu  komme,  und  wenn  er  einem  auf  der  Strasse  begegnet, 
muss  er  sich  umwenden,  bis  der  andere  vorbei  ist.  Trifft  sich's,  dass 
ein  Indier,  sollt  er  auch'  nur  ein  Schutre  [d.  h.  Qüdra]  sein ,  aus  Unvor- 
sichtigkeit einen  Paria  berührt,  so  muss  er  sich  stracks  in  einem  B&d 
reinigen.  Die  Brahmanen  dürfen  dieselben  vollends  nicht  ansehen,  und 
die  Parias  müssen  fliehen,  sobald  sie  nur  einen  solchen  zu  Gesichte  be- 
kommen»1 u.  s.  w. 


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—    425  - 

gebühre,  und  ängstlich  darauf  bedacht,  durch  ihre  Nähe  nicht 
am  Ende  Andere  zu  beflecken. 

Noch  heute  bilden  die  verworfenen  Kasten  nach  Schlag- 
intweit's  Angabe  ca.  14  Procent  der  Hindubevölkerung.  8ie 
dürfen  nicht  in  den  Dörfern  selbst  wohne d,  sondern  nur  ausser- 
halb derselben.  Der  Brahmane  nimmt  nichts  aus  ihren  Händen. 
Sie  müssen  die  Waaren  auf  die  Erde  stellen,  ehe  er  sie  an- 
fasst  u.  dgl1 

Im  Laufe  der  Zeit  haben  sich  die  Kasten  mehr  und  mehr 
in  eine  ganze  Menge  von  Unterabtheilungen  geschieden.  Dabei 
waren  weniger  die  vorhin  besprochenen  Mischungen  von  Wichtig- 
keit, als  vor  Allem  die  verschiedenen  Berufsarten,  denen  sich 
die  Glieder  ein  und  derselben  Kaste  widmeten.  Diejenigen 
Brahmanen,  welche  wirklich  opferten  und  Veda  lehrten,  schieden 
sich  von  denen,  welche  Kriegsdienste  nahmen,  wie  auch  von 
denen,  die  Handel  trieben  oder  sonst  von  einem  anderen  er- 
laubten Erwerb  lebten.  Diese  zerfielen  weiter  nach  den  ein- 
zelnen Gegenständen  des  Handels  u.  8.  w.  in  Unterabtheilungen. 
Aehnlich  war  es  in  der  Kaste  der  Kshatriya,  und  vor  Allem 
wichtig  waren  diese  Unterscheidungen  bei  den  Väicya  und 
Qudra,  welche,  wie  erwähnt,  eigentlich  nie  eine  geschlossene 
Kaste  mit  festbestimmter  Beschäftigung  ausmachten.  Bei  ihnen 
musste  darum  die  Scheidung  nach  der  Berufsart  von  besonderer 
Bedeutung  sein.  Die  Schmiede,  die  Zimmerleute,  die  Weber, 
die  Töpfer,  alle  die  verschiedenen  Händler  und  Handwerker, 
die  Fischer  u.  s.  w.  trennten  sich  im  Laufe  der  Zeit  von  einander 
ab,  heiratheten  nur  noch  unter  einander,  machten  so  ihre  Be- 
rufsarten erblich  und  wurden  zu  mehreren  hundert  kleinen, 
streng  geschiedenen  Kasten,  die  neben  einander  bestanden,  ohne 
sich  viel  zu  berühren.  Dieser  Zustand  ist  der  in  der  Neuzeit 
noch  bestehende.2  Die  Scheidung  nach  der  Berufsart,  dem 
Erwerbszweig  Hess  diese  Kasten  den  ersten  europäischen  Beob- 
achtern in  erster  Linie  als  streng  gesonderte  Gilden  oder 
Zünfte  erscheinen  und  als  solche  werden  sie  z.  B.  auch  von 
dem  französischen  Reisenden  Sonnerat  im  vorigen  Jahrhundert 
geschildert.  Von  einer  Viertheilung  konnten  die  Europäer  in 
Praxi  gar  nichts  wahrnehmen.  Sie  bestand  nur  in  der  Theorie 
des  Gesetzbuches. 

Auch  E.  Schlagintweit,  der  das  moderne  Kastenwesen 
der  Inder  gründlich  studirt  hat  und  dem  wir  einen  werthvollen 


1  Schlagintweit,  Indien,  I  p.  56. 

8  Es  kamen  dann  auch  noch  locale  Scheidungen  dazu. 


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—   426  — 

Artikel  darüber  verdanken,1  sagt,  die  indischen  Kasten  ent- 
sprächen —  Brahmanen  und  Rajputen  (d.  h.  Adlige)  ausge- 
nommen —  „den  geschlossenen  Gilden,  welche  im  Mittelalter 
eine  so  grosse  Rolle  spielten." Ä 

Die  Spaltung  in  weitere  Unterkasten  je  nach  der  Be- 
schäftigung nimmt  nach  Schlagintweit  noch  jetzt  bestandig 
ihren  Fortgang.9  Es  giebt  ihrer  gegenwärtig  mehr  als  vor 
einem  halben  Jahrhundert,  und  jede  neue  Zählung  bringt  ihrer 
mehr  zu  Tage.  Auch  das  religiöse  Sectirerwesen  hat  an  diesen 
weiteren  Spaltungen  keinen  unwesentlichen  Antheil.4 

Dass  übrigens  die  Viertheilung  der  Rasten  schon  in  der 
alten  Zeit  eine  vorwiegend  theoretische  Bedeutung  hatte  und 
das  Bild  sich  in  Praxi  wesentlich  anders  ausnahm,  scheint  mir 
ausser  Anderem  auch  daraus  hervorzugehen,  dass  die  griechischen 
Beobachter,  denen  wir  entschiedenen  Scharfblick  nicht  ab- 
sprechen können,  uns  die  Zahl  der  indischen  Kasten  oder 
—  wie  sie  sich  ausdrücken  —  der  Stämme  nicht  auf  vier, 
sondern  auf  sieben  angeben.  Es  seien  dies  nämlich  1)  der 
Stamm  der  Weisen;  2)  die  Beamten;  3)  die  Aufpasser  oder 
Spione,  die  das  Land  im  Auftrag  des  Königs  überwachen; 
4)  die  Krieger;  5)  die  Künstler,  Handwerker  und  Kauf- 
leute; 6)  die  Bauern;  7)  die  Jäger  und  Hirten.  Diese 
sieben  Stände  hätten  kein  Connubium  unter  einander  und 
Niemand  dürfe  aus  einem  in  den  anderen  übertreten.5 

Unter  der  letzten  Klasse,  den  Jägern  und  Hirten,  dürften 
wohl  jene  unarischen  Stämme  zu  verstehen  sein,  die  das  Ge- 
setzbuch als  Mischkasten  bezeichnet  und  denen  es  diese  Be- 
schäftigungen zuweist  Wenn  aber  auch  die  „Beamten"  und 
die  „Aufpasser"  als  besondere  Stände  neben  die  Weisen, 
Krieger  u.  s.  w.  gestellt  werden,  so  war  dabei  offenbar  ihre 
besondere  Berufsart  maassgebend.  Was  die  Griechen  gerade 
zur  Angabe  der  Siebenzahl  brachte,  ist  nicht  genügend  auf- 
ehellt;  dass  sie  aber  keine  ständische  Viertheilung  wahrnahmen, 
£eht  jedenfalls  klar  daraus  hervor. 


*  „Ostindiache  Kaste  in  der  Gegenwart"  von  Emil  Schlag- 
intweit In  der  Ztschr.  d.  D.  Morg.  Gea.  Bd.  XXXIII,  Heft  IV,  p.  549  flg. 

*  S.  Schlagintweit,  Indien,  I  p.  66. 

3  „Gegenwärtig  bildet  jede  Beschäftigung  eine  Kaste."  Schlagint- 
weit. Indien  I  p.  56. 

4  Schlagintweit,  Indien,  I  p.  56. 

6  S.  Duncker,  a.  a.  0.  p.  316—318. 


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Dreissigste  Vorlesung. 


• 

Die  hauelichen  Verhältnisse  der  Inder  zur  Zeit  des  Mittelaltert.  Not- 
wendigkeit der  Ehe.  Ahnencultus.  Adoption.  Leviratsehe.  Die  ver- 
schiedenen  Arten  der  Eheschliessung.  Polygamie.  Rechtliche  Stellung 
der  Frauen.  Hingehung,  die  von  den  Frauen  gefordert  wird.  Wittwen- 
v  erb  rennung.  Kriegswesen.  Handel  und  Industrie.  Die  Schrift  und  ihr 
rauthmaasslicher  Ursprung.    Die  Sprache  und  ihre  Entwickelang  in 

dieser  Zeit. 


Wenden  wir  uns  nun  zur  Besprechung  der  häuslichen 
Verhältnisse,  wie  sich  dieselben  bei  den  Indern  zur  Zeit 
des  Mittelalters  gestalteten,  so  ist  zu  bemerken,  dass  auf  diesem 
Gebiete  die  Sitte  vieles  Alte  bewahrt,  aber  freilich  auch 
manches  Neue  eingeführt,  oder  doch  manchem*  Alten  eine  un- 
erwartete Entwicklung,  eine  neue  Gestalt  gegeben. 

Für  den  brahmanischen  Inder,  im  geraden  Gegensatz  zu 
dem  mönchischen  Buddhisten,  war  die  Ehe  obligatorisch.  Die 
Gesetzbücher  schreiben  ihm  vor  zu  heirathen.  Es  ist  dies 
noth wendig  zur  Aufrechterhaltung  der  brahmanischen  Gesell- 
schaftsordnung. Der  brahmanische  Inder  muss  das  Stadium 
des  Hausvaters  (Grihastha)  durchmachen,  muss  einen  Sohn 
haben,  der  nach  seinem  Tode  für  ihn  die  Todtonspenden  und 
Ahnenopfer  darbringen  kann. 

Es  war  eine  uralte,  bei  den  Indern  festgewurzelte  Sitte, 
den  abgeschiedenen  Geistern  der  Vorfahren  bestimmte  Opfer- 
ungen darzubringen,  sie  zum  gemeinsamen  Mahle  herbeizurufen.1 
Diese  Sitte  passte  nun  allerdings  eigentlich  nicht  mehr  in  eine 
Zeit,  welche  den  Glauben  an  die  Soelenwanderung  angenommen 
hatte.  Denn  nach  diesem  Glauben  weilten  die  abgeschiedenen 
Seelen,  die  Geister  der  Ahnen  ja  nicht  mehr  als  Heroen  oder 
Halbgötter  in  dem  lichten  Himmel  Yama's,  aus  dem  sie,  wie 


1  Wir  haben  schon  im  Rigveda  Hymnen,  die  an  die  Väter  gerichtet 
sind  und  sie  mm  Opfermahle'  einladen;  so  RV  10,  15.  Vgl.,  oben  p.  44. 


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man  früher  glaubte,  zum  Opfer  herbeikamen,  —  vielmehr 
musste  man  sie  sich  doch  irgendwo  auf  der  weiten  Reise  der 
Seelen  Wanderung  denken,  wo  sie  die  Anrufung  des  Nachkommen 
nicht  vernehmen,  also  auch  nicht  zum  Mahle  kommen  konnten. 
Indessen,  merkwürdig  genug,  die  alte  Sitte,  der  alte  Glaube, 
sie  erwiesen  sich  mächtiger  als  diese  Ueberlegung.  Man  hielt 
an  dem  Ahnencultus  fest,  und  die  Brahmanen  suchten  sich  die 
Sache  zurecht  zu  legen,  indem  sie  lehrten,  die  Todtenopfer 
seien  nöthig,  um  die  Seelen  der  Vorfahren  aus  einer  bestimmten 
Hölle  zu  befreien.1 

Jedes  Mitglied  der  drei  oberen  Kasten  hatte  täglich  durch 
eine,  übrigens  sehr  einfache,  Ceremonie  die  Ahnen  zu  ehren.* 
Ausserdem  aber  fanden  zu  bestimmten  Zeiten  und  bei  gewissen 
Gelegenheiten  grössere  Opfer,  Todtenmahle  oder  Gedächtniss- 
opfer an  die  abgeschiedenen  Geister  der  Vorfahren  statt,  bei 
welchen  einer  oder  mehrere  Priester  fungirten.5  Diese  berei- 
teten die  Leichenkuchen  aus  Reis  und  Butter  und  nahmen  be- 
stimmte Spenden  als  Stellvertreter  der  Ahnen  in  Empfang.4 
Ausser  den  Leichenkuchen  wurden  auch  noch  andere  Speisen 
dargebracht,  so  verschiedene  Sorten  von  Fleisch,  welche  je  nach 
ihrer  Qualität  die  Geister  für  längere  oder  kürzere  Zeit  be- 
friedigten.6 

Diese  Opfer  galten  für  so  unerlässlich,  dass  Männer,  welche 
keine  leiblichen  Söhne  hatten,  durch  Adoption  welche  annahmen, 
damit  dieselben  nach  ihrem  Tode  für  sie  den  Loichenkuchen 
darbringen  könnten.6 

Es  gab  übrigens  noch  einen  anderen  Weg,  auf  welchem 
der  kinderlose  Mann*  zu  einem  Sohn  gelangen  konnte,  nämlich 
durch  die  sogenannte  Levirats -Ehe  (Niyoga).  Diese  bestand 
darin,  dass  die  Frau,  resp.  die  Wittwe  durch  den  Schwager 
oder  einen  anderen  nahen  Anverwandten  einen  Sohn  zu  er- 


1  Es  ist  die  Hölle  Put  ;  vgl.  Manu  9,  138. 

•  Pitriyajna,  eines  der  fünf  täglich  darzubringenden  sogen,  grossen 
Opfer.  Vgl.  über  diese  Ceremonie  Malier,  Indien  in  8.  v.  Bd.  p.  198.  199. 

•  Es  waren  dies  die  sogen.  Pincjapitriyajiia  und  £raddba- Opfer. 
Vgl.  Näheres  über  dieselben  bei  M.  Müller  a.  a.  0.  p.  197—208.  — 
Ueber  das  Pindapitriyajua  hat  0.  Donner  eine  Monographie  veröffent- 
licht (Pindapitriyajna,  Das  Manenopfer  mit  Klössen  bei  den  Indern,  1870). 

4  Nämlich  bei  den  sogen.  Qraddha-Opfern.  Bei  diesen  stellten  die 
Brahmanen  das  Opferfeuer  vor,  in  welches  die  Gaben  geworfen  werdeu 
sollten.   Vgl.  Apast.  2,  16,  3.   Müller  a.  a.  0.  p.  208. 

6  Vgl.  oben  p.  407  Anm. 

•  Es  gab  verschiedene  Arten  der  Adoption.  Man  kann  darüber 
vergleichen  Jolly,  Outlines  of  an  History  of  the  Hindu  Law  p.  156  flg. 


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—    429  — 

langen  suchte.  Schon  im  Rigvoda  finden  wir  diesen  Brauch  an 
einer  Stelle  (10,  42,  2)  erwähnt;  das  Epos  bietet  fernere  Bei- 
spiele, und  das  Gesetzbuch  des  Manu  gestattet  ihn  ausdrücklich 
(9,  55  flg.).  Es  wird  dieser  Brauch  sogar  noch  bei  Lebzeiten 
des  Mannes  geübt,  natürlich  mit  dessen  Einwilligung;  nach  Er- 
zeugung eines  Sohnes  darf  aber  bei  schwerer  Strafe  kein 
weiterer  geschlechtlicher  Verkehr  stattfinden.  Uebrigens  scheint 
diese  Sitte  schon  frühzeitig  veraltet  zu  sein  und  ist  in  praxi 
abgekommen.1 

Es  gab  verschiedene  Formen  des  Freiens  und  der  Ehe- 
schliessung. Das  Epos  führt  uns  wiederholt  Frauenraub  vor. 
In  anderen  Fällen  gewinnen  die  Helden  die  Frau  durch  Be- 
weise ihrer  männlichen  Kraft  und  Tüchtigkeit,  wie  z.  B. 
Arjuna  und  Rama  durch  die  Spannung  eines  schwer  zu  hand- 
habenden Bogens.  Eine  andere  Form  ist  die  Selbstwahl  eines 
Gatten  von  Seiten  des  Weibes  (Svayamvara);  diese  tritt  uns 
wiederholt  in  schöner  Schilderung  im  Epos  entgegen,  so  bei 
Damayantl,  bei  Kunti,  bei  Savitri.» 

In  den  Gesetzbüchern  werden  verschiedene  Arten  einer 
guten  und  verschiedene  Arten  einer  schlechten  Eheschliessung 
aufgeführt  und  in  ihren  Folgen  erläutert.  In  der  Regel  sind 
ihrer  im  Ganzen  acht;  so  im  Gesetzbuch  des  Manu. 5  Die  beste 
Art  ist  die,  dsss  der  Vater  das  Mädchen  gebadet  und  geschmückt 
einem  im  Veda  wohlbewanderten  Manne  von  gutem  Charakter 
schenkt,  den  er  ehrenvoll  in  sein  Haus  geladen;  das  ist  die 
Brahman-Ehe.4  Nächstdem  kommt  die  Art,  dass  der  Vater 
das  Mädchen  dem  opfernden  Priester  schenkt;  diese  Art  wird 
die  Götter -Ehe  (däiva)  genannt.6  Wenn  der  Bräutigam  dem 
Vater  der  Braut  ein  Rinderpaar  schenkt,  so  ist  das  die  Ehe 
der  Rishi.6  Wenn  der  Vater  die  Beiden  zusammengiebt  mit 
den  Worten:  Vollzieht  mit  einander  die  Pflichten!  —  so  ist 
das  die  Ehe  des  Prajapati.   Dies  sind  die  vier  guten  Formen 


1  Vgl.  über  den  Niyoga  Jolly,  Outlines  of  an  Hist.  of  the  H.  L. 
p.  152  flg. 

8  Die  Selbstwahl  tritt  in  den  Gesetzbüchern  nur  nebensächlich 
hervor  und  scheint  im  Laufe  der  Zeit  abgekommen  zu  sein.  Vgl.  Jolly, 
Die  rechtliche  Stellung  der  Frauen  bei  den  alten  Indern  (Sitz.  Ber. 
phil.  hist.  Cl.  d.  Ak.  in  München,  1876)  p.  426. 

*  Vgl.  Manu  3,  20.   YajB.  1,  58—61. 

*  Vgl.  Manu  3,  27. 

*  8.  Manu  3,  28. 

8  Dies  Rinderpaar  hatte  eine  symbolische  Bedeutung  und  sollte 
nicht  etwa  ein  Kaufpreis  sein.  Vgl  Jolly,  Rechtliche  Stellung  der 
Fraoen  p.  433. 


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—  430 


der  Eheschliessung,  bei  welchen  der  darin  geborene  Sohn  jedes- 
mal eine  bestimmte  Anzahl  von  Vorfahren  und  Nachkommen 
„reinigt".  Zu  den  schlechten  Arten  gehört  erstens  die  Ehe  aas 
gegenseitiger  Neigung,  ohne  Wissen  des  Vaters  und  der  Mutter ; 
das  ist  die  Ehe  der  Gandharven,  wie  sie  z.  B.  ^akuntalä  und 
König  Dushyanta  eingehen.  Ferner  die  Eheschliessung,  bei 
welcher  der  Vater  die  Tochter  verkauft  hat;  das  ist  die  Ehe 
der  Asura  oder  bösen  Götter.  Dann  Eheschliessung  durch  ge- 
walttätige Entfuhrung  —  die  Ehe  der  Rakshasa;  und  endlich 
die  Ehe  der  PicAca,  in  welche  das  Mädchen  durch  List  und 
Betrug  wider  ihren  Willen  hineingebracht  ist.1 

Die  Mädchen  wurden  schon  in  sehr  zartem  Alter  verlobt 
und  verheirathet  und  stets  mit  dem  Beginn  der  Geschlechtsreife 
oder  unmittelbar  darauf  dem  Bräutigam  ausgeliefert1  Es  wird 
als  Pflicht  des  Vaters  angesehen,  die  Tochter  zu  rechter  Zeit 
zu  verheirathen.8  Thut  er  das  nicht,  so  gewinnt  sie,  drei 
Jahre  nach  Erlangung  der  Mannbarkeit,  das  Recht,  sich  selbst 
einen  Gatten  zu  wählen.4 

In  den  ältesten  Zeiten  waltete  bei.  den  Indern  die  Mono- 
gamie vor.  Im  Laufe  der  Zeit  drängte  sich  aber  mehr  und 
mehr  die  Polygamie  in  den  Vordergrund.  Schon  der  heilige 
Yajfiavalkya  im  Brihadäranyaka  hat  zwei  Frauen.  Die  Gesetz- 
bücher gestatten  ausdrücklich  mehrere  Frauen.  Doch  ist  immer 
nur  emo  von  ihnen  die  erste  und  eigentlich  legitime  Frau,  die 
darum  aus  derselben  Kaste  genommen  werden  soll.  Die  Strenge 
der  Kastenordnung  Hess  sich  dabei  besser  durchfuhren,  denn  es 
war  leichter,  das  Heirathen  einer  Frau  aus  derselben  Kaste  zu 
erzwingen,  wenn  nachher  auch  andere  Frauen  gestattet  waren. 


1  Vgl.  Manu  3,  20—84.  Yöjnav.  1,  58—61.  Auch  Doncker  a.  a.  0. 
p.  194.  Nach  einigen  alteren  Rechtsbüchern  (DhannasütraV  gab  es  nnr 
6  Arten  der  Eheschliessung  (so  im  Ap.  Dharm.  u.  Vas.  Dh.)  (Jolly, 
Rechtl.  Stelig.  d.  Fr.  p.  432;  Outlines  of  an  Hist.  of  the  H.  L.  p.  73  flg.). 
Nach  Jolly  dürften  es  ursprünglich  wohl  nur  drei  Arten  gewesen  sein: 
l)  die  Brahma- Art  oder  feierliche  Schenkung  der  Braut;  2)  die  Kshatra- 
oder  Krieger -Art,  gewaltsame  Wegführung;  3)  die  Manusha-Art,  der 
Kauf;  je  einer  der  drei  oberen  Kasten  entsprechend  (Tgl.  Jolly,  Outlines 
oet  p.  74). 

*  S.  Jolly,  Rechtl.  Stell,  d.  Fr.  p.  424. 

*  S.  Manu  9,  88. 

4  S.  Manu  9,  90.  91.  —  Sehr  interessant,  cum  Theil  ansprecnend 
und  poetisch  sind  die  Brauche  bei  der  Hochzeit  und  die  dabei  ge- 
sprochenen Sprüche,  die  uns  in  den  Orihyasütren  und  im  Atharvaveda 
vorliegen.  Wir  haben  dieselben  schon  früher  besprochen  und  dürfen 
daher  an  diesem  Orte  davon  absehen.  Vgl.  Vöries.  XIV;  ferner  Haas 
und  Weber  in  den  Ind.  Stud.  5,  281. 


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—   431  — 

Auch  der  früher  besprochene  Umstand,  dass  der  brahmanische 
Inder  durchaus  einen  Sohn  für  die  Todtenspenden  brauchte, 
drängte  in  manchen  Fällen  auf  das  Nehmen  mehrerer  Frauen.1 

Dagegen  kam  die  Polyandrie,  d.  h.  dass  ein  Weib  mehrere 
Männer  hatte,  jedenfalls  nur  sporadisch  vor.  Ein  berühmter  Fall 
der  Art  findet  sich  im  Mahabbärata,  wo  die  fünf  Pändusöhne 
zusammen  nur  eine  Gattin  haben.1 

Rechtlich  waren  die  Frauen  den  Männern  völlig  unter- 
geordnet, ja  sie  gelten  im  Allgemeinen  gar  nicht  als  selbst- 
ständige Rechtssubjecte,8  stehen  vielmehr  unter  der  Vormund- 
schaft zuerst  des  Vaters,  dann  des  Gatten,  des  Bruders  oder 
eines  sonst  berechtigten  männlichen  Anverwandten.  Vor  Allem 
die  gänzliche  Unterordnung  unter  den  Gatten  gilt  für  ganz 
selbstverständlich.  Indessen  wird  das  Recht  des  Eheherrn  doch 
nach  zwei  Seiten  hin  bedeutsam  eingeschränkt  Erstens  hat 
der  Mann  kein  Recht  über  Leben  und  Tod  der  Frau,  er  darf 
sie  überhaupt  keinen  schweren  körperlichen  Züchtigungen  unter- 
werfen, höchstens  durch  Schläge  mit  einem  Strick  oder  einem 
Bambus8töckchen  bestrafen.4  Zweitens  konnte  die  Frau  in  be- 
schränkten Grenzen  auch  ihren  eigenen  Besitz  haben  (das 
sogenannte  Strldhana  oder  Frauengut),  und  in  dieser  Beziehung 
gestalteten  sich  im  Laufe  der  Zeit  die  Gesetze  mehr  und  mehr 
zu  Gunsten  der  Frau.6 

Im  Allgemeinen  fordern  die  luder  des  Mittelalters  von 
den  Frauen  die  äusserste  Hingebung  an  ihre  Männer.  Das 
Weib  soll  seinen  Gatten  wie  einen  Gott  ehren,  selbst  wenn 
derselbe  von  schlechtem  Charakter  ist  und  allen  seinen  Lüsten 
fröhnt,  —  so  lehrt  das  Gesetzbuch  des  Manu.6  Die  mittel- 
alterlich-indische Poesie  hat  diese  unbedingte,  hebende  Hin- 


1  Vgl.  über  die  Polygamie  der  Inder  auch  Jolly,  Rechtl.  Stellung 
der  Frauen  p.  445. 

9  Es  haben  sich  noch  einige  andere  Spuren  dieser  Sitte  in  alten 
Schriften  erhalten.  Bühler  bemerkte,  dass  Xpastamba  in  seinem  Dhanna- 
sütra  (2,  10,  27,  2—4)  von  der  verbotenen  Praxis  spricht,  eine  Braut 
einer  ganzen  Familie  (kula)  zu  übergeben;  ahnlich  Brihaspati.  Vgl. 
Jolly,  OutUnes  of  an  Hist  of  H.  L.  p.  166.  —  Dass  bei  den  Dra  vidiere 
in  Südindien  noch  heute  Polyandrie  geübt  wird,  ist  bekannt. 

•  Vgl  Jolly,  Rechtl.  Stellung  der  Frauen  p.  421. 
4  Vgl.  Manu  8,  299. 

*  Vgl  Jolly,  a.  a.  0.  p.  489  flg.;  478  flg. 

6  Manu  5,  154.  Dagegen  war  Verstossung  die  geringste  Strafe, 
welche  die  Ehebrecherin  treffen  konnte  (?gl.  Jolly  a.  a.  0.  p.  421).  — 
Der  Mann  konnte  sich  auf  verhaltnissmassig  sehr  unbedeutende  Gründe 
schon  von  seiner  Frau  scheiden:  wenn  sie  längere  Zeit  nur  Madchen 
geboren  hat,  wenn  sie  ihren  Gatten  nicht  liebt,  wenn  sie  zankisch,  ver- 


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—   432  — 

gebung  der  Frauen  in  unvergleichlich  schöner  Weise  geschildert 
Eine  Damayanti,  eine  Savitri  stehen  als  die  reizendsten,  liebens- 
würdigsten weiblichen  Charaktere  da,  welche  die  Literatur  aller 
Zeiten  und  Völker  geschaffen. 

Den  Gipfelpunkt  dieser  Denkungsart  erkennen  wir  in  der 
furchtbaren,  aber  doch  auch  so  ergreifenden  und  rührenden 
Sitte  der  Wittwenverbrennung.  Der  Rigveda  und  überhaupt 
die  ältere  Zeit  kennt  dieselbe  noch  nicht,  wenn  es  auch  nicht 
unmöglich  ist,  dass  sie  schon  damals  bei  vereinzelten  Stämmen 
der  Inder  gelegentlich  vorkam,  ohne  dass  uns  die  Kunde  davon 
bewahrt  ist.1  Erst  im  indischen  Mittelalter  tritt  uns  die 
Wittwenverbrennung  sicher  bezeugt  entgegen ,  immer  höher 
preist  man  ihre  Verdienstlichkeit,  und  im  Laufe  der  Jahrhun- 
derte wird  sie  allmählich  zur  allgemein  angenommenen  Sitte 
für  die  oberen  Kasten.  Die  Gesetzbücher  fordern  sie  nicht,  ja 
die  meisten  und  darunter  die  wichtigsten  erwähnen  ihrer  nicht 
einmal;  so  Manu,  Yajflavalkya,  Närada,  Gautama  und  Äpa- 
stamba.2  Andere  empfohlen  sie  allerdings,  aber  doch  immer 
nur  facultativ.9  Das  Gesetzbuch  des  Manu  verlangt  bloss,  dass 
die  Wittwe  nicht  wieder  heirathe.  Einsam  soll  sie  leben,  ein 
Leben  der  Entsagung,  Kasteiung  und  der  frommen  Werke; 
dann  gelangt  sie  nach  dem  Tode  in  den  Himmel  und  zur  Ver- 
einigung mit  dem  Gatten.4  Bei  dieser  Stellung  der  Gesetz- 
bücher müssen  wir  um  so  mächtigere  Faktoren  innerhalb  der 
*  Gesellschaft  vermuthen,  die  die  allmähliche  Einbürgerung  einer 
so  ausserordentlichen  Sitte  bewirkten. 

Im  Epos  begegnen  wir  bereits  der  Wittwenverbrennung, 
wenn  auch  nur  in  vereinzelten  Fällen.    So  streiten  sich  z.  B. 


BchwenderiBch,  kränklich,  trunksüchtig  oder  betrügerisch  ist  u.  dgl.  m., 
—  von  Ehebruch  und  Unfruchtbarkeit  gar  nicht  zu  reden.  Dagegen 
vermochte  die  Frau  ihrerseits  nur  bei  sehr  schwerwiegenden  Gründen 
sich  von  ihrem  Manne  loszumachen,  wenn  derselbe  nämlich  impotent, 
aus  der  Kaste  gestossen  oder  wahnsinnig  war.  Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  p. 
443—445.  (Für  das  Verhaltniss  von  Mann  und  Frau  nach  den  indischen 
Gesetzbüchern  ist  überhaupt  dieser  Aufsatz  von  Jolly  zu  vergleichen; 
desgl.  Jolly,  Outlines  of  an  Hist.  of  H.  L.  p.  77  flg.) 

1  Darauf  führt,  wie  wir  früher  gesehen  haben,  die  Vergleichung 
mit  entsprechenden  Sitten  verwandter  Völker.   S.  Yorlesuug  III  (p.  40). 

*  Vgl.  Jolly,  Rechtl.  Stellung  der  Frauen  p.  447. 

1  SoVishnu,  Par&cara,  Vyasa  und  Daksha  (s.  Jolly  a.  a.  0.  p.  447). 
Das  älteste  Rechtsbuch,  welches  der  Wittwenverbrennung  (Sati)  Erwäh- 
nung thut,  ist  die- Vishnusmriti.  Es  stellt  der  Wittwe  die  Wahl,  ent- 
weder unverheirathet  zu  bleiben  oder  den  Scheiterhaufen  zu  besteigen 
(vgl.  Jolly,  Outlines  of  an  Hist.  of  H.  L.  p.  79). 

♦  Vgl.  Manu  5,  160— 165. 


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-   433  - 

im  Mahabhärata  nach  dem  Tode  des  Pandu  dessen  beide 
Frauen,  Kuntl  und  Madri,  um  die  Ehre,  mit  dem  verstorbenem 
Gatten  verbrannt  zu  werden.  Kunti  ist  die  erste  Frau  des 
P&ndu,  Madri  aber  fuhrt  dagegen  an,  dass  sie  von  dem  Gatten 
mehr  geliebt  worden  sei.  Und  die  Brahmanen,  welche  darüber 
entscheiden,  geben  der  Madri  Recht;  sie  wird  mit  der  Leiche 
des  Gatten  verbrannt  —  Andererseits  begegnen  uns  im 
RAmayana  Königinnen,  die  als  Wittwen  geehrt  fortleben.1  Bei 
König  Dacaratha's  Bestattung  wird  keines  seiner  Weiber  mit 
ihm  verbrannt 

Die  Begleiter  Alexanders  des  Grossen  fanden  die  Sitte 
bereits  vor,  wenn  auch  nicht  als  einen  überall  in  Indien  gel- 
tenden Brauch.  Sie  berichten,*  dass  bei  einigen  Indern  die 
Wittwen  sich  freiwillig  mit  den  Leichen  ihrer  Männer  zu  ver- 
brennen pflegten;  die  es  nicht  thäten,  hätten  keinen  Ruhm. 
Ein  interessantes  Beispiel  wird  uns  speciell  berichtet  Bei  dem 
Heere  des  Eumenes,  als  derselbe  i.  J.  316  mit  Antigonos  die 
Schlacht  bei  Paraetakene  ausfocht,  befand  sich  auch  eine  Ab- 
theilung Inder.  Der  Anführer  derselben  —  die  Griechen  nennen 
ihn  Keteus  —  fiel  in  der  Schlacht  Nun  stritten  sich  seine 
beiden  Weiber,  die  ihn  begleitet  hatten,  um  die  Ehre,  mit  ihm 
verbrannt  zu  werden,  ganz  ähnlich  wie  im  Mahabhärata  Kunti 
und  Madri  Da  die  Aeltere  gerade  schwanger  war,  wurde  für 
die  Jüngere  entschieden.  Während  die  Aeltere  diese  Zurück- 
weisung für  das  grösste  Unglück  hielt  und  sich  jammernd  das 
Haar  zerraufte,  bestieg  die  Jüngere,  bekränzt  und  geschmückt, 
freudig  den  Scheiterhaufen,  geleitet  von  ihrem  Bruder  und 
ihren  Frauen,  die  einen  Hymnus  sangen.  Sie  beugte  sich  über 
den  Leichnam  des  Mannes  und  liess,  als- das  Feuer  empor- 
loderte, keinen  Laut  der  Klage  vernehmen,  alle  Zuschauer  mit 
Mitleid  und  Bewunderung  zugleich  erfüllend.8 

Für  das  vierte  Jahrhundert  vor  Chr.  ist  uns  also  die 
Wittwenverbrennung  sicher  bezeugt  und  sie  wird  weiterhin  von 
den  klassischen  Schriftstellern  als  alter  indischer  Brauch  an- 
geführt.4 

Es  steht  diese  seltsame  und  schreckliche  Sitte  offenbar  in 
Zusammenhang  mit  der  extremen  Richtung  des  indischen  Mittel- 
alters auf  Selbstentäus8erung,  Hingabe  der  eigenen  Person  bis 


1  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  I\  p.  592. 

•  So  Aristobul  bei  Strabo  p.  714.  Vgl.  Duncker,  a.  a.  0.  p.  391. 
s  8.  Duncker,  a.  a.  0.  p.  392,  nach  Diod.  19,  33.  34,  vgl.  auch 
Lasten,  Ind.  Alt  III,  347. 

4  S.  Lassen  a.  a.  0.;  Duncker  a.  a.  0. 

t.  Sckrftdtr,  Indien»  Lit.  v.  Cnlt.  28 


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zur  Vernichtung.  Obschon  nicht  vom  Gesetzbuch  gefordert, 
scheint  sie  doch  einen  dämonischen  Reiz  gehabt  zu  haben, 
denn  sie  verbreitete  sich  mehr  und  mehr  und  wurzelt*  so  fest, 
dass  es  den  Engländern  erst  in  diesem  Jahrhundert  mit  der 
grössten  Mühe  gelungen  ist,  sie  zu  unterdrücken. 

Es  heisst  in  einem  indischen  Spruch1: 

„Die  Gattin,  welche  den  entseelten  Gatten  auf  dem  Scheiterhaufen 
umschlingend  ihren  eigenen  Körper  opfert,  gelangt,  selbst  wenn  sie 
Sunden  hundert  an  Zahl  begangen  hat,  in  die  Götterwelt  mitsammt 
dem  Gatten." 

Ja,  eine  sühnende,  reinigende  Kraft  hat  solch  ein  Tod 
auch  in  unseren  Augen,  wie  dies  von  Goethe  so  wunderschön 
geschildert  ist  in  seiner  Ballade  „Der  Gott  und  die  Bajadere*: 

Es  freut  sich  die  Gottheit  der  renigen  Sünder, 
Unsterbliche  heben  verlorene  Kinder 
Mit  feurigen  Armen  zum  Himmel  empor. 


Kriegswesen. 

Ueber  das  Kriegswesen  der  Inder  erfahren  wir  Rühm« 
liches  durch  die  Griechen.  Es  war  ein  schwerer  Kampf,  den 
Alexander  mit  Porös  auszufechten  hatte.  Der  indische  Feld- 
herr, seine  Krieger  und  die  furchtbare  Macht  der  Elephanten 
fiös8ten  dem  grossen  Mazedonier  Respect  vor  einem  solchen 
Feinde  ein,  —  und  schon  dies  allein  ist  ein  ehrenvolles  Zeug- 
niss  für  die  kriegerischen  Leistungen  der  luder. 

Was  die  Verwendung  des  Elephanten  im  Kriege  anbetrifft, 
so  ist  dieselbe  in  der  alten  Zeit  —  bei  den  vedischen  Indern 
< —  durchaus  unbekannt  Wann  dieselbe  aufkam,  lässt  sich 
nicht  sicher  sagen,  aber  schon  dem  Kyros  sollen  die  Inder 
(529  v.  Chr.)  Elephanten  entgegen  gestellt  haben,  und  Ktesias 
berichtet  (400  v.  Chr.)  ebenfalls  von  ihrer  Verwendung  im 
Kriege.  Im  Heere  des  Porös  bilden  sie  diejenige  Truppe,  welche 
den  Griechen  am  gefährlichsten  wird  und  lange  den  Sieg  Alexanders 
in  Frage  stellt. 

Als  Hauptwaffe  der  Inder  nennen  die  Griechen  den  manns- 
hohen Bogen,  dessen  mächtige  Pfeile  durch  Schild  und  Panzer 
drangen.    Aus  den  einheimischen  Büchern,  schon  seit  Alters, 


J  Hit.  3, 31  (Böhtlingk,  Ind.  8pr.911).  Ursprünglich  ist  die  Wittwen- 
verbrenuimg  wohl  nur  bei  Königen  und  vornehmen  Mann ern  geübt  worden 
Sie  war  auch  spater  hauptsächlich  in  der  Kriegerkaste,  bei  den  Rajput» 
im  Schwange.   Vgl.  Jolly,  Outlines  of  a.  Hiitory  of  H.  L.  p.  80. 


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—   435  — 


kennen  wir  den  Bogen  in  seiner  hervorragenden  Bedeutung. 
Auch  der  Kampf  auf  Streitwagen,  welche  den  Kämpfer  und 
den  Wagenlenker  tragen  und  schon  aus  dem  Veda  uns  wohl- 
bekannt sind,  wird  uns  von  den  Griechen  bezeugt1  Die  Könige 
im  Epos  fahren  noch  meist  auf  Streitwagen  in  die  Schlacht. 
Dann  verdrängt  sie  allmählich  der  Kriegselephant;  auf  einem 
solchen  reitet  Porös  in  der  berühmten  Schlacht. 

Manche  Fussgänger  tragen  —  nach  Angabe  der  Griechen 
—  statt  des  Bogens  Wurfspiesse  und  lange  schmale  Schilde; 
im  Handgemenge  brauchen  sie  breite,  mehrere  Ellen  lange 
Schwerter,  die  mit  beiden  Händen  geführt  werden  müssen.  Die 
Reiter  haben  kleinere  Schilde  und  zwei  Wurfspiesse.  Zum  An- 
griff wird  auf  Muscheln  geblasen;  auch  Pauken  und  Becken 
geben  kriegerischen  Klang.*  Es  stimmen  diese  Schilderungen 
sehr  gut  zu  den  einheimischen  Quellen. 

Handel  und  Industrie. 

Handel  und  Industrie  blühten  im  indischen  Mittelalter. 
Diese  Blüthe  reicht  allerdings  schon  in  frühere  Zeiten  zurück, 
denn  seit  dem  grauen  Alterthum  gingen  indische  Waaren  in 
ferne  Länder.  Es  ist  bekannt,  dass  die  Juden  zur  Zeit  Salomo's 
durch  Vermittelung  der  Phönizier  Gold,  Silber,  Edelsteine, 
Elfenbein,  Sandelholz,  Affen  und  Pfauen  aus  Ophir  bezogen. 
Sollte  nun  auch  dieses  berühmte  Land  nicht,  wie  Lassen  an- 
genommen, Abhira  an  der  Indusmündung  sein,8  sondern,  wie 
man  neuerdings  annimmt,  Südarabien,4  so  beweisen  doch  schon 
die  Namen  der  erhandelten  Gegenstände,  dass  dieselben  in  der 
That  zum  Theil  jedenfalls  indischen  Ursprungs  waren.6  Seil 
etwa  dem  10.  Jahrhundert  vor  Chr.  bis  ungefähr  zum  dritten 
war  in  Yemen  (Arabien)  der  grosse  Markt  für  den  Handel  der 
indischen  Waaren  nach  Westen.  Die  Sabäer  sollen  ihren  sprich- 


1  Nur  befinden  sich  nach  den  griech.  Angaben  ausser  dem  Wagen- 
lenker zwei  Kampfer  auf  dem  Wagen.   S.  Dancker,  a.  a.  0.  p.  335. 

•  Vgl.  Duncker,  a.  a.  0.  p.  335. 

*  Vgl.  Lassen,  Ind.  Alt.  II*,  557. 

*  8.  z.  B.  Eduard  Meyer,  Geschichte  des  Alterthums,  I  (1884) 
p.  845.  226. 

•  Das  hebräische  qof  entspricht  dem  indischen  kapi  „der  Affe"  nnd 
ist  daraus  entstanden.  Der  Pfau  ist  ein  indischer  Vogel  und  die  he- 
bräische Bezeichnung  tukhiim  geht,  wie  Lassen  gezeigt  hat,  auf  eine 
dekhanische  Form  des  sanskritischen  cfrhin  „der  Pfau"  zurück.  Auch 
das  Sandelholz  ist  ein  indisches  Produkt. 

28» 


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—   436  — 


wörtlichen  Reichthum  wesentlich  daher  gewonnen  haben.1  Ein 
anderer  in  dieser  Hinsicht  hochwichtiger  Punkt  war  die  Insel 
Socotora. 

Unter  den  Griechen  berichtet  uns  schon  Herodot  über 
indische  Waaren,  die  in  den  Handel  des  Westens  kamen  Als 
solche  lernen  wir  namentlich  bestimmte  feine  Zeuge  kennen, 
oivömv  mit  Namen,  welches  Wort  offenbar  vom  sanskritischen 
sindhu  herstammt  Nach  Lassen  dürften  dies  feine  Baumwoll- 
gewebe gewesen  sein.*  Ferner  macht  Herodot  verschiedene 
Gewürze  namhaft,  wie  Kassia,  Kimiamomon  (Zimmt);  sowie  die 
indischen  Jagdhunde,  die  sich  die  Perser  kommen  Hessen. 

Unter  den  indischen  Handelserzeugnissen,  die  Ktesias  nam- 
haft macht,  erscheint  eines  von  besonderer  Wichtigkeit  Er 
erzählt,  t es  gäbe  in  Indien  bestimmte  Bäume  (Siptachora),  auf 
denen  kleine,  weiche,  käferartige  Thiere  lebten.  Wenn  man 
diese  zerreibe,  so  quelle  aus  ihnen  eine  Purpurfarbe,  schöner 
und  glänzender  als  der  hellenische  Purpur.  Es  sind  dies 
offenbar  die  Schildläuse  des  Lackbaumes,  und  die  Inder  müssen 
somit  schon  vor  400  v.  Chr.  die  Lackfarbe  bereitet  haben. 
Nach  Ktesias  schätzten  die  Perser  diese  Farbe  sehr  und  färbten 
ihre  purpurnen  Kleider  damit8  Ferner  hebt  Ktesias  die  indi- 
schen Schwerter  hervor,  denen  er  freilich  ganz  fabelhafte 
Eigenschaften  beilegt;  sowie  auch  das  wunderbar  riechende  Oel 
eines  bestimmten  Baumes,  xclqjilov  genannt.4  Es  werden  später 
noch  verschiedene  Gewürze,  wie  Agallochum,  Kardamomon, 
Pfeffer,6  und  sonstige  Handelsartikel  als  von  Indien,  kommend 
von  klassischen  Schriftstellern  namhaft  gemacht  Diese  Waaren 
gingen  theils  den  Landweg  über  Persien,  theils  zu  Schiff,  und 
wurde  die  Schifffahrt  im  persischen  Meerbusen  etwa  1000  v.  Chr. 
wohl  schon  schwunghaft  betrieben. 

Auch  mit  den  Chinesen  und  anderen  asiatischen  Völkern 
trieben  die  Inder  Handel  und  importirten  Mancherlei  von  dort 
Aus  China  erhielten  sie  namentlich  die  Seide.  Nearchos,  der 
bekannte  Begleiter  Alexanders  d.  Gr.,  berichtete  über  das  Vor- 


1  Vgl.  Cust,  Origin  of  the  Indian  aiphabet,  Journ.  R.  As.  Soc. 
Vol.  XVI,  Part.  3,  p.  2o. 

*  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  II*,  569.   Vgl.  auch  weiter  unten  p.  457. 

*  S.  Lassen,  a.  a.  0.  11%  562;  Duncker,  a.  a.  0.  p.  334. 

*  Vielleicht  Zimmtöl;  s.  Lassen,  a.  a.  0.  II*,  565;  die  indischen 
Schwerter  werden  auch  in  den  altarabischen  Gedichtcu  gerühmt  (vgl. 
Alfred  y.  Kremer,  Culturgeschichte  des  Orients,  Bd.  I  (Wien  1875), 
p.  79. 

*  Lassen,  a.  a.  0.  p.  561. 


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-    437  — 

kommen  serischer  Zeuge  in  Indien,  die  er  naher  beschrieb  und 
mit  denen  offenbar  seidene  Stoffe  gemeint  sind.1 

Für  den  Handel  innerhalb  des  Landes  selbst  war  es  von 
Wichtigkeit,  dass  die  Inder  schon  früh  die  Kunst  Strassen  an- 
zulegen verstanden.1  Eine  ganze  Reihe  derselben  durchzogen 
das  Land  in  verschiedenen  Richtungen,  und  wurde  der  Handel 
in  grösserem  Style  auf  denselben  durch  wohlorganisirte  Kara- 
wanen betrieben,3 

Auf  industriellem  Gebiete  sind  die  Inder  seit  Alters  bis 
auf  die  neuere  Zeit  vor  Allem  durch  ihre  feinen  Webereien 
(namentlich  bunte  Baumwollweberei)  sehr  bekannt  und  be- 
rühmt, desgleichen  durch  ihre  hohe  Kunst  in  Bearbeitung  der 
Metalle  und  Edelsteine;  feine  Gold-  und  Silberarbeiten 
werden  dort  bis  auf  den  heutigen  Tag  in  hoher  Vollendung 
geschaffen,  Ebenso  die  schönsten  Gold-  und  Silberwebereien. 
Feine  Mosaikarbeiten  werden  früh  erwähnt4  und  bilden  den 
schönsten  Schmuck  der  Wunderbauten  in  Delhi  und  Agra  aus 
der  Zeit  der  Grossmogule.  Auch  in  Bereitung  von  Lack- 
arbeiten,5 Farben,  köstlichen  Essenzen  und  Parfumerieen 6 
waren  die  Inder  bedeutend,  und  hat  überhaupt  das  Kunst- 
gewerbe während  der  Blüthezeit  ihrer  Cultur  einen  hohen  Grad 
der  Vollendung  erreicht 

Schrift  und  Sprache. 

• 

Wir  haben  nun  endlich  noch  eine  Seite  der  Culturent- 
wickelung  zu  besprechen,  welche  uns  bereits  dem  Hauptgegen- 
stande unserer  Betrachtung,  der  Literatur,  ganz  nahe  bringt. 
Ich  meine  die  Schrift  und  Sprache  der  Inder. 

Es  ist  eine  auffällige  Thatsache,  dass  der  Gebrauch  der 
Schrift  bei  den  Indern  uns  erst  aus  der  Zeit  ihres  Mittelalters 
mit  Sicherheit  bezeugt  ist  Aus  der  alten  Zeit,  der  Zeit  vor 
Buddha  sind  uns  nicht  nur  keinerlei  inschriftliche  Denkmäler 
erhalten,  sondern  es  begegnet  uns  auch  in  der  ganzen  umfang- 
reichen Literatur  jener  Jahrhunderte  nicht  die  mindeste  An- 
deutung, die  auf  den  Gebrauch  der  Schrift  in  jener  Zeit  mit 
irgendwelcher  Sicherheit  schliessen  Hesse. 

1  S.  Lassen,  a.  a.  0.  II*,  p.  567. 
»  S.  Lassen,  a.  a.  0.  IP,  p.  533. 

*  8.  Lassen,  a.  a.  0.  II1,  p.  666. 

4  Vgl.  Lassen,  Ind.  Alt.  II,  427.  513. 

5  Vgl.  Schnaase.  Gesch.  d.  hild.  Künste  bei  den  Alten,  2.  Aufl. 
p.  144. 

•  Vgl.  Weber,  Ind.  Ut.  2.  Aufl.,  p.  293. 


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—   438  — 

Es  ist  daher  von  ausgezeichneten  Kennern1  die  Ansicht 
aufgestellt  und  vertheidigt  worden,  das  indische  Alterthum  habe 
die  Schrift  in  der  That  gar  nicht  gekannt  und  die  literarischen 
Schöpfungen  jener  Zeit,  poetische  wie  prosaische";  seien  dazumal 
bloss  mündlich  überliefert  worden. 

Diese  Annahme  erhält  eine  wesentliche  Stütze  durch  die 
seit  Alters  bezeugte  und  bis  in  die  Gegenwart  fortgesetzte 
Praxis  der  Inder  beim  Unterricht  in  ihren  kanonischen  Schriften. 
Diese  Praxis  ist  nämlich  durchaus  auf  mündliche  Ueberlieferung 
gegründet  und  besteht  im  Wesentlichen  darin,  dass  jene  um- 
fangreichen und  schwierigen  alten  Werke  mit  der  grössten 
Akribie  von  den  Schülern  auswendig  gelernt  werden,  so  dass 
dieselben  schliesslich  bis  auf  den  letzten  Accent  im  Kopfe  des 
Schülers  vorhanden  sind.  Fast  der  ganze,  Jahre  hindurch  fort- 
gesetzte  Unterricht  beschränkt  sich  auf  dieses  Auswendiglernen, 
und  es  ist  in  der  That  Staunenswerth,  was  dabei  geleistet  wird. 
Noch  aus  neuester  Zeit  liegen  uns  darüber  merkwürdige  Mit- 
theilungen von  europäischen  Beobachtern  vor.  So  berichtet 
uns  z.  B.  Haug,*  der  Jahre  lang  in  Indien  lebte,  dass  er  im 
Jahre  1861  bei  einer  Versammlung,  wo  mehrere  Hundert  veda- 
kundige  Brahmanen  zur  Empfangnahme  bestimmter  Stipendien 
zusammen  kamen,  sich  von  ihrem  Wissen  thatsächlich  über- 
zeugt habe.  Es  waren,  wie  er  erzählt,  Kenner  verschiedener 
Texte,  des  Rigveda,  des  weissen  Yajurveda,  auch  des  Atharva- 
veda.  Die  besten  Rigveda-Kenner  waren  die  sogenannten  Daca- 
granthi's,  d.  h.  Kenner  der  zehn  Texte,  nämlich  des  Rigveda 
im  Samhitä-,  Pada-  und  Krama^Text,  des  Aitareya-Brahmana 
und  der  sechs  Vedaüga,  Nirukta,  Panini  u.  s.  w.  Sie  kannten 
alle  diese  Texte  auswendig. 

„Dass  dieses  Auswendigwissen  —  sagt  Haug  —  nicht  etwa 
blosse  Prätension  war,  davon  hatte  ich  mehr  als  einmal  Gelegen- 
heit mich  zu  überzeugen.  Jeder  mit  den  Anfangs worten  an- 
geführte Vers  des  Rigveda  oder  Stück  eines  Brähmana  oder 
eines  anderen  vedischen  Buches  wurde  sofort  auf  Verlangen 
vollständig  mit  Beobachtung  des  Accents  ohne  einen  Fehler 
aus  dem  Kopfe  hergesagt.  Auf  mein  Befragen,  wie  viel  Zeit 
gewöhnlich  auf  das  Auswendiglernen  eines  so  massenhaften 
Stoffes  verwandt  werde,  erhielt  ich  zur  Antwort:  zwölf  bis 


1  Vor  Allem  von  Max  Müller;  vgl.  seine  History  of  Ancient  Samkrit 
Literature  p.  600.  601.  515. 516. 524.  Dieselbe  Ansicht  vertritt  H.  Osen- 
berg, Ueber  San&kritforschung,  Deutsche  Rundschau  XII,  9  (1886)  p.  898 
■  Haug,  Brahma  und  die  Brahmanen,  München  1871,  p.  47. 


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—  439  — 

fünfzehn  Jahre,  was  auch  sehr  glaublich  klingt  Brahmarten 
versicherten  mir  oft,  die  Kenntniss  der  vedischen  Texte  stehe 
so  fest  in  den  Köpfen  der  Bhatta'g,  dass,  wenn  man  alle  vor- 
handenen Exemplare  der  VeöYs  sammeln  und  verbrennen  würde, 
innerhalb  eines  Jahres  alle  genau  in  derselben  Form,  demselben 
Wortlaut  und  mit  denselben  Accenten  wiederhergestellt  werden 
könnten." 

Diesen  und  ähnlichen  Zeugnissen  gegenüber  ist  die  An- 
nahme einer  bloss  mündlichen  Ueberlieferung  der  vedischen 
Literatur  in  der  alten  Zeit  vielleicht  nicht  so  ungeheuerlich, 
wie  sie  auf  den  ersten  Blick  den  Meisten  erscheinen  dürfte. 
Dennoch  glaube  ich  kaum,  dass  die  erwähnte  Annahme  aufrecht 
erhalten  werden  kann. 

Wäre  jene  alte  Literatur  eine  bloss  poetische,  wären  es 
nur  Lieder,  Hymnen,  Epen  u.  dgl.,  seien  sie  auch  noch  so  um- 
fangreich, ich  würde  eine  bloss  mündliche  Ueberlieferung  für 
durchaus  möglich  halten.  Nun  aber  ist  ja  die  vedische  Literatur 
zu  einem  grossen  Theil  prosaischer  Natur,  eine  fast  endlose 
Menge  umfangreicher  und  weitläufiger  Prosawerke  6ind  damals 
entstanden.  Dass  dies  Alles,  dass  eine  mächtige  und  umfassende 
Prosa-Literatur  bei  einem  Volke  sich  entwickeln  kann,  dem  der 
Gebrauch  der  Schrift  noch  unbekannt,  ist  eine  Annahme,  die 
mir  in  der  That  unmöglich  erscheint 

Langathmige  theologische  Erörterungen  und  Speculationen, 
Lehrbücher  und  Abhandlungen,  grammatische  Werke,  wie  die 
Praticö.khya'8,  ja  die  Anfänge  einer  lexicalischen  Wissenschaft 
xt.  a.  m.  sind  undenkbar  ohne  Kenntniss  der  Schrift,  ohne  ge- 
schriebene Literatur.  Ebensowenig  hätte  die  Sammlung  und 
systematische  Ordnung  des  ungeheuren  Schatzes  der  vedi- 
schen Lieder  die  doch  wohl  ebenfalls  in  jene  Zeit  (ca.  das 
10.  Jahrh.)  zurückreicht,  ohne  diese  Voraussetzung  geschehen 
können.1 


1  Wesentlich  in  diesem  Sinne  sprach  sich  R.  Roth  auf  dem  Inter- 
nationalen Orientalisten- Congress  an  Leyden  (1888)  ans.  Er  hielt  die 
schriftliche  Fixirung  für  eine  conditio  sine  qua  non  für  die  grossen 
Liedersammlungen  und  betonte,  dasB  ein  Pr&ticÄkhya  oder  eine  vedische 
Grammatik  nicht  verfasst  werden  konnte,  ohne  dass  geschriebene  Texte 
vorlagen.  Vgl.  Cust,  Origin  of  the  Indian  aiphabet  p.  3.  —  Wenn  es 
im  Mahäbharats  heisst,  dass  sowohl  die,  welche  den  Veda  schrieben, 
als  die,  wekhe  ihn  verkauften,  zur  Hölle  führen,  so  entstammt  dies 
Verbot,  wie  mir  scheint,  auch  erst  einer  späten  Zeit,  wo  jene  Praxis 
des  Auswendiglernens  sich  fest  eingebürgert  hatte  und  man  die  Be- 
fürchtung hegte,  dass  durch  Niederschreiben  des  Veda  derselbe  in  un- 
heilige Hände  gerathen  möchte. 


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-    440  - 

Wohl  ist  es  begreiflieb,  dass  späterhin  manche  Prosawerke, 
die  im  Laufe  der  Zeit  mit  dem  Nimbus  göttlichen  Ursprungs 
umgeben  worden  sind,  peinlich  genau  auswendig  gelernt  werden, 
wie  dies  in  Indien  thataächlich  geschehen  ist  und  noch  ge- 
schieht; abei  die  Entstehung  und  Entwickelung  solcher  Werke, 
einer  ganzen  derartigen  Literatur  ist  nur  bei  schriftlicher  Fixi- 
rung  derselben  begreiflich  und  möglich. 

Wenn  in  der  vedischen  Literatur  weder  Schrift  noch  Schreib- 
material erwähnt  wird,  so  ist  das  allerdings  auffällig,  aber  wir 
müssen  eben  wohl  annehmen,  dass  für  die  Schriftsteller  keine 
directe  Veranlassung  zu  einer  solchen  Erwähnung  vorlag.  Diese 
Annahme  ist  jedenfalls  lange  noch  nicht  so  schwierig,  wie  die 
von  uns  vorhin  bestrittene. 

Megasthenes  sagt  freilich,  dass  die  Inder  keine  geschriebenen 
Gesetze  hätten  und  dass  sie  den  Gebrauch  der  Schrift  nicht 
kannten.  Das  Erstere  mag  richtig  sein,  dem  Letzteren  aber 
widerspricht  die  Angabe  des  Nearchos,  dass  die  Inder  ihre 
Briefe  auf  fest  zusammengeschlagener  Baumwolle  schrieben; 
ebenso  Q.  Curtius,  welcher  (8,  9)  die  Mittheilung  macht,  da« 
sie  zarte  Baumrinde  als  Schreibmaterial  benützten.1 

Die  ältesten  uns  erhaltenen  Denkmäler  indischer  Schrift 
sind  die  berühmten  Inschriften  des  Königs  Acoka,  aus  der 
Mitte  des  dritten  Jahrhunderts  vor  Chr.,  deren  wir  früher  in 
anderem  Zusammenhange  schon  Erwähnung  gethan  haben.  Und 
zwar  begegnen  uns  hier  gleich  zwei  verschiedene  Alphabete,  in 
denen  diese  Inschriften  geschrieben  sind: 

1)  Das  nördliche  Acoka- Alphabet  oder  das  indo-arianische 
Alphabet; 

2)  Das  südliche  oder  auch  xar  £(sQfflv  Acoka -Alphabet 
genannte.  ' 

Das  erstere  von  diesen  beiden  Alphabeten  ist  unzweifelhaft 
semitischen  Ursprungs;  es  wird  von  rechts  nach  links  gelesen 
und  manche  Charaktere  stimmen  genau  zu  den  entsprechenden 
aramäischen.* 

Ueber  den  Ursprung  des  zweiten  aber,  des  südlichen  Acoka- 
Alphabets,  welches  von  links  nach  rechts  geschrieben  wird,  sind 


1  Vgl.  Cust,  a.  a.  0.  p.  8;  Muller,  Hiitory  of  A.S.L.  p.  615.616; 
Lasten,  Ind.  Alt  lf,  p.  1006.  —  Auf  die  Angebe  des  LalitaTistera,  daee 
der  junge  Buddha  schreiben  gelernt  habe,  lege  ich  kein  betender«! 

Gewicht. 

•  Vgl.  Cust,  Origin  of  the  Indien  Alphabet,  p.7.  Halery,  L'origine 
det  äcritures  indiennes,  in  den  Comptes  rendus  in  Paris.  October  1884 
M.  Mal ler.  Indien  in  seiner  weltgetch.  Bed.  p.  179. 


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-    441  — 


unter  den  Kennern  sehr  verschiedene  Meinungen  laut  geworden,1 
und  gerade  dieses  ist  das  wichtigere,  denn  von  ihm  stammen 
die  späteren  indischen  Alphabete  ab. 

Bedeutende  Autoritäten,  wie  Edward  Thomas,  Lassen, 
der  General  Cunningham  u.  A.  sprachen  sich  für  einheimisch 
indischen  Ursprung  dieses  Alphabets  aus,  während  Andere, 
wie  Kopp,  Lepsius,  Weber,*  M.  Müller,3  Burnell,  Kern 
und  Cust,  auch  dieses  Alphabet  auf  eine  semitische  Quelle 
zurückfuhren. 

Es  ist  unmöglich,  diese  schwierige  Frage  an  diesem  Orte 
näher  zu  erörtern.  Nur  so  viel  sei  gesagt,  daas  die  Meinung 
der  meisten  Forscher  gegenwärtig  entschieden  der  zweiten  An- 
nahme zuneigt  und  dass  —  auch  meiner  Ansicht  nach  —  so- 
wohl die  allgemein  culturhiBtorischen  als  auch  die  speciell  pa- 
läographischen  Thatsachen  für  semitischen  Ursprung  des  süd- 
lichen Acoka-Alphabets  sprechen. 

Auf  welchen  speciellen  Zweig  des  weitverbreiteten  semiti- 
schen, resp.  phönizischen  Alphabets  das  südliche  Agoka-Alphabet 
zurückgeht,  lässt  sich  allerdings  nicht  mit  Sicherheit  behaupten, 
indessen  scheint  mir  doch  sehr  Vieles  für  die  Ansicht  zu  sprechen, 
welche  zuerst  Lenormant  und  nach  ihm  Cust  und  Isaac 
Taylor  verfochten  haben,  dass  wir  nämlich  im  himyaritischen 
Alphabet  die  nächste  Quelle  für  das  indische  zu  suchen  haben.4 

Das  himyaritische  Alphabet  war  in  Yemen  zu  Hause  und 
mit  diesem  Laude  hatten  die  Inder  etwa  seit  dem  Jahre  1000 
Tor  Chr.  Schifffahrtsverbindung;  gerade  den  Zügen  dieses  Alpha- 
bets sieht  aber  das  südliche  Acoka-Alphabet  besonders  ähnlich. 
Ist  es  da  nicht  in  der  That  eine  sehr  naheliegende  Combination, 
wenn  man  sagt:  das  nördliche  Acoka- Alphabet  war  auf  dem 
Landweg  nach  Indien  importirt  und  herrschte  im  Norden  des 
Landes,  das  sudliche  dagegen  kam  auf  dem  Seeweg  aus  Yemen 
und  bürgerte  sich  darum  im  Süden  ein?  Die  Spaltung  Indiens 
in  zwei  semitische  Alphabete  verschiedenen  Charakters  erklärt 
aich  so  ganz  ungezwungen. 


1  Diese  verschiedenen  Meinungen  sind  neuerdings  klar  und  vor- 
trefflich zusammengefasst  von  R.  N.  Cust,  On  the  Origin  of  the  Indien 
Alphabet,  in  Journ.  Roy.  As.  Soc.  Vol.  XVI,  part  3. 

1  Weber,  Ueber  den  semitischen  Ursprung  des  indischen  Alphabets, 
Ztschr.  d.  D.  M.  G.  X  p.  389  flg. 

•  M.  Malier,  Indien  in  s.  w.  Bed.  p.  179. 

*  Vgl.  Cust,  a.  a.  0.  p.  26—29.  —  Die  sabaischen  Inschriften  werden 
übrigens  sowohl  von  links  nach  rechts  als  von  rechts  nach  links  ge- 
schrieben; Cust,  a.  a.  0.  p.  27. 


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—    442  — 

• 

Fragt  man  nach  dem  muthmaasslichen  Zeitpunkt  der  Im- 
portirung,  so  bebe  ich  hervor,  dass  die  Entwickelung  der  Prosa- 
Literatur  in  Indien  etwa  im  zehnten  Jahrh.  tot  Chr.  beginnt; 
derselben  Zeit  ungefähr  gehört  auch  die  systematische  Samm- 
lung und  Ordnung  der  Veda- Hymnen  an.  Beides  setzt  nach 
meiner  Meinung  die  Kenntniss  der  Schrift  voraus,  und  würde 
ich  demnach  jene  Einfuhrung  zum  mindesten  bis  in  diese  Zeit 
hinaufrücken.1 

Wir  hätten  endlich  noch  Einiges  über  die  Sprache  zu 
bemerken. 

In  den  letzten  Jahrhunderten,  welche  dem  indischen  Mittel- 
alter vorausgingen,  hatte  sich  aus  der  Sprache  des  ttigveda  die 
Sprache  der  Brahmana's,  Aranyaka's  und  Upanishaden  entwickelt, 
die  als  feststehende  Literatursprache  allgemein  durchdrang.* 
Welchem  Gebiete  dieselbe  ursprünglich  entstammt,  wissen  wir 
nicht  sicher  anzugeben.  Indessen  lässt  sich  doch  das  Land  der 
Kuru-Pancala,  oder  specieller  noch  Kurukshetra  als  Heimath 
dieser  Sprache  vermuthen,  weil  von  dorther  jene  literarische 
Epoche  ihren  Ursprung  nahm. 

Während  diese  Literatursprache  sich  selbständig  weiter 
entwickelte,  nahm  auch  die  Entwickelung  der  verschiedenen 
Volksdialekte  ungestört  ihren  weiteren  Fortgang.  Mehr  und 
mehr  trennten  sie  sich  von  einander  und  gingen  ihre  eigenen 
Wege.  Diesen  Process  müssen  wir  uns  insbesondere  in  den 
Jahrhunderten,  welche  das  indische  Mittelalter  einleiteten,  fort- 
gesetzt denken. 

Die  Literatursprache,  zugleich  Sprache  der  höher  gebildeten 
Kreise,  wurde  von  den  Gelehrten,  die  ihr  besondere  Pflege  und 
Beachtung  angedeihen  Hessen,  in  mancher  Hinsicht  purificirt 
und  in  strenge  Controle  genommen.  Das  rasch  aufblühende 
grammatische  Studium  that  das  Seinige  dazu,  um  ihr  immer 
mehr  den  Stempel  der  Reinheit  und  Regelmässigkeit  aufzu- 
drücken, unter  Conservirung  der  alten  vollen  Lautgestaltung. 
Das  Resultat  dieser  Entwickelung  ist  die  Sprache,  welche  die 
Inder  samskrita  bhashä  zu  nennen  pflegen,  d.  h.  die  geordnete, 
gebildete,  regelmässige,  correcte  Sprache,  die  Literatursprache 
des  indischen  Mittelalters,  das  Sanskrit  im  eigentlichen  Ver- 
stände.3 Man  könnte  diese  Sprache,  welche  den  Volksdialekten 

1  Natürlich  nur  vermuthungs weise. 

*  Wie  etwa  das  Schwäbische  im  18.  Jahrhundert,  das  Sachsen- 
Meisen  ische  zu  Luthers  Zeit. 

8  Wir  nennen  diese  Sprache  meist  „das  klassische  Sanskrit14, 
bei  den  Indern  selbst  wird  aber  die  Sprache  der  alten,  der  vedischen 


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-    443  - 


gegenüber  eine  Hochsprache  darstellt,  ganz  wohl  Mittelhoch- 
indisch  nennen,  wie  wir  yon  einem  Mittelhochdeutsch  reden.1 
Im  Gegensatz  nun  zu  dieser  Sprache  der  Gebildeten  gingen 
die  Volksdialekte  in  lautlicher  wie  in  grammatischer  Hinsicht 
rapid  bergab. 

Nachlässigkeit  und  Bequemlichkeit  der  Aussprache  brachten 
im  Laufe  der  Zeit  ungeheure  Veränderungen  hervor.  Die  gram- 
matischen Endungen  stumpften  sich  ab  und  und  gingen  zum 
Theil  ganz  verloren.  In  lautlicher  Hinsicht  traten  massenhafte 
Assimilationen  ein,  Abwerfung  von  Consonanten  am  äohluss  und 
am  Anfang  des  Wortes,  Ausstossung  derselben  im  Innern,  so 
d&ss  unzählige  Hiaten  entstanden  und  die  Gestalt  der  Wörter 
gegenüber  der  conservativeren  Literatursprache  sich  oft  bis  zur 
Unkenntlichkeit  veränderte.  Jene  ältesten  Schriftdenkmäler  In- 
diens, die  Inschriften  des  A$oka  in  Girnar  auf  Gujerat,  bei 
Dhauli  in  Orissa,  bei  Kapur-di-Giri  in  Kabul,  aus  dem  dritten 
Jahrhundert  vor  (?hr.,  sind  gerade  im  Volksdialekt  geschrieben 
und  zeigen  uns  denselben  schon  in  hochgradig  depravirtem  Zu- 
stande, so  dass  die  erwähnte  Entwickelung  durchaus  vor  das 
Jahr  300  vor  Chr.  gesetzt  werden  muss. 

Die  wichtigsten  dieser  Volksdialekte  sind  das  Pali  und 
das  Präkrit 

Das  Pali,  die  heilige  Sprache  der  südindischen,  speciell 
der  ceylonesischen  Buddhisten,  ist  nach  Annahme  dieser  Leute 
die  Sprache,  in  welcher  Buddha  selbst  geredet,  der  Dialekt 
des  Landes  Magadha.*  Diese  Ansicht  ist  jedenfalls  unrichtig. 
Wir  vermögen  aber  leider  nicht  mit  Bestimmtheit  zu  sagen, 
welchem  Theile  Indiens  das  Pali  entstammt.  Die  Ansichten 
der  speciellen  Kenner  dieses  Dialektes  weichen  in  dieser  Frage 
erheblich  von  einander  ab.  Nach  Westergaard  und  £.  Kuhn 
wäre  es  die  Sprache  von  Ujjayini;3  nach  Oldenberg's  An- 
nahme die  Sprache  der  südindischen  Länder,  welche  an  der 
Bekehrung  Ceylon's  zum  Buddhismus  den  wichtigsten  Antheil 


Zeit  gar  nicht  „SanBkrit"  genannt;  diesen  Namen  erhalt  vielmehr  bloss 
unser  „klassisches  Sanskrit die  Literatursprache  des  indischen  Mittel- 
alters. 

1  Es  dürfte  die  Entwickelung  dieser  Sprache  etwa  im  vierten  Jahr- 
hundert v.  Chr.  zum  Abschluss  gekommen  sein,  —  wenn  eine  annähernde 
chronologische  Vermuthung  erlaubt  ist.  Dies  ist  vermuthlich  das  Zeit- 
alter des  grossen  Grammatikers  Panini,  welcher  diese  Sprache  als  eine 
lebendige,  als  Sprache  der  Gebildeten  kennt. 
■Das  sogenannte  Magadhl. 


»  8.  Kuhn,  Beitrage  zur  Pali  -  Grammatik  p.  7.  Man  findet  dort 
auch  die  abweichenden  Ansichten  der  anderen  Gelehrten  besprochen. 


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hatten.1  Ganz  anders  urtheilten  Pischel  und  Kern.1  "Wie 
dem  auch  sei,  —  das  Pali  ist  auf  jeden  Fall  einer  der  wichtig- 
sten indischen  Dialekte  und  hat  seine  ganz  besondere  literarische 
Entwicklung  gehabt;  die  wichtigste  und  älteste  buddhistische 
Literatur  ist  in  der  Pali-Sprache  geschrieben.8 

Das  Prakrit  wiederum  zerfallt  in  eine  ganze  Reihe  von 
besonders  uiiancirten  Dialekten,  auf  welche  wir  hier  nicht  näher 
eingehen  können.  Die  wichtigsten  derselben  sind  Qäu  rasen! 
und  Maharashtri.4  Es  spielt  das  Prakrit  Tor  Allem  in  der 
dramatischen  Literatur  eine  Rolle,  wo  nur  ein  Theil  der  Per- 
sonen Sanskrit,  die  Hochsprache,  die  anderen  aber  Prakrit, 
den  Volksdialekt,  reden.  Ausserdem  hat  sich  aber  auch  eine 
ganz  selbständige  Prakrit- Literatur  gebildet,  von  der  wir  in- 
dessen zunächst  absehen  können.6  Für  uns  steht  das  Sanskrit 
als  die  eigentliche  Literatursprache  des  indischen  Mittelalters 
ganz  im  Vordergrunde  des  Interesses. 


*  Oldenberg,  Buddha  p.  76. 
1  S.  Kahn  a.  a.  0.  p.  8. 

1  Eine  Zusammenstellung  der  wichtigsten  Hülfsmittel  zum  Studium 
des  Pili  und  seiner  Literatur  ist  oben  im  Anhang  zu  Vorlesung  XIX 
gegeben. 

4  Einige  andere  werden  wir  unten  bei  Gelegenheit  der  dramatischen 
Literatur  erwähnen  müssen!  Ein  vortreffliches  Handbuch  zur  Einfuhrung 
in  das  Studium  des  Prakrit,  speciell  des  Maharashtri  ist  neuerdings  ron 
Jacobi  herausgegeben  (Ausgewählte  Erzählungen  in  Maharashtri.  Gram- 
matik. Text.  Wörterbuch.  Herausgegeben  von  Hermann  Jacobi, 
Leipsig  1886). 

•  Im  Mah&r&shtH-Dialekt  sind  berühmte  Gedichte  wie  der  Betn- 
bandha  und  das  Saptacatakam  des  Hala  (eine  lyrische  Anthologie)  ge- 
schrieben. Auch  die  umfängliche  Literatur  der  Jaina's  ist  in  einen 
modificirten  Maharishtri  abgefasst.  Aus  dem  Maharashtri  ist  sp&ter  du 
Marathl  geworden.  In  demjenigen  Prakrit-Dialekt,  der'  PaicAci  genannt 
wird,  ist  die  grosse  Marchensammlung  Brihatkatha  abgefasst. 


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in.  Abschnitt. 

Die  Literatur  des  indischen  Mittelalters. 


* 


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Einunddreis8igste  Vorlesung. 


Die  Literatur  des  indischen  Mittelalters.  Allgemeine  Zuge  denelben.  Ro- 
mantische Eigenthürolichkeiten:  Richtung  auf  das  Phantastische,  Schwär- 
merische, Wunderbare)  Ueberirdische ;  Innigkeit  der  Empfindung;  Maass- 
und Formlosigkeit  Mangel  der  Prosa.  —  Das  Epos.  Bei  den  Indern 
nicht  die  älteste  Dichtungsform,  sondern  erst  im  Mittelalter  nachweisbar. 
Bedeutende  Autoritats-Stellung  des  Epos  im  Mittelalter.  Itihasa-Purana 
und  Kavya.  Verschiedenheit  des  Mahäbbärata  und  Ramayana.  Die  muth- 
maaaslichen  Anfange  de9  Mahabharata  und  seine  allmähliche  Umformung. 


Die  Literatur  des  indischen  Mittelalters,  deren  Be- 
trachtung wir  uns  nunmehr  zuwenden,  ist  ein  getreuer  Spiegel 
des  Lebens,  Denkens  und  Empfindens  jener  Zeit,  und  wie  die 
letztere  in  ihren  charakteristischen  Zügen  uns  lebhaft  an  unser 
eigenes  Mittelalter,  die  goldene  Zeit  der  Romantik,  erinnert,1 
so  trägt  auch  die  Literatur  des  indischen  Mittelalters  deutlich 
die  romantischen  Züge  an  sich. 

Das  phantastische  Element,  das  hier  vorwaltet;  die 
Neigung  zum  Wunderbaren  auf  allen  Gebieten  und  in  allen 
Formen;  die  ausgeprägte  Richtung  auf  das  Ueberirdische; 
da«  Schwärmerische,  die  Hingebung  und  süsse  Innigkeit 
in  der  Empfindung;  die  Maass-  und  Formlosigkeit  in  den 
Gebilden  des  schaffenden  Geistes,  —  es  sind  Alles  romantische 
Eigenthümlichkeiten,  im  Gegensatz  zu  dem  Maass,  der  Ruhe 
und  Klarheit  klassischer  Schöpfungen. 

Phantastisch  war  jene  ganze  Weltanschauung  der  Brah- 
manen,  nach  welcher  die  Stufenleiter  der  Wesen  vom  höchsten 
ßrahman  durch  die  Reiche  der  Götter ,  Geister  und  Heiligen, 
durch  die  Menschenwelt  und  das  Thierreich  hindurch  bis  zu 
den  untersten  Stufen  der  Existenz  führte:  wo  in  diesem  un- 


1  Nnr  dass  diese  Züge  in  Indien  entschieden  noch  verschärft,  zum 
Theil  übertrieben  erscheinen,  wie  z.  B.  in  dem  überspannten  Basier- 
wesen,  der  schroffen  standischen  Sonderung  u.  A. 


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—   448  - 

geheuren  Bereich  die  Seelen  hin  und  her  wanderten,  auf  und 
ab  stiegen,  als  wären  keine  Schranken  zwischen  Himmel  and 
Erde;  wo  die  Busse  der  Heiligen  Götter  und  Welten  erzittern 
machte  und  jedes  Wunder,  jede  Ungeheuerlichkeit  bewirken 
konnte;  wo  die  gesammte  Staatsordnung,  das  Kastenwesen,  der 
Priestervorrang  u.  s.  w.  angesehen  wurde  als  bestehend  seit 
Urewigkeit.  Und  phantastisch  ging  es  denn  auch  vor  Allem 
in  der  Dichtung  her.  Heilige  und  Seher  (wie  Narada)  wandern 
zwischen  Himmel  und  Erde  hin  und  her;  die  Könige  der  Men- 
schen steigen  zum  Himmel  auf  und  besuchen  Indra,  den  Götter- 
könig, in  seinem  Palaste,  der  ihnen  gelegentlich  seinen  Wagen 
zuschickt,  um  sie  zum  Dämonenkampfe  abzuholen;  Brahma  selbst 
und  seine  Schaaren  kommen  zur. Erde  herab,  fromme  Büsser 
zu  begrüssen  u.  dgl.  m. 

Maasslos  waren  die  Dimensionen  in  den  Gebilden  des 
mittelalterlich-indischen  Denkens.  Die  Welt  und  die  Geschichte 
der  Menschen  hatte  nach  dem  Gesetzbuch  des  Manu  schon  un- 
ennessliche  Zeiträume  durchlaufen.  Vier  Weltalter  giebt  es, 
nach  der  Lehre  dieser  Zeit:  das  Kritayuga  oder  die  Periode 
der  Vollkommenheit;  das  Tretayuga  oder  die  Periode  der  drei 
Opferfeuer,  der  Erfüllung  der  heiligen  Pflichten;  das  Dvapara- 
yuga  oder  die  Periode  des  Zweifels;  und  das  Kaliyuga  oder 
das  Zeitalter  der  Sünde,  in  welchem  wir  uns  noch  gegenwärtig 
befinden.  Das  erste,  das  Zeitalter  der  Vollkommenheit,  Boll 
4800  Götterjahre  gedauert  haben;  ein  Götterjahr  aber  dauert 
360  Jahre  der  Menschen;  somit  währte  jene  erste  Periode  nach 
menschlichem  Maasse  1,728,000  Jahre.  Das  war  die  Zeit,  wo 
Yama  und  Manu  lebten.  Damals  wurden  die  Menschen  400 
Jahre  alt.  Dann  kam  das  zweite,  das  Zeitalter  der  drei  Opfer- 
ieuer,  in  welchem  die  grossen  Opferer  und  Sänger  lebten;  das 
dauerte  3600  Götterjahre  oder  1,296,000  Jahre  nach  mensch- 
licher Rechnung.  Das  Lebensalter  der  Menschen  betrug  300 
Jahre.  Dann  in  der  dritten,  der  Periode  des  Zweifels  oder 
der  Verdunkelung,  lebten  die  grossen  epischen  Helden.  Das 
dauerte  2400  Götterjahre  oder  864,000  Jahre  der  Menschen. 
Das  Lebensalter  der  Menschen  betrug  200  Jahre.  Endlich 
viertens  das  Zeitalter  der  Sünde,  in  welchem  wir  noch  leben, 
soll  1200  Götterjahre  oder  432,000  Jahre  der  Menschen  dauern; 
und  das  Maximum  rar  die  Lebensdauer  der  Menschen  ist  100 
Jahre.  Das  Gesetzbuch  des  Manu  schiebt  seine  eigene  Ent- 
stehung somit  mehrere  Millionen  Jahre  zurück,  da  es  der  ersten 
Periode  entstammt;  die  europäischen  Gelehrten  haben  aber  allen 
Grand  daran  zu  zweifeln,  ob  dieses  Werk  auch  nur  ein  vorchriat- 


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—  449 


liches  ist.  —  Ebenso  maasslos  wie  diese  Bestimmungen  waren 
z.  B.  jene  Berichte  von  dem  König  Vicvamitra,  der,  wie  wir 
früher  gesehen  haben,  ein  Jahrtausend  über  das  andere  die 
unglaublichste  Busse  übt  u.  dgl.  m.  Dieser  Mangel  des  Maasses 
bringt  auf  dem  Gebiete  der  Dichtung  die  Formlosigkeit  hervor, 
denn  das  Maass  ist  die  Bedingung  der  Formvollendung.1  Maass- 
los und  formlos  ist  eine  Dichtung  wie  das  Mahäbhärata,  das 
man  einem  ungeheureu  Urwald  vergleichen  könnte,  wo  es  schwer 
ist  Weg  und  Steg  zu  finden,  das  durch  die  Riesenhaftigkeit 
seines  Umfangs,  die  Complicirtheit  der  Handlung,  die  Fülle 
der  Episoden,  die  oft  völlig  von  der  Handlung  ablenken,  den 
Geist  vorwirrt  und  ermüdot.  Das  Charakteristische  der  grie- 
chischen Dichtung  ist  da«  Maass;  das  Charakteristische  der 
mittelalterlich-indischen  —  die  Maasslosigkeit. 

Dafür  aber  bieten  diese  indischen  Dichtungen  wiederum 
jene  schwärmerische,  süsse  Empfindung,  die  dem  roman- 
tisch angelegten  Gemüthe  durch  kein  Ebenmaass  der  Form  er- 
setzt werden  kann;  die  sich  offenbart  in  der  tiefen,  innigen,  sich 
selbst  vergessenden,  Alles  opfernden  Liebe,  der  beim  Schauen 
des  einen,  schwärmerisch  geliebten  Wesens  alles  Andere  aus 
dem  Gesichtskreis  schwindet;  die  sich  ferner  offenbart  in  der 
Hingabe  an  das  Ueborirdischo,  in  jener  Sehnsucht  nach  einem 
fernen,  fernen  Ziel,  das  wir  im  Leben  nimmer  erreichen,  das 
nur  ein  entzückendes  Vorgefühl  hienieden  uns  ahnen  lassen 
kann;  die  sich  endlich  auch  offenbart  in  der  innigen,  liebevollen 
Versenkung  in  die  Natur  und  ihre  Wunder,  in  dem  glühenden 
Colorit,  mit  welchem  der  Dichter  seine  Bilder  überhaucht  und 
durchwärmt.  Jene  Richtung  auf  schwärmerisch -liebende  Hin- 
gabe der  eigenen  Person  laset  uns  verstehen,  warum  der  indisch- 
mittelalterlichen Literatur  gerade  die  Schilderung  weiblicher 
Ideal  gestalten  so  wunderbar  gelingt;  denn  hior  liegt  ja  der 
Quell  und  Kernpunkt  dessen,  was  das  Weib  liebonswürdig,  ent- 
zückend und  gross  macht  Heroengestalten  haben  andere  Völker 
besser  zu  schildern  gewusst,  aber  keine  Literatur  übertrifft  die 
bezaubernden  Frauentypen  des  indischen  Mittelalters.  Ja,  wir 
müssen  der  ganzen  Literatur  dieser  Zeit  einen  weichen,  weib- 
lichen Zug  zusprechen;  aus  ihm  vielleicht  mehr  als  aus  irgend 
einem  anderen  Zuge  springen  ihre  Vorzüge  und  Schwächen. 

Endlich  bringt  die  sinnende  Zurückgezogenheit  und  Ver- 


1  Schon  Hegel  hat  die  Maasslosigkeit  als  Charakteristikum  der 
ludischen  Welt  hervorgehoben.  Vgl.  auch  K.  Rosenkranz,  im  Vorwort 
aar  Ueberseteung  de«  Prabodha-Candrodaya  (Königsberg  1842)  p.  XV  flg. 

t.  Schröder,  Indien»  Lit.  a.  Colt.  29 


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-    450  — 


Senkung  in  das  eigene  Innere,  welche  dem  indischen  Mittelalter 
eigentümlich  ist,  auch  jene  reichen  Blüthen  einer  beschaulichen, 
reflectirenden  Poesie  hervor,  die  nicht  nur  in  den  Märchen  und 
Fabeln  —  ihrem  eigensten  Gebiete  —  blühen,  sondern  auch 
durch  Epos,  Drama  und  Lyrik  als  ein  schöner  sinnvoller  Schmuck 
sich  hindurchziehen. 

Ausser  diesen  allgemeinen  Bemerkungen,  die  Inhalt  und 
Wesen  der  mittelalterlich-indischen  Literatur  charakterisiren,  ist 
noch  hinsichtlich  der  Form  Eines  besonders  hervorzuheben;  ich 
meine  den  fast  vollständigen  Mangel  der  Prosa  in  dieser  Zeit 

In  der  alten  Zeit  hatte  sich  in  den  Yajurvedon  und  Brah- 
mana's  ein  prosaischer  Styl  angefangen  zu  entwickeln,  welcher 
—  zuerst  sehr  schwerfällig  —  im  Laufe  der  Zeit  in  den  jüngeren 
Brähmana's1  und  den  Upanishaden  sich  schon  zu  einer* gewissen 
Vollkommenheit  entwickelt  hatte.  Diese  Entwickelung  gerieth 
nun  im  indischen  Mittelalter  ganz  in's  Stocken.  Im  Zusammen- 
hang mit  dem  Zuge  der  Zeit  zum  Erhabenen,  Hohen,  Poetischen, 
zum  Reich  der  Poesie  und  Phantasie  drängte  sich  auch  die 
poetische  Form  ganz  in  den  Vordergrund.  Alle  Gegenstände 
sollten  in  diese  höhere  Sphäre  gezogen  und  in  das  poetische 
Gewand  gekleidet  werden.  Die  nüchterne,  einfache  Prosa  wurde 
so  gut  wie  ganz  verlassen  und  vernachlässigt,  sehr  zum  Schaden 
derjenigen  Seite  der  Literatur,  die  naturgemäss  eine  mehr  ver- 
standesmässige  Behandlung  verlangt  Nicht  nur  die  Gesetz- 
bücher, sondern  auch  die  speciell  wissenschaftlichen  Werke 
wurden  in  metrischer  Form',  vor  Allem  in  dem  sogenannten 
epischen  Qloka  abgefasst,  der  sich  aus  dem  vedischen  Metrum 
Anushyubh*  herausgebildet  hatte  und  für  eine  gleichmassig 
fortschreitende  Darstellung  sehr  geeignet  war.  Nur  die  gram- 
matischen und  philosophischen  Sütra*  erhielten  ihren  speciellen, 
gedrängt  kurzen,  formelhaften  Styl,  der  zwar  nicht  metrisch 
war,  aber  auch  durchaus  keine  lebendige  Prosa,  sondern  wie 
gesagt  mehr  in  Formeln  bestand.  Alle  anderen  wissenschaft- 
lichen Werke  wurden  metrisch  abgefasst,  was  —  wie  mau  sich 
wohl  denken  kann  —  ihrem  Inhalte  nicht  gerade  orspriesslich 
sein  konnte.  Prosaische  Rede  zeigte  sich  noch  in  gewissen 
Partieen  des  Drama's  sowie  der  Märchen-  und  Fabelwcrkc. 
Auch  die  buddhistischen  Legenden  bildeten  einen  bestimmten 

1  Namentlich  dem  Qatapatha  Brahmana. 

*  Das  Anushtubh-Metrum  besteht  aus  zwei  Zeilen,  von  denen  jede 
In  zweimal  acht  Sylben  zerfallt;  also  8  -f-  8  /  8  -j-  8  Sylben.  Deutsche 
Nachbildungen  des  Cloka  werden  weiter  unten  mehrfach  vorkommen. 

»  D.  h.  Leitfaden,  Lehrbuch. 


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—    451  — 


prosaischen  Styl  aus.  Im  Ganzen  aber  wurde  die  Prosa  so  sehr 
vernachlässigt,  dass  sie  auf  einer  ganz  niedrigen  Stufe  stehen 
blieb,  ja  gegenüber  der  alten  Zeit  sogar  einen  Rückschritt  be- 
kundet, während  die  metrische  Kunst  im  Laufe  der  Zeit  zu 
hoher  Verfeinerung  hcrangedieh.  Die  Prosa,  welche  uns  später- 
hin in  den  indischen  Romanen  sowie  in  den  Commentaren  ent- 
gegentritt, ist  im  allerhöchsten  Maasse  ungeschickt  und  schwer- 
lallig.  Die  Ausbildung  der  Syntax  blieb  eine  äusserst  mangel- 
hafte. 

Wenn  wir  demnach  im  indischen  Mittelalter  die  poetische 
und  die  wissenschaftliche  Literatur  scheiden,  so  ist  von 
vornherein  hervorzuheben,  dass  dies  sich  nur  auf  den  Inhalt 
bezieht,  während  die  Form  fast  durchgängig  die  poetische, 
d.  h.  die  metrische  ist. 


Auf  dem  Gebiete  der  mittelalterlich- indischen  Poesie  tritt 
uns  zuerst  das  Epos  entgegen. 

Das  indische  Alterthum  hatte  von  allen  Dichtungsgattungen 
eigentlich  nur  eine  einzige  zu  wirklicher  Blüthe  gebracht.  Es 
war  dies  die  lyrische,  und  zwar  speciell  die  religiöse  Hymnen- 
dichtung. Mit  der  reichen  Fülle  der  vedischen  Lieder  beginnt 
die  Literatur  des  indischen  Alterthums,  sie  wendet  sich  dann 
mit  grübelndem  Ernste  der  Betrachtung  und  Darstellung  des 
Opfers  zu,  um  endlich  auf  wunderlichen  Irrgängen  in  den 
Aranyaka's  und  Upanishaden  die  Höhe  philosophischen  Denkens 
zu  erreichen.  Epos  und  Drama  gehen  —  von  unbedeutenden 
Anfängen  abgesehen1  —  in  dieser  ganzen,  jahrhundertelangen 
EntwickeJung  leer  aus. 

Ganz  anders  war  es  bekanntlich  bei  den  Griechen,  wo  am 
Eingang  der  ganzen  Literatur  Homer  steht,  welchem  dann  erst 
allmählich  lyrische  und  dramatische  Dichtungen  folgen.  Man 
hat  vielfach  bei  uns  diese  historische  Folge,  die  mit  dem  Epos 


1  Die  ersten  Anfänge  epischer  Dichtung  finden  sich  in  einigen 
*  Liedern  des  Jiigvcda  und  dann  namentlich  in  den  kurzen  prosaischen 
Legenden  und  Sagen,  Itibasa  genannt,  von  denen  sich  eine  ganze  Reihe 
in  den  Bräbmana's.  einige  auch  im  Nirukta  vorfinden  (vgl.  auch  Lassen, 
Ind.  Alt.  I*,  1UU3;  Weber,  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  200).  Biawoilen  treten 
diese.  Legenden  und  Sagen  auch  schon  in  metrischer  Form  auf,  wie  z.  B. 
die  Geschichte  des  IIan\candra  im  Aitareya  Br.,  und  erkennen  wir  in 
solchen  Stücken  die  Keime  des  Epos  (s.  Lassen  und  Weber  a.  a.  0.). 
Andererseits  haben  sich  von  jenen  alten  prosaischen  Erzählungen  manche 
sogar  noch  in  das  sonst  durchaus  metrisch  gebaute  Mahabharata  hinein 
gerettet. 

29* 


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452 


beginnt  und  mit  dem  Drama  endet,  als  die  naturgemässe  dar- 
gestellt und  psychologisch  zu  begründen  gesucht.  Die  Inder 
zeigen  uns,  dass  dies  ganz  von  der  Individualität  des  einzelnen 
Volkes  abhängt.  Sie  beginnen  mit  der  lyrischen  Erhebung, 
und  erst  viel  später  entwickeln  sie  Epos  und  Drama. 

Das  Epos  der  Inder  unterscheidet  sich  denn  auch  in 
seinem  Charakter  ganz  wesentlich  von  dem  der  Griechen.  Es 
ist  ein  Produkt  des  Mittelalters  und  trägt  ausgesprochen  die 
romantischen  Züge,  während  die  Dichtungen  Homer's  durch- 
aus naiv  und  klassisch  einfach  sind. 

Einmal  beim  indischen  Mittelalter  und  seiner  Poesie  an- 
gelangt, haben  wir  allen  Grund  mit  der  Betrachtung  des  Epos 
zu  beginnen,  denn  ihm  gebührt  vor  den  lyrischen  und  drama- 
tischen Schöpfungen  dieser  Periode  der  Vorrang  nicht  nur  wegen 
des  verhältnissmässig  hohen  Alters,  in  das  manche  Partieen 
desselben  hinaufreichen,  sondern  vor  Allem  wegen  der  hervor- 
ragenden autoritären  Stellung  und  des  mächtigen,  tiefgreifenden 
Einflusses,  die  gerade  ihm  innerhalb  des  mittelalterlich-indischen 
Staates  zugesprochen  werden  müssen. 

Die  epischen  Dichtungen  der  Inder  zerfallen  in  zwei  Haupt- 
Kategorieen.  Die  erste  umfasst  die  sogenannten  Itihasa,  Pu- 
rana oder  Äkhyäna,  d.  h.  Sagen,  alte  Geschichten  oder  Mähren; 
die  zweite  —  die  sogenannten  Kävya  oder  Kunstgedichte.  Haupt- 
repräsentaut  der  ersten  Kategorie,  der  Itihasa -Purana,  ist  das 
Mahabharata;  Hauptrepräsentant  der  zweiten  —  das  R&ma- 
yana.  Diese  Verschiedenheit  im  Charakter  der  beiden  grossen 
Epen  finden  wir  schon  bei  den  Indern  selbst  ausdrücklich  betont1 

ltihasa-Puräna  werden  schon  in  den  jüngeren  Brahinana's 
die  sagen-  oder  legendenhaften  Stücke  genannt,  .die  uns  dort 
begegnen.*  Itihasa  heisst  eine  „Sage"  oder  „Legende";  Purana 
eine  „alte  Geschichte";  Akhyana  eine  „Erzählung"  oder  „Mähr". 
Alle  diese  Namen  werden  dem  Mahabharata  beigelegt,  und 
wird  es  damit  als  eine  Dichtung  bezeichnet,  in  welcher  die 
Sagen  und  Erzählungen  der  alten  Zeit  aufgenommen  sind.8 
Das  Ramayana  dagegen  trägt  mit  Recht  den  Titel  eines  Kävya 
oder  kunstgerechten  Gedichts,  denn  es  ist  von  einem  einzelnen 
Dichter  nach  einem  bestimmten  Plane  angelegt  und  ausgeführt; 
es  zeigt  uns  die  epische  Kunstdichtung  der  Inder  in  ihrer 
höchsten  Vollendung.4 

1  \M.  Weber,  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  200;  Lassen,  Ind.  Alt.  Iä,  583. 

1  Vgl.  Weber  a.  a.  0.  p.  200. 

J  Vgl.  auch  Lassen  a.  a.  0.  IÄ,  583  Anni. 

4  Vgl.  Ussen,  a.  a.  0.  I*,  100G. 


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—  453 


Das  Mahäbharata  steht  —  namentlich  mit  jenen  Theilen, 
die  vom  grossen  Kampfe  der  Kuru  und  Pan<}usöhne  handeln  — 
neben  dem  Ramayana  ähnlich  da,  wie  etwa  im  13.  Jahrhundert 
bei  uns  das  Nibelungenlied  neben  einem  Epos  Wolfram's  von 
Eschenbach  oder  Hartmann's  von  der  Aue.  Ich  wüsste  wenig- 
stens keinen  treffenderen  Vergleich. 

Es  ist  aber  insbesondere  noch  ein  anderer  Punkt»  in  wel- 
chem sich  das  Mahäbharata  von  dem  Ramayana  unterscheidet. 
Während  das  letztere  wesentlich  nur  die  eine  Sage  von  Rama 
erzählt  und  in  harmonisch  abgerundeter  Ausführung  diesen 
Zweck  beständig  verfolgt,  trägt  das  Mahäbharata  mit  dem  ge- 
waltigen Umfang  seiner  100,000  Qloken  oder  epischen  Doppel- 
verse den  Charakter  eines  riesigen  encyklopädischen  Werkes, 
das  alle  Sagen  und  Erzählungen  der  Vorzeit  in  sich  vereinigen, 
alle  Weisheit  von  Göttern  und  Menschen  verkünden  will.  Nur 
etwa  ein  Viertel  des  ganzen  Werkes,  einige  20,000  Qloken  be- 
ziehen sich  auf  seinen  Hauptgegenstand,  den  grossen  Kampf 
der  Kuru-  und  Pan<}u-Söhne  und  die  damit  verschmolzenen 
Mythen  und  Sagen.1  Alles  Andere  sind  Zusätze,  Einschiebungen, 
Episoden  der  mannichfachsten  Art.  Vor  Allem  enthält  es  eine 
ungeheure  Menge  alter  Sagen  von  Göttern,  Königen  und  den 
alten  Heiligen;  auch  Rama's  Geschichte  fehlt  nicht  darin;  ferner 
eine  Menge  lehrhafter  Abschnitte,  Kosmogonieen  und  Theogo- 
nieen,  Darlegungen  der  Gesetze  und  der  religiösen  Dogmen; 
didaktische  Partiecn,  die  insbesondere  den  Kriegerstand  über 
seine  Pflichten  gegenüber  den  Priestern  belehren  sollen;  Ab- 
schnitte, welche  —  wie  z.  B.  die  Bhagavadgita  —  als  philoso- 
phische Werke  für  sich  gelten  müssen  u.  dgl.  m.* 

Das  Alles  muss  in  dem  Rahmen  der  Geschichte  von  den 
Thaten  und  Abenteuern  der  Kuru-  und  Pancju- Söhne  Platz 
finden.  Die  Einschiebungen  —  oft  von  sehr  bedeutendem 
Umfang  —  stören  den  Verlauf  der  Erzählung  sehr  erheblich, 
und  um  so  mehr,  als  sie  oft  ganz  heterogener  Natur  sind,  so 
dass  es  ordentlich  Mühe  kostet,  den  Faden  der  Erzählung 
wiederzufinden.  Zur  Erläuterung  irgend  eines  Satzes  werden 
uns  wiederholt  umfängliche  Dichtungen ,  förmlich  Werke  für 
sich,  vorgetragen.  An  manchen  Stellen  lasst  sich  dies  noch 
allenfalls  vertragen.  Wenn  z.  R  die  Pändu-Söhne  jahrelang 
verbannt  im  Ödei  Walde  umherirren,  da  bietet  es  eine  an- 
genehme Abwechselung,  dass  sie  einen  weisen  Brahmanen  treffen, 


1  S.  Weber,  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  204. 

*  Vgl.  Lassen,  Ind.  Alt.  1»,  584;  Weber,  a.  a.  0.  p.  204. 


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der  ihnen  Belehrung  und  Unterhaltung  spendet  und  mit  der 
Erzählung  alter  Sagen  den  Kummer  der  Vertriebeneu  zu  lindem 
sucht  Wouu  aber  z.  B.  die  Heere  sich  schon  kampfbereit 
gegenüberstehen  und  dann  noch  einem  der  Helden,  der  vor- 
zugehen zaudert,  ein  philosophisches  Gedicht  von  18  Gesängen 
vorgetragen  wird,  um  ihn  über  seine  Pflicht  zu  belehren,  da 
mus8  uns  wohl  die  Geduld  im  Stiche  lassen.  Es  ist  dies  form- 
los und  unkünstlerisch  im  höchsten  Maasse;  und  dennoch  müssen 
wir  versuchen,  uns  damit  zu  versöhnen,  denn  oft  gehören  gerade 
diese  Einschiebungen,  wie  auch  speciell  das  erwähnte  philo- 
sophische Gedicht,  zu  den  köstlichsten  Perlen,  die  dieser  Ocean 
epischer  Dichtung  in  dich  birgt. 

Das  Mahäbhärata  will  ein  umfassendes  Lehrbuch  sein, 
es  will  alle  Dichtung,  alle  Kunde  der  Vorzeit,  aMe  Weisheit 
in  sich  vereinigen.  Es  sagt  von  sich  selbst  (1,  307):*  „Es  giebt 
keine  Mahre  auf  Erden,  welche  sich  nicht  auf  diese  Erzählung 
stützt,  sowie  keine  Erhaltung  des  Leibes  ohne  Nahrung.**  (1,  645): 
„Der  Zweimalgeborene,  welcher  die  vier  Veda  nebst  den  Aüga 
und  Upänga  kennt  und  nicht  dieses  Epos,  der  ist  nicht  ein 
erfahrener."  (040):  „Es  ist  ein  grosses  Lehrbuch  des  Nütz- 
lichen, ein  Lehrbuch  des  Rechts,  ein  Lehrbuch  des  Angenehmen, 
ausgesprochen  von  Vyasa  von  unermesslichem  Geiste.1,1 

Die  hier  beanspruchte  Autoritatsstellung  wird  dem  Mahä- 
bhärata von  den  Indern  thatsächlich  eingeräumt. 

Das  hohe  Ansehen,  in  welchem  die  alte  Heldensage  stand, 
veranlasste  die  Priester,  gerade  diesem  Werke  Alles  einzuve*> 
leiben,  was  allgemein  wissenswürdig  war,  und  namentlich  auch 
dasjenige,  was  zur  rechten  »Belehrung  der  Krieger  und  Könige 
geeignet  schien.  So  hat  die  Masse  des  hinein  verarbeiteten 
Stoffes  das  Ganze  endlich  zu  einem  formlichen  Labyrinthe  ge- 
staltet 

So  angesehen  und  beliebt  das  Rämäyana  bei  den  Indern 
ist,  —  dem  Mahäbhärata  kommt  es  in  seiner  Stellung  nicht 
gleich,  hat  auch  durchaus  nicht  den  universalen  Charakter, 
welchen  wir  an  dem  grossen  Epos  hervorgehoben  haben. 

Als  Verfasser  des  Ramäyana  wird  Valmiki  angegeben, 
und  wir  haben  keinen  Orund  daran  zu  zweifeln,  dass  dieses 
Epos  das  Werk  eines  Dichters  ist  Das  Mahäbhärata  dagegen 
wird  dem  Vyäsa  zugeschrieben,  einem  mythischen  Weisen,  der 
theils  als  Verfasser,  theils  als  Sammler  und  Ordner  einer  Menge 
umfangreicher  und  zum  Theil  uralter  Texte  gilt,  —  der  Veden, 


1  Vgl.  Las  Ben,  Ind.  Alt.  I»,  583  Anm. 


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—   455  — 

der  Puräna,  des  Ved&nta  u.  a.  m.  Die  fabelhafte  Rolle,  welche 
dieser  Vyasa  in  den*  MaMbhärata  selbst  spielt,  benimmt  uns 
den  letzten  Zweifel  darüber,  dass  wir  es  hier  nur  mit  einer 
fingirten  Persönlichkeit  zu  thun  haben.1 

Es  scheint  mir  keinem  Zweifel  zu  unterliegen,  dass  Ton 
den  beiden  grossen  Epen  das  Mababharata  den  Anspruch  auf 
höheres  Alter  erheben  darf,  wenigstens  in  denjenigen  Theilen, 
welche  den  Kampf  der  Kuru  und  Pan<}u-Söhne  besingen;  dass 
in  ihm  trotz  aller  späteren  Ueberarbeitungen  und  Einschiebungen 
Bich  doch  noch  Vieles  von  der  ursprünglichen  alten  Dichtung 
unverfälscht  erhalten  hat  Noch  lebt  in  vielen  Theilen  des 
grossen  Epos  die  alte  Kampfesfreudigkeit,  das  stolze,  un- 
gebrochene Heldenthum  einer  früheren  Zeit,  wenn  auch  im 
Uebrigen  der  mittelalterlich -brahmanische  Staat  dem  Gedichte 
nach  Möglichkeit  seinen  Stempel  aufgedrückt  hat  Im  Ramayana 
dagegen  ist  von  jenem  alten  Heldenthum  nichts  zu  spüren,  es 
ist  durchweg  Product  der  späteren  Zeit  und  bewährt  diesen 
Charakter  bis  in  alle  einzelnen  Theile  hinein.  Bein  Held  ist 
ein  Tugendheld,  kein  kühner  Recke,  wie  die  Alten  waren.  Ge- 
horsam, Fügsamkeit,  Entsagung,  Frömmigkeit,  Pietät,  leiden- 
schaftslose Pflichterfüllung  —  das  sind  die  Tugenden,  die  an 
dem  Helden  gepriesen,  die  in  dem  ganzen  Gedicht  verherrlicht 
werden.  Eis  treten  bisweilen  weichliche,  sentimentale  Züge  her- 
vor, die  uns  geradezu  abstossen.  Und  wird  auch  der  starke 
Arm  des  Helden  gepriesen,  so  geschieht  dies  doch  vor  Allem, 
weil  er  die  Einsiedeleien  der  frommen  Asketen  beschirmt.* 

Im  Mahabhärata  bewegen  wir  uns  auf  dem  Boden  der 
alten  Heldensage,  im  Ramayana  dagegen  hat  bereits  Alles  mehr 
einen  märchenhaften,  romantisch-abenteuerlichen  Charakter  an- 
genommen. Rama's  Gegner  ist  der  fabelhafte  Riesenkönig 
Ravana  mit  seinem  Volke  in  Lanka,  seine  Bundesgenossen  sind 
der  Geier  Jatayu,  die  Affen  mit  Hanuman  und  Sugrlva  an  der 
Spitze,  mit  denen  er  sich  befreundet  und  die  ihm  mit  den 


1  Lassen  bemerkt«  Vyasa  heisse  „der  Sammler  oder  Ordner*'  und 
damit  trüge  das  Gedicht  den  Namen  der  personificirten  Dia&keuase  an 
der  Spitze  (Ind.  Alt.  I9,  582)  Das  klingt  ansprechend,  die  Etymologie 
ist  aber  nicht  richtig.  Das  Subst.  ryasa  bedeutet  „Ausführlichkeit,  aus- 
führliche Danteilung";  der  Käme  dürfte  demnach  etwa  „ausführlicher 
Erzähler"  bedeuten  (die  Wurzel  a*  c.  vi  bedeutet  nicht  „sammeln,  ordnen", 
sondern  „auseinander  bringen,  auseinander  werfen,  zerstreuen").  In  der 
Sache  hat  übrigens  Lassen  Recht:  Vyasa  ist  in  der  That  die  personi- 
ficirte  Diaskcuase. 

*  Vgl.  Lassen,  Ind.  Alt.  II«,  504;  Duncker,  Gesch.  d.  Alt  III4, 

p.  83. 


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—    456  — 


Bären  zusammen  eine  Brücke  nach  Lankä  (d.  i.  Ceylon)  hinüber 
bauen,  —  das  Alles  ist  durchaus  märchenhaft.  Zwar  sind  auch 
in  das  Mahabh&rata  romantisch- märchenhafte  Züge  mit  hinein 
verwebt,  aber  deutlich  hebt  sich  doch  davon  der  eigentliche 
Kern  des  Epos  ab,  die  alten  Völkerkämpfe,  denen  ein  grosser 
historischer  Hintergrund  nicht  abzusprechen  ist.  A.  Weber  hat 
sogar  die  Ansicht  verfochten,  dass  wir  uns  im  R&mäyana 
wesentlich  auf  dem  Boden  der  Allegorie  bewegen.  Die  Fabel 
dieses  Gedichtes  stellt  nach  ihm  die  Ausbreitung  der  arischen 
Cultur,  speciell  des  Ackerbaues  nach  dem  Süden  hin  dar.  Die 
handelnden  Personen  sind  —  wie  er  sich  ausdrückt  —  „nicht 
wirkliche,  historische  Gestalten,  sondern  nur  Personificationen 
gewisser  Begebenheiten  und  Zustände." 1  Vor  Allem  identificirt 
er  Sita,  die  von  dem  Riesen  geraubte  Gattin  des  RAma,  mit 
der  schon  im  Rigveda  und  dann  im  Grihya-  Ritual  göttlich 
verehrten  Ackerfurche  (sitA);  und  Rama  selbst  „mit  dem  später 
von  ihm  getrennten  Balararaa  halabhrit,  dem  Pflugträger4'.  Die 
Riesen  lind  Dämonen  stellen  die  feindselig  abgeneigten  Elemente 
der  südlichen  Ureinwohner  dar,  während  die  der  arischen 
Cultur  sich  geneigt  zeigenden  Ureinwohner  als  Affen  erscheinen.1 
Mag  diese  Auffassung  auch  in  der  Deutung  des  Einzelnen  zu 
weit  gehen,  —  das  Eine  scheint  mir  doch  vor  Allem  klar  zu 
liegen,  dass  wir  es  hier  mit  dem  freien  Spiel  eines  romantischen 
Dichtergeistes  zu  thun  haben,  während  dem  Mahabhärata  ein 
altererbter  Lieder-  und  Sagenschatz  zu  Grunde  liegt3 

Die  Ereignisse,  welche  den  Hauptinhalt  des  Mahabhärata 


1  Weber,  Ind.  Lit.  p.  181;  2.  Aufl.  p.  209. 

*  Weber 's  später  entwickelte  Ansicht  (lieber  das  RAmAyana,  Ab- 
handl.  d.  Berl.  Ak.  1870),  dass  das  RAmayana  Dicht  den  Kampf  der 
arischen  Inder  mit  den  Urbewohnern,  sondern  den  feindlichen  Gegensatz 
der  Buddhisten  und  Brahmanen  zum  poetischen  Ausdruck  bringe,  — 
dass  wir  Nachklänge  einer  Bekanntschaft  mit  den  homerischen  Gedichten 
darin  finden  u.  dgl.  m.  halte  ich  für* wenig  wahrscheinlich;  man  findet 
sie  besprochen  bei  Lassen«  Ind.  Alt.  II*,  502  flg. 

9  Diesen  und  anderen  Gründen  gegenüber  scheint  es  mir  nicht  von 
grossem  Belang,  was  Lassen  für  eine  grössere  Alterthümlichkeit  des 
Rämäyana  in's  Feld  führt  (Ind.  Alt  I»  684).  üebrigens  giebt  er  selbst 
später  zu,  dass  einige  Züge  jedenfalls  für  höheres  Alter  des  Mahabhärata 
sprechen  (II*,  504).  Die  geographisch  beschränktere  Sphäre  des  Dichten 
des  RAmayana  kann  ebensowenig  wie  die  Nichterwähnung  des  Buddhis- 
mus als  ein  Beweis  höheren  Alterthums  gelten.  Wenn  der  Dichter  dea 
Rämäy.  das  südliche  Land  noch  als  wild  und  uncultivirt  schildert,  so 
zeigt  dies  nur,  dass  er  seine  Aufgabe,  das  Vordringen  der  Arier  nach 
Süden  darzustellen,  richtig  erfasst  und  dem  entsprechend  die  Schilderung 
des  Südlandes  eingerichtet  hat.  Vgl.  übrigens  auch  Weber,  Ind.  Lit. 
2.  Aufl.  p.  210. 


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-     467  — 


■ 


bilden,  reichen  in  ein  hohes  Alterthum  zurück.  Der  Kernpunkt 
des  Epos  besteht  in  dem  Kampfe  der  Kuru  und  der  Paficala, 
welche  beiden  Völker  zuletzt  friedlich  mit  einander  zu  einem 
Volke  vereinigt  werden.  Da  nun  schon  in  den  Yajurveden  die 
Kuru- Paficala  zu  einem  Volk  verbunden  auftreten  und  gerade 
diese  Vereinigung  das  Resultat  jener  Kämpfe  ist,  da  ferner  in 
einem  der  ältesten  Yajurveden,  im  Kathaka  nämlich,  eine  der 
Hauptgestalten  des  Mahäbhärata,  König  Dhritarash^ra  Vaicitra- 
virya  als  eine  bekannte  Person  genannt  wird,  so  müssen  jene 
Kämpfe,  die  das  Epos  schildert,  jedenfalls  vor  der  Zeit  des 
Yajurveda,  d.  h.  also  wohl  vor  d.  J.  1000,  spätestens  im  10.  Jahr- 
hundert vor  Chr.  stattgefunden  haben. 

Wann  die  epische  Dichtung  sich  dieses  Stoffes  bemächtigt, 
wann  zuerst  die  Thaten  und  Leiden  jener  Helden  im  Liede 
besungen  wurden,  das  lässt  sich  natürlich  nicht  sicher  fest- 
stellen. Es  ist  indessen  nicht  nur  möglich,  sondern  sogar 
wahrscheinlich,  dass  schon  bald  nach  jenen  grossen  Ereignissen 
Berichte  davon  dem  lauschenden  Volke  vorgetragen  wurden, 
die  dann  immer  reicher  und  voller  von  der  dichtenden  Sage 
umrankt  und  verschönt  als  ein  werther,  wenn  auch  nicht  un- 
veränderlicher Besitz  von  einer  Generation  auf  die  andere  fort- 
erbten. 

Bei  feierlichen  Gelegenheiten,  festlichen  Versammlungen 
des  Volkes  oder  grossen  Opfern,  die  die  Könige  abhielten, 
pries  dann  der  Sänger  die  Thaten  der  Vorzeit  und  klagte  um 
die  gefallenen  Helden.1  Es  leidet  wohl  keinen  Zweifel,  dass  in 
jener  alten  Zeit  die  Ueberlieferung  der  Sage  nur  eine  münd- 
liche war.  Direct  ist  uns  darum  von  jener  alten  epischen 
Dichtung  nichts  erhalten  und  Weniges  mag  wohl  unverändert 
geblieben  sein.  Das  Mahäbhärata  aber  hat  eine  solche,  durch 
Jahrhunderte  fortgepflanzte  Sagendichtung  zur  nothwendigen 
Voraussetzung,  in  ihm  ist  ein  gewaltiger  Reichthum  epischer 
Tradition  zusammengeströmt,  und  vieles  Alte  ist  hier  in  seinem 
wesentlichen  Charakter  unversehrt  und  unverfälscht  erhalten. 


1  Wie  sich  das  Epos  selbst  jene  alte  Sagenüberlieferung  denkt, 
geht  aus  manchen  Stellen  hervor.  Es  sind  vor  Allem  grosse  feierliche 
Opfer,  bei  denen  die  Recitation  stattfindet.  Vai^ampayana,  der  Schüler 
des  Vyasa,  trägt  das  Mahäbhärata  bei  dem  grossen  Schlangenopfcr  des 
Königs  Janamejaya  vor,  und  dieselbe  Dichtung  twird  nachher  auch  von 
dem  Sota  oder  Barden  Ugracravas  beim  Opfer  des  Brahmanen  Qaunaka 
recitirt.  Oleichermaassen  soll  das  Ramilyana  von  den  beiden  Söhnen 
des  Rama,  Kuca  und  Lava,  bei  einem  grossen  Pferdeopfer  vorgetragen 
worden  sein.    Vgl.  Lassen,  Ind.  Alt.  I*,  580. 


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Im  Grossen  und  Ganzen  erhielt  freilich  die  alte  Dichtung 
nach  und  nach  den  Stempel  einer  neuen  Zeit.  Die  Priester 
waren  es,  die  sich  der  epischen  Tradition  bemächtigten  und 
sie  in  ihrem  Sinne  umgestalteten;  sie  fanden  hier,  hei  dem 
grossen  Ansehen  der  alten  Sage,  ein  geeignetes  Mittel,  weit- 
greifenden Einflu88  auf  das  Volk,  vor  Allem  aber  auf  die 
Krieger  und  Könige  zu  üben.  Ja,  so  sehr  hat  sich  der  hierar- 
chische Geist  des  grossen  Epos  bemächtigt,  dass  dasselbe  im 
Ganzen  als  ein  treuer  Spiegel  des  mittelalterlich  -  indischen 
Staates  gelten  kann.  Hier  herrschen  die  Lehren  von  der  Un- 
wandelbarkeit und  dem  göttlichen  Ursprung  der  brahmanischen 
Staatsordnung,  von  der  Scheidung  der  Menschen  in  die  vier 
Kasten  seit  Anbeginn  der  Welt,  von  der  unbedingten  Unter- 
ordnung Aber  unter  die  Priester,  von  der  Seelenwanderung 
und  den  drei  grossen  Göttern  Brahma,  Vishnu  und  Civa,  und 
nur  das  prüfende  Auge  des  Forschers  vermag  in  dem  Labyrinth 
dieses  grossen  Baues  die  wirklich  alten  Stücke,  die  Reite  und 
Ruinen  noch  zu  erkennen,  in  welchen  Bausteine  und  Mörtel 
der  alten  Zeit  so  fest  gefügt,  so  ganz  zu  härtestem  Gestein 
verwachsen  waren,  dass  die  neuen  Baumeister  es  gerathen 
fanden,  stehen  zu  lassen,  was  doch  nicht  zu  stürzen  war,  ohne 
das  Ganze  zu  zerstören,  und  lieber  den  alten  Bau  mit  neuen 
Bögen  und  Pfeilern  zu  schmücken  und  zu  überbauen,  um  endlich 
das  Ganze  dem  andächtig  staunenden  Volke  stolz  zu  weisen 
als  einen  mächtigen  Tempel  ihres  alleinseligmachenden  brahma- 
nischen Glaubens. 


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Zweiunddreissigste  Vorlesung. 


Die  verschiedenen  Bearbeitungen  des  Mahabbarata.   Zeitpunkt  der  Ab- 
fassung und  der  endlichen  Redaction  des  Ganzen.    Inhaltsangabe  des 
Mahabharata:  der  Kampf  der  Kuru  und  Pao4usöhne. 


Ad  dem  Riesenbau  des  Mahabharata  haben  Genei-ationen 
geschaffen,  und  mehr  als  eine  Bearbeitung  hat  dtfs  grosse  Werk 
im  Laufe  der  Jahrhunderte  erfahren.  Dies  lehrt  uns  nichC  nur 
die  kritische  Forschung,  sondern  das  Gedicht  sagt  es  uns  selbst. 
Gegenwärtig  besteht  das  grosse  Epos,  wie  schon  erwähnt,  aus 
100,000  Doppelversen  oder  Qloken,  wir  finden  in  demselben 
aber  die  directe  Angabe,  dass  es  früher  aus  24,000  (Jloken 
bestanden  habe,  ja  im  Eingang  des  Werkes 1  begegnet  uns  sogar 
die  Nachricht,  dass  dasselbe  ursprünglich  nur  8800  Qloken 
enthalten  habe,  so  dass  also  jene  Zahl  von  24,000  Qloken  schon 
einer  zweiten  Bearbeitung  angehörte.*  Auch  die  Notiz  in  der 
Einleitung  des  Werkes,  dass  dasselbe  drei  verschiedene  Anfänge 
habe,  deutet  wohl  auf  eine  dreimalige  Bearbeitung.9 

Es  leuchtet  ein,  wie  sehr  diese  Angabe  des  Gedichtes 
selbst  zu  seinem  ganzen  Charakter,  vor  Allem  auch  den  massen- 
haften Episoden  und  späteren  Einschiebungen  stimmt  und  wie 
glaubhaft  sie  daher  klingt.4 

Wann  diese  verschiedenen  Bearbeitungen  des  grossen  Epos 
stattfanden  und  in  welcher  Weise  sich  dasselbe  dabei  um- 


1  I,  81;  8.  Weber,  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  204. 

*  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  II*,  499. 

•  S.  Lassen  a.  a.  0.  I«,  589;  II»  496.  —  Es  heisst  im  Mahabh. 
(1,  51.  52),  dass  Vyasa  das  Werk  in  einer  ausführlicheren  und  einer 
kurzen  Fassung  vorgetragen  habe  und  dass  einige  Brahmanen  das  Bha- 
rata  mit  Manu  beginnen,  andere  mit  Astika ,  andere  endlich  mit  Upari- 
cara  ^vgl  Lassen  a."  a.  0.).    Lassen  hat  es  versucht  diese  verschiedenen 

I  Anfange  nachzuweisen  (a.  t   0.  p.  495  flg.). 

4  Die  Bearbeitung  in  24,000  £loken  soll  —  wie  das  Werk  selbst 
angiebt  (1,  102  flg.)  —  noch,  ohne  die  Upakhyana,  d.  h.  ohne  die  episo- 
dischen Einschiebsel  gewesen  sein.   Yj&\.  Lassen,  a.  a~  0.  II*,  495. 


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gestaltete,  darüber  stehen  uns  nur  mehr  oder  minder  wahr- 
scheinliche Vermuthungen  zu  Gebote. 

Es  erscheint  wahrscheinlich,  dass  die  alten  Sagen,  welche 
das  Mahäbhärata  enthält,  Allem  voran  die  Erzählung  von  dem 
grossen  Kampfe  der  Kuru,  zuerst  in  einzelnen,  noch  nicht  zu 
einem  Ganzen  verbundenen  Liedern  und  Gesängen  von  Gene- 
ration zu  Generation  sich  forterbten.  Es  erscheint  ferner  wahr- 
scheinlich, dass  dann  ein  grosser  dichterischer  Genius  erstand,1 
der  mit  genialer  Hand  ein  grosses  Epos  schuf,  dessen  Mittel- 
punkt der  tragische  Untergang  des  altberühmten  Kuru- Ge- 
schlechtes bildete;  dass  in  diesem  Gedichte  Recht  und  Tugend 
und  alte  Heldensitte  auf  Seiten  der  Besiegten,  der  Kuru,  war, 
deren  Fall  der  Dichter  schmerzlich  betrauerte,  während  die 
Sieger,  die  Pändusöhne  mit  Krishna  an  der  Spitze,  nur  durch 
List  und  Verrath  und  unritterliches  Thun  zum  Siege  gelangten; 
dass  in  diesem  Gedichte  Brahma  als  der  oberste  Gott,  das 
lenkende  Schicksal  der  Welt  erschien.  Es  kann  ferner  kaum 
einem  Zweifel  unterliegen,  dass  eine  spätere  Bearbeitung  sich 
geflissentlich  bemühte,  die  Schuld  der  Pändusöhne  abzuschwächen, 
ihre  Hinterlist  und  Tücke  zu  entschuldigen  und  dagegen  die 
Kuru  mit  Vorwürfen  zu  überhäufen,  ihren  Untergang  als  wohl- 
verdient darzustellen  —  sehr  im  Widerspruch  zu  dem  alten 
Gedichte,  das  durch  solche  tendenziöse  Entstellung  die  schwerste 
Schädigung  erlitt  und  in  seiner  inneren  Einheit  und  Consequen* 
für  immer  unheilbar  gestört  wurde.  Zu  gleicher  Zeit  wurde 
neben  die  Verehrung  des  Brahma  auch  die  der  beiden  anderen 
grossen  Götter  eingefügt,  vor  Allem  die  des  Vishnu,  der 
sogar  in  Krishna,  dem  leitenden  Helden  der  PAndu- Partei, 
persönlich  incarnirt  erscheint.  Dass  diese,  den  Vishnu-Krishna 
verherrlichenden  Stücke,  wie  auch  die,  welche  den  Qiva  feiern, 
spätere  Einschiebungen  sind,  hat  man  lange  schon  erkannt* 
Es  haben  dann,  zur  selben  Zeit,  oder  auch  noch  später,  eine 
Menge  anderer  "Einschiebungen  und  Erweiterungen  des  grossen 
Epos  stattgefunden,  theils  sagenhaften,  theils  hierarchisch- 
didaktischen  Inhalts,  wodurch  dann  endlich  das  Ganze  zu  dem 
gewaltigen  Umfang  angeschwollen  ist,  in  welchem  es  uns  gegen- 
wärtig vorliegt.3 


1  Der  „grosse  Unbekannte",  wie  ihn  Ad.  Holtzmann  (der  Jüngero  * 
neunt.  „Ucber  das  alte  indische  Epos",  Durlach  1881  «.Programm)  p.  10. 

-  Dies  hat  namentlich  Lassen  in  seiner  Ind.  Alterthumskunde 
wiederholt  deutlich  hervorgehoben. 

9  Die  Rcconstruction  des  alten  ursprünglichen  Epos  vom  Untergang 
des  Kuru-Gcschlecbtes  hat  zuerst  mit  viel  Geist  der  auch  als  Germanist 


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Für  die  Bestimmung  der  Zeit,  in  welcher  der  unbekannte 
Dichter  die  Erzählung  vom  Untergang  des  Kuru- Geschlechtes 
zuerst  zum  grossen  Epos  gestaltete,  ist  es  von  Wichtigkeit,  dass 
in  dieser  ursprünglichen  Fassung  des  Gedichtes  durchaus  Brahma 
als  der  oberste,  der  höchstverehrte  Gott  erscheint,1  während 
die  Verehrung  des  Yishnu  und  (^iva  als  grosser  Götter  offeubar 
erst  später  hinein  gekommen  ist.  Nun  aber  ist  uns  die  Ver- 
ehrung des  persönlichen  Brahma  zuerst  sicher  für  die  Zeit 
Buddha  s  bezeugt,  über  das  siebento  Jahrhundert  vor  Chr.  kann 
de  schwerlich  hinausgehen;  im  vierten  Jahrhundert  ist  —  wie 
wir  durch  Mogasthenes  wissen  —  bereits  die  Verehrung  des 
Vishnu  und  £iva  ganz  in  den  Vordergrund  getreten  und  stellt 
die  Verehrung  Brahma's  in  den  Schatten;  Megastheues  führt 
uns  das  Volk  der  Inder  schon  in  Vishnuiten  und  ^ivaiten  ge- 
spalten vor.  Die  Zeit,  in  welcher  der  persönliche  Gott  Brahma 
als  erster,  unbestritten  oberster  Gott  verehrt  wurde,  liegt  also 
etwa  zwischen  dem  siebenten  und  dem  vierten  Jahrhundert 
vor  Chr.,  und  in  diesem  Zeitraum  mussto  nach  meinem 
Dafürhalten  darum  wohl  die  erste  Abfassung  des 
Mahabharata  als  eines  grossen  Heldengedichtes  statt- 
gefunden haben. 

Das  älteste  Zeugniss  für  d;is  Vorhandensein  des  Maha- 
bharata liegt  —  wie  schon  Lassen  bemerkt  hat  —  im  Grihya- 
sütra  des  Ä^valayana  vor,  wo  ein  Bhärata  und  Mahabharata 
erwähnt  wird.1    Dieses  Werk  dürfte  etwa  dem  vierten  Jahr- 


bekannte  Adolf  Hol tz mann  (Professor  in  Heidelberg)  versucht,  im 
ereten  Bande  seiner  „Indischen  Sagen"  (2.  Aufl.  Stattgart  1854)  (Die 
Kuruinge).  —  Der  gleichnamige  Neffe  dieses  Forschers,  Dr.  Adolf 
Holtzmann  (zuerst  in  Durlach,  jetzt  in  Freiburg  i.  Bt.\  hat  die  Arbeit 
seines  Oheims  fortgesetzt  und  uns  eine  ganze  Reihe  sehr  werthvoller 
Arbeiten  über  das  Mahabharata  geschenkt.  Sein  oben  citirter  Aufsatz 
„TJeber  das  alte  indische  Epos"  dürfte  wohl  das  Beste  sein,  was 
neuerdings  für  die  Kritik  des  Mahabharata  geschehen  ist.  Vgl.  auch 
desselben  Forschers  „Arjuna,  ein  Beitrag  zur  Reconstruction  des  Maha- 
bharata" (Strassburg  1879);  sowie  die  früher  citirten  Aufsätze  über  Brah- 
man.  Indra,  dieApsaras  im  Mahabharata  (Ztschr.  d.  I).  M.  G.  XXXII, 
XXX11I  u.  XXXVIII).  Agni,  nach  den  Vorstell  d.  Mhbh.  Strassburg  1878. 

1  Es  geht  dies  insbesondere  sehr  deutlich  aus  der  Abhandlung  von 
Ad.  Holtzmann  Über  ,.Brahman  im  Mahabharata"  hervor  (Ztschr.  d. 
D.  M.  G.  XXXVIII). 

*  Vgl.  Lassen,  Ind.  Alt.  F,  58D:  ganz  ohne  zureichenden  Grund 
meint  Weber,  dass  diese  Erwähnung  des  Mahabharata  in  dem  Grhyas. 
als  eine  Interpolation  oder  als  ein  Zeichen  ganz  moderner  Abfassung»- 
zeit  zu  betrachten  sei  (Ind.  LH.  2.  Aufl.  p.  202).  Dem  Verfasser  des 
Grhyasütra  hat  natürlich  das  grosse  Epos  nicht  in  seiner  jetzigen  Gestalt 
vorgelegen. 


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—      4G2  — 


hundert  vor  Chr.  entstammen  und  wir  könnten  demnach  etwa 
für  das  fünfte  Jahrhundert,  vor  Chr.  die  Existenz  des  Epos 
annehmen,  welche  Annahme  ja  durchaus  mit  unserer  obigen 
Zeitbestimmung  harmoniren  würde. 

Die  wesentlichste  Umgestaltung  des  grossen  Epos,  welche 
die  Pan<Jusöhne  in  ein  besseres  Licht  setzt  und  die  Verehrung 
des  Vishnu-Krishna  und  (Jiva  hineinbringt,  muss  jedenfalls  erst 
nach  dem  Jahre  400  stattgefunden  haben,  als  die  Verehrung 
jener  grossen  Götter  so  stark  in  den  Vordergrund  getreten 
war;  vielleicht  nicht  lange  nachher,  schon  in  der  ersten  Zeit 
dieses  hervorragenden  £iva-  und  Vishnu-Cultus,  denn  die  leiden- 
schaftliche Sprache  jener  Einschiebungen,  die  den  Vishnu  und 
Qiva  als  oberste  Götter  feiern,  und  den  Krishna  vergöttern» 
verrath  es  uns  deutlich,  dass  für  den  Cultus  derselben  noch  mit 
Leidenschaft  gekämpft  wird.1 

Wann  aber  die  letzte  Redaction  des  grossen  Epos  statt- 
fand, wann  es  in  derjenigen  Form,  die  wir  kennen,  mit  all  den 
vielen  Episoden  und  lehrhaften  Abschnitten  fertig  abgeschlossen 
vorlag,  das  lässt  sich  schwer  bestimmen.  Wahrscheinlich  aber 
ist  es  doch,  dass  dies  erst  in  nachchristlicher  Zeit  der  Fall 
war.  Die  Zeit,  in  welcher  der  mittelalterlich -indische  Staat 
und  die  klassische  Sanskrit- Literatur  ihre  höchste  Blüthe  er- 
lebt,* und  welche  sich  etwa  vom  vierten  bis  zum  neunten  Jahr- 
hundert nach  Chr.  erstreckt,  dürfte  am  Ende  wohl  auch  die 
Zeit  gewesen  sein,  wo  die  letzte  Hand  an  das  grosse  Epos  ge- 
legt wurde,  wo  man  es  zu  dem  grossen  Lehrgedicht  machen 
wollte,  das  alle  Kunde  der  Vorzeit,  alle  Weisheit  der  Welt 
urafasst,  und  wo  es  dann  in  seinem  Bestände  endgültig  fest- 
gestellt wurde.3 

Jene  erste  Fassung  des  grossen  Epos,  vor  dem  Jahre  400 
vor  Chr.,  dürfte  dann  vielleicht  dieselbe  gewesen  sein,  in  welcher 
es  nach  seiner  eigenen  Aussage  8800  Qloken  enthielt;  die 


1  leb  erinnere  daran,  dass  die  Verehrung  dieser  Götter  and  nament- 
lich des  Vishnu-Krishna  seine  Verbreitung  wahrscheinlich  gerade  dem 
Gegensatz  zum  Buddhismus  verdankt;  die  Brahmanen  beförderten  diese 
Culte,  wie  wir  früher  gesehen  haben,  um  der  Buddha -Verehrung  ent- 
gegen zu  wirken;  die  Leidenschaft  ist  daher  sehr  erklärlich.  (Vgl.  auch 
Lassen  a.  a.  0.  I-,  5U1\ 

*  Es  ist  dies  die  Periode,  welche  M.  Müller  die  „Renaissance  der 
Sanskrit-Literatur"  genannt  hat.  »S.  Indien  in  s.  w.  Bcd.  p.  246  flg.: 
ebenda  p.  308.) 

3  Eine  Episode  wie  die  BhauavadgitÄ  u.  a.  kann  doch  schwerlich 
einer  früheren  Periode  zugewiesen  werden. 


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zweite  Bearbeitung  —  wohl  erat  nach  dem  Jahre  300  Chr. 
—  hätte  das  Werk  dann  Tielleicht  bis  anf  24,000  Cloken  er- 
weitert, während  es  erst  bei  der  letzten  Bearbeitung  —  in 
nachchristlicher  Zeit  —  zu  dem  riesigen  Umfang  der  100,000 
£loken  angeschwollen  wäre. 

So  etwa  Hesse  eich  der  von  uns  vormuthete  Werdcprocess 
des  riesigen  Werkes  mit  den  in  ihm  selbst  enthaltenen  Angaben 
in  Einklang  setzen. 

Für  die  Zeitbestimmung  ist  ee  von  Wichtigkeit,  dass  in 
dem  Mahäbharata  die  Yavana,  d.  h.  die  Griechen,  als  Bundes- 
genossen der  Kuru  genannt  werden;  es  muss  also  dieses  Volk 
damals  schon  ganz  in  den  Gesichtskreis  der  Inder  gerückt  ge- 
wesen sein.  Es  kommt  ein  Yavanakönig  Dattamitra  vor  — 
vielleicht  Derne trios,  —  und  ein  anderer  Yavanakönig  Bhaga- 
datta 1  —  nach  v.  Gutschmid  vielleicht  Apollodotos,  der  Stifter 
des  griechisch-indischen  Reiches  (zweites  Jahrhundert  vor  Chr.). 
Neben  den  Yavana  werden  auch  schon  die  Qaka  und  Pahlava 
genannt*  Auch  die  Schilderung  der  indischen  Bauten,  der 
hohen  Tempel,  die  bei  den  Brahmanen  sich  erst  im  Gegensatz 
zu  den  Klöstern  und  Stüpa's  od  i  Rcliquiongcbäudcn  der  Bud- 
dhisten entwickelten  und  der  älteren  Zeit  durchaus  fremd  sind, 
führt  uns  in  eine  verhältnissmässig  spate  Zeit*  Alles  dies  kann 
bei  der  zweiten,  resp  auch  bei  der  dritten  Bearbeitung  in  das 
grosse  Epos  gedrungen  sein.4 

Aus  dem  ersten  Jahrhundert  nach  Chr.  scheint  ein  directes 
Zeugniss  für  das  Vorhandensein  des  grossen  indischen  National- 
epos vorzuliegen.  Der  Rhetor  Dio  Chrysoatomog  berichtet 
nämlich,  dass  von  den  Indern  die  homerische  Poesie  ^in  ihrer 
Sprache  gesungen  werde:  die  Leiden  des  Priamos,  die  Klagen 
der  Hekabe  und  Andromache,  die  Tapferkeit  des  Achilleus  und 


1  Der  Yaranafürst  Bhagadatta  erscheint  als  Herrscher  von  Maro 
(Marwar)  und  Naraka,  als  Varuua-ähnlich  den  Westen  beherrschend,  als 
alter  Frennd  des  Vaters  des  YudhisMhira.  Vgl.  Weber,  Ind.  Lit. 
2.  Aufl.  p.  205  Anra.    Ind.  Stud.  V,  152. 

*  S.  Weber  a.  a.  0.  p.  204.   Laasen,  Ind.  Alt.  l\  495. 

3  Vgl.  Duncker,  a.  a.  0.  p.  62  Anm.  —  Die  Reliquientempel  der 
Buddhisten  werden  auch  direct  im  Mahäbharata  erwähnt  in  der  prophe- 
tisch gehaltenen  Schilderung  des  Kaliyuga,  wo  die  „Verehrung  von 
Knochengebäuden",  die  Ausschliessung  der  Götter,  die  Auflösung  der 
Kasten  u.  dgl.  vorkommt.    (S.  Lassen,  a.  a.  0.  I',  589  Anm.) 

4  Wahrscheinlich  wohl  bei  der  zweiten,  die  ja  wohl  erst  nach  dem 
Jahre  300  vor  Chr.  stattfaud,  vielleicht  erst  um  Christi  Gehurt  herum. 
Die  Krwähnung  der  Griechen  Demetrios  und  Apollodotos,  wie  auch  der 
£aka  würde  zu  jener  Zeit  am  meisten  motivirt  erscheinen. 


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—    464  — 


Hcktor  sei  ihnen  nicht  unbekannt.1  Diese  Angabe  ist  gewiss 
mit  Recht  von  Lassen,  Weber,  Duncker  u.  A.  auf  das 
Mahäbharata  bezogen  worden.  Der  indische  Priamos  ist 
Dhritarashtra,  Androuiache  und  Hekabc  sind  durch  Gaudharl 
und  Draupatli,  Achilleus  und  Hektor  durch  Arjuna,  Duryodhana 
oder  Karna  vertreten.2  Welche  Bearbeitung  des  grossen  Epos 
hier  genieint  wird,  lüsst  sich  aus  dieser  kurzen  Notiz  allerdings 
nicht  schliessen.* 

Der  Name  des  Mahäbharata  bedeutet  „das  grosse,  auf 
die  Bharata  sich  beziehende,  von  ihnen  handelnde  Gedicht".4 
Die  Bharata  aber  waren  ein  altberühmter  indischer  Stamm,  dor 
schon  in  den  Liedern  des  Bigveda  bedeutsam  hervortritt.6  Sie 
waren  es,  die  das  Land  des  oberen  Ganges  und  der  YamunA, 
der  Sarasvati  und  Drishadvati  besetzten  und  von  hier  aus  — 
nachdem  sie  sieh  vielleicht  mit  noch  einigen  anderen  vedischen 
Stämmen  verschmolzen  hatten  —  eine  für  die  indische  Cultur 
massgebende  Bedeutung  gewannen.  Einen  ihrer  alten  Herr- 
scher nennen  sie  Kuru,  und  nach  ihm  wird  das  Herrscher- 
geschlecht das  der  Kuru..  Kaurava  oder  Kuruiden0  genannt; 


1  8.  Lassen.  Intl.  Alt.  II*,  4M  Anm.  Weber,  Ind.  Stud.  II, 
p.  161  flg 

«  Lassen,  a.  a.  0.  I2,  p.  409;  Weber,  lud.  Lit.  2.  Aufl.  p.  202  flg. 
Duncker,  Gesch.  d.  Alt  III*,  p.  63  Anm. 

a  Die  dritte  und  letzte  aber  doch  wohl  gewiss  nicht,  da  in  ihr  das 
Epos  schon  als  ein  riesiges  Lehrgedicht  erscheint  und  nicht  eigentlich 
wie  ein  Heldengedicht,  dem  homerischen  vergleichbar.  —  Weber  will 
übrigens,  da  Megastheues  das  grosse  Epos  nicht  erwähne,  die  Entstehung 
desselben  zwischen  seine  Zeit  und  die  des  Dio  Chrysostomos  setzen  (Ind. 
Lit.  p.  203).  Aber  bei  der  fragmentarischen  Ueberlieferung  des  Mega- 
sthene8  darf  man  doch  wohl  aus  einer  Nichterwähnung  bei  ihm  nicht 
allzuviel  schliessen.  Ferner  ist  es  auch  noch  gar  nicht  so  sicher,  das* 
M.  das  Epos  nicht  erwähnt.  Lassen  will  die  Notiz  des  Dio  Chryso- 
stomos sogar  direct  auf  Megasthenes  zurückführen  (II2,  499);  Duncker 
meint  es  wäre  dies  zweifelhaft  scheint  es  aber  nicht  für  unmöglich  zu 
halten  (Gesch.  d.  Alt.  III4,  p.  63  Anm.);  ja  Weber  selbst  sagt  (Ind. 
Stud.  XIII,  356  flg.;  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  205  Anm.),  dass  die  Angabe 
des  Chrysostomos  offenbar  aus  älterer  Zeit"  datire,  „wenn  auch  nicht 
nothwendig  von  Megasthenes  selbst  her,  wie  Lassen  meint";  noth wendig 
ist  es  gewiss  nicht,  dass  die  Notiz  des  Chrys.  von  Megasthenes  stammt, 
aber  unmöglich  ist  es  auch  gewiss  nicht,  und  man  kann  daher  nicht  von 
einer  „Nichterwähnung"  bei  M.  reden  und  darauf  wichtige  Schlüsse  bauen. 

*  Bharata  allein  bedeutet  schon  „das  auf  die  Bharata  sich  be- 
ziehende Gedicht",  und  wird  das  Epos  auch  so  genannt;  dieser  Name 
ist  dann  noch  mit  dem  Adj.  mahu  (gross)  componirt,  also  „Mahä  bharata". 
Vgl.  über  den  Nancn  auch  Lassen.  Ind.  Alt.  I2,  534  Anm. 

5  Vgl.  oben  p.  35  flg. 

•  A.  Holtzmann  nennt  sie  mit  germanischer  Endung  Kuruinge. 


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—   465  - 

dieser  Name  übertragt  sich  mit  der  Zeit  auf  das  ganze  Volk 
und  verdrängt  zuletzt  sogar  den  alten  Namen  Bharata.  Ihr 
Land  heisst  Kurukshetra,  das  Kuru-Land,  und  ist  uns  dasselbe 
ja  bereits  früher  als  Heimath  des  Yajurveda,  als  Ursprungsland 
der  eigentlich  b rahmanischen  Cultur,  als  das  heiligste  Gebiet 
nach  Ansicht  der  Brahmanen,  bedeutsam  entgegen  getreten.1 

Die  Fabel  des  grossen  Epos  besteht  der  Hauptsache  nach 
in  Folgendem. 

Im  Lande  der  Bharata,  in  Hastinapura,  der  „Elephanten- 
stadt",*  herrschte  König  Qantanu,  aus  dem  Geschlechte  des 
Kuru.  Dieser  hatte  bereits  einen  Sohn,  namens  Bhishma,  den 
er  zum  Yuvaraja  oder  jungen  König,  zum  Mitregenten  und 
Nachfolger  weihen  Hess.  Da  erblickte  der  schon  alternde  König 
am  Ufer  der  Yamunä  die  schöne  Satyavati,  Tochter  des  Königs 
Vasu  von  Magadha,  und  von  ihrem  Liebreiz  gefesselt  begehrte 
er  dieselbe  als  sein  Weib  heimzufuhren.  Satyavati  war  aber 
schon  früher  von  dem  Rishi  Paragara,  der  ihr  auf  einer  Pilger- 
fahrt begegnete,  geliebt  worden  und  hatte  ihm  einen  Sohn  — 
Vyäsa  —  geboren,  denselben,  welcher  als  Ordner  der  Veden 
und  als  Verfasser  des  Mahäbhärata  gilt,  zugleich  aber  in  dem 
Gedichte  selbst  eine  bedeutsame  Rollo  spielt.8  Satyavatfs  Vater 
wollte  die  Tochter  nur  dann  dem  (^äntanu  zum  Weibe  geben, 
wenn  deren  Sohn  dereinst  das  Reich  erben  würde,  und  Qäntanu 
kehrte,  da  er  diese  Bedingung  um  Bhishma's  willen  doch  nicht 
erfüllen  konnte,  bekümmert  heim.  Als  Bhishma  nun  den  Grund 
der  Trauer  seines  Vaters  erfuhr,  beschloss  er  edlen  Sinnes,  auf 
Krone  und  Reich  zu  verzichten,  niemals  zu  heirathen  und  das 
Leben  eines  Brahmacarin  zu  fuhren.  Er  machte  sich  selbst 
auf,  um  für  den  Vater  um  Satyavati  zu  werben,  und  da  er 
feierlich  jenen  Verzicht  gelobte,  stand  der  Werbung  kein  Hinder- 
niss  im  Wege. 

Satyavati  wurde  nun  mit  Qantanu  vermählt  und  gebar 
demselben  zwei  Söhne,  Citrängada  und  Vicitravirya.  Nachdem 


1  Nach  dem  Epos  in  seiner  jetzigen  Fassung  gehören  auch  die 
P&nduiden  zum  Stamme  der  Bharata,  —  doch  ist  dies  wahrscheinlich 
spätere  Aenderung  (vgl.  die  folg.  Vorl.).  In  den  Formeln,  mit  denen  bei 
der  Königsweihe  das  Volk  angeredet  wird,  wechselt  die  Bezeichnung 
Bharatah  mit  Kuravah,  Pancalah  und  Kurupancalah.  Vgl.  Weber,  Ind. 
Lit.  2.  Aufl.  p.  126  Anm.;  auch  Oldenberg,  Buddha,  p.  415  tig. 

Ä  Von  hastin  „der  Elephant". 

*  Diese  Einschiebung  des  Vyasa  in  die  Verwandtschaft  des  Kuru- 
Geschlechtes  ist  unzweifelhaft  jüngeren  Ursprungs,  gehört  wahrscheinlich 
erst  der  letzten  Redaction  des  Gedichtes  an. 

▼.  Schröder,  Indiens  Lit.  n.  Colt.  30 


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—   466  — 

der  Vater  und  der  ältere  der  beiden  Brüder  gestorben,  weihte 
Bhishma  den  Vicitravirya  zum  König  und  vermählte  ihn  mit 
zwei  Töchtern  des  Königs  von  KäcL  Leider  aber  starb  Vici- 
travirya schon  in  jungen  Jahren,  ohne  Nachkommenschaft  Nun 
herrschte  grosse  Trauer,  denn  die  Gefahr  war  nahe,  dass  der 
Stamm  der  Kuru  erlösche,  da  sich  Bhishma,  der  einzig  Ueber- 
lebende,  durch  ein  Gelübde  zur  Ehelosigkeit  vernichtet  hatte. 
In  dieser  Noth  griff  Satyavati  zu  jenem  Mittel,  welches  auch 
im  Gesetzbuch  des  Manu  gebilligt  wird,  —  dass  nämlich  der 
Wittwe  eines  kinderlos  gestorbenen  Mannes  durch  deren  Schwa- 
ger Kinder  geschenkt  werden  dürfen.1  Sie  berief  den  weisen 
Vyasa,  ihren  Sohn,  den  sie  dem  Paräc,ara  geboren  und  der  also 
ein  Halbbruder  des  verstorbenen  Vicitravirya  war.  Mit  Bhishma's 
Zustimmung  gebot  sie  ihm,  den  beiden  Wittwen  seines  Bruders 
Kinder  zu  erwecken.'  Als  nun  Vyasa  in  der  Büssertracht,  mit 
den  Haarflechten,  blitzenden  Augen  und  dichten  Augenbrauen, 
beim  Scheine  der  Lampe  der  ersten  Wittwe  nahte,  erschrak 
dieselbe  und  schloss  die  Augen.  Darum  wurde  der  von  ihr 
geborene  Sohn  Dhritarashtra  blind.  Ab  sich  der  Heilige  dann 
der  zweiten  Wittwe  nahte,  erbleichte  dieselbe,  und  der  Sohn, 
den  sie  gebar,  —  Pandu  — ,  wurde  ein  bleicher  Mann.8 

So  waren  nun  wiederum  zwei  Stammhalter  des  Geschlechtes 
da,  Dhritarashtra  und  Pandu.  Dhritarashtra  vermählte  sich  mit 
der  Gändhari,  Tochter  des  Königs  der  Gandhara  am  Indus. 
Diese  gebar  ihm  den  Duryodhana,  der  auch  Suyodhana  genannt 
wird,  und  noch  viele  andere  Söhne,  zusammen  100  an  der  Zahl. 
Pandu  wurde  von  der  Pritha  oder  Kunti,  Tochter  des  Fürsten 
dei  Bhoja,  bei  der  Selbstwahl  zum  Gatten  gewählt;  sie  gebar 
ihm  an  demselben  Tage,  wo  Duryodhana  das  Licht  der  Welt 
erblickte,  den  Yudhishthira,  ferner  den  Arjuna  und  den  Bhlma. 
Pandu  gewann  noch  ein  zweites  Weib,  Madri,  die  Schwester 
des  Fürsten  der  Madra,  und  diese  gebar  ihm  Zwillinge,  den 
Nakula  und  den  Sahadova.  Die  Sage  umgiebt  diese  fünf  Pancju- 
söhne  aber  noch  mit  einem  besonderen  Nimbus,  indem  sie  be- 
hauptet, dass  dieselben  eigentlich  von  Göttern  gezeugt  seien, 
und  zwar  soll  Yudhishthira  den  Dharma,  Gott  der  Gerechtigkeit, 
zum  Vater  gehabt  haben,  Arjuna  den  Indra,  Bhlma  den  Vayu, 


1  Vgl.  oben  p.  42a  429. 

2  Sehr  wahrscheinlich  ist  es  mir,  dass  —  wie  schon  Holtzmann  (d.  A.) 
vermuthet  hat  —  im  alten  Gedichte  Bhishma  diese  Rolle  des  Kinder 
erweckenden  Schwagers  spielte.  Vyasa  ist  jedenfalls  spater  eingeschoben. 
Vgl.  Holtzmann,  Indische  Sagen,  Einl.  p.  XII. 

■  pan(Ju  heisst  nämlich  „bleich44. 


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—   467  — 

Gott  des  Windes;  die  beideü  Zwillinge  Xakula  und  Sahadeva 
sollen  Ton  den  beiden  Acvinen  stammen. 

Da  Dhritarashtra  blind  war,  wurde  der  jüngere  Bruder 
Pandu  zum  König  von  Hastinapura  eingesetzt  und  regierte  mit 
Kraft  und  Geschick.  Er  war  ein  gewaltiger  Krieger,  und  das 
Reich  wurde  gross  und  mächtig  unter  ihm.  Aber  noch  jung 
an  Jahren  zog  er  mit  seinen  Frauen  in  den  Himalaya  und 
starb  daselbst. 

Nun  übernahm  der  blinde  Dhritarashtra  die  Regierung 
über  das  Reich  der  Bharata.  Auch  Kunti  kam  mit  den  fünf 
Söhnen  des  Pandu  nach  Hastinapura,  und  Dhritarashtra  nahm 
dieselben  zu  sich  in  den  Palast,  um  sie  erziehen  und  in  allen 
ritterlichen  Künsten  unterrichten  zu  lassen.  Bei  einem  grossen 
Wettkampfe,  den  König  Dhritarashtra  veranstaltete,  zeichneten 
sich  die  Pandusöhne  vor  allen  Anderen  in  der  Führung  der 
Waffen  aus.  Bald  bewährten  sie  ihr  Heldenthum  noch  nach- 
drücklicher, indem  sie  dem  Dhritarashtra  zum  Siege  über  das 
Volk  der  Paficala  verhalfen,  welche  den  Duryodhana  zuvor  ge- 
schlagen hatten.  Dies  bewog  den  Dbritarashtra,  Yudhishthira 
den  ältesten  der  Pandusöhne,  zu  seinem  Nachfolger  zu  bestim- 
men, wodurch  sein  eigener  Sohn  Duryodhana,  an  Alter  Jenem 
vollkommen  gleich,  da  sie  an  demselben  Tage  geboren  waren, 
*on  der  Thronfolge  ausgeschlossen  wurde.  Dieser  aber  wollte 
sich  das  Reich  nicht  rauben  lassen  und  bewirkte  es  endlich  bei 
km  schwachen  und  bestimmbaren  Dhritarashtra,  dass  die  Pandu- 
«ohne  nach  Varanavata,  einer  acht  Tagereisen  von  Hastinapura 
ah  der  Gafiga  gelegenen  Stadt,  verwiesen  wurden.  Dort  suchte 
er  sich  ihrer  auf  heimtückische  Weise  zu  entledigen,  indem  er 
ihr  Haus  bei  nachtschlafender  Zeit  anzünden  liess.1  Aber  sie 
ntkamen  den  Flammen  und  retteten  sich  in  die  Wildniss.  Ein 
Zufall  brachte  ihnen  die  Kunde,  dass  Drupada,  der  König  des 
Paficala -Volkes,  seine  Tochter  demjenigen  Helden  zum  Weibe 
geben  wolle,  der  im  Stande  wäre,  seinen  grossen  Bogen  zu 
spannen  und  ein  bestimmtes  Ziel  zu  treffen.  Könige  und  Helden 
versuchen  dort  vergeblich  das  schwere  Werk,  da  erscheinen  die 
Pandusöhne,  als  Brahmanen  verkleidet,  und  Arjuna  gelingt  es. 
den  Bogen  zu  spannen  und  das  Ziel  zu  treffen.  Nun  gebort 
die  Draupadl  ihnen.  Aber  alle  fünf  Brüder  hatten  sich  in  das 
schöne  Mädchen  verliebt,  und  damit  nun  kein  Zwist  unter  ihnen 


1  Diese  gemeine  That  des  Duryodhana  ist  sicher  ein  späteres  Ein- 
tchiebftel,  durch  welches  D.  herabgesetzt,  die  Pändusöhne  in  ihrem  spa- 
teren Vorgehen  gerechtfertigt  werden  solleo. 

30* 


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468  — 


entstehe,  beschlicssen  sie,  dass  Draupadi  ihre  gemeinschaftliche 
Frau  sein  und  abwechselnd  einem  Jeden  der  Brüder  gehören 
solle.  Dieser  Bcschluss  wird  durch  den  heiligen  Vyäsa  gerecht- 
fertigt, der  ihnen  mittheilt,  dass  es  der  Draupadi  bei  einer 
früheren  Geburt  durch  Qiva  bestimmt  sei,  dereinst  fünf  Männer 
zu  erhalten.1 

Durch  diese  Heirath  sind  die  Pan<Jusöhne  fortab  auf  das 
Engste  mit  dem  Könige  der  Paficala  verbunden.  Zugleich  aber 
fand  noch  eine  andere ,  für  die  Pandava  folgenreiche  Verbin- 
dung statt. 

Bei  der  Selbstwahl  der  Draupadi  lernten  sie  Krishna,  den 
Helden  der  Yadava,  kennen,  der  sich  ihnen  alsbald  freund- 
schaftlich geneigt  erweist,  sie  beschützt  und  von  dieser  Zeit  an 
ihr  treuester  Freund  und  Berather  bleibt.  Diese  Verbindung 
mit  Krishna  und  mit  dem  Könige  der  Paficala  bildet  den 
wichtigsten  Wendepunkt  in  der  Geschichte  der  Pandugöhne.9 

Als  die  Kuru  von  diesem  Doppel  bündniss  Kunde  erhielten, 
fürchteten  sie  sich  vor  der  Macht  der  Paficala  und  Yadava  und 
beschlossen,  die  Pan(Jara  Wiederau  versöhnen.  Auf  Bhishma's 
Rath  theilte  Dhritarash^ra  das  Reich  und  überliess  die  eine 
Hälfte  desselben  den  Pandusöhnen.  Diese  gründeten  in  ihrem 
Antheile  die  Stadt  Indraprastha  an  der  Yamuna*  und  residirten 
daselbst.  Von  hier  aus  besiegten  sie  viele  andere  Fürsten  und 
Völker  und  regierten  mit  grosser  Gerechtigkeit  und  Weisheit; 
Yudhishthira  aber  brachte  das  grosse  Königsopfer  dar. 

Das  glänzende  Geschick  der  Pancjusöhne  machte  den  Duryo- 
dhana  neidisch  und  seine  Erbitterung  wuchs,  als  er  bei  einem 
Besuch  in  Indraprastha  wegen  seiner  schwachen  Einsicht  aus- 
gelacht worden  war.4  (JJakuni,  der  Bruder  seiner  Mutter  GAn- 
dhari,  der  sich  vorzüglich  auf  das  Würfelspiel  verstand,  rieth 
ihm,  da  die  Pandava  im  Kampfe  unbesiegbar  seien,  den  Ver- 
su  h  zu  machen,  sie  durch  die  Würfel  zu  Fall  zu  bringen.  Der 
alte  schwache  Dhritarastyra  wurde  denn  auch  wirklich  durch 
Duryodhana  dazu  bewogen,  den  Yudhishthira  zum  Würfelspiel 


1  Diese  Rechtfertigung  ist  zweifellos  spätere  Einschiebung,  während 
die  Thatsache  der  Polyandrie  bei  den  PancJaTa  sicher  ein  uralter  Zog 

der  Sage  war. 

2  S.  Lassen,  a.  a.  0.  1\  795.  —  „Mit  ihrer  Verbindung  mit  den 
Y&dava  und  den  Pancala  beginnt  die  zweite  Periode  ihrer  Geschichte, 
die  Erlangung  oiner  selbständigen  Herrschaft.**   (Lassen,  I\  815). 

3  In  der  Nähe  des  heutigen  Delhi;  man  glaubt  die  Ruinen  des 
alten  Indraprastha  dort  auch  thatsächlich  gefunden  zu  haben. 

4  Lassen,  a.  a.  0  825. 


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—  469  — 

nach  Hästinapura  zu  laden.  Die  Pändusöhne  erschienen,  und 
Yudhisht-hira  verlor  im  Spiele  mit  (Jakuni  sein  Reich,  seine 
Schätze,  sein  Heer,  endlich  sogar  seine  Brüder,  sich  selbst  und 
die  Draupadi.  Triumphirend  gebietet  jetzt  Duryodhana  dieser, 
als  Sklavin  zu  erscheinen  und  die  Zimmer  zu  kehren.  Als  sie 
sich  zu  kommen  weigert,  wird  sie  von  einem  der  Brüder  des 
Duryodhana,  dem  schlimmen  Duhcäsana,  an  den  Haaren  in  die 
Versammlung  geschleift  Jetzt  aber  erscheint  der  alte  Dhrita- 
räshtra,  durch  Zeichen  übler  Vorbedeutung  erschreckt,  tadelt 
das  Betragen  seiner  Söhne,  sucht  die  beleidigte  Draupadi  zu 
begütigen  und  giebt  den  Pancjusöbnen,  die  in  den  Zustand  von 
Sklaven  gerathen  waren,  ihre  Freiheit  und  ihren  Besitz  wieder. 
So  ziehen  sie  wieder  heim  nach  Indraprastha. 

Aber  Duryodhana  konnte  es  nicht  verwinden,  dass  die 
Pändava  so  leichten  Kaufes  davon  gekommen  waren.  Er  er- 
klärte dem  Vater,  er  und  seine  Brüder  würden  zu  den  Waffen 
greifen,  wenn  die  Pändusöhne  nicht  aufs  Neue  zu  einem  Würfel- 
spiel geladen  würden.  Die  Bedingungen  sollten  jetzt  etwas 
massigere  sein.  Wer  unterliege,  solle  für  zwölf  Jahre  in  die 
Verbannung  wandern;  im  dreizehnten  sollten  sie  noch  als  Un- 
bekannte leben,  im  vierzehnten  aber  zurückkehren  dürfen  und 
ihr  eigenes  Reich  wieder  erhalten.  Yudhish^hira  wagte  es 
nicht,  die  Aufforderung  des  Dhritarashtra  zurückzuweisen.  Er 
kam  und  wurde  zum  zweiten  Male  von  (Jakuni  im  Spiele 
besiegt. 

Nun  mussten  die  Pändusöhne  als  Verbannte  in  die  Wild- 
niss  ziehen. 

Von  ihrem  Purohita  oder  Hauspriester  geführt  wanderten 
sie  in  Einsiedlertracht  durch  Kurukshetra  über  die  Drishadvati 
zur  Sarasvati  in  den  Kämyaka-Wald,  befreiten  denselben  von 
einem  menschenfressenden  Riesen  und  versammelten  viele  Brah- 
manen  um  sich.  Sie  lasen  den  Veda,  übten  sich  im  Bogen- 
schiessen  und  verschafften  sich  und  den  Brahmanen  ihren 
Unterhalt  durch  die  Jagd,  theils  im  Kämyaka-  theils  im  be- 
nachbarten Dvaitavana-Waldc  lebend.  In  diese  Periode  des 
einförmigen  Waldlebens  konnten  nachher  manche  Episoden 
passend  eingeschoben  werden. 

Im  dreizehnten  Jahre  begaben  sie  sich  verkleidet  in  die 
Stadt  des  Königs  der  Matsya,  Virata;  Yudhishthira  als  Brah- 
mane  und  Gesellschafter  im  Würfelspiele  für  den  König;  Bhima 
als  Koch  und  Ringer;  Arjuna  in  Frauentracht,  als  Eunuch  und 
Lehrer  im  Gesang,  im  Tanzen  und  in  der  Musik.  Im  Frauen- 
gemache angestellt  gab  er  der  Tochter  des  Königs  und  ihren 


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Gespielinnen  Unterricht  Nakula  gab  sich  als  einen  Stallmeister, 
Sahadeva  als  Aufseher  der  Heerden  aus.  Die  Draupadi  endlich 
trat  als  Dienerin  in  die  Dienste  der  Königin. 

So  lebten  sio  dort  am  Hofe  des  Königs  der  Matsya  in 
untergeordneter  Stellung. 

Da  geschah  es,  dass  die  Kurusönne  im  Verein  mit  dem 
König  der  Trigarta  das  Land  des  Königs  der  Matsya  mit  Krieg 
überzogen,  den  König  Virata  fingen,  seine  Heerden  wegtrieben 
und  grosse  Noth  bereiteten.  Da  erhoben  sich  die  Pändusöhne 
als  Helfer,  befreiten  den  König,  schlugen  das  feindliche  Heer 
in  die  Flucht  und  gewannen  die  geraubten  Heerden  wieder. 
Jetzt  legten  sie  die  unwürdige  Verkleidung  ab  und  gaben  sich 
zu  erkennen.  Der  erfreute  König  der  Matsya  schloss  einen 
Bund  mit  ihnen  und  vermählte  seine  Tochter  mit  Arjuna's  Sohne 
Abhimanyu.  Zu  der.  Hochzeit  erschienen  auch  der  Paficalakönig 
Drupada,  sowie  die  Helden  der  Yadava,  vor  Allem  Krishna, 
und  noch  manche  andere  Fürsten. 

Am  Tage  nach  der  Hochzeit  traten  die  Könige  in  der 
Halle  des  Virata  zusammen,  um  die  Sache  der  Pan^ava  zu 
berathen.  Es  wurde  ein  Bote  nach  Hastinapura  geschickt,  um 
von  den  Kuru  einen  Antheil  des  Landes  für  die  Pandusöhne 
zurückzufordern,  da  die  Zeit  der  Verbannung  vorüber  sei1  Er 
wurde  ohne  Antwort  zurückgeschickt,  und  nachdem  auch  weitere 
Versuche  einer  friedlichen  Ausgleichung  gescheitert,  war  der 
Kampf  unvermeidlich. 

In  Kurukshetra,  jenem  seit  Alters  heiligen  Gebiete  zwischen 
der  Yamuna  und  Drishadvati,  stiessen  die  Heere  zusammen. 

Es  waren  gewaltige  Völkermassen,  die  dort  zusammen 
strömten,  um  die  entscheidende  Schlacht  zu  schlagen.  Zu  den 
Kuru  atiessen  als  Bundesgenossen  die  östlichen  Völker  der 
Kocala  und  Videha,  der  Anga,  Banga  (d.  i.  Bengalen),  Pauncjra 
und  Kaiinga;  ferner  die  Curasena,  und  weiter  von,  Westen  her 
Bhüricravas,,  der  König  der  Bahlika; 1  Sudakshina,  der  König 
der  Kamboja,  sammt  den  (Jaka  und  Yavana  (d.  i  Griechen); 
König  Jayadratha  mit  den  Sindhu  und  Säuvira,  die  fünf  Brüder- 
Könige  der  Kekaya,  die  Gändhara  und  der  König  der  Madra; 


1  Sie  fordern  übrigens  nicht  das  alte  Gebiet  um  In  drapras  tha, 
sondern  die  Städte  Kucasthala,  Varanavata,  Makandi  und  Vrikasthals, 
von  denen  die  drei  ersten  im  Gebiete  der  Pancala,  die  vierte  in  dem 
der  Matsya  lag.  Dies  ist  beachtenswerth ;  sie  erscheinen  hier  also  nicht 
als  Vertreter  der  eigenen  Ansprüche,  sondern  derjenigen  der  verbündeten 
Herrscher.   S.  Lassen,  a.  a.  0.  I\  840.  841. 

•  D.  i.  Balkh. 


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endlich  noch  von  den  südlichen  Völkern  ein  Theil  der  Yadava, 
sowie  zwei  Könige  von  Avant!  oder  Ujjayini.  Auf  der  Seite 
der  PAndusöhne  aber  standen  vor  Allem  die  Paficala  mit  ihrem 
Könige  Drupada  an  der  Spitze,  die  Matsya  und  Krishna,  der 
göttliche  Held  der  Y&dava,  mit  einem  Theile  dieses  Volkes; 
ferner  der  König  von  Kaci  am  Ganges  (bei  Benares);  Drishta- 
dyumna,  der  König  des  Cedi- Volkes;  die  Magadha  unter  ihrem 
Könige  Jayatsena,  und  das  Volk  der  Dacarna;  endlich  noch 
der  König  des  südlichen  Pan^ya-Reiches.  Die  meisten  dieser 
Völker,  die  mit  den  Panda va  verbündet  erscheinen,  sassen  auf 
dem  rechten  Ufer  von  Ganges  und  Yamuna,  nach  Osten  bis 
Magadha,  während  die  Kuru  vor  Allem  mit  den  Völkern  nördlich 
vom  Ganges  und  weiter  im  Osten,  sowie  mit  denen  des  fernen 
Westens  vereinigt  kämpfen. 

An  der  Spitze  des  Kuru-Heeres  standen  der  alte  Bhishma, 
der  Senior  seines  Geschlechtes,  Grossoheim  der  Söhne  des 
Dhritarashtra  wie  auch  der  Pandava,  und  neben  ihm  Duryo- 
dhana,  der  erbittertste  Gegner  der  Pandusöhne.  Im  Heere  der 
Pandava  spielt  vor  Allem  Krishna,  der  den  Wagen  des  Arjuna 
lenkt,  als  Leiter  und  Rathgeber  in  der  grossen  Schlacht  eine 
wichtige  Rolle.  Allen  voran  erscheinen  die  fünf  Söhne  des 
Pän<Ju  auf  ihren  mit  Standarten  geschmückten  Streitwagen; 
Yudhisbthira  und  der  furchtbare  finstere  Bhima  mit  dem  Streit- 
kolben, Arjuna,  der  gewaltige  Bogenschütze,  Nakula  und  Sahadeva, 

Als  die  Heere  gegen  einander  anrückten,  da  rief  der  alte 
Bhishma  mit  donnerähnlicher  Stimme  seinen  Kriegern  zu: 
„Heute  sind  dem  Tapferen  die  Pforten  des  Himmels  geöffnet! 
Wandelt  den  Weg,  den  schon  eure  Väter  gegangen,  nach  ruhm- 
vollem Tode  zum  Himmel  des  Indra  emporsteigend!  Oder 
wollt  ihr  lieber  kläglich  daheim  auf  dem  Lager  durch  Krank- 
heit sterben?  Nein,  nur  im  Felde  ziemt  sich  dem  ächten  Kshatriya 
zu  fallen!*; 

Und  dann  blies  er  zum  Angriff  auf  der  grossen  gold- 
geschmückten Muschel. 

Da  begann  ein  furchtbares  Kämpfen  und  Morden,  das  uns 
im  Epos  mit  lebendigen,  kraftvollen  Zügen  vorgeführt  wird. 
Die  Fürsten  überschütten  einander  mit  Pfeilen;  Wagen,  Rosse, 
Elephanten  stürmen  zusammen.  Wenn  die  Pfeile  ausgegangen 
und  die  Bögen  zerbrochen,  dann  springen  die  Kämpfer  von 
den  Wagen  und  gehen  mit  den  Schwertern  oder  den  wuchtigen 
Streitkolben  auf  einander  los.  In  der  Ferne  aber  krächzen  die 
Raben  und  heulen  die  Wölfe,  das  furchtbare  Leichenmahl  voraus 
verkündend. 


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—   472  - 

Es  sind  Züge  gewaltiger  Kraft,  ja  urwüchsiger  Wildheit  in 
diesen  Schildeningen,  die  uns  nicht  selten  an  altgermanische 
Dichtungen  erinnern.1 

Neun  Tage  lang  wogt  der  Kampf.  Die  Kuru  sind  im 
Vortheil,  vor  Allem  weil  der  alte  Bhishma  so  furchtbar  streitet. 
Da  giebt  Krishna  dem  Arjuna  den  Rath,  die  Rüstung  Qikhandin's, 
des  jungen  Königssohnes  der  Paficala,  anzulegen  und  dessen 
Wagen  zu  besteigen.  Gegen  den  zarten  Jüngling  werde  Bhishma 
nicht  fechten  wollen  und  dann  habe  er  gewonnen  Spiel.*  Es 
geschieht,  und  wie  nun  Bhishma  den  Arjuna  in  Qikhandin's 
Rüstung  und  auf  dessen  Wagen  nahen  sieht,  da  ruft  er  ihm 
zu:  Du  magst  auf  mich  schiessen,  gegen  dich  kämpfe  ich 
nicht!  —  Aber  nun  trifft  ihn  ein  Regen  von  Arjuna's  furcht- 
baren Pfeilen,  die  ihn  schmerzlich  verwunden.  Da  ruft  der 
gewaltige,  streitbare  Greis:  Das  sind  (JikhancJhVs  Pfeile  nicht! 
Sie  durchdringen  meinen  Panzer,  sie  trinken  meines  Herzens 
Blut,  —  es  sind  Yama's  Boten,  —  Arjuna*s  Pfeile  sind  es!  — 
Und  in  gewaltigem  Falle  stürzt  er  bluttriefend  herab  vom 
Wagen. 

Da  entsetzten  sich  die  Kuru,  denn  ihr  starker  Hort  im 
Kampfe  war  gefallen;  das  Heer  der  Pandusöhne  aber  jubelte  laut. 

Nun  führte  Drona  das  Heer  der  Kuru,  derselbe,  welcher 
einst  die  jungen  Pändava  im  Gebrauche  der  Waffen  unter- 
wiesen hatte.  Es  gelingt  ihnen  nicht,  den  alten  Lehrer  zu 
Fall  zu  bringen.  Da  rufen  ihm  plötzlich  Yudhishthira  und 
Bbima  auf  Krishna's  Rath  zu,  sein  Sohn  A§vatthaman  sei 
soeben  gefallen,  und  als  der  Held  erschreckt  die  Waffen  sinken 
lässt,  da  schlägt  ihm  der  Bruder  der  Draupadi  den  Kopf  ab. 

Darnach  führte  Karna,8  der  Fürst  der  Anga,  ein  gewaltiger 
Kämpfer,  das  Heer  der  Kuru  an. 


'  Diese  kraftvollen  alten  Züge  des  grossen  Epos  sind  wohl  von 
keinem  Anderen  mit  so  viel  Yerstandniss  erfasst  und  wiedergegeben  wie 
von  Holtzmannin  seinen  „Indischen  Sagen"  (Bd.  I  a.  A.,  Die  Kuruinge). 

3  Warum  Bhishma  um  keinen  Preis  gegen  Qikhandin  fechten  will, 
wird  von  ihm  seihst  durch  eine  sehr  seltsame  Geschichte  motivirt.  Qi- 
khandin  ist  nämlich  eigentlich  ein  Weib  und  zwar  ein  Weib,  dem  Bhishma 
in  einer  früheren  Geburt  grossen  Schaden  zugefügt  hat  Gegen  ein  Weib 
will  aber  der v  ritterliche  Bhishma  durchaus  nicht  kämpfen  und  dieser 
Umstand  wird  von  den  Panqlusöhnen  höchst  unedel  benutzt  um  den 
greisen  Helden  zu  Fall  zu  bringen.  Man  vgl.  auch  die  Erzählung  Am  ba 
in  Holtzmann's  Ind.  Sagen,  Bd.  I  p.  209. 

3  Dieser  Held  ist  wahrscheinlich  eine  der  ältesten  Gestalten  der 
Sage,  bis  in  die  mythologische,  die  urindogermanische  Zeit  zurückreichend. 
Die  neuere  Forschung  hat  ihn  mit  Achilleus  und  mit  dem  Siegfried  der 


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—    473  — 

Dieser  herrliche,  unüberwindliche  Held,  der  bisher  sich 
gekränkt  grollend  vom  Kampfe  fern  gehalten,  ein  Sohn  des 
Sonnengottes,1  wird  nach  ruhmvollem  Kampfe  in  schmählicher 
Weise  zu  Fall  gebracht,  £alya,  der  Fürst  der  Madra  der  ihm 
Wagenlenkerdienste  thun  muss  und  über  diese  Erniedrigung 
*  erbittert  ist,  fährt  ihn  in  einen  Sumpf,  und  als  er  herabspringt, 
um  den  Wagen  wieder  frei  zu  machen,  schiesst  ihm  Arjuna 
unritterlicher  Weise  seinen  Pfeil  in  den  Rücken. 

Furchtbar  wogte  der  Kampf  nun  weiter.  Die  Kuru  ver- 
loren einen  Helden  nach  dem  anderen.  Am  achtzehnten  Tage 
kam  es  endlich  zum  Kampfe  zwischen  Duryodhana  und  Bhima. 
Mit  Streitkolben  stürmen  die  beiden  Helden  auf  einander  los. 
Zuerst  gelingt  es  dem  Duryodhana,  einen  Streich  auf  Bhlma  s 
Brust  zu  führen,  aber  auf  Krishna's  Rath  trifft  Bhima  den 
Feind  auf  die  Schenkel  und  zerschmettert  ihm  die  Schenkel- 
knochen, so  dass  er  zusammenbricht.  Sterbend  aber  klagt 
Duryodhana  die  Pandusöhne  an,  dass  sie  unehrlich,  unritterlich 
gefochten  und  den  Sieg  mit  Schande  errungen,  dass  sie  den 
Bhlshma  und  Drona  durch  schnöde  List  gefällt,  den  Karna 
schimpflich  von  hinten  erschossen  und  ihn  selber  auf  unehrliche 
Weise  getroffen,  denn  schmachvoll  sei  es,  „im  Kampf  mit  der 
Keule  den  Gegner  unter  den  Nabel  zu  treffen."  —  Bhima  aber, 
zornroth,  stösst  ihm  den  Schädel  mit  dem  Fusse  ein  und  ruft: 
Wir  haben  kein  Feuer  angolegt,  unsere  Feinde  zu  verbrennen, 
wir  haben  sie  nicht  im  Spiel  betrogen,  wir  haben  ihre  Weiber 
nicht  beschimpft;  durch  die  Kraft  unserer  Arme  allein  vernichten 
wir  unsere  Feinde. 

An  diesem  Tage  —  dem  achtzehnten  Tage  des  grossen 
Kampfes  —  ward  das  ganze  Heer  der  Kuru  vernichtet,  alle 
Fürsten,  alle  Krieger  getödtet.  Im  Heere  der  Pandusöhne 
blasen  die  Muscheln  Sieg  und  Yudhishthira  wird  zum  König 
ausgerufen. 

Nur  drei  Streiter  des  Kuru-Heeres  waren  entkommen  und 
in  den  nahen  Wald  geflohen,  darunter  Acvatthaman,  der  Sohn 
des  Drona.  Er  kann  keinen  Schlaf  finden;  da  gewahrt  er  ein 
unzählbares  Heer  von  Krähen  auf  den  Aesten  schlafend;  ein 


deutschen  Sage  identificirt.  Vgl.  auch  Holtzmann,  „Ucber  das  alte 
indische  Epos"  (1881)  p.  5.  —  Es  mangelt  uns  leider  bei  unserer  flüch- 
tigen Skizze  der  Raum,  auf  diese  Frage  näher  einzugehen. 

1  Auf  Erden  gilt  er  als  niederen  Ursprungs,  als  der  Sohn  eines 
Fuhrmanns,  und  darum  besonders  fühlt  sich  der  Fürst  der  Madra  so  be- 
leidigt, als  ihm  die  Rolle  des  Wagenlenkers  bei  dem  „Fuhrmannasohne41 
tibertragen  wird. 


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Uhu  mit  feurigen  Augen  fliegt  leise  herzu  und  mordet  eine 
nach  der  anderen.  Da  springt  er  auf,  —  das  ist  ihm  eine 
Weisung.  Er  weckt  die  Gefährten  und  während  das  Heer  der 
Pandava  in  tiefem  Schlafe  liegt,  schleichen  sie  leise  heran  und 
tödten  Einen  nach  dem  Anderen,  bis  das  ganze  Heer  vernichtet 
ist.  Dann  bringt  Acvatthäman  die  wichtige  Kunde  dem  noch 
mit  den  Todesqualen  ringenden  Duryodhana,  der  nun  gern  und 
freudig  stirbt 

Nur  die  Pandusöhne,  Krishna  und  sein  Wagenlenker  waren 
dem  grossen  Blutbade  lebendig  entronnen. 

Nun  wurden  die  Todtenopfer  für  die  Gefallenen  verrichtet, 
und  Vyasa,  der  alte  Weise,  erschien  und  vermittelte  eine  Ver- 
söhnung zwischen  den  Pandava  und  dem  blinden,  alten,  seiner 
Söhne  und  Helden  beraubten  König  Dhritarastyra.  Mit  Dhri- 
tarashtra  an  der  Spitze  zogen  sie  sodann  Alle  in  der  Stadt 
Hastinapura  ein.  Yudhishthira  verehrte  im  Palaste  die  Götter, 
wurde  mit  Glückwünschen  von  den  Brahmanen  begrüsst  und 
empfing  die  Huldigungen  der  Unterthanen.  Sodann  wurde  er 
unter  Leitung  des  Krishna  gekrönt,  erklärte  aber  den  Dhrita- 
rashtra  für  sein  Oberhaupt.  —  Gandhari,  die  Frau  des  Dhrita- 
räshtra,  konnte  den  Verlust  ihrer  Söhne  nicht  verschmerzen 
und  fluchte  dem  Krishna,  weil  er  dieselben  zu  Grunde  ge- 
richtet habe. 

Darnach  veranstaltete  Yudhishthira  auf  Krishna's  Rath  ein 
grosses  Pferdeopfer,  zu  welchem  viele  Könige  herbeiströmten. 
Die  Pandava  besiegten  noch  viele  fremde  Völker  und  unter- 
warfen sie  ihrer  Herrschaft.  Der  gebeugte  alte  König  Dhrita- 
rastyra  zog  sammt  seinem  Weibe  Gandhari  fort  und  kam 
nach  einiger  Zeit  bei  einem  Brande  in  den  Dschungeln  des 
Ganges  um. 

Auch  Krishna  wurde  zuletzt  von  dem  Fluche  der  Gandhari 
ereilt  In  seinem  Volke,  das  wir  bei  der  grossen  Schlacht 
getheilt  in  den  beiden  feindlichen  Heerlagern  vorfanden,  ent- 
stand nach  Verlauf  mancher  Jahre  ein  Zwist  über  jene  Vor- 
gänge, in  Folge  dessen  sie  sieb  gegenseitig  vernichteten.  Traurig 
zog  Krishna  selbst  in  die  Wildniss  und  wurde  dort  im  Versehen 
durch  den  Pfeilschuss  eines  Jägers  getödtet. 

Endlich  zogen  auch  die  Pandusöhne  auf  Vyasa's  Rath  mit 
der  Draupadi  in  den  Wald  und  starben  auf  einer  Pilgerfahrt 
zum  Götterberge  Meiu 

In  Hastinapura  aber  wurde  Parikshit  Herrscher,  der  Enkel 
des  Arjuna,  Sohn  jenes  Abhimanyu,  der  die  Königstochter  der 
Matsya  heimführte.    Dieser  starb  nach  langjähriger  Regierung 


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—  475 


la  einem  Schlangenbiss.  Sein  Sohn  Janamejaya  veranstaltete 
jenes  grosse  Schlangenopfer,  bei  welchem  Vaicampavana  auf 
Yjasa's  Aufforderung  das  grosse  Lied  vom  Kampfe  der  Kuru 
und  Pän4u8Öhne  vorgetragen  haben  solL  Und  noch  durch  viele 
Geschlechter  herrschte  der  Stamm  des  Pändu  über  das  Volk 
der  Bharata,  oder,  wie  sie  jetzt  meist  genannt  werden,  der 
Kuru-Pancala. 


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Dreiunddreissigste  Vorlesung. 


Die  muthmaasslichen  historischen  Vorgänge,  welche  der  Erzählung  des 
Mahabhärata  zu  Grunde  liegen.  Die  Episoden  des  Mahabhärata.  Di« 
„Geschichte  vom  Fisch"  oder  die  Sintfluthaage.  Nal  und  DamayanÜ. 

Savitrt. 


Wir  haben  in  unserer  letzten  Vorlesung  in  grossen  Zügen 
die  Erzählung  des  Epos  von  dem  altberühmten  Kampfe  der 
Kuru-  und  Pandusöhne  kennen  gelernt.  Es  kann  keinem  Zweifel 
unterliegen,  dass  dieser  Heldensage  grosse  historische  Vorgänge 
zu  Grunde  liegen,  und  es  ist  von  Interesse  und  Wichtigkeit, 
diesen  geschichtlichen  Kern  aus  der  reichen  sagenhaften  Um- 
hüllung loszulösen. 

Schon  lange  hat  man  erkannt,  dass  dieser  Kern  des  Epos 
vor  Allem  darin  zu  suchen  ist,  dass  das  alte  Geschlecht  der 
Kuru,  welches  in  Hastinapura  über  die  Bharata  herrschte, 
durch  ein  jüngeres  Geschlecht,  die  Pändava,  aus  dieser  Stellung 
verdrängt  und  wahrscheinlich  vernichtet  ward.  Dieses  jüngere 
Geschlecht  gründet  sich  einen  Vorort  in  Indraprastha 1  an  der 
Yamunä  und  es  gelingt  ihm  von  dort  aus,  das  Reich  der 
Bharata  zu  gewinnen.  Es  stützt  sich  dabei  auf  die  Macht  der 
Paficala,  wie  auch  der  Matsya,  und  wird  von  dem  Helden  der 
Yadava  eifrig  gefördert.  In  diesem  feindlichen  Zusammenstoss 
des  alten  mächtigen  Volkes  der  Bharata  mit  den  Paücäla  und 
deren  Bundesgenossen  liegt  der  Schwerpunkt  der  Handlung  des 
Gedichtes;  und  das  Ergebniss  des  grossen  Kampfes  ist  die 
Vereinigung  des  Gebietes  der  Bharata  oder  Kuru  mit  dem  der 
Paficala,  die  Gründung  eines  bedeutenden  mittelindischen  Reiches, 
das  diese  Völker  in  sich  fasst. 

Die  Sage  hat  sich  bemüht,  jenen  Sturz  und  Untergang 
des  alten  Kuru-Geschlechtes  durch  ein  fremdes,  bis  dahin  un- 
bekanntes Geschlecht  mit  einem  versöhnenden  Schleier  zu  ver- 


1  Dem  nachherigen  Delhi. 


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—    477  — 


hüllen.  Sie  stellt  die  Sache  so  dar,  als  wenn  auch  die  Pändu- 
*öbne  eigentlich  zum  Kuru- Stamme  gehörten.  Äher  unschwer 
liisst  sich  liier  die  sagenhafte  Erfindung  erkennen.  Dem 
stegenden  Geschlechte  musste  ja  viel  daran  gelegen  sein, 
seinen  Anspruch  auf  die  Herrschaft  als  einen  altererbten  dar- 
zustellen, sich  selbst  die  erlauchte  Ahnenreihe  der  Kuru-Fürsten 
anzumassen. 

Seltsam  und  phantastisch  genug  ist  dieser  Versuch,  das 
Paudugeschlecht  an  den  Kuru -Namen  anzuknüpfen.  Die  Sage 
laast  den  letzten  ächten  Kuru-Sprössling  kinderlos  bleiben  und 
dann  inuss  der  heilige  Vyasa  selbst,  der  zugleich  Autor  des 
grossen  Epos  sein  soll,  als  angeblicher  Halbbruder  dieses  letzten 
Kuru-Sprüsslings  auftreten  und  dessen  Wittwen  Kinder  erwecken, 
den  Dhritarashtra  und  den  Pändu.  die  nun  doch  beide  keine 
wirklichen  Kuru-Söhne  sind,  da  ja  Vyasa  der  Sohn  des  Brah- 
manen  Paräcara  ist  und  keinen  Tropfen  Kuru  Blutes  in  sich 
tragt.1  De  jure  aber  sind  sie  Vicitravirya's  Söhne,  gelten  also 
als  Kuro-Sprösslinge.  Im  Grunde  giebt  aber  die  Sage  bei 
dieser  Darstellung  das  Aussterben  des  Kuru-Stammes  selbst  zu, 
und  mit  dem  Fall  des  alten  Bhishma  verlöscht  in  Wahrheit 
das  Kuru  -  Geschlecht  So  war  es  vermuthlich  auch  in  der 
ältesten  Fassung  der  Sage  dargestellt,  dass  der  gewaltige 
Bhishma,  der  letzte  Kuru-König,  in  tapferem  Kampfe  gegen 
das  fremde;  Geschlecht  der  Pandava  fallt  und  diesem  damit  der 
Herrschersitz  zufällt  Aber  in  geschraubtester  Weise  ist  diese 
alte  Thatsache  in  dem  Epos,  wie  es  uns  jetzt  vorliegt,  umge- 
staltet. Man  könnte  sagen,  dass  das  Epos  selbst,  indem  es 
den  Vyasa  —  seinen  Autor  —  ah  Erzeuger  des  Dhritarashtra 
wie  des  Pandu  darstellt,  in  naiver  Weise  das  Bekenntniss  ab- 
legt, dass  jene  Gestalten  Schöpfungen  des  Dichters  seien.  Diese 
Darstellung  bringt  es  zu  Wege,  das  Kecht  des  letzten  Kuru- 
Konigs  Dhritarashtra  und  das  des  Pantju  ganz  auf  gleiche 
Stufe  zu  stellen,  nur  dass  der  erstere  die  Erstgeburt  für  sich 
hat,  —  dafür  ist  er  aber  wiederum  blind  und  unfähig  zu 
herrschen.  Bei  der  folgenden  Generation  #wird  auch  dieser 
Punkt  noch  künstlich  geschraubt,  indem  Duryodhana  und 
Yudhishthira,  die  beiden  Rivalen,  an  ein  und  demselben  Tage 
geboren  sein  sollen.  Um  die  Ansprüche  des  Yudhishthira  noch 
lieberer  festzustellen  und  über  allen  Zweifel  zu  erheben,  läast 
d»  Sage  den  blinden  Dhritarashtra  selbst  diesen  zuerst  zu 

1  Dass  in  einer  Uferen  Bearbeitung  der  Sage  wahrscheinlich  Bhi- 
ihmt  die  Rolle  des  kinderzeugenden  Schwagers  aufie),  ist  schon  oben 
aaigesprochen  worden. 


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—    478  — 


seinem  Nachfolger  bestimmen,  nachdem  sich  die  Pändava  in 
Krieg  und  Kampfspiel  vor  Allen  hervorgethan,  und  erst  nachher 
giebt  er  in  seiner  Schwäche  dem  Drängen  Duryodhana's  nach 
lind  verbannt  die  Pändava  aus  Hastinapura  nach  Växanavata. 
So  erscheinen  sie  schon  hier  als  ihres  Rechtes  Beraubte,  denn 
dem  Könige  stand  es  frei,  seinen  Nachfolger  zu  bestimmen. 
Sie  werden  dann  auf  heimtückische  und  meuchlerische  Weise 
von  Duryodbana  verfolgt  und  als  ihnen  endlich  die  Kuru  aus 
Furcht  vor  dem  Paficala- König  einen  Antheil  Landes  hatten 
zugestehen  müssen,  werden  sie  durch  Würfelspiel  um  diesen 
gebrächt,  wandern  dreizehn  Jahre  in  der  Verbannung,  und  wie 
sie  dann  ihr  berechtigtes  Erbe  wieder  verlangen,  werden  sie 
höhnisch  abgewiesen.  Sie  sind  die  unschuldig  Gekränkten,  ihres 
Besitzes  Beraubten,  und  haben  das  volle  Recht,  zu  den  Waffen 
zu  greifen  und  die  Kuru  vom  Throne  zu  stürzen. 

Das  Epos  scheint  den  dunklen  und  zweifelhaften  Ursprung 
der  Pändava  selbst  noch  in  einigen  Zügen  anzudeuten.  Pandu 
zieht  in  den  Wald,  und  nach  Jahren  werden  aus  dem  Walde 
die  fünf  Kinder  nach  Hästinapura  gebracht.  Heilige  Rishi's 
bringen  sie,  sagen,  dass  es  die  Söhne  des  Pandu  seien,  und 
verschwinden  alsbald,  aber  —  so  berichtet  das  Epos  —  »einige 
sagten,  sie  sind  die  seinigen,  andere,  sie  sind  es  nicht;  noch 
andere,  wie  können  sie  Pändu's  Söhne  sein,  da  er  seit  langer 
Zeit  todt  ist?«1  Also  ihr  Ursprung  wird  alsbald  bezweifelt, 
sie  tauchen  aus  der  Dunkelheit  auf. 

Wo  dies  Geschlecht  in  Wirklichkeit  hergekommen,  darüber 
lassen  sich  schwer  Vermuthungen  aufstellen.8  Nur  soviel  scheint 
gewiss,  dass  sie  zuerst  bei  den  Paficala  zu  einer  festen  Stellung 
und  gewissem  Einrluss  gelangen  und  von  dort  aus  dann  weiter 
operiren,  und  zwar  stellt  die  Sage  die  Verbindung  der  Päncjava 
mit  den  Paficala  in  der  Form  einer  Heirath  dar;  die  fünf 
Pancju-  Söhne  vermählen  sich  mit  Dräupadi,  der  Tochter  des 
Königs  der  Paficala. 


1  Vpl.  Lassen,,  a.  a.  0.  I»,  788. 

*  Vielleicht,  dass  die  merkwürdige  Polyandrie  der  Pamju -Sohne, 
zweifellos  ein  alter  Zug  der  Sage,  auf  eine  solche  Vermuthung  leiten 
könnte.  Holtzmann  meint,  dass  die  Pändava  wohl  einen  nicht  arischen, 
von  Norden  her  eingedrungenen  Stamm'  bezeichnen  (s.  „Ueber  das  alte 
indische  Epos",  Anm.  27  p.  19\  lieber  Polyandrie  im  Himalaja  findet 
sich  ein  Aufsatz  von  Stulpnagcl  im  Indian  Antiquary  VII  (1878);  über 
Polyandrie,  namentlich  in  Südindien  vgl.  auch  Schlagintweit,  Indien  in 
Wort  und  Bild,  Bd.  I  p.  100.  Die  Bundesgenossen,  welche  die  P&n4ava 
im  Kampfe  unterstützen,  lassen  es  mir  eher  wahrscheinlich  erscheinen, 
dass  dieselben  aus  dem  Süden  kamen. 


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—   479  - 

Was  bewog  nun  wohl  —  so  müssen  wir  fragen  —  die 
späteren  Bearbeiter  des  Mahäbharata,  die  Pändusöhne,  welche 
in  der  alten  Gestalt  des  Epos  eine  offenbar  sehr  hässliche  Rolle 
spielten  und  nur  durch  Tücke  undVerrath  zum  Siege  gelangten, 
geflissentlich  zu  rechtfertigen  und  zu  rühmen,  die  Kuru  dagegen, 
die  herrlichen  Helden  des  alten  Gedichtes,  mit  Anschuldigungen 
und  Schmähungen  aller  Art  zu  überhäufen?  Welches  Motiv 
war  stark  genug,  um  in  späterer  Zeit  so  geradezu  die  völlige 
Umkehrung  in  der  Beurtheilung  von  Sieger  und  Besiegten  zu 
bewirken,  das  alte  Epos  gewissermassen  auf  den  Kopf  zu  stellen? 

Dies  seltsame  Factum  ist  in  der  That  nicht  leicht  zu  er- 
klären, und  werden  wir  bei  einem  Volke  wie  die  Inder  ausser 
den  politischen  Motiven  von  vornherein  auch  religiöse  als  mit- 
wirkend vermuthen  müssen,  —  aber  welche  waren  es  und  wie 
hing  die  Sache  näher  zusammen? 

Meine  —  natürlich  nur  vermuthungsweise  auszusprechende 
—  Ansicht  darüber  ist  in  Kürze  etwa  folgende. 

Der  alte  Dichter  des  Mahäbharata  lebte  in  jener  Zeit,  wo 
Brahma  als  der  oberste  Gott  des  indischen  Pantheons  galt  (d.  i. 
zwischen  dem  siebenten  und  fünften  oder  vierten  Jahrh.  v.  Chr.) 
und  war  vermuthlich  ein  Sohn  des  Kuru-Landes,  wo  der  Brah- 
manismus  und  die  aus  demselben  hervorgegangene  Brahma- 
Verehrung  ihren  ersten  und  festesten  Sitz  hatten.  Er  hörte 
in  alten  Volksgesängen,  in  epischen  Liedern  bei  Festen  und 
Opfern  und  vielleicht  auch  in  mündlicher  prosaischer  Rede  er- 
zählen von  dem  alten  ruhmreichen  Kuru -Geschlecht,  das  einst 
in  seinem  Lande  geherrscht  und  echtes  Helden-  und  Ritterthum 
gepflegt  hatte,  aber  dann  durch  ein  fremdes,  freches  Geschlecht 
von  Eindringlingen  in  unehrlichem  Kampfe  zu  Fall  gebracht 
und  vernichtet  war,  sein  altes  ehrliches  Heldenthum  mit  dem 
Tode  besiegelnd.  Diesen  tragischen  Untergang  besang  joner 
grosse  alte  Dichter  in  ergreifender  Weise;  ihm  standen  die 
Helden  seines  Landes  als  Musterbilder  ritterlichen  Wesens  da, 
die  siegreichen  Gegner  aber,  die  Pandava,  die  Paficala  und 
Matsya,  mit  dem  Yädava-Helden  Krishna  an  der  Spitze,  hatten 
unredlich  gefochten,  den  Sieg  mit  Schande  erkauft.  Dies  war 
das  alte  Bhärata-Lied ,  das  schon  in  den  Grihyasütra's  er- 
wähnt wird. 

Aber  die  Zeiten  änderten  sich.  Jene  Völker,  die  damals 
die  Kuru  besiegt  und  ihr  Land  gewonnen,  traten  mehr  und 
mehr  in  den  Vordergrund  und  erlangten  im  Gangeslande,  in 
Madhyadeca,  durchaus  die  beherrschende,  maassgebende  Stellung. 
Sie  waren  es  und  ihre  Priester  vor  allen  Dingen,  welche  den 


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—    480  — 


Kampf  gegen  den  immer  mächtiger  werdenden  Buddhismus 
aufnahmen.  Ihren  Volksgott  Vishnu,  der  in  dem  gefeierten 
populären  Helden  Krishna  sich  verkörpert  haben  sollte,  stellten 
sie  dem  (Jäkya-Sohne  entgegen  und  machten  auf  alle  Weise 
Propaganda  für  seinen  Cultus.  Der  Erfolg  war  glänzend,  im 
Gangeslande  wurde  Vishnu-Krishua  der  herrschende  Gott  (etwa 
vom  vierton  Jahrhundert  vor  Chr.  an).  Die  Priester  dieses 
Gottes  und  Angehörige  der  über  die  Kuru  siegreichen  Stämme 
waren  es,  welche  jetzt  das  alte  Gedicht  vom  Falle  der  Kuru 
einer  vollständigen  Umarbeitung  unterzogen.  Es  war  ja  ehren- 
voll für  sie,  ihr  Volk  und  ihre  Helden,  dass  sie  einst  die  Kuru 
zu  Fall  gebracht,  a,ber  sie  fanden  in  dem  Epos  ihre  siegreichen 
Helden  geschmäht,  die  Kuru  verherrlicht,  —  das  umsste  um- 
geändert werden,  das  herrliche,  vom  Volke  mit  Begeisterung 
gehörte  Gedicht  sollte  den  Ruhm  ihrer  Helden  und  ihres 
Gottes  verkünden.  So  entstanden  alle  jene  Aenderungen,  welche 
die  Pandava  rechtfertigen  sollten  und  —  was  zu  dem  selben 
Ziele  führte  —  die  Gegner  schmähten  und  tadelten.  So  ent- 
standen vor  Allem  auch  alle  jene  Abschnitte,  welche  den 
Krishna  als  höchsten  und  heiligsten  Gott,  als  Incaruation  des 
Vishnu  feiern  und  die  in  so  grellem  Widerspruche  stehen  mit 
all  den  erbärmlich  hinterlistigen  Thaten  und  Rathschlägen, 
durch  welche  sich  Krishna  im  Kampfe  auszeichnet.  Der  zuerst 
fast  unbegreifliche  Widerspruch  löst  sich  aufs  Schönste  bei 
unserer  Annahme:  dem  ersten  alten  Dichter,  dem  Sohn  des 
Kuru%Landes,  musste  Krishna  im  schwärzesten  Lichte  erscheinen; 
den  späteren  Bearbeitern  aber  war  er  der  erste,  berühmteste 
Held  ihres  Stammes,  die  Gottheit  selbst  —  und  in  diesem 
Sinne  feierten  sie  ihn.  Man  braucht  darum  nicht  —  wie 
Holtzmann  es  thun  will1  —  zur  Lösung  des  Widerspruches 
Verschmelzung  des  alten  epischen  Krishna  „mit  einem  ganz 
anderen  Krishna,  dem  vergötterten  Stammeshelden  einer  tapferen 
und  siegreichen  Völkerschaft**  anzunehmen.  Es  war  vielmehr 
ein  und  derselbe  Krishna,  —  zuerst  vom  Standpunkt  des  Kuru- 
Dichters  angesehen,  dann  aber  vom  Standpunkt  der  siegreichen 
Stämme,  der  Yadava  —  Matsya  —  Paficala.* 

Eine  ungezwungenere  Erklärung  dürfte  sich  schwerlicn 


1  Vgl.  Holtzmann,  Ueber  das  alte  indische  Epos  (1881)  p.  11 
Auch  Arjuna,  Ein  Beitrag  zur  Reconstruction  des  Mahäbharata 

p.  61. 

*  Man  denke  sich  einmal  Bismarck  vom  Standpunkt  der  Fran- 
zosen, dann  von  dem  der  Deutschen  geschildert,  —  es  werden  wohl  sehr 
verschiedene  Bilder  sein. 


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—   481  — 

für  den  bisher  noch  nicht  gelösten  Widerspruch  auffinden 
lassen. 

Vom  Standpunkte  der  späteren  Bearbeiter  ist  es  ganz 
natürlich,  dass  sie  Duryodhana  und  die  Seinen  als  Ketzer 
schildern,  denn  Duryodhana  ist  ja  der  Feind  des  Krishna  und 
weiss  nichts  von  dessen  Göttlichkeit  Wenn  es  richtig  ist,  was 
Holtmann  wahrscheinlich  zu  machen  sucht,  dass  manche  Züge 
des  Gedichtes  den  Duryodhana  der  Hinneigung  zum  Buddhis- 
mus beschuldigen,1  so  käme  mir  auch  das  sehr  natürlich  vor 
bei  den  leidenschaftlichen  Krishna -Verehrern,  die  vor  Allem 
mit  dem  Buddhismus  kämpften  und  keine  schlimmere  Ketzerei 
kannten  als  diese,  bei  denen  der  Name  „Buddhist4*  das  grösste 
Schmähwort  war. 

Die  Pan<Ju8Öhne  dem  gegenüber  sind  in  der  letzten  Be- 
arbeitung durchweg  als  fromme,  dem  Krishna  und  den  Priestern 
ergebene  Fürsten  geschildert,  sie  werden  darum  gepriesen  und 
deutlich  wird  zu  erkennen  gegeben,  dass  sie  dieser  Ergebenheit 
vor  Allem  ihren  endlichen  Erfolg  verdanken,  —  zu  Nutz  und 
Nachachtung  aller  Könige  und  Fürsten! 

Die  feindselige  Behandlung  des  Duryodhana  und  der  Seinen 
hindert  indessen  nicht,  dass  schliesslich  doch  eine  Versöhnung 
mit  der  Kuru-Partei,  resp.  mit  Dhritarash^ra,  stattfindet.  Yudhi- 
shthira  wird  in  Hastinapura  gekrönt,  erklärt  aber  selbst  den 
Dhritaräshtra  für  sein  Oberhaupt.  Es  kam  den  glücklichen 
Siegern  gerade  darauf  an,  die  ruhmreichen  Traditionen  des 
Kuru-Landes  aufrecht  zu  erhalten,  sie  bemühten  sich  nu£  die- 
selben gewissermassen  flir  sich  in  Anspruch  zu  nehmen,  sich 
selbst  als  echte  und  rechte  Besitzer  und  Erben  des  Landes 
darzustellen,  —  daher  die  Einfügung  der  Pändava  in  den  Kuru- 
Stammbaum.  Auch  in  religiöser  Hinsicht  verstanden  die  letzten 


1  Dahin  rechnet  H.,  dass  Duryodhana's  Freund  und  geistlicher  Rath- 
geber  Carvaka  als  Buddhist  erscheint,  ein  umherziehender  Bettelmönch, 
ein  „schamloser  Unhold4'.  Ferner,  daas  die  Ratbe  oder  Priester  des 
Duryodhana  hellrothe  oder  gelblichrothe  Gewänder  tragen,  —  die  Tracht 
der  buddhistischen  Lehrer.  Auch  in  dem  Namen  des  A?vatthäman  sieht 
H.  einen  Anklang  an  Arvattba,  den  heiligen  Feigenbaum  der  Buddhisten; 
der  seltsame  Stirnschmuck  desselben  erinnert  nach  ihm  an  die  ,.protube>ance 
du  craneu  bei  Buddha.  Es  sind  dies  feine  und  werthvolle  Bemerkungen, 
aber  keinesfalls  mochte  ich  daraus  mit  H.  den  Schluss  ziehen,  dass  „der 
grosse  Unbekannte",  der  erste  eigentliche  Dichter  des  Mahäbhärata* 
während  der  Blüthezeit  des  Buddhismus,  vielleicht  am  Hofe  desAcokai!) 
lebte.  Vgl.  „Das  alte  indische  Epos"  p.  13.  14.  Mit  Aroka  und  dem 
Buddhismus  hatte  doch  der  tragische  Untergang  des  alten  Kuru- Ge- 
schlechtes gar  nichts  gemein.   Das  sind  spater  eingefügte  Züge. 

t.  Schr*d«r,  Indiens  Lit.  u.  Cult.  31 


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—    482  — 


Bearbeiter  des  Epos  eine  Versöhnung  der  älteren  und  der  spä- 
teren Zeit  zuwege  zu  bringen.  Wurde  auch.  Krishna-Vishnu 
am  meisten  gefeiert,  so  blieb  doch  der  alte  Brahma  in  seiner 
Würde  als  grosser  Gott  unangetastet,  und  auch  Qiva,  die  Haupt- 
gottheit eines  anderen  grossen  Theils  der  Inder,  wurde  in 
gleichem  Rang  in  das  Epos  Aufgenommen.  So  zeigt  uns  das- 
selbe jetzt  die  Religion  der  drei  grossen  Götter,  wird  damit 
den  grössten  religiösen  Parteien  der  Brahmanen  gerecht  und 
darf  den  Anspruch  erheben,  dem  ganzen  Inderlande  Autorität 
zu  sein. 


An  dem  Reichthum  der  in  das  Mahabharata  episodisch 
eingefugten  Dichtungen  dürfen  wir  nicht  vorüber  gehen,  ohne 
wenigstens  Einiges  davon  kennen  gelernt  zu  haben.  Sie  bilden 
ja,  wie  früher  erwähnt,  nicht  weniger  als  drei  Viertel  des 
grossen  Epos. 

Da  ist  zuerst  historisch  von  hohem  Interesse  die  Sage  von 
der  Sintfluth,  von  welcher  wir  bekanntlich  bei  den  verschie- 
densten Völkern  Berichte  finden.  Im  Mahabharata  ist  ihr  In- 
halt im  Wesentlichen  folgender1: 

König  Manu,  der  Sohn  des  Vivasvant,  ein  altberühmter 
Weiser,  übte  gewaltige,  strenge  Busse,  mit  emporgestreckten 
Armen,  auf  einem  Beine  stehend,  und  auch  in  anderer  Weise. 
Als  er  einst  am  Ufer  der  Virini  büsste,  ward  er  voir  einem 
kleinen  Fische  angeredet,  der  zu  ihm  sprach:  „Rette  mich  vor 
den  grossen  und  starken  Fischen,  die  mich  bedrängen!**  Manu 
nahm  den  Fisch  und  that  ihn  in  ein  Geiäss.  Daselbst  wuchs 
er  zusehends,  so  dass  er  bald  keinen  Platz  mehr  im  Gefass 
hatte.  Da  trug  ihn  Manu  in  einen  grossen  See.  Aber  der 
Fisch  wuchs  weiter  und  war  in  einigen  Jahren  zu  riesenhafter 
Grösse  herangewachsen.  Auf  seine  Bitte  brachte  ihn  Manu 
darauf  in  die  Ganga,  und  als  er  auch  dort  keinen  Platz  mehr 
hatte,  in  den  Ocean.  Der  Fisch  aber,  um  sich  dankbar  zu  er- 
weisen, verkündete  dem  Manu:  „Wisse,  in  Kurzem  wird  eine 
Ueberschwemmung  kommen  über  alles  Feste  und  Bewegliche. 
Die  Abwaschungszeit  der  Geschöpfe  ist  nahe;  Allem,  was  sich 
reget  und  was  sich  nicht  reget,  ist  genahet  eine  überaub  schreck- 


,  1  Es  ist  die  Episode  „Matsyopäkhyanam*',  d.  i.  die  Erzählung  von 
dem  Fisch;  im  Mahabharata,  Calcutt.  Ausg.  Bd.  I  p.  663 — 665.  Be- 
sonders herausgegeben  von  Bopp  in  seinem  Buch:  „Diluvium  com  tri  hu« 
aliis  Mabäbhärati  praestantisBimis  cpisoduV'  Aucii  in  Joh.  Schmidts 
Sanskrit-Chrestomathie.    Weimar  1868. 


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—   483  - 

liehe  Zeit  Baue  ein  Schiff,  ein  festes,  mit  einem  Seile  ver- 
sehenes, und  steige  sammt  den  sieben  Weisen  (Rishi's)  in  das- 
selbe hinein.  Und  alle  Samen  auch,  wie  imme»  sie  Ton  den 
Brahmanen  genannt  sind,  bring  in  dieses  Schiff,  wohlverwahrt 
und  abgesondert.  Dann  werde  ich  gehörnt  erscheinen  und  dich 
retten."  Und  Aljes  geschah  so,  wie  der  Fisch  gesagt  hatte. 
Manu  baute  sich  das  Schiff,  nahm  die  sieben  Weisen  und  aller- 
hand Samen  mit  hinein,  und  als  die  Fluth  eingetreten  war, 
erschien  der  Fisch  wirklich.  Manu  aber  band  das  Schiff  mit 
dem  Seile  an  das  Horn  des  Fisches  und  wurde  von  diesem 
letzteren  durch  die  Meeresfmth  gezogen;  Da  war  Alles  mit 
Wasser  bedeckt,  von  der  Erde  war  nichts  mehr  sichtbar.  So 
fuhren  sie  Jahre  lang  umher.  Da  zog  der  Fisch  das  Schiff 
zum  höchsten  Gipfel  des  Himalaya  und  gebot  dem  Manu,  es 
daselbst  festzubinden.  Also  geschah  es,  und  seit  jener  Zeit 
heisst  der  Gipfel  Näubandhanam,  d.  h.  Schiffsbindung.  Der 
Fisch  aber  verkündete  jetzt  dem  Manu  und  sprach:  „Ich  bin 
der  Herr  der  Geschöpfe,  Brahma!  Höheres,  als  ich  bin,  giebt 
es  nicht!"  Und  er  gebot  ihm,  nachdem  die  Fluth  sich  ver- 
laufen, alle  Geschöpfe  neu  zu  schaffen,  alle  Welten,  was  sich 
regt  und  was  sich  nicht  regt,  und  Manu,  vermöge  seiner  ge- 
waltigen Busskraft,  führte  Solches  auch  wirklich  aus. 

Hierbei  ist  zu  beachten,  dass  der  Fisch  sich  als  Brahma 
zu  erkennen  giebt,  nicht  als  Vishnu,  woraus  wir  schliessen 
können,  dass  die  Sage  in  dieser  Form  älter  ist,  als  die  zweite 
Bearbeitung  des  Mahabharata,  die  ja  im  Sinne  der  vornehm- 
lichen Vishnu- Verehrung  ausgeführt  wurde.  In  dem  Bhägavata 
Pur  Ana,  wo  die  Geschichte  auch  erzählt  wird,  giebt  der  Fisch 
sich  als  Vishnu  zu  erkennen. 

Uebrigen8  wird  uns  die  Sage  von  der  Sintfluth  und  der 
Rettung  des  Manu  durch  den  Fisch  in  schlichter,,  anspruchs- 
loser Weise  schon  im  ^atapatha-Brahmana  (1,  8,  1)  erzählt,  und 
das  ist  die  älteste  Version,  in  der  wir  dieselbe  auf  indischem 
Boden  vorfinden.  Aus  welchem  Grunde  die  grosse  Fluth  eintritt, 
ist  in  unserer  Erzählung  nicht  deutlich  angegeben,  da  aber  der 
Fisch  sagt:  die  Abwaschungszeit  der  Geschöpfe  ist  nahe,  die 
überaus  schreckliche,  —  so  darf  darin  vielleicht  eine  Andeutung 
gesehen  werden,  dass  die  grosse  Fluth  die  Folge  der  Verderb- 
niss  unter  den  Geschöpfen  ist,  dass  sie  als  ein  Reinigungs-  und 
Sühnungsbad  sich  über  die  Welt  ergiesst,  als  eine  wirkliche 
Sünd fluth;  doch  bleibt  dies  zur  Hälfte  immer  noch  Vermuthuug. 

Vielleicht  die  schönste,,  poetisch  vollendetste  unter  allen 
Episoden  des  Mahabharata  ist  die  Erzählung  von  Nal  und 

'  31» 


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—  484 


• 

Damayanti,  der  gattentreuen  Königin.  Sie  ist  vor  Allem  durch 
die  reizvolle  Uebersotzung  von  Friedrich  Rückert  schon  lange 
in  weiten  Kreisen  bekannt,  und  darf  ich  daher  wohl  von  einer 
näheren  Angabe  des  Inhalts  absehen.  —  Schon  im  Jahre  1819 
gab  Bopp  den  Originaltext  heraus,1  und  A.  W.  v.  Schlegel 
urtheilte  über  den  Werth  des  Gedichtes  in  .seiner  „Indischen 
Bibliothek"  in  einer  für  immer  maassgebenden  Weise.  Er  sagte 
daselbst*: 

„Hier  will  ich  nur  soviel  sagen,  dass  nach  meinem  Gefühl 
dieses  Gedicht  an  Pathos  und  Ethos,  an  hinreissender  Gewalt 
der  Leidenschaften  wie  an  Hoheit  und  Zartheit  der  Gesinnungen, 
schwerlicli  übertroffen  werden  kann.  Es  ist  ganz  dazu  gemacht, 
Alt  und  Jung  anzusprechen,  Vornehm  und  Gering,  die  Kenner 
der  Kunst  und  die  welche  sich  bloss  ihrem  natürlichen  Sinne 
überlassen.  Auch  ist  das  Märchen  in  Indien  unendlich  volks- 
massig und  verschiedentlich  in  neueren  Formen  und  Mundarten 
behandelt  worden.  Dort  ist  die  heldenmüthige  Treue  und  Er- 
gebenheit der  Damayanti  ebenso  berühmt,  als  die  der  Penelope 
unter  uns,  und  in  Europa,  dem  Sammelplatze  der  Erzeugnisse 
aller  Welttheilo  und  Zeitalter,  verdient  sie  es  ebenfalls  zu 
werden." 

So  angekündigt  wurde  das  Gedicht  bald  bei  uns  bekannt 
und  berühmt,  vor  allem  seitdem  es  durch  Rückert  i.  J.  1328 
übersetzt  worden.  Zwar  erschienen  Uebersetzungen  des  Nal 
auch  noch  von  Kosegarten  (1820),  von  Bopp  (1838),  von  Ernst 
Meier  8  (1847)  und  Ad.  Holtzmann4  (1854),  aber  die  Rückert'sche 
blieb  der  Liebling  des  Publikums.  Und  mit  Recht,  denn  sie 
ist  mit  bestrickend  poetischem  Zauber  umgeben,  und  auch  das 
Fremdartige  darin  niuthet  uns  an  mit  seltsamem  Reize.  Aller- 
dings ist  es  wahr,  dass  Manches  —  wie  namentlich  die  starken 
Wortzusammensetzungen  —  im  Deutschen  bisweilen  höchst  selt- 
sam und  dunkel  oder  auch  geziert  klingt,  was  im  Indischen 
ganz  natürlich  und  einfach  ist,  so  dass  man  sagen  kann,  es 
wirke  im  Original  wesentlich  anders  als  in  der  Uebersetzung, 
sei  also  nicht  entsprechend  wieder  gegeben;  aber  doch  steigt 


1  3.  Aufl.  Berlin  1868. 
1  Ind.  Bibl.  I,  p.  98  flg. 

3  Ernst  Meier,  Klassische  Dichtungen  der  Inder,  Bd.  I,  Statt- 
gart 1847. 

4  Ad.  Holts mann,  Indische  Sagen,  Stuttgart  1854,  Bd.  II;  es  ist 
dies  eigentlich  mehr  eine  Cmdichtung  als  eine  Uebersetzung.  —  VgL 
auch  Edmund  Lobedanz,  König  Nal  und  sein  Weib.  Indische  Sage 
Deutsch  metrisch  gearbeitet  (Leipzig,  Brockhaus). 


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-    485  - 


dem  Leser  damit  eine  Ahnung  auf  von  dem  eigentümlichen 
Sprachgeiste,  in  welchem  das  Original  gedichtet  ist.  Bedenk- 
licher scheint  es,  dass  Rückert  sich  bisweilen  ausschmückende 
Zusätze  erlaubt  hat  Indessen  überwiegen  die  Vorzüge  des 
Buches  doch  so  sehr,  dass  es  seinen  Ruf  mit  vollem  Rechte 
gen  i  esst. 

Das  Nalopakhyanara  oder  die  Erzählung  vom  Nal  findet 
sich  im  dritten  Buche  des  Mahäbbarata,  im  sogenannten  Vana- 
parvan  oder  „Waldthcile".  Die  Pändusöhne  sind  in  der  Ver- 
bannung im  Walde,  und  dort  erzählt  der  weise  Brihadacva 
dem  Yudhishthirn  die  Geschichte  des  Nal,  um  ihn  mit  dessen 
Schicksal  zu  trösten,  da  ja  auch  Nal  durch  das  Spiel  elend 
geworden,  in  der  Wildniss  in  weit  schlimmeren  Verhält- 
nissen umherirrte  und  schliesslich  doch  wieder  zu  Glück  und 
Freude  kam. 

•  Wenn  es  der  mittelalterlich -indischen  Poesie  mit  vollem 
Rechte  nachgerühmt  wird,  dass  sie  vor  Allem  Frauengestalten 
von  unnachahmlicher  Schönheit  geschaffen,  so  strahlt  die  Ge- 
stalt der  Damayanti  als  schönster  Stern,  als  edelste  Perle 
unter  ihnen  allen.  Es  ist  in  der  That  sehr  reizend  erzählt, 
wie  die  Vidarbha- Königstochter  unter  Göttern.  Königen  und 
Helden  sich  Nal,  den  Nishaderkönig,  zum  Gemälde  wählt;  und 
wie  sie  die  Götter,  die  selbst  um  ihre  Hand  werben,  demüthig. 
inbrünstig,  rührend  anfleht,  ihr  doch  den  Nal  und  seine  Liebe 
zu  gönnen.  Wie  sie  dann  glücklich  vereinigt  leben,  bis  das 
schlimme  Verhängniss  über  Nal  hereinbric  ht  und  er  im  Spiele, 
vom  bösen  Dämon  besessen,  sein  Reich  verliert  und  Alles,  was 
er  besitzt,  —  nur  nicht  sein  Weib,  hier  kommt  ihm  die  Be- 
sinnung wieder!  Damayanti  verspielt  er  nicht!  Sehr  reizend, 
unendlich  rührend  ist  es,  wie  sie  dann  in  die  Wildniss  wandern, 
beide  zusammen  nur  mit  einem  Gewände  bekleidet,  wie  dann 
Nal  vom  bösen  Geiste  berückt  die  schlafende  Gattin  verlässt 
und  wie  die  zarte  Damayanti,  erwachend,  im  wilden  Walde 
sich  allein  sieht  und  mit  Entsetzen  darüber  klar  wird,  dass  sie 
von  ihrem  Gatten  verlassen  worden.  Wie  sie  dann  im  Walde 
trostlos  umherirrend,  in  den  süssesten  und  schmerzlichsten 
Tönen  klagend,  den  einzig  Geliebten  sucht;  wio  sie  zum  Berge, 
zum  Tiger,  zum  Acokabauin  spricht,  sie  alle  bittend,  flehend, 
ihr  von  dem  Gatten  Kund."»  zu  geben:  nicht  sorgend  um  sich, 
sondern  nur  um  ihn,  wie  er  jetzt  so  allein  ohne  Trösterin  in 
seinem  Elend  wandern  muss.  Wer  die  Töne  des  Herzens 
kennt,  die  Laute  echter,  reiner,  aus  dem  Innersten  geborener 
Poesie,  der  rauss  sie  hier  in  diosen  Gesängen  tindon.  Des 


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-   486  - 


tropischen  Urwaldes  Schrecken  und  6eine  Schönheit  treteu  in 
lebendigen  Schilderungen  hervor,  all  die  zahllosen,  mannig- 
faltigen Bäume,  Sträucher  und  Pflanzen,  die  wilden  Thiere 
aller  Arten,  die  Berge  und  Gewässer,  von  Vögelschaaren  durch- 
tönt,  —  und  zwischeni  Allem  dahin  wandelt  die  reine  Vidar- 
bherin,  die  schuldlose  zarte  Damayanti,  mit  zerrissenem  Herzen, 
um  den  Gatten  klagend.  Kaum  hat  sie  Zuflucht  gefunden  bei 
einer  walddurohziehcndcn  Karavane,  so  bricht  erneutes  Unheil 
herein;  die  Karavane  wird  von  einer  Heerde  wilder  Elephanten 
vernichtet.  Sie,  die  Fremde,  wird  als  die  Schuldige  verklagt, 
deren  Sünde  dies  Missgeschick  heraufbeschworen  haben  müsse 
Schmähung,  Misshandlung,  Verfolgung.  —  Alles  bricht  über  sie 
herein;  sie  duldet  es  still  und  ergeben,  obschon  sie  sich  doch 
schuldlos  weiss,  bis  sie  endlich  ein  Asyl  bei  der  Cedi- Königin 
findet.  Nach  Schicksalen  mannichfachstcr  Art,  nach  deu  aben- 
teuerlichsten Verwandlungen,  Jahren  des  Leides  und  der  Schmach, 
gewinnt  endlich  Nal  die  Geliebte  wieder.  Und  hiureissend 
schön  ist  es  geschildert,  wie  sie  aufjauchzt  iu  dem  wieder  er- 
langten Glück,  wie  sie  dem  Geliebten  Alles,  Alles  vergiebt  und 
dann  wieder  im  Nishaderland  mit  ihm  das  Glück  geniesst,  das 
sie  durch  unendliches  Ixsid  hundert  und  tauseud  Mal  ver- 
dient hat. 

Ein  Märchen  nennt  Schlegel  die  Dichtung  in  der  vorhin 
angeführten  Beurtheilung,  und  es  sind  in  der  That  phantastisch- 
märchenhafte Züge  darin.  Die  Verwandlung  von  NaTs  Gestalt 
iu  die  eines  anderen  Mannes,  die  zauberhafte  Würfel-  und 
Zählekunst,  die  geschenkweise  von  Einem  auf  den  Anderen 
übertragen  wird,  die  Fahrt  mit  den  Rossen  durch  die  Lüfte, 
hundert  Meilen  an  einem  Tage,  die  Unterhaltung  mit  dem 
Schlangenkönig,  die  Erscheinung  von  heiligen  Büssern,  die  nach 
gethaner  Prophezeihung  alsbald  wieder  verschwinden,  —  das 
Alles  sind  Züge,  wie  sie  so  reoht  in  die  romantisch-phantastische 
Dichtung  hineingehören.  Im  Ganzen  aber  muss  man  durchaus 
hervorheben,  dass  dies  Gedicht  sich  frei  hält  von  allzu  weit- 
gehenden Uebertreibungen,  dass  es  getragen  und  durchdrungen 
ist  von  dem  Geiste  echter  poetischer  Schönheit 

Sehr  schön  und  tief  angelegt  ist  ferner  auch  die  Episode 
von  Sa  vi  tri,  und  in  ihr  tritt  uns  gleich  wieder  eine  der 
reizendsten  Frauengestalten  der  indischen  Dichtung  entgegen. 

Sävitri  war  die  Tochter  des  Königs  Acvapati.  der  in 
Madra  regierte.    Hold  und  schön  wie  Lakshmi1  wuchs  aae 

"  Die  Göttin  der  Schönheit  und  des  Glückes. 


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heran,  bis  die  Zeit  herangekommen  war,  wo  sie  sich  nach 
eigener  Wahl  vermählen  sollte.  Da  wählte  sie  Satyavan  zum 
Gatten,  den  Sohn  des  blinden,  verbannten,  seines  Reiches  be- 
raubten Königs  Dyuniatsena,  der  mit  Gattin  und  Sohn  still  im 
Büsserwalde  lebte.  Sie  kündet  dem  Vater  ihren  Entschluss  an. 
Narada,  der  göttliche  Seher,  ist  gerade  bei  ihm  und  warnt 
eindringlich  vor  dieser  Wahl,  /war  muss  der* Heilige  zugestehen 
dass  Satyavan  schön,  edelmüthig,  fromm,  wahrhaftig,  freundlich1 
mit  allen  Tugenden  begabt  ist,  —  aber  einen  Fohler  hat  er1 
und  der  ist  entscheidend.  Es  ist  ihm  bestimmt,  nach  einem 
Jahre  schon  zu  sterben.  Trotz  dieser  Mittheilung  schreckt 
Savitri  nicht  zurück,  sie  geht  nicht  ab  vor.  ihrem  Entschluss, 
sie  hat  einmal  dem  Satyavan  ihre  Liebe  zugewandt,  und  sie 
bleibt  dabei,  es  mag  kommen,  was  da  wolle:  • 

„Lebensrcich  oder  lebensarm;  tugendhaft  oder  tugendlos, 
einmal  ist  er  gewählt  von  mir  zum  Gatte»,  nicht  einen  zweiten 
wähle  ich.« » 

Dies  rührt  endlich  auch  den  heiligen  Narada  und  er  billigt 
die  Verlobung. 

König  Acvapati  kommt  nun  in  die  Einsiedelei  zum  blinden 
Dyumatsena  und  verküudct  ihm  den  Entschluss  seiner  Tochter, 
den  Satyavan  zum  Gatten  zu  wählen.  Da  sprach  Dyumatsena. 
„Des  Reiches  beraubt,  zur  Waldwohnung  gekommen,  üben  wir 
bezälirater  Büsser  Pflicht;  wie  aber  wird  deine  Tochter,  in 
Palästen  zu  wohnen  würdig,  in  der  Einsiedelei  diese  Mühsal 
ertragen?"  Acvapati  aber  erwiderte:  „Freud  und  Leid  von 
Besitz  und  Entbehrung  hat  stets  gekannt  meine  Tochter,  und 
so  auch  ich;  es  ziemt  sich  nicht  zu  Meinesgleichen  solche. 
Rede  zu  richten;  mit  festem  Entschluss  bin  ich  zu  dir  ge- 
kommen, Fürst!'* 

Die  Vermählung  kommt  wirklich  zu  Stande,  Savitri  zieht 
zu  dem  Gatten  in  die  Waldsiedelei ,  l«  gt  ein  Gewand  von 
Baumrinde  an,  und  das  junge  Paar  lebt  nun  ein  Leben  selig- 
sten Glückes.  Savitri  weiss  durch  Dienstwilligkeit,  Bescheiden- 
heit, Sanftmuth  und  freundliche  Rede  die  Merzen  Aller  zu  ge- 
winnen, liebevoll  pflegt  sie  die  alten  Schwiegereltern,  vor  Allem 
aber  ist  sie  des  jungen  Gatten  Trost  und  Freude.  Aber  je 
näher  die  verhänguiss volle  Zeit  heranrückt,  um  so  mehr  wird 
sie  geheim  von  Angst  und  Bangen  gequält,  immer  der  Worte 
gedenkend,  welche  der  weise  Narada  zu  ihr  gesprochen.  Die 
letzten  drei  Tage  und  Nächte  verbringt  sie  in  unausgesetzter 


■  I,  V.  27  bei  Bopp. 


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strenger  Büssung,  voll  Angst  um  den  Gatten  und  in  Ver- 
zweiflung es  versuchend,  dem  Himmel  den  Geliebten  abzuringen. 
Als  jener  Tag  gekommen  war,  den  Närada  ihr  als  Todestag 
des  Gatten  prophezeit  hatte,  nahm  Satyavan  das  Beil  auf  die 
Schulter,  um  in  den  Wald  zu  gehen.  Savitri  will  ihn  begleiten. 
Der  Gatte  sucht  die  durch  Kasteiung  und  Fasten  Erschöpfte 
davon  abzuhalten,  'aber  sie  bleibt  standhaft,  und  er  muss  sie 
endlich  gewähren  lassen.  Von  den  Schwiegereltern  beurlaubt, 
zieht  sie  nun  mit  dem  Gatten,  lächelnd,  aber  mit  bebendem 
Herzen,  in  den  Wald.  Durch  mannigfaltige,  reizende,  von 
Pfauer  durchtönte  Wälder  wandern  sie  dahin,  an  blühenden, 
herrlichen  Bäumen,  an  klarüuthigen  Flüssen  vorüber.  „Sieh!" 
sprach  Satyavan  zu  ihr.  Sie  aber  schaute  nur  immer  auf  den 
Gatten,  angstvoll  den  bösen  Augenblick  erharrend.  Nun  sam- 
melten sie  zusammen  Früchte  in  einen  Korb  und  Satyavan  be- 
gann Holz  zu  spalten.  Da  bricht  ihm  der  Schweiss  aus,  er 
fühlt  Müdigkeit  und  Schmerz  im  Kopfe,  alle  Glieder  brennen 
ihm.  Er  muss  sich  niederlegen,  und  Sävitrl  bettet  sein  Haupt 
in  ihren  Schooss.  Da  erscheint  ein  Mann  im  rothen  Gewände, 
strahlend,  6chwarz  und  gelb,  roth äugig,  einen  Strick  in  der 
Hand,  Furcht  einflössend.  Sic  aber  sprach,  die  Hände  faltend, 
bebenden  Herzens:  „Wer  bist  du?  0  sage  es  mir,  der  du  mit 
nicht  menschlicher  Gestalt  mir  nahst?"  Und  Jener  erwiderte: 
„Ich  bin  Yama,  der  Todesgott I  Deines  Gatten  Leben  ist  ab- 
gelaufen, ich  muss  ihn  mit  mir  fortführen!"  Und  aus  dem 
Körper  des  Satyavan  zog  er  mit  Gewalt  einen  daumengrossen 
Geist,  an  den  Strick  gefesselt.  Da  lag  Satyavän's  Leib  entseelt 
da.  Yama  aber  schritt  fort,  nach  Süden  gewandt,  zur  Todes- 
gegend, und  Savitri,  die  gatten treue,  folgte  ihm.  Da  sprach 
Yama,  der  Todesgott:  „Kehre  zurück,  Savitri!  Geh  und  ver- 
richte die  Todtenfeier!  Du  hast  gethan,  was  du  deinem  Gatten 
schuldig  bist!"  Aber  Savitri  erwidert:  „Wohin  mein  Gatte 
geht,  wohin  er  geführt  wird,  dahin  muss  auch  ich  gehen,  das 
ist  meine  ewige  Pflicht!  Um  meiner  Busse  und  um  der  Liebe 
zu  meinem  Gatten,  um  deiner  Gnade  willen  sei  mir  dieser . 
Gang  nicht  verwehrt!"  Durch  ihre  Bitten  gerührt,  gewährt  ihr 
der  Todesgott  einen  Wunsch,  ausgenommen  ihres  Gatten  Leben. 
Sie  bittet,  dass  ihrem  Schwiegervater,  dem  blinden  Dyumatsena, 
sein  Augenlicht  wieder  gegeben  werde.  Aber  die  Gewährung 
des  Wunsches  hindert  sie  nicht,  dem  Gotte  des  Todes  weiter 
zu  folgen.  „Kehre  zurück,  spricht  Yama,  ich  sehe  es  ja,  wie 
beschwerlich  dir  der  Weg,  wie  du  von  Ermüdung  befangen 
bist."   Aber  sie  antwortet:  „Wie  sollte  ich  Müdigkeit  fühlen 


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in  meines  Gatten  Nähe?  Wobiu  mein  Gatte  geht,  dahin  ist 
auch  mein  Gang  gerichtet!4'  Yama  gewährt  ihr  eine  zweite 
Gnade,  nur  ihres  Gatten  Leben  ausgenommen.  Sie  bittet,  dass 
ihrem  Schwiegervater  sein  verlorenes  Königreich  wiedergegeben 
werden  möge.  Yama  gewährt  es  und  fordert  sie  auf,  endlich 
doch  umzukehren.  Aber  sie  sucht  sein  Mitleid  zu  erregen,  sie 
schildert  es,  wio  Milde,  Schutzgewähning  und  Freigebigkeit  die 
ewige  Pflicht  der  Guten  sei;  wie  Gute  selbst  gegen  Feinde,  die 
ihnen  nahen,  Erbarmen  üben."  Wieder  gewährt  der  Todesgott 
eine  Gnade,  und  sie  bittet,  es  mögen  ihrem  Vater  hundert 
Söhne  geschenkt  werden.  Auch  dies  erlangt  sie,  und  Yama 
spricht:  „Nun  kehre  um,  Fürsten tochter,  denn  einen  weiten 
Weg  bist  du  gegangen!"  „Nicht  weit  ist  dies  in  meines  Gatten 
Nähe,  denn  weiter  eüt  mein  Herz!"  so  redet  sie,  und  schmeichelnd 
fügt  sie  hinzu:  „Du  bist  Vivasvant's  Sohn,  der  Erhabene!  Ein 
König  des  Rechts  bist  du  über  die  Geschöpfe.  Nicht  auf  sich 
selbst  setzt  man  so  grosses  Vertrauen  wie  auf  die  Guten; 
darum  zu  den  Guten  fühlen  wir  uns  hingezogen!"  Yama  ge- 
währt ihr  wieder  eine  Gnade,  ausgenommen  ihres  Gatten 
Leben.  Sie  wählt  hundert  leibliche  Söhne  für  sich  und  Satya- 
van. Auch  dies  erhält  sie,  aber  nun  dringt  der  Todesgott  in 
sie,  endlich  umzukehren.  Da  rafft  sie  ihre  letzte  Kraft  zu- 
sammen und  schildert  mit  begeisterten  Worten,  wie  wahre 
Güte  handelt,  was  der  wahrhaft  Guten  Pflicht  und  Aufgabe 
ist,  und  welch  ein  Segen  von  ihren  Thaten  träuft.  Entzückt 
von  ihrer  Rede  gewährt  ihr  Yama  wieder  eine  Gnade,  ohne 
weiter  etwas  hinzuzufügen.  Da  ruft  sie  freudig  aus:  „Du  hast 
die  Gabe  des  Segens  nicht  beraubt!  Es  lebe  Satyavan,  — 
diese  Gnade  wähle  ich,  denn  wie  eine  Todte  bin  ich  ohne  den 
Gatten.  Keine  Freude  begehre  ich  ohne  den  Gatten,  nicht  den 
Himmel  begehre  ich  ohne  den  Gatten,  nichts  Liebes  begehre 
ich  ohne  den  Gatten,  des  Gatten  beraubt  vermag  ich  nicht  zu 
leben."  Und  nun  gewährt  es  ihr  Yama  gern  und  freudig  und 
spricht  zu  ihr:  „Heil  dir,  du  Erfreuerin  des  Geschlechtes!  Gesund 
und  glücklich  wird  er  sein.  Hundert  Söhne  werdet  ihr  zeugen 
und  nach  deinem  Namen  werden  sie  hier  genannt  sein  ewige 
Jahre!"  Hocherfreut  kehrt  sie  zurück  zu  dem  Körper  des  Satyavan 
und  legt  sein  Haupt  wieder  auf  ihren  Schooss.  Da  erwacht  er  und 
spricht:  „Sehr  lange  habe  ich  geschlafen,  warum  hast  du  mich 
nicht  geweckt?  Wo  ist  jener  Mann,  der  schwarze,  welcher  mich 
fortzog?"  Verwirrt  weiss  er  sich  nicht  zu  besinnen,  was  eigen t- 
lich  mit  ihm  geschehen.  Geängstigt  fragt  er  sie.  Sie  beruhigt 
ihn  und  verspricht,  ihm  anderen  Tages  Alles  zu  erzählen.  Die 


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Nacht  ist  hereingebrochen;  sie  will  ein  Feuer  anmachen  und 
nöthigt  den  Kranken  zur  Ruhe.  Aber  er  will  fort,  denn  es 
quält  ihn  der  Gedanko,  wie  die  alten  Eltern  um  ihn  sich  äng- 
stigen werden.  Sic  hebt  ihn  auf,  mit  den  Arm^n  ihn  umfassend, 
sie  logt  seinen  Arm  auf  ihre  Schulter  und  stützt  ihn  im  Gehen, 
sanft  dahin  schreitend.  Durch  alle  Schicken  des  nächtlichen 
Waldes  geleitet  sie  ihn  stark  und  inulhi?,  bis  sie  endlich  daheim 
sind.  Vnd  nun  herrscht  Freude  und  Wonne,  der  blinde  König 
ist  sehend  geworden,  er  hat  sein  Reich  wieder  erlangt,  und 
Savitri,  die  gattentreue,  lebt  mit  ihrem  Satyavan  glücklich  ver- 
eint noch  lange  Jahre.1 

Ich  habe  mich  bei  dieser  Episode  etwas  länger  aufgehalten, 
weil  die  Schilderung  dieser  Frauengestalt  so  ungemein  charak- 
teystisch  ist  für  die  Poesie  des  indischen  Mittelalters.  Man 
mag  sonst  urtheilen,  wie  man  will,  —  Gestalten  wie  Dania- 
yanti  und  Saritri  wird  man  Interesse  und  Theilnahme  doch 
nimmermehr  versagen  können. 


1  Sa  vi  tri  ist  übersetzt  von  Bopp,  Berlin  1829  (In  ,.Die  Sumi- 
flnth"  etc.  p.  11  flg.)  in  freierer  Weise  von  ttückert  i.  J.  1838  (mit 
anderen  brahmaniseben  Erzählungen»;  desgl.  von  Hoefer,  Indische  Ge- 
dichte, 2  Th.  p.  77  flg.  (1844).  und  von  A.  Holtzmann.  Indische  Sagen. 
Bd.  I.  p.  243  flg  (2.  Aufl.,  1854):  von  J.  Merkel,  Aschaffenburg  1839. 


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Vierunddreissigste  Vorlesung. 


Mittheilung  weiterer  Episoden  des  Mahäbhnrata:  Arjuna's  Reise  zu  In- 
dra's  Himmel.  Hidimba's  Tödtung.  Die  Webklage  des  Brahmanen,  8unda 
und  Upasunda.   Der  Raub  der  Draupadi  u.  a.  m.   Editionen  des  Maha- 

bharata.  —  Inhalt  des  Ramäyana. 


Eine  in  maneber  Hinsicht  interessante  Episode  des  Maha- 
bharata  ist  die  Reise  Arjuna's  zum  Himmel  des  Indra. 
In  ihr  tritt  uns  mit  lebhaften  Farben  der  Wohnsitz  des  Götter- 
königs vor  Augen,  wie  ihn  die  luder  des  Mittelalters  sich  aus- 
zumalen pflegten.  Hier  sehen  wir,  wie  der  alte  Vritratödter 
Indra,  der  in  den  Lüften  d  ah  erfahrende  gewaltige  Wolkenspalter 
und  Regenspender,  der  fast  immer  mit  den  bösen  Dämonen 
kämpfend  erscheint,  sich  umgewandelt  hat  in  den  behaglich  in 
seiner  himmlischen  Residenz  thronenden  Götterkönig,  der  um- 
geben ist  von  allen  Reizen  und  Lüsten,  die  eines  Herrschen» 
Herz  orfreuen,  mit  glänzendem  Hofstaat,  mit  aller  Pracht,  die 
sich  das  Auge  nur  wünschen  mag,  —  ein  verklärtes  Abbild 
der  in  ihren  stolzen  Residenzen  thronenden  Könige  des  indi- 
schen Mittelalters,  die  sich  sehr  unterschieden  von  den  in  immer- 
währenden Kriegszügen  und  Fehden  umherziehenden  streitbaren 
Herzögen  der  vedischen  Zeit 

Es  spielt  sich  diese  Episode  während  der  Zeit  ab,  wo  die 
Pandusöhne  in  der  Verbannung  leben  mussten  und  findet  sich 
im  dritten  Buche  des  Mahabharata,  dem  Vanaparvan  oder 
nWaldtheile'\ 

Auf  den  Rath  des  Vyäsa  begiebt  sich  Arjuna  in  das  Ge- 
birge Himavant,1  um  zur  Besiegung  der  Kuru  die  Götterwaffen 
zu  erlangen.  Qiva,  Yama,  Varuna  und  Kuvera  erscheinen  und 
beschenken  ihn  mit  den  ihnen  eigentümlichen  Waffen.  Indra 
aber,  welcher  zugleich  der  wahre  Vater  des  Arjuna  ist,  sendet 
demselben  seinen  lichtglänzenden,  von  zehntausend  falben  RosseD 


*  D.  i.  der  Himälaya. 


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gezogenen  Wagen  zu,  sammt  Matal),  dem  Wagenlenker.  Dieser 
verkündet  dem  Arjuna,  dass  der  Götterkönig  ihn  einladen  lasse, 
zu  ihm  in  seinen  Himmel  zu  kommen  und  dort  die  Waffen  in 
Empfang  zu  nehmen.  Da  nimmt  Arjuna  Abschied  von  dem 
schönen  Berge  Mandara,  auf  dem  er  fröhlich  gehaust,  „wie  ein 
Kind  vergnügt  weilet  auf  Vaters  Schooss."  Er  besteigt  den 
Wagen  und  fährt  mit  Matali  zum  Himmel  empor.1 

Als  er  nun  dorn  Bezirk  nahte,  der  unsichtbar  den  Sterblichen, 

Erdewand efoden,  sah  Wagen,  wunderschön'  er  zu  Tausenden. 

Dort  scheinet  Sonne  nicht,  Mond  nicht,  dorten  glänzet  das  Feuer  nicht, 

Sondern  in  eigenem  Glanz  leuchtet  allda,  durch  edler  Tbaten  Kraft, 

Was  in  Sternengestalt  unten  auf  der  Erde  gesehen  wird, 

Ob  grosser  Ferne  gleich  Lampen,  obwohl  es  grosse  Körper  sind. 

Diese  schaute  daselbst  leuchtend  und  voll  Schönheit  des  Pandu  Sohn. 

An  seinem  eignen  Ort  jeden,  und  auch  glänzend  mit  eignem  Glanz. 

Allda  waren  vereint  Siddha's,  kampferschlagene  Helden  auch, 

Forstliche  Weisen  und  Büsscr  waren  daselbst  zu  Hunderten; 

Tausendc  auch  von  Gandharven,  welche  der  Sonne  gleich  an  Glans, 

Der  GubyakaV  und  Hochweisen,  der  Apsarasen  Schaaren  auch, 

Sämmtlich  mit  eignem  Glanz  leuchtend;  sie  sehend  staunte  Arjuna. 

Den  Matali  entzückt  fragt*  er,  dieser  gab  ihm  zur  Antwort  drauf: 

„Vollbringer  edler  That  sind  es,  welche  da  stehn  an  ihrem  Ort, 

Die  in  Sternengestalt,  Edler,  du  gesebn  von  der  Erde  hast'4 

Den  Airavata,3  vierzähnig,  dem  gipflichten  Kailasa  gleich, 

Sab  er  dann  an  der  Thür  steheu,  den  hehren  Sieges-Elepbant. 

Der  Siddha-Strass  genaht  war  er,  der  Edelste  der  Päudava's, 

Und  freute  sich  so  wie  vormals  MändhAtri,  jener  grosse  Fürst. 

Den  Königswelten  nun  nahte  Lotos-ähnlich  von  Augen  er. 

Also  im  Himmehraum  wandernd,  sah  Arjuna  von  grossem  Ruhm 

Des  Güttcrlürsten  Stadt  endlich,  dio  Amaravati  genannt. 

Jene  reizende  Stadt  sah  er  von  Siddha's,  Carana's  bewohnt, 
Mit  Blumen  aller  Art  prangend  und  mit  Baumen  gezieret  schön. 
Ein  sanftes  Wehn  umfing  Arjun  von  Winden  mannigfach  daselbst, 
Dio  ihm  lieblichen  Duft  brachten  der  wohlriechendsten  Blumen  all. 
Und  Nandana,  den  Wald,  sah  er,  von  schönen  Nymphen  angefüllt, 
Und  mit  Blumen  geziert  himmlisch,  die  mit  Baumen  vergleichbar  solbst. 
W:ir  nicht  Busse  geübt  strenge,  nicht  dem  Feuer  gehuldigt  fromm, 
Und  wer  dem  Kampf  entflobn  feige,  Behaut  jene  Welt  der  Guten  nicht. 
Wer  dem  Opfer,  der  Entsagung  und  den  Veda's  ein  Fremdling  blieb, 
Und  den  heiligen  Badeplätzen  Opfergabe  gespendet  nicht, 


1  Die  folgende  metrische  Uebersetzung  ist  entnommen  Bopp,  Ard- 
schuna's  Reise  zu  Indra's  Himmel,  nebst  anderen  Episoden  des 
Mahabhärata,  Berlin  1824  p.  3  flg.  Ich  habe  mir  nur  in  der  Namen- 
Schreibung  eisige  Aenderungen  erlaubt,  um  nicht  in  Disharmonie  mit 
meiner  sonstigen  Schreibweise  zu  gerathen.  So  schreibt  Bopp  z.  B. 
PanduB,  Indras,  Arjunas  mit  dem  nominativi  sehen  s  u.  dgl.  zn.  Im  Vers- 
maass  versucht  Bopp  den  indischen  ^loka  nachzuahmen. 

•  Eine  Klasse  von  Halbgöttern,  im  Gefolge  des  Kuvdra. 

•  Es  ist  dies  der  Elephant,  auf  welchem  Indra  reitet. 


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—   493  — 

Wer  die  Opfer  zerstört  ruchlos,  kann  jenem  Räume  niemals  nahn; 

Blutschänder  nicht  und  Trinksüchtge  und  Fleischesser,  die  schändlichen. 

Jenen  himmlischen  Wald  sehend,  der  von  himmlischem  Sang  erklang, 

Trat  er  nun  ein,  der  Machtvolle,  in  des  Indra  geliebte  Stadt. 

Der  Götter  Wagen,  sah  Arjun  Tausende ,  welche  gehn  nach  Wunsch, 

Sowohl  stehend  als  auch  gehend,  in  unbegrenzter  Zahl  allda. 

Gepriesen  von  den  Gandharven  und  von  der  Apsarasen  Schaar, 

Von  sanftem  Wind  umweht  ferner,  der  Ihm  Blumengerüche  bot. 

Die  Götter  nebst  den  Gandharven,  die  Siddha's  und  die  Heiligen, 

Ehrten  erfreut  den  Sohn  Kunti's,  unermüdlich  in  Thatkraft  ihn. 

Mit  HeiUpruchen  begrüsst  also  und  Himmelsinstrumentenklang, 

Nahete  nun  der  Machtvolle,  unter  Muschel«  und  Trommelschall, 

Der  grossen  Stern en-Heerstrasse,  Suravlthl  wird  sie  genannt. 

Auf  Indra's  Macbtgebot  ward  er  von  allen  Seiten  her  begrüsst. 

Dort  waren  Sadbya's  und  Vicva's,  die  Winde  und  die  Acvina's, 

Die  Sonnen,  Vasu's  und  Rudra's,  fleckenlose  Brahmarahi's  so, 

Und  von  Rajarshf  b  -  auch  viele,  Fürsten,  Dilip  und  andere, 

Tumburu,  Narada  ferner,  die  Tongeister  Haha,  Huhu;' 

Diesen  nahte  gesammt  dorten,  nach  Sitte,  jener  Kuru-Sproas. 

Hierauf  naht'  er  dem  Machtvollen,  Indra,  dem  Feindebandiger. 

Von  dem  Wagen  sogleich  stieg  er,  dem  herrlichen,  der  Kuntl  Sohn, 

Sah  den  Erzeuger  dann  vor  sich,  den  Göttfürsten  Catakratu, 

Mit  einem  gelben  Sonnenschirme,  dess  Stab  von  Gold  und  voller  Pracht, 

Athmend  himmlischen  Duft,  welchen  ein  Fächer  zu  ihm  wehete. 

Gerühmet  von  den  Gandharven,  Vicv&vasu's  und  anderen, 

Und  von  des  Priesterstamms  Ersten,  durch  Rig-,  Yajus-  und  Saman-Lob. 

Aber  ihm  nahte  jetzt  Arjun,  der  Starke,  mit  gesenktem  Haupt. 

Mit  den  Armen  umfing  diesen  der  Gott,  starken,  gewölbeten, 

Fasste  ihn  bei  der  Hand  freundlich,  setzte  ihn  zu  sich  auf  den  Thron, 

Den  hehren  Cakra-Thron  dorten,  welchem  DevarshTs  huldigen: 

Und  auf  das  Haupt  hierauf  küsst  ihn  der  Gottfürst,  der  den  Feind  erschlagt, 

Drückte  an  seine  Bruat  zärtlich  ihn,  der  in  Demuth  war  gebeugt. 

Beide  auf  einem  Thron  «itzend  überstrahleten  den  Palast, 

Als  leuchteten  vereint  Sonne  und  Vollmond  durch  den  Himmelsraum. 

Lieder  stimmeten  an  dorten,  mit  entzückendem  Lobgesang. 

Gandharven,  in  Gesang  trefflich,  die  von  Tumburu  augefuhrt. 

Gbritacl,  Menaka,  Rambha,  Pürvacitti;  Svayamprabhä, 

Urvac.1,  Mi^rakeci  auch,  Kumhhayoni,  Prajagara, 

Citrasenä,  Citralekha,  ünd  Saha  auch  mit  süssem  Laut. 

Diese  und  andere  noch  tanzten,  Nymphen  mit  holdem  Lächeln  dort, 

Welche  der  Siddha's  Herz  fesseln,  Lotos-ahnlich  von  Augen  all, 

Mit  starken  Hüften,  voll  Liebreiz,  und  mit  schwellenden  Brüsten  auch. 

Durch  verstohlenen  Blick,  Tändeln,  fesselnd  Sinn  und  Verstand  und  Herz. 

Darauf  bringen  Götter  und  Gandharven  dem  Pandusohnc 
die  Ehrenspende  dar  und  bedienen  ihn  mit  Fusswaschung  und 
Mundwaschung.  Er  lernt  die  himmlischen  Waffen  kennen,  lernt 
Gesang,  Spiel  und  Tanz  von  den  Gandharven  und  lebt  fröhlich 
in  Indra'8  Palaste.  Indra  aber  hatte  bemerkt,  dass  Arjuna  sein 
Auge  lang  auf  der  reizenden  Apsaras  Urvac,i  ruhen  liess;  als- 
bald beauftragt  er  heimlich  den  König  der  Gandharven,  der 


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—    494  — 

schönen  Nymphe  zu  sagen,  dass  sie  den  Arjuna  in  seinem 
Palaste  aufsuchen  und  mit  ihrer  Guus  beglücken  möge.  Diese, 
die  Nieverschmähete,  erklärt  lächelnd  und  diese  Auszeichnung 
würdigend,  dass  sie  schon  ganz  von  Sehnsucht  nach  dem  treff- 
lichen Helden  erfüllt  sei  und  den  Auftrag  mit  Freuden  aus- 
führen wolle. 

Darauf  badet  sie  sich,  schmückt  sich  mit  herrlichen  Schmuck 
und  duftenden  Blumenkränzen,  und  als  am  Himmel  der  Mond 
erglänzt,  wandelt  sie  aus  ihrem  Gemache  zu  Arjuna's  Paläste 
hin.  Mit  berückendem  Liebreiz  geschmückt  tritt  sie  vor  den 
Pandusohn,  offenbart  ihm  Indra's  Auftrag  und  ihre  Bereit- 
willigkeit, denselben  zu  erfüllen.  Arjuna  geht  indessen  nicht 
auf  das  Abenteuer  ein,  da  er  in  der  schönen  Apsaras  die 
Stammmutter  seines  Geschlechtes  verehrt 

Sie  sehen,  es  sind  das  Schilderungen,  wie  aus  dem  Leben 
einer  üppigen  Residenz  gegriffen,  noch  mit  einigen  himmlischen 
Zuthaten  verschen,  und  sie  geben  uns  ein  lebendiges  Bild  davon, 
wie  sich  die  Inder  des  Götterkönigs  Wohnort  dachten. 


Ein  seltsames  Abenteuer  der  Pandusöhne  berichtet  die 
Episode  von  Hidimba's  Tödtung.  Während  einstmals  die 
Brüder  im  Walde  ruhen,  kommt  eine  Riesin  herbei,  die  sich  in 
den  Bhima  verliebt  und  ihm  diese  ihre  Liebe  auch  erklärt. 
Ihr  Bruder  Hidimba,  ein  schrecklicher  Riese,  naht  sich  wüthend 
und  wird  nach  furchtbarem  Kampfe  von  Bhima  getödtet  Dann 
nimmt  die  Riesin  eine  schöne  Gestalt  an  und  lebt  mit  Bhima, 
bis  sie  demselben  einen  Sohn,  Ghatotkaca  mit  Namen,  gebiert 

Eine  andere  Episode  ist  die  Tödtung  des  Riesen  Baka, 
dem  im  Lande  der  Kicaka  täglich  ein  Mensch  nebst  anderen 
Dingen  als  Speise  dargebracht  werden  musste.  Als  die  Pandu- 
söhne dort  anlangen,  ist  die  Reihe  gerade  an  eineu  Brahmanen 
gekommen,  einen  Familienvater,  der  nun  mit  bitterstem  Schmerz 
sein  und  der  Seinigen  Iieid  beklagt  Auch  diesen  Riesen  tödtet 
Bhima  und  befreit  das  Land  so  von  der  argen  Plage.1 

Andersartig  ist  die  Erzählung  von  Sunda  und  Upa- 
sunda.'  Als  die  Pandusöhne  in  Indraprastha  lebten,  besuchte 
sie  einst  der  göttliche  Seher  Narada  und  ermahnte  sie,  sich 


1  Diese  Episode  ist  unter  dem  Titel  „des  Brahmanen  Weu- 
!<lage"  übers.  vorrBopp,  Ardschuna's  Reise  zu  Indra's  Himmel, 
p.  29  flg. 

*  S.  Vorrede  zu  Bopp,  Ardschuna  a  Reize  zu  Indra's  Himmel,  p.  XV 


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—   495  - 

niemals  wegen  der  Draupadi  zu  entzweien,  die  ihrer  Aller 
rechtmässige  Gemahlin  sei.  Zu  ihrer  Belehrung  erzählt  er 
ihnen  die  Geschichte  von  Sunda  und  Upasunda,  zwei  Brüdern, 
die  in  innigster  Liehe  eng  verhunden,  Reich,  Wohnung,  Bett, 
Sitz  und  Nahrung  mit  einander  theilten,  dann  sich  aher  wegen 
der  von  Brahma  ihnen  zugesandten,  mit  allen  Reizen  ausge- 
statteten Nymphe  Tilottama  veruneinigten  und  endlich  in  wüthen- 
dem  Kampfe  sich  gegenseitig  erschlugen: 

Getroffen  von  den  Streitkolben  stürzten  sie  hin,  die  Schrecklichen, 
Blutumflossen,  wie  swei  Sonnen,  die  vom  Himmel  gefallen  sind.1 


Eine  Episode,  die  uns  wiederum  in  das  bewegte,  an  kriege- 
rischen Abenteuern  reicho  Leben  der  alten  Helden  und  Könige 
führt,  ist  „der  Raub  der  Dräupadi".* 

Als  die  Pandusöhne  verbannt  im  Kamyaka- Walde  hausten, 
waren  sie  einst  alle  auf  die  Jagd  ausgezogen.  Da  begab  es 
sich,  das8  Jayadratha,  der  König  von  Sindhu,  mit  grossem 
Heergefolge  zu  ihrem  Wohnsitz  kam,  die  Draupadi  sah  und 
sich  sogleich  von  einer  heftigen  Leidenschaft  für  sie  ergriffen 
fühlte.  Mit  kecker  Rede  spricht  er  zu  ihr,  sie  solle  doch  dio 
vom  Glücke  verlassenen,  des  Reiches  beraubten  Pandusöhne  im 
Stich  lassen  und  mit  ihm  ziehen:  „Vorständige  Frauen  lieben 
nicht  einen  vom  Glücke  verlassenen  Gemahl;  den  Glücklichen 
lieben  sh>,  bleiben  aber  beim  Untergange  des  Glückes  nicht 
Dee  Glückes  und  des  Reichs  beraubt  sind  Jene,  verloren  sind 
sie  auf  ewige  Jahre.  Weg  mit  der  Liebe  der  Pandusöhne! 
Sei  meine  Gattin,  du  Schönhüftige!  Verlasse  Jene,  erlange 
Freude  und  das  ganze  Land  von  Sindhu  und  Säuvira  mit  mir 
zugleich!"  Von  edlem  Zorn  entflammt  wehrt  sich  Dräupadi 
gegen  den  frechen  Verfuhrer,  aber  sie  wird  zuletzt  auf  den 
Wagen  gehoben  und  mit  Gewalt  fortgeführt. 

Die  Pandusöhne,  von  der  Jagd  heimkehrend,  hören  links 
von  ihrem  Wege  einen  Schakal  heulen  und  fassen  es  als  böses 
Omen  auf,  da  kommt  ihnen  auch  schon  weinend  die  Amme  der 
Geliebten  entgegen  und  verkündet  ihnen  das  geschehene  Unheil. 

„Folget  schnell  den  Räubern,  ruft  sie  ihnen  zu,  noch  frisch 
sind  die  Wege  und  gebrochen  von  ihnen  welken  die  Bäume. 
Rettet  sie,  ehe  sie  betäubt  und  geistesverwirrt  einem  Unwür- 


1  S.  Bopp's  Ueberaetzuiig,  in  „Ardschuna's  Reise  zu  Indras  Him- 
mel", p.  45. 

*  Uebersetxt  von  Hopp,  in  „Die  Sündflutb  nebBt  drei  anderen  der 
wichtigsten  Episoden  des  Mababharata«,  p.  17  flg.  (Berlin  1829). 


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—    49(3  - 


digen  ihren  Leib  giebt,  ehe  ein  Schakal  das  Lotosfeld  zerstört, 
ehe  ein  Blumenkranz  auf  einer  Leichen&tätte  entblättert  wird, 
ehe  ein  Hund  die  Somapflanze  auf  dem  Altar  beleckt!" 

Aber  Yudhishthira  ruft  ihr  zu:  „In  unserer  Gegenwart 
sprich  keine  Lästerungen!  Seien  es  Könige  oder  Königssöhne, 
sie  werden  getäuscht  werden." 

Und  nun  verfolgen  die  Pandusöbne  das  Heer  des  Jayadratha, 
Draupadi  aber  erkennt  jubelnd  die  Herannahenden  und  weist 
mit  edlem  Stolz  dem  Räuber  ihre  Retter,  die  ruhmvollen  Helden. 
Wie  fünf  Indra's  fallen  die  ergrimmten  Pändusöhne  über  die 
Feinde  her,  ein  furchtbarer  Kampf  beginnt,  in  lebendigen, 
kraftvollen  Zügen  vom  Dichter  geschildert,  bis  das  Heer  ver- 
nichtet, Draupadi  befreit  ist,  und  der  unwürdige  Räuber,  be- 
schämt und  erniedrigt,  kläglich  um  sein  Leben  fleht  und  be- 
schimpft in  die  Heimath  abzieht. 

Die  ebenfalls  im  Mahäbharata  enthaltene  Geschichte  von 
^akuntalä  und  Dushmanta  (al  Dushyanta)  hat  den  Stoff  zu 
dem  so  berühmten  Drama  des  Kalidasa  abgegeben.  Eine  fein- 
sinnige Ucbersetzung  dieser  Episode  hat  mit  bekannter  Meister- 
schaft Graf  Adolf  Friedrich  v.  Schack  geliefert1 

Eine  Reihe  anderer  Episoden  des  Mahäbharata  findet  man 
übersetzt  in  Adolf  Holtzmann's  „Indischen  Sagend* 

Vou  besonderer  Bedeutung  ist  endlich  die  schon  früher 
erwähnte  Episode,  welche  den  Namen  Bhagavadgita  tragt,  ich 


1  Stimmen  vom  Ganges,  eine  Sammlung  indischer  Sagen,  2.  Aufi 
Stuttgart  1877,  p.  32  flg. 

*  2.  Aufl.,  Stuttgart  1854.  Da  findet  aich  Fiachma's  (d.  h.  Bhi- 
shma's)  Geburt,  Amba,  Savitri,  Rohini,  Nahusha,  Yay-ati:  di« 
Episode  „das  Meer"  enthalt  die  Geschichte  von  der  Herabkunft  der 
Gang*,  die  wir  weiter  unten  nach  dem  Ramayana  mittheilen  werden: 
„das  Schlangenopfer14  erzahlt  auch  von  der  berühmten  Butterung 
oder  Quirlung  des  Oceans,  bei  welcher  die  Göttin  der  Schönheit  u.  A. 
entsteht.  Köstlich  ist  die  kleine  Geschichte  von  Ri^ya^ringa  (Ri- 
schiasringa,  ebenda  Bd.  1  p.  301  flg.).  Bemerkenswerth  linde  ich  die 
Erzählung  vom  König  (Jcjnara  (Usinar,  Bd.  I  p.  275'  Zu  diesen: 
flüchtet  sich  eine  von  einem  Habicht  verfolgte  Taube.  Der  König  be- 
schützt sie,  aber  der  Habicht  verlangt,  er  solle  sie  herausgeben,  da  die- 
selbe einmal  ihm  als  Speise  bestimmt  sei,  er  und  die  Seinen  ohne  solche 
Speise  verhungern  mQssten.  Der  König  erklart,  man  müsse  Schutz- 
bedürftige  schützen.  Der  Habicht  verlangt  dann  soviel  von  dem  eigenen 
Fleische  des  Königs,  wie  die  Taube  wiegt.  Der  König  schneidet  sich 
wirklich  soviel  Fleisch  ab,  da  verwandelt  der  Habicht  sich  in  Indra  und 
verheiast  ihm  den  Himmel.  Diese  Geschichte  erinnert  ganz  merkwürdig 
an  gewisse  buddhistische  Legenden,  namentlich  in  den  Jataka's.  In 
diesem  wie  noch  in  einigen  anderen  Punkten  scheint  Buddhistisches  ins 
Mahäbharata  gedrungen  zu  sein.    Vgl.  oben  p.  399. 


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-    497  — 

behalte  mir  aber  vor,  dieselbe  später  zu  behandeln,  da  sie 
durchaus  philosophischer  Natur  ist  und  also  im  Zusammenhang 
mit  dem  sonstigen  philosophischen  Denken  der  Inder  betrachtet 
werden  muss. 

Herausgegeben  ist  das  Mahäbhärata  in  Calcutta,  schon 
in  den  Jahren  1834—39,  in  vier  Bänden,  zugleich  mit  dem 
Harivarac.a,  einem  Werke,  das  als  Nachtrag  dazu  gilt.  Später, 
im  Jahre  1863,  erschien  eine  Ausgabe  des  grossen  Epos  in 
Bombay,  welche  in  mancher  Hinsicht  besser  ist,  als  die  von 
Calcutta.  Von  den  Episoden  hat  schon  Bopp  eine  ganze  Reihe 
edirfc  und  übersetzt. 


Wir  wenden  uns  nun  /u  dem  zweiten  grossen  Epos  der 
Inder,  dem  Ramayana. 

Stolz  verkündet  das  Gedicht  von  sich  selbst: 

So  lange  dio  Oebirge  stehn  und  Flüsse  auf  der  Erde  sind, ' 
So  lange  wird  im  Menscheumund  fortleben  das  Ramayana! 

Den  Anfang  macht  eine  offenbar  später  zugesetzte  Ver- 
herrlichung des  Valmlki,  des  angeblichen  Verfassers,  sowie  des 
Gedichtes  selbst: 

Heil  dem  Fürsten  der  Einsiedler,  jenem  Büsser  in  selgem  Glanz. 
Aller  Weisheit  Besitzberren ,  ihm,  Valmiki  dem  Seher,  Heil! 
Sie,  die  stets  Rama,  Räma  singt,  Süsses  mit  süssem  Klange  sagt. 
Geschwungen  auf  des  Dichters  Zweig,  grüss'  ich  VAlmiki s  Nachtigall! 
Wer  dieses  Einsiedlerlöwen,  der  im  Haine  des  Dichters  wohnt, 
Valmiki's  Lied  von  Räma  hört,  wohl  erreicht  der  das  höchste  Glück, 
Valmiki's  Bergen  entsprungen,  hin  sich  stürzend  in  Rixma's  Meer, 
Verherrlicht  herrlich  das  Weltall  Raraayana's  gewaltiger  Strom. 
Welches  von  Flecken  ganz  rein  ist,  auch  an  Bächen  und  Blumen  reich. 
Heil  dem,  der  es  hervorbrachte,  Ramayana's  erhabenes  Lied! 
Wer  immer  trinkt,  so  lang  er  lebt,  des  Ramayana's  Göttertrank, 
Nimmer  satt,  der  sei  mir  gegrüsst,  als  frommer  Weiser,  rein  von  Schuld  ■ 1  • 

Die  Einleitung  berichtet,  wie  Valmiki  durch  die  Anregung 
des  göttlichen  Sehers  Narada  dazu  kam,  die  Geschichte  des 
lUma  zu  besingen,  und  wie  er  durch  wunderbare  Eingebung 
die  dazu  geeignete  Form,  den  epischen  ^loka  fand.  Der  Gang 
der  Erzählung  ist  dann  etwa  folgender: 

Im  Lande  der  Kocala,  nördlich  vom  Ganges,  in  der  Stadt 
Ayodhyft  (Oude)  herrschte  der  mächtige  König  Dacaratha.  Dieser 
hatte  drei  Frauen,  Kaucalya,  Käikeyi  und  Sumiträ;  die  erste  ge- 


1  So  nach  F.  Schlegel's,  Sprache  und  Weisheit  der  Indier  (1808) 
p.  233.  34,  mit  geringen  Abänderungen.   Das  Metrum  versucht  den  in- 
diachen  £loka  nachzuahmen,  und  wie  »oir  scheint  mit  viel  Glück. 
▼•  Sehr«d«r,  lad.  LH.  t.  Cult.  32 


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-   498  - 


bar  ihm  den  RAma,  die  zweite  den  Bharata,  die  dritte  den 
Lakshmana.  Rama  war  vermahlt  mit  Sita,  der  Tochter  Ja- 
naka's,  des  Königs  tob  Videha. 

Als  die  Zeit  gekommen  war,  verkündete  König  Dacaratha 
eines  Tages  in  grosser  Versammlung,  dass  er  sein  Alter  heran- 
nahen fühle  und  darum  seinen  ältesten  Sohn  Rama  zum  Yu?a- 
raja,  d.  i.  zum  jungen  König  und  Thronfolger  weihen  wolle. 
Alles  jubelt  dem  Fürsten  lauten  Beifall  zu,  denn  Rama  ist  um 
seiner  hohen  Tugenden  willen  allgemein  beliebt  Er  wird  in 
die  Versammlung  geführt,  vernimmt  des  Vaters  Beschluss  und 
wird  freudig  vom  Volke  begrüsst 

Aber  die  bucklige  intrigante  Zofe  der  zweiten  Königin 
Käikeyi  eilt  zu  dieser  hin,  berichtet  ihr  die  Sache  als  ein 
schweres  Unglück  und  räth  ihr,  ohne  Verzug  den  König,  der 
sie  zärtlich  liebe,  durch  List  und  Ueberredung  dazu  zu  bringen, 
dass  er  das  Reich  dem  Rama  entziehe  und  ihrem,  der  Käikeyi, 
Sohn  Bharata  übergebe.  Die  Königin  sträubt  sich  zuerst,  geht 
aber  dann  vollständig  und  leidenschaftlich  auf  die  Pläne  der 
Zofe  ein.  Kaikeyi  hatte  einst  den  schwerverwundeten  König 
aus  dem  Kampfgewühl  geführt,  g< -pflegt  und  vom  Tode  errettet, 
und  damals  hatte  Dacaratha  ihr  erlaubt,  zwei  Bitten  zu  thun, 
die  er  ihr  nicht  weigern  dürfe.  Sie  hat  dies  noch  nicht  be- 
nutzt und  es  giebt  ihr  jetzt  die  Handhabe  zur  Ausfuhrung  ihres 
hässlichen,  hinterlistigen  Planes. 

Als  der  König  seine  geliebte  Gemahlin  Kaikeyi  aufsucht, 
findet  er  sie  auf  blosser  Erde  liegend,  ohne  Schmuck,  die  Per- 
lenschnüre rings  zerstreut,  mit  allen  Zeichen  des  Grames  und 
der  Verzweiflung.  Erschreckt  fragt  er  sie,  was  ihr  widerfahren 
sei.  Sie  schweigt.  Er  betheuert,  Alles  thun  zu  wollen,  was  sie 
begehre.  Endlich  lässt  sie  ihn  ein  Gelöbniss  thun,  d&ns  er 
erfüllen  werde,  wonach  ihr  Verlangen  stehe.  Dann  erinnert 
sie  ihn  an  jene  zwei  noch  nicht  ausgesprochenen  Bitten  und 
fordert  von  ihm,  er  solle  den  Bharata  zum  jungen  König  und 
Thronfolger  weihen,  den  R&ma  dagegen  auf  vierzehn  Jahre  ver- 
bannen. Der  König  kann  ihre  Worte  kaum  fassen;  er  weiss, 
dass  auch  sie  dem  Rama  stets  freundlich  war;  er  glaubt,  sie 
scherze.  Als  es  ihm  aber  endlich  klar  wird,  dass  sie  im  Ernst 
spreche,  dass  sie  jene  Forderungen  wirklich  stelle  und  dass  er 
in  eine  Falle  gerathen  sei,  da  bricht  er  in  wilden  Zorn  ans 
gegen  das  tückische  Weib.  Er  weigert  sich,  die  Forderung  zu 
erfüllen.  Sie  bleibt  indessen  ruhig  und  erinnert  ihn  nur  immer 
wieder  daran,  dass  er  durch  den  Schwur  gebunden  sei  und  nun 
•nicht  anders  könne.    Des  Königs  Herz  ist  zerrissen.  Seinen 


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-   499  - 


geliebten,  guten  Räma  soll  er  enterben  und  verbannenl  Ver- 
zweifelt, gebrochen  stürzt  er  ihr  zu  Füssen,  fleht  sie  um  Er- 
barmen, fleht  sie  an,  ihre  Bitte  zurückzunehmen.  Sie  bleibt 
kalt  und  ungerührt  und  verharrt  auf  ihrem  Willen.  Ihr  gefühl- 
loses Gebahren  tilgt  alle  Liebe  aus  dem  Herzen  des  unglück- 
lichen Königs.  Jetzt  ist  er  nur  noch  der  schwergekränkte 
Vater,  von  Gram  und  Schmerz  gebeugt  und  völlig  fassungslos. 
Schlaflos  bringt  er  die  Nacht  zu. 

Andern  Tags  sollte  feierlich  die. Weihe  des  Rama  statt- 
finden. Alles  ist  schon  versammelt,  nur  der  König  fehlt  Da 
wird  Rama  zum  Vater  entboten  und  erfährt,  wie  sein  Geschick 
sich  gewandt  habe.  Er  bleibt  indessen  vollkommen  ruhig  und 
erklärt,  ohne  Weiteres  dem  Gebote  Folge  leisten  zu  wollen, 
denn  nicht  nach  irdischem  Gewinn  strebe  er,  sondern  nur  nach 
Tugend  und  Pflichterfüllung,  keine  Pflicht  aber  sei  heiliger, 
keine  Tugend  grösser,  als  des  Vaters  Worte  zu  vollziehen,  den 
Eltern  stets  Gehorsam  zu  leisten.  Als  er  aus  dem  Palast  zu 
seinem  Gefolge  heraustritt,  hat  sich  kein  Zug  in  seinem  Antlitz 
verändert  Er  geht,  der  Mutter,  der  Gattin,  dem  Bruder  Lak- 
shmana das  Unabwendbare  zu  verkünden.  Alles  geräth  in  Schmerz, 
Aufregung,  Zorn,  —  er  allein  bleibt  ruhig.  Seine  treue  Gattin 
Sita  erklärt  in  der  rührendsten  Weise,  nie  von  ihm  zu  lassen, 
Allee  mit  ihm  leiden  zu  wollen,  denn  für  sie  gebe  es  kein 
Glück  ohne  ihn.  Auch  der  Bruder  Lakshmana  will  ihn  be- 
gleiten. Schwer  und  bitter  ist  der  Abschied,  der  Schmerz  des 
alten  Königs  grenzenlos.  Er  zieht  sich  ganz  von  Kaikeyi  zu- 
rück und  lebt  mit  Kaucalya,  der  Mutter  des  Rama.  Ihr  ver- 
traut er  in  der  Todesstunde  an,  dass  er  sein  schweres  Geschick, 
ohne  den  geliebten  Sohn  zu  sterben,  selbst  verschuldet  habe, 
da  er  einst  unbedacht  im  Venehen  einen  frommen  Jüngling, 
den  einzigen  Sohn  blinder  Eltern,  getödtet  und  des  Greises 
Fluch  auf  sich  geladen  habe,  in  der  Todesstunde  gleiches  Leid 
zu  fühlen.   Mit  Klagen  um  Rama  scheidet  er  vom  Leben.1 

Rama  aber  lebt  inzwischen  mit  seiner  geliebten  Sita  und 
dem  treuen  Bruder  Lakshmana  still  und  glücklich  im  wilden 
Walde  Dandaka. 

Als  der  alte  König  gestorben,  wird  Bharata  heimberufen, 
der  inzwischen  bei  den  Eltern  seiner  Mutter  gelebt  hat.  Er 
vernimmt,  dass  er  das  Reich  erben  solle,  aber  in  edlem  Un- 


1  Diese  Erz&hlung  des  sterbenden  Königs  findet  man  wunderhübsch 
wiedergegeben  von  Arf.  Fr.  ?.  8chack,  Stimmen  vom  Ganges,  2.  Aufl. 
p.  106  flg. 


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willen  weigert  er  sieb  dessen  und  weiss  der  Mutter  keinen 
Dank  für  ihre  Thai  Rama  gehöre  das  Reich,  er  solle  herr- 
schen. Und  nun  zieht  ßharata  selbst  in  die  Wildniss,  um 
Rama  wieder  nach  Ayodbyä  zu  fuhren.  Dieser  ist  durch  das 
Anerbieten  innig  gerührt,  umarmt  den  Bruder,  weigert  sieb 
aber,  heimzukehren,  da  er  das  Gelübde  treu  erfüllen  müsse 
Er  zieht  seine  goldgestickten  Schuhe  aus  und  übergiebt  sie 
Bbarata  als  Zeichen  dessen,  dass  er  ihm  seinen  Besitz  über- 
lasse. Der  edle  Bharata  kehrt  heim,  setzt  die  Scbuhe  des 
Rama  auf  den  Thron,  hält  den  gelben  Sonnenschirm,  das  Zeicher, 
der  Königswürde,  über  ihnen  und  pflegt  daneben  Rath  und 
Gericht. 

Nun  macht  es  sich  Rama  zur  Aufgabe,  die  furchtbarer 
Riesen  zu  bekämpfen,  welche  den  Dandaka-Wald  unsicher 
machen  und  ein  Schrecken  der  frommen  Büsser  sind,  die  sich 
dort  angesiedelt  haben.  Manche  Heilige  besucht  er  in  ihren 
Siedeleien,  so  den  berühmten  Agastya  und  dessen  Bruder  u.  a.  m 
Andere  wiederum  kommen  zu  ihm.  Sie  berathen  sich  über  die 
Bekämpfung  der  Riesen,  und  auf  Agastya'ß  Rath  verschafft  sich 
Rama  zuerst  die  Waffen  des  Indra.  Dann  beginnt  er  einen 
erfolgreichen  Kampf  gegen  das  Riesenvolk  und  tödtet  viele 
Tausende  von  ihnen.  Darüber  entbrennt  der  Riesenkönig  Ra- 
vana,  der  in  Lanka  oder  Ceylon  haust,  in  wildem  Zorn  und 
sinnt  auf  Rache.  Er  verwandelt  einen  der  Seinigen  in  eine 
goldene  Gazelle  und  macht,  dass  Sita  dieselbe  erblickt  Diese 
wird  lüstern  nach  dem  wunderbaren  Thier  und  bittet  Rama. 
ihr  dasselbe  zu  verschaffen.  Während  nun  Rama  und  Lak- 
shmana  der  Goldgazelle  nachjagen,  erscheint  Ravana  in  Büsser- 
traoht  bei  Rama's  Wohnung,  raubt  mit  Gewalt  die  Sita  und 
tödt  t  den  wunderbaren  Geier  Jatayu,  der  Rama's  Behausung 
bewacht  Als  Rama  heimkehrt,  wird  er  von  Schmerz  und  Ver- 
zweiflung ergriffen.  Er  verbrennt  den  Leichnam  des  Geiers, 
und  aus  dem  Holzstoss  hervor  tönt  eine  Stimme,  die  ihm 
verkündigt,  wie  er  seine  Feinde  bezwingen  und  die  Gattin 
wiedergewinnen  könne.  Nun  schliesst  er  Freundschaft  mit  den 
Affenfürsten  Hanuman  und  Sugriva,  und  sie  geloben  ihren  Bund 
feierlich  beim  heiligen  Feuer.  Darauf  tödtet  Rama  mit  Sugri- 
vas  Hülfe  den  furchtbaren  Riesen  Bali.  Hanuman  aber  schwimm: 
nach  Lanka  hinüber  und  spürt  die  Sita  auf.  Er  rindet  sie 
trauervoll  in  einem  Haine  wandelnd  und  verkündet  ihr,  dass 
das  Rettungswerk  im  Gange  sei.  Nachdem  er  dann  noch  viele 
Riesen  getödtet  kehrt  er  zurück  und  berichtet  Rama,  dass  die 
gefangene  Sita  aufgefunden  sei.    Nun  wird  der  Schlachtplan 


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entworfen.  Die  Affen  bauen  auf  wunderbare  Weise  eine  Brücke 
vom  Festland  nach  Lanka  hinüber,  wobei  Samudra  selbst,  der 
Meeresgott,  guten  Rath  giebt  Dann  fuhrt  Rama  sein  Heer 
über  die  Brücke  nach  Lanka  hinüber,  erschlägt  den  Ravana 
und  gewinnt  seine  geliebte  Sita  wieder.  Diese  reinigt  sich  von 
dem  Verdachte  der  Untreue  durch  die  Feuerprobe,  und  nun 
zieht  Rama  fröhlich  mit  ihr  vereint  in  die  Heimath  zurück, 
wo  er  mit  dem  treuen  Bruder  Bharata  zusammen  in  Glanz  und 
Herrlichkeit  regiert  und  sein  Land  mit  einem  neuen  goldenen 
Zeitalter  beglückt. 

Dies  ist  die  vielberühmte  Geschichte  von  Rama's  Tugend 
und  Heldenthum,  seinen  Thaten  und  Abenteuern.1  Sie  ist  in 
der  uns  vorliegenden  Bearbeitung  des  Epos  im  Sinne  der  spe- 
ciellen  Vishnu-Verehrung  eigentümlich  eingekleidet  Es  wird 
nämlich  erzählt,  dass  der  furchtbare  Riese  Ravana  von  Brahma 
die  Gunst  erbeten  hatte,  unverwundbar  zu  sein  durch  Götter, 
Gandharven,  Yaksha's,  Danava's  und  Rakshasa's.  Sie  war  ihm 
gewährt  worden  und  er  missbraucht  sie  auf  entsetzliche  Weise, 
so  dass  die  Götter  in  Angst  und  Schrecken  gerathen  und  nicht 
wissen,  was  sie  thun  sollen.  Der  übermüthige  Riose  hatte  es 
aber  versäumt  zu  bitten,  dass  er  auch  durch  Menschen  nicht 
verwundet  werden  könne.  Nun  flehen  die  Götter  den  Vishnu 
an,  sich  als  Mensch  gebären  zu  lassen  und  den  Schändlichen 
zu  vernichten.  Vishnu  lässt  sich  dazu  bewegen  und  wird  nun 
als  Rama,  Sohn  des  Königs  Dacaratha,  in  Ayodhya  geboren. 
Als  solcher  vollfuhrt  er  die  übernommene  Aufgabe  in  der  früher, 
mitgetheilten  Weise.  Am  Schlüsse  des  Epos  kommen  Brahma 
und  die  andern  Götter  zu  ihm,  um  ihm  zu  huldigen,  und  ver- 
künden ihm,  wer  er  in  Wahrheit  sei:  Du,  o  Wesen  ursprüng- 
licher Gewalt,  du  bist  der  ruhmreiche!  Herr  mit  dem  Diskus 
bewaffnet,  du  bist  der  Eber  mit  einem  Horn,  der  Ueberwinder 
der  gegenwärtigen  und  zukünftigen  Feinde  u.  s.  w.2 

Das  Ramayana  ist  eines  der  beliebtesten,  wenn  nicht  das 
beliebteste  und  populärste  Gedicht  der  Inder.  Es  ist  in  eine 
Menge  Ton  Volkssprachen  übersetzt  und  bildet  den  Stoff  viejer 
Schauspiele.   Bis  ruf  den  heutigen  Tag  erfreut  die  Geschichte 


1  In  poetischer  Form  findet  man  die  Geschichte  Rama's  bis  zu  dem 
Punkte,  wo  er  seine  goldgestickten  Schuhe  auszieht  und  dem  Bharata 
übergiebt,  wiedergegeben  bei  Adolf  Holtzmann,  Indische  Sagen,  2.  Aufl. 
Stattgart  1864,  Bd.  II,  p.  181  flg.  Vorher  schon  selbständig  erschienen, 
unter  dem  Titel:  Rama,  ein  indisches  Gedicht  nach  Walmiki.  Deutsch 
Ton  Adolf  Holtmann,  2.  Aufl.,  Karlsruhe  1843. 

•  Vgl.  oben  p.  837. 


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Rama's  von  der  Bühne  und  aus  dem  Munde  der  Recitatoren 
Herz  und  Gemüth  des  indischen  Volkes.1 


1  Vgl.  Reulaux,  Quer  durch  Indien  (Berlin  1884),  p.  231:  „In 
Benares  findet  alljährlich  eine  Mela  (Fest)  zu  Ehren  Rama's  statt,  die 
Kam- Lila  oder  das  Ramaspiel.  An  einem  der  ersten  Festtage  wird  das 
ganze  Ramayana  von  Anfang  bis  zu  Ende(?)  öffentlich  vorgelesen,  an 
manchen  Stellen  der  Stadt  werden  mit  enormem  Pomp  Episoden  daraus 
aufgeführt;  bei  der  letzten,  wo  Rama  mit  Ravana.  dem  Beherrscher  von 
Lanka  (Ceylon)  kämpft  und  diesen  tödtet,  soll  die  Zuschauerin  enge  sieb 
meist  auf  mehr  als  30,000  Köpfe  belaufen."   Vgl.  ebenda  p.  *>8  flg. 


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t 


Fünfunddreissigste  Vorlesung. 

Episoden  des  R&mayana.  Die  Herabkunft  der  Ganga.  Entstehung  des 
floken-Versmaasses.  Vicvamitra.  Ausgaben  des  Ramayana.  Die  Purana- 
LUeratur.   Einige  Proben  aus  derselben.  Die  Literatur  der  Kavya  oder 

Kunstgedichte. 

Aach  das  Ramayana  enthalt  manche  interessante  Episoden, 
wenn  es  in  dieser  Hinsicht  auch  mit  dem  Reichthum  des  Ma- 
hiibhÄrata  sich  nicht  vergleichen  lässt 

Eine  sehr  eigenthüm liehe,  echt  indische  Geschichte,  voller 
üebertreibungen  und  Unmöglichkeiten  ist  z.  B.  die  Herab- 
kunft  der  Ganga,  die  uns  im  Ramäyana  erzählt  wird.1 

In  Ayodhya  herrschte  vor  Zeiten  der  König  Sagara.  Dieser 
erhielt  gemäss  der  Prophezeiung  des  weisen  Bhrigu,  den  er 
durch  seine  Busse  erfreut  hatte,  von  der  einen  seiner  Ge- 
mahlinnen einen  Sohn,  Asamafija,  welcher  der  Stammhalter  des 
Geschlechtes  sein  sollte;  die  andere  Gemahlin  gebar  eine  Frucht 
in  Kürbis-Form,  aus  welcher  60,000  Söhne  stiegen.  Der  Stamm- 
halter Asamailja  bekam  einen  Sohn,  Aincumant  mit  Namen,  der 
ein  tapferer  und  geehrter  Held  wurde.  Da  begab  es  sich,  dass 
König  Sagara  ein  Rossopfer  —  eines  der  complicirtesteu  und 
langwierigsten  Opfer  —  darbringen  wollte.  Als  dasselbe  schon 
im  Gange  war,  entwendete  Indra  in  Gestalt  eines  Riesen  das 
"pferross.  Bestürzt  brachten  die  Priester  diese  Kunde  dem 
Konig  und  erklärten,  das  sei  ein  Opferbruch,  der  Allen  Unheil 
bringen  würde;  das  Opferross  müsse  auf  jede  Weise  wieder- 


1  Diese  Episode  des  R&mäyana  ist  metrisch  wiedergegeben  von 
Albert  Hoefer,  Indische  Gedichte  in  deutschen  Nachbildungen, 
Leipzig  1844  (F.  A.  Brockhaas),  Bd.  II  p.  35  flg.  Die  von  mir  metrisch 
ebenen  Stacke  sind  dem  entnommen.  —  Schon  früher  hatte  A.  W. 
*  Schlegel  dieselbe  Episode  übersetzt,  in  seiner  Indischen  Bibliothek. 
1  p.  ;V)-96.  —  Die  Version  des  Mahabhärata  von  dieser  Sage  bietet 
üb»  Ad.  Holt/mann  in  der  Erzählung  ,.das  Meer"  Ind.  Sagen,  Bd.  I, 
?        flg.  • 


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geschafft,  der  Räuber  gctödtct  werden.  Nun  sandte  der  König 
seine  60,000  Sühne  aus,  um  Ross  und  Räuber  zu  suchen,  die 
Erde  zu  durchforschen  und  aufzugraben,  wenn  etwa  der  Ver- 
brecher in  die  Unterwelt  geflüchtet  sei. 

Die  Königssöhne,  groätstarke, 
Die  gingen  alle  froh  im  Sinn 
Hin  über  all  der  Erd'  Lander , 
Ermuntert  durch  des  Vaters  Wort. 

So  weit  sich  eine  Meil'  strecket, 
Da  gruben  Jeder  einzeln  sie 
Den  Erdgrund  auf,  die  Manntiger, 
Mit  Annen  wie  des  Blitzes  Schlag. 

Mit  Keulen,  donnerkcilartig, 
Und  Aexten  grimm  und  fürchterlich 
Zerspalten  stöhnte  aufächzend 
Die  Erd,  als  ob  sie  Schmerzen  litt. 

Von  Schlangen,  die  im  Tod  rangen, 
Titanen  und  dämonischen 
Und  andern  Wesen  scholl  aufwärts 
Manch  dumpf  Geheul  und  Angstgeschrei. 

Sie  wühlten  auf  den  Erdboden 
Wohl  sechzigtausend  Meilen  hin 
Und  gruben  Alle  zornschnaufend, 

Bis  sie  der  Hölle  Grund  erreicht. 

Also  schweiften  umher  immer 
Die  Königssühne  allerseits, 
Bi3  Jambudvipa1  vollständig, 
Das  bergumschlossne,  ausgehöhlt. 

Bestürzt  klagen  Gandharven,  Schlangen  und  andere  Wesen 

dem  Urvater: 

O  Herr,  das  ganze  Erdrund  ist 
Von  Sagariden  aufgewühlt, 
Und  durch  ihr  Grabeu  schreckvolle 
Wesenvertilgung  schon  entstand. 

Aher  der  Gott  beruhigt  sie,  das  werde  bald  ein  Ende 
nehme.!. 


1  Jambudvipa  ist  „Bezeichnung  einer  der  sieben  grossen  Inseln, 
die  sich  nach  der  Vorstellung  der  Inder  um  den  Mern  lagern;  sie  be- 
grflift  Indien  in  sich  und  bezeichnet  daher  bei  den  Buddhisten  Indien 
selbst.  Den  Namen  hat  die  Insel  von  einem  riesigen  Jambu-Baum,  der 
auf  der  Spitze  dos  Meru  (Merumandara,  Gandhamädana)  als  Standarte 
über  das  ganze  Land  erhoben  ist."   S.  Petersb>  Wörterbuch  s.  v. 


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—    505  — 


Diu  Sagariden  hatten  nichts  gefunden.  Sie  kommen  heim 
und  verkünden  es  dem  Vater.  Dieser  erklärt,  sie  müssten 
immer  weiter  graben,  bis  sie  das  Ross  gefunden.  Sie  stürzen 
sich  denn  auch  alle  60,000  in  die  Unterwelt  und  graben  immer 
weiter  fort,  bis  sie  auf  die  vier  Weltelephanten  stossen,  auf 
denen  die  Erde  ruht.  Sie  begrüssen  und  verehren  diese  Welt- 
träger,  finden  aber  das  Ross  noch  immer  nicht,  bis  sie  in  nord- 
östlicher Richtung  gehend  auf  Väsudeva,  d.  h.  Vishnu,  in  der 
Gestalt  des  Weisen  Kapila,  stossen  und  nahe  bei  ihm  das  Opfer- 
ross  erblicken.  Wüthend  stürzen  sie  auf  ihn  als  den  Ross- 
räuber los,  —  aber  durch  Ausstossung  eines  einzigen  Lautes  ver- 
wandelt der  zornige  Weise  alle  60,000  in  einen  Aschenhaufen. 

Als  sie  nun  lange  fortbleiben,  sendet  König  Sagara  seinen 
Enkel  Amgumant  aus,  die  Oheime  zu  suchen.  Dieser  geht  ihren 
Spuren  nach,  erhält  von  den  Weltelephanten  tröstenden  Bescheid 
und  findet  endlich  wirklich  das  Opfcrross,  aber  die  Oheime 
daneben  in  oinen  Aschenhaufen  verwandelt.  Betrübt  will  er 
ihnen  das  erforderliche  Trankopfer  spenden,  aber  es  ist  kein 
Wasser  vorhanden  und  es  wird  ihm  verkündet,  dass  diesen  von 
Kapila  Verbrannten  kein  irdisches  Wasser  gespendet  werden 
dürfe.  Nur  wenn  er  es  bewirken  könne,  dass  die  Gangä  vom 
Himmel  herab  komme  und  die  Asche  der  Todten  benetze,  dann 
würden  sich  alle  60,000  entsühnt  zur  Himmelswelt  erheben.  Gaftga, 
die  Tochter  Himavant's,  weilte  also  damals  noch  im  Himmel. 

Amcumant  kann  nun  das  Ross  heimführen  und  das  Opfer 
wird  regelrecht  vollbracht  Um  so  schlimmer  steht  es  jetzt  mit 
der  neuen  Aufgabe,  die  Asche  der  60,000  Söhne  des  Sagara 
durch  das  Wasser  der  himmlischen  Gangä  zu  entsühnen.  König 
Sagara  stirbt,  ohne  Rath  dafür  gefunden  zu  haben.  Ihm  folgt 
Aiu^umant  in  der  Herrschaft  Nachdem  dieser  dann  seinem 
Sohne  Dilipa  das  Reich  übertragen,  sucht  er  durch  strenge 
Busse  die  Herabkunft  der  Gangä  zu  erringen,  und  verlebt 
32,000  Jahre  im  Büsserwalde;  dann  stirbt  er,  ohne  das  Ziel 
erreicht  zu  haben.  Dilipa  denkt  ebenfalls  schmerzerfüllt  darüber 
nach,  wie  die  Gangä  herabzubringen  wäre,  regiert  30,000  Jahre, 
erlangt  aber  das  Gewünschte  nicht.  Sein  Sohn,  der  pflicht- 
getreue Bhagiratha,  sollte  glücklicher  sein.  Nachdem  er  die 
Herrschaft  seinen  Räthen  übertragen,  büsst  er  manches  Jahr- 
tausend in  furchtbarster  Weise: 

Die  Arm  empor,  in  fünf  Feuern. 
Wenig  essend,  besiegten  Sinns, 
Stand  Winters  er  im  Flusswasser, 
Beim  Hegen  in  der  freien  Luft. 


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Brahma  wird  ihm  geneigt,  erscheint  mit  grossem  Gefolge 
und  gestattet  ihm,  eine  Gnade  zu  wählen.  Er  bittet,  dass  die 
Fluth  der  Gafiga  sich  über  die  Asche  der  Sagara- Söhne  er- 
giessen  möge.  Brahma  gewährt  es  ihm  und  giebt  der  Ganga 
die  erforderliche  Weisung.  Aber  zuvor  bedarf  es  der  Gnade 
des  Qiva,  denn  die  Erde  hätte  den  Fall  der  Ganga  nicht  er- 
tragen können;  Qiva  soll  sie  zuerst  aufTangen.  Durch  strenge 
Busse  macht  Bhagiratha  endlich  den  £iva  dazu  geneigt;  er  be- 
steigt den  Gipfel  des  Himavant  und  ruft  der  Ganga  zu:  „Falle 
nieder \u  Da  stürzt  sie  wirklich  vom  Himmel  herab  auf  ^ivas 
heiliges  Haupt;  von  dort  braust  sie  an  den  Wänden  des  Hima- 
laja in  gewaltigem  Fall  zur  Ebene  hinab.  Götter  und  Halb- 
götter schauen  staunend  das  Wunder.  Bhagiratha  auf  dem 
Kriegswagen  zieht  mit  ungeheurem  Gefolge  von  Göttern,  Genien, 
Nymphen  u.  dgL  voran»  und  die  Ganga  folgt  ihm  überall,  wohin 
er  sich  wendet.  Als  auch  die  Wohnstätte  des  heiligen  Jahnu 
vom  Wasser  bespült  wird,  trinkt  dieser  zornig  die  ganze  Gafiga 
auf.  Nur  die  dringendsten  Bitten  und  das  Versprechen,  dass 
die  Ganga  fortan  seine  Tochter  heissen  solle,  bewegen  ihn,  sie 
wieder  aus  den  Ohren  hervorströmen  zu  lassen.  Seitdem  heisst 
sie  Jahna?!,  d.  i.  Tochter  des  Jahnu.  Und  immer  weiter  folgt 
sie  dem  Bhagiratha,  bis  sie  zum  Meere  gelangt  Dort  taucht 
sie  unter  und  entsühnt  in  der  Unterwelt  die  Asche  der  Saga- 
riden, die  nun  in  den  Himmel  eingehen.  Die  durch  Genera- 
tionen fortgesetzte  Busse  des  Königshauses  hatte  endlich  ihr 
Ziel  erreicht,  und  nach  Bhagiratha,  dem  glücklichen  Vollbringer 
des  Werkes,  heisst  die  Ganga  fortan  Bhägirathi.1 

Originell  und  sinnvoll  ist  die  Geschichte  von  der  Ent- 
stehung des  Qloken-Versmaasses,  welche  uns  ebenfalls  im 
Ramayana  berichtet  wird. 

Valmiki,  der  fromme  Seher,  bereitet  sich  in  der  Stille  des 
Waldes  in  andächtiger  Sammlung  durch  heiliges  Bad  und  Ge- 
bete zu  dem  grossen  Werke  vor,  die  Schicksale  und  Thaten 
des  Rama  würdig  zu  schildern.  Am  Gestade  eines  Flusses 
wandelnd  beobachtet  er  ein  liebendes  Pärchen,  einen  Kräuöca. 
d.  L  einen  Brachvogel,  mit  seinem  Weibchen,  in  zärtlicher  Ver- 
einigung. Als  er  noch  an  dem  lieblichen  Schauspiel  sich  er- 
götzt, wird  plötzlich  das  Männchen  von  einem  mordlustigen 
Jäger,  einem  Nishada,  nieder  geschossen,  so  dass  es  sich  wunden- 
voll im  Blute  auf  der  Erde  wälzt  Grenzenlos  ist  der  Schmerz 
des  Weibchens,  jammernd  klagt  es  um  den  Tod  des  Geliebten. 


1  Es  ist  die»  ein  Patronymicum  von  Bhagiratha. 


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-   507  - 

und  auch  Välmiki's  Herz  wird  von  tiefstem  Mitgefühl  bewegt. 
Da  bricht  er  unwillkürlich  in  Worte  aus,  die  den  Todten  be- 
klagen, dem  bösen  Mörder  Rache  drohen.  Aber  seltsam!  Die 
Worte  haben  sich  ihm  in  wunderbarer  Weise  gefügt,  das  ist 
nicht  gewöhnliche  Rede,  —  in  melodischer  Ordnung  strömen 
ihm  die  Klagelaute  dahin,  er  weiss  selbst  nicht,  wie  das  ge- 
schehen. Er  sinnt  darüber  nach  und  wandelt  in  Gedanken 
seiner  Hütte  zu.  Da  erscheint  Brahma  und  verkündet  ihm 
lächelnd,  dass  er  im  tiefen  Schmerz  des  Mitgefühles,  sich  selbei 
unbewus8t,  das  Lied,  die  rhythmische  Rede,  den  Cloka  geschaffen 
habe:  „Wahrlich,  das  ist  durch  Sarasvati,  des  Gesanges  Göttin 
geschehen!  In  solcher  Weise  ordne  du  Leben  und  Thaten  des 
Rama,  so  bilde  du  das  göttliche  Gedicht  von  Rama!" 

So  ist  die  Kunst  des  Gesanges  von  Valmiki  dort  gefunden 
worden.    Gewiss  ein  hübscher,  poetischer  Gedanke!1 

Eine  der  merkwürdigsten  Episoden  des  Ramayana  ist  die 
Geschichte  von  Vicvamitra,  die  wir  in  anderem  Zusammen- 
hange schon  früher  besprochen  haben.1  Nachdem  Rama  schon 
mehrere  Riesen  besiegt  hat,  geht  er  mit  seinem  Bruder  Lak- 
shmana  und  seinem  Lehrer  Vicvamitra  nach  Mithila,  wo  König 
Janaka  ein  grosses  Opfer  feiert.  Dort  wird  ihm  nun  von  Qa- 
tananda,  dem  Priester  des  Königs,  erzählt,  wie  Vicvamitra,  der 
von  Geburt  ein  Kshatriya  gewesen,  sich  durch  die  härtesten, 
Jahrtausende  lang  fortgesetzten  Büssungen  zum  Brahmauen  auf- 
büsste.  Da  ich  den  Gang  dieser  höchst  seltsamen  Geschichto 
schon  früher  erzählt  habe,  will  ich  nur  noch  eine  kleine  Probe 
von  der  Art  der  Darstellung  dieser  Büssungen  im  Texte  durch 
die  Uebersetzung  eines  Stückes  daraus  geben.  Ich  wähle  dazu 
das  letzte  Capitel  der  Episode,  wo  die  auf  8  Höchste  gesteigerten 
Bussübungen  dem  Vicvamitra  endlich  zu  seinem  Ziele,  der  Brah- 
manenwürde,  verhelfen.  Nachdem  er  die  letzte  Anfechtung  durch 
die  schöne  Nymphe  Rambha  siegreich  bestanden,  heisst  es  in 
Bopp's  Uebersetzung1: 

Nun  dann  den  H'mavant  lassend,  Vicvamitra,  der  Seher  Fürst, 
Ostwärts  ging  er  und  dort  übte  gar  strenge  Büssung  er  hierauf. 


1  Die  kleine  Episode  ist  übersetzt  von  F.  v.  Schlegel,  Ueber  die 
Sprache  und  Weisheit  der  Indier,  Heidelberg  1808,  p.  266.  —  Im  Original 
haben  wir  ein  Wortspiel:  durch  90k a  (Kummer)  findet  Valmiki  den 
cloka  (das  Lied,  d.  Metrum).  Schlegel  sucht  dies  nachzuahmen:  durch 
Leid  findet  VMmiki  das  Lied,  aus  dem  Leid  wird  das  Lied  geboren. 

*  S.  obe.r,  Vorlesung  XX VII. 

3  Si  ßopp,  Conjugationssystem  der  Sanskritsprache,  Frankfurt  a.  M. 
1816.  p.  230  flg.   Ich  habe  mir  nur  einige  kleine  Aenderungen  erlaubt. 


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-    508  — 


iJenn  tausend  Jahre  nicht  sprechend,  dem  erhabnen  Gelübde  treu, 
Unvergleichliche  Buss'  übete  Vicvamitra,  der  Seher,  nun. 
Als  verflossen  das  Jahrtausend,  einem  Stamme  dann  war  er  gleich. 
Manche  Störung  versucht  habend  mochte  Zorn  nicht  mehr  nahen  ihm. 
Als  den  Entschluss  erfüllt  er  so,  die  anendliche  Busse  nun,  . 
Sein  Gelübde  vollbracht  endlich,  des  Jahrtausends,  mit  festem  Sinn, 
Begann  zu  essen  der  Einsiedler  Vicvamitra  ein  Reisgericht. 
In  Brahmanengestalt  bat  ihn  um  die  Speise  Indra  der  Gott 
Ihm  gab  Jener  den  Reis  gänzlich,  dem  Brahmanen,  entschlossen  hin. 
Als  ihn  verzehrt  der  Glückselge,  ass  der  Büssende  ferner  nichts, 
Zum  Brahmanen  kein  Wort  sprechend,  dem  Gelübde  des  Schweigens  treu. 
Und  so  war  es,  —  er  schwieg  tief,  unterdrückend  den  Athem  auch.  — 
Und  als  er  so  ein  Jahrtausend  nicht  geathmet,  der  Seher  Fürst, 
Sieh!  Da  brach  aus  dem  Haupt  dessen,  der  nicht  athmetf,  ein  Dampf 

hervor. 

Schrecken  ergriff  die  drei  Welten,  von  der  Flamme  gleichsam  erhellt. 
Die  Heilgen  dann,  die  Gandharva's,  die  Schlangen  und  die  Rakshasa's, 
Durch  seine  Busse  betäubt,  auch  ganz  verfinstert  durch  seinen  Glanz 
Von  Bestürzung  erfüllt  sammtlich,  sprachen  zum  Welt-Urvater  sie: 
„Auf  mannigfaltige  Art  wurde  Vicvamitra,  der  Seher  Haupt, 
Gereizt  —  zur  Liebe,  zum  Zorn  auch;  doch  an  Busse  wächst  er  noch  stets. 
Keinen  Fehler  gewahren  wir  an  dem  Büsser,  den  kleinsten  nicht. 
Wird  nicht  baldigst  vergönnt  Jenem,  was  er  im  Geiste  stets  verlangt, 
So  zerstört  er  die  drei  Welten  durch  die  Busse,  —  was  geht  m.d  steht 
Zerrüttet  sind  die  Raum*  alle,  und  nichts  wagt  sich  zu  zeigen  mehr, 
Wild  aufbrausen  die  Meeresüuthen ,  und  es  wanken  die  Berge  selbst, 
Und  es  zittert  der  Erdkreis  auch,  der  Winde  Wehen  stocket  ganz. 
Der  Sonne  ist  geraubt  ihr  Licht  durch  den  Glanz  jenes  Büssers  dort 
Eh'  er  fasst  den  Entschluss,  Heiliger !  zu  vernichten,  der  Seher  Fürst, 
Spend'  ihm  den  Wunsch,  o  Glückßelger!  dem  Hochstrahler,  dem  Feuer 

gleich, 

Eh*  er  verzehrt  die  drei  Welten  mit  dem  Feuer  des  Untergangs, 
Rette  der  Götter  Reich,  Brahma!   Der  Wunsch  werde  gewähret  ihm." 
Die  Himmlischem  hierauf  sammtlich,  von  dem  Urvater  angeführt, 
Zu  Vicvamitra  hochsinnig  sprachen  die  holde  Rede  sie: 
„Sei  gegrüsset,  o  Brahmane,  wir  sind  dir  ob  der  Bubso  hold. 
Brahmanenwürde,  Kau^ika,1  hast  durch  die  Busse  du  erlangt. 
Lebenslänge,  Brahmane,  auch  ertheü*  ich  dir,  der  Winde  Herr. 
Unsern  Segen  empfang  also,  gehe  friedsam,  wohin  du  willst!" 

"Nun  ist  Vicvamitra  hocherfreut.  Er  erlangt  noch  die  Kunde 
der  Veda's  und  andere  Vorzüglichkeiten,  die  mit  dem  Brahmanen- 
thum  zusammenhängen,  und  versöhnt  sich  mit  seinem  bisherigen 
Widersacher  Vasishtha. 

Der  Text  des  Ramayana  liegt  uns  in  mehreren  verschiedenen 
Kocensionen  vor,  welche  zwar  in  der  Hauptsache  des  Inhalts 
übereinstimmen,  aber  in  der  Anordnung  wie  im  Ausdruck  viel- 
fach, und  oft  sehr  bedeutend,  von  einander  abweichen.  Nach 
Lassen  sind  es  ihrer  drei,  nach  Weber  noch  mehr.'  Dem  ent- 

1  Geachlechtsname  des  Vicvamitra. 

*  Vgl.  Lassen,  Ind.  Alt.  I«,  1005;  II8,  501. 


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—    509  — 

sprechend  finden  wir  denn  auch  bedeutende  Verschiedenheiten 
in  den  Ausgaben.  Eine  vollständige  Textausgabe  des  Ramayana 
Terdanken  wir  dem  Italiäner  G.  Gor  ratio,  welche  die  soge- 
nannte bengalische  Recension  bietet.1  Ferner  erschienen  voll- 
ständige Ausgaben  in  Calcutta  (1859—60)  und  in  Bombay 
(1859),  nachdem  schon  in  früheren  Jahren  zwei  Ausgaben  ver- 
öffentlicht worden,  die  mit  dem  zweiten  Buche  abbrechen,  die 
eine  in  Serampore  durch  Carey  und  Marshman,*  die  andere 
in  Bonn  durch  A.  W.  v.  Schiegel,3  welche  die  sogenannte 
nördliche  Recension  darbietet. 

Nach  Besprechung  der  beiden  grossen  Epen  hätten  wir 
nun  noch  die  übrigen  epischen  Dichtungen  der  Inder,  die  sich 
in  ihrem  Charakter  theils  mehr  dem  Mahäbhärata,  theils  dem 
Ramäyana  nähern,  ins  Auge  zu  fassen. 

An  das  Mahäbhärata  schliessen  sich  in  vieler  Hinsicht 
die  grossen  episch -didaktischen  Dichtungen  an,  welche  xar 
i§0X7lv  ^  Namen  Purana  führen. 

Dieser  Name  begegnet  uns  schon  in  den  Brahmana's  und 
zwar  als  Bezeichnung  der  zahlreichen  dort  sich  vorfindenden 
koe»mogoni8chen  Untersuchungen.*  Derselbe  wird,  wie  früher 
erwähnt,  neben  Itihasa  und  Akhyana,  auch  vom  Mahäbhärata 
gebraucht,  welches  ja  auch  die  Geschichte  der  Vorzeit  bis  zum 
Weltenanfang  in  sich  schliesst.  Ganz  speciell  wird  aber  nun 
das  Wort  Purana  zur  Bezeichnung  einer  bestimmten  Klasse 
Ton  Dichtungen  gebraucht,  die  man  wohl  episch  -  didaktisch 
nennen  darf.  Sie  schildern  die  Kosmogonie,  den  Weltenanfang, 
aber  dann  auch  weiter  die  Entwicklung  dor  Welt,  die  Ge- 
schichte der  Vorzeit,  die  Thaten  und  Schicksale  der  alten  Göt- 
ter, Heiligen  und  Helden,  entwickeln  die  Lehre  von  den  Yuga's 
oder  Weltaltern,  die  wir  früher  berührt  haben,  u.  dgL  m. 

Nach  älteren  Angaben  soll  ein  Purana  fünf  Gegenstände 
befassen.  1)  Sarga  oder  die  Schöpfung,  Kosmogonie;  2)  Prati- 


1  Ramajana,  poema  Indiano  di  Valmici,  Testo  Sanskrito  secotido 
I  codici  manoscritti  della  scuola  Gandana.  Per  G  Gorresio.  Torino 
1843  flg.  (beendet  i.  J.  1867). 

*  Die  Seramporer  Ausgabe  von  Carey  und  Marshman  umfasst 
drei  Binde,  erschienen  1806.  1808.  1810. 

'  Ramtyana,  Id  est  Carmen  epicum  de  Ramae  rebus  gestis  poe- 
tac  antiquissimi  Valmicis  opus.  Textum  codd.  mss.  collatis  recensuit, 
interpretationem  laünam  et  annotationes  criticas  adjecit  Aug.  Guil. 
a  Schlegel.  Bonn  1829.  1838.  —  Vgl.  auch  Weber,  Ind.  Lit.  2.  Aufl. 
p.  211.    Benfey,  Geschichte  der  Sprachwissenschaft,  p.  402  flg. 

*  VgL  Weber,  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  206.  Lassen,  a.  a.  0.  1% 
F-  578 


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—   510  — 

sarga,  Wiederschöpfung,  d.  i.  die  Lehre  von  der  Zerstörung 
und  Erneuerung  der  Welten;  3)  Vamca,  Geschlecht,  d.  i  Genea- 
logie der  Götter  und  Patriarchen;  4)  Manvantara,  Manu -Zeit- 
räume, d.  h.  die  Regierungen  der  verschiedenen  Manu's;  5) 
Vamcanucarita,  Nachfolge  der  Geschlechter,  d.  i.  die  alten  Dy- 
nastieen  der  Könige.1 

Aus  der  älteren  Zeit  sind  uns  nun  solche  Puräna's  nicht 
erhalten.  Die  uns  vorliegenden  Werke  dieses  Namens  stammen 
alle  aus  einer  verhältnissmässig  späten  Zeit,  d.  h,  etwa  aus  den 
letzten  tausend  Jahren,  und  es  entspricht  keines  von  ihnen 
ganz  der  Beschreibung,  die  aus  früherer  Zeit  über  Inhalt  und 
Umfang  eines  Purana  überliefert  ist*  Für  diese  uns  vorliegen- 
den Purana  ist  es  charakteristisch,  dass  sie  die,  im  Laufe  der 
Zeit  sich  mehr  und  mehr  verschärfende,  sektarische  Spaltung 
der  Inder  in  specielle  Qiva-  und  Vishnu -Verehrer  scharf  aus- 
gebildet zeigen  und  dass  sie  im  Interesse  und  zur  Empfehlung 
dieser  Secten,  vor  Allem  der  vishnuitischen,  geschrieben,  resp. 
so  gefärbt  sind.  Die  Mythengeschichte  ist  immer  in  diesem 
Sinne  gemodelt,  —  bald  steht  Qiva,  bald  Vishnu  im  Mittel- 
punkte derselben,  —  und  auch  auf  die  historische  Sage  war 
diese  Richtung  von  Einfluss.8 

Der  Hauptsache  nach  schliessen  sich  die  Puräna's  für  die 
Sagen  der  Vorzeit  an  das  Mahabharata  an,  und  dieses  ist  als 
die  Hauptquelle  derselben  zu  bezeichnen.    Anderes,  was  ihnen 
speciell  angehört,  findet  sich  in  den  verschiedenen  Puräna's  so 
übereinstimmend,  oft  wörtlich  gleichlautend  vor,  dass  wir  durch- 
aus eine  gemeinschaftliche  Quelle  annehmen  müssen.  Nach  der 
Ueberlieferung  hat  es  ursprünglich  sechs  grosse  Sammluugen 
unter  dem  Namen  Purana  gegeben.4   Aus  diesen  alten  Purä- 
na's sind  die  uns  vorliegenden  achtzehn,  wahrscheinlich  durch 
verschiedene  Entwicklungsstufen,  abgeleitet.    „Für  die  alten, 
zum  Theil  verkürzten,  zum  Theil  weggelassenen  Erzählungen 
sind  theologische  und  philosophische  Belehrungen,  rituelle  und 
asketische  Vorschriften  und  namentlich  Legenden  zur  Empfeh- 
lung einer  besonderen  Gottheit  und  gewisser  Heiligthümer  an 
die  Stelle  gesetzt" 6 

Die  Puräna's  sind  umfangreiche  Werke,  grosse  Sagen-  und 
Legenden-Gompilationen,  welche  in  der  späteren  Sanskrit-Lite- 

1  Vgl  Lassen,  Ind.  Alt.  I*,  576  Anm.   Weber  a.  a.  0. 

*  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  I».  676. 

»  8.  Lassen,  a.  a.  0.  P,  676.  577. 
4  Lassen,  a.  a.  0.  I*,  677. 

•  8.  Lassen,  a,  a.  0.  If,  579. 


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—  511 


rafcur  eine  nicht  unwichtige  Stellung  einnehmen.  Ich  hebe  unter 
ihnen  hervor  das  grosse  Bh&gavata-Pur&na,  welches  von  dem 
ausgezeichneten  E.  Burnouf  edirt  und  übersetzt  ist.1  Ferner 
das  Vishnu-Pur&na,  von  welchem  Wilson  eine  Uebersetzung 
lieferte;*  dann  das  M&rkandeya-Pur&na,'  das  Agni-Pu- 
r&na,'  das  Kalki-Pur&na,6  Linga-PurAna,6  Padma-Pu- 
räna,  Skanda-Pur&na,  Garurja-Purana,  Brahmavai- 
▼arta-Purana,  Vayu-Purana,  Matsya-Purana, 

Eine  Reihe  von  interessanten  Episoden  aus  diesen  Purana's 
findet  man  in  poetischer  Form  sehr  ansprechend  wiedergegeben 
in  des  Grafen  Adolf  Friedrich  v.  Schack  „Stimmen  vom 
Ganges".7 

Da  finden  wir  z.  B.  die  erbauliche  Geschichte  von  Pra- 
hrada,  dem  frommen  Sohne  des  Riesenkönigs  Hiranyakacipu,8 
aus  dem  Bhägavata-Purana,  welches  speciell  der  Verehrung  des 
Vishnu  geweiht  ist  Der  gottlose  Riese  hasst  den  Vishnu  und 
sucht  in  blinder  Wuth  alle  Verehrer  des  Gottes  zu  vertilgen. 
„Auf!44  ruft  er  seinen  Genossen  zu, 

„Auf  zum  Kampfe!   Alle  Vedaleser, 
Alle  Büsser,  Alle,  die  zu  Vishnu 
Beten,  mordet  mir!   Kein  frommer  Siedler, 
Kein  Brahmane  sei  verschont!   Mit  Fener 
Und  mit  Schwert  verwüstet  alle  Lander! 


1  Paris  1840.  1844  (2  Bände)  mit  französischer  Uebersetzung.  Das 
Bhägavata-P.  ist  auch  in  Bombay  herausgegeben,  1839;  1860;  1880. 

*  DasVishnu-P.  ist  in  Bombay  edirt  (1867);  Wilson's  Uebersetzung 
desgelben  ist  von  F.  E.  Hall  in  6  Banden  neu  herausgegeben  (1864—1870). 

*  Markandeya-P.  edirt  in  der  Bibl.  Indica  von  Banerjea  (1855—1862). 
Buch  7  *und  8  des  Mark  -Pur.,  die  Hariccandra-*Sage  enthaltend,  iBt  von 
Fr.  Bockert  übers.  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  XIII,  p.  103  flg. 

4  Agni-P.  in  der  Bibl.  Ind.  1870—1879  (von  Rajendralala  Mitra); 
von  Jlvananda  Vidyasagara  Calcutta  1882. 

*  Kalki-P.  edirt  Calcutta  1878. 

*  Lifiga-P. ,  Uthograph.  Ausgabe  in  Bombay  1858;  desgl.  Stücke 
der  weiteren,  oben  genannten  Purana's.  Vgl.  Weber,  Ind.  Ut,  2.  Aufl. 
p.  208  Anm. 

7  Zweite  Auflage,  Stuttgart  1877.  Sind  dies  auch  nicht  eigentliche 
Uebersetzungen,  bo  sind  sie  doch  durch  die  ebenso  treue  wie  feinsinnige 
Wiedergabe  der  indischen  Stoffe  vortrefflich  dazu  angethan,  dem  Ferner- 
stehenden  einen  Begriff  von  Geist  und  Ton  jener  grossen  theosophisch- 
epischen  Dichtungen,  die  verschiedene  Götter,  vor  Allem  aber  den 
Vishnu  verherrlichen  und  „in  der  Lehre  von  der  Verneinung  des  Willens 
zum  Leben,  der  Nichtigkeit  und  Traumhaftigkeit  der  ganzen  Erschei- 
nungswelt vielfach  an  die  heiligen  Schriften  der  Buddhisten  anklingen", 
zu  verschaffen.    Vgl.  a.  a.  0.  das  Nachwort  p.  215. 

*  Diese  Geschichte  enthalt  die  Schilderung  von  dem  früher  er- 
wähnten Avatara  des  Vishnu  als  Mannlöwe. 


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—   512  — 

Feuerbr&nde  schleudert  auf  die  Tempel, 
Die  dem  Gott  geweiht  sind,  und  zertrümmert 
Jeden  Altar,  dass  fortan  kein  Opfer 
Mehr  ihm  leuchte!   Sein  und  alier  Götter 
Dienst  soll  aus  der  Welt  fortan  verschwinden!" 

Verheerend  breiten  eich  die  Riesen  über  die  ganze  Erde 
aus  und  vertilgen  alle  Frommen,  der  Riesenkönig  aber  baut 
sich  ein  herrliches  Schloss  auf  dem  Hiinalaya  und  freut  sich 
seines  Sieges.  Er  hat  einen  Sohn,  Prahräda  mit  Namen,  einen 
Knaben  sanften  und  nachdenklichen  Sinnes.  Der  Name  Vishnu's 
darf  vor  ihm  nicht  genannt  werden,  aber  dennoch  —  wunder- 
bar! —  keimt  schon  früh  in  der  Seele  des  Knaben  die  Ver- 
ehrung zu  dem  Gotte,  und  als  eines  Tages  der  Vater  ihn  fragt: 
„Sag,  mein  Söhnchen,  was  du  gelernt  hast!"  da  erwidert  er: 

„Eins  hab'  ich  gelernt,  das  Eine,  was  zu 
Wissen  noth  thut,  —  Andacht  und  Verehrung 
Zu  dem  Urgrund  alles  Seins  zu  hegen« 
Zu  dorn  unvergänglichen  Herrn  des  Weltalls, 
Der  nicht  Anfangt  Mitte  nicht,  noch  Ende 
Hat,  und  der  in  Allem  ist,  wie  Alles 
Nur  in  ihm!" 

Wüthend  fährt  der  Vater  über  den  erschrockenen  Lehrer 
her,  aber  Prahrada  bestätigt,  dass  er  selbst,  ganz  allein  zu 
dieser  Erkenntniss  gekommen  sei,  denn  „wie  der  Demantstein 
das  Eisen*  ziehe  der  Gott  der  Götter  seinen  Geist  an.  Da  er 
hartnäckig  bei  diesem  Bekenntniss  bleibt,  überantwortet  der 
Vater  ihn  den  Henkern.  Aber  Schwerter  verwunden  ihn  nicht! 
Er  wird  unter  die  Ijüsse  wüthender  Elephanten  geworfen,  — 
sie  thuen  ihm  keinen  Schaden.  Erneute  Versuche,  ihn*  zu  an- 
dern Ansichten  zu  bringen,  schlagen  fehl.  Er  wird  in  einen 
Abgrund  gestürzt,  —  ohne  Erfolg.  Da  versenken  ihn  endlich 
die  Riesen  tief  ins  Meer  hinab  und  thürmen  Berge  über  seinem 
Haupte  auf.  Aber  auch  dort  in  der  grausigen  Tiefe  hört  Pra- 
hräda nicht  auf,  Vishnu  als  die  Seele  des  Weltalls  zu  preisen. 
Da  gewinnt  er  Kraft,  die  Gebirge  von  sich  abzuschleudern,  und 
tritt  unversehrt  wieder  vor  den  Vater.  Wutb schnaubend  be- 
gegnet dieser  seinem  erneuten  Bekenntniss  von  Vishnu,  der  ihn 
gerettet  „Was  fabelst  du?"  ruft  der  gottlose  Riese;  „wenn 
Vishnu  überall  in  allen  Dingen  ist,  sprich,  warum  ist  er  dann 
nicht  auch  in  dieser  Säule?*'  Und  mit  diesen  Worten  schlägi 
er  mit  geballter  Faust  gegen  die  Jaspissäule.  Sieh,  da  spaltet 
sich  die  Säule,  und  hervor  tritt  in  furchtbarer  Gestalt,  halb 
Mann  halb  Löwe,  Vishnu  und  zerreisst  mit  seinen  Tatzen  den 


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—   513  - 

i 

Frevler,  dessen  Maass  nun  endlich  voll  ist.  Den  frommen  Pra- 
hräda  aber  setzt  der  Gott  zum  Herrscher  ein. 

Sehr  anmuthig  ist  die  Geschichte  von  König  B ha  rata,  die 
ebenfalls  dem  Bhägavata-Purana  entnommen  ist.  Dieser  Fromme 
hat  nach  einem  gerechten  und  weisen  Leben  in  die  Wiidniss 
ach  zurückgezogen,  um  nur  noch  den  Gedanken  an  die  Gott- 
heit 7v  loben.  Alle  Liebe  zu  den  Erdendingen  hat  er  abge- 
^reift  und  abgetüdtet.  da  läuft  ihm  eines  Tages  eine  arme 
kleine  Antilope  in  den  Weg.  deren  Mutter,  von  einem  Löwen 
verfolgt  eben  im  Bergstrom  ertrunken  ist.  Mitleid  erfaßt  den 
König,  er  nimmt  das  Thierchen  auf,  beschirmt  und  pflegt  es. 
und  zärtlich  vergilt  ihm  das  hülflose  Geschöpfchen  seine  Liehe. 
Und  nuu  hangt  der  König  mehr  und  mehr  sein  Herz  an  die- 
ses Thier,  das  treu  bei  ihm  ausharrt  bis  zu  seinem  Tode  und 
:;<jch  neben  seiner  Leiche  wimmernd  dasteht.  Aber  weil  der 
König  so  seiue  Gedanken  wieder  auf  das  Zeitliche  gerichtet, 
nicht  gänzlich  in  den  Urgeist  sich  vertieft  hatte,  inuss  aufs 
Neue  er  die  Körperwelt  durchwandern,  und  man  sagt,  duss 
nach  dem  Tode  er  als  Gazelle  wiedergeboren  sei. 

Auch  die  Erzählung  von  dem  frommen  Dhruva.  Oer  zu- 
letzt zum  Lohn  für  seine  Frömmigkeit  zum  Polarstern  erhöht 
wird,  gehört  dem  Bh&gavata-Puräua  an.  Desgleichen  die  merk- 
würdige Geschichte  vom  Sohn  des  Königs  Tschitraketu. 

Merkwürdig  ist  auch  die  Erzählung  \on  Räivata,  welche 
»ehr  an  die  bekannte  Sage  vom  Mönch  Petrus  erinnert,  aus 
dem  Vishnu- Purana.  König  Raivata  hat  eine  schöne  Tochter 
und  weiss  nicht,  welchem  Eidam  er  sie  geben  soll.  Da  ent- 
schhesst  er  sich,  mit  ihr  vor  Brahma's  Angesicht  /.u  treti-n, 
ihn  um  Rath  zu  fragen.  Er  findet  auch  den  Weg  zum  Himmel 
Brahma  s,  freut  sich  dort  der  Herrlichkeit  des  Gottes  und  lauscht 
dem  Liede  der  himmlischen  Säuger.  Wenig  Augenblicke  glaubt 
er  dort  zu  weilen,  aber  als  er  wieder  zur  Erde  zurückkehrt, 
findet  er  Alles  verwandelt,  Niemand  lebt  mehr,  den  er  gekannt, 
and»  Menschen,  andre  Tempel  und  Paläste  erblickt  sein  Auge, 
dam,  viele  Menschenalter  sind  indess  vergangen.  Dem  Rathe 
Brahma's  gemäss  vermählt  er  seine  Tochter  dem  inzwischen 
Mensch  gewordenen  Vishnu,  selbst  aber  zieht  er  sich  für  die 
letzten  Lebenstage  in  die  Einsamkeit  des  Himalaya  zurück. 

Dem  Vishnu-Puräna  entstammt  auch  die  Geschichte  von 
Siubhari,  einem  Siedler,  der  nach  zahlreicher  Nachkommen- 
schaft sich  sehnt  und  dem  dieser  Wunsch  in  ungemeiner 


•  S.  Schick,  a.  s.  0.  p.  138. 

»  Sekr»4«r,  fodi«as  Lit.  u.  Cult.  33 


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-  514 


Weise,  eine  Generation  um  die  andre,  erfüllt  wird,  bis  er  end- 
lich zur  Erkenntnis  kommt,  dass  man  auf  solchem  Wege  nie 
an's  Ende  der  Wunsche  gelangen  kann. 

Ganz  andersartig  ist  die  von  Ho ef er1  bearbeitete  Episode 
vom  weisen  Kandu,  aus  dem  Brahma-PurAna.  Dieser  Fromme 
setzt  durch  allzu  grosse  Busse  die  Götter  in  Angst,  sie  senden 
ihm  die  schöne  Nymphe  Pramlocä  zu,  und  seine  Busse  wird 
denn  auch  erfolgreich  durch  sie  gestört. 


Aehnlich  wie  die  Purana's  mit  dem  Mahabharata  in 
näherer  Verwandtschaft  stehen,  wenngleich  sie  durch  eine  be- 
deutende Kluft  von  demselben  geschieden  sind,  reihen  sich  an 
das  Ramayana  noch  eine  Anzahl  anderer,  jüngerer  K&vya 
oder  Kunstgedicbte,  d.  h.  Kunstepen. 

Am  Bedeutendsten  und  Selbständigsten  sind  unter  den- 
selben zwei  Dichtungen,  welche  dem  Kalidasa  zugeschrieben 
werden,  also  wohl  dem  sechsten  Jahrhundert  nach  Chr.  ent- 
stammen: der  Raghuvamca,*  d.  i.  das  Geschlecht  des  Raghu, 
und  der  Kumärasambhava,*  d.  i  die  Geburt  des  Kriega- 
gottes,  beide  durch  bedeutende  Schönheiten  ausgezeichnet  und 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  echt 

Die  übrigen  Kavya  schliessen  sich  in  Bezug  auf  ihren  In- 
halt meist  an  Mahabharata  und  Ramayana  an.  Sie  mischen 
allmählich  mehr  und  mehr  erotische,  lyrische  und  didaktische 
Elemente  in  das  Epische  hinein  und  verfallen  schliesslich  in 
Schwulst  und  Künsteleien  aller  Art  Die  Inder  führen  sechs 
Kunstepen  an,  denen  sie  den  Titel  Mahakavya  oder  „grosse 
Kavya"  zuerkennen.  Es  sind  dies  ausser  den  beiden  eben- 
genannten Epen  des  Kälidasa  noch:  das  Bhattikavya,4  welches 


1  Albert  Roefer,  Indische  Gedichte,  Leipzig  1844,  Bd.  I  p.  43flg 

2  Herausgegeben  und  übersetzt  von  A.  F.  Stenz ler,  mit  lateini- 
scher Uebersetzung,  London  1832.  Auch  herausgegeben  Calcutta  1832. 
188Q  u.  1884;  Bombay  1880;  und  ferner  von  Shankar  P.  Pandit. 
Bombay  1869—74.  Eine  Episode  des  R.  (Ajas  u.  Indumati)  veröffentlichte 
Rückert  in  deutscher  üebertragung  i.  J.  1838. 

3  Herausgegeben  und  tibersetzt  von  Stenzler,  Berlin-London  1838. 
Auch  von  Bhan  Dhaji,  Bombay  1871;  von  Taranitha  Tarkavacss- 
pati.  Calcutta  1875  (3.  Ed.).  Ins  Englische  übersetzt  von  R.  T.  R 
Griffith,  2.  AuÖ.   London  1879. 

*  Verfasst  in  Valabht  unter  König  (^ridharaseaa,  6.  oder  7.  Jairh 
Vgl.  Weber  a.  a.  0.  p.  213  Anm.  Herausgegeben  Calcutta  1828.  „Fünf 
Gesänge  des  Bhatti- Kavya"  (18-22)  sind  in  deutscher  Uebersetzung, 
nebst  orientirender  Einleitung,  herausgegeben  von  dem  verdienstvollen 
Dr.  <\  Schütz,  Bielefeld  1837. 


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—   515  — 

die  Geschichte  Ruma's  behandelt  und  dem  Bhartrihari  zuge- 
schrieben wird;  das  Maghak ävya  oder  Qicupalabadha  des 
Magna,1  und  das  Kiratärjunlyam  des  Bh&ravi;*  endlich  noch 
das  Nftishadhiyam.3 

Der  Nalodaya  wird  dem  Kalidasa  zugeschrieben,  aber 
schwerlich  mit  Recht.  Es  ist  dies  ein  echtes  Produkt  der 
späteren  Zeit,  ein  Gedicht,  überreich  an  Künsteleien  in  Vers 
und  Form.  Es  erzahlt  die  uns  bereits  bekannte  Geschichte 
von  Nal  und  Damayantl,  aber  die  Axt,  wie  der  Dichter  hier 
seinen  Stoff  behandelt,  ist  so  grundverschieden  von  der  Art  der 
Erzählung  im  Mahäbhärata,  dass  es  kaum  ein  lehrreicheres 
Beispiel  giebt,  um  den  Unterschied  der  älteren  und  der  spä- 
teren epischen  Dichtung  deutlich  zu  macheu.  Der  Dichter  des 
Nalodaya  weiss  nichts  mehr  von  der  echtepischen  Schlichtheit 
des  alten  Gedichtes.  Er  bemüht  sich  vor  Allem  durch  die 
mannigfaltigsten  künstlichen  Metra,  mit  Endreimen  und  Binnen- 
reimen, Alliterationen  u.  dgl  m.,  seine  Virtuosität  in  der  Form 
darzuthun.  Das  eigentlich  Epische  macht  er  oft  sehr  kurz  ab, 
gefällt  sich  dagegen  in  langen  lyrischen  Ergüssen  und  Schilde- 
ningen. So  ist  z.  B.  von  den  vier  Gesängen  des  Gedichtes 
das  zweite,  die  anderen  an  Umfang  noch  überragende,  rein  ly- 
rischer Natur,  das  Glück  des  neuvermählten  Paares  schildernd, 
mit  allerlei  Zuthaten,  die  gar  nicht  dahin  gehören.4 

Auf  was  für  sonderbare  Künsteleien  diese  späteren  Dichter 
bisweilen  verfallen,  kann  das  Beispiel  des  Bhattikavya  be- 
weisen, welches  Gedicht  ganz  eigentlich  mit  dem  Gesichtspunkte 
verfasst  ist,  die  Grammatik  zu  erläutern  und  insbesondere  die 


1  J edenfall 8  vor  dem  End»  des  10.  Jahrhundert  v erfasst  (t.  Weber 
a.  a.  0.)*  Herausgegeben  von  Jivananda  Vidyäsagara,  Calcutta  1884; 
aach  Benares  1883.  Magha's  Tod  des  ^icupala,  übersetzt  und  erläutert 
von  C.  Schütz,  I.  Abth.   Bielefeld  1843.   (Nicht  mehr  erschienen). 

*  Der  Käme  des  Bharavi  erscheint  auf  einer  Inschrift  aus  dem 
Jahre  634  nach  Chr.,  der  Dichter  muss  also  früher  gelebt  haben,  viel- 
leicht im  6.  Jahrhundert  Vgl.  M.  Müller,  Indien  in  s.  B.  p.  262.  — 
Das  Kir.  ist  herausgegeben  von  Jivananda  Vidyäsagara,  Calcutta  1875; 
auch  Calcutta  1879.  —  I.  und  II.  Gesang  übersetzt  von  C.  Schflti, 
Bielefeld  1845. 

*  Aas  dem  12.  Jahrhundert  stammend.  Vgl.  Bühler,  Jonmal 
Bombay  Branch  R.  As.  Soc.  X,  35.  Weber  a.  a.  0.  p.  213.  Heraus- 
gegeben Benares  1880  (lith.). 

4  Der  Nalodaya  ist  schon  im  Jahre  1830  von  F.  Benary  heraus- 
gegeben; im  Jahre  1844  von  Yates  in  Calcutta.  Uebersetzt  ist  er  in 
vortrefflicher  Weise  von  Ad.  Fr.  v.  Sc  hack,  als  Anhang  zur  2.  Aufl. 
seiner  „Stimmen  vom  Ganges  "\1877).  Mit  Glück  sucht  Schack  den 
Formkünsteleien  des  Originals  In  der  Uebersetzung  gerecht  zn  werden. 

33* 


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—    51  — 

unregelmäßig  flectirten  Formen  vorzuführen!  Ein  noch  wunder- 
bareres Kunststück  ist  aber  das  Räghavapfindaviyam  des 
Kaviraja,  das  jedenfalls  erst  nach  dem  zehnten  Jahrhundert 
verfasst  ist.  Dieses  Gedicht  behandelt  nämlich  —  mirabüe 
dictu  —  in  denselben  Worten  zugleich  die  Fabel  des  Ramäyana 
und  die  des  Mahabhärata,1  was  natürlich  nur  durch  eine  Un- 
menge doppelsinniger  Worte  und  Wendungen  zu  Wege  gebracht 
wird.  Es  wird  sich  kaum  aus  anderen  Literaturen  dem  Etwas 
würdig  an  die  Seite  stellen  lassen. 

Zum  Schluss  sei  noch  ein  episches  Gedicht  in  Prakrit  er- 
wähnt, das  dem  berühmten  Kalidäsa  zugeschrieben  wird:  der 
Setubandha*  oder  Ravanabadha,  welches  die  Geschichte  Ramas 
behandelt 


Der  deutsche  Leser  wird  durch  diese  Uebersetzung  vielleicht  am  ehestes 
sich  einen  Bugriff  machen  können  von  der  Dichtungsart  der  jüngeres 
Kavya.  Beispielsweise  höre  man  ein  paar  Strophen  des  ersten  Gesanges  . 

Hört  denn  von  Nal,  dem  gewaltigen  Herrn  and  Gebieter  der  Ni- 
schada-Lander, 

Dem  schlanken,  hochgestaltigen  Volksbehüter  und  Gabenspender, 

Der  edel,  weise -geschäftig  ob  seinem  Reiche  waltete, 

Und  die  Schädel  der  Feinde  kräftig  mit  einem  Streiche  spaltete. 

Der  Keinem  an  Schönheit  Weichende, 
Dem  Gotte  der  Liebe  Gleichende, 
Zermalmte  kämpfend  die  brausenden 
Heeresreihen  zu  Tausenden. 

In  Wagenlenkung,  in  Waffenschwenkung 
Kam  Keiner  ihm  gleich,  dem  grössten  der  Fürsten; 
Vergessend  der  Kränkung,  Hess  ohne  Trankung 
Den  Feind  er,  den  httlfentblössten,  uicht  dursten. 

Verdrossen  war  nie  sein  Geist,  sein  klarer; 
Entsprossen  von  Virasena  war  er, 
Entschlossen  als  Land-  und  Meerbefahrer, 
Genoasen  und  Freunden  ein  Schirmer  und  Wahrer. 

Im  Ruhme  des  Sieges  durchsog  er  das  Land, 

Die  „Blume  des  Krieges",  so  wird  er  genannt  u.  e.  w. 

1  S.  Weber,  a.  a.  0.  p.  218  Anm. 

•  Prakrit  und  Deutsch,  herauag.  von  8.  Goldschmidt  (1880-1884). 
Zwei  Capitel  desselben  waren  schon  früher  (1873)  von  P.  Goldschmidt 
veröffentlicht.  —  Ueber  den  Anlass  des  Kalidäsa  an  diesem  Gedicht  und 
seine  Beziehung  zu  König  Pravarasena  von  Kaschmir,  dem  Erbauer  einer 
berühmten  Schiffsbrücke  über  die  Vitasta  (d.  L  Hydaspes),  vgl.  M.  Müller, 
Indien  in  s.  weltgeschichtl.  Bed.  p.  274.  —  Das  Gedicht  ist  im  MahA- 
rasbtri-Dialekt  geschrieben. 


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I 


Sechsunddreissigste  Vorlesung. 

Die  Märchen-  und  Fabel -Literatur  des  indischen  Mittelalters.  Ueber- 
einstimmung  vieler  Fabeln  mit  den  äsopischen.  Die  Streitfrage,  ob  Ent- 
lehnung dieser  Fabeln  von  der  einen  oder  anderen  Seite  stattgefunden. 
Das  Pancatantra  und  seine  Wanderung  durch  eine  Menge  fremder  Lite- 
raturen. Form  und  Anlage  den  Pancatantra  sowie  des  daraus  hervor- 
gegangenen Hitopadeca.  Die  Reflexionen.  Der  Humor.  Einleitung  und 
Rahmenerzählung  des  Pancatantra.  Erzählung  von  der  „Katze  als  Richter." 

„Der  Esel  als  Sänger." 


Es  bleibt  uns  nun  noch  eine  wichtige  Klasse  epischer 
Dichtungen  zu  besprechen  übrig,  welche  zum  Theil  schon  stark 
in  das  Gebiet  der  Rellexionspoesie  hinübergreift.  Es  ist  dies 
die  bei  den  Indern  reichhaltig  entwickelte  Literatur  der  Mär- 
chen und  Fabeln,  welche  beiden  Gattungen  hier  so  eng  mit 
einander  verbunden,  ja  verwachsen  erscheinen,  dass  es  kaum 
möglich  ist,  sie  gesondert  zu  behandeln,  wennschon  die  Fabel 
sich  ja  streng  genommen  vom  Gebiete  der  Epik  entfernt  and 
in  das  der  Didaktik  eintritt.  Uebrigcns  aber  ist  schon  die 
eigentliche  Epik,  ist  vor  Allem  schon  das  indische  Epos  %ax 
t§0Z>j»»  das  Mahabharata,  wie  überhaupt  der  grössere  Theil 
der  mittelalterlich  indischen  Literatur,  so  stark  mit  didaktischen 
Elementen  durchsetzt,  dass  wir  bei  der  Sonderung  des  Epischen 
und  Didaktischen,  Sententiösen  nicht  allzu  peinlich  verfahren 
dürfen. 

Bei  der  Märchen-  und  Fabel  -  Literatur  der  Inder 
zeigen  sich  nun  —  ganz  im  Gegensatz  zu  den  bisher  be- 
sprochenen Dichtungen  —  zahlreiche  und  nahe  Beziehungen  zu 
den  verwandten  Schöpfungen  andrer  Länder  und  Völker.  Die 
Art  dieser  Beziehungen  liegt  für  die  Märchen  speciell  ziem- 
lich klar  am  Tage.  Dieselben  sind  nämlich  in  reicher  Anzahl 
auf  den  verschiedensten  Wegen,  beständig  sich  umgestaltend, 
weithin  gewandert  zu  den  verschiedensten  Völkern  und  haben 
sich  bei  denselben  das  Heimathsrecht  zu    rwerben  gewusst. 


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Dasselbe  hat  nun  freilich  auch  bei  den  Fabeln  stattgefunden, 
insbesondre  soweit  dieselben  mit  Märchen  verbunden  und  ver- 
webt in  dem  berühmten  Paflcatantra  sich  vorfinden,  dessen 
mannigfache  Wanderungen  und  interessante  Schicksale  wir  später- 
hin betrachten  wollen.  Es  tritt  aber  bei  den  Fabeln  eine  andre 
und  schwierigere  Frage  ein,  deren  Lösung  nur  durch  eingehende 
vergleichend -literarhistorische  Studien  gewonnen  werden  kann, 
—  die  Frage  nämlich,  ob  und  wieweit  dieselben  ureprüngUch 
indisch«  Schöpfungen  sind,  ob  und  wieweit  hier  vielleicht  Ent-' 
lehnungeu  von  andern  Völkern,  insbesondere  den  Griechen,  statt- 
gefunden haben. 

Es  lässt  sich  nämlich  garnicht  verkennen,  —  und  darin 
stimmen  alle  Forscher  überein  — ,  dass  eine  bedeutende  Anzahl 
der  indischen  Fabeln,  wie  sie  uns  im  Paflcatantra,  im  Hitopa- 
deca,  und  zum  Theil  auch  schon  in  einigen  älteren  Werken1 
torliegen,  augenfällig  verwandt  sind  mit  Fabeln,  Welche  sich 
bei  deu  Griechen  besonders  an  den  Namen  des  Aesop  knüpfen 
und  die  uns  als  Fabeln  des  Babrius  erhalten  sind. 

Albrecht  Weber  hatte  sich  zuerst  (L  J.  1852)  in  seiner 
Indischen  Literaturgeschichte  dahin  ausgesprochen,  dass  die  Ori- 
ginale für  viele  jener  griechischen  Fabeln  sich  bei  den  Indern 
nachweisen  liessen;8  und  diese  Ansicht  war  auch  von  A.  Wage- 
ner in  einer  besonderen  Schrift  eingehend  vertheidigt  worden.* 
Weber  aber  kam  nachher,  und  speciell  bei  einer  gründlichen 
Besprechung  der  Wagener'schen  Arbeit,  zu  dem  gerade  ent- 
gegengesetzten Resultate,  dass  nämlich  „bei  fast  jedem  Beispiel 
in  der  griechischen  Fabel  der  indischen  gegenüber  die  Spuren 
der  Originalität  zu  erkennen"  wären;4  dass  somit  von  Seiten 
der  Inder  eine  Entlehnung  stattgefunden  habe.  Als  specielle 
Vermittler  glaubte  er  dabei  die  Buddhisten  annehmen  zu  müssen. 

Diese  spätere  Web  ersehe  Ansicht  wurde  wiederum  von 


1  Wie  im  Mahabhärata  und  in  der  Chandogya-Upanishad  (g.  Weber, 
Ind.  Lit,  2.  Aufl.  p.  228). 

1  Ind.  Lit.  1.  Aufl.,  p.  196. 

3  Essai  sur  les  rapports  qui  existent  entre  les  apologues  de  linde 
et  les  apologues  de  la  Grece  par  A.  Wagen  er,  professenr  agr^ge*  4 
runiversitä  de  Gand.  —  Memoire*  couronnes  et  mlmoires  des  savants 
etrangers,  publies  par  lacaderaie  royale  des  Bciences,  des  lettres,  et  des 
beaux  arts  de  Belgique,  tarn.  XXV.  1851—1858.  BruxeUes  1852.  (Diese 
Schrift  hatte  schon  im  Jahre  1849  einen  Preis-  der  philosoph.  Fakultät 
in  Bonn  gewonnen  und  war  im  Jahre  1852  der  Belg.  Academie  über- 
reicht worden). 

4  8.  Weber,  Ueber  den  Zusammenhang  indischer  Fabeln  mit  grie- 
chischen, Ind.  Stud.  III,  p  327;  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  228  Anm. 


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—   519  — 

Otto  Keller  in  seiner  Schrift  „Ueber  die  Geschichte  der  griech. 
Fabel**  (1862)  bekämpft,  indem  derselbe  durchaus  an  dem  in- 
dischen Ursprung  dieser,  den  Indern  und  Griechen  gemein- 
samen, Fabeln  festhielt  und  eine  alte  assyrische  Vermittelung 
annahm.  Weber  ist  indessen  bei  seiner  Ansicht  geblieben  und 
▼ertheidigt  dieselbe,  wenn  auch  kurz,  wieder  in  der  zweiten 
Auflage  seiner  Indischen  Literaturgeschichte.  Nach  Weber's 
Meinung  wäre  dann  weiter  die  griechische  Thierfabel  semi- 
tischen Ursprungs.1 

Auch  Benfey  war  der  Meinung,  dass  die  indischen  Thier- 
fabeln  meist  griechischen  Ursprungs  wären,  wenn  er  auch  den 
Indern  die  Selbständigkeit  nicht  ganz  abspricht  Er  präcisirt 
das  Ergebniss  seiner  Untersuchungen  dahin,  „dass  im  Allge- 
meinen die  meisten  Thierfabeln  aus  dem  Occident  stammen, 
mehr  oder  minder  umgewandelte  sogen,  äsopische  sind;  doch 
tragen  einige  auch  das  Gepräge  indischen  Ursprungs,  sowie 
denn  überhaupt  die  grosse  Fülle  indischer  Fabeln,  die  Freiheit, 
mit  welcher  die  entlehnten  behandelt  sind,  und  manche  andre 
Momente  dafür  sprechen,  dass  die  Inder  schon  vor  Bekannt- 
schaft mit  der  von  den  Griechen  überkommenen  äsopischen 
Thierfabel  eigene  Gebilde  von  wesentlich  gleicher  Art  —  und 
zwar  wahrscheinlich  in  groaser  Menge  —  geschaffen  hatten."2  1 

Wir  stehen  hier  vor  einer  schwierigen  Streitfrage.  Wage- 
ner und  Keller  sind  gegen  Weber  und  Benfey  entschieden 
im  NachtheU  dadurch,  dass  sie  sich  auf  dem  indischen  Gebiete 
nicht  mit  der  Sicherheit  dieser  Kenner  bewegen.  Andrerseits 
aber  muss  ich  persönlich  bekennen,  daas  mich  Weber's  Dar- 
legungen von  dem  griechischen  Ursprung  der  indischen  Fabel 
keineswegs  überzeugt  haben. 

Keller  hob  besonders  hervor,  dass  das  in  der  griechischen 
Fabel  bestehende  Verhaltniss  des  Fuchses  zum  Löwen  in  der 


1  S.  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  228  Anm. 

*  Vorrede  zur  Uebersetzung  des  Pantschatantra,  Th.  I  p.  XXI.  — 
Den  Märchen  und  Erzählungen  vindicirt  Benfey  durchaus  indischen 
Ursprung.  Er  ist  der  Meinung,  „dass  wenige  Fabeln,  aber  eine  grosse 
Anzahl  von  Märchen  und  Erzählungen  von  Indien  aus  sich  fast  über  die 
ganze  Welt  verbreitet  haben"  (a.  a.  0.  p.  XXI.  XXII). 

•  Es  wäre  noch  eine  dritte  Ansicht  möglich  und  dieselbe  ist  von 
Jakob  Grimm  ausgesprochen  worden,  dass  nämlich  die  Thierfabel  schon 
in  der  indogermanischen  Urzeit  ausgebildet  gewesen  und  dass  die  Ucber- 
einstimmungen  der  deutschen  Thierfabel  mit  der  griechischen  und 
indischen  sich  eben  durch  die  Urverwandtschaft  dieser  Völker  erklären 
dürften.  (Vgl.  J.  Grimm,  Reinhart  Fuchs  p.  CCLX—LXV;  Weber, 
Ind.  Stnd  ifl  p.  862.) 


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-   520  — 

Natur  beider  Thiere  keinen  Halt  habe,  während  der  Schakal 
zu  dem  Löwen  in  der  That  in  dem  in  der  griechischen  Fabel 
geschilderten  Verhältniss  stehe.  Weber  aber,  der  semitischen 
Ursprung  der  griechischen  Fabel  annimmt,  meint  dagegen,  dass 
es  Schakale  ja  auch  in  den  von  Semiten  bewohnten  Ländern 
gehe,  dass  der  semitische  Schakal  sich  bei  den  Griechen  in  den 
Fuchs,  der  griechische  Fuchs  sich  aber  beim  Uebergang  zu  den 
Indern  wieder  in  den  Schakal  habe  verwandeln  können  —  eine 
Annahme,  die  doch  sehr  künstlich  und  unwahrscheinlich  sein 
dürfte  1  Es  ist  ferner  sehr  beachtenswerth,  dass  sowohl  Ben- 
fey*  als  Weber  zugeben,  dass  die  Inder  schon  vor  jenen  Ent- 
lehnungen von  den  Griechen  eine  selbständige  Fabeldich- 
tung geschaffen  haben,  wofür  ausser  Anderem  namentlich  auch 
die  in  der  Chändogya-Upanishad  sich  findenden  Fabel- Ansätze 
als  Beweis  dienen.9  Sodann  war  wohl  auch  die  Lehre  von  der 
Seelenwanderung  besonders  geeignet,  dem  Entstehen  der  Thier- 
fabel den  Boden  zu  bereiten.  Wir  gewahren  namentlich  bei 
den  Buddhisten  frühe  schon  eine  Neigung  zu  parabolischen,  be- 
lehrenden Geschichtchen,  unter  denen  die  sogenannten  J&taka's, 
Erzählungen  von  früheren  Existenzen  des  Buddha,  besonders 
wichtig  sind;  da  tritt  nun  auch  der  Buddha  bald  als  dieses 
bald  als  jenes  Thier  handelnd  au£* 

Andrerseits  hat  Weber  gewiss  mit  Recht  betont,  dass 
Wagener  und  Keller  das  Alter  der  betreffenden  indischen  Auto- 
ren  überschätzen.5  Desgleichen,  dass  wir  bei  einem  indischen 
Ursprung  der  Fabeln  wohl  öfters  den  Indien  eigentümlichen 
Thicron,  wie  dem  Papagei,  dem  Elephanten  u.  a.  m.  begegnen 
würden.  Das  ist  nun  in  der  That  nicht  der  Fall.6  Endlich 
wird  durch  eine  sehr  interessante  archäologische  Thatsache 
die  Existenz  äsopischer  Thierfabeln  in  Griechenland  schon  für 
»las  sechste  Jahrhundert  vor  Chr.  sicher  bezeugt,  also  für  eine 

'  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  228  Anm. 
1  S.  oben  p.  519. 

'  S.  Ind.  Stud.  III  p.  361.  —  „Von  dergleichen  einst  bestehende», 
aber  nun  verlorenen  Fabeln  baben  wir  wenigstens  in  einigen  sprüch- 
wörtlichen Redensarten,  z.  B.  kakatallya,  ajakrp*n!ya  hinlängliche  Spa- 
ren."   Ind.  Stud.  III,  p.  862. 

4  Eine  beträchtliche  Menge  der  Fabeln  und  Erzählungen  des  Pan- 
catantra  lassen  sich  auch  in  buddhistischen  Sehriften  nachweisen  and 
nach  Benfey's  Darlegungen  ist  es  wahrscheinlich,  dass  das  Pancatantra 
ursprünglich  ein  buddhistisches  Werk  war,  aas  dem  buddbist.  Literatur- 
kreide  hervorging.  (S.  Vorrede  zu  Pantsch.  Th.  I  p.  XI.) 
S.  Ind.  Stud.  III,  330.   Ind.  Lit  2.  Aufl.  p.  229. 

'*  S.  Weber,  Ind.  Stud.  III,  333. 


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521  — 


Zeit,  wo  an  eine  Entlehnung  von  Indien  her  nicht  wohl  zu 
denken  ist1 

Bei  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Frage  wage  ich  es 
nicht,  ein  abschliessendes  Urtheil  auszusprechen.  Es  wäre  da- 
zu eine  weitgehende  vergleichend  -  literarhistorische  Unter- 
suchung nöthig,  die  wir  hier  unmöglich  anstellen  können.  Wir 
müssen  uns  begnügen,  die  Hoffnung  auszusprechen,  dass  die 
Frage  von  kundiger  Hand  noch  einmal  aufgenommen  und  end- 
gültig gelöst  werde. 


Das  reichhaltigste,  literarhistorisch  wichtigste  und  inter- 
essanteste Märchen-  und  Fabelwerk  der  Inder  ist  das  so- 
genannte Paflcatantra  oder  „das  Fünfbuch",  dessen  Ent- 
stehungszeit wir  gar  nicht  mit  Sicherheit  angeben  können,  von 
dem  wir  aber  doch  wissen,  dass  es  im  sechsten  Jahrhundert 
nach  dir.  bereits  existirte,  denn  zu  dieser  Zeit  wurde  «I  auf 
Befehl  des  berühmten  persischen  Herrschers  KhOr.ru  Anu- 
shirvan*  in  das  Pehlewi,  d.  i.  die  damals  geltende  persische 
Sprache  übersetzt.  Man  darf  wohl  annehmen,  dass  das  Werk 
schon  längere  Zeit  vorher  in  Indien  bekannt  und  berühmt  war, 
ehe  ihm  eine  solche  Anerkennung  ausserhalb  der  Grenzen  des 
Ursprungslandes  zu  Theil  wurde;  wie  lange  vorher,  das  können 
wir  aber  freilich  nicht  sagen.3 

Das  Paflcatantra  war  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ur- 
sprünglich ein  buddhistisches  Werk  oder  ist  doch  aus  bud- 
dhistischen Quellen  geflossen.  Dies  hat  schon  Benfey  ausge- 
sprochen. Er  schlos8  es  vor  Allem  aus  der  ziemlich  beträcht- 
lichen Menge  von  Fabeln  und  Erzählungen  unseres  Werkes,  die 
sieb  in  buddhistischen  Schriften  nachweisen  Hessen.  „Gerade 
die  Menge,  sowie  das  Verhältniss  ihrer  Darstellung  in  unserm 
Werk  zu  der  in  den  buddhistischen  Schriften  erscheinenden^ 


1  Ich  verdanke  diese  wichtige  Notiz  Herrn  Prof.  LwBBchcke.  Siehe 
A.  Furtwaengler,  Vasencatalog  des  Berliner  MuaeumB  (Berlin  1885). 
Auf  einem  thönernen  Täfelchen  Pinax)  aus  Korint  h  lasst  sich  deutlich 
die  Darstellung  der  äsopischen  Fabel  von  uem  Fuchs  und  Raben  er- 
kennen; das  Stück  stammt  ebenso  wie  die  meisten  anderen  korinthischen 
Pinakes  noch  aus  dem  6.  Jahrhundert  vor  Chr.  (Antike  Denkmäler  I 
Taf  8  4') 

*  Zwischen  531—570  nach  Chr. 

'  Nach  Benfey,  der  eine,  Menge  äsopischer  Fabeln  in  dem  P.  an- 
nimmt, waren  die  Grenzen  dfcr  Entstehung  das  2.  Jahrhundert  vor  Chr. 
(denn  erst  dann  war  eine  irjiige  Berührung  der  Inder  und  Griechen  ein- 
getreten) und  das  6.  Jahrhundert  nach  Chr.   (8.  Vorrede  au  Pantsch. 

Th.  I  p.  XI.) 


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bewegt,  ja  nöthigt  zu  der  Annahme,  dass  die  letzteren  die 
Quelle  waren,  aus  der  unser  Werk  im  buddhistischen  Litera- 
turkreise hervorging." 1 

Für  diese  Ansicht  spricht  auch  der  Umstand,  dass  der 
Buddhismus  ganz  besonders  ein  Freund  von  Fabeln,  Parabeln 
und  Legenden  war.  Stanislas  Julien  hat  in  zwei  chine- 
sischen Encyklopädieen,  deren  ältere  im  Jahre  668  vollendet 
ward,  eine  grosse  Menge  indischer  Fabeln  in  chinesischer  Ueber- 
setzung  gefunden,  und  es  werden  in  einer  dieser  Encyklopädieen 
nicht  woniger  als  202  buddhistische  Werke  citirt,  aus  denen 
sie  geschöpft  hat.5 

Seinem  ursprünglichen  Zwecke  nach  war  das  Paficatantra 
vermuthlich  ein  „Fürstenspiegel",  ein  Lehrbuch  der  Lebensweis- 
heit für  Prinzen  und  Könige.8  Der  Umfang  des  Werkes  be- 
trug früher  —  wie  wir  aus  den  ältesten  Uebersetzungen  sehen 
—  nicht  5  Bücher,  sondern  12,  und  erst  später  wurde  es  zum 
eigentlichen  Paficatantra  oder  „Fünfbuch".4  Der  Name  muss 
ursprünglich  natürlich  auch  ein  anderer»  .gewesen  sein;  doch 
wissen  wir  nicht,  wie  er  gelautet.6 

Merkwürdige  Schicksale  hat  das  Paficatantra  durchgemacht 
und  viel  Hesse  sich  davon  erzählen.  Fast  gleicht  es  selbst 
eiuem  Märchen,  wie  dieses  Werk .  gewandert  ist  von  Land  zn 
Land,  von  Jahrhundert  zu  Jahrhundert,  überall  sich  heimisch 
zu  machen  wusste,  die  Sympathie  der  Ungelehrten,  Unterhal- 
tungslustigen, die  Bewunderung  der  Gelehrten  und  Weisen  der 
fernsten  Länder  errang.  Die  verschlungenen  Wege  dieser  Wan- 
derung sind  vor  Allem  durch  Benfey's  bahnbrechende  Unter- 
suchungen in  seiner  Einleitung  zur  Uebersetzung  des  Pafica- 
tuntra  klargelegt  worden.6  Suchen  wir  diese  Wanderung  we- 
nigstens in  ihren  Hauptzügen  zu  verfolgen. 

1  Vorrede  zu  Pantsch.  Th.  I  p.  XI. 

•  Benfey,  a.  a.  0.  p.  XII. 

■  Benfey,  a  a.  0.  p.  XV.  XVI. 

4  D.  h.  ein  aus  fünf  Büchern  bestehendes  Werk. 

5  Man  könnte  vermuthen,  dass  das  Werk  ursprünglich,  ebenso  wie 
in  den  ältesten  Uebersetzungen,  nach  den  beiden  Schakalen  benannt  war, 
die  im  ersten  Buche  die  Hauptrolle  spielen.  Darnach  hatte  es  etwa 
Karatakadamanakiyam  heissen  können,  d.  i.  die  Geschichte  von  Karataka 
und  Damanaka,  wie  es  im  Arabischen  Kaliiah  und  Dimnah,  im  Syrischen 
Kaiilag  und  Daninag  heisst.  Der  Titel  des  ersten  Buches  hatte  sich 
dabei  zur  Bezeichnung  des  ganzen  Werkes  erweitert,  wie  dies  im  Ara- 
bischen u.  8.  w.  thatsächlich  der  Fall  war. 

•  Pantschatantra,  Fünf  Bacher  indischer  Fabeln»  Märchen  und 
Erzählungen.  Aus  dem  Sanskrit  übersetzt  mit  Einleitung  und  Anmer- 
kungen von  Th.  Benfey.  Erster  Theil,  Einleitung:  üeber  das  indische 


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—   523  — 

Das  Paficatantra  wurde,  wie  schon  erwähnt,  im  sechsten 
Jahrhundert  unter  Khosru  Anushirvan  in  das  Pehlewi, 
übersetzt  Aus  dem  Pehlewi  wurde  es  dann  weiter  in's  Ara- 
bische übertragen.  Die  Pehlewi- Uebersetzung  selbst  ist  uns 
nicht  erhalten,  wohl  aber  die  arabische,  und  zwar  in  mehreren 
Recensionen.  Hier  trägt  das  Werk  den  Namen  Kalilah  und 
Dimnah.  Dies  sind  die  Namen  zweier  Schakale  —  im  Indi- 
schen Karataka  und  Damanaka  —  welche  im  ersten  Buche  des 
Paficatantra  die  Hauptrolle  spielen.  Nach  ihnen  ist  also  hier 
das  ganze  Werk  benannt1  und  diesen  Namen  behält  es  auf 
seiner  Wanderung  noch  lange  bei.  Aus  dem  Arabischen  wurde 
es  dann  im  11.  Jahrhundert  durch  einen  gewissen  Symeon 
8eth  in's  Griechische  übersetzt  Im  12*  Jahrhundert  wiederum 
in's  damalige  Persisch,  durch  Nasr  Allah.  Auf  dieser  Ueber- 
setzung beruht  die  drei  Jahrhunderte  später  verfertigte  Bear- 
beitung von  Hu sa in  Va'iz,  unter  dem  Titel  Anvar-i-Suhaill, 
und  ans  dieser  ist  dann  wiederum  die  türkische  Recension 
geflossen.  Auch  in  das  Syrische  fand  unser  Werk  aus  dem 
Arabischen  seinen  Weg,  und  ist  diese  syrische  Uebersetzung 
erst  in  neuerer  Zeit  durch  So  ein  aufgefunden  und  von  B  icke  11 
edirt  worden.*  Am  Wichtigsten  für  die  Culturgeschichte  sollte 
aber  die  Uebersetzung  aus  dem  Arabischen  in's  Hebräische 
werden,  die  wahrscheinlich  von  einem  Rabbi  Joel  angefertigt 
wurde,  jedenfalls  vor  dem  Jahre  1250.  Diese  hebräische  Ueber- 
setzung wurde  noch  im  13.  Jahrhundert  durch  Johann  von 
Capua  in's  Lateinische  übersetzt,  und  zwar  sehr  steif,  mit 
fast  sklavischer  Treue.9  Aus  dem  Lateinischen  des  Johann 
von  Capua  wurde  nun  endlich  im  15.  Jahrhundert  unter  den 
Auspicien  des  bekannten  Grafen  Eberhard  von  Württemberg 
eine  vortreffliche  deutsche  Uebersetzung  angefertigt  Die- 
selbe wurde  gedruckt  und  gehörte  sogar  zu  den  ersten  Erzeug- 
nissen der  deutschen  Buchdruckerkunst,  die  ja  bekanntlich  da- 
mals erst  in's  Leben  trat,  —  immerhin  doch  auch  keine  geringe 
Ehre,  die  dem  indischen  Fabelwerke  gleich  in  Deutschland  zu 
Theil  wurde.  Sie  erschien  zuerst  sine  loco  et  anno,  wahrschein- 


Grundwerk  und  dessen  Ausflüsse,  sowie  über  die  Quellen  und  Verbrei- 
tung des  Inhalts  derselben.  Zweiter  Theil,.  Uebersetzung  und  Anmer- 
kungen.  Leipzig  1659. 

1  VgL  oben  p.  522  Anm. 

4  Als  Kalilag  and  Damnag,  mit  noch  sehr  alterthümlicher  Namens- 
form  (Leipzig  1876). 

*  Die  Utein.  Uebersetzung  fallt  in  die  Jtfhre  von  126a— 1278.  Vgl. 
Benfey,  Pantsch.  I  p.  15. 


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lieh  aber  im  Jahre  1480,  unter  dem  Titel  „Buch  der  Byspel 
der  alten  Weisen."  Das  Interesse  an  diesem  Buche  muss  in 
Deutschland  gleich  ein  bedeutendes  gewesen  sein,  denn  es  er- 
lebte in  kurzer  Frist  mehrere  Auflagen,  was  für  jene  Zeit,  wo 
der  Bücherhandel  erst  im  Entstehen  war,  gewiss  viel  sagen  will 
Es  wurde  im  Jahre  1483,  dann  1484  und  1485  in  Ulm  neu 
aufgelegt,  während  zugleich  1484  auch  in  Augsburg  eine  neue 
Ausgabe  erschien.  Mehrere  Jahrhunderte  hindurch  wurde  es 
dann  noch  vielfach  neu  gedruckt,  wenn  auch  leider  in  ziemlich 
schlechten  Abdrücken. 

Auf  diese  deutsche  Uebersetzung  legt  Benfey  ein  grosses 
Gewicht,  und  mit  Recht.  In  Indien  wurde  das  Werk  nämlich 
im  Laufe  der  Jahrhunderte  bedeutend  umgestaltet,  wie  das  bei 
indischen  Profan-Dichtungen  überhaupt  häufig  vorkam,  so  dass 
wir  als  die  älteste  Recension  diejenige  ansehen  müssen,  auf 
welcher  die  alte  Pehlewi- Uebersetzung  und  darnach  die  ara- 
bische Uebersetzung  beruhten,  welche  Recension  wir  aber  nur 
aus  diesen,  resp.  den  daraus  geflossenen  Uebersetzungen  kennen. 
Nun  aber  ist  die  Pehlewi-Uebersetzung  verloren,  die  arabische 
im  Laufe  der  Zeit  vielfach  umgestaltet,  so  dass  wir  als  treu- 
esten  Reflex  der  alten  arabischen  Uebersetzung  die  früher  er- 
wähnte hebräische  des  Rabbi  Joel  betrachten  müssen.  Diese 
letztere  ist  nun  freilich  theils  verloren,  theils  noch  nicht  edirt 
und  muss  man  sich,  um  dieselbe  kennen  zu  lernen,  am  Besten 
an  die  lateinische  Uebersetzung  des  Johann  von  Capua  halten. 
Diese  aber  ist  wiederum  ihrer  schlechten  Sprache  wegen  fast 
unlösbar,  und  so  ergiebt  sich  —  merkwürdig  genug  — ,  wie 
Benfey  zeigt,  die  aus  der  lateinischen  geflossene  deutsche  Ueber- 
setzung „gewissermassen  als  lesbar  treuester  Spiegel 
des  alten  indischen  Grundwerkes.4*1 

Die  deutsche  Uebersetzung  vertritt  also  eine  ältere  Recen- 
sion, als  wir  sie  jetzt  irgend  noch  in  Indien  selbst  vorfinden, 
und  verdient  demnach  in  hohem  Grade  uuser  Interesse.  Aus 
diesem  Grunde  habe  ich  es  mir  nicht  versagen  wollen,  Ihnen 
einen  Abdruck  derselben  vorzulegen,  den  die  hiesige  Universitäts- 
bibliothek besitzt,  wenn  derselbe  auch  erst  aus  dem  Jahre  1545 
stammt.* 


1  S.  Benfey,  Vorrede  zum  Pantsch.  I  p.  XXI. 

*  Der  Titel  lautet  hier :  „Der  Alten  Weisenn  exempel  sprach 
mit  viel  schönen  Beyspilen  und  figuren  erleuchtet.  Darinnen  fast  alter 
menschen  Wesen,  Handel,  Untrew,  List,  Geschwindigkeit,  Neyd  und  Hafe? 
figuriert  und  angezeygt  werden.  In  welchem  auch  nicht  weniger  der 
heymlich  heyd  und  hafss,  so  sich  bey  weilen  an  Küniglichen  und  Fürst- 


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525 


Die  deutsche  Uebersetzung  ist  nach  Benfey  auch  von 
wesentlichem  Einfluss  auf  die  spanische  gewesen;1  aus  der 
spanischen  ist  die  italienische  geflossen*,  und  auf  dieser  be- 
ruhen wieder  die  französische  und  die  englische  Ueber- 
setzung des  Werkes. 

Es  Hessen  sich  die  vielverschlungenen  Bahnen,  die  unser 
Werk  gewandert  ist,  noch  sehr  viel  weiter  verfolgen,  aber  das 
Angeführte  wird  vielleicht  genügen,  um  eine  Vorstellung  davon 
zu  geben,  wie  sich  das  Interesse  an  demselben  von  einer  Nation 
zur  anderen  fortpflanzte,  welche  Bedeutung  es  für  die  Welt- 
literatur gewonnen,  und  wir  thun  wohl  besser,  wenn  wir  jetzt 
Einiges  von  dem  Inhalte  desselben  kennen  zu  lernen  suchen. 

Hinsichtlich  der  Form  und  Anlage  des  Paficatantra, 
wie  auch  der  anderen  indischen  Fabel-  und  Märchenwerke,  ist 
vor  Allem  zu  bemerken,  dass  in  denselben  eine  Menge  ver- 
schiedener Erzählungen  in  den  Rahmen  einer  Erzählung 
eingefügt  sind.  Die  in  der  Haupt-  oder  Rahmenerzählung  auf- 
tretenden Personen  erzählen  sich  die  verschiedenen  Geschichten 
wechselseitig,  zur  Belehrung  oder  zum  Beweise  der  Richtigkeit 
ihrer  speciellen  Ansichten.  In  eine  der  erzählten  Geschichten 
können  dann  wieder  andere  in  gleicher  Weise  eingefügt  sein, 
so  dass  wir  schliesslich  ein  buntes,  mosaikartig  zusammen- 
gesetztes Bild  vor  uns  haben,  das,  durch  einen  einheitlichen 
Rahmen  zusammengehalten,  doch  eine  Menge  verschiedenartiger 
Geschichten  und  Bilder  enthält. 

Diese  eigentümliche  Rahmeneinkleidung  ist  mit  den  Mär- 
chen- und  Fabelwerken  der  Inder  auch  in  andere  Länder  ge- 
wandert und  von  manchen  orientalischen  Völkern,  wie  nament- 
lich den  Arabern,  Persern  u.  a.  vielfach  nachgeahmt  worden, 
ja  hat  sich  dort  iür  ähnliche  Schöpfungen  ganz  eingebürgert; 
man  denke  nur  an  Tausend  und  Eine  Nacht  Nachahmungen 
derselben  begegnen  wir  aber  auch  in  unserer  modernen  Lite- 
ratur; ich  brauche  wohl  nur  an  Dichtungen  wie  die  Hauffschen 


liehen  höfen,  zwischen  Rhaten  vnnd  anderen  des  Regiments  verwandten, 
mit  falscher  schmeychJerey  vnd  verrhaterey  der  bosahafftigen  wider  die 
getrewen  vnd  frommen  antragen,  gleich  wie  in  eim  Spiegel  ersehen  vnd 
erkant  werden.  Allen  menschen  mt  alleyn  fruchtbarlich  vnd  kurtzweilig, 
sonder  auch  schimpflich  vnd  ernstlich  zu  lesen  vnd  hören.  Getruckt 
vnd  volendt  in  der  Loblichen  Statt  8trassburg  bei  Jacob  Frölich, 
als  man  zalt  nach  der  Geburt  Christi  unsers  Herren  Tausend  Fünfhundert 
Viertalg  vnd  fünff  jar."  —  Auch  hier  sind  Kellila  und  Dimna  die  Haupt- 
personen. 

*  8.  Benfey,  Vorr.  s.  Pantsch,  p.  VIII. 


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-    526  - 

r 

Märchen  (die  Karavane,  das  Wirthshaus  im  Spessart  u.  dgL  m.) 
zu  erinnern. 

Sehr  charakteristisch  für  die  indischen  Fabeln  und  Märchen 
ist  der  Umstand,  dass  in  dieselben  eine  reiche  Fülle  von  Re- 
flexionen, Sentenzen,  Sprüchen  der  Lebensweisheit  ein- 
gefügt ist.  Dies  Element  spielt  überhaupt  in  der  indischen 
Poesie  eine  grosse  Rolle.  Das  Mahäbhärata  ist  ausserordent- 
lich reich  daran,  und  auch  andere  Werke  bieten  uns  viel  der 
Art.  Die  Fabel  mit  ihrer  Moral  ist  aber  der  Reflexionspoesie 
besonders  nahe  verwandt,  und  da  können  wir  uns  über  das 
Hervortreten  dieses  Elements  am  wenigsten  wundern,  wenn  es 
auch  freilich  bisweilen,  wie  z.  B.  in  dem  aus  dem  Paficatantra 
hervorgegangenen  Hitopadeca  sich  fast  über  Gebühr  vordrängt 
Im  Uebrigen  kann  ich  auf  den  Charakter  dieser  Sentenzen  und 
Weisheitssprüche  hier  noch  nicht  näher  eingehen.  Es  wird  den- 
selben späterhin  ein  besonderes  Capitel  gewidmet  werden. 

Charakteristisch  ist  den  Erzählungen  des  Paficatantra  und 
der  verwandten  Werke  ferner  ein  eigentümlicher  Humor,  mit 
dem  alle  möglichen  menschlichen  Verhältnisse  in  das  Thierreich 
übertragen  werden.  Es  muthet  uns  seltsam  genug  an,  wenn 
Thiere  sich  in  das  Vedenstudium  vertiefen,  wenn  sie  sich  äusserst 
weise  über  die  Götter,  die  Heiligen  und  Helden  der  Vorzeit 
unterhalten  oder  die  subtilsten  Regeln  menschlicher  liebens- 
klugheit  austauschen,  dann  aber  plötzlich  wieder  das  thierische 
Wesen  durchbricht  und  sich  mit  einem  Schlage  der  Tatze  oder 
Aehnlichem  zu  seinem  Rechte  verhilft  Ironie  und  Satire 
sind  hier  zu  Hause,  und  in  schonungsloser  Weise  werden  die 
verschiedensten  menschlichen  Untugenden  gegeisselt:  das  gleiss- 
nerische,  intrigante  Wesen  der  Höflinge,  die  Untreue  der  Weiber, 
die  Heuchelei  und  Habsucht  der  Brahmanen,  und  vieles  Andere. 

Es  waltet  in  diesen  Schöpfungen  durchaus  eine  gesunde 
Lebensbetrachtung  vor,  die  einen  heilsamen  Gegensatz  bildet 
zu  den  maasslosen  tendenziösen  Uebertreibungen  anderer  Dich- 
tungen, wo  Alles  immer  darauf  hinausläuft  die  Hoheit  und 
Heiligkeit  der  Brahmanen  zu  ülustriren.  Im  Paficatantra  re- 
agirt  ein  gesunder  und  kräftiger  Volksgeist  gegen  solche  Ueber- 
treibungen.   

Eingeleitet  wird  das  Paficatantra  durch  die  Erzählung  von 
einem  König  Amaracakti  in  Mihilaropya,  einer  Stadt  des 
Südens.  Dieser  König  hatte  drei  sehr  dumme  Söhne,  bei  denen 


einen  weisen  Brahmanen  namens  Vishnucarman  aufmerksam 


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gemacht,  wendet  sich  an  ihn,  und  derselbe  übernimmt  es,  die 
Königssöhne  in  sechs  Monaten  so  weit  zu  bringen,  dass  sie  an 
Lebensweisheit  alle  Anderen  übertreffen.  Darauf  verfasst  er 
das  Paöcatantra*  sie  studiren  es  gemeinsam,  und  der  Zweck 
wird  wirklich  in  secjis  Monaten  erreicht1 

Die  Rahmenerzählung  des  ersten  Buches,1  von  welcher  in 
Persien  und  Arabien  das  ganze  Werk  seinen  Namen  erhielt,  ist 
in  kurzen  Worten  folgende. 

Ein  Kaufmann  Vardhamanaka  zieht  mit  einer  Karavane, 
um  Handel  zu  treiben,  über  Land  und  hat  zwei  gute  Stiere 
ror  einen  Wagen  gespannt  In  einem  Walde  hat  einer  der 
Stiere,  Samjivaka  mit  Namen,  das  Unglück,  sich  das  Bein  zu 
brechen,  und  wird  von  der  Karavane  im  Stich  gelassen.  Aber 
durch  die  schöne  Weide,  die  er  dort  findet,  erholt  er  sich  all- 
mählich wieder  und  wird  zuletzt  ganz  gesund,  so  dass  er  freudig 
brüllend  umhergeht  Dies  Gebrüll  hört  der  Löwe  Pingalaka, 
als  er  zum  Ufer  der  Yamuna  gehen  will,  um  dort  zu  trinken, 
wird  dadurch  sehr  in  Furcht  versetzt,  glaubt,  dass  es  ein  un- 
geheures Thier  sein  müsse,  welches  so  brülle,  und  kehrt  um. 
Es  sind  aber  zwei  Schakale  in  seinem  Gefolge,  Söhne  von 
früheren  Ministern,  Karataka  und  Damanaka  mit  Namen.9  Diese 
bemerken,  dass  der  König  von  Muthlosigkeit  befallen  ist  und 
berathen  sich  darüber.  Karataka  räth  davon  ab,  sich  mit 
Dingen  zu  befassen,  die  Einen  nichts  angehen,  und  erzählt  zur 
Warnung  die  Geschichte  vom  übergeschäftigen  Affen.  Aber 
Damanaka  will  von  den  Plänen,  die  er  sich  geschmiedet  hat, 
nicht  ablassen.  Er  will  den  Grund  der  Furcht  des  Löwen  er- 
forschen, ihn  davon  befreien  und  dadurch  zur  Ministerstellung 
gelangen.  Es  gelingt  ihm  auch,  im  Geheimen  von  dem  Löwen 
zu  erfahren,  wovor  er  sich  furchte.  Darauf  kundschaftet  er 
den  Stier  aus  und  setzt  ihn  in  Schrecken  durch  die  Botschaft, 
dass  der  Löwe  Pißgalaka,  der  in  diesem  Walde  König  sei,  ihn 
vor  sich  fordern  lasse,  verspricht  ihm  aber  dann,  bei  dem 
Löwen  um  Gnade  für  ihn  zu  bitten.  Dem  Löwen  wiederum 
fabelt  er  vor,  es  sei  dies  der  Stier  des  £iva  und  der  Wald  sei 
ihm  von  dem  Gotte  verliehen  worden. 

Der  Löwe  ist  nun  sehr  froh,  als  der  Schakal  es  zu  Wege 
bringt,  dass  der  Stier  sich  ihm  als  Gast  nahen  und  in  Freund- 


Ganz  Ähnlich  ist  die  Einleitung  zum  Hitopadeca;  nur  ist  es  dort 
ein  König  Surtarcana  in  Pataliputra. 

*  Dies  erste  Buch  ist  '„Verfeindung  Yon  Freunden"  genannt 
3  Die  arabischen  KaliJah  und  Dimnah. 


528  — 


schaft  mit  ihm  leben  will.  Beide  sind  dein  listigen  Schakal 
äusserst  dankbar  dafür,  dass  er  sie  von  der  Furcht  befreit  hat, 
und  Damanaka  wird  zum  Minister  erhoben.  Pingalaka  und 
Samjivaka  befreundeten  sich  nun  immer  mehr,  und  der  Iiöwe 
gab  sich  „dem  Genuss  der  schönen  Unterhaltung  und  Gesell- 
schaft des  Samjivaka  hin.  Durch  Samjivaka  aber,  welcher 
durch  mancherlei  Wissenschaften  eine  höh«  Verstandesbildung 
sich  erworben  hatte,  wurde  in  wenigen  Tagen  schon  sogar  der 
stumpfsinnige  Pingalaka  verständig  gemacht.  So  Hess  er  ab 
vom  wilden  Leben  und  gewöhnte  sich  an  gesittete  Lebens- 
weisen." 1  Löwe  und  Stier  pflegen  jetzt  Tag  für  Tag  im  Ge- 
heimen Rath,  das  Gefolge  aber  muss  in  der  Ferne  bleiben,  so 
dass  auch  die  beiden  Schakale  ganz  zurückgesetzt  werden. 
Darüber  ist  der  Schakal  Damanaka  sehr  ergrimmt  und  troti 
des  Abrathens  von  Seiten  seines  Genossen  Karataka  setzt  er 
eine  schändliche  Intrigue  ins  Werk.  Dem  Löwen  sagt  er,  der 
Stier  habe  Verrätherei  im  Sinne,  habe  ihm  gesagt,  er  wolle 
den  Löwen  tödten  und  ihn,  den  Schakal,  dann  zu  seinem  Mi- 
nister machen.  Dem  Stiere  berichtet  er,  der  Löwe  habe  ge- 
sagt: „Morgen  bringe  ich  den  Samjivaka  um!"  Als  nun  Samji- 
vaka anderen  Tags  mit  unsicherem  und  Verdacht  erregendem 
Wesen  auftritt,  fällt  der  Löwe  über  ihn  her  und  zerreisst  ihn, 
während  er  selbst  von  den  Hörnern  des  Sjtierea  verwundet 
wird.  Dann  aber  überkommt  ihn  Schmerz  um  den  verlorenen, 
einst  geliebton  Freund.  Doch  Damanaka  weiss  ihm  auch  dies 
auszureden.  Der  listige  Schakal  wird  wieder  Minister  und  ge- 
niesst  ungestört  die  Früchte  seiner  Intrigue. 

Die  Gespräche  zwischen  den  beiden  Schakalen,  zwischen 
dem  Löwen  und  Schakal,  dem  Stier  und  Schakal  u.  s.  w.  geben 
Anlass  zum  Erzählen  einer  Menge  von  Geschichten. 

Lassen  Sie  mich  nun  als  Probe  des  köstlichen  Humors, 
verbunden  mit  deutlicher  Satire,  eine  der  Erzählungen  ans 
dem  Paflcatautra  herausgreifen.*  Eine  Krähe  erzählt  dort: 
Die  Katze  als  Richter  zwischen  Sperling  und  Hase.5 
Ich  wohnte  einst  in  einer  gewissen  Waldgegend  auf  einem 
grossen  Feigenbaum.  Darunter  nistete  in  einer  Höhlung  ein 
Sperling,  namens  Kapiftjala.  Wir  brachten  beide  die  Zeit  damit 
zu,  dass  wir  stets  um  Sonnenuntergang  zusammenkamen,  uns 
mannigfach  schön  unterhielten,  die  alten  Thaten  der  Götter- 


1  Benfey.  Pautsch.  I  p.  32. 

*  Pafreatantra  III.  2.  Erzählung. 

8  S.  Benfey'a  Ueberaetiung  p.  231  flg. 


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-  520  — 


weisen,  Königsweisen  und  Pricsterwoisen  rühmten,  und  uns  die 
▼ielen  Wunderdinge  erzählten,  welche  wir  auf  unseren  Wande- 
rungen gesehen  hatten,  und  so  genossen  wir  das  höchste  Ver- 
gnügen. Einstmals  aber  entfernte  sich  Kapifljala  uud  kam  lange 
Zeit  gar  nicht  mehr  wieder,  so  dass  ich  um  ihn  trauerte  und 
glaubte,  er  müsse  umgekommen  sein.  Da  kam  einst  ein  Hase 
des  Weges  daher  und  nahm  von  der  Sperlingsliöhlung  Besitz, 
and  da  ich  den  Sperling  todt  glaubte,  wehrte  ich  es  ihm  nicht. 
Aber  eines  Tages  kam  plötzlich  der  Sperling  wieder  und  war 
von  vielem  Reisfressen  ganz  dick  und  fett  geworden.  Als  er 
nun  den  Hasen  gewahrte,  rief  er;  „He,  Häschen!  Du  thust 
Unrecht,  dass  du  meine  Wohnung  eingenommen  hast.  Mach, 
dass  du  fortkommst !"  Der  Hase  aber  erwiderte:  „Keineswegs! 
Dies  ist  nicht  dein  Haus,  sondern  gerade  das  meinige!*'  Der 
Sperling  sagte:  „Dann  müssen  die  Nachbarn  gefragt  werden, 
denn,  wie  Manu  lehrt,  gilt  für  Brunnen,  Teiche,  Cisternen  wie 
Hauser  und  Lustgärten  als  Beweis  der  Nachbarn  Versicherung." 

Aber  der  Hase  widerspricht  ihm  und  sagt:  „Thor!  kennst 
du  denn  nicht  den  Spruch  des  Gewohnheitsrechtes: 

Hat  wer  öffentlich  zehn  Jahre  Felder  und  Aehnliches  in 
Besitz,  dann  ist  nur  der  Besitz  Richtschnur  und  weder  Schrift 
noch  Zeuge  gilt. 

Ebensowenig,  du  Thor,  hast  du  Narada's  Urtheil  berück- 
sichtigt: 

Für  den  Menschen  gilt  als  Richtschnur  zehn  Jahr  ge- 
dauerter Besitz,  für  die  Vögel  und  Vierfussler  die  Zeit,  seitdem 
sie  drin  gehaust." 

Da  sagte  der  Sperling:  „Dann  müssen  wir  unseren  Rechts- 
streit vor  einen  Gelehrten  bringen.**  Das  Häschen  fragte:  „Lieber, 
wer  soll  denn  über  unseren  Process  entscheiden?**  Der  Sper- 
ling erwiderte:  „Sollte  es  nicht  die  Katze,  namens  Dadhikarna 
(Milchohr),  welche  auf  einer  Insel  der  erhabenen  GangA,  ihre 
Tage  in  Busse,  Kastoiung,  Gelübden  und  tiefer  Andacht  zu- 
bringt, und  Mitleid  gegen  alle  Geschöpfe  hegt?**  Der  Hase 
aber  fühlte  sein  Innerstes  vor  Furcht  erbeben  und  rief:  „Nichts 
von  diesem  Bösewicht!    Es  heisst  ja: 

Nimmer  sollst  du  Vertrauen  schenken  dem  Bösen,  heuchelt 
er  Bosse  gleich;  auch  an  Pilgerorten  sieht  man  Büsser,  die 
fxöhnen  ihrem  Hals." 

Mittlerweile  ging  die  Waldkatze,  namens  Dadhikarna,  nach- 
dem «e  den  Streit,  welchen  die  beiden  führten,  gehört,  um 
;hnen  Zutrauen  einzuflössen,  zu  dem  Ufer  eines  nahen  Flusses, 
und  eine  Handvoll  heiliges  Gras  haltend,  ein  Auge  zukneifend, 

v.  Sehr$i*r,  Indien*  Ltt.  «.  Cttlt.  34 


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—   530  — 


die  Arme  in  die  Höhe  gehoben,  mit  einem  halben  Fuss  nur 
den  Boden  berührend,  mit  dem  Gesicht  zur  Sonne  gewandt, 
gab  sie  folgende  Sittensprüche  von  sich:  „Ach,  wie  schaai  ist 
dieses  All!  Das  Leben  Täuschung  eines  Augenblicks!  einem 
Traum  ähnlich  die  Verbindung  mit  Geliebten!  einer  Sinnen- 
täuschung  gleich  die  Umarmung  der  Seinigen!  So  giebt  es 
denn  kein  Heil  ausser  der  Tugend!   Denn  es  heisst  auch: 

Alle  Körper  sind  hinfällig;  das  Glück  ruht  nicht  in  eigner 
Hand;  zu  jeder  Zeit  ist  Tod  nahe;  drum  halte  dich  an  Tugend  fest!" 

Als  der  Hase  diese  und  andere  Sittensprüche  horte,  sagt« 
er:  „Hör!  hör!  Kapifijala,  da  steht  der  Büsser  Tugend  lehrend 
am  Ufer  des  Flusses!  Lass  uns  ihn  fragen!"  Der  Sperling 
erwiderte:  „Schön!  Doch  lass  uns  etwas  entfernt  bleiben.  Es 
könnte  geschehen,  dass  seine  Gelübde  nicht  stark  genug  sind.0 
Darauf  riefen  sie:  „He!  he!  Büsser!  Wir  haben  einen  Rechts- 
streit! Du  sollst  entscheiden,  und  wer  Unrecht  hat,  den 
sollst  du  fressen."  Jener  aber  sprach:  „Meine  Lieben!  Ums 
Himmelswillen  sprecht  nicht  so!  Ich  habe  den  Weg,  welcher 
zur  Hölle  führt,  verlassen.  Der  Weg  der  Tugend  ist:  Nichts 
Lobendes  zu  verletzen.  —  Darum  werde  ich  Keinen  essen, 
sondern  nur  entscheiden,  wer  Recht  hat  Allein  ich  bin  ah 
und  kann  aus  der  Ferne  den  Inhalt  eurer  Rede  nicht  gut  hören. 
Dies  beherzigt  und  kommt  in  meine  Nähe,  um  vor  meinen 
Augen  euer  Recht  auszuführen,  damit  ich  mit  richtiger  Einsicht 
einen  den  innersten  Kern  des  Processes  treffenden  Spruch  falle 
und  nicht  meine  ewige  Seligkeit  verscherze.  Denn  es  heisst  ja: 

Wer,  sei's  aus  Hochmuth,  aus  Habsucht,  oder  aus  Feind- 
schaft oder  Furcht  in  einem  Rechtsstreit  falsch  urthedlt,  wird 
fahren  in  den  Höllenschlund. 

Deswegen  setzet  eure  Sache  voll  Vertrauen  deutlich  in  der 
Nähe  meiner  Ohren  auseinander!**  —  Um  es  kurz  zu  machen: 
Der  Bösewicht  wusste  allen  Beiden  rasch  so  viel  Vertrauen  ein- 
zuflössen, dass  sie  sich  in  seinen  Schooss  begaben.  Alsdann 
aber  packte  er  in  einem  und  demselben  Augenblick  den  einen 
mit  dem  Ende  seines  Fusses,  den  anderen  mit  seinem  säge- 
gleichen Gebiss.  Darauf  verloren  sie  ihr  Leben  und  wurden 
von  ihm  gefressen.    Daher  sage  ich: 

Der  Hase  und  Kapifijala,  auf  ihres  Rechts  Entscheidung  er- 
picht, wählten  den  Bösewicht  zum  Richter  und  kamen  alle  beide  um. 

Allerliebst  humoristisch  ist  auch  die  Geschichte  von 
dem  Esel  als  Sänger  erzählt1: 

1  Pancatantra  V,  7.  Erzählung;  vgl.  Bonfey  s  üebersetzung. 


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531  - 


Ein  Esel  hatte  Freundschaft  mit  einem  Schakal  geschlossen, 
sie  brachen  Nachts  durch  die  Umzäunungen  der  Gurkenfelder 
und  schmausten  nach  Herzenslust  ihre  Früchte.  Einst  sprach 
der  Esel  vor  Stolz  übermüthig  zum  Schakal:  „Schwestersohn, 
sieh!  die  Nacht  ist  so  klar,  darum  will  ich  einen  Sang  an- 
stimmen!" Aber  der  Schakal  sprach:  „Lieber,  wozu  unnützes 
Gelärm?  Wir  treiben  Spitzbubenhandwerk!  Diebe  und  Verliebte 
müssen  sich  versteckt  halten!  Ausserdem  klingt  dein  Gesang 
keineswegs  angenehm.  Die  Feldhüter  werden  erwachen  und 
uns  den  Tod  bereiton.  Darum  lass  uns  lieber  die  Gurken 
schmausen!"  „Ach.  sagte  der  Esel,  du  kennst  den  Zauber  der 
Musik  nicht,  weil  du  im  Walde  wohnst!"  Und  nun  recitirt  er 
einen  schwärmerischen  Vers  von  der  Seligkeit,  die  bei  des 
Herbstes  Mondenschimmer  des  Liedes  Göttertrank  gewährt.  — 
Der  Schakal  sprach:  „Lieber,  das  ist  wahr,  aber  du  singst  viel 
zu  rauh,  es  würde  uns  nur  schaden!"  „Pfui,  pfui,  du  Un- 
wissender, rief  der  Esel,  ich  sollte  nicht  wissen,  was  Gesang 
ist?  So  höre  denn  die  Eintheilung:  Sieben  Töne  und  drei  Ok- 
taven und  einundzwanzig  Intervall',  und  neunundvierzig  Takt- 
arten, Quantitäten  und  Tempi  drei."  Und  nun  recitirt  er  in 
Strophen  seine  theoretischen  Musikkenntnisse  und  fragt  belei- 
digt: „Warum  nennst  du  mich  denn  einen  Unkundigen  nnd 
willst  mir  wehren?"  —  „Nun,  sagte  der  Schakal,  wenn  du  denn 
durchaus  willst,  so  magst  du  singen,  aber  ich  will  mich  nur 
vorher  an  die  Thür  der  Umzäunung  stellen,  damit  ich  mich 
schnell  retten  kann."  Da  streckte  denn  der  Esel  den  Hals  aus 
und  fing  fürchterlich  an  zu  schreien.  Der  Feldhüter  erwachte, 
kam  mit  einem  Knüppel  herbei,  prügelte  den  Esel  weidlich 
durch  und  hing  ihm  einen  durchlöcherten  hölzernen  Mörser 
um  den  Hals,  Dann  legte  er  sich  wieder  schlafen.  Der  Esel 
aber  zertrümmerte  den  Zaun  und  machte  sich  mitsammt  dem 
Mörser  auf  die  Flucht.  Da  erblickte  ihn  der  Schakal  aus  der 
Ferne  und  sagte  lachend:  „Obgleich  ich  dir  doch  sagte:  Onkel, 
lass  das  Singen!  liessest  du  doch  nicht  ab;  nun  ist  als  Lohn 
des  Sangs  dieser  ganz  neue  Schmuck  dir  umgehängt" 


34* 

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Siebenunddreissigste  Vorlesung. 


Beispiele  von  Fabeln,  die  ans  Indien  bis  zu  uns  gewandert  sind:  Der 
Plane  machende  Brahmane.  Die  unfolgsame  Schildkröte.  Der  gierige 
Schakal  u.  a.  Beispiele  von  Erzahlungon,  die  buddhistischen  Parabeln 
gleichen:  Die  Tauben.  Der  „Mann  im  8yrerlandu.  Beispiel  eines  ge- 
wanderten Marchens:  Die  Geschichte  vom  verwandelten  König.  Aus- 
gaben und  Uebersetzungen  des  Pancatantra.  Der  Hitopadeca;  Ausgaben 
und  Uebersetzungen  desselben.  Verschiedene  indische  Marchenwerke. 
Wanderung  der  Märchen.  Einiges  aus  der  Vetalapancavimcati.  Romane. 


Wir  wollen  nun  einige  jener  Geschichten  uns  etwas  näher 
ansehen,  die  in  so  merkwürdiger  Weise  cfen  Weg  von  Indien 
über  so  viele  Länder  bis  zu  uns  gemacht  haben.  o 

Sie  entsinnen  sich  ohne  Zweifel  der  Lafontaineschen  Fabel 
von  dem  Mädchen,  das  mit  dem  Milchtopf  auf  dem  Kopfe  zu 
Markte  geht,  auf  den  Erlös  der  Milch  in  Gedanken  schon  alle 
möglichen  Luftschlösser  baut  und  dann,  durch  einen  Freuden- 
sprung über  das  zukünftige  Glück,  den  Topf  mit  Milch  fallen 
lässt  und  damit  all  das  erträumte  Glück  in  Scherben  schlägt 
Hören  Sie  nun  das  Urbild  zu  diesem  lehrreichen  Geschichtchen 
im  Paficatantra1: 

In  einem  gewissen  Orte  wohnte  ein  Brahmane,  namens 
Svabhävakripana  (von  Natur  ein  Unglücksvogel).  Dieser  hatte 
mit  dem  erbettelten  Reisbrei,  der  ihm  nach  dem  Essen  übrig 
blieb,  einen  Topf  angefüllt;  diesen  Topf  hatte  er  an  einen  Nagel 
an  der  Wand  gehängt,  darunter  seine  Bettstelle  gestellt  und 
schaute  ihn  nun  in  der  Nacht  ohne  einen  Blick  davon  zu  ver- 
wenden, an  und  dachte  dabei:  „Dieser  Topf  ist  doch  über  und 
über  voll  von  Reisbrei.«  Wenn  nun  eine  Hungersnoth  entsteht, 
dann  wird  er  hundert  Silberstücke  einbringen.  Dafür  werde 
ich  alsdann  ein  Paar  Ziegen  kaufen;  da  diese  alle  sechs  Monat 
Zicklein  werfen,  so  wird  daraus  eine  Heerde  Ziegen  entstehen. 


1  Pancat.  V,  9.  Erzählung;  s.  Benfey's  Uebersetzung  p.  345.  » 


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—    533  — 

Dann  für  dio  Ziegen  Rinder!  Sobald  die  Kühe  gekalbt  haben, 
verkaufe  ich  die  Kälber.  Dann  für  die  Rinder  Büffel!  Für  die 
Büffel  Stuten!  Sobald  die  Stuten  geworfen  haben,  werde  ich 
viele  Pferde  besitzen.  Aus  dem  Verkauf  von  diesen  löse  ich 
viel  Gold.  Für  das  Gold  bekomme  ich  ein  Haus  mit  vier  Ge- 
bäuden in  einem  Viereck.  Dann  kommt  ein  Brahmane  in  mein 
Haus  und  giebt  mir  ein  sehr  schönes  Mädchen  mit  grosser 
Mitgift  zur  Frau.  Die  wird  einen  Sohn  gebären.  Dem  werde 
ich  den  Namen  Somacarman  geben.  Wenn  dieser  dann  alt 
genug  ist,  um  sich  auf  meinen  Knieen  zu  schaukeln,  dann 
werde  ich  ein  Buch  nehmen,  mich  hinten  in  den  Pferdestall 
setzen  und  studiren.  Mittlerweile,  sieht  mich  Somacarman,  und 
begierig,  auf  meinen  Knieen  zu  schaukeln,  klettert  er  von  seiner 
Mutter  Schooss  und  kommt  zu  mir  dicht  an  die  Hufen  der 
Pferde.  Dann  werde  ich,  von  Zorn  erfüllt,  der  Brahmanin  zu- 
rufen: Nimm  das  Kind!  Nimm  das  Kind!  —  Sie  aber,  mit 
Hausarbeit  beschäftigt,  hört  meinen  Ruf  nicht  Dann  spring 
ich  auf  und  gebe  ihr  einen  Fusstritt."  Indem  er  so  in  diese 
Gedanken  versenkt  war,  sticss  er  mit  dem  Fusse  so  aus,  dass 
der  T  pf  zerbrochen  und  er  selbst  von  dem  Reisbrei,  welcher 
sich  im  Topfe  befand,  weiss  gefärbt  ward.  Daher  sage  ich: 
Wer  unvernünftige  Projekte  über  die  Zukunft  spinnet  aus,  dem 
geht's  wie  Somacarman's  Vater:  er  liegt  von  Reisbrei  weiss 
gefärbt   

Hören  wir  nun,  wie  sich  diese  Geschichte  in  unserer  alten 
deutschen  Uebcrsetzung  ausnimmt1: 

Niemand  soll  in  seinen  Anschlägen  zu  stark  fantisiren,2 
dass  er  sein  solbs  nit  vergess,  dass  ihm  nit  geschehe  als  dem 
Bruder,»  der  sein  Fässlin  mit  Honig  zerschlüge. 

Man  sagt,  es  wohnet  einsmals  ein  Bruder  der  «dritten  Regel, 
der  Gott  fast  dienet,4  bei  eins  Künigs  Hof,  den  versähe  der 
Künig  und  gab  ihm  alle  Tag  zu  Auffenthalt0  seins  Lebens  sein 
Kuchenspeiss 6  und  ein  Fässlin  mit  Honig.  Dieser  ass  alle  Tag 
die  Speiss  vor  der  Kuchen7  und  den  Honig  behielt  er  in  ein 
irden  Fässlin,  das  hieng  ob  seiner  Bettstatt,  so  lang  bis  dass 
es  voll  ward.  Nu  kam  bald  ein  grosse  Theurung  in  den  Honig, 

1  Daselbst  p.  LXXIII.  Ich  habe  die,  übrigens  recht  inconsequente, 
Orthographie  des  Originals  der  unserigen  naher  zu  bringen  gesucht,  im 
Uebrigen  aber  die  alte  Sprache  nach  Möglichkeit  in  ihrem  eigentüm- 
lichen Charakter  beibehalten. 

*  phanta&iren.  *  d.  i.  Mönch.  *  Gott  eifrig  diente.  5  d.  h- 
zur  Erhaltung.      •  Küchenspeise.      *  die  Speise  vor  der  Köche. 


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und  eines  Morgens  früh  lag  er  in  seinem  Bett  und  sähe  den 
Honig  in  dem  Fässlin  ob  seinem  Haupt  hangen.  Da  fiel  ihm 
in  sein  Gedanken  die  Theure  des  Honigs  und  fieng  an  mit 
ihm  selbs  zu  reden:  Wann  dies  Fässlin  ganz  voll  Honig  wird, 
so  verkauf  ich  das  umb  fünf  Gulden.  Darumb  kauff  ich  mir 
zehen  guter  Schaf,  und  die  machen  alle  Jahr  zwei  Mal  Lämmer. 
Und  dann  werden  eins  Jahrs  zwentzig,1  und  die  und  das  von 
ihnen  kummen  mag,1  in  zehen  Jahren  werden  tausend.  Dann 
kauff  ich  umb  vier  Schaf  ein  Kuh,  und  kauff  dabei  Ochsen 
und  Aecker,  und  die  mehren  sich  mit  ihren  Früchten,  und 
dann  nimm9  ich  die  Ochsen  zu  Arbeyt  der  Aecker.  Und  von 
den  andern  Kühen  und  Schafen  nimm  ich4  Milch  und  Wollen; 
eh  dass  nun  fünf  Jahr  für  kummen,.5  so  würd  es  sich  mehren, 
dass  ich  ein  grosse  Hab  und  Reichthumb  überkommen  würd 
Dann  will  ich  mir  selbs  Knecht  und  Magd'  kauffen  und  hohe 
und  hübsche  Bau  thun*  und  darnach  nimm  ich  ein  hübsch 
Weib  von  einem  edlen  Geschlecht  —  Und  so  empfaht  sie1 
und  gebiert  mir  einen  schönen,  glückseligen  und  gottsforch- 
tigen8  Sühn*  und  der  wird  wachsen  in  Lehre  und  in  Künsten 
und  in  Weisheit.  Durch  den  lass  ich  ein  guten  Leimut10  nach 
meinem  Tod.  Aber  wird  er  nicht  gefolgig11  sein  und  meiner 
Straf  nicht  achten,  ich  wollt  ihn  mit  meinem  Stecken  über  die 
Lenden  schlahen.11  Und  nahm  seinen  Stecken,  damit  man 
pflag  das  Bett  zu  machen,  ihm  selbs  zu  zeigen,  wie  frevenlich11 
er  seinen  Suhn  schlagen  wollt.  Und  schlüge  das  irden  Fass, 
das  ob  seinem  Haupt  hieng,  zu  Stücken,  dass  ihm  der  Honig 
unter  sein  Antlitz  und  in  das  Bett  troff  Und  warde  ihm  von 
allen  seinen  Gedanken  nichts,  dann  dass  er  sein  Antlitz  und 
Bett  waschen  musst. 

In  diesem  Fall,  wie  noch  in  vielen  anderen,  scheint  mir 
die  deutsche  Uebersetzung  deutliche  Spuren  davon  zu  tragen, 
dass  sie  eine  ältere  Recension  repräsentirt,  als  die  gegenwärtige 
sanskritische.  So  ist  das  Schlagen  des  zu  erziehenden  Sohnes 
weit  natürlicher  und  einfacher  als  die  künstliche  Geschichte 
von  dem  Fusstritt  gegen  die  Frau,  die  das  Kind  nicht  zeitig 
von  den  Pferden  wegnimmt  Durch  mancherlei  Wandlungen 
ist  dann  bei  Lafontaine  aus  dem  Projekte  machenden  Bralimanen 
ein  munteres  Milchmädchen  geworden,  und  wie  hübsch  und 


1  Zwanzig.  1  die  und  was  von  ihnen  kommen  mag,  d.  b.  ihre 
Nachkommenschaft.  •  nehme.  4  nehme  ich.  5  vergehen.  •  Ge- 
bäude aufführen.  7  empfangt  sie.  *  gottesfürchtigen.  *  Sohn. 
10  Leumund,  Ruf.  11  gehorsam.       If  schlagen.       13  rücksichtslos 


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-   535  - 

natürlich  dort  die  Geschichte  sich  entwickelt,  ist  bekannt  Aehn- 
liche  Umwandlungen  hat  sich  manche  jener  alten  Fabelgestalten 
gefallen  lassen  müssen. 

Als  weiteres  Beispiel  einer  so  gewanderten  Fabel  diene 
uns  die  von  der  unfolgsamen  Schildkröte1: 

In  einein  gewissen  Teiche  wohnte  einst  eine  Schildkröte 
namens  Kambugriva  Diese  hatte  zwei  Freunde  aus  dem  Ge- 
schlechte der  Gänse,  die  die  höchste  Liebe  zu  ihr  gcfasst  hatten. 
Stets  kamen  diese  zum.  Ufer  des  Teiches;  da  erzählten  sie  sich 
viele  Geschichten  von  den  Weisen  unter  den  Göttern,  Brah- 
manen  und  Königen,  und  zur  Zeit  des  Sonnenuntergangs  gingen 
jene  in  ihr  Nest  zurück.  Aus  Regenmangel  fing  der  Teich  aber 
an  auszutrocknen.  Da  sagten  jene:  „Ach,  Freund,  wie  wirst  du 
nun  bestehen  können?  In  unserem  Herzen  ist  Betrübniss!" 
Da  sprach  Kambugriva:  „Ich  kann  ohne  Wasser  nicht  leben, 
aber  lasst  uns  ein  Hülfsmittel  ersinnen.  Sucht  einen  Teich  auf, 
der  viel  Wasser  enthält  Bringt  einen  Stock,  den  fasse  ich  in 
der  Mitte  mit  den  Zähnen,»  ihr  ergreift  die  beiden  Enden  mit 
den  Schnäbeln  und  fuhrt  mich  so  zu  jenem  Teich."  Die  Beiden 
sagten:  „0  Freund,  das  wollen  wir  thun!  aber  du  musst  still- 
schweigen wie  ein  Heiliger,  der  Schweigen  gelobt  hat;  wo  nicht, 
so  wirst  du  vom  Stock  herabfallen  und  dann  in  Stücke  bre- 
chen." Die  Schildkröte  sagte:  „Gewissl  ich  übernehme  das 
Gelübde  zu  schweigen  von  jetzt  an,  bis  ich  vermittelst  des 
Fluges  durch  die  Luft  den  Teich  erreicht  habe."  Nachdem  so 
geschehen,  erblickte  Kambugriva  auf  seinem  Fluge  eine  unter 
ihm  befindliche  Stadt;  deren  Bewohner,  da  sie  ihn  so  fortge- 
führt sahen,  riefen  voll  Erstaunen:  „Ah!  da  wird  etwas  von 
«wei  Vögeln  durch  die  Luft  gefahren!  seht!  seht!"  Kambugriva 
aber  wollte  eben  sagen:  „Ach,  was  ist  das  für  ein  Lärm?"  aber 
ehe  er 9  es  noch  halb  gesprochen,  fiel  er  herab  und  wurde  von 
den  Stadtbewohnern  in  Stücke  zerrissen. 

Lassen  Sie  mich  diese  Geschichte  nun  noch  in  der  Fassung 
der  alten  deutschen  Uebersetzung  vorführen4: 

Es  waren  in  einem  Feld  bey  einem  Brunnen  bey  einander 
in  Gesellschaft  zween  Vögel  und  ein  Schildkrot*  Und  auf  ein 
Zeit  begab  sich  dass  es  nit  regnet  und  versiege0  der  Brunn 


* 

1  Pancat:  I,  13.  Erzählung;  s.  Benfey's  Uebers.  p.  90. 
1  Ich  habe  dies  nach  der  Berliner  Handschr.  gegeben,  vgl.  Benfey 
Amn  365. 

3  Die  Schildkröte  ist  im  Sanskrit  mannlichen  Geschlechts. 
*  Daselbst  p.  XXVUI  a.    5  Schildkröte.    •  versiegte. 


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und  warde  das  Erdrich  1  fast'  dürr.    D esshalben  wurden  die 
Vögel  zu  Rath,  sich  von  der  Statt  an  ein  ander  Ort,  da  nit 
G ehrest 8  des  Wassers  wäre,  zu  thun,4  und  giengen  zu  der 
Gcbildkrotten,  Urlauh5  von  ihr  zu  nehmen,  und  sagten  ihren 
Sehresten  des  Wassers.  Die  Schildkrot  gab  ihn*  Antwurt  und 
sprach:  Ich  weiss,  dass  euch  nit  Wasser  gebresten  mag,  ihr 
mügent 7  das  allweg  zu  euer  Nothdurft  erholen.8    Aber  mir 
armen,  die  alleyn  im  Wasser  leben  muss,  mag  daran  gebresten, 
und  bitt  euch,  thut  mir  Gnad*  und  nehmet  mich  mit  euch! 
Sie  sagten  ihr  das  zu  und  sprachen:  Nun  luge,  wenn  wir  dich 
durch  den  Luft10  fuhren,  bekumpt  dir  jemands,11  dass  du  nit 
redest    Oder  fragt  dich  jemands,  so  hüt  dich,  dass  du  nit 
Antwurt  gebest.   Sie  sagt  das  zu  ze  thun.    Da  sprachen  sie 
zu  ihr:  Nimm  ein  klein  Hölzlin11  in  deinen  Mund  und  behalt 
das  gar  hart19  in  deinen  Zähnen,  so  will  ich  das  an  eim  End14 
und  mein  Gesell  an  dem  andern  End  nehmen  und  dich  also 
fliegend  mit  uns  durch  die  LüfV  führen  an  die  Statt,  die  wir 
auserwählt  haben.    Das  geschähe  also.    Und  da  sie  ihn  durch 
die  Lüft'  in  der  Höhe  führten,  da  sahen  sie,  dass  etliche  seins 
Geschlechts  schrawen15  zu  ihm:  Wunder,  sehet  und  schauwet 
Wunder,  da  fleugt  die  Schildkrot  durch  die  Lüft*  zwischen 
zweien  Vögeln.    Da  das  die  Schildkrot  erhört,16   ab  sie  Ant- 
wurt: Ja,  ich  fleug  hie,  ob  euch  das  weh  thut!17   Und  als  sie 
ihren  Mund  aufthat  zu  reden,  da  entgienge  ihr  das  Hölzlin 
aus  ihren  Zähnen,  und  fiel  hernieder  zu  der  Erden,  dass  sie 
starb. 

Hier  scheint  mir  wieder  in  der  alten  deutschen  Ueber- 
setzung  manches  besser  motivirt  als  in  der  sanskritischen  Version. 
So  ist  es  gewiss  besser,  wenn  die  Vögel  der  Schildkröte  den 
klugen  Vorschlag1  machen,  sie  durch  die  Luft  zu  fahren,  als 
wenn  die  Schildkröte,  die  sich  doch  gleich  so  thöricht  erweist, 
selbst  auf  diesen  Einfall  kommt.  Auch  das  Sprechen  wird  hier 
besser  motivirt,  indem  sie,  durch  die  Worte  der  andern  Schild- 
kröten gereizt,  ihnen  gegenüber  gross  thun  will  und  nun  gleich 
bestraft  wird.  Endlich  ist  es  auch  in  der  sanskritischen  Version 
ganz  unnütz,  dass  sie  noch  von  den  Stadtbewohnern  in  Stücke 
gerissen  wird.  Ich  glaube,  wir  sehen  auch  hier  wieder  in  so 
einzelnen  Zügen,  dass  die  deutsche  Uebersetzung  eben  eine 

1  Erdreich.  1  sehr.  3  Mangel.  4  zu  begeben.  6  Abschied. 
6  ihnen.  T  ihr  möget,  könnet.  *  für  enre  Nothdurft  beschaffen. 
9  thut  mir  die  Gnade.  10  durch  die  Luft  "  triffist  du  Jemand. 
"  Hölzlein,  8tock.  >»  recht  fest  14  an  einem  Ende.  15  schrieen. 
16  hörte.       "  wenn  euch  das  auch  weh  thut,  Ärgert. 


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—    537  — 

ältere  und  bessere  Reccnsion  wiederspiegelt  —  Die  Fabel,  wie 
sie  Lafontaine  erzählt,  brauche  ich  wohl  nicht  wiederzugeben; 
sie  stimmt  im  Wesentlichen  mit  dem  eben  Erzählten  überein. 

Auch  die  Geschichte  des  Paficatantra  vom  allzu  gierigen 
Schakal  finden  wir  in  der  alten  deutschen  Uebersetzung  wie 
auch  bei  Lafontaine  wieder,  nur  ist  hier  aus  dem  Schakal  ein 
Wolf  geworden. 

Das  Paficatantra  erzählt1:  Einst  stiess  ein  Jäger  im  Walde 
auf  einen  grossen  Eber.  Er  schoss  denselben  nieder,  aber  der 
Eber  hatte  noch  gerade  Kraft,  ihm  mit  seinen  Hauern  den  Leib 
aufzureissen.  Nun  lagen  beide,  Jäger  und  Eber,  todt  da.  Da 
kam  ein  Schakal  von  ungefähr  herbei  und  als  er  die  beiden  Leich- 
name erblickte,  rief  er  voll  Freude:  „Haha!  Das  Schicksal  ist  mir 
gewogen!  Darum  wird  mir  diese  unerwartete  Speise  zu  Theil!  Ich 
will  dies  aber  nun  so  gemessen,  dass  ich  für  viele  Tage  Lebens- 
unterhalt habe;  darum  will  ich  jetzt  nur  die  Sehne  des  Bogens 
essen!"  Er  nahm  darauf  die  eine  Spitze  des  Bogens  dort,  wo 
die  Sehne  daran  befestigt  ist,  in  den  Mund  und  fing  an,  die 
Sehne  zu  zernagen.  Aber  sobald  sie  durchgebissen  war,  fuhr 
die  Spitze  des  Bogens  ihm  mit  Gewalt  den  Gaumen  zerreissend 
in  den  Kopf,  sodass  er  todt  war. 

Es  ist  hier  offenbar  ein  sehr  grosser,  starker  Bogen  ge- 
meint, wie  ihn  ja  die  Inder  trugen  (mannshoch).  Bei  Lafon- 
taine ist  der  Bogen  gerade  gespannt,  und  wie  der  Wolf  sich 
mit  ihm  zu  schaffen  macht,  geht  er  los  und  der  Pfeil  tödtet  ihn. 

Eine  andere  Erzählung,  die  ganz  den  Eindruck  einer  bud- 
dhistischen Parabel  macht,  findet  sich  nicht  in  dem  sanskriti- 
schen Paficatantra,  wie  uns  dasselbe  jetzt  vorliegt,  wohl  aber  in 
der  alten  arabischen  Uebersetzung  und  den  auf  ihr  beruhenden 
weiteren  Uebertragungen,  so  auch  in  der  alten  deutschen.  Es 
ist  jene  geistvolle  Parabel,  die  den  Stoff  geliefert  hat  zu  Rückert's 
bekanntem  Gedicht:  Es  ging  ein  Mann  im  Syrerland  u.  8.  w, 
Sie  schildert  das  leichtsinnige  Treiben  der  Menschen,  die,  um- 
ringt von  den  schrecklichsten  Gefahren,  rettungslos  dem  Elend 
und  Tod  verfallen,  doch  noch  gedankenlos  in  den  wenigen 
ihnen  geschenkten  Augenblicken  sich  dem  Genuss  der  sinnlichen 
Freuden  hingeben.2 


1  Paöcat.  II,  3.  Erzählung. 

*  Vgl.  Benfey's  Pantschat.  Th.  I  p.  80.  81.  Das  Thier,  vor  wel- 
chem der  Mann  flieht,  ist  in  der  arabischen  Uebersetzung  ein  Elephant ; 
bei  Johann  von  Capna  and  der  nach  ihm  angefertigten  deutschen  Ueber- 
setzung ist  es  ein  Löwe. 


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Noch  eine  andere  Geschichte,  die  ebenfalls  ganz  einer 
buddhistischen  Parabel  ähnlich  sieht,  die  sich  aber  fast  wörtlich 
ebenso  auch  im  Mahabharata  findet,1  ist  die  vom  Jäger  und 
den  Tauben. 

Ein  Jäger  schweifte  im  Walde  umher  und  fing  ein  Taubeu- 
weibchen,  das  er  in  einen  Käfig  setzte.  Da  brach  ein  schreck- 
liches Unwetter  aus.  Der  Jäger  flüchtete  schutzsuchend  zu 
einem  Baum,  berührte  denselben  und  sprach:  „Wer  immer  hier 
wohnt,  zu  dem  komme  ich  schutzflehend  als  ein  Gast."  Es 
wohnte  dort  aber  der  Tauberich,  der  um  die  verlorene  Gattin 
klagte.  Das  Taubenweil  aen  aber  sprach  zu  seinem  Männchen: 
„Höre,  Geliebter,  der  Vogelsteller  liegt  Zuflucht  suchend  vor 
deinem  Haus,  gequält  von  Kälte  und  Hunger.  Vollziehe  an 
ihm  die  Pflicht  der  Gastlichkeit;  denn  mit  dem  Leben  selbst 
musst  du  beschützen,  wer  um  Schutz  dir  naht  Sei  auch  jenem 
nicht  feindselig,  weil  er  deine  Geliebte  fing!  Mich  fingen  meine 
eignen  Thaten,  die  Banden  meines  früheren  Thuns!"  Als  der 
Täuberich  diese  Worte  hörte,  sprach  er  zu  dem  Jäger:  „Lieber, 
du  bist  willkommen!  Sieh  dies  Haus  wie  dein  eigenes  an! 
Sage,  was  kann  ich  für  dich  thun?"  Der  Jäger  erwiderte:  „Täub- 
chen,  mich  quält  die  Kälte,  schaff  mir  Schutz  vor  dem  Froste." 
Da  machte  die  Taube  schnell  ein  Feuer  an,  und  als  dieses  hell 
brannte,  sprach  sie:  „Ich  bin  sehr  arm  und  habe  nichts  zu 
essen  vorräthig  für  dich.  Darum  will  ich  denn  meinen  eignen 
schmerzvollen  Körper  dazu  verwenden!  Ich  werde  dich  sättigen, 
warte  nur  einen  Augenblick!"  Damit  stürzte  sich  das  Täubchen 
selbst  in  die  Flamme.  Den  Jäger  aber  ergriff  heftiges  Mitleid 
um  die  hochherzige  Taube,  er  klagte  sich  selbst  der  bösen 
Sünden  an  und  gelobte  Busse.  Dann  zerbrach  er  Knittel  und 
Spiess,  zerriss  das  Netz  und  Hess  das  Taubenweibchen  fliegen. 
Diese«  aber  klagte:  „Jetzt  kann  mir  das  Leben  nichts  mehr 
nützen,  da  mein  Geliebter  todt  ist!"  •  Und  damit  stürzte  es  sich 
auch  in  die  Flamme.  Da  sah  es  seinen  Täuberich  mit  himm- 
lischem Leibe  und  himmlischem  Schmuck  auf  einem  Götter- 
wagon  stehen.  Freudig  begrüsste  er  sein  Weib,  das  ihm  in 
rechter  Weise  nachgefolgt  war,  und  nun  genossen  sie  gemein- 
sam die  Freuden  des  Himmels  als  Folgen  früherer  Verdienste. 

Diese  Hingabe  des  eigenen  Leibes  zur  Sättigung  eines 
Anderen  ist  echt  buddhistisch  und  manche  analoge  Geschichte 
wäre  leicht  aus  dem  buddhistischen  Parabelschatze  dem  an  die 


1  MahÄbh.  XII,  5462—5592. 

*  8.  Benfey'a  Uebera.  p.  247;  Einleitung  p.  365. 


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Seite  zu  stellen.  Es  ist  dies  denn  auch  nach  Benfey  ursprüng- 
lich eine  buddhistische  Legende,  oder  doch  durch  eine  solche 
veranlasst1 

An  hübschen  und  originellen  Märchen  birgt  das  Pafica- 
tantra  eine  bedeutende  Anzahl,  und  manches  Interessante  liesse 
sich  über  die  Wanderang  derselben  erzählen.  Als  Beispiel  mag 
uns  ein  Märchen  dienen,  das  auf  dem  Glauben  beruht,  man 
könne  durch  Zauberkünste  seine  Seele  in  todte  Körper  von 
Menschen  und  Thieren  versetzen  Dasselbe  hat  sich  in  einer 
Fülle  von  Umgestaltungen  im  Morgen-  wie  Abendlande  ein- 
gebürgert und  ist  ebenso  originell  in  seiner  Komposition  wie 
merkwürdig  durch  seine  Geschichte. 

Es  wird  erzählt:  In  der  Stadt  Lilavati  lebte  ein  König 
namens  Mukunda.  Dieser  hatte  einen  buckligen  Possenreisser, 
den  er  nie  von  seiner  Seite  Hess,  auch  nicht,  wenn  er  geheimen 
Rath  pflegte,  obgleich  sein  greiser  Minister  ihn  ernstlich  davor 
warnte.  Einst  kam  ein  zauberkundiger  Büsser  zu  dem  König 
und  lehrte  ihn  das  Geheimniss,  wie  man  in  todte  Körper  fahren 
könne.  Während  nun  der  König  sich  die  Formel  dieser  Be- 
schwörung einübte,  war  der  Bucklige  neben  ihm  und  lernte 
dieselbe  heimlich  ebenfalls.  Einst  stiess  der  König  im  Walde 
während  er  jagte,  auf  den  Leichnam  eines  Brahmanen,  der  da- 
selbst vor  Durst  gestorben  war.  Er  gedachte  nun  die  Wirk- 
samkeit der  Beschwörung  zu  prüfen,  sprach  die  Formel  und 
fuhr  alsbald  in  den  Leichnam  des  Brahmanen.  Als  aber  der 
Bucklige  dies  sah,  sprach  er  sogleich  auch  die  Formel  und  ver- 
setzte seine  Seele  in  den  leblos  daliegenden  Körper  des  Königs. 
Darauf  bestieg  er  rasch  des  Königs  Pferd  und  sagte  zu  diesem: 
„Jetzt  werde  ich  König  sein,  du  aber  gehe,  wohin  du  wülst." 
Damit  ritt  er  fort  und  wurde  im  Palast  als  König  empfangen. 
Der  wahre  König  aber  ging  traurig  in  dem  Körper  des  Brah- 
manen fort  und  klagte  sich  selbst  bitter  an  wegen  seiner  Un- 
vorsichtigkeit. Er  wagte  es  nicht,  in  den  Palast  zu  gehen,  weil 
er  einsah,  dass  er  mit  seiner  Erzählung  doch  keinen  Glauben 
finden  würde.  Der  Bucklige  aber  in  dem  Körper  des  Königs 
führte  sehr  unzutreffende  Rede,  sodass  die  Königin  zu  dem 
greisen  Minister  sagte:  „Dies  ist  auf  keinen  Fall  der  wirkliche 
König,  denn  er  spricht  ganz  unzutreffende  Worte,  die  gar  nicht 
zu  den  Fragen  passen."  Der  Minister  überzeugte  sich  auch 
davon  und  sann  auf  ein  Mittel,  den  wahren  König  ausfindig  zu 
machen.   Er  Hess  alle  Tage  Speisen  an  die  bedürftigen  Fremd- 


1  Benfey,  PanUchatantra  1  p.  366. 


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linge  vertheilen,  wusch  jedem  derselben  selbst  die  Füsse,  und 
recitirte  dabei  einen  Halbvers,  von  welchem  nur  der  König  die 
andre  Hälfte  kannte.  Als  der  König  davon  hörte,  ahnte  er  den 
Sinn  dieser  Maassregel.  Er  ging  hin,  liess  sich  ebenfalls  speisen 
und  von  dem  Minister  die  Füsse  waschen,  und  als  dieser  den 
einen  Halbvers  sagte,  fügte  er  sogleich  die  zweite  Hälfte  desselben 
dazu.  Da  erkannte  ihn  der  Minister,  fragte  ihn  aus,  und  ht 
König  erzählte  seine  ganze  Geschichte.  Da  ersann  der  Minister 
eine  List  Der  Königin  war  eben  ihr  Papagei  gestorben  und 
sie  jammerte  über  seinen  Verlust.  Da  sagte  der  Minister  zu 
ihr:  „Herrin,  dieser  Papagei  wird  uns  als  Mittel  dienen,  unsern 
Zweck  zu  erreichen.  Rufe  den  falschen  König  und  sage  ihm: 
Giebt  es  einen  Zauberer  in  dieser  Stadt,  welcher  bewirken 
kann,  dass  dieser  Papagei  nur  ein  einziges  Wort  noch  spricht? 
Dann  wird  jener,  stolz  auf  seine  Wissenschaft,  sich  damit  brüsten 
wollen  und  aus  dem  königlichen  Leib  in  den  des  Papagei  fahr  an. 
In  demselben  Augenblick  wird  der  wahre  König,  hinter  mir 
stehend,  sich  in  seinen  eignen  Körper  versetzen  und  seine  könig- 
liche Herrschaft  wiedererlangen."  So  geschah  es  auch  wirklich. 
Der  Minister  aber  nahm  den  Papagei,  in  welchem  nun  die 
Seele  des  Buckligen  steckte,  und  brachte  ihn  um. 

Dieses  Märchen  findet  sich  schon  bei  den  Indern  selbst  in 
noch  mehreren  anderen  Versionen;  so  in  Somadeva's  Märchen- 
sammlung und  in  einer  Geschichte  der  indischen  Könige.  Es 
ist  dann  weiter  in  eine  ganze  Reihe  orientalischer  Märchen- 
bücher übergegangen,  zum  Theil  in  ziemlich  starker  Umgestal- 
tung. Es  findet  sich  in  dem  nach  einem  persischen  Original 
bearbeiteten  türkischen  „ Papageienbuch es  ist  auch  zu  den 
Juden  gewandert  und  ist  dort  Salomo  zum  Helden  der  Erzäh- 
lung gemacht,  deren  Motive  aber  stark  geändert  sind,  indem 
der  König  für  seinen  strafbaren  Hochmuth  von  Gott  selbst  ge- 
züchtigt wird.  Der  Dämonenkönig  Aschmedai  nimmt  in  Gestalt 
des  Salomo  dessen  Thron  ein,  und  Salomo  irrt  Verstössen  umher, 
sprechend:  „Ich  Prediger  war  König!"1  bis  er,  genug  gsdemü- 
thigt,  wieder  in  die  Herrschaft  eingesetzt  wird.  Auch  der 
babylonische  Talmud  und  die  Kabbala  haben  die  Legende.' 

Endlich  ist  das  Märchen  auch  ins  Abendland  gewandert 
und  hat  eine  Fülle  von  Bearbeitungen  erfahren,  deren  inter- 


1  Diese  Worte  des  Predigers  Salomo  haben  oflenbar  den  Anlssa 
dazu  gegeben,  die  Geschichte  auf  Salomo  zu  übertragen,  weil  sie  den 
Anschein  erwecken,  als  wäre  Salomo  eine  Zeitlang  nicht  König  gewesen. 

a  S.  Varnhagen,  p.  18.  19  der  in  der  folg.  Anm.  citirten  Schrift 


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-   541  - 

essante  Geschichte  von  H.  Varnbagen  in  einer  besonderen 
Schrift  entwickelt  ist.1 

Der  Grundtext,  auf  welchen  die  occidentalischen  Bearbei- 
tungen zurückgehen,  hat  etwa  folgende  Gestalt: 

Ein  gewaltiger,  stolzer  König  überhebt  sich  und  glaubt, 
dass  seine  Macht  der  Macht  Gottes  gleich  käme.  Eines  Tages 
auf  der  Jagd  will  er  ein  Bad  nehmen,  entfernt  sein  Gefolge 
und  steigt  ins  Wasser.  Da  erscheint  ein  Engel,  nimmt  des 
Königs  Gestalt  an,  bekleidet  sich  mit  seinen  Kleidern,  geht  zu 
dem  Gefolge  und  kehrt  als  König  im  Paläste  ein.  Der  wahre 
König  muss  nackt  um  Schutz  und  Hülfe  suchen,  wird  aber  von 
den  Seinigen  verlacht,  geschlagen  und  fortgejagt.  Sein  eigenes 
Weib  verleugnet  ihn.  Er  wird  in  das  tiefste  Elend  gestürzt. 
Da  erkennt  er  seine  Sünde,  demüthigt  sich  vor  Gott  und  erhält 
von  dem  Engel  endlich  Reich  und  Herrschaft  wieder.1 

Sie  sehen  hier  schon  eine  sehr  starke  Umwandlung  der 
Motive,  dennoch  erkennt  man  den  ursprünglichen  Kern  des 
Märchens  wieder.  ist  im  Abendlande  moralisch  vertieft  und 
hat  einen  christlich-legendären  Charakter  bekommen.  Im  Mittel- 
alter vi  dieser  Stoff  behandelt  worden  in  den  Gesta  Romanorum, 
vom  Stricker,  von  H.  v.  Wildonie,  Rosenblüt,  Reimundus  u.  A. 
In  der  neueren  Zeit  von  Hans  Sachs,  nicht  nur  in  einem  Meister- 
liede,  sondern  auch  in  einem  fiinfaktigen  Drama,  betitelt  „Ju- 
lianus der  Kayser  im  Badt";  ferner  von  Abraham  a  S.  Clara, 
von  Langbein,  Longfellow  u.  a.;  er  liegt  einem  englischen  wie 
auch  einem  dänischen  Drama  zu  Grunde  u.  s.  w.3 

Noch  manches  Märchen,  manche  Geschichte  des  Paficatantra 
wäre  wohl  werth,  besprochen  zu  werden,  aber  wir  dürfen  uns 
nicht  länger  bei  diesem  Werke  aufhalten,  und  so  will  ich  denn 
nur  noch  bemerken,  dass  der  Text  desselben  herausgegeben  ist 
von  J.  G.  L.  Kosegarten;4  und  dann  später  von  Kielhorn 
und  Bühler.6  Die  Ueberaetzung  von  Benfey  haben  wir  be- 
reits erwähnt  Neuerdings  ist  aber  auch  noch  eine  von  L.  Fritze 
erschienen.6 


1  Hermann  Varnhagen,  Ein  indisches  Märchen  auf  Beiner  Wande- 
rung durch  die  asiatischen  und  europaischen  Literaturen,  Berlin  1882. 

*  Vgl.  Varnhagen  a.  a.  0.  p.  28. 

*  Man  Tgl.  die  Stammtafel  am  Schluss  von  Varnhagen's  interessanter 
Abhandlung. 

*  Bonn  1848. 

*  Bombay  Sanskrit  Serie*,  1868  flg.;  2.  Aufl.   Bombay  1882. 

4  Pantschatantra.  Ein  altes  indisches  Lehrbuch  der  Lebens- 
klugheit  in  Erzählungen  und  Sprüchen.  Aus  dem  Sanskrit  neu  übersetzt 
von  Ludwig  Fritze,  Leipzig  1884. 


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542  — 


Zum  grössten  Teil  aus  dorn  Paficatantra  geschöpft  ist  auch 
das  berühmte  Fabelbuch  Hitopadeca  oder  „der  gute  Rath, 
die  nützliche  Unterweisung".  Schon  die  Einleitung  stimmt  mit 
der  des  Paficatantra  überein,  nur  dass  der  König,  dessen  Söhne 
gebildet  werden  sollen,  hier  Sudar^ana  von  Pätaliputra  heisst 
Die  früher  besprochene  Rahmenerzählung  des  ersten  Buchs  im 
Paficatantra,  von  den  beiden  Schakalen,  bildet  im  Hitopadeca 
das  zweite  Buch,  während  wiederum  das  erste  Buch  des  Hito- 
padeca dem  zweiten  des  Paficatantra  entspricht  In  Bezug  auf 
die  Art  der  Erzählung  mag  noch  bemerkt  sein,  dass  im  Hito- 
padeca das  sententiöse  Element  weit  stärker  hervortritt  als  im 
Paficatantra.  Die  Zahl  der  schönen  und  tiefsinnigen  Sprüche 
ist  hier  sehr  reiche  bisweilen  aber  so  gross,  dass  der  Gang  der 
Erzählung  dadurch  einigermasson  behindert  wird.1 

In  Indien  ist  dies  eines  der  beliebtesten  und  bekanntesten 
Bücher.  Schon  im  J.  1787  erschien  eine  englische  Ueber- 
setzung  desselben  in  London  von  dem  verdienten  Wilkins. 
durch  die  das  Interesse  für  den  Hitopadeca  auch  in  Europa 
geweckt  wurde.  Die  beste'  Textausgabc  des  Werkes  ist  die  von 
A.  W.v.Schlegel  nebst  kritischem  Commentar  von  Chr.  Lassen.1 
Eine  treffliche  Üebersetzung  veröffentlichte  Max  Müller  schon 
im  J.  1844. 3  Auch  Ludwig  Fritze  gab  das  erste  Buch  des 
Hitopadeca  in  deutscher  Uebersetzung  heraus  (Breslau  1874), 
und  neuerdings  ist  das  ganze  Werk  in  sehr  hübscher,  angenehm 
lesbarer  Form  von  J.  Schoenberg  übersetzt4 

Wir  haben  weiter  noch  eine  Reihe  von  Märchen-  und 
Erzählungswerken  anzuführen,  die  zum  grossen  Theil  ebenfalls 
für  die  Weltliteratur  von  Bedeutung  geworden  sind.    So  z.  B. 


1  Proben  der  Fabeln  des  Hitopadeca  brauche  ich  wohl  nicht  an- 
zuführen, da  das  Meiste  eben  aus  dem  Paficatantra  stammt  Von  den 
Sprüchen  ist  Einiges  bereits  früher  angefahrt  und  wird  weiter  unten 
noch  eine  Anzahl  vorkommen. 

1  Schlegel'*  Text  erschien  in  Bonn  1829;  Lassen's  Commentar 
1831.  —  Die  erste  Textausgabe  veranstaltete  Carey  schon  i  J.  1804. 
zu  Serampur;  an  diese  schlosa  sich  i.  J.  1810  die  Ausgabe  von  Hamil- 
ton (London);  in  Deutschland  wurde  die  Einleitung  und  das  1.  Buch 
durch  G.  H.  Bernstein,  Breslau  1823,  herausgegeben;  dann  folgte  die, 
alles  Frühere  weit  überragende  Ausgabe  von  Schlegel.  Spater  auch  noch 
herausgeg.  Bombay  1872;  Calcutta  1880. 

8  Leipzig  1844.  ♦ 

*  Der  H  itopadescha.  Altindische  Märchen  und  Sprüche.  Au* 
dem  Sanskrit  übersetzt  von  J.  Schoenberg,  Wien  1884.  —  Eine  deutsch* 
Uebersetzung  des  Hitopadeca  lieferte  auch  Dorsch,  Tübingen  1853; 
eine  sehr  gute  französische  Lancereau,  Paris  1855;  eine  griechiarJi^ 
Galanos  (vgl.  Benfey,  Pantschatantra  I  p.  19  Anm.). 


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543  - 


dia  Vetälapancavimcati  oder  „25  Erzählungen  eines  Vetala«, 
d.  i.  einer  Art  Dämon,  wie  sie  in  die  Körper  Verstorbener  zu 
fahren  pflegen.  Ferner  die,  (Jukasaptati  oder  „70  Erzählungen 
eines  Papageien";  dann  die  Simhasanadvatrimgati  oder 
„32  Erzählungen  des  Thrones  des  Vi'kramaditya",  auch  Vi- 
kramacarita  oder  „Abenteuer  des  Vikrama"  genannt;  weiter 
das  schon  früher  erwähnte  grosse  Märchenwerk  des  Somadeva, 
genannt  Kathasaritsagara  oder  „Meei  der  Märchenströme"; 
endlich  das  zu  vennuthende  Original  des  sogenannten  Sind  ab  ad - 
Kreises. 

Auch  diese  Märchen  sind  nun  auf  verschiedenen  Wegen 
durch  Orient  und  Occident  gewandert  Theils  waren  es  die 
Perser,  die  Araber  und  andere  mohammedanische  Völker,  die 
sie  aufnahmen  und  verbreiteten,  theils  die  buddhistischen  Völker, 
unter  denen  insbesondere  die  Mongolen  hervortreten.  Der 
Buddhismus  zeigt  sich  als  der  „ganz  eigentliche  Träger  von 
Fabeln  und  Märchen'4,1  and  hat  Benfey  bei  mehreren  dieser 
Sammlungen  ihren  ursprünglich  buddhistischen  Charakter  auf- 
gezeigt." 

Die  Araber  verschafften  diesen  Märchen  insbesondere  in: 
Süden  von  Europa  durch  ihre  langdauernde  und  culturgeschicht- 
bch  so  wichtige  Herrschaft  in  Spanien  Eingang;  hier  fand  die 
Uebertragung  vor  Allem  schriftlich,  aus  einer  Literatur  in  die 
andere  statt  Die  Mongolen  wiederum  bürgerten  dieselben 
durch  ihre  200jährige  Herrschaft  in  Russland  wie  auch  durch 
noch  andere  Berührungen  im  Osten  ein,  und  hier  fand  die 
Mittheilung  hauptsächlich  auf  dem  mündlichen  Wege  statt  Doch 
warer.  diese  Sammlungen  zum  Theil  auch  hier  schriftlich  fixirt 
und  in  die  mongolische  Literatur  übergegangen.  So  besitzen 
wir  eine  höchst  werthvolle. mongolische  Bearbeitung  der  Vetala- 
cavimcati  unter  dem  Titel  Ssiddi-kür,3  was  etwa  so  viel 
eutet  wie  „Vetalazauber".4  Ferner  eine  mongolische  Be- 
arbeitung der  32  Erzählungen  des  Thrones  des  Vikramaditya, 
unter  dem  Titel  „Geschichte  des  Ardschi  Bordschi  Chan".6 


1  S.  Benfey,  Pantsch.  I  p.  24. 

*  So  Vetalapaftcavinicati  und  Smihasanadvatriincati;  vgl.  Benfey, 
Pantschat.  I  p.  21  und  23. 

3  Id  deutscher  Uebersetzung  von  Benjamin  Bergmann,  Noma- 
dische Streifereien  im  Lande  der  Kalmücken,  I  247  flg.;  theil  weise  auch 
in  Kletke's  Märchensaal  III,  1  flg.   S.  Benfey  a.  a.  0.  p.  2?  Anm.  1. 

*  Sanskr.  Vetalasiddhi;  kür  ist  ein  mongolisches  Wort. 
8  S.  Benfey,  Pantsch.  I  p.  23. 


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—  544 


DieVetalapaficavimc,ati  hat  in  Kürze  folgende  Rahmen- 
einkleidung.  Zu  dem  Könige  Vikramaditya,  der  in  Ujjayini  re- 
sidirte,  kam  ein  zauberkundiger  Yogin  oder  Büsser,  der  durch 
Geschenke  wunderbarer  Art  die  Aufmerksamkeit  des  Königs 
erregte.  Im  Geheimen  befragt,  theilt  er  dem  Könige  mit,  dass 
er  in  der  vierzehnten  Nacht  der  dunklen  Monatshälfte  eine 
Beschwörung  auf  einem  grossen  Kirchhofe  veranstalten  werde, 
zur  Erlangung  hoher  Zauberkräfte;  er  fragt  ihn  sodann,  ob  er 
nicht  mit  ihm  gemeinsame  Sache  machen  wolle.  Der  König 
willigt  ein  und  kommt  zur  bestimmten  Zeit  wirklich  an  den 
unheimlichen  Ort.  Dort  erklärt  ihm  nun  der  Zauberer,  er 
müsse  von  einem  Baume  in  bestimmter  Entfernung  einen 
Leichnam,  der  dort  aufgehängt  sei,  herabnehmen  und  an  den 
Ort  der  Beschwörung  tragen,  dürfe  aber  während  dieses 
Werkes  kein  einziges  Wort  reden.  In  dem  Leichnam  aber 
hatte  ein  VetAla,  ein  Dämon,  wie  sie  in  die  Körper  Verstor- 
bener zu  fahren  pflegen,  seinen  Sitz  genommen.  Wie  nun  der 
König  den  Leichnam  heruntergenommen  und  ihn  auf  seinen 
Schultern  zu  dem  Zauberer  hui  tragen  will,  fangt  der  Dämon 
in  der  Leiche  plötzlich  an  zu  reden  und  sagt:  „Höre,  König, 
ich  will  dir  eine  Geschichte  erzählen !"  Und  dann  erzählt  er 
ihm  ein  hübsches  sinnreiches  Märchen.  Am  Schluss  aber  fragt 
er:  „Nun,  König,  sage,  wer  trägt  denn  hier  die  Schuld?  Wenn 
du  es  weisst  und  nicht  sagst,  wird  das  Herz  dir  zerreissen  und 
du  wirst  sterben«  Als  aber  der  König  seine  Meinung  sagt, 
da  geht  der  Leichnam  plötzlich  von  ihm  fort  und  hängt  wieder 
an  dem  Qimcapa-Baume.  Nun  muss  er  den  Weg  zurück  machen 
und  die  Leiche  noch  einmal  herunterholen.  Wie  er  sich  aber 
aufs  Neue  auf  den  Weg  macht,  fängt  der  Dämon  wieder  an: 
„Höre,  König,  ich  will  dir  was  erzählen."  Und  dann  spitzt 
sich  die  Geschichte  am  Ende  wieder  zu  einer  Frage  zu,  und 
wenn  der  König  sie  beantwortet,  hängt  der  Leichnam  plötzlich 
wieder  da,  wo  er  zuerst  gehangen.  Das  wiederholt  sich  25mal. 
So  entstehen  die  25  Erzählungen  des  Dämonen.  Es  sind  dar- 
unter sehr  hübsche,  echt  orientalische,  sinnvolle  und  farben- 
prächtige Märchen.1  Vor  allem  aber  sind  sie  darauf  angelegt, 
auf  ein  spitzfindiges  Problem  am  Ende  auszulaufen,  oft  mit  viel 
Geist  componirt.  Ich  will  nur  eine  kurze  Probe  dieser  Art 
geben.    Der  Dämon  erzählt: 


1  In  dem  ersten  Märchen  ist  die  echt  orientalische  Art,  mit  der 
sich  Liebende  durch  Zeichen  und  Symbole,  z.  B.  aus  der  Pflanzenwelt  u.  t» 
ohne  Worte  verständigen,  in  sehr  habscher  Weise  durchgeführt 


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—   545  - 

„In  einer  Stadt  lebte  ein  Brahmane,  der  hatte  eine  sehr 
schöne  Tochter.  Um  die  bewarben  sich  vier  Freier,  Brahmanen 
▼on  gleicher  Trefflichkeit,  sodass  der  Vater  nicht  wussto,  wel- 
chem er  sie  geben  sollte.  Da  wurde  das  Mädchen  von  einer 
Schlange  gebissen  und  starb.  Keine  Beschwörung  vermochte 
sie  wieder  ins  Leben  zu  rufen,  und  sie  wurde  endlich  auf  dem 
Kirchhofe  verbrannt  Die  vier  Freier  waren  mit  hinausgegangen. 
Der  Eine  von  ihnen  stürzt  sich  in  die  Flammen  und  verbrennt 
mit  der  Leiche  der  Geliebten.  Der  Zweite  sammelt  die  Aschen- 
Überreste  und  bleibt  ganz  auf  dem  Kirchhofe,  um  sie  beständig 
zu  hüten.  Der  Dritte  geht  einfach  nach  Hause,  der  Vierte  aber 
wandert  in  die  weite  Welt  Dieser  letztere  kommt  nun  zufällig 
in  das  Haus  eines  Brahmanen.  Bevor  sie  zu  Tische  gehen, 
wird  das  Kind  im  Hause  durch  Schreien  und  Weinen  lästig, 
da  nimmt  Brahmanin  und  wirft  es  ins  Feuer.  Höchlichst 

entrüstet  will  nun  unser  Wanderer  nicht  mit  speisen  in  einem 
Hause,  wo  so  gräuliche  Dinge  geschehen.  Der  Hausherr  hält 
ihn  aber  zurück,  holt  ein  Büchelchen  hervor,  murmelt  einige 
Sprüche,  und  das  verbrannte  Kind  wird  wieder  lebendig.  Das 
merkt  sich  unser  Wanderer;  er  bleibt  da  und  stiehlt  bei  Nacht 
das  Büchelchen  mit  den  Sprüchen,  die  so  gewaltige  Kraft  in 
sich  tragen.  Dann  geht  er  auf  den  Kirchhof  zu  den  Gebeinen 
der  Geliebten,  murmelt  die  Sprüchlein,  und  siehe,  sie  wird 
wieder  lebendig.  —  zugleich  aber  auch  der  erste  Freier,  der 
sich  mit  ihr  verbrannt  hatte.  Auch  Jener,  der  in  sein  Haus 
gegangen  war,  hört  davon  und  kommt  herzu,  und  die  Vier 
fangen  nun  an,  blind  vor  Zorn,  sich  miteinander  um  das  Mädchen 
zu  streiten.  Nun,  König,  sage,  welchem  von  ihnen  wird  sie 
gehören?"  —  Das  ist  doch  eine  hübsche  verwickelte  Räthsel- 
frage.  Die  Antwort  des  Königs  wird  Sie  wohl  weniger  befrie- 
digen, denn  dieser  meint:  Derjenige,  welcher  ihr  das  Leben  neu 
schenkte,  ist  gewissermaassen  ihr  Vater  geworden!  Der,  welcher 
sich  mit  ihr  verbrannte  ist  einem  Bruder  gleich  zu  achten! 
Der,  welcher  die  Knochen  beständig  bewachte,  verdient  ihr 
Sklave  zu  sein!  Der  aber,  welcher  einfach  nach  Hause  ging, 
der  soll  sie  als  sein  Weib  heimführen!1 

Sehr  fein  ist  die  Rahmeneinkleidung  in  der  Qukasaptati 
oder  den  70  Erzählungen  eines  Papageien. 


1  Es  ißt  dies  die  2.  Erzählung  der  Vettlap.  Den  Sanskrit-Text 
derselben  findet  man  auch  in  Lassen's  Anthologie,  p.  12  flg.  Die  Ve* 
talapaScavim^ati  ist  edirt  von  H.  Uhle,  Leipzig  1371  (mit  krit. 
Gommentar;  in  Transscription).   Abhdl.  d.  D.  Morg.  Ges. 

t.  Schröder,  Indiens  Lit.  u.  Colt.  35 


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I 


—   546  — 

„Eine  Frau,  deren  Mann  sich  auf  eine  Heise  begeben,  wird 
während  seiner  Abwesenheit  nach  fremden  Männern  lüstern. 
Der  Mann  hat  ihr  einen  klagen  Papagei  und  ein  Drosselweib- 
chen hinterlassen.  Sie  fragt  das  letztere,  ob  sie  ihrer  Neigung 
folgen  soll;  dieses  tadelt  sie  darüber  heftig  und  wird  deshalb 
von  ihr  getödtet.  Dann  wendet  sie  sich  mit  derselben  Frage 
an  den  Papagei.  Dieser,  durch  das  Schicksal  seiner  Gefährtin 
gewarnt,  billigt  ihr  Verlangen,  macht  sie  aber  auf  die  Gefahren 
aufmerksam  und  bedingt,  dass  sie  nur  dann  gehe,  wenn  sie  sich 
aus  einer  Gefahr  oder  Verlegenheit  so  geschickt  zu  ziehen  wisse, 
wie  die  oder  der.  Sie  fragt  dann,  was  das  für  eine  Geschichte 
sei.  Der  Papagei  erzählt  nun  eine  Geschichte  bis  zu  der  Ver- 
legenheit, dann  sagt  er:  „Nun  ist  die  Frage,  was  thut  sie  oder 
er?"  Die  Frau  kann  nicht  antworten,  Dann  sagt  der  Papagei: 
„Wenn  du  heute  zu  Hause  bleiben  willst,  so  will  ich  es  sagen." 
Auf  diese  Weise  geht  es  siebzig  Nächte.  Dann  kehrt  der 
Mann  zurück.411 

Dieses  Märchenwerk  spielt  auch  in  der  türkischen  Lifte- 
tur  als  Tütin  amen  oder  Papageienbuch  ejne  Rolle. 

In  der  Simhäsanadvatrimc,ati  ist  es  der  Thron  des 
Königs  Vikramäditya,  welcher  die  Geschichten  erzählt. 

Von  besonderer  Bedeutung  ist  die  Märchensammlung  des 
Somadeva  aus  Kaschmir,  Kathäsaritsagara  genannt,  d.  h. 
Meer  der  Ströme  der  Erzählungen  (<L  i.  ein  Meer,  in  welchem 
Ströme  von  Erzählungen  oder  Märchen  zusammenfliessen).  Dieses 
Werk  stammt  aus  dem  11.  Jahrhundert  n.  Chr.,  und  ist  dem- 
selben auch  ein  Auszug  aus  den  drei  ersten  Büchern  des  Paflca- 
tantra  einverleibt.'  Eine  Ausgabe  desselben  nebst  Uebersetzung 
ist  von  H.  Brockhaus  veranstaltet  worden.?  Eine  einzelne 


1  S.  Benfey,  Pantsch.  I  p.  273  flg.  Den  Text  dieser  Einleitung 
findet  man  in  La  säen 'a  Anthologie.  —  Eine  neogriechische  Uebersetzung 
der  Qukaeaptati  lieferte  Demetrios  Oalanos,  heraosg.  von  Typ&ldoa, 
unter  dem  Titel  Vixxaxov  pvd-okoylat  wxrtQivai. 

*  Tarafiga  59—61.  —  Brockhaua  hatte  das  12.  Jahrhundert  als 
Entstehungszeit  des  Kath&saritsagara  ansetzen  zu  müssen  geglaubt,  und 
ist  diese  Angabe  auf  aeine  Autorität  hin  vielfaltig  wiederholt  werden 
Dass  das  Werk  indessen  vielmehr  dem  11.  Jahrhundert  entstammt  (ca 
zwischen  1063  und  1082  p.  Chr.),  hat  Bühler  in  einem  besonderen 
Artikel  über  diese  Frage  nachgewiesen.  (Ueber  das  Zeitalter  des  kasch- 
mirischen Dichters  Somadeva,  Wien  1885.  Sitz.-Ber.  d.  phil.  bist  O. 
d.  Kais.  Ak.  d.  Wisa.  CX  Bd.,  Heft  II,  p.  646  flg.). 

•  Katha  Sarit  Sagara.  Die  Marchensammlung  des  Sri  Somadeva 
Bhatta  aus  Kashmir.  Buch  X — 6  Sanskrit  und  Deutsch  herausgegeben 
von  H.  Brockhaus,  Leipzig  1839.  Das  Weitere  (Buch  6— 18)  Leipzig 
1862—1866  (2  Theile)  Abh.  f.  d.  K.  d.  M.    (Die  Uebersetzung  ist  auch 


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—   547  — 

Geschiebte  desselben,  welche  die  Verderbtheit  der  Brahmanen 
geissei t,  findet  mm  von  A.  Hoefer  in  seinen  „Indischen  Ge- 
dichten44 metrisch  wiedergegeben.1 

Von  manchen  anderen  Sammlungen  sind  uns  nur  die 
Namen  bekannt.  Sie  haben  vielleicht  in  früheren  Jahren  ein- 
mal die  „Abenteuer  Sindbad  des  Seefahrers"  gelesen,  —  ein 
Buch,  das  noch  in  unserer  Zeit  manches  jugendliche  Herz  er- 
freut hat  Dieses  Werk,  welches  ebenfalls  im  Mittelalter  weithin 
durch  Orient  und  Occident  gewandert  ist  und  theils  ab  Buch 
der  sieben  Veziere44  oder  der  „sieben  weisen  Meister44  bekannt 
ist,  theils  als  Sindabad  oder  Sendebar,  nach  dem  Namen  der 
Hauptperson,  geht,  wie  Benfey  gezeigt  hat,  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  auf  ein  sanskritisches  Original  zurück,  Siddhapati, 
d.  L  „Meister  der  Zauberer  oder  Weisen44.  Es  scheint  aber 
dieses  Werk  bei  den  Indern  selbst  ganz  verloren  gegangen 
zu  sein.1 

Zum  Schluss  Hessen  sich  noch  einige  bemerkenswertbe 
romanartige  Dichtungen  anfuhren,  doch  sind  die  Leistungen 
nicht  sehr  zahlreich.  Dahin  gehört  z.  B.  das  Dagakumära- 
caritam  von  Dandin,3  wohl  aus  dem  6.  Jahrhundert  n.  Chr. 
stammend;  ferner  die  Vasavadatta  des  Subhandhu4  und 
die  Kadambarl  des  Bana,6  beide  wohl  dem  7.  Jahrhundert 
angehörig. 


besonders  erschienen,  2  Bde.,  Leipzig  1848).  —  Diesem  Werke  soll  su 
Grande  liegen  die  Vrihatkatha  des  Guna^hya,  vielleicht  aus  dem 
6.  Jahrhundert.  Neuerdings  davon  die  Bearbeitung  des  Kshcmamkara 
aufgefunden  durch  Burnell  und  Buhler;  s.  Ind.  Antiq.  I,  802  flg.  Weber, 
Ind.  Lit.,  2.  Aufl.  229  Anm. 

1  Ind.  Gedichte,  II  p.c207  „Vom  gefoppten  Priester14. 

»  S.  Benfey,  Pantsch.  I  p.  23;  Mel.  aaiat.  III,  188  flg.  Orient 
und  Occident,  Bd.  DI,  p.  171— 180. 

*  Herausgeg.  von  Wilson  L  J.  1846;  von  Bühler  i.  J.  1873,  tgl. 
über  Dandin  auch  M.  Müller,  Indien  in  s.  weltgesch*  Bed.  p.  286. 
Weber,  Ind.  Lit  2.  Aufl.  p.  223.  229  Anm. 

4  Herausgeg.  von  Hall,  mit  guter  literarhistorischer  Einleitung,  in 
der  BibL  Indica  1859. 

5  Herausgeg.  in  Calcutta  i.  J.  1850;  neuerdings  wieder  mit  literar- 
historisch, wichtiger  Einleitung  von  P.  Peter son  in  Bombay,  1883  (Bom- 
bay Sanskrit  Series  No.  XXIV);  auch  von  Taranath*  Terkevacas- 
pati,  Calcutta  1888  (2.  ed.).  üeber  alle  diese  Werke  vgl.  Weber,  Ind. 
Lit  2.  Aufl.  229  Anm.;  Ind.  Streifen  I,  808—386.  üeber  Bana  Tgl.  auch 
M.  Müller,  Indien  in  s.  w.  Bed.  p.  262  flg.  282  flg. 


35* 


)gle 


I 


Achtunddreissigste  Vorlesung. 

Die  lyrische  Poesie.  Grössere  lyrische  Dichtungen.  Meghadüta,  der 
Wolkenbote.   Ghatakarpara.   Caurapaficacika.   Ritusamhara,  der  Kreil 

der  Jahreszeiten  u.  a. 


Auf  dem  Gebiete  der  lyrischen  Poesie,  begegnen  wir 
nur  wenigen  grösseren  Dichtungen,  darunter  aber  einigen  voll- 
endet schönen  Schöpfungen  des  Kalidäsa,  die  dieses  grössten 
indischen  Dichtergenius  durchaus  würdig  sind.  Kaiida sa,  der 
im  6.  Jahrhundert  n.  Chr.  lebte,1  zeichnete  sich,  wie  auch 
schon  seine  Dramen  £akuntala  und  Urvacl  bekunden,  durch 
hervorragende  lyrische  Begabung  aus.  Sein  Meghadüta,  „der 
Wolkenbote",  ist  ein  Kleinod  von  unschätzbarem  Wertha  Ais 
Goethe  in  den  „Zahmen  XenienMf  mit  begeisterten  Worten 
von  der  reizenden  Poesie  der  (Jakuntala  und  des  Nala  redete, 
da  fügte  er  auch  die  Worte  hinzu: 

Und  Meghadüta,  den  Wolkengesandten, 

Wer  schickt  ihn  nicht  gerne  zu  Seelenverwandten! 

Lassen  Sie  uns  nun  diesen  Meghadüta  etwas  näher  kennen 
lernen  und  sehen,  ob  auch  wir  zu  den  Seelenverwandten  ge- 
hören, von  denen  der  Dichterkönig  redet. 

Den  Inhalt  des  Meghadüta  bildet  eine  Botschaft,  welche 
ein  Verbannter  einer  Wolke  an  die  ferne,  unerreichbare  Ge- 
liebte aufträgt,  wobei  er  ihr  zugleich  in  farbenprächtiger  Schil- 
derung den  Weg  beschreibt,  welchen  sie  nehmen  soll  Jener 
unglückliche  Verbannte,  der  die  Wolke  zum  Boten  seiner  Sehn- 
sucht macht,  ist  ein  Yaksha,  ein  halbgöttliches  Wesen,  wie  sie 
die  Umgebung  des  Kuvera,  des  Gottes  der  Reichthümer,  bilden, 
und  wie  sie  in  Alaka,  der  prächtigen  Stadt  jenes  Gottes,  auf 


1  Die  Begründung  für  diese  Zeitbestimmung  wird  weiter  unten  ge- 
geben werden. 

*  Zahme  Xenien,  Zweite  Reihe. 


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dem  Käilasa- Berge  im  Himalaya  wohnend  gedacht  werden. 
Alle  Motive  und  Empfindungen  des  schönen  Gedichtes  sind 
aber  durchaus  menschlich,  sodass  uns  die  halbgöttliche  oder 
elfenhaflo  Natur  des  Verbannten  nirgends  stört,  wie  sie  wohl 
auch  nur  dazu  dienen  soll,  das  Ganze  in  eine  höhere  Sphäre 
zu  heben. 

Ein  Vergehen  hat  dem  Yaksha  den  Fluch  seines  Herrn 
und  die  Verbannung  zugezogen.  *  Zwölf  Monate  soll  er  fern 
bleiben.  Am  Ramaberg,  in  einem  Büsserwald,  dort,  wo  einst 
rUma  mit  Sita  und  Lakshmana  gehaust,  nimmt  er  seinen  Aufent- 
halt Die  Trennung  von  dem  geliebten  Weibe  macht  ihn  krank 
und  traurig,  er  magert  ab,  das  goldene  Armband  gleitet  von 
dem  welken  Arme.  Da  wird  er  beim  Herannahen  der  Regen- 
zeit eine  dunkle  Wolke  gewahr,  die  nach  Norden  zieht,  einem 
mächtigen  Elephanten  ähnlich  gestaltet.  Mit  erneuter  Kraft 
erwacht  in  ihm  der  Sehnsucht  Leid  und  schweren  Herzens 
schaut  er  das  Luftgebilde  an.  Dann  aber  steigt  ein  tröstender 
Gedanke  in  ihm  auf.  Er  grüsst  die  Wolke,  bringt  ihr  als 
Ehrenspende  Ku^aja-Blüthen  dar  und  floht  sio  an,  der  Liebsten 
Botschaft  von  ihm  zuzutragen1: 

Du  bist  die  Zuflacht  Aller,  welche  klagen 
In  heissem  Leid:  erbarme  dich  auch  mein! 
Da  sollst  von  mir  der  Gattin  Botschaft  sagen; 
Hier  leb  ich.  weil  der  Gott  mir  zürnt,  allein. 
Du  musst  nach  Alaka  dich  hinbegeben, 
Der  Stadt,  In  der  die  Yaksha- Fürsten  leben; 
Gott  fiva  wohnt  in  ihrem  Gartenkranz, 
Sein  Mond  verleiht  dort  den  Palasten  Glanz. 

Zieh  hin,  o  Wolke,  ruft  der  Verbannte,  mit  günstigem 
Winde,  der  dich  gemächlich  treibt!  Der  Vogel  Cätaka  zieht 
singend  neben  dir  dahin,  die  Kranichschaar en  grüssen  dich; 
im  Herzen  der  Schwäne  erwacht,  wenn  sie  dein  Donnern  hören, 
die  Sehnsucht  nach  dem  Mänasa-See,  und  mit  jungen  zarten 
Lotusschossen  für  die  Fahrt  versehen,  eilen  sie  freudig  mit  dir 
durch  die  Lüfte,  indessen  die  Erde  unter  dir  gleich  Sonnen- 
schirmen Pilze  emportreibt  Nimm  Abschied  jetzt  vom  Rama- 
berg, o  Wolke!  Doch  eh'  ich  dir  die  Botschaft  sage,  lass  mich 
den  Weg  beschreiben,  den  du  gehen  musst,  die  Bergesspitzen, 
wo  du  ruhen  kannst,  die  Flüsse,  die  dir  neues  Wasser  bieten. 


1  Die  folgenden  Verse  sind  nach  der  Uebersetzung  von  Ludwig 
Fritze  gegeben  (Meghadüta,  das  ist  der  Wolkenbote,  ein  Gedicht 
von  KtUidasa,  aus  dem  Sanskrit  metrisch  übersetzt,  Chemnitz  1879j. 


-    550  — 

Nach  Mala,  wo  dich,  Freund,  des  Landes  Frauen, 

Weil  du  bedingst  des  Ackerbaus  Gedeihn, 
Mit  ihren  Augen,  die  vom  Spiel  der  Brauen 
Noch  nichts  ?erstehn,  voll  Liebe  schlürfen  ein, 
Nach  Mala  steig  empor,  aus  dessen  Fluren 
Sich  süsser  Duft  erhebt  der  frischen  Spuren 
Des  Pflugs;  geh  westlich  dort  In  leichtem  Lauf 
Und  nimm  dann  bald  den  Weg  nach  Norden  auf. 

Durch  deine  Regenschauer  stillst  du  die  Qualen  des  Waldes, 
drum  wird  dich  Wegemüden  gern  der  Amraküta-Berg  auf  seinem 
Haupte  tragen.  Wenn  du,  o  Wolke,  auf  dem  Berge  lagerst, 
den  rings  am  Rande  Waldmangos  in  dem  Schein  der  reifen 
Früchte  beschatten,  dann  wird  er  würdig  sein,  dass  Götter  ihn 
betrachten.  Dort  magst  du  weilen,  in  den  Lauben  kosen  der 
Waldbewohner  Frauen  gern.  Am  Fuss  des  Vindhya  schaust 
du  dann  die  Reva,  die  über  Steine  zerrissen  hinströmt,  während 
Jambu-Gruppen  den  raschen  Lauf  ihr  hemmen;  dort  nimm  Tom 
dufterfüllten  Wasser  in  dich  auX 

Staubfaden,  welche  halb  herausgedrungen. 
Bewirken,  dass  der  Nipa  grünlich  braun 
Erglänzt;  die  ersten  Knospen  sind  entsprungen 
Der  Pisangs  an  den  Ufern;  o,  dies  Schaan 
Die  Cat&ka's,  und  süsser  Duft  der  Felder 
Verbreitet  sich  zu  ihnen  in  die  Walder. 
Die  brandzerstörten  und  sie  künden  dann, 
0  Tropfenspender,  deine  Strasse  an.  (21) 

Wenn  du  dich  nahst  so  wird  man  au  den  Haine 
Im  Land  Dacarna  weiss1  die  Z&une  schaun 
Durch  Ketaka's,  die  blühen,  von  den  feinen 
Staubfäden  aufgesprengt;  ihr  Nest  zu  baun, 
Beleben  Krähn  der  Dörfer  heiige  Bäume: 
Yon  reifer  Frucht  sind  dunkelblau  die  Räume, 
Die  Jambu- Wälder  decken,  und  von  dort 
Ziehn  Schwäne  erat  nach  ein'gen  Tagen  fort  (23) 

Dann  wirst  du  VidicÄ  schaun,  die  weitberühmte  Stadt  und 
kannst  vom  lieblichen  Wasser  der  Vetravati  trinken,  die  mit 
ihren  krausen  Wellen  dem  schmollenden  Antlitz  der  Geliebten 
ähnlich  sieht.  Dann  magst  du  ausruhen  auf  dem  Nicais-Berge, 
wo  die  Kadamba-Bäume  in  der  Pracht  der  Blüthen  stehn,  ab 
schauerte  der  Berg  Tor  Lust,  weil  die  Wolke  ihn  umschlossen. 
Dann  aber 


1  Ich  habe  mir  hier  aus  Geschmacksrttcksichten  eine  kleine  Aende- 
rung  erlaubt;  Fritze  schreibt  ,,bleich"  , 


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—   551  — 

Verschmäh  es  nicht,  o  Wolke,  dich  den  Zinnen 

Der  Schlösser  in  Ujjayini1  zu  nahn; 

Zum  Umweg  freilich  zwingt  dich  dies  Beginnen, 

Denn  nach  dem  Norden  weist  dich  deine  Bahn. 

Wenn  dort  die  Fraun  nicht  Freude  dir  erregen, 

Die  ihre  Augenwinkel  gern  bewegen,  — 

Sie  zittern,  wenn  die  Blitze  schaut  ihr  Blick,  — 

Dann  bist  du,  ach,  betrogen  vom  Geschick.  (27) 

Im  Lande  Avaati,  wo  den  Greisen  in  den  Dörfern  die  Ge- 
schichten Tom  König  Udayana  wohlbekannt  sind,  dort  liegt  die 
hochgepriesene  Stadt  Ujjayini 

Dort  fuhrt  der  Wind,  der  morgens  von  dem  Strande 
Der  Sipra  weht,  der  Kraniche  Getön, 
Das  helle,  liebessüsse,  in  die  Lande. 
Er  duftet  nach  dem  offnen  Lotus  schön, 
Mit  dem  er  Freundschaft  hält;  (31) 

 Dann  magst  du  dir  beschaun 

Die  Pracht  der  Stadt  und  auf  den  Schlössern  bleiben 
Und  deine  Madigkeit  daselbst  vertreiben.  (32) 

Mit  dem  schönen  Strom,  der  Nirvindhya,  soll  sich  die 
Wolke  befreunden,  —  Nirvindhya,  deren  tonendes  Gürtelband 
die  Vögelreihen  darstellen,  die  auf  ihr  schwimmen,  —  die  hold 
in  ihrem  Laufe  strauchelt,  wie  ein  tändelndes  Weib.  Auch 
Mahakäla,  Qiva's  heiligen  Ort,  soll  sie  besuchen  und  den 
Frauen,  die  in  der  dunklen  Nacht  zum  Liebsten  wandeln,  durch 
helle  Blitze  den  Weg  zeigen. 

Begieb  dich,  wenn  dein  Schatten  eingedrungen 
Ina  Brahmararta  -  Land ,  nach  jenem  Feld 
Der  Kuro,  wo  im  Kampf  einst  ward  gerungen 
Von  Kriegern,  wo  einst  Arjuna,  der  Held, 
Der  Königssöhne  Antlitz  übergössen 
Mit  scharfen  Pfeilen,  die  er  abgeschossen 
Zu  Hunderten,  wie  sich  dein  Strom  ergiesst, 
Wenn  er  auf  Wasserrosen  niederfliesst.  v48) 

Dann  nahe  dich  der  Tochter  Jahnu's,  der  heiligen  Gangä, 
die  von  höchster  Bergeskette  sich  niedersenkt,  sie,  die  den 
Söhnen  Sagara's  zur  Himmelstreppe  wurde.  Zum  Berg,  der  sie 
gebar,  wirst  du  gelangen,  der  von  Schneefeldern  weiss  erglänzt, 
wo  die  Felsen  duften  nach  den  Moschusrehen,  die  dort  lagern. 
Dort  musst  du  Qiva's  Fussspur  ehrfurchtsvoll  begrüssen.  Die 
winderfullten  Bambusrohre  erklingen  lieblich  und  KinnarTs  be- 


1  Ujjayini  ist  die  Stadt,  wo  Vikrama  König  war.  wo  Kalidasa  selbst 
lebte  fl**d  dichtete. 


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—   552  — 

singen  Qivas  Thaten,  —  da  magst  du  auch  mit  deiuen  Donner- 
tönen  dich  mischen  in  den  Chor.  Dann  aber  eile  zum  Käilasa- 
Berg,  nach  Alakä,  wo  meine  Liebste  weilt. 

Du  sahst  schon  Alaka  und  kennst  sie  wieder, 
Die  Stadt,  o  Freund,  die  auf  dem  Schoosse  hält 
Der  Berg  als  Liebste,  sie,  von  der  hernieder. 
Als  war  es  ein  Gewand,  die  Gaiigft  fallt. 
Auf  hohen  Schlössern  trägt  sie  Wolkenmassen, 
Zu  eurer  Zeit,1  die  Regen  strömen  lassen, 
Gleichwie  Gelock  der  Liebsten  Haupt  umringt, 
Durch  welches  sich  ein  Neu  von  Perlen  schlingt.  (63) 

Dort  ist  zum  Spiel  ein  Lotus  in  den  Händen 

Der  Fraun;  mit  frisch  entfaltetem  Jasmin 

Durchwinden  sie  die  Locken;  sie  verwenden 

Kuravaka's,  sie  durch  den  Zopf  zu  ziehn; 

£9  dient,  das  schöne  Antlitz  weiss  zu  schminken, 

Der  Staub  des  Lodhra;  an  den  Ohren  blinken 

firisha's;  die  Kadambablume  prangt 

Am  Scheitel,  die  durch  dich  zum  Bltthn  gelangt  (65) 

Dort  steigen  Yaksha's,  mit  den  schönsten  Frauen 
Vereint,  zu  Söllern  von  Krystall  empor; 
Man  kann  der  Sterne  Bild  in  diesen  schauen, 
So  dass  sie  strahlen  wie  ein  Blumenflor. 
Und  jene  schlurfen  Meth  vom  Wunderbaume, 
Wie  Liebeslust  so  süss,  in  solchem  Baume; 
Dabei  erklingen  Trommeln  sanft  und  lind, 
So  dumpf,  wie  deine  tiefen  Töne  sind.  (66) 

Auf  welchem  Weg  verliebte  Fraun  dort  schreiten 

Bei  Nacht,  das  lassen  früh  am  Morgen  sehn 

Mandära-Bluthen,  die  dem  Haar  entgleiten, 

Dem  lockigen,  weil  jene  zitternd  gehn, 

Und  Goldlotusse,  die  sie  von  den  Ohren 

Nebst  Schmuck  in  Blattgestalt  von  dort  verloren, 

Auch  manches  Perlennetz,  manch  Perlenband, 

Das  auf  der  Brust  zerriss,  um  die  aich's  wand.  (70) 

Dort  steht  nun  auch  die  Wohnung  von  uns  beiden, 
Vom  Haus  Kubera's  nördlich;  an  dem  Thor 
Kann  man  es  schon  von  weitem  unterscheiden, 
Das  schön  wie  Indra's  Bogen  ragt  empor. 
Für  die  Mandärabäumchen  sorgt  im  Garten, 
Als  gelt*  es,  eines  Pflegesohns  zu  warten, 
Die  Gattin;  jenes  beugt  sich  vor  der  Last 
Der  Blüthen,  die  bequem  die  Hand  erfasse  (72) 

In  diesem  Garten  ist  ein  Teicb,  —  ihn  fallen 
Erblühte  goldne  LotusBe,  gar  fein 


1  D.  h.  zu  der  Zeit,  wo  die  Wolken  der  Kegenzeit  ziehen. 


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—  553  — 

Erglänzend  mit  den  Stengeln  aus  Beryllen; 

Es  führt  die  Treppe  von  Smaragdgestein 

Zu  ihm  herab.   Die  Wohnung  dort  genommen, 

Die  Schwäne,  sind,  obgleich  du  angekommen, 

Von  Sorgen  frei  und  richten  fhren  Sinn 

Nicht  nach  dem  Mänasa,  dem  nahen,  hin.1  (78) 

Ein  Lustberg,  dem  aus  prächtigen  Sapphiren 
Der  Gipfel  ward  gebildet,  steht  am  Saum 
Des  Teichs;  ihn  einzufassen  und  zu  zieren, 
Umgiebt  den  Berg  manch  goldner  Pisangbaum. 
Ihm  pflegt  besondre  Gunst  mein  Weib  zu  schenken, 
Verzagten  Geistes  muss  ich  sein  gedenken, 
Indem  auf  dich  mein  Blick,  o  Wolke,  fällt, 
Die  rings  am  Rand  der  Blitze  Spiel  erhellt.  (74) 

Der  Roth-Acoka,  dessen  Zweige  beben, 
Steht  dort,  gesellt  dem  schönen  Kecara, 
Der  Laube,  die  Kuravakas  umgeben 
Und  eine  Madhavi  umrankt,  so  nah  u.  s.  w 

Dort  auf  dem  Lustberg  soll  die  Wolke  sich  niederlassen 
und  in  das  Haus  hineinleuchten.  Mit  glühenden  Farben  schil- 
dert der  Verbannte  dem  Wolkenboten  der  Geliebten  Schönheit 
—  ach,  jetzt  wird  wohl  auch  sie  durch  den  Trennungsschmerz 
verändert  sein.  Vielleicht  bringt  sie  ein  Opfer  dar,  vielleicht 
auch  plaudert  sie  mit  ihrer  Drossel,  die  im  Käfig  sitzt,  und 
fragt:  „  Erinnerst  du  dich  wohl  des  Herrn  ?*  Vielleicht  auch 
nimmt  sie  ihre  Laute  in  den  Schooss,  ein 'Lied  zu  singen,  das 
▼om  Liebsten  spricht,  doch  Thränen,  ach,  verhindern  es!  Sieh« 
*ie  sie  schlaflos  daliegt  in  der  Nacht! 

Auf  ihrem  Trennnngslager,  durch  die  Sorgen 
So  schmächtig,  gleicht  sie,  seitlich  hingestreckt, 
Des  Mondes  Körner,  wenn  ihn  tief  im  Morgen 
Als  schmale  Sichel  unser  Blick  entdeckt. 
Sie  bringt  mit  heissen  Tbranen  bin  die  Stunden 
Der  Nacht,  die  ihr  als  Augenblick  entschwunden, 
Wenn  sie  im  Glück  der  Liebe  mich  umschlang;  — 
Wie  ist  ihr  nun;  allein,  die  Nacht  so  lang!  (86) 

Sie  wirft  mit  Seufzen  die  Locken  hin  und  her,  doch  ihr 
Auge 

—  bei  deinem  Nahen 

Da  ruckt  es  in  die  Höh  und  wird  empfahen, 
So  denk  ich  mir,  der  Wasserlilie  Pracht, 
Die  eines  Fisches  Anstoss  zittern  macht. 


1  Sonst  pflegen  die  Schwäre  zur  Regenzeit  nach  dem  Manasa-See, 
im  Norden ,  zu  ziehen. 


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Und  wenn  sie  sich  erhebt  und  auf  dem  Fenster,  deinem 
Sitze,  das  Auge  ruhen  lässt,  dann  mit  Donnerlaut  sprich  du 
zu  ihr,  sag  ihr,  dass  ich  als  Boten  dich  gesandt,  sag,  dass  ich 
lebe,  dass  ein  feindlich  Schicksal  mich  ferne  halt,  dass  ich  in 
Thränen  und  in  Seufzern  lebe,  und  sprich  zu  ihr  die  Worte 
meiner  Sehnsucht1: 

Ick  sehe  wohl  in  krauser  Fluth  das  muntre  Spielen  deiner  Brauen, 
Im  Aug'  des  Rehes  deinen  Blick,  dein  Haar  im  vollen  Schweif  de>  Pfauen. 
Ich  seh  im  Monde  dein  Gesicht  und  im  Priyaögu  deine  Gliedert 
Doch  ach!  an  einem  Ort  vereint  find  ich  dein  BUdniss  nirgends  wieder. 

Als  Zürnende  mal*  ich  dich  oft  mit  rother  Färb  auf  glatten  Steinen! 
Und  machte  dann  mein  eignes  Bild  zu  deinon  Fussen  dir  vereinen, 
Doch  langsam  steigt  die  Turin*  empor  und  hüllt  in  Dunkel  meine  Blicke 
Ach!  hier  auch  werden  wir  getrennt  von  unsrem  feindlichen  Geschicke 

Wenn  mich  des  Waldes  Götter  sehn,  wie  ich  nach  dir  die  Anne  breite. 
Um  dich  an  meine  Brust  zu  zielin,  sah  ich  im  Traum  dich  mir  zur  Seite, 
Dann,  glaub*  ich,  werden  oftmals  auch  aus  ihren  Augen  Thranen  sinket* 
Die,  gross  wie  Perlen,  in  dem  Wald  rings  an  den  frischen  Knospen  blinken 

Des  Schneegebirges  Winde,  die  soeben  die  Devadaru- 
Knospen  blühen  machten, 

Wie  innig  werden  sie  von  mir  umschlungen! 
Vielleicht  geschah's  ja.  dass  dein  Körper  auch, 
Du  Gute,  ward  berührt  von  ihrem  Haucht 

Doch  fasse  Muth,  es  muss  das  Leid  sich  enden!  Der 
Fluch,  der  mich  getroffen,  geht  zu  Ende,  sobald  Gott  Vishnu 
sich  vom  Schlangenlager  hebt  Ist  erst  die  Trennungszeit  vor- 
über, dann  wollen  wir  in  mancher  vollmondheilen  Nacht  Alles 
gemessen,  was  wir  jetzt  ersehnen. 

Bald  wirst  du  wieder  auf  dem  Lager  liegen 

Und,  etwas  eingeschlafen,  .wie  auvor 

An  meinen  Hals,  du  Liebliche,  dich  schmiegen; 

Dann  fahrst  du  weinend  aus  dem  Traum  empor. 

Ich  frage  dich,  und  muss  es  wiederholen, 

Was  dir  geschah;  du  sprichst«  und  lachst  verstohlen: 

Ich  bab  im  Traum,  du  loser  Mann,  geschaut, 

Wie  du  mit  einer  Andern  thatst  vertraut.  (108^ 

Und  so  —  mit  den  Bildern  des  süssesten  Glückes,  das 
die  Zukunft  in  ihrem  Schoosse  birgt,  mit  innigen  Dankesworten 
an  den  Wolkcnboten,  so  endet  der  Verbannte  seine  Rede.2 


1  Die  folgenden  schönen  drei  Strophen  sind  nach  M.  Müllers 
Uebersetzung  gegeben. 

•  Herausgegeben  ist  der  Meghadüta  schon  i.  J.  1813  von  Wilson, 
nebst  englischer  Uebersetzung  (Calcutta);  dann  von  J.  Gildemeister 


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555 


Wenn  schon  hier  im  Meghadüta  neben  dem  lyrischen 
Element  das  schildernde,  beschreibende  vielfach  stark  hervor- 
tritt, so  ist  dies  in  noch  weit  höherem  Maasse  der  Fall  in  dem 
anderen  hierher  gehörigen  Gedichte  des  Kalidasa,  dem  Bitu- 
samh&ra,  d.  h.  Vereinigung  oder  Kreis  der  Jahreszeiten.  Es 
ist  dies  eine  höchst  poetische  Schilderung  der  sechs  indischen 
Jahreszeiten:  Sommer  (grlshma),  Regenzeit  (varshä),  Herbst 
(carad),  Winter  (hemanta)',  Thaueszeit  oder  kühle  Zeit 
(peira)  und  Frühling  (vasanta),  welcher  hier,  —  ganz  gegen 
unsere  Art  der  Anordnung,  —  an  letzter  Stelle  erscheint. 
Prächtige,  glühende,  lebenathmende  Schilderungen  der  Natur 
wechseln  hier  mit  der  Vorführung  erotischer  Scenen  und  Em- 
pfindungen. 

Das  feine  Gefühl  Kälidasa's  für  die  Natur  und  ihre  Schön- 
heit, sein  reiches  Beobachtungstalent,  dem  auch  das  Kleine  und 
Kleinste  nicht  entgeht,  seine  ebenmassig  schöne,  bald  zarte, 
bald  kräftige,  ja  glühende  Farbengebung,  die  wir  auch  aus 
seinen  Dramen  kennen,  zeigen  sich  deutlich  und  sehr  vorteil- 
haft in  diesem  Gedichte.  Schilderungen  können  leicht, ermüdend 
werden,  hier  aber  kommt  überall  Leben  und  Beseelung  in  die 
Natur,  und  geschickt  versteht  es  der  Dichter,  die  Stimmungen 
des  Mensehenherzen8  mit  in  das  Bild  hineinzuwebon.1 

Der  erste  Abschnitt  (Sommer)  beginnt  mit  einer  eroti- 
schen Schilderung.  Wenn  zur  Sommerzeit  am  Tage  die  Sonne 
glüht,  sind  um  so  entzückender  die  Nächte,  die  des  Mondes 
Glanz  erhellt  Um  Mitternacht  erfreuen  sich  die  Liebenden 
im  herrlich  duftenden  Gemache  an  Sang  und  Spiel  und  Wein- 
gen uss.  Mit  dem  Seidengurt  um  die  runde  Hüfte,  mit  Perlen- 
schnüren, die  den  Busen  schmücken,  mit  Blumen  und  Wohl- 
gerüchen in  den  Locken,  entzückt  die  Schöne  ihren  Freund. 
Am  zarten  Fusse,  den  die  Schminke  noch  lieblicher  macht, 
klirrt  bei  jedem  Schritte  die  goldene  Spange,  den  schönen 


i  J.  1841;  ferner  mit  kritischen  Anmerkungen  und  Wörterbuch  von 
Ad.  Fr.  Stenzler,  Breslau  1874.  —  Eine  sehr  geschmackvolle  Ueber- 
•etWM  veröffentlichte  Max  Müller,  schon  i.  J.  1847  (Königsberg); 
iaon  folgte  die  treffliche  prosaische  Uebersetzung  von  C.  Schütz,  mit 
»«■hr  werthvollen  Anmerkungen  (Bielefeld  1859);  endlich  die  von  Ludwig 
F ritte  (Chemnitz  1879);  vgl.  oben  p.  549. 

1  Dies  Gedicht  wurde  schon  L  J.  1792  in  Calcutta  durch  W.  Jones 
veröffentlicht;  dann  ist  es  mit  lateinischer  und  metrischer  deutscher 
CeberseUung  herausgegeben  von  P.  v.  Bohlen;  Ritusanhära,  id  est 
tempestatum  eydus  Lipsiae  1840.  Die  weiterhin  von  mir  gegebenen 
frischen  Stücke  sind  der  Bohlcnschen  Uebersetzunaj  entnommen,  wobei 
our  in  der  Schreibung  der  Kamen  Einiges  geändert  Ist 


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-   556  — 


Busen  kühlt  die  duftige  Sandelsalbe,  Wohlgerüche  ziehen  durch 
die  Luft,  die  Laute  klingt,  —  da  erwacht  die  Liebealust  aus 
ihrem  Schlummer,  die  jugendlichen  Glieder  umschlingen  sich, 
—  der  Mond  aber,  der  im  schimmernden  Gemache  der  Jung- 
frau holdes  Angesicht  erblickt,  will  vor  Eifersucht  vergehen. 

Dann  erzählt  der  Dichter  von  dem  Wanderer,  den  der 
Schmerz  über  die  Trennung  von  der  Liebsten  brennt,  und  der 
kaum  den  Boden  unter  sich  erkennen  kann, 

Penn  ausgcdörret  von  der  Sonne  Gluthen 
Umhüllen  Staub  und  Wirbelwind  da«  Land. 

Und  nun  folgt  eine  prächtige  Schilderung  der  eigentlichen 
Sommergluth: 

Nach  Wasser  eilt  die  durstende  Gazelle, 
Vor  Hitze  glühend  und  mit  trocknem  Gaurn, 
Wenn,  ähnlich  einem  trunknen  Elephanten, 
Gewölk  erscheint  am  fernen  Waldessaum.  (11) 

Die  Schlange,  von  der  Sonne  Strahl  durchglühet, 

Im  brennendheissen  Staube  hingestreckt, 

Hat  endlich  seufzend  sich  herangewunden, 

Wo  schattig  sie  der  Schweif  des  Pfauen  deckt  (12) 

Der  Löwe  keucht  mit  durstigwundem  Rachen, 
Verfolget  nicht  den  Elephanten  mehr; 
Der  kühne  Muth  ist  ihm  dahingeschmachtet, 
Die  Mahne  starrt,  die  Zunge  zittert  schwer.  (13) 

Der  Elephant,  Ton  heissem  Durst  getrieben, 
Und  aufgezehret  von  der  Sonne  Gluth, 
Er  schlürft  mit  trocknem  Rüssel  Thauestropfen, 
Ist  unbekümmert  um  des  Leuen  Wuth.  (14> 

Der  Pfau,  am  Körper  matt  und  sinnverwirret 
Durch  Strahlen,  die  wie  Opferfeuer  glühn, 
Verschonet  nun  die  hingestreckten  Schlangen, 
Die  unter  seines  Schweifes  Schatten  fliehn.1  (15) 

Der  Eher  wühlt  sich  mit  des  Rüssels  Scheibe 
In  Ried  und  gelben  Schlamm  des  Sumpfes  ein 
Und  möchte  ganz  sich  in  die  Erde  graben 
Zum  Schutze  vor  der  Sonne  Flammenschein.  (16) 

Getroffen  von  dem  strahlbekranzten  Gotte, 
Entspringt  der  Frosch  des  trüben  Teiches  Schlamm, 
Und  flüchtet  müde  sich  zu  einer  Schlange, 
Die  ausgebreitet  ihren  Schattenkamm.  (17) 


1  Der  Pfau  verfolgt  und  tödtet  sonst  die  kleinen  giftigen  Schlangen. 


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557 


Ihr  aber  ist  das  Stirnjuwel  gespalten, 
Vor  Sonnengluth  ihr  Inneres  verzehrt; 
Sie  züngelt  gierig  nur  der  Luft  entgegen 
Und  lasst  die  nahe  Beute  unversehrt.  (18) 

In  einem  Netz  von  Lotusfibern  hangen 
Betäubte  Fische,  und  der  Kranich  flieht, 
Denn  Elephanten  stampfen  in  dem  Teiche, 
Bis  er  dem  dicken  Schlamme  ähnlich  sieht.  (19) 

Mit  welker,  schaumbedeckter  Lippe  stürzet 
Aus  Bergeskluft  die  Büffelschaar  hervor; 
Die  Zunge  hangt  ihr  glühend  aus  dem  Munde, 
Nach  Wasser  schaut  der  wilde  Blick  empor.  (20) 

Es  hat  verheerender  Waldbrand  das  junge  Gras  verdorrt, 
Und  heftig  treibt  die  Windsbraut  die  trocknen  Blatter  fort; 
Ringsum  sind  die  Gewässer  versiegt  in  jedem  Teich, 
Entsetzen  erwecken  die  Haine,  noch  jüngst  so  blüthenreich.  (21) 

Auf  Bäumen  mit  welken  Blattern  erseufzt  der  Vögel  Sang, 
Die  müden  Affen  schleichen  sich  an  dem  Berg  entlang; 
Es  waudern  die  Biiffelschaaren  und  schaun  nach  Nass  empor 
Und  in  des  Brunnens  Tiefe  schlürft  ein  Phalanenchor.  (22) 

Mit  Windesschnelle  getrieben  umarmt  die  Feuergluth 
Der  Baum*  und  Strauche  Wipfel,  verzehret  mit  rascher  Wuth, 
Da  springen  die  rothen  Funken,  als  würde  von  Ort  zu  Ort 
Zinnober  und  Saffranblüthe  gestreuet  fort  und  fort.  (23) 

Und  aus  der  Berge  Spalten  braust  Sturmgeheul  hervor, 

Es  tönt  ein  helles  Pfeifen  im  trocknen  Bambusrohr; 

Dann  fliesst  im  Nu  die  Flamme  hernieder  in  die  Schlucht 

Und  scheuchet  die  Schaar  des  Wildes  empor  zur  raschen  Flucht  (24) 

Und  wenn  in  Baumwollstauden  das  Feuer  nun  starker  loht, 
So  dringt  aus  Baumesritzen  die  Flamme  wie  goldnes  Roth; 
Sie  springt  mit  Zweig  und  Blattern  von  Aesten  hier  und  dort, 
Und  rast,  vom  Winde  getrieben,  im  Walde  weiter  fort  (25) 

Leu,  Elephant  und  Büffel,  verscheucht  von  Gluth  und  Dampf, 
Sie  gehen  wie  Freunde  beisammen  und  denken  nicht  an  Kampf: 
Aus  branderfülltem  Walde  sieht  man  sie  ängstlich  fliehn 
Und  in  die  feuchte  Niedrung  zu  Inselgründen  ziehn.  (26) 

Doch  wer  an  Lotusschimmer  und  Pataladuft  sich  letzt, 

Des  Hauses  hohen  Söller  mit  frischer  Kühlung  netzt, 

An  Sang  und  Scherz  sich  labet  mit  der  Geliebten  vereint, 

Dem  schwinde  des  Sommers  Hitze,  wenn  hell  der  Mond  erscheint.  (27) 

Auf  diese  Zeit  der  schwülen  Hitze  folgt,  von  dunklen 
Wolken  angekündigt,  die  tropische  Regenzeit.  Einem  Fürsten 
gleich  naht  sie  heran,  getragen  von  dem  Wolken-Elephanten, 


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—   558  - 

i 

der  Blitz  ist  ihre  Fahne,  der  Donner  ihre  Pauke,  Frende  erregt 
sie  mit  und  hreit.  Die  dunklen  Wolken,  die  den  Himmel  be- 
decken, ähneln  dem  blauschimmernden  Lotus,  bald  zeigen  sie 
die  Gestalt  eines  Elephanten,  bald  die  der  Brüste  eines  Weibes. 
Durch  die  Wassermassen  beschwert,  ziehen  sie  langsam  dahin, 
von  den  Schaaren  der  durstigen  Cataka's1  begleitet  Da  be- 
ginnt es  mächtig  zu  donnern  und  scharfe  Regentropfen  fallen. 
Die  Erde  bedeckt  sich  mit  den  jungen  Keimen  der  Gräser,  die 
Schaar  der  Pfauen  tanzt  vor  Freude: 

Die  wilden  Ströme,  gleich  den  losen  Madchen, 
Ergreifen  lie  bei  Ostern  wie  im  Na 
Die  Uferbaume,  welche  ringsum  taumeln, 
Und  eilen  rasch  dem  Oceane  iu.  (7) 

Die  Wälder  kleiden  sich  mit  goldnen  Knospen, 
Dass  sich  der  Geist  an  ihrer  Fracht  ergötzt; 
Das  junge  Gras  entkeimt  mit  ipitien  Blättern, 
Dass  sich  der  Hindin  weicher  Mund  verletzt.  (8) 

Der  Wald  ström  windet  seine  bleichen  Wogen, 
Mit  offnem  Schlund  der  Schlange  gleich  daher, 
Gefleckt  mit  Spreu,  Insekten  oder  Staube, 
Dass  drob  erschrickt  der  Frosche  banges  Heer.  (13) 

Entzückend  sind  die  Berge  anzuschauen, 
Wenn  ihren  Gipfel  das  Gewölke  kuast, 
Wenn  rings  herab  die  Ströme  niederwallen, 
Und  tanzend  sie  die  Pfauenschaar  begrüsst  (16) 

Nun  haben  Frauen  in  die  Locken  den  Kranz  gewunden 

Von  jungen  Kecara,  Ketakl  und  Kadamba; 

Am  Ohreszipfel  eine  Ariunadolde  schwanket, 

Dem  Ohre  zierlich  als  Gehänge  hineinge füget.  (21)  u.  a.  w. 

i 

I 

Ist  der  Regen  vorüber,  so  naht  die  Herbsteszeit,  schön 
wie  eine  Neuvermählte,  mit  einem  Antlitz  von  Lotusblüthen, 
in  einem  Gewände  von  Zuckerrohr,  mit  reifendem  Reise  um- 
gürtet; die  girrenden  Flamingo's  stellen  ihren  klingelnden  Fuss- 
schmuck  dar.  Die  Erde  ist  mit  Zuckerrohr  bedeckt,  die  Ströme 
mit  Flamingos,  die  Teiche  mit  Lotus,  die  Gärten  mit  MalaÜ- 
blüthen.  Der  Kovidara  schaukelt  seine  Aeste,  di6  Flur  be- 
decket sich  mit  reicher  Frucht,  das  Reisgefilde  schwankt  im 
Hauch  des  Windes,  Kranichschaaren  wandeln  den  Fluss  ent- 
lang, weidende  Heerden  sieht  man  ziehen  und  von  allen  Zwei- 
gen tönt  der  Vögel  Sang. 


1  Die  Cataka's  sind  Vögel,  die  nach  indischem  Glauben  kein  andern 
Wasser  als  das  der  Wolken  trinken. 


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—   Ö69  — 

Wetteifernd  mit  dem  Sehmacke  schöner  Arme 
Sieht  man  Linnen  überall  erblühn, 
Und  wie  der  Zahne  Schmeli  durch  rothe  Lippen, 
So  lächelt  durch  Acoka  der  Jasmin.  (18) 

Es  schwebet  wnndergestaltet  die  Segensgöttin  her, 
Von  reiner  Luft  getragen,  mit  Mona  and  Sternenheer; 
Sie  raht  auf  dem  Gewässer,  das  in  Jnwelenpracht 
Von  königlichen  Schwanen  und  Lotusblüthen  lacht  (21) 

Nun  wehet  mit  Lilienschwanken  der  Zephyr  Kühlung  zu, 
Die  Wolken  sind  verschwunden,  der  Himmel  athmet  Ruh, 
Das  Land  bringt  reife  Saaten,  die  Ströme  fliessen  rein, 
Der  blaue  Aether  funkelt  mit  Mond  und  Sternen  drein.  (22) 

Dann  folgt  der  Winter,  aber  es  ist  ein  ganz  anderer, 
als  der,  den  wir  kennen! 

Ea  ist  die  Winterzeit  herangekommen, 
Die  Feige  knospet,  zeitig  wird  der  Reis, 
Am  zarten  Halme  volle  Aehren  prangen, 
Doch  welkt  der  Lotus  von  des  Reifes  Eis.  (1) 

Nun  schmücken  ferner  sich  die  holden  Frauen 
Mit  frischen  Kränzen  yon  Jasmin  nicht  mehr. 
Sie  winden  keine  duftende  Guirlande 
Zur  Kühlung  um  den  hohen  Busen  her.  (2) 

Zum  Freudenfeste  reiben  sich  die  Schönen 
Mit  gelbem  Sandelstaube  rein  und  klar, 
Durchwürzen  sich  den  Mund  mit  Wohlgerüchen 
Und  räuchern  dunklen  Aloe  in  das  Haar.  (5) 

Die  Gräser  sind  morgens  mit  kaltem  Reif  bedeckt,  aber 

die  Flur  bekleidet  sich  mit  jungem  Reise,  und  munter  tönt  des 

Kranich  Ruf. 

Wie  sich  die  Gattin  um  den  Fernen  grämet, 

So  bleichet  allgemach  die  reife  Saat, 

Weil  sie  vom  Windeshauche  ward  geschaukelt, 

Den  Schneegestöber  durchgekältet  hat  (10)  tu  s.  w. 

Es  folgen  dann  noch  glühende,"  üppige  Schilderungen  des 
Liebesglücks  zur  Winterzeit,  —  dann  schliesst  sich  fünftens  die 
Zeit  des  Thaues  oder  die  kühle  Jahreszeit  an: 

Vernimm,  o  Schöne,  welche  Froudenwonne 
Nunmehr  die  Zeit  des  kühlen  Thaues  bringt, 
Wenn  noch  das  Feld  mit  reifem  Reise  woget 
Und  aus  dem  Schlaf  erwacht  der  Kranich  singt  (1) 

Es  freuen  nun  die  jugendlichen  Gatten 
Am  Feuer  sich  und  mildem  Sonnenschein, 


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—    560  — 

Doch  schliessen  sie  des  Schiafgemaches  Fenster 
Und  hallen  sich  in  wanne  Kleider  ein.  (2) 

Kein  Sandel,  von  der  feuchten  Nacht  gekühlet, 
Kein  Söller  mit  des  vollen  Mondes  Schein 
Und  keine  Lüfte,  die  der  Schnee  gek&ltet 
Anjetzt  der  Liebenden  Gemüth  erfreun.  (3) 

Die  Nacht  ist  kalt  und  lockt  die  Menschen  nicht;  selbst 
des  Mondes  Glanz  ist  kühl  geworden,  und  hlass  nur  strahlen 
die  Sterne. 

Zur  stillen  Klause  ziehn  die  muntern  Frauen, 
Mit  weihrauchduftendem  Gewand  umschürzt, 
Mit  Betel,  Perlenschnur  und  Salbenschminke, 
Den  Lotusmund  mit  süssem  Wein  durchwürzt.  (5) 

Es  sind  dann  wieder  vorwiegend  erotische  Schilderungen, 
die  uns  aus  dieser  Jahreszeit  vorgeführt  werden. 

Endlich  naht  sich  nun  die  sechste  und  letzte  Jahreszeit, 
der  Frühling,  der  wieder  der  Naturschilderung  den  dank- 
barsten Stoff  verleiht: 

Die  Herzen  froher  Menschen  zu  verwunden, 
Geliebte,  nahet  sich  der  Frühlingsheld, 
Der  Bienen  sich  zur  Bogensehne  füget 
Und  Mangoblathen  statt  der  Pfeile  halt.  (1) 

Die  Jungfrau  liebt,  der  Zephyr  weht  mit  Düften, 
Die  Baume  blühn,  der  Lotus  schmückt  die  See'n, 
Die  Nachte  ruhig  und  die  Tage  labend,  — 
Wie  ist  im  Frühling  Alles  doch  so  schön.  (2) 

Wo  Teiche  mit  Juwelengürtel  prangen 
Und  gleich  dem  Monde  glänzt  die  Madchenschaar, 
Wo  unter  Blumen  Mangobäume  schwanken, 
Da  bietet  sich  des  Lenzes  Wonne  dar.  (3) 

Guirlanden  um  die  Brust,  mit  kühlem  Sandel, 
Den  Odem  würzig  von  des  Betels  Duft, 
Den  Leib  umgürtet,  gehen  ohne  Bangen 
Die  Schönen,  wo  AnafigaV  Freude  ruft.  (4) 

Am  Ohre  schwanken  Kamikara- Blumen, 

Ja  dunklen  Locken  der  Acoka  glüht, 

Und  auf  dem  Scheitel  duften  Jasmindolden, 

Wenn  freudig  sie  dem  Freund  entgegenzieht  (6) 

Doch  wo  der  Gatte  von  der  Heimath  ferne, 
Da  färbt  Anafiga  ihre  Lippen  blass, 
Vor  Sehnsucht  zittern  ihre  zarten  Glieder, 
 8ie  weint  und  seufzet  ohne  ünterlass.  (9) 

1  Der  Gott  der  Liebe. 


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—  561 


Es  füllt  mit  Wonne  sich  des  liebenden  Jünglings  Busen, 

Wenn  Atimukta  ihre  duftigen  Kelche  öffnet. 

Wenn  trunkne  Bienen  ihre  glänzenden  Blüthen  küssen 

Und  zart  die  Ranken  von  des  Zephyres  Hauche  schwanken,  (il) 

Und  wer,  Geliebte,  von  der  Tbeuersten  wird  gemieden, 
Dem  muss  die  Liebe  wie  mit  Pfeilen  das  Herz  verwunden, 
Wenn  schnell  entsprossen  des  Kuravaka  schöne  Aehren 
Mit  Blüthenschimmer  Uber  liebliche  Lippen  siegen.  ^18) 

Die  Walder  wogen  mit  des  Kimcuka  Blumenröthe 

Und  Pärijäta's  wie  von  glühender  Feuerflamme; 

Es  glänzt  und  flimmert  überall,  wo  der  Lenz  erscheinet, 

Gleich  einer  Jungfrau  nun  im  Purpurgewand  die  Erde.  (19) 

Entzückend  glänzen  in  den  Garten  Jasmin-Gebüsche, 
Mit  weissen  Blüthen,  wie  der  tändelnden  Jungfrau  Lächeln, 
Sie  fesseln  selber  wohl  das  fromme  Gemüth  des  Weisen, 
Und  wie  viel  mehr  noch  wessen  Seele  die  Lieb*  erfüllet.  (23> 

Die  Berge  schimmern  von  unzähligen  Blüthenbäumen, 
Und  ihre  Gipfel  sind  geschmücket  mit  Kuckuk  sc  haaren; 
Die  Felsen  schauet  wie  besponnen  mit  Bienennetzen 
Wohin  sich  wendet  überall  nur  das  trunkne  Auge.  (25) 

Doch  wer  anjetzo  von  der  liebenden  Gattin  ferne 
Betrübten  Herzens  auf  den  blühenden  Mango  schauet, 
Der  schlägt  mit  Seufzen  und  mit  Klagen  das  Auge  nieder, 
Und  ruft  verzweifelnd  ihren  Namen  mit  lauter  Stimme.  (26) 

Wenn  trunkne  Bienen  summen  und  Mangobäume  blühn, 
Wenn  Kokilasang  ertönet  und  Karnikären  glühn, 
Das  sind  die  scharfen  Pfeile,  womit  der  Jungfrau  Brust 
Die  blumenbogige  Gottheit  entflammt  zur  Liebeslust  (27) 

Der  Zephyr  schaukelt  leise  die  Bäume  mit  Blättern  schwer, 
Und  schüttelt  den  Blumenregen  wie  goldnen  Glanz  umher, 
Voll  Sehnsucht  bleibt  der  Pilger  ermüdet  am  Wege  stehn, 
Mit  abgewandten  Blicken ,  und  will  vor  Schmerz  vergehn.  (28) 

Den  Schönen  gehet  der  Frühling  an  Lieblichkeit  zuvor: 

Er  fahrt  statt  muntrer  Reden  ein  fröhliches  Sängerchor, 

Die  hellen  Jasmin  -  Blüthen  statt  weisser  Zähne  Glanz 

Und  statt  der  Fingersprossen  den  rechlichen  Knospenkranz  (29) 

Honig  trieft  dem  Blumenlenze  von  Ac,oka's  Blüthenmund, 
Der  berauschten  Biene  Summen  machet  seine  Rede  kund; 
Sein  Gesicht  der  volle  Lotus,  seine  Zähne  von  Jasmin 
Und  sein  Odem  Mangodüfte,  wenn  die  lauen  Weste  ziehn. 
Aloe,  sein  Liebesopfef,  bringt  er  Madana1  zum  Heil,  — 
Und  so  werden  denn  auf  immer  Lenzeswonnen  euch  zu  Thcill 


1  Ein  Name  de«  Gottes  der  Liebe. 

*  8«krA«Ur,  laii«o>  Lit.  «.  Cult.  36 


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—  562  — 

Als  ein  grösseres  lyrisches  Gedicht  muss  noch  Ghata- 
karpara,  der  zerbrochene  Krag  oder  die  Topfscherbe,  genannt 
werden.  Als  Verfasser  dieses  sehr  künstlichen  Produktes  wird 
Ghafakarpara  angegeben,  der  auch  unter  den  neun  Edel- 
steinen am  Hofe  des  Vikrama  erscheint,  also  wohl  dem  6.  Jahr- 
hundert nach  Chr.  angehört  Derselbe  hat  in  die  letzte  Strophe 
des  Gedichtes  seinen  Kamen  eingeflochten  und  darnach  ist  das- 
selbe weiterhin  einfach  Ghatakarpara  genannt  worden.  Heraus- 
gegeben ist  es  von  Dursch  (L  J.  1828)  und  von  H.  Brockhaus 
(i.  J.  1841);  eine  metrische  Uebersetzung  lieferte  A.  Hoefer 
(Ind.  Gedichte  II  p.  129  flg.)*   Bs  umfasst  22  Strophen. 

Ein  merkwürdiges  Produkt  ist  endlich  noch  die  Caura- 
paflcacika  oder  50  Strophen  des  Caura,  auch  schlechtweg 
Pafica<jika  genannt.  Der  Dichter  gedenkt  in  glühend  sinnlichen 
Schilderungen  des  Liebesglückes,  das  er  einst  genossen.  Als 
Verfasser  dieses,  an  manchen  Schönheiten  reichen  Gedichtes  ist 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  Bilhana  anzusehen,  der  nach 
Bühler's  Bestimmung  in  der  2.  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts 
lebte.1  Nach  der  etwas  romantisch  klingenden  Angabe  der 
Tradition  seil  der  Dichter  heimlich  die  Liebe  der  Königstochter 
genossen  haben  und,  als  dies  an  den  Tag  kam,  zum  Tode  yer- 
urtheilt  worden  sein.  Da  dichtete  er  im  Angesicht  des  Todes 
jene  50  begeisterten  Strophen,  von  denen  eine  jede  mit  den 
Worten  beginnt  „Auch  jetzt  noch  gedenke  ich"  etc.;  sie  ver- 
schafften ihm  die  Verzeihung  des  Königs  und  die  Hand  der 
Königstochter.1  Herausgegeben  ist  das  Gedicht  von  Bohlen, 
mit  dem  Bhartrlhari  zusammen,  Berlin  4833,  metrisch  über- 
setzt von  A.  Hoefer  (Ind.  Ged.  I  p.  117  flg.).  Eine  Ausgabe 
der  sehr  werthvollen,  von  Bühler  entdeckten  Kaschmirer- Hand- 
schrift dieses  Gedichtes  nebst  trefflicher  Einleitung  und  sehr 
lesbarer  Prosaübersetzung  verdanken  wir  Dr.  W.  Solf  (fgL 
d.  Anm.). 


*  Vgl.  W.  Solf,  die  Kagmir-Recension  der  Pancft^ik  ,  Kiel  1886. 
Einl.  p.  XIX. 

*  Vgl.  das  Vorwort  zu  Bohlen's  Ausg.  p.  XXVI;  W.  Solf  a.  a.  0. 
Einl.  p.  XII  flg. 


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Neununddreissigste  Vorlesung. 


Die  kleinen  lyrischen  Gedichte  der  Inder.  Bhartrihari  und  sein  £rifl- 
garacaUkam.  Das  Qrifigarat ilakam.  Das  Amarugatakam.  Proben  aus 
anderen  lyrischen  Samminngen.   Eine  lyrische  Anthologie  im  Prakrit- 

Dialekt  (das  Saptacatakam  des  Hala). 


Die  Hauptmasse  der  lyrischen  Schöpfungen  des  indischen 
Mittelalters  stellt  ein  ganz  besonderes,  scharf  ausgeprägtes  Genre 
dar.  Es  sind  kleine  Gedichtchen,  die  in  wenigen  Zügen,  mit 
knappen  Worten,  meist  nur  in  einige  Zeilen  zusammengedrängt, 
ein  Bild,  eine  Situation,  eine  Empfindung  vorführen.  Dieses 
Genre,  das  sich  in  mancher  Hinsicht  mit  der  reflectirenden 
Poesie  der  Sprüche  berührt,  ist  bei  den  Indern  unendlich  viel 
geübt  und  zu  hoher  Vollkommenheit  ausgebildet  Es  sind  kleine, 
scharfumrissene  Bilder,  die  einen  Reichthum  an  feiner  Beobach- 
tung und  tiefer  Empfindung  bekunden,  wo  oft  wenige  Striche 
uns  die  Meisterhand  verrathen,  dazu  nicht  selten  in  vollendet 
schöner  Form.  Gerade  von  der  Form  können  wir  aber  leider 
bei  unseren  Nachbildungen  gar  keine  Vorstellung  geben,  weil 
die  dieser  indischen  Gedichte  mit  ihrer  ungemein  fein  aus- 

lässt  Wir  müssen  entweder  bei  der  prosaischen  Wiedergabe 
des  Gedankens  stehen  bleiben,  bei  der  natürlich  viel  von  dem 
Reiz  des  Originals  verloren  geht,  —  man  denke  nur  an  eine 
prosaische  Uebersetzung  Goethescher  oder  Heinescher  Lieder 
in  eine  fremde  Sprache!  —  oder  wir  müssen  es  versuchen, 
diese  kleinen  lyrischen  Edelsteine  in  die  bei  uns  geltende  Form 
lyrischer  Gedichte  umzusetzen.  Beides  soll  in  den  folgenden 
Mittheilungen  abwechselnd  geschehen. 

Hier  tritt  uns  nun  gleich  eine  merkwürdige  Dichtergestalt 
in  Bhartrihari  entgegen.  Derselbe  war  Dichter,  Grammatiker 
und  Philosoph  in  einer  Person  und  lebte  aller  Wahrscheinlich- 
keit nach  im  siebenten  Jahrhundert  nach  Chr.  Der  chinesische 
Schriftsteller  I-tsing,  dem  wir  diese  Mittheilung  verdanken, 

36«  * 


« 


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564  — 


erzählt,  dass  Bhartrihari  von  der  Lehre  des  Cakya-Sohnes  er- 
griffen buddhistischer  Mönch  geworden  sei,  aber  nach  einiger 
Zeit,  von  Weltlust  erfasst,  wieder  Laie  wurde  und  nun  zwischen 
beiden  Ständen  hin  und  her  schwankte,  so  dass  er  schliesslich 
siebenmal  Mönch  geworden  war  und  siebenmal  zur  Laionschaft 
zurückkehrte.  Er  tadelte  sich  selbst  wegen  dieser  Unbeständig- 
keit, war  aber  offenbar  nicht  im  Stande  derselben  Herr  zu 
werden.1  Wir  besitzen  von  ihm  drei  Qataka's  oder  Centarien 
vorzüglicher  kleiner  Gedichte,  von  denen  die  zweite  und  dritte 
Centurie,  der  Lebensweisheit  und  Weltflucht  gewidmet,  durch 
Geist  und  einen  überlegenen  Humor  ausgezeichnet  sind;  wir 
werden  ihrer  später  bei  Besprechung  der  gnomischen  Poesie 
zu  gedenken  haben.  Hierher  gehört  nur  die  erste  Centurie, 
das  Qringarac,atakam,  welches  die  Liebe  in  graciösen  und 
gedankenvollen  Gedichtchen  behandelt*  Der  Dichter  versteht 
sich  auf  die  Reize  der  Frauen  und  die  weibliche  Koketterie, 
mit  der  sie  die  Herzen  der  Männern  fesseln.   So  sagt  er: 

Die  reizenden  Brauen,  die  Seitenblicke,  —  die  liebevollen  Reden, 
das  verschämte  Lächeln,  der  erkünstelt  langsame  Gang,  und  darauf  du 
Stillstehen  sind  der  Weiber  8chmuck  und  Waffen  zugleich.»  —  Oder 
auch:  Ein  leises  Lachein  auf  den  Lippen,  ein  Reichthum  an  geraden 
und  beweglichen  Blicken,  ein  sanfter  Fluss  der  Rede,  welchem  Worte 
jugendlicher  Ausgelassenheit  besondern  Reiz  verleihen,  die  Art  und  Weise 
aufzubrechen,  ein  Ueberfluss  an  üppigen  Spielen  und  Scherzen:  wai  ist 
denn  hier  auf  Erden  nicht  entzückend  an  einer  Gazellenaugigen,  die  an 
die  erste  Jugend  streift?* 


1  Diese  interessanten  Nachrichten  über  die  Person  Bhartriharft 
verdanken  wir  Max  Müll  er 's  geistvollem  Excurs  über  „die  Renaissance 
der  Sanskrit-Literatur"  in  seinem  Buche  „Indien  in  seiner  weltgoschichtL 
Bedeutung"  p.  302  flg.  Daselbst  findet  man  auch  ein  Gedicht  angeführt, 
in  dem  Bhartrihari  sich  selber  tadelt,  weil  Laienschaft  und  Priesterthoxa 
mit  ihm  wie  mit  einem  Kinde  spielten;  desgL  eine  hübsche  kleine  Ge- 
schichte, wie  er,  als  Mönch  im  Kloster  lebend,  einen  Studenten  veran- 
lasst habe,  ihm  einen  Wagen  ausserhalb  des  Klosters  bereit  an  halten 
für  den  Fall,  dass  die  weltlichen  Leidenschaften  zu  stark  in  ihm  die 
Oberhand  gewinnen  möchten.  (KB.  Es  war  den  buddhist.  Mönchen  ge- 
stattet, wieder  aus  dem  Kloster  auszuscheiden.) 

»  Bhartrihari  wird  wiederholt  auch  als  Autor  des  sehr  künstlichen 
Bhattikavya  genannt.  Vgl.  oben.  M.  Müller  a.  a.  0.  p.  306.  Die  drsl 
Centurien  des  Bhartrihari  sind  von  P.  v.  Bohlen  herausgegeben  (Bhar- 
triharis  Sententiae,  Berlin  1833);  von  demselben  metrisch  ins  Deutsche 
übersetzt  (Hamburg  1835). 

3  Bhartrih.  a.  a.  0.  3.  Ind.  Spr.  2061.  Die  prosaischen  üebcr- 
setzungen  im  Folgenden  sind  meist  nach  Böhtlingk's  „Indischen 
Sprüchen'4  gegeben;  die  metrischen  stammen  von  mir. 

*  Bhartrih.  a.  a.  0.  6.  Ind.  Spr.  3318. 


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—    565  — 

Ein  anderes  Gedichtchen  klagt  ähnlich  wie  Heine's  „Ein 
Jüngling  lieht  eine  Jungfrau",  wie  gar  verkehrt  die  Neigungen 
sich  vertheilen: 

Die  ich  liebe,  liebt  einen  Andern,  und  der  Andre  wieder  eine 
Andre,  and  an  mir  findet  wieder  eine  Andre  Gefallen!  Ach,  über  das 
Treiben  des  Liebesgottes!1 

Und  doch,  —  wer  kann  ihm  wiederstehen? 

Wer  wird  nicht  von  Sehnsucht  ergriffen  im  Frühling,  wo  die  weite- 
sten Fernen  vom  Wohlgeruch  der  grossen  Menge  von  Staubfaden  der 
Mangoblüthen  erfüllt  und  die  Bienen  vom  süssen  Honig  aufgeregt  werden?* 

Nur  bei  Gelehrten,  die  ob  der  heiligen  Schrift  den  Mund  voll  neh- 
men, ist  vom  Aufgeben  der  Liebe  die  Rede,  aber  auch  bei  ihnen  nur  in 
Worten:  wer  vermag  den  Hüften  der  lotusäugigen  Madchen  zu  entsagen, 
den  Hüften,  die  ein  klingender  Gürtel  mit  röthlichen  Perlenknöpfen  um- 
schliesst?» 

Rehaugige  Mädchen  mit  Händen,  feucht  von  klarem  Sandelwasser, 
Badehauser,  Blumen,  Mondschein,  gelinder  Wind,  Blüthen  und  ein  glan- 
sender  Söller  mehren  im  Sommer  den  Wonnerausch  und  die  Liebe.4 

Ist  aber  das  Mädchen  stolz  und  spröde,  so  warnt  der 
Dichter  und  sagt: 

So  lange  nur  darf  im  Herzen  der  Jungfrauen  in  Gegenwart  des 
Geliebten  der  Stolz  Platz  greifen,  als  nicht  der  reine  Frühlingswind  mit 
dem  Dufte  des  Sandel  zu  wehen  beginnt.  (82) 

In  einem  anderen  .Gedichte  klagt  der  Dichter,  dass  fern 
von  des  Mädchens  Rehaugen  die  ganze  Welt  ihm  dunkel  ist. 
Ich  habe  dies  metrisch  frei  wiederzugeben  gesucht  (14): 

Wo  du  nicht  bist  und  deiner  Augen  Schimmer, 
Ist's  dunkel  mir; 

Auch  bei  der  Kerzen  strahlendem  Geflimmer 
Ist's  dunkel  mir; 

Selbst  bei  des  Heerdes  tranlich  stillen  Flammen 
Ist's  dunkel  mir; 

Wo  Mond  and  8terne  leuchten  hell  zusammen, 
Ist's  dunkel  mir; 

Der  Sonne  Licht  vermag  mich  nur  zu  quälen,  — 
S*  ist  dunkel  mir; 

Wo  du,  mein  Reh,  und  deine  Augen  fehlen, 
Ist's  dunkel  mir! 

Ein  anderes  Gedicht  findet  wieder  alles  Glücks  und  alles 
Leidens  Grund  in  den  Frauen: 


1  Bhartrih.  a.  a.  0.  2.  Vgl.  Ind.  Spr.  2461.  8  37.  Ind.  8pr.  8224 
•  53.  Ind.  Spr.  2701.      4  88.  Ind.  Spr.  31. 


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—   566  — 

Nichte  Anderes  entzückt  dae  Herz  als  die  öchönhüftigen  und  keinen 
anderen  Grund  der  Leiden  giebt  es  als  sie.1 

Und  ein  anderes  warnt: 

0  Wandrer  Herzt  lustwandle  nicht  im  dichten  Walde,  dem  Körper 
der  Geliebten,  —  dort  hauset  ein  Rauber,  der  Liebesgott!' 

In  einem  anderen  wird  der  Liebesgott  scherzhaft  als  Fi- 
scher dargestellt,  der  die  Menschen  fängt  und  am  Feuer  der 
Liebe  brät: 

Angelnd  sitzt  der  Gott  der  Liebe 
An  dem  Meere  dieser  Welt 
Und  am  Ende  seiner  Angel 
Er  ein  Weib  gebunden  halt; 
Kommen  dann  die  Menschenfischlein, 
Sind  nur  wenig  auf  der  Hut, 
Fängt  er  sie  geschwind  und  brat  sie 
In  des  Liebesfeuers  Glutn.* 

Wieder  ein  anderes  Gedicht  kann  sich  nicht  genug  darüber 
wundern,  wie  ein  Wesen,  das  uns  Schmerz,  Verwirrung,  Stö- 
rung aller  Art  verursacht,  uns  noch  immer  als  Geliebte  er- 
scheinen mag: 

Denk*  ich  ihrer,  ach,  so  fühlet 
Sehen  mein  Herz  der  Sehnsucht  Pein, 
Schau'  ich  sie,  so  dringt  ein  Toben 
Mächtig  in  die  Brust  hinein, 
Brück'  ich  sie  an's  Herz,  so  schwinden 
Sinnen  und  Gedanken  mein,  — 
Kann  sie  denn  trotz  allem  Diesem 
Dennoch  mir  Geliebte  sein?4 

Und  endlich  wendet  sich  des  Dichters  Herz  ganz  ab  tob 
der  Sinnenwelt,  von  den  Freuden  der  Liebe.   Er  ruft: 

Lass  ab,  du  Schöne,  mit  den  Feuerblicken, 
Vergebens  willst  du  unser  Herz  berücken. 
Wir  sind  verwandelt,  Jugend  ist  dahin, 
Nach  stillen  Wäldern  trachtet  unser  Sinn, 
Es  wich  die  Thorheit  und  das  Netz  der  Welt 
Für  uns  nur  eitel  Spreu  und  Gras  enthalt» 

Und  endlich  gar: 

He,  Liebesgott,  wozu  quälst  du  die  Hand  mit  dem  Gesumme  des 
Bogens?  He,  Kokila,  wozu  lassest  du  deinen  weichen  zarten  Gesas g 
unnütz  erschallen?  0  Schöne,  lass  die  freundlichen,  schlauen,  schönen, 
süssen,  beweglichen  Seitenblicke!  Mein  Herz  lebt  in  dem  Nektar  der 
Vertiefung  in  giva's  FüBse,  die  ich  küsse.1 


1  54.  Ind.  Spr.  3127.  *  86.  Ind.  Spr.  642.  »  84.  Vgl.  auch 
Ind.  Spr.  2877.  *  73.  Vgl.  Ind.  Spr.  3320.  5  93.  Vgl.  Ind  Spr.  1966 
•  97.  Ind.  Spr.  2640. 


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—  567 


So  kommt  der  Dichter  endlich  hei  der  Entsagung  an,  deren 
Verherrlichung  noch  die  ganze  dritte  Centurie  gewidmet  ist. 

Zum  Schluss  sei  noch  das  folgende  allerliebste  Bild  aus 
dem  Bhartrihari  angeführt: 

Der  Wind,  den  wir  jetst  in  der  kalten  ahreszeit  haben,  pflegt  den 
Schönen  gegenüber  den  Liebsten  zu  spielen:  er  verwirrt  ihnen  das  Haar, 
liest  sie  die  Augen  schliefen,  zupft  gewaltsam  an  ihrem  Gewände,  er- 
zeugt ein  allgemeines  Rieseln  der  Haut,  presst  sich  fest  an  sie,  bringt 
sie  allmählich  zum  Zittern  und  setzt  den  hörbar  bebenden  Lippen  ohne 
ünterlass  zu.1 


Eine  Sammlung  sehr  anmuthiger  kleiner  Gedichte  ist  das 
sogenannte  Qringaratilakam,  welches  von  der  Tradition  dem 
Kälidasa  zugeschrieben  wird.1  Eoht  orientalisch  ist  die  erste 
dieser  Strophen  gedacht: 

Der  Schöpfer  hat  einen  reizenden  See  zum  Baden  für  die  durch 
das  Feuer  der  Pfeile  des  Liebesgottes  Versengten  geschaffen:  die  zwei 
Arme  der  Geliebten  sind  die  Stengel  der  Wasserrose,  ihr  Antlitz  ist  die 

Lotusblume,  ihre  Anmuth  das  Wasser  zum  Plätschern,  ihre  Augen 

die  Fische  Qaphara,  ihr  aufgewundenes  Haar  die  Vallisneria  und  ihr 
Busen  das  Cakravaka-Parchen.* 

Derartige  mit  kühner  Phantasie  ansgesponnone  Verglei- 
chungen  sind  bei  den  Indern  sehr  beliebt. 

Ein  anderes  Mal  fragt  der  Dichter,  wie  es  möglich  sei, 
dass  die  Geliebte,  die  doch  sonst  ganz  aus  Blumen  gebildet 
erscheine,  ein  Herz  von  Stein  habe: 

V 

» 

Deine  Augen  —  blaue  Lotus, 
Deine  Zahne  aus  Jasmin, 
Wie  die  herrlichste  Nymphae 
Seh*  ich  dein  Gesichtchen  glühn. 

Aus  den  Blattern  zarter  Pflanzen 
Mubs  dein  Leib  gebildet  sein, 
Ach,  wie  kam  es,  dass  der  Schöpfer 
Nur  dein  Hers  geformt  aus  Stein?4 

In  allerliebster  Weise  stellt  ein  anderes  Gedicht  das  Mäd- 
chen als  einen  Jager  dar,  der  das  Herz  des  Dichters  verfolgt: 

Mein  Mädchen  ist  ein  Jägersmann, 
Kömmt  Btolz  daher  gezogen, 
Die  Augenbrauen  schlank  und  kühn 
  Die  sind  des  Jagers  Bogen. 


1  60.  Ind.  Spr.  738.  2  Eb  sind  23  Strophen.  Mit  dem  Meghadfita 
zusamment  nebst  Glossar,  herausgeg  von  J.  Gildemeister,  Bonn  1841. 
*  Qrngar.  1.  8.  Ind.  Spr.  1970.      4  3.  Vgl.  Ind.  Spr.  423. 


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—   568  — 

Die  Seitenblicke  Pfeile  sind, 
Sie  treffen  gar  so  schnelle, 
Mein  Herz  das  ist  die  flüchtige 
Verwundete  Gazelle.1 

Voll  Schmerz  und  edlen  Unmuths  aber  sind  die  Worte 
eines  Madchens  gegen  den  untreuen  Liebsten,  der  ihre  Gunst 
wieder  sucht: 

Was  kommst  da  zu  mir  nnd  küssest  mir 
Gewaltsam  Wangen  und  Mund, 
Und  heuchelst  Reu  und  heuchelst  Scham, 
Du  Falscher,  zu  dieser  Stund! 

Lass  los,  lass  los  des  Gewandes  Saum, 
Was  soll  der  falsche  Schwur? 
Ein  Blumenkranz,  verworfen,  verbraucht, 
Ach  das,  das  bin  ich  ja  nur!9 

Es  Hesse  sich  noch  manch  hübscher  Gedanke  aus  dieser 
Sammlung  anführen,  doch  ist  es  wohl  richtiger,  wenn  wir  uns 
dem  Hauptwerk  dieser  erotischen  Poesie,  dem  Amaruc.  atakam, 
d.  i.  Hundert  Strophen  des  Amaru,  zuwenden. 

Amaru  ist  vor  Allem  ein  Meister  in  der  feinen  Situations- 
malerei. In  seinen  Gedichten  treten  uns  die  Liebenden  vor 
Augen  im  Glück  und  im  Sehnen,  im  Liebeszwist,  im  Schmollen 
und  der  endlichen  Versöhnung,  —  und  immer  neue,  feine  und 
überraschende  Züge  weiss  der  Maler  diesen  Bildern  zu  geben. 
Nur  Eines  darf  man  hier  ja  nicht  erwarten,  —  das  ist  eine 
romantisch  vergeistigte  Liebe;  wir  bewegen  uns  bei  Amaru 
vielmehr  durchaus  in  der  Sphäre  des  sinnlichen  Eros,  —  aber 
die  Zartheit  der  Empfindung,  die  Feinheit  der  Gedanken  werden 
wir  oft  genug  bewundern  können. 

Wie  fein  ist  z.  B.  das  Benehmen  des  jungen,  neuvermählten 

Weibes  geschildert: 

Schmiegt  sich  der  Gatte  an's  Gewand,  so  neigt  die  Sittsame  ibr 
Gesicht;  begehrt  er  eine  heftige  Umarmung,  t»o  bewegt  sie  unbemerkt 
die  Glieder  zur  Seite;  sie  richtet  den  Blick  auf  die  lächelnden  Freun- 
dinnen, vermag  aber  nichts  zu  sagen:  es  vergeht  die  Neuvermählte  im 
Innern  vor  Scham  beim  ersten  Scherze.* 

Reizend  benimmt  sich  das  junge  Weib  bei  der  ersten 

Kränkung,  die  sie  von  Seiten  des  Geliebten  erfährt: 

Bei  der  ersten  Beleidigung  des  Gatten  weiss  das  junge  Weib,  ob- 
gleich ihre  Glieder  in  heftiger  Bewegung  sind,  ohne  der  Freundin  Unter- 
weisung kein  stechendes  Wort  anzubringen;  sie  las  st  die  Augen- Lotus 


1  13.  Vgl.  Ind.  Spr.  427.      *  40.  Vgl.  Ind.  Spr.  688.     3  Am.  37 
Ind.  Spr.  1675. 


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569  — 


umherschweifen  und  kann  nur  weinen,  so  dass  die  hellen  Thranen  auf 
die  reinen  Wangen  stürzen  and  die  beweglichen  Locken  flattern.1 

Wie  lieblich  wagt  sich  wieder  in  einem  anderen  Bilde  die 

schüchterne  Liebe  hervor: 

Ein  junges  Weih  Bieht,  dass  Niemand  im  Schlafgemach  ist;  da  er- 
hebt es  sich  leise  ein  wenig  vom  Lager,  betrachtet  gar  lange  das  Ge- 
sicht des  Gatten,  der  sich  stellt,  als  ob  er  schlafe,  und  kdsst  es  wieder- 
holt und  ohne  Scheu;  da  sie  aber  gewahr  wird,  daas  sich  die  Härchen 
auf  seinen  Wangen  erheben,  da  neigt  sie  vor  Scham  das  Antlitz  und 
wird  nun  von  dem  auflachenden  Liebsten  lange  geküsst* 

Und  wie  schmerzlich  klagt  das  junge  Weib  sich  selbst  an: 

„Warum  schloss  ich  Tbörichte  den  Gatten  nicht  in  meine  Arme? 
Warum  bewegte  ich  mein  Gesicht  zur  Seite,  als  er  mich  küsste?  Warum 
blickte  ich  ihn  nicht  an?  Warum  richtete  ich  keine  Worte  an  ihn?44 
Indem  ein  gefühlvolles  junges  Weib  bei  aufgekeimter  Neigung  solche 
Betrachtungen  über  ihr  Betragon  als  Neuvermählte  anstellt,  giebt  sie 
sich  der  Reue  hin.* 

Wie  zart  ist  auch  das  Folgende: 

„Woher  diese  überaus  grosse  Magerkeit  der  Glieder?  Woher  das 
Zittern?  Woher,  du  Liebliche,  das  Gesicht  mit  den  bleichen  Wangen?44 
Auf  diese  Fragen  des  Gatten  erwiderte  die  Schlanke:  „Alles  dieses  ist 
von  selbst  gekommen* \  entfernte  sich  und  entliess  aufseufzend  anderswo 
die  Thränenlast,  welche  ihre  Wimpern  erfüllte.* 

Ein  Bild  ganz  anderer  Art  giebt  wieder  das  folgende 
Gedicht: 

Glücklich  der  Geliebte  hier,  den  die  Geliebte  im  Zorn  mit  ihren 
Fesseln,  den  zarten  beweglichen  Armlianen,  fest  umschlingt,  am  Abend 
in  Gegenwart  der  Freundinnen  in  das  Lusthaus  abführt,  dem  sie  dort 
mit  den  zarten  Worten  „schon  wieder  so44,  die  sie  herausstammelt,  seine 
Sünden  vorhält  und  den  sie  schliesslich  weinend  schlagt,  wahrend  er 
lacht  und  nur  darauf  bedacht  ist,  Alles  zu  leugnen.5 

Wie  fein  ist  das  sehnsüchtige  Harren  des  liebenden  Weibes 
geschildert: 

Die  Frau  eines  auf  Reisen  befindlichen  Mannes  schaut  nach  dem 
Pfade,  auf  dem  dieser  ihr  Geliebter  kommen  soll,  so  weit  das  Auge  nur 
reicht;  wie  aber  bei  des  Tages  Neige  und  bei  hereinbrechender  Finster- 
niss  die  Wege  nicht  mehr  zu  erkennen  sind,  da  ist  sie  des  Wartens 
müde  und  thut  betrübt  einen  Schritt  zum  Hause  hin;  darauf  denkt  sie 
bei  sich:  „in  diesem  Augenblicke  wird  er 'gekommen  sein,44  wendet  rasch 
den  Kopf  und  schaut  wieder  hin.4 


1  Am.  26.  Ind.  Spr.  3^35.  2  Am.  77.  Ind.  Spr.  3010.  Dass  die 
Härchen  der  Haut  sich  vor  Wonne  emporrichten,  ist  ein  häufig  vor- 
kommendes Motiv  in  der  erotischen  Poesie  der  Inder.  *  Am.  66.  Ind. 
Spr.  3055.  *  Am.  45.  Ind.  Spr.  27.         5  Am.  8.  Ind.  Spr.  751. 

•  Am:  74.  Ind.  Spr.  343. 


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—  570 


Selbst  der  Humor  kommt  bei  der  Sehnsucht  bisweilen  zu 
seinem  Rechte.   So  z.  B.  in  folgendem  Bilde: 

Ein  Reisender,  der  um  Mitternacht  den  tiefen  Ton  einer  ihr  Wasser 
entsendenden  Wolke  vernahm,  dachte  lange  anter  tiefem  Seufzen  und 
mit  Thr&nen  im  Auge  der  Geliebten  in  der  Ferne  and  heulte  di4  ganze 
Nacht  aus  vollem  Halse  dermassen,  dass  die  Dorfbewohner  dem  wan- 
dernden Manne  den  Aufenthalt  in  ihrem  Dorfe  untersagten.1 

Mit  besonderer  Feinheit  sind  die  verschiedenen  Stadien 
und  Arten  des  Schmollens,  des  Zwistes  und  der  endlichen  Ver- 
söhnung zwischen  den  Liebenden  geschildert.    So  z.  B.: 

„Las*  fahren,  o  Schlanke,  den  Zorn !  Sieh  mich  zu  Füssen  dir 
liegen!  Noch  niemals  gabst  du  solchem  Zoro  dich  hin!1'  Als  so  der 
Gatte  sprach,  da  richtete  die  Geliebte  die  halbgeschlossenen  Augen 
seitwärts,  Hess  reichliche  Thr&nen  fliessen,  aber  kein  Wort  über  ihre 
Lippen  kommen.1 

Oder  auch  folgendes  Bild: 

Erwartet  sie  einen  Fussfall  von  meiner  Seite,  so  bedeckt  sie  sorg- 
fältig die  Füsse  mit  dem  Saume  des  Gewandes;  eifi  Lachen,  das  {Iber 
sie  kommt,  sucht  sie  durch  eine  List  xu  verbergen;  gerade  in*s  Antlitz 
schaut  Bi'e  mir  nicht;  wenn  ich  Etwas  sage,  so  sagt  sie  das  Gegentheü 
davon,  richtet  die  Rede  aber  an  die  Freundin:  mag  sie  die  heisse  Zu- 
neigung immerhin  zurückhalten,  auch  das  Schmollen  nimmt  einen  rei- 
zenden Ausgang.* 

Energischer  ist  eine  Andere,  und  doch  gelingt  es  auch  ihr 
nicht,  der  Liebe  Herr  zu  werden: 

„Das  Herz  berste  mir,  der  Liebesgott  mache  nsch  Herzenslust  den 
Leib  mir  schmachtig,  ich  habe,  o  Freundin,  mit  dem  Geliebten,  da  seine 
Zuneigung  so  unbeständig  ist,  nichts  mehr  zu  schaffen!*'  Solche  Worte 
stiess  eine  Gazellenaugige  im  Uebermass  ihres  Grolles  heftig  aus  und 
schaute  dabei  angstlich  auf  den  Pfiad,  auf  dem  der  Geliebte  zu  kommen 
pflegte.4 

Und  wie  fein  ist  die  folgende  Schilderung: 

0  wie  das  Auge  der  mit  dem  untreuen  Liebsten  Schmollende)  ein 
Meister  geworden  ist  in  der  Kunst,  die  mannigfachsten  Formen  anzu- 
nehmen! Ist  er  noch  in  der  Ferne,  so  blickt  es  sehnsuchtsvoll;  ist  er 
herangetreten,  so  wendet  es  sich  zur  Seite;  redet  er  sie  an,  so  thut  es 
sich  weit  auf;  umschlingt  er  sie,  so  wird  es  roth;  ergreift  er  ihr  Ge- 
wand, so  runzelt  es  ein  wenig  die  Brauenliane;  macht  er  Anstalt  sich 
ihr  zu  Füssen  zu  werfen,  so  füllt  es  sich  mit  Thranonnass.8 

Wie  reizend  ist  es,  wenn  die  Liebende  schmollen  will  und 
zaghaft  beim  Versuche  stehen  bleibt: 

Wenn  auch  die  Branen  gefurcht  werden,  so  blickt  das  Auge  doch 
überaus  sehnsuchtsvoll;  wenn  auch  die  Bede  unterdrückt  wird,  so  zeigt 
dieses  betrübte  Gesicht  doch  ein  Lachein;  wenn  auch  das  Herz  zur  Harte 


1  am.  11.  Ind.  Spr.  1335.  *  Am.  8&.  Ind.  Spr.  8237.  *  Am.  42. 
Ind.  Spr.  396.     4  Am.  71.  Ind.  Spr.  3316.     6  Am  44.  Ind..  Spr.  1219. 


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-   571  - 

hingeleitet  wird,  so  fingt  die  Haut  am  Körper  doch  an  zu  rieseln:  wie 
wird  beim  Anblick  des  Geliebten  des  Schmollens  Ausgang  sein?1 

Dann  nimmt  die  erfahrene  Freundin  sie  bei  Seite  und  will 
ihr  einen  guten  Rath  geben: 

„Einfältige,  warum  gedenkst  du  all  die  Zeit  in  blosser  Einfalt  zu- 
zubringen? Lege  Selbstgefühl  an  den  Tag,  zeige  Entschlossenheit,  gieb 
d«  gerade  Wesen  gegen  den  Geliebten  auf!"  So  von  der  Freundin  er- 
mahnt, giebt  sie  mit  erschrockenem  Gesicht  folgende  Antwort:  „Sprich 
leiae,  der  mir  im  Herzen  wohnende  Liebste  könnte  es  ja  hören!"* 

Aber  wenn  die  Liebende,  auch  der  Freundin  folgen  will, 
Sure  eigentliche  Gesinnung  tritt  nur  zu  bald  zu  Tage: 

Nachdem  sie  gerade  so  viele  Worte,  als  die  hinterlistigen  Freun- 
dinnen sie  gelehrt,  eiligst  tor  dem  Gatten,  als  er  eines  Vergehens  sich 
•chuldig  machte,  vorgebracht  hatte,  begann  sie  gleich  darauf  sich  so  zu 
benehmen,  wie  es  der  LiebeBgott  erheischte:  dies  ist  eine  der  reizen- 
den Verfahrungsweisen,  die  der  durch  Unschuld  gezierten  Zuneigung 
eigen  ist* 

Sie  schmollt,  —  aber  die  Thräne  spricht  besser  von  ihrer 

Liebe,  als  Worte  es  vermöchten: 

Als  ihr  Groll  im  Verrauchen  war  und  sie  ihren  Antlitzmond  in  die 
Hände  brückte,  als  ich  alle  Mittel  schon  erschöpft  hatte  und  mir  nur  noch 
die  eine  Zuflucht  blieb,  mich  ihr  zu  Füssen  zu  werfen;  da  verkündete 
sie  mir  plötzlich  ihre  Gunst  durch  einen  Thr&nenstrom,  der,  bis  dahin 
in  der  Höhlung  der  dichten  Augenwimperspitzen  zurückgehalten,  jetzt 
an  ihrem  Busen  zerstob.4 

Und  wie  reizend  ist  es,  wenn  die  Schmollenden  sich  ver- 
söhnen: 

Mann  und  Frau  ruhen  auf  demselben  Lager  mit  abgewandtem  Ge- 
sichte, reden  nicht  mit  einander  und  sind  arg  verstimmt;  obgleich  in 
Beider  Herzen  Zuneigung  vorhanden  ist,  so  bewahren  sie  doch  die  an- 
genommene Würde;  allmählich  wenden  Bich  die  Augenwinkel  und  wie 
ihre  Blicke  zusammentreffen,  so  ist  der  Groll  gebrochen,  so  dass  sie 
unter  Lachen  sich  leidenschaftlich  umarmen.6 

Ist  aber  das  Schmollen  zu  weit  getrieben,  dann  kann  es 

den  Verlust  der  Liebe  zur  Folge  haben: 

Warum  weinst  du,  o  Zornige,  still  für  dich  hin  und  stössest  be- 
standig mit  der  Fingernagelspitze  das  Thr&nenwasser  herab?  Du  wirst 
noch  mehr  und  laut  weinen,  da  dein  Geliebtester,  überdrüssig  deines 
Schmollens,  das  durch  die  Rathschl&ge  von  Zuträgern  einen  hohen  Grad 
erreicht  hat,  gegen  deine  Zuneigung  gleichgültig  werden  wird.6 

1  Am.  24.  Ind.  Spr.  2083. 

*  Am.  67.  Ind.  Spr.  2215.  —  Dleg  reizende  kleine  Gedicht  habe 
ich  versucht  in  freierer  Weise  metrisch  wiederzugeben,  In  meinem  Vor- 
trag „Ueber  die  Poesie  des  indischen  Mittelalters"  (Dorpat  18811 
p  zl. 

*  Am.  43.  Ind.  Spr.  3244.  *  Am.  19.  Ind.  Spr.  530.  *  Am.  19. 
Ind.  Spr.  530.      •  Am.  80.  Ind.  Spr.  28. 


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-   572  — 


0  da  mit  dem  unbeständigen  Herzen!  Weshalb  hast  du  den  Ge- 
liebten, als  er  ans  freiem  Antriebe,  von  Liebe  überfliessend,  auf  solch« 
Weise  in  dein  Gemach  kam  und  sich  dir  zu  Füssen  warf,  nicht  be- 
achtet? Nun  so  trage  denn  jetzt,  so  lange  du  lebst,  die  Frucht  deines 
bösen  Zorns:  das  Glttck  wird  dir  nimmermehr  aufgehen,  dein  Schutz 
und  Hort  werden  die  Thränen  sein.1 

Und  schmerzvoll  klagt  das  Mädchen,  das  die  beglückende 
Liebe  wirklich  verloren: 

Der  Liebe  Band  ist  zerrissen,  die  aus  der  Zuneigung  entspringende 
Achtung  verschwunden,  das  freundliche  Wesen  dahin,  der  mir  zunächst 
Stehende  bricht  vor  meinen  Augen  auf,  als  wäre  er  ein  mir  Fremder: 
so  oft  ich  daran  und  an  jene  dahingeschwundenen  Tage  zurückdenke, 
kann  ich  nicht  begreifen,  warum  das  Herz  mir  nicht  in  hundert  8tücke 
springt.* 

Viel  reizende  Bilder,  viel  innige  Aeusserungen  der  Liebes- 
empfindung Hessen  sich  aas  Am  am 's  Gedichten  dem  hier  Ge- 
botenen noch  anreihen.  Es  ist  überraschend ,  wie  der  Dichter 
es  versteht,  in  einem  verhältnissmassig  beschränkten  Kreise, 
bei  Situationen  und  Empfindungen,  die  einander  sehr  ähnlich 
sehen,  durch  immer  neue  Züge,  immer  neue  Wendungen  das 
Interesse  zu  fesseln,  so  dass  wir  gern  immer  weiter  lesen.9 

Aber  auch  andere  Dichter,  andere  Sammlungen  bieten  des 
Schönen  und  Interessanten  viel,  und  wir  wollen  doch  wenigstens 
einige  Proben  davon  kennen  lernen. 

Wie  herzgewinnend  spricht  z.  B.  ein  liebendes  und  ge- 
liebtes Mädchen  im  Sahityadarpana,  einem  rhetorischen 
Werke,  das  manche  poetische  Perlen  aufbewahrt  hat: 

Meine  Kleider  sind,  o  Freundin,  nicht  hübsch,  mein  Halsschmuck 
nicht  glänzend  mein  Gang  nicht  tänzelnd,  mein  Lachen  nicht  laut- 
schallend,  auch  habe  ich  nicht  den  geringsten  Hochmuth;  dafür  sagen 
aber  sogar  die  andern  Leute,  dass  mein  Liebster,  obgleich  er  schön  sei, 
seinen  Blick  auf  keine  Andere  werfe,  und  ob  solchen  Besitzes  halte  ich 
Jedermann  für  arm.4 

In  einem  anderen  Gedicht  derselben  Sammlung  fragt  die 
Liebende  sorgend: 


1  Am.  96.  Ind.  Spr.  901. 
8  Am.  88.  Ind.  8pr.  817. 

*  Der  Text  des  Amarucatajka  ist  herausgegeben  und  ins  Franzö- 
sische übersetzt  von  A.  L.  Apudy  (pseudon.  f.  Chezy),  Anthologie  ero- 
tique  d'Amarou,  Paris  1881.  —  Rackert  gab  im  Jahre  18S1  „Achtand- 
dreissig  sanskritische  Liebesliedchen"  des  Amaru  in  deutscher  lieber- 
tragung  heraus.  (Musenalmanach  f.  1881.)  Ich  habe,  durchgangig  die 
pros.  Üebersetzung  von  0.  Böhtlingk  in  dessen  Indischen  Sprüchen 
vorgezogen. 

*  8ah.  D.  84.  Ind.  Spr.  3659. 


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—   573  — 

„Hat.  ihn  eine  Geliebte  gefesselt  oder  meine  Freundin  zurück- 
geschreckt? Oder  ist  irgend  ein  wichtiges  Geschäft  die  Ursache,  dass 
der  Geliebte  heute  nicht  gekommen  ist?"  Unter  solchen  Betrachtungen 
drückt  die  Gazellenaugige  ihr  Lotusantlitz  in  die  geöffneten  Hände,  seufzt 
tief  auf,  weint  lange  und  wirft  die  Blumenkranze  von  sieh.1 

Welch  ein  anmuthiges  Bild! 

Sehr  zart  heisst  es  in  demselben  Werke: 

Obgleich  meine  Schuld  offen  zu  Tage  liegt,  so  spricht  die  Geliebte 
doch  kein  hartes  Wort,  zeigt  keine  gerunzelten  Brauen,  wirft  nicht  'vom 
Ohr  den  Schmuck  zur  Erde,  richtet  nur  die  thranenvollen  Augen  auf 
das  Antlitz  der  Freundin,  die  draussen  die  Augen  auf  die  Fensteröffnung 
Im  Schlafgemach  geheftet  hat.* 

Und  eben  dort  fragt  der  entzückte  Liebende: 

Wem,  wenn  er  der  Zartheit  deines  Leibes  inne  wird,  scheint  nicht 
Jasmin,  Mondsichel  und  Pisang  hart?» 

Sehr  reizend  sagt  ein  anderer  Dichter: 

Als  du,  o  Schlanke,  ins  Wasser  stiegst,  um  zu  baden,  hat  sicherlich 
die  weisse  Wasserlilie  dir  die  Anmuth  des  Lachens  gestohlen,  die  blaue 
Wasserlilie  die  Anmuth  der  Augen  und  die  am  Abend  sich  schliessende 
Wasserrose  die  Anmuth  des  Antlitzes.4 

Ein  anderes»  wunderschönes  Gedicht  beruht  auf  dem  poeti- 
schen Glauben,  dass  die  rothen  Blüthen  des  Acokabaumes  nur 
dann  sich  erschli essen,  wenn  eines  schönen  Mädchens  Fuss  sie 
berührt  hat   Ich  gebe  dasselbe  in  metrischer  Form  wieder: 

Wie  reizend,  du  holder  Acokabaum, 
Deine  röthlichen  Blüthen  prangen! 
0  sprich,  wo  ist  die  Schlanke  mein, 
Wo  ist  sie  hingegangen? 

Du  schüttelst  im  Winde  dein  blühendes  Haupt, 
Als  wüsstest  du  nichts  zu  sagen, 
Do  holder  Acoka,  und  kannst  doch  gewiss 
Stillen  die  bangen  Fragen. 

Es  blühn  ja  deine  Blüthen  nur, 
Wenn  dich  ein  Fuss  gestreifet, 
Ein  Fuss  Ton  der  allerschönsten  Maid. 
Die  liebetraumend  schweifet. 

Du  könntest  nimmer  so  Toll,  so  schön 
Im  8chmucke  der  Blüthen  prangen, 
Wenn  meine  Liebste  dich  nicht  berührt,  — 
0  sprich,  wo  sie  hingegangen!6 


*  Sah.  D.  49.   Ind.  Spr.  663.  2  Sah.  D.  53.   Ind.  8pr.  1426. 

•  Sah.  D.  298.   Ind.  Spr.  1080.         *  Kavyad.  2,  274.   Ind.  8pr.  4269. 

*  Kavyapr.  105.  Vgl.  Ind.  Spr.  2580. 


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-    574  - 


In  jenem  „rothblühenden  Garten  im  stillen  Mondenschem", 
auf  den  Fluren  des  Ganges,  von  dem  der  Dichter  singt,  da 
müssen  wir  uns  Ac,okabäume  blühend  denken  I  —  Ein  anderes 
Mal  erscheint  dem  Dichter  die  Geliebte  im  Traum: 

Ich  erinnere  mich,  dass  ich  hente  im  Traume  die  Geliebteste  sah, 
wie  sie  vor  Zorn  das  Gesicht  von  mir  ab  wandte  und  darauf  mit  den 
Worten  „berühre  mich  nicht  mit  der  Hand"  weinend  tu  gehen  sich  an- 
schickte; noch  ehe  ich  aber  die  Geliebte  mit  Hunderten  von  Schmeichel- 
worten zurückgehalten  hatte,  ward  ich,  o  Bruder,  durch  das  böse  Schicksal 
um  meinen  Schlaf  gebracht1 

Bei  einem  anderen  Dichter  spricht  das  liebende  Mädchen 

verwundert  zu  sich  selbst: 

Der  Geliebteste  in  der  Ferne,  die  Regenzeit  soeben  eingetreten, 
die  Nicola  in  Blüthe  gesehen  und  ich  nicht  todt  —  was  ist  das?« 

Bisweilen  begegnet  uns  auch  ein  schalkhafter  Humor.  So 

klagt  ein  Dichter: 

Als  wir  erfuhren,  dass  das  Herz  ein  Neutrum  (Eunuch)  sei,  sandten 
wir  es  als  Boten  zur  Liebsten;  es  fst  aber  dort  geblieben  und  buhlt  mit 
ihr:  Panini  hat  uns  in*s  Verderben  ge9türst* 

In  reizend  poetischer  Weise  wird  das  Reich  der  Pflanzen 
und  Thiere  in  dieser  Poesie  behandelt;  z.  B.: 

„Den  lieben  Freund,  der  uns  Gutes  erwies,  den  Sonnengott  möchten 
wir  nicht  strahlenlös  hinabsinken  sehen."  So  dachten  gleichsam  seine 
Frauen,  die  Tag  Wasserrosen,  und  schlössen  ihre  Augen,  die  Blüthen.4 

Es  ist  dies  das  Gegenbild  zu  Heine's  Lotusblume,  die 
nur  dem  Monde  sich  öffnet,  —  ein  Bild,  das  übrigens  gleich- 
falls dieser  Poesie  entstammt. 

Wie  tief  und  fein  heisst  es  bei  einem  Dichter: 

Sieh,  während  alle  anderen  Vögel  sich  frei  ergehen  dürfen,  wirst 
du,  o  Papagei,  zum  Lohn  für  deine  süsse  Stimme  in  einen  Käfig  gesperrt!* 

Und  wie  rührend  ist  der  kurze  Traum  einer  Biene: 

„Die  Nacht  wird  vorübergehen,  ein  schönes  Margenroth  anbrechen, 
die  Sonne  aufgehen,  die  Pracht  der  Tag  Wasserrosen  sich  entfalten/' 
W&hrend  eine  in  einem  Blumenkelch  eingeschlossene  Biene  solchen  Ge- 
danken sich  hingiebt,  hat,  sieh  da,  ein  Elephant,  o  weh,  die  Lotas- 
pflanze  ausgerissen!6 

Wie  anmuthig  erzählt  diese  Poesie  von  dem  Vogel  Cakora, 
der  die  Strahlen  des  Mondes  trinken  soll;  ihm  wird  der  he- 
bende Jüngling  verglichen,  der  mit  seinen  Augen  die  Strahlen 


*  Kuvalay.  126,  b.  Ind.  Spr.  1417.  —  Panini  ist  Verfasser  der  berühm- 
testen Sanskrit-Grammatik.  *  Bhojaraja',  Ind.  Spr.  3966.  »  Euvalay 
162,  a.   Ind.  Spr.  3881.        *  Bhramarashtaka  8.   Ind.  Spr.  2625. 


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—   575  — 


aas  der  Liebsten  Antlitz  trinkt.  —  Ein  Bild  edlen  Stolzes  .stellt 
der  oft  erwähnte  Vogel  Cataka  dar,  von  dem  es  heisst,  dass 
er  kein  andres  Wasser  trinke,  als  dasjenige,  was  die  Wolke, 
was  Gott  Indra,  der  Regenspender,  vom  Himmel  sendet;  er 
verdurstet  lieber,  als  dass  er  sich  nach  irdischen  Wassern  bückt. 
—  Ein  andrer  Mythus  sagt  von  den  Cakravaka- Vögeln,  dass 
sie  einem  Fluche  zufolge  Nachts  sich  trennen  müssen.  Dann 
rufen  sie  sich  wehmiithjge  Klagen  zu,  —  ein  Sinnbild  der  ge- 
trennten Liebenden. 

Es  ist  eine  Welt  voll  Ptoesie  und  Schönheit,  die  sich  hier 
vor  uns  aufthut,  eine  reizvoll  anziehende,  blühende,  duftende 
Welt,  mit  hochragenden  Bäumen  und  entzückend  schönen  Blumen 
in  endloser  Fülle,  mit  buntbefiederten,  lieblich  singenden  Vögeln, 
schlanken  Fl&mingo's  und  treublickenden  Gazellen,  —  und  lockend 
grüssen  uns  die  Augen  der  indischen  Mädchen,  von  deren  Schöne 
diese  Dichter  so  viel  zu  singen  wissen. 

Es  liegt  uns  nun  auch  noch  eine  sehr  bedeutende  Anzahl 
kleiner  lyrischer  Gedichte  im  Prakrit-Dialekt  vor,  vor  Allem  in 
einer  umfangreichen  Anthologie,  dem  sogenannten  Saptaga- 
takam  des  Hala,  das  uns  durch  A.  Weber  zugänglich  gemacht 
worden  ist1  Die  hier  enthaltenen  Poesien  sind  grösstenteils 
erotischen  Inhalts,  und  finden  wir  neben  so  manchen  üppigen 
Ausgelassenheiten  eine  Fülle  der  lieblichsten  Dichtungen.  Viele 
sind  ganz  lyrisch,  während  andre  mehr  allerliebsten  kleinen 
Genre-Bildern  gleichen,  und  bewährt  sich  auch  hier  wieder  das 
Talent  der  Inder  für  die  feine  KleinmalereL  Ein  reicher  Schatz 
indischer  Volks lyrik  ist  hier  erschlossen. 

Nur  einige  Proben  aus  der  Sammlung  des  Hala  seien  hier 
in  der  wohlgelungenen  metrischen  Uebertragung  von  Hermann 
Brunnhofer*  mitgetheilt,  um  das  Interesse  auch  diesem  sehr 
beachtenswerthen  Gebiete  der  indischen  Lyrik  zuzuwenden. 

Beizend  und  durchaus  originell  indisch  ist  z.  B.  das  fol- 
gende Bild  der  Mondnacht: 

Oleich  als  ein  weisser  Flamingo 
Wandelt  in  gilberner  Pracht 
Der  Mond  am  fleckenlosen 
Himme Isteiche  der  Nacht 


1  Weber's  Ausgabe  des  Hala  ist  erschienen  in  den  Abhandlungen 
für  die  Kunde  des  Morgenlandes,  Bd.  VII  No.  4,  Leipzig  1881.  Weber 
giebt  auch  eine  prosaische  Uebersetzong  der  kleinen  Gedichte.  (Die 
ersten  400  schon  Abhdl.  f  •  d.  K.  d.  Morg.  Bd.  V,  No  8). 

•  üeber  den  Geist  der  indischen  Lyrik  von  Hermann 
Brunnhofen  Leipzig  1882.  Man  findet  dort  eine  grössere  Anzahl  von 
Liedern  des  H&la  sehr  ansprechend  metrisch  übersetst. 


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—   576  — 


Kein  Wölkchen  trübt  die  Klarheit, 
Die  Luft  ist  göttlich  rein; 
Es  funkeln  die  Sternenblumen 
Leuchtend  in*s  All  hinein. 

Der  Liebende  spricht: 

Schweift  auch  mein  Blick  in  ungemessne  Feme, 
Stehst  du  vor  mirl 

Sind  doch  der  Himmel  und  die  Pracht  der  Sterne 
Ein  Bild  von  dirl 

Wie  hübsch  ist  manches  Genre-Bild  in  dieser  Sammlung. 
Ein  Mädchen  z.  B.,  das  das  Reisfeld  hüten  soll,  aber  um  seiner 
Anmuth  willen  von  Jedermann  unnöthig  nach  dem  Wege  ge- 
fragt wird,  ruft  zuletzt  ganz  ärgerlich: 

• 

Mag  das  Feld  nicht  länger  hüten! 
Sollte  selbst  ein  ganzei  Schwärm 
Fapagefn  im  Reise  brüten, 
Schüfe  das  mir  keinen  Harm. 

Wer  nur  immer  rein  zufallig 

An  dem  Feld  vorrüberrennt, 

Halt  und  fleht:  „den  Weg  gefallig!"  — 

Wenn  er  auch  ihn  trefflich  kennt 

Eine  schöne  Müllerin  bezaubert  aller  Herzen: 

Unverwandten  Auges  blicken 
Wandrer  auf  die  Bauernmaid, 
Deren  Reize  sie  bestricken, 
Ob  auch  mehlbestaubt  ihr  Kleid. 

Und  die  mahlgeachaftverlorne 
Müllerin  feiert  solchen  Sieg, 
Wie  dereinst  die  Schaumgeborne, 
Als  sie  aus  dem  Milchmeer  stieg.1 

Ein  Blumenmädchen  hat  mit  den  glänzend  weissen  Armen 
Unheil  angerichtet: 

Blumenmädchen  mit  schneeigen  Annen, 
Die  uns  soeben  mit  Kränzen  geschmückt, 
Hast,  wie  die  Blumen,  so  auch  ohn'  Erbarmen 
Uns  mit  den  Armen  die  Herzen  zerpflückt! 

Doch  genug!  Nicht  weiter  darf  ich  diese  Mittheilungen 
ausdehnen.  Meine  Absicht  wird  erreicht  sein,  wenn  Sie,  meine 
Herren,  deutlich  den  Eindruck  gewonnen  nahen,  dass  auch  an 
echter,  tiefer  Lyrik,  an  feiner  Liebespoesie  die  Inder  einen 
reichen  Schatz  besitzen,  an  dessen  origineller  Schönheit  wir 
Auge  und  Herz  erquicken  und  erfreuen  können. 

L  Lakshmi,  die  indische  Aphrodite,  entstieg  dem  Ocean  bei  desien 
Quirlung  durch  Götter  und  Dämonen. 


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Vierzigste  Vorlesung. 

- 

Jsvadeva'i  Gltagovinda,  eine  lyrisch -dramatische  Dichtung.  Bedeutung 
dieses  Werks  für  die  Geschichte  des  Dramas.  Entstehung  des  Dramas 
ia  Kreise  der  Vishna-Krisbna- Verehrer,  mysterienartig.  Die  bengalischen 
Vitra' s.    Formschönheit  des  Gltagovinda.   Mittheilungen  aus  Rückert's 

üebersetzung  des  Gltagovinda. 


Bevor  wir  uns  von  der  lyrischen  Poesie  der  drama- 
tischen zuwenden,  müssen  wir  unsre  Aufmerksamkeit  noch  auf 
eine  interessante  und  viel  gefeierte  Schöpfung  dos  indischen 
Mittelalters  richten,  welche  gewissermassen  gerade  in  der  Mitte 
zwischen  den  genannten  Dichtungsarten  steht.  Es  ist  dies  das 
berühmte  Gedicht  Gltagovinda,  dessen  Dichter  Jayadeva 
einem  unverdächtigen  Zeugniss  zufolge  im  zwölften  Jahrhundert 
nach  Chr.  lebte,  und  zwar  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  in 
Bengalen.1  Wir  können  diese  Dichtung  eine  lyrisch-drama- 
tische nennen  und  leitet  uns  dieselbe  in  ganz  naturgemässer 
und  passender  Weise  zum  Gebiete  des  Drama's  hinüber,  um  so 
passender,  als  diese  Compositum,  wie  wir  gleich  sehen  werden 
für  die  Erkenntniss  der  ältesten  Geschichte  des  Drama's  nicht 
ohne  Bedeutung  ist. 

Den  Inhalt  des  Gltagovinda  bildet  die  Liebe  des  Krishna 
zur  schönen  Hirtin  Rad  ha,  ihre  Entzweiung  und  endlich  ein- 
tretende glückliche  Versöhnung.  Diese  Dichtung  versetzt  uns 
in  jene  Periode  von  Krishna's  Leben ,  wo  er  selbst  als  Hirt 
(Govinda)  anter  den  Hirtinnen  am  blühenden  Ufer  der  Yamunä 
lebte  und  die  Lust  des  Lebens  und  Ließesglückes  in  vollster 
üppigster  Weise  genoss.  Die  einzelnen  Personen  dieses  Liebes- 
dramas, Krishna,  die  Geliebte  Radha  und  deren  vertraute  Freundin 
treten  in  einer  Art  lyrischer  Monologe  auf,  wobei  bald  eine 

1  Jayadeva  lebte  zur  Zeit  des  Königs  Lakshmanasena,  unter 
welchem  nur  der  Vaidyakönig  von  Bengalen  verstanden  werden  kann, 
von  dem  wir  eine  Inschrift  a.  4.  J.  1116  besitzen.  (Vgl.  Buhler,  Re- 
port p.  64.   Pischel,  Gott.  Gel.  Anz.  1883.   Stück  39,  p.  1222.) 

t.  Schröder,  Indien*  Llt.  u.  Calt.  37 


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578  - 

zweite  Person  als  Zuhörer  gedacht  wird,  hald  auch  nicht 
Eigentlicher  Dialog  findet  nicht  statt.  Der  Dichter  selbst  fuhrt 
in  kurzen  einleitenden  Strophen  die  Personen  vor  und  beschreibt 
kurz  die  Situation  und  Geraüthsverfassung,  in  der  sie  sich  be- 
finden, —  dann  beginnt  der  Gesang. 

Lassen  hat  nun  schon  vor  längerer  Zeit  die  Ansicht  ausge- 
sprochen, —  und  dieselbe  hat  entschieden  viel  Wahrscheinlich- 
keit für  sich,  —  dass  die  dramatische  Poesie  sich  zuerst  in  den 
Kreisen  der  Vishnu- Verehrer  entwickelt  habe,  und  dass  wir  in 
dem  Gitagovinda,  wenn  dieses  Werk  auch  aus  viel  späterer 
Zeit  stammt,  ein  Beispiel,  oder  richtiger  ein  Abbild  jener  äl- 
testen dramatischen  Dichtung  vor  uns  haben.  Selbstverständ- 
lich hat*  er  damit  nur  sagen  wollen,  „dass  in  einer  viel  früheren 
Zeit  Scenen  aus  der  Geschjchte  Krishna's  oder  Vishnu's  auf 
eine  ähnliche  Weise  dargestellt  worden  seien,  ohne  an  eine 
Aehnlichkeit  mit  der  sehr  künstlichen  Sprache  und  der  aus- 
gebildeten Verskunst  des  späteren  Gedichts  zu  denken." 1  Es 
wurde  der  Gitagovinda  bei  dem  zu  Ehren  des  Krishna  gefeierten» 
Rasa  genannten  Feste  vorgetragen,  und  wurden  bei  dieser  Ge- 
legenheit auch  Tänze  aufgeführt  und  Lieder  zu  Ehren  des 
Krishna  gesungen.* 

Zu  der  Annahme,  dass  das  älteste  Drama  mit  dem  Cultus 
des  Vishnu-Krishna  in  nächster  Beziehung  stand,  stimmt  auch 
Dasjenige,  was  die  einheimische  Tradition  über  die  Anfänge 
des  Dramas  zu  berichten  weiss.  Das  Schauspiel,  welches  Bha- 
rata,  der  mythische  Schöpfer  des  Dramas,  vor  den  Göttern 
aufgeführt  haben  soll,  war  die  Gattenwahl  der  Laksbml,  der 
Frau  des  Vishnu.  Ferner  sagt  die  Tradition,  dass  das  Samgita, 
eine  aus  Musik,  Tanz  und  Gesang  gemischte  Aufführung  von 
Krishna  und  den  Hirtinnen  ausgegangen  sei.8  Es  ist  diese  An- 
nahme weiter  noch  glänzend  bestätigt  worden  durch  den  Nach- 
weis, dass  das  Mah&bhashya,  ein  berühmtes  grammatisches  Werk, 
das  etwa  aus  dem  zweiten  Jahrhundert  vor  Chr.  stammen  dürfte, 
unzweideutig  dramatische  Aufführungen  der  Tödtung  des  Kamsa 
und  der  Gefangennahme  des  Bali4  erwähnt,  und  dies  sind  ja 
gerade  wieder  Vorgärige  aus  der  Geschichte  des  Krishna.5  Es 


1  S.  Lassen,  Ind.  Alt.  II9,  p.  509. 

*  S.  Landen  a.  a.  O.,  sowie  auch  in  den  Prolegomena  zu  seiner 
Ausgabe  des  Gitagovinda  p.  VII. 

8  Lassen,  Ind.  Alt  II*  p.  609;  Prolegom.  zum  Gltagov.  p  VII. 

4  Kamsavadha  und  Balibandha. 

5  8.  Weber,  Ind.  Lit.  '2.  Aufl.  p.  215  Anm.  Windisch,  der  grieeb. 
Einfluss  im  indischen  Drama,  p.  6. 


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—  579 


handelt  sich  bei  alledem  um  eine  Art  religiöser  Festspiele  und 
Aufzüge,  ähnlich  den  Mysterien  des  christlichen  Mittelalters. 
An  bestimmten  Tagen,  die  dem  Andenken  des  Gottes  Vishnu- 
Krishna  geweiht  waren,  führte  man  zu  Ehren  desselben  hervor- 
ragende Scenen  und  Vorgänge  aus  der  Geschichte  oder  Sage 
dieses  Gottes  vor  versammeltem  Volke  auf.  Tanz,  Musik  und 
Gesang  spielten  bei  diesen  Aufführungen  die  wichtigste  Rolle, 
und  wurde  von  der  eventuell  eintretenden  prosaischen  Rede 
oder  dem  Dialog  vermuthlich  das  Meiste  der  Improvisation 
überlassen.  Aus  solchen  Festspielen  entwickelte  sich  dann  das 
Drama,  ähnlich  wie  die  griechische  Tragödie  aus  den  Fest- 
spielen zu  Ehren  des  Dionysos. 

Von  hohem  Interesse  für  diese  Frage  sind  die  sogenannten 
Yatra's1  oder  volksmässigen  Schauspiele,  welche  sich  bis  auf 
den  heutigen  Tag  in  Bengalen  erhalten  haben.  Dieselben  stellen 
in  dfr  Regel  Begebenheiten  aus  dem  Leben  des  Krishna  dar 
und  bestehen,  wie  uns  schon  Wilson  unterrichtet  hat,  aus 
Liedern,  untermischt  mit  extemporirtem  Dialog.  Die  Personen 
sind  gewöhnlich  Krishna,  seiue  Geliebte  Rädhä,  sein  Vater, 
seine  Mutter,  die  Hirtinnen  und  der  Spassmacher  Narada.* 
Neuerdings  sind  diese  Yatra's  auch  von  einem  Inder,  Nisikanta 
Chattopadhyäya  aus  Calcutta,  näher  beschrieben  worden.8 
Derselbe  hebt  die  Aehnlichkeit  dieser  Hindu-Festspiele  mit  den 
christlichen  Mysterien  stark  hervor.4  Sie  haben  nach  seiner 
Darstellung  ihren  Ursprung  in  Festen  und  Processionen,  die 
zum  Cult  des  Krishna  und  andrer  populärer  Götter  gehörten 
und  haben  hauptsächlich  die  Erlebnisse  Krishna's  zu  ihrem 
Gegenstand.5  Der  Hauptinhalt  dieser  Festspiele  besteht  in  ly- 
rischen Strophen,  die  theils  gesungen,  theils  recitirt  werden 
(Arie  und  Recitativ),  während  der  Dialog  nur  mangelhaft  aus- 


1  yatra  bedeutet  eig.  Gang,  Fahrt  (von  der  Wurzel  ya  gehen);  dann 
festlicher  Zug,  Procession;  dann  bezeichnet  es  die  im  Text  besprochenen 
Schauspiele,  deren  Name  somit  schon  ihren  Ursprung  aus  den  „Proces- 
siooen4*  der  Feste  bekundet. 

*  H.  H.  Wilson,  Theater: der  Hindu's,  Einl.  p.  IX  der  deut- 
schen Uebersetzang  (Th.  I  Weimar  1828;  Th.  II  1831). 

•  The  Yltras  or  the  populär  dramas  of  Bengal,  by  Nisikanta 
Chattopadhyaya,  of  Calcutta,  London  1882  (Doctorschrift  der  UnU 
▼ersitat  Zürich). 

4.Vgl.  Nisikanta  Cbajtopadhyaya  a.  a.  0.  p.  43. 

5  Oder  doch  Vorginge,  die  zum  Vishnu- Mythus  gehören.  Weit 
seltener  sind  die  Yatra's,  die  im  Kreise  der  Qiva -Verehrer  entstanden, 
Stoffe  behandeln,  die  in  Beziehung  zu  diesem  Gotte  stehen.  Vgl.  Nisi- 
kanta a.  a.  0.  p.  4  und  43 

37* 


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—  580 


gebildet  ist,  Manches  der  Improvisation  überlassen  bleibt  Die 
Verfasser  der  Yatra's  sind  auch  heutzutage  noch  hauptsächlich 
brahmanische  Priester.1 

Wir  dürfen  nach  alledem  also  wohl  behaupten,  dass  solche 
halblyrische  Darstellungen  aus  der  Geschichte  des  Krishna 
sich  viele' Jahrhunderte  hindurch  in  dem  indischen  Volke  er- 
halten haben.1  Der  Charakter  derselben,  wie  ihn  der  Gitago 
vinda  wiederspiegelt,  hat  sich  bis  auf  den  heutigen  Tag  wesent- 
lich unverändert  erhalten.  Der  G  i  tag o v i  n  d a  ist  geradezu  nichts 
als  eine  verfeinerte  Yaträ.8  Der  Dichter  Jayadeva,  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  selbst  ein  Bengale,  fand  diese  Auf- 
führungen in  seinem  Volke  vor  und  verstand  es,  mit  genialem 
Geiste,  eine  lyrisch-dramatische  Dichtung  dieser  Art  zu  schaffen, 
die  nun  freilich  durchaus  Kunstdichtung  ist  aber  nichts- 
destoweniger in  Anlage  und  Inhalt  eben  jene  volksmässigen 
Darstellungen  aus  Krishna's  Leben  wiederspiegelt 

Sehen  wir  uns  nun  den  Gitagovinda  selbst  etwas  näher 
an.  Es  ist  dies  eine  Dichtung  von  höchster  Formvollendung, 
von  einer  Anmuth  und  Leichtigkeit  in  der  Behandlung  der 
schwierigsten  Formen,  die  wirklich  staunenerregend  ist  und 
nicht  ohne  Grund  das  Entzücken  der  indischen  Aesthetiker 
bildet  Hier  entfaltet  sich  ein  Reichthum  der  mannigfachsten 
Maasse  in  reizender,  weicher,  melodischer  Sprache,  durchaus 
dem  erotischen'  üppig  sinnlichen  Inhalt  entsprechend.  Prächtig 
fluthen,  stürmen,  tanzen  und  gleiten  diese  Rhythmen  dahin, 
unter  Alliterationen  und  vielfach  verschlungenen  Reimen,  die 
nicht  nur  am  Ende  der  Zeilen,  sondern  auch  innerhalb  der- 
selben auftreten.  Die  Gluth  und  Leidenschaft,  die  sinnliche 
Trunkenheit,  die  alle  Empfindungen  und  Gedanken  hier  durch- 
zittert, hat  sich  in  Formen  ergossen,  die  entzückender,  berau- 
schender, bestrickender  kaum  gedacht  werden  können. 

Herausgegeben  ist  der  Gitagovinda  von  Lassen,  nebst 
Einleitung  und  lateinischer  Uebersetzung,  Bonn  1836.4  Bald 
darauf1  erschien  auch  eine  kunstvoll  schön  gelungene  Ueber- 


1  Nisikanta  a.  a.  0.  p.  43.    Es  hat  sich  neuerdiflgs  als  Verfasser 

solcher  Stacke  £rl  Erishnakamala  Gosvaml  zu  Dacca  in  Bengalen  hervor- 
gethan.   Vgl.  a.  a.  Ö.  p.  8  flg. 

ä  Falls  auch  die  im  Mahabhashya  erwähnten  Darstellungen,  aus  der 
Geschichte.  Krishna's  denselben  halblyrischen  Charakter  trugen  —  wie 
doch  wohl  anzunehmen  ist  —  so  dürfen  wir  sagen,  dies  Genre  habe  sich 
ca.  zwei  Jahrtausende  hindurch  erhalten. 

*  Vgl.  Nisikanta  a.  a.  0.  p.  8. 

*  Auch  von  Jlvananda  Vldyäsagara,  Calcutta  1882. 


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—   581  — 

setzung  desselben  von  Rück  er  t,1  und  wenn  sie  auch  natürlich 
die  Schönheit  des  Originals  nicht  erreicht,  so  kommt  sie  der- 
selben doch  vielleicht  so  nah,  wie  dies  in  deutscher  Sprache 
überhaupt  möglich  ist  Mit  ihrer  Hülfe  wollen  wir  es  ver- 
suchen, einen  Ueberblick  über  das  Gedicht  zu  gewinnen.1 

Der  Gltagovinda  beginnt  derart,  das 3  Radha,  von  Liebes- 
kummer bedrängt,  im  Walde  trauernd  Krishna  sucht»  der  mit 
den  Schaaren  der  scbönen  Hirtinnen  an  üppigen  Tänzen  sich 
ergötzt  und  die  einst  so  glühend  Geliebte  vergessen  zu  haben 
scheint.  Die  Freundin  tritt  zu  ihr  und  berichtet  ihr  von  des 
Geliebten  Treiben. 

Im  Frühlingshauch,  mit  frühlingsblumenzartem  Leib, 
Im  Walde  wallend,  Krishna  suchend  überall. 
Von  Käma's  Kammer  schwor  bedrängt,  verwirrten  Sinns, 
Ward  Radhä  von  der  Freundin  angeredet  so: 

Unter  malayischem ,  duftende  Nelkengebusche  besuchendem  Hauche, 
Unter  dem  bienenumschwärmten,  Yon  Kokila's  Rufen  ertönenden  Strauche, 

Hari*  nun  spielet  im  Lenze,  dem  frohen, 
Tanzet,  o  Freundin,  mit  Mädchen,  zur  Zeit,  die  nicht  süss  ist  wo  Liebe 

geflohen. 

Wo  sich  von  Frau'n  der  Verreisten  erheben  aus  sehnender  Liebe  die  Klagen, 
Vakula-  Kronen  den  immenbelagerten  Blüthengeweben  entragen, 

Hari  nun  spielet  im  Lenze,  dem  frohen, 
Tanzet,  0  Freundin,  mit  Madchen,  zur  Zeit,  die  nicht  süss  ist  wo  Liebe 

geflohen. 

Wo  sich  mit  Mosohusgedüfte  berauschet  das  junge  Gespross  der  Tamalen, 
Kiincuka-Blüthen  wie  Madana's  Nagel,  die  herzenzerreissenden  strahlen; 
Hari  nun  spielet  u.  s.  w. 

Wo  wie  die  Scepter  des  Königs  Anaöga4  Bind  blühende  Kecara's  golden, 
Bienengefüllet  wie  Köcher  Kandarpa's  sich  zeigen  die  Patali-Dolden: 
Hari  nun  spielet  u.  s.  w. 

Wo,  die  entfesselte  Schöpfung  erblickend,  die  spriessenden  Karuna's  lachen, 
Ketaki-Stengel  wie  liebeverwundende  Spiesse  die  Gegend  umwachen; 
Hari  nun  spielet  u.  s.  w. 


1  Erschienen  in  den  Abhdl.  f.  d.  Kunde  d.  Morgenl.  Bd.  I.  —  Es 
war  übrigens  früher  schon  eine  prosaische  Uebersetzung  des  Gitag.  er- 
schienen von  F.  H.  v.  Dalberg,  Erfurt  1802;  desgl.  eine  metrische  von 
A.  W.  Riemschneider,  Halle  1818. 

3  Ich  halte  die  folgenden  Mittheilungen  aus  Rückert's  Uebersetzung 
am  so  mehr  für  angezeigt,  als  dieselbe  verhaltnissmässig  nur  wenig  be- 
kannt und  verbreitet  ist.  Eb  wäre  zu  wünschen,  dass  sie  einen  Neu- 
druck erführe.  Ich  habe  mir  wieder  nur  in  der  Namenschreibung  Aende- 
rnngen  erlaubt,  um  keine  Inconsequenzen  entstehen  zu  lassen. 

*  Hari,  ein  Beiname  des  Vishnu-Krishna. 

*  D.  i.  der  Liebesgott. 


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Wo,  vom  Gerank  Atimukta's  umarmet,  der  Amra,  der  knospende,  schaudert 
Düren  Vrindavana's  Dickicht  sich  schlingend  die  schlängelnde  Yamaoi 

zaudert; 

Hari  nun  spielet  u.  s.  w. 

Nun  in  dem  Mädbavi-Düfte  verhauchenden,  Malika-Balsam-bethauten, 
Selber  die  Sinne  des  Bussers  berauschenden,  zaubrisehen  Jugend- 

vertrautere  - 

Hari  nun  spielet  im  Lenze,  dem  frohen, 
Tanzet,  o  Freundin,  mit  Mädchen  zur  Zeit,  die  nicht  süss  ist  wo  Liebe 

geflohen. 

Aus  Blumenstaube,  der  entstiebt  gespaitnem  Schoosse 
Der  Malli-Blütho,  webt  ein  hainbeflorend  Flonelt 
Er  jetzt,  der  sengt  das  Herz  wie  Pancabäna's 1  Odem, 
Ketaki's  Duftgespiel,  Duftwagenlenker  Lenz  wind. 

Und  wieder  redet  dann  die  Freundin  zu  R&dhä,  auf  den 
liebreizenden,  hundert  Frauen  „zu  umfangen  geizenden"  Krishrui 
in  der  Nähe  hinzeigend: 

Sandelgcsalbeten  bräunlichen  Leibes  im  gelblichen  Kleid,  der  Bekränzte, 
Ringe  des  Ohres  im  Tanze  bewegend  um  Wangen,  vom  Lächein  beglanxt«, 
Hari  im  munteren  Mädchengedräng, 
Mit  scherzenden  scherzt  er  im  Freudengepr&ng  2 

Mit  den  erschwellenden  wallenden  Brüsten  umfangend  den  Hari  voll  Preise 
Singet  ihm  eine  der  Hirtinnen  nach  die  gewirbelte  Paüeama- Weise; 
Hari  im  munteren  Madehengedrang, 
Mit  scherzenden  scherzt  er  im  Freudengepr&ng. 

Eine,  die  Lust  hat  aus  lauschender  Losheit  der  lockenden  Augen  getrunken. 
Steht  in  Gedanken  nun  in  Madhusüdana's  Antlitziiymphäe  versunken; 
Hari  u.  s.  w. 

Eine,  geschmiegt  an  die  Seite  der  Wangen,  um  etwas  in's  Ohr  ihm  zu  raunen. 
Küsset  geschwinde  den  Liebsten  und  machet  den  wonnedurchschauerton 

staunen. 

Hari  u.  s.  w. 


1  Beiname  des  Liebesgottes. 

'  Ich  kann  es  mir  nicht  versagen,  die  ersten  dieser  Strophen  bei- 
spielsweise im  Original  mitxutheilen ;  man  kann  daraus  ersehen,  wie  fein 
Kückert  auch  die  Form  desselben  nachzuahmen  weiss. 

candanacarcitanilakalevarapitavasanavanamäll 
kelicalanmanikundalamanditagandayugasmita^ali  ■ 
harir  iha  mugdhabadhünikare  / 
viläsini  vilasati  kelipare  // 

piuapayodharalihärahharena  harim  parirabhya  saragam  / 
gopabadhür  anugayati  kacid  udancitapancamaragam  / 
harir  iha  cet. 

kapi  vilasaviiolavilocanakhelanajanitamanojam  / 
dhyäyati  gopabadhür  adhikam  madhusüdanavadanasarojam 
harir  iha  cet. 


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—    583  — 

Eine  des  Wirbels  der  Wonne  verfangende  ziehet  am  Yamuna- Strande 
Jenen  zur  luftigen  Laube  gewandten  zurück  mit  der  Hand  am  Gewände. 
Hari  u.  s.  w. 

Wie  die  vom  Taktschlag  schlitternden  Spangen  die  Flöte  begleiten  im 

t  Schwünge, 

Schwingt  sich  im  rauschenden  Reigen  die  andre,  und  Ilari  belobet  die  junge. 
Hari  u.  s.  w. 

Eine  die  halset  er,  eine  die  küsset  er,  herzet  der  herzigen  eine, 
Blicket  nach  jener  mit  lieblichem  Lächeln  und  haschet  die  andere  feine. 
Hari  u.  s.  w. 

Doch  während  Hari-Krishna  so  mit  den  üppigen  Hirtinnen 
scherzt,  geht  RAdhä,  schmerzbewegt  und  eifersüchtig  ob  des 
verlorenen  Vorzugs,  weg.  Trauernd  denkt  sie  des  Liebsten, 
flüchtet  sich  in  eine  Laube,  in  deren  Wipfel  Bienenschwärme 
summen,  und  klagt  der  Freundin,  dass  sie  stets  an  ihn  denken 
müsse,  der  ohne  sie  ausgelassen  fröhlich  im  Reigen  scherze, 
den  bezaubernden  Ton  der  Flöte  noch  mit  dem  Nektar  seiner 
Lippen  versüssend: 

Mit  den  erschaudernden  Ranken  des  Armes  ein  Hirtinnentausend  um- 
kränzend, 

Mit  bejuweleten  Händen  und  Füssen  und  Busen  das  Dunkel  durchglanzend, 
Dort  wie  sich  Hari  geberdet  im  Reigen 
Denk  ich,  wo  munterer  Scherz  ihm  ist  eigen. 

Schimmer  von  sandelbemaleter  Stirn  zu  des  Mondes  Beschämung  ergiessend, 
Schwellende  Brüste  mit  ungestüm  pochender  Pforte  des  Herzens  um- 

schliessend, 

Dort  wie  sich  Hari  geberdet  im  Reigen 
Denk  ich,  wo  munterer  Scherz  ihm  Ist  eigen. 

Dann  fleht  sie  die  Freundin  in  beweglichen,  von  Liebes- 
sehnsucht überströmenden  Strophen  an,  ihr  doch  den  Geliebten 
zu  liebender  Vereinigung  zuzuführen.  Hari  indessen  gedenkt 
plötzlich  der  Radhä,  und  fühlt  die  Wunden  vom  Pfeile  des 
Liebesgottes.  Reuevoll  entfernt  er  sich  aus  dem  Chor  der 
Hirtinnen,  lässt  sich  bei  einem  Busch  am  Gestade  des  Flusses 
nieder  und  klagt  sich  selber  schmerzlich  an: 

O!  sie  ging,  wie  sie  hier  umrungen  mich  sah  von  Frauengestalten. 
Im  Gefühle  der  Schuld  auch  ward  sie  von  mir  zurück  nicht  gehalten: 
Harihari!  Die  Gekränkte,  gegangen  ist  sie  im  Zorne! 

"Was  beginnet  sie?  was  wohl  sinnet  sie,  die  Verlassne  voll  Beben? 
Was  kann  Gold  nun  und  Gut  mir  gelten,  was  gelten  Welt  mir  und  Leben? 
Harihari!  Die  Gekränkte,  gegangen  ist  sie  im  Zorne! 

Ihres  Antlitzes  denk  ich  unter  den  Brau'n,  vom  Zorne  verzogeu, 
Gleich  der  rothen  Nymph&e,  dunkel  von  Bienenschwarm  überflogen, 
Harihari!  Die  Gekrankte,  gegangen  ist  sie  im  Zorne! 


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—   584  — 

Du  erscheinest  mir!   Ja,  ich  sehe  vor  meinen  Augen  dich  schweben; 
Warum  willst  da  mit  froher  Hast  mir  wie  sonst  Umarmung  nicht  geben? 
Harihari!  Die  Gekränkte,  gegangen  ist  sie  im  Zorne  1 

• 

0  verzeih  mir!  und  nimmer  wieder  von  mir  soll  solches  geschehen. 
Gieb,  o  Schönste,  mir  deinen  Blick!  ich  vergeh'  in  ManmathaV  Wehen. 
Harihari!  Die  Gekränkte,  gegangen  ist  sie  im  Zorne! 

So  klagt  und  fleht  er  und  dann  wendet  er  sich  au  den 
Liebesgott  und  ruft: 

Nimm  zur  Hand  den  Amra- Pfeil  nicht!  spanne  nicht  den  Bogen  straff! 
Spielender  Weltbesiegerl  ist  Ohnmächtge  fallen,  Heldenthat? 
Schon  vom  Liebesblick geschosso  der  Gazcllenäugigen 
Ist  dies  Herz  genug  verwundet,  das  bis  heut  sich  nicht  erholt 

Zu  ihm,  der  voll  Liebesunruh  am  Ufer  der  Yamunä  weilt» 
tritt  nun  die  Freundin  Radb&'s,  schildert  ihm  die  brennende 
Liebesqual  der  Geliebten  und  fordert  ihn  auf,  2u  ihr  zu  kommen. 
Sie  berichtet  von  Rädhä: 

Um  vor  den  dicht  sich  ergiessenden  Madana-Pfeilen*  dir  Schirmung  zu 

geben, 

Wölbt  sie  um's  Herz,  wo  du  wohnest,  ein  Schild  sich  aus  thauigen 

Lotusgeweben, 

Sie,  von  der  Trennung  erkrankend, 
Krishna!  geschreckt  von  Anaüga's  Geschossen  als  einzigen  Hort  dich 

•  umrankend. 

Ihres  Gesichtes  Nymphäe  bewegt  sie,  von  rinnenden  Thränen  umflossen, 
Aebnlich  dem  Mond,  der  vom  Rachen  des  Rahu3  bedrängt   hat  sein 

Amrit*  vergossen, 

Sie,  von  der  Trennung  erkrankend, 
Krishna!  geschreckt  von  Anaüga's  Geschossen,  als  einzigen  Hort  dich 

umrankend  u.  s.w. 

Ihre  Wohnung  dünkt  ein  wilder  Wald  ihr, 
Und  ihr  Mägdechor  ein  Jägernetz, 
Während  ihre  glühnden  Seufzerhauche 
Bilden  eines  Waldbrands  Flammenkranz  n.  s.  w. 

Selber  vom  lieblichen  Kranz,  der  sie  schmücket, 
Fühlt  die  gemagerte  »ich  wie  gedrücket, 
Rädhä,  in  deiner  Trennung,  o  Kecava!6 

Saftige  weichliche  Salbe  von  Sandeln 

Fühlt  sie  in  Gift  auf  dem  Leib  sich  verwandeln, 

Rädhä,  in  deiner  Trennung,  o  Kecava I 


1  Manmatha,  d.  i.  der  Liebesgott. 

*  D.  i.  vor  den  Pfeilen  des  Liebesgottes. 

3  Rahu,  ein  böser  Dämon,  der  den  Mond  zu  verschlingen  droht 

4  Amrjt  ist  Nektar;  der  Mond  enthält  Nektar. 

5  Ein  Beiname  des  Krishna. 


i 

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-    585  - 

Still  auf  die  Hand  nur  die  Wange«aie  leget, 
Wie  sich  am  Abend  der  Mond  nicht  beweget, 
Radha,  in  deiner  Trennung,  o  Kecava! 

Bari,  o  Hari!  so  ruft  sie  erbangend, 

Selbst  in  der  Trennung  zu  sterben  verlangend, 

Radha,  in  deiner  Trennung,  o  Kecava! 

Sie  schauert,  stöhnet,  winselt,  zittert,  schweigt, 
Sinnt,  schwärmet,  nickt,  fallt,  strebet,  schwiemet  hin; 
Nur  deine  Huld  erhalt  die  Holde  noch, 
0  Himmelsarzt,  sonst  bleibt  kein  Anhalt  ihr. 

Wenn  die  Liebeskranke,  süsser  Götterarzt, 

Deren  Heilung  deines  Leibes  Axnrit  ist, 

Wenn  du  Radha  von  dem  Weh  nicht  retten  willst, 

Indra's  Bruder!  bist  du  hart  wie  Indra's  Keil!  u.  s.  w. 

Hari-Kriehna  beauftragt  nun  die  Freundin,  zu  Radha  zurück- 
zukehren, ihr  seine  Werbung  zu  melden  und  sie  selbst  zu  ihm 
zu  führen.  Sie  geht  und  schildert  nun  wieder  der  Radha  den 
Zustand  des  Hari: 

Wo  malayische  Lüfte1  w£hn, 

schwebend  Anafiga  zu  tragen, 
Blühende  Knospen  aufgehn, 

Herzen  getrennter  Verliebten  zu  nagen, 
Freundin!  wie  schmachtet  der  Hainbekränzte,  getrennt  von  dir! 

Glühend  am  thanigen  Mondenstrahl, 

stellt  er  sich  an  zu  sterben; 
Fühlend  Madana's1  Pfeilqual, 

klaget  er  laut  das  gedrohte  Verderben. 
Freundin!  wie  schmachtet  der  Hain  bekränzte,  getrennt  von  dir! 

Wälder  wählt  er  zum  Aufenthalt, 

glanzende  Schlösser  verlassend, 
Wälzt  am  Boden  sich  stumm  bald, 

bald  bei  dem  Namen  dich  ruft  er  erblassend; 
Freundin!  wie  schmachtet  u.  8.  w. 

Dann  richtet  sie  an  Radha  die  Aufforderung,  sich  schleunig 
zu  rüsten  und  zum  Geliebten  zu  eilen,  der  unter  einem  duften- 
den Strauche  am  Ufer  des  Flusses  ihrer  harre,  sehnsüchtig 
ihren  Namen  hauchend,  schon  in  der  höchsten  Aufregung  der 
Erwartung: 

Schwingt  eine  Taube  sich,  regt  es  im  Laube  sich,  meinet  er,  dass  du 

gekommen, 

Schmücket  das  Lager  dir,  blicket  mit  zager  Begier  dir  entgegen  beklommen; 
Unter  dem  Duftstrauch  an  Yamunä's  Lufthauch  harret  der  Hainbekränzte. 


1  D.  h.  Lüfte,  die  vom  Malaya -Gebirge  kommen. 
•  Madana,  der  Liebesgott 


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Lass  die  umzingelnden,  plaudernaft  klingelnden,  liebesverräthrUcbeD 

Spaugen, 

Freundin,  o  husche  tum  dämmrigen  Busche,  von  nachtlichen  Schleien 

umfangen  I 

Unter  dem  Duftstrauch  an  Yamunä's  Lufthauch  harret  der  Haiabe- 

kränzte  u.  i  v.1 

Doch  Radha,  durch  die  Liebeskrankheit  zu  schwach,  um 
zu  gehen,  muss  in  dem  Rankenhause  liegen  bleiben.  Die  Freun- 
din eilt  nun  wieder  zu  Hari,  ihm  diesen  Zustnnd  der  Geliebten 
zu  verkünden: 

Ueberall  schaut  sie,  wohin  sie  nur  schauet. 
Dick,  dem  die  Lippe  von  Honige  thauet 

Hari,  o  Hort! 
Rädhä  erliegt  in  der  Laube  dort. 

Hebt,  dir  entgegenzugehn,  sie  die  Glieder, 
Sinkt  sie  nach  wenigen  Schritten  danieder, 

Hari,  o  Hort! 
Rädhä  erliegt  in  der  Laube  dort. 

Blüthen  und  Blätter  zu  Ketten  verwebend. 
Schwärmt  sie,  von  deiner  Erinnrung  nur  lebend, 

Hari,  o  Hort! 
Rädhä  erliegt  in  der  Laube  dort 

„Warum  zum  Ort  der  Bestimmung  nicht  eilt  er?" 
Fragt  sie  bestandig,  „o  Freundin,  wo  weilt  er?" 

Hari,  o  Hort! 
Rädhä  erliegt  in  der  Laube  dort 

Küssend  umarmt  sie  der  nächtlichen  Schatten 
Wolkengebild,  das  sie  halt  für  den  Gatten, 

Hari,  o  Hort! 
Rädhä  erliegt  in  der  Laube  dort.1 

W&hrend  du  säumest,  erliegt  sie  dem  Drange, 
Jammert  und  harret,  bereit  zum  Empfange, 
  Hari,  o  Hort!  u.  s.  w. 

1  Beispielsweise  will  ich  auch  hier  wieder  einmal  die  beiden  letrt- 
angeftthrten  Strophen  zur  Vergleichung  im  Original  mittheilen: 

patati  patatre  vicalati  patre  caökitabhavadupayänam  / 
racayati  cayanam  sacakitanayanam  pacjati  tava  pantb&nam  / 
dhirasamire  yamunätire  vasati  vane  vanamäli  // 
mukharamadhirara  tyaja  manjiram  ripum  iva  kelisololam  / 
cala  sakhi  kunjam  satimirapunjam  cÜaya  nilanicoiam  / 
dhirasamire  yamunätire  vasati  vane  vanamäli  //  u.  s.  w. 

*  Die  letzten  beiden  Strophen  lauten  im  Original: 

tvaritam  upäiti  na  katham  abhisäram  / 
harir  iü  vadati  Bäk h im  anuväram  / 
nätha  hare  / 
sldati  rädhä  väsagrihe  // 


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587  — 


Bis  zum  Ohrläppchen  schaudernd,  seufzersch wellend. 
Mit  stockender  erstickter  Stimme  stammelnd, 
Auf  dich,  Treuloser,  richtend  tiefe  Sehnsucht, 
Denkt,  lustversenkt,  nur  dich  die  Rehgeaugte. 

Inzwischen  ist  der  Mond  aufgegangen,  und  die  einsame 
Radha,  die  sich  auch  von  der  Freundin  betrogen  glaubt,  macht 
ihrem  Gram  in  schmerzlicher  Klage  Luft: 

Ach!  der  Freund  laast  zur  Frist  mich  im  Hain,  unbesucht! 

Welken  znuss  meines  Leibs  Jugendblüth'  ohne  Frucht. 

Ha,  an  wen  wend'  ich  mich?  auch  der  Herzfreundin  Wort  ist  Betrug. 

Dem  ich  nachgehe  Nachts  tief  in  Waldwüstenein, 

Madana's  Pfeile  bohrt  er  in's  Herz  mir,  o  Pein! 

Ha,  an  wen  wend*  ich  mich?  auch  der  Herzfreundin  Wort  ist  Betrug 

Sterben!  was  bleibt  mir  sonst?   Soll  ich  mit  krankem  Leib, 
Sinnberaubt,  diese  Gluth  tragen,  glückloses  Weib? 
Ha,  an  wen  u.  s.  w. 

Ach,  wie  bringt  Kummer  mir  diese  lenzlaue  Nacht! 
Welche  Glückselge  hat  sie  in  Lust  dort  durchwacht? 
Ha,  an  wen  u.  s.,  w. 

Wie  nun  die  Freundin  zu  ihr  zurückkehrt  ohne  den  Ge- 
liebten, da  hält  ihr  eifersüchtiger  Sinn  es  für  gewiss,  dass  eine 
Andere  jetzt  an  Hari's  Busen  liegt  und  sogleich  malt  sie  sich 
mit  lebhaften  Farben  dieses  Bild: 

Trunken  von  Hari's  Umarmung  durchzittert. 
Während  der  Schmuck  auf  dem  Busen  ihr  schüttert. 

Liebend  mit  Hari  vereint 
Scherzt  Eine,  die  mir  selig  scheint. 

Mond,  des  Gesichtes  von  Locken  umflogen, 
Saugend  an  Lippen  und  müde  gesogen, 

Liebend  mit  Hari  vereint, 
Scherzt  Eine,  die  mir  selig  scheint. 

Lächelnd  am  Blicke  des  Liebsten  erröthond, 
LiebesentzUckungen  wonniglich  flötend. 

Liebend  mit  Hari  vereint 
Scherzt  Eine,  die  mir  selig  scheint  u.  s.  w. 


(lishyati  cumbati  jaladharakalpam  / 
harir  upagata  iti  timiram  analpam  / 
uatha  hare  cet. 

Man  sieht,  wie  es  Rückert  verstanden  hat,  den  wechselnden  Maassen 
gerecht  zu  werden. 


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—   588  — 

Unter  dem  Hauche  vom  blühenden  Munde 
Fühlet  sie  nicht  von  Anaüga  die  Wunde, 
Sie,  o  Freundin,  mit  der  Vanamali1  spielt 

Unterm  ambrosischen  Kosen  gelinde 
Trinket  sie  Gluth  nicht  im  Malaya -Winde, 
Sie,  o  Freundin,  mit  der  Yanamali  spielt. 

Unter  dem  Schirme  des  Schönsten  von  allen 
Trifft  sie  kein  Weh,  denn  sie  hat  ihm  gefallen, 
Sie,  o  Freundin,  mit  der  Vanamali  spielt  u.  8.  w. 

Und  endlich  ruft  sie  verzweifelt  aus: 

Malaya -Luft,  gieb  mir  den  Tod!  Fünfpf eiliger,  * 
Nimm  meinen  Hauch  hin!  nicht  nach  Hause  geh  ich  mehr. 
Was,  Yaraa's  Schwester,3  schonest  du?  In  deine  Floth 
Tauch  meine  Glieder,  lösche  dieses  Leibes  Brand! 

Die  Nacht  ist  vorüber,  und  nun  tritt  Hari  vor  die  Ge- 
liebte. Sie  aber,  noch  immer  voll  eifersüchtigen  Grolles,  weist 
ihn  zurück: 

Dein  von  beschwerlicher  nächtlicher  Wache  geröthetes  Auge,  das  trage 
Blinzende,  tragt  es  nicht  gleichsam  zur  Schau  des  erwünschten  Genusses 

Gepräge? 

Harihari!  geh  nur,  Madhava!4  geh  nur,  Kecava!  rede  nicht  tfügliche  Worte! 
Lotusgeaugter!  suche  nur  die,  die  dir  dienet  im  Kummer  zum  Horte! 

> 

• 

Spuren  verwundender  Zahn'  auf  den  Lippen  erregen  mir  Gram  im  Gemüthe, 
Fragen  mich,  ob  unversehrt  ich  bei  mir  nun  den  Leib  des  Geliebten 

wohl  hüte? 

Harihari!  geh  nur,  Madhava!  geh  nur,  Kegava!  rede  nicht  trügliche  Worte! 
Lotusgeaugter!  suche  nur  die,  die  dir  dienet  im  Kummer  zum  Horte!  u.  b.  w. 

Ihr  Groll  ist  jetzt  nicht  zu  bezwingen,  —  Hari  muss 
weichen.  Da  aber  tritt  wieder  die  Freundin  zu  RadhA  und 
macht  ihr  Vorwürfe  wegen  dieses  spröden,  eifersüchtigen  Wesens: 

Hari  auf  Flügeln  der  Lenzluft  besucht  dich! 
Locket  auf  Erden  wohl  süssere  Frucht  dich? 

Gegen  Madhava  thu 
Nicht  spröd',  o  spröde  du! 

Deine  die  Dattel  beschämende  Brust  hier, 
Sprich,  was  entziehest  du  selber  die  Lust  ihr? 

Gegen  Madhava  thu 
Nicht  spröd',  o  spröde  du! 

1  Vanamali,  Beiname  des  Krishna  (mit  einem  Kranze  von  Wald- 
blumen geschmückt).  Rück  er  t  giebt  das  Wort  oben  nicht  ganz  treffend 
durch  „der  Hainbekranzte"  wieder. 

9  Bezeichnung  des  Liebesgottes. 

3  D.  i.  die  Yamuna. 

4  Beiname  des  Krishna. 


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Sieh  auf  dem  Lager  Ton  Blüth'  und  von  Blatt  da 
Lagert  er,  mache  die  Augen  dir  satt  da! 
Gegen  Madhava  thn  u.  s.  w. 

Hari  soll  kommen  und  kosen  genussreich; 
Freundin,  was  machst  du  das  Herz  dir  Terdrussreich? 
Gegen  Madhava  thu  u.  a.  w. 

Wenn  du  hart  dem  weichen,  wenn  du  starr  biBt  dem  sich  schmiegenden, 
Abgeneigt  dem  zugeneigtenv  feindlich  einem  solchen  Freund; 
Billig  wird  dann,  o  Verkehrte,  Sandelsalbe  dir  zu  Gift, 
Mondstrahl  Sonnenbrand,  Schnee  Feuer,  Minnelustspiel  Todeskampf. 

Und  wie  der  Abend  genaht  ist,  da  tritt  wieder  Hari  zu 
der  Geliebten  und  spricht  flehend  mit  holdem  Stammeln  also: 

Wenn  du  nur  ein  Wörtchen  sprichst,  wird  des  Zahnes  Lilienglanz  dieses 

Bangens  Nacht  mir  entfloren; 

Deines  Angesichtes  Mond  mit  dem  Lippennektarstrom  labt  der  Augen 

durstige  Cakoren.1 

Freundin!  anmuthreiche I  lass  den  Stolz,  den  grundlosen,  sinken! 

Von  Kandarpa's*  Feuer  ging  meine  8eel'  in  Flammen  auf  ;  rieb  des  Mundes 

Meth  mir  zu  trinken! 

Dm  allein  bist  meine  Zier,  du  allein  mein  Leben  hier,  mein  Juwel  in 

irdischen  Schachten; 

Herrin,  dass  du  gegen  mich  immer  freundlich  seiest,  das  ist  des  Herzens 

eifrigstes  Trachten. 

Freundin!  anmuthreiche!  u.  s.  w. 

In  den  glühendsten,  schwärmerischsten  Worten  redet  er 
zu  ihr  von  seiner  Liebe.  Alles  mag  sie  mit  ihm  thun,  nur  ihn 
wieder  lieben!  Dann,  nachdem  er  sie  lange  geliebkost,  geht 
er  zurück  zu  seinem  laubigen  Lager. 

Jetzt  ist  Radha's  Herz  der  Liebe  wieder  zugewendet.  Fröh- 
lich schmückt  sie  sich  und  die  Freundin  spricht  auffordernd 
also  zu  ihr: 

Der  da  mit  schönen  versöhnenden  Tönen  die  Fasse  dir  flehend  umfangen, 
Nun  in  der  luftigen  Laube  zum  lockenden  Lager  der  Lust  ist  gegangen, 

Madchen!  dem  Madhu-Bemeistrer,1 
Dem  genaheten,  nahe  dich,  Radhika! 

Hörst  du  des  Madhu-Befehders  die  frauenbezaubernde  Stimme,  die  süsse? 
Unter  dem  Kokila- Chore,  dem  Liebe  besingenden,  suche  Genüsse, 
Madchen!  dem  Madhu-Bemeistrer  u.  s.  w. 

Winkend  im  Winde,  mit  blattergefingerten  Händen,  die  Winden  der  Baume 
Mahnen  dich  lange  zur  Eile  des  Gangs,  Baumselige,  länger  nicht  säume! 
Madchen!  u.  s.  w. 

1  Vgl.  oben  p.  574. 

*  Bezeichnung  des  Liebesgottes. 

1  Madhu  war  ein  böser  Dämon,  den  Kfishna  besiegte. 


590  — 


„Schauen  wird  sie  mich,  wird  kommen,  bringen  süsBen  Liebesgruss, 
Mit  Umfang  Bich  letzen,  lustvereinigt!*4  so  gedankenvoll 
Blickt  er,  Freuodin,  dort  nach  dir  aus,  zittert,  schaudert,  jauchzt,  zerfliegst, 
Springt  empor  und  sinkt  zurück,  im  dunklen  Laubgewölb,  dein  Freund. 

Radhä  geht.  Aber  am  Eingang  der  Laube,  wo  Krishna 
auf  dem  Lager  ruht,  bleibt  sie  verschämt  stehen,  und  wieder 
redet  nun  die  Freundin  ermunternd  zu  ihr: 

Hier  in  des  Laubrankengeflechts  Freudengemache, 

Radha!  tritt  ein  in  Madhava's  Nähe, 
Spiele  du  hier,  wonnebegierblickende,  lache! 

Wo  sich  ein  frisch  grünes  Gebüsch  wölbet  zum  Bette, 

Radhä!  tritt  ein  m  Madhava's  Nahe, 
Spiele  du  hier,  lass  auf  der  Brust  klingen  die  Kette! 

Wo  den  Palast  blühender  Ast  baut,  der  bethaute, 

Radha!  tritt  ein  in  Madhava's  Nahe, 
Spiele  du  hier,  zierliche,  zartblumengebaute ! 

Wo  von,  der  Duftmalayaluft  kühl  sind  die  Hallen, 

Radhä!  tritt  ein  in  Madhava's  Nahe, 
Spiele  du  hier,  lass  den  Gesaug  lockend  erschallen! 

Und  mit  verlangendem  Lustbangen  tritt  Radhä  in  das 
Haingemach.    Die  Liebenden  finden  sich  zu  seligstem  Genüsse. 

Ueber  den  Schluss  des  Gedichtes  darf  ich  wohl  hinweg- 
gehen. Von  der  Anlage  und  Entwickelung  des  Stückes,  von 
dem  Styl  und  Ton,  der  in  dem  Ganzen  herrscht,  von  der  eigen- 
thümliehen  Art  der  dasselbe  zusammensetzenden  Gesänge,  ihrem 
Rhythmus,  ihrer  reich  und  mannigfaltig  ausgebildeten  Form, 
werden  Sie,  wie  ich  hoffe>,  durch  das  Mitgetheilte  einen  hin« 
reichend  deutlichen  Eindruck  gewonnen  haben. 

Zum  Schluss  sei  noch  erwähnt,  dass  dies  so  durchaus  sinn- 
liche, von  glühendster  Liebe  trunkene  Gedicht  von  den  indischen 
Erklärern  in  mystisch-religiöser  Weise  gedeutet  wird,  und  scheint 
in  der  That  der  Dichter  selbst  eine  solche  mystische  Beziehung 
mit  haben  hineinlegen  zu  wollen.1  Man  darf  dieselbe  aber 
weniger  in  Einzelheiten  als  in  der  leitenden  Idee  des  Ganzen 
suchen.  Das  Verhältniss  Krishna's  zu  Radha,  ihr  Getrenntsein, 
ihr  Sichsuchen  und  ihre,  endliche  Vereinigung  würde  die  Be- 
ziehung der  höchsten  Gottheit  zur  menschlichen  Seele  im  Bilde 
darstellen  sollen.  Eine  solche  mystisch-religiöse  Deutung  ero- 
tischer Schilderungen  steht  in  der  Weltliteratur  bekanntiieh 
nicht  ganz  vereinzelt  da. 


1  VgL  Lassen 's  Prolegomena  zu  seinor  Ausgabe  des  GltagOTinda 
p.  XI  flg.  •   


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Einundvierzigste  Vorlesung. 


Das  indische  Drama.  Sagen  and  Vermufhungen  über  den  Ursprung 
desselben.  Die  verschiedenen  Arten  von-  Schauspielen  nach  der  Theorie 
der  Inder.  Die  Form  der  Dramen.  Prolog  und  Akte.  Einheit  der  Zeit 
und  des  Ortes  nicht  beobachtet.  Die  Sprache.  Der  scenische  Apparat. 
Die  Weber-Windisch'Bche  Theorie  über  den  Einfluss  des  griechischen 
Dramas  auf  das  indische.  Berührungspunkte  des  indischen  Dramas  mit 
dem  Shakespeare'schen.  Die  BlQthezeit  des  indischen  Dramas:  ?üdraka, 
Kalidasa,  Bhavabhüti.  Chronologische  Bestimmung  dieser  Blütheperiode. 

Die  Anfange  des  indischen  Dramas  sind  begreiflicher- 
weise in  Dunkel  gehüllt,  wir  haben  keine  historischen  Nach- 
richten darüber,  wo  und  wie  dasselbe  entstanden.  Aber  sowohl 
die  Sprache  wie  auch  die  Tradition  der  Inder  giebt  uns  eine 
Reihe  von  Anhaltspunkten,  mit  Hülfe  deren  wir  jenen  Ursprung 
wenigstens  vermuthungs  weise  erschliessen  können,  und  sind  die 
dahinein  schlagenden  Thatsachen  vor  Allem  von  Lassen  in 
lichtvoller  Weise  dargelegt  worden. 

Die  Inder  selbst  nennen  als  Erfinder  des  Schauspiels  eine 
mythische  Persönlichkeit,  den  Bharata,  welcher  zuerst  Tänze 
nnd  Schauspiele  vor  eleu  Göttern  aufgeführt  haben  soll,  wo- 
bei Gandharven  und  Apsarasen  die  Schauspieler  abgaben.1  Als 
das  älteste  Schauspiel,  welches  noch  Bharata  selbst  vor  den 
Göttern  zur  Auffuhrung  brachte,  wird,  wie  schon  früher  er- 
wähnt, die  „Selbstwahl  der  Lakshmi"  genannt  Ferner  wird 
dem  Bharata  eine  Reihe  von  Sütra's  oder  Regeln  über  die 
Schauspielkunst  zugeschrieben.  Das  Wort  Bharata  bedeutet  ün 
Sanskrit  unter  Andrem  auch  „Schauspieler",  und  es  kann  wohl 
keinem  Zweifel  unterliegen,  dass  jener  fabelhafte  Bharata  bloss 
als  eine  Personificalioü  der  Schauspielkunst  aufzufassen  ist 

1  Bharata  wird  ein  Muni  oder  Einsiedler  genannt.  Nach  Andern 
soll  Brahma  selbst  die  Kunst  aus  den  Veda's  gesammelt  und  sie  dem 
Mnni  mitgetheilt  haben.  (Vgl.  Wilson,  Theater  der  Hindu'*,  deutsche 
t/ebers.  p.  3.) 


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-    592  - 

Es  ist  ferner  sehr  zu  beachten,  dass  das  Wort  Bharata 
in  mehreren  Volkssprachen  „Sänger"  bedeutet,1  und  sah  schon 
Lassen  darin  einen  deutlichen  Hinweis  darauf,  dass  „ursprung- 
lich der Gesan g  emen  Hauptbestandteil  des  Schauspiels  bildete.-1 

Weiter  tritt  es  deutlich,  hervor,  dass  bei  jenen  ältesten 
Aufführungen  auch  der  Tanz  eine  wichtige  Rolle  spielte. 

Die  indische  Tradition  giebt  an,  dass  jene  ersten  drama- 
tischen Darstellungen  vor  den  Göttern  in  drei  Arten  bestanden 
haben  sollen,  nämlich  1)  nrifrta  d.  h.  blosser  Tanz;  2)  nritya, 
d.  h.  Tanz  mit  Geberden,  Mimik,  aber  ohne  Worte;  3)  .natya. 
d.  h.  Tanz,  mit  Geberden  und  Worten  verbunden.  Diese  letzter© 
Art  wäre  als  der  erste  Anfang  einer  eigentlich  dramatischen 
Aufführung  anzusehen.  Die  Sprache  giebt  uns  hier  noch  weitere 
deutliche  Hinweiße.  Die  Verbalwurzel  nat,  eigentlich  nur  eine 
prakritisirte  Form  von  nart,*  bedeutet  „tanzen";  im  Causativum 
„nätayati"  bedeutet  es  aber  *als  Schauspieler  etwas  darstellen, 
aufführen";  natya  bedeutet  „Tanz,  Mimik,  Darstellung  auf  der 
Buhne,  Schauspielerkunst;"4  nata  sowie  nätaka,  von  derselben 
Wurzel,  bedeutet  „Schauspieler",  eigentlich  also  „Tänzer";  das 
Neutrum  nätaka  bezeichnet  ein  Schauspiel,  und  zwar  die  her- 
vorragendste Art  desselben.  Diese  sprachlichen  Thatsachen 
rüeken  Tanz,  Mimik  und  Schauspielkunst  auf  das  Engste  zu- 
sammen und  stimmen  durchaus  zu  der  Tradition  von  jenen 
ältesten  Aufführungen  vor  den  Göttern,  welche  Nachrichten  ja 
an  sich  fabelhaft  sind,  aber  immerhin  als  Hinweise  auf  die 
ältesten  dramatischen  Darstellungen  beachtet  werden  müssen. 
Wir  haben  demnach  wahrscheinlich  den  Ursprung  des  Dramas 
in  Tänzen  und  Gesängen  zu  suchen,  die  bei  festlichen  Gelegen- 
heiten stattfanden  und  bei  denen  mehr  und  mehr  die  Mimik, 
das  gesprochene  Wort,  endlich  der  Dialog  sich  in  den  Vorder- 
grund drängten.5 

Dass  diese  ältesten  dramatischen  Auffuhrungen  wahrschein- 


1  Nämlich  bharot  in  Gujerat,  und  bhat  bei  den  Rajaputra,  8.  Lassen. 
Ind.  Alt  II',  p.  507  Anm. 

*  S.  Lassen,  a.  a.  0.  II*,  p.  &07. 

*  nart  ist  die  gewöhnliche  Wureel,  die  „tanzen"  bedeutet 

*  Vgl.  das  Petersburger  Wörterbuch  s. 

*  Auch  Weber,  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  213  sagt  vom  Drama:  „Der 
Name  dafür  ist  Nataka  und  ein  Schauspieler  heisst  Nata,  d.  i.  Unser. 
Die  Etymologie  weist  uns  also  darauf  hin,  dass  das  Drama  aus  dem  Tarn 
sich  entwickelt  hat,  der  ursprünglich  wohl  nur  mit  Spiel  und  Gesang, 
allmählich  aber  mit  pantomimischen  Darstellungen,  Aufzügen  und  Dia- 
logen begleitet  wurde." 


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—  593  — 

lieh  dem  Kreise  der  Vishnu-Krisbna-Legende  angehörten,  dass 
uns  in  den  bengalisehen  Yaträ's  Reste  jener  Art  des  ältesten 
Dramas  erhalten  sind  und  dass  Jayadeva's  Gltagovinda  wohl 
als  eine  Art  kunstvoll  verfeinertes  Abbild  desselben  anzusehen 
ist,  —  dies  Alles  habe  ich  bereits  früher  hervorgehoben.1 

Diese  ganze  Theorie  über  den  Ursprung  des  indischen 
Dramas  hat  trotz  einiger  dagegen  erhobener  Einwendungen 
doch  immer  noch  die  grösste  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  und 
es  ist  merkwürdig,  wie  sich  dieselbe  in  wesentlichen  Punkten 
mit  der  Theorie  vom  Ursprung  des  griechischen  Dramas  berührt 

Das  Drama  ist  bei  den  Indern  reich  und  mannigfaltig 
ausgebildet  Wir  sehen  dies  sowohl  aus  den  auf  uns  gekom- 
menen Stücken,  die  eine  seltene  Vielseitigkeit  dramatischen 
Lebens  bekunden,  wie  auch  aus  den  einheimischen  Werken, 
die  von  Wesen  und  Art  der  Schauspielkunst  handeln.  Die 
Inder  theilen  alle  dramatischen  Dichtungen  in  zwei  Haupt» 
kategorien:  1)  die  sogenannten  Rüpaka's  oder  Schauspiele 
höherer  Ordnung  und  2)  die  Uparüpaka's  oder  Schauspiele 
geringerer  Art  Es  giebt  10  Arten  der  ersteren  und  18  der 
letzteren  Kategorie,  also  werden  im  Ganzen  nicht  weniger  als 
28  Arten  von  Schauspielen  gerechnet.  Wenn  man  nun  auch 
durchaus  zugeben  muss,  dass  diese  Artenein th ei lung  sehr  oft 
vor  dem  Richterstuhl  der  Logik  nicht  standhält,  dass  die  Unter- 
scheidung vielfach  auf  sehr  äusserhehen,  spitzfindigen  und  nich- 
tigen Gründen  aufgebaut  ist,  entsprechend  dem  zu  spitzfindigem 
Systematisiren  besonders  hinneigenden  indischen  Geiste,  so  wird 
man  doch  aus  jener  Scheidung  der  Schauspiele  in  28  Arten  un- 
bedingt schliessen  müssen,  dass  es  eine  nicht  unbeträchtliche 
Anzahl  von  Dramen  gegeben  haben  muss. 

Die  am  höchsten  stehende  Dramengattung,,  das  erste  in 
der  Zahl  der  sogenannten  Rüpaka's  ist  das  Nataka,  das  Schau- 
spiel par  excellence.  Der  Gegenstand  eines  Nä^aka  muss  immer 
berühmt  und  bedeutend  sein.  Die  Begebenheit  soll  aus  der 
Mythologie  oder  Geschichte  genommen  sein,  wobei  theilweise 
auch  freie  Erfindung  des  Autors  zugelassen  wird.  Das  Na^aka 
darf  nur  würdige  oder  erhabene  Personen  darstellen.  Der  Held 
muss  ein  Fürst  wie  Dushyanta,  oder  ein  Halbgott  wie  Rama, 
oder  eine  Gottheit  wie  Krishna  sein.  Nur  Liebe  oder  Herois- 
mus darf  den  Inhalt,  die  bewegende  Leidenschaft  bilden.  Die 
Diction  muss  bedeutend  und  wohlabgerundet  sein.  Das  Nä^aka 
darf  nicht  weniger  als  fünf  und  nicht  mehr  als  zehn  Akte 


1  Oben  p.  578—580. 

r.  Schröder,  Indien»  LH.  u.  Cult.  38 


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-    594  - 


haben.1  Auch  dieses  höchste  und  würdigste  Drama  schliesst 
aber  heitere  und  komische  Elemente  in  sich,  und  niemals  darf 
der  Schlus8  ein  trauriger  sein.  Eine  Tragödie  —  dies  ist  sehr 
zu  betonen  —  kennen  die  Inder  nicht* 

Als  Beispiel  eines  solchen  Nätaka  oder  Drama  ersten 
Ranges  gilt  die  Qakuntalä  des  Kälidasa;  auch  Mudrärakshasa, 
Venisamhara  u.  a. 

Als  zweite  Art  der  Rüpaka's  gilt  das  sogenannte  Praka- 
rana,  welches  in  den  meisten  Punkten  mit  dem  Nätaka  über- 
einstimmt, nur  dass  es  keinen  so  hohen  Rang  einnimmt  Die 
Begebenheit  soll  eine  Fiction  aus  dem  wirklichen  Leben  sein, 
aber  sich  innerhalb  einer  achtungswerthen  C lasse  der  Gesell- 
schaft abspielen.  Der  passendste  Gegenstand  ist  die  Liebe.  Der 
Held  soll  den  Rang  eines  Ministers,  Brahmanen  oder  ange- 
sehenen Kaufmanns  inne  haben.  Die  Heldin  ist  ein  Mädchen 
aus  guter  Familie  oder  auch  eine  Hetäre  —  eine  Klasse,  die, 
wie  wir  später  sehen  werden,  bei  den  Indern  nicht  missachtet 
war,  so  wenig  als  eine  Aspasia  bei  den  Griechen.  Als  Beispiel 
eines  Prakarana  gfilt  Cudraka's  Mricchakatika  sowie  Bhava- 
bhuti'8  Mälati  und  Madhava.3 

Von  den  übrigen  Rüpaka's  will  ich  nur  noch  das  Praha- 
sana  erwähnen,  ein  possenhaftes  oder  satirisches  Stück  in 
einem  Akte,  in  welchem  Sinnlichkeit  und  Heuchelei  gegeisselt 
werden«  Der  Held  ist  ein  Asket,  ein  König,  ein  Brahmane 
oder  ein  Schuft.1 

Unter  den  Uparüpaka'e  steht  obenan  das  Nätika,  wel- 
ches sieb  von  dem  erstbesprochenen  Nätaka  einzig  und  allein 
dadurch  unterscheidet,  dass  es  auf  vier  Akte  beschränkt  ist 
Ein  Beispiel  dieser  Kategorie  ist  die  Ratnavali. 

Eine  weitere  wichtige  Kategorie  der  Uparüpaka's  ist  das 

1  S.  Wilson,  Theater  der  Hindu's,  deutsche  Uebers.  p.  10  and  11. 

*  Eine  tragische  Katastrophe  darf  im  indischen  Drama  über- 
haupt nicht  stattfinden.  Der  Tod  des  Helden  oder  der  Heldin  darf  nie 
auch  nur  angezeigt  werden.  Nie  darf  Jemand  yor  den  Augen  des  Zu- 
schauers sterben,  und  ist  es  nicht  erlaubt,  die  Scene  irgendwie  mit  Blut 
zu  färben.  —  Die  Rücksicht  auf  den  Anstand  wird  ziemlich  weit  ge- 
trieben. Eine  Menge  von  Verboten  hindern  unliebsame  Erscheinungen, 
sowohl  ernsten  als  komischen  Charakters.  Die  ausgenommenen  ernsten 
Dinge  sind:  feindliches  Herausfordern,  feindliche  Verwünschung,  Ver- 
bannung, Degradation  und  nationale  Unglücksfalle;  die  komischen  da- 
gegen: Beissen,  Kratzen,  Küssen,  Essen,  Schlafen,  Baden,  Salben  und 
Heirathen.  (Vgl  Wilson,  a.  a.  0.  deutsche  Uebers.  p.  14).  —  Mäh 
sieht,  dass  bei  den  Zuschauern  des  indischen  Theaters  im  Ganzen  recht 
zarte  Nerven  vorausgesetzt  werden, 

•  S.  Wilson,  a  a.  0.  p.  15. 


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—   595  - 


sogenannte  Trotaka,  von  welchem  es  heisst,  dass  es  aus  fünf, 
sieben,  acht  oder  neun  Akten  besteht  und  dass  die  Begeben- 
heit theils  irdisch,  theils  himmlisch  ist,  —  eine  Definition,  die 
als  solche  wohl  einen  sehr  schwachen  und  fadenscheinigen  Ein- 
druck macht  Als  Beispiel  dieser  Oattung  gilt  die  Urvaci  des 
Kälidäsa. 

Doch  ich  will  von  einer  weiteren  Aufzählung  dieser  von 
der  indischen  Theorie  statuirten  verschiedenen  Dramen-Arten 
absehen,  da  diese  Eintheilungen  für  uns  im  Ganzen  wenig 
Werth  haben.  Suchen  wir  lieber  selbst  unsern  Gegenstand  in 
seinen  hervorstechendsten  Zügen  zu  charakterisiren. 

Was  die  Form  der  indischen  Dramen  betrifft,  so  ist  die- 
selbe eine  sehr  mannigfaltige  nnd  bietet  der  Entfaltung  indi- 
vidueller Freiheit  reichlichen  Spielraum. 

Ein  jedes  Stück  beginnt  mit  einem  Prolog  oder  Vor- 
spiel, welches  mit  einem  Gebet  oder  Segensspruch,  der  soge- 
nannten Nandi,  eröffnet  wird.  Auf  die  Nandi  folgt  meist  eine 
kurze  Mittheilung  über  das  aufzuführende  Werk  und  dessen 
Dichter,  sowie  ein  Dialog,  den  meist  der  Schauspieldirektor 
und  eine  Person  aus  der  Truppe  ausführen  und  der  eine  Art 
Captatio  benevolentiae  des  Publikums  enthält.  In  der  Qakun- 
talä  trägt  die  Schauspielerin  des  Dialogs  ein  Lied  zur  Ergötzung 
der  Zuhörer  vor;  in  andern  Stücken  ist  der  Inhalt  dieses  Vor- 
spiels anders  angelegt,  immer  aber  endet  dasselbe  mit  einem 
Hinweis  auf  die  dann  eintretenden  Personen  des  eigentlichen 
Schauspiels. 

Die  Anzahl  der  Akte  schwankt  von  einem  bis  zu  zehn, 
und  haben  wir  bereits  gesehen,  dass  dies  bei  den  einzelnen 
Dramengattungen  bis  zu  einem  gewissen  Grade  normirt  ist; 
doch  ist  im  Ganzen  ziemlich  viel  Freiheit  vorhanden.  Die 
Dauer  eines  Aktes  ist  gewöhnlich  die  der  Darstellung,  oder 
höchstens  ein  Tag.  Die  Nacht  verstreicht  dann  zwischen  den 
einzelnen  Akten.  Doch  kommen  auch  bedeutend  grössere  Zwi- 
schenräume vor.  So  tritt  uns  z.  B.  im  letzten  Akte  der  Qa- 
kuntalä  das  Söhnchen  der  Heldin  als  herumspielendes  und 
sprechendes  Kind  entgegen,  während  wir  in  dem  ersten  Akte 
des  Drama's  bekanntlich  den  Anfang  jenes  Liebesverhältnisses 
vorgeführt  sehen,  dessen  Frucht  der  Knabe  ist.  Es  liegen  also 
zwischen  Anfang  und  Ende  des  Stückes  im  Ganzen  mindestens 
einige  Jahre.  Ganz  dasselbe  findet  in  Kalidasa's  Urvaci  statt, 
wo  das  inzwischen  herangewachsene  Söhnchen  sieh  sogar  schon 
als  Bogenschütze  auszeichnet.  In  dem  berühmten  Drama  Ut- 
tara-Räma-Carita  liegen  zwischen  dem  ersten  und  zweiten 

38* 

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Akte  sogar  zwölf  Jahre,1  womit  wir  doch  unmittelbar  an  Aehn- 
1  ich  es  im  romantischen  Drama  erinnert  werden. 

Ebensowenig  wie  die  Einheit  der  Zeit  wird  in  dem  in- 
dischen Drama  die  Einheit  des  Ortes  beobachtet,  vielmehr 
haben  wir  hier  durchaus  die  freie  Beweglichkeit  des  roman- 
tischen Schauspiels.  Wir  werden  von  einem  Orte  der  Erde 
zum  andern  versetzt;  auch  innerhalb  eines  Aktes  kann  Orts- 
wechsel stattfinden.  Ja,  die  Scene  erhebt  sich  bisweilen  sogar 
in  höhere  Regionen,  in's  Bereich  der  Lüfte,  wo  Nymphen, 
Dämonen  und  Halbgötter  walten.  Wir  sehen  den  König  Du- 
shyanta  mit  Indra's  Wagenlenker  Matali  zum  Hemakuta-Berge 
über  den  Wolken  dahinfahren  u.  dgl.  m. 

Die  Zahl  der  Personen  ist  nicht  beschränkt  und  stei- 
gert sich  dieselbe  bisweilen  zu  einer  bunten  Menge  der  ver- 
schiedenartigsten Gestalten. 

Die  Sprache  ist  ungemein  mannigfaltig  und  individuell 
gefärbt.  Prosaische  Rede  und  poetische  Rhythmen  verschiedenster 
Art  wechseln  in  bunter  Folge.  Dazu  kommt,  dass  die  Per- 
sonen, je  nach  ihrem  Charakter  verschiedene  Dialekte  sprechen. 
Denn  nur  die  Könige,  Helden,  Brahmanen  und  sonst  Männer 
höherer  Ordnung  reden  Sanskrit,  während  alle  Frauen  sowie 
auch  die  Männer  untergeordneten  Schlages  sich  des  Prakrit 
bedienen.  Und  hier  tritt  wiederum  eine  Mannigfaltigkeit  von 
verschiedenen  Prakrit-Dialekten  zu  Tage.  Frauen  edlerer  Art 
und  höheren  Standes  bedienen  sich  in  ihren  Liedern  des  soge- 
nannten Maharashtii-Dialektea,  während  sie  im  Dialog  Qäuraseni 
sprechen;  der  letztere  Dialekt  wird  auch  von  Kindern,  Mägdec 
besseren  Schlages,  Eunuchen  u.  A.f  gesprochen.  Andere  Per- 
sonen sprechen  Magadhi,  wieder  andere  Abhlri  und  die  Sprache 
von  Avant!,  während  endlich  die  niedrigsten  und  verachtetsten 
Menschen  sich  des  Paic&ci-  und  des  Apabhraipcl-Dialektes  be- 
dienen.* Haben  diese  Dialekte  auch  Vieles  mit  einander  ge- 
mein, so  sind  sie  doch  in  mancher  Hinsicht  stark  von  einander 
verschieden,  und  Sie  sehen,  welch  ein  Reichthum  ganz  indivi- 

1  Vgl.  Wilson,  a.  a.  0.  p.  12. 

*  So  von  Astrologen  niederen  Grades;  „eadem  foribundis  atque 
aegrotis,  quibus  interdum  Sanacrita  datur."  —  S.  Lassen,  InstitutioDes 
linguae  Pracriticae  (Bonn  1837)  p.  37. 

3  Magadhi  sprechen  z.  B.  homines,  qui  intimum  regis  palstiam 
colunt  (Lassen,  a.  a.  0.  p.  36);  die  Sprache  von  Avant!  Schurken  tschol 
Spieler)  (a.  a.  0.  p.  36);  Abhlri  Rinderhirten  (p.  37);  Paicaci  die  nied- 
rigsten Menschen,  wie  z.  B.  Köhler,  niedrige  Mägde  (a.  a.  0.  p.  37): 
Apabhramc^  auch  nur  die  niedrigsten  Menschen,  Barbaren  a.  dfL 


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—   597  — 

dueller  Sprechweisen  sich  demnach  in  dem  Drama  der  Inder 
entfaltet 

Der  scenische  Apparat  war,  wie  es  scheint,  ein  ziem- 
lich einfacher,  und  die  Phantasie  der  Zuschauer  musste  Vieles 
hinzu  ergänzen,  ähnlich  wie  dies  bekanntlich  bei  der  Bühne 
Shakespeare's  der  Fall  war.  Es  gab  keine  besonderen  Theater- 
gebäude, kein  complicirtes  System  von  Dekorationen  und  Ma- 
schinerien.1 Die  Könige  hatten  in  ihren  Palästen  eine  be- 
sondere Halle,  Samgita-c&lä  oder  Concertsaal  genannt  und  in 
diesem  scheinen  auch  die  Schauspiele  aufgeführt  worden  zu  sein. 
An  der  überhaupt  einfachen  Bühne  will  ich  nur  dies  besonders 
hervorheben,  dass  dieselbe  vom  Zuschauerraum  nicht  wie  bei 
uns  durch  einen  Vorhang  getrennt  war,  dass  der  Vorhang  viel- 
mehr, wie  im  griechischen  Theater,  den  Hintergrund  der  Bühne 
bildete,  dass  dahinter  sich  der  Nepathya  genannte  Raum  befand, 
die  Garderobe,  von  wo  aus  die  Schauspieler  auftraten,  und  dass 
dieser  Vorhang  hinter  der  Bühne  —  merkwürdig  genug  — 
Yavanikä*  genannt  wird,  was  wir  etwa  durch  Äder  griechische 
Vorhang**  oder  „die  griechische  Wand**  wiedergeben  könnten, 
wie  man  bei  uns  von  einer  „spanischen  Wand"  redet  Dieser 
bemerkenswerte  Umstand  gilt  als  eine  Hauptstütze  für  die 
Ansicht  derer,  die  an  eine  Beeinflussung  des  indischen  Theaters 
durch  das  griechische  glauben.  Dieser,  neuerdings  namentlich 
von  E.  Windisch  eifrig  verfochtenen  Ansicht  werde  ich  einige 
Worte  widmen  müssen. 

Albrecht  Weber  war  der  Erste,  der  die  Vermuthung 
aussprach,  es  könnte  vielleicht  die  Aufführung  griechischer 
Dramen  an  den  Höfen  der  griechischen  Könige  in  Baktrien,  im 
Penjab  und  in  Gujerat  die  Nachahmungskraft  der  Inder  geweckt 
und  den  Anstoss  zur  Entstehung  des  indischen  Dramas  gegeben 
haben.  Ausdrücklich  aber  constatirte  Weber,  dass  ein  innerer 
Zusammenhang  zwischen  dem  indischen  und  dem  griechischen 


1  Die  himmlischen  Luftwagen,  die  bisweilen  in  den  Dramen  vor- 
kommen und  in  denen  der  Zuschauer  angeblich  bestimmte  Personen 
durch  die  Lüfte  fahren  sieht,  existiren  entweder  selbst  bloss  in  der 
Phantasie  oder  es  ist  doch  dieses  Fahren  von  der  Phantasie  hinsuzu- 
lenken  (vgl.  Okuntala,  7.  Akt;  Mahavlracaritam  7.  Akt,  unten  Cap.  44); 
yx  es  i*t  sogar  nicht  einmal  wahrscheinlich,  dass  die  Wagen  mit  lebenden 
Thieren  bespannt,  die  ebenfalls  öfters  erscheinen,  in  Wirklichkeit  pro- 
dacirt  vorden.  Maoehe  scenische  Bemerkung  spricht  durchaus  dagegen. 
Iter  Wagenlenker  soll  s.  B.  durch  Bewegungen,  Gesten  die  Schnelligkeit 
de«  Wa*en*  ausdrücken  u.  dgl.  m.  Sie  machten  wohl  bloss  so,  als  ob 
»ie  fahren,  ankamen  u.  s.  w. 

*  Von  yavana  „der  Jonier,  der  Grieche"  abgeleitet. 


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598  — 


Drama  nicht  vorliege,  so  dass  es  sich  hier  mehr  um  eine 
äusserliche  Anregung  handelte.1 

Diese  Ansicht  fand  im  Ganzen  bei  den  Indologen  werig 
Beifall,  es  wurde  dieselbe  aber  vor  wenigen  Jahren  von  Ernst 
Windisch  wieder  aufgenommen  und  in  einem  besonderen  Vor- 
trag auf  dem  Internationalen  Orientalisten-Congress  zu  Berlin 
im  Jahre  1881  vertheidigt  Dieser  Vortrag  findet  sich,  er- 
weitert und  ergänzt,  als  ausführliche  Abhandlung  in  den  Ver- 
handlungen des  Congresses  abgedruckt,2  und  lässt  es  sich  nicht 
leugnen,  dass  Windisch  hier  viel  Interessantes  und  Beachten»- 
werthes  zusammengebracht  hat  und  als  geschickter  Anwalt  seiner 
Theorie  erscheint.  Wenn  es  ihm  trotzdem  meiner  Meinung 
nach  nicht  gelungen  ist,  dieselbe  plausibel  zu  machen,  so  dürfte 
dies  nicht  an  seinem  Ungeschick,  sondern  an  der  Unrichtigkeit 
der  erwähnten  Hypothese  liegen.  Dieselbe  erfuhr  bereits  auf 
dem  Congress  sogleich  entschiedene  Opposition,  namentlich  vou 
Seiten  M.  Jacobi's  und  R.  Pischel's,  und  hat  der  Letztere 
sich  auch  später  noch  entschieden  dagegen  erklärt. 

Windisch  hält  es  zwar  für  feststehend,  „dass  dramatische 
Auffuhrungen  schon  frühe  in  Indien  entstanden  sind  ohne  jeder 
fremden  Einfluss,"5  glaubt  also  nicht,  dass  die  Griechen  die 
erste  Anregung  zum  indischen  Drama  gaben,  er  geht  aber 
andrerseits  weit  über  Weber's  Vermuthung  hinaus,  indem  er 
einen  wirklichen  inneren  Zusammenhang  zwischen  dem  grie- 
chischen und  dem  indischen  Drama  glaubt  nachweisen  zu  können, 
was  Weber,  wie  schon  erwähnt,  nicht  zu  behaupten  wagte. 

Windisch  weist  zunächst  auf  die  von  0.  Lüders  dar- 
gelegte Thatsache  hin,  dass  schon  Alexander  der  Grosse  Schaaren 
von  Künstlern,  darunter  auch  Schauspieler,  mit  sich  führte  und 
dass  dieselben  nach  errungenen  Siegen  und  an  Festtagen  sce- 
nischo  und  musische  Spiele  auffuhren  mussten.  Dasselbe  scheint 
auch  bei  seinen  Nachfolgern  vorgekommen  zu  sein.  Die  Griechen 
hatten  von  Alexander  d.  Gr.  an  für  längere  Zeit  in  Indien 
festen  Fuss  gefasst.  Die  indischen  Gebiete  gehörten  nach  Alexander 
verschiedenen  der  Diadochen,  schliesslich  den  sogenannten  grie- 
chisch-baktrischen  Königen,  bis  Apollodotos  im  2.  Jahrhundert 


1  S.  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  224. 

*  Ernst  Windisch,  der  griechische  Einfluss  im  indischen  Drams. 
Verhandlungen  des  fünften  internationalen  Orientalisten  -  Congresses,  ge- 
halten zu  Berlin  im  September  1881.  Zweiter  Tbeil.  Abhandlung« 
und  Vortrage.   Zweite  Hälfte,   Berlin  1882,  p.  8  flg. 

9  A.  a.  0.  p.  8.  .Er  meint  aber  zugleich,  dass  dieselben  sich  nickt 
aus  einem  alteren  Sing-  und  Tanzspiel  entwickelt  zu  haben  brauchen. 


J 

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-   599  - 

vor  Chr.  das  griechisch-indische  Reich  gründete,  welches  bis 
nun  Jahre  85  Vor  Chr.  existirte.  Nicht  nur  das  Penjab,  son- 
dern zeitweilig  auch  Gujerat  hatten  die  Griechen  besessen. 
Zugleich  fand  in  jenen  Jahrhunderten  zwischen  dem  hellenisti- 
schen Alexandria  und  der  indischen  Westküste,  besonders  Bary- 
gaza,  ein  reger  Handelsverkehr  statt,  und  die  letztere  Stadt 
war  mit  Ujjayini,  dem  griech.  Ögjfity  welches  in  der  Geschichte 
des  indischen  Dramas  eine  bedeutende  Rolle  spielt,  durch  eine 
Handelsstrasse  verbunden.1  Also  auch  auf  diesem  Wege  hätte 
eine  Beeinflussung  stattfinden  können. 

Wenn  nun  auch  diese  Berührungen  und  Beziehungen  keines- 
wegs geleugnet  werden  sollen,  so  bleibt  es  doch  noch  durchaus 
fraglich,  ob  jemals  in  Indien  wirklich  griechische  Dramen  auf- 
geführt worden  sind.  Die  Möglichkeit  dafür  mag  zugegeben 
werden,  aber  jeder  wirkliche  Beweis,  jeder  sichere  Anhalt  fehlt, 
es  ist  uns  keinerlei  Notiz  darüber  erhalten. 

Nua  will  ja  aber  Windisch  die  Einwirkung  jener  grie- 
chischen Aufruhrangen  an  den  indischen  Stücken  selbst  wahr- 
nehmen. Sehen  wir  zu,  in  welchen  Punkten  dieselbe  zu  Tage 
treten  soll 

Sehr  richtig  ist  es  Ton  Windisch,  dass  er  von  vornherein 
die  griechische  Tragödie  von  dieser  Betrachtung  ausschlief; 
dieselbe  ist  ja  in  der  That  dem  indischen  Drama  diametral 
entgegengesetzt  Nach  ihm  war  es  die  neuere  attische  Ko- 
mödie, wie  sie  in  Menander  gipfelte,  welche  jenen  Einfluss 
geübt  haben  soll  und  welche  wir,  da  die  Originale  bis  auf 
einzelne  Fragmente  verloren  sind,  wesentlich  aus  ihren  Nach- 
bildern, den  Komödien  des  Plautus  und  Terenz,  kennen  lernen 
Die  Blüthe  der  neueren  attischen  Komödie  fällt  in  das  3.  und 
4.  Jahrhundert  vor  Chr.  und  jener  Einfluss  miisste  gerade  in 
den  drei  ersten  Jahrhunderten  vor  Christi  Geburt,  während 
deren  die  Griechen  in  Indien  etwas  bedeuteten  stattgefunden 
haben.  Nun  aber  stammen  die  uns  erhaltenen  indischen  Dramen 
und  auch  dasjenige,  auf  welches  Windisch  hauptsächlich  seine 
Beweisführung  stützt,  die  Mricchakatika,  aus  einer  viel  späteren 
Zeit  Die  Mricchakatika,  das  älteste  dieser  Dramen,  kann  frühe- 
stens in  das  Ende  des  5.  Jahrhunderts  nach  Chr.  gesetzt  werden.* 
Schon  das  ist  misslich  für  den  behaupteten  griechischen  Ein- 
fluss. Weit  misslicher  aber  steht  es  noch  mit  den  eigentlichen 


1  S.  Windisch  a.  a.  0.  p.  5. 

*  Vgl.  PiicbeTs  höchst  werth  volle  Recension  von  L.  Fritze,  Kau- 
ftika'i  Zorn,  Oött.  Gel  Arn.  1883.  Stück  39,  p.  1229  flg. 


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'—   600  — 

Vergleichspunkten,  und  auf  diese  kommt  es  doch  in  erster 
Linie  an. 

Schon  die  Eintheilung  in  Akte,  die  Anwendung  des  Pro- 
logs im  indischen  Drama  wäre  nach  Windisch  der  griechischen 
Komödie*  entnommen;  aber  ich  glaube  schwerlich,  dass  Dinge, 
die  ungefähr  so  nahe  liegen  wie  Capiteleintheilung  und  Vor- 
rede bei  einem  Buche,  auswärtigen  Einfluss  begründen  helfen 
können.  Auch  die  Auffuhrung  der  Dramen  bei  festlichen  Ge- 
legenheiten ,  bei  der  Feier  eines  Gottes  wird  von  Windisch  in 
der  Reihe  der  Vergleichungen  mit  verwerthet,  Qiva  mit  Diony- 
sos, das  indische  Frühlingsfest  mii  den  griechischen  Dionysien 
in  Parallele  gesetzt  Vergleichen  lässt  sich  das  allenfalls,  aber 
dass  auf  dem  Gebiete  religiöser  Festfeier  bei  den  Indern  irgend 
welche  Nachahmung  ausländischer,  für  sie  barbarischer  Muster 
stattgefunden  haben  könnte,  scheint  mir  völlig  ausgeschlossen. 1 
Auch  die  Zusammenstellung  des  indischen  Sütradhaxa  oder 
Schauspieldirektors  mit  dem  griechisch-römischen  XQa>rcc/a>viCXf^ 
und  dux  gregis  hat  wenig  Ueberzeugendes.* 

In  der  Fabel  der  Stücke  hebt  Windisch  besonders  den 
dvayvcoQiafioq  und  die  avayvcoQlopaxa  der  griechischen  Ko- 
mödie hervor  und  parallelisirt  damit  verschiedene  Erkennungs- 
gegenstände, die  in  indischen  Dramen  vorkommen.  Aber  abge- 
sehen davon,  dass  wir  den  indischen  Geist  kaum  für  so  ernn- 
dungsarm  halten  dürfen,  dass  er  so  nahe  liegende  Motive  nicht 
selbst  ebenso  gut  wie  die  Griechen  anwenden  konnte,  hob  auch 
Prof.  Jacobi  in  seiner  Opposition  gleich  hervor,  dass  der  dva- 
yvcDQiOiiog  auch  sonst  in  der  indischen  Poesie,  so  namentlich 


1  Wenn  Brockhaus  in  Bekämpfung  der  Weber'schen  Ansicht  vom 
Einfluss  des  griech.  Dramaa*auf  das  indische  im  Jahre  1872  sagte:  „Von 
den  Barbaren  nahm  der  stolze,  ja  hochmüthige  Brahmane  nichts  an" 
(Rectoratsrede  p.  28),  so  gilt  dies  in  weit  höherem  Maasse  noch  ?on 
allen  Dingen,  die  mit  der  Religion  oder  religiösen  Festlichheiten  in  Be- 
ziehung stehen. 

*  Weit  mehr  Wahrscheinlichkeit  hat  die  Ansicht  Shankar  Pandit's 
für  sich,  die  derselbe  in  seiner  Ausgabe  der  Vikramorvacl,  Note«  p.  4 
aufstellt,  der  Sütradhara  sei  ursprünglich  „an  exhibitor  of  dolls  and 
paper-figures*4  gewesen,  wie  solche  noch  jetzt  auf  den  Dörfern  herum- 
zögen und  das  Wort  bedeute  daher  ursprünglich  „threadpuiler".  (Siehe 
Windisch  a.  a.  0.  p.  76.)  Auch  Pischel  in  seiner  eben  citirteo  Reeen- 
sion  von  Fritze,  Kausika's  Zorn,  p.  1234  spricht,  sich  für  die  von  Shankar 
Pandit  aufgestellte  Erklärung  des  Sütradhara  aus,  die  eine  Bestätigung 
finde  durch  Balaramäyana  118,  8.  207,  17.  „Der  Sütradhara  ist,  wie 
Alles  im  indischen  Drama,  echt  indisch  und  jede,  auch  die  leiseste  Spar 
griechischen  Einflusses  hier  wie  überall  im  indischen  Drama  gänzlich 
ausgeschlossen." 


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—  601 


in  der  Märchenliteratur,  ein  vielfach  verwendetes  Motiv  sei  nnd 
sich  keineswegs  im  Drama  allein  vorfinde.1 

Wichtiger  ist  dann  weiter  bei  'Windisch  der  Versuch,  auch 
die  typischen  Charaktere  der  griechisch-römischen  Komödie  in 
den  indischen  Stücken  nachzuweisen,  —  aber  auch  hier  ver- 
mag ich  ihm  nicht  beizupflichten.  Er  stützt  sich  bei  diesen 
Ausführungen  ganz  vornehmlich  auf  die  Mricchakatikä,  während 
die  andern  Dramen  nur  sehr  dürftige  Vergleichspunkte  bieten.1 
In  der  Mricchakatikä  kommt  eine  Hetäre,  eine  Kupplerin,  ein 
Parasit  vor,  und  diese  Gestalten  wären  nach  Windisch  der 
griechischen  Komödie  entnommen.  Aber  das  üppig  entwickelte 
Leber  der  indischen  Grossstädte  bot  Charaktere  dieser  Art  in 
Menge  dar,  und  wenn  der  Dichter  dieselben  in  dem  bunten 
Schwarme  seiner  Personen  mit  verwerthet,  so  ist  das  sehr  na- 
türlich. Mit  kühner  Hand  greift  er  seine  Gestalten  unmittel- 
bar aus  dem  Leben,  und  Nichts  an  ihnen  deutet  auf  Nach- 
ahmung fremder  Schauspieltypen.  In  der  Mricchakatikä  kommt 
ferner  ein  frecher,  einfältiger  und  gemeiner  Renommist  vor, 
ein  Schwager  des  Königs,  —  und  dieser  soll  wiederum  eine 
Nachbildung  des  plautinischen  Miles  gloriesus  sein.  Aber  gab 
es  denn  bei  den  Indern  nicht  auch  freche  Renommisten  und 
durfte  der  indische  Dichter  dieselben  etwa  nicht  verwerthen? 
Dieser  Schwager  des  Königs  trägt  zudem  so  durchaus  ein 
rein  persönliches,  individuell  gefärbtes  Gepräge,  ist  so  durchaus 
keine  typische,  sondern  eine  ganz  individuelle  Gestalt,  dass 
mir  Nachahmung  eines  fremden  Typus  ausgeschlossen  zu  sein 
scheint. 

Noch  weniger  gelungen  ist  der  Versuch,  den  Vidüshaka 
der  indischen  Dramen,  den  mit  dem  Helden  vertraulich  ver- 
kehrenden Spassmacher,  die  komische  Person  des  Stücks,  als 
eine  Nachbildung  des  vertrauten  schlauen  Sklaven,  des  servus 
currens  der  griechisch-römischen  Komödie  zu  erweisen.  Der 
Vidüshaka  ist  gerade  eine  echtindische  Figur,  wie  auch  Jacobi 
in  seiner  Opposition  gleich  hervorhob;  er  ist  aus  dem  Leben 


1  S.  Yerhandl.  d.  fünften  Oriental.  Congr.,  Th.  I  p.  81. 

2  Hierin  liegt  eine  bedeutende  Schwierigkeit,  die  nur  scheinbar 
weggeräumt  wird  durch  Windiich's  Annahme,  dass  in  den  anderen  in- 
dischen Dramen  der  griechische  Einfluss  Bchon  verblasst  sei.  —  Pischel 
(a.  a.  0.  p.  1229)  erklart  die  Thatsache,  dass  Bhavabhüti  den  Vidüshaka 
nicht  mehr  hat,  vielmehr  daraus,  dass  er  ein  witzloser  Autor  sei.  Dies 
werde  um  so  einleuchtender  dadurch,  dass  RAjacekhara  drei  Jahrhunderte 
spater  (im  11.  Jahrhundert)  in  zwei  Stüclen  den  Vidüshaka  wieder  an- 
wende. 


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-   602  - 


gegriffen  und  noch  jetzt  sind  dort  an  den  Höfen  der  einhei- 
mischen Fürsten  dergleichen  Leute  anzutreffen.1 

Wenn  demnach  schon  für  die  Mricchaka^ika  der  grie- 
chische Einfluss  sich*  nicht  ausreichend  nachweisen  lasst,  so  gilt 
dies  in  weit  höherem  Maasse  noch  für  die  andern  Dramen,  die 
total  von  den  griechisch-römischen  Stücken  verschieden  sind 
und  auch  von  den  erstbesprochenen  Charakteren  nur  wenig 
überhaupt  aufweisen.  Der  Vidüshaka  freilich  findet  sich  in 
vielen  derselben  vor,  aber  dieseu  aus  dem  griechisch-römischen 
Sklaven  abzuloiten,  ist  meiner  Meinung  nach  unfraglich  ein 
Missgriff. 

So  bleibt  von  der  ganzen  Beweisführung  schliesslich  nur 
die  früher  schon  beachtete  Thatsache  übrig,  dass  der  Vorhang 
im  indischen  Drama  Yavanika,  d.  i.  griechischer  Vorhang 
oder  griechische  Wand  genannt  wird.  Dazu  aber  war  es  nicht 
nöthig,  dass  die  Inder  griechische  Schauspiele  sahen.  Viel 
wahrscheinlicher  ist  es  mir.  dass  gelegentlich  Griechen  sich  in- 
dische Schauspiele  ansahen  —  waren  sie  doch  im  Inderlande!  — 
und  dass  sie  dann,  die  Ulivollkommenheit  der  Bühne  bemer- 
kend, den  Indern  den  Gebrauch  eines  Vorhangs  im  Hinter- 
grunde lehrten.  Die. Inder  nahmen  dies  an,  und  es  war  sehr 
natürlich,  dass  sie  diesen  Vorhang  nun  als  eine  griechische 
Einrichtung,  als  Yavanika  bezeichneten.  Gerade  der  Umstand, 
dass  nur  eine  bestimmte  Einzelheit  im  indischen  Theater  aus- 
drücklich als  griechische  Einrichtung  gekennzeichnet  ist»  scheint 
mir  auf  das  Singulare  dieses  Punktes  hinzudeuten.  Nichts  als 
ihren  Vorhang  im  Theater  nannten  die  Inder  nach  den  Griechen, 
und  in  keinem  andern  Punkte  können  wir  griechischen  Einfluss 
nachweisen,  als  nur  in  diesem. 

Sehr  viel  mehr  innere  Verwandtschaft  besteht  zwischen 
dem  indischen  Drama  und  Shakespeare.  Sowohl  in  der  Form 
wie  in  Bezug  auf  Geist,  Ton  und  Inhalt  der  Stücke  liegen  hier 
wirklich  merkwürdige  Berührungspunkte  vor. 

Im  indischen  Drama  ebenso  wie  bei  Shakespeare  ist  Alles 
bis  in  das  bunteste  Detail  individuell  charakteristisch  gefärbt, 
wälirend  im  griechisch-römischen  Theater  die  Gestalten  viel- 
mehr durchaus  typisch  sind.  Mit  romantischer  Willkühr  setzen 
sich  die  Inder  so  gut  wie  Shakespeare  über  die  Einheit  von 
Ort  und  Zeit  hinweg.  Bunter  Scenenwechsel  fuhrt  uns  hin 
und  her.  und  wenn  im  Wintermärchen  ein  Kind,  das  in  den 
ersten  Akten  erscheint,  uns  am  Schluss  als  Jungfrau  entgegen- 


Verhandl.  d.  fünften  Orient.  Congr.  Th.  I  p.  81. 


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—  603 


tritt,  so  liegt  auch  im  Uttararämacarita,  wie  erwähnt,  zwischen 
zwei  Akten  ein  Zeitraum  von  vollen  zwölf  Jahren.  Der  bunte 
Wechsel  von  metrischen  Stücken  und  prosaischer  Rede,  —  wir 
haben  ihn  bei  Shakespeare  wie  bei  den  Indern.1  Die  Art  des 
entwickelten  Humors,  der  Wortspiele,  komischen  Verdrehungen 
und  dgL  ist  oft  zum  Verwechseln  ähnlich.2  Auch  die  Mischung 
von  Ernst  und  Komik  in  ein  und  demselben  Stücke,  die  un- 
gemeine dramatische  Lebendigkeit  und  Vielseitigkeit,  die  Menge 
von  Einzelheiten,  von  Details  in  Ton  und  Sprache,  in  Anlage 
und  Entwickelung  der  Fabel  bietet  viel  Aehnliches,  und  wir 
finden  in  Shakospeare's  romantischen  Dramen  auch  das  Wunder» 
das  märchenhafte  Element  reichlich  vertreten,  welches  in  den 
indischen  Schauspielen  eine  so  grosse  Rolle  spielt  Bildlich  — 
wenn  man  schon  einzelne  Charaktere  herausgreifen  will,  so 
wüsste  ich  wirklich  für  jenen  königlichen  Schwager,  den  Win- 
disch auf  den  Miles  gloriosus  zurückfuhrt,  kein  frappanteres 
Elbenbild  als  den  Cloton  in  Shakespeare 's  Cymbeline;  dem  Vi- 
düshaka  aber,  dem  närrischen  Begleiter  des  Königs  oder  son- 
stigen Helden,  entspricht  der  Shakespeare'sche  Narr,  während 
der  vertraute  Sklave  bei  Plautus  kaum  irgend  welche  ähnliche 
Züge  aufweist.  Gerade  diese  Uebereinstimmungen  zwischen 
Shakespeare  und  dem  indischen  Drama  sind  merkwürdig  und 
belehrend  zugleich.  Da  an  eine  historische  Beziehung  hier  nicht 
•  zu  denken  ist,  so  lernen  wir  daraus,  wie  viel  überraschend  ähn- 
liche Züge  eine  bestimmte  Dichtungsgattung  bei  verschiedenen 
Völkern  entwickeln  kann  und  wie  leicht  man  irre  gehen  könnte, 
wenn  man  auf  Grund  solcher  Uebereinstimmungen  gleich  auf 
Beeinflussung  von  der  einen  oder  der  andern  Seite  schliessen 
wollte. 

Doch  genug!  Wenden  wir  uns  wieder  ganz  dem  indischen 
Drama  speciell  zu. 

Die  Zeit,  in  welcher  die  Anfänge  des  indischen  Dramas 
liegen,  vermögen  wir  nicht  zu  bestimmen.  Wohl  aber  siud  wir 
jetzt  über  die  Blüthezeit  desselben  einigermassen  orientirt,  nach- 
dem lange  genug  auch  in  dieser  Hinsicht  die  gross te  Unsicher- 
heit geherrscht  hat. 

Es  handelt  sich  dabei  wesentlich  um  die  Zeitbestimmung 
der  drei  wichtigsten  Dramatiker:  des  Kalidasa,  des  Qüdraka, 
angeblichen  Verfassers  der  Mricchakatika,  und  des  Bhavabhüti. 
 • 

1  Nur  dass  im  indischen  Drama  viel  mehr  Lyrik  au  finden  ist 
*  Namentlich  die  Mricchakatika  erinnert  in' dieser  Hinsicht  ganz 
merkwürdig  an  Shakespeare. 


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Zum  Glück  sind  wir  wenigstens  über  den  letzten  dieser 
drei,  Bhavabhüti,  einigermassen  sicher  berichtet,  und  ist  der- 
selbe schon  lange  in  das  8.  Jahrhundert  nach  Chr.  gesetzt1 
Er  lebte  zur  Zeit  und  unter  dem  Schatze  des  Königs  Yaco- 
v  arm  an  von  Kanyakubja,  dessen  Regierung  in  die  erste  Hälfte 
des  8.  Jahrhunderte  fällt*  Sehr  misslich  stand  es  dagegen 
lange  mit  der  Zeitbestimmung  des  Kalidasa,  des  vorzüglichsten 
unter  allen  indischen  Dramatikern,  von  welchem  wir  bereits 
epische  und  lyrische  Dichtungen  ersten  Ranges  kennen  gelernt 
haben. 

Man  pflegte  früher  für  Kalidasa  das  1.  Jahrhundert  vor 
Chr.  als  Lebenszeit  anzugeben,  und  wurde  dabei  speciell  die 
Zahl  56  vor  Chr.  genannt,  angeblich  zufolge  einer  indischen 
Tradition.  An  und  für  sich  war  dies  nun  schon  ziemlich  un- 
wahrscheinlich, denn  es  müssten  dann  zwischen  Kalidasa  und 
Bhavabhüti  circa  acht  Jahrhunderte  liegen,  was  kaum  glaublich 
ist,  da  ihre  Werke  dann  doch  wohl  den  Geist  ganz  verschie- 
dener Epochen  zeigen  müssten.  Sie  stehen  sich  aber  im  Gegen- 
theil  in  Anlage  und  Behandlung  des  Stoffes  in  vieler  Hinsicht 
nahe,  sodass  eine  so  bedeutende  zeitliche  Differenz  fast  unmög- 
lich erscheint  Nun  hat  aber  auch  schon  Weber  in  seiner 
Ind.  Literaturgeschichte3  klar  gezeigt,  dass  jene  angebliche 
Tradition  gar  nicht  existirt,  dass  die  Inder  für  Kalidasa  keines- 
wegs das  1.  Jahrhundert  vor  Chi*,  als  Lebenszeit  angeben,  dass 
man  sie  vielmehr  nur  gründlich  missverstanden  hat  Es  beruht 
nämlich  jene  ganze  Behauptung  blos  auf  einem  Denkverse  an- 
bekannten Ursprungs,4  in  welchem  neun  hervorragende  Männer, 
darunter  auch  Kälid&sa  als  die  „neun  Edelsteine"  am  Hofe  des 
Königs  Vikrama  genannt  werden.*  Nun  ist  —  wie  ich  schon 
früher  in  anderem  Zusammenhange  dargelegt  habe6  —  für  die 
Zeitrechnung  in  Indien  die  Aera  des  Vikrama  oder  Yikramä- 
ditya  vielgebraucht  und  diese  beginnt  mit  dem  Jahre  56  vor 
Chr.  Man  nahm  nun  ohne  Weiteres  an,  dass  dies  derselbe 
Vikrama  sei,  unter  dem  Kalidasa  lebte,  und  setzte  ihn  wie 
auch  den  Kalidasa  in  da»  erste  Jahr  seiner  Aera,  also  das  Jahr 


1  Vgl.  2.  B.  Weber,  Ind.  Lit  1.  Aufl.  p.  191;  2.  Aufl.  p.  222. 

•  Vgl.  M.  Müller,  Indien  in  seiner  weltgesch.  Bed.  p.  286—288. 
Bhandarkar,  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  des  Malatimadhava  (1876). 

"  2.  Aufl.  p.  217  flg.  « 
4  Vgl.  ttber  diesen  Vers  M.  Müller,  Indien  in  s.  weltgesch.  Bed. 
p.  246  Anm. 

•  VgL  oben  p.  816. 

•  Vgl.  oben  p.  814  flg. 


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56  vor  Chr.,  eine  Annahme,  die  in  der  That  völlig  unbegründet, 
auf  groben  Fehlschlüssen  aufgebaut  war.  Es  hat  m  Indien 
mehr  als  einen  Fürstön  Vikrama  oder  Vikramäditya  gegeben, 
und  hätte  daher  erst  nachgewiesen  werden  müssen,  dass  der 
Vikrama  des  Kalidasa  wirklich  identisch  Bei  mit  dem  Vikrama, 
nach  welchem  die  Aera  benannt  ist.1  Dann  aber  lag  vor  allen 
Dingen  absolut  kein  Grund  dafür  vor,  diesen  Vikrama  selbst 
in  das  1.  Jahrhundert  seiner  Aera  zu  setzen.  Es  konnte  dies, 
wie  Ad.  Holtzmann  schon  im  Jahre  1841  schneidig  hervor- 
hob, „ein  ebenso  grosser  Fehler  sein,  als  wenn  man  Papst 
Gregor  XIII.  ins  Jahr  1  des  gregorianischen  Kalenders  oder 
gar  den  Julius  Caesar  ins  erste  Jahr  der  nach  ihm  benannten 
julianischen  Periode,  d.d.  ins  Jahr  4713  a.  Chr.  setzen  wollte."1 
Wir  wussten  nur,  dass  die  mit  dem  Jahre  56  vor  Chr.  begin- 
nende Aera  ihren  Namen  nach  einem  König  Vikrama  trug; 
wann  aber  dieser  selbst  der  muthmassliche  Begründer  dieser 
Zeitrechnung,  lebte,  war  damit  absolut  nicht  gesagt  oder  auch 
nur  angedeutet. 

Es  war  der  holländische  Indologe  Heinrich  Kern,  der 
zuerst  Licht  in  diese  schwierige  Frage  brachte  und  uns  den 
ersten  sichern  Anhaltspunkt  für  4je  Bestimmung  von  Kalidasa's 
Lebenszeit  gab.  Unter  jenen  „neun  Edelsteinen"  am  Hofe  des 
Vikrama  wird  nämlich  auch  der  berühmte  Astronom  Varäha- 
mihira  genannt,  und  dieser  —  das  lässt  sich  durch  astrono- 
mische Daten  feststellen  —  lebte  in  der  ersten  Hälfte  des 
6.  Jahrhunderts  nach  Chr.  Wenn  nun  Varahamihira,  wie  jener 
Spruch  besagt,  ein  Zeitgenosse  des  Vikrama  und  des  Kalidasa 
war,  so  lebte  eben  auch  Kalidasa  in  der  ersten  Hälfte  des 
6.  Jahrhunderts  nach  Chr.8 


*  Ja,  die  Tradition  einiger  neueren  indischen  Werke  giebt  aus- 
drücklich einen  anderen,  nämlich  den  König  Bhoja,  Herrscher  von  Ma- 
lava, residirend  in  Dbara  and  Ujjayinl,  als  denjenigen  Vikrama  an,  an 
dessen  Hofe  die  neun  Edelsteine  lebten.  Dieser  Bhoja  aber  lebte  im 
11.  Jahrhundert  nach  Chr.  (■.  Weber,  Ind.  Lit  2.  Aufl.,  p.  218.  219). 
Dass  dies  nicht  das  Zeitalter  des  Kalidasa  sein  kann,  geht  indessen  — 
von  Anderem  abgesehen  —  schon  aus  der  Thatsache  hervor,  dasB  der 
Name  desselben  neben  dem  des  Bharari  auf  einer  Inschrift  aus  dem 
Jahre  634  nach  Chr.  (faka  556)  erscheint.  Vgl  M.  Muller,  Indien  in 
s.  w.  B.  p.  262. 

*  Holtzmann,  üeber  den  griech.  Ursprung  des  indischen  Thier- 
kreises, Karlsruhe  1841,  p.  19.  8.  Weber,  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  219.  220. 

*  Kern  kam  aus  dem  angegebenen  Grunde  in  dem  Vorwort  zu  seiner 
Auagabe  von  Varahamibira  s  Brihatsamhita  (Bibl.  Ind.  1864.  651 
p.  20  zu  dem  Resultat,  dass  die  neun  Edelsteine  in  der  ersten  Hälfte 
des  6.  Jahrhundert  gelebt  haben  müssten. 


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Diese  Annahme  stimmt  nun  auch  aufs  Beste  zu  der  früher 
erwähnten  Unmöglichkeit,  den  Kälidasa  gar  zu  weit  von  Bha- 
vabhüti,  also  vom  8.  Jahrhundert,  wegzurücken.  Kälidäsa  ist 
älter,  reiner,  strenger  in  seiner  Kunst  als  Bhavabhüti,  aber 
etwa  zwei  Jahrhunderte  wären  da  gerade  das  Maass,  welches 
nach  der  inneren  Beschaffenheit  ihrer  Werke  die  wahrschein- 
liche zeitliche  Differenz  bilden  könnte;  viel  darüber  hinaus 
konnte  es  keinesfalls  sein.  Die  chronologische  Stellung,  die  wir 
dem  Dichter  nach  dem  Inhalt  seiner  Werke  zuweisen  möchten, 
stünde  somit  im  besten  Einklang  mit  der  Tradition  von  seiner 
Gleichzeitigkeit  mit  Varahamihira. 

Ich  bekenne,  dass  diese  Thatsache  mir  schon  seit  Jahren 
bedeutsam  genug  erschienen  ist,  um  angesichts  der  absoluten 
Unbegründetheit  der  früheren  Ansicht  von  Kälidasa's  Zeitalter, 
es  im  höchsten  Grade  wahrscheinlich  zu  machen,  dass  der  ge- 
feierte Dichter  dem  sechsten  Jahrhundert  angehörte,  und  habe 
ich  dies  in  meinen  Vorlesungen  schon  seit  längerer  Zeit  gelehrt 

Es  sind  indessen  von  den  verschiedensten  Seiten  noch  eine 
solche  Fülle  wichtiger  Argumente  zur  Stütze  dieser  Ansicht 
beigebracht  worden,  dass  dieselbe  mehr  und  mehr  an  Wahr- 
scheinlichkeit gewonnen  hat  und  gegenwärtig,  wie  ich  glaube, 
als  vollkommen  sichergestellt  bezeichnet  werden  darf. 

Es  war  schon  beachtenswerth,  dass  H.  Jacobi  auf  Grund 
der  astrologischen  Angaben  im  Kumärasambhava  und  Raghu- 
vamca  zu  dem  Resultat  gelangte,  dass  deren  Verfasser  nicht 
vor  etwa  350  nach  Chr.  gelebt  haben  könne.1  Es  lag  kein 
Grund  vor,  die  Autorschaft;  des  Kälidasa  zu  bezweifeln,  und 
wäre  also  auch  damit  schon  die  frühere  Ansicht  von  dessen 
Lebenszeit  unmöglich  geworden.  Man  hätte  auch  wohl  früher 
schon  den  Umstand  mit  berücksichtigen  sollen,  dass  die  süd- 
lichen Buddhisten  den  Kälidäsa  in  das  6.  Jahrhundert  setzen.' 

Vor  Allem  aber  wichtig  und  maassgebend  waren  die  schon 
früher  von  mir  erwähnten 3  bahnbrechenden  Untersuchungen 
und  Constructionen  von  Fergusson  über  das  Zeitalter  des  Vi- 
krama  oder  Vikramaditya,  nach  dem  die  Aera  benannt  ist4 

Kein  urkundliches  Zeugniss,  keine  Inschrift,  keine  Münze 
wusste  etwas  von  einem  König  Vikrama  im  1.  Jahrhundert 
vor  Chr.    Fergusson  suchte  nun  zu  zeigen,  dass  der  Vikrama 

1  Monatsbtr.  d.  Berlin.  Akad.  d.  Wiss.  1873  p.  566. 
■  8.  Knighton,  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  XXII,  730.   Weber,  Ind.  Lit 
2.  Aufl.  p.  2*21  Anm. 
*  8.  oben  p.  815. 

4  Journ.R.  As.  Soc.  1880.  S.  M.  Müller,  Indien  in  8.  w.  Bed.  p.  246. 


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oder  Vikramäditya,  nach  welchem  die  Aera  benannt  ist,  der- 
selbe war,  welcher  im  Jahre  544  nach  Chr.  die  Barbaren  in 
der  Schlacht  bei  Korur1  aufs  Haupt  schlug  und  welcher  sonst 
auch  als  Harsha  von  Ujjayini  bekannt  ist.  Das  Datum  dieser 
Schlacht  wurde  zum  Ausgangspunkt  für  eine  neue  ZeitrechnuDg 
genommen,  deren  Anfang  man  gerade  600  Jahre  zurück,  d.  i. 
auf  das  Jahr  56  vor  Chr.  ansetzte.* 

Diese  Annahme  würde  zusammenbrechen,  sobald  sich  ein 
sicher  beglaubigtes  urkundliches  Denkmal  aus  der  Zeit  vor  dem 
6.  Jahrhundert  nachweisen  liesse,  in  welchem  die  Vikrama-Aera 
bereits  gebraucht  wird.  Dies  ist  aber  thatsächlich  nicht  der 
Fall,  und  je  mehr  dio  Frage  weiter  untersucht  und  verfolgt 
worden  ist,  um  so  mehr  hat  sich  die  erwähnte  Annahme  als 
eine  sehr  plausible  herausgestellt. 

Es  ist  insbesondere  Max  Müller,  der  die  Frage  nach  dem 
Zeitalter  des  Vikrama,  des  Kalidasa  und  was  weiter  damit  zu- 
sammenhängt in  geistvoller,  eingehender  und  überzeugender 
Weise  behandelt  hat  in  seinem  Excurs  über  „die  Renaissance 
der  Sanskrit-Literatur*4.3  Auf  die  Details  dieser  interessanten 
Untersuchung  an  diesem  Orte  näher  einzugehen,  muss  ich' mir 
leider  versagen.  Nur  soviel  sei  als  Ergebniss  derselben  hervor- 
gehoben, dass  alle  historischen  und  literargeschichtlichen  That- 
sachen  aufs  Beste  zu  der  Annahme  stimmen,  dass  Kalidäsa  im 
6.  Jahrhundert  nach  Chr.  lebte,  und  wenn  diese  Ansicht  zur 
allgemeingültigen  wird  oder  vielleicht  schon  jetzt  als  solche 
bezeichnet  werden  darf,  so  ist  dies  nicht  zum  geringsten  Theile 
das  Verdienst  der  Müller 'sehen  Erörterungen. 

Was  nun  endlich  Qüdraka,  den  angeblichen  Verfasser  der 
MricchakatikÄ  betrifft,  so  ist  derselbe  wahrscheinlich  älter  als 
Kalidasa,  aber  sehr  weit  von  dem  Zeitalter  dieses  Dichters  kann 
er  auch  nicht  entfernt  sein.  Die  Schilderung  der  Sitten  in  der 
Mricchakatika  erinnert  stark  an  das  Da^akumäracaritam4  und 
auch  alles  Uebrige  darin  weist  etwa  auf  das  6.  Jahrhundert 

1  Nach  Albiruni  zwischen  Maltan  und  dem  Schlosse  Luny  gelegen; 
g.  Maller  a.  a.  O.  p.  246  Anm.  Es  ist  dies  wohl  dieselbe  Schlacht,  welche 
Taranatha  die  Schlacht  bei  Multan  nennt;  s.  ebenda  p.  247. 

*  Aehnlich  ist  die  sogenannte  Harsha- Aera  dadurch  gewonnen,  dass 
man  den  Anfang  derselben  am  1000  Jahre  zurück,  d.  L  auf  das  Jahr 
456  vor  Chr.  ansetzte    S,  Maller,  *.  a.  O.  p.  247. 

*  In  seinem  Buche  „What  can  India  teach  us"  (1882\  deutsch 
unter  dem  Titel:  Indien  in  seiner  weltgeschichtlichen  Bedeu- 
tung (Leipzig  1884),  p.  245  flg.  (übersetzt  von  Prof.  C.  Cappeller). 

4  Vgl  Weber,  Ind.  Lit  2.  Aufl.  p.  223  Anm.  Das  Dacakumara- 
caritam  entstammt  wahrscheinlich  dem  6.  Jahrhundert. 


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nach  Chr.;  höchstens  aber  könnte  dieses  Stück  nach  Fischöl 
dem  Ende  des  5.  Jahrhundert  angehören.  Die  Gründe,  die 
man  sonst  für  ein  höheres  Alter  der  Mricchakatikä  und  des 
Qudraka  angeführt  hat  (1.  oder  2.  Jahrb.  nach  Chr.),  sind 
sammtlich  hinfällig.  „Es  ist  also  möglich  —  scbliesst  Pischel 
eine  darauf  bezügliche  Auseinandersetzung  —  und  sogar  wahr- 
scheinlich, dass  Qudraka  älter  ist  als  Kälidäsa;  was  ich  aber 
entschieden  in  Abrede  stellen  muss,  ist,  dass  Qudraka  Jahr- 
hunderte älter  ist  als  Kalidasa  und  einer  Zeit  angehört,  in  der 
das  griechische  Drama  irgend  einen  Einfluss  auf  das  indische 
hätte  ausüben  können."1 

Die  Blüthezeit  des  indischen  Dramas  erstreckt  sich 
nach  alledem  etwa  vom  5.  bis  zum  8.  oder  9.  Jahrhundert 
nach  Chr.  In  das  fünfte  (vielleicht  auch  schon  in  das  sechste) 
Jahrhundert  fällt  Qüdraka,  der  Verfasser  der  Mricchakatikä; 
in  das  sechste  K&lidäsa;  in  das  siebente  Qrlharsha,  der  an- 
gebliche Verfasser  der  Ratnavali*  und  des  Nagananda;  in  das 
achte  endlich  Bhava-bhüti.  Auch  Vic,äkhadatta,  der  Ver- 
fasser des  in  vieler  Hinsicht  ausgezeichneten  Mudrarakshasa, 
lebte  wahrscheinlich  im  siebenten  oder  achten  Jahrhundert 
nach  Chr.8 

Das  sechste  Jahrhundert  nach  Chr.  bezeichnet  für  uns  den 
Gipfelpunkt  der  klassisch -indischen  Literatur.  In  ihm,  dem 
Zeitalter  Kälidasa's,  entsprangen  nicht  nur  die  schönsten  Dra- 
men, sondern  auch  die  nächst  dem  Ramäyana  am  höchsten 
geschätzten  Kavya's  oder  Kunstepen:  Kumärasambhava  und 
Raghuvanica,  und  lyrische  Dichtungen  von  dem  Werthe  des 
Meghadüta  und  Ritusamhära.  In  demselben  Jahrhundert  er- 
langte die  Fabel-  und  Märchenpoesie  der  Inder  so  weiten  Ruhm, 
dass  ein  persischer  König  eine  Uebersetzung  des  Hauptwerkes 
dieser  Dichtungsgattung  veranstalten  liess.  Derselben  Zeit  ge- 
hörte der  Roman-  und  Spruchdichter  Dandiu,  der  Lyriker 
Ghatakarpara,  der  Spruchdichter  Vetalabhatta  an,  und  Gelehrte 
ersten  Ranges,  wie  der  Astronom  Varahamihira,  der  Lexico- 
graph  Amarasimha,  der  Grammatiker  Vararuci,  der  Philosoph 
Dignäga*  und  so  manche  Andere. 

Diese  Blüthe  dauert  auch  im  7.  Jahrhundert  noch  weiter 


1  S.  Pischel,  in  der  Recension  von  Fritze,  Kausika's  Zorn.  Gört. 
Gel.  Anz.  1883.   Stück  39,  p  1231;  s.  auch  p.  1229.  1230. 

■  S.  M.  Müller,  a.  a.  0.  p.  283;  Pischel  a.  a.  0.  p.  1229. 

*  Vgl.  HiHebrandt,  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  XXXIX  p.  130—132 

*  Vgl.  Müller,  Indien  in  s.  w.  Bed.  p.  267. 


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—   609  — 


fort,  dem  Zeitalter  des  geistvollen  Spruchdichters  und  Gelehrten 
Bhartrihari,  der  Romandichter  Bana  und  Subandhu,  des  Drama- 
tikers  Dhavaka,  des  Mayura  u.  a,;  in  demselben  Jahrhundert 
entstanden  gelehrte  Werke  wie  die  Ka^ikä  u.  a.  Auch  das 
achte  Jahrhundert  hat  noch  Dichter  wie  Bhavabhüti  aufzu- 
weisen, im  achten  Jahrhundert  wird  der  grosse  Vedanta-Philo- 
soph  Qamkara  geboren.  Viel  Schönes  und  Bedeutendes  bringen 
auch  die  folgenden  Jahrhunderte  noch  hervor,  —  aber  die 
des  6.  Jahrhundert  wird  doch  nicht  wieder  erreicht 


Sear64«r,  lad.  LH.  «.  Ctlt. 


39 


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Zweiundvierzigste  Vorlesung. 


Die  Dramen  des  K&lidisa.  Charakteristik  und  Analyse,  gakuntali. 

Urva$i.  Malavikagnimitram. 

■ 

Lassen  Sie  uns  die  nähere  Betrachtung  einzelner  indischer 
Dramen  mit  den  schönsten  unter  ihnen,  den  Dramen  des  Kali- 
dasa,  beginnen. 

Es  sind  im  Ganzen  drei  Dramen,  welche  diesem  gefeiert- 
sten unter  den  indischen  Dichtern  zugeschrieben  werden  i  die 
reizende,  vielbewunderte  Qakuntala;  die  Urva$i  odefi  wie 
sie  im  Original  heisst,  Vikramorvaci,  und  endlich  das  Malayi- 
kägnimitram  oder  Mälavikä  und  Agnimitra.  Die  Echtheit 
dieses  letzteren  Stückes  ist  eine  Zeitlang  beanstandet  worden, 
darf  aber  jetzt,  wie  ich  glaube,  als  erwiesen  angesehen  werden. 

Unter  diesen  Dramen  gehören  Qakuntalä  und  Urva$i  ihrem 
ganzen  Charakter,  dem  Stoff  wie  auch  der  Ausfuhrung  nach 
näher  zusammen.  Beide  versetzen  uns  in  die  graue,  sagenhafte 
Vorzeit  Indiens,  wie  sie  uns  vor  Allem  durch  das  grosse  Epos 
übermittelt  ist  Beide  fuhren  uns  altberühmte  Könige  jener 
Sage,  den  Dushyanta  und  Pururavas,  vor  und  schildern  ihre 
Liebesabenteuer,  das  Unheil  das  über  sie  hereinbricht  und  die 
endliche  versöhnende  Auflosung  dieses  Unheils.  Ich  möchte 
Cakuntala  und  Urva$t  als  die  recht  eigentlichen  Repräsentanten 
des  romantischen  Wunder-  und  Märchendramas  der  Inder 
bezeichnen,  während  das  Malavikagnimitram  ein  Palast-  und 
Haremsdrama,  ein  modernes  Liebes-  und  lntriguenstück  dar- 
stellt. In  den  beiden  erstgenannten  Dramen  sind  wir  den 
Grenzen  der  prosaischen  Wirklichkeit  entrückt,  das  Wunder- 
bare waltet  hier  und  übt  sein  Recht  uneingeschränkt.  Irdisches 
und  Himmlisches  ist  ungeschieden.  Menschen,  Halbgötter,  Nym- 
phen und  Heilige  wogen  in  buntem  Gedränge  durcheinander. 
Aus  den  Lüften  steigt  Indra's  Wagenlenker  zur  Erde  nieder, 
um  den  streitbaren  König  zum  Kampfe  gegen  die  bösen  Dä- 
monen abzuholen.    Die  himmlische  Nymphe  wird  von  dem 


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-   611  - 

irdischen  Heidan  beschützt  nnd  sie,  die  eben  noch  den  Götter- 
könig mit  ihrem  Spiel  ergötzt,  naht  sich  dem  irdischen  König, 
um  ihm  ihre  Liebe  zu  schenken.  Der  Fluch  eines  Heiligen 
übt  übernatürliche  Wirkungen  ans;  dem  Liebenden  ist  durch 
die  Kraft  desselben  plötzlich  die  Erinnerung  an  die  Geliebte 
aus  dem  Gedächtniss  geschwunden,  und  nur  der  Anblick  eines 
bestimmten  Ringes  vermag  ihm  dieselbe  wiederzugeben.  Die 
fliehende  Urva$i  wird  in  dem  Zauberhaine,  den  kein  Weib  be- 
treten darf,  plötzlich,  wie  in  einem  Märchen,  in  eine  sich  ran- 
kende Winde  verwandelt,  um  dann  später  nach  Lösung  des 
Zaubers  in  den  Armen  des  Königs  wieder  zur  verlorenen  Ge- 
liebten zu  werden. 

Diese  Dramen  sind  von  einer  wirklich  vollendeten,  un- 
nachahmlichen Zartheit  und  Feinheit  aller  Empfindungen  und 
Motive.  Nichts  Rauhes,  nichts  Schreckendes,  nichts  Gewalt- 
sames stört  hier  die  schöne  Harmonie  der  zartpoetischen  Em- 
pfindung, —  wie  dies  doch  bei  den  grossen  Dramen  der  Grie- 
chen, Shakespeares  und  der  Modernen  oft  genug  der  Fall  ist 
ja  geradezu  als  ein  Kennzeichen  dramatischer  Kraft  betrachtet 
wird.  In  Qakuntala  und  Urvacl  ist  Alles,  ist  jede  Leidenschaft 
gesänftigt,  abgeklärt,  ohne  darum  doch  irgend  matt  zu  werden. 
Die  Liebe  erscheint  hier  in  höchst  anmuthiger  Gestalt  und 
selbst  wenn  ihre  Gluth  schon  verzehrend  zu  wirken  droht 
bleibt  sie  dennoch  in  den  Grenzen  der  Schönheit,  ist  sie  nicht 
im  Stande,  wilde  Eifersucht  zu  gebären  oder  in  Hass  umzu- 
schlagen; der  wilde  qualvolle  Schmerz  zeigt  sich  hier  zur  tiefen, 
rührenden  Wehmuth  gemildert  und  so  fort  Hier  hat  der  in- 
dische Geist  das  Maass  zu  finden  gewusst  welches  das  Kenn- 
zeichen echter,  vollendeter  Schönheit  bildet;  hier  hat  er  darum 
für  alle  Zeiten  mustergültig  Schönes  geschaffen. 

Die  letztentwickelten  Eigenschaften  begründen  eine  unver- 
kennbare Verwandtschaft  dieser  Schöpfungen  mit  denen  des 
Goetheschen  Genius,  und  es  erscheint  in  jeder  Hinsicht  ver- 
ständlich, warum  gerade  Goethe  von  dieser  Poesie  sich  so  leb- 
haft ergriffen,  so  sympathisch  angezogen  fühlte;  Goethe,  dessen 
ganzes  Streben  in  seinen  reifen  Jahren  darauf  ausging,  Alles 
mildernd,  sanftigend,  versöhnend,  im  Lichte  ruhiger  Schönheit 
zu  verklären. 

Man  wird  andererseits  zugestehen  müssen,  dass  gerade  die 
genannten  Eigenschaften,  vor  Allem  die  Zartheit  in  allen  Em- 
pfindungen und  Motiven,  diese  Stücke  wenig  geeignet  erscheinen 
lassen,  von  der  Bühne  aus  bedeutende  Wirkung  zu  üben,  zu 
Spannen »  zu  ergreifen,  zu  erschüttern.    Gerade  was  wir  von 

39* 


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zugkräftigen  Stücken  verlangen,  geht  diesen  Schauspielen  un- 
geachtet ihrer  hohen  poetischen  Vollendung  fast  völlig  ab,  und 
der  Versuch,  sie  auf  unserer  Bühne  heimisch  zu  machen,  wird 
wohl  nie  von  Erfolg  begleitet  sein.1 

Einen  weiteren  charakteristischen  Zug  dieser  Dramen,  im 
Gegensatze  zu  denen  der  Griechen  wie  der  modernen  Dichter, 
bildet  das  starke  Hervortreten  der  Naturpoesie.  Der  Mensch 
erscheint  hier  im  traulichsten,  innigsten  Verkehre  mit  der  Natur, 
mit  Mango-  und  Kecara-Bäumen,  mit  Lianen,  Lotus  und  P&tala- 
Blüthen,  mit  Gazellen,  Flamingos,  bunten  Papageien  und  Ko- 
kila's.  Zu  ihnen  redet  er,  mit  ihnen  lebt  er:  Diese  Natur- 
poesie bildet  ja  überhaupt  einen  stark  hervortretenden  Zug  der 
indischen  Dichtung,  im  Drama  aber  würden  wir  denselben  am 
wenigsten  erwarten,  und  gerade  hier  tritt  er  so  bedeutsam  her- 
vor, gerade  hier  ist  er  so  reich,  so  tief,  so  schön  entwickelt, 
weiss  sich  mit  so  gewinnender  Liebenswürdigkeit  in  unser 
Herz  zu  stehlen,  dass  wir  ihn  um  keine  Preis  missen  möchten, 
dass  wir  gakuntala  und  Urvacl  uns  ohne  ihn  gar  nicht  denken 
könnten. 

Wenn  wir  Georg  Forster's  im  Jahre  1791  erschienene, 
wohlgelungene  Uebersetzung  der  Qakuntalä  nach  dem  Eng- 
lischen von  William  Jones  zur  Hand  nehmen  und  uns  in  die 
Lektüre  derselben  vertiefen,  so  vermögen  wir  noch  heutzutage 
die  Ueberraschung,  das  freudige  Staunen  zu  begreifen,  mit 
welchem  dieselbe  die  ästhetisch  höchststehenden  Geister  jener 
Zeit  ergriff  und  erfüllte.  Man  wusste  wohl,  dass  die  Inder 
Dramen  besässen,  dass  aber  eine  so  reizende  Blüthe  der  Poes  je 
jenem  fernen  Boden  entsprossen,  das  hatte  Niemand  auch  nur 
ahnen  können. 

Rasch  wurde  die  (Jakuntala  bekannt  und  berühmt,  und 
die  Begeisterung,  mit  der  die  grössten  Dichter  sie  begrüssten, 
war  von  hoher  Bedeutung  für  das  baldige  Aufblühen  der  jungen 
Sanskrit- Wissenschaft.    Herder  veröffentlichte  Briefe  über  die 


1  Es  ist  .gewiss  werth  zu  bemerken,  dass  8chiller  in  seinem 
Briefwechsel  mit  Goethe  berichtet,  er  habe  die  Cakuntala  „auch  in  der 
Idee  gelesen,  ob  sich  nicht  ein  Gebrauch  fur's  Theater  davon  machen 
Besse;  aber  es  scheint,  dass  ihr  das  Theater  direct  entgegensteht,  das* 
es  gleichsam  der  einzige  von  allen  zweiunddreissig  Winden  ist,  mit  dem 
dieses  Schiff,  bei  uns,  nicht  segeln  kann.  Dies  liegt  wahrscheinlich  in 
der  Öaupteigenschaft  derselben,  welche  die  Zartheit  ist,  and  tngleich 
in  einem  Mangel  der  Bewegung,  weil  Bich  der  Dichter  gefallen  hat, 
die  Empfindungen  mit  einer  gewissen  bequemen  Behaglichkeit  auaau- 
spianen,  weil  serbet  das  Klima  zur  Ruhe  einladet."  ^Briefwechsel  No.  843  ) 


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-   613  — 

Qakuntala 1  und  verfasste  eine  Einleitung  zu  derselben.  Die  zweite 
Auflage  der  Forsterschen  Uebersetzung  ist  von  ihm  herausgegeben 
(im  Jahre  1803).  Goethe  bekannte  in  seinen  Annalen,  dass  er 
sich  Jahre  lang  in  die  Bewunderung  der  Qakuntala  versenkt 
habe.  Hier  schien  ihm  m  vollendeter  Harmonie  Alles  vereinigt 
zu  sein,  was  des  Menschen  Herz  begehren,  sein  Sinn  zu  'um- 
fassen vermag,  das  Schöne,  Zarte,  Reizende  und  Bestrickende  eben- 
sowohl als  das  Schlichte,  Ernste,  Dauernde,  das  tägliche  Brod, 
das  unserem  geistigen  Leben  den  Bestand  verbürgt,  die  Natur, 
der  Mensch  und  der  Himmel  der  Götter,  mifc  welchem  die 
Menschen  noch  harmlos-naiv  verkehren.  Das  ist  der  Sinn  der 
begeisterten  Distichen,  die  er  Kalidasa's  Dichtung  widmete: 

Willst  du  die  Blüthe  des  frühen,  die  Früchte  deB  späteren  Jahres, 
Willst  da  was  reizt  und  entiückt,  willst  da  was  sattigt  and  nährt, 
Willst  du  den  Himmel,  die  Erde  mit  Einem  Namen  begreifen, 
Nenn  ich,  Saknntala,  dich,  und  so  ist  Alles  gesagt 

Wie  viel  wir  auch  später  von  der  indischen  Poesie  kennen 
gelernt  haben,  —  Qakuntala  bleibt  doch  die  schönste,  die 
reizendste  Blüthe,  die  in  indischen  Landen  erblüht  ist;  ihr 
Duft  kann  nie  vergehen,  so  lange  es  noch  Menschen  giebt,  die 
für  das  Schöne  in  der  Dichtung  Herz  und  Verständniss  haben. 


Qakuntalä  ist  das  Muster  eines  Na^aka  oder  Schauspiels 
höchster  Kategorie;  der  Held  ein  König  der  sagenhaften  Vor- 
zeit; die  Heldin  Tochter  der  himmlischen  Nymphe  Menaka  und 
des  Weisen  Vicvamitra;  ihr  Sohn  Bharata  Stammvater  des  be- 
rühmten Bharatiden- Geschlechtes.  Sie  können  daraus  entneh- 
men, in  wie  hohem  Alterthum  die  Begebenheit  spielt,  weit 
früher  als  die  Kämpfe,  welche  das  Mahabharata  besingt 

Das  Stück  umfasst  sieben  Akte. 

Nach  dem  hübschen  Vorspiel,  in  welchem  die  Schauspielerin 
ein  allerhebstes  Liedchen  von  der  Sommerzeit  singt,  sehen  wir 
König  Dushyanta  auf  der  Jagd,  eine  Gazelle  verfolgend  Ein- 
siedler treten  ihm  in  den  Weg,  das  Thierchen  schützend,  d* 
es  zu  ihrem  Andachtshaine,  dem  Wohnort  des  heiligen  Kanva, 
gehört  Der  Heilige  ist  nicht  daheim,  er  hat  aber  seine  Pflege- 
tochter QakuntalA  mit  der  freundlichen  Aufnahme  der  Gäste 
beauftragt.  Den  Hain  betretend  wird  der  König  heimlich  Zeuge 
eines  reizenden  Schauspiels,  —  (Jakuntala  mit  ihren  Freun- 
dinnen Anasüyä  und  Priyamvada,  unter  den  Br    m  und  Bäumen 


1  Damals  meist  Sacontala  oder  S&kontala  geschrieben. 


1 


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des  Haines  umherwandelnd  und  unter  harmlos  anmuthigem  Ge- 
plauder ihnen  aus  der  Giesskanne  Erquickung  spendend.  Ob 
auch  in  ein  rauhes  Bastgewand,  das  Kleid  der  Büsser,  gehüllt, 
nimmt  ihre  jugendliche  Schönheit  doch  alsbald  des  Königs  Herz 
gefangen.  Ein  anmuthiger  Zwischenfall  giebt  ihm  den  Anlass 
zu  überraschendem  Hervortreten.  In  dem  nun  folgenden  Ge- 
spräche wächst  die  Neigung  in  Beider  Herzen  rasch  empor, 
und  wie  sie  scheiden  müssen,  zögert  Qakuntala  verstellter  Weise, 
indem  sie  thut,  als  ob  ihr  Bastgewand  an  einem  Zweige  hangen 
geblieben  sei,  und  blickt  beim  Losmachen  desselben  noch  ein- 
mal den  König  an.  Dieser  fühlt,  dass  es  ihm  jetzt  unmöglich 
ist,  den  Büsserhain  zu  verlassen  und  in  seine  Residenz  zurück- 
zukehren: 

Mein  Körper  zwar  geht  vorwärts,  doch  das  Herz 
Fliegt  unbefriedigt  Immer  mir  zurück, 
So  wie  das  seidne  Fahnlein  der  Standarte, 
Die  man  dem  vollen  Wind  entgegen  tragt.1 

Als  Gegengewicht  gegen  allzu  sentimentale  Stimmung  tritt 
nun  im  zweiten  Akte  der  Vidüshaka  Mäthavya  auf,  des  Königs 
Narr,  komisch  ärgerlich  über  die  Jagdleidenschaft  wie  üher  die 
Verliebtheit  seines  Herrn,  ergötzlich  und  vertraulich  mit  ihm 
schwatzend.  Der  König  bestellt  die  Jagden  ab  und  schützt 
das  Opfer  der  Einsiedler  vor  dem  Angriff  böser  Dämonen.  Den 
Narren  sendet  er  an  seiner  Statt  in  die  Residenz. 

Sehr  reizend  ist  der  dritte  Akt,  wo  Cakuntala,  krank,  er- 
griffen von  LiebeSweh,  von  den  zärtlichen  Freundinnen  gepflegt 
in  der  Laube  auf  einem  Blumenlager  gebettet  wird,  während 
sie  ihr  mit  Lotusblättern  Kühlung  zufächeln.  Ihr  ganzes  Herz 
offenbart  sich  im  vertrauten  Gespräche.  Der  König  hört  es  im 
Versteck,  er  tritt  zu  ihr,  und  die  Herzen  der  Liebenden  finden 
Bich.  Er  trägt  ihr  die  Ehe  nach  Gandharven-Art  an,  sie  zau- 
dert, schwankt,  —  da  werden  sie  gestört,  aher  wir  wissen  nun. 
dass  ihre  Verbindung  gewiss  ist. 

Ein  Zwischenspiel  belehrt  uns  üher  einen  unheildrohenden 
Vorfall,  der  den  tragischen  Knoten  des  Stückes  schürzt.  Qa- 
kuntala hat,  in  ihre  Liebeseedanken  versenkt,  das  Nahen  des 
heiligen  Büssers  Durvasa  nicht  bemerkt  und  ihm  nicht  die  er- 
forderliche gastliche  Begrüssung  gewidmet  Der  jähzornige  Hei- 
lige flucht  ihr  sogleich,  nun  solle  auch  ihr  Geliebter  ihrer  ver- 
gessen. Nur  mit  Mühe  lässt  er  sich  erbitten,  den  Fluch  dahin 


1  Diese  Verse,  wie  auch  die  meisten  weiter  unten  metrisch  ge- 
gebenen 8tttcke,  sind  der  Ueber**t*nng  von  E.  Meier  entnommen. 


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—   615  — 

zu  mildern,  dass  beim  Anblick  des  Ringes,  den  Qakuntala  als 
Erinnerungszeichen  vom  König  erhalten,  diesem  das  Gedächtniss 
an  das  Geschehene  wiederkehren  solle.  Qakuntala  erfahrt  von 
dem  ganzen  Vorfall  nichts. 

Der  König,  der  sich  heimlich  mit  ihr  vermählt  hat,  ist 
fortgezogen  und  hat  sein  Versprechen,  sie  abholen  zu  lassen, 
nicht  erfüllt  Der  heilige  Kanva,  der  die  Verbindung  nach- 
träglich gebilligt,  beschliesst,  die  Tochter,  die  inzwischen  schon 
guter  Hoffnung  ist,  mit  passendem  Geleit  dem  Gatten  zuzu- 
senden. Höchst  anmuthig,  zart  und  poetisch  ist  der  Abschied, 
den  nun  im  vierten  Akte  Qakuntala  von  dem  Andachtshaine 
nimmt,  in  dem  sie  aufgewachsen,  von  den  Freundinnen,  von 
dem  Gazellchen,  das  sie  aufgezogen,  und  der  Blume  Waldmond- 
schein, die  sie  gepflegt.  Ja,  die  Waldgottheiten  selbst  bieten 
ihr  „mit  Händen,  jungen  Baumessprossen  ähnlich"  Abschieds- 
geschenke dar,  Stimmen  aus  der  Luft  wünschen  ihr  Segen  und 
Glück  auf  den  Weg.  Ihr  Pflegekind,  das  Gazellchen,  schmiegt 
sich  ängstlich- traulich  an  ihr  Gewand;  die  Freundinnen  aber 
trauern,  weil  jetzt  der  Andachtshain  für  sie  verödet  ist. 

Im  fünften  Akte  tritt  Qakuntala,  von  den  Einsiedlern  und 
der  alten  Mutter  Gautami  begleitet,  vor  den  König.  Die  Scene, 
die  sich  nun  entwickelt,  ist  unendlich  rührend,  wehmüthig  und 
schmerzlich,  ja  von  tiefer  tragischer  Wirkung.  Der  König  er- 
kennt die  einst  so  heiss  Geliebte  nicht  wieder,  er  weiss  nicht, 
wer  sie  ist.  Er  ist  nicht  rauh,  nicht  roh  gegen  sie,  —  er 
kann  sich  nur  auf  nichts  besinnen.  Er  sieht  sie  sinnend  lange 
an;  als  ein  schönes  Weib  erscheint  sie  ihm,  das  Weib  eines 
Andern  wohl,  —  er  kennt  sie  nicht!  Gerade  dies  ist  von 
erschütternder  Wirkung.  Ware  er  roh  gegen  sie,  wir  würden 
erbittert  sein,  aber  so  lagert  es  sich  wie  mit  bleierner  Schwere 
nieder,  wie  ein  unerbittliches  dunkles  Fatum,  das  zwei  einst 
sich  Liebende  für  immer  und  ewig  scheidet  Mit  Schrecken 
und  Entsetzen  weist  der  König  ihr  Ansinnen,  das  Begehren 
der  frommen  Begleiter  zurück,  sie  als  sein  Weib  bei  sich  zu 
behalten.  Wie  dürfte  er  das  Weib  eines  Andern  berühren? 
Sie  erinnert  ihn  an  liebliche  Ereignisse  der  Vergangenheit,  an 
Worte,  die  er  einst  zu  ihr  gesprochen,  —  er  weiss  nichts  mehr 
davon.  Mit  zerrissenem  Herzen,  verzweifelnd,  Liebe  nicht  mehr 
hoffend,  gedenkt  sie  seines  königlichen  Ringes,  den  er  ihr  ge- 
geben, und  um  nicht  entehrt  fortgeschickt  zu  werden,  will  sie 
ihn  dem  Könige  weisen,  —  aber  der  Ring  ist  fort,  sie  hat 
ihn  im  heiligen  Teiche,  wo  sie  dem  Wasser  ihre  Huldigung 
darbrachte,  verloren.  Nun  ist  keine  Rettung,  keine  Hülfe  mehr 


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—   616  — 

ni  hoffen.  Mit  dumpfen  Schmerz  ergieht  sie  sich  in  ihr  schweres 
Schicksal. 

0  faeüge  Erde! 
Thn  deinen  Scbooss  mir  auf! 

So  ruft  sie  verzweifelnd  aus,  da  —  unmittelbar  nach  Schluss 
dieser  Scene  —  wird  sie  von  einem  höheren  Wesen  in  die 
Lüfte  entführt  und  sinnend,  trauernd,  träumend  bleibt  der 
König  zurück 

Auf  die  tragischste  Scene  folgt  die  am  meisten  komische 
und  derbe:  Polizeimeister  und  Schergen,  die  einen  Fischer  mit 
einem  kostbaren  königlichen  Ring  erwischt  haben,  den  er  vor- 
giebt  in  eines  Fisches  Magen  gefunden  zu  haben.  Sie  höhnen 
und  misshandeln  ihn  wegen  dieses  Märchens,  aber  der  König, 
sobald  er  den  Ring  gesehen,  befiehlt,  den  Fischer  freizulassen 
und  belohnt  ihn  königlich;  die  Polizeisoldaten  aber  sind  hoch- 
erfreut, wie  nun  der  plötzlich  Reichr/ewordene  sie  als  wohl- 
wollender Gönner  in  die  Schenke  führt  —  eine  fast  Shake- 
spearesche  Scene. 

Der  König  hat  sogleich  den  Ring  erkannt  und  mit  dem 
Ringe  ist  ihm  die  Erinnerung  an  alles  Geschehene  wieder- 
gekehrt Jetzt  trauert  er  in-  tiefem  Schmerze,  dass  er  so  ra- 
send, so  verblendet  sein  konnte,  die  Geliebteate  zu  Verstössen. 
Das  Prühlingsfest,  zu  dem  die  Vorbereitungen  schon  getroffen 
waren,  wird  abbestellt,  und  in  seinem  Grame  tröstet  den  König 
nur  das  gemalte  Bildniss  der  Geliebten,  zu  dem  er  redet,  vor 
dem  er  seufzt,  —  aber  es  ist  ein  schmerzlicher,  trügerischer 
Trost  Eine  himmlische  Nymphe  sieht  ihn  so  in  Weh  und  Leid 
versunken  und  will  dies  Alles  der  Qakuntala  berichten.  Indras 
Wagenlenker  Matali  steigt  aus  der  Luft  herab,  um  den  König 
zum  Kampfe  gegen  die  bösen  Dämonen  abzuholen. 

Nachdem  er  dieses  Werk  rühmlich  vollbracht  hat,  sehen 
wir  im  siebenten  und  letzten  Akte  diese  Beiden  in  Indra's 
Wagen  über  die  Wolken  dahinfahren.  Sie  landen  auf  dem 
Gipfel  des  Gandharvenberges  Hemaktita.  Dort  begegnet  dem 
König  ein  muthwillig  lustiger,  hübscher  kleiner  Knabe,  mit 
einem  Löwonjuogen  spielend,  von  einer  Einsiedlerin  geleitet 
Es  ist  sein  Sohn,  den  ihm  Qakuntala  in  der  Verborgenheit 
geboren.  Mit  Entzücken  begrüssi  ihn  der  König  und  findet 
nun  auch  die  verlorene  Geliebte  wieder,  die  hier  beim  göttlich 
heiligen  Kacjapa,  dem  Vater  des  Indra,  stillverborgen  gelebt 
Einer  Versöhnung  bedarf  es  nicht,  denn  der  König  trägt  ia 
keine  Schuld,  er  stand  unter  dem  Banne  höherer  Mächte.  Mit 
dem  seligen  Glück  der  Wiedervereinigung  schliesst  das  Stück  — 


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—    617  — 


So  fein  und  schön  die  ganze  Anlage  und  Durchführung 
der  dramatischen  Fabel  ist,  so  vollendet,  so  graciös  und  an- 
muthsvoll  sind  auch  eine  Menge  von  Einzelheiten.  Nur  Weniges 
davon  will  ich,  Sie  daran  erinnernd,  hervorheben. 

Wie  schön  sagt  z.  .6.  der  König,  als  er  die  zarte,  reizende 

Qakuntala  im  rauhen  Büssergewande  erblickt: 

Der  Weise,  welcher  diesen  ohne  Kunst 
Entzückenden  Leib  zur  Busse  eignen  will, 
Er  unternimmt,  Schlingpflanzen  abzuschneiden 
Mit  eines  Lotusblattes  feinem  Rande. 

Und  weiter: 

Das  rauhe  Büsserkleid,  das,  auf  der  Schulter 
Fein  zugeknotet,  deckt  den  vollen  Bosen, 
Verdunkelt  ja  den  Glanz  des  jungen  Leibes, 
Gleich  einer  Blüth',  vom  gelben  Blatt  umschlossen. 

Und  dennoch: 

Die  Lotusblum*  ist  lieblich  immerdar, 
Auch  wenn  ein  ßumptgewachs  sie  überdeckt; 
Und  selbst  des  Mondes  Fleck,  ob  dunkel  auch, 
Vermehrt  nvr  seiner  Schönheit  lichten  Glanz. 
So  scheint  auch  in  dem  Bastgewande  hier 
Das  schlanke  Madchen  nm  so  schöner  nur: 
Denn  was  gereichte  nicht  zu  Schmuck  und  Zier 
Solch  schönem  Wesen,  solcher  Hnldgestalt! 

Wie  plastisch  anschaulich,  wie  reizend  schildert  er  nach* 
her  die  Geliebte,  die  von  der  Arbeit  des  Blumenbogiessens  an- 
gegriffen ist    Sieh!  —  sagt  er  zu  der  Freundin  — 

Wie  ihre  Schultern  schlaff  vom  Kanneheben, 
Wie  ihre  Bande  hochroth  sind  im  Innern! 
Vom  angestrengten  Athemholen 
Sieht  man  noch  jetzt  den  vollen  Busen  wogen; 
Ein  Netz  von  heissen  Tropfen  deckt  ihr  Antlitz, 
Dass  der  £irishen-  Schmuck  am  Ohre  klebt; 
Und  mit  der  Hand  h&lt  sie  ihr  wallendes  Haar, 
Das  sich  beim  Fall  des  Bandes  aufgelöst. 

Wie  fein  sagt  er  dann  von  ihr,  als  er  forschend  späht,  ob 
sie  sich  ihm  wohl  zuneige: 

Wenn  sie  auch  nie  ihr  Wort  in  meines  mischt, 
So  horcht  sie  doch  auf  mich,  sobald  ich  rede;. 
Und  kehrt  sie  auch  ihr  Antlitz  mir  nicht  zu. 
So  sucht  ihr  Auge  meist  doch  auch  nichts  Andres. 

Und  später  wieder  schildert  er  dem  Vertrauten  ihr  rei- 
zendes Zögern  beim  Weggehen: 

Nur  wenig  Schritte  ging  die  Schlanke  vorwärts, 
Da  blieb  sie  stehn.  und  sagte,  sich  verstellend: 
„Ein  Kuca-Halm  hat  mir  den  Fuss  geritzt 
Sodann  mit  ruckgewendetem  Gesicht 


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—   618  — 


Begann  ihr  Bastkleid  fiie  Ton  dem  Gezweige 
Der  Baume  loszumachen,  ob  es  gleich 
An  keinem  Zweige  hangen  war  geblieben. 

Und  allerliebst  wieder  sagt  er  Ton  ihr,  wie  er  sie  beim 
Dichten  eines  Liebesbriefchens  an  ihn  selbst  belauscht: 

Indessen  eine  ihrer  Augenbrauen 
Beim  Dichten  sich  ein  wenig  aufwärts  zieht, 
Durchzuckt  die  Wang1  ein  leiser  Wonneschauer, 
Der  ihre  liebe  deutlich  mir  verrath. 

Sehr  anmuthig  und  fein  ist  auch  das  Lied  der  Königin. 

in  welchem  sie  dem  König  seine  Unbeständigkeit  vorhält: 

0  Biene,  nach  der  Mangoblttthe, 

Nach  ihres  Mundes  süssem  Kuas 

Stand  einst  dein  Sinn,  dein  Herze  glühte, 

Und  selig  warst  du  im  Genuss! 

Nun  hast  du  treulos  sie  Yergessen, 

Die  du  yoII  Wonne  oft  geküest, 

Die  Lilie  an  die  Brust  zu  pressen,  — 

0  Biene,  wie  du  grausam  bist!1 

Und  endlich,  wie  schön,  wie  tief  und  zart  empfunden  sind 
des  Königs  Worte,  als  er  seinen  kleinen  Sohn  findet  und,  zuerst 
ihn  noch  nicht  kennend,  halbschmerzlich  das  Vaterglück  schildert: 

Sern  Kind,  wenn  es  ihm  hold  entgegen  lächelt. 
Die  zarten  Enospenreihn  der  Zahne  zeigend, 
Wenn's  lieblich  an  zu  reden  fangt  und  stammelnd 
Schwerzuverstehnde  kindische  Worte  lallt» 
Wenn  es  zum  Schoosse  seine  Zuflucht  nimmt,  — 
Es  dann  zu  heben,  auf  dem  Arm  zu  tragen, 
Ob  auch  beschmutzt  von  seiner  Füsse  Staub: 
0  dai,  o  das  ist  eines  Täters  Gluck! 

Der  Text  der  (Jakuntala  liegt  uns  in  zwei,  einigennassen 
von  einander  abweichenden  Rezensionen  vor:  der  bedeutend 
breiter  ausgeführten  bengalischen,  und  der  kürzeren,  knap- 
peren Devanagari-Recension,  welche  ich,  mit  manchen  anderen 
Indologen,  im  Ganzen  für  die  ältere  und  bessere  halte.*  Die 
erstere  lag  den  Uobersetzungen  von  Jones  und  Förster  m 
Grunde;  sie  ist  früher  von  Chezy,*  in  neuerer  Zeit  von  Piscnel* 
herausgegeben;  die  Devanagari-Recenhion  von  Böhtlingk.5 

1  Diese  Strophe  ist  nach  Lobedanz'  Uebersetzung  gegeben. 

3  Pischel  und  Fritze  sind  entgegengesetzter  Meinung.  Sehr  be- 
acbtenswerth  für  die  Recensionen- Frage  ist  ein  Artikel  von  C  Cap- 
peller, Jenaer  Literaturzeitung  1877  (Artikel  117). 

s  p£fjg  1830 

«  KaiidaBa  s  (Jakuntala.  The  Bengali  Recenrion,  with  critical 
notes  ed.  by  Richard  Pischel.  Kiel  1877. 

5  Qakuntala  annulo  recognita,  drama  indicum  KaLidasae  ad- 
scriptum.  Ed  Otto  Böhtlingk,  fasc.  prior,  Bonnae  1841.  (Der  zweite 


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-   619  — 

Unter  den  ziemlich  zahlreichen  Übersetzungen  finde  ich 
die  alte  Forster 'sehe  immer  noch  besonders  anziehend,1  wenn 
auch  Manches  an  ihr  zu  bessern  ist.  Es  hegt  ein  feiner  poe- 
tischer Duft  über  dem  Ganzen.  Das  Stück  ist  hier  durchweg 
in  Prosa  gegeben.  Wenig  befriedigend  war  die  auf  Chezy's 
Ausgabe  beruhende  Uebersetzung  von  B.  HirzeL*  Ungleich 
besser  die  von  Ernst  Meier,  welche  nach  Böhtlingk's  Vor- 
gang sich  dem  Text  der  Devan&garl  -  Recension  anschloss;  hier 
wechselt,  wie  im  Original,  Prosa  mit  gebundener  Rede.  Meier 
gab  in  einer  späteren  Bearbeitung  den  Text  durchgängig  versi- 
ficirt,  funffiissige  Jamben,  unterbrochen  durch  verschiedene  an- 
dere Strophen.3  Diese  Uebersetzung  muss  als  sehr  vorzüglich 
bezeichnet  werden;  sie  ist  geschmackvoll,  poetisch  und  zugleich 
sehr  treu,  wohl  die  besce  von  allen,  die  wir  bis  jetzt  besitzen. 
Recht  formgewandt  und  hübsch,  aber  weniger  treu  ist  die 
Uebersetzung  von  Edmund  Lobedan z,  die  schon  eine  ganze 
Reihe  von  Auflagen  erlebt  hat.  Sie  ist  im  fönffüssigen  Jambus 
verfasst,  ebenso  wie  auch  die  den  Text  der  bengalischen  Re- 
cension wiedergebende  Uebersetzung  von  L.  Fritze.5  Es  fragt 
sich,  ob  diese  Anwendung  des  fünffussigen  Jambus,  der  dem 
Orginal  völlig  fremd  ist,  das  Richtige  sein  dürfte.  Mir  will  es 
scheinen,  dass  das  klassische  Gewand  der  Inderin  nicht  ganz 
gut  zu  Gesichte  steht.  Eine  Uebersetzung,  die  das  Original 
auch  in  der  Form  wirklich  treu  wiederspiegeln  wollte,  müsste, 
wie  dieses,  Prosa  und  lyrische  Strophen  wechseln  lassen.6  Dies 


Fascikel  1842,  enthalt  eine  Uebersetzung  in  Prosa.)   Auch  Monier 
Williams  hat,  im  Anschluss  an  Böhtlingk,  die  Devanagarl- Recension 
herausgegeben,  Oxford  18&3;  2.  Aufl.  1876.  —  DesgL  C.  Burkhard 
Breslau  1872.  —  Jlvananda  Vidyasagara,  Calc.  1880. 

1  Sakontala  oder  der  entscheidende  Ring.  Ein  indisches  Schau- 
spiel von  Kaiidas.  Aus  den  Ursprachen  Sanskrit  und  Prakrit  ins  Eng- 
lische und  aus  diesem  ins  Deutsche  übersetzt  mit  Erlauterungen  von 
Georg  Förster.  Zweite  rechtmassige  von  J.  G.  v.  Herder  besorgte 
Ausgabe.  Frankfurt  a.  M.  1803  (1.  Aufl.  1791).  Eine  neue  Ausgabe 
dieses  Buches  erschien  Leipzig  1879. 

*  Zürich  1833  ;  2.  Aufl.  1849.   (Bengalische  Recension.) 

*  Ernst  Meier's  Uebersetzung  in  ihrer  ersten  Form  erschien 
Stuttgart  1852;  die  spatero,  weit  vorzüglichere  Bearbeitung  ist  vom 
Bibliographischen  Institut  in  Leipzig  verlegt. 

4  Sakuntala.  Indisches  Schauspiel  von  Kalidaäa.  Deutsch  me- 
trisch bearbeitet  von  Edmund  Lobedanz.  6.  Aufl.  Leipzig  1878. 
7.  Aufl.   Leipzig  1884.   (Die  1.  Aufl.  erschien  1854.) 

6  Sakuntala  Metrisch  ubersetzt  von  Ludwig  Fritze.  Schloss- 
Chemnitz,  1877. 

*  Dieser  Meinung  ist  auch  Cappeller  in  seinem  oben  citirten 
Artikel  (vgl.  das  Ende  desselben).    Treffend  bemerkt  er:  „Einzelne 


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-    620  - 


versuchte  Meier  in  seiner  ersten  Uebersetzung,  wurde  aber 
den  lyrischen  Schönheiten  des  Originals  keineswegs  gerecht. 
Dies  hat  auch  Rückert  versucht  in  einer  erst  nach  seinem 
Tode  herausgekommenen  Uebersetzung,1  die  aber  leider  90 
wenig  gelungen  ist,  dass  man  die  Aufgabe  als  noch  ungelöst 
bezeichnen  muss.* 


In  ein  noch  höheres  Alterthum  hinauf  fuhrt  uns  das  zweite 
Stück  des  Kalidasa,  die  Vikramorva$l,  d.  L  die  durch  Tapfer- 
keit errungene  Urvaci,  zurück.  Es  schildert  die  Liebe  des 
Königs  Purüravas  und  der  schönen  Nymphe  Urvaci.  Purüravas 
und  Urvaci  treten  uns  schon  im  Rigveda  als  ein  Liebespaar 
entgegen.  Max  Müller  hat  es  versucht,  in  der  Erzählung  von 
ihnen  einen  alten  Mythus  von  Sonne  und  Morgenröthe  nach- 
zuweisen, doch,  wie  ich  glaube,  ohne  genügende  Anhaltspunkte. 
Purüravas  gilt  als  Sohn  des  Budha,  der  ein  Soha  des  Mondes 
gewesen  sein  soll,  und  seine  Herrschaft  liegt  Generationen  zurück 
vor  der  des  Dushyanta.  Uebrigens  merkt  man  das  hohe  Alter- 
thum,  in  welchem  das  Stück  spielt,  demselben  ebensowenig  an 
als  der  QakuntalA,  da  sie  beide  zwar  mit  romantisch  märchen- 
haften Zügen  reichlich  ausgestattet  sind,  im  Uebrigen  aber  in 
der  Schilderung  der  Zustände  und  Personen,  des  Königs,  seines 


Scenen  im  indischen  Drama,  wie  die  Gespräche  der  Madchen,  die  Rede 
dee  Vidüshaka  u.  dgl.  sind  durchaus  prosaisch  gehalten  und  ertrag« 
die  metrische  Form  nicht;  andererseits  würden  sieh  gerade  die  lyrisch«: 
Stellen,  in  kunstvolle  Strophen  gebracht,  dann  um  so  mehr  von  des 
prosaischen  Hintergrunde  abheben  und  doppelt  wirksam  sein.44  —  Wir 
sind  auch  von  Shakespeare  her  schon  an  den  Wechsel  gebundener  and 
ungebundener  Rede  im  Drama  gewöhnt.  Uebrigens  ist  es  weder  Cap- 
peller*e  Ansicht  noch  die  meinige,  dass  man  die  unnachahmlichen  indi- 
schen Metra  nachzubilden  suchen  solle.  Es  müssen  uns  vertraute,  dem 
jeweiligen  Gedanken  angemessene  lyrische  Maaase  an  deren  Stelle  treten. 

1  Sakuntala,  Schauspiel  von  Kalidasa.  Aus  dem  Sanskrit  über- 
setzt von  Friedrich  Bockert   Leipzig  1876. 

1  Freiere  Bearbeitungen  der  Gakuntala  lieferten  W.  Gerhard 
(Leipzig  1880;  Sakontala,  metrisch  für  die  Bühne  bearbeitet);  Höppl 
11854);  Wolzogen  (1869);  die  letztere  ist  auch  mehrfach  aufgeführt 
worden.  Endlich  haben  wir  sogar:  Sakuntala,  Ballet  in  zwei  Akten  und 
fünf  Bildern,  nach  Kalidasa's  Dichtung  (anonym);  Musik  von  8.  Bachrick; 
in  8cene  gesetzt  von  Carl  Teile.  Wien  1884.  —  Carl  Wittkowski, 
Sakuntala.  Dichtung.  Musik  von  Ph.  Scharwenka  (Berlin,  Bote  and 
Bock).  —  Unter  den  Uebersetzungen  In  fremde  Sprachen  ist  vor  Allem 
die  von  W.  Jones  ins  Englische  hervorzuheben  (1789),  auf  welcher  die 
Forstersche  Uebersetzung  beruht.  Ins  Danische  wurde  die  Cakuntili 
von  Martin  Hammerich  übersetzt  (Kopenhagen  1879>:  ins  Kassische 
von  Putjata  (Moskau  1879). 


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-    621  — 

Hofes  u.  s.  w.  wesentlich  die  Verhältnisse  des  indischen  Mittel- 
alters wiederspiegeln. 

Die  Vikramorvaci  gehört  zu  der  Gattung  derjenigen  Stücke, 
welche  Tro^aka  genannt  werden  und  in  welchen  die  Begeben- 
heit theils  irdisch  theils  himmlisch'  sein  soll.  Es  umfasst  fünf 
Akte. 

Der  Inhalt  ist  in  Kürze  etwa  folgender* 

Nymphen  in  stürmischer  Bewegung  treten  auf,  wehklagend, 
dass  ihre  Gespielin  Urvaci  von  bösen  Dämonen  geraubt  sei. 
König  Purüravas  erscheint,  hört  ihre  Klage  und  macht  sich  so- 
fort auf  den  Weg,  die  Geraubte  zu  befreien.  Die  That  gelingt. 
Halb  ohnmächtig*  noch  vor  Schreck  wird  Urvaci  von  ihm  auf 
seinem  Wagen  zurückgebracht.  Er  ist  entzückt  von  ihrer  Schön- 
heit, und  auch  Urvaci's  Herz  ist  sogleich  durch  den  Anblick 
ihres  kühneu  Retters  gefangen.  Sie  müssen  aber  für's  Erste 
scheiden,  da  Urvaci  mit  ihren  Genossinnen  vor  Indra's  Thron 
erscheinen  soll. 

Im  zweiten  Akte  wird  das  süsse  Geheimniss  des  Königs 
von  dem  geschwätzigen  Vidushaka  einer  Zofe  der  Königin  ver- 
rathen.  Der  König,  von  Liebessehnsucht  verzehrt,  ergeht  sich 
in  dem  Garten  des  Palastes  und  sucht  vergebens  bei  Mango- 
und  Madhavi-Blüthen  Trost.  Urvaci  erscheint  in  der  Luft  mit 
ihrer  Freundin  Citralekha,  von  unüberwindlicher  Sehnsucht  ge- 
trieben. Den  Augen  der  Menschen  unsichtbar  erfährt  die  schöne 
Nymphe  nun  durch  das  Gespräch  zwischen  dem  König  und 
seinem  närrischen  Begleiter,  wie  es  um  des  Geliebten  Herz  be- 
stellt ist.  Auf  einem  Bhurja-  Blatte  schreibt  sie  ihm  das  Ge- 
ständniss  ihrer  Liebe.  Das  hingeworfene  Blatt  wird  gefunden 
und  beglückt  den  Liebenden.  Dann  tritt  Urvaci  selbst  vor  ihn 
hin,  doch  schon  nach  wenigen  Worten,  die  sie  mit  dem  Ge- 
liebten gewechselt,  wird  sie  durch  einen  Götterboten  abgerufen, 
weil  sie  vor  Indra  in  einem  Schauspiel,  welches  Bharata  ver- 
anstaltet, auftreten  soll.  Sie  scheiden  voll  Betrübniss.  Inzwi- 
schen hat  der  leichtsinnige  Narr  das  Bhürja-Blatt,  das  ihm  zur 
Bewahrung  übergeben  war,  fallen  lassen.  Die  Königin,  schon 
voll  Eifersucht,  kommt  mit  ihrer  Zofe  herbei.  Sie  finden  das 
Blatt,  und  der  König  wird  nun  in  die  grösste  Verlegenheit  ge- 
setzt. Die  Königin  ist  höchst  empfindlich  und  zornig,  und  ver- 
gebens versucht  Purüravas  die  Gekränkte  zu  begütigen. 

Zu  Anfang  des  dritten  Aktes  erfahren  wir  durch  ein  Ge- 
spräch zweier  Schüler  des  Bharata  von  einem  argen  Verstoss, 
den  Urvaci  bei  der  Aufführung  des  himmlischen  Schauspiels 
„Gattenwahl  der  Lakshmi"  begangen  hat  Sie  spielte  die  Rolle 


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—    622  — 

der  Lakshmi.  Auf  die  Frage:  „Zu  wem  neigst  du  dein  Herz?" 

—  mn8ste  sie  sagen:  „Zu  Purushottama",  d.  h.  Vishnu;  statt 
dessen  entschlüpfte  ihr:  „Zu  dem  Pururavasl*  Ihr  göttlicher 
Lehrer  Bharata  verflucht  sie  deswegen,  ihre  Stelle  im  Himmel 
zu  verlieren,  doch  Indra  selbst  begnadigt  sie  und  vergönnt  ihr, 
die  liebe  des  Pururavas  zu  gemessen,  bis  er  Nachkommenschaft 
von  ihr  erblickt.  Zu  dem  Könige,  der  auf  dem  Söller  des 
Edelsteinpalastes  lagert,  kommt  die  Königin,  um  den  Gatten 
wegen  ihres  Betragens  von  neulich  zu  versöhnen.  Sie  hat  die 
schmerzliche  Eifersucht  überwunden  und  erklärt,  sie  werde  dem 
Gemahl  nicht  zürnen,  wenn  er  sich  mit  dem  Weibe,  das  er 
liebe,  vereinigen  wolle.  Als  sie  fort  ist,  tritt  Urvaci  im  Braut- 
gewande  hinter  den  König,  mit  neckischem  Spiel  ihm  die  Augen 
mit  den  Händen  bedeckend.  Die  Liebenden  sind  nun  endlich 
glücklich  vereinigt 

Der  vierte  Akt  ist  sehr  eigentümlich  angelegt.  Er  ist 
fast  durchweg  lyrisch,  eine  Art  Singspiel.1  Zu  Anfang  erfahren 
wir  durch  ein  Gespräch  zweier  Gespielinnen  der  Urvaci  von 
einem  schweren  Unheil,  das  inzwischen  hereingebrochen.  Ur- 
vaci lustwandelte  mit  dem  Geliebten  im  Gandhainadana- Walde 
in  der  Nähe  des  Käilasa-  Berges.  Da  sahen  sie  am  Ufer  der 
Mandäkini  ein  halbgöttliches  Mädchen  sitzen,  mit  Sandhügeln 
spielend.  Als  der  König  dieses  eine  Zeit  lang  wohlgefällig  an- 
gesehen, ward  Urvaci  von  so  heftigem  Zorne  ergriffen,  dass  sie, 
die  Liebkosungen  des  Gemahls  von  sich  weisend,  sinnbethört 
durch  den  Fluch  des  Lehrers,  von  ihm  floh,  und  vergessend, 
dass  nach  Götterausspruch  kein  weibliches  Wesen  den  Kumara- 
hain  betreten  dürfe,  in  diesen  sich  hineinbegab.  Da  wurde  sie 
gleich  beim  Eintritt  in  eine  sich  rankende  Winde  verwandelt 
Und  nun  irrt  der  König,  vor  Schmerz  über  den  Verlust  der 
Geliebten  bis  zum  Wahnsinn  getrieben,  sie  suchend  umher. 
Nur  ein  Kleinod,  der  wunderbare  Vereinigungsstein,  könnte 
hier  Rettung  bringen,  —  aber  wo  ist  der  zu  finden?  —  Der 
König  erscheint,  starr  in  die  Luft  blickend,  wahnsinnig,  mit 
Wesen  redend,  die  gar  nicht  da  sind:  „Ha,  du  feindlicher 
Dämon,  halt,  halt!  Wohin  willst  du  mit  meiner  Geliebten?"  so 
ruft  er  wild,  ergreift  eine  Erdscholle  und  läuft  zum  Angriff, 

—  da  erschallt  Gesang: 

i 

Tragend  im  Herzen  der  Liebe  Weh, 
Schüttelnd  die  Flügel,  auf  kühlem  See  — 


1  Dieser  vierte  Akt  der  Urvaci  bt  in  Indien  mehrfach  nachgeahmt 
worden;  vgl.  Pischel,  Gött.  Gel.  Anz.  1885.   No.  19  p.  760. 


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—    623  — 

Die  Aeuglein  netzet  ein  Tbränenstrom  — 
Trauert  ein  junger  Schwanensohn.1 

Da  erkennt  der  König  traurig,  dass  er  eine  dunkle  Wolke 
für  einen  bösen  Dämon  gehalten,  und  während  er  sich  nun 
weiter  suchend,  seufzend,  weinend,  bald  hierhin  bald  dorthin 
wendet,  erschallt  ein  Lied  nach  dem  andern.  Stolz  schaut  er 
sich  im  Walde  um: 

Ist  die  blitzdurchzuckte  Wolke  doch  mein  golddurchwirktes  Throndach, 
Und  das  Niculabaumgezweige  regt  Bich,  Kühlung  mir  zu  fächeln, 
Bardengleich  mich  preisen  Pfauen,  heller  bei  der  Hitze  Weichen, 
Unterthane  Berge  bringen  als  Tribut  mir  Kegenschauer. 

Aber  ach,  was  hilft  ihm  das,  so  lange  er  seine  Geliebte 
nicht  gefunden  hat  Jetzt  glaubt  er,  ihr  Busentuch,  grün  wie 
der  Bauch  des  Papageien,  zu  erblicken,  —  weinend  erkennt  er, 
dass  es  nur  ein  Rasenplatz  mit  Indragopen  ist  —  Jetzt  redet 
er  zum  Pfauen,  der  im  Walde  schwärmt,  flehentlich  bittend, 
ihm  der  Geliebten  Aufenthalt  kund  zu  thun,  —  doch  vergeblich, 
keine  Antwort  erfolgt,  und  auch  das  Kokilaweibchen,  das  süss- 
girrende,  bleibt  dem  Gequälten  die  Antwort  schuldig.  —  Jetzt 
erblickt  er  den  Königshansa,  den  Flamingo.  Er  hat  den  leichten, 
schwebenden  Gang  der  Geliebten  an  sich,  er  muss  ihn  ihr  ge- 
raubt haben,  er  muss  es  wissen,  wo  sie  weilt: 

Warum,  Hansa,  verhehlst  du  s  mir?  — 
Hättest  du  nicht  an  des  See's  Gestade 
Meine  Geliebte  mit  den  gebogenen  Brauen  gesehn, 
Sage,  du  Dieb,  wie  könntest  du  grade  wie  jene 
Kit  so  liehlieh  tändelndem  Gange  denn  gehn? 

(Unter  Gesang  naher  gehend,  die  Hände  faltend) 

Vögelchen,  gieb  das  Liebchen  mir, 

Hast  ihr  ja  doch  den  Gang  geraubt, 

Ist  erst  das  eine  Stuck  erkannt, 

So  gieb  auch,  was  dazu  gehört! 

Du  hast  sie  gesehn,  die  Hüftenschwere, 

Nur  sie  den  spielenden  Gang  dich  lehrte!  —  u.  s.  w. 

Er  wiederholt  das  „Vögelchen  gieb"  u.  s.  w.  bald  schmei- 
chelnd, bald  zornig,  —  aber  der  Flamingo  fliegt  auf  und  davon. 
Nun  wendet  er  sich  zumCakravaka: 

Rothgelbfarbiger  Vogel,  erhöre  mein  zärtliches  Flenn, 
Hast  du  die  Huldin  spielend  am  Frühlingstage  gesehn? 

Aber  auch  hier  erhält  er  keine  Antwort.  Nun  redet  er 
eine  Biene  an: 


1  Die  metrisch  gegebenen  Anführungen  aus  diesem  Stücke  ent- 
stammen der  Uebersetzung  von  A.  Hoefer,  rgL  weiter  unten. 


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—    624  - 

Bieochen,  erzahle  von  ihr,  die  mit  den  Augen  berauschet,  — 
Oder  du  bist  woh)  nie  meine  Geliebte  gesehn?  < 
Hättest  du  ihres  Mundes  schönduftigem  Athem  gelauschet, 
Nein,  es  triebe  dich  nicht,  jetzt  zu  dem  Lotus  zu  gehnt 

An  einem  Nipa- Baume  leimt  der  Elephanteiifurst,  ihn 
fragt  der  arme  Verlassene: 

Der  du  die  stattlichsten  Baume  dir  beugest  im  Liebesspiel, 
Hast  du  denn  niemals  erschauet  mein  Sehnsuchtsziel, 
Jene  Berauschende,  Herzenaufthauende, 
Mehr  als  des  Mondes  Glanz  Holdanzuschauende? 

Der  reizende  Berg  soll  ihm  Kunde  geben: 

Berg  mit  krystallenflächlauterem  Wasserfall, 
Du  mit  Gesängen  der  Genien  entzückender. 
Du  deinen  Gipfel  mit  Blumen  bunt  schmückender, 
Träger  der  Erde,  o  zeig  die  Geliebte  mir! 

Und  wie  er  den  Bergstrom  erblickt,  da  wähnt  er,  es  müsse 
die  Geliebte  selber  sein,  die  sich  verwandelt: 

Seine  Wellen  sind  die  Brauen,  scheuer  Vögel  Schaar  der  Gürtel, 
Und  der  Schaum,  der  hochge worfoe ,  ist  das  flatternde  Gewand, 
Grade  so  wie  die  Geliebte  rauscht  er  krumm  und  strauchelnd  fort, 
Ja  sie  ist  in  ihrem  Zorne  ganz  gewiss  zum  Fluss  geworden! 

Er  geht  heran  und  fallt  auf  die  Kniee: 

0  du  Bussredendes,  du  mein  ersehntes  Weib, 
Hab  ich  doch  treulos  von  dir  nie  das  Herz  gewandt! 
Sahst  du  ein  Funkchen  von  Unrecht  in  meinem  Thun, 
Dass  du  erzürnet  mich  Sklaren  Terlassen  hast? 

Nachdem  er  dann  auch  noch  eine  Gazelle  lange  vergeblich 
um  Kunde  angefleht,  fällt  ihm  durch  ein  günstiges  Geschick 
jener  rothblüthenfarbige  wunderbare  Vereinigungsstein  in  die 
Hände.  Von  unerklärlichem  Drange  getrieben  umarmt  er  die 
Winde,  die  ihn  an  die  schlanke,  zarte  Geliebte  erinnert,  und 
—  selig  hält  er  die  Verlorene  wirklich  in  seinen  Armen. 

Zwischen  dem  vierten  und  fünften  Akte  müssen  Jahre 
verstrichen  sein,  in  deinen  Purüravas  und  Urvaci  glücklich  mit 
einander  gelebt  haben.  Im  fünften  Akte  wird  Alles  in  Auf- 
regung gesetzt  durch  die  Kunde,  dass  ein  Geier  jenen  roth- 
glänzenden Vereinigungsstein  geraubt  habe.  Bald  aber  kommt 
beruhigende  Nachricht  Der  Vogel  ist  von  einem  Pfeil  getroffen 
zu  Boden  gesunken,  und  so  der  Stein  wiedererlangt  Als  der 
glückliche  Bogenschütze  erweist  sich  ein  Kshatriya-Knabe,  wel- 
cher in  einer  Einsiedelei  unter  der  Pflege  einer  Büsserin  lebt 
Er  wird  vor  den  König  gebracht  und  es  zeigt  sich,  dasa  es 
Ayus,  der  Sohn  des  Purüravas  uud  der  Urvaci  ist,  welchen 

diese  im  Geheimen  geboren  und  vor  dem  Gatten  verborgen  hat 

• 


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—    625  - 

aufziehen  lassen,  weil  sie  nach  dem  Worte  des  Indra  nur  so 
lange  bei  Purüravas  bleiben  sollte,  bis  dieser  Nachkommenschaft 
von  ihr  erblickt  hätte.  In  die  Freude  des  Königs  über  den 
herrlichen  Knaben  mischt  sich  bald  Betrübniss,  denn  Urva^i 
thut  ihm  trauernd  kund,  dass  sie  ja  nun  scheiden  müsse.  Aber, 
da  nun  einmal  das  indische  Drama  nicht  traurig  enden  darf, 
so  wird  auch  dies  noch  abgewendet  Als  ein  Deus  ex  machina 
erscheint  Narada,  der  Götterbote,  und  verkündet  dem  Könige, 
dass  Indra  seiner  bald  dringend  in  bevorstehenden  Dämonen - 
kämpfen  bedürfen  werde  und  dass  er  ihm  als  Gunst  gern  ge- 
wahre, Urva^i  lebenslänglich  bei  sich  zu  behalten.  So  endet 
denn  Alles  in  eitel  Freude  und  Wonne. 

Anders  ist  es  in  der  alten  ursprünglichen  Sage,  die  uns 
im  Qatapatha-Brahmana  (11,  5,  1)  berichtet  wird,  einer  ernst 
und  tief  angelegten  Erzählung,  die  in  vielen  Punkten  von  der 
Fabel  bei  Kalidasa  ganz  verschieden  ist.  Dort  endet  das  glück- 
liche Zusammensein  mit  einem  traurigen  Scheiden  und  Meiden. 
Unerbittlich  muss  Urvaci  in  ihren  Himmel  heimkehren. 

Der  Text  der  VikramorvacJ  ist  zuerst  herausgegeben 
•von  R.  Lenz,1  später  mit  prosaischer  deutscher  Uebersetzung 
von  F.  Bollensen.3  In  poetischer  Weise  wurde  das  Stück  im 
Jahre  1837  übersetzt  von  Albert  Hoefer,8  der  sich  auch  iu 
der  Form  an  das  Original  —  Prosa,  gemischt  mit  lyrischen  Stro- 
phen —  anschließt  Ihm  folgte  im  Jahre  1838  B.  Hirzel. 
Eine  geschmackvolle  Uebersetzung  der  Urvaci  in  fünffüssigen 
Jamben  lieferte  auch  noch  Edmund  Lobeda nz.4  Endlich  ist 
noch  die  auf  gründlichster  Kenntniss  des  Originals  beruhende 
werthvolle  Uebersetzung  von  L.  Fritze6  besonders  hervorzuheben. 


1  Mit  lateinischer  Uebersetzung  und  NoteD,  Berlin  1833.  Eine  für 
die  damalige  Zeit  sehr  respectable  Arbeit. 

*  Nebst  ausgiebigen  Anmerkungen,  Petersburg  1846.  —  Eine  sorg- 
fältige Ausgabe  der  VikramorvacJ  veröffentlichte  auch  Shankar  P. 
Pandit,  Bombay  1879.  —  Die  südindische  Rccension  des  Stückes  gab 
R.  PI  sc  hei  heraus. 

'  Kalidasa's  Urvasi.  Ein  Schauspiel  mit  Gesangen,  deutsch  von 
Dr.  Karl  Gustav  Albert  Hoefer.  Berlin  1887„  —  Das  Stock  war 
vorher  Bchon  deutsch  erschienen  im  „Theater  der  Hindus'1,  Bd.  I  p.  283  flg. 
(Weimar  1828 >,  hier  aber  nicht  aus  dem  Sanskrit  übersetzt,  sondern 
nach  Wilson's  englischem  Werk  (Seiect  Specimens  of  the  Theatre  of 
the  Hindus). 

4  Urvasi.  Indisches  Schauspiel  von  Kalidasa.  Deutsch  metrisch 
bearbeitet  von  Edmund  Lobedanz,  Leipzig  1861;  2.  Aufl.  Leipzig  1873. 
3.  Aufl.  1884. 

•  Leipzig  1880  (Reclam,  Univ.-Bibl.  No.  1465).  Eine  franz.  Ueber- 
setzung der  Vikramorvacl  gab  Ph.  E.  Foucaux  heraus,  Paris  1879. 

▼.  Bckröder,  Indien*  Lit.  u.  Cult.  40 


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—  626 


Wir  haben  endlich  noch  das  dritte  Drama  des  Kalid&sa, 
das  Malavikagnimitra  oder  Malavika  und  Agnimitra, 
mit  einigen  Worten  zu  besprechen. 

In  dem  Prolog  des  Stückes  nennt  sich  Kalidäsa  als  Ver- 
fasser dosselben.  Es  ist  indessen,  wie  früher  erwähnt,  die  Echt- 
heit seiner  Autorschaft  eine  Zeitlang  bestritten  worden,  weil 
das  Stück  zu  sehr  von  KaiidAsa's  anderen  Dramen  abweiche, 
zu  wenig  ihnen  an  Werth  gleichkomme.  Diese  Ansicht  ist  von 
Albrecht  Weber,  wie  ich  glaube  mit  Erfolg,  in  einem  länge- 
ren Vorwort  zu  seiner  Uebersetzung  des  Malavikagniniitra  (im 
Jahre  1856)  widerlegt  worden.  Es  liegt  in  der  That  kein  ge- 
nügender Grund  vor,  die  Echtheit  des  Stückes  „und  die  Richtig- 
keit jener  Angabe  des  Prologes  zu  bestreiten.  Es  ist  ein  feines, 
geschmackvolles  Drama,  mit  vielen  poetischen  Schönheiten.  Dic- 
tion  und  Gedanken  stimmen  durchaus  zu  den  anderen  Stücken 
desselben  Autors,  wie  Weber  das  in  einer  ganzen  Reihe  von 
Einzelheiten  nachweist1  Wenu  im  üebrigen  das  Stück  nicht 
ganz  auf  der  gleichen  Höhe  vollendeter  poetischer  Schönheit 
steht  wie  etwa  die  QakuntalA,  so  braucht  es  doch  wohl  nicht 
besonders  nachgewiesen  zu  werden,  dass  ein  Dichter  nicht  mit 
jedem  Wurfe  das  Höchste  erreicht.  Ausserdem  ist  das  hier 
speciell  in  der  Natur  des  Stoffes  sehr  wesentlich  mitbegründet 
Malavikagniniitra  ist  eben  kein  Drama  höchster  Kategorie,  kein 
romantisches  Helden-  und  Götterdrama  wie  Qakuntala  und  Ur- 
vac/i,  sondern  ein  Stück,  unmittelbar  aus  dem  Palast-,  Hof-  und 
Haremsloben  der  mittelalterlich-indischen  Fürsten  gegriffen,  eine 
Art  Sittengemälde,  das  in  dieser  Sphäre  spielt.  Uebrigens  aber 
haben  auch  Qakuntalä  und  Urvari  manche  Züge,  die  derselben 
Sphäre  angehören  und  direkt  an  Aehnliches  im  Malavikagni- 
mitra erinnern;  so  z.  B.  die  zornige  Eifersucht  der  Königin 
mit  dem  obligaten  Fussfall  seitens  des  Königs  in  der  UrvacL 
die  mehr  schmerzliche  Eifersucht  der  Fürstin  Hansapadika  in 
der  (^akuntala  u.  dgl  m. 

Das  Stück  behandelt  die  Liebschaft  des  Königs  Agnimitra 
und  der  schönen  Malavikä,  die  sich  unter  den  Dienerinnen 
seiner  Gemahlin,  der  Königin  Dharini,  befindet  und  von  dieser, 
ihrer  Schönheit  wegen,  ängstlich  vor  den  Augen  des  Gemahls  ver- 
borgen gehalten  wird.  Die  verschiedenen  Versuche  des  Königs, 
mit  Hülfe  seines  Vertrauten  Malavika  zu  Gesichte  zu  bekommen, 
sich  mit  ihr  zu  verständigen,  zu  ihr  zu  sprechen,  geben  Anlass 
zu  einer  Menge  von  Intriguen  und  kleinen  Kriegen  bei  Hofe, 


1  Vgl.  a.  a.  0.  p.  XXIII. 


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—   627  - 

die  einen  ebenso  harmlosen  als  aninuthigen  Charakter  tragen. 
Der  König  erscheint  dabei  keineswegs  als  ein  genusssüchtiger 
Despot,  der  Alles  sein  zu  nennen  beansprucht,  vielmehr  tragt 
seine  Neigung  den  Stempel  grosser  Zartheit,  und  mit  äusserster 
Rücksicht  ist  er  bemüht,  jede  Kränkung  seiner  anderen  Ge- 
mahlinnen —  er  hat  deren  natürlich  mehrere  —  zu  vermeiden. 
Ein  komischer  Streit  zwischen  zwei  Lehrern  der  Musik  und 
des  Tanzes  bei  Hofe,  Haradatta  und  Ganadäsa,  von  denen  der 
eine  zum  König,  der  andere  zur  Königin  hält,  giebt  dem  König 
Gelegenheit,  Malavikä  ihre  ganze  Anmuth  entfalten  zu  sehen 
da  sie  als  beste  Schülerin  des  einen  dieser  eitlen  Musiker  sich 
in  Gesang  und  Tanz  vor  dem  versammelten  Hofe  produciren 
mnss.    Eine  würdige  alte  buddhistische  Schwester,  Kaucikt, 
bildet  eine  sehr  gelungene  Figur  in  diesem  Ensemble,  indem 
sie  zuerst  als  geehrte  Rathgeberin  und  Kunstkritikerin  auftritt, 
später  sich  als  die  geheime  Beschützerin  und  Helferin  der  Ma- 
lavikä erweist    Die  verschiedenen  Versuche  des  Königs,  zu 
einem  vertraulichen  Gespräch  mit  Malavikä  zu  gelangen,  werden 
in  ergötzlichster  Weise  durch  die  Eifersucht  insbesondere  der 
zweiten,  bisher  begünstigten  Königin  Iravati  gestört,  die  der 
König  dann  mit  grösster  Mühe  zu  versöhnen  suchen  muss. 
MAlavika  wird  endlich  von  der  Königin  eingesperrt,  aber  durch 
eine  sehr  gelungene  List  des  Vidushaka  wiedei  befreit,  —  und 
so  geht  das  kleine  Intriguenspiel  weiter  fort,  bis  sich  endlich 
zu  allseitiger  Ueberraschung  plötzlich  herausstellt,  dass  Mala* 
vikA  von  Geburt  eine  Prinzessin  ist,  die  durch  verschiedene 
unglückliche  Umstände  von  den  Ihren  getrennt,  in  Räuberhände 
gefallen  und  als  Dienerin  an  den  Hof  Agnimitra's  gekommen, 
was .  aus  bestimmten  Gründen  nicht  früher  offenbart  werden 
konnte,  obgleich  jene  alte  buddhistische  Schwester  Alles  genau 
wusste.    Nun  können  die  Königinnen  nichts  weiter  gegen  die 
Neigung  ihres  Gemahls  einwenden,  und  es  endet  Alles  in  Lus 
und  Heiterkeit 

Das  Ganze  lässt  sich  in  Anlage  und  Charakter  am  ehesten 
vielleicht  mit  einer  Shakespeareschen  Komödie  vergleichen.  Hei- 
tere und  -ernste  Momente  greifen  in  einander,  aber  Alles  ist 
dach  mehr  von  leichter.  Art.  Gar  manche  humoristische  Mo- 
tive und  Reden  erinnern  an  Shakespeare.  So  z.  B.  der  Streit 
zwischen  den  beiden  Musiklehrern,  von  denen  der  eine  zum 
anderen  prahlend  sagt:  „Du  bist  nicht  meinem  Fussstaube  zu 
vergleichen Iu  Und  dieser  erwidert:  „Zwischen  Euch  und  mir 
ist  ein  Unterschied  wie  zwischen  dem  Meer  und  einer  Pfütze!" 
Nach  diesen  Beleidigungen  muss  ein  Wettkampf  stattfinden.  — 

40« 


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-    628  - 

Wie.  Malavikä  mit  Gesang  und  graciösem  Tana  ganz  reizend 
ihre  Aufgabe  gelöst  hat,  zieht  der  närrische  Vidüshaka  das 
Armband  von  des  Königs  Hand  und  giebt  es  ihr.  Die  eifer- 
süchtige Königin  fthrt  auf  ihn  ein :  „Wie  darfst  du  den  Schmuck 
verschenken?"  Der  Vidüshaka  erwidert  keck:  „Nun,  ganz  ein- 
fach, weil  er  nicht  mir  gehört  I"  iL  dgL  m. 

Das  Stück  umfas8t  fünf  Akte.  Der  König  Agnimitra  ist 
übrigens  eine  historische  Person.  Er  gehörte  zur  Dynastie  der 
(Junga,  lebte  im  zweiten  Jahrhundert  vor  Chr.  und  regierte  in 
der  Stadt  Vidiga,1  an  dem  gleichnamigen  Flusse. 

Der  Text  des  Malavikagnimitra  ist  von  F.  Bollensen 
herausgegeben.*  Eine  Uebersetzung  desselben  verdanken  wir 
Albrecht  Weber;3  eine  andere  Ludwig  Fritze;4  eine  eng- 
lische C.  H.  Tawney  (Calcutta  1876);  eine  französische  P.  E. 
Foucaux  (Paris  1877). 

Diesem  Drama  des  Kalidasa  nah  verwandt  und,  wie  es 
scheint»  demselben  nachgebildet,  ist  RatnavaÜ  oder  „die  Perlen- 
schnur", deren  Verfasser  nach  der  Ueberlieferung  und  dem  Vor- 
spiel des  Dramas  der  König  Crlharsha  oder  Qrlharshadevp 
von  Kaschmir  sein  soll,  welcher  in  der  ersten  Hälfte  des  sie- 
benten Jahrhunderts  lebte.  Indessen  darf  es  als  wahrscheinlich 
bezeichnet  werden,  dass  nicht  dieser  König,  sondern  ein  am 
Hofe  desselben  lebender  Dichter  dasselbe  verfasst  hat5  Die 
Vermuthungen  über  die  Person  desselben  werden  wir  später  in 
anderem  Zusammenhange  kennen  lernen.6 


1  VidicA  oder  BicJicA,  das  nachherige  Biiaa,  Bhilsa.   Vgl.  übrige" 

oben  p.  306. 

*  Leipzig,  1879  (mit  kritischen  und  erklärenden  Anmerkungen!  Auch 
von  0.  F.  Tullberg,  Bonn  1840,  und  von  Shankar  P.  Pandit,  Bom- 
bay 1869. 

»  Malaviki  und  Agnimitra.  Ein  Drama  des  Kalidasa  in  fünf 
Akten.  Zum  ersten  Mal  aus  dem  SanBkrit  übersetzt  von  Albrecht 
Weber.   Berlin  1856. 

4  Leipzig,  1881. 

*  Vgl.  Fritze,  Uebersetznng  der  RatnAvali,  Vorr.  p.  XI.  Weber 

Ind.  Lit  2.  Aufl.  p.  224.  838.  Malier,  Indien  in  «.  w.  B.  p.  282.  MB 

*  Vgl.  unten  Vorlesung  XLIV. 


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Dreiundvierzigste  Vorlesung. 

Die  Mricchakatika  oder  „Dm  irdene  Welchen"  des  (^draka. 

Das  Drama,  dessen  Charakteristik  ich  heute  versuchen  will, 
ist  so  sehr  von  den  bisher  besprochenen  Stücken  verschieden, 
so  merkwürdig,  so  voll  dramatischen  Lebens,  voll  Kraft  und 
Frische,  voll  übersprudelnden  Humors  und  Witzes,  dass  man 
die  Vielseitigkeit  des  indischen  Geistes  nicht  genug  bewundern 
kann,  der  ein  solches  Stück  neben  den  zartpoetischen  Schöpf- 
ungen des  KAlidasa  hervorbringen  konnte.  Es  liegt  urwüchsige, 
gesunde  Kraft  in  diesem  Schauspiel.  Wenn  das  Talent  Kali- 
d&sa's  eine  gewisse  Verwandtschaft  mit  dem  Goethe's  zeigt,  so 
erinnert  dagegen  der  ganze  Geist,  Charakter  und  Diction  dieses 
Stückes  ganz  merkwürdig  an  Shakespeare.  Sein  Name  ist 
Mricchakatika,  d.  h.  das  irdene  Wägelchen,  angeblich  von 
einem  Könige  namens  Qüdraka  verfasst,  der  im  Prolog  des 
Stückes  mit  überschwänglichen  Worten  gepriesen  wird.  In- 
dessen muss  es  als  wahrscheinlich  bezeichnet  werden,  dass  nicht 
Cudraka  selbst  das  Stück  geschrieben,  sondern  ein  ihm  er- 
gebener,  von  ihm  unterstützter  Dichter,  der  dann  aus  Höflich- 
keit and  Dankbarkeit  dem  Könige  die  Autorschaft  seines  Werkes 
abtrat,  wie  dies  auch  sonst  in  Indien  öfters  vorgekommen  ist1 
Der  Name  des  wirklichen  Dichters  lässt  sich  aber  nicht  mit 
Sicherheit  ermitteln,  und  so  behalten  wir  bis  auf  Weiteres  den 
traditionellen  Autornamen  bei*   Das  Stück  dürfte  etwa  dem 


1  Vgl.  oben  p.  628. 

■  Pischel  hat  vor  einigen  Jahren  die  Vermuthung  ausgesprochen, 
ein  Ton  Bana  im  Hanbaearitam  erwähnter  Dramatiker  Bhasa,  in  dessen 
Stacken  senr  viele  Personen  aufgetreten  sein  sollen,  mochte  der  Ver- 
fuser  der  Mricchakatika  sein.  (Tgl.  Gott  Gel.  Ans.  1888.  Stück  89. 
p  1283—1234.)  Er  ist  indessen  jetzt  der  Ansicht,  dass  vielmehr  D  and  in 
die  Mricchakatika  verfasst  habe  und  glaubt  den  Kachweis  dafür  liefern 
sa  keimen.  (Vgl.  Gott  Gel.  Ans.  1886  No.  19,  p.  766.)  Ist  dies  richtig, 
ss  gehört  die  M.  wohl  dem  sechsten  Jahrhundert  nach  Chr.  an.  Die  er- 
w ahnte  Vermuthung  hat  nach  dem,  was  Pischel  neuerdings  in  der  Ein- 
leitung an  Rudrata'i  Crif giratilaka  etc.  p.  16  flg.  anfahrt,  allerdings 
Manches  für  sich, 'scheint  mir  aber  doch  nicht  gesichert 


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—   630  — 

Ende  des  fünften  oder  dem  sechsten  Jahrhundert  nach  Chr. 
entstammen1  und  hat  den  Anspruch,  unter  den  auf  uns  ge- 
kommenen Dramen  der  Inder  das  älteste  zu  sein.  Es  gehört 
*ur  Gattung  der  sogenannten  PrakaranaV  und  umfasst  zehn 
Akte. 

Der  Name  des  Stückes,  „das  irdene  Wägelchen",  ist  eigent- 
lich wenig  charakteristisch,  da  das  irdene  Wägelchen  darin  nur 
eine  nebensächliche  Rolle  spielt,  wie  wir  späterhin  sehen  werden. 
Der  Schauplatz  der  Handlung  ist  Ujjajini  und  Umgebung.  Die 
Zahl  der  auftretenden  Personen  ist  eine  sehr  bedeutende,  und 
eine  Fülle  der  verschiedensten  Charaktere  bewegt  sich  scharf 
und  klar  gezeichnet  vor  unserem  Auge  in  buntem  Durcheinander. 

Die  Hauptpersonen  des  Stückes  sind  Carudatta,  ein  ehe- 
maliger Handelsherr  aus  der  Kaste  der  Brahnianen,  der  durch 
zu  grosse  Freigebigkeit  sein  Vermögen  eingebüsst  hat,  und 
Vasantasenä,  eine  reiche  Hetäre,  die  den  armen  aber  edlen 
Carudatta  leidenschaftlich  lieb  gewinnt  und  durch  diese  Liebe 
gehoben  und  veredelt  wird,  bis  sie  endlich  ihr  höchstes  Ziel 
erreicht  und  seine  rechtmässige  Gattin  wird.  Es  treten  ferner 
in  dem  Stücke  auf:  die  erste  Gemahlin  des  Carudatta  und  sein 
Söhnchen  Rohasena;  Maitreya,  ein  Brahmane,  Freund  und  Spaß- 
macher im  Hause  Carudatta 's;  Samsthanaka,  der  Schwager  des 
Königs  Palaka,  jener  freche,  dumme  und  gemeine  Renommist 
den  ich  dem  Shakespearescnen  Goten  an  die  Seite  stellte;  er 
bemüht  sich  in  brutalster  Weise,  die  Hetäre  für  sich  zu  ge- 
winnen, wird  aber  von  ihr  hartnäckig  mit  Verachtung  zurück- 
gewiesen. Es  erscheinen  ferner:  ein  Schmarotzer  im  Gefolge 
des  Samsthanaka;  Aryaka,  ein  junger  Hirte,  der  durch  eine 
Revolution  den  Thron  des  Palaka  besteigt;  Qarvilaka,  ein  Brah- 
mane, zugleich  Liebhaber  der  Madaniki,  der  Dienerin  der  Vs- 
santasenä,  und  Dieb  nach  allen  Regeln  der  Kunst;  femer  eis 
Bader,  der  Unglück  im  Spiele  hat  und  in  Folge  dessen  bud- 
dhistischer Mönch  wird;  ein  Spielhalter  und  mehrere  Spieler; 
Richter,  Gerichtsdiener,  Schreiber,  Wächter  der  Stadt,  Henkers- 
knechte; die  Mutter  der  Hetäre,  eine  alte  Kupplerin;  Diener 
und  Dienerinnen  aller  Art. 

Der  erste  Akt,  betitelt  „die  Anvertrauung  des  Schmuckes*,3 

1  Vgl.  oben  p.  606.         8  Vgl.  oben  p.  594. 

*  Nach  indischer  Sitte  bekommt  jeder  Akt  seinen  Titel,  eine  Art 
Ueberschrift,  wie  wir  sie  den  einzelnen  Capiteln  zu  geben  pflegen.  — 
Den  Prolog  habe  ich  weggelassen.  -  Alle  direkten  Beden  der  einsehen 
Personen  gebe  icji  nach  Böhtlingk's  üebersetsung.   Tgl.  der 
dieses  Capitels. 


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-   631  — 

beginnt  mit  einem  Zwiegespräch  zwischen  Carndatta  und  seinem 
munteren  Freund  und  Begleiter  Maitreya,  in  welchem  der 
erstere  seinem  Grame  über  die  veränderten  Glücksumstände 
und  die  bitteren  Erfahrungen,  die  er  seither  gemacht»  Ausdruck 
giebt  »Freund!  —  sagt  er  —  es  ist  nicht  das  Geld,  daa  mich 
niederbeugt.  Das  aber,  sieh,  zehrt  an  mir,  dass  die  Gäste 
unser  Haus  meiden,  weil  das  Gold  daraus  verschwand." 

Die  Hetäre  Vasantasenä  tritt  auf,  verfolgt  von  Samsthanaka,  dem 
Schwager  des  Königs,  8thavaraka,  dem  Diener  des  8amsthanaka,  und 
einem  Schmarotzer.  Sie  rufen  ihr  alle  zu,  sie  möge  doch  stehen  bleiben. 
Der  Samsthanaka  ruft:  „Bleib  stehen,  Vasantasena,  bleib  stehen!  Waa 
soll  das  Gehen,  Laufen,  Fliehen  und  Stolpern?  Lass  Gnad'  ergehen, 
Mädchen!  Du  wirst  nicht  sterben,  bleib  einen  Augenblick  stehen!  Mein 
armes  Herz  verbrennt  vor  Liebe  wie  ein  in  einen  Kohlenhaufen  gefallenes 

Fleischstock.  Bleib  stehen!  —  Ich  habe  dich  schon  in  meiner 

Gewalt,  wie  einst  Rävana  die  Kunti."1  Und  dann  bricht  seine  ganze 
Rohheit  her?or.  Er  Bagt  zu  dem  Schmarotzer:  „Kluger  Herr!  Die  da 
ist  die  Peitsche  des  Geldstücke  stehlenden  Liebesgottes,  eine  Fischesserin, 
eine  Tänzerin,  ein  Stumpfnaschen,  eine  nicht  zu  bändigende  Gescblechta- 
schänderin,  ein  Schmuckkästchen  des  Liebesgottes,  eine  Hurenmutter, 
eine  Zierpuppe,  eine  Metze  und  eine  Hure.  Diese  zehn  Namen  habe 
ich  ihr  gegeben,  und  noch  immer  will  sie  nichts  von  mir  wissen!"  — 
8chmarotzer  und  Diener  bemühen  sich  nun  auch  endlich,  die  Hetäre  zn 
rufen,  zn  fangen.  Sie  ruft  nach  ihrer  Dienerschaft,  ihren  Madchen. 
„Ha,  —  ruft  der  Samsthanaka  —  wenn  es  Frauenzimmer  sind,  so  kann 
ich  ihrer  hundert  niedermachen.  Ich  bin  ein  Held!"  Dann  wieder 
wendet  er  sich  mit  renommistischer  Werbung  an  die  Hetäre:  „Ich,  ein 
Gottmensch,  ein  Mann,  ein  Väsudeva,  bewerbe  mich  um  deine  Liebe." 
—  Der  Schmarotzer  fragt  ihn,  ob  er  nicht  das  Klingeln  der  Schmuck- 
aachen der  Hetäre  bore  oder  den  Duft  ihres  Kranzes  spüren  könne.  Er 
antwortet:  „Den  Geruch  des  Kranzes  höre  leb,  aber  das  Geklingel  eines 
Schmuckes  kann  ich  nicht  deutlich  sehen,  weil  die  Finsterniss  mir  die 
Nase  verstopft  hat"  fDas  sind  solche  unsinnige  Verdrehungen,  wie  sie 
gerade  auch  die  Dummköpfe  bei  Shakespeare,  Cloton  und  ähnliche,  nicht 
selten  produciren.)  Die  Thür  von  Cärudatta's  Hause  öffnet  sich  in- 
zwischen, Mäitreya  kommt  mit  der  Magd  Radanikä  heraus,  und  Vasan- 
t&senä  schlüpft  hülfesuchend  in  die  offene  Thür.  In  der  Dunkelheit 
Buchend  packt  der  Königsschwager  plötzlich  den  Schmarotzer  und  schreit: 
„Ich  habe  sie,  ich  habe  siel"  —  „Thorl  ich  bin  es  ja!"  ruft  dieser 
ärgerlich.  Dann  packt  er  wieder  seinen  eigenen  Diener:  „Ich  habe  sie! 
ich  habe  sie!"  Endlich  aber  glaubt  er  sie  wirklich  zu  haben;  er  hat 
Cärudatta's  Magd  Radanikä,  die  eben  auf  die  Strasse  getreten,  an  den 
Haaren  gepackt: 

„So  wirst  du  denn,  Mädchen,  am  Kopfe  gepackt,  an  den  Haaren, 


1  Man  sieht,  der  Königsschwager  liebt  seine  Gelehrsamkeit  anzu- 
bringen, aber  es  ist  verkehrtes  Zeug;  Rävana  packt  bekanntlich  nicht 
die  Kunti,  sondern  Sltä.  Aehnlich  sagt  er  nachher:  Warum  fliehst  du 
unter  dem  Geklingel  der  vielen  Schmucksachen  wie  Dräupadi  vor  RamaV 
—  Die  Personen  des  Rämäyana  und  MahäbhArata  werden  wüst  durch- 
einander geworfen. 


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-  632 


an  der  Frisur,  an  dan  Locken!  Schreie,  wehklage  und  rufe  Canda, 
<>mbhu,  Qlva,  (tonkara  oder  *IcvaralM 

Radanika  (erschrocken):  Was  habt  ihr,  hochverehrte  Herren,  Im 

Sinne? 

Schmarotzer:  Bastard!    Das  ist  ja  eine  fremde  Stimme. 

Samsthan.  Klager  Herr!  Die  Tochter  einer  Sklavin  hat  Ihre 
Stimme  gewechselt  wie  eine  Katze,  wenn  sie  nach  saure~a  Rahm  ein 
heftiges  Verlangen  hat 

Der  Irrthum  stellt  sich  aber  doch  heraus  und  der  Schmarotzer  be- 
müht sich,  den  erzürnten  Brahmanen  Maitreya  zu  begütigen.  Er  be- 
nimmt sich  dabei  recht  manierlich  und  sucht  die  Rohheiten  des  Sam- 
Bthinaka,  den  er  innerlich  Terachtet  und  oft  genug  „Thor"  anredet 
einigermassen  auszugleichen,  wie  er  auch  vorhin  schon  selbst  heimlich 
der  Yasantasena  zur  Flucht  verholfen.  Er  sucht  dem  Samsthanaka  klar 
zu  machen,  dass  hier  ein  so  ehrenwerther  Mann  wie  Carudatta  beleidigt 
sei,  dieser  aber  laset  sich  durch  nichts  imponiren,  lärmt  und  schimpft 
in  der  pöbelhaftesten  Weise.  „Du  erbärmlicher  Brahmanen-Junge!  Du 
Krahenfusskopfschadel!"  schreit  er  den  Maitreya  an  und  befiehlt  ihm, 
Cirudatta  zu  sagen,  die  Hetäre  sei  zwar  in  ihn  (Carudatta)  verliebt 
wenn  er  ihm  dieselbe  aber  nicht  ausliefern  werde,  so  sei  ihm  ewige 
Feindschaft  geschworen.  „Sprichst  du  anders,  so  zerschmettere  ich  dir 
den  Kopf  wie  eine  Kapittha- Frucht,  die  man  unter  einen  Thürflügel 
steckt"  Dann  Hast  er  sich  vom  Diener  sein  Schwert  reichen,  faaat  et 
aber  verkehrt  an  und  geht  unter  allerlei  albernen  Redensart« n  ab. 

In  der  nun  folgenden  Scene  bittet  die  Hetäre  den  Ciru- 
datta, ihr  Schmuckkästchen  in  Verwahrung  zu  uehmen,  da  sie 
um  dessentwjllen  von  jenen  Leuten  verfolgt  werde.  Es  ist  die« 
aber  nur  eine  List  von  ihr,  um  in  Beziehung  zu  Carudatta  zu 
bleiben,  den  nie  heimlich  liebt  Maitreya  empfangt  den  Schmuck, 
und  die  Hetäre  wird  hinausgeleitet 

Im  zweiten  Akte  finden  wir  die  Hetäre  Vasantasena  im 
Gespräch  mit  ihrer  vertrauten  Dienerin  Madanika.  Schon  laiige 
hat  die  Dienerin  ein  seltsam  veränderte«  Wesen  an  ihr  wahr- 
genommen; jetzt  offenbart  ihr  die  Herrin,  dass  sie  von  einer 
tiefen  Neigung  zu  Carudatta  erfasst  sei  Zwar  wendet  Mada- 
nika ein:  „Hetäre,  es  heisst,  dass  er  arm  sei**  Aber  Vasan- 
tasena  erwidert:  „Darum  liebe  ich  ihn  gerade.  Eine  Hetäre 
entgeht  allem  Tadel  in  der  Welt,  wenn  sie  ihr  Herz  an  einen 
armen  Mann  hängt"  Die  Einwendungen  der  Dienerin  ver- 
schlagen nichts.  Sie  hebt  Carudatta  und  verabscheut  Sarastba- 
•  naka,  wenn  er  sie  auch  mit  Reichthümern  überhäufeu  will. 

Ein  Bader,  der  im  Spiele  mehr  verloren  hat,  als  er  besitzt,  kommt 
verwirrt  auf  die  Bohne  gestürzt.  Er  ist  dem  Spielhalter  entlaufen,  als 
dorselbe  beim  Anschreiben  begriffen  war.  Jetzt  sind  ihm  die  Verfolger 
auf  den  Fersen.  Rückwärts  gehend  betritt  er  ein*n  leeren  Tempel  und 
stellt  sich  in  demselben  als  Gottesbild  auf.  Der  Spielhalter  und  ei* 
Spieler,  denen  er  zehn  Goldstücke  schuldet,  kommen  ihm  schreiend 
nachgelaufen,  und  es  entwickelt  sich  nun  eine  höchst  lebendige,  ganz 
Shakespearesche  8cene.  Sie  treten  in  den  Tempel,  merken  die  List  und 


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633  — 


fangen  nun  an,  das  vermeintliche  Gottesbild  hin  and  her  zu  wenden. 
Dann  verständigen  sie  sich  durch  Zeichen  und  setzen  sich  zum  Spiele 
hin.  Nun  gerath  der  Bader  als  leidenschaftlicher  Spieler  in  die  grtsste 
Aufregung.  „Hei  —  sagt  er  zu  sich  —  das  Geklapper  der  Würfel  reisat 
das  Herz  des  seiner  Goldstücke  losgewordenen  Mannes  mit  sich  fort,  so 
wie  das  Gedröhne  der  Trommel  das  Herz  eines  um  seine  Herrschaft  ge- 
kommenen Fürsten.  Ich  weiss,  dass  ich  nicht  spielen  werde  —  spielen 
heisst  so  viel  als  vom  Gipfol  des  Sumeru  herabstürzen  —  und  dennoch 
reiset  das  an  den  süssen  Gesang  des  Kokila  erinnernde  Geklapper  der 
Würfel  mein  Herz  mit  sich  fort"   Jetzt  ruft  der 

Spieler.  Ich  muss  werfen,  ichl 

Spielhalter.   Nein,  ich  muss  werfen,  ichl 

Da  springt  der  Bader  plötzlich  hervor:  „Ich  muss  ja  werfen lu  Nun 
wird  er  gepackt  „Bezahle!  bezahle  auf  der  Stelle!4'  Er  kann  sich  nicht 
losmachen,  sie  wollen  akkordiren;  er  versucht  nun  durch  verschiedene 
Kniffe  die  Beiden  um  das  Ihrige  zu  prellen  und  will  dann  fort  Aber 
er  wird  nicht  losgelassen.  „Ich  bin  wohl  ein  geriebener  Schelm  —  ruft 
der  Spielhalter  —  aber  auf  solche  Gaunerstreiche  verstehe  ich  mich 
nicht.   So  gieb  denn  jetzt,  Schurke,  das  ganze  Geld  heraus!41 

Bader.   Wie  Boll  ich  das  bezahlen? 

Spielhalter.   Verkaufe  deinen  Vater,  aber  bezahle! 

Bader.   Woher  käme  der  Vater? 

Spielhalter.  Nun,  so  verkaufe  deine  Mutter,  aber  bezahle! 
Bader.  Woher  käme  die  Mutter? 
Spielhalter.  Nun  verkaufe  dich  selbst,  aber  bezahle! 
Bader.   Erweist  mir  die  Gnade  und  führt  mich  auf  die  Haupt- 
etrasse! 

Und  nun  bietet  er  sich  selbst  für  zehn  Goldstucke  zum  Verkauf 
aus,  geführt  von  dem  Spielhalter;  aber  er  findet  keinen  Kaufer.  Der 
Spielhalter  misshandelt  ihn,  schleift  den  auf  die  Kniee  Gefallenen  am 
Boden  hin,  da  kommt  ein  anderer  Spieler,  Darduraka,  herbei.  Dieser 
nimmt  die  Partei  des  Baders  und  sucht  ihn  auf  jede  Weise  loszumachen. 
Endlich  proponirt  er  dem  Spielhalter: 

Gieb  dem  Manne  zehn  andere  Goldstücke,  damit  auch  er  das  Spiel 
betreibe! 

8pielh alter.   Was  soll  denn  daraus  werden? 
Darduraka.   Gewinnt  er,  so  bezahlt  er  dir. 
S piel halte r.   Falls  er  aber  nicht  gewinnt? 
Darduraka.   Dann  bezahlt  er  nicht 

Spielkalter.  Geschwätz  ist  hier  nicht  am  Platz.  Wenn  du, 
Schelm,  so  redest,  dann  gieb  du  ihm  das  Geld.  Auch  ich  heisse  ja  der 
8chelm  MAthura  und  lehre  falsch  spielen.  Auch  fürchte  ich  mich  vor 
Niemandem.    Du,  Schelm,  bist  ein  bescholtener  Mann. 

Darduraka.   Wer  ist  ein  bescholtener  Mann? 

Spielhalter.    Du  bist  ein  bescholtener  Mann! 

Darduraka.    Dein  Vater  ist  ein  bescholtener  Mann. 

Und  nun  gerath en  sie  in  wüthendes  Gezänk,  endlich  fangen  sie 
sich  an  zu  prügeln.  Der  Spielhalter  giebt  dem  Bader  einen  Faustschlag 
auf  die  Nase,  dass  er  blutet,  Darduraka  aber  wirft  dem  Spielhalter  Sand 
in  die  Augen.  Unterdessen  entflieht  der  Bader  und  nimmt  seine  Zu- 
flacht zur  VasantasenA.  Diese  wird  ganz  für  ihn  gewonnen,  als  er  ihr 
erzählt,  dass  er  einst  bei  Carudatta  gedient  habt,  und  dessen  edle  Eigen- 
schaften nicht  genug  preisen  kann.    Carudatta's  Verarmung  hat  auch 


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* 

ihn  brodlos  gemacht,  da  hat  er  sich  dem  Spiele  ergeben.  Als  der  Spiel- 
halter den  Armen  nun  auch  bis  hierher  verfolgt,  wird  er  Ton  der  Hetäre 
in  glänzender  Weise  abgefunden.  Der  Bader  aber  beschliestt,  nachdem 
er  so  viel  Ungemach  und  Geringschätzung  erfahren,  ein  buddhistischer 
Bettelmönch  zu  werden.  Die  Hetäre  warnt  ihn:  „Bote  dich  vor  üeber- 
eilung!"  Aber  der  Bader  erwidert:  „Hetäre!  der  Entschluse  ist  gefaxt 
Dem  Spiele  habe  ich  es  zu  verdanken,  dass  alle  Welt  vor  mir  einen 
Abscheu  hat  Von  nun  an  kann  ich  unverhüllten  Hauptes  auf  der  Haupt- 
strasse einherschreiten." 

Im  dritten  Akte  —  der  Einbruch  genannt  —  kehren 
Carudatta  und  Maitreya  von  einem  Conoert  nach  Hause  zurück. 
Carudatta  ist  noch  ganz  entzückt,  schwärmt  von  den  Tonüber- 
gängen,  der  sanften  Stimme  u.  dgl.  Für  Maitreya  scheint  der 
Gesang  des  Künstlers  zu  zart  gewesen  zu  sein;  er  sagt.  „Mich 
bringen  indess  zwei  Dinge  zum  Lachen:  wenn  eine  Frau  Sans- 
krit spricht  und  wenn  ein  Mann  pianissimo  singt,"  Unter 
solcherlei  Gesprächen  legen  sie  sich  schlafen.  Maitreya  hat 
das  Kästchen  mit  Vasantasena's  Schmucksachen  bei  sich,  um 
es  bei  Nacht  zu  behüten.  —  Nun  tritt  Qarvilaka  auf,  ein  herunter- 
gekommener Brahmane,  der  in  Madanika,  die  Dienerin  der 
Vasantasena,  verhebt  ist  und,  um  sie  loskaufen  zu  können,  jetzt 
einen  Diebstahl  begehen  will  Er  ist  aber,  wie  wir  bald  merken, 
ein  Kenner  des  Diebeshandwerks.  Er  introducirt  sich  gleich 
mit  trefflichster  Selbstironie:  „Die  Nacht,  mit  dichter  Finster- 
niss  die  Gegenstände  verdeckend,  verhüllt  wie  eine  Mutter  einen 
Helden  sonder  Gleichen,  der  ein  fremdes  Haus  zu  schädigen 
entschlossen  ist  ...  .  Hart  am  Baumgarten  habe  ich  eine  Oeff- 
nung  gemacht  und  durch  sie  bin  ich  hineingeschlüpft  Jetzt 
gilt  es  auch  das  Haus  zu  schädigen.  —  Wohl  nennen  die  Leute 
es  gemein  und  sagen,  dass  es  Diebstahl,  nicht  Heldenmuth  sei, 
wenn  es  zur  Schlafenszeit  geschieht  und  wenn  man  solche,  die 
kein  Arg  haben,  auf  eine  hinterlistige  Weise  beeinträchtigt; 
aber,  ehe  ich  im  Dienst  ehrerbietig  die  Hände  falte,  lasse  ich 
mir  lieber  sogar  den  Tadel  gefallen,  da  ich  diesen  aus  freien 
Stücken  erwähle.  Diesen  selben  Weg  hat  ja  Acvatthaman, 
Drona's  Sohn,  beim  nächtlichen  Morde  der  Fürsten  einge- 

wo 

er  die  Oeffnung  anbringen  könne;  er  betastet  die  Wand:  JDiese 
Stelle  ist  durch  beständigen  Sonnenschein  und  Regengüsse  be- 
schädigt und  auch  vom  Salpeter  angefressen.  Auch  ist  ein 
Mauseloch  hier.  So  hätte  ich  denn  mein  Ziel  erreicht  Jenes 
ist  bei  den  Söhnen  des  Gottes  Skanda  (den  Dieben)  das  erste 
Zeichen  für  einen  glücklichen  Erfolg.   Ehe  ich  aber  hier  an's 

1  Tgl.  oben  p.  478.  %47i. 


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—   635  - 

Werk  gehe,  fragt  es  sieb,  welche  Art  Y<ra  Oeffnung  ich  machen 
solL  Da  hat  nun  der  Gott  mit  der  goldenen  Lanze  vier  Mittel 
zur  Bildaug  einer  Oeffhung  angegeben,  als  da  sind:  gebrannte 
Ziegel  muss  man  herausziehen,  ungebrannte  zerschlagen,  Lehm- 
klumpen mit  Wasser  begiessen,  und  Holzwerk  spalten.  Da  ich 
hier  gebrannte  Ziegel  vor  mir  habe,  so  muss  ich  sie  heraus- 
ziehen. Die  Form  der  Oeffhung  kann  sein:  eine  aufgeblühte 
Lotusblume,  eine  Sonne,  ein  zunehmender  Mond,  ein  länglicher 
Teich,  ein  Svastika  oder  ein  Wassertopf.  An  welcher  Stelle 
soll  ich  nun  meine  Kunst  zeigen,  damit  die  Bürger,  wenn  sie 
morgen  die  Form  erblicken,  in  Staunen  gerathen?  —  Bei  ge- 
brannten Ziegeln  nimmt  der  Wassertopf  die  oberste  Stelle  ein. 
So  will  ich  denn  diesen  bilden!"  Dann  verrichtet  er  noch  sein 
Gebet:  Jch  verneige  mich  vor  dem  Gnaden  ertheilenden,  ewig 
jungen  Kärttikeya!  —  Ich  verneige  mich  vor  dem  Lehrer  aller 
Zauberkliffe  und  nenne  mich  seinen  ersten  Schüler.**  Dann 
macht  er  sich  an's  Werk,  wobei  ihm  die  Opferschnur,  die  er 
als  Brahmane  bei  sich  trägt,  als  Messschnur  dient  Wie  die 
Oeffuung  fertig*  ist,  steckt  er  zuerst  eine  Puppe  durch  dieselbo 
hinein.  Wenn  wachende  Menschen  drinnen  sind,  werden  sie 
es  bemerken  und  Lärm  machen.  Alles  bleibt  still.  Nun  kriecht 
er  selbst  hinein  und  sieht  C&rudatta  und  MAitreya  schlafen. 
Er  kann  aber  in  dem  Gemache  nichts  Werthvolles  entdecken. 
Da  fängt  Maitreya  an,  im  Schlafe  zu  sprechen.  Er  furchtet 
sich  vor  Dieben  und  bittet  den  Caxudatta,  das  Kästchen  mit 
den  Goldsachen  zu  sich  zu  nehmen.  Qarvilaka,  unser  Dieb, 
wird  aufmerksam,  zögert  aber  noch.  Da  wiederholt  Maitreya: 
„Freund!  Ich  beschwöre  dich  bei  meiner  Liebe  zu  Kühen  und 
Brahmanen!  Nimm  dieses  Kästchen  mit  den  Goldsachen  <■  zu 
dir!"  Da  erwidert  Qarvilaka:  „Diese  hehre  Liebe  zu  Kühen 
und  Brahmanen  darf  ich  nicht  unberücksichtigt  lassen.  So 
stecke  ich  es  denn  zu  mir.4* 

Maitreya.  Jetst  werde  loh  rahig  schlafen  wie  ein  Kaufmann, 
der  seine  Waare  abgesetzt  hat. 

(arrilaka.  Schlafe,  grosser  Brahmane,  hundert  Jahre!  — 

Er  hört  Tritte,  erschrickt,  faast  sich  aber  gleich.  Was  Bollte  mir 
das  schaden?  „Ich  bin  ja  eine  Katze,  wenn  es  zu  schleichen  gilt;  eine 
Gazelle,  wenn  es  zu  laufen  güt;  ein  Falke,  wenn  es  eine  Beute  zu 
rupfen  gilt;  ein  Hund,  wenn  es  gilt  die  Kraft  eines  schlafenden  oder 
wachenden  Menschen  abzuwägen;  eine  Schlange,  wenn  es  zu  kriechen 
gilt;  der  leibhaftige  Zauber,  wenn  es  ilt  Jemandes  Gestalt,  Körper  oder 
Anzug  anzunehmen;  die  Göttin 'der  Bede,  wenn  es  sich  um  eine  andere 
Landessprache  handelt;  eine  Leuchte  bei  Nacht,  eine  Eidechse  in  engen 
Spalten,  ein  Schiff  auf  dem  Wasser.  —  Und  ferner:  In  Bewegungen  bin 
ich  wie  eine  Schlange,  beim  Feststehen  ein  Berg,  im  Fliegen  gleiche 


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—    636  — 

ich  dem  Fürsten  der  Vögel;  ein  Hase  bin  ich,  wenn  es  auf  den  Boden 
zu  schauen  gilt;  ein  Wolf,  wenn  es  zu  packen  gilt;  an  Kraft  bin  ich 

ein  Löwe.14 

Die  Dienerin  Radanika  tritt  auf,  der  Dieb  entflieht  Sie  schlagt 
sogleich  Lärm  und  weckt  den  Maitreya:  „8teh  auf;  steh  auf!  Ein  Dieb 
hat  eine  Oeffnung  in  unser  Haus  eingeschlagen  und  ist  jetzt  daronge- 
schlichen!"  -  Maitreya  fahrt  aus  dem  8chlafe:  „Was  sagst  du,  Tochter 
einer  Sklavin?  Ein  Dieb  sei  eingeschlagen  und  die  Oeffnung  davon- 
geschlichen?" 

Radanika.  Verlorener  Mensch!  Lass  den  Scherz!  Siehst  du 
denn  nicht? 

Der  Schade  wird  nun  offenbar,  und  Carudatta  Ist  ausser  sich  aber 
den  Verlust  des  anvertrauten  8chmuckes.  Seine  Gemahlin  aber  giebt 
ihm  ihre  Perlenschnur,  die  an  Kostbarkeit  jepen  Schmuck  weit  übertrifft, 
um  der  Hetäre  ihren  Verlust  zu  vergüten.  Noch  klagt  Carudatta  über 
die  unwürdige  Lage,  in  die  er  durch  seine  Verarmung  gerathen,  ver- 
bessert sich  aber  gleich  und  sagt  zu  Maitreya:  „Doch  nein,  ick  bin 
nicht,  arm,  da  mir  ein  Weib  cor  Seite  steht,  das  Reichthum  aufwiegt, 
da  ich  dich  habe,  der  Freude  und  Leid  mit  mir  theilt,  und  da  Ehr- 
lichkeit,  die  bei  Armen  so  selten  angetroffen  wird,  nicht  zu  Schanden 
geworden  ist." 

Der  vierte  Akt  —  genannt  „Madanika  nnd  Qarvilaka" 
—  fuhrt  uns  wieder  in  den  Palast  der  Hetäre,  welche  mit  Ma- 
danika im  Gespräch  erscheint  Eine  Dienerin  meldet,  da»  der 
Schwager  des  Königs  ein  Geschenk  im  Werthe  yon  100,000 
Goldstücken  gesandt  habe,  zugleich  einen  verhängten  Wagen, 
um  sie  abzuholen.  Die  Hetäre  jagt  sie  zornig  hinaus.  Carri- 
laka  erscheint,  um  die  geliebte  Madanika  loszukaufen.  Er  ge- 
steht ihr:  „Von  Armuth  gedrückt  u  von  Liebe  zu  dir  ge- 
trieben, habe  ich  diese  Nacht  deinetwegen,  o  Schüchterne,  eine 
unbeconnene  That  verübt"  —  Als  es  herauskommt,  dass  er  bei 
Carudatta  eingebrochen,  sind  die  Hetäre  und  Madanika  zuerst 
höchlich  erschrocken,  beruhigen  sich  aber,  als  sie  hören,  dass 
er  Niemandem  dort  ein  Leides  angethan.  Die  Hetäre  nimmt 
den  ihr  gehörigen  Schmuck  und  giebt  Madanika  frei.  —  Auf 
der  Strasse  hört  man  eine  Proclamation  verkünden:  Aryaka, 
ein  junger  Hüte,  von  dem  ein  Wahrsager  verkündet,  dass  er 
den  Königsthron  besteigen  werde,  ist  auf  Befehl  des  Königs  in 
Banden  geschlagen  und  ins  Gefängniss  geworfen.  —  Aryaka  ist 
ein  naher  Freund  des  (Jarvilaka,  und  dieser  beschliesst  sogleich, 
Alles,  was  in  seinen  Kräften  steht,  zu  dessen  Befreiung  zu  thuiL 
Schon  früher  hatte  auch  jener  Spieler  Darduräka  beschlossen, 
sich  zu  Äryaka's  Partei  zu  schlagen.  Man  beginnt  zu  ahnen, 
dass  sich  im  Volke  eine  Revolution  vorbereite.  —  Indessen 
naht  ich  Maitreya  dem  Palaste  der  Hetäre,  beauftragt  von 
Carudatta,  ihr  jene  Perlenschnur  als  Ersatz  für  den  verlorenen 
Schmuck  zu  überbringen.  Die  Schilderungen,  die  nun,  Maitreya 


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▼on  der  Herrlichkeit  des  Palastes  der  Hetäre  und  den  dazu 
gehörigen  Höfen  macht,  ist  sehr  merkwürdig  und  lässt  uns, 
wenn  auch  von  der  Phantasie  mit  grosser  Uehertreihung  aus- 
geschmückt, ein  Bild  des  damaligen  grossstädtischen  Luxus  er- 
blicken. Er  betrachtet  sich  muerst  verwundert  das  Portal:  „Wie 
prachtvoll  ist  das  Portal  am  Hause  der  Vasantasena!  Mit  Wasser 
besprengt,  gereinigt  und  grün  angestrichen!  Die  Schwelle  mit 
verschiedenartigen  Blumen  reich  ausgeschmückt!  Das  Ober- 
theil  ragt  hoch  hinauf,  als  hätte  es  ein  Verlangen,  das  Himmels- 
gewölbe su  schauen!  Geschmückt  mit  einem  hohen  Bogen  von 
Elfenbein!  Besteckt  mit  einer  Menge  bunter  Fahnen!  Auf  den 
Sockeln  der  Pfeiler  krystallene  Töpfe,  aus  denen  grüne  Mango- 
reiser  als  Zierde  emporschiessen!  Goldene,  mit  Diamanten  be- 
setzte Thorflügel«  u.  s.  w.  —  Eine  Dienerin  fordert  ihn  auf, 
in  den  ersten  Hof  zu  treten. 

Maitreya  (eintretend)  Haha!  Reihen  von  Palasten  im  reinsten 
Glänze  wie  der  Mond,  eine  Muschel  oder  eine  Lotuswurzel!  Diese  Pa- 
läste, weise  von  einer  darauf  gestreuten  Handvoll  wohlriechenden  Palvers 
und  geschmückt  mit  von  Gold -and  eingelegten  Edelsteinen  gebildeten 
Treppen,  seheinen  mit  ihren  runden  Gesichtern,  den  krystallenen  Guck- 
löchern, in  denen  Perlenschnüre  herabhängen,  in  Gedanken  sich  in  die 
Stadt  Ujjaylnl  in  vertiefen.  Der  Thürsteher  sitzt  wie  ein  gelehrter  Brah- 
mane  behaglich  da  und  schlummert  u.  s.  w.  Dann  wird  er  in  den  sweiten 
Hof  geführt  Da  erblickt  er  Stiere,  die  zum  Wagenziehen  bestimmt  sind, 
Rosse,  Büffel  Böcke,  Affen,  einen  Elephanten,  der  gefüttert  wird  u.  s.  w. 
Im  dritten  Hofe  sieht  er  die  für  die  vornehmen  jungen  Herren  bestimmten 
Sitze  hergerichtet;  ein  Würfelbrett  mit  Figuren  von  Edelstein;  umher- 
wandelnde Hetären  und  alte  Schmarotzer  u.  s.  w.  Dann  führt  ihn  die 
Dienerin  in  den  vierten  Hof.  Maitreya  (eintretend):  Haha!  Hier  im 
vierten  Hofe  ertönen  von  Madchenhanden  geschlagene  Trommeln  in 
tiefen  Tönen  wie  Wolken;  fallen  Cymbeln  nieder  wie  Sterne  vom  Him- 
mel; erklingt  eine  Flöte  lieblich  wie  Bienengesumm.  In  einiger  Ent- 
fernung haben  Hetarentöchter  wie  von  Blütbenseim  berauschte  Bienen 
einen  gar  lieblichem  Gesang  angestimmt.  Ein  Tanz  wird  aufgeführt  und 
mit  liebeathmendem  Ausdruck  etwas  deklamirt.  In  Gucklöchern  auf- 
gehängte Krüge  ziehen  frische  Luft  ein  u.  s.  w.  Im  fünften  Hofe  be- 
gegnet ihm  eine  Menge  appetiterregender  Gerüche.  Die  verschieden- 
artigsten Speisen  werden  bereitet,  Confect  in  Formen  gebracht,  Kuchen 
gebacken  u.  s.  w.  Dann  tritt  er  in  den  sechsten  Hof:  Haha!  Hier  im 
sechsten  Hofe  sieht  man  zunächst,  wie  Gold  und  Edelsteine  bearbeitet 
werden.  Die  mit  Sapphir  ausgelegten  Thorbögen  erinnern  an  die  Gestalt 
des  Regenbogens.  Juweliere  wagen  Berylle,  Perlen,  Korallen,  Topase, 
Sapnhire,  Katzenaugen,  Rubine,  Smaragde  und  andere  Edelsteine  sorg- 
fältig gegen  einander  ab.  Hier  werden  Rubine  in  Gold  gefasst,  Schmuck- 
aachen von  Gold  verfertigt,  Perlen  auf  rothe  Faden  gereiht,  Berylle  ge- 
schickt polirt,  Muscheln  durchbohrt,  Korallen  auf  einem  Probir steine 
gerieben,  ausgebreiteter  frischer  Safran  getrocknet,  Moschus  flüchtig  ge- 
macht, Sandelwasser  kunstvoll  ausgepresst  und  Wohlgerüche  gemischt 
Den  Hetären  und  ihren  Liebhabern  werden  Bete)  und  Kampher  gereicht, 
Seitenblicke  werden  geworfen,  man  lacht  und  schlürft  unter  Zittern  Wein 


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ein  Mal  um  das  andere.  Hier  stehen  Diener,  dort  Dienerinnen,  in  weiterer 
Entfernung  verheirathete  Manner,  die  Kind,  Weib  und  Habe  im  Stick 
liessen,  um  jetzt  Liqueure  zu  bereiten. '  Wen  die  berauschten  Hetären 
fahren  Hessen,  der  macht  sich  an's  Trinken.  Fahre  mich  weiter,  Ge- 
ehrte! Er  kommt  nun  in  den  siebenten  Hof  und  sieht  dort  Tauben,  Papa- 
geien, Kokila's,  Wachteln,  Haselhühner,  Pfauen,  Flamingos,  Reiher  u.  s.  w. 
„Wahrhaftig,  die  Wohnung  der  Hetäre  hat  ganz  den  Anschein  dee  Götter- 
hains/' Endlich  tritt  er  in  den  achten  Hof  und  sieht  dort  auf  hohem 
Thron  eine  Dame  in  bauschigem  Gewände  sitzen.  Die  Dienerin  belehrt 
ihn,  dass  dies  die  Mutter  der  Hetäre  sei. 

Maitreya.  Was  die  unsaubre  Hexe  für  einen  dicken  Bauch  hat! 
Hat  man  sie  wie  eine  Statue  des  £i?a  zuvor  hereingebracht  und  dann 
erst  das  prachtige  Portal  an  diesem  Hause  aufgeführt? 

Dienerin.  Nichtsnutziger  Mensch!  Du  sollst  unsre  Mutter  nicht 
auf  die  Weise  verhöhnen!   Sie  leidet  ja  am  Quartann  eher. 

Maitreya  (auflachend).  Heiliges  Quartanfieber!  Schau  doch  auch 
mich  Brahmanen  auf  dieselbe  gefallige  Weise  an! 

Dienerin.   Nichtsnutziger  Mensch!    Du  bist  des  Todes! 

Maitreya  (auflachend).  Du  Tochter  einer  Sklavin !  Wenn  man 
einen  solchen  dick  angeschwollenen  Bauch  hat,  dann  ist  es  besser,  dass 
man  stirbt  Die  Mutter  ist  in  diesem  Zustande,  weil  sie  sich  an  Rum, 
Branntwein  und  Liqueuren  berauscht  Stirbt  sie,  so  haben  tausend  Scha- 
kale Atzung  genug. 

Endlich  wird  er  in  den  prachtigen  Baumgarten  der  Hetäre  geführt, 
findet  Vasantasenä  dort  und  übergiebt  ihr  in  Carudatta'B  Namen  die 
Perlenschnur  als  Ersatz  für  den  verlorenen  Schmuck.  Die  Hetäre  lasst 
dem  Carudatta  zurück  melden,  sie  werde  gegen  Abend  kommen,  ihn  zu 

besuchen. 

Der  fünfteAkt  —  das  Unwetter  genannt  —  fuhrt  diesen 
Besuch  der  Hetäre  bei  Carudatta  uns  vor.  Ein  heftiges  Un- 
wetter —  sehr  beliebtes  Motiv  —  erschwert  denselben  und 
macht  die  Vereinigung  nachher  um  so  beglückender.  Auf  Einzel- 
heiten will  ich  hier  nicht  eingehen.  Es  geniige  zu  bemerken, 
dass  Carudatta  und  die  Hetäre  sich  in  Liebe  finden.  Es  ist 
dies  Verhäitniss  aber  nach  indischer  Auffassung  durchaus  nicht 
anstössig;  selbst  die  Gemahlin  Carudatta's  sieht  nichts  An- 
stößiges darin.  In  dieser  Hinsicht  muss  die  Vielweiberei  sehr 
abstumpfend  gewirkt  haben. 

Der  sechste  Akt  heisst  „die  Verwechselung  der  Wagen" 
und  legt  durch  die  in  ihm  vorkommenden  Ereignisse  den  Grund 
zu  vielem  Unheil,  das  nachher  geschieht  Die  Hetäre  ist  am 
Morgen  noch  im  Hause  des  Carudatta.  Sie  zeigt  sich  sehr 
zärtlich  gegen  das  Söhnchen  des  Geliebten.  Der  Knabe  weint, 
weil  er  der  Armuth  des  Vaters  wegen  nur  ein  irdenes  Wägel- 
chen zum  Spielen  hat,  während  der  Sohn  des  Nachbars  ein 
goldenes  besitzt  Vasantasenä  kann  ihre  Thränen  nicht  be- 
meistern.  Sie  nimmt  ihren  Schmuck  ab,  füllt  das  Wägelchen 
damit  an  und  sagt,  der  Knabe  solle  sich  ein  goldenes  Wägeichen 


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—    639  - 

daraus  machen  lassen.  Diese  Episode  mit  dem  irdenen  Wägel- 
chen bat  dem  Stück  seinen  Namen  gegeben.  Die  Schmuck- 
sachen werden  übrigens,  wie  wir  sehen  werden,  später  noch 
sehr  verhängnissvoll.  Die  Hetäre  soll  nun  in  dem  verhängten 
Wagen  des  Carudatta  fortfahren,  durch  Zufall  hält  aber  gerade 
der  Wagen  des  Samsthänaka,  des  verruchten  Königsschwagers, 
vor  der  Thür,  da  der  Weg  eben  durch  ein  Gedränge  von  Bauer- 
karreu  versperrt  ist.  Ein  Missverständniss  ist  daran  schuld, 
dass  die  Hetäre  iu  diesen,  den  Wagen  ihres  schlimmsten  Feindes, 
hineinsteigt,  ohne  dass  der  Kutscher  es  bemerkt,  der  nach 
einigem  Warten  mit  ihr  davon  fahrt  In  den  Wagen  des  Caru- 
datta aber  flüchtet  sich  Äryaka,  jener  junge  Hirte,  der  durch 
(^arvilaka  s  Hülfe  aus  dem  Gefängniss  entsprungen  ist  und  nun 
von  den  Häschern  und  Wächtern  verfolgt  wird.  Er  besteigt 
den  Wagen  von  hinten.  Der  Kutscher,  der  nicht  hingesehen, 
glaubt,  es  sei  die  Hetäre  gewesen.  Ein  paar  Wächter  fallen 
über  den  Wagen  her,  um  ihn  zu  untersuchen.  Der  Eine  sieh' 
hinein,  erblickt  und  spricht  den  Aryaka,  nimmt  abor  Partei  für 
denselben  und  verhindert  den  Anderen  an  der  Visitation  des 
Wagens,  da  derselbe  einem  so  ehrenwerthen  Manne  wie  Caru- 
datta gehöre  und  die  Hetäre  Vasantasena  darin  sitze.  Die 
Scene  zwischen  dem  Kutscher  und  den  sich  streitenden  und 
prügelnden  Wächtern  der  Stadt  ist  sehr  ergötzlich  und  %voll 
dramatischen  Lebens. 

Im  siebenten  Akte  sehen  wir  Carudatta  in  dem  ver- 
fallenen Garten  Pushpakarandaka,  wo  er  die  Hetäre  in  seinem 
Wagen  erwartet.  Der  Wagen  kommt,  aber  statt  der  Hetäre 
sitzt  Xryaka  darin.  Carudatta  thut  nun  Alles,  um  dem  hülfe- 
flehenden beizustehen  und  seine  Flucht  zu  befördern,  wodurch 
er  ihn  sich  sehr  verpflichtet.  Dann  entfernt  er  sich,  da  er  die 
Hetäre  nun  nicht  mehr  erwarten  kann. 

Der  achte  Akt,  die  Erdrosselung  der  Vasantasenä,  spielt 
in  demselben  verfallenen  Garten  Pushpakarandaka.  Ein  buddhi- 
stischer Bettler  tritt  aut.  —  es  ist  jener  ehemalige  Bader,  dessen 
Spielerunglück  wir  miterlebt  haben.  Jetzt  verkündet  er  mit 
lauter  Stimme:  .„He,  ihr  Thoren!  sammelt  gute  Werke  ein! 
Bändigt  euren  Bauch  und  wachet  beständig  unter  den  Pauken- 
schlägen religiöser  Vertiefung!"  u.  s.  w.  Er  will  sein  Gewand 
im  Teiche  des  Gartens  ausspülen.  Samsthänaka,  der  Schwager 
des  Königs,  dem  der  Garten  vom  Könige  geschenkt  ist,  kommt 
mit  dem  Schmarotzer  herbei  und  fährt  über  den  Bettler  her, 
schimpft  und  schlägt  ihn:  „Ich  zerschlage  dir  den  Kopf,  wie 
dem  rothen  Rettig,  der  in  die  Trinkstube  gerieth!"  Vergebens 


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sucht  der  Schmarotzer  dem  rohen  Wüstling  klar  zu  macheu, 
dass  man  einen  frommen  Bettler  nicht  schlagen  dürfe.  Als  er 
hört,  dass  der  Bettler  sein  Gewand  dort  ausspülen  wolle,  fallt 
er  wieder  über  ihn  her,  schlägt  und  maltraitirt  ihn  noch  längere 
Zeit  Endlich  kommt  der  arme  Kerl  doch  los  und  tritt  ab. 
Nun  kommt  der  Wagen  des  königlichen  Schwagers  angefahren, 
in  welchem,  wie  wir  wissen,  durch  unglücklichen  Zufall  die 
Hetäre  sitzt.  Samsthanaka  sieht  den  Wagen  kommen  und  schreit 
den  Kutscher  an: 

Samsth.   SShnchen!  Sthavaraka!  Diener!  Bist  du  da? 

Sthavaraka.  Ja. 

Samsth.   Ist  auch  der  Wagen  da? 

Sthavaraka.  Ja. 

Samsth.    Sind  auch  die  Stiere  da? 

Sthavaraka.  Ja. 

Samsth.   Bist  auch  du  da? 

Sthavar.  (auflachend)    Hoher  Herr!   Auch  ich  bin  da. 

Samsth.   So  fahre  denn  den  Wagen  herein! 

8thavar.    Welches  Weges? 

Samsth.   Durch  diesen  eingefallenen  WaiL 

Sth'ivar.  Hoher  Herr!  Dabei  finden  die  Stiere  den  Tod,  der 
Wagen  zerbricht,  und  auch  ich  der  Diener  bin  des  Todes. 

Samsth.  Bedenke,  dass  ich  des  Königs  Schwager  bin!  Finden 
die  Stiere  den  Tod,  so  kaufe  ich  mir  andere ;  bricht  der  Wagen,  so  lasse 
ich  einen  anderen  anfertigen;  bist  du  des  Todes,  so  wird  ein  Anderer 
mein  Kutscher  werden  u.  s.  w.  —  Samsthünaka  will  in  den  Wagen 
steigen,  fährt  aber  entsetst  zurück  und  wirft  sieb  dem  Schmarotzer  an 
den  Hals:  „Kluger  Herr!  Du  bist  des  Todes,  ja  des  Todes!  Im  Wagen 
Bitzt  eine  Hexe,  oder  ein  Dieb  steekt  darin.  Ist  es  eine  Hexe,  so  be- 
Htiehlt  sie  uns  Beide;  ist  es  ein  Dieb,  so  friast  er  uns  beide  *  —  Mit 
Mühe  beruhigt  der  Schmarotzer  den  Feigling,  sieht  selbst  nach,  erblickt 
Vasantasena  und  sucht  dieselbe  nun  durch  eine  List  den  Augen  des 
Schurken  zu  entziehen.  Es  gelingt  aber  nicht;  die  -Hetäre  steigt  aus, 
und  der  königliche  Schwager  will  sich  nun  gleich  wieder  um  ihre  Liebe 
bewerben.  Voll  Verachtung  weist  sie  ihn  zurück  und  stösst  ihn  mit  dem 
Fusse  von  sich.  Wüthend  will  er  sie  nun  verderben.  Er  wendet  sich 
zum  Schmarotzer,  verspricht  ihm  schöne  Geschenke  und  sagt:  Dann  sollst 
du  mir  einen  Gefallen  erweisen. 

Schmarotzer.   Sehr  gern,  wenn  es  keine  Unthat  ist. 

Samsth.  Kluger  Herr!  Kein  Geruch  von  einer  Unthat!  Auch  ist 
keine  Hexe  dabei 

Schmarotzer.   Dann  sage  es. 

Samstb.    Bring  die  Vasantasena  um! 

Sch  marotzer.  Wenn  ich  dieses  schuldlose  junge  Weib,  eine  Zierde 
der  Stadt,  umbringe,  auf  welchem  Kahne  soll  ich  dann  über  den  zur 
anderen  Welt  führenden  Fluss  übersetzen? 

8amsth.  Ich  verschaffe  dir  einen  Kahn.  Auch  musst  du  bedenken, 
dass  in  diesem  einsamen  Garten  dich  Niemand  sehen  wird,  wenn  du  sie 
umbringst. 

Der  Schmarotzer  weigert  sich  standhaft,  eine  so  sündhafte  That  zu 
thun.   Samsthanaka  ist  wüthend:  Dieser  alte  Eber  fürchtet  sich  vor 


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—  t>4i  - 


einer  sündhaften  That  Nun  so  will  ich  den  Diener  Sthavaraka  zu  ge- 
rinnen suchen.  Mein  Söhnchen  Sthavaraka,  mein  Diener!  Ich  schenke 
dir  goldene  Armbander. 

Sthavar.   Und  ich  lege  sie  an. 

Samsth.   Ich  lasse  dir  einen  goldenen  Stuhl  machen. 

Sthavar.   Und  ich  setze  mich  auf  ihn.  * 

Samsth.   Ich  gebe  dir  alle  Ueberbleibsel  von  meinem  Tische. 

Sthavar.   Und  ich  verzehre  sie. 

Samsth.   Ich  setze  dich  Ober  alle  meine  Diener. 

Sthavar.   Und  ich  werde  ein  Herr  sein. 

Samsth.   Nun,  dann  achte  auf  das,  was  ich  dir  sage! 

Sthavar.   Hoher  Herr,  Alles  thue  ich,  nur  keine  Ünthat. 

Samsth.   Auch  kein  Geruch  von  einer  Unthat. 

Sthavar.   So  sprich,  hoher  Herr! 

Samsth.   Bring  die  Vasantasena  um! 

Sthavar.  Habe  Gnade  mit  mir,  hoher  Herr!  Diese  Ehrenwerthe 
habe  ich  Unehren  werther  durch  eine  Verwechselung  der  Wagen  hierher 
gebracht. 

.Samsth.   Ha,  Diener!   Auch  über  dich  habe  ich  keine  Macht? 

Sthavar  Du  hast,  hoher  Herr,  Macht  aber  meinen  Leib,  aber 
nicht  Ober  meinen  guten  Wandel.  So  habe  denn  Gnade  mit  mir,  hoher 
Herr!   Ich  bin  ganz  erschrocken. 

Samsth.  Vor  wem  fürchtest  du  dich,  wenn  du  mein  Diener  bist? 

Sthavar.  Vor  der  jenseitigen  Welt,  hoher  Herr! 

Der  königliche  Schwager  fangt  ihn  nun  an  zu  prügeln.  Schliess- 
lich weiss  er  durch  eine  List  den  Schmarotzer  und  den  Diener  zu  ent- 
fernen, fällt  selbst  über  die  Hetäre  her  und  erdrosselt  sie:  „Nun  ist  sie 
miusetodt  wie  die  Sita  im  Mahabharata!"  Dann  bedeckt  er  sie  mit 
trocknen  Blattern  und  beschliesst,  hinzugehen  und  den  verhassten  Caru- 
dattsv  dieses  Verbrechens  anzuklagen.  Nachdem  er  weggegangen,  kommt 
jener  buddhistische  Bettler  wieder,  legt  sein  nasses  Gewand  auf  den 
vermeintlichen  Blätterhaufen,  entdeckt  die  Hetäre,  bringt  sie  wieder  in's 
Leben  zurück  und  rettet  sie  in  ein  nahes  Kloster. 

Der  neunte  Akt  bringt  die  Gerichtsverhandlung,  sehr 
lebendig  dramatisch  vorgeführt  Der  königliche  Schwager  tritt 
prächtig  geschmückt  in  die  Gerichtshalle  und  brüstet  sich  in 
der  albernsten  Weise  mit  seiner  eigenen  wunderbaren  Herrlich- 
keit. Dann  wendet  er  sich  zum  Gerichte:  „Ich,  der  vorzügliche 
Mensch,  ein  Mann,  ein  zweiter  Vasudeva,  der  königliche  Schwa- 
ger, der  Schwager  des  Königs,  habe  eine  Sache  vorzubringen/* 
Aufgefordert  zu  reden,  beginnt  er:  „Mein  Vater  ist  des  Königs 
Schwiegervater,  der  König  ist  meines  Vaters  Schwiegersohn,  ich 
bin  des  Königs  Schwager  und  der  Köuig  ist  meiner  Schwester 
Gemahl."  Endlich  kommt  er  denn  mit  der  Anklage  heraus: 
Carudatta  habe  die  Hetäre  Vasantasena  um  ihres  Schmuckes 
willen  im  Garten  Pushpakarandaka  ermordet  und  beraubt.  Es 
sprechen  bedenkliche  Indicien  gegen  den  Armen.  Die  alte 
Küpplerin  sagt  aus,  dass  ihre  Tochter  zu  einem  Stelldichein 
mit  Carudatta  gefahren  sei.    Die  Stadtwächter  bezeugen,  dass 

v.  tJ.  hr  oder.  In4i«a»  Lit.  u.  Cult.  41 


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—  642 


sie  Carudatta's  Wagen,  in  welchem  nach  Aussage  des  Kutschers 
Vasantasena  sass,  haben  fahren  sehen.  Endlich  kommt  Maitreya 
herzu,  der  bei  allzu  eifriger  Vertheidigung  seines  Freunde»  mit 
Sarasthanaka  in  eine  Prügelei  geräth  und  dabei  die  goldenen 
Schmucksachen  fallen  lässt,  die  die  Hetäre  dem  Söhnchen  Caru- 
datta's  geschenkt.  Dies  spricht  nun  als  Hauptbeweis  gegen  den 
Armen,  der  zu  stolz  ist,  sich  zu  vertheidigen.  Als  Brahmatie 
darf  er  nach  Manu's  Gesetz  eigentlich  nicht  getödtet,  sondern 
nur  verbannt  werden.  Trotzdem  verfugt  der  König,  dass  er 
wegen  so  schändlicher  Unthat  den  Tod  durch  Pfahlung  er- 
leiden solle. 

Im  zehnten  und  letzten  Akte  wird  Carudatta  von  zwei 
C&ndäla's  als  Henkersknechten  zur  Hinrichtung  geführt,  auf  der 
einen  Schulter  den  Verbrecherkranz,  auf  der  andern  den  Pfahl 
tragend.  Verbrechen  und  Urtheil  wird  öffentlich  verkündet. 
Maitreya  und  das  Söhnchen  Rohasena  drängen  sich  jammernd 
an  den  Verurtheilten  heran,  um  Abschied  zu  nehmen,  vergebens 
sich  selbst  an  seiner  Statt  zum  Tode  anbietend.  Der  Diener 
des  königlichen  Schwagers,  den  dieser  geknebelt  und  eingesperrt 
hatte,  ist  freigekommen  und  zeugt  gegen  seinen  Herrn,  aber 
er  dringt  nicht  durch,  —  es  ist  Alles  vergeblich.  Die  Trommel 
wird  gerührt,  das  Urtheil  nochmals  verkündigt.  Die  Schrecken 
eines  fürchterlichen  Todes  umgeben  den  Armen.  Wie  die  Hin- 
richtung beginnen  soll,  will  ein  jeder  der  beiden  Can^ala  es 
dem  andern  zuschieben,  keiner  will  Hand  anlegen.  Endlich 
ist  es  dem  Einen  nachgewiesen,  dass  er  an  der  Reihe  sei.  Aber 
wie  er  das  Schwert  hebt,  lässt  er  es  wieder  fallen,  —  er  kann 
sich  nicht  entschliessen,  die  Execution  an  diesem  Manne  zu 
vollziehen.  Da  drängt  sich  plötzlich  Vasantasena  selbst  mit 
dem  buddhistischen  Bettler  heran,  laut  rufend:  „Haltet  ein! 
haltet  ein!"  Nun  kommt  Alles  an  den  Tag,  und  während  die 
Scene  noch  in  höchster  Aufregung  ist,  erschallt  lautes  Geschrei 
hinter  der  Bühne.  Die  Revolution  ist  ausgebrochen,  der  König 
entthront,  und  Aryaka  an  seiner  Stelle  König  geworden.  Der 
verruchte  Königsschwager  wird  in  Fesseln  geschlagen,  und  nur 
die  dringende  edelmüthige  Fürbitte  Carudatta's,  den  er  kläglich 
jammernd  anfleht,  erhält  ihm  sein  elendes  Leben.  Vasantasena 
wird  von  dem  neuen  König  zur  rechtmässigen  Gemahlin  Caru- 
datta's erhoben  und  hat  nun  endlich  das  ersehnte  Glück  ganz 
und  voll  erreicht.  Der  buddhistische  Bettler  aber,  dein  auch 
eine  Gunst  gewährt  werden  soll,  erwidert  ernst:  „Wenn  ich  mir 
eine  derartige  Vergänglichkeit  vergegenwärtige,  schlage  ich  <ks 
umherziehende  Bettlerleben  noch  einmal  so  hoch  an."  — 


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-    643  — 

So  enthält  dieses  Stück,  von  dem  ich  Ihnen  nur  einen 
unvollkommenen  Abriss  gegeben,  neben  einer  Fülle  von  Komik 
auch  viel  ernste  und  tiefe  Momente  und  darf  als  ein  drama- 
tisches Meisterstück  bezeichnet  werden.  Stand  Kälidasa  in  poe- 
tischer Feinheit,  Zartheit  und  Tiefe  obenan,  so  muss  die  Mriccha- 
katika  doch  gerade  in  Bezug  auf  die  eigentlich  dramatischen, 
scenisch  wirksamen  Eigenschaften,  —  Kraft,  Leben  und  Be- 
wegung m  der  Handlung,  Schärfe  der  Charakteristik  u.  s.  w.  — 
als  die  bedeutendste  Leistung  der  Inder  bezeichnet  werden. 

Der  Text  der  Mricchakatika  wurde  in  Calcutta  schon 
i.  J.  1829  herausgegeben.  Dann  veranstaltete  Ad.  Fr.  Stenzler 
eine  kritische  Ausgabe  des  Stückes  i.  J.  1847.  Es  folgte  eine 
weitere  Ausgab«  in  Calcutta  i.  J.  1876  (Qaka-Aera  1798). 

Eine  vorzügliche  deutsche  Uebersetzung,  der  im  Vorstehen- 
den viel  entnommen  ist,  verdanken  wir  Otto  BÖhtlingk;1  eine 
andere  Ludwig  Fritze.1  Auch  ist  das  Stück  noch  in  ver- 
schiedene andere  europäische  Sprachen  übertragen  worden.8 

  # 

1  Mricchakatika,  d.  i  das  irdene  Wägelchen,  ein  dem  König 
Cadraka  zugeschriebenes  Schauspiel,  üebersetzt  von  Otto  Böhtlingk, 
St  Petersburg  1877. 

*  Chemnitz  1879.  —  Die  Mricchakatika  war  von  H.  H.  Wilson 
ins  Englische  übersetzt  in  seinen  Select  Specimens  of  the  Theatre  of  the 
Hindus,  Bd.  I;  darnach  findet  sich  dieselbe  auch  ins  Deutsche  übertragen 
in  der  deutschen  Ausgabe  des  Wilson'schen  Werkes  (Theater  der  Hindus, 
Bd.  I  p.  75  flg.;  Weimar  1828). 

*  So  in's  Danische  von  E.  Brandes  (Kopenhagen  1870)  und  in's 
Französische  von  P.  Regnaud  Paris  1876.  1877),  welche  beide  Ueber- 
setzungen  gerühmt  werden.  Eine  russische  veröffentlichte  C.  Kosso- 
witsch  (im  Moskwitjanin,  September  1849). 


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Vierundvierzigste  Vorlesung, 


Die  dem  König  frlharsha  zugeschriebenen  Dramen  und  ihre  muthmaass- 
lichen  Verfasser.  Bhavabhüti  und  seine  Dramen.  VicikhJuUtta's  Mu- 
dräräkshasa.  Bhattanarayana'a  Veniaamhara.  Rajacekhara.  Kaheml- 
(, vara  oder  Kshemendra.  Jayadeva.  Stücke  possenhaften  und  satirischen 
Charakters.   Krishnamicra's  Prabodhacandrodaya. 


Verfolgen  wir  die  Entwickelung  des  indischen  Schauspiels 
von  Kalidasa  ab  chronologisch  weiter,  so  wären  aus  dem  sie- 
benten Jahrhundert  nach  Chr.  vor*  Allem  die  dem  König  £ri- 
harsha  oder  Qriharshadeva  zugeschriebenen  Dramen  hervor- 
zuheben: Ratnävali,  Nägänanda  und  PriyadarQika. 

Ratnavali  oder  „die  Perlenschnur",  deren  wir  schon  früher 
Erwähnung  gethan  haben,  ist  ein  hübsches  Stück  mit  manchen 
poetischen  Schönheiten  und  fein  gezeichneten  Charakteren.  Es 
führt  uns  in  das  Hof-  und  Haremsleben  des  indischen  Mittel- 
alters und  lehnt  sich  in  vieler  Hinsicht  an  Kalidasa's  Malavi- 
kagnimitra  an.  Auch  hier  liebt  der  König  eine  Dienerin  seiner 
Gemahlin,  die  sich  schliesslich  als  die  bei  einem  Schiffbruch 
verloren  gegangene  Prinzessin  eines  anderen  Reiches  heraus- 
stellt, mit  der  er  sich  nun  ohne  Anstand  vermählen  darf.  Ein 
Reflex  der  historischen  oder  epischen  Ueb erLieferung,  die  dem 
Dichter  vorgelegen  zu  haben  scheint,  findet  sich  in  Sonia- 
deva's  Kathasaritsagara. 1  Originell  ist  in  unserem  Drama  das 
Auftreten  eines  Zauberers,  der  sich  vermisst,  dem  König  und 
seinem  Hofe  die  wunderbarsten  Dinge  zu  zeigen  und  dies  Ver- 
sprechen auch  glänzend  löst.  Sprich!  —  sagt  er  zu  dem  König 
Udayana  — 

Sprich,  o  Herr,  was  soll  ich  zeigen? 
Willst  da,  da&B  die  Berge  steigen 
In  die  Luft?   Dasa  dunkle  Nacht 
Eintritt,  wenn  der  Mittag  lacht? 


1  Vgl.  darüber  die  Einleitung  zu  Fritze's  Uebersetzung  der  Ratni- 
vall,  p.  XII  flg. 


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645  — 


Dass  der  Mond  vom  Himmelszelt 
Nieder  auf  die  Erde  fällt? 
Willst  da  sehn,  dass  Feaersgluth 
Lodert  in  der  Wasaerfluth? 
GroßBer  König,  (rieb  Bescheid; 
Was  da  magst,  ich  bin  bereit.1 

Dann  schwingt  er  seine  Pfauenfedern  und,  siehe  da,  in 
den  Lüften  zeigen  sich  zum  höchsten  Erstaunen  des  Königs 
und  seines  Hofes  die  grossen  Götter  selbst,  Qiva,  Vishnu  und 
Brahma  auf  seinem  Lotussitz,  Indra  auf  seinem  Elephanten 
reitend, 

Vidyadhara-  und  Siddhaschaareo, 
Die  tanzend  durch  die  Lüfte  fahren. 

Die  Ankunft  eines  fremden  Ministers,  den  der  König  em- 
pfangen muss,  unterbricht  das  Zauberspiel.  Plötzlich  gerath 
Alles  in  Aufregung,  Geschrei  und  Getümmel  erschallt  —  eine 
furchtbare  Feuersbrunst  ist  in  dem  Frauenhause  ausgebrochen! 
Der  König  in  höchster  Angst,  dass  die  Geliebte  mit  verbrennen 
mochte,  lässt  sich  durch  nichts  zurückhalten,  stürzt  sich  in 
Flammen  und  Rauch,  findet  sie,  umarmt  sie,  will  sie  retten,  — 
da  ist  plötzlich  Feuer  und  Gluth  verschwunden  und  das  Frauen- 
haus steht  unversehrt  in  seinem  alten  Zustand  da,  —  auch  dies 
war  nur  ein  Spiel  der  Zauberei  gewesen,  die  dem  König  so  zur 
lang  ersehnten  Berührung  mit  der  Geliebten  verhelfen. 

Die  Ratnävali  ist  in  vortrefflicher  Weise  von  Carl  .Cap- 
peller  herausgegeben.»  Eine  geschmackvolle  und  treue  Ueber- 
setzung  de9  Stückes  verdanken  wir  dem  um  das  indische  Drama 
sehr  verdienten  Ludwig  Fritze» 

Einen  ganz  anderen  Charakter  als  dieses  Stück-  hat  der 
ebenfalls  dem  König  Qriharsha  zugeschriebene  Nagananda, 
ein  durch  bedeutende  Vorzüge  ausgezeichnetes  Sensationsstück 
mit  buddhistischer  Färbung,  dessen  Held  ein  Buddhist  ist,  in 
dessen  Nandl  Buddha  gepriesen  wird.  Der  Nagananda  ist  von 

1  8.  Fritze's  Uebersetzuog  der  Ratnav.  p.  88. 

1  In  der  2.  Aufl.  Ton  0.  Bohtlingk's  Sanskrit -Chrestomathie, 
St  Petersburg  1877,  p.  290  flg.  Ausserdem  sind  mehrere  Ausgaben  des 
Stückes  in  Calcutta  erschienen;  so  i.  J.  1832;  i.  J.  1864;  i.  J.  1871; 
ferner  eine  Ausgabe  in  Bombay,  1888. 

*  Ratnävali  oder  die  Perlenschnur.  Ein  indisches  Schauspiel. 
Aus  dem  Original  zum  ersten  Male  ins  Deutsche  übersetzt  von  Ludwig 
Fritze,  Chemnitz  1878.  Eine  englische  Uebersetzung  hatte  schon  vor 
Jihren  H.  H.  Wilson  in  seinem  8elect  Specimens  of  the  Theatre  of  the 
Hindus  geliefert,  welche  dann  auch  (von  0.  L.  B.  Wolf!)  mit  dem  ganzen 
Werke  ms  Deutsche  übertragen  wurde.  (Theater  der  Hindus,  Bd.  II, 
Weimar  1831,  p.  128  flg.) 


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Palmer  Boyd  in'a  Englische  übersetzt  worden,1  und  Cowell 
hat  dieser  Üebersetzung  eine  werthvolle  Vorrede  beigefügt. 

Dass  König  Qrlharsha,  der  in  der  ersten  Hälfte  des  sie- 
benten Jahrhunderts  regierte,  wirklich  Verfasser  der  genannten 
Dramen  sei,  wird  wohl  nur  von  wenigen  Forschern  noch  ge- 
glaubt Die  Autorschaft  dieser  Stücke  ist  ihm  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  nur  ehrenhalber  von  dem  Dichter  oder  den 
Dichtern,  die  an  seinem  Hofe  lebten  und  seine  Gunst  genossen, 
zugeschrieben  worden.  Schwieriger  aber  ist  es  zu  ermitteln, 
wer  dieser  oder  diese  Dichter  waren.  Hall  versuchte  es  wahr- 
scheinlich zu  machen,  dass  Bäna.  der  bekannte  Verfasser  der 

mr^rmwm  mrm  mmmb-m^mrmtmm       mm  mm       mmmmmmrmmmm  -+rm^  m  mtm*  mW  ■  *  mm  m        ^mmmfm         mm*       mmm^mmmim\  w    m*m*  mmmmhmmw^mmt  ^mwmrmt 

Kadambari  und  des  Harahacarita.  der  wirkliche  Dichter  der 
Ratnavali  sei;Ä  ihm  stimmten  Bühler  und  Weber,  und  nach 
deren  Vorgang  auch  andere  Forscher  bei.  Der  Nagananda  da- 
gegen, dessen  buddhistischer  Charakter  es  wahrscheinlich  macht, 
dass  derselbe  von  einem  andern  Autor  wie  die  Ratnavali  her- 
rührt, wäre  nach  Cowell's  Vermuthung  dem  Dichter  Dhavaka, 
der  ebenfalls  an  (Jriharsha's  Hofe  lebte,  zuzuschreiben. 1  In- 
dessen hat  Pischel  mit  nicht  zu  unterschätzenden  Gründen 
die  Annahme  Hall's,  Bäna  habe  die  Ratnavali  verfasst,  zu  be- 
kämpfen gesucht4  Er  zeigt,  dass  das  Hauptargument  Hall's 
—  die  Uebereinstimmung  einer  Strophe  in  der  Ratnavali  and 
im  Harshacarita  —  keine  ausreichende  Beweiskraft  habe  und 
dass  das  unter  Bäna's  Namen  auf  uns  gekommene  Drama  Par- 
vatlparinayanataka  so  unvortheilhaft  von  den  drei  unter  Cri- 
harsha's  Namen  gehenden  Stücken  absticht,  dass  es  sehr  be- 
denklich erscheinen  muss,  ihm  eines  derselben  zuzusprechen. 
Pischel  ist  der  Meinung,  dass  jene  drei  Stücke  von  ein  und 
demselben  Verfasser  herrühren,  da  die  Tradition  eben  nur  einen 
Verfasser  (den  Qriharsha)  nennt;  der  buddhistische  Charakter 
des  Nagananda  spreche  nicht  dagegen,  da  in  dem  Stück  auch 
Gäuri,  die  Gemahlin  Qiva's  eine  wichtige  Rolle  spielt  und  das- 
selbe an  einem  Feste  zu  Ehren  Indras  aufgeführt  wird,  abo 
keineswegs  rein  buddhistisch  genannt  werden  darf.  Buddhisten 
und  Brahmanen  lebten  zu  jeper  Zeit,  in  welcher  unser  Stück 


1  London  1872.  —  Ins  Französische  übersetzt  von  A.  Bergaigne, 
Paris  1879. 

•  In  der  Vorrede  zu  Subandhu's  VasavadattA,  p.  15  flg.  Vgl  auch 
Bühler,  Indian  Antiquaiy  II,  127  flg.;  Weber,  Ind.  Lit  2.  Aufl.  p.  224 
Anm.  u.  p.  338. 

•  In  der  Vorrede  zu  P.  Boyd's  üebersetzung  des  Nagananda,  p. 
II  flg.  p.  VIII. 

•  Gött  Gel.  Anz.  1883.  Stück  39,  p.  1235—1241. 


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■ 


—    647  — 

entstand,  friedlich  neben  einander  und  es  wurde  die  religiöse 
Toleranz  von  Seiten  der  Regierung  ostentativ  gefördert1  Rachel 
neigt  zu  der  Ansicht,  der  vorhin  genannte  Dichter  Dhavaka 
möchte  der  Verfasser  jener  drei  Stücke  sein.1  Es  ist  wohl 
möglich,  ja  wahrscheinlich,  dass  er  darin  Recht  hat  Mir  scheint 
es  indessen  nicht  nothwendig,  dass  alle  drei  unter  (Jrlharsha's 
Namen  gehenden  Stücke  auch  einen  und  denselben  Verfasser 
haben  müssen.  Wenn  an  dem  Hofe  (^riharsha's  mehrere  Drama- 
tiker lebten,  konnte  nicht  der  eine  so  gut  wie  der  andero  dem 
König  die  Verfasserschaft  seines  Dramas  beilegen?  Darin  aber 
hat  Pischel  Recht  dass  die  Gründe  für  Bäna's  Autorschaft  der 
Ratnavali  schwach  sind.  Bevor  wir  indessen  einen  andern 
Dichter  mit  Sicherheit  als  Verfasser  der  betreffenden  Dramen 
nennen  können,  thun  wir  besser,  dieselben  nur  als  die  dem 
(Jrlharsha  zugeschriebenen  Dramen  zu  bezeichnen.8  Soviel  hat 
die  höfische  Schmeichelei  jener  Dichter  denn  doch  erreicht. 

Dem  achten  Jahrhundert  nach  Chr.  gehört  Bhavabhüti 
an,  welcher  gewöhnlich  neben  Kalidasa  und  (Jüdraka  als  der 
dritte  hervorragende  indische  Dramatiker  genannt  wird.  Aus 
den  Prologen  zu  seinen  Schauspielen  erfahren  wir,  dass  er  aus 
dem  Süden  stammte 4  und  einer  Brahmanen-Familie  entsprossen 
war,  die  zu  den  Taittiriyaka's,  einer  Schule  des  schwarzen 
Yajurveda,  gehörte.  Ujjayini,  den  Vorort  des  indischen  Dramas, 
kennt  er  genau  und  hat  wenigstens  einen  Theil  seines  Lebens 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  dort  zugebracht.6  Als  Schutz- 
herr des  Bhavabhüti  wird  König  Yacovarman  von  Känyakubja 
genannt,  der  in  der  ersten  Hälfte  des  achten  Jahrhunderts  re- 
gierte.8 


1  Vgl  auch  Weber,  im  Liter.  Centralbl.  1872,  p.  613.  Pischel 
a.  a.  0.  p.  1237. 

•  Nach  dem  Kävyaprakäca  empfingen  Dhavaka  u.  A.  reiche  Beloh- 
nung von  priharsha,  und  die  Scholien  bezeichnen  den  letzteren  als  König, 
Dhavaka  aber  als  den  eigentlichen  Autor  der  Ratnavali  (vgl.  Weber, 
Uter.  Centralbl.  1872  p.  614).  (Ein  neuerer  ScholiaBt  nennt  statt  Dha- 
vaka vielmehr  Bäna,  ohne  jedoch  die  Ratnavali  dabei  als  dessen  Werk 
zu  nennen;  cf.  Hall,  Väsavadatta,  pr.  p.  XVI;  Weber,  a.  a.  0.) 

3  Der  Kürze  halber  darf  man  wohl  auch  „Criharsba's  Dramen" 
sagen,  wie  man  von  £üdraka's  Mricchakatika  spricht. 

*  Aus  dem  heutigen  Berar;  vgl.  M.  Müller,  Indien  in  s.  w.  Bed. 
p.  288. 

*  Vgl.  Wilson,  Theater  der  Hindus,  Th.  II,  Einl.  p.  4  (deutsche 
Ausgabe). 

•  Vgl.  M.  Müller,  Indien  in  s.  w.  Bed.  p.  286—288;  Bhandarkar 
.in  der  Vorrede  zu  seiner  Ausgabe  des  Mälatimidhava. 


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-   648  — 

Von  diesem  Dichter1  sind  uns  drei  Dramen  erhalten:  Das 
Malatimädhava  oder  Malati  und  Madha?a,  das  Mahavira- 
carita  und  das  Uttararämacarita,  Dieselben  sind  reich 
an  poetischen  Schönheiten.  Bhavabhüti  versteht  es,  in  den 
Schilderungen  der  Natur  auch  das  Grosse  und  Erhabene  vor- 
zuführen, wie  es  z.  B.  eine  Berglandschaft  bietet  Dies  finden 
wir  im  Ganzen  bei  den  indischen  Dichtern  nicht  häufig,  90 
hervorragend  sie  auch  in  der  Auffassung  des  Zarten  und  Schönen 
in  der  Natur  sind,  und  schon  Wilson  erkannte  darin  wohl  mit 
Recht  den  Einfluss  der  südlichen  Berge,  in  denen  des  Dichters 
Heimath  lag.*  Derselbe  bewährt  sein  Talent  vor  Allem  in  der 
Darstellung  der  zarteren,  feinen,  edlen  und  innigen  Empfin- 
dungen des  menschlichen  Gemüths  und  in  der  Zeichnung  von 
Charakteren,  deren  Schwerpunkt  nach  dieser  Seite  hin  liegt 
Tiefe  und  Kraft  menschlicher  Leidenschaft»  vor  Allem  der  Liebe, 
versteht  er  zum  Ausdruck  zu  bringen,  Hoheit  und  A<fol  der 
Gesinnung  weiss  er  zu  schildern.  Dagegen  tritt  bei  ihm  das 
Komische  und  Witzige  mehr  in  den  Hintergrund  und  ist  es  in 
dieser  Hinsicht  ganz  charakteristisch,  dass  seinen  Stücken  die 
Gestalt  des  Vidüshaka  fehlt3 

Das  bekannteste  und  beliebteste  von  den  Dramen  des 
Bhavabhüti  ist  das  Malatimadhava  oder  Malati  und  Ma- 
dhava,  ein  Stück,  das  zu  der  'Gattung  der  Prakarana's  ge- 
rechnet wird  und  zehn  Akte  umfasst.  Wir  könnten  es  viel- 
leicht am  besten  ein  bürgerliches  Schauspiel  nennen,  doch  ist 
auch  diese  Bezeichnung  nicht  ganz  treffend.  Es  spielt  dieses 
Stück  wiederum  in  Ujjayini  und  behandelt  die  Liebesgeschichte 
der  Malati,  einer  Tochter  des  Staatsministers  Bhürivasu  und 
des  Madhava,  eines  jungen  Mannes,  der  in  Ujjayini  studirt, 
Sohnes  des  Devaräta,  der  bei  einem  andern  Fürsten  Minister 
ist  In  diese  Hauptfabel  ist  sehr  geschickt  auch  die  Liebes- 
geschichte des  Makaranda,  eines  Freundes  dos  Madhava,  und 
der  Madayantika  verwebt  Als  eifrige  Vermittlerin  dieser  zarten 
Beziehungen  erscheinen  ein  paar  buddhistische  Nonnen;  vor  Allem 
die  würdige  Kämandaki,  Amme  der  Mälati  und  Lehrerin  des 
Madbava;  ferner  deren  Schülerinnen  Saudamini,  Buddharakshita 


1  Man  beachte  hinsichtlich  Bhayabhüti's  auch  den  werthvollen  Ar- 
tikel von  Anundoram  Borooah,  Bhavabhnti  and  hls  place  in  Sanscrit 
Literatare,  Calcutta  1878.  —  Desgleichen  die  Introduction  sn  F.  Nete's 
Uebersetzung  des  Uttararämacarita  (Le  Denouement  de  rHUtoire  de 
R&ma  cet.   Bruxellet-Paris  1880). 

*  S.  Wilson,  a.  a.  0.  p.  4. 

1  Vgl.  anch>Piachel,  a.  a.  0.  p.  1228.  1229 


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-    649  — 


und  Avalokita.  In  grellem  und  grausigem  Contrast  zu  diesen 
mit  Liebe  gezeichneten  Anhängerinnen  des  Buddha  steht  Aghora- 
ghanta,  Priester  der  Camuncja,  d.  i.  Durgä,  der  entsetzlichen 
Gemahlin  des  Qiva,  deren  Dienst  mit  Menschenopfern  verbunden 
ist,  und  KapAlakundala,  Priesterin  derselben  Gottheit. 

Der  Inhalt  ist  in  Kürze  etwa  folgender.  Mälati  und  Ma- 
dhava sind  als  Kinder  von  ihren  beiderseitigen  Vätern  für  ein- 
ander bestimmt  worden.  Inzwischen  aber  haben  sich  die  Be- 
ziehungen einigermassen  geändert  Madhava  studirt  in  Ujjayini, 
ohne  etwas  von  jener  früheren  Abmachung  der  Väter  und  von 
Malati  überhaupt  zu  wissen,  und  Bhürivasu,  Malati 's  Vater,  hat 
einem  ausdrücklichen  Wunsche  des  Königs  zufolge  bestimmt, 
dass  seine  Tochter  sich  mit  Nandana,  dem  Günstling  des  Für- 
sten, vermählen  solle.  Die  Nonne  Kamandaki,  Amme  der  Malati, 
ist  die  Einzige,  welche  jene  alte  Abmachung  in  treuem  Ge- 
dächtniss  behalten  hat  und  nun  behutsam  und  fein  die  Faden 
der  Liebesintrigue  anknüpft,  wobei  sie  von  ihren  Schülerinnen 
eifrigst  unterstützt  wird. 

Malati  und  Madhava  haben  sich  wiederholt  gesehen  und 
sind  in  einander  verliebt  Es  kommt  zum  Austausch  beider- 
seitiger Zeichen  der  Neigung;  Kränze,  Bilder,  die  sie  gegen- 
seitig von  einander  gemalt,  spielen  dabei  eine  Rolle.  Endlich 
folgt  eine  Scene,  wo  sie  in  Gegenwart  der  alten  Nonne  und 
anderer  Freunde  auch  in  Worten  sich  verstehen,  wenn  es  auch 
fuVs  Erste  bei  den  zartesten  Andeutungen  bleibt  Grausam 
tritt  die  Verkündigung  von  Malati's  bevorstehender  Hochzeit 
mit  dem  Königsgünstling,  den  sie  durchaus  nicht  mag,  dar 
zwischen.  Beide  sind  sehr  unglücklich.  Da  wird  Malati  von 
dem  Priester  und  der  Priesterin  jener  schrecklichen  Göttin 
Camundä  geraubt  Wir  werden  auf  das  Feld  geführt,  wo  die 
Leichen  verbrannt  werden.  Dort  steht  der  Tempel  der  Göttin 
Schon  soll  im  Dunkel  der  Nacht  die  grausige  Geremonie  vor 
sich  gehen,  Malati  als  Opfer  am  Altare  geschlachtet  werden, 
da  erscheint  Madhava  als  Retter.  Ein  glückliches  GescBick  hat 
ihn  in  die  Nähe  des  Tempels  gefuhrt,  er  hört  die  Stimme  der 
Geliebten,  er  dringt  hinein,  erschlägt  den  schändlichen  Priester 
und  befreit  die  Geliebte.  Die  Hochzeit  der  Malati  mit  dem 
Günstling  des  Königs  soll  nichtsdestoweniger  stattfinden.  Hier 
üben  die  Freunde  nun  einen  lustigen  Streich  aus.  Makaranda, 
der  Freund  des  Madhava,  welcher  zugleich  der  Geliebte  Mada- 
yantika's,  der  Schwester  des  Günstlings,  ist  und  dieser  vor  einem 
Tiger  das  Leben  gerettet  hat,  wird  in  Malati's  Kleider  gesteckt 
und  an  ihrer  Stelle  mit  dem  Günstling  vermählt,  —  ein  Motiv, 


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—    650  — 


das  uns  bekanntlich  auch  bei  Shakespeare  begegnet  Natürlich 
spielt  nachher  der  junge  Mann  als  Neuvermählte  dem  Günst- 
ling übel  mit  Nach  einer  Scene,  in  welcher  sich  Mälaü  und 
Mtidhava  zum  ersten  Mal  in  den  Armen  liegen,  wird  Malati 
Ton  der  rachsüchtigen  Priesterin  der  Schreckensgöttin  geraubt. 
Eine  zaubermächtige  Schülerin  der  buddhistischen  Nonne  be- 
freit sie  aber  wieder  und  fuhrt  sie  dem  verzweifelnden  Madhava, 
der  sich  schon  das  Leben  nehmen  will,  in  die  Arme.  Das  Stück 
endigt  mit  der  glücklichen  Vereinigung  beider  Liebespaare. 

Nicht  unzutreffend  nennt  Klein  dies  Stück  des  Bhava- 
bhuti  „Das  Romeo  und  Julia-Drama  der  Inder  mit  glücklichem 
Ausgang;  leidenschaftsvoll,  aber  nicht  tragisch."1  Schon  das 
erste  Auftreten  des  Madhava  erinnert  an  das  des  Helden  der 
Shakespeareschen  Tragödie.  Sein  Freund  Makaranda  sieht  ihn 
kommen  und  deutet  seine  Stimmung  an: 

Ha!  dort  kommt  er  — 
Doch  Etwas  trübt,  verstört  ihn,  denn  sein  Gang 
Zeigt  nicht  den  muntern  Schritt  von  sonst;  ins  Leere 
Starrt  hin  sein  Aug',  in  Unordnung  erscheint 
Sein  Anzug;  schwer  von  Seufzern  wogt  die  Brust  u.  s.  w. 

Madhava  (eintretend,  für  sich) 

S'ist  seltsam,  höchst  seltsam,  mein  irrer  Oeist 
Kehrt  mir  nicht  mehr  zurück.   Selbstachtung,  Scham, 
Vergessne  Scham,  Beherrschung,  Mannheit,  Urtheil, 
Sie  ruhn,  verkehrten  Sinns,  auf  einem  Bild, 
Dem  Bilde  des  mondwangig  holden  Wesens 
Ein  Wunder  nur  durchgoss  mit  höhrer  Kraft 
Mein  ganzes  Selbst,  als  ich  verzückt  sie  schaute  — 
Und  wie  getaucht  in  Himmelsnektar  glüht  mein  Herz 
Berückend  Lustgefühl!   Zu  spat,  ach,. fühl'  ich's: 
Verzehrend  Feuer  nähr'  ich  in  der  Brust. 

Dann  schildert  er  schwärmerisch  entzückt  dem  Freunde 
den  Eindruck,  welchen  Malati  beim  ersten  Anblick  auf  ihn 
gemacht: 

Wie  möchten  Worte  dir  den  Eindruck  schildern?  .  .  . 

Der  Augen  Wirkung,  dieser  süssen  Augen, 

Die,  strahlend  schüchtern  sanft  in  feuchtem  Schmachten 

Mein  Herz  aufsogen;  aus  dem  Busen  mir's, 

Von  Wunden  triefend,  mit  den  Wurzeln  rissen  .  .  . 

Des  Mondes  thauger  Strahl,  der  eisge  Strom, 

Vermögen  nicht  die  Fiebergluth  zu  kühlen, 

Die  mich  verzehrt,  und  wie  ein  Feuerrad 

Schwingt  rastlos  um  mein  Oeist  und  ruhelos.* 


1  J.  L.  Klein,  Geschichte  des  Dramas.  Bd.  III,  Leipzig  186G,  p  136. 
•  Vgl.  Klein,  a.  a.  0.  p.  139.  140. 


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—   651  — 

Die  vermittelnde  Rolle,  welche  die  Nonne  K&mandaki  spielt, 
erinnert  lebhaft  an  die  des  Pater  Lorenzo  bei  Shakespeare. 
Einen  wirkungsvollen,  wenn  auch  bisweilen  etwas  zu  grellen 
Contrast  zu  den  Scenen,  wo  die  zarteste,  innigste  Liebesempfin- 
dung zum  Ausdruck  kommt,  bilden  diejenigen,  in  welchen  der 
Priester  und  die  grassliche  Priesterin  der  Schreokensgöttin 
Camunda  auftreten.  Etwas  zu  häufig  finden  hier  wie  auch 
sonst  bei  Bhavabhüli  die  Ohnmächten  statt,  von  denen  sich  die 
betreffenden  Personen  übrigens  meist  recht  bald  wieder  erholen. 

Herausgegeben  ist  das*  Malati madhava  nebst  einer  vor- 
trefflichen Einleitung  von  Ramkrishna  Gopal  Bhandarkar 
(Bombay  1876). 1  Eine  englische  Uebersetzung  des  Stückes 
Teröffentlichte  schon  H.  H.  Wilson*  und  darnach  wurde  das- 
selbe (von  0.  L.  B.  Wolff)  auch  in's  Deutsche  übertragen.3  Die 
erste  nach  dem  Original  verfasste  deutsche  Uebersetzung  ver- 
danken wir  dem  schon  oft  genannten  Ludwig  Fritze.4 

Die  beiden  anderen  Stücke  des  Bhavabhüti  haben  den- 
selben Nationalheros  zu  ihrem  Helden.  Das  Mahaviracarita 
oder  Leben  und  Thaten  des  grossen  Helden,  behandelt  in  sieben 
Akten  die  Geschichte  des  Rama,  wie  dieselbe  im  Epos  geschil- 
dert wird  und  uns  der  Hauptsache  nach  bereits  bekannt  ist. 
Die  Abweichungen  des  Dramatikers  von  der  Fabel  des  Epos 
sind  nicht  wichtig  genug,  um  erwähnt  werden  zu  müssen.  Die 
Zahl  der  auftretenden  Personen  ist  dem  Stoffe  entsprechend 
eine  sehr  grosse  und  echtromantisch  bunt  zusammengesetzte. 
Da  haben  wir  ausser  dem  berühmten  Heros,  den  Königen, 
Prinzen  und  Prinzessinnen,  Götter  wie  Indra,  Halbgötter  wie 
Paracuräma,  heilige  Weise  wie  Vicvamitra,  Riesen  und  Riesinnen, 
Geister,  Dämonen,  die  Affonfursten  Bali,  Sugriva  und  Hanuman, 
zwei  mythologische  Geierfürsten,  Ja^ayu  und  Samp&ti,  die  sich 
in  schwungvollem  Dialog  von  Rama's  Thaten  und  Siegen  unter- 


1  Schon  frflher  Calcutta  1830;  ferner  ?on  Trithen  im  Jahre  1848; 
toq  Jlvan&nda  Vidy&sAgara,  Calcutta  1876;  von  Viveka  Kalanidhi,  Ma- 
drat 1883. 

*  In  seinen  Select  Spedmens  of  the  Theatre  of  the  Hindus  (So.  III), 
aoeh  jetzt  —  obschon  vielfach  stark  veraltet  —  das  umfassendste  Werk 
Qber  indische  Dramatik  (Calcutta  1826). 

•  Theater  der  Hindus,  Th.  II  (Weimar  1831). 

4  Malati  und  Madhava.  Ein  indisches  Drama  von  Bhavabhüti. 
Zum  ersten  Male  und  metrisch  aus  dem  Original  in's  Deutsche  übersetzt 
Leipzig  1884  (Reclam,  Univ.-Bibl.  No.  1844).  —  Eine  franaös.  üeber- 
letaung  unter  dem  Titel  Madhava  et  Malati  ist  von  O.  8trehly  ver- 
öffentlicht, Paris  1886;  derselben  ist  ein  Vorwort  von  Bergaigne  bei- 
geben. 


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-    652  - 

halten  u.  dgl.  hl  Die  Sprache  ist  kräftig  und  klar,  dem  he- 
roischen Stoffe  angemessen. 

Scenisch  bemerkenswert,  insofern  man  sieht,  wie  viel  hier 
der  Phantasie  der  Zuschauer  zugemuthet  wird,  ist  der  letzte 
Akt,  in  welchem  Rama  mit  den  Seinigen  einen  Wagen  besteigt, 
um  durch  die  Luft  aus  Ceylon  nach  Ayodhya  heimzufahren. 
Die  Reisenden  thun,  als  führe  der  Wagen  durch  die  Luft  und 
es  beschreibt  immer  eine  Person  der  GeselÄfchaft  die  Gegenden, 
über  welche  sie  angeblich  hinfliegen,  so  Rama's  Brücke,  da* 
Malaya-Gebirge,  Agastya's  Einsiedelei  u.  s.  w.  Sie  steigen  hoch 
in  die  Luft  bis  in  die  Nähe  der  Sonne,  landen  auf  der  Spitze 
des  Himalaya- Gebirge  und  gehen  von  dort  nach  Ayodhya 
hinunter.    Mit  der  Krönung  Rama's  schliesst  das  Stück.1 

Das  dritte  Schauspiel  des  Bhavabhüti,  Uttararämaca- 
rita  oder  „die  weiteren  Schicksale  des  Rama"  genannt,  schil- 
dert Rama'8  und  Sitä's  Erlebnisse  nach  der  Besiegung  des 
Ravana  und  glücklichen  Heimkehr  nach  Ayodhya.  Es  ist  dies 
ein  durch  hohe  Schönheiten  ausgezeichnetes  Drama,  in  welchem 
die  zärtliche  Gattenliebe  des  Helden  und  der  Heldin  verherr- 
licht wird  und,  durch  Trübsal  und  bitteres  Weh  geläutert,  im 
Glorienscheine  der  Verklärung  schimmert.  Romantisch  in  seiner 
ganzen  Anlage  und  Entwicklung,  erinnert  dieses  Stück  in  meh- 
reren Punkten  überraschend  an  Shakespeare.  —  Das  Volk  von 
Ayodhya  will  sich  nicht  von  Sita's  Schuldlosigkeit  in  ihrem 
Verhältniss  zu  Ravana  überzeugen  lassen  und  setzt  ihre  Ver- 
bannung durch.  Mit  blutendem  Herzen  muss  sich  Rama  fügen 
Die  Ruhe,  das  Wohl  des  Volkes  fordern  dieses  fast  übermensch- 
liche Opfer.  Fern  von  ihm  gebiert  Sita  zwei  Knaben,  Kuca 
und  Lava,  die  von  Ganga  und  der  Erdgöttin  in  Schutz  ge- 
nommen, der  Mutter  entzogen,  unter  Aufsicht  des  Dichterweisen 
Välmiki,  des  Verfassers  des  Ramäyana,  aufwachsen.  Im  ersten 
Akte  noch  nicht  geboren,  treten  sie  uns  späterhin  als  streitbare 
Jünglinge  entgegen,  die  wie  junge  Löwen  sich  im  Kampfe  be- 
währen. Ohne  etwas  von  ihrem  königlichen  Ursprung  zu  wissen, 
sich  für  Söhne  des  V&lmiki  haltend,  bei  dem  sie  leben,  sind 
sie  in  der  Wrldniss  aufgewachsen  und  haben  von  ihrem  weisen 
Lehrmeister  das  Lied  von  Rama's  Thaten  gelernt  Dies  Prinzen- 
paar und  sein  Verhältniss  zu  dem  Einsiedler  Valmiki  erinnert 
merkwürdig  an  die  Prinzenbrüder  Gniderius  und  Arviragus,  die 

1  Das  Mahavlracarita  ist  herausgegeben  von  F.  H.  Tritben, 
London  1848;  desgl.  mit  sanskrit-engl.  Glossar  von  Anund.  Borooah. 
Calcutta  1877.  —  In's  Englische  wurde  dasselbe  übersetzt  von  J.  Pick- 
ford, London  1871. 


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in  Shakespeare^  Cymbeline  unter  der  Aufsicht  des  verbannten, 
als  Einsiedler  lebenden  Bellarius  aufgewachsen  sind.1 

Zwölf  Jahre  sind  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Akt 
dahingegangen,  Jahre  des  bittersten  Trennungsschmerzes  für 
die  liebenden  Gatten.  Geduldig  und  ergeben  trägt  Sita  ihr 
schweres  Geschick,  .verbannt,  allein,  ohne  den  Gatten,  ohne  die 
Kinder  leben  zu  müssen  unter  dem  schweren  Druck  einer  un- 
würdigen Anklage.  Reizend  und  herzbewegend  ist  die  Erschei- 
nung der  frommen  Dulderin  geschildert  Ihre  hülfreiche  Freun- 
din, die  Flussgöttin  Tamasa,  sieht  sie  kommen  und  sagt: 

Sieh,  Sita  ist's!  —  Wie  hold  erscheint 
Ihr  Angesicht,  oh  auch  verweint. 
Und  durch  das  Haar,  das  lose  wallt, 
Blickt  reizend  ihre  Huldgestalt. 
Sie  geht  einher  wie  Zärtlichkeit, 
Gehüllet  in  ein  irdisch  Kleid; 
Sie  dünkt  mir  wie  der  stille  Gram 
Verkörpert,  dem  der  Trennung  Schmerz 
Gebrochen  hat  das  zarte  Hers 
Und  dem  der  Abschied  Alles  nahm.1 

Durch  göttliche  Fügung  anderen  Wesen  unsichtbar  weilt 
sie  in  der  Wildniss,  von  freundlichen  Gottheiten  gestützt  und 
getröstet.  Neue  Thaten,  die  Rama  vollbringen  muss,  führen 
ihü  dorthin,  wo  er  vor  Jahren  einst  mit  ihr  vereint  in  der 
Verbannung  selige  Zeiten  verlebt  hat,  und  hier  entwickelt  sich 
eine  unendlich  rührende  Scene,  in  welcher  Sita  dem  geliebten 
Manne  nah  ist,  ohne  dass  er  sie  sehen  kann.  Der  Anblick  der 
bekannten  Gegend,  die  schmerzliche  Erinnerung  an  das  ent- 
schwundene Glück,  das  er  einst  hier  genossen,  überwältigt  Rama 
und  laset  ihn  ohnmächtig  zu  Boden  sinken.  Sita,  vor  süssem 
Weh  kaum  ihrer  selbst  noch  mächtig,  kniet  nieder,  fasst  mit 
einer  Hand  die  Hand  des  Gatten  und  legt  die  andere  Hand 
ihm  auf  die  Stirn.  Ihre  Berührung  giebt  ihm  das  Leben  wieder, 
er  fühlt  ihre  Nähe,  er  ruft  nach  ihr,  aber  er  sieht  sie  nicht. 
Er  will  verzweifeln,  Sita  vergeht  fast  vor  Schmerz,  die  zärtlich 
liebenden  Gatten  sind  sich  so  nah  und  doch  unerbittlich  ge- 
trennt! Wie  schön  ist  dies  erdacht,  wie  wirkungsvoll!  —  In 
einer  späteren  Scene  folgt  eine  Begegnung  zwischen  Lava,  dem 
einen  von  Rama's  und  Sita's  Söhnen,  mit  seinen  Grosseltern, 
dem  alten  König  Janaka  von  Mithilä  und  Rama's  Mutter  Kau- 
calya,  denen  er  von  dem  grossen  Liede  Välmiki's  zu  Ehren 


1  Diesen  Vergleich  zieht  schon  Klein,  a.  a.  0.  p.  191. 
'  Vgl.  Theater  der  Hindus,  Bd.  II  p.  317. 


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des  Helden  Rama  begeistert  zu  erzählen  weiss,  ohne  zu  ahnen, 
dass  er  selbst  Rama's  Sohn  und  selbst  der  kleine  Held  von 
Sitä's  Kindesnöthen  ist,  die  das  Gedicht  erwähnt.  Der  muthige 
Knabe  geräth  in  Streit  mit  seinem  Vetter  Candraketu,  ein 
Kampf  beginnt,  in  welchem  beide  sich  prächtig  ritterlich  be- 
nehmen, doch  Lava  geht  als  Sieger  aus  dem  Kampf  hervor. 
Rama  erscheint  und  lernt  mit  freudigem  Staunen  den  jungen 
Helden  kennen,  dessen  ganze  Art  ihm  königliche  Abstammung 
bekundet  Wie  der  Jüngling  erfährt,  dass  Rama  selbst,  der 
gefeierte  Held  des  grossen  Gedichtes  vor  ihm  steht,  da  beugt 
er  ehrfurchtsvoll  das  Knie  vor  ihm;  aber  Rama  hebt  ihn  auf 
und  zieht  ihn  an  sein  Herz.  Nun  kommt  auch  der  andere 
Bruder,  Kuca,  herbei,  ein  junger  Löwe,  schon  jetzt  ein  Held 
in  der  Erscheinung,  so  dass  Räma  überrascht  ausruft: 

Welch  kühnes  Wesen  athmet  dieser  Jüngling, 
Welch  edler  Trotzblick  strahlt  aus  seinem  Aug. 
Es  ist,  als  dünken  Welten  ihm  in  Waffen 
Nur  Riedgras,  das  sei;;' Fuss  zu  Boden  tritt. 
Die  Erde  schüttert  unter  seinem  stolzen  Schritt, 
Und  obgleich  zart  an  Jahren,  zeigt  er  doch 
Felsartgen  Wuchs.   Ein  sterblich  Wesen?  —  oder 
Des  Muthes  Geist  in  menschlicher  Gestalt?1 

Auch  er  beugt  ehrfurchtsvoll  das  Knie  vor  Rama.  Die 
jungen  Helden  werden  nach  Valmikis  grossem  Gedichte  aus- 
gefragt und  Kuca  recitirt  einige  Verse,  die  Rama's  und  Sita'g 
Liebe  schildern,  so  dass  Rama  von  Rührung  überwältigt  wird: 

Ich  kann  nicht  hemmen  meine  Thranen,  — 
So  treu  ist  dies  geschildert!1 

Und  er  versinkt  in  die  Erinnerung  des  verlorenen  Glücks. 

Im  siebenten  und  letzten  Akte  lässt  Lakshmana  in  Val- 
miki'8  Auftrag  vor  Rama  und  den  Seinigen  ein  Drama  im 
Drama  auffuhren.  Götter  und  Menschen,  Geister  der  Erde, 
der  Luft  und  des  Meeres  sollen  als  Zuschauer  erscheinen.  Dies 
Drama  im  Drama  erinnert  wieder  merkwürdig  an  die  berühmte 
Scene  im  Hamlet  König  Rama's  Herz  will  fast  zerspringen 
vor  Weh,  denn  auf  der  Bühne  erscheint  die  geliebte  Sita  selbst, 
die  er  verbannen  musste,  geleitet  von  zwei  göttlichen  Frauen, 
der  Erde  und  der  Flussgöttin  Gangä,  von  denen  jede  ein  neu- 
geborenes Kind  der  Sita  auf  dem  Arme  trägt  Ueberwältigt 
von  dem  Eindruck  will  Rama  hin  zu  ihr  und  nur  mit  Mühe 


1  S.  Klein,  a.  a.  0.  p.  195. 
•  S.  Klein,  a.  a.  0.  p.  197. 


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hält  ihn  der  Bruder  zurück,  ihm  bedeutend,  es  sei  ja  nur  ein 
Spiel.  Nun  spielt  sich  vor  dem  hocherregten  König  ab,  was 
Sita  wirklich  erlebt  hat.  Es  endigt  mit  einer  glänzenden  Recht- 
fertigung der  Sita  aus  Göttermund.  Das  Volk  von  Ayodhyä 
wird  aufgerufen,  seinen  Irrthum  zu  erkennen  und  die  edle, 
reine  Königin  voll  Ehrfurcht  bei  sich  aufzunehmen.  Himm- 
lische Zeichen  begleiten  die  herrliche  Scene,  das  Volk  beugt 
sich  vor  der  Dulderin,  und  Valmiki,  der  weise  Seher  und 
Dichter,  fuhrt  den  entzückten  Eltern  ihre  Heldensöhne  Kuca 
und  Lava  in  die  Arme,  die  ja  auch  Sita  jetzt  zum  ersten  Male 
an  ihr  Herz  schliessen  darf.  Ein  schönes,  gedankenvolles  Schluss- 
wort aus  König  Rama's  Munde  scnliesst  das  Stück.1 

Unter  den  zahlreichen  sonstigen  Dramen  der  Inder  ver- 
dient das  Mudrarakshasa  oder  „das  Siegel  des  Ministers  * 
Rakshasa41  von  VicAkhadatta  besonders  hervorgehoben  zu 
werden.  Es  ist  dies  ein  politisches  Intriguenstück,  unleugbar 
mit  grossem  dramatischem  Talent  componirt,  voller  Leben,  Be- 
wegung, Spannung.  Ja,  Pischel  nennt  den  dritten  Akt  des 
Mudrarakshasa  geradezu  „ein  Meisterwerk  dramatischer  Kunst", 
das  durch  nichts  in  Indien  überboten  werde.9  Es  legt  dies 
von  den  bisher  besprochenen  Dramen  ganz  verschiedene,  seinen 
ganz  besonderen  Charakter  habende  Stück  ein  glänzendes  Zeug- 
niss  ab  von  der  Vielseitigkeit  des  dramatischen  Genius  der 
Inder.  Die  Entstehungszeit  desselben  ist  leider  noch  nicht  ganz 
sicher  gestellt.  Wilson  wollte  es  in  das  11.  oder  12.  Jahr- 
hundert nach  Chr.  setzen;  Pischel  glaubte  den  Anfang  des 
11.  Jahrhundert's  (ca.  1010)  als  Lebenszeit  des  Vicäkhadatta 
annehmen  zu  müssen;8  neuerdings  aber  hat  der  Inder  Kashi- 
nath  Trimbak  Telang  den  Nachweis  zu  liefern  gesucht,4 
dass  das  Stück  nicht  so  späten  Ursprungs  sein  könne,  sondern 
etwa  dem  7.  oder  8.  Jahrhundert  angehören  dürfte.  Seinen 
Aufführungen  stimmt  Alfred  Hillebrandt  im  Wesentlichen 
bei  und  sucht  es  wahrscheinlich  zu  machen,  dass  Vic&khadatta 
annähernd  ein  Zeitgenosse  Hiuen  Thsang's  gewesen,  also  im 

1  Herausgegeben  ist  das  Uttararamacarita  in  Calcutta  1831; 
Madras  1882  (2.  ed.).  Eine  eDglische  Uebersetzung  veröffentlichte  H.  H. 
Wilson,  Calcutta  1826  (Heft  IV  der  Select  Spec.  of  the  Theatre  of  tbe 
Hind.);  eine  französische  Y  Neve  (Le  Dönouement  de  l'Histoire  de  Rama, 
Outtara- Rama-Charita,  Drame  de  Bhavabhuti;  trad.  du  Sanscrit  avec  une 
introduetion  sur  la  vie  et  les  oeuvres  de  ce  poete).  Bruxelles-Paris  1880. 

■  8.  Pischel,  a.  a.  0.  p.  1227. 

•  S.  Pischel,  a.  a.  0.  p.  1226.  1227. 

4  In  der  Einleitung  zu  seiner  Ausgabe  des  Mudrarakshasa,  Bom- 
bay 1884. 


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siebenten  Jahrhundert  nach  Chr.  lebte.1  Diese  Anuaiftne,  die 
freilich  noch  nicht  als  gesichert  betrachtet  werden  darf,  hat 
auch  darum  etwas  Bestechendes,  weil  damit  dies  vorzügliche 
Stück  der  Blüthezeit  des  indischen  Dramas  zugewiesen  würde, 
in  welche  man  es  seiner  Qualität  nach  gerne  setzen  möchte. 

Das  Mudrarakshasa  spielt  zur  Zeit  des  berühmten  Königs 
Candragupta  (Sandrakottos),  welcher  bald  nach  Alexander  d.  Gr. 
den  letzten  König  der  Nanda-Dynastie  in  Pataliputra  entthronte 
und  ein  mächtiges  Reich  begründete.  Rakshasa,  der  Minister 
des  letzten,  um  Thron  und  Leben  gekommenen  Nandu,  will  um 
keinen  Preis  Candragupta's  Herrschaft  anerkennen,  sucht  viel- 
mehr im  Bunde  mit  früheren  Bundesgenossen  seines  Herrn  den 
Tod  desselben  an  dem  glücklichen  Nebenbuhler  zu  rächen.  Die 
Handlung  des  Stückes  dreht  sich  nun  wesentlich  darum,  dass 
der  Brahmane  Canakya,  Minister  des  Candragupta,  sich  bemüht 
mit  allen  Mitteln,  einer  ganzen  Reihe  von  Intriguen  und  mac- 
chiavellistischen  Machinationen,  den  durch  viele  vorzügliche 
Eigenschaften  hervorragenden  Rakshasa  seinem  Bundesgenossen 
abspenstig  zu  machen  und  für  die  Sache  des  Candragupta  zu 
gewinnen.  Er  bringt  es  zu  Stande,  den  Rakshasa  seinem  Bundes- 
genossen, dem  Prinzen  Malayaketu,  dermassen  verdächtig  zu 
machen,  dass  dieser  ihn  vollständig  fallen  lässt  und  von  sich 
stösst  Den  Ausschlag  aber  giebt  flir  Rakshasa  der  Umstand, 
dass  sein  Freund,  ein  Juwelier,  der  für  ihn  bei  Candragupta 
Bürgschaft  geleistet  hat,  hingerichtet  werden  soll.  Da  stellt  er 
sich  dem  Feinde  und  bietet  sein  Leben  für  das  des  Freundes. 
Er  wird  aber  nicht  nur  nicht  gestraft,  sondern  durch  Verleihung 
des  Dolches,  des  Zeichens  der  Ministerwürde,  für  immer  an 
Candragupta's  Sache  gefesselt.* 

Ein  Stück,  das  jedenfalls  im  10.  Jahrhundert  schon  be- 
kannt und  beliebt  gewesen  sein  muss,5  wenn  wir  auch  seine 

1  In  seiner  Anzeige  der  Telang'schen  Ausgabe,  Ztschr.  d.  D  M.  ö 
XXXIX,  Heft  1,  p.  130—132. 

*  Als  Ausgabe  des  Mudrarakshasa  ist  die  von  Kashinath  Trim- 
bak  Telang  zu  empfehlen,  Bombay  1884  (Bombay  Sanskrit  Series 
XXVII;  vgl.  Hillebrandt's  Anzeige  Ztschr.  d.  M.G.  XXXIX  p.  107  flg 
—  Weniger  befriedigend  waren  die  früheren  Ausgaben,  von  denen  eine 
i.  J.  1831  in  Calcutta  erschien,  eine  andere  von  Taranatha  Tarkavi- 
caspati  i.  J.  1870  (samvat  1926),  eine  dritte  von  Jivananda  Vidya- 
sagara  i.  J.  1881  veröffentlicht  wurde.  In's  Englische  übersetxt  von 
Wilson  (Select  Specimens  cet  No.  V;  Calcutta  1826).  Deutsch  bearbeitet 
von  0.  Wilmans.  Eine  Probe  davon  im  Magazin  f.  d.  Lit  des  Aus- 
landes 1833,  No.  55.  56. 

»  Vgl.  Weber,  Lit.  Centralbl.  f.  1872  p.  612;  Ind.  Lit.,  2.  Ann, 
p.  224. 


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Entstehungszeit  näher  nicht  präcisiren  können,  ist  Bhatta 
Narayana's  Veniaanihara,  das  Binden  der  Haarflechte,  ein 
Drama  in  sechs  Akten.  Der  Stoff  ist  dem  Mahabharata  ent- 
nommen und  hat  seinen  Schwerpunkt  in  jenem  Vorfall,  wo 
Draupadl  von  ei#em  der  Brüder  des  Duryodhana  an  den  Haaren 
in  die  Versammlung  geschleift  wird.  Poetisch  steht  das  Stück 
nicht  hoch,  ist  aber  seit  lange  bei  den  Indern  in  weiten  Kreisen 
beliebt,  weil  es  mit  ausgesprochener  Tendenz  den  Krishna  ver- 
herrlicht, dessen  Anhänger  bekanntlich  sehr  zahlreich  sind.1 

Etwa  um  das  Jahr  900  nach  Chr.  lebte  der  Dramatiker 
R&ja£ekhara,*  welcher  besonders  durch  seine  leichte  und  ge- 
fällige Sprache  ausgezeichnet  ist  Von  ihm  sind  uns  vier  Dramen 
erhalten:  das  Balaramäyana 3  und  das  Pracandapaijdava 4  (auch 
Bälabharata  genannt),  die  ViddhacälabhaUjika6  und  die  Kar- 
püramafijari.6  Von  Kshemendra  oder  Kshemicvara,  einem 
Dramatiker,  welcher  wahrscheinlich  zu  Anfang  dos  11.  Jahr- 
hunderts in  Kanyakubja  unter  König  Mahipala  lebte,  stammt 
das  Candakaucika,  von  welchem  unter  dem  Titel  „Kausika's 
Zorn"  eine  Uebersetzung  durch  Ludwig  Fritze  veröffentlicht 
worden  ist.7 

Dem  11.  Jahrhuudert  gehört  auch  Dämodara  Mi$ra  an. 


1  Herausgegeben  von  J.  Grill,  Leipzig  1871.  In's  Englische  ist 
das  Stück  übersetzt  von  Sourindro  Mohun  Tagore,  Calcutta  1880. 

*  Wilson  hatte  für  Rajacekhara  das  Ende  des  11.  oder  den  An- 
fang des  12.  Jahrhunderts  angesetzt.  Pischel  suchte  die  Zeit  desselben 
anf  den  Anfang  des  11.  Jahrhunderts  zu  fixiren.  (Gött.  Gel.  Anz.  1883. 
Stack  39,  p.  1-221  flg.  1227.)  Nach  Cappeller 's  Ansicht  lebte  R.  etwa 
um  das  Jahr  1000  nach  Chr.  (S.  Einleitung  zum  Pracan(Jap.>  Seitdem 
aber  Peterson  neuerdings  gefunden,  dass  Rajacekhara  von  dem  Autor 
des  Yacastilaka  (^akasamvat.  881  -«959  nach  Chr.)  als  eine  literarische 
Berühmtheit  erwähnt  wird,  muss  man  circa  hundert  Jahre  weiter  zurück- 
gehen. Viel  früher  als  900  nach  Chr.  kann  aber  R.  nicht  angesetzt 
werden,  da  er,  wie  Pischel  gezeigt  hat,  „den  reizenden  Ratnakara"  citirt, 
einen  kaschmirischen  Dichter,  welcher  im  9.  Jahrhundert,  circa  um  das 
Jahr  850  nach  Chr.  lebte.  Vgl.  darüber  Bühl  er,  Oesterreich.  Monats- 
schrift für  den  Orient,  1885,  No.  12  p.  281.  (S.  auch  Pischel  a.  a.  0. 
p.  1222.) 

3  Herausgegeben  von  Govinda  Deva  Sästri,  Benares  1869;  desgl. 
von  Jlvananda  Vidyasagara,  Calcutta  1884. 

4  Neuerdings  herausgegeben  von  C.  Cappeller,  Strassburg  1885. 

5  Herausgegeben  von  Jlvananda  Vidyasagara,  Calcutta  1883. 

6  Herausgegeben  im  PanoMt,  Vol.  VII. 

T  Leipzig,  Reclam's  Universal-Bibl.  No.  1726.  Vgl.  Pischel's  An- 
zeige dieser  Uebersetzung,  Gött  Gel.  Anz.  1883.  Stück  39,  p.  1217  flg. 
Ueber  das  Zeitalter  des  Dichters  vgl.  ebenda  p.  1219  flg.  —  Der  Sanskrit- 
Text  des  Candakaucüca  ist  herausgegeben  von  Jayaumohana  Qarmau  im 
Jahre  1867  (Samvat  1924). 

t.  Schröder,  Indi«M  Lit.  u.  Cvlt.  42 


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der  Verfasser  des  Hanumannä^aka  oder  Mahänataka  (d.  i. 
das  grosse  Schauspiel).  Er  lebte  der  Tradition  zufolge  am  Hofe 
des  Königs  Bhoja  von  Mälava,  der  in  Dhara  und  Ujjayini  re- 
sidirte;  die  Zeit  dieses  Königs  wird  durch  eine  Inschrift  als 
das  11.  Jahrhundert  bestimmt  (vgl  Weber,  Iid.  Lit,  2  AufL, 
p.  218.  219).  Das  Hanumannätaka  behandelt  in  14  Akten  die 
uns  bekannte  Geschichte  des  Rama  und  steht  als  künstlerische 
Leistung  nicht  hoch.  Es  scheinen  mehrere  Hände  daran  ge- 
arbeitet zu  haben;  das  Stück  macht  den  Eindruck  eines  Flick- 
werks, einer  Zusammensetzung  von  Fragmenten.  Originell  genug 
sind  die  am  Schluss  gegebenen  Nachrichten  über  die  Geschichte 
des  Stückes.  Darnach  soll  kein  Geringerer  als  der  göttliche 
Affe  Hanuman  selbst,  der  ruhmreiche  Kampfgenoss  des  Rama, 
dies  Schauspiel  verfasst  und  auf  Felsen  niedergeschrieben  haben, 
ein  Schreibmaterial,  ganz  würdig  eines  so  erlauchten  Autors. 
Välmiki  aber  fürchtete,  die  Anmuth  dieser  Dichtung  werde 
sein  Ramäyana  ganz  verdunkeln  und  war  von  Schmerz  darob 
erfüllt  Da  war  der  göttliche  Affe  so  edelmüthig  und  so  wenig 
eitel,  dass  er  ihm  rieth,  die  versbeschriebenen  Felsen  ins  Meer 
zu  werfen.  So  geschah's  und  lange  ruhten  sie  verborgen,  bis 
viele  Jahrhunderte  später  einzelne  Theile  jener  Felsdichtung 
aufgefunden  und  zum  König  Bhoja  gebracht  wurden.  Auf 
seinen  Befehl  stellte  Däinodara  Micra  die  Fragmente  zusammen, 
ergänzte  die  Lücken  und  machte  ein  einheitliches  Werk  daraus. 
So  wird  das  Fragmentarische  des  Stückes  erklärt  und  ent- 
schuldigt 

Von  einem  Dichter  Jayadeva  stammt  das  Drama  Pra- 
sannaraghava.1  Es  ist  dies  aber  ein  anderer  Jayadeva  als 
der  Verfasser  des  Gltagovinda.' 

Nur  ein  einziges  Drama  will  ich  zum  Schluss  noch  etwas 
genauer  schildern,  da  mir  dasselbe  eines  der  eigenartigsten 
und  merkwürdigster  Produkte  der  indischen  Literatur  zu  sein 
scheint  und  jedenfalls  in  hohem  Grade  unsere  Beachtung  ver- 
dient Es  ist  dies  ein  allegorisches  Stück,  theologisch- philo- 
sophischen Inhalts,  in  weichem  so  gut  wie  nur  abstracte  Be- 
griffe, allegorische  und  symbolische  Gestalten  als  Personen  fun- 
giren  und  welches  nichtsdestoweniger  voll  dramatischen  Lebens, 
voll  Kraft  und  Spannung  in  der  Entwickelung  ist,  — ■  eine  Lei- 
stung, die  gewiss  keine  geringe  genannt  werden  darf.  Betitelt 


1  Herausgegeben  Ton  Govinda  Deva  Sastri  Ben  am  1868  ;  auch 
Madras,  1882  (3.  ed.). 

1  Vgl.  Pischel  a.  a.  0.  .p.  1222. 


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ist  dieses  Drama  Prabodhacandrodaya,  <L  h.  der  Aufgang 
des  Mondes  der  Erkenntniss.  Es  umfasst  sechs  Akte,  stammt 
frühestens  aus  dem  12.  Jahrhundert  nach  Chr.  und  hat  den 
Krishna-Mic,ra  zum  Verfasser.  Der  Text  desselben  ist  schon 
im  Jahre  1834  von  Hermann  Brockhaus  herausgegeben  wor- 
den-. Auch  besitzen  wir  eine  werthvolle  Uebersetzung  aus  der 
Feder  Goldstückers,  welche  mit  einem  doppelten  erläuternden 
Vorwort  im  Jahre  1842  von  Karl  Rosenkranz  herausgegeben 
wurde.1 

Die  Tendenz  des  Drama's  ist  eine  Verherrlichung  des  ortho- 
dox brahmanischen  Glaubens,  speciell  mit  vishnuitischer  Fär- 
bung. Man  kann  die  allegorischen  Dramen  Calderons,  die  den 
christkatholischen  Glauben  verherrlichen,  ungefähr  damit  ver- 
gleichen. Geist  und  Ton  der  Calderonschen  Stücke  sind  aber 
völlig  von  denen  des  indischen  Dramas  verschieden.  Ueber  den 
Schöpfungen  des  Spaniers  ruht  ein  Geist  religiöser  Weihe  und 
Feierlichkeit,  den  man  in  dem  Stücke  des  Inders  nicht  suchen 
darf.  Der  Reiz  des  letzteren  beruht  vornehmlich  in  der  Um- 
schaffung  der  abstracten  Begriffe  zu  wirklich  lebensvollen  Per- 
sonen. 

Es  treten  in  diesem  Drama  auf:  der  Urgeist,  das  Vor- 
stellungsvermögen ,  die  Offenbarung,  die  Vishpu  Verehrung,  die 
Beredsamkeit,  das  Nachdenken,  die  Leidenschaftslosigkeit,  der 
Wille,  die  richtige  Erkenntniss;  der  Verstand  und  seine  Gattin, 
die  Meinung;  die  Religion  und  ihre  Tochter,  die  Ruhe;  die 
Freundschaft,  das  gründliche  Urtheil,  die  Genügsamkeit,  die 
Geduld,  das  Mitleid,  die  Schriftgelehrsamkeit,  der  lrrthum:  der 
Egoismus;  die  Scheinheiligkeit  als  Brahmane;  Wollust,  Ketzerei, 
Zorn,  Zerstörungssucht,  Geiz;  ein  Carvaka  oder  Materialist,  ein 
buddhistischer  Bettler  u.  A. 

Die  Entwickelung  ist  etwa  folgende. 

Der  grosse  König  Irrthum  herrscht  in  Benares  und  seine 
Getreuen,  alle  die  Thorheiten,  Laster  und  Schlechtigkeiten  der 
Menschen,  treiben  üppig  und  frech  ihr  Wesen  im  Lande:  die 
Wollust  und  die  Scheinheiligkeit  sammt  ihrem  Grossvater,  dem 
Egoismus,  Zorn,  Geiz,  Habsucht,  Ketzerei,  falsche  Religionen 
und  Philo8opheme  aller  Art,  während  die  Offenbarung,  die  rechte 


1  Prabodha-Ch androdaya  oder  die  Geburt  des  Begriffs.  Ein 
theologisch-philosophiBche?  Drama  von  Kriahna-Micra.  Zum  ersten  Mal 
aus  dem  Sanskrit  ln's  Deutsche  übersetzt.  Mit  einem  Vorwort  eingeführt 
von  Karl  Rosenkranz.  Königsberg  1842.  iDer  Name  des  Uebersetzers 
ist  nicht  genannt,  es  ist  aber  Tb.  Goldstücker  —  Später  ist  das  Stück 
noch  übersetzt  von  B.  Hirzel,  Zürich  1840. 

42* 


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—    660  — 

Religion,  die  Vishnuverehrung,  der  edle  König  Verstand  und 
Alle,  die  zu  ihm  gehören,  die  guten  und  edlen  Eigenschaften 
und  Geistesrichtungen  schmählich  verbannt  und  Verstössen  sind. 
Aber  es  hat  sich  eine  Weissagung  verbreitet,  welche  das  Reich 
des  Irrthums  schreckt  und  die  Unterdrückten  erhebt  und  trö- 
stet: dass  nämlich  dereinst  der  König  Verstand  sich  mit  der 
schon  lange  von  ihm  getrennten  Offenbarung  vereinigen  werde 
und  dass  aus  dieser  Verbindung  die  richtige  Erkenntniss  ent- 
springen solle,  durch  welche  des  Irrthums  Reich  und  Herrschaft 
zu  Fall  kommen  werde.  Der  Kampf  um  das  Zustandekommen 
dieser  Vereinigung  und  der  endliche  Sieg  und  Triumph  der 
guten  Partei  bildet  den  Inhalt  des  Stückes. 

Im  ersten  Akte  treten  zuerst  Kama,  der  Liebesgott,  und 
sein  Weib,  die  Wollust,  auf,  brüsten  sich  in  frechster  Weise 
mit  ihrer  unwiderstehlichen  Macht  und  reden  hohnlachend  über 
die  Thoren,  die  sich  einbilden,  gegen  sie  aufkommen  zu  können. 
So  lange  sie  beide  leben,  kann  jene  Weissagung  keine  Sorge 
bereiten.  König  Verstand  kommt  ernst  und  nachdenklich  mit 
seinem  Weibe,  der  Meinung,  gegangen  und  sie  besprechen  sich 
über  die  traurigen  Verhältnisse,  in  welchen  sie  und  ihre  Freunde 
leben.  Gicht  es  da  eine  Rettung?  Nur  schüchtern  und  schonend 
beginnt  der  Verstand  von  dem  einzigen  Wege  zur  Rettung  zu 
reden.  Die  Eifersucht  beherrsche  ja  gewöhnlich  das  Herz  3er 
Frauen,  —  und  doch  ist  nur  dann  Hoffnung  vorhanden,  wenn 
sie,  sein  Weib,  die  Meinung,  sich  entschliessen  könnte,  eine 
Zeitlang  sich  der  weltlichen  Lust  entziehend  in  Ruhe  zu  leben 
und  es  zuzugeben,  dass  er,  der  Verstand,  inzwischen  eine  Ver- 
einigung mit  der  Offenbarung  anstrebe,  die  durch  die  lange 
Trennung  und  mancherlei  Verläumdungen  erzürnt  und  aufgeregt 
sei.  Nur  dann  könne  die  richtige  Erkenntniss  geboren  werden. 
Das  edle  Weib  ist  um  so  hohen  Zieles  willen  gleich  grossmüthig 
zu  dem  Opfer  ihrer  Liebe  bereit  und  so  schöpft  der  Verstand 
denn  Hoffnung  und  Trost. 

Im  zweiten  Akte  erscheint  die  Scheinheiligkeit,  als  Brah- 
mane.  König  Irrthum  hat  sie  beauftragt,  eifrigst  der  drohenden 
Gefahr  entgegen  zu  arbeiten  und  die  Andacht  aller  frommen 
Leute  zu  hindern.  Diesen  Befehl  hat  Scheinheiligkeit  treulich 
ausgeführt  und  ist  mit  dem  Erfolge  sehr  zufrieden.  Die  Leute, 
welche  sich  bei  Tage  als  fromme  Priester  und  Vedenkenner 
geriren  bringen  die  Nächte  beim  Wein  und  losen  Dirnen  zu. 
—  Ein  Wanderer  kommt  des  Weges  daher,  —  es  ist  der  Egois- 
mus, der  die  Scheinheiligkeit  begrüsst,  aber  von  ihr  mit  hoch- 
müthigar  Verachtung  behandelt  wird,  bis  endlich  nach  einem 

- 


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längeren  Zanke  der  Egoismus  sich  zu  erkennen  giebt.    Da  ist 
Scheinheiligkeit  sehr  erfreut: 

Ach,  du  bist  ja  mein  lieber  Grossvater  Egoismus!  Theuerster,  ich 
bin  Scheinheiligkeit,  mein  Vater  ist  der  Geiz.   Sei  mir  willkommen! 

Egoismus.  Lange  magst  du  leben,  mein  Geliebter.  Als  Kind  sah 
ich  dich  am  Ende  des  dritten  Weltalters,  und  jetzt  nach  der  langen 
Trennung  erkannte  ich  dich  nicht  gleich,  da  mich  das  Alter  drückt. 
Ist  dein  Söhnchen,  der  Trug,  bei  guter  Gesundheit? 

Scheinhciligkeit.  Nicht  einen  Augenblick  lebe  ich  ohne  ihn. 
Er  ist  hier  auf  Befehl  des  grossen  Königs  Irrthum. 

Egoismus.   Sind  deine  Eltern  wohl,  der  Geiz  und  die  Habsucht? 

Scheinheiligkeit.  Auch  sie  sind  hier.  Nicht  einen  Augenblick 
verlasse  ich  t»ie.  Wie  komme  ich  aber  zu  der  Ehre  deines  Besuches, 
mein  th  eurer  Gross  vater? 

Egoismus.  Bester!  Ich  habe  gehört,  dass  der  Irrthum  gewaltige 
Furcht  vor  dem  Verstände  habe,  und  deshalb  bin  ich  hergekommen, 
um  darüber  Gewissheit  zu  erlangen. 

Während  sie  noch  mit  einander  plaudern,  wird  hinter  der  Buhne 
die  Ankunft  des  grossen  Königs  Irrthum  verkündigt,  der  denn  auch 
alsbald  mit  angemessenem  Gefolge  sehr  zufrieden  auttritt   Er  lacht: 

0  die  Dummköpfe  sind  ganz  zügellos!  Denn  sie  sagen,  die  Seele 
sei  verschieden  vom  Körper  und  geniesse  Lohn  in  der  andern  Welt. 
Da  hoffe  ich  doch  lieber,  dass  Bäume,  die  in  der  Luft  wachsen,  aas 
ibren  Blüthen  süsse  Früchte  treiben.  Und  dieses  ungelchrte  Volk  be- 
trügt die  Welt,  indem  es  Dinge  aufstellt,  die  nur  in  seinem  Gehirn  vor- 
handen sind.  Denn  sie  lehren  die  Existenz  von  Dingen,  die  nicht  sind, 
und  zahlreich  und  geschwätzig  machen  sie  als  Theisten  die  Atheisten 
lächerlich,  welche  die  Wahrheit  lehren.  Ei,  seht  dochl  Wenn  das  die 
Wahrheit  ist,  wer  sah  denn  je  vom  Körper  getrennt  die  Seele,  die  nur 

eine  von  seinen  Veränderungen  geformte  Masse  ist?  Nur  die  Lehre 

des  Carvaka  hat  Werth:  „Was  man  sehen  kann,  ist  Mittel  der  Erkennt- 
niss.  Wahrheit  hat  nur  Erde,  Wasser,  Feuer,  Luft.  Dem  Menschen 
wesentlich  sind  der  Zweckbegriff  und  die  Liebe.  Die  Elemente  sind 
auch  denkende  Wesen.  Ein  Jenseits  giebt  es  nicht.  Der  Tod  ist  das 
Ende."  Dies  hat  Väcaspati  gelehrt  und,  da  ich  es  wünschte,  dem  Car- 
väka  uberliefert,  und  dieser  hat  die  Lehre  in  der  Welt  durch  seine 
Schaler  und  deren  Schüler  verbreitet. 

Cärvaka  (tritt  auf  mit  seinem  Schüler):  Mein  Lieber,  du  weisst, 
Politik  ist  eine  Cardinalwissenschaft.  Auf  sie  beziehen  sich  alle  Ge- 
schäfte.  Die  Veden  enthalten  nur  dummes  Geschwätz. 

Und  nun  begründet  er  seine  Ansicht. 

Der  Schüler  meint:  Wenn  also  für  den  Menschen  Essen  und 
Trinken  Hauptsache  ist,  wozu  quälen  sich  denn  jene  Wallfahrer  durch 
die  furchtbaren  und  schrecklichen  Fasten  und  fliehen  die  Freuden  dor 
Welt? 

Cärväka.  Die  Thoren  sind  durch  lugenhafte  Lehrbücher  betrogen 
und  ergötzen  sich  an  den  Leckerbissen  der  Hoffnung.  Sieh  nur,  wie  tat 
nicht  die  Lust  bei  der  Umarmung  eines  schönen  Weibes  besser  als  . 
thörichte  Kasteiung  des  Körpers  durch  Betteln,  Fasten,  Enthaltsamkeit 
und  Sonnengluth? 

Schüler.  Aber  die  frommen  Leute  meinen  doch,  man  müsse  des- 
halb die  Vergnügungen  der  Welt  meiden,  weil  sie  mit  Leiden  verbun- 
den sind. 


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662  — 


C&rvik*.  Das  dumme  Volk  hat  keinen  Verstand.  —  Welcher 
Vernünftige  wirft  die  Gerste  mit  ihren  weissen,  schönen  Körnern  fort, 
well  diese  von  Hülsen  umgeben  sind? 

Irrthum.  Diese  überzeugenden  Reden  machen  mir  schon  lange 
viel  Vergnügen.   Ei,  das  ist  ja  mein  lieber  Freund  Carvaka. 

Carvaka  (sich  umsehend).  Das  ist  der  erhabene  König,  der  grosse 
Irrthum.  Heil,  Heil  dir.  grosser  König!  Dein  Diener  bückt  sich  v,or  dir. 

Irrthum.   Sei  mir  willkommen,  Carvaka!   Nimm  Platz! 

Carvaka.  Der  jetzige  Zeitgeist  bringt  dir  seine  tiefste  Ver- 
ehrung dar. 

Irrthum.   Befindet  er  sich  bei  gutem  Wohlsein? 
Carvaka.  Durch  deine  Gnade  ist  er  glücklich  u.  s.  w. 

Carv&ka  macht  nun  den  König  darauf  aufmerksam,  d  ass  eine  fromme 
Frau,  die  Vishnuverehrung ,  ihnen  leicht  gefährlich  werden  könnte;  der 
König  sieht  es  ein  und  ruft  nach  dem  Thürhüter: 

Sündenfreund!  Sage  meinen  Dienern,  Liebe,  Zorn,  Geiz,  Stolz  uod 
den  andern,  sie  möchten  sich  bemühen,  die  Büsserin  Vishnuverehrung 
zu  vernichten. 

Ein  Bote  tritt  mit  einem  Briefe  auf.  Stolz  und  Hochmuth  melden 
dem  Könige  von  dem  Tempel  Puruehott&ma  in  Orissa,  daas  Ruhe  uod 
ihre  Mutter  Religion  Gesandte  des  Verstandes  geworden  sind  und  T&g 
und  Nacht  in  die  Offenbarung  dringen,  dass  Bio  sich  mit  ihm  vermähle. 
Die  Lage  wird  kritisch.  Die  Vasallen  des  Königs  treten  auf  —  Zorn, 
Geiz,  Habsucht,  Zerstörungssucht  —  und  erhalten  gemessene  Befehle 
für  ihr  Verhalten.  Sie  sollen  vor  Allem  Ruhe,  die  Tochter  der  Religion, 
in  ihre  Gewalt  bringen.  Endlich  kommt  auch  die  Geliebte  des  Königs, 
die  Ketzerei.  Er  ist  entzückt  von  ihrem  Anblick :  „Komm  an  mein  Herr 
du  holdes  Mädchen,  und  mich  umarmend,  du  lieblich  Blickende,  ahme 
nach  im  himmlischen  Liebesscherz  der  Tochter  des  Himavant,  wenn  sie 
auf  Civa's  Schoosse  sitzt"  Dann  erzahlt  er  ihr,  dass  das  elende  Weib, 
die  Religion,  zur  Kupplerin  geworden  sei,  um  die  Offenbarung  mit  dem 
Verstände  zu  verbinden.  „Sie  nun,  die  feindlichgesinnte,  niedriggeborene 
gottlose  Frevlerin,  bring  bei  den  Haaren  als  Wittwe  zu  den  Ungläubigen!** 

Ketzerei.  Wenn  es  sich  nur  darum  handelt,  so  kannst  du  un- 
besorgt sein,  König!  u.  *  w. 

Weinend  und  jammernd  tritt  im  dritten  Akte  die  Ruhe 
auf.  Ihre  geliebte  Mutter,  die  Religion,  ist  in  die  Hand  der 
Hetzer  gefallen,  in's  Haus  der  Can(}ala's  gekommen:  „Mutter, 
Mutter!  zeige  mir  dein  holdes  Gesicht!"  jammert  sie;  jetzt  will 
sie  nur  noch  den  Tod.  Die  Mitleidigkeit,  die  sie  begleitet 
sucht  sie  zu  trösten  und  aufzurichten.  —  Ein  Digambara,  Mit- 
glied einer  Jäinasekte,  tritt  auf,  seine  Lehren  verkündend-  Er 
ruft  nach  der  Religion.  Sie  erscheint,  aber  —  es  ist  eine 
falsche,  sündhafte  Religion,  bei  deren  schrecklichen?  Anblick  die 
Ruhe  in  Ohnmacht  fällt.  Ein  Buddhist  erscheint,  seine  Weis- 
heit vortragend.  Auch  seine  Religion  kommt  herbei;  aber  sie 
ist,  wie  die  vorige,  eine  Tochter  der  Sünde.  Auch  ein  Ksha- 
panaka,  Mitglied  einer  andern  Jäinasekte,  erscheint  und  endlich 
gar  ein  Kapalika,  Verehrer  der  schrecklichen  Göttin  Bhavani 


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-   663  - 


oder  Durga,  Gemahlin  des  Qiva,  deren  Dienst  mit  Menschen- 
opfern yerbnnden  ist.  Er  verkündet  seine  grausigen  Bräuche: 
»Wir  trinken  aus  Brahmanenschädeln  geistige  Getränke,  während 
wir  Fleisch  in  Menge  mit  Hirn  und  Mark  im  Feuer  opfern"  u.  s.  w. 
Buddhist  und  Kshapanaka  sind  ausser  sich,  werden  aber  von 
dem  KäpMika  mit  derben  Schmähreden  angefahren.  Auch  seine 
Religion  erscheint,  —  eine  üppige,  freche  Dirne  — ,  sie  ist  die 
Tochter  der  Leidenschaft  Der  Käpälika  trägt  mit  ihrer  Hülfe 
über  die  Andern  den  Sieg  davon.  Er  veranlasst  sie,  den  Bud- 
dhisten und  den  Kshapanaka  zu  umarmen.  Diese  gerathen  bei 
der  Berührung  ganz  süsser  sich  vor  Entzücken  und  wenden 
sich  ohne  Weiteres  der  neuen  Lehre  zu.  Nun  beginnen  sie 
sich  gemeinsam  an  Wein  zu  berauschen  und  feiern  eine  wüste 
Orgie,  der  die  Ruhe  und  Mitleidigkeit  als  entsetzte  Zuschauer 
beiwohnen. 

Im  vierten  Akte  erscheint  die  Religion,  mit  zitternder 
Stimme  von  dem  Ungemach  berichtend,  das  ihr  die  Schreckens- 
göttin bereitet  König  Verstand  rüstet  sich  zu  dem  Kriege 
gegen  den  verbrecherischen  Irrt  hu  ra,  dessen  Ende  sein  wird, 
wenn  man  die  Identität  der  Seele  mit  Gott  (das  tat  tvam  asi) 
erkannt  hat  Er  lässt  das  gründliche  Urtheil  rufen  und  erklärt 
ihm,  dass  es  KAma,  die  sinnliche  Liebe,  besiegen  müsse.  Die 
Geduld  wird  mit  der  Besiegung  des  Zornes,  die  Genügsamkeit 
mit  der  des  Geizes  beauftragt.  Ein  Bote  meldet  dass  die  Au- 
spizien glücklich  und  die  von  dem  Astrologen  für  den  Aufbruch 
bestimmte  Stunde  da  sei. 

Ter  stand.  Dann  mögen  die  Feldherren  den  Befehl  erhalten,  dass 
da*  Heer  aufbreche. 

Der  Bote  tritt  ab;  man  hört  hinter  der  Bohne  rufen:  Macht  die 
Elephanten  fertig,  auf  deren  Stirn  sich  die  Bienen  sammeln,  um  an  dem 
am  ihr  fliessenden  Safte  sich  zu  ergötzen!  Spannet  an  die  Wagen  die 
Rosse,  die  durch  ihre  Schnelligkeit  den  Wind  beschämen  1  Lasst  die 
Fasstruppen  aufmarschieren,  deren  Speere  in  der  Luft  gleichsam  einen 
Wald  Ton  Lotusblumen  bilden,  und  die  Reiter,  in  deren  Händen  die 
Schwerter  spielen! 

Verstand.  Wohlan!  Die  Auspicien  sind  gut  Ich  will  hinaus. 
(Zu  einem  Diener)  Lass  den  Wagenlenker  mit  dem  Kriegswagen  hierher 
kommen. 

Diener.   Nach  deinem  Befehle,  König. 

Ehe  er  aber  in  den  Kampf  zieht,  tritt  der  König  noch  in  den 
Tempel  des  Vishnu,  den  Gott  in  brünstigem  Gebete  um  8egen  und  Heil 
für  das  grosse  Werk  anzuflehen.  — 

Im  fünften  Akte  hören  wir  von  dem  furchtbaren  Kampfe, 

der  nun  wirklich  stattgefunden  bat.   Voll  freudiger  Aufregung 

berichtet  die  Religion  darüber  der  Ruhe  und  der  Vishnuver- 

ehrung.    Mit  lebhaften  Farben  malt  sie  den  gewaltigen  Zu- 


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—    664  — 


sammensto88  aas:  „Höre!  Die  Sonne  verlor  von  ihrer  Rothe, 
die  Luft  erschallte  von  dem  Siegesgeschrei  der  unzähligen 
Kriegeshelden,  die  Sonnenstrahlen  wurden  von  dem  Staube 
verdunkelt,  welchen  die  Wagen  und  die  Hufe  der  Rosse  aus 
der  zerspalten  en  Erde  aufwirbelten."  Zuerst  schickte  der  König 
Verstand  an  den  König  Irrthum  einen  Boten  mit  einem  Lehr- 
buche der  Nyaya-Philosophie  (d.  i.  des  orthodoxen  Systems  der 
Logik),  der  ihn  so  anredete:  „Verlass  die  Altäre  des  Vishnu, 
die  Ufer  der  Flüsse,  die  heiligen  Wälder,  den  Geist  der  From- 
men, und  ziehe  mit  deinem  Gefolge  zu  den  Barbaren!  Wenn 
nicht,  so  sollen  euch  bösen  Buben  die  £öpfe  gespalten  werden, 
und  das  Blut  soll  in  Strömen  aus  euren  jämmerlich  zerfleischten 
Gesichtern  fliessenl"  —  Hierauf  erwiderte  zornig  der  Irrthum, 
dessen  Augenbrauen  sich  auf  seiner  breiten  Stirn  zusammen- 
zogen: „Der  Bösewicht  Verstand  bekomme  den  Lohn  seines 
gottlosen  Handelns!"  Und  dann  beorderte  er  zuerst  die  Lehr- 
bücher der  Ketzer  mit  ihren  Logiken  zum  Kampfe.  Aber  in 
den  Köpfen  unserer  Krieger  offenbarte  sich  plötzlich  die  lotus- 
händige, mondähnlich  glänzende  Sarasvati  mit  dem  wohlthätigen 
Einflüsse  der  Vedas,  Upavedas,  Vedangas,  Puranas,  Gesetzbücher, 
Legenden  und  der  übrigen  heiligen  Schriften.  -7  Dann  trat 
auch  die  Mimamsa-  Philosophie  in  den  Kampf,  umgeben  von 
den  Sankhya-  und  Nyayabüchern,  denen  des  Kanada,  dem 
Mahabhashya  und  den  andern  philosophischen  Werken  und  er- 
leuchtete die  Welt  durch  die  Menge  ihrer  schlagenden  Beweise. 

Hier  wendet  die  Ruhe  fragend  ein:  „Wie  konnten  sich  aber  die 
8chriften  der  Offenbarung  und  der  Vernunft,  die  doch  von  Natur  ver- 
schieden sind,  vereinen?" 

Religion:  „Liebe  Tochter  I  Desselben  Ursprungs  befeindeten  sie 
sich  gegenseitig  und  wurden  von  Andern  besiegt.  Ihre  Vereinigung 
bringt  nur  Segen.  Denn  was  die  wissenschaftlichen  Schriften  anlangt, 
so  sind  sie,  da  ihr  Ursprung  in  don  Veden  ist,  wenn  sie  auch  sonst  mit- 
einander streiten,  doch  immer  einig,  wenn  es  gilt,  die  Veden  zu  schätzen 
und  die  Atheisten  zu  widerlegen;  und  den  heiligen  Schriften  wider- 
sprechen sie  nicht,  da  wo  sie  von  dem  Wahren  handeln1*  u.  s.  w.  Dann 
fährt  sie  in  dem  Berichte  fort:  „Dann  wurde  der  Kampf  stürmisch,  — 
um  dichtgereihete  Leichen  flössen  Ströme  reichlichen  Blutes,  welches 
die  Krieger  vergossen  hatten  und  in  ihnen  lagen  Schirme  und  anderer 
Schmuck  umher,  welchen  die  berghohen  Elephanten,  von  Pfeilen  durch- 
bohrt, wuthend  von  sich  geworfen.  In  diesem  grossen,  fürchterlichen 
Kampfe,  in  welchem  Feind  gegen  Feind  stritt,  wurde  die  Lehre  des 
Lokayafa  [d.  1.  der  Materialismus]  im  Angesichte  der  von  den  Ketzern 
für  heilig  gehaltenen  Schriften  zu  Wasser  gemacht;  die  andern  Schriften 
der  Ketzer  aber,  weil  sie  keine  feste  Wurzel  mehr  hatten,  zerstreuten 
sich  in  dem  Meere  der  wahrhaft  helligen  Bücher;  die  der  Buddhisten 
zogen  in  die  Lander,  welche  besonders  Barbaren  inne  haben,  nach  Sindh, 
Kandabar,  Behar,  Telingana,  dem  Hunnenlande,  dem  östlichen  Bengal. 


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_    665  - 

ier  Coromandelküste  und  weiter;  die  der  ketzerischen  Digarabaras,  Ka- 
palika's  and  der  übrigen  leben  im  Verborgenen  unter  den  Dummköpfen, 
die  in  Paficala,  Malva  und  an  der  Westküste  wohnen.  Die  Logiken  der 
Atheisten  wurden  von  der  Mimamsa,  welche  der  Nyaya  und  die  andern 
Philosophieen  begleiteten,  ihrer  Kraft  beraubt  und  folgen  jetzt  denselben 

heiligen  Büchern.  Dann  todtete  das  richtige  Urtheil  den  Kama; 

die  Geduld  besiegte  den  Zorn,  die  Zerstörungssucht  und  deren  Genossen; 
die  Genügsamkeit  brachte  den  Geis,  die  Habsucht,  die  Engherzigkeit, 
den  Trug,  die  Bosheit,  den  Diebstahl  und  die  Bestechlichkeit  in  ihre 
Gewalt;  die  Milde  unterwarf  die  Schmähung;  die  Anerkennung  fremder 
Verdienste  zerstörte  den  Hochmuth;  den  Stolz  besiegte  die  Einsicht  in 
die  Vorzüglichkeit  Anderer."  — 

Kurz  der  Sieg  der  guten  Partei  ist  ein  vollständiger.  Das  Vor- 
-tel  longa vermögen  aber,  dem  seine  Söhne  nnd  Enkel  getödtet  sind,  ist 
ausser  sich  vor  Schmerz  und  will  aus  dem  Leben  scheiden.  Weinend  tritt 
es  auf:  „Meine  geliebten  Söhne!  Wohin  seid  ihr  gegangen?  Zeigt  mir 
doch  euer  liebes  Gesicht!  0  meine  theuren  Söhne,  Stolz,  Hass,  Hochmuth 
and  ihr  andern,  kommt  und  umarmt  mich!  Mein  Körper  wankt,  keiner  er- 
halt mich  Alten,  Schwachen.  Und  wo  seid  ihr,  meine  theuren  Töchter, 
Schmähung  und  ihr  übrigen?  und  ihr,  meine  Schwiegertöchter,  Hoffnung, 
Zerstörungssucht,  Habsucht?  Wie,  auch  sie  hat  zur  selbigen  Zeit  das 
grause  Schicksal  mir  Elendem  geraubt?'*  Von  Schmerz  und  Gram  verzehrt 
fallt  es  in  Ohnmacht  Die  Beredsamkeit  des  Vyaaa  tritt  zu  ihm,  sucht  es 
tu  trösten,  zu  beruhigen  und  von  dem  Selbstmorde  zurück  zu  halten.  Es 
gelingt  ihr  dies  auch  nach  eingehender  freundlicher  Belehrung.  Die 
Leidenschaftslosigkeit  kommt  auch  dazu  und  wird  von  dem  Vorstellungs- 
vermögen voll  Liebe  an's  Herz  geschlossen.  Zum  Schluss  machen  sich  Alle 
auf,  um  den  gestorbenen  Verwandten  die  Todtenspenden  darzubringen. 

Im  sechsten  und  letzten  Akte  übersendet  König  Ver- 
stand der  Offenbarung  seine  feierliche  Werbung.  Diese  hat 
viel  von  dem  schrecklichen  Ungemach,  von  all  der  Misshand- 
lang zu  erzählen,  die  sie  erleiden  musste,  so  lange  sie  von 
dem  Verstände  getrennt  war.  Es  kommt  endlich  zur  glück- 
lichen Hochzeit  des  Verstandes  mit  der  Offenbarung  und  aus 
ihrer  Vereinigung  entspringt  sogleich  Prabodha,  die  richtige 
Erkenn  tniss,  die  von  dem  Urgeist  selbst  aufs  Freudigste  be- 
grüsst  und  umarmt  wird.  — 

Die  dramatische  Schöpfungskraft  der  Inder,  die  während 
des  Mittelalters,  in  der  Zeit  vom  5.  bis  in's  12.  Jahrhundert 
nach  Chr.  so  reiche  und  mannigfaltige  Blüthen  getrieben,  ist 
auch  in  der  Folgezeit  nicht  versiegt  Es  liegen  uns  eine  ganze 
Reihe  von  Dramen  vor,  welche  den  letzten  Jahrhunderten  ent- 
stammen und  deren  Verfasser  zum  Theil  auch  Europäern  be- 
kannt gewesen  sind.  Schon  Wilson  führte  eine  Anzahl  solcher 
neueren  Dramen  auf  und  es  liesse  sich  sein  Verzeichniss  jetzt 
leicht  vermehren.  Die  Stoffe  der  ernsteren  Stücke  sind  grössten- 
teils dem  Mahabharata  und  Ramayana  entnommen  oder  ge- 
hören zum  Kreise  der  Krishna- Legende;  daneben  stehen  ein- 


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oder  mehraktige  Possen,  meist  recht  derb  und  undelikat,  in 
denen  verschiedene  Schaden  der  Gesellschaft  gegeisselt  werden.1 
Im  Ganzen  steht  der  Kunstwerth  dieser  späteren  Produkte  sehr 
beträchtlich  hinter  den  Leistungen  des  Mittelalters  zurück. 
Näher  darauf  einzugehen  liegt  ausserhalb  des  Rahmens  unserer 
Betrachtung. 


1  Dahin  gehören  Stücke  wie  Hasyarnava,  Dhürtasamagama,  Kaotu- 
kasarvasva,  Dhürtanartaka.  Die  beiden  enteren  sind  von  Cappeller 
in  lithograpb.  Abdruck  herausgegeben  i.  J.  1880.  Im  Dhürtasamäganm 
(d.  i.  Versammlung  der  Gauner)  streiten  sich  z.  B.  ein  religiöser  Bettler 
und  sein  Schüler  um  den  Besitz  eines  Mädchens.  Ein  Brahmane,  der 
den  Fall  schlichten  soll,  entscheidet  dahin.,  lass  die  Dirne  bis  auf 
Weiteres  unter  seinen  Schutz  zu  stellen  sei. 


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Ftinfundvierzigste  Vorlesung. 


Die  Spruchpoeeie  des  indischen  Mittelalters. 


Die  Neigung  zum  Reflectiren  und  Speculiren  ist  tief  im 
Wesen  des  indischen  Volkes  begründet,  ja  sie  bildet  einen 
seiner  hervorstechendsten  Charakterzüge.  Dieselbe  hat  auf  re- 
ligiösem und  wissenschaftlichem  Gebiete  bedeutende  Leistungen 
zu  Wege  gebracht,  aber  auch  die  Poesie  ist  nicht  leer  dabei 
ausgegangen;  auch  ihr  sind  aus  derselben  Quelle  reiche  Schätze 
zugeströmt,  die  wohl  wetteifern  können  mit  den  Edelsteinen 


1  •• 

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itheit  gelangten  Literatur  der 
Fabeln  sind  es  vor  Allem  die  Sprüche  der  Weisheit,  in 
welchen  die  Reflexion  der  Inder  poetischen  Ausdruck  ge- 
wonnen hat.  Eine  Fülle  tiefsinniger,  weiser,  edler,  oft  im  höch- 
sten Grade  origineller  und  frappirender  Gedanken  findet  sich 
bier  in  scharfer,  klarer,  oft  sehr  kunstvoller  Form  ausgeprägt. 
An  ihrer  Spruchweisheit  besitzen  die  Inder  ein  eigenartiges 
Kleinod,  dem  nur  wenig  Aehnliches  aus  andern  Literaturen 
ebenbürtig  an  die  Seite  gestellt  werden  kann.  Um  diesen  Zweig 
ibrer  Poesie  und  sein  Verständniss  hat  sich  vor  Allem  Otto 
Böhtlingk  ein  hervorragendes  Verdienst  erworben,  durch  seine 
»Indischen  Sprüche 'S1  welches  Werk  nicht  nur  philologisch 
eine  bedeutende  Leistung,  sondern  durch  die  jedem  Spruch  bei- 
gegebene meisterhafte  Uebersetzung  höchst  werthvoll  ist  für 
Jedermann,  der  einen  Blick  in  die  Gedankenwelt  der  Inder 
thun  will. 

Es  finden  sich  diese  gnomischen  Dichtungen  der  Inder  nur 
zum  kleineren  Theile  in  besonderen  Werken  vereinigt,  die  aus- 
schliesslich Sprüche  enthalten;  so  vor  Allem  in  den  beiden  Cen- 
turien  des  geistvollen  Dichters  Bhartrihari,  dem  Nltigataka 

— 

1  Indische  Sprache.  Sanskrit  und  Deutsch.  3  B&nde,  St  Peters- 
burg, 1863  —  1865  ;  2.  Aufl.,  1870—1878.  Die  1.  Auflage  enthält  5419 
Vene,  die  9.  Auflage  7618. 


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—   668  — 


oder  der  Centurie  der  Lebensweisheit  und  dem  Vairagya- 
$ataka  oder  der  Centarie  der  Entsagung;    so  ferner  m  dem 
Qanti^ataka  oder  der  Centurie  des  Seelenfriedens,  und  in 
dem  Mohamudgara  oder  dem  Hammer  der  Thorheit,  einem 
Werke,  das  sich  vermisst,  wie  ein  Hammen,  die  Thorheit  der 
Menschen  zu  zerstören.  Die  Hauptmasse  der  indischen  Sprüche 
findet  sich  in  den  verschiedensten  dichterischen  Schöpfungen 
▼erstreut,  —  in  der  Fabel-  und  Märchenpoesie,  im  Epos,  im 
Drama,  im  Gesetzbuch  des  Manu  und  noch  vielen  anderen 
Werken;  und  gerade  hieran  sehen  wir,  wie  diese  Art,  seine 
Gedanken  auszuprägen,  dem  Inder  gleichsam  zur  zweiten  Natur 
geworden  war,  da  er  in  so  heterogenen  Schöpfungen  immer 
wieder  in  solchen  „Sprüchen  der  Weisheit*  redet,  mögen  sie 
nun,  wie  im  Epos  und  Drama,  aus  dem  Munde  von  Helden, 
Heiligen  und  Göttern  ertönen,  oder,  wie  in  der  Fabelpoesie, 
von  philosophirenden  Katzen,  Schlangen,  Schakalen  und  Tigern 
verkündet  werden.  —  Vor  Allem  ist  es  natürlich,  dass  wir  in 
der  Literatur  der  Fabeln,  die  als  Reflexionspoesie  den  Sprüchen 
am  nächsten  verwandt  sind,  eine  besonders  reiche  Fülle  der- 
selben aufbewahrt  finden;  so  im  Hitopadega  und  im  Pail- 
catantra.   Dann  aber  ist  es  vor  Allem  das  Mahäbharata, 
das  in  der  ungeheuren  Ausdehnung  seines,  im  Laufe  von  Jahr- 
hunderten emporgewachsenen  Baues  Alles  für  den  frommen 
Inder  Wissenswerthe  encyklopädisch  bergen  will  und  darum 
auch  eine  fast  unerschöpfliche  Fundgrube  für  die  Sprüche  der 
Weisheit  bildet   Als  ein  schöner,  sinnvoller  Schmuck  ziehen 
sie  sich  durch  alle  Theile  der  vielverschlungenen  wunderbaren 
Dichtung,  ähnlich  den  Koransprüchen,  die,  zwischen  den  ver- 
schlungenen Arabesken  maurischer  Tempelbauten,  dem  bewun- 
dernden Beschauer  ernste,  heilsame,  weise  Worte  zurufen. 

Versuchen  wir  nun  die  Gedankenwelt,  die  in  den  indischen 
Sprüchen  zu  uns  redet,  etwas  näher  kennen  zu  lernen. 

An  der  Schwelle  des  indischen  Mittelalters  ist  es  ein  Gedanke, 
der,  zum  ersten  Male  auftretend,  sogleich  mit  siegender  Gewalt 
die  Gemüther  erfasst  und  beherrscht,  der,  von  den  Lippen  un- 
zähliger Bussprediger  verkündet,  fort  und  fort  durch  die  Jahr- 
hunderte seine  Macht  behält.  Das  ist  der  Gedanke  der  Ver- 
gänglichkeit und  Nichtigkeit  aller  irdischen  Güter  und  Freuden. 


1  Herausgegeben  dnd  alle  drei  Centarien  des  Bh.  vonP.  v.  Bohlen, 
nebst  Einleitung  und  lateinischer  Uebersetzung  (Bhartriharis  sententiae, 
Berlin  1833).  Vgl.  oben  p.  564.  —  Das  Nlticataka  und  Vairagyacataka 
auch  fon  Kashinath  Trimbak  Telang,  Bombay  1874. 


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-.    1369  — 


Mit  Leiden,  mit  Enttäuschung  ist  alles  Glück  hier  auf  Erden 
verbunden,  und  nur  den  Unwissenden  vermag  seine  glanzende 
Außenseite  zu  blenden.  Es  giebt  kein  Heil,  keine  reine  Freude 
als  in  der  Entsagung,  im  Aufgeben  aller  Wünsche,  in  der  Flucht 
vor  der  Welt.  Reich  und  blühend  liegt  vor  dem  Auge  des 
Inders  Natur  und  Leben  ausgebreitet;  er  kennt  ihre,  Schönheit, 
er  hat  ihren  Reiz  empfunden,  und  dennoch  wendet  er  sich 
enttäuscht  und  trauernd  von  diesem  lockenden,  lachenden  Bilde 
ab  und  sucht  in  stiller  Einsamkeit  nach  dauernderem  Glück, 
nach  wahrem  Seelenfrieden 

Wir  haben  früher  in  anderem  Zusammenhange1  schon  einen 
Spruch  des  Bhartrihari  kennen  gelernt,  in  weichem  der  Dichter 
gerade  hervorhebt,  wie  reizend  schön  so  Vieles  in  der  Welt 
ist;  „hat  aber  der  Geist  die  Vergänglichkeit  dieser  Dinge  er- 
kannt, so  ist  nichts  mehr  reizend."  Welch  eine  Thorheit  ist 
es,  den  Sinnengenüssen  nachzujagen! 

Bhartrihari  3,  19  (lad.  Spr.  36).*  Die  Lichtmotte  fliegt  in  das 
Feuer  der  Lampe,  weil  sie  den  Schmerz  des  Verbrennens  nicht  kennt; 
auch  der  Fisch  verschlingt  das  Fleisch  am  Angelhaken,  weil  er  die  Ge- 
fahr nicht  kennt;  wir  aber  hier  lassen  nicht  ab  von  den  SinnengenüsBen, 
obgleich  wir  recht  gut  wissen,  dass  sie  mit  einen  Netz  von  Unheil'  um- 
strickt sind:  Wehe  über  die  unergründliche  Tiefe  des  Unverstandes! 

Es  sind  Worte  schmerzlichen,  bitteren  Pessimismus,  die 
wir  hier  oft  zu  hören  bekommen: 

Bhartrihari  3,  38  vInd\  Spr.  711).  In  des  Mutterleibes  unreiner 
Behausung  wohnen  wir  in  Peil*  mit  zusammengedrucktem  Körper;  im 
Jünglingsalter  wird  uns  der  Oenuss  verkümmert,  indem  wir  mit  Schmer- 
zen über  die  Trennung  von  der  Geliebten  zu  schaffen  haben;  auch  das 
Greisenalter  ist  abscheulich,  da  die  Schönaugigcn  über  unser  Aeusseres 
verächtlich  lachein.  Nun  sagt  mir,  o  Menschen,  ob  es  in  der  Welt 
irgend  eine,  wenn  auch  noch  so  geringe  Freude  giebt? 

Cantig.  2,  1  (Ind.  8pr.  3576).  Schön  erscheint  uns  diese  Welt, 
weil  wir  über  ihre  Reize  nicht  gehörig  nachgedacht  haben;  für  Die- 
jenigen dagegen,  die  die  Wahrheit  schauen,  ist  auch  nicht  das  geringste 
Güte  darin. 

Mahäbh.  12,  7465  (Ind.  Spr.  5249).  Es  sind  mehr  Leiden  als 
Freuden  im  Leben,  dsrüber  besteht  kein  Zweifel,  aber  dem  an  den 
Sinnesgegonstanden  Hängenden  ist  ob  seines  Unverstandes  das  Sterben 
nicht  Geb. 

Yaifi.  8,  8  (I.  8.  4712).  Wer  in  dem  menschlichen  Leben,  das 
marklos  ist  wie  der  8tamm  der  Kadall  und  einer  Wasserblase  ähnlich, 
«in  Mark  sucht,  der  ist  thöricht 

Bhartrih.  3,  68  (I.  8.  1903).  Erlangte  man  auch  Glücksgüter, 
die  alle  Wünsche  erfüllten,  was  hätte  man  davon?    Setzte  man  auch 


1  Vgl.  oben  p.  398. 

*  Ich  gebe  den  Text  der  Sprüche  in  Böhtlingk's  vorzüglicher  Ueber- 
setzung,  nach  der  1.  Aufl.  seiner  „Indischen  Sprüche" 


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670  - 


den  Fuss  auf  der  Feinde  Haupt,  was  hätte  man  davon?  Beehrte  man 
auch  seine  Lieblinge  mit  Reichthümern ,  was  hatte  man  davon?  — 

Alles,  was  ein  Schopenhauer,  ein  Leopardi  in  neuerer 
Zeit  über  das  Elend  des  Daseins  gelehrt,  findet  man  hier  in 
etwas  andern  Worten  wieder.1  Die  Inder  waren  früh  zu  dieser 
Weisheit  gelangt,  früh  fertig  mit  der  Eitelkeit  dieses  Lebens, 
denn  mindestens  seit  dem  6.  Jahrhundert  vor  Chr.  hören  wir 
diese  Predigt  unablässig  bei  ihnen  erschallen. 

Nur  die  Entsagung,  nur  das  Aufgeben  aller  Wünsche  kann 
uns  Glück  und  Frieden  bringen.  So  heisst  es  z.  B.  im  Maha- 
bharata  12,  6583  (L  S.  4386): 

Wer  nicht  entsagt,  gelangt  nicht  snr  Frende;  wer  nicht  entsagt» 
findet  nicht  das  Höchste;  wer  nicht  entsagt,  schlaft  nicht  ohne  Furcht; 
darum  entsage  Allem  und  werde  froh.  —  Und  ferner  heisst  et  Ind. 
Spr.  224.  Der  Bedürftige  jammert;  wer  Reichthümer  erlangt  hat,  ist 
stolz  und  unzufrieden;  wer  sein  Vermögen  verloren  hat,  ist  betrübt; 
wohl  befindet  sich  der  Mensch,  der  keine  Wunsche  hat. 

Bhartrihari  sagt  (3,  32:  I.  8.  2075).  Beim  Genuas  ist  Gefahr 
vor  Krankheit,  bei  hohem  Geschlecht  Gefahr  vor  Fall,  bei  Vermögen 
Gefahr  vor  dem  Fürsten,  bei  hoher  Stellung  Gefahr  vor  Erniedrigung, 
bei  Macht  Gefahr  vor  Feinden,  bei  schöner  Gestalt  Gefahr  vor  einer 
zarten  Jungfrau,  bei  Gelehrsamkeit  Gefahr  vor  Worthelden,  bei  Vor- 
zügen Gefahr  vor  bösen  Menschen,  beim  Körper  Gefahr  vor  dem  Todes- 
gott: jede«  Ding  auf  Erden  ist  mit  Gefahr  verknüpft,  nur  die  völlige 
Entsagung  der  Menschen  ist  frei  von  aller  Gefahr. 

Der  Hammer  der  Thorheit  aber  ruft  mahnend  (Ind. 
Spr.  4707): 

Brüste  dich  nicht  mit  Reichthümern,  Untergebenen  und  Jugend,  da  die 
Zeit  Alles  in  einem  Augenblicke  hinwegrafft.  Gieb  diese  ganze  auf 
Täuschung  beruhende  Welt  auf,  gewinne  die  wahre  Erkenntnis*  und 
gehe  eiligst  in  Brahma's  Statte  ein. 

Mhbh.  12,  4766  (L  8.  4515).  Der  Mann,  der  Beides,  die  Leiden 
und  die  Freuden  aufgiebt,  geht  vollständig  in's  Brahman  eiu  und  den 
beklagen  nicht  Weise. 

In  der  Stille  des  Waldes,  in  Bergeshöhlen,  am  Ufer  heiliger  Flüsae, 
im  Einsiedlerleben,  da  soll  das  gequälte  Herz  den  Frieden  finden. 

Mo  harn.  (I.  S.  5265).  Ein  Obdach  an  der  Wurzel  eines  Baume* 
bei  einem  Tempel,  der  Erdboden  als  Lager,  ein  Fell  als  Kleid,  das  Auf- 
geben alles  Besitzes  und  aller  Genüsse:  wem  bereitet  nicht  eine  voll- 
ständige Entsagung  Freude? 

Qantic,.  2,  19  (I.  8.  2784).  Baumrinde  als  Gewand,  junge  Zweige 
als  Lager,  der  Fuss  eines  Baumes  als  Haus,  Wurzeln  zum  Stillen  des 
Hungers,  Wasser  aus  Gebirgsbächen  zum  Löschen  des  Durstes,  Spiel 
mit  unschuldigen  Gazellen,  Vögel  als  »Freunde,  in  der  Nacht  den  Mond 


1  Wir  finden  den  Weltschmerz  geradezu  verherrlicht  als  höchste 
und  beste  Geistesrichtung,  Bhag.  Pur.  8,  7,  44  (I.  S.  4106):  Gute  Men- 
schen pflegen  Bich  über  das  Weh  der  Welt  zu  härmen,  da  dieses  der 
höchste  Dienst  ist,  den  man  Purusha,  der  Seele  des  Weltalls,  erweisen  kann 


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—   671  — 

als  Leuchte:  dass  Elende  dennoch  betteln,  obgleich  sie  aber,  solche 
Bei chth Omer  frei  verfügen  können,  ist  gar  seltsam ! 

Wasche,  o  Herz,  den  Unverstand  ab!  —  so  ruft  Bhartrih  ari 
(3,  65)  —  Habe  deine  Freude  an  dem,  der  den  Halbmond  zum  Diadem 
hat!  [d.  i.  Gott  £iva];  Finde  Gefallen  am  Uferabhange  des  Götterflusses! 
Ist  wohl  irgend  ein  Verlass  auf  Wellen,  Wasserblasen,  Blitze,  Glucks- 
güter,  Flnmmenspitzen,  Schlangen  und  auf  schwierige  Fürthen?  — 

Dort  in  der  Einsamkeit  findet  man  das  Heil  durch  Contempl&tion, 
durch  Vertiefung  in  die  Gottheit  und  die  höchste  Erkenntniss. 

Bhartrih.  3,  36  (I.  S.  2072).  Die  Genosse  der  Menschen  sind  un- 
stat  wie  die  in  den  Wolkenmassen  zuckenden  Blitze;  ihr  Leben  ver- 
ein gl  ich  wie  das  Wasser,  das  in  den  dichten  Wolken  ruht,  die  der 
Wind  zersprengt;  die  Wünsche  ihrer  Jugend  .von  keinem  Bestände. 
Habt  ihr,  Verständige,  solches  erkannt,  so  richtet  alsbald  die  Gedanken 
auf  die  Vereinigung  des  Geistes  mit  der  Gottheit,  wenn  euch  durch  Be- 
harrlichkeit die  Vertiefung  gelingt. 

Cantic,  4,.  16  (I.  S.  4568).  Wohl  ehrte  ich  ehemals,  da  die  be- 
weglichen Augenwinkel  der  lotusaugigen  Madchen  mein  Herz  heftig  an- 
zogen, die  Anmuth  der  Jugend;  jetzt  aber  ist  ein  (anderes)  unbeschreib- 
liches Gefühl  in  meinem  Herzen,  das  rein  ward  durch  die  Erkenntniss, 
die  ich  von  dem  in  mir  ruhenden  Guten  und  Bösen  gewann,  und  durch 
das  Zurückziehen  der  Sinne  von  den  Sinnesgegenständen, 

Das  Bild  der  frommen,  in  Vertiefung  lebenden  Anachoreten 
wird  oft  mit  begeisterten  Worten  ausgemalt  Diese  Männer  in 
ihrer  Freiheit  von  allen  Wünschen  erscheinen  dem  Inder  reich 
und  gross  wie  Fürsten.    So  heisst  es  z.  B.  (Ind.  Spr.  2054): 

Der  Erdboden  ist  sein  Lager,  die  eigenen  Armlianen  sind  sein 
Kopfkissen,  der  blaue  Himmel  sein  Zelt,  der  Mond  seine  Leuchte,  seine 
Lust  hat  er  an  dem  ihm  zugefallenen  Umgange  mit  seinem  Weibe  Ent- 
ft&jpng,  die  Himmelsgegenden  sind  die  Jungfrauen,  die  ihm  mit  den 
binden  als  Fliegenwedeln  Ton  allen  Seiten  zufächeln;  so  ruht  der  Bettler 
[d.  h.  der  religiöse  Bettler,  der  Anachoret],  obgleich  er  alle  Wünsche 
aufgegeben  hat,  wie  ein  Fürst  auf  der  Erde. 

Bisweilen  mischt  sich  in  diese  Schilderung  des  contem- 

plativen  Lebens  ein  Anflug  von  Humor: 

Bhartrih.  8,  92  (I.  8.  808).  Werden  wohl  die  schönen  Tage  für 
mich  kommen,  wo  ich  am  Ufer  der  Ganga  auf  einem  Felsblock  des  Hi- 
mAUya  mit  gekreuzten  Beinen  sitzen  und  durch  bestandig  fortgesetztes 
Naehainnen  über  das  Brahman  in  einem  schla Ahnlichen  Zustande  von 
Versenkung  mich  befinden  werde,  die  schönen  Tage,  wo  alte  Gazellen 
unbesorgt  ihre  Hörner  an  meinem  Körper  reiben  werden? 

Es  sind  besonders  drei  Werke,  in  welchen  Entsagung, 
Weltflucht  und  die  Herrlichkeit  der  Gontemplation  geschildert 
werden:  Mohamudgara  oder  der  Hammer  der  Thprheit,  Can- 
tic,ataka  oder  die  Centurie  des  Seelenfriedens,  und  Bhar- 
trihari's  Centurie  der  Entsagung  (Vairagyacataka).  In  der 
letzteren  geschieht  dies  bisweilen  mit  humoristischem  oder  iro- 
nischem Beigeschmack,  und  es  stimmt  dies  vortrefflich  zu  der 


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Persönlichkeit  des  merkwürdigen  Dichters,  der,  wie  wir  jetzt 

wissen,  zwischen  dem  geistlichen  und  weltlichen  Leben  hin  und 

her  schwankte  und  sieben  Mal  in's  Kloster  ging.1 

Mag  nun  aber  das  Einsiedlerleben  noch  so  hoch  gepriesen, 

noch  so  schön  und  grossartig  ausgemalt  werden,  Eines  fehlt 

hier  doch  und  dies  Eine  ist  in  einem  der  Spräche  schön  und 

treffeud  hervorgehoben  (I.  S.  2958): 

Ein  Rasenplatz  als  Lager,  ein  reiner  Steinblock  als  Sitz,  der  Fuss 
der  Baume  als  Wohnung,  kaltes  Wasser  von  Wasserfallen  als  Trank, 
Wurzeln  als  Speise,  Gazellen  als  Gefährten.  Am  Walde,  der  allen 
diesen  Reich thum  darbietet,  ohne  dass  man  darum  zu  bitten  brauest, 
ist  nur  der  eine  Fehler,  dass  man  da,  weil  Bedürftige  in  ihm  schwer 
anzutreffen  sind,  lebt  ohne  die  Mühen  der  Arbeit  für  Andre. 

Das  trifft  den  Kern  der  Frage,  das  ist  schön  und  edel 
gedacht:  die  Mühen  der  Arbeit  für  Andre  dürfen  unsrem  Leben 
nicht  fehlen,  wenn  es  wahren  Werth  und  Inhalt  haben  soll. 

Es  wäre  in  der  That  schlimm  und  traurig,  wenn -die  ab- 
solute Weltflucht  als  der  Weisheit  letzter  Schluss  gelten  sollte. 
Ein  gesunder  Sinn  weist  hier  auch  bei  den  Indern  richtigere 
Bahnen  und  findet  in  der  Vergänglichkeit  aller  irdischen 
Güter  vor  Allem  eine  ernste  Mahnung  zur  Tugendübung 
So  heisst  es  z.  B.  im  Hitopadeea  (4,  127;  L  S.  946): 

Das  Leben  der  Menschen  ist  so  unstat  wie  das  Bild  de*s  Mondes 
im  Wasser;  hat  man  Solches  erkannt,  so  übe  man  stets  Gutes. 

Und  ferner: 

Hitopadeea  4,  128  (I.  S.  2253)  Hat  man  es  erkannt,  dass  das 
Leben  wie  eine  Luftspiegelung  in  einem  Augenblick  zusammenbrechen 
kann,  dann  schliesse  man  sich  den  Guten  an,  der  Tugend  und  des  Glückes 
wegen. 

Bhartrih.  3,  99  (L  S.  2917).  Das  Alter  steht  drohend  da  wie 
eine  Tigerin,  Krankheiten  stürmen  wie  Feinde  auf  den  Körper  ein,  das 
Leben  ▼errinnt  wie  Wasser  ans  einem  zerbrochenen  Kruge :  dass  die 
Welt  dennoch  Böses  thut,  ist  ein  Wunder. 

Mit  den  vergänglichen  irdischen  Gütern  erwerbe  man  sich 

unvergängliche  Schätze.    Unvergänglich  aber  bleibt  uns  nur 

Eines:  das  sind  die  guten  Werke,  die  wir  gethan,  die  Tugend, 

die  wir  geübt  haben.  So  heisst  es  in  den  indischen  Sprüchen: 

I.  S.  398.  Bis  zur  Leichenstatte  nur  gehen  Verwandte  und  Freunde 
mit  dir;  dann  kehren  sie  um  und  du  musst  nun  ganz  allein  weiter  gehen ; 
thue  also  gute  Werke  (damit  du  nicht  ohne  Geleite  seiest). 

I.  S.  516.  Kur  einen  Freund  giebt  es,  der  auch  im  Tode  uns  folgt, 
die  Tugend;  alleB  Andere  fallt  ja  mit  dem  Körper  der  Vernichtung 
anheim. 


1  Vgl.  oben  p.  664. 


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—  .673  - 

I.  S.  1548.  Nicht  Vater,  nicht  Mutter  bleiben  ja  bei  ihm  als  Ge- 
führten aaf  dem  Gange  in's  Jenseits;  nicht  Söhne  und  Gattin,  nicht  die 
Verwandten;  die  Tugend  allein  bleibt  bei  ihm. 

Darum  achte  man  wohl  auf  die  warnende  Stimme  im 
eigenen  Busen,  das  Gewissen,  welches  der  Inder  mit  einem 
schönen  und  originellen  Bilde  den  alten  Einsiedler  im  Herzen 
nennt. 

I.  S.  562.  Wenn  du  meinst,  du  seiest  allein,  so  kennst  du  den  im 
Herzen  sitzenden  alten  Weisen  nicht:  du  begehst  ja  die  Sunde  in  Gegen- 
wart dessea,  der  die  böse  That  kennt. 

Die  allgemeine  Menschenliebe  wird  von  den  Indern 
begeistert  verkündigt;  wie  sie  aber  in  Allem  in's  Extrem  gehen» 
so  dehnen  sie  ihre  Weitherzigkeit  auch  weit  über  die  Grenzen 
der  Menschheit  aus,  indem  sie  lehren,  dass  man  alle  lebenden 
Wesen  mit  seiner  Liebe  umfassen,  iu  allen  Wesen  sich  selbst 
sehen,  aller  andern  Wesen  Leid  und  Freude  wie  seine  eigne 
empfinden  solle.    So  heisst  es: 

Vikramac.  169  (I.  8.  2683).  Wer  beim  Anblick  betrübter  Ge- 
schöpfe betrübt  oder  beim  Anblick  froher  Geschöpfe  froh  wird,  der 
kennt  das  Gesetz  bis  auf  den  Grund. 

Mob  am.  (I.  S.  4155).  In  dir,  in  mir  und  auch  im  Andern  ist  nur 
<ler  eine  Vishnu;  unnützer  Weise  zürnst  du  Unduldsamer  mir!  Erblicke 
Jedermann  in  dir  und  dich  in  Jedermann  und  gieb  es  auf,  überall  Ver- 
schiedenheit zu  sehen! 

Mhbh.  12,  9923  (I.  S.  5005).  Der  Weise  benimmt  sich  gegen  alle 
Geschöpfe  wie  gegen  sich  selbst  und  giebt,  zufriedengestellt  und  reines 
Herzens,  Alles  auf. 

Agni-P.  im  CKDr.  (I.  S.  1701).  Edle  Menschen,  stets  betrübt 
über  die  Leiden  Andrer,  achten  nicht  des  eigenen  Glückes,  wäre  dieses 
such  noch  so  gross;  sie  haben  ihre  Freude  an  dem  Wohl  aller  Geschöpfe. 

I.  S.  3046.  Hört  die  Summe  des  Gesetzes,  die  in  Millionen  von 
Lehrbüchern  verkündet  wird :  Andern  zu  helfen  bringt  Verdienst,  Andre 
so  peinigen  —  Sünde. 

Bhartrih.  (I.  8.  203).  „Dieser  ist  entweder  Einer  von  den  Unsrigen 
oder  ein  Fremder /'  so  rechnen  Menschen  von  niedcrem  Sinne;  Männer 
ton  edler  Handlungsweise  dagegen  betrachten  die  ganze  Erde  als  ihre 
Familie. 

Mbbb.  3,  16782  (I.  S.  78).  Keinem  Wesen  etwas  zu  Leide  zu  thun, 
weder  durch  That,  noch  durch  Gedanken,  noch  durch  Worte,  wohlwollen 
and  spenden  —  ist  der  Guten  ewiges  Gesetz. 

Die  höchstdenkbare  Selbstlosigkeit,  in  der  der  Mensch 
auf  jeden  Lohn  verzichtet,  verherrlicht  folgender  Spruch: 

Vikramac.  140  (I.  S.  1731).  Solche  edle  Menschen,  die  daran 
Gefallen  finden,  Andern  Dienste  zu  leisten,  und  die  nicht  einmal  ein 
Verlangen  haben  nach  deu  Freuden  des  Himmels,  sind  zum  Heil  der 
Welt  auf  Erden  erzeugt 

Sehr  schön  heisst  es  auch  Vikramac.  65(1.  S.  921):  Grosse  Bäume 
(Feigenbäume)  inachen  Andern  Schatten  und  stehen  selbst  in  der  Sonnen* 
gluth.  tragen  Früchte  für  Andre,  nicht  für  sich. 

v.  Schröder,  Indien»  Lit.  u.  CuH.  43 


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Kennzeichen  des  edlen  Menschen  ist,  für  seine  guten  Thaten 
keine  Gegenleistung  zu  erwarten  oder  auch  nur  zu  wünschen. 

So  heisst  es: 

Mhbh.  2,  2439  (I.  8.  5329).  Gute  gedenken  nur  der  ihnen  er- 
wiesenen Wohlthaten,  nicht  aber  der  Feindseligkeiten;  wenn  sie  eines 
Andern  Sache  betreiben,  rechnen  sie  auf  keine  Wiodervergeltung. 

f'ärng.  Paddh.  (I.  S.  3754).  Grossen  Männern  hohen  und  edlen 
Wesens  ist  eine  gewisse  Hartherzigkeit  eigen,  die  darin  besteht,  dass 
sie,  wenn  sie  Jemand  einen  Dienst  erwiesen  haben,  sich  fern  halten  ans 
Furcht,  der  Andre  möchte  ihnen  einen  Gegendienst  leisten. 

Gehen  wir  specieller  auf  die  einzelnen  Tugenden  ein, 

die  wir  gemäss  den  indischen  Sprüchen  im  Dienste  Andrer 

üben  sollen,  so  treten  in  Uebereinstimmung  mit  dem  gesammten 

Wesen  des  Inders  die  weichen  und  weiblichen  Züge,  Güte,  Milde, 

Nachsicht  u.  s.  w.  besonders  stark  darin  hervor.    Es  ist  eine 

liebende,  dnldonde,  tragende  und  vergebende  Moral,  die  hier 

gelehrt  wird    So  heisst  es: 

C&rüg.  Paddh.  (I.  8.  850).  Mitleid,  Nachsicht,  Wahrhaftigkeit, 
Schonung  alles  Lebenden,  Selbstbezahmung,  Rechtlichkeit,  Zuneigung. 
Gewogenheit,  Liebenswürdigkeit  und  MUde  sind  die  zehn  Formen  der 
Selbstverläugnung. 

Und  ferner  Mhbh.  12,  12433  (I.  S.  3708).  MUde  ist  die  höchste 
Tugend,  Nachsicht  die  grösste  Macht,  die  Kenntniss  der  Seele  die  höchste 
Kenntniss,  und  etwas  Höheres  als  die  Wahrheit  giebt  es  nicht. 

£atr.  2,  186  (I.  S.  1064).  Thue  Niemand  Schaden,  übe  Mitleid, 
beobachte  das  ewige  Gesetz  und  bringe  selbst  mit  Aufopferung  des  eigenen 
Lebens  Hülfe  den  Geschöpfen. 

Sehr  schön  sagt  das  Mahabharata  (3,  13253:  I.  S.  942):  Den 
Habsüchtigen  gewinne  man  durch  Freigebigkeit,  den  Lügner  durch 
Wahrheit,  den  rohen  Uebelthäter  durch  Nachsicht,  den  Bösen  durch  Gü* 

I.  S.  5129.  Wer  Wahrhaftigkeit  und  Mitleiden  mit  Bedrängten  in 
allen  Fällen  sich  zur  Aufgabe  gestellt  hat,  und  wer  die  Liebe  und  den 
Zorn  in  seiner  Gewalt  hat,  der  hat  die  drei  Welten  erobert 

Mit  Güte  und  Liebe  sollen  wir  gege,n  Jedermann  ohne 
Unterschied  verfahren: 

Hit.  1,  55  (I.  S.  1665).  Gute  üben  Mitleid  auch  gegen  Geschöpfe 
die  keine  Vorzüge  besitzen;  der  Mond  entzieht  ja  nicht  sein  Licht  der 
Hütte  des  Pariah. 

Selbst  dem  Feinde  sollen  wir  nichts  Böses  thun. 

Manu  2,  161  (I.  S.  1553).  Man  soll  Niemand  einen  Schmerz  be- 
reiten, selbst  wenn  man  beleidigt  worden  wäre. 

Paficat.  1,  171  (I.  S.  136).  Sinne  niemals  Böses  gegen  diejenigen, 
welche  dir  etwas  zu  Leide  thun;  sie  werden  von  selbst  fallen,  wie 
Bäume,  die  am  Ufer  wachsen. 

Das  Unrecht,  das  uns  angethan  wird,  sollen  wir  zu  Ter- 
geben  wissen.    So  heisst  es: 


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—   675  - 

Mhbh.  12,  11009  (I.  8.  4583).  Man  verzeihe  es  einem  Schlechteren, 
einem  Besseren  und  auch  einem  Gleichen,  wenn  man  bei  der  Ehre  an- 
gegriffen, geschlagen  oder  angeschrieen  wird;  so  wird  man  zur  höchsten 
Glückseligkeit  gelangen. 

Haben  wir  selbst  ein  Unrecht  begangen,  so  kann  nns  wahre 
Reue  davon  befreien. 

Manu  11,  280  (I.  8.  8967).  Hat  man  eine  Sunde  begangen,  so  be- 
freit man  sich  von  dieser  Sünde  dadurch,  dass  man  Reue  empfindet,  und 
rein  wird  der,  der  ihr  entsagt,  indem  er  zu  sich  spricht;  so  will  ich 
nicht  wieder  handeln. 

Der  Niedriggesinnte  spürt  bei  Andern  das  Schlechte  auf, 

will  es  bei  sich  selbst  aber  nicht  wahrnehmen.    So  heisst  es: 

Mhbh.  1,  8069  (I.  8.  800).  Der  böse  Mensch  sieht  bei  Andern  Ge- 
brechen von  der  Grösse  eines  Senfkorns,  seine  eigenen  dagegen,  die  so 
gross  wie  Vilva- Früchte  sind,  sieht  er  wohl,  will  sie  aber  nicht  sehen. 

Er  sieht  also  den  Splitter  in  des  Bruders  Auge,  wird  aber 
des  Balken  im  eigenen  Auge  nicht  gewahr. 
Ganz  anders  der  edle  Mensch.1 

16,  30  (I.  S.  1825).  M&nner  von  edler  Gesinnung  besitzen  eine 
grosse  Geschicklichkeit,  sogar  offen  zu  Tage  tretende  Fehler  Andrer 
lange  geheim  zu  halten;  wenn  es  dagegen  gilt,  die  eignen  Vorzüge  zu 
entfalten,  so  verrathen  sie  eine  ausserordentliche  Unbeholfenheit. 

Und  ferner  heisst  es: 

I.  S.  2026.  Ueberaus  schön  ist  die  Erscheinung  eines  edlen  Men- 
schen, wenn  er  die  Vorzüge  Andrer  aller  Welt  kund  thut;  des  Mondes 
Strahlen  zeigen  doppelten  Glanz,  wenn  er  der  Nachtwasserrosen  Kelche 
öffnet 

Der  edle  Mensch  ist  demüthig  und  bescheiden: 

Bhartrih.  2,  62  (I.  S.  2029).  Die  Baume  neigen  sich  unter  den 
angesetzten  Früchten,  die  Wolken  senken  sich  stark  ob  der  neu  hinzu- 
gekommenen Wasser,  edle  Menschen  tragen  das  Haupt  nicht  hoch  ob 
der  Reichthümer;  dies  ist  das  angeborene  Wesen  derer,  die  sich  dem 
Dienste  Andrer  weihen. 

Besonders  erfreulich  muss  es  uns  berühren,  wenn  selbst 
die  bei  den  Inder u  sonst  so  schwerwiegenden  und  drückenden 
Kastenunterschiede  gegenüber  den  sittlichen  Eigenschaften 
in  den  Hintergrund  gestellt  werden.    So  heisst  es  z.  B.: 

Mhbh.  13,  2610  (I.  S.  4096).  Sogar  einen  Höheren  ehrt  man  nicht, 
wenn  ihm  edle  Sitten  abgehen,  und  selbst  einen  £udra  ehrt  man,  wenn 
er  seine  Pflichten  kennt  und  sich  gut  beträgt.  —  Und  ferner: 

Mhbh.  3,  14075  flg.  (I.  S.  4641.  42).  Ein  Brahmane,  der  uner- 
laubte, zum  Verluste  der  Kaste  führende  Handlungen  verübt,  der  ein 

1  Tgl.  auch  Can.  58  (I.  S.  4680).  Fliegen  spüren  Wunden  auf, 
Bienen  —  Blumen;  gute  Menschen  —  Vorzüge,  gemeine  Menschen  — 
Fehler. 

43* 


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—    676  — 

Heuchler  ist  und  Verstand  zu  Missethaten  besitzt,  Ist  einem  Cüdra  gleich 
Einen  ^üdra  dagegen,  der  bestandig  Selbstbeherrschung,  Wahrheit  und 
Gerechtigkeit  sich  angelegen  sein  läast,  halte  ich  für  einen  Brahmanec, 
da  er  seinem  Betragen  nach  ein  Zweimalgeborener  ist. 

Was  uus  auf  unserer  jetzigen  Culturstufe  die  in  den 
Sprüchen  zu  Tage  tretende  indische  Welt-  und  Lebensan- 
schauung besonders  nahe  bringt,  ist  die  hohe  und  aufrichtige 
Werthschätzung  echter  Wissenschaft,  während  das  Wort- 
heldenthum und  die  aufgeblähte  Scheingelehrsamkeit  energisch 
bekämpft  werden.   So  heisst  es  z.  B.: 

Hit.  Pr.  4.  Unter  allen  Schätzen  ist,  wie  man  sagt,  das  Wissen 
der  höchste  Schatz,  da  er  weder  gestohlen  noch  abgeschätzt  werden 
kann  und  auch  nimmer  zu  Ende  geht. 

Hit.  Pr.  9  (I.  S.  111).  Wem  Wissenschaft  abgeht,  die  mannigfache 
Zweifel  löst,  Unsichtbares  offenbar  macht,  das  Auge  für  Alles  ist,  der 
ist  blind. 

I.  8.  985.  Das  Juwel  Gelehrsamkeit  ist  ein  grosses  Vermögen,  das 
die  Angehörigen  nicht  unter  sich  vertheilen,  das  kein  Dieb  forttragt  und 
das  durch  Verschenken  nicht  aufgezehrt  wird. 

Vriddha-Can.  (I.  S.  4242).  Wer  des  Geldes  ermangelt,  dem 
mangelt  es  noch  nicht,  der  ist  sicher  noch  ein  reicher  Mann;  wer  aber 
der  rerle  des  Wissens  ermangelt,  dem  mangelt  es  in  allen  Dingen. 

Bhartrih.  2,  13  (I.  S.  3346).  Gegen  Diejenigen,  die  einen  inneren 
Schatz,  Wissen  genannt,  besitzen,  einen  Schatz,  der  nicht  in  den  Bereics 
eines  Diebes  kommt,  der  stets  um  ein  Weniges  zunimmt,  der,  an  Bittende 
gegeben,  dennoch  bestandig  wachst,  und  der  sogar  am  Ende  der  Weit 
nicht  zu  Grunde  geht,  gegen  solche  musst  ihr,  o  Fürsten,  den  Stolz  auf- 
geben!  Wer  wird  mit  ihnen  wetteifern? 

Cän.  3  (I.  S.  2804).  Der  Stand  der  Gelehrten  und  der  der  Förster 
sind  nimmer  gleich;  nur  im  eigenen  Lande  wird  der  Fürst  geehrt,  der 
Gelehrte  aber  tiberall. 

Und  was  uns  am  meisten  mit  Hochachtung  Tor  diesen 
Anschauungen  erfüllen  inuss,  ist  der  Gedanke  eines  andern 
Spruches: 

Mhbh.  5,  1010  (I.  S.  3591).  Wer,  wenn  er  zu  grossem  Vermögen, 
zu  Wissen  und  Herrschaft  gelangt  ist,  bescheiden  auftritt,  der  wird 
für  gebildet  erklärt. 

Im  Gegensatz  dazu  wird  nun  die  falsche  Gelehrsamkeit 
und  Unbildung  geschildert: 

Sucr.  1,  13  (I.  S.  4780).  Wie  ein  Esel,  der  eine  Last  Sandelholl1 
trägt,  einen  Begriff  von  der  Last,  aber  nicht  vom  Sandelholz  hat,  gerade 
so  tragen  ja  Diejenigen,  die  viele  Bücher  gelesen,  aber  nicht  den  Sinn 
begriffen  haben,  Lasten  nach  Art  der  Esel.  —  Und  ferner: 

Mhbh.  2,  1945  (I.  8.  2434).  Wer  keinen  eignen  Verstand  besitzt 
sondern  nur  Vieles  gelernt  hat,  der  kennt  den  Sinn  der  Lehrbücher 
nicht  wie  der  Löffel  den  Geschmack  der  Brühe. 


1  Ein  kostbares,  schon  duftendes  Holz. 


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—    677  - 


Wer  aber  aller  höhereu  Cultur  fern  bleibt,  der  bekommt 

harte  Worte  zu  hören: 

Bhartrih.  Suppl.  2  (I.  S.  3250).  Wer  sich  weder  mit  der  Dicht- 
kunst noch  init  der  Musik,  noch  mit  irgend  einer  andern  Kunst  be- 
schäftigt, der  ist  ein  leibhaftiges  Vieh,  dem  nur  Schweif  and  Horner 
fehlen.  Wenn  er,  auch  ohne  Gras  zu  fressen,  am  Leben  bleibt,  so  ist 
dies  das  höchste  Glück,  das  dem  Vieh  zu  Theil  ward. 

Ein  wichtiger  Maassstab  für  die  Beurtheiiung  der  Cultur 
eines  Volkes  ist  bekanntlich  die  Stellung,  welche  die  Frauen 
bei  demselben  einnehmen.  Ueber  Weiber  und  Weibernatur 
fällt  nun  freilich  manches  bittre  Wort  in  den  indischen  Sprüchen. 
So  z.  B.: 

Kathas.  37,  143  (I.  S.  5158).  Der  Weiber  Zuneigung  wahrt  nur 
einen  Augenblick  wie  die  Farbe  der  Morgen-  und  Abendröthe ;  ihre  Ab- 
sichten sind  gewunden  wie  das  Bette  eines  Flusses ;  man  darf  den  Weibern 
ebensowenig  wie  Schlangen  trauen,  und  unstät  sind  sie  wie  der  Blitz. 

KathAs.  36,  87  (I.  S.  5309).  Wo  Weibernatur,  Rausch,  ein  ein- 
samer Ort,  das  Antreffen  eines  Mannes  und  Unbeschr&nktheit ,  diese 
fünf  Feuer  lodern,  wie  kann  da  noch  vom  Strohhalm  Sittlichkeit  die 
Rede  sein? 

Mhbh.  13,  1473  (I.  8.  5213).  Bekanntlich  trifft  man  unter  tausend 
Frauen  irgend  ein  Mal  eine  einzige,  oder  gar  unter  hunderttausenden 
eine,  die  dem  Gatten  ergeben  wäre. 

In  erfreulichem  Gegensatze  zu  solchen  und  ähnlichen  pessi- 
mistischen Aeusserungen  stehen  nun  aber  gar  manche  andre,  in 
denen  wir  einer  edlen  Auffassung  vom  weiblichen  Geschlechte 
begegnen.    So  sagt  z.  B.  das  Gesetzbuch  des 

Manu  3,  56  (1.  S.  4772):  Wo  die  Frauen  geehrt  werden,  da  freuen 
sich  die  Götter;  wo  aber  jene  nicht  geehrt  werden,  da  bleiben  alle  hei- 
ligen Werke  fruchtlos.  —  Und  ferner  heisst  es: 

Dampatlc.  59  (I.  S.  4781).  Wie  durch  ein  Bad  in  der  Gaflga  der 
Körper  rein  wird,  so  wird  man  beim  Anblick  eines  treuen  Weibes  durch 
ihr  Glück  rein. 

Vor  Allem  von  dem  ohelichen  Vnrhältniss,  von  der 
Stellung  der  Gattin  bei  den  Indern  müssen  wir  aus  den 
Sprüchen  einen  sehr  günstigen  Eindruck  gewinnen: 

Mhbh.  1,  3028  (I.  8.  230).  Die  Gattin  ist  die  eine  Hälfte  des  Men- 
schen; die  Gattin  ist  der  beste  Freund;  die  Gattin  ist  die  Wurzel  des 
Reichthums,  der  Annehmlichkeiten  und  der  Tugend. 

Mhbh.  12,  5508  (I.  S.  4448).  Kein  Freund  ist  einer  Gattin  gleich, 
keine  Zuflucht  ist  einer  Gattin  gleich,  kein  Gehülfe  beim  Einsammeln 
guter  Werke  ist  in  der  Welt  einer  Gattin  gleich. 

Mhbh.  12,  5607  (I.  S.  4102\  So  giebt  es  auch  für  de  von  Krank- 
heit heimgesuchten,  in  steter  Noth  befindlichen,  unglücklichen  Mann 
keine  Arznei,  die  der  Gattin  gleichkäme.1 


>  Aehnlich  Mhbh.  3,  2325  (I.  S.  1373\ 


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—    678  — 

Vi  kram ac.  284  (I.  S.  1200).  Eine  Gattin,  die  ganz  der  Tagend 
lebt,  errettet  den  Gatten,  sowohl  den  unglücklichen  als  auch  den  gluck- 
lieben, und  auch  ddo,  der  an  allem  Bösen  Gefallen  findet 

I.  S.  3494.  Eine  Gattin,  die  einen  blinden,  buckligen,  aussätzigen, 
von  Krankheiten  heimgesuchten  und  in's  Unglück  gerathenen  Gatten 
nicht  verlasst,  heisst  eine  Hochtreue. 

Paücat  3,  152  (1.  S.  1868).  Man  sagt,  dass  nicht  ein  Haus  das 
Haus  mache;  eine  Hausfrau  macht,  so  heisst  es,  das  Haus,  da  ein  Haos 
ohne  Hausfrau,  so  meint  man,  einer  Wildniss  gleicht 

Auch  über  die  rechte  Freundschaft,  die  Verbindung 
mit  Edlen  u.  dgl.  begegnen  wir  manch  schönem  Gedanken. 

So  Paücat.  2, 172  (L  S.  177).  Diejenigen  nennt  man  wahre  Freunde, 
welche  hier  den  Menschen  Heilsames  sagen,  selbst  wenn  dieses  nicht 
angenehm  zn  hören  ist;  die  übrigen  fuhren  nur  den  Namen  von  Freunden. 

Paücat.  2,  118  (I.  S.  4987).  Wessen  Herz  durch  Reichthümer 
nimmer  einen  Wandel  erleidet  und  wer  zu  jeglicher  Zeit  Freund  ist, 
den  Vorzüglichen  wähle  man  sich  zum  Freunde. 

Hit  1,  86  (I.  8.  2253).  Ein  böser  Mensch  ist  wie  ein  irdener  Krug 
leicht  zu  trennen  und  schwer  zu  einen,  der  gute  Mensch  dagegen  wie 
ein  goldener  Krug  schwer  zu  trennen  und  schnell  zu  einen.  —  Ein 
schönes  Bild! 

Pancat.  3,  58  (I.  S.  2145).  Wen  erhebt  nicht  die  Berührung  mit 
einem  Grossen?  Ein  Wassertropfen  auf  dem  Blütenblatte  einer  Wasser- 
rose zeigt  einer  Perle  Pracht. 

Von  hervorragender  Wichtigkeit  ist  in  der  indischen  Spruch- 
weisheit die  Vorstellung  vom  Schicksal.  Wie  eine  dunkle 
Macht  tritt  es  ein  in's  Leben,  Glück  oder  Schrecken  bringend, 
wie  es  ihm  beliebt,  da  giebt  es  kein  Entrinnen. 

Bhartrih.  2,  91  (I.  S.  2065).  Man  wende  alle  seine  Kraft  an. 
tauche  in's  Meer,  steige  auf  des  Meru  Gipfel,  besiege  die  Feinde  in  der 
Schlacht,  erlerne  den  Handel,  den  Ackerbau,  den  Dienst  und  andere 
Gewerbe,  alle  Wissenschaften  und  die  Künste,  erhebe  Bich  wie  ein  Vogel 
in  den  weiten  Himmelsraum:  was  nicht  geschehen  soll,  geschieht  durch 
des  Schicksals  Willen  hier  auch  nicht;  wie  sollte  das,  was  geschehen 
soll,  unterbleiben? 

Paücat  2,  87  (I.  S.  740\  Ein  armer  Karpfen  entschlüpfte  der 
rauhen  Hand  eines  Fischers,  die  ihn  gepackt  hatte,  fiel  aber  wieder  ia'f 
Netz  hinein;  dem  Netze  entkam  er  wieder,  wurde  aber  darauf  von  einem 
Reiher  verschluckt,  wenn,  o  wehe,  das  Schicksal  feindlich  ist,  wie  sollte 
man  dann  dem  Unglück  entrinnen? 

Aber  dennoch  nimmt  die  Vorstellung  vom  Schicksal  hier 
keineswegs  einen  solchen  Charakter  an,  dass  sie  alle  Thatkraft 
lähmt.  Als  Schicksal  gelten  nämlich  den  Indern,  gemäss 
ihrem  Glauben  an  eine  Seelenwanderung,  die  eigenen  Thaten 
der  Menschen,  die  sie  in  einer  früheren  Existenz  gethan  haben, 
deren  Lohn  und  Strafe  sie  nun  hier  ernten.  Nach  diesem 
Glauben  sind  wir  an  unserem  Schicksal  selbst  schuld,  wenn 
wir  uns  dessen  auch  durchaus  nicht  bewusst  sind,  und  nach 


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—   679  - 

eben  diesem  Glauben  sind  wir  im  Stande,  durch  die  rechte 
Handlungsweise  wenigstens  für  die  Zukunft  unser  Schicksal 
selbst  zu  bestimmen.    So  heisst  es  z.  B.: 

Hit  Pr.  32  (I.  S.  1817).  Die  Werke,  die  man  in  einem  früheren 
Leben  vollbracht  hat,  heissen  Schicksal;  darum  sollen  wir  mit  der  uns 
eigenen  Menschenkraft  unverdrossen  uns  anstrengen. 

Und  deutlich  wird  es  ausgesprochen,  dass  das  Schicksal 
nur  einen,  wenn  auch  einen  wichtigen  Faktor  beim  Zustande- 
kommen der  Ereignisse  bildet,  dass  die  eigne  That  des  Men- 
schen ihm  ebenbürtig  zur  Seite  steht. 

Yäjii.  1,  348  (I.  S.  4222).  Vom  Schicksal  und  von  der  That  des 
Meuschen  hängt  das  Gelingen  eines  Unternehmens  ab:  das  Schicksal  ist 
aber  offenbar  nur  die  That  des  Mannes  in  einem  friiberen  Leben. 

Immer  wieder  und  wieder  hören  wir  die  Mahnung,  nicht 
die  Hände  in  den  Schooss  zu  legen  und  auf  das  Schicksal  zu 
warten;  die  eigne  That  des  Menschen  darf  nicht  fohlen. 

Hit.  Pr.  29  (I.  S.  1400).  Man  gebe  nicht  die  eigene  Arbeit  auf, 
bei  sich  denkend:  das  Schicksal  wird  es  thuu!  Wer  vermöchte  ohne 
Arbeit  Oel  aus  Sesamkörnern  zu  gewinnen? 

Mhbh.  13,  301  (I.  S.  2315).  Wie  Samen,  der  ausserhalb  eines 
Feldes  ausgesäet  wird,  keine  Frucht  tragt,  so  geht  auch  das  Schicksal 
ohne  die  Arbeit  des  Menschen  nicht  in  Erfüllung. 

Mhbh.  3, 1215  (1.  S.  4916).  Der  Thörichto,  welchor,  auf  das  Schicksal 
wartend,  ohne  sich  zu  regen  behaglich  ruht,  geht  ja  zu  Schanden  wie 
ein  ungebrannter  Topf  im  Wasser. 

Dem  gegenüber  wird  denn  auch  Statthaftigkeit,  Festig- 
keit, Charakter,  Weisheit  gegenüber  den  Schicksalsschlägen 
oft  genug  gepriesen. 

Kam.  Nitis.  13,  6  (I.  S.  2650).  Das  Glück  weicht  nicht  von  dem, 
der  mit  festem  Willen  ausgestattet  ist  und  ehrlich  zu  Werke  geht,  eben- 
sowenig wie  der  Schatten  vom  Körper;  wohl  aber  wachsen  beide. 

PaBcat.  2,  7  (I.  S.  3187).  Im  Glück  wie  im  Unglück  bleiben 
grosse  Charaktere  sich  gleich;  roth  ist  die  Sonne  beim  Aufgang,  roth 
auch  beim  Untergang. 

Bhartrih.  2,  81  (I.  S.  1581).  Kenner  der  Lebensklugheit  mögen 
sie  tadeln  oder  loben,  das  Glück  kehre  bei  ihnen  ein  oder  ziehe  von 
dannen,  wohin  es  ihm  beliebt;  der  Tod  komme  schon  heute  oder  erst 
nach  Ablauf  eines  Weltalters;  charakterfeste  Männer  weichen  keinen 
Schritt  vom  rechten  Pfade. 

Bhartrih.  2,  56  (I.  S.  3188).  Im  Glück  ist  das  Herz  bei  Männern 
hohen  Sinnes  zart  wie  Lotus  und  im  Unglück  hart,  wie  wenn  ein  Stein 
mit  einem  mächtigen  Felsen  zusammenstiesse. 

Bhartrih.  Suppl.  17  (I.  S.  1906).  Wenn  ein  Edler  auch  fällt,  so 
pflegt  er  wie  ein  Spielball  zu  fallen,  indem  er  sich  wieder  erhebt;  der 
Unedle  fällt  aber  nach  Art  eines  Erdenklosses. 

Wahre  Weisheit,  die  die  Notwendigkeit  des  Ge- 
schehens erkennt,  vermag  uns  ruhig  und  fest  zu  machen  in 
allem  Ungemach. 


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—   680  — 

Mhbh.  12,  8201  (I.  S.  513).  Heilige,  Götter,  m&chtige  Dämonen, 
in  dem  Studium  der  drei  Veda  Ergraute  und  Einsiedler  im  Walde,  oder 
wen  sonst  wohl  trifft  in  der  Welt  nicht  Unglück?  Diejenigen  aber,  die 
den  Zusammenhang  von  Ursache  und  Wirkung  kennen,  lassen  sich  da- 
durch nicht  irre  machen. 

Mhbh.  12,  12491  (I-  S.  4442).  Diejenigen  vergiessen  keine  Thräneo, 
die  in  ihrem  Geiste  den  Zusammenhang  der  Dinge  in  der  Welt  erkannt 
haben ;  für  den,  der  Alles  richtig  ansieht,  giebt  es  kein  Thränenvergiesseo. 

Dio  Zufriedenheit  wird  hoch  gepriesen: 

Paiicat.  2,  163  (I.  8.  1781)  Denen,  die  Zufriedenheit  wie  Nektar 
schlürfen,  wird  die  höchste  Glückseligkeit  zu  Theii,  ununterbrochenes 
Leid  dagegen  dem  unzufriedenen  Menschen. 

Wen  Ehrgeiz  oder  Gewinnsucht  zum  Fürstendiensto 

treibt,  der  muss  die  Warnung  hören: 

Knvalay.  69  (I.  S.  2609).  Den  Fürsten  dienen  heust  so  viel  wie 
die  Schneide  eines  Schwertes  belecken,  einen  Löwen  umfangen,  den 
Mund  einer  Schlange  küsson. 

Aber  freilich,  das  Elend  der  Armuth,  die  dämonische 

Macht  des  Geldes  wird  oft  genug  mit  schmerzlichen  oder  bitteren 

Worten  geschildert: 

Paiicat.  5,  5  (I.  S.  2830).  Selbst  eines  hochweisen  aber  armen 
Mannes  Verstand  schwindet  dahin  ob  der  beständigen  Sorgen  für  Butter, 
Salz,  Oel,  Reis,  Kleidung  und  Feuerung. 

Paiicat  5,  24  (I.  S.  446).  „Stehe  auf,  o  Freund,  und  trage  einen 
Augenblick  die  Last  meiner  Armuth,  indess  ich  Müder  nach  langem 
Harren  dein  Glück,  das  du  dem  Tode  dankst,  geniesse."  So  angeredet 
von  einem  Armen,  der  stracks  zur  Leichenstätte  geeilt  war,  bb'eb  der 
Todte  ruhig  liegen,  da  er  wohl  erkannt  hatte,  dass  der  Tod  ein  grösseres 
Glück  als  Armuth  ist. 

Vikramac.  155  (I.  S.  1148).  Ich  verbeuge  mich  tief  vor  dir,  o  Ar- 
muth, weil  ich  durch  deine  Gnade  übernatürliche  Kraft  erlangt  habe, 
indem  ich  die  Welt  wohl  sehe,  die  Welt  aber  mich  nicht  sieht. 

So  hören  wir  denn  auch  den  Rathschlag: 

Prasangabh.  4  (I.  S.  4238).  Geld  sollst  du  erwerben,  o  Kakutstba! 
Im  Gelde  wurzelt  die  Welt;  keinen  Unterschied  kenne  ich  »wischen 
einem  Armen  und  einem  Todten. 

Und  der  ironische  Bhartrihari  sagt: 

2,  33  (L  8.  2447)  Wer  Reichthümer  besitzt,  ist  ein  Mann  aas  edlem 
Geschlecht,  ist  klug,  gelehrt,  versteht  die  Vorzüge  zu  schätzen,  ist  ein 
gewandter  Redner  und  auch  schön:  alle  Torzüge  beruhen  auf  dem  Golde 

Weit  bittrer  und  höhnender  aher  in  einem  andern  Spruche: 

Bhartrih.  2,  32  (LS.  965).  Der  Stand  fahre  zur  Hölle,  die  ganse 
Schaar  der  Vorzüge  sinke  noch  tiefer  hinab,  die  gute  Gemüthsart  stürz« 
vom  jähen  Felsen,  das  edlo  Geschlecht  werde  vom  Feuer  verzehrt,  aaf 
den  Heldenmuth  falle  wie  auf  ein«>n  Feind  schnell  der  Donnerkeil  nieder, 
Geld  allein  bleibe  uns,  da  ohne  dieses  eine  alle  Vorzüge  so  viel  werth 
sind  wie  ein  Häuflein  Gras. 


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—   681  — 

Solchen  Sprüchen  muss  man  nun  aber  andre  entgegen- 
stellen, die  sehr  anders  reden.    So  hören  wir: 

I.  S.  1288.  Reichthümer  sind  zunächst  schwer  zu  erwerben;  sind 
de  erworben,  so  ist  es  schwer  sie  zu  hüten;  der  Verlust  des  Erworbenen 
ist  wie  der  Tod:  darum  denke  man  nicht  an  Reichthümer. 

Pancat.  1,  312  (I.  S.  2726).  Besser  der  Wald,  besser  Almosen, 
besser  ein  Lebensunterhalt  durch  Lasttragen  als  Gewinnung  von  Reiöh- 
thümcrn  durch  Dienst  bei  dummen  Menschen. 

Und  aus  Bhartrihari's  Sprüchen  wird  uns  energisch 
mahnend  zugerufen  (2,  77;  I.  S.  2731): 

Besser,  dass  dieser  Leib  von  einem  mit  seinem  Gipfel  emporragen- 
den, ehrwürdigen  Berge  auf  irgend  eine  rauhe  Stelle  fällt  und  zwischen 
birten  Felsen  zcr&tbmettert  wird,  besser  die  Hand  in  den  scharfzahnigen 
Rachen  einer  riesigen  Schlange  zu  stecken,  besser  sich  in's  Feuer  zu 
stürzen,  als  dass  die  edlu  Gemüthsart  zu  Grunde  gehe. 

Der  Edle  aber,  der  verkannt  und  gering  geachtet  wird,  darf 
ruhig  bleiben  im  Bewusstsein  seines  Werthes: 

NHiratna  121.  Ein  Edelstein  liegt  zu  den  Füssen,  ein  Glasstück 
wird  auf  dem  Haupte  getragen;  mag  es  ihnen  immerhin  so  ergehen,  wie 
es  ihnen  ergeht,  —  Glas  bleibt  doch  Glas,  und  Edelstein  bleibt  Edelstein. 

In  reieber  Anzahl  würden  sich  noch  andre  Sprüche  dar- 
bieten, die  es  in  hohem  Grade  verdienen  dürften,  angeführt  zu 
werden;  doch  wir  müssen  uns  an  den  gegebenen  Beispielen  ge- 
nügen lassen.  Möchte  es  mir  gelungen  sein,  durch  diese  frei- 
lich nur  flüchtige  Skizze  Ihr  Interesse  für  den  roichen  und 
originellen  Gedankcngehalt  der  indischen  Spruchweisheit  nach- 
haltig erregt  zu  haben.2 


*  Vgl.  Ind.  Spr.  2086. 

*  Eine  Auswahl  von  387  Sprüchen  der  Böhtlingk'schen  Samm- 
lung hat  Ludwig  Fritze  in  metrischer  Form  herausgegeben.  (Indi- 
sche Sprüche.  Aus  dem  Sanskrit  metrisch  übersetzt.  Leipzig,  Reclam's 
l'niv.-Bibl  \  —  Die  Sprüche  des  Bhartrihari  sind  schon  vor  längerer 
Zeit  von  P.  v.  Bohlen  in  metrischer  Uehertragung  einem  weiteren  Publi- 
kum zugänglich  gemacht  worden.  (Hamburg  1835).  Lange  vorher  hatte 
schon  der  Missionar  Abraham  Roger  das  2.  und  3.  Buch  der  Sprüche 
des  Bh.  in's  Hollandische  übersetzt,  in  seiner  Open  Deure  cet.  i.  J.  1651. 
Deutsch,  Nürnberg  1G03,  unter  dem  Titel:  Neu  eröffnetes  Indisches 
Heidenthum].  Herder  machte  Einzelnes  davon  in  geschmackvoller  Form 
als  „Gedanken  eines  Brahmancn"  bekannt.  —  Die  indischen  Weisheits- 
sprüche sind  übrigens  auch  nach  Birma  hinübergewandert  und  finden 
sich  dort  hauptsächlich  in  drei  Sammlungen,  Lokaniti,  Dhammaniti  und 
Rajaniti  genannt,  die  im  l'ali- Dialekt  vorfasst  sind..  Eine  engl,  lieber- 
Setzung  derselben  veröffentlichte  James  Gray.  Ancient  Proverbs  and 
Maxims  from  Burmese  Sources  or  the  Niti  Literature  of  Burma.  Lon- 
don 1886. 


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Sechsundvierzigste  Vorlesung. 


Die  philosophischen  Systeme.   Die  Bhagavadgita. 

Unter  den  verschiedenen  philosophischen  Systemen  des  in- 
dischen Mittelalters  gelten  sechs  als  orthodox  oder  vereinbar 
mit  dem  orthodox -hrahmanischen  Glauben.  Von  diesen  sechs 
Systemen  stehen  immer  je  zwei  und  zwei  in  näherer  Beziehung 
zu  einander.    Es  sind: 

1)  Das  Sänikhya- System  des  Kapila;  damit  in  näherem 
Zusammenhang  stehend: 

2)  Das  Yoga- System  des  Patafijali. 

3)  Das  Vai$eshika-System  des  Kanada;  damit  in  nähe- 
rem Zusammenhang  stehend: 

4)  Das  Nyaya-System  des  Gotama. 

5)  Die  Karma-Mimamsa  oder  Pürva-Mimämsä,  auch 
schlechthin  Mimamsä  genannt,  geknüpft  an  den  Namen  de9 
Jaimini;  damit  zusammenhängend: 

(>)  Die  Qariraka  -  Mimamsa  oder  Uttara-Mimämsä. 
gewöhnlich  Vedanta  genannt,  deren  Lehrbuch  den  Badarä- 
yana  zum  Verfasser  hat. 

Genau  genommen  hätten  nach  unseren  Begriffen  nur  die 
beiden  letzteren  Systeme,  Mimämsa  und  Vedanta,  ein  Aurecht 
darauf,  als  orthodox-brahmanische  Philosophie  zu  gelten;  doch 
haben  es  auch  die  vier  enteren  verstanden,  sich  zu  dieser 
Stellung  und  Anerkennung  durchzukämpfen. 

Ueber  den  Ursprung  und  die  Entwickelung  dieser  Systeme, 
insbesondere  auch  über  die  Zeit,  in  welcher  dieselben  ent- 
standen, sind  wir  leider  noch  durchaus  nicht  zu  genügender 
Klarheit  gelangt  Man  pflogte  dieselben  früher  chronologisch 
ziemlich  hoch  hinauf  zu  rücken,  ist  aber  gegenwärtig  ganz 
davon  zurückgekommen.  Bei  der  Discussion  dieser  Frage  ist 
es  indessen  von  grösster  Wichtigkeit,  wohl  zu  unterscheiden 
zwischen  den  systematisch,  mit  wissenschaftlicher  Strenge  und 
Vollständigkeit  vorgetragenen  Lehren,  und  den  ersten  specula- 


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tiven  Anfängen,  Ahnungen,  Apergu's,  auf  welche  eben  diese 
Lehren  als  auf  ihren  Ausgangspunkt  sich  zurückfuhren  lassen. 
So  viel  darf  am  Ende  wohl  gegenwärtig  als  feststehend  be- 
trachtet werden,  dass  die  uns  vorliegenden  Lehrbücher  der 
genannten  philosophischen  Systeme  einer  ziemlich  späten  Zeit 
entstammen,  dass  sie  alle  zum  mindesten  nachchristlich  sind, 
ja  wohl  schwerlich  über  das  vierte  oder  gar  fünfte  Jahrhundent 
nach  Chr.  hinaufreichen.  Damit  ist  aber  natürlich  durchaus 
nicht  gesagt,  dass  nicht  die  Grundgedanken  dieser  Systeme  und 
auch  manches  Speciellere,  das  ihnen  anhängt,  bedeutend  älter 
sein  könnten;  dies  ist  vielmehr  sogar  durchaus  wahrscheinlich 
und  —  in  einem  Falle  wenigstens  —  sogar  über  allen  Zweifel 
erhaben.1  Der  Max  Müllersche  Gedanke  einer  Renaissance  der 
Sanskritliteratur  scheint  mir  gerade  bei  diesem  Gebiete  der 
Literatur  sehr  viel  für  sich  zu  haben.  Die  alte  Zeit,  die  Zeit 
vor  Alexander  dem  Grossen  und  vor  Buddha  hatte  bereits  eine 
nicht  unbeträchtlicho  Summe  philosophischer  Ideen  hervorge- 
bracht. Es  folgte  dann  eine  längere  Zeit  der  Ruhe,  des  Still- 
stands, eine  Pause  in  der  Entwicklung,  und  dann  —  unter 
günstigeren  politischen  Verhältnissen  —  eine  neue  Periode  des 
Aufschwungs,  in  weicher  die  alten  Gedanken  wieder  aufgenommen, 
fortgebildet,  ergänzt,  erweitert  und  zum  ersten  Ma  e  in  eine 
wirklich  wissenschaftliche,  systematische  Form  gebracht  wurden. 
Diese  zweite  Periode  dürfte  schwerlich  früher  als  mit  dem 
Jahre  300  nach  Chr.  begonnen  haben.8 

Am  Klarsten  liegt  das  Verhältniss  zwischen  den  philoso- 
phischen Schöpfungen  einer  früheren  und  einer  späteren  Zeit 
bei  dem  sogenannten  Vedanta- System  am  Tage.  In  den  noch 
vor  die  Zeit  Buddha's  hinaufreichenden  ältesten  Upanishadeiv, 
deren  Inhalt  ich  in  früheren  Vorlesungen  zu  schildern  gesucht 
habe,  finden  wir  den  Grundgedanken  des  Systems,  die  Identität 
der  Seele  und  der  ganzen  Welt  mit  dem  Ätman-Brahman ,  die 
AUeinslehrc,  klar  und  deutlich  ausgesprochen,  in  begeisterten 
Worten  verkündigt,  mit  geistvollen  Bildern  u.  dgl.  m.  erläutert. 
Aber  ein  eigentliches  philosophisches  System,  eine  systematisch- 
wissenschaftliche  Durchführung  jener  Grundgedanken  liegt  in 
den  erwähnten  alten  Schriften  noch  nicht  vor:  diese  finden  wir 
erst  m  den  späteren  Werken,  dem  mittelalterlichen  System  des 
Badarayana  und  seiner  Gesinnungsgenossen,  welche  durchaus 
auf  den  Upanishaden  fussen,  sie  als  höchste  Autorität  anerkennen, 


1  Ich  meine  natürlich  die  Vedänta-Philosophie. 

*  Vgl.  auch  M.  Müller,  Indien  in  s.  weltg.  Bed.  p.  312—316. 


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und  sich  nach  dem  treffenden  Vergleich  eines  neueren  Kenners 
dieser  Literatur  zu  jenen  alten  Schriften  etwa  so  verhalten  wie 
die  christliche  Dogmatik  zum  Neuen  Testament1 

Weit  misslicher  steht  die  Sache  hei  den  andern  Systemen, 
da  uns  keine  Schriften  aus  der  alten  Zeit  erhalten  sind,  in 
denen  auch  nur  die  Hauptgedanken  jener  Systeme  ausgesprochen 
wären,  und  wir  in  Betreff  ihrer  früheren  Phasen  auf  Vennuthungen 
und  spärliche  Andeutungen  in  einigen  Büchern  andersgläubiger 
Schulen  angewiesen  sind,  und  im  Uebrigen  nur  die  spateren, 
mittelalterlichen  Werke  vor  uns  haben,  hei  denen  wir  durch- 
aus nicht  sicher  wissen,  wie  weit  dieselben  den  schon  in  alter 
Zeit  vorauszusetzenden  Systemen  wirklich  entsprechen  und  sich 
aus  denselben  organisch  heraus  entwickelt  haben. 

Als  eines  der  ältesten  und  angesehensten  Systeme,  wenn 
nicht  gar  als  das  älteste,  gilt  das  Sämkhya-System,  welches 
auf  den  berühmten  Kapila  zurückgeführt  wird,  und  der  Tra- 
dition zufolge  dem  Buddhismus  als  Grundlage  gedient  hat 
Dieselben  Forscher,  welche  mit  Entschiedenheit  dafür  einge- 
treten sind,  die  uns  vorliegenden  Lehrbücher  des  Sarakhya- 
Systems  in  eine  sehr  späte  Zeit  zu  verlegen,  halten  die  Lehre 
ihrem  Kerne  nach  für  sehr  alt.  So  Weber,  der  die  Samkhya- 
Lehre  geradezu  das  älteste  philosophische  System  nennt;1  so 
Cowell,  der  dieselbe  für  eines  der  ältesten  erklärt3  Auch 
Hall,  der  die  vorliegenden  Sütra  des  Kapila  für  ein  sehr  se- 
kundäres Produkt  hält  hebt  hervor,  dass  die  Alterthümlichkeit 
des  Kapila  selbst  dadurch  natürlich  in  keiner  Weise  angefochten 
werde.4  Aber  da  uns  von  den  altberühmten  Lehrern  dieser 
Schule,  von  Kapila,  Paflcacjkha  und  Asuri  nichts  erhalten  ist, 
was  wir  mit  Sicherheit  auf  sie  zurückfuhren  können,  so  sind 
wir  in  Bezug  auf  den  ursprünglichen  Inhalt  des  Systems  doch 
mehr  oder  woniger  auf  Vermuthungen  angewiesen  und  es  ist 
sehr  wohl  möglich,  dass  die  alte  Lehre  sogar  in  wesentlichen 
Punkten  von  dem  aus  späterer  Zeit  uns  bekannten  Sämkhya- 
System  unterschieden  war. 

Besonders  hemerkenswerth  bleibt  mir  immer  der  Umstand, 
dass  die  Legenden  des  Buddhismus  den  Kapila  und  Pafica- 
cjkha  stets  als  lange  vor  Buddha  vorausgegangen  erwähnen' 
und  dass  der  Tradition  zufolge  Buddha  in  seiner  Weltanschauung 


1  Deussen,  System  des  Ved&nta,  p.  22. 
»  S.  Weber,  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  252. 

*  Cowell,  zu  Colebrooke's  Mise.  Ess.  I,  354. 

*  Vgl.  Weber,  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  254. 


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sich  au  das  System  des  Kapila  angeschlossen,  auf  demselben 
weitergebaut  haben  soll.  Allerdings  ist  es  von  competenter 
Seite  in  Abrede  gestellt  worden,  dass  zwischen  der  Metaphysik 
der  Buddhisten  und  dem  System  des  Kapila,  so  weit  wir  es 
aus  den  (späteren)  Säinkhyasütra's  kennen,  irgend  welche  be- 
stimmte Aehnlichkeit  vorliege;1  aber  ich  glaube  doch  schon  an 
einem  andern  Orte  gezeigt  zu  haben,  dass  sich  die  Weltanschau- 
ung Buddha's  wenigstens  mit  gewissen#Grundgedanken  der  Säm- 
khya-Lehre,  selbst  wenn  wir  die  späteren  Sütra's  zur  Richtschnur 
nehmen  und  aus  ihnen  den  alten  Kern  zu  eruiren  suchen,  deut- 
lich berührt.1  Ist  dies  richtig  und  hat  die  Tradition  Recht  — 
woran  ich  nicht  zweifle  —  so  ist  das  hohe  Alter  der  Samkhya- 
lehre  schon  damit  erwiesen. 

Die  alte  Samkhya- Lehre  vertrat  offenbar,  gegenüber  den 
pantheistischen  und  hochidealistischen  Ideen  der  Upanishaden, 
eine  weit  nüchternere  und  so  zu  sagen  naturwissenschaftliche 
Auffassung.  Ohne  sich  auf  hoefifliegende  Speculationen  einzu- 
lassen, ging  sie  davon  aus,  dass  unsrer  Beobachtung  einerseits 
die  Materie,  andrerseits  eine  Pluralität  individueller  Geister 
gegeben  sind,  welche  letzteren  nach  dem  schon  damals  herr- 
echenden Glauben  durch  eine  Menge  von  Existenzen  wanderten. 
Den  Ursprung  dieser  beiden  Weltfactoren  erklärte  sie  nicht 
weiter,  forderte  keinen  Gott  oder  Götter  als  Schöpfer  oder 
erste  Ursache  der  Materie  und  der  zahlreichen  individuellen 
Geister,  sondern  nahm  beide  als  gegeben  hin,  als  —  wohl  seit 
Ewigkeit  existirende*  —  Factor en,  durch  deren  Vereinigung 
die  Welt  entsteht.  Das  Ziel  des  Weltprocesses  ist  die  end- 
gültige Befreiung  des  Geistes  von  den  Banden  der  Körperwelt. 


Diese  Befreiung  tritt  ein,  sobald  der  Geist  erkannt  hat,  dass 
er  in  seinem  Wesen  völlig  verschieden  ist  von  der  Materie; 
dann  trennt  er  sich  für  immer  von  ihr,  ohne  wieder  in  den 
Weltlauf  einzutreten.   Er  ist  erlöst. 

Das  Samkhya-System,  so  geistvoll  und  bedeutend  dasselbe 
auch  ist,  bleibt  doch  bei  einem  unüberwundenen  Dualismus  der 
Urmaterie  (prakriti,  pradhanam  genannt)  einerseits  und  der  gleich- 
falls von  Uranfang  existirenden  individuellen  Geister  andrerseits 
stehen.  Diese  beiden  Principien  werden  nicht,  wie  in  der  Ve- 
danta-Lehre,  in  einer  höheren  Einheit  aufgelöst;  nicht  einmal 

1  Nämlich  von  Max  Mailer  und  Oldenberg;  vgl.  oben  p.  257  Anm. 
»  S.  meine  Schrift  „Pythagoras  und  die  Inder"  p.  69  flg.;  auch 
oben  p.  257  flg. 

3  Vielleicht  anknüpfend  an  uralte  Vorstellungen.  Vgl.  „Pythagoras 

und  die  Inder"  p.  70  Anm. 


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werden  die  zahlreichen  individuellen  Geister  auf  einen  Urgeist, 
aus  dem  sie  entstanden  oder  emanirt  wären,  zurückgeführt,  eben- 
sowenig wie  dies  im  Buddhismus  der  Fall  ist  Nüchterneren 
Geistern,  denen  nichts  lag  an  der  —  doch  nur  scheinbaren  — 
Ueberbrückung  thatsächlich  gegebener  Gegensätze  durch  specu- 
lative  Träumereien,  musste  dies  System  sympathischer  sein  als 
das  des  Vedänta.  Einen  Gott  sehen  wir  hier  in  den  Welt- 
process  nicht  eingreifen,  «und  so  ist  denn  auch  die  Samkhya- 
Lehre  —  ebenso  wie  der  Buddhismus  —  geradezu  als  eine 
atheistische  bezeichnet  worden. 

Das  .uns  vorliegende  Lehrbuch  der  Samkhya- Philosophie, 
Sämkbyakarikä  genannt,  hat  den  AIc,vara  Krishna  zum  Ver- 
fasser und  dürfte  etwa  im  6.  Jahrhundert  nach  Chr.  entstanden 
sein.1  Ein  anderer  hervorragender  Lehrer  dieser  Schule,  un- 
gefähr aus  derselben  Zeit,  ist  Gäudapäda.*  Das  Sämkhya- 
praväcana,  welches  angeblich  die  Sütra  des  Kapila  enthält, 
ist  nach  dem  Urtheil  der  Kenner  noch  späteren  Ursprungs,  als 
das  Werk  des  *Icvara  Krishna.8 

Zur  Zeit  des  berühmten  Vedänta-Lehrers  Qamkara*  stand 
das  Samkhya -System  in  hohem  Ansehen.5  Nicht  wenig  mag 
dazu  wohl  auch  der  Umstand  beigetragen  haben,  dass  das 
Gesetzbuch  des  Manu  im  Wesentlichen  dieser  Lehre  folgt,  frei- 
lich mit  ausdrücklicher  Einfügung  der  Gottheit  in  den  Welt- 
process.* 

Dass  die  Anerkennung  der  Gottheit  für  den  Anhänger  der 
Samkhya- Lehre  keineswegs  unmöglich  war,  wemi  das  System 
in  seiner  ursprünglichen  Strenge  derselben  auch  nicht  bedurfte, 
geht  schon  aus  der  so  oft  erwähnten  engen  Verbindung  des- 


1  8.  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.  p.  254.  M.  Müller,  Indien  in  8.  w.  B. 
p.  813.  314.  Die  Sarokhyakarika  de«  *Icy.  ist  in's  Englische  übersetzt 
von  H.  Th.  Colebrobke,  Oxford  1837. 

*  Vgl.  Weber  a.  a.  0 

•  Vgl.  Hall,  Samkhyasara  pref.  p.  12.  Weber  a.  a.  0.  M.  Müller, 
Indien  In  b.  w.  B.  p.  314. 

4  D.  I.  um  d.  J.  800  nach  Chr.   Vgl  unten. 
6  8.  DeuBsen,  Vedanta  p.  23. 

9  8chon  Colebrooke  bezeichnete  in  Uebcreinstimmung  mit  den  in- 
dischen Commentatoren  die  Säipkhya- Lehre  als  diejenige,  welcher  das 
Gesetzbuch  folgt,  und  zwar  nannte  er  sie  speciell  „Puranic  Samkhya". 
Der  Dialog,  welcher  das  Werk  einleitet,  ist  ganz  im  Style  der  Purana  s 
(Vgl.  Burnell,  Qrdinances  of  Manu,  pref.  p.  XXII.)  Es  liegt  hier  offen- 
bar eine  spatere  Form  der  Samkhya-Lehre  vor,  in  welcher  dieselbe  den 
Theismus  aeeeptirt  hat,  nicht  eme  ältere  Phase  derselben,  wie  Jo- 
haentgen  in  seißer  werthvollen  Schrift  „Ueber  das  Gesetzbuch  des 
Manu"  (Berlin  1863)  glaubte  nachweisen  zu  können. 


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selben  mit  der  Yoga-Lehre  des  Pataüjali  zur  Genüge  her- 
Tor.  Auch  in  dieser  Lehre  finden  wir  nämlich  einen  ursprüng- 
lichen Dualismus  von  Materie  und  Geist  Aber  der  Yoga 
trägt  durchaus  eiuen  theistischen  Charakter;  er  nimmt  einen 
Urgeist  an,  aus  welchem  die  einzelnen  Geister  stammen.  Das 
Ziel,  auf  welches  wir  hinstreben  müssen,  ist  nach  dem  Yoga 
die  Vereinigung  mit  dem  höchsten  Wesen,  die  Versenkung  in 
dasselbe  kraft  angestrengter  Meditation.  Hierauf  legt  diese 
Lehre  das  grösste  Gewicht  und  hiervon  trägt  dieselbe  auch 
ihren  Namen,  denn  Yoga  bedeutet  „angestrengte  Concentration 
des  Geistes,  Contemplation".  Sie  giebt  auch  die  äusseren  Mittel, 
bestimmte  Büssungen  und  Kasteiungen  an,  welche  zur  erwähnten 
Vereinigung  fuhren  sollen,  und  gerade  diese  Yoga- Praxis  ent- 
wickelte sich  im  Laufe  der  Zeit  sehr  üppig.1  Oft  erscheint 
diese  Lehre,  wie  schon  erwähnt,  in  nächster  Verbindung  mit 
der  Samkhya-Lehre,  so  in  dem  häufigen  Compositum  Sämkhya- 
yoga,  einer  dualischen  Verbindung.  Im  Einzelnen  ist  dies  Ver- 
hältnis der  beiden  Systeme  zu  einander  übrigens  noch  nicht 
völlig  aufgeklärt.  Was  sie  verbindet,  ist  offenbar  die  Annahme 
eines  ursprünglichen  Dualismus  von  Geist  und  Materie.  Die 
Yoga-Lehre  ist  die  jüngere  und  ist  nach  meiner  Meinung  als 
die  theistische  Fortbildung  oder  Ergänzung  der  Samkhya-Lehre 
anzusehen,  welch  letztere  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  nur 
durch  die  Verbindung  mit  dem  Yoga- System  dazu  gelangt  ist, 
als  ein  orthodox  brahmanisches  System  anerkannt  zu  werden. 
Eine  entschieden  atheistische  Philosophie  dürfte  doch  wohl  als 
unvereinbar  mit  der  brahmani sehen  Orthodoxie  erscheinen. 

Die  Väi$eshika-Lehro  des  Kanada  und  die  Nyaya- 
Lehre  des  Gotama  stehen  sich  sehr  nah  und  sind  längere 
Zeit  —  zum  Schaden  der  wissenschaftlichen  Klarheit  —  gerade- 
zu als  ein  System  behandelt,  vermischt  und  verwechselt  worden.2 
Es  unterliegt  indessen  keinem  Zweifel,  dass  dies  ursprünglich 
zwei  verschiedene  Systeme  sind.*  In  beiden  wurde  die  Frage 
nach  dem  Wie  unserer  Erkenn tuiss  besonders  eingehend  und 
8char&innig  behandelt  Auf  diesen,  den  formell  logischen  Theil 


1  Die  Yoga -Lehre  behandelt  den  Weg  zur  Vereinigung  mit  Gott 
in  vier  Abtheilungen:  a)  samadhi,  d.  i.  Contemplation;  b)  sadhanam, 
d.  L  Büttel  cur  Erreichung  derselben;  c)  vibhüti,  d.  i.  die  dadurch  er- 
langte Herrschaft  aber  die  Natur;  d)  kaivalyam,  d.  i.  der  Zustand  der 
Abaolutheit,   Vgl.  Deussen,  Ved.  p.  20. 

*  Nach  dem  Vorgang  von  Colebrooke;  vgl.  M.  Müller  in  der  Ztschr. 
d.  D.  M.  G.  VI,  p.  8.  9. 

»  Vgl.  M.  Müller,  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  VI,  p.  9. 


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-  688 


gründet  sieb  ganz  besonders  der  Ruhm  dieser  Systeme,  und 
daraus  erklärt  sieb  aueb  der  Irrthum,  als  hätten  wir  es  hier 
nur  mit  Systemen  der  Logik  zu  tbun.1 

Die  Väi^eshika-Lehre  des  Kanada  ist  eine  atomistische 
Doctrin.  Die  Welt  entsteht  aus  Atomen,  Paramanu  genannt,' 
die  sieb  nach  dem  Willen  eines  höheren  Wesens  mit  einander 
vereinigten.3  Das  System  trägt  den  Namen  Väi^esbika-Lebre, 
weil  seine  Anhänger  für  die  Atome  die  Kategorie  des  Vigesha 
oder  der  Besonderheit  geltend  machen.4  Kanada's  Lehrbucb 
der  Väi$eshika-Philosophie  ist  von  £.  Roer  in's  Deutsche  über- 
setzt und  erläutert  worden,5  und  schon  früher  hatte  Max 
Müller  dieser  Philosophie  mehrere  interessante  Artikel  ge- 
widmet,6 aus  denen  man  unter  Andrem  siebt,  wie  scharfsinnig 
hier  die  gesammte  Erfahrungswelt  unter  sieben  Kategorieeu 
gebracht  wird.7  Als  originell  und  werthvoll  bebt  Müller  be- 
sonders die  Kategorie  der  Inbärenz  hervor.8 

Das  Nyaya-System  des  Gotama  ist  allerdings  in  erster 
Linie  System  der  Logik,  greift  aber  doch  weit  darüber  hinaus 
und  stellt  ein  vollständiges  System  der  Philosophie  dar.9  In 
der  Gegenwart  sollen  in  Indien  gerade  die  Nyaya-  und  die 
Vaicesbika-Lebre  die  beliebtesten  philosophischen  Systeme  sein.1* 

Endlich  haben  wir  noch  die  streng  orthodoxen  Systeme  der 
beiden  Mimamsa,11  welche  sich  ganz  auf  die  heiligen  Schriften, 
die  Veden,  Brahmana's  und  Upanishaden  stützen  und  wiederum 
beide  mit  einander  in  näherem  Zusammenhang  stehen. 


1  Vgl.  M.  Müller,  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  p.  15. 

*  Paramanu  bedeutet  eigentlich  „das  höchste  Kleine  oder  der 
äusserste  feine  Theil",  d.  i.  eben  das  Atom. 

»  Vgl.  Weber,  Ind.  Lit.,  2.  Aufl.,  p.  261.  Auch  bei  den  Jaina's 
findet  sich  die  atomistische  Lehre  und  zwar  „in  materialistischer  Form, 
jedoch  so,  dass  Atomstoff  und  Lebensgeist  in  ewiger  inuiger  Verkettung 
gedacht  werden.**    (S.  Weber  a.  a.  0.  Anm.) 

*  Vgl.  M.  Maller,  Ztschr.  d.  D.  M.  O.  VI,  p.  9  Anm.;  VII,  p.  297. 
Weber  a.  a.  0.,  p.  262. 

6  In  der  Zeitschr.  d.  D.  M.  G.,  Bd.  XXI  und  XXII. 

8  In  der  Zeitschr.  d.  D.  M.  G.,  Bd.  VI,  p.  1  flg.  und  219  flg. 

T  Vgl.  M.  Malier  a.  a.  0.,  p.  10  flg. 

8  M.  Maller  a.  a.  0.,  p.  33. 

*  Textausgabe  und  UeberBeteung  des  Nyaya-Lehrbucha  verdanken 
wir  J.  Ballantyne  (The  Aphorisms  of  the  Nyaya -Philosophy  by  Gau- 
tama,  with  illustr.  Extracts  from  the  Commentary  by  Vicvan&tha.  Alla- 
habad 1850).  —  Der  Text  der  Nyaya-sütra-vritti  kam  auch  schon  Cal- 
cutta  1828  heraus,  sammt  dem  Comm.  des  Vicvanatha. 

10  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  263. 

"  mimamsa,  von  dem  Desiderat!  vum  der  Wurzel  man  (denken), 
bedeutet  „Speculation". 


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689  — 


Die  erste  von  den  beiden  heisst  Karmamimärasä,  d.  i.  die 
Mimärasa  der  Werke;  auch  Purvaraimamsa,  d.  i.  erste  M.,  oder 
Mini&msa  (Speculation)  schlechthin  genannt.  Es  ist  dies  ein 
System  des  Workdienstes,  in  welchem  die  auf  dem  Veda  fussen- 
den heiligen  Pflichten  (dharma)  und  die  dafür  versprochene  Be- 
lohnung oder  Frucht  (phalam)  erörtert  werden.  Als  Urheber 
dieser  Lehre  wird  Jaimini  genannt,  der  jedenfalls  in  kein 
hohes  Alterthum  zurückreicht.  Es  stützt  sich  dieses  System 
auf  die  Vedas  und  Bräbmana's. 

Daran  schliesst  sich  dann  sechstens  die  Brahmamimamsä 
oder  Speculation  über  das  Brabman.  Dasselbe  Systom  wird 
auch  noch  mit  verschiedenen  anderen  Namen  bezeichnet.  So 
heisst  es  auch  Uttaramimamsä,  d.  i.  weitere  oder  höhere 
Speculation;  Qariraka-m.,  d.  i.  Verkörperungslehre;  oder  end- 
lich Vedanta,  d.  i.  Ende  des  Veda.  Der  letzto  Name  ist 
gegenwärtig  der  gebräuchlichste.  Dies  System  stützt  sich  auf 
die  philosophischen  Schriften  der  vedischen  Periode,  d.  h.  vor 
Allem  auf  die  Upanishaden.  Diese  bilden  die  letzten  Ausläufer 
der  vedischen  Literatur  und  heissen  darum  auch  vedanta,  d.  h. 
Ziel  oder  Ende  des  Veda.  Daher  der  Name  des  auf  ihnen 
fussenden  philosophischen  Lehrgebäudes. 

Das  Werk,  in  welchem  die  Vedänta-Lchre  entwickelt  wird, 
ist  das  Brahmasütra  des  Badarayana,  von  dessen  Zeit  wir 
auch  nur  sagen  können,  dass  es  in  kein  hohes  Alterthum  zu- 
rückreicht 1 

Der  Gegensatz  der  beiden  Mimämsa's  hat  seinen  Grund 
im  Veda  selbst,  denn  dieser  zerfällt  in  einen  Werktheil  (karma- 
kanda),  die  vedischen  Lieder  und  Bräbmana's  umfassend,  und 
einen  Erkonntnisstheii  (jilänakän<jia),  insbesondere  die  Upani- 
shaden umfassend.2  Zu  den  Upanishaden  verhält  sich  das 
Vedanta- System  des  Badarayana  etwa  so  wie  die  christliche 
Dogmatik  zum  Neuen  Testament.3  Das  Werk  des  Badarayana 
ist  eingehend  commentirt  durch  den  berühmten  (Jamkara,  der 
um-  das  Jahr  800  nach  Chr.  lebte,4  und  an  dessen  Namen  eine 
Regeneration  des  brahmanischen  Glaubens  geknüpft  ist.  Das 

1  £s  gehört  wohl  der  von  M.  Müller  sogenannten  Renaissance- 
Periode  des  Sanskrit  an« 

*  Und  was  an  ihnen  gehört,  wie  z.  B.  das  Agnirahasyam,  £atap. 
Br.  X. 

*  8.  Deussen,  Vedanta  p.  22. 

*  Caipkara  Ist  im  Jahre  788  nach  Chr.  geboren,  Muni  geworden  im 
Jahre  820;  erreichte  vermuthllch  ein  ziemlich  hohes  Alter  icf.  M.  Malier, 
Indien  in  s.  w.  Bed.,  p.  313).  —  Vgl.  auch  Windischmann,  Sancara 
aive  de  theologumenii  Vedänticorum,  Bonn  1833. 

t.  Schröder,  Irftau  Lit.  ».  Cult.  44 


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—    690  — 

System  des  Vedftnta  ist  neuerdings  durch  Paul  Deussen  sebr 
eingebend  untersucht  und  in  vortrefflicher  Weise  dargestellt 
worden.1  Dieses  wichtigste  aller  brahmanischen  Systeme  wollen 
denn  auch  wir  uns  etwas  näher  ansehen. 

Der  Grundgedanke  des  Vedanta  ist  die  Identität  der 
Seele  mit  dem  Brahman.  Dies  sprechen  am  kürzesten  aus 
die  Upanishaden- Worte  aham  brahma  asmi  „ich  bin  das  Brah- 
man"; und  tat  tvam  asi  „das  bist  duM.  Es  wird  also  gelehrt, 
„dass  das  Brahman,  d.  h.  das  ewige  Princip  alles  Seins,  die 
Kraft,  welche  alle  Welten  schafft,  erhält  und  wieder  in  sich 
zurückzieht,  identisch  ist  mit  dem  Atman,  dem  Selbst  oder  der 
Seele,  d.  h.  demjenigen  an  uns,  was  wir  bei  richtiger  Erkennt- 
niss  als  unser  eigentliches  Selbst,  als  unser  inneres  und  wahres 
Wesen  erkennen.  Diese  Seele  eines  Jeden  unter  uns  ist  nicht 
ein  Theil,  ein  Ausfluss  des  Brahman,  sondern  voll  und  ganz 
das  ewige,  untheilbare  Brahman  selbst."  (Deussen  a.  a.  0.  p.  487.) 

Dieser  Satz  widerspricht  nun  freilich  der  Erfahrung,  die 
uns  eine  Vielheit  von  Namen  und  Gestalten  zeigt,  unter  welchen 
unser  Selbst  nur  ein  Theil  ist;  desgleichen  auch  dem  vedi- 
schen  Ritualgesetz,  welches  eine  Vielheit  umherwandernder 
Seelen  lehrt.  Aber  beide,  sowohl  die  Erfahrung  als  der  vedische 
Gesetzeskanon  beruhen  auf  einer  falschen  Erkenntniss  (mithyä- 
jfiänam),  einer  angeborenen  Täuschung,  welche  Avidya,  das 
Nichtwissen,  heisst,  „und  deren  Aussagen,  vergleichbar  den  Bil- 
dern des  Traumes,  nur  so  lange  wahr  sind,  bis  das  Erwachen 
eintritt  (a.  a.  0.  p.  488).  Es  besteht  diese  angeborene  Avidya 
darin,  dass  die  Seele  nicht  im  Stande  ist,  sich  zu  unterscheiden 
von  den  Bestimmungen,  mit  welchen  sie  umkleidet  ist,  <L  h.  dem 
Leibe,  den  psychischen  Organen  u.  8.  w.  Dem  gegenüber  steht 
die  Vidya,  das  Wissen,  oder  die  universelle  Erkenntniss,  ver- 
möge deren  sich  die  Seele  von  diesen  Bestimmungen  unter- 
scheidet und  erkennt,  dass  dieselben  bloss  auf  der  Avidya,  dem 
Nichtwissen,  beruhen,  dass  sie  bloss  ein  Blendwerk  (mayä)  oder 
ein  Wahn  sind,  und  dass  sie  selbst,  die  Seele,  identisch  ist  mit 
dem  einen  unth eilbaren  Brahman. 

Diese  Erkenntniss  ist  nicht  durch  weltliche  Erkenntniss- 
mittol  zu  erlangen,  sie  ist  uns  aber  offenbart  in  dem  Jfiäna- 


1  Das  System  desVcdanta  nach  den  Brahma-Sütra's  des  Bada- 
rayana  und  dem  Commontare  des  Qamkara  Ober  dieselben  als  ein  Com- 
pendium  der  Dogmatik  des  Brahmaiiismas,  vom  Standpunkte  des  fam- 
kara  aus  dargestellt  von  Dr.  Paul  Deussen,  Leipzig  1883.  —  Auf 
diesem  Werke  beruht  auch  unsere  im  Folgenden  gegebene  Darstellung 
der  Vedanta -Lehre. 


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—  691 


kandam  oder  Erkenntnisstheil  des  Veda,  d.  h.  vor  Allem  in  den 
Upanishaden. 

Das  Ziel  des  Menschen  ist  die  Erlösung  (moksha),  d.  h. 
das  Aufhören  der  Seelenwanderung  (samsara).  „Die  Erlösung 
der  Seele  von  der  Umwand erung  aber  wird  dadurch  vollbracht, 
daas  man  sein  eigenes  Selbst  (atman)  als  identisch  erkennt  mit 
dem  höchsten  Selbst  (parama-  Atman),  d.  h.  dem  Brahman.  Der 
ganze  Inhalt  der  Vidya  ist  somit  Erkenntniss  des  Atman  oder 
Brahman."   (VgL  Deussen,  a.  a.  0.  p.  489.) 

Der  Vedänta  lehrt  eine  doppelte  Wissenschaft  vom  Brah- 
man, eine  höhere  (para  vidya)  und  eine  niedere  (aparä 
vidya).  Es  giebt  nach  ihm  ein  höheres,  attributloses,  und  ein 
niederes,  attributhaftes  Brahman;  auf  das  entere  erstreckt 
sich-  die  höhere,  auf  das  letztere  die  niedere  Wissenschaft.  Das 
höhere  Brahman  ist  ohne  alle  Attribute,  ist  gestaltlos,  unter- 
schiedslos, bestimmungslos.  Es  ist  „nicht  grob  und  nicht  fein, 
nicht  kurz  und  nicht  lang"  (Brihadar.  3,  8,  8);  „nicht  hörbar, 
nicht  fühlbar,  nicht  gestaltet,  unvergänglich"  (Räthop.  S,  15); 
es  ist  „nicht  so  und  nicht  so",  dVh.  keine  Gestalt  und  keine 
Vorstellung  entspricht  seinem  Wesen;  „die  Worte  und  Gedan- 
ken kehren  vor  ihm  um,  ohne  es  zu  finden".  Das  niedere 
Brahman  dagegen  ist  mit  verschiedenen  Attributen  behaftet; 
es  ist  die  Seele  der  Welt,  all  wirkend,  aU  wünschend,  das  All 
umfassend;  es  ist  die  Quelle  des  Lichts;  das  Leben,  aus  dem 
die  Wesen  entspringen;  Mond  und  Sonne  sind  seine  Augen, 
der  Wind  sein  Hauch  u.  s.  w.;  es  ist  der  innere  Lenker,  der 
Alles  im  Innern  lenkt;  es  weilt  als  Seele  in  unser  aller  Herzen; 
es  ist  der  Gott,  der  Herr  (levara),  der  die  Welt  geschaffen,  der 
uns  den  Lohn  für  unsere  Thaten  in  einem  folgenden  Leben 
empfangen  lässt,  und  dessen  Gnade  uns  endlich  die  Erlösung 
schenkt.  —  Nun  kann  freilich  nicht  ein  und  derselbe  Gegen- 
stand zugleich  attributlos  und  attributhaft,  gestaltlos  und  ge- 
staltet sein.  Dieser  Widerspruch  löst  sich  durch  die  Lehre  des 
Vedanta,  dass  das  niedere  Brahman  im  höchsten  Sinne  über- 
haupt keine  Realität  hat.  Das  höhere  Brahman  wird  dadurch 
zum  niederen,  dass  ihm  das  Nichtwissen  zum  Zwecke  der  Ver- 
ehrung die  Bestimmungen  oder  Qualitäten  beilegt.  Somit  be- 
ruht das  Behaftotsein  des  Brahman  mit  diesen  Bestimmungen 
nur  auf  einer  Täuschung,  die  verschwinden  muss,  wenn  das 
Nichtwissen  verschwindet 

Nur  ein  niederes,  attributhaftes  Brahman  kann  als  Welt* 
Schöpfer  gedacht  werden.  Die  ganze  Vielheit  der  Weit  ist  aber 
„ein  blosser  Wahn,  welcher  durch  die  richtige  Erkenntniss,  das 

44* 


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-   692  - 

Samyagdarcanam,  widerlegt  wird,  —  ganz  ebenso  wie  der  Wahn, 
dass  eine  Schlange  sei,  wo  nur  ein  Strick,  ein  Mensch,  wo  nur 
ein  Baumstamm,  eine  Wasserfläche,  wo  nur  eine  Wüstenspiege- 
lung ist,  durch  die  nähere  Betrachtung  widerlegt  wird  und  ver- 
schwindet. Die  ganze  Welt  ist  nur  ein  ßlendwerk  (maya), 
welches  Brahman  als  Zauberer  (mayavin)  aus  sich  heraussetzt 
und  von  dem  er  wie  dieser  von  dem  durch  ihn  geschaffenen 
Zauber  nicht  berührt  wird;  oder,  mit  anderer  Wendung  des 
Bildes,  Brahman  wird  durch  das  Nichtwissen,  sowie  der  Zauberer 
durch  das  Blendwerk,  als  nicht  einheitlich  erscheinen  gemacht** 
Das  ganze  Bestehen  der  Welt  beruht  nur  auf  dem  Nicht- 
wissen, der  falschen  Erkenntniss.  „An  diesem  Begriffe  prallt  nun 
jede  weitere  Untersuchung  ab;  woher  dieses  Nichtwissen,  wel* 
ches  uns  allen  angeboren  wird,  entspringt,  erfahren  wir  nicht" 
(Deussen,  p.  501.) 

Einen*  Punkt  aber  giebt  es  im  Universum,  der  nicht  auf 
Täuschung  beruht,  das  ist  unsre  Seele,  unser  eigenes  Selbst 
„Dieses  Selbst  lässt  sich  nicht  beweisen,  weil  es  die  tragende 
Basis  jedes  Beweises  ist,  aber  auch  nicht  leugnen,  weil  jeder, 
indem  er  es  leugnet,  dasselbe  voraussetzt"  (a.  a.  0.  p.  502). 
Wie  verhält  sich  nun  dieses  zum  Brahman?  Der  Vedaiita  ant- 
wortet: „Die  Seele  kann  1)  nicht  von  Brahman  verschieden 
sein,  weil  es  kein  Seiendes  ausser  Brahman  giebt;  sie  ist 
2)  aber  auch  nicht  als  eine  Umwandlung  des  Brahman  anzu- 
sehen, weil  das  Brahman  unveränderlich  ist;  und  ebensowenig 
ist  sie  endlich  3)  ein  Theil  des  Brahman,  da  dasselbe  keine 
Theile  besitzt.  —  Somit  bleibt  übrig,  dass  die  Seele  mit  Brah- 
man identisch  ist,  dass  jeder  von  uns  das  ganze  untheilbare, 
unwandelbare,  alles  Sein  befassende  Brahman  selbst  ist".  (D. 
p.  503.)  Demgemäss  müsste  alles,  was  vom  Brahman  ausgesagt 
wird,  ebenso  von  der  Seele  gelten.  In  Wahrheit  ist  das  nun 
auch  der  Fall,  aber  vom  empirischen  Standpunkte  der  Avidya 
erscheint  die  Seele  beschränkt,  von  anderen  unterschieden  und 
mit  verschiedenen  Bestimmungen  behaftet  Sie  ist  begabt  mit 
den  fünf  sinnlichen  Erkenntnissvermögen:  Gesicht,  Gehör,  Ge- 
ruch, Geschmack  und  Gefühl;  und  den  fünf  Thatvermögen: 
Greifen,  Gehen,  Reden,  Zeugen,  Entleeren  (zusammen  die  zehn 
Indriya's), 1  nebst  dem  Mauas,  d.  i.  dem  Sinn  oder  Geist  an 
deren  Spitze.  Dazu  kommt  noch  der  Mukhya  Prana,  der  Haupt- 
lebenshauch oder  das  vitale  Princip,  und  der  sogenannte  feine 


*  indrtya,  gewöhnlich  „Sinn"  übersetzt,  hat,  wie  man  sieht,  eine 
umfassendere  Bedeutung.  , 


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—   693  — 


(geistige)  Leib,  in  welchen  dieser  ganze  psychische  Apparat 
hineingehört  Dazu  kommt  ferner  ein  veränderlicher  Faktor, 
die  moralische  Bestimmtheit,  welche  von  den  eigenen  Thaten 
im  Leben  abhängt  Mit  diesem  ganzen  Apparate  von  näheren 
Bestimmungen  ausgerüstet  wandert  nun  die  Seele  aus  einem 
Leibe  in  den  andern.  Die  fünf  sinnlichen  Erkenntnissvermögen 
schaffen  sich  die  fünf  Sinne,  der  feine  Leib  schafft  sich  den 
groben  Leib  nach  seiner  eigenen  Qualität,  und  so  fort.  Die- 
jenigen, welche  im  Leben  fromme  Werke  geübt  haben,  ohne 
die  höhere  oder  die  niedere  Wissenschaft  vom  Brahman  zu  be- 
sitzen, wandern  nach  dem  Tode  zum  Monde,  wo  sie  die  Ver- 
geltung ihrer  guten  Werke  gemessen,  um  dann  wieder  nach 
Maassgabe  ihrer  Thaten  in  einen  irdischen  Leib  einzugehen. 
Diejenigen,  welche  die  niedere  Wissenschaft  vom  Brahman  be- 
sitzen, die  frommen  Verehrer  des  persönlichen  Brahman,  gehen 
in  da«  niedere  Brahman  ein,  von  wo  sie  durch  Stufenerlösung 
auch  bis  in  das  höhere  Brahman  gelangen  können.  Die  sofortige, 
vollkommene  Erlösung  erlangt  aber  nur  derjenige,  welcher  die 
Wissenschaft  vom  höheren  Brahman  besitzt,  welcher  das  Nicht- 
wissen ganz  in  sich  vertilgt  und  die  Identität  seiner  Seele  mit 
dem  Brahman  erkannt  hat  Aua  der  Erkenntniss  die  Er- 
lösung (jfianan  mokshafc),  so  lehrt  der  Vedanta.  Sobald  das 
Brahmansein  der  Seele  erkannt  ist,  ist  auch  die  Erlösung  ein- 
getreten. Gute  Werke  und  Meditation  können  uns  den  Weg 
dazu  bahnen,  aber  erst  die  volle  Erkenntniss,  die  unmittelbare 
Intuition  der  Identität  der  Seele  mit  Brahman  schafft  die  Er- 
lösung. „Wer  diese,  und  mit  ihr  die  Ueberzeugung  von  der 
Nichtigkeit  der  vielheitlichen  Welt  und  der  Seelenwanderung 
erlangt  hat,  dessen  vergangene  Werke  werden  zu  nichte  und 
künftige  kleben  ihm  nicht  mehr  an,"  (D.  p.  513.)  Der  Same 
der  Werke  "ist  damit  vollständig  vernichtet,  es  ist  kein  Stoff 
mehr  da  zu  einer  abermaligen  Wiedergeburt,  der  Kreis  der 
Seelen  Wanderung  ist  abgeschlossen.  „Hingegen  vermag  das  Wissen 
nicht  die  Werke  zu  vernichten,  deren  Saat  schon  aufgegangen 
ist,  d.  h.  diejenigen,  aus  welchen  der  gegenwärtige  Lebenslauf 
gezimmert  ist  Hierauf  beruht  es,  dass  der  Leib,  auch  nach- 
dem die  Erweckung  (prabodha)  vollbracht  ist,  noch  eine  Weile 
fortbesteht,  ähnlich  wie  die  Töpferscheibe  noch  fortrollt,  auch 
nachdem  das  Gefass,  dem  sie  als  Unterlage  diente,  vollendet 
ist."  Dies  Fortbestehen  ist  aber  nur  ein  Schein.  Mit  dem 
Augenblick  des  Todes  tritt  fiir  den  Wissenden  die  völlige  und 
ewige  Erlösung  ein;  „seine  Lebensgeister  ziehen  nicht  aus,  son- 
dern Brahman  ist  er  und  in  Brahman  löst  er  sich  auf." 


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-   694  — 

„Wie  Ströme  rinnen  and  im  Ocean, 
Aufgebend  Name  und  Gestalt,  verschwinden, 
So  gebt,  erlöst  von  Name  und  Gestalt, 
Der  Weise  ein  zum  göttlich-höchsten  Geiste."1 

Dies  die  geistvolle,  hoch-idealistische  orthodox- brahmanische 
Philosophie  des  Vedanta. 

Neben  den  sechs  für  orthodox  geltenden  philosophischen 
Systemen  haben  wir  nun  auch  andere,  die  als  ketzerisch  ge- 
stempelt werden,  so  z.  B.  das  grobmaterialistische  System  der 
Carvaka*  (Laukayatika,  Barhaspatya)  u.  a.,  auf  welche  wir 
nicht  mehr  näher  eingehen  können.  Ein  Werk  philosophischen 
Inhalts  dürfen  wir  aber  seiner  hohen  Bedeutung  und  Berühmt- 
heit wegen  nicht  so  kurz  abthun.  Es  gehört  dasselbe  zu  den 
schönsten  und  originellsten  Schöpfungen  der  indischen  Litera- 
tur. Ich  meine  die  Bhagavadgitä,  das  heilige  Lied  oder  das 
Lied  von  der  Gottheit,  ein  theosophisches  Gedicht  voll  tief- 
sinniger Gedanken,  voll  erhabensten  Schwunges,  welches  wir 
als  eine  Episode  in  das  grosse  Epos  Mahabharata  eingefügt 
finden. 

Schon  im  Jahre  1785  wurde  diese  geistvolle  Dichtung  durch 
den  Engländer  Wilkins  übersetzt  und  gehörte  somit  zu  den 
ersten  Veröffentlichungen,  die  das  Interesse  der  Europäer  auf 
den  bedeutsamen  Gehalt  der  indischen  Literatur  lenkten.  Das 
Original  wurde  1808  zu  Calcutta  herausgegebon,  dann  im  Jahre 
1823  von  A.  W.  v.  Schlegel.  Dieser  hat  seiner  Ausgabe  eine 
wahrhaft  klassische  Uebersetzung  ins  Lateinische  beigegeben.* 

Wilhelm  v.  Humboldt  wurde  mächtig  ergriffen  von  dem 
Inhalt  dieses  Gedichtes.  Er  schrieb  damals  an  Gentz:  er  danke 
Gott,  dass  er  ihn  so  lange  habe  leben  lassen,  um  dieses  Ge- 

  • 

1  S.  Deussen  a.  a.  0..  p.  514. 

*  Der  erste  Artikel  von  Madhava  Acarya's  Sarvadar^anasam- 
graha  (d.  i.  Inbegriff  der  verschiedenen  Systeme  der  ind.  Philosophie) 
behandelt  das  System  des  Carväka  (vgl.  Ztschr.  d.  M.  0.  XIV,  p.  517  flg.). 

*  Die  2.  Auflage  dieser  Edition  wurde  im  Jahre  1846  von  Lassen 
besorgt:  Bhagavad-Gita  id  est  Qtontaiov  Mt).oq  sive  almi  Crishnae 
et  Arjunae  colioquium  de  rebus  divinis.  Textum  recensuit,  annotationes 
criticas  et  interpretationem  latinam  adjecit  Aug.  Guil.  a  Schlegel.  Ed. 
altera  auetior  et  emendatior  cura  Christiani  Lasseni.  Bonnae  1846.  — 
Eine  Ausgabe  der  Bh.  nebst  französischer  Uebersetzung  veranstaltete 
der  bekannte  Burnouf:  Bhagavad-Gita,  le  divin  chant  du  bien- 
heureux.  Texte  sanscrit  (en  caract.  lat.)  et  traduet.  franc,.  par  Burnouf, 
Nancy  1861.  —  Eine  andere  J.  C.  Thomson  (Bhagavad-Gita,  new  edition 
of  the  Sanskrit  text  by  J.  G.  Thomson,  Hertford  1855).  —  Sehr  zahlreich 
sind  die  in  Indien  erschienenen  Ansgaben  dieses  Werkes,  deren  Auf- 
zahlung hier  zu  viel  Raum  beanspruchen  dürfte. 


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—   695  — 

0 

dicht  lesen  zu  können. 1  Er  widmete  demselben  eine  eingehende 
geistvolle  Abhandlung,  die  noch  jetzt  als  das  Beste  bezeichnet 
werden  muss,  was  über  den  Inhalt  der  Bhagavädglta  geschrie« 
ben  worden.1  In's  Deutsche  wurde  dieselbe*  wiederholt  über- 
setzt; so  vou  Peiper  (.1834),  Lorinser  (1869)Ä  und  R.  Box- 
berger;4  von  den  Uebersetzungen  in  andere  Sprachen  zu  ge- 
schweige*.6 

Krishna,  eine  Incarnation  des  Gottes  Vishnu,  geleitet  den 
Pän4niden  Arjuna  als  dessen  Wagenlonker  in  den  grossen 
Kampf  der  Kuru-  und  Pan<Jusöhne.  Als  Arjuna  seine  Ver- 
wandten, Freunde  und  Lehrer  vor  sich  in  den  Reihen  der 
Feinde  erblickt,  zögert  er  vorzugehen,  wird  unschlüssig  und 
kleinmüthig.  Wie  soll  er  mordend  vorgehen  gegen  diese  ihm 
nahestehenden  Menschen?  —  Da  ermahnt  ihn  Krishna,  solche 
Bedenken  fahren  zu  lassen  und  seine  Pflicht  als  Kämpfer  zu 
thun.  Es  entspinnt  sich  ein  Gespräch  und  Krishna  entwickelt 
nun  angesichts  beider  Heere  in  18  Gesängen  dem  Arjuna  seine 
ganze  Welt-  und  Lebensanschauung,  aus  welcher  die  Pflicht, 
handelnd  vorzugehen,  als  praktische  Conseuuenz  resultirt. 

Das  philosophische  System,  welches  die  Grundlage  dieser 
Erörterungen  bildet,  ist  im  Allgemeinen  die  Yoga -Lehre  des 


1  Vgl.  Boxberger'f»  Uebersetzung  der  BhagavadgltA,  Vorwort  p.  12. 

*  W.  v.  Humboldt,  Uober  die  unter  dem  Namen  Bhagavad-Gitd 
bekannte  Episode  des  Mahä-Bhärata  (Gelesen  in  der  Berliner  Acad.  <L 
Wiss.  am  30.  Juni  1825  und  15.  Juni  1826).  —  Humboldt  nannte  mit 
Recht  die  Bhagavadgita  „das  schönste,  ja  vielleicht  das  einzig  wahrhafte 
philosophische  Gedicht,  das  alle  uns  bekannte  Literaturen  aufzuweisen 
haben."  (Indische  Bibliothek  II,  219.)  Muir,  in  der  Einleitung  zu  seinen 
Metrical  Translation*  from  Sanskrit  Writers  (London  1879)  bespricht 
das  Verhältniss  der  Bhagavadgitii  zu  den  Lehren  des  Christenthums. 

8  Bhagavad- Gita,  übersetzt  und  erläutert  von  J.  Lorinser, 
Breslau  1869. 

•  4Bhagavad-Glta  oder  das  Lied  der  Gottheit.  Ans  dem  Indi- 
schen übersetzt  von  Robert  Boxberger,  Berlin  1870.  —  Bruchstück- 
weise war  die  Bh.  auch  von  F.  Schlegel  in  seiner  „Sprache  und  Weis- 
heit der  Inder",  sowie  von  Humboldt  in  der  erwähnten  Abhandlung 
übersetzt. 

5  In's  Englische  übersetzt,  ausser  von  Wilkins,  auch  von  Gar- 
rett  (Bangalore  1848);  von  J.  C.  Thomson  (Hcrtford  1855);  von  K&- 
shinäth  Trimbak  Telang,  Bombay  1875  (Bhagavadgita,  transl.  into 
English  Blank  Verse  cet);  von  demselben  im  VIII.  Bd.  der  Sacr.  Books 
of  the  East  (Bhagavad-Gita,  with  the  Sanatsngätiya  and  the  Anuglta, 
transl.  by  K.  Tr.  Telang,  Oxford  1882);  desgl.  von  J.  Davies  ^Bhagavad- 
Gita,  transl.  with  notes  by  J.  Davies,  London  1882).  In's  Französische 
von  Languinais  (Paris  1832);  von  Burnouf  iNaucy  1861;  vgl.  oben 
p.  694  Anm.  3).  In's  Neugriechische  von  Demetrius  Galanos 
(Athen  1848). 


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—    696  — 

Patatijali,  oder  vielmehr  die  vereinigten  Sftmkhya-Yoga.1  Dem 
entsprechend  wird  ein  ursprünglicher  Dualismus  von  Natur  und 
Geist  gelehrt.  Beide  sind  anfangslos  und  ewig.1  Der  Körper, 
dem  Bereich  der  Natur  angehörig,  ist  zusammengesetzt  und 
vergänglich,  an  seiner  Erhaltung  nichts  gelegen.  Die  Seele  ein- 
fach und  unvergänglich,  mit  verschiedenen  Körpern  sich  um- 
kleidend, his  sie  die  Vereinigung  mit  dem  höchsten  Wesen  er- 
langt. Diese  Vereinigung  soll  aber  nicht  in  absolut  unthätiger 
Meditation  gesucht  werden,  wenngleich  die  zeitweilige  Medita- 
tion ihre  hohe  Berechtigung  hat.  Wir  sollen  vielmehr  han- 
deln, unsre  Pflicht  erfüllen,  aber  mit  absolutem  Gleichmut!*, 
ohne  Rücksicht  auf  die  Folgen,  ohne  Begier  nach  den  Früchten 
des  Handelns,  nur  dem  Gebote  der  Pflicht  folgend.  Es  baut 
sich  demnach  hier  auf  dem  Grunde  der  metaphysischen  Speku- 
lation eine  erhabene  Sittenlehre  auf,  wie  wir  sie  in  den  eigent- 
lichen Systemen  der  indischen  Philosophie  vermissen,  und  die 
in  ihrer  Strenge  und  Reinheit  wahrhaft  imponirend  wirkt 

Eine  strengsystematische  Gedankenentwickelung  darf  man 
in  dem  Gedichte  natürlich  nicht  erwarten.  „Es  ist  ein  Weiser, 
der  aus  der  Fülle  und  Begeisterung  seiner  Erkenntniss  und 
seines  Gefühls  spricht,  nicht  ein  durch  eine  Schule  geübter 
Philosoph,  der  seinen  Stoff  nach  einer  bestimmten  Methode  ver- 
theilt und  an  dem  Faden  einer  kunstvollen  Ideenverkettung  zu 
den  letzten  Sätzen  seiner  Lehre  gelangt."3 

Zum  Arjuna,  der  sich  weigert,  mordend  gegen  die  Ver- 
wandten vorzugehen,  spricht  Krishna  lächelnd4: 

„Du  klagst  um  die,  die  nicht  beklagenswerte ; 
Ein  Weiser  klagt  um  Keinen,  sei  ihm  Leben  oder  Tod  bescheert. 
Nie  war  die  Zeit,  da  ich  nicht  war  und  du  und  diese  Fürotenschaar, 
Nie  kommt  der  Tag,  da  wir  nicht  sind,  im  Lauf  der  Zeit  herbei  fürwahr. 

Nie  wird  das  Nichtsein  wesenhaft,  und  wesenlos  wird  nie  das  Sein, 
Des  Seins  und  Nichtseins  Unterschied  sieht  jeder  Wahrheitskundge  ein. 
So  bleibt  der  Urgrund  ewiglich,  von  dem  dies  All  ist  ausgespannt, 
Des  Ewigen  Vernichtung,  traun!  bewirket  keines  Menschen  Hand 
Dies  Endliche  ist  nur  der  Leib  der  ew'gen  Seele  dieser  Welt, 
Die  ohne  Ziel  und  Ende  ist;  drum  kämpfe  unverzagt,  o  Held? 
Wer  meint,  der  Geist  vernichte  je,  und  wer  ihn  für  vernichtbar  halt, 
Sie  hegen  beide  falschen  Wahn,  nicht  fällt  er,  nicht  wird  er  gefallt 


1  Vgl.  oben  p.  687. 

•  Vgl.  Bhag.  XIII ,  19. 

9  Humboldt  a.  a.  0.,  p.  45. 

4  Bhag.  II,  12  flg.  Ich  gebe  die  anzuführenden  Stellen  durch- 
gängig in  der  fioxberger'schen  Uebersetzung.  Ein  paar  kleine  Ab- 
weichungen werden  in  den  Anmerkungen  als  solche  hervorgehoben. 


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—   697  - 

Nicht  entsteht  er,  nicht  vergeht  er;  wie  er  war,  so  bleibt  er  immer, 
ün geboren,  unvergänglich;  stirbt  der  Leib  auch,  er  stirbt  nimmer. 
Wer  weiss,  dass  dieser  ewig  bleibt,  wie  er  von  je  gewesen  schon, 
Wie  kann  der  einen  Mord  begehn,  wie  Mord  anstiften,  Pritha's  Sohn? 
Wie  die  Menschen  sich  des  neuen  Anzugs  nach  dem  alten  freuen, 
Also  tauscht  die  Seele  immer  alte  Leiber  mit  den  neuen. 

Du  siehst  der  Wesen  Ursprung  nicht,  und  auch  ihr  Ende  siehst  du  nicht. 
Du  kennst  nur,  was  dazwischen  liegt,  darum,  o  Trauter,  klage  nicht. 
Als  ein  Wunder  sieht's  der  Eine,  von  dem  Wunder  redet  Einer, 
Von  dem  Wunder  hört  ein  Dritter,  doch  ergrunden  kann  es  Keiner. 
Die  Seel*  in  eines  Jeden  Leib  ist  ewig  und  unwandelbar, 
Drum  klage  du,  o  Arjuna,  um  keines  aus  der  Wesenschaar." 

Deine  Pflicht  als  Krieger  musst  du  erfüllen,  das  ist  ewiges 
Gebot! 

„Oleich  achtend  Glück  und  Ungemach,  Gewinn,  Verlust,  Tod  oder  Sieg, 
Dass  dich  nicht  treffe  bittre  Schmach,  bereite  dich  sogleich  zum  Krieg." 

Thu  deine  That,  nur  um  die  Pflicht  zu  erfüllen,  frei  von 
irdischer  Begier,  nicht  sorgend,  was  der  Ausgang  sei.  Solcher 
Glejchmuth  ist  wahre  Andacht. 

Arjuna  wendet  ein,  Erkenntniss  stehe  doch  höher  als  das 
Handeln.  Krishna  erwidert,  es  sei  Thorheit,  sich  dem  Handeln 
entziehen  zu  wollen.  So  lange  wir  als  Menschen  in  irdischem 
Leibe  leben,  sind  wir  naturgeinass  auf  das  Handeln  angewiesen; 
sind  gar  nicht  fähig,  es  aufzugeben,  auch  wenn  wir  wollten. 
In  diesem  Sinne  sagt  er  III,  5  flg.: 

„Nicht  einen  Augenblick  verbringt  der  Mensch  in  blossem  Müssiggang, 
Auch  unwillkürlich  handelt  er  nach  des  Naturgesetzes  Zwang. 
"Wer  müssig,  still  in  »ich  versenkt  nachsinnt  den  Dingen  der  Natur 
Und  seines  Leibes  Thatkraft  schwächt,  der  ist  ein  Thor  und  Heuchler  nur. 
Doch  wer  mit  allen  Sinnen  sich,  o  Freund,  dem  Handeln  zugewandt, 
Ton  Selbstsucht  frei  und  Leidenschaft,  des  Name  wird  mit  Ruhm  genannt. 
Vollziehe  die  gebotne  That,  hoch  steht  dies  überm  Müssiggang; 
Bei  thatenl08em  Müssiggang  gedeihet  auch  der  Leib  nicht  lang. 

Drum  handle  ruhig,  weise  nicht  die  auferlegte  That  zurück; 

Wer  handelt  ohne  Leidenschaft,  der  Mensch  erreicht  das  höchste  Glück.4* 

Und  ferner  (IV,  19): 

„Wer  mit  des  Wissens  Feuerstrahl  die  Thatenleidenschaft  verbrannt, 
Wes  Thaten  frei  sind  von  Begier,  der  wild  ein  Wissender  genannt/4 

(V,  8):  „Entsagung  zwar  and  Tbatigkeit,  sie  führen  beide  wohl  zum  Heil, 
Doch  wird  vor  dem  Entsagenden  dem  Thätigen  der  Preis  zu  Theil." 

Dann  giebt  Krishna  dem  Arjuna  Anweisung,  wie  er  in 
stiller  Einsamkeit  und  Vertiefung  die  Andacht  üben  solle.  Dann 
werde  ihm  die  wahre  Erkenntniss  von  der  Gottnatur  aufgehen 
(VI,  30  flg.): 


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-  698 


„Wer  mich  im  Welteolli  erblickt  und  auch  das  AU  in  mir  erblickt. 
Dem  werd'  ich  nimmermehr  entrückt,  and  er  wird  nimmer  mir  entrückt 
Wer  mich  in  jedem  Ding  verehrt  und  aller  Wesen  Einheit  kennt, 
Der  Fromme,  wo  er  wandeln  mag,  wird  nimmermehr  von  mir  getrennt.** 

Er  sagt  von  sich  (VII,  6  flg.): 

„Ich  bin  der  Ursprung  dieser  Welt  und  auch  der  Wesen  Untergang. 

Nichts  Höhres  lebet  ausser  mir  im  ganzen  Reiche  der  Natur, 

An  mich  ist  dieses  All  gereiht  wie  Ferien  an  die  Seidenschnur. 

Ich  bin  der  bei  Ige  Laut  der  Schrift,  der  Glanz  im  Mond-  und  Sonnenschein, 

Der  Klang  im  Aether,  Manneskraft  im  Menschen,  süsser  Duft  im  Wein/*  etc 

In  allen  Dingen  ist  er  das,  was  sie  gross  und  schön  macht 
Wer  ihn  erkennt  und  recht  verehrt,  der  geht  nach  dem  Tode 
ohne  Wiedergeburt  in  ihn  ein. 

X,  2:  „Es  kennen  meinen  Ursprung  nicht  die  Götter  noch  der  Seher  Schaar, 
Weil  ich  der  Götter  Anbeginn  und  früher  als  die  Seher  war.*1 

20:  „Ich  wohne,  Ringellockiger,  als  Seele  allen  Wesen  ein, 
Ich  bin  ihr  Anfang  und  ihr  Ziel,  und  ihre  Mitte,  ich  allein." 

41:  „Was  irgendwo  auf  Erden  glänzt  durch  Grösse,  Seligkeit  und  Hell, 
Das  wisse,  Arjuna,  das  ist  von  meiner  Kraft  und  Macht  ein  Theil. 

42:  Was  nützet  weitres  Forschen  noch  und  weitre  Kenntnis!  dir,  o  Held? 
Mit  einem  Theile  meines  Seins  hab*  ich  dies  Weltall  festgestellt." 

Arjuna  hegehrt  den  Gott  in  seiner  wahren  Gestalt  zu 

schauen.    Krishna  verleiht  ihm  ein  göttliches  Auge  und  nun 

schaut  er  staunend  und  zittrrnd  (XI,  15  flg.): 

„Alle  Wesen,  alle  Götter  seh  an  deinem  Leib  ich  hangen, 

Brahma  auf  dem  Lotussitze  sammt  den  Sehern  und  den  Schlangen. 

Viel  Gesichtor,  Arme,  Leiber,  viele  Augen,  du  Gewaltger, 

Aber  weder  Ziel  noch  Anfang  seh  an  dir  ich,  Vielgestaltger. 

Auf  dem  Haupt  glänzt  die  Tiare,  in  der  Hand  trägst  du  die  Keule, 

Unermeselich ,  schwer  zu  schauen,  strahlst  du  wie  des  Feuers  Säule. 

Unzertrennlich,  ewig  bist  du,  und  des  höchsten  Schatzes  Hüter, 

Unvergänglich,  Schutz  des  Rechtes  und  des  Weltenalls  Gebieter. 

Unvertilgbar  deine  Kräfte,  ohne  Ende  deine  Arme, 

Mond-  und  sonnenhaft  dein  Auge,  dass  von  ihm  das  All  erwarme. 

Erd  und  Himmel,  Ost  und  Westen,  wird  von  dir  allein  umhüllet 

Uud  das  All,  das  Wunder  schauend,  wird  von  banger  Furcht  erfüllet. 

Mit  gefaltnen  Händen  treten  Götter  vor  dich  hin  und  beten, 

Seher.  Weise  grüssen  leise,  andre  preisen  dich  mit  Reden. 

Staunend  sehn  dich  Rudra's,  Vasu's,  Sädhya's,  Xditya's.  Gandharven, 

Vicva's,  Maruta's,  Agvinen,  Yaksha's,  Asura's  und  Larven4'  u.  s.  w. 

36  flg. :  „Ja,  mit  Recht,  o  Gott  der  Götter,  beugt  sich  dir  das  All  der  Welten, 
Zitternd  fliehen  die  Dämonen,  doch  dich  preisen  fromme  Helden. 
Dich,  der  höher  steht  als  Brahma,  dich,  der  dieses  All  gestaltet, 
Dich,  der  unvergänglich,  ewig,  über  Sein  nnd  Nichtsein  waltet. 
Dich,  den  Ursprung  aller  Götter,  dich,  den  ältesten  der  Geister, 
Dich,  den  Wissenden  und  Wisseuswerthen,  dich,  den  Weltenmeister. 
Gott  des  Windes,  Feuers,  Wassers,  Gott  des  Mondes  und  des  Todes. 
Herr  der  Wesen,  Alles  harret  schweigend  deines  Machtgebotes! 


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—   699  — 

Ehre  dir  von  hier  and  dorten,  Ehre  dir  tod  allen  Seiten, 
Dein  Allmachtgen,  Allgewaltgen ,  Ehre  dir  zu  allen  Zeiten! 

45:  Zitternd  seh  ich,  was  zu  sehen  früher  mir  noch  nie  geschehen, 
Schone,  Herr  der  Götter,  schone,  lass  dich  mir  wie  früher  sehen  1" 

Und  Krishna  nimmt  wieder  seine  frühere  Gestalt  an  und 
weiht  ihn  immer  tiefer  in  die  Speculation  ein.  Er  lehrt  ihm, 
dass  Natur  und  Geist  beide  anfangslos  sind;  die  Natur  der 
alleinige  Grund  jeder  Sinnesthätigkeit;  der  Geist  empfindend, 
betrachtend,  erkennend  in  ihr  wohnend.  Die  ganze  Welt  ist  in 
die  drei  Regionen  der  Güte,  Leidenschaft  und  Finsterniss 1  ein- 
geteilt, die  von  dem  Weisen  aber  schliesslich  alle  drei  über- 
wanden werden  müssen.  Im  letzten  Gesänge  kehrt  er  wieder 
zu  seinem  Ausgangspunkt  zurück,  die  wahre  Entsagung  sei,  zu 
handeln  frei  von  Leidenschaft  und  Gier  (XVIII,  2  und  7  flg.): 

„Wer  jeder  That  der  Gier  entsagt,  hat  der  Entsagung  Werk  vollbracht, 
Verzicht  geleistet  hat,  o  Held,  wer  nicht  des  Handelns  Frucht  bedacht.  — 
Entsagung  der  gebotnen  That,  o  Arjnna,  ist  Albernheit; 
Wer  aus  Verblendung  ihr  entsagt,  der  ist  der  Finsterniss*  geweiht. 
Wer,  weil  es  seine  Ruhe  stört,  das  Handeln  zu  vermeiden  sucht, 
Der,  weil  die  Leidenschaft  ihn  treibt,  geniesst  nicht  der  Entsagung  Frucht, 
Wer  die  gebotne  That  vollzieht  aus  Pflicht  und  nicht  ans  Leidenschaft, 
Und  nicht  des  Handelns  Frucht  bedenkt,  nur  dess  Verzicht  ist  wesenhaft.*" 

17:  „—  Wessen  Sinnen  und  Verstand  nicht  durch  die  Selbstsucht  wird 

getrQbt, 

Wenn  er  die  ganze  Welt  zerstört,  hat  dennoch  keinen  Mord  verübt." 

23:  „Wer  handelt  ohne  Gunst  und  nass,  nur  wie  es  ihm  die  Pflicht  gebeut, 
Und  nicht  des  Handelns  Frucht  begehrt,  dess  Handlung  ist  voU  Treff- 
lichkeit*4 

So,  unentwegt  nach  dem  Pflichtgehote  handelnd,  und  an- 
dachtsvoll immer  wieder  den  Geist  zur  Gottheit  kehrend,  gelangt 
der  Weise  endlich  zum  höchsten  Heil. 

65:  „Mich  ehre,  mich  bedenke  stets,  mir  huldige  und  opfre  mir, 
So  gehst  du  sicher  zu  mir  ein;  o  Freund,  die  Wahrheit  red*  ich  dir. 

66:  Gieb  jeden  andern  Glauben  auf  und  suche  nur  in  mir  dein  Heil, 
8o  wird  dir  einst  von  aller  Schuld  durch  mich  Erlösung  wohl  zu  Theü." 

Es  ist  echte  Weisheit,  die  dies  Gedicht  enthält,  in  be- 
geisterten Worten  verkündet,  tiefsinnige  Speculation,  verbunden 
mit  ernster,  mannhafter  Erfassung  des  Lebens  mit  allen  seinen 
Aufgaben  und  Lasten.    Als  Kunstwerk  steht  es  hoch,  denn 


1  sattva,  rajas  und  tamas. 

•  Boxberger  sagt  Dunkelheit  (tamas). 

9  D.  h.  wahrhaft,  wirklich. 

4  Boxberger  sagt  „Wesenheit",  wodurch  aber  der  Begriff  des  indi- 
schen sattva  sehr  missverstandlich  wiedergegeben  wäre. 


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schwerlich  wird  man  irgendwo  eine  Dichtung  finden,  in  welcher 
philosophische  Gedanken  von  so  echter  poetischer  Begeisterung 
durchwärmt,  von  so  hohem  Schwünge  getragen  werden.  Ich 
darf  darüber  wohl  zum  Schluss  die  Worte  W.  v.  Humboldt's 
anfuhren,  der  in  der  früher  erwähnten  Abhandlung  von  der 
Bhagavadgita  sagt:  „Wenn  man  das  Gesprach  Krishna's  mit 
Arjuna  von  der  poetischen  Seite  betrachtet,  so  möchte  ich  be- 
haupten, dass  dasselbe  mehr  als  irgend  ein  anderes,  von  irgend 
einer  Nation  auf  uns  gekommenes  Werk  dieser  Art  dem  wahren 
und  eigentlichen  Begriff  einer  philosophischen  Dichtung  ent- 
spricht/4 1 

Und  das  ist  nicht  zu  viel  gesagt. 

1  a.  ».  0.  p.  64. 


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Siebenundvierzigste  Vorlesung. 


Wissenschaftliche  Leistungen  der  Inder.  Sprachwissenschaft:  Grammatik 
und  Lexikographie.  Der  Padapatha.  Die  Nighantavas.  Yaska's  Nirukta. 
^akatayana.  Panini's  Grammatik.  Eigenthümliche  Terminologie.  Zeit- 
alter des  Panini.  Katyayana.  Patanjali's  Mahabhashya.  Spätere  gram- 
matische and  lexikographische  Leistungen.  Der  Amarakoca.  Die  Wurzel- 
wörterbücher. —  Rhetorik  und  Poetik.  —  Geschichte. 


Unter  den  Wissenschaften,  in  Welchen  die  Inder  etwas  ge- 
leistet haben,  nimmt  die  Sprachwissenschaft  die  erste  Stelle 
ein,  ja  auf  diesem  Gebiete  haben  sie  mehr  erreicht  als  alle 
andern  Völker  des  Alterthums,  die  Griechen  nicht  ausgenommen, 
und  es  ist  eine  ebenso  bekannte  wie  bemerkenswerthe  That- 
sache,  dass  die  rasche  und  glückliche  Entwickelung  der  ver- 
gleichenden Sprachforschung  in  unserem  Jahrhundert  nicht  zum 
geringsten  Theile  durch  die  bedeutenden  grammatischen  Vor- 
arbeiten der  Inder  gefördert  worden  ist  Nur  durch  diese  war 
e8  den  europäischen  Gelehrten  möglich,  den  Bau  der  für  die 
Vergleichung  so  hochwichtigen  Sanskritsprache  zu  durchschauen, 
von  welcher  aus  bekanntlich  das  Licht  auch  in  den  viel  weniger 
durchsichtigen  Bau  der  anderen  indogermanischen  Sprachen 
hineinstrahlte. 

Das  hervorragende  Verdienst  der  indischen  Grammatiker 
liegt  vor  Allem  in  der  höchst  scharfsinnigen  Zerlegung  der 
sprachlichen  Formen  in  die  Elemente,  aus  welchen  dieselben 
zusammengesetzt  sind.  Nicht  sowohl  geistvolle  sprachphiloso- 
phische Theorieen,  als  vielmehr  gerade  die  eindringendste  und 
sorgfältigste  empirische  Forschung  lasst  die  Inder  auf  diesem 
Gebiete  gross,  ja  genial  erscheinen,  und  die  Methode,  deren 
sie  sich  dabei  bedienen,  muss  eine  wahrhaft  wissenschaftliche 
genannt  werden.  Sie  besteht  in  der  gründlichsten  Analyse  der 
äusseren  Form  der  Sprache,  Zerlegung  derselben  in  ihre  Bestand- 
teile und  Erkenntniss  der  Funktion  dieser  einzelnen  Theile. 


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—   702  - 


Auf  diesem  Wege,  von  aussen  nach  innen  dringend,  suchen  sie 
den  Inhalt,  das  wahre  Wesen  der  Sprache  zu  erforschen.  Gerade 
den  umgekehrten  Weg  schlägt  die  philosophische  Sprachbetrach- 
tung ein,  als  deren  eigentliche  Schöpfer  wir  die  Griechen  an- 
zusehen haben.1  Weil  für  die  indische  Sprachforschung  gerade 
die  analytische  Methode  charakteristisch  ist,  wird  die  Grammatik 
geradezu  vyakarana  genannt,  d.  L  Auseinandermachung,  Ana- 
lyse; ein  Grammatiker  heisst  väiyakarana,  d.  h,  Analytiker! 
Begünstigt  wurde  dieso  Methode  ohne  Zweifel  durch  die  grosse 
Klarheit  und  .Durchsichtigkeit  des  Sanskrit,  aber  nichtsdesto- 
weniger sind  die  Leistungen  erstaunlich. 

Die  indischen  Grammatiker  haben  es  erkannt,  dass  die 
sprachlichen  Formen  aufgebaut  sind  aus,  meist  einsylbigen, 
Wurzeln,  in  Zusammensetzung  mit  mannigfachen,  die  Wnrzel- 
bedeutung  moditicireuden  Suffixen  und  Präfixen.  Diese  Wurzeln, 
sowie  auch  die  Suffixe,  haben  sie  verstanden,  höchst  gründlich 
und  scharfsinnig  in  ihre  mannigfaltigen  Verbindungen  und  Um- 
gestaltungen zu  verfolgen,  wo  dieselben  oft  keineswegs  leicht 
herauszuerkennen  sind.  Sie  haben  die  lautlichen  Verhältnisse, 
die  Gesetze,  nach  welchen  Consonanten  und  Vocale  sich  ver- 
ändern, sich  gegenseitig  beeinflussen,  verdrängen  u.  dgl.  m,  in 
höchst  scharfsichtiger,  wahrhaft  wissenschaftlicher  Weise  er- 
forscht. Ihre  Darstellung  der  Laut-,  Flexions-  und  Wortbildungs- 
lehre zeugt  von  vorzüglichem  Beobachtungstalent  auf  diesem 
Gebiete  und  dabei  von  wahrhaft  staunenswerther  Akribie,  was 
umsomehr  hervorgehoben  werden  muss,  als  gerade  Genauigkeit 
und  Präcision  auf  andern  Gebieten  der  wissenschaftlichen  For- 
schung bei  den  Indern  bekanntlich  sehr  vermisst  werden.  Von 
entscheidender  Bedeutung  war  dabei  wohl  der  Umstand,  da&s 
das  Studium  der  Grammatik  in  Indien  zunächst  an  den  vedi- 
schen  Texten  erwuchs,  deren  Heiligkeit  auch  für  den  letzten, 
in  ihnen  enthaltenen  Buchstaben  ehrfurchtsvolle  Scheu  und 
Sorgfalt  beanspruchte.  In  der  Verzeichnung  und  Besprechung 
der  vedischen  Formen  verfahren  die  indischen  Grammatiker  mit 
der  äussersten  Umsicht  und  einer  Gewissenhaftigkeit,  die  wir 
nicht  genug  rühmen  können." 


1  Man  vgl.  hier  namentlich  Benfey,  Geschichte  der  Sprachwissen- 
schaft (München  1869)  p.  85—37.  Die  Darstellung  der  indischen  Sprach- 
wissenschaft, welche  Benfey  in  diosem  Werk  (p.  36 — tOO)  gegeben  hat, 
ist  die  beste,  welche  wir  bisher  besitzen. 

■  Nor  durch  diese  Akribie  der  indischen  Grammatiker  ist  es  mir 
z.  B.  möglich  gewesen,  die  N&itr&yani  Sambia  als  einen  echten  alten 
Veda  zu  erweisen;  nur  dadurch,  dass  ich  lii  derselben  eine  ganze  Reihe 


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703  — 


Dass  sich  der  sprachwissenschaftliche  Sinn  schon  früh  hei 
den  Indern  regt»  haben  wir  bereits  aus  den,  in  den  Yajurvedeu 
und  Brakmana's  erhaltenen,  ersten  etymologischen  Versuchen 
ersehen  können.  Als  die  ältesten  uns  erhaltenen  Leistungen 
der  Inder  auf  diesem  Gebiete  sind  der  sogenannte  Padapatha 
der  Yedischen  Bücher  und  die  unter  dem  Namen  Nighantavas 
bekannten  Vedenglossen  zu  nennen. 

Der  Padapatha  oder  Wort-Text  ist  eine  besondere  Form 
der  yedischen  Texte,  in  welcher  die  einzelnen  .Wörter,  welche 
sonst  nach  den  eigentlichen  Kegeln  des  Sanskrit  eines  mit  dem 
andern  verbunden,  zusammengeflossen,  im  Anlaut  oder  im  Aus- 
laut oder  auch  in  allen  beiden  phonetisch  verändert  erscheinen, 
in  ihrer  ursprünglichen  Gestalt,  wie  sie  dieselbe  ausserhalb  jeder 
Verbindung  mit  andern  Wörtern  haben  müssten,  aufgeführt 
werden.  Diese  Scheidung  oder  Loslösung  der  einzelnen  Wörter 
von  einander  war  dank  den  complicierten  Regeln,  nach  welchen 
im  Sanskrit  die  Verschmelzung  derselben  im  Satze  vor  sich 
geht,  keineswegs  eine  leichte  Aufgabe.1  Der  Zweck  dieser  Ar- 
beit war  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ursprünglich  ein  rein 
praktischer,  nämlich  das  bessere  Verständniss  der  vedischen 
Texte;  im  Verlaufe  der  Zeit  nahm  derselbe  aber  mehr  und  mehr 
einen  wissenschaftlichen  Charakter  an.  Man  wurde  sich  bei 
diesem  Unternehmen  zuerst  über  die  phonetischen  Gesetze  klar, 
dann  über  die  grammatischen  Formen  und  Hegeln  überhaupt, 
und  so  führte  dasselbe  allmählich  zum  Aufbau  einer  wissen- 
schaftlichen Grammatik.  Die  Abfassung  des  Padapatha  zum 
Rigveda  wird  dem  Qäkalya  zugeschrieben;  die  des  Padapatha 
zum  Sämaveda  dem  Gärgya.  Es  sind  dies  hochberühmte 
Namen  in  der  Geschichte  der  indischen  Sprachwissenschaft,  und 
werden  diesen  Männern  auch  noch  andere  grammatische  Ar- 
beiten zugeschrieben.2 

Die  sogenannten  Nighantavas  (auch  Näighanvukam  ge- 
nannt), in  5  Büchern,  sind  eine  Sammlung  vedischer  Glossen, 


angewöhnlicher  und  merkwürdiger  Formen  und  Bildungen  vorfand,  welche 
bei  Panini  als  vedisch  verzeichnet  werden,  sich  aber  sonst  in  keinem 
andern  Veda-Text  nachweisen  Hessen,  Formen  wie  der  Optativ  pava- 
yamkriyat,  der  Infinitiv  s&dhyai  u.  a.  m.  (Maitr.  S.  I,  Einl.  p.  XIV  flg.). 
Die  gewissenhafte  Aufführung  all  dieser  ganz  vereinzelt  vorkommenden 
Bildungen  ist  gewiss  ein  Zeichen  gründlichster  Special-Beobachtung. 

1  „In  dieser  Scheidung  —  sagt  Benfey  —  liegt  wohl  der  Anfang 
der  indischen  Grammatik  überhaupt  uud  zugleich  eine  ihrer  bedeutend- 
sten Thaten."   (Gesch.  d.  Sprachwiss.  p.  66). 

*  Vgl.  Roth,  Nirukta  p.  222.  Benfey,  a  &.  0.  p.  67.  —  Roth 
aagt  a.  a.  0. :  „Durch  die  Herstellung  eines  Padapatha  wurden  die  laut- 


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—    704  — 

offenbar  zum  mündlichen  Unterricht  bestimmt,  hervorgegangen 
aus  dem  Bedürfniss,  die  zahlreichen,  im  Laufe  der  Zeit  unver- 
ständlich gewordenen  vedischen  Worte  ihrer  Bedeutung  nach 
näher  zu  erläutern.  Es  sind  hauptsächlich  synonymische  Zu- 
sammenstellungen vedischer  Wörter;  ferner  Zusammenstellungen 
besonders  schwieriger  Wörter  des  Voda  (Buch  4),  sowie  der  in 
den  Hymnen  vorkommenden  Gottheiten  (Buch  5).  Ein  Verfasser 
wird  für  diesolben  nicht  angegeben. 

Gerado  in.  Bezug  auf  den  Wortschatz  und  die  Bedeutung 
der  einzelnen  Wörter  ist  die  spätere  Sprache  stark  von  der  des 
Veda  verschieden,  und  gerade  in  diesem  Punkte  bedurfte  man 
daher  später  dringend  der  Aufklärung  und  eines  besonderen 
dahin  zielenden  Unterrichts.  Wie  stark  schon  in  verhältniss- 
mässig  früher  Zeit  das  Verständniss  des  Veda  verdunkelt  war, 
beweist  uns  unter  Anderem  die  von  Yäska  angeführte  Behaup- 
tung des  Käutsa,  die  vedischen  Lieder  seien  sinnlos,  da  sie 
Wörter  von  unverständlicher  Bedeutung  enthielten.1  Dieser 
Käutsa  war  ein  Zeitgenosse  oder,  vielleicht  noch  wahrschein- 
licher, ein  Vorgänger  des  Yaska,  und  dieser  letztere  gehört 
spätestens  in  das  fünfte  Jahrhundert  v.  Chr.  Es  erleidet  keinen 
Zweifel,  dass  die  Schwierigkeit,  den  Sinn  der  alten  heiligen 
Lieder  zu  verstehen,  für  die  Inder  ein  mächtiger  Sporn  zu 
exegetischen  und  grammatischen  Arbeiten  gewesen  ist,  und  in- 
direkt verdanken  wir  ihr  das  frühe  Aufblühen  der  indischen 
Sprachwissenschaft. * 

Zu  den  Nighantavas  schrieb  Yaska  seinen  berühmten  Com- 
mentar,  genannt  Nirukta,  d.  i.  Erklärung,  ein  Werk  vou  un- 
schätzbarer Bedeutung  für  die  Geschichte  der  iudischen  Sprach- 


lichen Schwierigkeiten  der  vedischen  Texte  gelöst  uud  ihr  Wortgehalt 
fttr  die  Exegese  gleichsam  bloßgelegt.  Es  erklart  sich  deshalb  leicht, 
wie  einerseits  nur  ein  von  den  bedeutendsten  Lehrern  aufgestellter  Padi- 
text  allgemeine  Geltung  sich  verschaffen  konnte,  andrerseits  aber  such 
ein  solches  Werk  seinem  Urheber  dauernde  Hochachtung  sichern  mosste.u 

1  Vgl.  Nir.  1,  15  yadi  mantrarthapratyay&yanarthakaoi  bhaTstlti 
kautso  'narthakä  hi  mantra{i.    Vgl.  auch  Benfey  a.  a.  0.  j»  48. 

1  Ich  fahre  darüber  noch  die  Worte  Benfey's  an  (a.  a.  0  p. 
„Wir  müssen  nicht  unbemerkt  lassen,  dass,  so  sehr  die  Verdunkelung 
des  Verständnisses  dieser  Lieder  von  vielen  Gesichtspunkten  aus  zu  be- 
dauern ist,  so  viel  wir  auch  dadurch  vielleicht  unwiederbringlich  verloren 
haben  mögen,  die  bewunderungswerthen  Thaten  der  Inder  auf  dem  Ge- 
biete der  Grammatik  doch  wesentlich  ihr  verdankt  werden;  an  derüeber- 
windung  der  Schwierigkeiten,  welche  sich  der  Wiedererweckung  des  Ver- 
ständnisses dieser  Lieder  entgegenstemmten,  erstarkten  sie  zu  der  Kraft 
welche  sich  in  der  Gestaltung  der  Sanskrit -Grammatik  bis  zu  einem  so 
hohen  Grade  entwickelte"  u.  8.  w. 


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—    706  - 

Wissenschaft.  Yaska  mass  lange  vor  dem  grossen  Grammatiker 
Panini  gelebt  haben.  Es  wird  eine  beträchtliche  Anzahl  be- 
deutender Grammatiker  zwischen  Yaska  und  Pänini  erwähnt.1 
Da  nun  Panini,  wie  wir  sehen  werden,  in  der  Mitte  des  vierten 
Jahrhunderts  v.  Chr.  lebte,  müssen  wir  Yaska  mindestens  in  das 
fünfte,  wenn  nicht  gar  in  das  sechste  Jahrhundert  v.  Chr.  setzen. 
Die  Nighantavas  müssen  lange  vor  Yaska  abgefasst  sein  und 
reichen  jedenfalls  Jahrhunderte  vor  Panini  hinauf,  doch  sind 
wir  nicht  im  Stande,  die  Zeit  näher  zu  bestimmen.' 

Das  Nirukta  erläutert  die  Nighantavas  und  liefert  bei 
der  Gelegenheit  die  wichtigsten  Beiträge  für  die  Erklärung  der 
Veden  überhaupt  Es  enthält  dasselbe  ferner  die  ersten  gram- 
matischen Mittheilungen,  nennt  verschiedene  grammatische  Lehrer 
und  ist  auch  aus  dem  Grunde  von  Interesse  für  uns,  weil  es 
als  das  älteste  Werk  der  eigentlich  klassischen  Sanskrit-Litera- 
tur anzusehen  ist 

Aus  dem  Nirukta  des  Yaska  sehen  wir  deutlich,  dass  die 
grammatische  Wissenschaft  zu  der  Zelt,  als  dieses  Work  ver- 
laset wurde,  schon  recht  entwickelt  gewesen  sein  niuss.  Wie 
aas  einer  Menge  von  Stellen  deutlich  hervorgeht,  hatte  man 
damals  bereits  klar  erkannt,  dass  die  Wörter  aus  einem  be- 
grifflichen Element  (der  Wurzel)  einerseits  und  einem  oder 
mehreren  formativen  Elementen  andrerseits  zusammengesetzt 
sind.  Man  hatte  auch  bereits  die  Lautwandlungen,  welche  bei 
der  Zusammenfügung  dieser  Elemente  statthaben,  sehr  wohl 
erforscht  und  wusste  die  so  bedingte  Gestalt  dieser  Elemente 
von  ihrer  unbedingten,  wo  sie  von  keinerlei  andern  Lauten  noch 
beeinflusst  war,  sehr  wohl  zu  unterscheiden;  man  wusste  z.  B., 
„dass  in  den  Participiis  Perl  Pass  buddha,  güdha,  dvishta  die 
auslautenden,  dha,  dha,  ta  nur  phonetisch  bedingte  Umwand- 
lungen des  in  bhüta  erscheinenden  ta  sind  und  diese  Form  als 
das  (für  die  Erforschung  der  sprachlichen  Thatsachen  letzt - 
erreichbare)  unbedingte  Bildungselement  der  hierher  gehörigen 
Wörter  aufzustellen  ist.***  Wichtig  ist  namentlich  auch  der  Um- 
stand, dass  Yaska  sich  bereits  wesentlich  derselben  gram- 
matischen Terminologie  bedient  wie  Panini.  Er  kennt  nicht 
nur  die  Wurzeln,  sondern  er  nennt  sie  auch  dhatu*  wie  Panini; 


1  Vgl.  Benfey  a.  a.  0.,  p.  47.  48 

1  «Yaaka'i  Nirukta  ummt  den  Nighantava*"  ist  mit  sehr  Werth- 
vollen  Erläuterungen,  Einleitung  und  andern  Beigaben  vorzüglich  heraus- 
gegeben von  Rod.  Roth,  Göttingen  1852. 

*  Vgl.  Benfey,  Gesch.  d.  Sprachwiss.  p.  70. 

4  Dbata  bedeutet  eigentlich  „Basis". 

f.  Schröder,  ladUu  Lit.  n.  Cilt.  45 


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er  unterscheidet  nicht  nur  die  primären  und  sekundären  Suffixe, 
sondern  er  nennt  auch  bereits  die  ersteren  Krit,  die  letzteren 
Taddhita,  ganz  wie  Panini 1  ü.  dergl.  öl  „Wer  aber  weiss,  —  sagt 
Benfey,  —  mit  welcher  Schwierigkeit  und  Langsamkeit  eine  so 
treffende  —  zumal  so  detaillirte  —  wissenschaftliche  Terminologie, 
wie  sie  in  der  indischen  Grammatik  hervortritt,  sich  zu  ent- 
wickeln pflegt,  welche  umfassende,  tief  eindringende,  vielseitig 
ordnende  Forschung  und  Darstellung  sie  voraussetzt,  der  kann 
nicht  umhin,  für  die  dem  Yaska  oder  selbst  Qakatayana  vor- 
hergegangene grammatische.  Thätigkeit  entweder  eine  kaum 
denkbare  Intensität  anzunehmen,  oder  ihr  eine  schon  sehr  lange 
Dauer  zuzusprechen."  * 

Yaska  citirt  oft  die  Vaiyakarana's,  d.  h.  die  Grammatiker, 
und  nennt  eine  Reihe  derselben  mit  Namen.*  Unter  diesen 
ist  vor  Allem  Caka^ayana  berühmt  Es  scheint,  dass  er  der 
bedeutendste  Vorgänger  des  Panini  gewesen.  Ihm  wird  eine 
Grammatik  zugeschrieben,  von  welcher  Bühl  er  einen  Theil  ver- 
öffentlicht hat.4  Falls  dieselbe  echt  ist,  wirklich  von  £&ka^Lyana 
herrührt,  —  worüber  ich  mir  allerdings  kein  Urtheil  anmawe,  — 
so  wäre  schon  damals  die  Sanskrit-Grammatik  der  Hauptsache 
nach  geschaffen  und  Panini  hätte  dieselbe  nur  vervollkommnet 
und  in  eine  klassisch  vollendete  Form  gebracht6  Qakatayana 
war  es  auch,  der  nach  Yaska's  Zeugniss  die  Behauptung  aus- 
sprach, dass  die  Nomina  aus  den  Verben  entstanden  seien. 
Seine  Gegner,  unter  denen  namentlich  Gargya  hervorragt,  be- 
streiten dies  nicht  ganz  und  gar,  sie  beschränken  es  vielmehr 
nur  und  sagen:  „nicht  alle  Nomina".  Aber  die  Ansicht  des 
Qak&tayana  trug  den  Sieg  davon;  ihr  schloss  sich  Yaska  an, 
und  sie  bildet  die  Grundlage  von  Panini's  Grammatik.6 

Wir  können  schon  aus  der  Art  dieses  Streites  entnehmen, 
wie  weit  die  Einsicht  in  die  Sprache  und  ihre  Formen  damals 
vorgerückt  gewesen  sein  muss.  Man  hatte  offenbar  schon  die 
Nomina  zum  grössten  Theil  nach  analytisch-etymologischer  Me- 
thode auf  Verbalwurzeln  zurückgeführt  Ferner  geht  aus  eben 
diesem  Streite  deutlich  hervor,  dass  jene  alten  indischen  Gram- 


1  8.  Benfey,  a.  a.  0.  p.  71. 

•  Benfey,  a.  a.  0.  p.  71.  72. 

•  Vgl.  Roth,  Nirukta  p.  222. 

•  In  Benfey*!  Zeitechx.  „Orient  und  Occident",  II,  691-706; 
vgl.  ebenda  III,  182—184  und  192. 

»  Vgl  Benfey,  Gesch.  d.  Spr.  p.  68.  69.   Weber,  Ind.  Lit.  2.  And. 

p.  888. 

•  8.  Benfey,  a.  a.  0.  p  69. 


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—   707  - 

matiker  auch  zu  weiteren,  allgemeineren,  eigentlich  sprachphilo- 
sophischen Fragen  vorschreiten.  Denn  eine  solche  ist  offenbar 
die  Frage,  oh  alle  Nomina  auf  Verbalwurzeln  zurückgehen  oder 
nicht  Wir  sehen  ferner  aus  Yaska's  Nirukta,  dass  auch  die 
in  Plato's  Kratylos  hervortretende  Frage,  oh  auf  onomatopoe- 
tischem Wege  Wörter  entstanden  seien,  von  den  alten  indischen 
Sprachforschern  behandelt  wurde  und  es  hatte  sich  z.  B.  der 
Ton  Yäska  oft  citirte  Äupamanyava  dagegen  erklärt1  Vorwie- 
gend ist  aher  freilich  die  Tbätigkeit  der  indischen  Forscher 
auf  die  empirischo  Analyse  der  Sprache  gerichtet,  und  diese 
fuhrt  sie  zu  den  glänzendsten  Resultaten,  welche  uns  in  höch- 
ster Vollendung  boi  Panini  entgegentreten. 

Panini  bildet  den  Höhepunkt  der  grammatischen  W 
Bchaft  bei  den  Indem.  Sein  berühmtes  Werk  —  acht  Bücher 
grammatischer  Kegeln*  —  ist  zugleich  die  erste  uns  erhalteno 
zusammenhängende  grammatische  Arbeit3  Nichtsdestoweniger 
besteht  kein  Zweifel  darüber,  dass  Panini  eine  bedentende  An- 
zahl  von  Vorgängern  auf  dem  Gebiete  der  Grammatik  gehabt 
hat,  wie  deren  denn  auch  in  der  That  nicht  weniger  als  64 
namhaft  gemacht  werden.4 

Offenbar  hat  er  durch  die  Vorzüglichkeit  seines  Werkes 
die  Arbeiten  seiner  Vorgänger  in  Schatten  gestellt  und  schliess- 
lich ganz  verdrängt,  wie  sich  Aehnliches  auch  auf  anderen  Ge- 
bieten der  indischen  Literatur  ereignet  hat  Wie  viel  Panini 
diesen  seinen  Vorgängern  verdankt,  wie  viel  er  selbst  geschalten, 
ist  unter  diesen  Umständen  nicht  möglich,  sicher  abzuschätzen. 
Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  fand  er  aber  schon  eine  aus- 
gebildete grammatische  Wissenschaft  vor,  welche  er  dann  nur 
auf  die  höchste  Höhe  klassischer  Vollendung,  Exactheit,  Prä- 
oision  und  Vollständigkeit  erhoben  hat  Auch  die  eigentüm- 
lich formelhafte,  sozusagen  algebraische  Terminologie,  doren 
Bich  Panini  bedient,  ist  gewiss  nicht  von  ihm  selbst  erfunden, 
vielmehr  nur  vervollkommnet  worden.  In  dieser  Beziehung, 
wie  überhaupt,  scheint  vornehmlich  QakatAyana  dem  Panini 
Torgearbeitet  zu  haben.6 

1  S.  Nir.  2,  18.   Benfey,  s.  a.  0.  p.  72. 

*  Das  „ashtakam  pAnlnlyam". 

9  Wenn  man  toü  £akat&yana's  Grammatik  absieht,  über  deren 
Echtheit  ich,  wie  oben  angedeutet,  nicht  zu  urtheüen  wage. 

4  Vgl.  M.  Maller,  History  of  anc.  Sansk.  Lit.  p.  142.  143.  Benfey, 
a,  a.  0.  p.  68.  Panini  9etzt  auch  z.  B.  eine  Sammlung  von  primären 
Affixen  (unAdi  genannt)  direkt  voraus  (s.  Weber,  Ind.  Lit.  2.  Aufl.  p.  233). 

*  So'Bühler's  undWeber's  Urtheil  (vgl.  Weber,  Ind.  I4t  2.  Aufl. 
p.  233).  —  Da  uns  nun  aber  von  diesen  vorauszusetzenden  alteren  gram- 

45» 


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—    708  — 

Die  Grammatik  des  Pauini,  von  welcher  uns  BÖhtlingk 
eine  vorzügliche  Ausgabe  sammt  Scholien,  Commentar  und  an- 
dern erklärenden  Beigaben  geliefert  hat,1  enthält  circa  4000 
Regeln.  Die  meisten  derselben  sind  ganz  kurz,  oft  nur  eine 
halbe,  oft  weniger  als  eine  Viertelzeüe  im  Druck  umfassend. 
Nach  Benfey's  Berechnung  würden  alle  diese  Regeln,  fortlaufend, 
selbst  mit  grosser  Sanskritschrift,  gedruckt,  kaum  mehr  als  150 
Seiten  füllen. '  Und  diese,  durch  die  denkbar  grösste  Kürze 
und  Präcision  ausgezeichnete  Grammatik,  bietet  uns  dabei  eine 
umfassende  Darstellung  der  gesammten  Sanskritsprache  bis  in 
alle  Einzelnheiten  ihres  Baues  mit  einer  Vollständigkeit,  welche 
fast  unvergleichlich  genannt  werden  kann.3  Insbesondere  sind 
die  phonetischen  Gesetze  mit  einer  Sorgfalt  entwickelt,  wie  wir 
dies  in  der  Grammatik  keiner  andern  Sprache  wiederfinden* 4 
•  von  andern  Lichtpunkten  des  grossartigen  Werkes  zu  geechweigen 

Um  wenigstens  annähernd  begreifen  zu  können,  wie  es 
möglich  war,  so  grosse  Vollständigkeit  mit  so  grosser  Kürze 
zu  vereinigen,  wird  es  nothwendig  sein,  die  eigentümliche  Form 
der  Darstellung,  die  uns  in  diesem  Werke  entgegentritt,  etwas 
näher  in's  Auge  zu  fassen.  Wir  finden  hier  ein  eigenartiges, 
sehr  scharfsinnig  ersonnenes  System  von  Formeln,  willkürlich 
gewählten  Sylben  oder  Buchstaben,  welche  in  abgekürzter  Weise 
bestimmte  Dinge  und  Begriffe  bezeichnen,  oder  gewisse  gram- 
matische Qualitäten  andeuten.  So  bezeichnet  z.  B.  die  Sylbe 
ac  alle  Vokale,  die  Sylbe  eo  alle  Diphthonge;  ak  die  Vokale 
a,  i,  u,  r,  J;  hal  alle  Consonanten;  a(  saramtliche  Vokale  nebst 
den  Consonanten  h,  y,  v,  r;  al  sämmtüche  Laute;  die  Sylbe  ku 


matischen  Schriften  wenig  oder  nichts  sicher  erhalten  ist,  so  treten  wir 
wie  Weber  sich  ausdrückt,  „gleich  mitten  in  das  grossartige  Gebäude  - 
ein,  das  Paninfs  Namen  als  den  seines  Erbauers  tragt  und  das  mit 
vollem  Rechte  das  bewundernde  Staunen  jedes  Eintretenden  in  Anspruch 
nimmt"   (a.  a.  O.  p.  283.) 

1  Panini's  acht  Bücher  grammatischer  Regeln.  Herausgegeben 
und  erläutert  von  Dr.  Otto  BÖhtlingk,  2  Bande,  Boan  1839.  1840.  — 
Hochwichtig  ist  die  mit  deutscher  Uebersetzung  versehene  neue  Ausgabe 
des  Panini  von  BÖhtlingk,  die  im  Jahre  1886  zu  erscheinen  begosneD 
hat  und  gleichzeitig  mit  diesem  Werke  beendigt  sein  wird:  Panrnis 
Grammatik,  herausgegeben,  übersetzt,  erläutert  und  mit  verschiedenen 
Indices  versehen  von  Otto  BöhtlLngk. 

»  Benfey,  a.  a.  0.  p.  77. 

•  Benfey  urtheilt  von  Panini's  Werk,  es  sei  „eine  so  vollständige 
Grammatik,  wie  sie  ausser  dem  Sanskrit  keine  Sprache  der  Welt,  selbst 
trotz  der  staunenswerthen  Grimmschen  Arbeiten  unsre  Muttersprache 
nicht  aufzuweisen  hat."   (a.  a.  0.  p.  77.) 

*  Vgl.  Benfey,  a.  a.  0.  p.  87. 


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-    709  - 

bezeichnet  alle  Gutturale,  pu  alle  Labiale  u.  8.  w.  Es  gilt  z.  B. 
als  Regel,  dass  alle  Suffixe  auf  der  ersten  Sylbe  betont  sind; 
davon  giebt  es  nun  aber  zahlreiche  Ausnahmen,  und  diese 
werden  durch  ein  angehängtes  p  u.  s.  w.  gekennzeichnet  Z.  B. 
das  Suff,  der  1.  Pers.  Sg.  Act.  (mi)  wird  mip  genannt,  weil  es  nie 
den  Accent  hat;  ebenso  lautet  das  (komparativ  -  Suffix  tara  bei 
Panini  tarap  aus  demselben  Grunde1  u.  dgl.  m.  Dies  erspart 
viele  Regeln.  —  Der  Buchstabe  1  bezeichnet  alle  Personal- 
endungen des  Verbums;  ein  hinzutretendes  %  die  der  Haupt- 
tempora (Präsens,  Perfect,  Futurum)  und  der  ihnen  verwandten 
Modi  (Conjunctiv  und  Imperativ);  ein  gutturales  n  die  der 
Nebentempora  (Imperfl,  Aorist,  Conditional)  und  der  verwandten 
Modi  (Potential  und  Precativ).  Das  Präsens  heisst  lat,,  das 
Imperfectum  laft;  das  Perfectum  h%  Potential-Precativ  lin;  Fu- 
turum I  luY,  Aorist  hin;  Conjunctiv  lev,  Imperativ  lot,  u.  s.  w. 
„Man  kann  —  sagt  Benrfey  —  Ordnung,  Gattung  und  Art  wohl 
kaum  kürzer  und  zugleich  bestimmter  bezeichnen;  lat  und  lan 
sind  z.  B.  dutch  das  1  als  Verbalform  bezeichnet,  jenes  durch 
dos  \  als  ein  Haupttempus,  dieses  durch  das  ü  als  ein  Neben- 
tempus; beide  durch  a  als  erste  Formen  der  beiden  Gattungen 
d.  h.  Präsens  und  Imperfecta 8 

Mit  diesen  conventionell  angenommenen  Zeichen  werden 
nun  die  Regeln  gebildet,  welche  man  auf  diese  Weise  zu  kurzen, 
formelhaften  Sätzen  gestalten  konnte,  oft  nur  wenige  Sylben, 
bisweilen  sogar  nur  eine  Sylbe  gross.8  Es  ist  nicht  leicht,  sich 
in  dies  System  von  Formeln  hineinzufinden,  aber  dasselbe  ist 
streng  consequent  und  lässt  denjenigen,  welcher  sich  damit 
vertraut  gemacht  hat,  den  Bau  der  altindischen  Sprache  voll- 
ständig erkennen.  Um  die  Aufhellung  dieser  schwierigen  R&thsel- 
sprache  der  indischen  Grammatiker  hat  sich  vor  Allem  Böht- 
lingk  ein  hervorragendes  Verdienst  erworben  durch  seine  schon 
erwähnte  Ausgabe  des  Panini.  Die  Uebersetzung  dieses  grossen 
Grammatikers  ist  ein  weiterer  wichtiger  Schritt  auf  demselben 
Wege.4 

Ueber  das  Zeitalter  des  Panini  ist  viel  gestritten  worden. 
Böhtlingk  hatte,  in  der  Einleitung  zu  seiner  Ausgabe,  zuerst 
versucht,  dasselbe  festzustellen,  und  kam  hei  seiner  Berechnung 


1  z.  B.  prthütara  von  prthA. 

*  Vgl.  Benfey,  a.  a.  0.  p.  92. 

*  Derartig  kurze  Regeln  sind  z.  B.  uiiaV,  kfiiti  ca,  ce,  adaso  mat, 
adefi  gunah  u.  dgl.  m. 

4  Vgl.  oben  p.  708  Anm. 


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-    710  — 

etwa  in  die  Mitte  des  4.  Jahrhunderts  vor  Chr.  Sein  Haupt- 
grund dafür  war  eine  Angabe  des  Kathasaritsagara ,  jener  ans 
dem  12.  Jahrhundert  nach  Chr.  stammenden  March  ensammluug, 
der  gemäss  Panini  Schüler  eines  gewissen  Varsha  gewesen  sein 
soll,  welcher  in  Patahputra  unter  der  Regierung  des  Königs 
Nanda,  Vorgängers  des  Candragupta,  gelebt  haben  solL  Damit 
kämen  wir  allerdings  etwa  in  die  Mitte  des  4.  Jahrhunderts 
yor  Chr.  BöhÜingk's  Annahme  wurde  von  Weber  entschieden 
bestritten.  Derselbe  stützte  sich  besonders  auf  eine,  von  Reinaad 
mitgetheilte,  Notiz  des  berühmten  chinesischen  Reisenden  Hiuen 
Thsang,  welcher  im  7.  Jahrhundert  nach  Chr.  Indien  bereiste. 
Es  hat  sich  aber  nachher  herausgestellt,  wie  auch  Weber 
selbst  jetzt  zugiebt,  dass  die  betreffende  Stelle  völlig  missver- 
standen war  und  dass  in  derselben  über  die  Lebenszeit  Paninfs 
in  der  That  gar  nichts  ausgesagt  ist  Goldstücker1  wiederum 
war  der  Ansicht,  dass  Panini  alter  sei  als  Buddha,  als  die 
Pratic&khya's,  ja  als  alle  vedischen  Texte,  mit  Ausnahme  des 
$igveda,  Samaveda  und  schwarzen  Yajurveda.  Nach  Allem, 
was  darüber  gestritten  worden  ist,  scheint  mir  immer  noch  die 
Zeitbestimmung  Böhtlingk's  bei  weitem  am  besten  begründet 
und  am  wahrscheinlichsten  zu  sein,  und  dürfte  dies  wohl  auch 
die  Ansicht  sein,  welche  von  der  Mehrzahl  der  ludologen  gegen- 
wärtig getheilt  wird.1 

Panini  stammte,  wie  sich  aus  mannigfachen  Gründen  er« 
giebt,  aus  dem  nordwestlichen  Indien.  Sein  Geburtsort  Qalatura 
(chinesisch  Pholotoulo)  lag  nach  Hiuen  Thsang  1  */,  Meilen  nord- 
westlich vom  Indus.  Hiuen  Thsang  nennt  den  Panini*  direkt 
als  zu  den  Gandhara,  den  griechischen  ravöaQOi,  gehörig, 
welcher  Volksstamm  bekanntlich  ganz  im  Nordwesten  Indiens 
lebte.  Er  soll  aus  dem  Geschlechte  der  Dakshi  entsprossen 
sein,  welche  zu  den  Yahlka  im  Nordwesten  gehören.4 

Seit  alter  Zeit  bis  auf  den  heutigen  Tag  bildet  Panini's 
Werk  die  maassgebende  Autorität  für  alle  grammatischen  Fragen. 
Eine  bedeutende  grammatische  Literatur  ist  inzwischen  heran- 
gewachsen; sie  hat  aber  Panini's  Stellung  nicht  erschüttert  oder 


1  In  Beinern  Werk  „Panini,  bis  place  in  Sanskrit  Literature"  (1861). 

*  Pischel'a  Versuch  einer  .anderen  Zeitbestimmung  (Ztschr.  d.  D. 
M.  6.  XXXIX,  p.  96)  muss  als  gescheitert  betrachtet  werden,  Vgl 
darüber  namentlich  Kielhorn 's  sehr  werth  volle  und  interessante  Er- 
widerung, „der  Grammatiker  Panini"  in  den  Nachrichten  von  der  Kön. 
Ges.  d.  Wiss.  zu  Göttingent  Jahrgang  1886,  No.  5;  p.  185  flg. 

*  Er  nennt  ihn  Phonini. 

*  S.  WeW,  Ind.  Lit.,  2.  Aufl.,  p.  236. 


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—   711  — 

ihn  überflügelt,  sondern  gruppirt  sich  um  ihn  herum  als  um 
ihren  regierenden  Mittelpunkt 

Die  Grammatik  des  Panini,  die  in  ihrer  räthselhaften  Kürze 
so  schwer  zu  verstehen  ist,  wurde  s  hon  früh  von  den  Indern 
mit  mancherlei  Erklärungen  und  Commentaren  versehen.  Als 
die  ältesten  derselben  gelten  die  sogenannten  Paribhasha's,  deren 
Verfasser  unbekannt  ist.  Dann  haben  wir  die  Yarttika's  oder 
Erklärungen  des  Katyayana  und  endlich  das  grosse  erläuternde 
Werk  des  Patafijali,  genannt  das  Mahabhashya,  welches 
uns  gegenwärtig  vollständig  in  der  vortrefflichen  Ausgabe  von 
Kielhorn  vorliegt.1  Was  Katyäyana's  Zeit  anbetrifft,  so  findet 
sich  bei  Hiuen  Thsang  die  Angabe,  dass  der  gelehrte  Kia  to  yan  na 
300  Jahre  nach  Buddha  in  Tamasavana  im  Penjab  gelebt  habe. 
Ich  glaube,  dass  Böhtlingk  Recht  gehabt  hat,  diese  Angabe  auf 
unsern  Katyayana  zu  beziehen,  für  welchen  sich  demnach  das 
Jahr  180  vor  Chr.  fixiren  Hesse.  Dies  stimmt  auch  vortrefflich 
zu  der  wahrscheinlichen  Zeit  des  Patafijali,  welcher  auf  Katya- 
yana folgt  und  mehrfach  gegen  ihn  polemisirt  Historische  Be- 
ziehungen, welche  in  dem  Mahabhashya  des  Patafijali  zu  Tage 
treten,  machen  es  wahrscheinlich,  daas  dieses  Werk  in  der  ersten 
Hälfte,  etwa  in  den  vierziger  Jahren  des  zweiten  Jahrhunderts 
Tor  Chr.  entstanden  sein  dürfte.1  Neuerdings  hat  diese  Zeit- 
bestimmung eine  wichtige  Stütze  durch  einen  darauf  bezüglichen 
Artikel  von  Böhtlingk  erhalten.» 

Eine  Angabe  der  Rajataramginl,  der  kaschmirischen  Königs- 
chronik, besagt  ferner,  dass  das  Mahabhashya  unter  König 
Abhimanyu  (dem  Nachfolger  des  Kanishka,  40—60  nach  Chr.), 
also  im  ersten  Jahrhundert  nach  Chr.  in  Kaschmir  eingeführt 
worden  sei  Es  muss  doch  jedenfalls  längere  Zeit  vorher  schon 
exißtirt  haben,  und  das  Jahr  140  vor  Chr.  dürfte  dazu  durch- 
aus stimmen.4 


1  The  Vyftkarana-Mahabhashya  of  Patanjali.  Sanskrit  text 
with   ar  read.  ed.  by  F  Kielhorn,  8  Voll.   Bombay,  1878—1886. 

*  Goldstücker  fixirte  die  Abfassungazeit  des  Mahabhashya  auf 
140—120  vör  Chr.;  Bhandarkar  auf  «wischen  144—142  vor  Chr. 

"  Ztachr.  d.  D.  M.  G.  XXXIX,  p.  538—581.  Man  erkennt  ans  einer 
Aeuaserung  des  Pak,  dass  die  Herrschaft  der  Maurya  damals  schon  ihr  Ende 
erreicht  hatte,  daas  dies  aber  noch  nicht  lange  her  war,  vielmehr  noch 
in  frischem  Andenken  lebte.   Dazu  a.  a.  0.  XL,  p.  175  flg. 

«  Weber  kam  (in  s.  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  241  Anm.)  in  dem  Schiusa, 
dass  wir  uns  begnügen  müssen,  die  Abfassungsseit  des  Mahabhashya 
zwischen  140  vor  und  60  nach  Chr.  au  verlegen.  Ob  er  auch  nach  Böht- 
lingk's  letzten  Darlegungen  noch  an  dieser  Ansicht  festhält,  ist  mir  nicht 
bekannt. 


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712  — 


Dass  auch  die  Annahme,  Panini  selbst  habe  im  vierten 
Jahrhundert  vor  Chr.  gelebt,  zu  diesem  muthmaasslichen  Zeit- 
alter seiner  Commentatoren  (180  und  140  vor  Chr.)  aufs  Beste 
stimmt,  braucht  kaum  besonders  hervorgehoben  zu  werden. 

Die  grammatische  Literatur  der  Inder  ist  weiterhin  zu 
sehr  bedeutendem  Umfang  angewachsen,  doch  muss  ich  bei  der 
Kürze  der  Zeit  es  mir  versagen,  hier  auf  einzelne  Werke  und 
Autoren,  unter  denen  wir  zum  Thoil  sehr  bedeutenden  Er- 
scheinungen begegnen,  näher  einzugehen.  Es  sei  nur  noch  be- 
merkt, dass  neben  Panini  auch  mehrere  andere  grammatische 
Systeme  existiren,  die  ihre  eigene  Terminologie  haben.  Schon 
Yäska  unterscheidet  eine  östliche  und  eine  nördliche  Schule 
der  Grammatik,  ebenso  Panini.  Ueber  die  wichtige  Schnle  der 
Aindra-Grammatiker  verdanken  wir  Burnell  werthvolle  Mit- 
theilungen.1 

Als  ein  wichtiges  grammatisches  Werk  der  späteren  Zeit 
sei  noch  die  Kacika,  ein  Commentar  zu  Panini,  erwähnt,  von 
Vämana,  resp.  Vämana  und  Jayaditya  gemeinsam,  verfasst  Die- 
selbe dürfte  nach  einer  Angabo  des  chinesischen  Reisenden 
J-tsing  dem  siebenten  Jahrhundert  nach  Chr.  angehören.1  Als 
berühmte  Grammatiker  auf  dem  schwierigen  Gebiete  der  PrA- 
krit- Dialekte  müssen  noch  Vararuci3  (im  sechsten  Jahrhun- 
dert) und  Hemacandra4  (im  zwölften  Jahrhundert)  namhaft 
gemacht  werden.  Die  Anordnung  in  der  Grammatik  des  Panini 
ist  durch  das  Streben-  nach  grösstmöglicher  Kürze  geleitet  uud 
so  unübersichtlich  wie  nur  möglich.  Sie  eignet  sich  daher  nicht 
zum  Gebrauche  für  Anfänger.  Für  solche  schrieb  Vopadeva 
(im  13.  Jahrhundert)  seine  Grammatik  (Mugdhabodha  genannt), 
welche  von  Böhtlingk6  herausgegeben  ist.  Hier  erscheint  die 
Grammatik  in  leichtem,  fast  europäischem  Gewände,  und  haben 


1  A.  G.  Burnell,  On  the  Aindra  School  of  Sanskrit  Grammarian* 
Mangalore  1876  (London,  Trübner).  —  Ich  notire  auch  noch  F.  Kiel- 
horn, (antanava's  Phiteutra,  Leipzig,  1866. 

*  Vgl.  M.  Maller,  Indien  in  s.  weltgesch.  Bed  p.  293  —  300.  — 
Wissenschaftl.  Jahresbericht  aber  die  Morgenland.  Studien  L  J.  1880 
Klatt)  p.  23.   Herausgegeben  ist  die  Kicika  von  dem  Inder  B 41a- 
((4s tri,  Benares,  1876.  1878. 

3  Vararuci's  Prakritapraka^a  ist  Ton  Cowell  herausgegeben, 

1864.  1868. 

*  Hemacandra's  Declnämamala,  herausgeg.  ton  TL  Piichel 
und  0.  Bühler,  Bombay  1880.  —  Sein  Wörterbuch  Abhldh4nacin- 
t&mani  ton  Böhtlingk  nnd  Rieu,  Petersburg  1847. 

5  St.  Petersburg  1847. 


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—   713  — 

Europäer  auch  zuerst  iu  der  Regel  nach  diesem  Werke  das 
Sanskrit  erlernt1 

Auf  dem  Gebiete  der  Lexicogr*aphie  dürfen  die  schon 
besprochenen  Nighanvavas  nur  als  erste  Anfänge  gelten.  Das 
erste  und  zugleich  bedeutendste  eigentliche  Sanskrit-Lexicon 
ist  der  sogenannte  Amarakoca,  dessen  Verfasser  Amara,  Ama- 
radeva  oder  Amarasiinba  genannt  wird.  Auch  dieses  gi 
und  wichtige  Werk  muss  eine  Reihe  von  Vorgängern  gehabt 
haben,  die  uns  aber  nicht  erhalten  sind.  Amara  ist  einer  von 
jonen  neun  Edelsteinen  am  Hofe  des  Vikramaditya,  zu  denen 
ja  auch  Kalidasa  und  Varahamihira  gehörten,  und  er  musste 
demnach  im  sechsten  Jahrhundert  nach  -Chr.  gelebt  haben.  Zu 
dieser  Annahme  stimmen  nun  auch  alle  sonstigen  Thatsachen 
so  vortrefflich,  dass  wir  dieselbe  wohl  als  gesichert  betrachten 
dürfen.  Ja,  der  Amarakoca  trägt  noch  wesentlich  dazu  bei,  die 
Glaublichkeit  der  Annahme,  dass  der  Vikramaditya  der  neun 
Edelsteine  im  sechsten  Jahrhundert  nach  Chr.  gelebt  habe,  zu 
erhöhen.1  Diesem  für  die  indische  Lexicographie  hochwichtigen 
Werke  ist  auch  unser  Petersburger  Wörterbuch  in  vieler  Be- 
ziehung verpflichtet.8 

Den  Indern  eigentümlich  sind  endlich  noch  die  Wurzel- 
wörterbücher, Dhatupatha  oder  Dhatuparayana  genannt, 


1  S.  Bonfey,  Gesch.  d.  Spr.  p.  99. 

3  Cunningham  zeigt,  dass  der  buddhistische  Tempel  in  Buddha- 
g*y*  derselbe  ist,  welchen  Hiuen  Thsang  gesehen,  der  aber  zu  Fahian's 
Zeit  noch  nicht  da  war.  Er  muss  deshalb  nach  C.  zwischen  414  und 
642  nach  Chr.  erbaut  sein;  eine  Inschrift  nennt  Amaradeva,  eken  der 
nenn  Edelsteine  am  Hofe  des  Vikramaditya,  wodurch  dessen  Zeit  also 
zwischen  das  5.  und  7.  Jahrhundert  gesetzt  wird  (vgl.  M.  Müller,  Indien 
in  s.  w.  B.  p.  281).  —  Weber  hat  für  eine  dem  nahe  kommende  Zeit- 
bestimmung den  Gebrauch  des  Wortes  Tantra  für  Lehrbuch  im  Amara- 
koca in's  Feld  geführt,  „da  er  nur  einer  bestimmten  Periode  angehört, 
und  zwar  wohl  dem  6.,  6.  Jahrhundert,  insofern  die  nach  Jara  auswan- 
dernden Inder  ihn  iu  diesem  Sinne  mitgenommen.4'  (Ind.  Lit,  2.  Aufl., 
p.  246.)  —  H.  H.  Wilson  setzte  in  der  1.  Ausgabe  seines  Sanskrit- 
Lexicone  (1819)  den  Amara  uVs  5.  Jahrhundert  nach  Chr. ;  später  hat  er 
dies  freilich  aufgegeben  (s.  Weber,  a.  a.  0.  p.  246). 

1  Wir  haben  eine  Ausgabe  des  Amarakoca  von  Colebrooke  (1808); 
eine  andere  nebst  französischer  üebersetzung:  Amarakocha  ou  Voca- 
bulaire  d  Amarasinha,  publ.  en  Sanscrit  avec  une  traduct  firan$.  cet  par 
A.  Loiseleur  Deslongchamps,  Paris  1839—45.  —  In  Indien  sind 
zahlreiche  Ausgaben  dieses  Werkes  bereite  erschienen  und  kommen  noch 
immer  neue  heraus.  Ich  notire  nur:  Amarakoca,  with  the  comm.  of 
Mahecvara  inlarged  by  Raghnnat  Shastri  Talekar,  Sanskr.  text,  with  an 
index  by  Chintomani  Shastri  Thatte  under  the  superintendence  of  F.  Kiel- 
horn,  Bombay  1877  (2  ed.  Bombay  1882). 


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bedeutsame  Zeugen  für  die  Gründlichkeit,  mit  welcher  sie  die 
Wurzelforschung  betrieben.1  Diese  Werke  sind  auch  für  unsere 
heutige  Forschung  noch  von  Wichtigkeit,  und  finden  sich  in 
denselben  unter  Anderem  auch  Wurzeln  aufgeführt,  die  sonst 
nirgends  in  der  Sprache  nachweisbar  sind,  die  sich  aber  durch 
die  vergleichende  Sprachwissenschaft  als  entschieden  echte,  alte 
Wurzeln  erweisen.1 

Unter  den  Werken  über  Rhetorik  und  Poetik  ist  das 
älteste  und  wichtigste  wohl  das  erst  theilweise  veröffentlichte 
Natvacastra  des  Bharata,  welches  nach  Regnaud  aus  dem 
ersten  Jahrhundert  nach  Chr.  stammt,  nach  Pischel's  weit  wahr- 
scheinlicherer Annahme  dagegen  wohl  nicht  über  das  sechste 
Jahrhundert  hinausgehen  dürfte.4  Dem  sechsten  Jahrhundert 
gehört  wohl  auch  der  dem  Dandin  zugeschriebene  Karya- 
dar$a*  an.  Die  Entstehungszeit  von  V&mana's  Poetik  (Ka* 
vyalamkaravritti  genannt)  dürfte  wohl  das  achte  Jahrhundert 
sein;  doch  sind  die  Ansichten  darüber  getheilt6  In  hohem 
Ansehen  —  und  zwar  mit  Recht  —  stehen  bei  den  Indem 
als  Lehrbücher  der  Rhetorik  und  Poetik  der  Kavyapraka^a 
und  das  Sahityadarpana.  Der  Kavyaprakaca,  von  Mam- 
niata  und  Alata  oder  Alata  verfasst,  dürfte  wohl  nicht  tiefer 


1  Der  Dhatupatha  ist  herausgegeben  von  Westergaard,  Radices 
linguae  Sanscritae,  Bonn  1841. 

*  80  a.  B.  das  seit  lange  bekannte  pard.  Eine  solche,  noch  nicht 
in  der  Literatur  nachgewiesene,  Wurzel  war  auch  stlgh  (—  griech.  orelzv, 
deutsch,  steigen),  bis  ich  das  Glück  hatte,  dieselbe  in  mehreren  Formen 
in  der  Maitr.  Sanih.  zu  finden.  —  Specielleres  Ober  die  indischen  Lexico- 
graphen  findet  man  bei  Zachariae,  Beitrage  zur  indischen  Lezico- 
graphie,  Berlin  1883. 

a  Vier  Capitel  dieses  Werkes  theilte  Hall  mit  in  s.  Ausgabe  des 
Dacarüpa  i.  J.  1865;  zwei  Capitel  nebst  französischer  Uebersetiung  gab 
P.  Regnaud  heraus,  Paria  1880;  zwei  weitere  Capitel  (das  sechste  und 
siebente)  als  Anhang  zu  seinem  Werk  La  Rh^torique  Sanskrite, 
Paris  1884. 

4  VgL  Pischel,  Gött  Gel  Am.  1885.  No.  19,  p.  763.  764  (Becen- 
slon  von  Regnaud's  Rhetorique  Sanskrite). 

8  Herausgegeben  in  der  BibL  Ind.  von  Premacandra  Tarkav&gica 
!.  J.  1868.   Vgl.  Weber,-  Ind.  Lit,  2.  Aufi.f  p.  248  Anm. 

6  Nach  Buh ler 's  Meinung,  der  im  Wesentlichen  auch  Pischel 
beipflichtet,  lebte  VAmana  im  8.  Jahrhundert  nach  Chr.,  unter  König 
Jay&pida;  die  Chronik  von  Kaschmir  erwähnt  einen  Vamana  am  Hofe 
dieses  Königs.  Regnaud  will  den  Poetik  er  Vamana  in  daa  11.  Jahr- 
hundert  setzen,  Cappeller  in  das  12.  Vgl.  PischeJ,  Gött.  Gel.  Ana.  1886. 
No.  19,  p.  764.  M.  Müller,  Indien  in  s.  weltgeschichtl.  Bed.  p.  293  flg. 
Herausgegeben  ist  Vamana's  Poetik  von  C.  CappeHer,  Jena  1875; 
desgl.  von  Anundoram  Borooah,  Calcutta  und  London  1883. 


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-   716  - 

als  in  das  elfte  oder  zwölfte  Jahrhundert  hinabzurücken  sein.1 
Das  Sabityadarpana  endlich  ist  etwa  am  die  Mitte  des  15. 
Jahrhunderts  in  Bengalen  entstanden.* 

Die- rhetorische  Literatur  der  Inder,  welche  übrigens  dem 
VerstiLndniss  grosse  Schwierigkeiten  bietet,  ist  für  die  Litera- 
turgeschichte von  höchster  Wichtigkeit.  Dieselbe  ist  neuer- 
dings zum  ersten  Male  gründlich  und  eingehend  in  einem  be- 
sonderen Werke  von  P.  Regnaud  behandelt  worden.8  Wichtige 
Beitrage  in  dieser  Hinsicht  hat  namentlich  auch  Bühler  ge- 
liefert* 

Gern  würde  ich  noch,  bevor  ich  mich  zu  den  ezacten 
Wissenschaften  wende,  die  Geschichtswissenschaft  bespre- 
chen, aber  eine  solche  giobt  es  leider  bei  den  Indern  nicht 
Es  ist  dies  eine  völkerpsychologisch  höchst  merkwürdige  That- 
sache,  insbesondere  merkwürdig  bei  einem  so  hoch  begabten 
Volke,  welches  auf  andern  Gebieten  der  Forschung,  wie  z.  B.  in 
der  Sprachwissenschaft,  so  staunenswerthen  Scharfsinn,  so  vor- 
zügliches Beobachtungstalent  und  so  ungewöhnliche  Akribie  be- 
wiesen hat  Historische  Betrachtung  ist  den  Indern  auf  allen 
Gebieten  völlig  fremd.  Epische  Poesie  und  Geschichte  lässt  sich 
hier  für  gewöhnlich  kaum  unterscheiden.  Am  bekanntesten 
unter  den  quasi -historischen  Werken  dürfte  wohl  die  Raja- 
tarangini  sein,  eine  Geschichte  von  Kaschmir,  aus  dem  zwölften 
Jahrhundert  stammend,  deren  Verfasser  aber,  wie  Weber  be- 
merkt,6 mehr  Dichter  als  Historiker  ist/1  Als  historisch  werth- 
voll müssen  die  Familienchroniken  einzelner  fürstlicher  Ge- 


1  VgL  Pischel,  a.  a.  O.  p.  767. 

•  Tal.  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  248  Anm.  Das  Work  ist 
schon  mehrere  Mals  herausgegeben  worden:  so  auch  in  der  BibL  Indica 
Ton  E.  Roer,  i  J.  1851. 

•  La  Rhltorlqae  Sans k rite,  exposee  dans  son  developpement 
hißtoriqae  et  see  rapports  arec  la  rhe'torique  claasique,  suivie  des  textet 
in£dites  da  Bharatlya-Natya-Q&stra  (sizieme  et  septieme  chapitres)  et  de 
ia  Rasataraflginl  de  Bha'nudatta,  par  Paul  Regnaud,  Paria  1884.  — 
Vgl.  dazu  die  eingehende  Anzeige  PischeU,  Gott  Gel.  Ana.  1886. 
No.  19,  p.  757—769. 

4  In  seinem  Detailed  report  of  a  tour  in  tearch  of  Sanskrit  Mss.  cet. 
Bombay  187T.  Ich  notire  noch  als  eben  erschienen  R.  Pischel,  Ra- 
drata's  QrngaratilakA  and  Ruyyaka's  Sahrdayalllä,  with  an  introducUon 
and  notes,  Kiel  1886.  Der  Rhetoriker  Rodrata  gehört  nach  Pischel  in 
das  9.  Jahrhundert;  Tgl.  a.  a.  0.  die  Einleitung  p.  12. 

6  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  230. 

•  Herausgegeben  ist  dieses  Werk  nebst  franaOs.  Uebersetzung  ron 
A.  Troyer,  3  Bande,  Paris  1840— 18&2.  In'a  Englische  übersetst  unter 
dem  Titel  Kings  of  Käshmtra  von  Jogesh  Chnnder  Dutt,  Calcutta  1879. 


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716 


i 


schlechter  hervorgehoben  werden.1  Die  Stammtafeln  in  denselben 
pflegen  allerdings  bis  in  die  epischen  Heldeugeschlechter  hin- 
aufzusteigen und  ermangeln  der  Glaubwürdigkeit 


1  So  Bana's  Harshacarita,  aus  dem  7.  Jahrhundert  stammend, 
scheint  gute  Nachrichten  zu  enthalten  (cf.  Hall,  Vorrede  zur  VasavadattA 
p.  12  flg.  1859;  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  231).  Bilhana's  Vikra- 
mankadevacarita,  dem  11.  Jahrhundert  angehörig,  nehst  einer  Einleitung 
herausgegeben  von  O.  Bühler,  Bombay  1875  (Vikramankadevacarita. 
life  of  King  Vikramaditya-Tribhuvanamalla  of  Kalyona).  —  Modern,  aber 
werthvoll  int  das  Kahitic>vam$avalicarita ,  herausgegeben  und 
übersetzt  von  W.  Pertsch,  Berlin  1852  ^erzählt  die  Geschichte  der 
Vorfahren  des  Raja  Krishnacandra,  der  1728  zn  Navadvipa  in  Bengalen 
den  Thron  bestieg);  vgl.  Stenzler 's  Ree.  Ztschr.  d.  D.  M.  ö.  VII,  p.  203. 


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Achtundvierzigste  Vorlesung. 


Mathematische  Wissenschaften.    Ziffersystem.    Geometrie.    Die  Qiüva- 
•fttra's.   Arithmetik  und  Algebra.   Astronomie.    Suryaeiddhanta.  Arya 
bhafta.  VarahamiMra.  Brahmagupta.  Bhaskara.  —  Die  Medicin.  Muth- 
maassUches  Alter  und  Bedeutung  derselben.   Sucruta  und  Caraka. 


Auch  auf  dem  Gebiete  der  mathematischen  Wissenschaften 
haben  wir  alle  Ursache,  der  Inder  mit  hoher  Anerkennung  und 
warmem  Danke  zu  erwähnen.  Sie  haben  in  der  Geometrie,  der 
Astronomie,  vor  Allem  aber  der  Arithmetik  und  Algebra  ach- 
tungswerthe,  ja  bedeutende  Leistungen  zu  Stande  gebracht.  Aller- 
dings sind  die  Ansichten  über  das  Maass  dessen,  was  die  Inder' 
in  dieser  Beziehung  dem  Auslande,  insbesondere  den  Griechen 
yerdankten,  unter  den  Kennern  zum  Theil  noch  recht  abwei- 
chend, und  erleidet  es  keinen  Zweifel«  dass  solcher  ausländischer 
Einfluss  —  in  höherem  oder  geringerem  Grade  —  thatsächlich 
stattgefunden  hat,  nichtsdestoweniger  bleibt  genug  Selbständiges 
übrig,  um  das  obige  Urtheil  als  hinreichend  begründet  erschei- 
nen zu  lassen. 

Um  mit  etwas  scheinbar  Geringfügigem,  thatsächlich  aber 
Hochwichtigem  zu  beginnen,  —  das  Ziffersystem,  mit  welchem 
gegenwärtig  die  gesammte  gebildete  Welt  rechnet,  ist  eine  Er- 
findung der  Inder.  Wir  pflegen  diese  Zahlzeichen  arabische 
Ziffern  zu  nennen,  weil  uns  dieselben  im  Mittelalter  durch  die 
Araber  übermittelt  worden  sind,  die  Araber  selbst  jedoch  nennen 
sie,  mit  dankbarer  Erinnerung  an  ihre  Lehrmeister,  die  indi- 
schen Zeichen«  Arabische  und  rabbinische  Berichte  des  zehnten 
Jahrhunderts  lassen  über  die  Herkunft  dieser  Zeichen  und 
des  damit  verbundenen  Zifferrechnens  aus  Indien  kaum  einen 
ZweifeL1  Nähere  Mittheilung  darüber  giebt  der  byzantinische 
Gelehrte  Maximus*  Planudes  im  14.  Jahrhundert.* 

1  Vgl.  Cantor,  Gesch.  der  Mathematik,  p.  511.  512. 
3  In  seiner  y^(po<popla  xerr*  IvMq.  Vgl.  Cantor  a.  a.  0.  p.  432.  — 
Die  indischen  Zahlzeichen  1—9  sind  nach  Weber's  Ansicht  die  ab*e- 


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Es  braucht  wohl  kaum  besonders  hervorgehoben  zu  wer- 
den, von  wie  eminenter,  weittragender  Bedeutung  die  Erfindung 
dieser  bescheidenen  zehn  Zeichen  für  die  Entwicklung  der 
mathematischen  Wissenschaften,  ja  der  Cultur  überhaupt  ge- 
wesen ist.  Wir  können  uns  gegenwärtig  doch  weder  aus  unserer 
Mathematik  noch  überhaupt  aus  unsrem  kulturellen  Leben  diese 
sogenannten  arabischen  Ziffern  wegdenken;  sie  sind  als  ein 
wichtiges  Element  fest  damit  verwachsen  und  sichern  ihren  Er- 
findern, den  Indern,  dauernden  Anspruch  auf  unsere  Dank- 
barkeit.1 

Die  Inder  haben  übrigens  noch  mehrere  andere  Systeme 
der  Zahlenbezeichnung  erfunden,  die  schwerfalligerer  Natur,  iii- 
dess  doch  auch  nicht  ohne  Interesse  sind.1 

Die  ältesten  uns  erhaltenen  mathematischen  Schriften  der 
Inder  sind  die  sogenannten  Qulvasütra's  oder  Schnurregeln, 
deren  Inhalt  man  ganz  passend  als  einen  geometrisch -theolo- 
gischen bezeichnet  hat  Es  enthalten  diese  Schriften  die  Regeln 
der  brahmanischen  Priester  für  die  Ausmessung  des  Opferplatzes, 
die  Construction  der  Vedi  und  der  Altäre  üf  ihren  verschie- 
denen, zum  Theil  complicirten  Gestalten  u.  dergL  m.  Die  Qul- 
vasütra's  bilden  gewisse  Capitel  der  sogenannten  Qrautasutra's 
und  gehören  demnach  noch  zur  vedischen  Literatur.  Wir 
haben  solche  Qulvasütra's  aus  einer  ganzen  Reihe  von  Schulon 
des  schwarzen  und  weissen  Yajurveda  erhalten,  so  z.  B.  der 
Manava's,  des  Xpastamba,  Bäudhayaaa,  Katyavana  u.  a.  Die- 
selben weichen  in  der  Form  und  der  Ausdrucksweise  vielfach 
von  einander  ab,  enthalten  aber  im  Wesentlichen  alle  dieselben 
Bestimmungen,  verrathen  das  gleiche  Maass  geometrischer  Kennt- 
nisse. Ein  Entdecker  oder  Erfinder  läset  sich  für  die  hier  ent- 
haltenen mathematischen  Wahrheiten  nicht  angeben.  Weder 
Apastamha,  noch  BandhAyana  oder  Katyayana  können  als  solche 


kürzten  Formen  der  Anfangsbuchstaben  der  Zahlwörter  selbst;  die  Noll 
—  welche  übrigens  spateren  Ursprungs  als  die  andern  Zeichen  su  sein 
scheint  — wäre  nach  ihm  aus  dem  Anfangsbuchstaben  Ton  c&nya  (leer) 
entstanden  (vgl.  Weber,  Ind.  Iii,  2.  Aufl.,  p.  974).  Die  Sache  darf  in- 
des*  keineswegs  als  gesichert  angesehen  werden.  Vgl.  namentlich  den 
Widerspruch  BurneU's,  Elements  of  ßouth-Indian  Palaeograpby,  M anga- 
bt« 1874,  p.  47.  48.   Canter  a.  a.  0.  p.  618. 

1  Wir  können  uns  gegenwärtig  schwer  vorstellen,  wie  man  ehne 
diese  Ziffern  rechnete,  und  doch  scheinen  dieselben  in  Byzanz  erst  im 
14.  Jahrhundert  bekannt  geworden  su  sein;  im  westlichen  Europa  (durch 
Spanien)  ca.  200  Jahre  früher.   Vgl.  Center  a.  a.  0.  p.  482.  433. 

■  Vgl.  Näheres  über  mehrere  dieser  Systeme  bei  Cantor,  Geschichte 
der  Mathematik  p.  514  flg. 


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—   719  — 

angesehen  werden.  Nor  die  Form»  die  Redaction  der  einzelnen 
Calyasntra's  dürfen  wir  den  Häuptern,  resp.  maassgebenden 
Autoritäten  der  einzelnen  vedischen  Schulen  zuschreiben.  Der 
wesentliche,  ihnen  allen  gemeinsame  Inhalt  ist  natürlich  älter, 
muse  als  alte  Priesterweisheit,  brahmanische  Opfertradition  be- 
zeichnet werden. 

Wir  sind  mit  dem  Inhalte  der  Qulvasutra's  in  vortrefflicher 
Weise  durch  G.  Thibaut  bekannt  gemacht  worden.1  Ea  er- 
giebt  sich  aus  demselben  eine  verhältnismässig  schon  sehr  be- 
deutende Kenntniss  geometrischer  Verhältnisse,  allerdings  nicht 
eigentlich  in  theoretisch-wissenschaftlicher  Darstellung,  sondern 
ganz  von  dem  praktischen  Gesichtspunkte  der  Messungen  zu 
Opferzwecken  geleitet,  darum  aber  nicht  minder  wichtig  und 
b ©achtens werth.  Von  besonderer  Bedeutung  erscheint  dabei  der 
Umstand,  dass  den  Qulvasütra's  der  sogenannte  pythagoreische 
Lehrsatz  nicht  nur  bekannt  ist,  sondern  in  denselben  eine  her- 
vorragende, leitende  Rolle  spielt.  Ich  habe  es  früher  in  einer 
besonderen  Schrift  wahrscheinlich  zu  machen  gesucht,  dass 
Pythagoras  seine  Weisheit  zum  grössten  Theile  den  Indern  ver- 
dankt und  dass  auch  auf  dem  Gebiete  der  Geometrie  die  Brah- 
manen  seine  Lehrmeister  gewesen.  Den  Indern  wäre  damit  ein 
hochbedeutsamer  Einfluss  auf  die  Entwicklung  der  griechischen 
Mathematik  zugewiesen.  Diese  meine  Ansicht  hat  von  fachge- 
nöseischer  Seite  Billigung,  aber  allerdings  auch  entschiedenen 
Widerspruch  erfahren.1  Es  kommt  hier  Alles  auf  die  Frage 
nach  dem  Alter  der  Qulvasutra,  resp.  der  in  ihnen  enthaltenen 
geometrischen  Vorschriften,  an.  Dass  die  Berührungen  zwischen 
der  griechischen  Geometrie  und  der  der  Qulvasutra  in  wesent- 
lichen Punkten  augenfällig  sind  und  darum  eine  Entlehnung 
von  der  einen  oder  der  andern  Seite  her  im  höchsten  Grade 
wahrscheinlich,  ja  so  gut  wie  gewiss  ist,  hat  schon  Cantor 
klar  erkannt  und  ausgesprochen.8  Er  vermuthet  nur,  „es  sei 
die  alexandrinische  Geometrie  in  einer  Zeit,  die  später  liegt 
als  das  Jahr  100  vor  Chr.  nach  Indien  eingedrungen4*  und  ist 


1  Durch  dessen  höchst  werthvolle  Arbeit  „On  the  Culvasntra", 
Journal  of  the  Asiat  Soe.  of  Bengal,  Vol.  XLIV,  Part  I  p.  237—375, 
Calcntta  1875.  Thibaut  fahrt  uns  dort  den  Inhalt  der  Qufvasütra  des 
B&udhayana,  'Apastamba  und  Katyayana  vor.  Wesentlich  auf  dieser  Ar- 
beit beruht  auch  die  Darutellung  von  Cantor,  Gesch.  der  Math.  p.  540  flg. 

•  Letzteren  vor  Allem  durch  Weber,  Liter.  CentralbL  f.  1884.  No.  45. 

*  Moritz  Cantor,  Vorlesungen  Ober  Geschichte  der  Mathematik, 
Leipzig  1880,  p.  548.  —  Dieses  vortreffliche  Buch  enthalt  p.  505—662 
eine  suBammenhangende  Darstellung  der  gesammten  indischen  Mathematik. 


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-    720  - 

der  Meinung,  dass  die  Qulvasütra's  durch  Hero  von  Alexandria 
(um  215  vor  Chr.)  heeinflusst  sein  möchten.1  Auch  Weher 
hat  sich  dahin  ausgesprochen,  es  stehe  nach  seinem  Dafürhalten 
„der  Annahme  einer  Benutzung  der  Lehre  des  Alexandriners 
Hero  [ron  Seiten  der  Qulvasütra's]  literargeschichtlich  nichts  im 
Wege."*  Dieser  Annahme  stehen  jedoch,  wie  ich  glaube,  sehr 
gewichtige  Bedenken  entgegen. 

Die  Qulvasutra's  gehören  noch  zu  der  Tedischen,  der  hei- 
ligen Literatur  der  indischen  Priester.  Es  ist  bei  der  vorneh- 
men Abgeschlossenheit  in  religiösen  Dingen,  bei  dem  grossen 
Stolz,  mit  welchem  die  Brahmanen  seit  Alters  auf  diese  für 
geoffenbart  geltenden  Schriften  blicken,  bei  der  tiefen,  aber- 
gläubischen Verehrung,  welche  sie  ihnen  gegenüber  empfinden, 
schwer  möglich  zu  glauben,  dass  sie  ausländischen  Einflüssen 
hier  Eingang  gegeben  hätten,  dass  in  der  That  griechische 
Wissenschaft  in  den  Veda  gedrungen.  Es  muss  dies  a  priori 
ab  höchst  unwahrscheinlich  erscheinen,  und  ist  denn  auch  bis- 
her für  keinen  andern  Theil  des  Veda  angenommen  oder  gar 
nachgewiesen  worden.  Was  bei  profanen  Schriften  sehr  wohl 
möglich  wäre,  erscheint  bei  religiösen  kaum  glaublich;  und  die 
in  den  Culvasütra's  gelehrten  Melsungen  sind  in  der  That  eine 
heilige  Sache,  ein  Theil  der  brah manischen  Theologie. 

Sodann  erscheint  es  nicht  wohl  möglich,  die  Qulvasütra's 
resp.  den  wesentlichen  Inhalt  derselben,  zeitlich  so  tief  herah- 
lurücken,  wie  dies  bei  Weber's  und  Cantor's  Annahme  noth- 
wendig  ist.  Es  mag  wohl  sein,"  dass  die  uns  vorliegende  end- 
liche Redaction  und  schriftliche  Fixirung  der  Qulvasutra's  in 
dieser  oder  jener  Schule  in  verhältnismässig  später  Zeit  statt- 
gefunden hätte,  aber  der  wesentliche,  ihnen  allen  gemeinsame 
Inhalt  weist  in  eine  Zeit  zurück,  wo  diese  Verschiedenheit  der 
Schulen  noch  gar  nicht  eingetreten  war,  muss  als  allgemeine 
brahmanische  Tradition  beim  Opfercultus  angesehen  werden.3 


1  a.  a.  p.  548.  549,  auch  540. 

*  In  der  Recension  meines  „Pythagoras",  Liter.  Centralbl.  18*4 
No.  45.  p.  1564. 

*  Es  beweist  nichts  für  eine  spätere  Entstehung  der  Qulvasatra'i 
(wie  Cantor  a.  a.  0.  p.  541  irrigerweise  annimmt),  wenn  einige  als  Ver- 
fasser solcher  Sütra's  genannte  Lehrer  (wie  Baudhayana,  Katyayan*^ 
Namen  haben,  die  mit  dem  Suffix  ayana  gebildet  sind.  Vielleicht  hat 
Weber  Recht,  wenn  er  annimmt,  dass  dies  Suffix  schon  in  die  Zeit  aus- 
gebildeter Schulen  weise,  aber  solche  ausgebildete  Schulen  bestanden 
zweifelsohne  doch  schon  im  4.  und  5.  Jahrhundert  vor  Chr.,  welche  Zeit 
man .  vielleicht  mit  Recht  als  die  eigentliche  Sütra- Periode  bezeichnet 
hat.  Qakattyana,  dessen  Name  mit  demselben  Suffix  gebildet  ist,  lebte, 


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Es  ist  die  gross te  Wahrscheinlichkeit  dafür  vorhanden,  dass 
die  Constituiruug  dieser  Opfer-Messregeln  —  wenigstens  ihrem 
Kauptinhalte  nach  —  zu  derjenigen  Zeit  stattfand,  als  der 
Opfercultus  in  Blüthe  stand,  als  die  Bedeutung  desselben  seinen 
Höhepunkt  erreichte,  nicht  aber  zu  einer  Zeit,  wo  das  Interesse 
daran  bereits  stark  geschwunden  und  durch  andere  Fragen, 
andere  Mächte  in  den  Hintergrund  gedrängt  war.  Jene  Blüthe- 
periode  des  Opfers  fällt  aber,  wie  wir  früher  gesehen  haben, 
in  die  Zeit  vor  Buddha,  etwa  in  die  Zeit  vom  zehnten  bis  zum 
siebenten  Jahrhundert  vor  Chr. 

Die  prosaischen  Theile  der  Yajurveden  und  die  Brahmana's 
erwähnen  unendlich  häufig  die  Herrichtung  des  Opferplatzes, 
die  Construction  der  Altäre,  nicht  nur  der  gewöhnlichen  (Grar- 
hapatya,  Ähavaniya  und  Dakshina),  sondern  auch  der  compli- 
cirteren,  zum  Theil  sehr  complicirten,  welche  zur  Feier  der  so- 
genannten Agniciti  aus  einer  Menge  verschiedener  Backsteine 
in  der  Gestalt  eines  Falken,  eines  Wagenrades,  einer  Schild- 
kröte u.  dergl.  m.  nach  streng  bemessenen  Regelu,  von  denen 
die  kleinste  Abweichung  grosses  Unheil  bringen  konnte,  aufge- 
führt werden.1  Wir  haben  keine  Ursache  anzunehmen,  dass 
diese  Construction  nicht  wenigstens  in  ihren  Hauptgrundsätzen 
nach  denselben  Regeln  wie  später  stattfand.  Dazu  aber  wäre 
gerade  der  pythagoreische  Lehrsatz  unerlasslich.  Er  wird  schon 
für  die  blosse  Orientirung  des  Opferplatzes  und  den  Bau  der 
einfachsten  Altäre  in  den  Qulvasütra's  angewandt  und  spielt 
auch  sonst  in  denselben  eine  dominirende  Rolle.  Es  ist  un- 
denkbar, dass  die  wichtigsten,  jene  Werke  geradezu  durch- 
ziehenden und  beherrschenden  Regeln  in  späterer  Zeit  aus 
alexandrinischen  Schriften  in  diese,  zu  der  heiligen  vedischen 
Literatur  gerechneten  Sfltra's  eingedrungen  sein  könnten. 

Wenn  man  sich  dann  erinnert,  weloh  eine  hervorragende 
Bedeutung  dem  Opfer  während  mehrerer  Jahrhunderte  in  Indien 
beigemessen  wurde,  wie  viel  Scharfsinn  auf  die  kunstgerechte 
Ausführung  desselben  in  allen  Details  verwendet  wurde,  wie 


wie  wir  gesehen  heben,  nicht  nur  vor  Panlni,  sondern  euch  vor  Yaska 
(6.  oder  6.  Jahrhundert).  Wenn  Acvalayana  Zeitgenoase  des  Panini  war, 
ao  gehört  auch  er  in  das  4.  Jahrhundert  vor  Chr.  (nicht  in  das  2.  nach 
Chr.,  wie  Cantor  glaubt).  —  Wenn  Weber  hervorhebt,  dass  die  £ul?a- 
sitra's  alt  Paricjshta  (d.  h.  Anhingsei,  Ergänzungen^  der  Qrautasutra's 
erscheinen,  so  habe  ich  darauf  hingewiesen,  dass  in  dem  Manara-$r.  das 
gnlrasutra  kein  Paricwhta,  sondern  ein  reguläres  Capitel  (Cap.  10)  bildet 
(TgL  Pythagoras  und  die  Inder  p.  46). 

1  Instructire  Zeichnungen  solcher  Altäre  nach  den  Qulvasütra's 
findet  man  in  den  Tafeln  zu  Thibaut's  oben  citirter  Arbeit. 

y.  Stkrtitr,  Iadl«a*  Ltt.  u.  Call.  46 


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eine  jede  Einzelheit  dabei  im  höchsten  Grade  wichtig  erschien, 
nicht  zum  wenigsten  der  richtig  abgemessene  Platz  und  die 
Gestalt  der  Altäre,  so  erscheint  es  gewiss  begreiflich,  dass  alle 
diese  unablässige,  mühevolle»  Generationen  hindurch  dauernde 
Arbeit,  der  beständig  auf  die  äusseren  Formen  gerichtete  Scharf- 
sinn eines  begabten  Volkes  zu  der  Entdeckung  der  geometri- 
schen Verhältnisse  fuhren  mochte,  deren  Kenntniss  die  Qulva- 
sütra's  verrathen.  In  so  früher  Zeit  ist  es  viel  wahrscheinlicher, 
dass  gerade  wichtige  praktische  Bedürfhisse  zu  solchen  Erkennt- 
nissen führten,  als  theoretische  Speculationen,  wie  wir  dieselben 
wohl  bei  Pythagoras  annehmen  müssten,  wenn  wir  ihn  als  Ent- 
decker seines  Lehrsatzes  betrachten  wollen. 

Für  die  Annahme,  dass  die  Brahmanen  in  der  Geometrie 
des  Pythagoras  Lehrmeister  gewesen,  spricht  unter  Anderem 
auch  der  Umstand,  dass  die  Qulvasutra's  den  Lehrsatz  in  der- 
selben Art  beweisen,  wie  ihn  nach  Cantor's  Vermuthung  wahr- 
scheinlich Pythagoras  selbst  bewies,1  während  später  eine  an- 
dere Form  des  Beweises  durchdrang.  Es  erhöhen  die  Glaub- 
lichkeit dieser  Annahme  auch  die  weiteren  Punkte,  die  im 
Allgemeinen  eine  Aneignung  indischer  Lehren  von  Seiten  des 
Pythagoras  wahrscheinlich  machen  (wie  insbesondere  die  Lehre 
von  der  Seelenwanderung),  auf  welche  ich  aber  an  diesem  Orte 
naturlich  nicht  näher  eingehen  kann.1 

Wenn  ich  nun  auch  nach  alledem  an  der  früher  schon  von 
mir  vertretenen  Ansicht  in  Betreff  der  Qulvasütra's  und  ihres 
Verhältnisses  zur  griechischen  Geometrie  festhalte,  so  bin  ich 
doch  weit  davon  entfernt,  die  Schwierigkeit  dieses  Problems  zu 
unterschätzen,  glaube  durchaus  nicht,  dass  die  Sache  schon  als 
abgethan  betrachtet  werden  darf,  hoffe  und  wünsche  vielmehr, 
dass  recht  bald  mehr  Licht  in  diese  Frage  gebracht  werden 
möchte.  Soviel  aber  dürfte  wohl  von  Jedermann  zugegeben 
werden,  dass  die  Uebereinstimmungeu,  welche  wir  hier  zwischen 
der  ältesten  indischen  und  griechischen  Mathematik  wahrneh- 
men, ein  hervorragendes  Interesse  beanspruchen  und  einer  er- 
neuten Untersuchung  in  hohem  Grade  werth  sind. 

Die  Leistungen  der  späteren  indischen  Mathematiker  auf 
dem  Gebiete  der  Geometrie  sind  nicht  sehr  erheblich.3  Wich- 


1  Nämlich  nicht  als  einheitlicher  Satz,  sondern  in  zwei  Unterfallen, 
je  nachdem  die  beiden  Katheten  gleicher  Lange  sind  oder  nicht  (VgL 
Cantor  a,  a.  0.  p.  644.) 

1  Ich  muss  mich  darauf  beschranken,  den  Leser  auf  meine  Schrift 
„Pythagoras  und  die  Inder"  (Leipzig  1884)  zu  ?erweisen. 

»  Vgl.  Cantor,  a.  a.  0.  p.  549-669. 


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tiger  ist  der  Fortschritt,  den  sie  auf  dem  Gebiete  der  Trigono- 
metrie erzielt  und  der  vor  Allem  in  der  Herstellung  der  Sinus- 
tabelle besteht.1 

Diese  späteren  Mathematiker  sind  durchgängig  zugleich 
Astronomen  und  bieten  ihre  mathematischen  Forschungen  nur 
als  bestimmte  einleitende  Capitel  grösserer  astronomischer  Werke 
dar.  Sie  gehören  sämmtlich  schon  der  Zeit  an»  welche  Max 
Müller  die  Renaissance  der  Sanskrit-Literatur  genannt  hat  Es 
sind  Tor  Allem  drei  hervorragende  Forscher  namhaft  zu  machen: 
Aryabhata,  welcher  i.  J.  476  nach  Chr.  zu  Pataliputra  geboren 
wurde  und  im  dritten  Abschnitt  des  von  ihm  verf aasten  Arya- 
bhatiya  mathematische  Probleme  behandelt;1  Brahmagupta, 
geboren  i.  J.  598,  Verfasser  des  Brahmasphutasiddhanta; 8  und 
Bhaskara  Äcarya,  geboren  i  J.  1114,  Verfasser  des  Sid- 
dhantaciromani.4 

Die  hervorragenden  Leistungen  dieser  späteren  indischen 
Mathematiker  liegen  nicht  sowohl  auf  dem  Gebiete  der  Geo- 
metrie, als  vielmehr  auf  dem  der  Arithmetik  und  Algebra. 
Waren  die  Griechen  das  vorzugsweise  geometrische  Volk,6 
so  sind  die  Inder  dagegen  durch  hohe  rechnerische  Begabung 
ausgezeichnet;  bei  ihnen  hat  die  Rechenkunst  eine  staunener- 
regende Höhe  erreicht. 

Ueber  die  Bedeutung  des  von  den  Indern  erfundenen 
Zifferrechnens  haben  wir  bereits  früher  gesprochen.  Be- 
merkenswerth für  die  Gewohnheit  der  Inder,  mit  grossen  Zahlen 
zu  rechnen,  erscheint  der  Umstand,  dass  wir  im  Sanskrit  eine 
so  grosse  Anzahl  von  besonderen  Nameri  für  Zahlen  von  schon 
ganz  exorbitanter  Höhe  besitzen,  wie  in  keiner  andern  Sprache 


1  Vgl.  Cantor,  a.  a.  0.  p.  559—562.  Die  hohe  Bedeutung  der  Sinus- 
tabelle ist  indossen  nach  Cantor  erst  den  Nachfolgern  der  Inder,  den 
Arabern,  deutlich  geworden  (a.  a.  0.  p.  562). 

•  Uebersetzt  von  L.  Rodet,  Journal  Asiatique  für  das  Jahr  1879 
(Seria  7,  T.  XIII). 

•  Das  12.  und  18.  Capitel  dieses  Werkes  sind  der  Mathematik  ge- 
widmet. 

4  Die  mathematisch  wichtigen  Capitel  dieses  WerkeB  heissen  Llla- 
vmÜ,  die  Reizende,  und  V^jaganita,  d.  i.  Wurzelrechnung.  —  Schon  Cole- 
brooke,  der  am  Erforschung  der  indischen  Mathematik  sich  sehr  ver- 
dient gemacht,  lieferte  uns  eine  Uebersetzung  der  angeführten  Capitel 
des  Brahmagupta  und.  Bhaskara  (Algebra  with  arithmetic  and  meneu- 
ration  frorn  the  Sanscrit  of  Brahmegupta  and  Bhascara  transl.  by  H.  Th. 
Colebrooke*  London  1817).  —  Das  Geburtsjahr  der  drei  im  Text  an- 
geführten Forscher  ist  durch  ihre  eigenen  Angaben  sicher  festzustellen 
(a.  Cantor»  a.  a.  0.  p.  508). 

•  8o  bezeichnet  sie  Cantor,  a.  a.  0.  p.  511. 

46* 


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der  Weit.  So  bedeutet  laksha  100000,  niyuta  oder  prajuta 
eüie  Million,  koti  (eigentlich  Spitze)  zehn  Millionen,  arbuda 
(Anschwellung)  100  Millionen,  maharbuda  (grosse  Anschwellung) 
1000  Millionen,  padma  (Lotusblume)  10000  Millionen,  maha- 
padma  (grosse  Lotusblume)  100000  Millionen,  kharra  eine 
Billion  u.  s.  w.  bis  zur  Bezeichnung  einer  1  mit  20  Nullen 
akshAuhinl  (eigentlich  das  Heer)  und  einer  1  mit  21  Nullen 
mahakshauhinl  (grosses  Heer).1 

Der  Lalitavistara  berichtet  uns,  dass  sich  der  jugendliche 
Buddha  bei  dem  Wettkampf  der  Künste  namentlich  auch  in  der 
Bechenkunst  auszeichnet  Er  versteht  es,  Zahlennamen  anzugeben 
bis  zu  der  1  mit  53  Nullen  (tallakshana)  und  kennt  Systeme,  die 
noch  darüber  hinausgehen,*  —  eine  Angabe,  die  gewiss  auch 
dann  bemerkenswerth  und  interessant  ist,  wenn  dieselbe  nur  als 
Sage  betrachtet  werden  muss.  Welche  wichtige  Rolle  die  Zähle- 
kunst in  der  Geschichte  des  Nala  spielt,  ist  bekannt3 

Das  Erheben  einer  Zahl  in  die  Potenz,  sowie  das  Ausziehen 
der  Quadrat-  und  Kubikwurzeln  rechnen  die  Inder  noch  zu  den 
elementaren  Operationen.4 

Vor  Allem  gross  und  genial  erscheinen  die  Inder  auf  dem 
Gebiete  der  Algebra;  selbst  wenn  Cantor  Recht  haben  sollte 
mit  der  Behauptung,  dass  sich  Spuren  griechischen  Einflusses 
in  der  Behandlung  der  bestimmten  Gleichungen  bei  den  Indern 
erkennen  lassen.  Lässt  doch  derselbe  Forscher  nicht  nur  die 
Möglichkeit  offen,  dass  jene  griechische  Algebra  in  Indien  auf 
eine  dort  einheimische  Schwesterwissenschaft  stiess,  sondern 
hebt  auch  ausdrücklich  hervor,  dass  die  Algebra  sich  jedenfalls 
weiterhin  bei  den  Indern  zu  einer  slaunenswerthen  Höhe  ent- 
wickelte, wie  sie  dieselbe  in  Griechenland  niemals  zu  erreichen 
vermochte.5  Schon  in  der  Ausbildung  der  algebraischen  Be- 
zeichnungen und  Benennungen  sind  die  Inder  weit  über 
dasjenige  hinausgekommen,  was  Diophant  auf  diesem  Gebiete 
leistete.6  Sie  haben  in  der  Algebra  der  bestimmten  Glei- 
chungen Staunenswertes  geleistet.7    Noch  höher  stehen  sie 


1  Vgl  Bopp,  Kritische  Grammatik  der  Sanskrita-Sprtche  in  kurier 
Fassung  §  229.    Cantor,  a.  a.  0.  p.  517. 

*  S.  Cantor,  a.  a.  0.  p.  521. 

*  D.  h.  die  Kunst  des  raschen  Zahlens,  die  hier  in  zauberhafter 
Vollendung  vorgeführt  wird.   Vgl.  Nala,  Gesang  XXIV. 

4  8.  Cantor,  a.  a.  0.  p.  532. 

*  Cantor,  a.  a.  0.  p.  611.  532. 

*  Cantor.  a.  a.  0.  p.  526. 
'  a.  a.  0.  p.  582. 


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726  - 


in  der  Zahlentheorie,  in  welcher  sie  zuerst  wirklich  allge- 
meine Methoden  anwenden.1  Sie  haben  endlich,  wie  es  scheint, 
ganz  selbständige  und  sehr  hervorragende  Leistungen  auf  dem 
Gebiete  der  unbestimmten  Gleichungen  zu  Stande  gebracht1 
Näher  auf  alle  diese  wichtigen  Errungenschaften  einzu- 
gehen, mus8  ich  mir  an  diesem  Orte  versagen  und  verweise 
dafür  auf  die  Arbeiten  von  Colebrooke,  L.  Rodet,  Cantor 
und  Hankel.* 

Während  des  Mittelalters  (im  achten  und  neunten  Jahr- 
hundert) wurden  die  Inder  die  Lehrer  der  Araber  in  Arith- 
metik und  Algebra  und  durch  diese  Vermittelung  haben  sie 
dann  indirekt  einen  wichtigen  Einfluss  auf  die  Entwicklung 
auch  der  europäischen  Wissenschaft  ausgeübt 


Die  astronomische  Literatur  der  Inder  ist  eine  rocht 
umfangreiche,  aber  allerdings  scheinen  sie  vor  der  Bekannt- 
schaft mit  der  griechischen  Astronomie  nur  wenig  weit  gekom- 
men zu  sein.  Vom  astronomischen  Wissen  der  vedischen  Zeit 
ist  nur  wenig  zu  berichten.  Das  vedische  Jahr  ist  ein  Sonnen- 
jahr, auch  kannte  man  damals  schon,  wie  es  scheint,  die  Aus- 
gleichung der  Berechnung  durch  einen  Schaltmonat.  Ferner 
sind  den  Indern  ziemlich  früh  die  28  Mondstationen  bekannt 
gewesen,  doch  wird  ihre  Kunde  davon  von  einigen  Forschern 
(wie  Biot)  auf  die  Chinesen,  von  anderen  (wie  Weber)  mit  weit 


1  Cantor,  a.  a.  0.  p.  632.  533. 
1  Cantor,  a.  a.  0.  p.  583  flg. 

3  Interessant  dürfte  vielleicht  manchen  Leaern  eine  Stylprobe  aas  der 
Lilavati  de»  Bhaskara  sein,  der  sich  bemüht,  die  mathematischen  Auf- 
gaben in  eine  poetische  Form  zu  kleiden.  Wahrend  sich  Aryabhata 
einer  ernsten,  schmucklosen,  lakonischen  Ausdrucksweise  bedient,  heisst 
es  bei  Bhaskara  z.  B.:  „Schönes  Madchen  mit  den  glitzernden  Aagen, 
sage  mir,  so  du  die  richtige  Methode  der  Umkehrung  verstehst,  welches 
ist  die  Zahl,  die  mit  3  vervielfacht,  sodann  um  */4  des  Produktes  ver- 
mehrt, durch  7  getheilt,  um  7a  des  Quotienten  vermindert,  mit  sich 
selbst  vervielfacht,  um  52  vermindert,  durch  Ausziehung  der  Quadrat- 
wurzel, Addition  von  8  und  Division  durch  10  die  Zahl  2  hervorbringt." 
Eine  andere  Aufgabe  lautet:  „Von  einem  Schwärm  Bienen  lasst  */»  8icn 
auf  einer  Kmdambablüthe,  V»  auf  der  Silindhablume  nieder.  Der  drei- 
fache Unterschied  der  beiden  Zahlen  flog  nach  den  Blüthen  eines  Kutaja, 
eine  Biene  blieb  übrig,  welche  in  der  Luft  hin-  und  herschwebte,  gleich- 
zeitig augezogen  durch  den  lieblichen  Duft  eines  Jasmin  und  eines  Pan- 
damus. Sage  mir,  reizendes  Weib,  die  Anzahl  der  Bienen."  (Gleichung 
ersten  Grades.)  Tgl.  Cantor.  a.  a.  0.  p.  523.  529.  Aehnliche  Formen 
scheinen  auch  andere  Mathematiker  noch  angewendet  zu  haben. 


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grösserer  Wahrscheinlichkeit  auf  die  Chaldäer  zurückg o fuhrt. 1 
Von  den  Planeten  scheinen  die  Inder  zur  Tedischen  Zeit  noch 
keine  Kenntniss  gehabt  zu  haben.1 

Ein  wirkliches  Aufblühen  der  Astronomie  in  Indien  be- 
ginnt jedenfalls  erst  mit  der  Zeit  des  griechischen  Einflusses, 
und  es  ist  dies  die  einzige  Wissenschaft,  in  welcher  wir  un- 
zweifelhaft starke  Beeinflussung  Ton  Seiten  der  Griechen  nach- 
weisen können.  Die  indischen  Astronomen  geben  denn  auch 
durchweg  die  Yavana  (d.  L  die  Jonier  oder  Griechen)  als  ihre 
Lehrer  an.  Dieser  Einfluss  springt  vor  Allem  deutlich  in  die 
Augen  durch  die  zahlreichen  griechischen  Bezeichnungen,  welche 
sich  in  den  astronomischen  Schriften  der  Inder  vorfinden.  So 
werden  uns  z.  B.  (in  Varahamihira's  HoracÄstra)  die  griechi- 
schen Namen  der  Zodiakalbilder  und  Planeten  vollständig  auf- 
geführt und  zum  Theil  neben  den  indischen,  und  ebenso  häufig 
wie  diese,  gebraucht;  bo  Ära=r  .^(Mys,  Rdi  =  HBlioq,  Jyau  = 
Zsvq,  Asphujit=  kipQOÖtTt],  Kriya  =  *Qtog,  Tavuri  =  tovqo$, 
Pathona  =  xaQ&svoq,  Jituma  =  öiöv/iog,  Äkokera = cdyoxtQcac, 
u.  s.  w.8  Es  finden  sich  ausserdem  noch  eine  Menge  termini 
technici  bei  den  Indern  (so  namentlich  bei  Varahamihira)  im 
Gebrauch,  welche  direkt  den  astronomischen  Werken  der  Grie- 
chen entnommen  sind;  so  z.  B.  kendra  =  xbvtqov,  apokliina  = 
axoxZifia,  trikona  ==  TQiymvoq,  jamitra  =  öiafiexQOV,  dyutam  = 
övrov,  meshürana  =  fiscovQcanjfia,  panaphara  =  IxavaipoQa, 
lipta = Xexrrj,  anaphä  =  avcupr],  sunapha  =  awcupfj,  drka^ia  = 
öexavog  u.  s.  w.4 

Unter  den  fünf  für  die  ältesten  geltenden  sogenannten 
Siddhanta's  oder  astronomischen  Lehrbücher  der  Inder,  welche 
übrigens  aber  auch  schwerlich  weiter  als  in  dag  fünfte  Jahr- 
hundert nach  Chr.  zurückreichen,  weisen  mehrere  schon  in  ihrem 
Namen  oder  dem  Namen  ihrer  Verfasser  auf  den  Westen,  auf 
die  griechische  Wissenschaft  hin.  So  der  Pauligasiddhanta 
oder  Siddhanta  des  Pulica,  welcher  nach  Alblrüni  (um  das  Jahr 
1000)  von  Paulus  al  Yünänl  verfasst  ist,  vielleicht  eine  Ueber- 
setzung  der  elocr/arfti  des  Paulus  Alexandrinus. 5    Ferner  der 


1  S.  Weber,  Ind.  Lit.,  2.  Aufl.,  p.  264. 

•  Ob  die  Inder  die  Planeten  selbständig  entdeckt,  ist  fraglich. 
VgL  Weber,  a.  a.  0.  p.  268. 

•  Var&hamihira  bezieht  sich  für  die  Sternbildernamen  aacn  direkt 
auf  einen  Yavane^varac&rya,  d.  h.  einen  griechischen  MeiBter  (cf.  Cantor, 
a.  a.  0.  p.  609). 

4  V  1  Weber,  a.  a.  0.  p.  272. 

■  Vgl.  Weber,  a.  a.  0.  p.  271.  M.  Müller,  Indien  in  s.  w.  B.  p.  279. 


—   727  — 

Romakasiddhanta  oder  der  römische  Siddhänta.1  AU  Ver- 
fasser des  oftgenannten  Süryasiddhanta  oder  8.  der  Sonne 
wird  der  Asura  Maja,  d.  L  Dämon  Maja  genannt,  der  nach  der 
epischen  Sage  der  älteste  Astronom  sein  soll  und  Beine  Wissen- 
schaft von  der  Sonne  selbst  erhalten  haha  Da  nun  der  grie- 
chische Name  Ptolemaios  auf  indischen  Inschriften  als  Turamaya 
erscheint,  hat  Weber  sehr  scharfsinnig  vermuthet,  jener  Dämon 
Maja  (Asura  Maya)  sei  durch  eine  Art  Volksetymologie  aus 
Turamaya  entstanden  und  würde  das  betreffende  Werk  somit 
auf  den  berühmten  griechischen  Astronomen  zurückgeführt1 
Es  kommen  übrigens  in  demselben  auch  Termini  vor,  die  aus 
dem  Griechischen  stammen  wie  kendra  und  lipta  oder  liptika 
(vgL  oben).8 

Späterhin  haben  nun  freilich  auch  wieder  die  Inder  auf 
den  Westen  eingewirkt  Sie  wurden  im  achten  und  neunten 
Jahrhundert,  wie  in  der  Arithmetik  und  Algebra,  so  auch  in 
der  Astronomie  die  Loferer  der  Araber.  Die  sogenannten  Sid- 
dhanta's  der  Inder  (Sindhend)  wurden  vielfach  in's  Arabische 
übersetzt  und  bearbeitet,  und  wiederholt  beriefen  die  Califen 
von  Bagdad  indische  Astronomen  an  ihren  Hof,  um  diese  Ar- 
beiten zu  leiten.4  Durch  die  Araber  wanderte  die  indische 
Astronomie  weiter  nach  Westen  und  hat  ihren  Einfluss  geübt, 
wenn  sie  auch  kein  genuines  Produkt  der  Inder  ist  Ja  es  ist 
auch  ein  Sanskritwort,  nämlich  ucca,  der  Höhestand  der  Plane- 
ten, in  der  Form  auz,  Gen.  augis,  in  die  lateinischen  Ueber- 
setzungen  der  arabischen  Astronomen  übergegangen.5 

Als  den  eigentlichen  Begründer  der  indischen  Astronomie 
hat  schon  Lassen  den  von  uns  bereits  wegen  seiner  mathemati- 
schen Leistungen  erwähnten  Äryabhava  bezeichnet,6  welcher 
nach  seiner  eigenen  Angabe  im  Jahre  476  nach  Chr.  geboren 
wurde,  also  an  der  Schwelle  des  goldenen  Zeitalters  der  klassi- 
schen Sanskrit -Literatur  steht  Er  gilt  als  Rivale  des  Pulica. 
Die  Araber  feiern  ihn  als  Ardschabahr,  und  nach  WeberWer- 
muthung  wäre  er  auch  in  jenem  Andubarius  (vielleicht  richtiger 
Ardubarius)  zu  erkennen,  welchen  das  Chronicon  Paschale,  resp. 

1  Komaka  «=  Römer,  römisch;  Boinakapura  »  Römerstadt,  Rom,  bei 
den  indischem  Astronomen  öfters  geuannt. 

•  Vgl  Weber,  Ind.  Stud.  I,  243;  Ind.  LIt.  2.  Aufl. ,  p.  270.  271. 

•  Vgl.  Cantor,  a.  a.  0.  p.  509.  —  Der  Sürya siddhanta  ist  heraus- 
gegeben mit  englischer  Uebersetzung  von  Burgesa,  und  Anmerkungen 
von  Whitney,  im  Journal  of  the  Amer.  Ür.  Soc.  VI  (New-Uaven  1800; 

4  Vgl.  Weber,  Ind.  Lit.,  2.  Aufl.,  p.  273. 

•  Vgl.  Weber,  a.  a,  0.  p.  275. 

ü  Ygl.  M.  Müller,  Indien  in  s.  \r.  B.  p.  277. 


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—   728  - 

dessen  im  siebenten  Jahrhundert  verfasste  jüngere  Redaction, 
als  den  ältesten  indischen  Astronomen  bezeichnet1  Sein  schon 
früher  erwähntes  Werk,  das  Aryabhatiya,  ist  von  H.  Kern 
herausgegeben.1  Es  erscheint  besonders  bemerkenswerth,  dass 
Aryabha(a  die  Umdrehung  der  Erde  um  ihre  eigene  Axe 
behauptet  und  in  die  Frage  nach  der  Ursache  von  Sonnen-  und 
Mondfinsternissen  Licht  gebracht  hat*  . 

Der  bekannteste  Astronom  der  Inder  ist  Var&hamihira, 
welcher  nach  den  übereinstimmenden  Angaben  und  Berech- 
nungen der  mittelalterlichen  wie  der  neueren  Astronomen  im 
sechsten  Jahrhundert  nach  Chr.  lebte.4  Er  war  einer  der  neun 
Edelsteine  am  Hofe  des  schon  oft  genannten  Königs  Vikrama- 
ditya  zu  Ujjayini  und  hat  uns  den  festen  Ausgangspunkt  zur 
Bestimmung  der  Zeit  des  berühmtesten  indischen  Dichters  ge- 
liefert. Er  verfasste  die  von  Kern  herausgegebene  Brihat- 
samhita;6  femer  des  Horägästra,  welches  Werk  schon  in 
seinem  Namen  (hor&  =  G>Q*i)  den  griechischen  Einflusa  bekun- 
det;6 endlich  das  Karana,  welches  die  Commentatoren  meist 
PaficasiddhantikA  nennen,  weil  dieses  Werk  anf  den  schon  er- 
wähnten ältesten  fünf  Siddh&nta's  beruht7 

Nach  Var&hamihira  ist  noch  Brahmagupta  zu  nennen, 
der  im  siebenten  Jahrhundert  lebte  (geboren  598)  und  den 
Brahmasphutasiddhänta  verfasste;8  Bha^totpala,  der  Commen- 
tator  des  Varahamihira,  im  zehnten  Jahrhundert;  und  der  be- 
rühmte Bhäskara  AcÄrya,  Verfasser  des  SiddhAnta^iromanl, 
d.i.  „Diadem  oder  Krone  der  Systeme",  geboren  im  Jahre  1114.* 

1  Vgl.  Weber,  a.  a.  0.  p.  273.  Allerdings  rückt  das  Chron.  P. 
den  Andubarius  nun  auch  gleich  in  die  Urseit  hinauf. 

*  The  Aryabhatiya  with  the  commentary  of  Pramadicvara  (Bhata- 
dipikaK  ed.  by  Dr.  H.  Kern,  Leyden  1874. 

3  Vgl.  Kern,  Aryabhatiya  p.  76.  M.  Maller,  Indien  in  8  vr.  Bed.  p.  278. 

*  Er  starb  i.  J.  687  nach  Chr.  Vgl.  M.  Müller,  a.  a.  0.  p.  278. 
A  Kern's  Ausgabe  der  Brihatsamhita  erschien  in  d.  Bibl.  Ind. 

1864.  1865.  Eine  Üeberseteung  des  Werks  von  Kern  im  Jonrn.  R.  As. 
8.  IV  flg.,  1870  flg. 

•  Das  IIorA^tUtra  ist  herausgegeben  sammt  dem  Commentar  des 
Bhattotpala  in  Bombay  (1867);  Thelle  desselben  wurden  edirt  ?on  Weber 
(Ind.  St.  II,  277;  Text  und  üebersetzung),  H.  Jacobi  (Doctorschrift 
1872)  und  Kern  (Ind.  St.  X,  p.  161  flg.;  Text  und  Uebersetzung). 

'  Dieses  Werk  scheint  noch  handschriftlich  zu  existiren,  Ist  aber 
noch  nicht  bekannt  geworden;  vgl.  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  277  Anna. 

•  Vgl.  oben  p.  723.  —  M.  Müller,  a.  a.  0.  p.  279. 

9  Für  das  Alter  aller  dieser  Astronomen  vgl.  man  den  wichtigen 
Aufsatz  von  Bhao  Daii,  On  the  Age  and  Authenticity  of  the  work  of 
Aryabhata,  Varahamihira,  Brahmagupta,  Bhaftotpala  and  Bhiskaracarra 
(Journ.  As.  Soc.  1865;  New  Ser.  I,  p.  892—418). 


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—    729  — 

Schliesslich  mögen  noch  ans  der  späteren  Zeit  die  Com- 
mentatoren  des  Bhaskara  erwähnt  werden:  Gafigadbara  (um 
das  Jahr  1420),  Suryadilsa  und  Ganeca  im  16.  Jahrhundert, 
Rafiganätha  im  17.,  und  Rama  Krishna  vielleicht  zur  selben  Zeit1 

Die  indische  Medicin  finden  wir  in  ihren  ersten  An- 
fangen im  Atharva  da,  wo  eine  Menge  verschiedenartiger 
Krankheiten  aufgezählt  und  Mittel  dagegen  angegeben  werden. 
Doch  kann  man  hier  nicht  wohl  von  Wissenschaft  reden,  da 
die  Heilung  hauptsächlich  durch  Beschwörungen,  —  Zauberfor- 
meln, die  eben  der  Atharvaveda  mittheilt,  —  bewerkstelligt 
werden  soll.  Allerdings  werden  auch  heilkräftige  Kräuter  ge- 
nannt, und  zeugt  immerhin  die  Aufführung  so  vieler  Krank- 
heiten schon  von  einiger  Beobachtung  auf  diesem  Gebiete.  Die 
Inder  selbst  betrachten  die  Medicin  als  einen  Upaveda,  d.  i. 
Nebenveda,  und  nennen  sie  auch  Ayurveda  oder  den  Veda 
der  Lebenskraft,  worunter  man  aber  nicht  etwa  ein  specialis 
Werk  zu  verstehen  hat* 

Wann  die  eigentlich  wissenschaftliche  Medicin  in  In- 
dien ihren  Anfang  nahm  und  wie  weit  die  Inder  es  auf  diesem 
Gebiete  zu  selbständigen  Leistungen  gebracht  haben,  läset  sich 
gegenwärtig  leider  noch  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden,  da 
die  Untersuchung  dieser  Fragen  und  die  Bearbeitung  der  be- 
treffenden indischen  Literatur  noch  in  ihren  Anfängen  begriffen 
ist.  So  viel  ist  aber  doch  bereits  klar  geworden,  dass  man 
früher  sowohl  das  Alter  als  auch  die  Bedeutung  der  indischen 
Medicin  weit  überschätzt  hat,  und  Niemand  denkt  jetzt  noch 
daran,  wie  dies  in  den  vierziger  Jahren  wohl  geschehen  ist,* 
einen  Schriftsteller  wie  Sucruta  ca.  1000  Jahr  vor  Chr.  anzu- 
setzen. Die  uns  vorliegende  wissenschaftliche  Medicin  der  Inder 
gehört  zweifellos  erst  der  nachchristlichen  Zeit,  der  von  Max 
Müller  sogenannten  Renaissance- Periode  der  Sanskritliteratur, 
an,  —  aber  der  genaueren  Bestimmung  stehen  Schwierigkeiten 
genug  im  Wege. 

Das  grosse  Lexicon  Amarakoga,  als  dessen  Entstehungs- 
zeit wir  das  sechste  Jahrhundert  nach  Chr.  kennen  gelernt 


1  Vgl.  Cantor,  a.  a.  0.  p.  610. 

1  Tgl.  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  284. 

•  So  von  Frani  Heuler  in  der  Vorrede  zu  seiner  i.  J.  1844  be- 
gonnenen Uebersetxung  des  Bufruta;  desgl.  von  Völlers,  der  L  J.  1846 
d&a  Capitel  dieses  Werkes  über  die  Geburtsbülfe  besonders  bearbeitete. 
^Vgl.  Haas,  Ztscbr.  d.  D.  M.  G.  XXX,  p.  618.  619.  Weber,  Ind.  Iit., 
2.  Aufl.,  p.  286.) 


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—   730  — 

haben,  l&sst  uns  durch  die  Art,  wie  es  das  Capitel  des  mensch- 
lichen Leibes  und  der  Krankheiten  behandelt,  jedenfalls  schlies- 
sen,  dass  es  damals  schon  eine  wissenschaftliche  Medicin  gab.1 
Vielleicht  war  auch  jener  Dhanyantari,  der  als  einer  der 
neun  Edelsteine  des  Königs  Vikramaditya  genannt  wird,  eine 
medicinische  Autorität  des  sechsten  Jahrhunderts. 1  Aber  über 
die  Zeit,  welcher  die  Werke  der  bedeutendsten  medizinischen 
Autoritäten,  Caraka  und  Sucruta,  entstammen,  sind  wir  doch 
noch  stark  im  Zweifel.  Jedenfalls  würde,  wie  Stenzler  schon 
vor  längerer  Zeit  bemerkte,  die  Chronologie  keinen  Widerspruch 
erheben,  wenn  man  eine  Beeinflussung  der  indischen  Medicin 
durch  die  der  Griechen  annehmen  wollte,3  ja  eine  solche  Be- 
einflussung erscheint  sogar  entschieden  wahrscheinlich.  Es  könnte, 
wie  Roth  schon  im  Jahre  1872  hervorhob,  „nur  die  Verglei- 
chung  der  Grundlagen  indischer  Medicin  mit  denen  der  griechi- 
schen zu  einem  Urtheil  über  Ursprung,  Alter  und  Werth  der 
ersteren  führen."4  Eine  solche  Vergleichung  ist  nun  aber  leider 
bislang  noch  nicht  ausgeführt 

Interessante  Beiträge  zur  Aufhellung  dieser  Fragen  lieferte 
im  Jahre  1876  der  leider  inzwischen  verstorbene  Dr.  E.  Haas 
in  einem  Aufsatz  „Ueber  die  Ursprünge  der  indischen  Medicin, 
mit  besonderem  Bezug  auf  Sucruta,"5  welchem  sich  im  Jahre 
1877  ein  zweiter  Artikel  „Ueber  Hippokrates  und  die  indische 
Medicin  des  Mittelalters"  anschloss.6  Er  suchte  zu  zeigen,  dass 
die  bisherige  Annahme,  die  medicinische  Wissenschaft  der  Inder 
habe  in  den  ersten  Jahrhunderten  nach  der  Hedschra,  nament- 
lich im  achten  und  neunten  Jahrhundert  dio  arabische  Medicin 
beeinflusst,  auf  ganz  unsicheren  Füssen  stehe  und  dass  wahr- 
scheinlicherweise vielmehr  das  ganze  medicinische  Wissen  der 
Inder  auf  die  ihnen  durch  die  Muhamedaner  vermittelte  Kennt- 
niss  der  griechischen  Medicin  zurückzuführen  sei,  sich  etwa  in 
die  Zeit  der  Purana 's  verlegen  lasse.7  Das  Zeitalter  des  Sucruta 
lag  nach  Haas  zwischen  dem  12.  und  15.  Jahrhundert  nach 


1  Vgl.  Weber,  a.  a.  0.  p.  286. 

•  I)han?antari  ist  sonst  Name  des  mythischen  Götterarztes ,  der 
z.  B.  bei  Manu  und  im  Epos  erwähnt  wird.   S.  Weber,  a~  a.  0.  p.  285 

•  Vgl.  Weber,  Ind.  Lit.,  2.  Aufl.,  p.  286.  287.  —  Weber  meinte, 
das  doch  manches  gegen  den  griechischen  Einfluas  spreche,  z.  B.  dass 
die  Yarana  nie  als  Autorität  genannt  wurden  (a.  a.  0.  p.  287). 

4  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  XXVI,  p  441.  Roth  ist  es  auch,  der  in 
dem  Petersburger  Wörterbuch  die  xncdicinischen  Artikel  bearbeitet  hat 

•  Ztachr.  d  D.  M.  G.  XXX,  p.  617—670. 

•  Ztachr.  d.  D.  M.  G.  XXXI,  p.  647—666. 

•  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  XXX,  p.  651.   XXXI,  p.  648. 


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—   731  — 

Chr.,1  ja  er  führte  in  dem  zweiten  der  erwähnten  Aufsätze  in 
fesselnder  Weise  die  Vermuthung  ans,  der  vielgenannte  Inder 
Sucruta  wäre  im  Grunde  nur  ein  umgewandelter  Hippokra- 
tes,  indem  nämlich  des  letzteren  Name  in  der  Form  Bu^rat 
hei  den  Arabern  leicht  mit  Su^rät  (Sokrates)  graphisch  ver- 
wechselt werden  konnte,*  und  aus  Sukrat  wäre  dann  Sucruta 
entstanden,  —  eine  Annahme,  welche  um  so  wahrscheinlicher 
wird,  wenn  man  berücksichtigt,  dass  Hippokrates  und  Sokrates 
thatsächlich  bei  den  Arabern  wiederholentlieh  verwechselt  wor- 
den sind.  So  vertrat  Haas  gegenüber  der  früheren  Anschauung 
von  dem  hohen  Alter  der  indisch- med i ein ischen  Wissenschaft 
und  des  Sucruta  speciell  das  extreme  GegentheiL  Seineu  Aus- 
fuhrungen widersprach  schon  Weber,*  und  August  Müller 
lieferte  sodann  in  einer  höchst  werthvollen  Abhandlung4  aus 
arabischen  Quellen  den  Nachweis»  dass  Sucruta  und  die  andern 
medicinischen  Autoritäten,  namentlich  Caraka,  doch  nicht  so 
ganz  modernen  Ursprungs  seien,  wie  Haas  geglaubt  hatte.  Das 
Buch  Sanaq's  „Ueber  die  Gifte",  aus  dem  Anfang  des  zehnten 
Jahrhunderts,  enthält  unverkennbare  Spuren  der  Benutzung 
eines  Capitels  des  Sucruta;6  ebenso  wird  Sucruta  unzweifelhaft 
von  dem  berühmten  arabischen  Arzt  Razl  (AI  Razl,  Rhazes), 
welcher  im  Jahre  932  nach  Chr.  gestorben,  wiederholentlich 
citirt,*  und  werden  wir  diese  indische  Autorität  demnach  min- 
destens in's  neunte  Jahrhundert  nach  Chr.,  wenn  nicht  höher 
hinauf,  zu  setzen  haben.  Es  stellt  sich  übrigens  dabei  als 
höchst  wahrscheinlich  heraus,  dass  der  uns  vorliegende  Text 
des  Sucruta  eine  stark  verbreiterte  und  verwässerte  Auflage 
derjenigen  Recension  sein  dürfte,  welche  den  Arabern  vorgelegen 
hat.  Auch  Caraka  und  noch  andre  Inder  sind  dem  Razl  be- 
kannt gewesen  und  werden  von  ihm  als  Autoritäten  ritirt7 
Ebenso  wird  Caraka  von  Serapion  (Ibn  Serabi)  und  Alblrünl 
(im  elften  Jahrhundert)  erwähnt* 

Wir  dürfen  nach  alledem  es  wohl  für  wahrscheinlich,  ja 
gewiss  halten,  dass  die  Inder  schon  vor  der  Berührung  mit  den 

■  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  XXX,  p.  667. 

»  Vgl.  Haas,  Ztschr.  d.  D.  ÄL  G.  XXXI,  p.  652  flg 

*  Ind.  Ut,  2.  Aufl.,  Kachtr.  p.  18. 

4  Arabische  Quellen  zur  Geschichte  der  indischen  Medicin,  Ztschr. 
d.  D.  M.  G.  XXXIV.  p.  465-556. 

*  Vgl.  A.  Mttller,  a.  a.  0.  p.  654. 

*  Vgl.  A.  Müller,  a.  a.  0.  p.  545—548. 
T  A.  Maller,  a.  a.  0.  p.  548. 

8  Vgl.  Haas,  Ztschr.  i  D.*  M.  G.  XXXI,  p.  651.   Weber,  Ind. 
Lit,  2.  Amt,  p.  290. 


Arabern  eine  medicinische  Wissenschaft  gehabt  haben.  Die 
Blüthe  derselben  mag  etwa  in  das  fünfte  oder  sechste  bis  nennte 
Jahrhundert  nach  Chr.  fallen.  Unsicher  aber  bleibt  es  noch, 
wie  viel  die  Inder  selbständig  geleistet,  wie  viel  sie  eventuell 
griechischen  Vorbildern  verdanken.  Diese  Frage  bedarf  noch 
gründlicher  Prüfung,  ehe  man  endgültig  über  dieselbe  ent- 
scheidet1  Im  Allgemeinen  aber  dürfte  wohl  der  Glaube  an 
bedeutende  Leistungen  der  Inder  auf  medicinischem  Gebiete 
durch  Haas  u.  A.  gründlich  erschüttert  sein.1  Hatte  es  früher 
sehr  imponirt  zu  hören,  dass  die  Inder  seit  Alters  die  Kuh- 
pockenimpfung und  die  Bildung  künstlicher  Nasen,  die  so- 
genannte Rhinoplastik,  gekannt  haben,  so  muss  jetzt  das 
Erstere  als  entschieden  irrig  bezeichnet  werden,3  und  auch  das 
Letztere  ist  vielleicht  keine  originelle  Erfindung  der  Inder,4 
wenn  es  auch  gewiss  ist,  dass  die  Europäer  die  Rhinoplastik 
im  vorigen  Jahrhundert  bei  den  Indern  vorfanden  und  von 
ihnen  gelernt  haben,5  wofür  sie  ihnen  denn  freilich  unter  allen 
Umständen  Dank  schulden. 


1  Seligmann,  der  ebenfalls  werthvolle  Beitrage  zur  Geschichte 
der  indischen  Medicin  geliefert,  kommt  zu  dem  Schluss,  welchem  auch 
A.  Müller  beistimmt,  „dass  man  zwei  Schalen  indischer  Medicin  unter* 
scheiden  müsse,  die  altere  —  8uc,ruta,  Caraka  u.  s.  w.  —  bei  denen  ein 
Einfluas  alterer  griechischer  Medicin  nicht  ausgeschlossen,  aber  auch 
bisher  nicht  nachgewiesen  sei,  und  die  jüngere,  welche  direkt  unter 
dem  von  den  Arabern  vermittelten  Einflüsse  der  Galenischen  Theorie 
stehe.*'   Vgl.  A.  Müller,  a.  a.  0.  p.  561.  562. 

*  A.  Müller  sowie  eine  competente  medicinische  Autorität,  llaeser. 
haben  im  Allgemeinen  von  Sucruta  und  Caraka  denselben  ungünstigen 
Eindruck  wie  Haas  gewonnen  (vgl.  A.  Müller,  a.  a,  0.  p.  556).  —  Man 
hatte  schon  a  priori  nicht  viel  erwarten  sollen.  „Zu  keiner  Zeit  hat 
sich  ja  der  indische  Geist  viel  mit  den  Gesetzen  beschäftigt,  welche  die 
Materie  regieren,  aber  von  keinem  andern  Felde  der  Untersuchung  hielt 
ihn  religiöses  Vorurtheil  und  unüberwindliche  Scheu  so  sehr  ab,  als  gerade 
von  der  Beschäftigung  mit  dem  todten  Organismus."  (Haaa,  Ztscbr  J 
D.  M.  G.  XXX,  p.  668.)  Ohne  eine  solche  aber  war  eine  gedeihliche 
Entwickelung  der  Anatomie  und  damit  auch  eine  wirkliche  Blüthe  der 
Medicin  unmöglich.  Wohl  aber  konnte  man  Mittheilungen  und  Vor- 
schriften aus  fremden  Quellen  geben,  mit  eigenen  Speculationen  and 
Theorieen  versetzt.  Ob  die  Inder  wirklich  mehr  gethan,  muss  erst  noch 
die  Zukunft  lehren. 

■  Vgl.  Haas,  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  XXX,  p.  660  flg. 
4  Haas,  a.  a.  O.  p.  G58  flg. 

*  Haas  theilt  a.  a.  0.  p.  659  flg.  den  Brief  eines  Englanders  ans 
dem  Gentleman's  Magazine  für  1794  Vol.  64,  Part.  II,  p.  891  mit,  in 
welchem  derselbe  über  eine,  von  einem  Inder  ausgeführte,  rhinoplastibche 
Operation  als  etwas  Neues  und  sehr  Interessantes  berichtet  Er  beginnt: 
„A  friend  hau  transmitted  to  me,  firom  the  Eaat  Indies,  the  following 


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—    733  — 

Das  System  der  indischen  Med i ein  ist  Ton  dem  Engländer 
Dr.  Wise  im  Jahre  1845  zusammenfassend  nnd  übersichtlich 
dargestellt  worden.1  Hoffen  wir,  dass  Textausgaben,  Ueber- 
seteungen,  chronologische  und  sonstige  Untersuchungen  uns  all- 
mählich in  Stand  setzen  werden,  klarer  als  bisher  auf  diesem 
Gebiete  zu  urtheilen.* 


verv  corious,  and  in  Europe,  I  believe,  unknown  chirurgical  Operation 
vbich  ha«  long  been  practised  in  India  with  success ;  namely  affixing  a 
&e«r  noae  on  a  man's  face."  Folgt  der  Bericht  und  eine  Abbildung  des 
Operirten.  Haas  meint  etwas  zu  geringschätzig,  man  hatte  dieser  Sache 
vohl  nicht  so  viel  Gewicht  beigelegt,  wenn  man  ihr  nicht  ein  ungebühr- 
lich hohes  Alter  zugeschrieben  hatte.  „Im  Lichte  der  späteren  Zeit  be- 
leben, wo  der  äussere  Umstand  einer  durch  muhammedanische  Gewalt- 
haber eingeführten  barbarischen  Justiz  das  Nasenabschneiden  zum  all- 
täglichen YorkommniBs  machte,  verwandelt  sich  das  Wunder  in  eine  vor 
der  Noth  eingegebene  Erfindung/4   (a.  a.  0.  p.  658.) 

1  T.  A.  Wlse,  Commentary  on  the  Hindu  system  of  medicine,  Cal- 
cutta  1845;  neue  Aufl.  London  1860. 

•  Der  Text  des  Sucruta  ist  herausgegeben  durch  Madhusüdarm 
Gopta,  Calcutta  1835.  1836.,  2.  Aufl.  1868;  ferner  durch  Jivananda  Vidya- 
aagara  im  Jahre  1873.  Eine  lateinische  Uebersetzung,  die  freilich  sehr 
viel  zu  wünschen  übrig  lasst,  veröffentlichte  Franz  Hessler,  Erlangen 
1844—1850.  Ferner  ist  eine  engl.  Uebersetzung  begonnen:  Suc.ru  ta- 
Samhita,  transl.  from  the  original  Sanskrit,  by  Udoy  Chand  Dutt,  Cai- 
catta  1883  (Bibl.  Ind.).  —  Eine  Ausgabe  des  Caraka  begann  Gaflga- 
dhara  Kaviraja,  Calcutta  1868  flg  ;  eine  andere  veranstaltete  Jiv&nanda 
Vidya&agara,  Calcutta  1877.  Rott)  hat  einen  Theil  der  Lehren  des  Ca- 
raka besprochen,  Ztschr.  d.  D.  M.  G.  XXVI,  p.  448  flg.  Vgl.  ferner 
Hessler,  Ueber  die  Materia  Medica  des  ältesten  ind.  Arztes  Tscharaka, 
Sitzungsber.  d.  math.  phys.  Cl.  d.  Ak.  d.  Wiss.  zu  München  1883,  H.  3, 
p  364 — 371.  —  Trendelenburg,  de  veterum  Indorum  chirurgia,  Bero- 
Uni  1866.  —  Werthvolle  Mittheilungen  über  indische  Heilmittel  findet 
man  bei  W.  Dymock,  The  vegetable  Materia  Medica  of  Western  India. 
2  Ed.   Bombay- London  1885  (Trübner). 


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Neunundvierzigste  Vorlesung. 


Die  Reehtsliteratur  der  Inder.  Frühere  Ansichten  von  dem  sogenannten 
Gesetzbuch  des  Manu.  Die  Dh&rmasntra's.  Die  metrischen  Gesetzbacher 
oder  Dharm&cistra's.  Das  Gesetzbuch  des  Manu,  seine  Stellung,  Be- 
deutung, Ursprung  und  muthmaassliches  Alter.  Das  Gesetzbuch  des 
Yajfiavalkya.  Weitere  metrische  Gesetzbücher.  Die  Commentare.  Me- 
dhatithi  und  andere  Commentatoren  des  Manu.    Die  Mitakshari.  Die 

fünf  juristischen  Schulen.  Schluss. 

Von  höchster  Bedeutung  für  die  Kenntniss  des  Staats- 
wesens wie  der  Privatverhältnisse,  ja  des  gesammten  Lebens 
und  Treibens  der  Inder  ist  die  juristische  Literatur,  die 
Gesetzbücher,  Commentare  und  Digesten.  Unsere  Ansichten 
über  diese  Literatur  haben  in  neuerer  und  neuester  Zeit  noch 
sehr  erhebliche  Umwandlungen,  Bereicherung  und  Berichtigungen 
erfahren.  Man  ist  lange  gewohnt  gewesen,  das  sogenannte  Ge- 
setzbuch des  Manu,  das  Manavadharmac.astra,  nicht  nur 
als  das  wichtigste  und  durchaus  massgebende,  sondern  auch 
als  das  älteste  Gesetzbuch  der  Inder  anzusehen.  Die  Darstel- 
lungen indischen  Rechts  und  indischer  Sitte  in  europäischen 
Werken  waren  bis  vor  nicht  langer  Zeit  fast  nur  auf  dem  Ge- 
setzbuch des  Manu  aufgebaut,  während  wir  gegenwärtig  durch 
die  Bemühungen  einer  ganzen  Reihe  bedeutender  Forscher  sei- 
nen Werth  und  sein  Alter  richtige  abzuschätzen  wissen  und 
hinfort  nicht  mehr  so  einseitig  urtheilen  werden. 

Das  Gesetzbuch  des  Manu  nimmt  bei  den  Indern  seit 
längerer  Zeit  ungefähr  eine  ebenso  dominirende  Stellung  unter 
den  Rechtsbüchern  ein,  wie  die  Grammatik  des  Panini  auf  dem 
Gebiete  dor  Sprachwissenschaft.  Es  ist  weitaus  das  angesehenste 
Gesetzbuch,  eine  für  ganz  Indien  maassgebende  Autorität.  Die 
Inder  selbst  umkleiden  dieses  Werk  mit  dem  Nimbus  fabel- 
haften Alterthums.  Sir  William  Jones,  der  sich  zu  Ende  de* 
vorigen  Jahrhunderts  ein  hervorragendes  Verdienst  um  die 
Rechtsliteratur  der  Inder  erworben,  glaubte  das  Gesetzbuch  des 
Manu  bis  in  das  13.  Jahrhundert  vor  Chr.  hinaufrücken  ru 


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—    735  — 

müssen.  A.  W.  v.  Schlegel  versicherte,  dass  es  nicht  jünger 
sein  könne  als  das  Jahr  1000  vor  Chr.1  Aher  als  man  in  den 
vierziger  Jahren  die  vedische  Literatur  zu  studifen  begann, 
erkannte  man  allmählich,  dass  dem  Gesetzbuch  des  Mann  dort 
keine  Stelle  angewiesen  werden  könne,  dass  es  vielmehr  un- 
zweifelhaft der  nachvedischen  Periode  des  klassischen  Sanskrit 
angehören  müsse,  was  schon  seine  Sprache  und  Form  unzwei- 
felhaft bewies.  Monier  Williams  setzte  es  nun  um  das  Jahr 
500  vor  Chr.;  Johaentgen,  der  im  Jahre  1863  eine  werth- 
volle Arbeit  über  das  Gesetzbuch  des  Manu  veröffentlichte, 
hielt  das  Jahr  350  vor  Chr.  für  den  spätest  möglichen  Zeit- 
punkt seiner  Entstehung;1  und  neuerdings  ist  man  kaum  noch 
im  Zweifel  darüber,  dass  das  Werk  ein  nachchristliches  ist  und 
erst  der  zweiten  Periode  der  indischen  Rechtsliteratur  ange- 
hört, welche  Periode  wir  als  die  der  metrischen  Gesetzbücher» 
der  sogenannten  Dharmac&stra's,  bezeichnen  können. 

Wir  finden  im  indischen  Recht  eine  merkwürdige  Mischung 
von  religiösen  und  weltlichen  Materien.  Genaue  Bestimmungen 
darüber,  wie  man  Bich  in  religiöser  Hinsicht  rein  und  heilig 
zu  halten  habe,  wann  und  wie  der  Veda  zu  lesen  ist,  unter 
welchen  rituellen  Formen  die  Todten  bestattet  werden  sollen, 
welche  Wiedergeburt  je  diesem  oder  jenem  Uebelthäter  nach 
dem  Tode  bevorsteht  u.  dergl.  m.  findet  man  untermischt  mit 
Angaben  über  die  weltlichen  Strafen  für  Betrug,  Diebstahl, 
Mord  oder  Ehebruch,  Darlegung  des  Processverfahrens,  Zeugen- 
verhöres  u.  dergL  m.  Jeder,  der  einen  Blick  in  die  Ueber- 
aetzungen  von  Manu's  oder  Yajfiavalkya's  Gesetzbuch  thun  will, 
kann  sich  leicht  von  der  Richtigkeit  dieser  Behauptung  über- 
zeugen. Wir  dürfen  uns  darüber  nicht  wundern  bei  einem 
Volke,  bei  welchem  das  Religiöse  so  ungewöhnlich  stark  in 
alle  Sphären  des  Lebens  und  Denkens  hineingreift,  überall 
dominiren  will  und  auch  wirklich  dominirt  In  Uebereinstim- 
mung  damit  gilt  denn  der  Veda  unbestritten  auch  für  das 
Recht  als  die  höchste  Instanz.  Indessen  berührt  derselbe  recht- 
liche Fragen  doch  nur  ausnahmsweise,  und  wenn  sich  die  Ge- 
setzbücher auf  ihn  berufen,  so  sind  die  betreffenden  Stellen  oft 
genug  nur  künstlich  zum  Beweise  herangezwungen. s 


1  Vgl  Burnell,  The  Ordinancei  of  Manu,  Introduction  p.  XVII. 

1  Ueber  das  Oese  Ubach  des  Manu.  Eine  philosophisch- lite- 
ratorhistoriache  Studie  Ton  Dr.  Fr.  Johaentgen,  Berlin  1868  (et  p.  95). 

•  Vgl.  J.  Jolly,  Outlines  of  an  HiBtory  of  the  Hindu  Law  of 
Partition,  Inheritance  and  Adoption,  Calcutta  1885,  p.  81  (Tagore  Law 
Lectores  —  1888). 


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—   736  — 


Die  ersten  eigentlichen  Rechtsbücher  sind  die  sogenannten 
Dharmasütra's,  welche  noch  der  vedischen  Literatur  in  ihrer 
jüngsten  Phase  zugerechnet  werden.  Sie  sind  in  Prosa,  unter- 
mischt mit  Versen,  abgefasst  und  enthalten  meist  kurze,  apho- 
ristische Kegeln,  welche  dazu  bestimmt  waren,  dem  Gedächtniss' 
eingeprägt  zu  werden.  Dieselben  reichen  etwa  bis  in  das  fünfte, 
vielleicht  bis  in  das  sechste  Jahrhundert  vor  Chr.  binaul  Aus 
diesen  alten  prosaischen  Dharmasütra's  sind  dann,  unter  Hin- 
zufügung noch  andrer  Elemente  aus  den  Grihyasutra's,  dem 
Gewohnheitsrecht  u.  dergL  m.,  in  der  zweiten  Periode  der  Rechts- 
literatur, während  der  Blüthezeit  des  klassischen  Sanskrit,  in 
der  Zeit  nach  Christi  Geburt,  die  metrischen  Gesetzbücher, 
die  sogenannten  DharmacÄstra's  oder  metrischen  Smriti's,  her- 
Torgegangen,  und  zu  diesen  gehört  auch  das  Gesetzbuch  des 
Manu. 

Die  Arbeit  an  den  für  die  Rechtsgeschichte  so  überaus 
wichtigen  Dharmasütra's  oder  Gesetzesregeln  ist  erst  in  neue- 
ster Zeit  in  Augriff  genommen  worden,  dafür  aber  auch  gleich 
in  gründlichster  Weise,  so  dass  uns  dieselben,  dank  den  Arbeiten 
Bühler's,  Stenzler's,  Jolly's  und  Andrer,  gegenwärtig  schon 
ziemlich  vollständig  herausgegeben  und  übersetzt  vorliegen,  auch 
in  Bezug  auf  Ursprung  und  Geschichte  mehr  oder  weniger  aus- 
reichend untersucht  worden  sind.1  Damit  sind  uns  die  ältesten 
indischen  Rechtsquellen,  soweit  dieselben  noch  handschriftlich 
existiren,  zugänglich  gemacht 

Das  verhältnissmässig  hohe  Alter  der  Dharmasütra's  ergiebt 


1  Die  Ausgaben  der  Dharmasütra's  sind  folgende:  Apastamba's 
Dharmasütra,  2  parte,  ed.  by  G.  Bühler,  Bombay  1S68.  1871.  —  The 
Institutes  of  Oautama,  ed.  by  A.  Stenzler,  London  1876.  —  The 
Vishnu-smriti,  2  fatc.,  ed.  by  J.  JolLy,  Calcutta  1881.  —  Vasishtha- 


dharma$astram  ed.  by  A.  A.  Führer,  Bombay  1883.  —  Baudba- 
yanadharmac,astra  ed.  by  £.  Hultsch,  Leipzig  1884  (Abhdl.  f.  <L 
künde  d.  Morgl.  Bd.  VIII,  No.  4V   [Die  beiden  letztgenannten  Werk« 


heissen  in  den  Mss.  zwar  Dharmacistra's,  doch  zeigt  Inhalt  und  Form 
deutlich,  dass  es  Dharmasütra's  sind.  Dasselbe  gilt  von  der  Vishnu- 
smriti.  Vgl.  Jolly,  History  of  Hindu  Law  p.  87.]  Uebersetzungen 
der  Dharmasütra's  nebst  daran  sich  anknüpfenden  Untersuchungen  sind 
▼on  Bühler  und  Jolly  in  den  8acred  BookB  veröffentlicht  worden:  The 
Sacred  Laws  of  the  Aryae  ae  t&ught  in  the  schools  of  Xp&stamba, 
Gautama,  Vasishtha  and  Baudhayana.  Transl.  with  an  introduction  and 
notes  by  G.  Bühler,  2  voll.  Oxford  1879—1882  (Sacr.  Books  II  u.  XIV). 
—  The  Institutes  of  Vishnu,  transl.  by  J.  Jolly,  Oxford  1880  (Sacr 
Books  VII).  —  Kritische  Bemerkungen  zu  mehreren  dieser  Ausgaben  und 
Uebersetzungen  veröffentlichte  0.  Böhtlingk,  Ztschr.  d.  D.  M.  Ges. 
Bd.  XXXIX. 


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—    737  — 

sich  schon  daraus,  dass  dieselben  noch  zur  vedischen  Literatur 
gehören.  Die  Dharmasütra's  des  Apastamba,  Baudhayana^ 
und  Hiranyakecjn  lassen  diese  ihre  Zugehörigkeit  zum  Veda,* 
schon  rein  äusserlich  genommen,  deutlich  durch  den  Umstand 
erkennen,  dass  sie  bestimmte  Theile  der  grossen  Tedischen  Sütra- 
Sammlungen  bilden,  welche  je  ein  und  demselben  Autor  —  dem 
Apastamba,  Baudhayana,  Hiranyakecm  —  zugeschrieben  wer- 
den.1 Ob  diese  Autorschaft  begründet  ist,  kommt  dabei  nicht 
sehr  in  Betracht;  es  sind  dies  eben  die  kanonischen  Samm- 
longen der  betreffenden  vedischen  Schulen,  welche  die  genannten 
Männer  als  ihre  Stifter  verehren  und  welche  sämmtlich  zur 
Taittiriya-Abtheilung  des  schwarzen  Yajurveda  gehören. 

Das  Dharmasütra  des  Apastamba  zeigt  eine  Sprache,  die 
besonders  reich  an  altertümlichen  Formen  ist.  Es  muss  dieses 
Werk  geschrieben  sein,  bevor  der  Kanon  der  klassischen  Sprache, 
wie  ihn  Panini  fixirt,  in  Indien  durchgedrungen  war.  Dies  und 
andere  Gründe  noch  machen  es  wahrscheinlich,  dass  der  Autor 
dieses  Sütra  nicht  später  als  im  fünften  Jahrh.  vor  Chr.  lebte.* 

Apastamba'8  Dharmasütra  scheint  nicht  durch  spätere  In- 
terpolationen, Zusätze  und  Aenderungen  in  seinem  ursprüng- 
lichen Charakter  gestört  und  entstellt  zu  sein,  während  dies 
bei  den  anderen  Dharmasütra's  in  der  That  wohl  niohr  oder 
weniger  der  Fall  ist  Die  Kritik  vermag  diese  Zusätze  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  auszuscheiden,  und  Bühler,  der  sich  um 
diese  Literatur  ein  besonderes  Verdienst  erworben,  suchte  zu 
zeigen,  dass  das  Sütra  des  Baudhayana  in  seiner  ursprüng- 
lichen Form  wohl  noch  älter  sein  dürfte  als  das  des  Apastamba. 
Noch  ältor  als  Baudhayana  wäre  nach  Bühler  das  Dharmasütra 
des  Gäutania,'  welches  einer  Schule  des  Samaveda  anzuge- 
hören scheint.  Doch  auch  Gäutama  ist  nicht  der  älteste  Rcchts- 
lehrcr;  er  citirt  andre  Lehrer  und  die  Smriti  oder  Tradition 
im  Allgemeinen. 

1  So  bildet  z.  B.  das  Dharmastitra  des  Apastamba  den  28.  und 
2H.  Abschnitt  (prac.na)  von  Apastamba's  Qräutasütra.  Vgl.  Weber,  lud, 
UU  2.  Aufl.,  p.  111  Anm.  und  p.  2H6  Anm.  J.  Jolly,  llistory  of  the 
Hindu  Law  p.  37. 

*  S  Jolly,  a.  a.  0.  p.  37. 

•  Vgl.  Jolly,  a.  a.  6  p.  37.  —  Wenn  Wober  den  verhaltuiss- 
mlssig  späten  Ursprung  der  Dharmasütra  und  specicll  des  nach  Bühler 
ältesten,  des  Gäutama,  dadurch  fUr  erwiesen  halt,  dass  bei  Oautama 
(4,  21)  die  Yavana  und  Pararava,  d.  i.  Griechen  und  Parther  (Perser» 
als  Namen  von  Mischkasten  erscheinen,  so  ist  nachdrücklich  an  das  im 
Text  oben  Gesagte  zu  erinnern,  dass  eben  dieses  Sütra  wie  auch  das 
des  Baudh.  eine  Reihe  jüngerer  Zusätze  hat.  (Vgl.  Weber,  Lit.  Centr.  1884, 
No  46,  p.  15G40 

t.  SchrSdtr,  Ind.  Lit.  u.  Colt.  47 


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Die  sogenannte  Yishnusmriti  ist  in  ihrer  gegenwärtig 
Torliegenden  Form  jedenfalis  jüngeren  Ursprungs,  verfasst  oder 
redigirt  von  einem  Gliede  der  vischnuitischen  Secte  der  Bh&ga- 
vatas.  Aber  die  Haupttheile  des  Werkes  sind  sicher  alt,  und 
zwar  scheint  dies  das  Dharmasütra  der  ebenfalls  zum  schwar- 
zen Yajurveda  gehöriger  Kathaka- Schule  gewesen  zu  sein.1 
Schwieriger  ist  die  Stellung  von  Vasishtha's  Dharmasütra  zu 
.  bestimmen.8 

Die  meisten  der  genannten  Dharmasütra's  entstammen  dem 
Süden  Indiens;3  nur  die  Vishnusmriti  und  das  Sütra  des  Va- 
sishtha scheinen  in  dem  Lande  nördlich  von  der  Narmada  ent- 
standen zu  sein.4 

Diese  vedischen  Dharmasütra's  sind  in  späterer  Zeit  ganz 
in  den  Hintergrund  gedrängt  worden  durch  die  sogenannten 
Dharmacastra's,  die  metrischen  Gesetzbücher,  auch  metrische 
Sniriti'8  genannt,  welche  seit  vielen  Jahrhunderten  schon  bis 
auf  den  heutigen  Tag  als  die  Quelle  des  Rechtes  gelten  und 
die  Grundlage  des  juristischen  Studiums  der  Inder  bilden. 
Diese  metrischen  Gesetzbücher  haben  eine  viel  universellere 
Bedeutung  erlangt,  als  dies  bei  den  Dharmasütra's  jo  der  Fall 
gewesen.  Insbesondere  das  Gesetzbuch  des  Manu  ist  als  Kanon 
des  Rechts  über  ganz  Indien  verbreitet,  während  das  Sütra  des 
Äpastamba  wie  auch  die  andern  Dharmasütra's  immer  nur  in 
einer  speciellen  vedischen  Schule  etwas  bedeuteten.5 

Die  metrischen  Gesetzbücher  sind  offenbar  das  Produkt 
einer  Zeit,  in  welcher  das  Studium  von  Recht,  Gesetz  und  Sitte 


1  Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  88,  sowie  namentlich  auch  Jolly,  da* 
Dharmasütra  des  Vishnu  und  das  Kathakagrihyasütra,  Sitz.  Ber.  d.  Ak 
d.  Wiss.  zu  München  1879  p.  22  flg.  (Phil.  bist.  C).). 

2  Nach  Jolly,  a.  a,  0.  p.  39  scheint  das  Dh.  des  Vasishtha  einer 
Schule  anzugehören,  welche  den  Rigveda  studirte.  Mir  scheint  es  be- 
sonders beachtenswerth,  dass  dieses  Sütra  39  Verse  enthalt,  die  sich  in 
Manu's  Gesetzbuch  finden  und  die  doch  nicht  als  Citat  markirt  werden 
(Bühler,  Sacred  Books  XIV,  p.  XVIII  und  XX.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  47). 
Ich  wage  daher  einen  näheren  Zusammenhang  des  Vasishtha  mit  den 
Manava-Maitrayanlya's  zu  vermuthen.  Es  würden  dazu  auch  die  geo- 
graphischen Verhältnisse  stimmen.  Das  Sütra  des  Vasishtha  scheint  nach 
Jolly  a.  a.  0.  p.  38  dem  Lande  nördlich  von  der  Narmada  anzugehören 
und  gerade  dort  lebten  und  leben  zum  Theil  noch  nach  meinen  früheren 
Nachweisungen  die  Manava-Maitriyanlya's ;  wesentlich  in  denselben  Theü 
Indiens  fuhrt  uns  Bumell  bei  seinem  Versuch,  das  Ursprungsland  des 
Gesetzbuchs  des  Manu  zu  bestimmen  (vgl.  weiter  unten). 

8  Die  Taittirlya-Schulen  des  Äpastamba,  Baudhayana  und  Hiranya- 
keem  sind  südindischc. 

*  Vgl.  Jolly,  History  of  the  Hindu  Law  p.  38. 
6  Jolly,  a.  a.  0.  p.  41.  42. 


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—    739  — 

eo weit  vorgeschritten  war,  dass  es  als  ein  besondrer  Wis- 
senszweig selbständige  Bedeutung  gewonnen  hatte,  eine  eigene 
Wissenschaft  bildete.  Während  die  Dharmasütra's  doch  immer 
nur  ▼erhaltnissmassig  wenig  umfangreiche  Anhängsel  vedischer 
Textsammlungen  waren,  zeigen  sich  die  Dharmacastra's  als 
•elbständige  und  umfängliche  Rechtsbücher.  Allerdings 
standen  auch  diese  noch,  in  einem  gewissen  Zusammenhang  mit 
demVeda  und  erkannten  ihn  als  oberste  Autorität  an,  aber  die 
Verfasser  derselben  wollten  offenbar  doch  selbständige  und  mög- 
lichst vollständige  Darlegungen  des  indischen  Rechtes  bieten, 
und  nicht  bloss  einzelne  Aphorismen,  wie  sie  die  Dharmasütra's 
enthalten.  Die  metrischen  Gesetzbücher  sind  denn  auch  so- 
wohl in  Bezug  auf  Umfang  und  Vollständigkeit  als  auch  hin- 
sichtlich der  systematischen  Behandlung  des  Gegenstandes  den 
magern  Abhandlungen  der  yedischen  Sütra's  weit  überlegen. 
Sie  vertreten  eben  eine  ganz  anders  vorgerückte  Phase  des 
Rechtastudiums.  Um  nur  ein  Beispiel  anzuführen,  so  werden 
hier  die  Regeln  über  das  Civilrecht  nicht  mehr  wie  in  den 
Sütra'8  alle  in  einem  Haufen  gegeben,  sondern  systematisch  in 
18  Gruppen  gesondert1 

Was  diese  Dharmacastra's  von  vornherein  schon  äusserlich 
deutlich  von  den  Dharmasütra's  unterscheidet,  ist  der  Umstand, 
dass  sie  durchgängig  im  epischen  Cloka  geschrieben  sind,  wäh- 
rend die  Dharmasütra's  in  Prosa,  nur  untermischt  mit  Versen 
in  Qloka-  oder  auch  anderem  Metrum.  Ob  diese  Neuerung  durch 
das-  wachsende  Ansehen  der  grossen  Epen  eingetreten,  wie 
Bradke  vermuthet  hat,*  oder  infolge  eines  andern  Grundes, 
mag  dahingestellt  bleiben.  Jedenfalls  sind  durchgängig  auch 
auf  anderen  Gebieten  des  indischen  Wissens  die  Prosaschrif- 
ten die  älteren.9 

Als  Quellen  der  metrischen  Gesetzbücher  sind  vor  Allem 
die  Dharmasütra's  anzusehen,  aber  nicht  diese  allein;  auch  die 
wichtigsten  Bestimmungen  der  Grihyasütra's,  Vieles  aus  dem 
Gewohnheitsrecht,  gewisse  Ansichten  hervorragender  Rechts- 
lehrer und  Philosophen  u.  dergl.  m.  finden  wir  hier  mit  dem, 
was  die  Dharmasütra's  boten,  zu  einem  Ganzen  verschmolzen.4 


1  Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  42. 

a  Bradke»  in  seiner  Arbeit  über  das  Manava-Grihyasfttra,  Ztschr. 
d.  D.  M.  6.  XXXVI,  p.  475.  476. 
a  Yfl.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  42. 

4  Wenn  nach  dieser  Darstellung  nun  auch  im  Ganzen  die  Dharma- 
sütra's den  metrischen  Dharmac&stra'u  zeitlich  vorausgehen,  so  sind  doch 
auch  in  spaterer  Zeit  noch  etliche  anechte  Dharmasütra's,  den  alten 

47* 


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—    740  - 

Das  älteste,  wichtigste  und  angesehenste  unter  dieseu  me- 
trischen Gesetzbüchern  ist  ohne  Zweifel  das  Manavadharm  - 
c,ästra,  das  sogenannte  Gesetzbuch  des  Manu. 

Die  Autorität  des  weisen  Manu,  der  auch  als  Vater  der 
Menschheit  gefeiert  wird,  ist  jedenfalls  eine  sehr  alte.  Eine 
Reihe  vedischer  Schriften  citiren  ihn  bereits  als  Autorität 
für  das  Recht.  Das  Kathakam  (11,  5)  und  die  Taittirlya- 
Samhita  (2,  2,  10,  2)  sagen:  „Allee,  was  Manu  gesagt  hat,  ist 
Arzenei«1  In  Yaska's  Nirukta  (3,  4)  wird  eine  Regel  des 
Erbrechts  dem  Manu  Sväyambhuva  zugeschrieben;  der  Autor 
unseres  Gesetzbuches  trägt  denselben  Beinamen,  aber  freilich 
stimmt  jene  von  Yaska  citirte  Regel  nicht  zu  dem,  was  das 
uns  vorliegende  Gesetzbuch  lehrt*  Qankhayana's  Grihva- 
sütra  (2,  16)  citirt  den  Manu  zur  Stütze  der  Lehre,  dass'bei 
bestimmten  Opfern  das  Tödten  von  Vieh  erlaubt  sei,  und  wir 
finden  die  entsprechende  Regel  in  der  That  im  Mänavadharaia- 
c&stra  (5,  41). •  Auch  in  der  Gautamasmriti,  dem  ältesten 
Dharmasütra,  wird  Manu  als  Autorität  citirt,  und  die  ihm  zu- 
geschriebene Regel  findet  sich  wirklich  in  unsrem  Gesetzbuch.4 
Eine  besonders  grosse  Anzahl  von  Citaten  aus  einem  Manu- 
Buch  (Mänavam),  die  factisch  im  vorhandenen  Text  zu  finden 
sind,  begegnen  in  Vasishtha's  Dharmasütra;5  andre  im  Sütra 
des  Bäudhäyana  und  auderen  Werken.6  Auch  im  Mahabharata 
finden  sich  viele  Verse,  welche  dem  Manu  zugeschrieben  wer- 
den; einige  davon  finden  sich  in  dem  uns  vorliegenden  Gesetz- 
buch, andere  nicht.7  Ebenso  begegnen  wir  dem  Manu  auf  den 
indischen  Inschriften.  Ueberhaupt,  wo  immer  die  alten  Gesetz- 
geber aufgeführt  werden,  nicht  nur  in  den  juristischen  Samm- 
lungen und  Commentarcu,  sondern  ebenso  auf  den  Inschriften, 


ähnlich,  fabricirt  worden.  Die  Sütra -Compositlon  borte  also  mit  dem 
Beginn  der  metrischen  Smriti-Periode  noch  nicht  vollständig  auf.  Andrer* 
seito  mag  auch  die  Versificirung  einiger  SAtra  vcrhältnlssmabsig  früh  be- 
gonnen haben.  Dies  möchte  man  namentlich  von  demjenigen  Dharma- 
sütra glauben,  welches  dem  Gesetzbu  h  des  Manu  zu  Grande  liegt 

1  Vgl.  M.  Müller,  Indien  in  s.  w.  B.  p.  317.  Jolly,  a.  a.  O.  p.  43 

4  Vgl.  darüber  M.  Müller,  a.  a.  0.  p.  317.  318.  Jener  Vers  be- 
sagt, dass  alle  Kinder,  Knaben  und  Madchen,  ein  gleiches  Erbt  heil  er- 
halten; davon  aber  weichen  die  Bestimmungen  unseres  Gesetzbuches  er- 
heblich ab. 

•  Vgl.  M.  Müller,  a.  a.  0.  p.  318. 

4  Manu  11,  90—92;  104.  105. 

6  Dasselbe  Werk  hat,  wie  bereits  oben  bemerkt,  39  Verse  überein- 
stimmend mit  dem  heutigen  Manu,  ohne  dieselben  als  Citat  zu  marldren. 
6  Vgl.  Jolly,  History  of  the  Hindu  Law  p.  43.  44. 
'  Vgl.  M.  Müller,  a.  a.  0.  p.  318. 


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-   741  - 


in  den  Purana's  und  metrischen  Gesetzbüchern,  immer  finden 
wir  Manu  obenan  genannt1 

Dieses  schon  für  eine  sehr  frühe  Zeit  vorbürgte,  hohe  An- 
sehen des  Manu  als  Autorität  für  das  Recht  beweist  nun  aber 
natürlich  nichts  für  ein  hohes  Alter  des  Gesetzbuches  des  Manu 
in  der  Form,  wie  uns  dasselbe  gegenwärtig  vorliegt;  es  ist  viel- 
mehr sowohl  durch»  die  einfache  und  moderne  Sprache  des- 
selben als  auch  durch  andere  Umstände  wohl  unzweifelhaft, 
dass  dieses  Werk  erst  dem  Mittelalter,  der  nachchristlichen 
Zeit  angehört,  der  Blüthezeit  des  klassischen  Sanskrit.8 

In  Anlehnung  an  jenen  altberühmten  Weisen  Manu  hat 
sich  innerhalb  des  schwarzen  Yajurveda  eine  Manava-Schule* 
gebildet,  und  aus  diesem  Kreise  ist  aller  Wahrscheinlichkeit 
nach  das  sogenannte  Gesetzbuch  des  Manu  hervorgegangen. 
Dasselbe  war  aber  jedenfalls  nicht  das  erste  Rechtsbuch  dieser 
Schule,  sondern  geht  zurück  auf  ein  älteres  Werk,  welches  zu 
jener  ersten  Kategorie  vedischer  Rechts-Sutra's  gehörte,  ein 
Mänavadharmasütra,  von  dem  wir  mit  Bestimmtheit  vor- 
aussetzen dürfen,  dass  es  einstmals  existirt  hat,  das  aber  leider 
verloren  gegangen  ist4 

Die  Mänava'8  bilden  eine  Unterabtheilung  der  Mäitra- 
yaniya-  Schule,  und  das  Gesetzbuch  des  Manu  gehört  demnach 
dieser  Schule  an.  Ein  specieller  Zusammenhang  der  Textbücher 
der  Maitrayaniya-Schule  mit  dem  Manavadhairmac&stra  hat  sich 


1  Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  44.  Interessant  ist  es,  dass  sogar  die 
buddhistischen  Birmanen,  zu  denen  das  indische  Recht  früh  gelangt 
ist,  die  aber  sonst  von  brahmanischem  Wesen  doch  nichts  wissen  wollen, 
ihre  Recbtsbucber  als  „Gesetzbücher  des  Manu"  bezeichnen,  —  offenbar 
um  ihnen  dadurch  höhere  Autorität  zu  verleihen.   (S.  Jolly  a.  a.  0.) 

•  Edgren  hat  die  Sprache  des  Manu  einer  besonderen  Untersuchung 
unterworfen  und  dieselbe  auf  statistischem  Wege  als  modern  erwiesen; 
vgl.  Avery's  Aufsatz  im  Journal  Amer.  Or.  Soc.  X,  p.  320.  821;  Bur- 
nell,  The  Ordinances  of  Manu,  Introd.  p.  XX. 

••  Das  Wort  „Mänava"  bedeutet  „auf  Manu  sich  beziehend,  zu  ihm  . 
gehörig1'    Die  Minava-Schule  war  eine  Sütra-Carana,  d.  h.  eine  Schule, 
die  sich  auf  Abfassung  von  Siitra's  beschränkte,  kein  eigenes  Brahmana 
oder  dergleichen  besass. 

*  Die  Citate  aus  einem  „Manavam",  die  wir  In  Qautama's  und 
VasiBhtha's  Dharmasütra  finden,  entstammen  wohl  jedenfalls  diesem 
Mänavadharmasütra.  Eins  der  Citate  bei  Vasishtha  ist  in  Prosa,  ge- 
mischt mit  Versen,  abgefasst,  und  dieser  äussere  Umstand  macht  es 
noch  gewisser,  dass  wirklich  ein  Mänavadharmasütra  existirt  hat  (vgl. 
Jolly  a.  a.  0.  p.  47).  Daraus,  dass  die  sonstigen  CitAte  in  Versen  sind, 
mochte  ich  den  Schluss  ziehen,  dass  gerade  das  Mänavadharmasütra  be- 
sonders früh  versificirt  wurde. 


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—   742  — 

indessen  bisher  nicht  gezeigt  und  scheint  in  der  That  nicht 
vorzuliegen.1  Die  Schule  der  Mäitrayaniya's  ist  mit  der  der 
Katha's  nahe  verwandt,  und  die  Vishnusmriti,  welche  den  Katha's 
angehört,  hat  Vieles  mit  dem  Texte  unseres  Manu  gemein.*  Ja 
die  Vishnusmriti  scheint  in  manchen  Fällen  geradezu  die  Sütra's 
zu  bieten,  die  dem  Verfasser  des  Manu-Textes  vorgelegen  haben 
und  die  von  ihm  versificirt  sind.  In  andern  Fällen  sind  die 
Regeln  des  Manu  altertümlicher  als*  die  der  Vishnusmriti. 
Zwischen  dem  Gesetzbuche  des  Manu  und  den  noch  erhaltenen 
Dharmasütra's,  namentlich  dem  des  Vasistyha,  finden  überhaupt 
vielfache  Beziehungen  statt,  und  es  .kann  wohl  nicht  daran  ge- 
zweifelt werden,  dass  ähnliche  Werke  die  Hauptquelle  unseres 
Gesetzbuches  gewesen  sind. 

So  viel  sich  nun  im  Gesetzbuch  des  Manu  nachweisen  lässt 
als  übereinstimmend  mit  den  Dharmasütra's,  und  noch  bedeu- 
tend mehr,  ist  sicher  alt  Anderes  mag  vom  Verfasser  des 
metrischen  Textes  und  wohl  auch  noch  späteren  Redactoren 
oder  Interpolatoren  hinzugefügt  sein.  Namentlich  dürften  auf 
deren  Rechnung  einige  Widersprüche  kommen,  die  sich  in  dem 
Gesetzbuche  vorfinden.9 

Wir  bestreiten  demnach  durchaus  nicht,  dass  der  Kern, 
ein  wesentlicher  Theil  des  Inhalts  unseres  Gesetz  >*\ches  alt  ist; 
aber  in  der  Form,  wie  uns  das  Werk  vorliegt,  ist  es  jedenfalls 
nicht  alt  Die  Sprache  ist  ungefähr  die  des  Epos;  Composita 
ganz  moderner  Art  u.  dergl.  m.  kommen  darin  vor.4  Die  philo- 
sophischen Partieen,  welche  sich  im  ersten  und  letzten  Capitel 
vorfinden,  rahmenartig  das  Werk  einschliessend,  sind  keinesfalls 


1  Auch  zwischen  dem  Manavagrihyasütra  und  dem  Gesetzbach  des 
Manu  Bcheint  kein  näherer  Zusammenhang  zu  bestehen  (vgl.  Bradke's 
werthvolle  Arbeit  über'  das  Manavagrihyasütra,  Ztschr.  d.  D.  M  Ges. 
XXXVI,  p.  417 — 477).  Die  ganze  Beziehung  des  Gebetabuches  zur  Mai- 
trayanlya-Manava-Schule  bedarf  daher  wohl  noch  einer  gründlichen  Prü- 
fung iind  darf  keineswegs  als  feststehend  und  klar  bezeichnet  werden. 
Whitney  hat  seinem  skeptischen  Standpunkt  in  dieser  Hinsicht  Aus- 
druck gegeben  in  den  Proceedings  der  Amer.  Or.  Soc.  vom  Mai  1885, 
p.  XXXI  und  XXXII  (Journ.  Am.  Or.  Soc  voL  XIII).  Seiner  Meinung 
nach  ist  ein  Zusammenhang  des  Gesetzbuches  mit  der  vedischen  Manava- 
Schule  und  deren  Sütra's  ganz  ungewiss  und  fraglich.  Indessen  möchte 
ich  doch  auf  die  im  Text  hervorgehobene,  von  Jolly  constatirte  nahe 
Beziehung  des  Gesetzbuches  zur  Vishnusmriti  entschiedenes  Gewicht 
legen;  denn  dies  ist  das  Sütra  der  Katha's  und  die  Katha's  sind  den 
Mäitrayaniya-Manava's  nahe  verwandt. 

»  Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  47. 

9  Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  i>.  48. 

4  Vgl.  Burneil,  The  Ordinances  of  Manu,  Introd  p.  XX. 


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743  - 


alt1  Der  Dialog,  welcher  die  Hauptsache  einleitet,  ist  nach 
BurnelTs  Urtheil  ganz  im  Style  der  Purana's  u.  dergi  m. 

Eine  genauere  Bestimmung  der  Entstehungszeit  des  Mana- 
Tadharmac4stra  ist  aber  leider  bisher  noch  nicht  gelungen. 
M.  Müller  in  seiner  Abhandlung  über  die  Renaissance  der 
Sanskrit -Literatur  constatirte  nur,  dass  keinerlei  zwingende 
Gründe  vorliegen,  die  Existenz  dieses  Gesetzbuches  vor  den? 
Jahre  300  nach  Chr.  anzunehmen,1  Eingehender  untersuchte 
Burneil  die  chronologische  Frage  in  der  Einleitung  zu  seiner 
Uebersetzung  des  Manu.  Er  kam  zu  dem  Schluss,  dass  das 
Gesetzbuch  etwa  um  das  Jahr  500  nach  Chr.  verfasst  sein 
dürfte.  Es  soll  dasselbe  nach  seiner  Annahme  für  einen  König 
Pulikccj  geschrieben  sein,  der  zur  mächtigen  Dynastie  der  Ca- 
lukya  gehörte,  die  längere  Zeit  über  den  Dekhan  und  Gujerat 
herrschten  und  sich  mit  dem  Geschlechtsnamen  ihrer  Purohita's 
Manavya's  nannten.3  Die  spätere  grosse  Ausbreitung  und 
Macht  der  westlichen  Calukya-  Dynastie  habe  wesentlich  dazu 
beigetragen,  dem  Gesetzbuch  sein  grosses  Ansehen  zu  ver- 
schaffen.4 

Leider  stehen  die  Ausführungen  BurnelTs  fast  nach  allen 
Richtungen  hin  auf  so  schwachen  Füssen,  dass  wir  seine  Re- 
sultate keineswegs  für  gesichert  halten  können.*  Es  ist  nicht 
unmöglich,  dass  das  Gesetzbuch  unter  der  Aegide  der  Calukya- 
Fürsten  abgefasst  wurde;  es  würde  auch  die  von  mir  näher 
bestimmte  geographische  Vertheilung  der  Maitrayaniya-Schule,6 
zu  welcher  die  M&nava's  gehörten,  nicht  übel  zu  den  Wohn- 


1  Das  philosophische  System,  welches  in  diesen  Capiteln  su  Tage 
tritt,  hat  schon  Coiebrooke,  In  Ueberei nstimmung  mit  allen  Commen- 
tatoren,  als  S&nkbya -Lehre  bezeichnet,  und  zwar  nennt  er  es  speciell 
„Puranic  S&nkhya",  d.  L  eine  ferhaltnissmassig  spate  Form  der  Lehre 
'  (vgl.  Burneil  a.  a,  0.  p.  XXII).  Johaentgen  (in  s.  Schrift  Ober  das 
Ges.  des  Manu  1863)  wollte  eine  altere  Phase  der  S&akhya-Lehre  darin 
erkennen;  doch  hat  dies  wenig  Wahrscheinlichkeit  Die  betreffenden 
Capitel  werden  wohl  jetzt  ziemlich  allgemein  zu  den  jüngsten  TheUen 
des  Gesetzbuches  gerechnet 

*  M.  Malier,  Indien  in  s.  w.  Bed.  p.  819. 

*  Vgl.  Burnell,  The  Ordinanees  of  Manu,  Introd.  p.  XXIV.  XXV. 
4  Vgl.  Burnell,  a.  a.  O.  p.  XXVII. 

8  Zu  einer  eingehenden  Darlegung  der  von  uns  für  hinfallig  ge- 
haltenen Burnellschen  Argumente  fehlt  uns  der  Raum.  Eine  kurze  und 
klare  Widerlegung  derselben,  der  wir  in  der  Hauptsache  beistimmen, 
bat  bereits  der  Herauageber  des  Bnrnel  Ischen  Werkes,  Prof.  E.W.  Hop- 
kins, im  Journal  Am.  Or.  Soc.  vol.  XIII,  p.  XXVIII— XXX  geliefert  — 
VgL  übrigens  auch  die  Ree.  von  Wi.  im  Lit  Centr.  1886  No.  26,  p.  896. 897. 

*  Einleitung  zum  1.  Buch  meiner  Aasgabe  der  Mäitr&yani  Samhitl 
p.  XIX— XXVUL 


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744  - 


sitzen  jener  Fürsten  stimmen;  aber  sicher  ist  die  Sache  doch 
noch  lange  nicht  Aach  andre  Könige  haben  den  Geschlechts- 
namen Manava  oder  Mänavya  für  sich  beansprucht;1  und  wenn 
auch  einer  der  Cälukya  die  Abfassung  des  Gesetzbuches  ver- 
anlasste, so  bleibt  doch  ganz  unsicher,  welcher  von  ihnen  es 
gewesen. 

Es  erscheint  mir  nicht  unwahrscheinlich,  däss  dus  Gesetz- 
bu  h  des  Manu  im  Beginn  der  Blüthezeit  des  klassischen  Sans- 
kr  t,  d.  h.  etwa  im  vierten  oder  fünften  Jahrhundert  nach  Chr., 
abgefasst  sein  möchte.  Eine  speciellere  Bestimmung  aber  ist 
unmöglich  und  auch  diese  allgemeine  darf  nicht  als  sicher- 
stehend  angesehen  werden.8 

Jedenfalls  wusste  unser  Gesetzbuch  das  hohe  Ansehen, 
welches  schon  der  alte  Weise  Manu  genoss,  dauernd  ihm  und 
sich  zu  wahren.  Seine  Vollständigkeit,  seine  gute  Anordnung 
und  Verständlichkeit  verschaffte  ihm  eine  weitreichende  Popu- 
larität und  Verbreitung  in  Indien.3  Wie  weit  dabei  noc  1  an- 
dere, historische  Factoren  mit  im  Spiele  gewesen  —  der  Ein- 
fiuss  eines  bestimmten  Herrscherhauses,  das  Ansehen  der  Mai- 
trayaniva-Manava-Schule  u.  dergL  m.  —  müssen  wir  dahingestellt 
sein  lassen.  Die  grosse  Menge  von  alten  Commentaren  zu  Manu's 
Gesetzbuch  aus  verschiedenen  Theilen  Indiens  beweist  die  frühe 
Verbreitung  des  vorhandenen  Textes  über  das  ganze  Land.  Von 
Medhätithi  (etwa  im  neunten  oder  zehnten  Jahrhundert)  bis 
auf  Raghavananda  (im  16.  oder  17.  Jahrhundert)  zeigen  die 
Commentare  bei  ihren  Citaten  aus  Manu  wenig  Abweichung  in 
den  Lesarten  und  man  sieht  daraus,  dass  der  jetzt  vorliegende 
Text  seit  jener  Zeit  —  also  wohl  mehr  als  ein  Jahrtausend 
lang  —  sorgfältig  überliefert  wurde.* 

Vorher  freilich  hat  das  Gesetzbuch  so  manche  Wandlungen 
durchgemacht,  denn  es  birgt  —  wie  früher  schon  erwähnt  — 
einen  alten  Kern,  der  mehrfach  überarbeitet  und  mit  Zusätzen 
versehen  ist.  Es  hat  nach  einander,  vielleicht  auch  gleichzeitig, 
verschiedene  Recensionen  des  Manu  gegeben.  Nur  so  erklärt 
es  sich,  dass  Vieles,  was  ihm  in  älteren  Werken  zugeschrieben, 
resp.  aus  ihm  citi/t  wird,  in  der  uns  vorliegenden  Recension 
nicht  vorhanden  ist.  Ein  merkwürdiger  Bericht  über  vier  ver- 


1  Hopkins  a.  a.  0.  p.  XXX 

*  Dass  indessen  das  Gesetzbuch  des  Mann  mehrere  Jahrhunderte 
älter  sein  muas  als  sein  ältester  Commentator  (Medhätithi,  im  9.  oder 
10.  Jahrhundert),  halte  ich  für  ausgemacht. 

3  Vgl.  darüber  auch  Burneil  s  ürtheil  a.  a.  0.  p.  XVII. 

*  Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  45. 


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745 


8chiedeno  Recensioneu  des  Manu  findet  sich  in  der  Einleitung 
zur  Näradasmriti.  Dort  heisst  es:  Manu  verfasste  ein  grosses 
Werk,  das  alle  möglichen  Dinge,  göttliche  und  menschliche,  be- 
handelte, in  100000  floken  und  1080  Capiteln.  Dieses  Werk 
überlieferte  er  dem  Narada,  der  es  zum  Gebrauch  der  Men- 
schen auf  12000  Qloken  reducirte.  Es  wurde  dann  später 
successiv  durch  Markandaya  und  Sumati,  den  Sohn  des  Bhrigu, 
weiter  reducirt  auf  8000  und  4000  Qloken.  Das  Originalwerk 
soll  jetzt  nur  noch  von  den  Göttern  studirt  werden.1  Die  letzte 
Recension  ist  offenbar  die  uns  vorliegende,  welche  ausdrücklich 
sich  selbst  als  Bhrigu -Recension  bezeichnet2  Dem  übrigens 
natürlich  fabelhaften  Bericht3  dürfte  doch  etwas  Wahres  zu 
Grunde  liegen;  zum  mindesten  in  soweit,  als  er  eben  auch  das 
einstmalige  Vorhandensein  verschiedener  Rocensionen  des  Manu 
constatirt. 4 

Neben  dem  Gesetzbuch  des  Manu  giebt  es  nun  noch  eine 
Reihe  andrer  metrischer  Dharniac.astra's,  von  denen  mehrere  in 
hohem  Ansehen  stehen.  Das  bedeutendste  unter  ihnen  ist  ohne 
Zweifel  das  Gesetzbuch  des  Yajflavalkya,  welches,  wenn  auch 
minder  berühmt  als  Manu,  doch  immerhin  auch  einen  immen- 
sen Einfluss  auf  die  neuere  Entwickelung  des  indischen  Rechtes 


Doch  soll  der  Abriss,  welchen  Narada  von  dem  9.  Cap.  machte, 
das  Civilrecht  betreffend,  in  der  Näradasmriti  enthalten  sein. 

»  Vgl.  Jolly,  a.  a.  O.  p.  57;  M.  Müller,  a.  a.  0.  p.  319.  —  Der  Um- 
fang der  ans  vorliegenden  Recension  (2685  Hökern  stimmt  annähernd 
zu  dem  in  der  Nar.  Sm.  behaupteten  Umfang  der  letzten  Recension. 

*  Vgl.  Jolly,  a.  a  0.  p.  57. 

*  Ausgaben  des  Gesetzbuchs  des  Manu  sind  in  Indien  seit  dem 
Jahre  1813  eine  ganze  Reihe  erschienen,  theils  mit  theils  ohne  den  Com- 
mentar  des  Kulluka;  sie  sind  aber  alle  unkritisch.  In  Europa  sind  zwei 
Ausgaben  erschienen,  die  es  versuchen,  den  Text  kritisch  herzustellen: 
die  von  G.  C.  Haughton  im  Jahre  1825  und  die  von  Loiseleur  Des- 
longchamps  1830—1833.  Der  Letztere  giebt  auch  eine  französische 
Uebersetzung.  - —  Eine  englische  Ueberaetzung  gab  schon  W.  Jones, 
Calcutta  179«;  wiederabgedruckt  Calcutta  179b  und  London  1796;  in's 
Deutsche  übersetzt  von  Hüttner,  1797;  jetzt  veraltet,  trug  diese  Ueber- 
setzung ihrer  Zeit  wesentlich  dazu  bei,  dass  Manu 's  Gesetzbuch  rasch 
in  Europa  bekannt  wurde.  —  Neuerdings  ist  eine  vortreffliche  englische 
Uebersetzung  von  Burnell  erschienen  The  Ordinances  of  Manu), 
vervollständigt  und  herausgegeben  von  E  W.  Hopkins,  London  1884. 
—  Zahlreiche  Stellen  des  Gesetzbuchs  hat  Muir  fibersetzt  in  seinen 
„Original  Sanskr.  Texte"  und  „Metrical  Translations  from  ßanskrit".  — 
Viele  das  Gusetzbuch  betreffende  Fragen  hat  Johaentgen  behandelt  in 
seiner  Schrift  „Ueber  das  Gesetzbuch  des  Manu",  Berlin  1863.  —  Die 
Verhaltnisse  der  Kasten  speciell  nach  Manu  hat  E.  W.  Hopkins  voll- 
ständig behandelt  („The  Mutual  Relations  of  the  Four  Castes  aecording 
to  the  ManavadharmacAstra"). 


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3 


—   746  — 

geübt  hat,  namentlich  durch  das  Medium  der  sogenannten  Mi- 
takshara  und  anderer  Commentare. 

Im  Ganzen  sind  die  Regeln  des  Yajfiavalkya  offenbar 
weniger  alterthümlich  als  die  des  Manu.  Auch  die  sehr  syste- 
matische Anordnung  des  religiösen  wie  des  weltlichen  Rechtes 
bekundet  eine  spätere,  vorgeschrittenere  Zeit.  Der  Styl  ist  la- 
konisch, prägnant.  Das  Gesetzbuch  des  Yäjfiavalkya  ist  inner- 
halb der  Schule  des  weissen  Yajurveda  entstanden.  Es  ent- 
hält 1009  Verse,  und  mehr  als  die  Hälfte  derselben  sind  die 
gleichen  oder  ähnliche  wie  bei  Manu.1 

Nächstdem  wichtig  ist  die  Naradasmriti,  das  einzige 
Werk  derart,  in  welchem  das  Civilrecht  behandelt  ist  ohne 
Beimischung  von  Regeln  über  religiöse  Dinge,  Gottesdienst 
Bussen  und  dergleichen.  Zu  der  Zeit,  als  dieses  Werk  entstand, 
muss  das  Civilrecht  schon  viel  spezieller  entwickelt  gewesen 
sein,  als  zur  Zeit  der  erstgenannten  Gesetzbücher.  Es  ist  das- 
selbe offenbar  nicht  aus  einem  alten  Dharmasütra  hervorge- 
gangen, sondern  gehört  einer  Zeit  an,  wo  man  sich  von  jenen 
Sütra's  zu  emancipiren  begann;  vielleicht  dem  sechsten  oder 
siebenten  Jahrhundert*  Die  Naradasmriti  enthält  859  Verse, 
von  denen  37  sich  auch  bei  Manu  vorfinden.3 

Die  Zahl  der  metrischen  Smriti's  ist  übrigens  eine  recht 
bedeutende.  Die  neuere  indische  Tradition  giebt  meist  36  an 
und  unterscheidet  18  Smriti's  und  18  Upasmriti's,  d.  h.  Neben- 
Smriti's.4  Nandapan^ita6  und  Mitramicra,*  zwei  juristische  Au- 
toritäten, geben  57  Smriti's  an.T  Die  Bibliotheken,  die  Com- 
mentare und  Digesten  zeigen  aber,  dass  die  Zahl  noch  weit 
grösser,  dass  es  mehr  als  100  sind.  Darunter  ist  nun  freilich 
auch  recht  viel  Werthloses.8   Viele  Smriti's  sind  uns  nur  aus 


1  Vgl.  Barnell,  a.  a.  0.  p.  XXXI.  —  Das  Oesetibach  des 
Yäjfiavalkya  ist  in  yortrefflicher  Weise  herausgegeben  und  übersetzt 
von  A.  F.  Stenzler,  Berlin  1849. 

*  Jolly  setzt  es  vermuthungsweise  in's  5.  oder  6.  Jahrhundert 
Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  49.  50. 

1  S.  Burneil,  a.  a.  0.  p.  XXXI.  —  Besonders  wichüg  ist  du 
Fragment  einer  alteren  Recension  der  Naradasmriti,  welches  neuerdin^ 
entdeckt  ist,  mit  dem  Commentar  des  berühmten  Asahftya  (vgl.  Jolly, 
a.  a.  0.  p  54). 

*  Joll%\,  a.  a.  0.  p.  51. 
8  In  der  Vaijayantl. 

*  Im  Vtramitrodaya. 

*  Und  zwar  18  Smriti's,  18  Upasmriti's   und  21  „andere  SrnrltTs**. 

*  Die  grosse  Mehrzahl  dieser  Smriti's  Ist  metrisch;  einige  ahmen 
die  Dnannasutra's  in  der  Form  nach  (Prosa  mit  Versen  gemischt),  sind 
aber  neueren  Ursprungs.   Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  53.  64. 


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—    747  - 


Citaten  fragmentarisch  bekannt  Die  wichtigsten  darunter  sind 
die  des  Brihaspati  and  des  Kutyayana,  welche  übrigens 
beide  nah  zusammenhängen.1  Weiter  kennen  wir  Fragmente 
von  den  Smriti's  des  Vyasa,  Devala,  Pitamaha  u.  a.  m.;s  auch 
Fragmente  von  Smriti's,  deren  Verfasser  unbekannt  sind.  Doch 
ist  es  sicher,  dass  auch  die  jüngsten  metrischen  Smriti-Frag- 
mente  älter  sind  als  das  elfte  und  zwölfte  Jahrhundert,  wo  sie 
▼on  Vijfianecvara  und  Apararka  citirt  werden;  die  meisten  wohl 
älter  als  das  neunte  Jahrhundert,  wo  Medhatithi  sie  citirt.3 


An  die  Gesetzbücher  scliliesst  sich  nun,  etwa  yom  neunten 
Jahrhundert  nach  Chr.  bis  auf  die  neuere  Zeit,  die  sehr  um- 
fängliche Literatur  der  Commentare  und  Digesten  an,  in 
welchen  ausserordentlich  viel  Scharfsinn  und  Gelehrsamkeit  auf- 
gespeichert ist,  —  eine  grosse  juristische  Literatur. 

Der  älteste  uns  erhaltene  Commentar  zum  Gesetzbuch  des 
Manu  ist  das  berühmte  Manubhäshya  des  Medhatithi,  etwa 
aus  dem  neunten  Jahrhundert  nach  Chr.  stammend.4  Aber 
Medhatithi  war  nicht  der  älteste  Commentator  des  Manu.  Er 
citirt  öfters  Vorgänger  und  bespricht  die  Erklärungen  Andrer. 
Diese  älteren  Commentare  sind  leider  verloren  gegangen.  Me- 
dhatithi's  Werk  ist  von  grösstein  Eiufluss  auf  die  Entwickelung 
der  indischen  Jurisprudenz  gewesen  und  erfreut  sich  mit  Recht 
eines  hohen  Ansehens.5 

Auf  Medhatithi  folgt  noch  eine  ganze  Reihe  alter  Com- 
mentare zu  Manu's  Gesetzbuch,  die  für  die  Geschichte  des 
indischen  Rechts  von  hoher  Bedeutung  sind.  Ich  will  nur  die 
beiden  wichtigsten,  den  des  Goviudaraja  und  den  des  Kul- 
lüka,  besonders  hervorheben.  Govindaraja,  ein  sehr  bedeuten- 
der Gelehrter,  welcher  zwischen  dem  11.  und  15.  Jahrhundert 
gelebt  haben  muss,  hat  offenbar  den  textus  reeeptus  festgestellt, 
welcher  in  Indien  allgemein  verbreitet  ist  und  welchen  auch 


1  Sie  schliessen  sich  beide  eng  au  Manu  an  und  erkennen  ihn  als 
oberste  Autorität  an.  Brihaspati  sagt,  dass  jede  Smriti,  welche  dem 
Mann  widerspricht,  kein  Gewicht  habe.  Sie  zeigen  die  juristische  Wissen- 
schaft  schon  in  einem  vorgeschritteneren  Zustande,  sind  jünger  als  Yajfia- 
Talkya  und  wohl  auch  als  Narada  (vgl  Jolly,  a.  a.  0.  p.  59.  -63.  64). 

•  Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  64. 

1  Aach  Bnrnell  meint,  dass  die  Entstehung  der  metrischen  Gesetz- 
bücher etwa  bis  900  nach  Chr.  fortgedauert  haben  durfte  (s.  a.  a.  0. 
p.  XXX). 

4  Jolly  setzt  ihn  in's  8  oder  1>.  Jahrh.,  Burnell  um  c.  1000  nach  Chr 

*  Vgl.  Bnrnell,  a.  a.  0.  p.  XLI:  Jolly.  a.  a.  0  p.  8.  xMedhatithi 
sUmmte  wohl  aus  dem  Dekhan. 


♦ 


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~    748  - 

• 

Kullüka  bietet.  Das  hohe  Lob,  welches  schon  Jones  dem  Com- 
mentare  des  Kullüka  gespendet  hat,  gebührt  zu  einem  grossen 
Theil  dem  Govindaraja,  welchen  Kullüka  stark  benutzt  hat1 
Von  Medhätithi's  Meinung  weicht  Govindaraja  nicht  selten  stark 
'  ab  und  Kullüka  erwähnt  bisweilen  die  entgegengesetzten  Mei- 
nungen der  Beiden.2  Kullüka  endlich  hat  durch  seine  Man- 
varthamuktavali  alle  früheren  Commentare  zum  Manu  in  Schatten 
gestellt  Dies  gedrängt  geschriebene,  klare  und  praktische  Werk 
hat  für  alle  bisherigen  Ausgaben  des  Manu  die  Basis  gebildet 
und  ist  in  unserem  Jahrhundert  wiederholt  mit  dem  Text  zu- 
sammen abgedruckt  worden.  Kullüka  lebte  wahrscheinlich  im 
16.  Jahrhundert.3  Er  stammte  aus  Bengalen  und  hat  sein  Werk 
in  Benares  geschrieben.* 

Nächst  Manu  ist  das  Gesetzbuch  des  Yajfiavalkya  am 
meisten  von  don  mittelalterlichen  Schriftstellern  über  das  Recht 
beachtet  worden.  Es  existiren  drei  Commentare  desselben,  ein 
vierter  ist  vorauszusetzen. 

Vor  Allem  wichtig  ist  die  sogenannte  Mitaksharä,  ver- 
fasst  von  Vijfianec,vara  aus  Kalyanapura,  im  Lande  des  Nizam, 
Ende  des  elften  oder  Anfang  des  zwölften  Jahrhunderts. 5  Es 
ist  dies  wohl  das  bekannteste  und  wichtigste  Werk  der  ge- 
sammten  juristischen  Literatur  der  Inder  und  war  schon  früh 
maassgebend  für  einen  sehr  grossen  Theil  von  Indien.  Dies 
steigerte  sich  noch  unter  englischer  Herrschaft,  als  Colebrooke 
Buch  14  und  15  dieses  Werkes,  das  Erbrecht  betreffend,  uber- 
setzte.6 Von  der  Mitaksharä  sagt  Stenzler  in  der  Vorrede 
zu  „ Yajfiavalkya' s  Gesetzbuch*'  (p.  V):  „Sie  ist  mehr  als  ein 
blosser  Commentar  zum  Yajfiavalkya.  Sie  hat  sein  Gesetzbuch 
zur  Grundlage,  beschränkt  sich  aber  nicht  darauf,  dasselbe  zu 
erklären,  sondern  discutirt  zweifelhafte  Stellen  ausführlich  und 
scharfsinnig  und  ergänzt  da,  wo  nach  dem  Standpunkte  ihrer 

1  Jolly,  a.  a.  0.  p.  9. 

*  Burneil,  a.  a.  0.  p.  XLII. 

•  Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  10;  Burneil,  a.  a.  0.  p.  XLU. 

4  Wir  haben  ausserdem  noch  einen  Comm.  des  Narayana,  dar 
jünger  als  Govindaraja  ist,  aber  spätestens  im  15.  Jahrhundert  gelebt 
haben  muss,  da  das  Ms.  seines  Werkes,  das  Jolly  erwähnt,  im  Jahre 
1497  nach  Chr.  geschrieben  ist' (a.  a.  0.  p.  10);  ferner  Raghunandana 
oder  Raghavananda's  (16.  Jahrh.)  Manvarthacandrika  (vgl.  Jolly  p.  11; 
Burnell  XLII);  einen  anonymen  Comm.  aus  Kaschmir  \  Jolly,  p.  11); 
und  endlich  Nandanacarya's  Comm.,  gen.  Nandinl,  mehr  modern  (tgl. 
Jolly,  a.  a.  0.  p.  11;  Burnell  a.  a.  0.  p.  XLII). 

5  Zeitgenosse  des  Königs  Vikramaüka  (1076 — 1127  nach  Chr.). 

6  Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  12.  13.  —  Coiebrooke's  Uebersetzunp  ist 
gegenwärtig  natürlich  veraltet,  wie  die  des  Manu  von  Jones. 


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-    749  — 

Zeit  irgend  eine  Lücke  erscheint,  aus  einer  reichen  Literatur 
▼on  Gesetzbüchern  und  anderen  Werken,  so  dass  sie  eine  ge- 
treue Darstellung  des  ganzen  Inhalts  des  Gesetzes  gewährt,  wie 
sich  dasselbe  zu  ihrer  Zeit  gestaltet  hatte."  Ihr  Ansehen  ist 
sehr  gross.  „Sie  gilt,  wie  Colebrooke  sagt,  in  allen  indischen 
Rechtsschulen,  von  Benares  bis  zur  Südspitze  Indiens,  als  die 
Hauptgrundlage  der  von  ihnen  befolgten  Lehren  und  als  eine 
Autorität,  von  welcher  sie  selten  abweichen."1 

Ein  Beweis  für  das  hohe  Ansehen  der  Mitakshara  ist  es 
auch,  dass  dieselbe  wiederholt  von  berühmten  Gelehrten  com- 
mentirt  worden  ist* 

Erwähnenswerth  ist  endlich  noch  ein  Commentar  zur  Vi- 
ehnusmriti,  die  sogenannte  Vaijayantl  von  Nandapandita 
(im  17.  Jahrhundert).  Die  Vaijayantl  ist  ein  reichhaltiges,  vor- 
zügliches Werk,  und  schon  Colebrooke  hat  hervorgehoben,  dass 
dieselbe,  ebenso  wie  die  Mitakshara,  sehr  wohl  als  ein  indisches 
Corpus  juris  dienen  kann.9 

Man  unterscheidet  jetzt  fünf  verschiedene  juristische 
Schulen  in  Indien,  drei  nördliche  und  zwei  südliche,  und  wer- 
den die  Digestensammlungen  und  auch  einige  der  Hauptcom- 
mentare  je  einer  dieser  Schulen  zugerechnet  Ursprünglich  aber 
hat  es  wohl  noch  mehr  als  fünf  gegeben.4 

Jene  fünf  Schulen,  deren  Hauptwerke  jetzt  schon  in's  Eng- 
lische übersetzt  vorliegen,  sind:  die  Schule  von  Bombay,  die 


1  Vgl.  Stenzler,  a.  a.  0.  p.  VI;  Colebrooke,  Hindu  Law  of  Inheri- 
tance  p.  IX.  —  Ausser  der  Mitakshara  besitzen  wir  einen  Comm.  zu 
YajÄavalkya  von  Apararka,  König  von  Konkan,  im  12.  Jahrhundert, 
umfangreich  und  reich  an  Ci taten  verlorener  Werke  (s.  Jolly,  a.  a.  0. 
p.  14.  26);  ferner  den  Comm  des  Culapant,  gen.  Dipakälika  (15.  oder 
16.  Jahrhundert.  —  Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  14). 

*  So  erfasste  YicvecvarabhaUa  auf  Befehl  des  Königs  Madana- 
pala  einen  werthvollen  Comm.  zur  Mitakshara,  gen  Subodhini  oder  Mi- 
taksharatika  (ca.  14.  Jahrh.);  einen  andern  Comm.  vcrfasste  der  bekannt« 
Nandapandita  von  Benares  (17.  Jahrh.);  auch  die  Bhalambhatta- 
tlka  ist  ein  Comm.  zur  W\,  angeblich  von  einer  Frau  Lakshmidevl 
verfaast  (vieU.  18.  Jahrh.).  Vgl.  JoUy,  a.  a.  0.  p.  15. 

*  Vgl.  Jolly,  a.  a.  0.  p.  16.  —  Die  Paracarasmriti  ist  commentirt 
von  dem  berühmten  Midhava,  Minister  des  Königs  Bukka  von  Vijayana- 
gara  im  Dekhan  (14.  Jahrh.);  einen  andern  Comm.  verfasste  Nandapandita 
(17.  Jahrh.).  —  Zu  Apastamba's  Dharmasfitra  und  zur  Gautamasmriti 
hat  HaradatU  einen  Comm.  geschrieben  (nicht  spater  als  zu  Ende  des 
16.  Jahrhunderts). 

4  Zu  keiner  jener  fünf  Schulen  gehört  z.  B.  Hemadri,  Verfasser 
der  Gesetzessammlung  Caturvargacintamani  (Minister  in  Dowlatabad, 
Südindien,  c.  1200  nach  Chr.);  desgl.  Dalapati,  Minister  de9  Nizam  in 
Ahmednagar  (c.  16.  Jahrh.),  Verfasser  der  Nrisimhaprasada  genannten 


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—    750  — 

von  Benares,  die  von  Mithilft,  die  von  Madras  und  die  von 
Bengalen.1 

Die  meisten  alten  Commentare  und  Gesetzessammlungen 
sind  im  Dekhan  verfasst.  Dort  bestand  eine  ununterbrochene 
Tradition,  eine  fortdauernde  Pflege  der  juristischen  Wissenschaft, 
während  in  Hindostaa  mit  dem  Beginn  der  von  so  viel  Greueln 
und  Unordnungen  begleiteten  mohammedanischen  Herrschaft, 
etwa  vom  elften  Jahrhundert  an,  ein  Stillstand  auf  diesem  Ge- 
biete eingetreten  zu  sein  scheint1  Erst  in  der  Zeit  der  Gross- 
mogule  wurde  es  damit  auch  in  Hindostau  wieder  besser  und 
haben  diese  Herrscher  zum  Theil  selbst  die  Abfassung  von 
juristischen  Werken  veranlasst  oder  doch  begünstigt.  Das  letzte 
in  der  Reihe  der  grossen  juristischen  Sammelwerke,  welche 
von  den  indischen  Gerichtshöfen  als  Autorität  anerkannt  wur- 
den, ist  dasjenige  des  Jagannatha,  welches  zu  Ende  des  vori- 
gen Jahrhunderts  auf  Veranlassung  des  Sir  W.  Jones  zusam- 
mengestellt wurde  und  auch  für  den  Beginn  der  Sanskritstudien 
von  Bedeutung  gewesen  ist5 

Eine  zusammenfassende  Darstellung  des  gesammten  indi- 
schen Rechtes  und  seiner  Geschichte  vom  Standpunkte  der  mo- 
dernen Wissenschaft  fehlt  uns  leider  bis  jetzt.4  Am  Gründ- 
lichsten ist  bisher  das  Erbrecht  behandelt5  Auch  über  die 
Gottesurtheile,  die  im  indischen  Recht  eine  Rolle  spielen,6  über 

Gesetzsammlung;  desgl.  Todaränauda  oder  Todaramalla,  berühmter 
Minister  des  Kaisers  Akbar  (16.  Jabrh/i,  Verfasser  des  Saukshya  {vgl. 
JoÜy,  a.  a.  0.  p.  19). 

*  Vgl.  Näheres  bei  Jolly,  a.  a.  0.  p.  20  flg. 

*  Vgl.  Jolly,  a  a.  0.  p.  24;  Weber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  301. 

*  Jolly,  a.  a.  0.  p.  30;  Weber,  a.  a.  0.  p.  301. 

*  Werthvoll  aus  früherer  Zeit  ist:  Colebrooke,  A  Digest  of  Hindu 
Law  Vol.  I— III,  London  1801.  Vgl.  auch  John  D.  Mayne,  A  Treatise 
on  Hindu  Law  aud  Usage,  Madras  und  London  1378. 

*  Colebrooke,  Two  Treatises  on  the  Hindu  Law  of  Inheritance, 
Calcutta  1810.  —  Aurel  Mayr,  das  indische  Erbrecht,  Wien  1873.  — 
Raymond  West  and  6.  Bühler,  A  Digest  of  the  Hindu  Law  of  Inheri- 
tance and  Partition  cet.  Bombay  1878  (3.  Ed.  1884).  —  Daya-Vibhäga 
The  law  of  inheritance  transl.  from  the  unpubl.  sanskr.  text  of  the  V^a- 
vahara-Kän<fa  of  the  MAdhavtya-  comm.  on  the  Paracara-Smriti,  by  A.  C. 
Burneil,  Madras  1868.  —  Däyadagac, lokl,  sumwary  ot  the  Hindu 
law  of  inheritance  (sanskrit  und  englisch),  ed.  by  Burneil,  Manga- 
lore  1875.  —  Und  endlich  J.  Jolly,  Outlines  of  an  History  of  the  Hindu 
Law  of  Partition,  Inheritance  and  Adoption,  as  contained  in  the  original 
Sanskrit  treatises,  Calcutta  1885.   iTagore  Law  Lectures  —  1883 ) 

*  A.  F.  Stenzler,  Die  indischen  Gottesurtheile,  Ztschr.  d.  D.  M. 
O.  IX,  p.  661  flg.  (1865).  —  Emil  Schlagintweit,  Die  Gottesurtheile 
der  Indier  (Rede  b.  d.  öffentl.  Sitzung  der  Ak.  d.  Wiss"  zu  München), 
München  1866 


m 

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-    7öl  — 

die  rechtliche  Stellung  der  Frauen1  und  einiges  Andre*  be- 
sitzen wir  Monographien;  sehr  viel  aber  bleibt  da  noch  zu 
thun  übrig. 

Eine  Reihe  wichtiger  und  charakteristischer  Bestimmungen 
des  indischen  Rechts  sind  schon  früher  von  uns  bei  der  Schil- 
derung der  allgemeinen  Culturverhältnisse  angeführt  worden.* 
Wir  können  uns  über  diesen  Gegenstand  jetzt  nicht  weiter  ver- 
breiten. 

Recht  und  Rechtswissenschaft  der  Inder  haben  freilich 
keinen  so  hohen  Grad  der  Vollendung  erreicht,  dass  die  euro- 
päische Wissenschaft  von  hier  so  werthvolle  Förderung  erhalten 
könnte  wie  auf  einigen  andern  Gebieten  des  Wissens  (z.  B.  der 
Sprachwissenschaft).  Die  Schüler  der  römischen  Juristen  fühlen 
sich  den  indischen  Rechtslehrern  weit  überlegen.  Aber  für  die 
Kunde  Indiens  ist  das  Studium  der  umfangreichen  und  com- 
plicirten  Rechtswissenschaft  jenes  Landes  von  hervorragender 
Wichtigkeit  Es  ist  von  Wichtigkeit  auch  für  einige  andre 
Lander,  deren  Cultur  von  Indien  aus  beeinflusst  ist,  und  er- 
weist sich  endlich  als  nicht  unfruchtbar  für  die,  freilich  erst 
in  ihren  Anfängen  begriffene,  comparative  Rechtswissenschaft 


1  J.  Jolly,  Ueber  die  rechtliche  Stellung  der  Frauen  bei  den  alten 
Indern  nach  dem  Dharmacastra  (Sitzungsber.  der  phil.  hist.  CL  der  Ak. 
d.  Wiss.  zu  München,  187b,  p.  420—476).  —  Ans  froherer  Zeit:  Kalt- 
hoff, Jus  matrimonii  vet  Ind.    Bonn  1829. 

•  J.  Jolly,  Ueber  das  Ind.  Schuldrecht;  J.  Jolly,  Ueber  die  Syste- 
matik des  ind.  Rechts;  A.  Fahrer,  Die  Lehre  von  den  Schriften  in 
BrihaspatTs  Dharmacastra,  Leipzig  1879  (Diss.). 

•  Vgl.  oben  Vöries.  XXVIII  -  XXX. 


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Fünfzigste  Vorlesung. 


Musik  und  bildende  Kunst  bei  den  Indern. 


Am  Schlüsse  unsrer  Darrstellung  sollen  noch  in  Kürze  und 
mehr  nach  Axt  eines  ergänzenden  Anhangs  die  Leistungen  der 
Inder  auf  dem  Gebiete  der  Musik  und  der  bildenden  Künste 
betrachtet  werden,  welche  auch  in  der  Literatur  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  systematische  Behandlung  erfahren  haben. 

Die  Musik  ist  bei  den  Indern  seit  alter  Zeit  gepflegt  wor- 
den und  jedenfalls  sohr  beliebt  gewesen.  Das  beweisen  uns 
nicht  nur  die  zahlreichen  musikalischen  Instrumente,  die  schon 
im  Veda  erwähnt  werden,  und  der  Umstand,  dass  die  heiligen 
Hymnen  bei  den  Opfern  zum  Theil  gesungen  wurden,  sondern 
auch  die  sonst  in  der  Literatur  begegnenden  zahlreichen  An- 
gaben über  musikalische  Aufführungen  in  den  Städten,  an  den 
Höfen  der  Könige  und  deren  Abbild,  dem  Hofe  des  Götter- 
königs Indra.1  Wir  wissen,  dass  seit  Alters  die  dramatischen 
Aufführungen  mit  Musik  und  Tanz  verbunden  waren,  dass  ein 
lyrisch -dramatisch es  Gedicht,  wie  der  Gitagovinda  des  Jayadeva. 
für  den  Gesang  geschaffen  war;*  wir  kennen  eine  ganze  Menge 
himmlischer  Genien  der  Musik  und  halbgöttliche  Weise  wie 
Narada,  Tumburu  u.  a>  m.,  die  als  berühmte  Lehrer  der  Musik 
gepriesen  werden;  auch  liegen  uns  Beschreibungen  und  Abbil- 
dungen von  Instrumenten  und  eine  Reihe  indischer  musiktheo- 
retischer Werke  vor,  —  aber  trotz  alledem  müssen  wir  bekennen, 
dass  wir  bis  jetzt  nur  eine  recht  mangelhafte  Einsicht  in  das 
WeBen  der  indischen  Musik  besitzen. 


1  So  begegnen  uns  in  Kalidäsa's  Malavikagnimitra  am  Hofe  des 
Königs  zwei  malisirende  Musiklehrer;  wir  sehen  den  Helden  der  Mric- 
chakatika  aus  einem  Concert  heimkehren  und  noch  in  der  Erinnerung 
entzückt  die  Feinheit  der  Tonubergange  des  Sangers  u.  dgl.  m.  preisen; 
der  musikalische  Esel  im  Pancatantra  entwickelt  uns  eine  nicht  ganz 
verächtliche  musiktheoretische  Weisheit  u.  dgl.  m. 

■  8.  W.  Jones,  Musik  der  Indier  p.  41  (deutsche  Uebersetzung^; 
Ambros,  Gesch.  d.  Musik  p.  47. 


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-   763  - 

Es  liegt  dies  theila  an  der  überaus  phantastischen,  ab- 
strusen, ja  wüsten  und  verworrenen  Art,  wie  die  musiktheore- 
tischou  Werke  der  Inder  ihren  Gegenstand  behandeln,  theils 
auch  daran,  dass  musikkundige  Europäer  erst  in  neuerer  Zeit 
die  Musik  der  Inder  kennen  zu  lernen  gesucht  haben  und  uns 
die  Gewahr  dafür  fehlt,*  wie  weit  die  moderne  Musik  daselbst 
der  echten  altindischen  Musik  entspricht,  wie  woit  sin  vielleicht 
von  andern  Völkern,  namentlich  durch  die  Europaer,  beeinflusst 
sein  mag.  Der  ganze  Gegenstand  ist  bisher  noch  keineswegs 
genügond  untersucht  und  es  wäre  wohl  möglich,  dass  gründ- 
lichere Studien  und  Beobachtungen  auf  diesem  Gebiete  uns  mit 
der  Zeit  zu  einem  besseren  und  klareren  Urtheil  verheilen,  als 
wir  es  leider  gegenwärtig  abzugeben  im  Stande  sind. 

Es  ist  bemerkenswerth,  dass  die  Inder  schon  in  gewissen 
Werken,  die  als  Anhang  der  vodischen  Literatur  (als  sogenannte 
Vedftfiga)  gelten  und  zwar  nicht  uralt,  aber  auch  nicht  ganz 
jung  sein  können,  in  der  sogenannten  £iksha  und  im  Chandas 
die  sieben  Töne  der  Octave  unterscheiden  und  ihnen  bestimmte 
Namen  geben.1  Der  Kürze  wegen  werdeu  diese  sieben  Töne 
sodann  mit  den  zum  Theil  etwas  modificirten  Anfangsbuchstaben 
ihrer  Namen  bezeichnet':  sa,  ri,  ga,  ma,  pa,  dha,  ni;  und  diese 
Bezeichnung  scheint,  wie  schon  Bohlen  uud  Benfey  darge- 
legt haben,9  von  Indien  aus  zu  den  Persern  uud  weiter  zu  den 
Arabern  übergegangen  zu  sein,  von  welchen  sie  dann  —  schon 
einigermaassen  umgestaltet  —  durch  Guido  von  Arezzo  im 
elften  Jahrhundert  in  die  europäische  Musiktheorie  eingedrungen 
wäre.  Dem  indischen  sa  ri  ga  ma  pa  dha  ni  steht  bei  den 
Persem  die  Scala  da  re  mi  fa  sa  la  be  gegenüber,  und  daraus 
hätte  sich  das  europäische  ut  re  mi*  fa  sol  la  si  entwickelt4 

Diese  aus  sieben  Tönen  bestehende  Scala  wird  (Jrama6 
oder  Svaragrama  genannt,  und  die  ganzen  Töne  derselben  wer- 
den weiter  in  halbe  und  Vierteltöne  eingetheilt,  worüber  man 
Näheres  bei  Ambros,  Gesch.  der  Musik  I,  p»  50  flg.  einsehen 


1  Vgl.  ^Veber,  Ind.  Lit,  2.  Aufl.,  p.  291.  Hang,  üeber  Wesen 
und  Werth  des  vedischen  Accents,  p.  58.  59. 

1  Es  sind  die  Namen  sha.(Jg&,  riahabha,  gändhara,  madhyama,  pan- 
cama,  dhai?ata,  nishada.   Tgl.  Haug,  a.  a.  0.  p.  59. 

•  Vgl.  Bohlen,  Das  alte  Indien  II,  p.  195  (i.  J.  1830);  Benfey, 
Ersen  nnd  Grubers  Enryklopadie,  vol.  XVII,  p.  299  (Artikel  Indien;  1840) . 

4  Vgl.  auch  Webor,  a.  a.  0.  p.  291. 

•  Die  Guidonlsehe  Bezeichnung  Gamma  für  Tonleiter  geht  aller 
Wanrscheinlichk«  it  nach  auf  das  indische  Grama,  in  einer  volkssprach- 
lichen,  prakritis  ten  Form  Gäma,  zurQck. 

t.  Sehr *4«r,  Iadi«.  Ut.  1.  Cmlt.  48 


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—    754  — 

kann.1  Die  Zahl  der  von  den  Indern  angenommenen  Tonarten 
ist  eine  ausserordentlich  grosse,  aber  es  erleidet  keinen  Zweifel, 
dass  diese  sogenannten  Tonarten  diesen  Namen  gar  nicht  ver- 
dienen, vielmehr  nur  auf  dem  Wege  einer  spitzfindigen  Syste- 
matisirung  gewonnen  sind.  Der  in  der  Melodie  zumeist  berührte 
Ton  wird  als  Grundton,  als  Tonika  -angesehen,  und  wenn  in 
dieser  oder  jener  Melodie  einzelne  Töne  zufallig  nicht  Tor- 
kommen, so  construirt  man  eine  Scala  mit  jenem  meistvorkom- 
menden Tone  als  Grundton  und  mit  Auslassung  jener  nicht 
vorkommenden  Töne  und  kann  auf  solche  Weise  aus  zehn  ver- 
schiedenen Melodien,  die  nach  europäischen  Fegriffen  alle  der- 
selben Tonart  angehören,  zehn  verschiedene  Tbnarten  construi- 
ren.*  Dazu  kommen  dann  noch  verschiedene  andere,  ebenfalls 
mehr  zufällige  Unterscheidungen,  und  so  begreift  es  sich,  dass 
ein  indisches  Werk  wie  der  Ragavibodha  bis  auf  960  Tonarten 
gelangen  kann,  und  wie  die  Inder  sogar  behaupten  mochten, 
zu  Krishna's  Zeit  hätte  es  nicht  weniger  als  16000  Tonarten 
gegeben,  von  denen  eine  jede  durch  eine  der  Nymphen  in  der 
Umgebung  dieses  Gottes  vertreten  wurde,  resp.  in  ihr  personi- 
ficirt  erschienen  sein  soll*  Dass  diese  spitzfindigen  Spekula- 
tionen für  uns  keinen  Werth  haben  und  nicht  dazu  dienen, 
uns  von  dem  Wesen  der  indischen  Musik  eine  deutliche  Vor- 
stellung zu  geben,  liegt  auf  der  Hand. 

Es  wird  nach  Ambros*  Urtheil  eitle  Mühe  bleiben,  in  die 
verwickelte,  phantastische,  mit  ihrem  Stoffe  spielende  Musik- 
^octrin  der  Inder  Zusammenhang  bringen  und  den  Nachweis 
ihrer  Gesetzlichkeit  fuhren  zu  wollen.4  Willkühr  und  Regel- 
losigkeit herrscht  in  der  (Instruction  ihrer  Tonarten  vor,6  und 
die  Ausserach tlassung  des  mathematischen  und  physikalischen 
Theiles  der  Tonlehre  rieht  sich  auf  empfindliche  Weise.6  Aber 
die  Praxis  war  vielleicht  besser  als  die  Theorie,  und  wenn  auch 
die  hindostanische  Musik  nicht  frei  ist  von  „Zügen,,  welche  sie 
als  eine  wildgewachsene  Blüthe  erkennen  lassen'4,  so  „findet 
sich,  in  ihr  doch,  was  der  übrigen  asiatischen  Musik  fast  völlig 
mangelt:  Sinn  fUr  Wohlklang  und  Schönheit"7 


1  Vgl.  auch  Nohl,  Musikgeschichte  p.  13. 
-  S.  Ambro«,  Gesch.  d.  Musik  I,  p.  51.  52. 
31  Ambrot,  a.  a.-0.  p.  62.  42. 
4  Ambros,  a.  a.  0.  p.  61. 

*  Ambros,  a.  a.  0.  p.  52.  Gewöhnlich  werden  3ti  Tonarten  (6  Riga  s 
nnd  30  Raginl's)  angenommen. 

•  Ambros,  a.  a.  0.  p.  52. 

7  Ambros,  a.  a.  0.  p.  61.  7ft. 


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—   755  — 

Von  Harmonie  ist  in  der  indischen  Mußik  keine  Rede, 
die  Melodie  ist  hier  das  einzig  Vorwaltende ,  in  der  Melodie 
besteht  die  ganze  Musik1 

Die  Inder  haben  eine  ganze  Menge  musikalischer  Instru- 
mente, mehrere  Saiteninstrumente,  verschiedene  Blas-  und 
Schlaginstrumente,  wie  Pauken,  Trommeln  u.  dergL  m.'  Unter 
ihnen  allen  will  ich  nur  ein  Instrument  als  besonders  charak- 
teristisch und  beliebt  hervorheben,  das  von  der  ältesten  bis  iL 
die  neueste  Zeit  viel  erwähnt  wird  und  auch  uns  bereits  mehr- 
fach begegnet  ist.  Ich  meine  die  VlnA  oder  die  indische  Laute. 
Dieses  Instrument  besteht  aus  einem  cylindrischen  Rohr,  oft 
einem  Bambusrohr,  von  drei  bis  vier  Fuss  Länge,  auf  dem  eine 
ganze  Reihe  von  Stegen  (ca.  20  und  mehr),  ähnlich  unseren 
Geigenstegen,  angebracht  sind,  von  den  Wirbeln  an  in  abstei- 
gender Höhe.  Die  sieben  Saiten  des  Instrumentes  sind  von 
Metall  und  zwar  fünf  von  Messing,  zwei  von  Stahl.  Die  Re- 
sonanz wird  durch  zwei  hohle  Kürbisse  bewirkt,  die  an  der 
Rückseite  des  Bambusrohres  an  den  beiden  Enden  des  Griff- 
brettes correspondir enden  Stellen  angebracht  sind.  Der  Spielende 
lehnt  die  Vinä  fest  an  die  linke  Schulter,  so  dass  der  eine 
Resonanzkürbis  über  dieselbe  hinaus  ragt,  während  der  andere 
das  rechte  Knie  berührt  und  das  Instrument  also  zu  dem  Kör- 
per des  Spielers  sich  in  schräger  Lage  befindet* 

Als  Verfasser  eines  musikalischen  Lehrbuchs,  des  als  Upa- 


1  Vgl.  Ambros,  a.  a.  0.  p.  74.  Kohl,  Musikgeschichte  p.  15.  £■ 
scheint  mir  ein  glücklicher  Gedanke  von  Nohl,  die  Musik  der  Zigeuner 
in  Ungarn,  die  ja  unzweifelhaft  ein  indischer  Stamm  sind  und  deren 
Musik  wir  gut  kennen,  sur  Erkenntniss  des  Wesens  der  indischen  Musik 
mit  su  verwerthen  (a.  a.  0.  p.  13  flg.).  In  der  That  finden  sich  auf- 
fallende Berührungspunkte.  „Die  Scala  der  Zigeuner  zeigt  die  gleiche 
wunderbare  Beweglichkeit  und  feine  Nuancirung,  die  von  der  indischen 
berichtet  wird  Der  ganze  Nacl  brück  liegt  hier  auf  der  melo- 
dischen Tonlinie,  und  diese  kann  nicht  genug  gebrochen,  geziert,  ver- 
brämt werden;  ein  unsäglich  fein  und  leicht  bewegter  Rhythmus  giebt 
ihr  ununterbrochen  neues  Leben  und  eine  üppige  Fioritur  und  Orna- 
mentik von  oft  kleineren  als  unsem  Halbtonen  den  Schmuck,  der  zu 
dem  blendenden  Glanz  und  seltsamen  Schimmer  jener  erhöhten  Inter- 
valle den  echt  orientalischen  schwelgerisch-üppigen  Verzierungscharakter 
fügt"  (a.  a.  0.  p.  14).  Näheres  darüber  vgl.  bei  Nohl,  a.  a.  0.  p.  13  flg. 

*  Eine  ganze  Reihe  indischer  Instrumente  findet  man  abgebildet 
bei  Sonnerat,  Reite  nach  Ostindien  und  China,  Bd.  I,  p.  86  (2  Tafeln). 
Mehrere  derselben  werden*  von  Ambros  a.  a.  0.  p.  76  flg.  naher  -  be- 
sprochen. 

1  Näheres  bei  AmbroB,  a  a  0.  p.  74—76.  Eine  gute  Abbildung 
der  Ylna  findet  man  bei  Sourindro  Mohun  Tagore,  Hindu  music  from 
various  authors,  part.  I,  Calcutta  1876,  su  p.  193. 

48* 


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—   756  — 

veda  gerechneten  sogenannten  Gandharvaveda,  wird  Bharata 
genannt,  den  wir  schon  als  angeblichen  Begründer  des  Dramas 
kennen,  und  tritt  darin  wieder  die  enge  Beziehung  von  Musik 
und  Drama  bei  den  Indern  hervor.  Von  diesem  Werke  schei- 
nen jedoch  nur  Bruchstücke  zu  ezistiren,  die  in  den  Scholien 
zur  dramatischen  Literatur  citirt  werden.  Neben  ihm  gelten 
noch  Narada,  Icvara,  Pavana,  Kalinatha  oder  Kallinatha,  Soinec,- 
vara,  Abhinavagupta,  Kohala  u.  A.  als  musikalische  Autoren.1 
Au  noch  erhaltenen  Werken,  die  von  Gesang  und  Musik  han- 
deln, liesse  sich  eine  ganze  Reihe  aufführen,  ohne  dass  wir  ihre 
Entstehungszeit  näher  zu  fixiren  im  Stande  wären;  so  Samgita- 
darpana,  Samgltakäumudi,  Samgltadamodara,  Samgitanarayana, 
Samgitaratnamala,  Samgltaratnäkara  (von  Qarfigadeva),  Samgita- 
castra,  Samgitas&ra,  Samgitarnava,  Ragavibodha,  Ragamälä  u.  a.  m. 

Unter  den  neueren  indischen  Schriftstellern  über  Musik  hat 
sich  durch  eine  ganze  Serie  von  Werken  Sourindro  Mohun 
Tagore  hervorgethan. 

Von  Europäern  war  es  zuerst  W.  Jones,  der  uns  einige, 
wenn  auch  riemlich  unvollkommene,  Aufschlüsse  über  die  Musik 
der  Inder  gegeben* *  Dies  und  was  spät  r  hinzugekommen  hat 
Ambroß  in  seiner  Geschichte  der  Musik  erarbeitet,  deren 
I.  Band  p.  41—80  von  der  indischen  Musik  handelt3 


Unter  den  bi  den  den  Künsten  scheint  die  Malerei  bei 
den  Indern  nur  einen  geringen  Grad  von  Ausbildung  rlangt 
zu  haben.  Es  werden  zwar  in  den  Dramen  oft  Porträts,  bis- 
weilen auch  mit  landschaftlicher  Staffage,4  erwähnt,  und  wird 
deren  überraschende  Aehnlichkeit  mit  ihren  Urbildern  geprie- 
sen,6 aber  ich  glaube  nicht,  dass  wir  viel  darauf  geben  können. 
Schon  dass  es  immer  gerade  die  Liebenden  sind,  welche  von 
dem  Gegenstand  ihrer  Neigung,  oft  mit  unglaublicher  Geschwin- 
digkeit, die  betreffenden  Bilder  entwerfen  —  ein  beliebtes  dra- 
matisches Motiv  —  macht  das  Misstrauen  rege,  und  wir  werden 
das  Beste  an  diesen  Bildern  wohl  der  Phantasie  des  Dichters 
zuschreiben  dürfen.   Im  Uebrigen  liegt  uns  nicht  gerade  viel 


1  Vgl.  Weber,     a.  0.  p.  291. 

a  William  Jones,  Ueber  die  Musik  der  Indier,  aus  dem  Eng- 
lischen übersetzt  mit  erläuternden  Anmerkungen  und  ZusaUen  von  F.  H. 
v.  Dalberg,  Erfurt  1802. 

■  Ambros,  Geschichte  der  Musik,  Bd.  I.   Breslau  1862. 

4  Vgl.  flakuntala,  Akt  VI. 

5  So  in  der  gakuntala,  Ratnarall,  Malattmadhava  o.  a. 

■ 


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—    757  — 

Material  vor,  um  uns  ein  Urtheil  über  die  indische  Malerei 
ru  bilden. 

Von  hervorragendem  Interesse  sind  die  Freskomalereien, 
welche  in  verschiedenen  Felsen tempeln,  so  amentlich  in  den 
Grotten  von  Ajunta,  erhalten  sind,  wo  wir  ausser  Bildern  des 
Buddha  und  der  Heiligen  namentlich  Episoden  aus  der  Buddha- 
Legende  und  den  Jatakas,  Scenen  aus  dem  Leben  der  Inder» 
festliche  Aufzüge,  Jagden,  Kämpfe  n.  a.  m.  zum  Theü  sehr  leb- 
haft und  gut  dargestellt  finden.  Dieselben  wurden  zuerst  von 
Lieutenant  J.  £.  Alezander  beschrieben;1  dann  wusste  Fer- 
gusson  in  seiner  Schrift  The  Rock-cut  Temples  of  India  (1843) 
ein  lebhaftes  Interesse  für  dieselben  zu  wecken.  Major  Gill 
fertigte  sorgfältige  Copieen  dieser  Bilder  an,  die  aber  leider  in 
London  im  Jahre  1866  beim  Brande  des  Krystallpalastes  ver- 
nichtet sind.  Griffith  hat  im  Jahre  1873  neue  Copieen  dieser 
Bilder  angefertigt,  und  sind  dieselben  neuerdings  von  Burgesa 
eingehend  besprochen.8  Die  Mehrzahl  derselben  dürfte  dem 
fünften  bis  siebenten  Jahrhundert  nach  Chr.  entstammen,  doch 
sind  manche  auch  älter  und  reichen  vielleicht  bis  in  das  zweite 
Jahrhundert  nach  Chr.  zurück. 

Einen  relativen  Grad  von 
geübte  Miniaturmalerei  erreicht  zu  haben,  aber  wenn  sich  auch 
manches  hübsche  und  lobenswerthe  Product  derart  vorfindet,  so 
scheint  doch  wirkliche  Kunst  im  höheren  Sinne  des  Wortes  kaum 
vorzuliegen  und  im  Ganzen  für  diesen  Zweig  der  indischen 
Malerei  der  Name  des  Kunsthandwerks  noch  besser  zu  passen.8 

Weit  bedeutender  sind  die  Leistungen  auf  dem  Gebiete  der 
Plastik,  wenngleich  die  Inder  auch  hier  von  dem  Ideal  voll- 
endeter Schönheit  noch  recht  weit  entfernt  bleiben.  Die  Kör- 
performen der  Bildwerke  sind  meist  nicht  unschön;  sie  ver- 
rat ben  mehr  Kunstsinn,  sie  tragen  mehr  Naturwahrheit  und 
Leben  in  sich,  als  dies  bei  den  Erzeugnissen  der  meisten  orien- 
talischen Völker  der  Fall  ist    Aber  denjenigen  plastischen 


1  Transactions  of  the  Roy.  Ab.  8oc.  1829. 

•  8.  Burgess,  Notes  on  the  Bauddha  Rock-Temples  of  Ajanta, 
their  Paintin«  and  Sculptures  (Bombay  1879;  Archaeol.  Survey  of  Western 
India).  Daselbst  findet  man  eine  ganze  Reihe  yon  Abbildungen  gegeben. 
Vgl.  anch  Indian  Antiquary  III,  p.  27;  Journ.  R.  Ab  8oc.  1879,  p.  lfc'O. 

*  So  artheilt  Schnaase,  Geschichte  der  bildenden  Künste,  2.  Aufl. 
I,  p.  143.  Ganz  hübsch  und  cart  sind  manche  der  zahlreichen  kleinen 
Bilder,  welche  W.  Jones  in  seinem  Buche  über  die  Musik  der  Inder 
mittheilt  und  welche  namentlich  Scenen  aus  Krishna's  Leben  und  spe- 
ciell  jene  Hirtinnen  darstellen,  deren  Liebe  der  Gott  sich  erfreute  und 
die  zugleich  als  Personifikationen  der  verschiedenen  Tonarten  gelten. 


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Schöpfungen  der  Inder,  bei  welchen  fremder  Eintfuss  ausge- 
schlossen erscheint»  ist  in  der  Regel  ein  Zug  von  Weichlichkeit 
und  U eppigkeit  eigen,  der  die  wahre,  von  harmonischer  Kraft 
durchdrungene  Schönheit  nicht  aufkommen  lasst  Die  Bild- 
werke sind  grossen  theils  bekleidet;  bei  den  nackten  aber  stösst 
uns  das  übermässige  Hervortreten  der  Fleischtheile,  der  Mangel 
deutlicher,  gedrungener  Structur  ab.  Die  ungeheuren  Brüste 
und  Hüften  der  weiblichen  Bilder  wirken  oft  geradezu  ekelhaft, 
und  die  männlichen  Gestalten  nähern  sich  in  dem  Typus  der 
Weichlichkeit  nicht  selten  sehr  den  weiblichen.  Knochenbau 
und  Muskulatur  ist  wenig  erkennbar,  üppige  Fleischmassen  wal- 
ten vor,  und  man  begreift,  dass  bei  solcher  Behandlung  nament- 
lich die  Kolossalbilder  der  Götter  in  den  Felsentempeln  einen 
unerfreulichen  Eindruck  machen.  Sinnlichkeit,  verbunden  mit 
einer  gewissen  Schlaffheit,  ist  charakteristisch,  und  der  Eindruck 
der  Schwere  und  Müdigkeit  wird  durch  das  nicht  selten  ge- 
schlossene Auge  gesteigert.  Sehr  unschön  ist  die  an  vielen 
Götterbildern  erscheinende  Vermehrung  der  Gliedmaassen,  welche 
von  Schnaase  wohl  mit  Recht  „unter  allen  phantastischen  Ver- 
änderungen der  menschlichen  Gestalt  die  hässlichste"  genannt 
wird.1  Vier  Köpfe  bei  Brahma,  vier,  ja  acht  Hände  bei  Brahma, 
Vishnu,  Qiva  und  andern  Göttern,  sechs  Köpfe  uud  zwölf  Anne 
bei  Karttikeya,  ja  sogar  10  Köpfe  und  20  Arme  bei  dem  Rie- 
Ben  Ravana  können  in  bildlicher  Darstellung  auf  uns  nicht 
anders  als  sehr  übel  wirken.  Die  menschliche  Gestalt  wird 
dabei  auf  die  unnatürlichste  Weise  entstellt  und  verzerrt.  Da- 
bei aber  ist  die  Bildung  des  Gesichtes  und  der  einzelnen  Kör- 
pertheile  nicht  selten  ganz  vortrefflich,  ja  geradezu  schön,  und 
die  Wirkung  derjenigen  Bilder,  bei  welchen  jene  Unnatur  ver- 
mieden ist,  daher  oft  eine  recht  günstige.  Weniger  störend 
schon  als  die  Gliedervermehrung  ist  die  ebenfalls  nicht  seltene 
Anbringung  thierischer  KÖrpertheile  bei  den  Göttergestalten, 
aber  auch  hier  haben  die  Inder  sich  nicht  von  dem  rechten 
Sinn  für  Maass  und  Schönheit  leiten  lassen.  Sie  begnügen  sich 
nicht  damit,  die  weniger  edlen  Theile  des  menschlichen  Körpers 
durch  thierische  zu  ersetzen,  sondern  geben  den  Göttern  häufig 
Thier  köpfe,  die  natürlich  die  Wirkung  des  Ganzen  zerstören. 
Ein  Vishnu,  dessen  untere  Partie  in  einen  Fischleib  ausläuft, 
lässt  sich  ganz  gut  ertragen,  aber  ein  Vishnu  mit  Eber-  oder 
Pferdekopf  ist  nichts  als  ein  Unthier,  und  besonders  widerwär- 
tig erscheint  Ganeca  mit  dem  Elephantenkopf. 


1  a.  a.  0.  p.  182. 


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759 


Von  einer  Geschichte  der  indischen  Plastik  läset  sich 
bislang  kaum  reden.  Ob  eine  solche  möglich  ist,  werden  nur 
vertieftere  Forschungen  auf  diesem  Gebiete  lehren  können.  Wir 
wissen  nicht,  wie  weit  die  Bildnerei  der  Inder  zurückreicht, 
mehrere  Jahrhunderte  Tor  Chr.  muss  sie  aber  jedenfalls  schon 
geübt  worden  sein.  Das  Aolteste,  was  uns  erhalten  ist,  scheinen 
die  Löwen  auf  den  Säulen  des  Acoka  (250  tot.  Chr.)  zu  sein,1 
und  ungefähr  derselben  Zeit  entstammen  die  alterthümlicheu 
und  sehr  wichtigen  Reliefs  der  Steinumzäunungen  von  Buddha- 
Gaya  und  Bharhut,*  an  welche  sich  weiter  die  nach  Fer- 
gus8on  in  das  erste  Jahrhundert  nach  Chr.  gehörigen3  be- 
rühmten Reliefs  auf  den  Portalen  des  grossen  Tope  von  San c Iii 
schliessen,  —  alles  Denkmäler  buddhistischer  Kunst  Der  Tope 
oder  Reliquieuthurm  in  Sanchi,  im  Staate  Dhopal  in  Centrai- 
indien gelegen,  ist  in  einiger  Entfernung  von  einem  Zaune  aus 
Steinbalken  umgeben,  mit  vier  hohen  Thorwegen,  nach  den  vier 
Himmelsgegenden  hin.  Diese  Thorwege,  von  denen  zwei  ein- 
gestürzt sind,  zwei  (der  nördliche  und  der  östliche)  noch  stehen, 
sind  sehr  reich  mit  Steinskulpturen  bedeckt  Wir  finden  hier 
nicht  bloss  einzelne  Gestalton,  sondern  ganze  Scenen  jind  Be- 
gebenheiten, insbesondere  Erzählungen  von  Buddha  in  seinen 
verschiedenen  Existenzen,  voll  Leben  und  Bewegung  dargestellt; 
ao  unter  Andrem  die  berühmte  Geschichte  von  dem  Königs- 
sohn Vessantara  in  ihren  verschiedenen  Stadien  u.  dergl.  m.; 
wir  sehen  Kämpfe,  Belagerungen,  Processionen,  zahlreiche  Scenen 
von  Verehrung  des  heiligen  Baumes,  Rades  u.  a.  m.,  Scenen  aus 
dem  Leben  der  Inder  u.  s,  w.4    In  künstlerischer  Beziehung 


1  Brahmanische  Götterbilder  bat  es  wahrscheinlich  schon  früher 
gegeben  (TgL  oben  p.  880),  doch  ist  uns  nichta  erhalten,  was  wir  so  hoch 
hinauf  setzen  könnten  und  bleibt  es  ganz  fraglich,  welchen  KunstwertL 
jene  alten  Idole  hatten. 

*  Nach  Fergnsson  250  und  200  vor  Chr.;  vgl.  seine  History  of 
Indian  and  Eaatern  Architocture,  London  1876,  p.  34.  86.  Abbildungen 
ebenda  p.  86.  88.  90.  Eino  ganze  Reihe  interessanter  Abbildungen  der 
Reliefs  von  Bnddha-Gaya  findet  man  in  Cunningham's  Report  I  (pl. 
VIII— XI)  und  III  (pL  XXVI— XXX). 

■  8.  FerguBson,  a.  a.  0.  p.  34.  92  flg.;  sowie  desselben  Tree  and 
Serpent  Worship 

*  Eine  Beschreibung  des  Tope  von  Sanchi  mit  zahlreichen  schönen 
Abbildungen  der  Portale  und  ihrer  Skulpturen  findet  man  bei  J.  Fer- 
gusion.  Tree  and  Serpent  Worship,  or  Illustration»  of  Mythology  and 
Art  In  India  in  the  first  and  fourth  Centuries  after  Christ,  from  the 
Sculptures  of  the  Buddhist  Topes  at  Sanchi  and  Amravati,  London  1868. 
VgL  auch  Fergusson,  Hlst  of  Ind.  and  East.  Arch.  p.  92  flg.  .ßchlag- 
intweit,  Indien  II,  p.  128.  124. 


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-    760  - 

besonders  bedeutend  sind  endlich  nach  Fergusson's  Urtheil 
die  Skulpturen  auf  der  Umzäunung  des  (selbst  nicht  mehr  vor- 
handenen) Tope  von  Amravati  am  Ufer  des  Kistnah,  60  Mei- 
len von  seiner  Mündung,  dem  vierten  und  fünften  Jahrhundert 
nach  Chr.  entstammend.1 

Die  buddhistische  Kunst,  die  weiter  noch  /ahlreiche  grosse 
Skulpturen  in  verschiedenen  Felsen tempeln,  unzählige  Buddha- 
bilder u.  a.  m.  geschaffen  hat,  hält  sich  verbältnissmässig  mehr 
an  die  Natur  und  ist  freier  von  den  oben  gerügten  Fehlern 
und  Ausschreitungen  der  indischen  Plastik,  insbesondere  hat 
sie  die  Gliedervertnehrung  und  die  Zusammensetzung  mit  Thier- 
köpfen nicht  nöthig,  da  ihr  ja  eine  eigentliche  Mythologie  ganz 
fehlt  und  Alles  mehr  auf  das  Historische  gerichtet  ist  Dahin- 
gegen wuchern  die  erwähnten  Fehler  in  üppiger  Fülle  in  den 
Bildwerken  brahmanischen  Ursprungs,  welche  eine  oft  sehr  un- 
schöne, wüst-phan tastische  Mythologie  plastisch  wiederspiegeln.* 

Während  der  Brahmanismus,  durchaus  beschränkt  national- 
indisch,  starr  und  fest  in  dem  Banne  altererbter  einheimischer 
Vorstellungen  und  Vorurtheile,  alles  Fremdländische  mit  Miss- 
trauen betrachtete,  war  der  Buddhismus  freier,  grösser  und 
mehr  allgemein  menschlich  angelegt,  und  man  begreift,  dass  er, 
»ler  darauf  ausging,  auch  mit  den  ausserindischen  Völkern  sich 
/u  amalgamiren,  es  nicht  verschmähte,  gelegentlich  auch  von 
dem  Auslande  zu  lernen.  Dies  hat  auf  dem  Gebiete  der  Pla- 
stik, wie  auch  in  der  Architektur,  offenbar  stattgefunden.  Der 
Buddhismus,  dem  gerade  in  seiner  Blütheperiode  im  Mutter- 
lande, in  den  ersten  Jahrhunderten  vor  Chr.,  die  griechische 
Culturwelt  durch  Alexander  d.  Gr.  und  seine  Nachfolger,  die 
griechisch-baktrischen  und  griechisch-indischen  Herrscher,  ganz 
nahe  gerückt  war,  ist  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  offenbar  in 
jener  Zeit  durch  die  Griechen  beeinflusst  worden.  Damals  ist 
jener  Styl  ins  Leben  gerufen  worden,  der  nicht  unrichtig  der 

1  Vgl.  Fergusson,  Hist.  of  Indian  and  East  Aich.  p.  99  flg.  und 
namentlich  desselben  Tree  and  Serpent  Worship,  wo  sahireiche  Ab- 
bildungen der  Skulpturen  von  Amravati  gegeben  sind. 

-  Hrahmanische  Götterbilder,  die  die  obigen  Behauptungen  erhärten 
können,  findet  man  in  reicher  Zahl  in  dem  schönen  Werke  von  E.  Moor, 
The  Hindu  Pantheon,  London  1810;  ferner  in  ßonnerat's  Reise  nach 
Ostindien  und  China,  Bd.  I;  bei  Chabrelie,  L'Inde  Francaise,  avec  un 
texte  explicatif  par  M.  E.  Bnrnouf,  Paris  1827  (2  Bande);  In  den 
Tafeln  zu  Darstellung  der  brahmanisch- indischen  Götterlehre,  nach 
dem  lateinischen  Werke  des  Vaters  Paul  Unna  a  St.  Bartholom  eo, 
Gotha  1797t;  in  verschiedenen  Reisebeschreibungen  und  Werken,  welche 
die  Architektur  behandeln  (vgl.  weiter  unten). 


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-   761  - 

gräco- buddhistische  genannt  wird,1  und  dieser  Einfluss 
griechischer  Kunst  dauerte  auch  noch  weiter  fort,  als  indosky- 
thische  Herrscher  buddhistischen  Glaubens  an  die  Stelle  grie- 
chischer Herrscher  getreten  waren. 

Man  war  früher  fast  mir  auf  Münzen*  griechischen  Kunst- 
typen im  indischen  Lande  begegnet,  so  dem  schreitenden  Zeus 
mit  Blitz  und  Aegis,  der  Athena  Promachos,  dem  Helios  u.  a. 
Neuere  Ausgrabungen  haben  aber  (namentlich  seit  1870)  den 
Beweis  geliefert,  dass  der  Einfluss  griechischer  Kunst  sich  viel 
weiter  erstreckte,  viel  tiefer  griff,  und  namentlich  sind  —  ausser 
dem  Pen j ab  —  MathurA  an  der  Yamunä  und  das  berühmte 
Buddha-Gaya,  65  Meilen  südlich  von  Patna  (d.  i.  Pätaliputra) 
ergiebige  Fundstätten  dieser  griechisch -indischen  Kunst  ge- 
wesen, welche  demnach  im  Gangeslande  ganz  heimisch  gewesen 
sein  muss.8  Ausser  der  später  zu  erwähnenden  Ornamentik  in 
der  Architektur  sind  es  namentlich  zahlreiche  Buddhabilder, 
welche  die  Einwirkung  hellenischer  Kunst  deutlich  verrathen. 
Buddha  erscheint  mit  untergeschlagenen  Beinen  sitzend  oder 
thronend,  stehend,  mit  eingestemmtem  linken  Arm,  lehrend, 
wandernd,  Wunder  thuend  u.  dergl.  m.  Er  begegnet  uns  — 
im  Gegensatz  zu  den  nackten  indischen  Buddhabildern  —  stehend 
und  sitzend  in  faltenreicher  griechischer  Gewandung,4  würde- 
voll und  mit  gutem  Ausdruck,  kräftiger  und  wohlgebildeter 
Muskulatur.  Klassischen  Einfluss  verrathen  nach  Fergusson 
auch  die  schönen  Skulpturen  des  Tope  von  AmravatL6  Grie- 
chische Vorbilder  müssen  auch  verschiedene  Gestalten  des  dio- 


1  Vgl.  darüber  E.  Curtius,  die  griechische  Kunst  in  Indien  (Ar- 
chäologische Zeitung  f.  1875,  p.  90—95). 

1  Man  vgl.  für  dieselben  namentlich  A.  v.  Sallet's  Aufsatze  in  der 
Zeitschrift  für  Numismatik  (Bd.  VI  flg.)  und  die  lugehörigen  trefflichen 
Tafeln. 

1  8.  Curtius,  a.  a.  0.  p.  91. 

*  8.  Curtius,  a.  a.  0.  p.  93  und  Tafel  11  No.  3  und  2. 

*  Hiuen  Thsang,  der  im  Jahre  639  den  Tope  von  Amraratl  be- 
suchte, spricht  mit  besonderer  Begeisterung  von  der  Schönheit  und 
Herrlichkeit  dieses  Denkmals.  Unter  Andrem  sagt  er:  „Es  war  ce- 
schmückt  mit  aller  Pracht  der  Palaste  von  Baktrien.u  Dies  erschien 
zuerst  auffällig.  ,.Now,  however,  that  we  know  what  the  native  art  of 
India  was  from  the  sculptures  at  Bharhut  and  Sanchi,  and  as  we  also 
know  nearly  what  the  art  oi  Bactria  was  from  those  recently  dug  up 
uear  Peschawur,  especially  at  Jamalgiri ,  we  see  at  once  that  it  was  by 
a  marriage  of  these  two  arts  that  the  Amravati  school  of  sculpture  was 
produced,  but  with  a  stronger  classical  influence  than  anything  of  ita 
kind  found  elsewhere  in  India."  (Fergusson,  Hist  of  Ind.  a.  E.  Arch. 
p.  103.) 


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nysischen  Kreises  gehabt  haben,  die  uns  bisweilen  in  ganz 
oder  halb  indischer  Umgebung  begegnen.  Dahin  gehörte  der 
schon  1836  in  Mathura  entdeckte,  von  Prinsep  besprochene 
sogenannte  Silenus  im  Museum  zu  Calcutta,  ein  trinkender  Alter 
auf  einem  Steinsitz,  von  einer  weibliehen  und  einer  männlichen 
Figur  unterstützt,  die  letztere  deutlich  in  griechischem  Mantel. 
Es  haben  sich  dazu  noch  mehrere  Parallolbildungen  gefunden, 
doch  scheint  der  Zweck,  dem  sie  in  Indien  dienten,  mir  noch 
nicht  recht  klar  zu  sein.1 

Auch  die  brahmanische  Kunst  hat  sich  damals  hellenischem 
Einfluss  vielleicht  nicht  ganz  entziehen  können.  Dafür  spricht 
das  Bild  des  Sonnengottes  Surya  in  Taxila  (Takshacila),  ein 
griechischer  Helios  mit  vier  Pferden,  unter  indischem  Doppel- 
schirm, nebst  noch  einigem  anderen  indischen  Beiwerk;*  doch 
liegt  freilich  Taxila  im  Penjab  ausserhalb  des  strengbrahma- 
nischen  Gebietes.  Dafür  scheint  ferner  die  weit  mehr  griechi- 
sche als  indische  kräftige  und  harmonische  Körper-  und  Muskel- 
bilduug  des  zum  civaitischoa  Kreise  gehörigen  Riesen  Vlra- 
Bhadra  in  Ellora  zu  sprechen  (Relief  des  Felsentempels),  der 
andrerseits- durch  seine  acht  Arme  deutlich  zu  erkennen  giebt, 
dass  die  Kunst  der  Brahmanen  sich  dem  griechischen  Schön- 
heitssinne wirklich  zu  unterwerfen  doch  nicht  geneigt  war.* 

Der  griechische  Einfluss  mag  etwa  vom  dritten  Jahrhundert 
vor  Chr.  bis  mehrere  Jahrhunderte  nach  Chr.  gewährt  haben, 
wurde  aber  offenbar  späterhin  von  der  national-indischen  Kunst 
durchaus  verleugnet  und  abgethan,  ein  Process,  bei  welchem 
der  immer  deutlicher  hervortretende,  endlich  ganz  entschiedene 
Sieg  des  nationalen  Brahmanenthums  über  den  Buddhismus 
wahrscheinlich  nicht  unwesentlich  mitspielte.  Dem  verstockten 
Inderthum  war  auch  die  griechische  Plastik  auf  die  Dauer  zu 
helfen  nicht  im  Stande. 

Eine  wirklich  fachmännische  Bearbeitung  des  grossen,  in 
Indien  gebotenen  archäologischen  Materials  wäre  jetzt  wohl 
sehr  an  der  Zeit,  und  wenn  die  indische  Kunst  als  solche 


1  Den  erwähnten  „Silenus"  und  mehrere  verwandte  Bildungen  findet 
mau  abgebildet  im  Journal  of  the  As.  Soc.  of  Bengal,  New  Serie*  Vol. 
XLJV,  Part.  I  No.  III,  Calcutta  1875,  Taf.  XIII  und  XII.  Orowta,  der 
die  Sachen  daselbst  p.  212  flg.  bespricht,  ist  wohl  mit  Unrecht  gegen 
den  griechischen  Einfluss. 

*  VfL  Curtius,  a.  a.  0.  p.  92. 

*  Eine  Abbildung  dieser  eigentümlichen  halb  griechischen,  halb 
indischen  Gestalt  findet  man  nach  J.  Tod,  Transactions  of  the  R.  As. 

Soc  II,  328  fl.  gegeben  bei  Schnaase.  a.  a.  0.  p.  132. 


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—    703  - 

vielleicht  nicht  im  Stande  ist,  genügende  Anziehungskraft  zu 
üben,  so  wäre  es  doch  vielleicht  eine  nicht  uninteressante  Auf- 
für  einen  klassisch  gebildeten  Archäologen,  der  Geschichte 
riechischen  Kunsteinflusses  in  Indien  weiter  nachzuspüren. 


Am  Eigenartigsten  und  Bedeutendsten  sind  ohne  Zweifel 
die  Leistungen  der  Inder  auf  dem  Gebiete  der  Baukunst1 
Dieselben  bestehen  ganz  vorwiegend  in  Bauten  religiösen  Cha- 
rakters und  zerfallen  ihrem  Ursprung  nach  in  buddhistische 
und  brahmanische  Schöpfungen.  Die  buddhibtisohen  Bauten 
sind  im  Allgemeinen  alter  als  die  brah manischen  und  zeichnen 
sich  durch  grössere  Einfachheit  und  Strenge  des  Styles  aus; 
die  brahmanischen  dagegen  zeigen  grösseren  Reichthum  in 
der  Decoration,  arten  aber  nach  dieser  Seite  auch  förmlich  aus 
und  verfallen  in's  Ueppige,  Ueberladone  und  bizarr  Phanta- 
stische. Danebon  stehen  als  eine  dritte,  weniger  umfangreiche 
Gruppe  die  Bauten  der  Jaina's,  die  einen  besonderen  Styl  re- 
prasentiren. 

Die  Denkmäler  indischer  Baukunst  reichen  nicht  in  hohes 
Alterthum  zurück.  Das  Aelteste,  was  wir  mit  Sicherheit  da- 
tiren  können,  sind  die  schon  früher  erwähnten,  mit  Inschriften 
versehenen  Säulen  des  Königs  A$oka  (250  vor  Chr.),  die  so- 
genannten Gesetzessäulen  oder  Löwcnsäulen,2  welche  dieser  be- 
rühmte Herrscher  an  verschiedenen  Orten  seines  weiten  Reiches 
zur  Ehre  Buddbas  und  des  guten  Gesetzes  errichten  Hess.  Es 
finden  sich  solche  Säulen,  mehr  oder  weniger  gut  erhalten,  in 
Delhi,  in  Allahabad,  zu  Sankissa  (im  Duab  zwischen  Mattra 
und  Kanoj),  bei  Bakhra  nicht  weit  von  Patna,  und  zwei  der- 
selben bei  Bettiah  in  Tirhoot,  nordwestlich  wiederum  von  Patna. 


1  Ueber  diesen  Gegenstand  im  Allgemeinen  ist  vor  allen  Dingen 
su  vergleichen  das  vortreffliche  Werk  von  James  Fergusson,  History 
of  Tndian  and  Eastern  Architecture,  London  1876.  Ferner  von  Demselben: 
Handbook  of  Architecture,  Vol.  I  London  1866;  History  of  Architecture 
in  all  Countries,  2  ed.  1867;  L.  Langlös,  Monuments  anciens  et  mo- 
dernes de  l'Hindoustan,  2  voll.  Paris  1821;  F.  Kugler,  Geschichte  der 
Baukunst,  Stuttgart  1869,  Bd.  I,  p.  442—486;  W.  Lübke,  Geschichte 
der  Architektur,  8.Aufl,  Leipsig  1866,  p.  72—92;  282—285;  Schnaasc, 
a.  a.  0.  p.  81 — 127;  Rara  Rar  (Native  ludge  and  Magistrate  of  Bauga- 
lore),  Essai  on  the  Architecture  of  the  Hindus,  vrith  Plates,  London  1834- 
Alex.  Cunningham,  Reports  of  the  Archaeological  Survey  of  India. 
8imla  and  Calcutta  1871  flg.  (bereits  22  Bande,  mit  reichem  Inhalt); 
Burges«,  Archaeological  Survey  of  Western  India;  Burgess.  Arch. 
Survey  of  Southern  India. 

'  dharmastaxnbha  oder  simhastambha. 


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-    764  — 

Aus  rothem  Sandstein  gemeisselt  heben,  sie  sich  schlank,  etwa 
40  Fuss  hoch,  empor  und  trugen  zum  grössten  Theil  ursprüng- 
lich oben  das  BÜd  eines  sitzenden  Löwen,  das  Symbol  des 
„Löwen  aus  dem  Stamme  der  Qakya",  welches  meist  verloren, 
mehrfacli  aber  auch  noch  ganz  wohl  erhalten  ist.1  Das  Capitäl 
hat  die  Form  eines  umgestürzten  Kelches;  auf  dem  Saulenhals 
findet  man  theils  eine  Reihe  heiliger  Vögel,  theils  das  Ornament 
eines  Perlenstabes,  mit  Palmetten  und  Lotosblumen  darüber, 
auffallend  an  westliche,  resp.  griechische  und  persische  Motive 
erinnernd.*  Ueberhaupt  ist  die  Ornamentik  der  indischen  Archi- 
tektur ohne  Frage  von  Westen  her,  und  speciell  durch  die 
Griechen  mit  beeinflußt,  während  che  Anlage  der  Bauten  im 
Grossen  und  Ganzen  ein  durchaus  eigentümliches,  national- 
indisches  Gepräge  trägt.3 

Aus  derselben  Zeit  wie  die  Säulen  des  Acoka  stammen 
wohl  auch  die  ältesten  unter  den  sogenannten  St  dpa 's  oder 
Tope's,  den  Reliquien-  und  Gedächtnissthürmen  der  Buddbi- 
sten. Es  sind  dies  auf  einer  runden  Basis  ruhende,  halbkugel-, 
kuppel-  oder  glockenförmige,  meist  ziemlich  schwere  und  mas- 
sige Bauten,  welche  theils  in  vielfacher  Ummantelung  wohl- 
verwahrt irgendwelche  Reliquien  von  Buddha,  seinen  Jüngern 
oder  sonstigen  buddhistischen  Heiligen  bergen,  theils  auch  nur 
zur  Auszeichnung  besonders  heiliger  Stätten  erbaut  sind.  Solch 
ein  Bau,  ursprünglich  wohl  ein  Tumulus,  stellt  nach  Ansicht 
der  Buddhisten  in  seiner  Form  eine  Wasserblase  dar,  das  Sinn- 
bild der  Vergänglichkeit  Er  ist  bekrönt  von  dem  Sonnenschirm, 


1  S.  Fergusson,  Hist.  of  Indian  and  East.  Aren.  p.  54.  Die  ßaule 
von  Saukissa  trägt  einen  Elephanten;  s.  ebenda,  und  Cunningham, 
Report  I,  Tafel  XLVI.  Abbildungen  der  Säulen  des  Acoka  findet  man 
bei  Fergusson,  a.  a.  0.  p.  53  flg.;  im  Journal  of  the  As.  Soc  of 
Bengal  III  pl.  III  u.  pl.  XXVII;  IV  pl.  VII  u.  IX;  Vpl.  XXXI;  Cun- 
ningbam,  Report  Vol.  I,  Tafel  XXII.  XXV;  Vol.  XVI,  Tafel  XX  VII, 
XXVIII;  s.  auch  Lübke,  a.  a.  0.  p.  74;  Schnaase,  a.  a.  0.  p.  105. 

«  Vgl.  Ferguuson,  Hist.  of  I.  a.  E.  A.  p.  58  flg.;  F.  Kugler, 
a.  a.  O.p.  447.  448;  Schnaase,  a.  a.  0.  p.  106. 

3  E.  Curtius  hebt  a.  a.  0.  ^  Archaol  Zeit.,  N.  Folge,  Jahrg.  1875, 
p.  Ol)  hervor,  der  Tempel  der  Griechen  habe  als  Ganzes  bei  den  Indern 
keinen  Eingang  gefunden,  „aber  im  Einzelnen  hat  sich  die  Ornamentik 
der  griechischen  Kunst  in  reichstem  Maasse  ausgebreitet:  cannellirte 
Pfeiler,  Astragalen,  Honetten,  Kragsteine,  Zahnschnitt  und  Akanthusblatt 
finden  sich  aller  Orten.  Las  letztere  ist  mit  Vorliebe  angewendet;  wir 
finden  Buddhaköpfe  in  Akanthuscapitalen  angebracht"  Abbildungen 
von  Capitalen  der  sogenannten  indokorinthischen  Säulen  von  Jamalgiri 
(Jamal-Garhi».  die  eine  interessante  Mischung  griechischer  und  indischer 
Motive  zeigen  {Akanthusblatter.  darüber  sehr  wohlgebildete  Elephanten 
u.  dgl.  m.},  findet  man  bei  Cunningham,  Report  V  (1875)  pl.  XLVm— L. 


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—    765  — 

dem  indischen  Zeichen  der  Herrschaft,1  und  in  einiger  Entfer- 
nung von  öiner  Umzäunung  oder  von  Säulenreihen  eingcfasst. 

Man  findet  solche  Stüpa's  oder  Tope's  in  verschiedenen 
Gegenden  Indiens,  mehrfach  in  grösseren  Gruppen  beisammen. 
So  z.  B.  in  der  Nähe  der  Stadt  Bhilsa,  des  alten  Bi<jic&  oder 
VidicA,  in  Centraiindien  im  Staate  Bhopal,  in  dessen  Umgebung 
man  ca.  30  Tope's  gefunden  hat.8  Der  berühmteste  darunter 
ist  der  grosse  Tope  von  Sanchi,  dessen  wir  oben  bereits  wegen 
der  reichen  Skulpturen  an  den  Portalen  der  Steinumzäunung 
Erwähnung  gethan  haben.8  Ein  anderer  barg  die  Reliquien 
der  beiden  Jünger  Säriputta  und  Moggalläna.  Weiter  findet 
sich  eine  grössere  Gruppe  solcher  Bauten  auf  der  Insel  Ceylon, 
namentlich  in  der  Umgebung  der  alten  Hauptstadt  Anuradha- 
pura.  Sie  werden  hier  meist  Dagop's  genannt  und  sind  zum 
Theil  von  kolossaler  Grösse,  ermangeln  aber  aller  Skulpturen. 
Die  ältesten  derselben  dürften  etwa  im  2.  Jahrhundert  vor  Chr. 
erbaut  sein.4  Eine  dritte  grosse  Gruppe  von  Tope's  findet  sich 
im  nordwestlichen  Indien  und  zieht  sich,  im  Osten  des  Indus 
bei  Manikyala5  beginnend,  über  Peschawer,  Jelalabad  und 
Kabul  durch  Afghanistan  längs  der  alten  Königsstrasse  hin, 
durch  welche  einstmals  Indien  mit  Baktrien  und  Persien  ver- 
bunden war.6    Man  zählt  in  diesem  Gebiet  über  100  Tope's. 


1  Die  Bekrönung,  welche,  wie  es  heisst,  das  Schinndach  des  heil. 
Feigenbaumes  darstellen  soll,  unter  welchem  Buddha  den  Erlösungs- 
gedanken f aaste,  ist  meistentheils  nicht  mehr  erhalten,  aber  an  den 
zahlreichen  Abbildungen  der  Tope's  auf  den  Steioreliefs  stets  deutlich 
zu  sehen.  Uebrigens  wechselt  die  Form  dieser  Bekrönung,  namentlich 
besteht  dieselbe  nicht  selten  in  einer  pyramidalen  Spitze. 

■  Vgl.  A.  Cunningham,  The  Bhilsa  Topes  or  Buddhist  monuments 
of  Central  India,  London  1854;  J.  D.  Cunningham,  Journ.  of  the  As. 
Soc.  of  Bengal,  XVI  p.  739  flg.;  Fergusson,  Hist.  of  Ind.  a.  E.  A.  p. 
60  flg.;  Kugler,  a.  a.  0.  p.  460. 

*  Abbildungen  siehe  bei  Fergusson,  Tree  and  Serpent  Worship; 
auch  Schlagintweit,  Indien  II,  p.  121—124.  15. 

*  Ueber  dieselben  vgl.  Chapman,  TranBactions  of  the  R.  As.  Soc. 
Hl,  p.  463  flg.  Journ.  of  the  R.  As.  8oc.  XIII,  p.  164  flg.  W.  Knigh- 
ton,  Journ.  of  the  A&  Soc.  of  Bengal  XVI,  p.  218  flg.;  Fergusson, 
Hist.  of  Ind.  a.  E.  A.  p.  188  flg.;  Kugler,  a.  a.  0.  p.  453. 

B  Bei  Manikyala  findet  Bich  eine  grössere  Gruppe  von  Tope's  (15—20), 
unter  denen  namentlich  einer  durch  seine  Grösse  bemerkenswerth  er- 
scheint. Vgl.  Fecgusson,  Hist  of  Ind.  a.  E.  A.,  p.  79 flg.  Cunningham, 
Keport  II,  p.  152  flg.;  V,  p.  75  flg.;  XIV,  p.  1  flg.  (nebst  Abbildungen). 

*  Vgl.  Ober  dieselben  namentlich  die  Schrift  von  C.  Ritter,  die 
Stupa's  (Topes)  oder  die  architektonischen  Denkmale  an  der  Indo-Bak- 
triachen  Königsstrasse  und  die  Kolosse  von  Bamiyan.  Berlin  1838.  H.  H. 
Wilson,  Ariana  antiqua,  a  deecriptive  account  of  the  antiquities  and 
colns  of  Afghanistan;  Fergusson,  a.  a.  0.  p.  72  flg. 


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Ausser  den  genannten  Gruppen  von  Tope's  finden  sich  an  ver- 
schiedenen Orten  auch  vereinzelte  Bauten  dieser  Art  vor,  unter 
denen  ich  jedoch  nur  einen,  den  merkwürdigen  Tope  von  Sar- 
nath,  nicht  weit  von  Benares,  besonders  hervorheben  will* 

Der  Zeitraum,  innerhalb  dessen  die  indischen  Tope's  vor- 
nehmlich erbaut  wurden,  erstreckt  sich  etwa  vom  3.  Jahrhundert 
vor  Chr.  bis  in  das  4.  und  5.  Jahrhundert  nach  Chr.  Es  hat 
ihrer  früher  viele  Hunderte,  ja  Tausendo  gegeben,  und  auch 
die  chinesischen  Pilger  erwähnen  noch  Hunderte  solcher  Bauten; 
aber  die  Mehrzahl  derselben  ist  heutzutage  von  dem  Erdboden 
verschwunden. 

Die  merkwürdigsten  Schöpfungen  der  indischen  Baukunst 
sind  ohne  Frage  die  berühmten  Felsengrotten, *  unter  welchen 
wiederum  die  Bauwerl-c  der  Buddhisten  gegenüber  denen  der 
Brahma n en  den  Vorzug  höheren  Alters  haben.  Die  buddhi- 
stischen Felsenbauten  sind  theils  Vihara's  oder  Münchs  Woh- 
nungen, theils  sogenannte  Caitya's  oder  Tempelgrotten,  theils 
endlich  findet  sich  Beides  vereinigt,  indem  sich  Wohnungen 
von  Mönchen  um  einen  Tempelraum  herum  gruppiren.  Die 
offenbar  in  Anlehnung  an  die  buddhistischen  Schöpfungen  ent- 
standenen brahmani8chen  sind  durchweg  Tempelräume. 

Die  ältesten  uns  erhaltenen  in  den  Fels  gehauenen  Woh- 
nungen für  Mönche  siud  die  in  der  Nähe  des  alten  Rajagriha, 
der  öfters  erwähnten  Hauptstadt  des  alten  Magadha-  Reiches, 
wo  Bimbisära  und  Ajatacatru  herrschten  und  der  aufkommende 
Buddhismus  zuerst  festen  Boden  fand.  Es  ist  dasselbe  Land, 
welches  heute  den  Namen  Behar  oder  Bihar  trägt,  gerade  nach 
der  Menge  der  dort  ursprünglich  vorhandenen  Klöster  (Vihara). 
Die  erwähnten  Felsenzellen  sind  von  sehr  einfacher  Cohstruction 
und  bescheidenem  Umfang;  sie  gehören  ihrer  Entstehung  nach 
gewiss  in  die  Frühzeit  des  Buddhismus.3 

1  Abbildungen  Biehe  bei  Fergusson,  History  of  Ind.  a.  £.  Aren, 
p.  66;  Schlagintweit,  Indien  II,  p.  55.  57. 

*  Vgl.  über  dieselben  J.  Fergusson,  On  the  Rock-cut  Temples  of 
India,  im  Journ.  of  the  R.  As.  Soc.  VIII,  p.  90  flg.;  J.  Ferpnaaon, 
IUustrations  of  the  Rock-cut  Temples  of  India,  London  1845;  Derselbe: 
Tie  Rock-cut  Temples  of  IndU,  illustr.  by  74  photographs  cet,  Lon- 
gen 1864;  Desselben  History  of  Ind.  and  East  Arch.  Ferner:  J.Wilson, 
Memoir  on  the  Cave  Temples  and  Monas teries  and  otber  ancient  Bud- 
dhist, Brahmanical  and  Jaina  Remains  of  Western  India,  Journ.  of'the 
Bombay  Branch  of  the  R.  Aa.  Soc.  III,  VI.  Th.  nnd  W.  Daniell,  AnU- 
qoities  of  India r  Langds,  a.  a.  0.;  Kugler,  a.  a,  0.  p.  457—474. 

3  Man  findet  eine  Abbildung  der  Eingänge  tu  denselben  bei  Cun- 
ninffham,  Report  III  pl.  XLIII;  darnach  bei  Schlagintweit,  Indien  I, 
p.  63;  vgl.  Fergusson,  Hiat.  of  Ind.  a.  E.  A.  p.  108. 


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_    707  — 

8ebr  aJterthümli  Vihara- Grotten  finden  sich  im  Nord- 
osten Indien«  in  der  Provinz  Orissa,  im  Udayagiri  oder  „Auf- 
gangsberge**. Dieselben  sind  von  einfacher  Construction,  haben 
aber  doch  Säulenhallen  vor  den  Eingängen  und  einige  Sculp- 
toren,  welche  an  die  der  Tope's  von  Bharhut  und  Sanchi  er- 
innern sollen.  Vermuthlich  sind  die  ältesten  von  ihnen  auch 
ungefähr  von  gleichem  Alter  und  entstammen  etwa  dem  3.  und 
2.  Jahrhundert  vor  Chr.1 

Wichtige  und  alte  Felsenbauten  der  Buddhisten  liegen  ferner 
in  dem  West-Ghat-Gebirge  zwischen  Bombay  und  Puna,  in  der 
Nähe  des  Dorfes  Karli.  Unter  diesen  sind  die  Caitya's  von 
Bhaja  und  Bhedsa  besonders  alterthümlich,  in  das  2.  Jahr- 
hundert vor  Chr.  gehörig,  vielleicht  sogar  noch  älter.1  Beson- 
ders bekannt  und  berühmt  ist  aber  mit  Recht  eine  Caitya- 
Grotte,  welche  gewöhnlich  schlechtweg  als  der  Tempel  von 
Karli  bezeichnet  wird.  Es  ist  einer  der  schönsten  und  gross- 
artigsten Felsentempel,  dessen  Entstehung  wir  nach  inschrift- 
lichem Zeugniss  in  das  1.  Jahrhundert  vor  Chr.  zu  setzen  haben,3 
und  der  in  seiner  eigenartigen  Grösse  und  edlen  Einfachheit 
noch  heute  auf  den  Besucher  einen  gewaltigen  Eindruck  macht. 
An  einer  sechzehn  kantigen,  vier  Löwen  tragenden  Säule  vor- 
über tritt  man  in  die  Vorhalle  des  Tempels,  deren  Wände  reich 
mit  Sculpturen  bedeckt  sind,  theils  mit  menschlichen  Gestalten, 
theils  mit  hocherhaben  gebildeten  mächtigen  Elephanten;  die 
menschlichen  Bilder  stellen  theils  Tänzer  und  Tänzerinnen, 
theils  den  Buddha  und  buddhistische  Heilige  dar.4  Das  grosse 
Schiff  des  Tempels  ist  von  mächtigen  achteckigen  Säulen  ge- 
tragen, 15  auf  jeder  Seite»  über  deren  Capital  in  Hochrelief 
Elephanten  und  Menschengestalten  gearbeitet  sind.  Den  Ab- 
schluss  des  Schiffes,  unserem  Altarraum  entsprechend,  bildet 
ein  kuppeiförmiger  steinerner  Dagop  oder  Reliquienbehälter  mit 
schirmartigem  Aufsatz,  von  sieben  Säulen  umgeben.  Die  Decke 
ist  als  Tonnengewölbe  gearbeitet5 


1  Vgl.  über  dieselben  Fe  rgusson,  Hist.  of  Ind.  a.  £.  A.  p.  138  flg. ; 
Kittoe,  Jonro.  of  the  B.As.  Soc.  of  Bengai,  Vol  VII  (mit Zeichnungen) ; 
Kogl  er,  a.  a.  0.  p.  462  flg. 

*  Vgl  Fergusuon,  a.  a.  0.  p.  110  flg.  116. 

*  78  vor  Chr.   Vgl.  FergusBon,  a.  a.  0.  p.  117. 

*  Eingang,  Vorhalle  und  Sculpturen  der  letzteren  findet  man  ab- 
gebildet bei  Scblagintweit,  Indien  I,  p.  66.  67.  -68. 

8  Vgl.  die  Abbildung  des  Tempelschiffes  bei  Schlagintweit, 
a.  a.  0.  p.  69;  Fe  rgusson,  Hist  of  Ind.  a.  E.  A.  p.  120.  Durchschnitt 
und  Plan  des  Schiffes  ebenda  p.  117.  Auch  bei  Lobke,  a.  a.  0.  p.  87; 
Kogl  er,  a.  a.  0.  p.  464. 


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-    768  - 

Auch  bei  Nasik  im  Nerhndda-Gehiet  sind  wichtige  Höbleo- 
bauten erhalten.  Eine  Cäitya- Grotte  daselbst  entstammt  dem 
2.  Jahrhundert  vor  Chr.1  Die  zahlreichen  Vihara's,  deren  Er- 
bauung vom  1.  Jahrhundert  vor  Chr.  bis  etwa  in  das  7.  Jahr- 
hundert nach  Chr.  reicht,  sind  zum  Theil  reich  ornamentirt 
und  trugen  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  auf  ihren  Wänden 
ursprünglich,  wie  die  Vihara's  von  Ajunta,  Freskomalereien, 
von  denen  jedoch  leider  nichts  erhalten  ist* 

Eine  ganze  Reihe  wichtiger  und  zum  Theil  sehr  schöner 
buddhistischer  Felsenbauten  findet  sich  bei  Ajunta,  im  Gebiete 
des  Tapti-Flusses,  am  Nordwestrande  des  Dekhan.  Es  sind  etwa 
30  Grotten,  theils  Vihara's,  theils  Cäitya's,  deren  Entstehung 
in  die  Zeit  vom  2.  Jahrhundert  vor  Chr.  bis  etwa  in  das  7. 
und  8.  Jahrhundert  nach  Chr.  fällt.  Die  besonders  schönen, 
reich  geschmückten  Vihara's  No.  16  und  17  stammen  nach 
Fergusson 's  Angabe  aus  dem  5.  Jahrhundert  nach  Chr.*  Be- 
sonders bemerkenswerth  ist  der  Umstand,  dass  das  Innere  dieser 
Bauten  vornehmlich  durch  zahlreiche  Malereien  in  Fresko  ge- 
ziert is*  4 

Die  Vihara-Grotten  in  der  Nähe  von  Baugh  oder  Bagh, 
im  Norden  des  Nerbudda,  ca.  dem  6.  und  7.  Jahrhundert  ent- 
stammend,6 zeigen  ebenfalls  Freskomalereien  und  lassen  im 
architektonischen  Detail  deutlich  die  westlichen,  resp.  persische 
und  griechische  Einflüsse  erkennen.6 

Buddhistische  Grotten  in  grosser  Zahl  (ca.  100)  birgt  auch 
die  Insel  Salsette,  und  zwar  speciell  in  den  Felsen  bei  Kan- 
heri.  Sie  liegen  zum  Theil  in  mehreren  Etagen  über  einander 
und  sind  theils  Vihara-,  theils  Caitya-Bauten;  an  letzteren  giebt 
es  über  zwanzig.7 

Besonders  bemerkenswerth  aber  sind  die  Felsenbauten  von 
Ellora,  im  nördlichen  Theile  der  West-Ghats,  nicht  weit  von 


s  Vgl.  Fergusson,  a  a.  0.  p.  116. 

*  Vgl.  Ferguson,  a.  a.  0.  p.  147— 153. 

*  Vgl.  Fergusson,  a.  a.O.  p.  i  8.  Abbildungen  ebenda  p.  154. 155. 
4  Vgl.  Lieut  Alexander's  Visit  to  the  Cavern  Temples  of  Ad- 

junta,  TransactiooB  of  the  R.  As.  Soc.  II,  p.  362  flg.  Fergusson,  Hist 
of  Ind.  a.  E.  A.  p.  122  flg.  153  flg.  158.  J.  Qurgess,  Notes  on  the 
Bauddha  Rock-Temples  cet.  Vgl.  oben  p.  757  Anm. 

•  S.  Fergusson,  a.  a.  0.  p.  161. 

•  8.  Danger field,  Some  aecount  on  the  Caves  near  Bang,  Tran»- 
actions  of  the  Lit.  Soc.  of  Bombay  II,  p.  194  flg.  Dr.  Impey,  Journ. 
Bomb.  Br.  R.  As.  Soc.  Vol.  V. 

'  Einige  Abbildtingen  siehe  bei  Schlagintweit,  Indien  It  p.  64. 

65.  68. 


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-    769  — 


Daulatabad.1  Dieselbon  sind  theils  buddhistischen,  theils  brah- 
manischen Ursprungs,  und  ein  Theil  verdankt  seine  Entstehung 
wohl  auch  den  Jaina's.  Die  Zeit  ihrer  Entstehung  fällt  un- 
gefähr mit  der  Blütheperiode  der  Sanskrit-Literatur  zusammen 
und  erstreckt  sich  etwa  vom  4.  und  5.  bis  in  das  11.  und 
12.  Jahrhundert  nach  Chr.  Die  ungeheuren  Massen  des  hurten 
Granitgesteines  sind  hier  nach  allen  Richtungen  hin  ausgehöhlt 
und  bearbeitet  und  in  eine  förmliche  Tempelstadt  umgewandelt, 
deren  Herstellung  unglaubliche  Mengen  von  Arbeitskraft  bean- 
sprucht haben  muss.  Hier  hat  die  Kunst  des  Felsentempel- 
baues ihre  höchsto  Vollendung  erlebt  Neben  einander  und 
über  einander,  bisweilen  in  mehreren  Stockwerken,  finden 
sich  zahlreiche  grössere  und  kleinere  Tempel,  Vorhöfe,  Woh- 
nungen für  Mönche  und  Pilger  u.  dgl.  m.  in  den  Felsen  ein- 
gehauen, und  eine  Menge  von  Treppen,  Gängen,  Corridoreu 
und  Brücken  verbinden  die  einzelnen  Bauten  mit  einander 
Hier  findet  sich  der  berühmte  Tempel  des  Vicvakarman,  ein 
buddhistischer  Caitya-Bau,  an  den  eine  ganze  Menge  von  Vi- 
hara'8  angeschlossen  sind.1  Sie  sind  jüngeren  Ursprungs  und 
lassen  deutlich  den  Ue bergan g  der  buddhistischen  Kunst  des 
Höhlenbaues  in  die  brahmanische  erkennen. 

Bisweilen  ist  bei  den  mehr  nach  der  Oberfläche  hin  liegen- 
den Tempeln  von  Ellora  der  Fels  auch  von  oben  fortgearbeitet, 
so  dass  das  Ganze  als  monolithischer  Wunderbau  zu  Tage  tritt, 
ein  Granittempel  aus  einem  Stück.  Unter  den  Bauten  derart 
ist  der  sogenannte  Kailasa  (d.  i.  der  Göttorberg)  hervorzuheben, 
ein  Werk  der  brahmanischen  Baukunst,  das  ca.  800  nach  Chr. 
entstanden  sein  dürfte  und  oin  staun onerregendes  Kunstwerk 
bildet,  ebenso  mächtig  und  imposant  angelegt,  als  im  Einzelnen 
fein  ausgeführt,  die  Aussenseite  mit  unzähligen  Menschen-  und 
Thiergestalten,  Götterbildern  und  mythologischen  Darstellungen, 
mit  Verzierungen  und  schnörkelhaften  Ornamenten  aller  Art 
bedeckt,  Alles  auf  das  Sorgfältigste  aus  dem  Granitfelsen  mono- 
lithisch herausgearbeitet3 

Monolith-Tempel  brahmanischen  Ursprungs,  die  wohl  älter 
sind  und  ca.  dem  6.  und  6.  Jahrhundert  nach  Chr.  angehören 


1  Vgl.  das  Prachtwerk  too  Th.  undW.  Dan i eil,  The  excaYations 
of  Ellora;  auch  Langles  a  a.  0. 

•  Vgl.  Fergusson,  Hist.  of-Ind.  a.  E.  A.  p.  127.  163. 

*  Eine  Ansicht  des  Kuiläsa  s.  bei  Fergusson  a.  a.  0.  p.  3S5,  nach 
einer  Skizze  des  Autors;  auch  bei  Lübke,  a.  a.  0.  p.  88;  Sehn  aase, 
p.  86.  Für  die  Entatehuagszcit  a.  Fergusson,  a.  a.  0.  p.  337.  338. 

t.  Sekr6d«r,  ladtau  Ut.  «.  Cmlt.  49 


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-   770  — 

dürften,  sowie  brahmanjflche  Grottentempel  finden  sich  auch 
in  Mahayellipur,  im  Südosten,  an  der  Küste  CoromandeL1 

Brahmanischen  Ursprungs  sind  endlich  noch  die  berühmten 
Grottentempel  der  Insel  Elephanta.  Der  Hanpttempel  daselbst, 
etwa  dem  12.  Jahrhundert  entstammend,  ist  ein  staun  enswerthea 
Werk  in  gewaltigen  Dimensionen,  im  Innern  mit  Sculpturen  der 
brahmanischen  Götter,  mit  Ornamenten  und  Schnörkeln  aller 
Art  überreich  vorziert.2 

Neben  diesen  Felsenbauten  haben  wir  aber  auch  frei- 
stehende Tempolge-bäude  in  grosser  Anzahl  über  ganz  Indien 
verbreitet  Dieselben  gehören  zum  weitaus  grössten  Theile  den 
Brahmanen,  ein  kleinerer  Theil  auch  der  J &i na- Sekte  an, 
während  Freitempel  der  Buddhisten  auf  dem  indischen  Fest- 
lande nicht  mehr  anzutreffen  sincL 

Die  Europäer  nennen  diese  Hindu-Tempel  meist  Pagoden. 
Wir  können  die  Zeit  ihrer  Erbauung  vielfach  nicht  sicher  fai- 
ren, doch  sind  sie  im  Ganzen  jedenfalls  jünger  als  die  Felseu- 
bauten. Die  ältesten  unter  ihnen  gehören  der  Zeit  unteres 
Mittelalters  an,  während  die  jüngeren  erst  in  neuerer  Zeit  er- 
baut sind.  Meist  sind  es  einfache  Gebäude,  an  denen  wir  eine 
Vorhalle  und  deD  eigentlichen  Tempelbau  unterscheiden  können, 
welcher  letztere  schwer,  massig  und  düster  angelegt,  pyramiden- 
artig in  Stufen  oder  Absätzen  emporsteigt.  Im  Gegensatz  dazu 
haben  wir  —  und  zwar  fast  nur  im  Süden  Indiens  —  auch 
ausgedehntere,  complicirte  Tempelanlagen,  bei  welchen  das  ver- 
hältnissmässig  unbedeutende  eigentliche  Tempelgebäude  vom 
einem  weiten  Hof  umgeben  ist,  dessen  Mauern  an  mehreren 
Stellen  durch  hohe  Portalbauten  durchbrochen  sind.  Im  Innern 
finden  sich  Säulengänge»  Hallen  für  den  Aufenthalt  der  Pilger 
(sogenannte  Tschultris),  Wasserbasshis  und  einer  oder  mehrere 
Tempel  mit  Götterbildern.9  Boi  besonders  grosser  und  com- 
plicirter  Anlage  ist  der  den  Tempel  umschliessende  Hofraum 


1  Vgl.  Fergusson,  Hist.  of  Ind.  a,  E.  A.  p.  826  flg.  Schon  Cham- 
bers beschrieb  sie  im  Jahre  1788  (As.  Res.  Bd.  I);  darnach  sind  sie 
öfters  und  recht  vollständig  beschrieben  und  in  Abbildungen  vorgefahrt. 
Vgl.  auch  Babington,  an  Account  of  the  Sculptures  and  Inscriptions  of 
Mahamalaipur,  Transactions  of  the  R.  As.  8oc.  II,  p.  258  flg.  Daniell, 
Antiq.  of  India;  LangUs,  a.  a.  0.  II,'  pl.  28  flg.  Kugler,  a.  a.  O. 
p.  478. 

*  Ein  Relief,  die  Hochzeit  des  Qiva  darstellend,  findet  man  ab- 
gebildet bei  Schlagintweit,  a,  a.  0.  I,  p.  70.  Vgl.  auch  Erskine, 
Transactions  of  the  lit.  8oc.  of  Bombay  I,  p.  218;  Daniell,  Antlq.  of 
India;  Langlcs,  a.  a.  0. 

•  Vgl.  Sonnerat,  e,  a.  (h,  Tafel  61. 


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-    771  — 

von  einem  zweiten  grösseren  Hof  umgeben  und  dieser  eventuell 
noch  von  einem  dritten  noch  grösseren,  wobei  dann  die  hohen 
Portalbauten  der  Umfassungsmauern  das  unverhältnissmässig 
kleine  eigentliche  Tempelgebäude  ganz  übersehen  lassen.1  Den 
Tempel  selbst  nennen  die  Inder  Vimana,  die  Portalbauten 
Gopura.  Die  letzteren  bestehen  aus  einem  Unterbau  mit  dem 
Thor,  über  welchem  sich  eine  hohe,  oft  sehr  kunstvoll  ge- 
schmückte Stufenpyramide  erhebt* 

Der  nördliche  Theil  Indiens  zeigt  im  Ganzen  mehr  ein- 
fache und  strenge,  oft  recht  alterthümliche  Bauten,  während 
im  Süden,  namentlich  an  der  Küste  Goromandel  die  gross- 
artigsten, schmuckreichsten  und  complicirtesten  Tempelanlagen 
zu  Hause  sind. 

Als  Beispiele  des  einfacheren  nördlichen,  oder,  wie  Fer- 
gusson  ihn  nennt,  des  indo-arischen  Styles  (im  Gegensatz  zum 
südlichen  oder  dravidischen)  seien  in  erster  Linie  angeführt: 
die  Tempel  zu  Bhuwaneswar  in  Orissa,  unter  welchen  nament- 
lich einer  durch  Grösse  und  Wichtigkeit  ausgezeichnet  ist  Der* 
selbe  ist  dem  Civa.  geweiht  und  gehört  dem  7.  Jahrhundert 
nach  Chr.  an.  Er  ist  einfach  und  alterthümlich,  fast  bienen- 
korbähnlich gestaltet,  und  Fergusson  spendet  der  maassvollen 
Ornamentik,  den  feinen  Steinsculpturen,  die  den  ganzen  Tempel 
von  der  Spitze  bis  zur  Basis  bedecken,  alles  Lob.*  Ferner 
wäre  der  sogenannte  Tempel  des  Oelhändlers  (Teli-Mandir)  in 
Gualior  zu  nennen,  ursprünglich  dem  Vishnu,  dann  Qiva  ge- 
weiht, dem  10.  oder  11.  Jahrhundert  nach  Chr.  angehörig.4 
Weiter  die  28  Tempel  zu  Eadschuraha  in  Bundelcund  (Centrai- 
indien), auch  ca.  dem  10.  und  11.  Jahrhundert  entstammend, 
unter  denen  der  Tempel  des  Mahadeva  (Qiva)  als  ein  imposantes 
Bauwerk  mit  vielen  Sculpturen  hervorragt,6  desgleichen  der 
Tempel  der  Kali6  und  der  mit  reichen  Sculpturen  geschmückte 
Tempel  der  LakshmL7*  Dahin  gehören  ferner  der  Tempel  zu 
Udaipur  in  Bhopal,  nicht  weit  von  Bhilsa,  dem  11.  Jahr- 


1  Vgl.  die  Pagode  von  Tiruvalur  bei  FerguBson,  Hist  of  Ind.  a. 
£.  A>.  p.  846;  Schnaase,  a.  a.  0.  p.  117;  Lubke,  p.  79. 

*  Meist  ans  Ziegeln,  mit  Stuckbekleidung. 

*  Vgl.  Fergusson,  Hut.  of  Ind.  a.  £.  A.  p.  420  flg.;  Abbildung 
p.  498;  Scblagintweit,  I  p.  182. 

4  Vgl. 'Fergusson,  a.  a.  0.  p.  462  (mit  Abbildung);  Schlagint- 
weit,  a.  a.  0.  II,  p.  88. 

»  Vgl.  das  Büd  bei  Fergusson,  a.  a.  0.  p.  466;  Scblagintweit, 
a.  a.  0.  II,  p.  128. 

*  Scblagintweit  II,  p.  76. 

*  SohUgintweit  I,  p.  100. 

49* 


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772 


hundert  angehörig;1  der  Ambernath-Tempel  zu  Kallian  im 
Bombayer  Hafen,  wohl  ebenfalls  dem  11.  Jahrhundert  ent- 
stammend;a  der  Vishnu-Tempel  in  Chittoro,  aus  dem  15.  Jahr- 
hundort9 u.  a.  m. 

Bemerkenswerth  ist  endlich  noch  der  berühmte  Tempel 
des  Jagannäth  (Vishnu)  zu  Puri'  in  Orissa.  Der  Styl  des 
eigentlichen  Tempelgebäudes  ist  dem  des  Tempels  von  Bhuwa- 
neswar  in  derselben  Provinz  recht  ähnlich,  aber  die  Art  der 
Einhegung  in  zwei  concentrische  Höfe  mit  complicirten  Anlagen 
für  den  Aufenthalt  der  Pilger  u.  dgl.  m.  erinnert  vielmehr  an 
dio  entsprechenden  Tempelanlagen  Südindiens.  Das  Innere  dieses 
dem  12.  Jahrhundert  nach  Chr.  entstammenden  Tempels  birgt 
ein  paar  wahrhaft  entsetzliche  Götzenbilder.4 

Von  den  Bauten  Südindiens,  die  den  sogenannten  dravi- 
dischen  Styl  repräsentiren,  nenne  ich  als  hervorragende  Bei- 
spiele die  berühmten  Pagoden  von  Tanjore  (wahrscheinlich 
dem  14.  Jahrh.  angohörig),*  von  Conjcveram..'1  von  Vijaya- 
nagar  (aus  dem  16.  Jahrb.),7  von  Tiruvalur,8  von  Madura 
(17.  Jahrh.),9  von  Kombakonam,10  von  Chillambrum  (um 
d.  J.  1700),11  von  Srirangam  oder  Seringhain  bei  Tritechi- 
napalli  (18.  Jahrh.),11  und  von  Ramesseram  U7.  Jahrh.)  auf 
einer  Insel  zwischen  dem  indischen  Festlande  und  Ceylon  ge- 
legen.18 

Diese  merkwürdigen  Bauten  sind  durch  eine  originelle 


1  Ferguaaon,  a.  a.  0.  p.  457. 

*  Vgl.  Ind.  Antiquary  III,  p.  316;  Fergimon,  a.  a.  0.  p.  4f>8. 
'  Fergusson,  a.  a.  0.  p.  458. 

«  Vgl.  Ferguaaon,  a.  a.  0.  p.  426.  428  flg.  Schlagintweit  1. 
p.  185.  188. 

6  Eine  Abbildung  siehe  bei  Schlagintweit  I,  p.  132:  Fergus- 
son, a.  a.  0.  p.  344.  345. 

*  Fergusson,  a.  a.  0.  p.  309. 
Y  Fergusson,  a.  a.  0.  p.  374. 

*  Vgl.  oben  p.  771  Anm. 

9  Vgl.  Fergusson,  a.  a.  0.  p.  359  flg.;  Lübke,  p.  80;  Schnaase,  p.  119. 

10  8.  die  Abbildung  des  Gopura  von  Kombakonam  bei  Fergusson, 
a.  a.  0.  p.  368;  Schlagintweit,  a.  a.  0.  I,  p.  124. 

11  Vgl.  Fergusson,  Hiat.  of  Ind.  a.  E.  A.  p.  850  flg.;  Handbook 
of  Aren.  I,  p.  97  flg.;  Langles  a  a.  0.  II,  p.  14  flg.;  Sehnaase  p.  118; 
Lttbke  p.  80. 

"  S.  die  schöne  Abbildung  bei  Schlagintweit  a.  a.  0.  I,  p.  136; 
Fergusson,  Hiat  of  Ind.  a.  E.  A.  p.  349. 

*•  Fergusson,  Handbook  of  Arch.  I,  p.  97  flg.;  Hiat.  of  Ind.  and 
E.  A.  p.  355  flg.;  Schnaase  a\  a.  0.  p.  118.  Grossartig  sind  die  700  Fuss 
langen  Säulenhallen  dieses  Tempels;  vgl.  die  Abbildung  bei  Ferguaaon, 
Hist.  of  Ind.  a.  E.  A.  p.  368. 


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—   773  — 

Schönheit  ausgezeichnet  und  mit  Ornamenten  reich  versehen. 
Iii  letzterer  Beziehung  ist  aber  freilich  oft  allzuviel  geschehen, 
und  so  gewinnt  man  den  Eindruck  der  Ueberladung  und  einer 
gewissen  Unruhe.  Unzählige  Menschen-  und  Thiergestalten,  oft 
wunderliche  und  fratzenhafte  Bildungen,  drängen  sich  da  in 
buntester  Weise  durcheinander  und  übereinander,  oft  in  selt- 
samster, abenteuerlichster  Art  verknüpft  und  mit  allerlei  Zier- 
rath und  Schnörkeln  durchsetzt.  Eine  ursprünglich  des  Schön- 
heitssinnes keineswegs  baare  künstlerische  Phantasie  lässt  sich 
hier  in  regellosester  Willkür  gehen,  ruft  Schöpfungen  in's  Leben, 
die  den  Gebilden  wirrer  Träume  ähnlich  sehen,  und  fuhrt  uns 
auf  solche  Weise  die  für  Indien  überhaupt  so  charakteristische 
Eigenschaft  der  Maasslosigkeit  recht  lebendig  vor  die  Augen. 

Eine  eigentümliche  Entwickelung  hat  die  Baukunst  der 
Brahmanen  in  Kaschmir  erlebt.  Daselbst  ist  namentlich  die 
Aufnahme  zahlreicher  griechischer  Elemente  bemerkenswert!).1 

Einen  besonderen  Styl  hat  endlich,  wie  schon  erwähnt,  die 
Secte  der  Jaina's  ausgebildet.  Derselbe  unterscheidet  sich  in 
mancher  Beziehung  vorteilhaft  von  dem  der  Brahmanen,  nament- 
lich durch  etwas  mehr  Maasshalten  in  der  Ornamentik.  Die 
Anfänge  der  Jäina-Baukunst  sind  leider  noch  ziemlich  in  Dunkel 
gehüllt;  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  schloss  sie  sich  aber  im 
Style  an  die  leider  nicht  erhaltenen  Freitempel  der  Buddhisten 
an.  Die  erste  grosse  Epoche  der  Jaina- Baukunst  fällt  in  das 
11.  bis  gegen  Ende  des  13.  Jahrhundorts;  sie  erlebte  sodann 
nach  kurzer  Pause  noch  eine  zweite  reiche  Blütheperiodo  im 
15.  Jahrhundert  unter  der  Herrschaft  des  Khumbo  Rana  von 
Udaipur  und  setzt  sich  in  mancher  bedeutenden  Schöpfung  noch 
bia  in  die  neuere  Zeit  fort*  Die  Halbinsel  Gujerat  ist  beson- 
ders reich  an  Heiligtümern  der  Jäina-Secte,  und  berühmt  ist 
daselbst  namentlich  der  reich  ornamentirte,  ganz  aus  weissem 
Marmor  gebaute  Tempel  de6  Vimala  Sah  auf  dem  Berge  Abu, 
dem  11.  Jahrhundert  nach  Chr.  entstammend.8 

Eine  neue  Epoche  beginnt  für  die  Baukunst  auf  indischem 


1  Vgl.  Fergusson,  Hirt,  of  Ind.  a.  E.  A.  p.  279  flg.;  A.  Cun- 
ningham,  Essay  on  the  Arian  Order  of  Arcbitccturc ,  as  exhibited  in 
the  Temples  of  Kaschmir.  Jonrn.  of  the  R.  As.  Soc.  of  Bengal  XVII, 
p.  241  flg.;  F.  Kot ler,  a.  a.  0.  p.  474—479. 

•  Vgl.  (Iber  die  Jaina-Baukunst  Fergusson.  Hist.  of  Ind.  a.  E.  A. 
p.  207—278:  Handbook  of  Aren.  I.  68  flg.;  8chnaase,  a.  a.  0.  p.  121  fl*. 

•  Vimala  Sab.  der  Erbauer  dieses  Tempels,  war  ein  reicher  Kauf- 
mann ans  Tomehmem  Geschlechte.  Abbildungen  siehe  bei  Fergusson, 
Hist  of  Ind.  a.  E.  A.  p.  236:  Schnaase,  a.  a.  0.  p.  122?  Lübke,  p.  82. 


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—    774  — 


Boden  mit  der  Herrschaft  der  Mohammedaner,  die  Beit  dem 
Jahre  1000  nach  Chr.  mehr  und  mehr  vordringend  endlich  die 
Herren  von  Indien  werden  und  das  Land  mit  Wunderbauten 
bedecken,  die  zum  grossen  Theil  noch  heute  erhalten  sind  und 
insbesondere  die  alten  Residenzen  Delhi  und  Agra  schmücken. 
Aber  wenn  auch  indische  Arbeiter  -hier  gebaut,  wenn  auch  das 
ornamentale  Geschick  der  indischen  Künstler  viel  zur  Ver- 
schönerung dieser  Bauten  beigetragen  haben  mag,  —  der  Haupt- 
sache nach  sind  dieselben  doch  durchaus  nicht  indisch,  tragen 
vielmehr  einen  ganz  fremdländischen  Charakter,  und  gehört  die 
Besprechung  des  hier  geschaffenen  maurisch-indischen  oder  in- 
disch-saracenischen  Styles  in  die  Geschichte  der  mohamme- 
danischen Baukunst.  Wir  nehmen  darum  hier  Abschied  von 
dem  Lande,  das  so  viel  des  Seltsamen,  Wunderbaren,  Aben- 
teuerlichen, und  doch  auch  so  viel  des  Schönen  birgt 


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INDEX.1 


Absolute  (das)  233. 
Ackerbau(i.  Z.d.RV.)30. 
Ackerfurche  (göttl.)  70, 
Adoption  428. 
Aera  desV  ikrama  3 14  flg. 
Ahnenopfer  428. 
Ahura  Mazda  23, 
Ajunta  (Grotten  ?on)  768, 
Akbar  31L 

Alexander  d.  Gr.  226  flg. 
Alexander,  J.  £.  757. 
Algebra  724, 
Allegor.  Drama  658  flg. 
Alphabeto  440, 
Alterthumskunde  (ind.) 
12, 

Alwis,  de  16. 
Ambro«  753  flg. 
Anquetil  Duperron  183. 

239, 
Antiochos  306. 
Anundoram  Borooah 648, 

662. 

Apsarasen  370  flg. 
Apudy  672. 

Arische  Einheitsperiode 

22  flg. 
Arithmetik  123, 
Askese   öfi,    <XL  384. 

38ft— 395. 
Astronomie  725—729. 
Aauren  136,  139,  143, 

144. 

Aufrecht,  Tb.  HL 83, 168. 

169,  112,  182, 
Ausmessen  der  Vedi  104. 
Avery  741. 
Aveata  22  flg. 

Baber  316. 
Babiugton  710, 


Badeplatze  (heil.)  38L 

Balac&stri  112, 

Ballantyne  688, 

Barth,  A.  66.  98.  256, 

Baukunst  763—774. 

Beichtfeier  286, 

Benary  515. 

Benfey,  Th.  12,  Ii,  44, 
83,  169,  348,  519. 
521  flg.  102  flg.  753, 

Bergaigne,  A.  646. 

Bergmann,  B.  543, 

Beschäftigung  der  Ka- 
sten 419  flg. 

Bestattung  41  flg. 

Betrug(der  Priester)  148, 

Bewaffnung  34, 

Bhandarkar  651,  711. 

Bhau  Dhaji  514,  728, 

Bibliothek  (Ind.)  10. 

Bickell  523, 

Birlinger  IST, 

Bohlen,  P.  t.  12, 34,  555, 
564.  M8,  681.  763. 

Böhtlingk,  0.  13. 16,  IL 
564^572,618,630,643, 
66L  669  fl?.  708  flg. 
HL  712,  136, 

Bollensen,  F.  13,625, 628, 

Bopp,  Fr.  11.  484.  492. 
494.  495.  507. 

Boxberger.  R.  695  flg. 

Boyd,  P. 

Bradke,  P.  v.  16,  23,  26. 
65.  198.  730. 

Brahmanen  146  flg.  411 
flg-  416  flg.  u.  ö. 

Brahman.  Cultur  (Ge- 
burtsland der)  164  flg. 

Brandes.  E.  643, 

Brandes,  G.  0. 


Brockhaus,  IL  12.  546. 

562,  600,  659, 
Brugmann  23, 
Brunnhofer,  IL  576. 
Buddha  252  flg. 
Buddhismm  (Quellen  z. 

Stud.  des)  2M8,  (cult.- 

histor.  Bed.  dess.)  all, 
Buddhist.  Kirche  284  flg. 
Bühler,  G.  16, 111,  172 

259.   641.   657.  706. 

712,  715.  736  flg.  750, 
BurgesB  6-  727,  757,  763.' 
Burnell   6.  HL  212, 

743  flg.  747.  750. 
Burnouf,  E.  13.  11  10. 

322,  511.  694,  695, 
Busse  und  Büsserwesen 

86,  93,  388—395. 

Cantor,  M.  119  flg. 
Cappeller,  C.  16,  619, 

645.  657.  666,  714. 
Carey  9.  542, 
Chabrelie  760, 
Chambers  770. 
Chaudrakünta  Tarku- 

laükära  199, 
Chapman  765. 
Chezy  13,  618, 
Childers.  R.  16, 
Chronologie  der  alt.  Lft 

Gesch.  291. 
Chrysobora  (Cyrisobora) 

36L 

Colcbrooke,  IL  Th.  JL 
13,  83.  222,  235,  686. 

713,  723,  143,  748— 
750. 

Concilien  (buddh.)  286, 
302.  805. 


1  Die  Sanskrit- Worte  und  -Namen  siehe  unten  in  einem  besonderen 
Index  (p.  780  flg.);  deagl.  die  zendischen  und  die  griechischen. 


—    776  — 


Connubium  (der  Kasten) 
421. 

Construction  der  Altaro 

I2L 

Cowell  15,  186.  646.  684, 
112. 

Criuiin  algesetze  416 — 

418. 

Culturverhaltnisse  (z.  Z. 

des  RV.  i  30  flg.  (im 

Mitt.  ■  381  flg. 
Cultus(z.Z.d.YV)91flg. 

(altbuddbist.)  28fi  flg. 

(im  Mitt)  378  flg. 
Cunningham,  A.  6.  319. 

713,  759,  763  flg. 
Curtius,  E.  Ifil  flg. 
Ciist  439, 


Dangerfield  7m 
Daniell,  Th.  u.  W.  Tfik 
Dankgebet,  -lied,  -opfer 
95. 

Darius  Hystaspis  295. 
Davics,  J.  695. 
Delbrück,  B.  15.  33.186. 
DemetrioB  SQL 
Deussen,  P.  690  flg. 
Deutschland  (verglichen 

mit  Indien)  (L  L 
Dialekte  (im  Drama)  596. 
Digesten  747. 
Dio  Chrysostomos  463. 
Diodotos  306. 
Dionysos  («  £iva)  860. 

364  flg. 
Dioskureii  («—  Acvinen) 

55. 

Donner,  0.  428. 

Dorfgemeinden  414. 

Drama  (Urspr.)  578  flg. 
521  flg.  (Arten)  593. 
(allgem.  Charakteri- 
stik) 595  flg.  (scen. 
Apparat)  597;  (griech. 
Einfluss)5S2  flg.;  (Vor- 
hang) 602j  (Blüthe- 
zcit)  6Ö8T^ 

Dreieinigkeit  353. 

Dreigöttersystem  321  flg. 
359. 

Dtchemshld  24. 
Duncker,  M.  366  u,  ö. 


Dursch  542.  562. 
Dutt  215, 
Dymock,  W.  733. 

Eberhard  von  Württem- 
berg 523. 

Edelsteine  [3  Ed.  am  Hof 
des  Vikrama)  604 flg. 

Edgren  1AL 

Eggeliu$,  J.  1&  186. 

Eheschliessung  422  flg. 

Einheit  von  Zeit  u.  Ort 
(im  Drama)  596. 

Einsiedlerwesen  85*  93. 
384  flg.  387.  610  flg. 

Elcphanta  (Grotten  von) 
710, 

Elfen  (—  JJibhu'a)  62. 
Ellora  (Grotten)  268.  769. 
Entsagung  (völlige)  670. 
Lpos  451  flg. 
Etymologieen  (im  YV) 

135—137. 
Eukratides  307. 
Euthydemoa  306. 
Ewald,  II.  13. 

Fabeln  517  flg. 

Familienchroniken  715. 

Familien  verbinde  414, 

Familienverhältnisse  (z. 
Z.  des  RV.)  40,  (im 
Mitt.)  427—434. 

Fausböll,  V.  16,  280. 

Feinde  (Stell,  zu  ihnen 
im  CultuB)  121. 

Fclsenbaoten  766-  770. 

Fergusson,  J.  6.310.315. 
606,  TM  flg.  763  flg. 

Fesseln  des  Varuua  116, 

Feuer altäre  OL  i09. 

Feuercultns  (in  d.  ari- 
schen Zeit)  24. 

Feueropfer  98, 

Fieber  (Beschwörung) 
173.  114. 

Flüche  (der  Brahmanen) 
SSO. 

Flüsse  (verehrt)  70, 

Formeln  (unverständ- 
liche) HL  112. 

Forster,  G.  8.  9.  612, 
618.  619. 

Foucaux,  Ph.  E.  625, 628, 


Frank,  0.  13, 

Frauen  (Stell,  den.  z.  Z. 
des  YV.)  152  flg.  (im 
Mitt.)431-434.677flg. 

Frauenraub  429. 

Freibauten  (der  Brah- 
manen) 770—773  (d. 
Jaina's)  773. 

Fritze,  L.  16.  541.  54*. 
549.555  619.  625.  628. 
643.645.  651.657.681. 

Frösche  (Lied  an  d.  Fr.) 
48. 

Frühling  (ind.)  560. 
Führer,  A.  236.  751. 
Furtwaengler,  A.  521. 
Fusskampf  34. 

Galanos.D.  542  546. 695. 
Gandharven  370, 
Garbe,  R.  16.  96,  120. 

135,  35a 
Garrett  695. 
Gegenzauber  174.  175. 
Geiger,  W.  24.  25.  27.28. 
Geldner,  K.  15,  16 
Gemeinde  (buddhist) 

284  flg. 
Geometrie  718  flg. 
Gerhard,  W.  Ü20, 
Gerhardt,  P.  169. 
Geschichtswissenschaft 

215. 

Gewerbe  (im  RV.)  31^ 
(im  Mitt.)  435  flg. 

Gildemeister,  J.  13.  554. 
56L 

Gill  757. 

Goethe  &  2, 

Gold-  u,  Silberarbeiten 

Goldschmidt,  P.  Iß,  516, 
Goldschmidt,  8.  16.  516. 
Goldstücker,  Th.  13.659. 

HL 
Gorreaio  509. 
Götter  (im  RV.)  45  flg. 

(im  Mitt.)  821  flg. 
•Gottesurtheile  750. 
Govinda  DevaSastri  657. 
Gottesverehrung  (z.  Z. 

des  YV.)  94  flg. 
Graco-buddhistisch  Styl 

260  flg. 


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—    777  — 


Grammatik  (des  Sskr.)  8, 
SL  LL  16  (einheimi- 
sche) IQlflg.  (vgl.)  IL 

Graesmann,  IL  15.  83. 

Gray,  J.  681 

Griechiach-baktr.  Reich 
806. 

Griech.-ind.  Reich  30L 
Griffith  514,  757, 
Grill  657, 

Grimm,  J.  1ÜL  1IL 
619. 

GroBsmogulherrschaft 

817. 
Günta,  Th.  114, 

Haartracht  (z.  Z.  d.  RV .) 

ÖL 

Haas,  E.  19L  IM  flg. 
Haeberlin  13, 
Haeser  132, 
Hall  646,  647.  684.  714 
HamÜton  10.  542. 
Hammerich,  M.  620, 
Handel  u.  Industrie  (i. 
Z.  d.RV  >31  (im  Mitt.) 
435  flg. 
Hardy,  Spence  16, 
Haug,  M.  15.  96.  182. 

291.  438. 
Haughton  745. 
Hausliche  Ceremonieen 

196—198. 
Hausvater«  .Stand  de«) 

203, 
Heine  6, 
Heliokks  807. 
Henotheismus  H  flg. 
Herabkunft  der  Ganga 

503  flg. 
Herakles    («=»  Vishnu) 

36Qflg. 
Herder  8.  681. 
Hermaios  308. 
Hessler,  F.  129,  IM, 
Hillebrandt,  A.  1&  53, 
96,  98,  102,  195,  374. 
656.  666, 
Hirzel,  B.  619,  625,  659. 
Hochzoitabrauchel96flg. 
Hoefer,  A.  13,  503,  514, 

547.  562.  625. 
Holtzmann,  Ad.  (d.  ältere) 
13.472.  501.503.  605. 


Holtzmann,  Ad.  (d.  jün- 
gere) 16,   333,  352, 
355  flg.  369,  371.  460, 
Hölle  (im  Veda)  44;  (im 

Mitt.)  403. 
Hopkins,  E.W.743— 745. 
Höppl  620, 
Hultsch,  E.  IM, 
Humboldt,  W.  v.  12.  694. 

695.  700. 
Husten  (Beschwörung) 

114, 
Hüttner  745, 
Hydaspes  (Schlacht  am) 
297. 

Hymnenpoesie  (RV.) 
31  flg. 

Jacobi,  H,  16,  254,  259, 

444,  GOQ.  606.  128, 
Jagann atha  750,  112, 
Ideal  (d.  ved.  Inden)  34, 
Identificiren  127—136. 
Identificirungssucht  130, 
Identität  (der  Seele  mit 

Brahman)  690  flg. 
Jlvananda  Vidyas&gara 

651.  656,  657. 
Impey  168, 

Indopersische  Einheits- 
periode 22  flg. 
Indoskythen  309  flg. 
Indra  (im  RV.)  59—64; 

(im  Mitt)  360,  368, 
Industrio  3L  496.  437. 
Inschriften  (des  Ac.oka) 

802.  443  flg. 
Johaentgen,  F  16,  686, 

735.  743.  745. 
Johann  von  Capua  523. 
Jolly,  J.  16,41,430,735, 

736.  738  flg.  750,  151. 
Jones,  W.  8.  9, 555,  612, 

734.745.752,  756,757, 
Julien,  Stan.  522, 
Jurist.  Schulen  749. 

Kabir  332  flg. 
Kaegi,  A.  15,  HL  2k 
Kalanos  394, 
Kaliiah  u.  Dimnah  523, 
Kämpfe  and  Kampfart 
(z.  Z.  d.  RV.)  34, 


Karli  (Tempel  von)  I6L 
Kashinäth  Trimbak  Te- 
lang  655, 656,668, 695, 
Kastenwesen  (z.  Z.  des 
RV.)  33,  85i  (s.  Z.  d. 
TV)  152  flg.  (im  Mitt) 
410—426. 
Kathenotheismus  12, 
Keller,  0.  513. 
Kern,  H.  16,  251, 253  flg. 
259,  262,  210  flg.  605, 
128, 

Khosru  Anushirvan  521. 

523. 

Kielhorn,  F.  16,  541.710. 

11L  113, 
Kittoe  161. 
Klein  653, 

Klimat  Wirkungen  (im 

Gangeslande)  87. 
Kluge,  F.  65, 
Knauer,  F.  ÜL  199, 
Knighton  165, 
Königthum  (z.  Z.  d.  RV.) 

33;(imMitt.)4l8~416. 
Koeppen,C.87. 252,  379. 
Korur  (Schlacht  bei)315, 
Kosegarten,  J.  G.  L.  13, 
541. 

Kosmogooisohe  Bedeu- 
tung d.  Opfers  139, 140, 
Kossowitsch  643. 
Kreutz  wald  177. 
Kriegerisches  Wesen  (z. 

Z.d.  RV.)  33  flg. 
Kriegerstand  418. 
Kriegswesen  L  Mitt.  434, 
Ktesias  320, 
Kugler,  F.  7£3  flg. 
Kühe  s.  Rinder. 
Kuhn,  Ad.  15.  68,  175— 
HL 

Kuhn,  E.  16.  68, 
Kuhpockenimpfung  732. 
Künste  (z.  Z.  d.  RV,)  31 
flg.  (im  Mitt.)  152  flg. 
Kunstgewerbe  437. 
Kutab  od  diu  316. 
Kyros  295, 

Lackfarbe  436. 
Lancereau  542, 
Langlös  163  flg. 
Languinais  695. 


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—    778  — 


Lanman,  Ch.  16.  83. 
Lassen.  Chr.  IQ,  IL  12. 

296  flg.  304  flg.  313. 

334.  348,  542.  578, 

580.  591.  694. 
Leben  nach  dem  Tode 

43,  44. 
Lebensstadien  (äcrama) 

201  flg.  205. 
Legenden  (d.  YV.)  141flg. 
Lehrzeit  (der  Knaben) 

901—203. 
Leiden  (der Welt)  272  flg. 
Lenz,  R  13.  625, 
Leopardi  670, 
Leviratsehe  428. 
Lichterscheinungen 

(Götter  der)  54—59. 
Liebesgedichte  564  flg. 
Lindner,  B.lilfi,  108, 

186. 

Literaturgesch.  (ind.)  16, 
Lobedanz,  E.  £19,  625, 
Loeschcke,  G.  521 
Loiseleur  Deslong- 

champs  13.  713,  145 
Lorinser  695. 
Lübke  Z63  flg. 
Lüden»  598. 
Ludwig,  A.  15.  83. 
Luftraum  (Götter  des) 

59  flg. 
Lyrik  548  flg.  563  flg. 

Maasslosigkeit  448. 449. 

im 

Mahlen  (der  Körner  z. 

Opfer)  103. 
Mahmud  von  Ghasna316. 
Malerei  756.  757. 
Manencult  (z.  indopen. 

Zeit)  25*  (im  RV.)  43. 

44.  (im  Mitt)  427. 
Mannlöwe  839. 
Märchen   und  Fabeln 

517  flg. 
Mathematik  717  flg. 
Mayne,  J.  D.  750. 
Mayr,  Aurel  750. 
Medicin  729—733. 
Meditation  (buddh.)288. 
Mogasthenes320.361flg. 
Meter,  E.  13.  619. 


Melken  (der  Kühe  zum 
Opfer)  99, 

MenandroB(Milinda)308. 

Mensch  (legendär.  Ur- 
sprung) 137. 

Menschenliebe  (allgem.) 
673  flg. 

M  erse  bürg  er  Spruch  116. 

Metra  25.  131. 

Meyer,  E.  H.  371. 

Mischel,  F.  240. 

Misch  kästen  422  flg. 

Mittelalter  (indj  86  flg. 
243  flg.  318.  381  flg. 

Mohammed  Darascha- 

koh  239* 

Mönchthum  384  flg. 
Monogamie  (z.  Z.  des 

RV.)  40, 
Monotheismus   72,  79, 

80,  8L 
Moor,  E.  760. 
Moral  (des  Buddhismus) 

280  flg.  (im  ind.  Mitt) 

896—400.  673  flg. 
Morgenröthe  56*  56. 
Mosaikarbeiten  437. 
Muir,  J.  15.  83,  186. 

m*  745. 
Müller,  A.  731  flg. 
Müller,  E.  1& 
Müller,  M.  4,  13, 14.  22. 

29, 7L  72. 82. 83. 109, 

185. 186.226.235.238. 

2ia  257.  27£flg.  29L 

810, 313. 815. 542. 654. 

555.  564. 604.  «i07. 620. 

683,  688.  743. 
Münzen  805  flg. 
Musik  38.  752  flg. 


Nohl  755= 
Nothfeuer  69. 

Odin  (=-  Vita)  65* 
Oldenberg,  H.  16*  186, 

187. 198. 199.238.247. 

253,  255.  257,  269. 

262  flg.  270flg.277flg. 

310,  312.  319. 
Opfer  91  flg.  (Macht  u. 

Bedeutung  d.  0.  «.  Z. 

d.  YV.)  187—141;  (a. 

Z.  d.Brahmana'8)  180. 
Opferlöffel  105. 
Opferlohn  (der  Priester) 

161.  162* 
Originalität   (der  ind. 

Lit)  L  2, 
Orissa  (Grotten  von)  762* 
Oupnekhat  183, 239. 240. 


Nacht  (Göttin)  56*  (Er- 
schaffung der)  142. 

Nahak-Ceremonie  124. 

Nal  u.  Damajanti483flg. 

Nanak  382  flg. 

Nasik  (Grotten  von)  768, 

Neus  177. 

Neve,  F.  655. 

Nichtwissen  (Wurzel  d. 
Uebels)  274,  * 

Nisikanta  Chattopa- 
dhy&ya  579, 


P&li  16*  288,  289,  443. 
Pantheismus  (Neigung 
zum  P.  im  RV.)  76. 
(in  den  Upanißhad) 
212  flg.  (im  Vedaata) 
689  flg. 
Paria's  423. 

Paullinus  a  St  Bartho- 

lonieo  760. 
Peiper  695. 
Pertsch  116* 
Peschel,  0.  11L  124. 
Pessimismus  669. 
Peterson  542.  657. 
Philosophie  der  lader 

682  fr. 
Philosophisches  im  RV. 

81.  82. 
Pickford,  J.  652. 
Pischel,  R.  16,  66.  000. 
618.625,629.646,650. 
657.  710. 712. 714.71:.. 
Plastik  757— 7G3. 
Poesie  dos  ind.  Mittel- 
alters 571. 
Poetik  714, 
Poley,  L.  13. 
Polyandrie  431.468.476. 
Polygamie  430, 
Polytheismus  (im  RV.) 

1^  flg. 
Porös  296. 
Prakrit  443, 


Pmier  293.  294, 

Priester  (s.  Z.d.RV.)33, 
(z.  2.  d.  YV.)  92  flg. 
(Stellung  z.  d.  Opfer- 
herrn)  148  flg.  (Stel- 
lung z.  d.  Kriegern) 
156  flg.  (Begehrlich- 
keit) 200;  (im  Mitt.) 

ill  flg. 
Prinsep,  J.  fi.  819.  762. 
Prosa  (älteste  indogerm.) 

88;  (Mangel  ders.  im 

ind.  Mitt.)  450. 
PtolemaioB  (Astronom) 

72L 
Putjata  620, 
Pythagoras  260, 119  flg. 

Rabbi  Joel  523. 
RAjendraläla  Mitra  15. 
Ram  Raz  163, 
Rechtsliteratur  734  flg. 
Regenzeit  (ind.)  557. 
Regnaud,  P.  643.  714. 
715. 

Reinheitevorechriften 
404—409. 

Religiös-philosoph.  An- 
lage 2*  & 

Reliquien  verehmng  286, 

Reulaux  502« 

Rhetorik  714. 

Rhinoplastik  732, 

Rieu,  Ch.  13,  712. 

Rlgveda  (Stud  i  um  u.  Aus- 
gaben) 14,  15,  82.  83. 
(Zeit  u.  Ort  der  Ent- 
stehung) 28;  (Cultur- 
verhaltnisse  z.  Z.  des 
RV.)  30  flg.;  (Charak- 
teristik) 4  5  flg. 

Rinder  (Cultus  den.  in 
d.  indopers.  Zeit)  25 ; 
(Wichtigkeit  z.  Z.  d. 
RV.)  3L 

Ritter.  C.  765, 

Ritual  95  flg. 

Rodet,  L.  723, 

Roer,  E.  14,  83.  688, 

Roger,  Abrah.  681, 

fltomantiker  ti. 

Rosen,  F.  13.  82. 

Rosenkranz,  E.  659. 

Roth,  R.  14. 16,  IL  22, 


—    779  — 


23.  29,  42.  4L  83. 

172,  183,  439,  iS 

705,  730,  733. 
Roxbourgh  30. 
Rückert,  F.  12.  484. 572. 

581  flg.  620, 

Sakuntala  8,  9«  (8.  den 
Sanskrit -Index  s.  v. 
Qakuntala). 

Sallet,  A.  v.  305  flg.  761. 

Salsette  (Grotten  von- 
768, 

Sanchi  (Tope  von)  759. 
265. 

Sandrakottos  299, 

Sanskrit  442, 

Sanskritstudien  10  flg. 
13  flg. 

Säulen  d.  Acoka  759. 763, 

Scenischer  Apparat  (im 
Drama)  697. 

Schack,  A.  F.  v.  496, 
51L  515. 

Schaalen  (für  d.  Opfer- 
kuchen) 102. 

Schamanismus  (im  Cul- 
tus) 11L  118. 

Schauspiele  (volksmas- 
sige, in  Bengalen)  579. 

Schelling  240, 

Schicksal  (Brahma  als 
8.)  355,  (Vorstellung 
vom)  678, 

Schiefher  392, 

Schiller  612, 

Schlacht  (die  grosse) 
470  flg. 

Schlagintweit,  E.  316. 
425,  426. 250,  765  flg. 

Schlangengötter  9L  37L 

Schlegel,  A.  W.  t.  10. 
484.509. 542.694.735. 

Schlegel,  F.  10.  491 
507.  695, 

Schlüter,  W.  177. 

Schnaase  757  flg.  763  flg. 

Schönberg,  J.  16,  542, 

Schopenhauer  239,  240, 
670. 

Schrift  487—442. 
Schroeder,  L.  t.  89. 
Schütz,  K.  13.  514.  515, 
555, 


Schwab,  J.  16.  96, 
Schwachsinnige 
(Schreibweise  ders.) 

lia— Iis 

Seelen  Wanderung  85. 93, 
245  flg.  400—403. 

Segen  (Beschwörungen) 
HO  flg.  175  flg. 

Selbstlosigkeit  673, 

Selbstwahl  429. 

Seleukos  300, 

Selfgovemment  414, 

Seligkeit  (n.  d.  Tode^  43, 

Seligmann  732. 

Senart,  E.  16.  261  flg. 

Sexuelle  Verhaltnisse 
(im  YV.)  160. 

Shankar  P.  Pandlt  514, 

625,  628, 
Sindbad  54L 
Sinnenzügelung  86, 
Sintflutt  Sage  189.  888. 

482  flg. 
Skylax  295,  319, 

Socin  528. 

Solf,  W.  562, 

Somacultus  (in  d.  indo- 
pers. Zeit)  24, 

Somaopfer  9L  108. 

Sommer  (Schilderung  d. 
ind.)  555. 

Sonnerat  424.  755.  760. 

Sourindro  Mob  un  Tagore 
756, 

Speisegesetze  406 — 408. 
Spielerlied  39  flg.  48. 
Sprache  (im  Mitt.)  442— 
444. 

Sprachforschung  (ind.) 

701  flg.  (vgl.)  IL 
Sprüche  (ind.)  18.  398. 

667  flg. 
Standische  Verhältnisse 

(i.  Z.  d.  YV.)  152  flg. 

(Z.  d.  Brahmana)  200] 

(im  Mitt.)  410  flg. 
Stenzler,  A.  F.  18.  198, 

199.  514,  555,  643, 

736.  746,  148,  750. 
Stevenson  169. 
Strehly  65L 
Sturm  (Götter  desselb.) 

64  flg. 


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—    780  - 


Sühnopfer  95, 
SündenbewuB8t8ein  95. 
Symbolisiren  127  flg. 
Symeon  Seth  523, 

Tacitus  32. 

Tan*  (i.  Z.  d.  RV.)  38, 
Taranatha  Tarkayacas- 

pati  514.  54L  656, 
Tawney,  C.  IL  628. 
Tempelbauten  86,  (der 

Brahman<p)770~778 ; 

(der  Jaina's)  773. 
Terminologie  der  Ind. 

Gramm.  708  flg. 
Theologie(d.YV.)126flg. 
Thibaut,  G.  HL  1Q£  719. 
Thieropfer  9L 
Thomas,  E.  & 
Timor  316. 
Todtenmahle  428. 
Tonarten  754. 
Tope's  764—766. 
Trendelenburg  733, 
Trithen  65L  £52, 
Troyer  THl 
Trumpp  382. 
Tugendlehren  672,  674. 

697  flg. 
Tnllberg,  0.  F.  628. 
TiUinameh  546, 
Tyr  22. 

Ueberliefernug  (münd- 
liche Ueberl.  der  heil. 
Texte)  438, 

Uhie,  H,  54& 

Umfang  der  ind.  Lit.  4. 

Umstreuung  der  Feuer 
mit  Grasern  101. 

Unsterblichkeit  (z.  Z. 
d.  RV.)  43,  44. 

Upanishaden  180,  191, 
192.  212  flg. 

Urzeit  (indogerm.  -  2L 


Varnhagen,  iL  541. 
Veden  (Studium  ders.) 

IS  flg. 

Verbrennung  (der  Lei- 
chen b.  Z.  d.  RV.)  4L  42, 

Vergänglichkeit  des  Ir- 
dischen 669,  672. 

Verkörperungen  des  Vi- 
ahnu  329  flg. 

Verlobung  196, 

Viehzucht  3L 

Viveka  Kalanidhi  651. 

Volksversammlung  (zur 
Zeit  des  RV.)  33. 

Völlers  129, 

Wagener,  A.  518. 
Wahrheiten  (d.  4  heil. 

Wahrh.)  26L  212. 
Waldeinsiedler  203  flg. 
Waldfrau  10. 
Wallfahrten  387. 
Waffsersucht  (Gebet  um 

Befreiung  v.  den.)  53* 
Weber,  A.  14, 16,  44. 89, 

96.  108.  168. 170.172. 

182  flg.  186.  194,  12k 

197.  518.575.597.604. 

626.  628. 684.711.713. 

727.  728.  737. 
Weberei  437. 
Wehklage   des  Brah- 

manen  494, 
Weltalter  448. 
Welthüter  368  flg. 
Weltliche  Lieder  im  RV. 

48,  49, 
Weltschmerz  274..  670 

Anm. 
Werbung  196, 
West,  R.  750. 
Westergaard,  N.  L.  13. 

Whitney,  W.  D.  14,  16, 
172.  186.292.727.742 


Wiedersterben  246. 
Wilkins,  Ch.  2,  8.  542. 
694. 

Williams,  Monier  735. 
Wilmans,  O.  656, 
Wilson,  H,  H.  9,  10, 611* 

554,  579.  643.  64& 

651.  655,  656.  657. 

665.  113,  765, 
Wind  (Götter  des  W.) 

64  flg. 
Windisch,  E.  16,  598  flg. 
Windischmann  13.  24, 

689. 

Winter  (Schilderung 

dess.)  559. 
Wise,  Dr.  133, 
Wissen  (theolog.)  14L 
Wittkowsky  620, 
Wittwenverbrennung 

40,  432—434. 
Wolzogen  620. 
Wörterbuch  (Sanskrit-) 

16,  IL 
Wunder-  und  Märchen- 

drama  610. 
Würfelspiel  38  rig. 

Yuel-tschi  309. 

Zachariae,  Th.  16,  114. 
Zahlentheorie  725. 
Zehnkönigsschlacht 

34  flg. 
Zeitalter  des  Kalidasa 

604  flg. 
Ziflersvatem  Hl  flg. 
Zimmer,  II .  15, 16,24.80« 

31,  32,  37,  40.  65,  £3, 
Zio  22, 

Zoroaster  22.  26. 
Zwecke  d.  Opfere  118  flg. 
Zweifel  (an  Indra's  Exi- 
stenz EL 


SANSKRIT-INDEX. 

Amca  21.  53.  54,  Agnidti  108.  109.  Anga  167, 

Agni  68,  69,   14,   IL  Agnihotra  98.  100,  Ajätacatm  208,  292, 

28,    130,    135,   143,  Agnidh  98,  Atri  45,  55, 

315,  Agnyadhuna  97  Atharvan  24,  25.  68. 


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-    781  — 


Atharvaveda  14, 170  flg. 

(AV.  Uparishad)  19L 
Atharvaugimsas  171. 
Aditi  53.  102. 
Adhvaryu  88,  86, 
Anaöga  877. 
Anuahtubh  25.  3L 
Aparärka  749. 
Apsaraa  OL  320  flg. 
Amara713;  -koca  9,713. 
Amaru  u.  -cataka568flg. 
Amravatl  (Tope  von)  260, 
Aranyani  70, 
Arjuna  189,  491—494. 
Aryaman  22.  5iL  54, 
AvatAra's  (des  Vishnu) 

329  flg. 
Acoka  (König)  301  flg. 

759.  763. 
A?vaka  (Volk)  äüö. 
A(jvattha  69,  136. 
Ac.vin  54,  55. 
Asikni  29. 
Asura  23.  26.  90, 
Ahl  59, 

Ahura-Varüna  65, 

Akhyana  452, 

Atman  217  flg.  226  flg. 

Atman  -  Brahman  249. 

258. 
Atreya  45. 

Aditya23.27.53.54  134. 
Ananda  2S5T 
Apaatamba  (Cr.  $A  Ü>5, 

(Dharm.  S.)  736, 
Ayurveda  729. 
Aranyaka  180  flg.  203, 
Aranyagana  16t. 
Anini  IM.  187. 
Arya  30, 

Aryabhata  723,  72L 
Acrama  201  flg.  205. 
Acvalayana  (gr.  SJ  195, 

(Grih.  8.)  198. 
Asuri  190, 
Ahavaniya  97, 

Ida  78. 

Itihasa  452, 

Indra  26.  59—64.  73,  74. 

75,  18,  36a  368  flg. 
Indra- Agni  78.  142 


Indradatta  293, 
Indraprastha  165.  468, 
Indra  -Varuna  36,  63, 

Gl  18, 

im  im 

'Icopanishad  2M, 
'Icvara  349, 
*Ic.vara  Krishna  686. 

Ukha  108,  112, 
Utkara  (Schutthaufen) 
104. 

Uttararamacarita  595. 

648,  652  flg. 
Udgätar  16L 
Upanishad  18.  180,  19  L 

192,  212  flg. 
Upali  286. 

Urva$l  190.610.620.625. 

U^lnara  496, 
Ushas  55,  56, 

Rigveda  (Studium  und 
Ausgaben  dess.)  14 
UL  82,  83.  (Zeit  und 
Ort  der  Entstehung) 
28  —  30.  (Culturver- 
haltnisse  2.  Z.  d.  RYJ 
30  flg.  (Charakteristik. 
Eintheilung,  Verfas- 
se Entstehungszeit 
u.a.)  45  flg.  (Samm- 
lung u.  Redaction)  4iL 
(weltliche  Lieder)  48, 
(Götterwelt  des  RV.) 
49  flg. 

Ritusarnhara  L  9.  12, 
555  flg. 

Ribhu  62, 

Kishi  45, 

om  110, 

Aitareya  -  Aranyaka 
183;  -Upanishad  183_i 
-Brahmana  18L  182. 

Aindra-Qrammatik  712. 

AiravaU  310, 

Katha  89,  1£5,  184, 
Kanada  682,  688, 
Kanva,  Kanviden  45, 


Kathasaritsägara  543. 
546. 

Kanishka  Kanerki) 

309  flg. 
Kapila  682.  684, 
Kapilavastu  262. 
Kapishthala  165. 
Kapishthala  -  Samhitä 

89, 

Karpüra  aiijari  657. 

Karman  ^Lekre  vom^SO. 
Karmamimämsa  689. 
Kalki  339. 

Kalpa-Sutra  18L  193  flg. 
Kavi  28. 
KavirAja  516. 

Käthaka  89,  HL 
Käthaka-Upanisha<L191. 

235  flg.  -Grihyasütra 

198, 

Kätyayana  (Grammati- 
ker)  711. 

Katyayana's  Qr.  Sütra 
90.  195, 

Kadarabari  547. 

Kama  82.  316. 

Kamptla,  Kampilya  164 

Kurttikeya  316, 

Kftläcuka  293. 

Kälidäsa  3LL  £lLL  516, 
548  flg.  655.  ^Zeitalter) 
604  flg.  (allgem.  Cha- 
rakter.) 610  flg. 

Kavya  452,  514  flg. 

Kavyaprakaca  714. 

Kavyudarra  714 

Kac.i  16 

Kacika  112, 

Kayyapa  287. 

Kiinnara  310.  313, 
Kiratarjuniya  515. 
Kunala  282. 
Kuntl  466. 

Kubera,Kuvcra368.;i25 
Kubha  29, 

Kumarasambhava  514. 
Kuyava  60. 

Kurukshotral64flgl83. 

18L 

Kimi-Pancala  164  flg. 

182.  187. 
Kullfika  148, 
Kuca-Gras  99, 


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Krishna  329,  331  flg. 

468  flg. 
Krishnapura  lfifL 
Krishna  Migra  659. 
Kena-Upanisbad  184. 
Eosala  167. 
KailÄBa  (Tempel)  169. 
Kautsa  IM, 
KaucAmbi  166. 
Kaucika  (Grih.  S.)  199, 
Kauahitaki  -  Arany  aka 

188.  -Upanishad  183. 

233  flg.  -Brahmana 

182. 
Krumu  29. 
Kshatra  152, 
Kabatriya  418,  413» 
KihitlcavamcAvalicarita 

716, 

Kshemendra  oder  Ksbe- 

mlcvara  657. 
Khema  279. 


Gafiga  29,  30, 
Ganega  375. 
Gandbarva  310. 
Gatha  22,  25. 
Gana  168. 

Gandharvaveda  756, 
Gayatrl  (Metrum)  25.37. 

(—  RV.  3,  62,  10)  6L 

58. 

Gargi  Vacaknavl  208. 
Gargya  703. 
Garhapatya  (Agni)  91. 
Girica,  Giri$anta  344flg. 
849. 

Gitagovinda  11.  12.578. 

681—690. 
Gupta  (Dynastie)  312  flg. 
GritBamada  45. 
Grihastha  203, 
Grihyasutra  181. 194  flg. 
Gotama.682.  688. 
Gopatha-Brahmana  190, 
Gobhila  (Griby.  8.)  192. 
Gomatt  29. 
Govindaräja  747. 
Gaudapäda  686. 
Gautamal90.263.736flg. 
Gramageyagana  168. 
Gbatakarpara  562. 


Caturhotaras  141. 

Candakau$ika  667. 

Candragupta  299  flg. 

Candrabhäga  29. 

Caraka  ( ved .  Schule)  188. 
(Medicin.  Autorität) 
TM  flg. 

Can(}ala  423. 

Carana  313, 

Carvaka  661  flg.  694, 

Caitanya  382  flg. 

Caurapancägika  562, 

Chandogya-  Upanishad 
184.  226  flg.  -Brah- 
mana 184. 

Jagannätba  750,  712, 
Janaka  187—189.  208, 

209  flg. 
Janamejaya   164.  187. 

189. 

Janardana  326  flg. 

Jaya-Fonneln  115,  138, 

Jayadeva  (Verf.  d.  Glta- 
goy.)  527  flg.  (Drama- 
tiker) 658, 

Jätaka  287, 

Jaina  269. 

Jaimini  682,  689, 

Takman  173  flg. 
Takshacila  29iL 
tapas  82, 

Talavakara-Upan.  184, 
Tancjya-Brahraana  183. 
Tanünaptra  -  Ceremonio 

108,  152, 
Taranatha  392, 
Tirtha  387, 
Tritsu  35. 

Täittirlya  165.  -Aran- 
yaka  184, 185,  -Brah- 
mana 184.  185,  -Sara- 
hita 89, 

To<jarananda  750, 

Trita  (Aptya)  24. 

Tripitaka  287, 

Trimürti  359, 

Trishtubh  25.  37, 

Daksha  27.  53.  54. 
Dakshina  161  162, 
Dakshinägni  9L 
Dancjin'  547.  629,  714. 


Darbha-Gras  101. 
Dar^apürnamäsa  98  flg. 
Dalapati  749. 
Dacakumaracarita  547. 
Dasyu  30. 

Dakshayana  Familie 

107.  ' 
Dänu,  Dänava  60. 
Damodara  Micra  657. 
Diksha  108, 
Durga  349. 
Drishadvati  84.  164. 
Deva26  27.  90.136.  137. 
Drahyäyana  (Qr.  S.)  195, 
Draupad!  495. 
Dyaus  22.  23  49,  74.  77. 
Dhanananda  293. 
Dhanyantari  730. 
Dhammapada  273.  282, 

287. 

Dharmacastra  738—747. 
Dhannasütra  194.  199. 
236. 

Dhatupatha  713  flg. 
DEavaka  646. 

Nanda  293. 
Nandapandita  749. 
Nandanacarya  748. 
Nannada  (Nerbudda) 

165. 

Nala  LL  12.  483  flg. 
Nalodaya  515. 
Nalopäkhyana  483-486. 
Nagananda  644,  645. 
Nataka  593. 
Natyacastra  714. 
NIradasmriti  746, 
Narayana    (Gott)  32L 

(Jurist)  748, 
Nighantayas  (Naighan- 

tuka)'  703  flg.  713. 
Nifukta  14,  704  flg. 
Nirgrantha  (Secte)  259, 
Nirväna  276  flg. 
Nlticataka  667  flg. 
Naishadhlya  515, 
Nyaya-System  682.  688. 


Pancätantra  518,  521  flg. 
Mittheil,  aus  dems,) 
526  flg.  (Ausgaben) 
541,  (Sprüche)  668  flg. 


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PaÄcavimca-Br.  183.. 
Pancahoiaras  112, 
PancAla  IM  flg. 
PataSjali  682,  687,  OL 
PadapA^ha  703, 
Parikshit  164,  474. 
Paridhi-Hölzer  106, 
Parjanya  66.  67. 
Parjanya-VAta  78, 
Paryagni  -  Ceremonie 
104, 

Pagupati  (Beiname  Ru- 
dra's)  im  344  flg. 

PAnini  £  Iii  707—711. 

PAntfu  WL  189.  466  flg. 

PAn<Jva-Reich  363. 

Paraakara(Qriby.S.)199. 

Pirvati  349. 

Purana  452.  609  flg. 

Poxushasükta  214  flg. 

Purüravas  190. 

Pu roh iU  33, 

Püsban  58,  73,  77, 

PrithWl  14, 

Paurava  296. 

PAulicaaiddhanta  726, 

PracandapAndava  657. 

PrajApati  8i.'  9L  134. 
139.  140,  144,  213. 

Prabodhacandrodaya 
669—666. 

Prasannaräghava  658. 

PriyadarcikA  644. 

Baka  494, 
Barbis  25. 
Bali  326, 

BAna  541.  646.  716, 
BAdarAyana  682,  689, 
BAlabhArata  657. 
BAlarAmAyana  657. 
BAlaki  GArgya  208, 
BimbisAra  268,  292. 
Bilhana  562,  716, 
Buddha  18.  252  flg.  261 

flg.  290. 
Buddhagaya  759. 
BribateamhitA  728, 
Bribad  -  Aranyaka  190, 

207,  208.*  209,  220, 

222  flg.  228  flg. 
Brihaspati  10.  71. 
BAudhAyana  (Qr.  S.)  195, 

(Dharmacastra)  73G, 


—    783  — 


Brahmagupta  723,  728. 

Brahmacarin  201,  202, 

Brahmanaspati  70,  71. 

Brahman  (neutr.,  das) 
91,  152.  217  flg. 

Brahman  (masc,  Prie- 
ster) 98.  100  flg.  HL 
172. 

Brahmamlmamsa  689. 
Brahmarshi  166. 
Brahmateda  17L  172, 
BrahmA  17,  244  flg.  322, 

354  flg. 
Brahm&varta  166, 
BrAhmana  152,  179  flg. 

183, 

Bhaga  27.  53.  54,  65, 

BhagavadgltA  8,  10.  12, 
836.  694—700. 

Bbatta  NarAyana  657. 

Bhattikavya  514.  515, 

Bhattotpala  728. 

Bharata  (Volk)  35,  166, 

Bharata  (N.  pr.  myth. 
Schöpfer  deB  Dramas) 
578.  591.  (Rhetoriker) 
714.  (Musiktheoreti- 
ker) 756, 

Bharadvaja  45.  195, 

Bharbut  759, 

Bhartrihari  12,  398. 
563!  flg.  667  flg.  681. 

Bhava  344  flg. 

Bhavabhüti  608.  647. 

Bharatl  78. 

Bhäravi  515. 

BhAlambhattatikA  749, 

Bhaskara  Äcarya  723. 
725,  728. 

Bhikshu  (brahman.)  204, 
(buddbist.)  269,  285. 

Bhlsbma  465  flg. 

Bhürja-Ms.  172. 

bhür  bhuvah  svah  100. 
11L  112. 

Bhrigu  HL 

Bhoja  (König)  658, 


Magadha  167.  294. 
Matöva  165. 
MathurA  166, 
Madhyadeca  163, 
Mandala  (des  RV.)  45. 


Manu  9.  166.  734  flg. 
740  flg. 

ManubhAshya  747, 

Marut  65,  66, 

Macaka  (Cr.  £y  195, 

Mahädeva  344, 

Mahanätaka  658. 

Mahabhärata  452  flg. 
459  flg.  (universaler 
Charakter)  453  flg. 
(erste  Abfassung)  461. 
(Umgestaltung)  462 
flg.  (Umfang)  463,  (In- 
halt) 465— 475.  (histor. 
Umstände,  die  der  Fa- 
bel zu  Grunde  liegen) 
476  flg.  (Vermuthung 
über  die  Umgestal- 
tung) 479  flg.  (Aus- 
gaben) 497.  (Sprüche) 
668  flg. 

MababhAshya  711. 

Mahärashtri  444, 

Mahä  v  iracarita  648. 651, 

Mahendra  301. 

MAgha  u.  -kÄvya  515. 

Mänava  (Schule)  11L 
741. 

Manava-Grihy.  S.  198. 
742..  -fr.  8.  194,  195, 
-Dharmacastra  111. 
166.  TM  flg.  740— 
745.  -Dharmasütra 
74L 

MAra  265, 

MAlatlmAdhavall.  648- 

651. 

Malavikagnimitra  610. 

626—628. 
MAlukya  278. 

Mitäksharä  £48, 
Mitra  23.  27.  53.  54.  58, 

74.  15,  131.  143. 
Mitra- Vamp a  78. 
Milinda  3«»0 
MlmamsA  Gb2.  688  flg. 

Mudr&rAkshasa  655  flg. 
MricchakatikÄ  12«  599 
flg.  629  flg. 

Meghadnta548flg.  (Aus- 
gaben) 554. 
MedhAtithi  74L 
Mohamudgara  668  flg. 


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-    784  — 


Maitrayantya  11L  165, 
Maitravani  Sambita  89. 

hl  202. 

Maitreya  339. 
Maurya  299  306. 

Yaksha  325, 

Yakshma  113, 

Yajamäna  98,  148  flg. 

Yajurveda  Ii.  (Periode 
des)  84  flg.  (Schulen 
dess )  89  flg.  (Ver- 
gleich mit  dem  RV  ) 
90  flg.  (Geist  u.  Inhalt 
d.  Y.)  92.  (Ursprungs- 
land) 163  flg.  (der 
schwarze  Y.)  IM  (der 
woisse  Y.)  185. 

Yama  24.  43.  142.  3G8. 
824. 

Yaml  24.  142. 

Yamuna  29,  84. 

Yavanika  602, 

Yajnavalkiyakanda  188. 

Yaifiavalkya  182  flg.  208 
flg.  228  flg.  (Gesetz- 
buch des  Y.)  245  flg. 

Yatra  529, 

Yaska  204  flg. 

Yoga -System  682.  687. 

ßakshas,  Rakshasa  102, 
378. 

Raghunandana  748. 

Raghuvamfa  614. 

Ratnavali  628.  644  flg. 

Ragavibodha  u.  a.  mu- 
ßikal.  Werke  256. 

Raghavapändaviya  616. 

Rajagriba  162,  266. 

Rajatarangint  715.. 

Rajanya  152. 

Rajayakshma  123, 

Raja^ekhara  657. 

Rama  329.  333  flg.  491 
flg.  661  flg. 

Ramäyana  10.  452  flg. 
(Inhalt)  492  flg.  (Epi- 
soden) 603  flg.  (Aus- 
gaben) 609. 

Ravana  336.  328, 

Rudra  66,  23.  341  flg. 

Budrata  715. 

Romakasiddhanta  222. 


Rauhina  60. 
Lakshml  34t). 
Latyäyana  (Cr.  SJ  196. 
Lokapala  368  flg. 
Läugäkshi  195. 

Vararuci  212. 
Varahamihira  605.  228. 
Varuna  22.  23,  2L  3L 

49-53.  23.  24.  142. 

368.  321.  (Hymnen 

an  V.)  6Q  flg. 
Vala  6a 

Yasishtha  3L  35  flg.  45. 

52  flg.  34£  389, 
Vasishtha's  Dharmasu- 

tra  738.  242. 
Vajasaneyi-Samhita  89. 

165.  185. 
Vata  Gl  65. 
Vanaprastha  203» 
Vämadeva  45. 
Vamana  214. 
Vayu  64.  65.  143.  375. 
Yarttika  711. 
Valakhilya-Hymnen  45. 
Valmiki  454. 
Vashkaia-Up.  234, 
Väsayadatta  542, 
V  as  18  h  t  had  h  a  r  raa  £  a  s  tr  a 

236/ 
Vasudeva  32L 
Vastoshpati  70. 
Vikrama  314  flg. 
Vikraniorvagi  620. 
Vijuäne^vara  748. 
Vitasta  29. 

Yidegha  Mathava  189, 
Yideha  167. 
Viddhacalabhaiijika657. 
Vidyadhara  373. 
Vindusara  300, 
Vipac.  29,  35  flg. 
Vibhidaka  39, 
Vimala  Sah  223, 
vic.  32, 

Vic&khadatta  608.  655. 
Vi?  vakarman  19.80, 269, 
Vicvamitra  35.  45,  61 

389.  502  flg. 
Vic>ecvarabhat(a  749. 
Vishnu  58.  5IL  74,  22. 

91^  130.  324  flg.  358, 
Vishnusmriti  236.  238, 


Vlna  255, 
Vritra  59  flg. 
Ventsambara  657. 
Vetalapancav  im^ati  543. 
Veda  9.  13,  46  flg. 
Yedi  97.  104. 
Vedanta  191.  239.  682. 

689—694. 
Vopadeva  13,  212, 
Yaikhanasasütra  195. 
Yaijayantl  749. 
Vaitana-Sutra  120.  196. 
Vairagyacataka  668, 
Vaiceshika-System 

68L 

Vaicja  162  flg.  419. 
Yyasa  454  flg.  465  flg. 

473.  477. 
Vratyastoxnab  184. 

Cam kara  (B.  d.Qa  344. 

(oer.  Philosoph^  689, 
Caka  309  flg. 
fakuntala  (Saknntala, 

Sakontala)  8.  9.  496, 

BIO.  613-  620. 
Qatapatha  -  Brahmana 

90,  186—190. 
Cami  69, 
(Jambara  60. 
Carva  344  flg. 
Cakatayana  206. 
Cäkal'ya  203. 
Cakya  263, 

fankhayana  ($r.  8.)  195. 
(Grihy.  S.)  m  (Brih- 
mana)  lfiL  182. 
andüya  1SL 
änti^ataka  668  flg. 
Cäriraka-Mimamsa  689. 
Civa  9L  341  flg.  35L 
^irupalavadha  516. 
Clladitya  Harsha  315. 
Cukasaptati  543.  545  flg. 
yuüga  (Dynssüe)  305. 
Cutudrl  29.  35  flg. 
('unah«;epa  182, 
Cunahcepa  Xjigarti  50, 
Culvasutra  218  flg. 
Cushna  60. 

£udra  152  flg.  419  flg. 
Cüdraka  £ÜL  629. 
£ürasena  166, 
Culapani  249, 


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—    785  — 


Oringaratilaka  567. 
Criflgaracataka  564. 
Cauraseni  444. 
Cr!  340, 

Qrlbarsha   oder  -deva 

fiOS,  S28,  644.  646, 
Crautasütra  1SL  193  flg. 
Cloka  450,  506. 

ähadviipca-  Brahmaija 

184. 

Samnyasin  204. 
Samgitakauinudi   u.  a. 

musik.  Werke  756  flg. 
Sapta^ataka  575. 
Samudragupta  813. 
Saraavati  (Fluss)  IB.  81 

164.  (Göttin)  352, 
Savitar  52.  24,  21, 
Samkb vakarika  686. 
S&Dikhya-  Lehre  25L 

682.  m  flg. 
Samaveda  14.  1&L  183. 
Samidheni-Verse  1ÖL 
Sayana  4L 

S&vitrl       Gayatrl)  5L 


58.  (Nom.  pr.  einer 
Frau)  186  -490. 

Säuityadarpana  572  714. 

Simhasanadvätrim^ati 
543.  546. 

Siddha  323, 

Siddhunta  726  flg. 

Sindhu  22, 

Sita  (Ackerfurche)  30. 

(N.pr.imRam.)499flg 

652  flg. 
Sudäs  85  flg. 
Sun  da  u.  Upasunda  494. 
Subandhu  547. 
Suvastu  29, 
Sucruta  229  flg. 
Sutra  18L  193  flg. 
Surya  57.  77.  375. 
Süryasiddhanta  727, 
Setubandha  516. 
Sorna  u.  -Opfer  24.  62. 

63,  20,  II.  73.  74  97, 

108.  375. 
Somadeva  540. 
Soma-Pübhan  7&  -Ru- 

dra  23, 


Skanda  376. 
Skandagupta  313. 
Stupa  293, 
Sthali  22. 

Smärtasutra  123  flg. 
Smriti-Lit.  746 
svadha  82, 
svataa  IUI 

Hannmannataka  658 
Hara  350. 
Hari  226  flg. 
Hari-Rudra  352. 
Haris-Opfer  HL 
Hala  525, 

Hastinapura  165.  465 flg. 
Uidimba  494. 
Hitopadeca  8—11.  542, 

m.  flg.- 

Hiranyake<jin    (r.  S.) 

ifift. 

Hemacandra  13.  112. 
Hemadri  749. 
Hotar  28 
Hotra  2& 
Uorac&stra  728. 


ZEND-INDEX. 


airya  30, 
Amoretat  2L 
Amesha  cpenta  23.  27. 
Aiha  vahista  26,  22, 
Ahura  Mazda  23.  26.  27. 
.Uhrawa  24. 
Athwya  24. 

Ifidra  oder  Andra  26. 59, 
ücij  28, 
Kavi  20, 


Kshathra  vairya  27. 
Gatba  22,  25, 
Zarathustra  22.  26,  22. 
Thraö täoua,  Thrita  24. 
Daöva  26.  22. 
dahyu  30. 
Fravashi  25. 
Bagha  52. 
bare^man  25, 
Mithra  23,  24. 


yazata,  ya$na  25. 
Vima,  Yimak  24, 
Vishtaspa  2£ 
Vlvanhvao 
Vohu  mano  27. 
Cpenta  ärmaiti  27. 
Haoma  24 
Haurvat  2L 


GRIECHISCHER  INDEX. 


ÄxeotvtjQ  29. 
uvayvwQiOfioq  600. 
Biödonyg  29* 
Btnaaig  29, 
yMdaöwq  29, 
Zaqa6(>oq  20, 
ZtVQ  TlUTtjQ  22,  65. 
"HXios  51. 


7/oJc  55, 
yIv66q  22, 
Kigßeoo;  44. 
KXeiooßoQu  361. 
Küxptjv  29. 
Me&opd  361. 
Ofyavoc:  23,  49, 
üavMn  äüL  363. 


i>O'()«(>0</  'ry^  29, 

2Toaoros  22, 
TÜQxaQoq  4A_ 
'Fdaowi^  22, 
vAo/fcoi  204,  393, 
"r>aa/c  22. 


Schräder,  Indiens  LH.  u_  Galt.  50 

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Berichtigung. 

p.  745  Anra.  4  füge  hinzu:  Bühle«  Uebereetzung  des  Manu  in  den  Sacred 
Books  of  tbe  Eatt  Vol.  XXV  (The  Lawt  of  Mann,  translated 
with  Extracto  from  teven  Commentarioa). 


Bochdruckerei  in  holprig. 


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■ 


uigitiz 


CjOoqIc 


MAY  1  1  1937 


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