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Full text of "Sämtliche poetischen Werke"

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Sämtliche 
poetischen 

Werke:  -3.  Bd. 
Der  rasende 
Roland 


Lodovico  Ariosto, 
Alfons  Kissner 


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LUDOVICO  ARIOSTO 

SÄMTLICHE 

POETISCHEN  WERKE 

ERSTER  BAND 


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LüDovico  Ariosto 

Sämtliche 
Poetischen  werke 

ÜBERTRAGEN 
VON 

ALFONS  KISSNER 


ERSTER  BAND 


D  £  R 

Rasende  Roland 

Erstbii  bis  vierzehnter  Gbsang 


BERLIN 

IM  propylAen-verlag 


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ALLE    RECHTE  V0RBP:HALTEN 
COPYRIGHT  1922  BY  F  KO  P  Y  LÄ  E  X  •  VE  K  L  AG  G.  IL  B.  H.  IN  DKRLIN 
EINBAND  UNO  SATZANORDNUNG   VON    HUGO  STEINER-PRAG 
DRUCK  DIR  8PAHBR8CHBN  BUCHDRUCKBRBI  IN  LBIPZIG 


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1Q  __. 

\5iU  NT  H  A  T.  T  5;  V  F  R  7.  R  T  T.  H  N  T  S 


11U- 

I     Vorbemerloing  des  Übersetzers   IX 

Vorbemerkung  zur  zweiten  Auflage  des  „Rasenden 
Roland",  zugleich  zum  ersten  deutschen  Gesamt- 

Ariost   XV 

Einleitung  XXVII 

Geschlechtstafel  des  Hauses  Ariosto  .  ,  ,  ._  CLXll 

Geschlechtstafel  Karls  des  Großen  und  seiner  Paladine  CLXII 

Inhalt  der  Gesänge   CLVII 

Erster  bis  vierzehnter  Gesang: 

I   I — 21 

II   22 — 41 

III   42—61 

IV   62—^0 

V  81—104 

VI  105—125 

VII  126—146 

VIII  147— i6q 

IX  170— IQ3 

X  IQ4 — 222 

XI  223—243 

XII  244 — 267 

XIII  268—288 

XIV  28Q — 322 

Anmerkungen  323 — 342 


VORBEMERKUNG  DES  ÜBERSETZERS 


...  wenn  tief  in  der  Nacht  darch  dämmernde  Wipfel 

der  Mond  scheint 

Und,  vom  Zuge  berührt,  dttert  die  Flamme  des  Herds, 
Sei  Arioet  mir  ge^fOßt,  der  Poet  twwtfarliigerMftrcheiil.  • . 

Geibel 

Wir  haben  aus  dem  Jahre  1507  den  Brief  einer  ita- 
lienischen Fürstin,  der  für  die  Literaturgeschichte  von 
Bedeutung  geworden  ist.  Die  von  Jacob  Burckhardt  als 
„unerschütterHch  ruhige,  im  Beobachten  schalkhafte  und 
liebenswürdige,  zur  Unterstützung  jeder  künstlerischen 
Bestrebung  bereite  und  das  Grofie  wahrhaft  bewundernde 
Frau'*  gefeierte  Isabella  von  Este,  Gemahlin  des  Ifarchese 
Gian  Francesco  Gonzaga  von  Ifantua,  dankt  darin  ihrem 
Bruder,  dem  Herzog  Alfons  I.  von  Ferrara,  für  seinen 
Glückwunsch  zu  ihrer  Entbindung  von  einem  Sohne  (dem 
nachher  so  berühmt  gewurdenen  Ferrante  Gonzaga). 
,,Ganz  besonders  danke  ich,"  fügt  die  Marchesana  hinzu, 
,,daß  Ihr  mir  als  Boten  Messer  Ludovico  gesandt  habt; 
denn  abgesehen  davon,  daß  er  mir  als  \^ertreter  Eurer 
Herrlichkeit  willkommen  war,  hat  er  auch  durch  sich 
selbst  mir  hohe  Befriedigung  gewährt  und  durch  Bericht 
über  das  Werk,  an  dem  er  schafft,  mich  diese  zwei  Tage 
nicht  nur  ohne  Müdigkeit,  sondern  mit  großem  Vergnügen 
verbringen  lassen.** 

Das  Werk,  dessen  Plan  Ludovico  Ariosto  der  Mantuaner- 
Fürstin  entwickelte,  war  der  „Orlando  furioso",  und  jene 
beiläufige  Bemerkung  der  Marchesana  ist  der  erste  Beleg 


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X     VORBEMERKUNG  DES  ÜBERSETZERS 


für  das  Vorhandensein  einiger  GesSnge  —  man  wdB 
nicht,  wie  vieler  —  des  unsterbfichen  Gedichtes.  Die 
Schreiberin  ahnte  nicht»  daß  —  nenn  Jahre  später  — 
die  vollendete  Dichtung  einen  allgemeinen  Sturm  des 
Entzückens  hervorrufen,  dafi  ganz  Italien  dem  Verfesser 
zujubdn  und  ihn  als  den  h(}chsten  Dichtergenius  der 
Nation  mit  dem  Beinamen  des  Gdttlichen  begrüßen  sollte. 

Seitdem  hat  der  Ruhm  Ariosts  nichts  von  seinem  Glänze 
verloren.    Noch  heute  ist  es  unbestritten,  daß  wir  im 

Rasenden  Roland",  der  einen  Goethe  zu  begeisterter  Be- 
wunderung hinriß,  das  poetische  Meisterwerk  der  gesamten 
großen  Renaissanceperiode  zu  erkennen  haben.  Ob  der 
Dichter  ernste  Töne  anschlägt  imd,  \vie  es  zuweilen  ge- 
schieht, zum  Pathetischen  sich  erhebt  oder  ob  er  —  was 
er  bei  weitem  vorzieht  —  im  behaglichen  PJauderton,  ein 
Lächeln  auf  den  Lippen,  erzählt,  köstlich  in  seiner  leisen 
Ironie  und  schalkhaften  Anmut,  hier  und  da  Leuchtkugeln 
des  Witzes  emporschickend  oder  die  Schellenkappe  des 
Humors  —  eines  gar  prächtigen  Humors  —  schüttelnd, 
ob  er  die  altromantische  Wundemvelt  aufbaut,  innerhalb 
der  gegebenen  phantastischen  Bedingungen  stets  durch 
Folgerichtigkeit  und  einen  wahlhaft  modernen  Wfarklich- 
kdtssmn  uns  überraschend  —  immer  ist  er  voll  Leben, 
frisch  und  anziehend.  Ganz  besonders  hoch  werden  wir 
Neueren  es  ihm  anrechnen,  daß  er,  streng  künstlerisch 
schaffend,  durch  fein  abgewogene  Gestaltung  des  einzel- 
nen Vorwurfs  den  ästhetischen  Sinn  zu  ergötzen  weiß. 
Das  gilt  auch  von  jenen  Stellen,  wo  Ariost  in  besonders 
übermütiger  Laune  mit  dem  Ton  der  verwegensten  Fa- 
bhaux  wetteifert  und  fast  die  Grenze  des  Erlaubten  über- 
schreitet. Des  Dichters  vollendete  Kunst  weiß  auch  den 
heikelsten  Stoff  zu  adeln. 

Wenn  der  „Rasende  Roland"  nun  gegenwärtig  gewisser- 
ma6en  das  vierhundertjährige  Jubiläum  seines  Daseins* 


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Vorbemerkung  des  Übersetzers  xi 


beginnes  feiert,  werden  wir  Deutsche  als  GratidanteD  nicht 
snrückbleiben  dOrfen.  I^d  mit  wdcher  besseren  Festgabe 
könnten  wir  erscheinen  als  mit  dem  Kunstwerk  selbst  in 
deutscher  Fassung  ?  Zumal  da  gerade  auch  die  fünf  Lustra 
abgelaufen  sind,  die  —  wie  es  scheint  —  immer  einer 
neuen  Rolandübersetzung  die  Wege  bahnen  müssen.  So 
gab  uns  das  verflossene  Jahrhundert  in  seinem  Lauf  vier 
Übertragungen  des  ..Furioso":  zwei  in  seiner  ersten  Hälfte, 
die  von  Gries  und  die  von  Streckfuß.  Im  Jahre  1855 
erschien  der  „Roland"  von  Hermann  Kurz.  Der  liebens- 
würdige Dichter,  dem  wir  so  reizvolle  Übertragungen  ver- 
danken, war  bei  seiner  Arbeit  vom  Verleger  zu  übermäßi- 
ger Hast  gedrängt  worden,  so  daß  sein  Werk  die  Voll- 
endnng  nicht  eneichte,  die  er  ihm  wohl  sonst  gegeben 
hätte.  In  der  Frachtansgabe  mit  den  herrlichen  lUnstra- 
tionen  Dor^  bot  nns  daran!  Fänl  Heyse  eine  verbesserte 
Gestalt  der  von  seinem  allzufrüh  geschiedenen  Freunde 
lunterlassenen  Nachdichtung.  Den  Beschlnfi  machte  1882 
der  geniale  Otto  Gildemeister,  der,  wenn  man  gleich  gegen 
manches  Einwendungen  erheben  kann,  seinen  Rnhm  auch 
auf  dem  neuen  Gebiete  behauptet  hat. 

Bei  aller  Anerkennung  dieser  Leistungen  bedeutender 
Übersetzer  dürfen  wir  uns  nicht  verhehlen,  daß  dem  großen 
Ferraresen  voll  gerecht  zu  werden  noch  weiterhin  versucht 
werden  muß.  Die  neue  Zeit  bringt  neue  Anforderimgen 
auch  für  den  Nachdichter  fremder  Geisteswerke.  Früher 
nahm  man  unreine  Reime  ruhig  hin ;  jetzt  stören  sie  uns. 
In  der  Schule  Platens  imd  Geibels  sind  wir  empfindhcher 
geworden,  anspruchsvoller  auch  in  bezug  auf  die  uns 
gebotene  Form.  Während  Kurz  und  Gildemeister  nicht 
die  einheitliche  Stanze,  sondern  nach  dem  Vorbild  Lord 
Byrons,  der  für  seine  Zwecke  eine  saloppe  Form  branchte, 
beliebig  wechsebide,  für  den  Übersetzer  freilich  viel  be- 
quemere, Varianten  derselben  angewendet  haben,  werden 


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XII    VORBEMERKUNG  DES  ÜBERSETZERS 


wir  das  jetzt  nicht  mehr  gutheißen.  Wer  etwas  vom  Reiz 
italienischer  Oktaven  deutsche  Leser  fühlen  lassen  will, 
darf  sich  von  der  einheitlichen  geschlossenen  Form  nicht 
entfernen.  Dem  Bedürfnis  nach  Abwechslung  genügt  der 
festgelegte  dreifache  Reim  (b— d—f).  Die  Melodie  der 
Stanze  verklingt,  wenn  die  Versausgänge  durcheinander 
geworfen  werden.  ,,Wenn  ich  die  Endverse  der  Stanze 
stumpf  finde,  so  habe  ich  das  Gefühl,  wie  wenn  einer 
königlich  gekleideten  Frauengestalt  die  Schleppe  abgetreten 
würde,"  ist  das  Wort  eines  Kenners,  das  zu  Recht  besteht. 
Daß  wir  uns  auf  gleichbewegten  Wellen  des  Rh3rthma8 
wi^en  müssen,  hat  auch  Goethe  wohl  gewußt:  er  ge- 
braucht ausschließlich  („Zueignung**,  ,,Die  Geheinuusse") 
die  einhdtliche  Form.  Gries  suchte  ihm  zu  folgen,  ver- 
mochte aber  die  Einheitlichkeit  nicht  durchzufuhren.  In 
einer  durch  Entlehnungen  aus  Kurz,  Heyse,  Gildemeister 
herbeigeführten  Ausbesserung  des  Grie^chen  Textes  ist 
sie  gleichfalls  nicht  vollständig  erzielt  worden. 

Eine  neue  deutsche  Ariostausgabe  muß  dem  ver- 
feinerten ästhetischen  Empfinden  unserer  ,, reizsamen"  Zeit 
Rechnung  tragen:  sie  muß  die  geschlossene  einheitliche 
Form  festhalten  und  ebenso  reine  Reime  (bei  den  Reimen 
mit  offenem  e,  für  das  eine  Norm  der  Aussprache  noch 
nicht  erzielt  ist,  mag  man  sich  in  Übereinstimmung  mit 
Gildemeister  einen  gewissen  Spielraum  gestatten).  Erfor- 
derlich sind  sodann  Anmerkungen,  die,  wenn  sie  auch  mit 
Rücksicht  auf  den  Durchschnittsleser  möglichst  knapp  ge- 
halten sein  müssen,  ihm  die  notwendigen  historischen, 
literarischen  und  sonstigen  Aufklärungen  bieten.  Nament- 
lich wird  —  was  bis  jetzt  von  sämtlichen  deutschen  Über- 
setzern außer  Augen  gelassen  worden  ist  —  auch  den 
Quellen  gewisser  Wendungen,  in  erster  Linie  Gleichnissen, 
wenigstens  in  den  wichtigsten  Fällen,  Aufinerksamkeit  zu 
schenken  sein;  denn  oft  gewinnen  wir  erst  den  rechten 


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VO R BEMERKUNG  DES  ÜBERSETZERS  XIII 

Eindruck,  wenn  wir  über  die  zugrunde  liegende,  von  Ariost 
als  bekannt  vorausgesetzte  Entlehnung  oder  Anspielung 
auf  Stellen  aus  klassischen  oder  späteren  Autoren  unter- 
richtet sind.  Empfehlen  wird  es  sich  auch,  in  den  An- 
merkungen gelegentlich  an  Stellen  der  Dichtung  anzu- 
knüpfen, um  des  Dichters  künstlerisches  Verfahren  zu  be- 
leuchten; gewissermaßen  in  seine  poetische  Technik,  wenn 
auch  nur  andeutungsweise,  Einblick  zu  gewähren.  Ein 
Register  am  Schluß  des  Werks  erleichtere,  wie  bei  Gilde- 
meister, die  Übersicht  über  das  darin  Gebotene:  „Ob  vom 
die  Sachen,  ob  sie  hinten  stehen,  Aus  dem  Verzeichnis 
findet  man'sherans/'  mag  man  mit  Ariost  (Gesang  15,  St.  14) 
denken,  wenn  es  sich  auch  nm  kein  Zauherbuch  handdt. 

Nach  diesen  Gnmdsätzen  Ist  im  Nachfolgenden  ver- 
fahren worden.  Natürlich  kommt  das  Beiwerk  nur  neben- 
her in  Betracht,  und  eines  bleibt  das  weitaus  Wichtigste: 
eine  aus  Sprach-  und  Formgeschick  hervorgegangene  — 
und  womöglich  von  poetischem  Gef&hl  getragene  —  flotte 
Übersetzung.  Sie  ist  imerläßlich  für  den  neuen  deutschen 
Roland",  dessen  wir  bedürfen.  Möge  sie  hier  nicht  ver- 
mißt werden! 

Und  möge  ein  Arnold  Böcklin,  der  den  Rasenden 
Roland"  zu  seinem  Liebhngsbuch  erkor,  mit  dieser  Vor- 
liebe recht  viele  Nachfolger  finden! 

Marburg  i.  H.,  April  1907 

ALFONS  KISSNER 


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VORBEMERKUNG  ZUR  ZWEITEN  AUF- 
LAGE DES  „RASENDEN  ROLAND«, 
ZUGLEICH  ZUM  ERSTEN  DEUTSCHEN 

GESAMT-AKIOST 

Gebührt  auch  dem  Ersiimen  höhre  Guast, 
Gnt  fibenetna  ist  nicht  Idclit«  i&uit: 
Der  Gegenstand  ist  fiteüicli  längst  gefonden, 

Doch  Phantasie  und  Hand  sind  dir  gebunden. 
Und  bringst  du,  was  ein  andrer  Mann  ersann. 
Kommt  es  auf  Urteil,  nicht  Erfindung,  an. 
(Invention  labooxs  less,  bat  judgment  more.) 

So  ungefähr  schrieb  vor  etwa  dritthalbhundert  Jahren 
der  englische  Dichter  Roscommon,  Verfasser  der  immer 
noch  bemerkenswerten  „Abhandlung  über  Versüber- 
setzung'* {Essay  ort  translated  verse).  Den  —  fast  trivial 
zu  nennenden  —  Rat,  bei  Versübertragungen  Überlegung, 
Urteil  {judgrneni)  walten  zu  lassen,  wird  besonders  ge- 
rechtfertigt finden,  wer  bereits  erschienene  Nachbildungen 
zu  einer  neuen  Ausgabe  vorzubereiten  imd  möglichster 
VoUkommenheit  entgegenzuführen  hat.  Bei  der  Neu- 
gestaltung des  „Rasenden  Roland"  ergab  sich  zunächst 
die  Frage:  Sollte  am  Ende  doch  der  neuerdings  be- 
liebten, s.  B.  auch  von  Detlev  von  Lihencron  und 
Ddunel  bevorzugten  freieren  Stanzenform,  wie  sie  nach 
dem  Vorbilde  Lord  Byrons  H.  Kurz  und  Gfldemeister  für 
ihre  Aiiostübersetzung  gewählt  hatten  (vgL  oben  S.  XI)» 
Raum  zu  vergönnen  sein?  Leichter  zu  handhaben  war  ja 
diese  Form  unstreitig,  bot  auch  größere  Abwechslung  und 
freiere  Bew^^ung,  aber  ein  Durcheinanderwerfen  der 


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XVI     VORBEMERKUNG  ZUR  ZWEITEN  AUFLAGE 


männlichen  und  der  weiblichen  Versausgänge,  die  bald  an 
dieser,  bald  an  jener  Stelle  erscheinen,  bringt  in  die  Stro- 
phen eine  Unruhe,  die  den  stolzen  Fluß  der  Oktaven  stört. 
Bei  einer  saloppen*  Formgebung,  einer  kapriziösen  Dich- 
tung \de  Byrons  ,,Don  Juan"  mag  man  sich  das  gefallen 
lassen;  mit  der  strengen  Gesetzmäßigkeit,  die  dem  gött- 
lichen Ludovico"  über  alles  ging,  imd  mit  der  Wieder- 
gabe italienischer  Ottave  rime  verträgt  es  sich  nicht. 
Darum  blieb  die  —  einst  von  Heinse,  dem  Verfasser  des 
,,ArdingheUo",  zuerst  euigeführte«  aber  erst  von  Goethe 
zur  Geltung  gebrachte  —  Stanzenform,  die  den  klingen- 
den Reim  in  der  ersten,  dritten,  fönften  Verszeile  sowie 
im  Schlußcoiiplet,  den  stumpfen  Reim  in  der  zweiten, 
vierten,  sechsten  verlangt,  auch  in  dem  neugestalteten 
„Rasenden  Roland"  unangetastet. 

Während  die  Einkleidung  der  Dichtung  beibehalten 
wurde,  haben  die  einzelnen  Strophen  zum  Teil  sehr  be- 
trächtliche Änderungen  erfahren;  für  gewisse  Abschnitte 
wäre  die  Bezeichnung  Umarbeitung  zulässig,  weil  das 
Feilen  weitgehende  Anforderungen  machte.  Wenn  der 
Meister  von  Ferrara,  wie  wir  sehen  werden,  mit  dem  Ver- 
bessern und  Ändern  seines  Rolandtextes  sich  gar  nicht 
genugtun  konnte,  so  ist  es  dem  Nachbildner  ähnlich  er- 
gangen. Inuner  wieder,  bald  hier,  bald  da,  tauchte  bei  der 
Durchsicht  ein  „mehr  entsprechender"  Ausdruck  auf  und 
verlangte  gebieterisch  Aufnahme,  denn  „Auch  in  ver- 
änderter Form  noch  wirken  Bericht  und  Gedanke,  Doch  die 
Empfindung  Übt  einng  im  eigensten  Wort" 

Ihrer,  der  Empfindung,  habhaft  zu  werden,  die  Stimmung, 
die  das  fremdländische  Kunstwerk  umfingt,  herüberzu- 


*  Der  Anadrnck  9aiopp  itt  mir  von  Pftvl  Heyae  bemingett  ipocte; 

der  Dichter  vergaß,  daß  bereits  sein  Freund  Otto  Gildemeister,  der 
Byronübersetzer,  zur  Kennzeichnung  der  Don-Juan-Dichtttilg  ^rade 
dieses  Wort  gewählt  hatte,  und  gewiß  mit  Kecht. 


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VORBEMERKUNG  ZUR  ZWEITEN  AUFLAGE  XVII 


retten,  in  die  Atmosphäre  des  Originals  den  deutschen 
Leser  einzuhüllen,  mußte  ja  vor  allem  das  Augenmerk 

des  Übersetzers  sein,  wollte  er  dem  „Äquivalent",  dem 
Gleichwert  des  Vorbildes,  möglichst  nahekommen.  Hier  lag 
manchmal  die  Versuchung  nahe,  mit  Hilfe  unreiner  Reime 
sich  die  Sache  bequemer  zu  machen,  aber  die  innere 
Stimme,  von  der  Geibel  spricht  {,,dte  dich  belohnt  für  das, 
was  sinnvoll  du  bereitest,  U7td  Straß,  wenn  du  das  Maß  des 
Schönen  über  schreitest'^),  ließ  das  nicht  7ai.  Seit  Platen, 
Geibel,  Fehx  Dahn  u.  a.  auf  Reinheit  der  Versaus- 
gänge  drängten,  ist  ihnen  ein  energischer  Mitstreiter  er- 
wachsen in  Detlev  von  Liliencron,  der  wiederholt  (im 
„Maecen"*,  im  „Poggired*"  usw.)  sehr  drastisch  und  mit 

*  So  S.B.  S.  60:  „Platen  reimte  rein,  nnd  das  können  die  Deutschen 
dnrchans  nicht  leiden;  sofort  werden  sie  mifitnraiach:  Das  kann  doch  kein 

Dichter  sein,  der  uns  reine  Reime  schenkt  I  Mir  ist  ein  unreiner  Reim 
wie  eine  Ohrfeige.  Deshalb  wird  es  mir  auch  ?o  schwer,  einen  von  mir  zu 
den  Höchsten  geschätzten  Dichter,  Martin  Greif,  zu  lesen.  Seine  Reime, 
ihnlicih  wie  bd  MSrike,  Schiller,  Goethe,  sind  geradesu  SedenmOrder. 
Es  ist  mir  eine  Unerklärlichkeit:  ein  Dichter  mnß  doch  starken  Sinn  fSr 
guten  Klang  und  Schönheit  haben;  es  muB  ihm  doch  wehe  tun,  wenn  ei 
unrein  reimt  oder  unreine  Reime  hört.  Aber  nein,  es  hilft  nichts.  Selbst 
Gottfried  Keller  reimt  Erde  auf  Gefährte.  Wenn  die  Deutschen  nicht  mehr 
Teufel  auf  Zweifel  reimen  dfirffcen,  ftthren  sie  ohne  Zweofel  sum  Teifd." 
Besonders  eindringlich  veranschaulicht  LiliencKOn  seine  Theocie,  indem 
er  Heines  berölmites  FrühlingsUed  mit  strengen  Bindungen  versieht: 

Leise  zieht  durch  mein  Gem&t 

Liebliches  Geläute: 

Klinge,  kleines  Frfihlings  1  ü  d , 

Xling  iiiiians  ins  Wäutet 

Kling  hinaus  bis  an  das  Haus, 

Wo  die  Veilchen  sprießen: 

Wenn  du  eine  Rose  schaust, 

Seg*,  ich  lass'  sie  grieBenl 
Dies  sehershafle  Beispiel  ist  swingend.  Sind  einmal  die  tatsächlichen 
Klang\'erh,iltnisse  zum  Bewußtsein  gebracht,  so  dürfte  manchem  das 
Auge  geöffnet  oder  vielmehr  das  Ohr  geschärft  und  feinfülihgcr  ge- 
macht sein  so  daß  die  Erkenntnis  des  Unbefriedigenden  falscher  Reime 
auftaucht.  Der  Obersetser  selbst,  dem  früher  unechte  Bindungen  nicht 
wehe  taten,  machte,  von  Felix  Dahn  beldirt,  diesen       nach  Damaskus. 

Arlost  I  n 


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XVIII  VORBEMERKUNG  ZUR  ZWEITEN  AUFLAGE 


ergötzlicher  Erbitterung  nachgewiesen  hat,  daß  Bindun- 
gen wie  „Höhen — sehen**  einen  Gleichldang  —  auf  diesem 

beruht  doch  das  ästhetische  Vergnügen  —  nicht  bieten 
und  das  Cicfühl  verletzen.  Bald  wird  die  Ablehnung  der 
unreinen  Reime  allgemein  sein*. 

*  Zu  den  ventechniscbeii  Fragen  mdcbte  ich  noch  bemerken,  daß 
von  dner  Seite  Reime  ynt  »Stang*  — taag — Wang"',  „Ehr*  —  mdur  — 
her"  wegen  der  Apostrophiernng  beanstandet  worden  sind.  Mit  Un- 
recht. Bei  Goethe  finden  sich  ApostropWerungm  massenhaft :  „ich  . . . 
bin  der  lang'"  reimt  aui  „Gesang" ;  „die  Quer'  und  Läng'  —  durch  seine 
Gäng'",  also  mit  Bevonugung  der  abgekOrsten  Fenn.  So  Im  Faust: 
„ ...  so  m  ich  wollf  —  vergehen  soUf  *' ;  femer  ,>er — wir"*,  „Red*  — 
tfif";  „vor  die  Angm  brächt'  —  Knecht".  Heine  reimt:  ,,anis  Haupt 
dir  legen  sollt'  —  hold".  Heutzutage  wird  die  gleiche  Abkürzung  sogar 
im  hohen  Stil  von  den  iormstrcngsten  unserer  Poeten  angewandt.  Felix 
Dahn  reimt:  „. . .  es  gilt  vid  mehr  Als  unser  Leben,  es  gilt  die  Ehr"*; 
Fanl  Heyse:  „schdner  Mund  —  mr  rechten  Stmd"',  „Stadt  —  ge- 
trunken hatt'",  „Herzgeiüst  —  ersiegen  wüßt'".  Und  wer  dächte  nicht 
an  das  allbekannte  „Lehn'  deine  Wang'  an  meine  Wang'". 

Fem  er  wurden  Reime  bemängelt  wie  „die  Degen  in  der  Scheid'  ~> 
Streit  —  WirlcUchkeit'*.  Allein  was  ffir  das  Auge  eine  unreine  Bindung 
daistdlt,  ist  noch  keine  solche  Iftr  das  Otat,  Nidit  der  graphische 
Ausdruck,  das  Wortbild,  ist  maßgebend,  sondern  lediglich  der  Laut- 
wert. Stimmhafter  Verschlußlaut,  auslautend  o<ler  in  pausa,  wird  als 
stimmlos  gehört:  „Scheid'"  klingt  dann  wie  Scheit  und  darf  ruhig  mit 
„Streit**  gebunden  werden.  So  rehnt  GoeÜie  mit  gutem  Recht  „Leid 
—  gescheit",  „Not  —  Tod*',  „gesinnt  —  das  Kind",  und  Geibd,  immer 
noch  die  oberste  Autorität  auf  vexstechniacbem  Gebiet,  schliefit  sein 
„Zigeunerleben"  mit  den  Versen: 

Und  die  aus  der  sonnigen  Heimai  vcr  bannt , 
Sie  schauen  im  Traume  das  glückliche  Land. 

Von  derselben  Seite  wurden  Formen  getadelt  wie  „entwind 't  — 
find't  ~  verschwind't"  (die  aus  videa  Dichtem  zu  bdqgen  sind)  und 

Wortstellungen  wie  „Erbarmt  euch,  Herr,  ich  sprach,  die  Händ* 
erhoben*',  , .Betrübt  und  mild  er  bleibt  im  Grase  liegen".  Man  fragte: 
Warum  nicht  „bleibt  er"  ?  Antwort:  weil  der  Vers  dadurch  euphonischer 
wurde  und  solche  Wortstellungen  aus  gleichen  Gründen  bei  unseren 
Klsssikem  und  Romantiicem  oft  angewendet  werden;  dann  auch,  weil 
dadurch  ein  gewisser  altertümlicher  Eindruck  erzielt  wurde.  Diesem 
gleichen  Zwecke  dienten  Ausdrücke  wie  ,,miteinand*',  ,,empfahn",  die 
auch  gerügt  worden  sind  (wiewohl  es  noch  gar  nicht  lange  her  ist,  daß 
„swei  Löwen  einst  seiband  In  einem  Wald  spazoren  gingen"  usw.). 


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VORBEMERKUNG  ZUR  ZWEITEN  AUFLAGE  XIX 


Bei  der  Nachprüfung  der  deutschen  Oktaven  ging  das 
Hauptbestreben  natürHch  dahin,  eine  möglichst  glatte 
Diktion,  Wohlklang  und  rhythmischen  Schw'ung  zu  er- 
zielen. Unter  diesem  Gesichtspunkt  haben  sich  viele 
Stellen  eine  Umwandlung  gefallen  lassen  müssen.  Daß 
unsere  deutsche  Sprache,  hart  und  spröde,  dem  Übersetzer 
wenig  entgegenkommt,  beklagte  schon  unser  berühmtester 

Das  prosaischere  „einander"  klingt  aber  hart  und  uneuphonisch,  wäh- 
rend die  Sltete  Form  geschmeidiger  ist  und  Wohlklang  besitzt.  Tiefcr- 
bUdranden  entging  es  nicht,  welche  Wirkung  durch  solche  altmodische 
Formen  gewonnen  wurde.  Ein  hervorragender  Romanist  hebt  in  einer 
Besprechung  meiner  „Orlando" -Einkleidung  zustimmend  hervor,  daß  ich 
,,dem  Ganzen  ein  leicht  archaisierendes  Gepräge  gegeben,  das  ja  für 
den  heutigen  Italiener  die  Werke  der  Renaiasaace  haben'*  (Nene  freie 
Presse,  i8.  April  1909). 

Unter  diesem  Gesichtspunkt  sind  —  um  noch  eine  Beanstandung  zu 
erledigen  —  meine  archaistischen  Wendungen  „in  Tränen  leisen",  „aus 
Qualen  herben"  nstr.  an  fassen:  das  nachgesetzte  Adjektivom  darf  auch 
in  der  schwachen  Form  stehen.  Im  Anfang  des  Nibelungenliedes  ist  uns 

. . .  •«  «Am  Maren  wonienoÜ  gntit 
Von  rsektn  lobebmrtn,.,, 

und  später  träumt  es 

Kriemhilden  in  lugenden^  der  sie  pflac, 

Wie  sie  einen  valhen  wilden  xüege  manchen  tac. 

Seitdem  ist  dieser  Gebrauch  noch  nicht  ganz  veraltet. 

Ein  wirkungsvolles  Mittel  zur  Belebung  des  leicht  eintönig  wirkenden 

Ganges  der  regelmäßigen  Jamben  besteht  in  der  ..Taktumstellung", 
d.  h.  in  dem  Ersatz  der  beiden  Anfangsjamben  durch  den  Choriambus 
(— v^vy— ),  z.B.:  „Eher  den  Tod  als  stets  in  Knechtschaft  leben"; 
„Dn.9  ist  das  Los  des  Schönen  anf  der  Erde" ;  „Kurz  ist  der  Schmerz, 
und  ewig  ist  die  Freude."  Früher  suchte  man  in  solchen  FUlen  mit 
„schwebender  Betonung"  zurechtzukommen,  bis  Bernhard  ten  Brink 
nachwies,  daß  Taktumstellung'  anzunehmen  ist.  Ich  habe  mich  ihrer 
zuweilen  bedient,  z.  B. :  „Brennender  Durst  und  Wunsch  nach  etwas 
Rnh."  Das  ist  von  jener  „einen"  Seite  mißbilligt  worden.  Dann  müfite 
auch  Schiller  zurechtgewiesen  werden  und  von  nnseven  ftbrigen  Fbeten 
MU  qutmH,  a.  B.  Uhland,  wenn  er  sagt : 

Graf  Richard  von  der  Normandie 
Erschrak  in  seinem  Leben  nie, 
Er  schwtifU  nachts  wie  Uigs  umher, 
Manehgm  Gtspenst  h»stpiif  «r. 

II« 


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XX      VORBEMERKUNG  ZUR  ZEITEN  AUFLAGE 


Shakespeareübersetzer  gar  beweglich,  nachdem  er  einen  ein- 
zigen Gesang  des  „Orlando",  den  elften,  verdeutscht  hatte. 
Deutsche  Stanzen  schmieden  bleibt  freilich  immer  mißlich, 
wenn  die  Behauptung  Liliencrons  (im „Poggfred'*)  zutrifft: 

Auf  italienisch  fährt  der  Achter zu^ 

Vollendet  anmutig  durch  alle  Stege. 

Auf  deutsch  ist  er  beinah  schon  ein  Betrugt 

Er  kotpni,  sMpert,  knart^,  hnmn^  äunk  M»  W§gß, 

Auf  italienisch  iOnfs  wie  Himmelsflug, 

Auf  deutsch  wie  eine  stumpfe  irdische  Säge. 

Aber  alles  das  durfte  nicht  entmutigen  beim  Versuche, 
für  die  Nachdichtung  des  ^»herrlichsteii  Werkes  roman- 
tischer Phantasie"  und  jenen  »»wundersamen,  zugleich  ur- 
alten und  doch  noch  lebendigen  Stil,  an  dem  der  Edelrost 
von  fünf  Jalirhunderten  haftet",  etwas  Verwandtes  im 

Freilich  muß  tkh  dieie  „'DiktamBteUaiig"  auf  den  Venanfui^  und  auf 
den  Anfang  der  «weiten  Vershälfte  beschränken.  Gfldemelster  gestattete 

sich  die  Taktumstellung  beliebig,  und  dagegen  mußte  teil,  weil  dann 
holperige  Verse  herauskommen,  mich  erklären. 

Von  strittigen  Punkten  hat  einer  mich  beschäftigt:  Dari  eine  lange 
SObe  mit  einer  kurxen  gebunden  werden,  x,  B.  „Bahn"  —  „daran**? 
FQr  gewöhnlich  habe  ich  das  vermieden,  wiewohl  Dichter  ersten  Ranges 
es  sich  gestatten,  z.  B.  Paul  Heysc:  ,,Da  mußtet  ihr  ihn  sehen,  wie  er 
toastete"  als  Reim  zu  , .kostete"  und  „röstete".  Sämtliche  bisherigen 
Arlostübcrsetzcr  haben  dergleichen  zugelassen,  auch  Gildemeister.  Eine 
gewisse  SUbengruppe  solchen  xweifelhaften  Charakters  ist  uns  durch 
zahlreiche  Gedichte  nnd  Lieder  vertrant  geworden: 

So  hob*  ich  denn  die  Stadt  verlassen,.. 
Ich  wandle  einsam  durch  die  Str** ßen,,,, 

ferner  im  Volkshed: 

Da  ich  dich  so  treu  geliebt. 

Ober  alle  Mäßen, 

Muß  ich  Oeh  vcrlUsseu... 

bei  Lenan: 

Jeder  Pfad  ver lassen, 
Nur  der  volle  Mondenschein 
Wachte  auf  den  Straßen  — 

nnd  ähnliche  Verse  stören  uns  nicht.  Diese  Bindung«!  glaubte  ich 
welter  im  Reime  dulden  su  sollen. 


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VOKPFATrP.KTTyn  7T^R  ZWEITKN  AVTJ  \cr  XXT 


Deutsch  des  zwanzigsten  Jahrhimderts  za  schaffen.  Hof- 
fentlich nickte  Zeus  Kronion  diesem  Bemühen  Gewährnng. 
Gänzfiche  Umgestaltung  erfuhr  die  Einleitung.  An 

Stelle  der  kurzen  biographischen  Skizze  ist  eine  breiter 

angelegte  Darstellung  getreten,  die  nicht  nur  die  Lebens- 
schicksale Ariosts  verfolgt,  sondern  auch  in  die  Psyche 
dieses  einzigen  Mannes  Einblick  zu  gewinnen  versucht. 
Dem  gleichen  Zweck  dienen  die  sich  anschließenden  — 
ebenfalls  neu  angegliederten  —  Untersuchungen  und  lite- 
rarhistorischen Ausfühnmgen.  Eine  Ergänzung  hierzu  bil- 
den verschiedene,  den  Anmerkungen  zu  gewissen  Stellen 
des  „Orlando"  eingefügte  Darlegungen,  die  mir  dort  einen 
wirksameren  Platz  zu  haben  schienen  als  in  der  allgememen 
Einleitung. 

Eipe  nicht  nnbeträchtUche  Verstärkung  hat  das  Glossar 
zum  „Roland"  gefunden.  Wer  des  Dichters  technisches  Ver- 
fahren studieren  wiU,  muß  besonders  den  Gleichnissen,  so- 
dann den  Staten,  Entlehnungen  und  Nachbildungen  (die 
auch  über  den  Umfang  seiner  Bildung  und  Belesenheit 
Licht  verbreiten)  sowie  den  Naturschilderungen  Auf- 
merksamkeit zuwenden.  Hierfür  wurden  entweder  neue 
Rubriken  eingeschaltet  oder  die  vorhandenen  Beispiele 
vermehrt.  Auch  den  Anmerkungen  wurde  einiges  hinzu- 
gefügt. Bei  diesen  Zusammenstellungen  leisteten  mir  das 
monumentale  Werk  von  Pio  Rajna,  Le  Fonti  ddP  Of' 
lando  furioso,  und  die  vortreffliche  Ausgabe  der  großen 
Epopöe  durch  P.  Papini  (Firenze  1903)  gute  Dienste*. 

Die  zwei  Bände  der  ersten  Auflage  hatten  lediglich  be- 
zweckt, den  „Roland"  zu  bringen.  Während  des  Druckes 

*  Von  aadevBii  Werkm  irurdeii  beDStit:  Batotti,  G.  A.»  L«  V4tm 
a  L.  AHoito  (ia  M§moH§  StoriekiU  Fenara  1807;  Baniifiüdi,  G., 

La  Vita  di  L.  Ario^;  Campon,  G.,  Notisie  per  la  Vita  di  L.  Ariosio, 
Mantna  1901;  Fornari:  in  der  Vorrede  zu  seiner  Erklärung  des  Orl. 
Fur.,  1549;  Frizzi,  Memorie  storiche  della  nobiU  famiglia  Ariosti  di 
Ftnmm,  Fenara  1779;  Gaidaflr,  B.  G.,  DhAm  and  po$t9  in  Finrara, 


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XXII      VORBF>IFKKT^Xn  7T'T'   ZWmT  X   ATU-T  AHK 


r^e  sodann  der  kunstsinnige  Verleger  eine  Herausgabe 
der  „Kleineren  Werke**,  zunächst  einer  Auswahl,  an,  und 
es  lautete  eine  Ankündigung:  „Ariosts  Komödien  und 
Satiren**.  SchliefiUch  wurden  auch  die  Eime  hinsuge- 
fOgt,  und  das  Ganze  erschien  als  ein  gesondertes  Werk, 
„Ariost,  Kleinere  Werke",  tatsächlich,  aber  nicht  dem 
Titel  nach,  die  Gesamtausgabe  vollendend.  Die  vorliegende 
zweite  Auflage  \vill  auch  die  formale  Einheit  herstellen: 
an  den  umgearbeiteten  Roland"  (Bd.  I,  II,  III)  schließt 
sich  Band  IV,  im  wesentlichen  unverändert  die  „Kleineren 
Werke"  enthaltend. 

Im  bisherigen  dritten  (dem  gegenwärtigen  vierten)  Band, 
der  jetzt  nur  Text,  nämlich  der  Komödien,  dann  der 
Gedichte  (Elegien,  Capitoli,  Ekloge,  Kanzonen,  Sonette, 
Madrigale),  endlich  der  Satiren  sowie  die  zugehörigen  An- 
merkungen, das  Verzeichnis  der  zumeist  benutzten  Werke, 
eine  Sammlung  von  Sentenzen  und  sprichwörtlichen  Stellen 
aus  allen  Werken  Ariosts,  als  Anhang  fünf  Proben 
aus  den  lateinischen  Gedichten,  eine  Kanzone  und 
zwei  Sonette,  deren  Autorschaft  zweifelhaft  ist,  femer 
einige  nachtragliche  Ausführungen  und  den  Epilog 
des  Obersetzers,  schliefilich  das  Namen-  und  Sachr^[ister 
enthält,  beschränken  sich  die  Änderungen  auf  Einzelheiten, 
Verbesserungen  der  Diktion,  wo  solche  nötig  erschienen, 
sowie  ein  Feilen  und  Glätten  der  Verse.  Aus  dem  Nach- 
laß Paul  Heyses  erschienen  (bei  Diederichs  in  Jena),  in 
dem  Sammelwerk  ,,Aus  der  Zeit  der  Renaissance'*  ins 
Deutsche  übersetzt,  einige  itaUenische  Komödien  des 
Cinquecento,  darunter  die  von  Ariost  verworfene  Prosa- 


Westminster,  Constable,  1904;  Gardner,  E.G.,  The  King  0/ Court  Poets, 
London,  Constable,  1906;  Garofalo,  Girolamo,  Vita  di  M.  Lod. 
Ariosto,  Venezia  1584;  Pitterie,  Opere  minori  di  L.  Äriosto^  Venedig  1856; 
Twnban,  Stiwd^  L,Anoilo,  livomo  1903;  Tortoli,  Conmsiii  § 
Saün  a  L.Avioslo,  FSrense  1S56. 


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VORBEMERKUNG  ZUR  ZWEITEN  AUFLAGE  XXIII 


fassung  der  Cassaria.  Im  Vorwort  gedenkt  Heyse 
meiner  Übertragung  der  Verskomödie  gleichen  Namens, 
stellt  sich  in  einer  Formfrage  (die  Beseitigung  des  Endeca- 
siüaho  sdrucciolo  und  den  Ersatz  durch  unseren  fünf- 
füßigen Jambus  betreffend)  an  meine  Seite,  wendet 
sich  aber  dann  gegen  mein  Aufgeben  der  Terzinen  form 
in  den  Satiren  sowie  gegen  den  Umtausch  gewisser, 
eme  Deutung  tragender  Personennamen  (in  der  „Kasten- 
komödie") in  deutsche:  der  Diener  „Geier*',  „Rabe", 
„Füchsldn",  „Strahl"  und  des  Schwindlers  „Mausfall"*. 
Was  den  eisten  Punkt  betri^,  so  bin  ich  noch  heute  4er 
Ansidit,  die  ich  in  den  „Kiemeren  Werken"  (S.  XXIX 
bb  XXXIV)  auseinandergesetzt  habe:  die  (erxa  nma** 


*  Heyse  schließt  mit  der  Bemerkung:  „Dies  befremdet  am  so  mehr, 
als  IQfiiMr  dch  sonst  in  saneii  Übeisetrangen  als  etneii  gewandten 

Poeten  erwiesea  hat."  Wer  da  weiB,  dafi  —  infolge  eines  wahren  Ratten« 
kfinigs  von  Mißverständnissen  —  Heyse  im  Jahre  1907  vor  dem  Er- 
scheinen meiner  „Roland" -Übersetz u  ng  hinsichtlich  dieser  sehr 
nnsanft  fibcr mich hergefalten  war  (BeiMntt zur  ..Münch.  Allg.  Ztg."),  wird 
begreifen,  wie  wertvoll  diese  posthnme  EhrenerUftrong  mir  gewesen  ist. 
Hbbe  ich  doch  dadurch  gewissermaßen  geradezu  —  aus  der  Hand 
eines  früheren  Gegners  —  ein  pamassisches  Diplom  erhalten.  Mit  Rüh- 
mng  denke  ich  daran,  daß  der  ehrwürdige  Nestor  unserer  deutscheu 
Dichter  an  seinen  Beteten  Lebenstagen  nch  mH;  meinen  Atiostarbeiten 
beschäftigt  hat  nnd  dann  Veranlassung  nahm,  mir  Genngtanng 
zu  geben.  Einer  an  jener  Stelle  gemachten  Äußerung  Heyses  habe 
ich  Rechnung  getragen:  er  bezeichnete  dort  die  Wiedergabe  der  Pro- 
loge zu  den  fünf  Komödien  durch  gereimte  Verse  als  stilgerecht. 
Dies  fand  ich  bei  nochmaliger  Durchsicht  zutreffend  und  wandelte  in 
den  ffinf  Prologen  den  Usfaerigen  reimlosen  fflnffHBigen  Jambns  in 
den  gereimten  nm. 

**  Hübsch  hat  Detlev  v.  Liliencron  den  Charakter  der  ierMa  rima 
veranschaoUcht  (im  „Poggfred",  S.  39): 

Terzinen  müssen  wie  granitue  Mauern 
Geprüft,  gepaßt,  gefügt,  gemArtdt  sein. 
Damit  sie  jeden  Sturmstoß  überdauern. 

Genau  gepaßt,  gefügt  ruht  Stein  an  Stein. 
Nicht  nur  die  Form,  der  Inhalt  muß  erst  recht 
,Wie  angegossen'  sich  zusammemreihn. 


XXIV    VORBEMERKUNG  ZUR  ZWEITEN  AUFIAGE 


ist  eme  uns  fremde,  vornehme  Versfonn,  nicht  geeignet  för 
das  leichte  Pärlato.  Wohl  hat  der  mistreitig  erste  Meister 

dieser  Dichtform,  Paiü  Heyse,  uns  vollendet  leichte  und 
glatte  Terzinen  geschenkt  (z.  B.  im  Salamander"  und  in 
den  herrlichen  „Versen  aus  Itahcn"),  aber  die  Frage 
ist,  ob  selbst  er  diese  Vorzüge  mit  der  erforderten  Treue 
der  Textwiedergabe  hätte  vereinigen  können.  Der  frei- 
schaffende Dichter  kann  durch  gclegenthches  Umbiegen  des 
Gedankens,  durch  irgendeine  kleine  Scitenwendung  der 
Schwierigkeit  ausweichen  und  die  Sache  gestalten,  wie  er 
will,  nicht  aber  der  Nachschaffende.  Um  die  Hauptsache 
zu  erreichen,  das  heißt :  um  den  Ton  der  Vorlage  zu  treffen, 
bedürfen  wir  sowohl  für  Ariosts  »»Satiren"  wie  für  seine 
Rime  einer  anderen  Form  als  der  von  ihm  gewählten.  — 
Daß  die  Diener  „Füchslein",  „Rabe"  usw.  mitten  unter 
Bewohnern  von  Sybaris  etwas  wmiderlich  wirken,  war  auch 
mir  von  vornherein  klar  gewesen,  aber  die  fremden  Namen 
hätten  niemals  dem  deutschen  Durchschnittsleser  die  vom 
Autor  beabsichtigte  Kennzeichnung  des  Charakters  deut- 
lich gemacht;  es  galt,  durchsichtige,  typische  Namen  zu 


Die  hier  in  dröhnenden  Versen  gepredigte  „feiscnhaitc"  starre  Gesetz- 
mlBiglMit  ist  mit  der  ISasigen  Uagebandeiilwit  des  bequemen  Parlato 
schlechterdings  unvereinbar.  Rceilich  hat  Lilieacron,  gewiisermafieii 

sich  selbst  ironisierend 

{Ich  Kleisterknecht  '/  Dagegen:  W eich  ein  mfOuam  Lrimtn,  SchUbtn, 
Und  welch  ein  lochgeflicktes  Felsgeflechtl 
Nichts  da  von  Dantes  großen  Hammerhiebenl), 

die  edle  Strophenfbcm,  die  im  „Poggfired"  mit  Oktaven  abwechselt,  ge- 
l^entlich  sn  kaprisifieeii  lud  grotesken  ^viagen  genrangen,  aber 

damit  die  Wahrheit  oTn^cr  Verse  nur  um  so  deutlidier  gemadit.  Wv 
pflichten  dem  Dichter  bei,  wenn  er  weiter  sagt: 

Und  der  Terzinen  sancta  trinitas 
Dämmt  die  GedankenÜut  ins  rechte  Maß. 

Ganz  recht.  Wo  aber,  wie  z.  B.  in  Arioets  Satiren,  die  „Gedankenflut" 
frei  nnd  ungehemmt  dahinstrSmen  soU,  ist  im  Deutschen  die  Una 
rima  nidit  die  geeignete  Ansdracksionn. 


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VORBEMERKUNG  ZUR  ZWEITEN  AUFLAGE  XXV 


wählen.  Also  mußte  eine  Obersetsnng  stattfinden:  dem 
höheren  Interesse  mußte  das  geringere  geopfert  werden. 

Übrigens  sind  wir,  nicht  bloß  durch  Shakespeare,  längst 
gewohnt,  im  Drama  neben  Helden  und  Königen  des  Alter- 
tums Handwerker  usw.  mit  unseren  heimischen  Namen 
zu  finden.  Frau  Hurtig  als  Engländerin  mit  deutschem 
Namen  mitten  unter  Engländern  stört  uns  nicht;  eine 
aus  dem  Original  her  übergenommene  Missis  Quickly 
würde  uns  seltsam  vorkommen. 

Heyses  Beanstandungen  vermochten  nicht  zu  über- 
zeugen: 80  verblieb  den  „Satiren"  ihr  dem  bequemen  Plau- 
derton entsprechender  fünffüßiger  gereimter  Jambus,  den 
lyrischen  Gedichten  {Rime)  derselbe  fünitaktige  Vers,  nur 
mit  der  Reimstellmig  a— a— b,  c~c — ^b.  Wenn  Heyse 
memte,  diese  Strophenfonn  sei  bei  uns  nicht  aulgenom- 
men, so  irrte  er:  sie  findet  sich  z.  B.  in  einem  Gedicht  (von 
Hoffinann  v.  Fallersleben)  auf  den  Rolandsbogen  bei  Ro- 
landseck. Weitere  Veranlassung  zu  Abänderungen  in  den 
»«Kleineren  Werken"  lag  nicht  vor;  letztere  durften  also 
als  ,,vierter  Band*'  der  Gesamtausgabe  in  der  alten  Gestalt 
herübergenommen  werden.  Der  „Anhang"  erhielt  eine 
Vermehrung  von  acht  Abschnitten:  zu  dem  Fragment 
einer  Epopöe  über  Obizzo  d'Este;  zur  Romreise  im  März 
1513;  zur  römischen  Aufführung  der  ..Suppositi",  Raffael 
Theatermaler;  vor  dem  Abschied  von  Castelnovo;  Doku- 
mente zu  Ariostos  Rime;  Ariost-Calcagnini-Copemicus ? 
Gottfried  Keller  über  Ariost;  zu  der  Frage  der  unreinen 
Reime. 


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EINLEITUNG 


Mitten  im  Toben  des  jüngsten  Weltkrieges,  im  April 
1916,  beging  eine  —  ach!  kleine  —  Anzahl  italienischer 
Gelehrter  und  Literaturfreunde  zu  Ferrara  in  aller  Stille 
den  vierhnndertsten  Geburtstag  eines  Geisteskmdes»  das 
durch  vier  Säkula  hindurch  die  Welt  mit  semem  Ruhme 
erfüllt  hatte.  Das  Geburtszeugnis  lag  vor  und  wurde  mit 
gebührender  Ehrfurcht  besichtigt.  Es  lautete:  Orlando 
furioso.  Ferrara  per  Maestro  Giovanni  Mazoco  del  Bondeno, 
a.  d.  XXII  de  Aprile,  1516,  4°.  Zugleich  zirkulierte  ein 
um  ein  paar  Monate  älteres,  von  Seiner  Heihgkeit  Papst 
Leo  X.  höchst  eigenhändig  unterzeichnetes  päpstliches 
Privilegium  an  den  Vater  des  Kindes,  Messer  Ludovico 
Ariosto,  der  darin  mit  huldvollen  Äußerungen  über- 
schüttet wurde,  also  beginnend:  Singularis  tua  vekts  erga 
me  familiamque  meam  henevoUnÜa  egregia^  bonarum 
arüuM,  UUeranm  doctrina  aiqm  in  sMns  tmüoribus 
praeserHmque  PoeHds'  eUgans  ac  praedearum  ingemim 
jure  prope  cxposcere  videniur,  qme  tibi  usm  futufa  smU, 
jusia  praesertim  d  honesta  petenU,  ea  Hbi  a  me  ntm  Ubenter 
modo,  sed  KheraHter  concedantur. 

Ohne  die  Kriegsnöte  würde  jener  Gedenktag  in  allen 
Kulturstaaten  der  Erde  festlich  begrüßt  worden  sein, 
voraus  natürlich  durch  eine  nationale  Kundgebung  des 
Heimatlandes.  Gerade  in  der  jüngsten  Zeit  vor  Ausbruch 
des  Krieges  war  in  manchen  Ländern  Europas  das  Interesse 
für  den  Orlando  furioso  und  seinen  Autor  ein  lebendiges 


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XXVTTI 


EIN  T.  F,  T  T  T'  V  n 


gewesen;  ansehnliche  Gelehrte  In  Italien  und  England 
hatten  das  Arioststudium  gefördert,  voran  Edmund 
G.  Gardner  mit  seinem  großangelegten  Doppelwerk 
„Herzöge  und  Dichter  in  Ferrara"  und  ,,Der  König 
der  Hüfdichter**  (Dukes  and  Poets  in  Ferrara.  —  The 
King  of  Court  Poets.  A  Study  of  the  Work,  Life  and  Times 
of  Lodovico  Ariosto,  London,  Constable,  igo6)  und  Pio 
Rajna  mit  seinen  meisterhaften  „Forschungen  und  Stu- 
dien über  die  Quellen  des  Orlando"  (zweite  Auflage,  Flo- 
renz 1900). 

Solerti  ließ  auf  sein  „Ferrara  und  der  Hof  von  Este" 
(1900)  „Das  Archiv  der  Familie  Ariost'*  (Prato  1904)  fol- 
gen. Bertoni,  Agnelli,  Tambara,  Valeri,  Cesareo,  Paidi 
haben  sich  an  der  Ariostforschung  beteiligt.  Der  ehr- 
würdige Giosad  Carducd  schenkte  uns  kurz  vor  seinem 
Lebensende  ««Studien**  {Su  L.  Ariosto  e  T,  Tasso,  Bologna 
1905),  die  auch  eine  klassische  Abhandlung  über  die 
Jugend  Ariosts  und  die  lateinische  Poesie  in  Ferrara 
enthalten.  Es  ist  gelungen,  manches  Dunkel  aufeuhellen, 
und  nach  verschiedenen  Seiten  hin,  in  bezug  auf  des  Dich- 
ters Familie,  Schicksale  und  innere  Entwicklung,  sehen 
wir  jetzt  klarer  als  früher. 

I 

Riosto,  eui  kleiner  Ort  im  Bolognesischen  (dessen  Name 
sich  als  Bezeichnung  eines  Tdb  der  Gemeinde  Pianoro  er- 
halten hat),  scheint  die  Heimat  von  Ludovicos  Voreltern, 

die  eigentlich  da  Riosto  hießen,  gewesen  zu  sein.  Der 
älteste,  von  dem  man  weiß,  war  ein  Alberto  da  Riosto. 
Einer  seiner  Söhne,  Ugo,  lebte  1156  in  Bologna*;  ein 
zweiter,  Gherardo,  Bischof  dieser  Stadt,  mußte  1213,  von 

*  „Bologna,  dem  ich  bin  entsprungen"  (Ond'hai  l'antiqua  origine) 
heiat  et  Sat.  VII,  337. 


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EINLEITUNG 


XXIX 


Innozenz  III.  gezwungen,  seine  Würde  niederlegen.  Ugos 
Nachkommen  waren  hartnäckige  Guelfen:  Einer  seiner 
Enkel,  Antonio  di  Obizzo,  zählte  zu  den  Heerführeni,  die 
1249  König  Enzio  gefangennahmen.  In  dem  blutigen  Zu- 
sammenstoß der  ghibeUinischen  Lambertazzi  mit  den 
Geremei  in  Bolognas  Straßen,  1274,  standen  die  Ariosti 
zu  den  letzteren  und  verloren  zwei  der  Ihrigen.  Als  Führer 
der  Geremei  finden  wir  1280  zwei  Vettern  dieser  Erschla- 
genen, Tommaso  und  Bonifazio  di  Princivalle.  Tommaso 
wurde  Begründer  der  Bologneser  Linie  der  Ariosti;  Boni- 
fazio hatte  zur  Enkelin  jene  beila  Lippa  di  Bologna,  deren 
Aziost  unter  den  Fürstinnen  des  Hauses  Este  gedenkt 
{Orl,  Ges.  13.,  St.  73).  Sie  war  zuerst  die  Geliebte  und  dann 
(auf  ihrem  Totenbett,  1347)  die  rechtmäßige  Gemahlin  des 
Marchese  Obizzo  II.  Durdi  ihre  Söhne  Aldobrandino  III., 
Niccold  II.  und  Alberto  wurde  Lippa  die  Ahnin  samtlicher 
Herzöge  von  Ferrara  und  Modena,  und  ihr  EinfluB  ließ 
das  Haus  der  Ariosti  von  Ferrara  emporblQhen.  So  könnte 
unser  Dichter,  wie  er  es  in  der  Tat  zuweilen  scherzend  ge- 
tan hat,  sich  als  Mitglied  des  Herrscherhauses  bezeichnen. 
Lippas  Brüder,  Bonifazio  und  Francesco,  wurden  geadelt 
und  mit  Gütern  belehnt;  einer  ihrer  Vettern,  Niccolö  (f  vor 
1411  als  Bürger  von  Ferrara),  hatte  zum  Sohn  Folco, 
dessen  Kinder  Aldobrandino,  Rmaldo  und  Niccolö  am  Hofe 
des  Marchese  Niccolö  III.  eine  hohe  Stellung  einnahmen. 
Rinaldo,  von  1432  bis  1440  Kommandant  von  Reggio, 
heiratete  eine  Bologneserin  aus  gutem  Hause  und  hatte 
von  ihr  fünf  Sohne.  Der  jüngste,  Niccolö,  wurde,  wie  zwei 
seiner  Brüder,  von  Kaiser  Friedrich  III.  bei  dessen  An- 
wesenheit in  Ferrara  1469  zum  Grafen  des  Laterans  und 
des  Heiligen  Römischen  Reiches  gemacht  und  am  ersten 
Tage  des  Jahres  1472  vom  Herzog  Ercde  zum  Befehls» 
haber  der  Zitadelle  von  Reggio,  zur  Belohnung,  wie  es 
scheint,  für  einen  wenig  rühmlichen  Dienst,  die  Beteiligung 


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XXX 


EINLEITUNG 


am  Mordversuche  gegen  des  Herzogs  Neffen  Niccold  von 
Este  am  Hof  zu  Mantua,  ernannt.  Auch  was  wir  sonst  über 
des  Dichters  Vater  hören,  ist  abgesehen  von  seiner  Treue 
gegen  das  Haus  Este  unerfreulich:  Nio^old  war  offenbar 
ein  harter,  habsüchtiger  und  gewissenloser  Mann,  wenn 
auch  seine  Söhne  Liidovico  und  Gabriele  nach  seinem  Tode 
liebevoll  seiner  gedachten.  Gleich  nach  seiner  Anstellung 
kaufte  er  in  und  um  Reggio  Land;  1473  hciraUtc  er  die 
Tochter  Daria  eines  begüterten  Arztes  und  Lokalpoeten 
Gabriele  Malaguzzi.  Von  Daria  weiß  man  nur,  daÜ  sie  eine 
zärtliche  Mutter  war  und  bei  Niederschrift  der  ersten 
Satire  ihres  Sohnes  noch  lebte.  Dieser,  Ludovico* 
Giovanni ,  wurde  als  der  älteste  von  fünf  Sölinen**  —  fünf 
Töchter  folgten  nach  —  am  8.  September  1474  auf  der 
Zitadelle  von  Reggio  geboren  (nicht  in  dem  Hause,  das 
auf  der  Piazza  zu  Reggio  als  Geburtshaus  des  Dichters 
gezeigt  und  Pälazzo  Ariosto  genaunt  wird.  Dieses  war 
viehnehr  der  „Palazzo"  der  Familie  seiner  Mutter,  der 
Malaguzzi.  Frau  Daria  wurde  darin  geboren.  Die  Steintafel, 

•  Ariost  schreibt  seinen  Vornamen  immer  Ludovico. 
Die  Namen  sind  auf  der  Stammtafel  des  Hauses  Ariost  (S.  CLXII) 
verzeichnet.  Der  Zweitälteste  hieß  Gabhel.  Er  war  lahm  und  miß- 
gestaltet (vgl.  Sat  3,  V.  9o6iL),  vernichte  sich  als  Schriftstdler  und 
Dichter  und  hat,  wie  wir  später  sehen  werden,  den  Torso  von 
Ludovicos  Komödie  La  Scolastica  ergänzt;  ist  auch  sonst  den  FuO- 
tapfen  seines  berühmten  Bruders  gefolgt.  Frau  Darias  dritter  Sohn 
war  Carlo,  der  mit  Auszeichnung  ab  Krieger  diente.  Zur  Zeit  der 
sweiteii  Satire,  in  der  er  genannt  -wird,  d.  h.  im  Jahre  1518,  befand  er 
sich  im  Königreich  Neapel,  und  zwar  in  Otianto,  wie  aus  Vers  199 
hervorgeht.  Nach  IMpna,  dem  Biographen  des  Dichters,  ist  Carlo  in 
Neapel  gestorben.  Gala^so,  an  den  die  erste  Satire  gerichtet  ist,  der 
dritte  Bruder  des  Dichters,  nach  Carlo  geboren,  und  zwar,  als  die  Arioeti 
bereitB  Reggio  verlassen  liatten,  wird  von  Pigna  als  ein  Geistlicher 
und  hervorragender  Hofmann  bezeichnet,  der  es  weit  in  der  Welt  ge- 
bracht habe.  Er  starb  1543  bei  Tngü''=t3dt,  wohin  er  sich  als  Abgesandter 
des  Herzogs  von  Ferrara  zum  Kai.ser  begeben  baiCe.  Des  Grafen  Niccolö 
fflnfter  Sohn,  Alessandro,  wurde  Page  beim  Kardinal  IppoHto  d'Este 
nnd  begleitete  diesen  nach  Ungarn  (vgL  Sat.  2^. 


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EINLEITUNG 


XXXI 


die  das  Haus  als  Geburtsstätte  Ludovico  Ariostos  be- 
zeichnet, rührt  aus  späterer  Zeit  her  und  Ijcweist  nichts). 
Von  der  Zitadelle,  wo  der  Dichter  das  Licht  erblickte,  ist 
nichts  mehr  vorhanden.  Daß  Frau  Daria  bei  der  Geburt 
ihres  ältesten  Sohnes  nicht  im  elterlichen  Hause,  sondern 
beim  Gatten  Niccolö  auf  der  Zitadelle  sich  befand,  darf 
jetzt  als  ausgemacht  gelten.  14S1  erhielt  Graf  Niccolö  einen 
anderen  Posten  als  Kapitän  des  Kastells  von  Rovigo.  Dort- 
hin nahm  er  seine  Frau  und  drei  Söhnchen  mit,  darunter 
Ludovico.  In  dem  gleich  darauf  beginnenden  „Krieg  von 
Ferrara"  wurde  er  nach  dreimonatiger  Belagerung  durch 
R^ggios  Bürger  gezwungen,  die  Festung  den  Venezianern 
zu  übergeben  und  nach  Verlust  seines  ganzen  Besitztums 
sich  auf  ein  Landhaus  der  Umgebung  zurückzuziehen. 
Später  sehen  wir  ihn  in  Bedrängnis  in  R^ggio  und  schließ- 
lich nach  dem  Frieden  von  Bagnolo  in  der  Hauptstadt. 
Vermutlich  siedelte  er  Ende  1485  dahin  über,  so  daß  der 
junge  Ludovico  in  seinem  zwölften  Jahre  zum  erstenmal 
Ferrara,  die  Stätte  seines  künftigen  Ruhmes,  erblickt 
haben  wird.  Vor  dem  Abschied  von  Reggio  mag  der 
Knabe  wohl  öfter,  wie  Gardner  wahrscheinlich  macht, 
„den  edlen  Dichter  und  ritterlichen  Herrn,  mit  dessen 
Schöpfimg  sein  eigenes  Meisterwerk  später  verknüpft  blei- 
ben sollte",  den  Grafen  Matteo  Maria  Bojardo,  zu  Ge- 
sicht bekommen  haben.  Der  Statthalterschaft  in  Modena 
enthoben,  hatte  sich  dieser  damals  auf  sein  in  der  Nähe 
von  Reggio  gelegenes  Schloß  Scandiano  zurlu  l<^gezogen 
und  war  dort  der  Fortsetzung  seiner  großen  Epopöe  nach 
langer  Unterbrechung  wieder  beflissen*. 

*  Bei  Ausbruch  des  Krieges  mit  Venedig  hatte  Graf  Bojardo  so 

seinem  Schmerze  das  geliebte  Heldengedicht  beiseitelegen  müssen. 
Seinem  Orlando  innamorato  (,,la  bella  historia,  che  ho  gran  tempo 
ordita")  sich  wiederzuwenden  zu  können,  war  ein  Fest  für  den  Dichter. 
Um  jene  Zeit,  nach  Beendigung  des  unheilvollen  „Krieges  von  Ferrara" 
durch  den  Rieden  von  Bignolo  (1484),  mOgea  beim  Weiterspiimen 


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XXXII 


EINLEITUNG 


In  dem  ,^^änzeiidstett  Jahrzehnt  der  italienischen  Re- 
naissance", wie  man  die  Zeit  von  1484  bis  zum  Emfall  der 
Franzosen  genannt  hat,  stand  Ferrara  an  Ftachtentfaltung 
obenan.  Zu  der  empfänglichen  Seele  des  Knaben  mag  die 
damals  beginnende  Reihe  festlicher  Theatervorstellungen» 
deren  Zeuge  er  war,  mächtig  gesprochen  haben:  die  erste 
dramatische  VorsteUimg  in  italienischer  Sprache  fand  im 
Januar  i486  im  Palasthof  des  Herzogs  Ercoie  statt.  Man 
gab  die  Menaechmi  des  Plautus,  ein  Jahr  später  den 
Amphitruo.  Vom  jungen  Ludovico  erzählt  einer  seiner 
frühesten  Biographen,  Garofalo,  aus  dieser  Zeit:  „Wenn 
Vater  und  Mutter  ausgegangen  waren,  kleidete  er  seine 
Geschwister  in  Gewänder,  deren  er  habhaft  werden  konnte, 
und  ließ  sie  aus  den  Zimmern  auf  den  Vorplatz  kommen 
und  wie  Schauspieler  hersagen,  was  er  für  sie  erdacht  hatte." 
Unsicher  sind  die  Nachrichten  von  den  Beweisen  außer- 
ordentlicher Anlagen,  die  der  Knabe  auf  der  Schule  zu 

früher  fallengelassener  Fäden  die  plückatmcndcn  Stanzen  entstanden 
sein,  die  ein  poetischer  Freudenrui  genannt  worden  sind  (grido  dt 
gioia)  und  aal  deotsch  «twa  lanten: 

Sufsknm,  nwm  i»  Ms»  Stmm  verflogen, 
Jk»  wU  gaqmäit  ktU  und  ihr  H§rt  btdiHektt 

Seheint  wonniger  der  Meerflut  sanftes  Wogen, 
Die  heitre  Luft,  der  Äther  sternge schmückt: 
Utul  heller  strahlt  die  Sonn'  am  Himmehbogen 
Dim  Pilger,  der^  dem  ndchfgen  Grtmn  mUHkMt 
Nach  Müh'  und  Not  auf  rauhen  Bergupfmimn 
JDm  Bltm$  tükt  im  MargsnUeki»  baden. 

So,  ult  dtr  miUei^Uos»  Krieg  enUehmunden, 
Der  teufliteke,  darin  die  WeU  gebe^, 
Und  dieser  Hof  hat  neuen  Clans  gefundon 

Voll  Festesfreude,  wie  man's  nie  erlebt, 

Soll  besser  mir  euch  zu  verkünden  munden 

Die  gute  Mär,  darrnn  ieh  lang  gewM, 

Daß  ihr  in  Schoren  homnU,  wOtich  vertrauen: 

Hört  tu  vM  Hnld,  ihr  Herrn  und  sehOnon  Frauen  l 

(Orlando  inaainntmto,  III,  i,  3.) 


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K  I  N  T.  E  T  T  l'  X  G 


XXXIII 


Ferrara  g^ben  haben  soll.  Früh  schon,  so  heißt  es,  habe 
er  die  Fabel  von  Pyramus  und  Thisbe  dramatisiert  und 
seinen  Geschwistern  einstudiert;  auch  hier  lassen  uns  zu- 
verlässige Quellen  im  Stich.  Des  Dichters  eigene  Au0e- 

ning  in  seiner  Epistel  von  1531  an  Pietro  Bembo,  er  habe 
mit  zwanzig  Jahren  kaum  den  Übersetzer  des  Asop  ver- 
standen {a  jatica  Intcso  havrci  quel  che  iradusse  Esopo), 
geht  ihrerseits  wohl  nach  d(  i  entgegengesetzten  Seite  zu 
weit  und  mag  auf  dem  Wunsch  beruhen,  die  Dankesschuld 
an  seinen  geliebten  Lehrer  Gregorio  recht  lebhaft  zu  be- 
zeichnen. 

Als  Niccolö  Ariosto  1489  nach  Modena  versetzt  wurde, 
wird  der  Knabe  Ludovico  zu  Ferrara  im  Hause  eines 
seiner  zwei  Oheime  geblieben  sein»  die  beide  gewichtige 
Persönlichkeiten  waren  (Francesco  in  ansehnlicher  Stellung 
bei  Hofe,  Lodovico  Kanoniker  und  Erzpriester).  Nach 
dem  väterlichen  Willen  sollte  er  die  Rechte  studieren  und 
Notar  werden.  Seine  erste  juristische  Unterweisung  er- 
hielt der  Vierzehnjährige  vermutlich  von  Ende  1488 
an  durch  den  Professor  der  Rechtswissenschaft  Giovanni 
Sadoleto  aus  Modena;  „aber  im  geheimen*'  —  sagt  der 
älteste  Biograph  —  „verbrachte  er  all  seine  Zeit  mit  dem 
Verschlingen  von  Ritterbüchem,  wie  sie  in  seine  Hände 
kamen".  Indessen  scheint  er  dem  verhaßten  Studium 
doch  nicht  ganz  sich  entzogen  zu  haben: 

Achl  als  ich  just  zum  Ritt  des  Mu5H;nrosses 
Im  rechten  Alter  stand,  als  noch  kein  Haar 
Zu  sehen  auf  den  frischen  Waagen  wax. 
Hat  Vatere  Schwert  und  Spiefi  mich  angetrieben, 

Nicht  nur  sein  Sporn,  zu  Gloss'  und  Text;  geblieben 
Bin  ich  fünf  Jahre  bei  Alfanzerein  (^ciancit). 

So  seufzt  er  später,  zurückbUckend,  in  der  Satire  an 
Bembo.  In  einem  von  Gardner  mitgeteüten  Verzeichnis 
juristischer  Doktorpromotionen  an  der  Universität  wird 
Studiosus  Ludovico  asweimal  als  Zeuge  erwähnt;  am 

Arlott  I  III 


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XXXIV 


EINLEITUNG 


8*  August  1492 :  Ludovicus  Nicolai  d'Ariostis,  legiunscholaris 
Feirariensis;  dann  am  15.  Mai  1493  bei  der  Promotion 

eines  Jacopo  de'  Barzelieri.  In  demselben  Wonnemonat  des 
Jahres  1493  fanden  zu  Ferrara  große  Festlichkeiten  statt, 
im  Palnzzo  Strozzi  des  kunstsinnigen  Tito  Vespasiano, 
mit  szenischen  Aufführungen  („in  Gegenwart  des  Herrn 
Herzogs  und  alles  Volkes  von  Ferrara"),  bei  denen  der 
Jüngling  wohl  zugegen  war,  ebenso  am  7.  Mai  zur  Ver- 
mählung des  jungen  Guido  Strozzi  mit  Simona  degli 
Uberti,  und  zwar  ab  einer  der  mitwirkenden  Darsteller. 
Ein  Bericht  der  späteren  Gonnerin  Ludovicos,  Isabella 
dTste,  über  die  Aufführung  einer  Komödie  des  Aiiost 
befreundeten  Eroole  Strozzi  ist  uns  erhalten.  Am  18.  Mai 
begannen  große  Feste  zu  Ehren  des  Lodovioo  Sforza, 
Ü  Moro,  und  seiner  Gemahlin  Beatrice  d'Este.  Bei  einer 
Auffuhrung  der  Menaechnd  am  Hofe  damals  soU  Ariost 
ebenfalls  mitgewirkt  haben.  GewiB  befand  er  sich  im 
August  1493  unter  den  zwanzig  Jünglingen,  die  der  Herzog 
lucole  mit  sich  nach  Pavia  nahm  behufs  Aufführung 
von  Komödien".  An  der  weiteren  Reise  des  Herzogs 
Ercole  nach  Mailand  scheint  er  sich  nicht  beteiligt  zu 
haben,  sondern  nach  Ferrara  zurückgekehrt  zu  sein. 

II 

Die  Stunde  der  Erlösung  aus  den  Banden  der  Themis 
schlug  dem  zwanzigjährigen  Jüngling.  Graf  Niccoiö,  seit 
1492  aus  Modena  zurückgekehrt,  sah  ein,  daß  aus  dem 
Sohn  kein  Jurist  zu  machen  sei,  „schob  den  Riegel  von 
der  Freiheit  Toren"  und  ließ  ihn  seinen  Weg  gehen.  Mit 
aUer  Macht  warf  Ludovico  von  Ende  Z494  an  sich  auf 
lateinische  Studien,  unter  Anleitung  eines  aus  dem  Kloster 
getretenen  Augustinermönches,  Gregorio  von  Spoleto. 
In  der  Epistel  an  Bembo  heißt  es  von  jener  Zeit: 


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EINLEITUNG 


XXXV 

III  tt 


Alt  FreottdiB  war  mir  damals  hold  Fortuna: 

Sie  bot  mir  durch  Gregoiio  ihren  GroB, 

Den  ich  für  alle  Zeiten  segnen  muß. 
Die  beiden  Sprachen  lagen  ihm  erschlossen. 
Und  ob  der  Venus,  ob  der  Thetis  Sprossen 
Das  Ii51ire  Lied  eddaag,  das  wuBt  er  gnt. 

Doch  kümmerte  mich  damals  nicht  die  Wut 

Der  Hekuba,  noch  wie  zugleich  entrissen 

Dem  Rhesus  Pferd  und  Beel'  ward  durch  Ulyssen. 

Vor  dem  Versuche,  Griechisch  zu  lenion  ,  wollte  der  Jüng- 
ling in  die  Sprache  seiner  Lateiner  eindringen.  Er  machte 
in  dieser  so  reißende  Fortschritte»  daß  er  im  Herbst  1495 
bei  Neueröffnimg  der  Vorlesungen  im  Dom  in  Gegenwart 
des  Erbprinzen  Alfons  ein  lateinisches  Gedicht  zum  Preise 
der  Philosophie  voigetragen  haben  soll.  Im  Sommer  1496, 
als  drei  französische  Heere  mit  Einfall  in  Italien  drohten» 
schrieb  Ariost  das  erste  uns  erhaltene  lateinische  Gedicht, 
die  Ode  Ad  PhUiroem,  Horaz,  Tibull,  Catull  waren  seine 
nächsten  Muster  (sie  empfiehlt  er  auch  spater  seinem  Sohne 
Virginio;  weniger  den  Properz);  die  Nachahmung  Vergils 
folgte  mit  der  Epik. 

Was  diese  Beschäftigungen  für  des  Dichters  Entwick- 
lung bedeuten,  hat  vortrefflich  Carducci  dargelegt:  „Stu- 
dium und  Übung  in  lateinischer  Poesie",  schreibt  er, 
„bildeten  und  erzogen  Ariost  (der  in  seinen  ersten  Ver- 
suchen mit  italienischem  Vers  noch  recht  prosaisch  und 
ungelenk  erscheint)  zu  jener  in  ihrem  leichten  Fluß  so  an- 
mutigen Harmonie,  jener  in  ihrer  Fülle  so  vollendeten 
Eleganz,  die  anderen,  selbst  großen  italienischen  Dichtem 
abgeht  und  seine  allerpersönlichste  Eigenschaft  darstellt. 
Terenz  und  die  Bekanntschaft  mit  dem  lateinischen  Drama 
kamen  Ariost  sehr  zustatten  an  den  Stellen,  wo  sein  großes 
Poem  vertrauten  Plauderton  annimmt;  Catull  und  Horaz 
haben  die  musikalischsten  seiner  Oktaven  g^lättet 
und  sie  von  jenen  ÜberflOssigkeiten  und  Auswüchsen 
freigehalten,  wie  sie  z.  B.  Bojardos  Poesie  behindern  und 


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XXXVI 


EINLEITUNG 


zuweilen  ersticken ;  Bojardos,  der  doch  so  viel  Einlnldnngs- 
kraft  imd  so  große  Macht  der  Daistelliing  besaß."  {Siudi, 

S.  2X6—218.) 

In  der  Ode  Ad  PhtUroem  erscheint  der  jugendliche 
Dichter,  unbekümmert  darum,  „daß  Karl**,  Rosse  und 
Schiffe  rüstend,  Ausoniens  Türme  mit  fürchterlicher 
Kriegswut  bedroht**,  an  murmelndem  Bach  weichlichem 

Genuß  hingegeben.  Philiroe  soU  das  feuchte  Haupt 
ihres  Geliebten  mit  Purpurblumen  kränzen  und,  neben 
ihm  auf  dem  Rasen  ruhend,  sanft  zur  Laute  singen. 
—  Man  hat  diese  Gleichgültigkeit  gegen  die  Not  des 
Vateilai  des  getadelt;  aber  das  noch  vorhandene,  von 
Ariost  geschriebene  Manuskript  weist  noch  andere  von 
ihm  verwoifene  Strophen  auf;  aus  ihnen  ergibt  sich, 
daß  die  Unbekümmertheit  einen  anderen  Grund  hat; 
er  will  nicht  kämpfen,  um  nicht  dem  undankbaren 
Tyrannen  zu  dienen,  will  nicht  sein  Blut  verkaufen, 
und  Carducci  erkennt  hier  schon  den  konmienden 
Dichter  der  Satiren :  „Er  versteht  noch  nicht,  sieht  noch 
nicht  Italien;  wohl  aber  sieht  und  kennt  er  Italiens 
Herrscher  und  versichert,  er  werde  ihnen  keine  Lohn- 
dienste leisten.** 

Da  uns  Ariosts  lateinische  Dichtungen  nicht  weiter 
beschäftigen  werden,  sei  hier  noch  bemerkt,  daß  er  außer 
Epitaphien  (darunter  Distichen  auf  den  Kardinal  Ippo- 
lito  und  auf  Raffaels  Tod)  später  wohl  nur  ein  wich- 
tigeres lateinisches  Poem  geschrieben  hat,  die  Elegie  De 
diversis  amoribus,  die  von  Gardner  mit  Recht  ,,ein  Meister- 
stück in  ihrer  Art**  genannt  wird.  Des  Dichters  ganzes 
früheres  Leben  zieht  vorüber:  die  kleinen  Licbeshändel 
seiner  Jugend,  sein  Rechtsstudium,  sein  Übergang  zur 
Poesie  und  der  Beginn  seiner  heroischen  Epik;  alles 


*  Gemeiat  ist  Karl  VIII.  voa  F^cankreich. 


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EINLEITUNG  XXXVII 


dies  wird  seiner  Wandelbarkeit,  mens  impar,  zu- 
geschrieben*. 

Im  Jahre  1498  kam  Pietro  Bembo  nach  Ferrara  und 
blieb  dort  zwei  Jahre.  Mit  ihm,  dem  fünf  Jahre  Älteren, 
schloß  Ariost  einen  Freundschaftsbund,  der  sein  mildes 
Licht  auf  das  ganze  fürdere  Leben  unseres  Dichters  wer- 
fen sollte.  In  seinem  großen  Gedicht  hat  er  dem  Freund 
em  unvergängliches  Denkmal  gesetzt.  Bembo  genoß  mit 
seinen  achtundzwanzig  Jahren  einen  hohen  Ruf  als 
lateinischer  Dichter  und  gründhcher  Kenner  des  Griechi- 
schen, anch  als  Lyrikor  in  der  Muttersprache.  Sein  Ein- 
fluß auf  Ferraras  literarisches  Leben  wurde  beträchtlich. 
Er  soll  damals  Ariost  abgeraten  haben,  sich  als  Epiker  in 
italienischer  Sprache  zu  versuchen.  Dann  geschah  es  gewiß 
nicht  aus  pedantischer  Vorliebe  für  die  klassischen  Idiome 
—  denn  die  einheimischen  großen  Dichter  wußte  Bembo 
durchaus  zu  würdigen  — ,  sondern  wohl  in  der  Erkenntnis, 
daß  Ariosts  lateinische  Lyrik  alles  das  weit  überragte, 
was  von  seinen  italienischen  Versuchen  damals  vorlag**. 

Neben  Bembo  hatte  Ludovico  zu  gleichstrebenden 
Freunden  den  hochbegabten  Fürsten  von  Carpi,  Alberto 
Pio,  und  Ercole  Strozzi.  Besonders  nah  stand  seinem 
Herzen  ein  Vetter,  Pandolfo  Ariosti.  Jedem  dieser 
drei  hat  er  Dicht ergrüße  gesandt.  Den  Fürsten  Alberto 
kennt  die  Geschichte  als  freigebigen  Gönner  Baldassare 
Peruzzis  und  Aldo  Manuzios  sowie  als  verschlagenen 

^  Du  Gedklit  De  ÜotnU  mmtHIntt  (Auf  dm  dgenen  Flattenjnn) 
ist  in  dentscber  Obenetrang  am  Ende  des  vierten  Bandet  ab 
erste  der  aiisg«w(Uütni  5  ftoban  von  Ariotta  tateiniBclier  Diditiing 

mitgeteilt.  , 

**  Erst  der  Tod  löste  den  Freundschaitsbund  des  Hvunanistea  und 
dca  Dichten.  Von  diesem  schOnen  VerhUtnis  geben  Ariosti  lateinische 
Dichtungen  Zeugnis.  Anch  wo  er  in  seinem  großen  Poem  der  geistigen 

Elite  seiner  Zeit  gedenkt,  erh&lt  Ben\bo  seinen  Platz:  so  im  37.  Gesang 
(St.  8);  ferner  im  42.  (St.  86),  wo  Bembo  mit  Sadolet  als  Sänger 
der  Herzogin  Eiiäabetta  von  Urbino  erscheint;  endlich  im  Anfang  des 


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XXXVIII 


EINLEITUNG 


Berater  der  Päpste  Julius  und  Leo,  die  er  ab  geschwormer 
Feind  der  Este  gegen  Ferrara  aufstachelte.  Seine  politi- 
schen Intrigen  trennten  ihn  bald  von  dem  einstigen  Mit- 
schüler bei  Gregorio.  Ercole,  eine  schönheitsdiirstige 
Seele,  huldigte  mit  Erfolg  der  lateinischen  Muse  wie  der 
einheimischen  in  freundschaftlichem  Wettstreit  mit  Ludo- 
vico.  In  jimgen  Jahren  starb  er  gewaltsamen  Todes;  über 
den  Umständen,  die  seine  Ermordung  herbeiführten,  hegt 
ein  Schleier.  Noch  früher  sollte  Ariost  den  geliebten  Vetter 
Pandolfo  verlieren.  Ihm,  dem  auf  dem  Lande  weilenden, 
gilt  eine  reizvolle  £l^e:  Die  Dryade  lauscht  dem  Gesänge 
des  Jünglings;  um  besser  zu  hören,  streicht  sie  das  Haar 
zurück;  dann,  als  er  geendet  hat  und  müde  die  Aqgen 
schließt»  hdpft  sie  herbei,  föchelt  ihm  mit  einem  Zweige 
Kühlimg  ZQ  nnd  raubt  ihm,  auf  den  Arm  gestutzt  sich 
überbeugend,  leise  Küsse. 

Zu  dem  vom  jungen  Ludovioo  heiß  ersehnten  Studium 
des  Griechischen  kam  es  leider  nicht.  Bald  nach  Bembos 
Abrdse  sah  der  Lernbegierige  den  gdiebten  heSxrer  in  die 
Feme  entführt:  infolge  der  Erobenmg  Mailands  durch 
die  Franzosen  im  Jahre  1499  gewann  Isabella  von  Aragon 
für  ihren  Sohn  Francesco  Sforza,  der  als  Gefangener  nach 
Frankreich  gehen  mußte,  den  weisen  Gr^orio  da  Spoleto 
als  Erzieher. 

Und  zu  dem  einen  Mißgeschick  gesellte  sich  ein  gr(> 
ßeres:  Graf  Niccolö  Ariosto  starb  im  Februar  1500  in 

SdüuBgesanges:  unter  den  VtmMMätu,  die  dcMt  den  nach  langer  See- 
fahrt Heimkehrenden  begrüßen,  darf  natürlich  sein  Pietro  nicht 
fehlen.  Giraldi.  der  Verfasser  der  Hekatommüi  (Hundert  Novellen), 
berichtqt,  Ariost  habe  seine  letzte  Überarbeitung  und  Verbessemng 
des  „Rasenden  Rcrfaod"  dem  Urteil  Bembos  (neben  Maba  nnd  Na- 
ygfto)  nntecteeitat.  Dia  Wertwhitsuig,  die  aeUwweito  der  Hnmaiiht 
dem  Dichter  entgegenbrachte,  geht  ans  seinem  Bri^  vom  \^  Angnst 
1533  an  Agostino  Mosti  hervor,  worin  er  mit  großer  Trauer  des 
jüngst  (am  6.  Juli)  geschiedenen  Freundes  und  ,,seiner  Liebe  zu  ilun 
und  sa  aeinen  Inbin  Werte«*  gedenkt 


EINLEITUNG 


XXXIX 


bedrängten  Vermögensverhältnissen,  und  Ludovico,  mit  der 
Sorge  mn  neun  Geschwister  beladen,  mußte  „seine  Ge- 
danken von  Maria  fort  zu  Martha  wenden";  aus  einem  Le- 
ser Homers  ein  Haushalter  werden;  mußte  zwei  Schwestern 
zu  Männern  verlieifen;  den  jüngeren  Brüdern  die  Schuldig- 
keiten erweisen,  die  das  Mitleid  und  die  Pflicht  ihm  auf- 
erlegten: zur  Universität  den  einen,  an  den  Hof  den  andern 
schicken,  in  ein  Gewerbe  jenen,  und  auch  darüber  walten, 
daß  nicht  Laster  die  Oberhand  über  die  weichen  Gemüter 
gewinne  —  und  dies  alles  mit  einem  von  Kummer  so  be- 
schwerten Herzen,  daß  die  Kürzung  des  Lebensfadens 
durch  die  Parze  eine  Wohltat  schien,  denn  —  er,  dessen 
süße  Gesellschaft  den  Studien  des  Niedergedrückten  Nah- 
rung gab,  ihn  durch  holden  Wetteifer  vorwärtstrieb,  sein 
Vetter,  Freund,  Bruder,  nicht  nur  seme  halbe  Seele, 
nein,  die  ganze . . . : 

Er,  ohne  den  ihm  nichts  gelingen  mag. 
Er  aterb.  Puukillo  ttarbl  O,  adtcwmt  Schlag 
im  d^,  dn  Stamm  Ariostl  Voa  ddnen  Zwogen 
Der  flchAnste  war'aL . .       (Sat.  VII,  tgjfL) 

Ob  der  Tiefbekümmerte  wirklich  dem  Musendienst  sich 
völlig  entzog  und  auf  wie  lange  —  wir  wissen  es  nicht. 
Einig  sind  die  alten  Biographen  in  Hervorhebung  der  un- 
endlichen Sorgfalt  und  Gewissenhaftigkeit,  mit  der  Lu- 
dovico in  jener  schweren  Zeit  sich  der  verwaisten  Fa- 
milie annahm  und  die  Geschäfte  erledigte;  auch  des  liebe- 
vollen Wesens  gegen  alle  von  ihm  Betreuten  gedenken 
sie  übereinstimmend. 

Im  Anfang  des  Jahres  1503  sehen  wir  ihn  so  weit  er- 
holt, daß  er  die  verlassene  Muse  wieder  anfeuchte,  als  eine 
Art  Hof  dichter.  Denn  eine  sozusagen  „offizielle'*  Lei- 
stung liegt  vor  in  dem  Hdchzeitßgedicht  (EpühaUmium) 
zur  Vermählung  des  Prinzen  Alfonso  mit  —  der  „rätsel- 
haftesten Erscheinung  des  sechzehnten  Jahrhunderts"  — 


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XL 


r  T  N  T.  "P  T  T     y  n 


Locrezia  Borgia:  Ferrara  von  dnst  und  jetzt  —  das 
ist  das  Thema  seiner  schwungvollen  Hexameter.  Zum 
Schiaß  heißt  es:  „Wo  die  Menschen  über  fischreiche  Ge- 
wässer ihre  Boote  trieben  oder  auf  sonnigen  Gefilden  Netze 

trockneten,  da  leuchten  schöne  Tempel,  Häuser,  Plätze, 
Straßen,  Paläste,  Türme  und  Mauern  eines  Herkules  .  .  . 
Kaum  reicht  die  Stadt  aus  für  ihr  Volk ;  mit  Rom  darf  sie 
sich  messen  an  edlen  Sitten  und  Studien.  Aber  nichts  er- 
hebt Ferrara  so  sehr,  wie  daß  es  Herrin  dich  nennt,  du 
schönste,  du  herrlichste  Jungfrau!'*  —  Lucrezia  als  pul- 
cherrima  virgo\  Dies  an  die  Adresse  der  Vielverwitweten 
will  uns  freilich  kühn  erscheinen. 

Ungeachtet  seiner  —  angeblichen  —  Zurückgezogen- 
heit vom  Musendienst  muß  Ahost  bereits  um  diese  Zeit 
als  Dichter  anerkannt  gewesen  sein.  Ein  Zeugnis  dafür 
ist  seines  Freundes  Ercole  Strozzi  Venaüo  ad  divam 
Lucreziam.  Darin  wird  uns  das  Bild  einer  von  Karl  VIII. 
von  Frankreich  veranstalteten  (imaginären)  Jagd  entrollt : 
Italienische  Fürsten  geleiten  den  König;  die  hervoiragenden 
Dichter  des  Tages  folgen,  MarceUo,  Bembo,  Pontanususw.; 
zuletzt,  in  Gedanken  verloren,  der  Falschheit  der  Schönen 
nachsinnend,  läßt  der  jugendliche  Ariost  zwei  Hunde  auf 
einen  Elch  los. 

Bald  nach  der  herzoglichen  Hochzeit  erhielt  er 
sein  erstes  Amt.  Herzog  Ercole  ernannte  ihn  zum 
Kapitän  der  Burg  von  Canossa,  unfern  Reggio:  ein  er- 
freulicher —  nur  zu  kurzer  —  Abschnitt  seines  Lebens 
begann. 

Ariost  Verehrer  aus  Deutschland  machten  früher  gern 
—  und  machen  hoffentlich  bald  wieder  —  von  Re,G:gio- 
Emilia  aus  durch  die  reizvolle,  vom  Dichter  so  anmutig 
geschilderte  Hügellandschaft  den  Weg  nach  der  alten 
Burgruine,  die  uns  auch  aus  anderen  Zeiten  so  vieles  zu  er- 
zählen weiß  und  von  manchem  unserer  Poeten  verherrhcht 


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EINLEITUNG 


XLI 


worden  ist*.  Wer  in  rechter  Stimmung,  ariostische 
Verse  im  Sinn,  jene  Bergpfade  wandelt,  der  vermeint 
wohl,  den  jungen  Schloßhauptmann  zu  sehen,  wie  er  nach 
vollbrachtem  Dienst  von  der  Bergfeste  wohlgemut  seinem 
, .heimatlichen  Nest"  {il  dolcc  nido  )nio  natio)  —  so  nennt  er 
Reggio  —  zueilt  oder  dem  unweit  der  Stadt  gelegenen  Land- 
haus seines  Vetters  Sigismondo  Malaguzzi  im  Dorfe  San 
Maurizio.  In  ländlicher  Einsamkeit  verbrachte  er  damals 
hier,  dichtend  und  träumend,  beglückte  Tage.  Zwanzig 
Jahre  später  ruft  er  aus  der  Bergwildnis  der  Garfagnana 
dem  gastlichen  Vetter  diese  schöne  Zeit  ins  Gedächtnis 
in  wehmutvollen,  dem  lieben  ,,Villino  Mauriziano"**  ge- 
•  widmeten  Versen: 


*  Z.  B.  von  Kudoli  Baumbach  in  seinem  schalkhaften  Gedichtchen: 
In  dem  Scliloßh<rf  von  Canossa 
Stdkt  der  Monde  dentoche  Dichter. . . 

In  die  spärlichen  Trümmerreste  des  ehemaligen  Schlosses  jener  Gräfin 
Matliildis,  der  Freundin  Gregors  VII.  unheilvollen  Andenkens,  ist  ein 
einfaches  Gemach  eingebaut,  das  als  Besuch- zimmcr,  Bibhothek  und 
Archiv  dient  und  einige  Merkwürdigkeiten  enthält,  darunter  eine  Art 
Chronik,  d.  h.  ein  Veneichnls  von  forstlichen  Besuchen  nnd  sonstigen 
die  Ortlichkeit  betreffenden  Begebenheiten.  Da  findet  sich  unter  dem 
Jahre  1502  vermerkt:  ,,Lndr>vicn  Art'nsto,  Dichter,  tiird  von  Ercolc  I, 
Herzog  von  Ferrara,  tum  Hauptmann  der  Burg  ernannt  (e  vi  risiede 
per  quasi  tutti  gli  Ultimi  sei  mese)  und  wohnt  da  während  etwa  der 
gansen  letzten  sechs  Monate,  d.  h.  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres.** 
Vermutlich  von  Weihnachten  1 502  ab  haben  wir  uns  den  Dichter  als 
Gast  seines  Vetters  Malaguzzi  im  Villino  Mauriziano  zu  denken.  Der 
Aufenthalt  dort  mag  bis  in  den  Herbst  1503  gedauert  haben.  Mög- 
lich, daß  er  von  dort  ans  nmäebBt  seinen  Dienst  als  Sdüofihaiqit- 
tnann  weitertat. 

Das  Villino  Mauriziano,  zum  Nationaldcnkmal  erklärt,  i^^t  noch 
vorhanden,  wenigstens  das  Hauptgebäude  (Casino).  Man  geht  von  der 
Porta  San  Pietro  zu  Reggio  etwa  drei  Kilometer  weit  geradeaus  nacli 
den  aerstreuten  HSnsern  des  Dorfes  Sui  Hanrisio.  In  der  Nähe  der 
Kirche  bringt  uns  ein  Weg  rechts  über  das  Flüßchen  Rodanoin  wenigen 
Iiinuten  zu  dem  im  Grünen  freundlich  gelegenen  Casino  Mauriziano. 
Die  Verse  aus  der  Epistel  an  Sigismondo  t-ind  auf  einer  Steiutafcl  an- 
gebracht. Noch  heute  triät  die  Schilderung  der  örtlichkeit  zu.  Auch  il 
moMno^  die  Wassennflhle,  wiewohl  umgestaltet,  ersählt  von  dar  Jngend 


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XLII 


EINLEITUNG 


Einst  lockte  mich,  zu  füllen  Blatt  um  Bbttt, 

Die  traute  Flur  um  Reggio,  unsre  Stadt, 

Mein  Heimatnest.  Vor  Augen  steht  mir  immer 

Dein  Ifacffixiano  dort:  das  schOne  Zimmer.  — 

Der  nahe  Rodano  durch  Wiesen  eilt, 

Im  schatt*gcn  Busche  die  Najade  weilt  .  .  . 

Bald  hier,  bald  dort  im  Schatten,  hab'  ich  viel, 

In  mehr  als  einer  Zung'  und  einem  Stil, 

Kastabcbe  Flut  geschöpft  vom  Musenqnelle. 

Das  war  meiA  Lenx,  mein  Blfitenmoiiat  hdle  ...  — 

Wie  lange  des  Dichters  Bufo-Retiro  beim  Vetter  Sigis- 
moado  gedauert  hat,  er&hren  wir  nicht.  Gern  wüßten 

wir,  ob  er  bis  tief  ins  Jahr  1503  dort  geblieben  ist. 
Kam  er  vor  Oktober  zurück  oder  erschien  er  während  des 
Sommers  in  der  Hauptstadt,  so  ist  seine  Begegnung  mit 
einem  deutschen  Geisteshelden  anzunehmen  (s.  IV.  Bd., 
Anhang  Nr.  14:  „Ariost  — Calcagnini  —  Copemicus?"). 
Gegen  Ende  des  Jahres  1503  sehen  wir  ihn  wieder  in 
Ferrara.  Im  Oktober  hatte  er  an  den  Kardinal  Ippolito  von 
Este,  dritten  Sohn  des  Herzogs  Ercole  und  der  Leonora 

des  Rolandsängers.  Drei  Zimmer,  die  Ludovico  bewohnte,  werden  dort 
gezeigt.  Sie  liegen  an  der  Schmalwand  nach  Osten,  gegen  Modena  zu,  und 
aus  drei  Fenstern  mit  Eisenstangen  und  Butaenscheiben  hat  man  den 
Blick  auf  die  liebliche  Landschaft,  wie  Ariost  sie  malt.  Vor  den 
Fenstern  erhebt  sich  jetzt  eine  mächtige  Trauerweide.  Auf  der  Lang- 
seite nach  Norden,  beim  Eingang,  stehen  zwei,  auf  der  nach  Süden 
vier  schöne  Platanen.  Dem  Besucher,  der  an  schönem  Lenzabend 
jene  St&tte  sieht,  mag  es  ans  Stanxen  des  Agostino  Cagnoli  an  die 
Contessa  Linati'MalBgiizsi  en^egenklingen: 

Porgi  aitenio  Vorecchio,  e  la  primavtra 
Qui  udrai  dentro  Vaura  peregrina 
Molleminie  ondeggiar  verso  la  sera 
Un  resto  ancor  deW  armonia  divina. 

(Wenn  leise  raunend  linde  Lüfte  weben  — 
O  lausche  nurl  —  zur  Abendzeit  im  Mai, 
In  weichem  Wohlklang  wallt  es:  aofsuleben 
Scheint  dir  ein  Hauch  unird'scher  MdodeL) 

(S.  die  Reiseskizze  des  Übersetzern; :  „Auf  den  Spuren  Arioetaa",  Flraak- 
lurter  Zeitung  1908,  Nr.  36,  5.  Februar.) 


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F  T  N*  T.  r  T  T       X  C, 


XLIII 


von  Aragon,  bei  Gelegenheit  seiner  Ernennung  zam  Ers- 
bischof  von  Ferrara  ein  lateinisches  Epigranun  gerichtet 
(dessen  allzu  starke  Schmeicheleien  wir  mit  Cardnod 
als  scherzhaft  und  leise  ironisch  gemeint  werden  auffassen 

müssen).  Vielleicht  hatte  dies  Ippolitos  Augen  auf  den 
jungen  Poeten  gerichtet.  Er  nahm  ihn  als  famigliare, 
als  KavaUer  seines  Haushaltes,  in  seinen  Dienst. 

Wiewohl  von  Castiglione  im  Cortegiano  gepriesen, 
war  dieser  damals  vierundzwanzigj ährige  Kardinal  keine 
anmutende  Persönlichkeit.  Sittenlos,  weltHch  und  hoch- 
mütig, ein  echter  Mensch  der  Renaissancezeit,  kannte  er 
nicht  Rücksicht  noch  Pietät ;  nichts  war  ihm  heilig.  Nur 
die  unverrückte  AnhängUchkeit  an  Alfons,  seinen  herzog- 
lichen Bruder  und  Herrn,  bleibt  anzuerkennen.  Auch 
persönlicher  Mut  kann  ihm  so  wenig  abgesprochen  wer- 
den wie  Klugheit  und  Umsicht  in  diplomatischen  Dingen 
und  militärischen  Angelegenheiten.  Für  Dichtkunst  dar 
gegen  hatte  er  kein  Verständnis  und  verachtete  sie.  Aiiost 
klagt  fiber  den  Rückgang  seiner  Studien,  der  im  Dienste 
eines  solchen  Herrn  unvermeidlich  war :  ,JSx  (der  Kardinal) 
machte  aus  einem  Poeten  mich  zum  Postknecht:  Konnte 
ich  auf  Felsen  und  in  Gräbern  Griechisch  oder  Chaldäisch 
lernen  ?  Ein  Wunder,  daß  es  mir  nicht  wie  jenem  Philo- 
sophen erging,  dessen  Kopf  durcli  den  Stein  alles  entrissen 
wurde,  das  er  vorher  wußte."  (Sat.  7.) 

Immerhin  scheint  Ippohto  d'Este  nicht  ganz  so  gleich- 
gültig gegen  Ariosts  Interessen  gewesen  zu  sein,  wie  die 
meisten  Biographen  melden.  Gardner  hat  festgestellt,  daß 
der  Kardinal  für  Beschaffung  von  Druck-  und  Schreib- 
papier, dessen  sein  Sekretär  benötigte,  durch  Bestellungen 
in  Venedig  sich  bemühte  und  auch  sonst  —  allerdings  in 
Zwischenräumen  und  nach  Laune,  vielleicht  je  nachdem 
seine  Kasse  beschaffen  war  —  Ariost  günstige  Anord- 
nungen traf.  Ob  hier  wirkUche  Teilnahme  an  Ludovicos 


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XI  TV 


F  T  X  T,  F  T  T       N  O 


dichterischem  Schaffen  ihn  leitete  oder  die  selbstsüchtige 
Erwägung  der  ihm  daraus  erwachsenden  Vorteile  imd 
Ehren,  wird  sich  schwer  nachweisen  lassen. 
Jedenfalls  ist  mit  der  Gestalt  des  göttlichen  Ludwig  für 

alle  Zeit  die  seines  Gebieters  verbunden,  über  den  er  später 
voll  gerechten  Selbstgefühls  schrieb: 

Meiner  Drommete  schmetterndes  Erklingen 

Läßt  diesen  Namen  einst  so  hoch  sich  schwingen, 

Wie  niemals  eine  Taube  sich  erhob. 

Ariosts  Obliegenheiten  beim  Kardinal  waren  teils  die 
eines  Sekretärs  und  Gesellschafters,  teils  die  eines  Kammer- 
herm  und  Diplomaten,  wurden  ihm  aber  recht  schlecht 
bezahlt.  Auch  viele  Botendienste  und  Reisen  mu0te  er 
im  Auftrag  IppoUtos  übernehmen;  zum  Teil  nicht  unge- 
fährliche, wie  wir  sehen  werden.  Sogar  Kriegsdienste 
scheint  er,  wie  aus  einer  El^e  hervorgeht,  für  den  Kar- 
dinal geleistet  zu  haben.  Des  Dichters  Bruder  Gabriel  be- 
zeugt, daß  Ludovico  ein  tapferer  Kämpe  war;  sein  Mut 
und  seine  Entschlossenheit  bewährten  sich  namentlich  in 
einem  kritischen  Moment  zu  Rom,  wo  ein  Streit  zwischen 
Ferraresen  und  Päpstlichen  sich  zu  einem  Gefecht  ent- 
wickelt hatte:  durch  Ariosts  Geistesgegenwart  wurde 
Schlimmerem  vorgebeugt. 

In  dieser  Stellung  war  Ludovico  Zeuge  der  fürchter- 
lichen Ereignisse  nach  dem  Tod  Ercoles  I.  und  der  Thron- 
besteigung Alfonsos  I.  in  den  Jahren  1505  und  1506,  einer 
Familientragödie,  die  Konrad  Ferdinand  Meyer  zum  Hin- 
tergrund seiner  Novelle  „Angela  Borgia''  gemacht  hat. 
Ariost  gedenkt  dieser  grausigen  Vorgänge  in  einer  drama- 
tischen —  in  jenen  Jahren  entstandenen  —  „Ekloge"  und 
dann  wieder,  in  einem  ganz  anderen  Sinne,  später  im  drit- 
ten Gesang  seines  Orlando.  Ein  den  gegenwärtigen  Aus- 
führungen nachfolgendes  Kapitel  (über  die  Rime)  wird  auf 
diesen  Gegenstand  zurückkommen  müssen. 


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EINLEITUNG 


XLV 


Gelegenheit,  dicht erisclie  Fähigkeiten  zu  entfalten,  bo- 
ten die  zahlreichen  Feste  am  Hofe  zu  Fcrrara.  Ariosts 
Stellung  brachte  es  mit  sich,  daß  ihm  zumeist  Veranstaltung 
und  Inszenierung  literarischer  Unterhaltungen  zufiel.  Für 
höfische  Aufführung  schrieb  er  —  wie  wir  noch  weiter 
sehen  werden  —  vier  italienische  Komödien,  leitete  die 
Darstellung  und  trug  persönlich  den  Prolog  vor.  Epische 
Entwürfe  lebten  gleichzeitig  in  seinem  Kopf.  Der  Gedanke 
einer  gröi3eren  erzählenden  Dichtung  hatte  ihn  schon 
lange  beschäftigt,  ehe  er,  drei  Jahre  nach  seinem  Eintritt 
in  den  Dienst  des  Kardinals,  zur  Ausführung  schritt.  Von 
früh  auf  hatte  er  mit  besonderer  Vorliebe  sich  in  das  Stu- 
dium der  alten  Rittergesänge  vertieft;  es  heiBt,  Ariost 
habe,  um  die  spanischen  Romanzen  im  Original  lesen  zu 
kdnnen,  Kastiliens  Sprache  erlernt.  Bestimmend  für  die 
Wahl  seines  Stoffes  sind  jedenfalls  zeitgenössische  Werke, 
vor  allem  Luigi  Pulcis  Morgante  Maggiore  und  Bojardos 
,, Verliebter  Roland"  gewesen.  Daß  in  jenem  Jahre  1506 
die  ersten  Federstriche  an  seinem  berühmten  Werke  ge- 
schahen, ist  eine  durchaus  gerechtfertigte  Vermutung. 
Hätte  doch  nur  im  April  des  fol^^eiiden  Jahres  die  Marche- 
sana  Isabella  von  Mantua  in  ihrem  (Seite  IX  der  Vorbe- 
merkung" genannten)  Brief,  dem  ersten  Zeugnis  des  wer- 
denden Orlando,  ihrem  Bruder  Alfonse  außer  der  Bewun- 
derung über  das  entstehende  Werk  noch  die  Zahl  der  da- 
mals vorhandenen  Gesänge  mitgeteilt  1  Wir  wissen  nur 
so  vid,  daß  von  da  an  die  Arbeit  an  der  großen  Epopöe  so 
vonstatten  ging,  wie  es  des  Dichters  unstetes  und  oft  recht 
unerquickliches  Leben  im  Dienst  des  Kardinals  nur  irgend 
gestattete.  Er  wird  das  Manuskript  auf  den  vielen  Bot- 
schaftsreisen, die  er  teils  im  Auftrag  des  Kardinals,  teils 
des  Herzogs  unternahm,  zumeist  bei  sich  gehabt  haben, 
nicht  nur  auf  den  Fahrten  nach  Rom  in  den  Jahren  1509 
und  15 10  und  im  Feldlager,  als  er  im  letztgenannten  Jahre 


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XLYJ 


F  T  X  T,  F  T  T  T'  N  C 


am  Zuge  gegen  die  Venezianer  teilnahm  nnd  —  mirabüe 
Oct»  — ,  wenn  die  OberUeferang  zutrifft,  den  Feinden  ein 
Schiff  entriß,  sondern  vieQeicht  schon  jetzt,  im  Jahre 
1506,  als  er  mit  dner  Sendung  an  Lucrezia  von  Este  Benti- 

voglio,  Ippolitos  Halbschwester,  betraut  wurde*.  Nach 
dem  Wochenbesuch  in  Mantua  sehen  wir  ihn  im  Mai  1507 
in  Mailand,  in  hochpolitischer  Eigenschaft,  zusammen  mit 
seinem  Bruder  Alcssandro,  der  jetzt  auch  zu  des  Kardinals 
Gefolge  gehörte :  es  galt  die  Begrüßung  des  französisclien 
Königs  Louis  XII. 

Das  Jahr  1508  war,  wie  wir  mit  dem  Verfasser  von 
Dukes  and  Poets  es  aussprechen  dürfen,  von  großer  Wich- 
tigkeit für  Ferrara  wie  für  die  Entwicklung  seines  Dichters. 
B^dmund  G.  Gardner  bezeichnet  als  die  zwei  ,, unstreitig 
größten  Persönlichkeiten  in  Ferraras  Geschichte"  den  Her- 
zog Ercole  I.  und  Ludovico  Ariosto.  Der  ^tere  schuf  — 
so  führt  er  aus  —  das  moderne  Ferrara,  der  zweite  erhob 
es  zu  weltweiter  Bedeutung  in  der  Geschichte  der  euro- 
paischen Literatur.  Ferraras  Geschichte  zerfallt  in  zwei 
deutlich  geschiedene  Peri^klen  mit  dem  Teilungspunkt  im 
Jahre  1508,  dem  Jahr,  das  die  Liga  von  Cambray  sah. 
Von  da  an  schlägt  Ferraras  Kunst,  Literatur  und  Politik 
eine  neue  Richtung  em.  Die  Werke  Ludovico  Ariostos 
zeigen  eine  veränderte  Form  und  Schemen  wie  von  emem 
neuen  Geist  beseelt.  Zwischen  seinen  früheren  Schriften 
in  Vers  und  Prosa  und  seiner  späteren  Dichtung  stellt  sich 
der  ganze  Unterschied  zwischen  Früh-  und  Hochrenaissance 
dar;  mit  seiner  Prosakomödie  ,,Die  Untergeschobenen", 
die  im  Karneval  des  folgenden  Jahres  zur  Auffülirung 


•  Was  Ippolito  d'Este  durch  Ariost  in  Bologna  erledigt  wissen  wollte, 
hat  aich  nicht  nachweisen  lassen.  Gardner  meint,  im  Hinblick  auf 
den  bevocstdwadea  Fdt  des  Hanaes  Bmtivoglio,  der  Herrscher  v<m 
Botogna,  habe  eine  Xhiterknnft  fSr  Lucrezia  d'Este  und  ihre  Kinder 
vorbereitist  werden  nkOsseii« 


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EINLEITUNG 


XLVII 


gelangte,  krönte  und  vollendete  er  das  Werk  der  Erneuerung 
des  italienischen  Dramas,  die  sein  verstorbener  Herrscher 
Ercole  begonnen  hatte. 

Vor  den  Suppositi  konnte  Ariost,  noch  im  Jahre  1508, 
die  Cassaria  (Kastenkomödie)  auf  den  Brettern  er- 
blicken. 

Das  Jahr  1509  beschenkte  ihn  mit  einem  Sohn,  seinem 
Virginio,  den  er  inmier  zärtlich  geliebt  und  in  späteren 
Jaluren  nicht  mehr  von  sich  gelassen  hat.  Die  Mutter 
stammte  aus  Modena  und  hieß  Orsolina  Catinelli  (er  hat 
später  großmütig  für  sie  gesorgt;  sie  verheiratete  sich  mid 
schemt  dem  einst  Geliebten  eine  dauernde  Anhängfichkdt 
bewahrt  su  haben).  Daß  Ariost  »,den  Schönen  hold'*, 
dabei  eifersüchtig  und  leidenschaftlich  war,  berichtet  sein 
Biograph  Garofalo;  etwas  Ahnliches  gestand,  wie  wir  lesen, 
er  selbst  ein,  in  dem  lateinischen  Gedicht  vom  wankel- 
mütigen Sinne. 

III 

Herzog  Alfons  erfreute  sich  anfangs  der  Huld  des  grim- 
men Papstes  Julius  II.  Als  er  aber  auf  eigene  Faust  den 
Franzosen  —  die  Juhus  eigentlich  gerufen  hatte,  jedoch 
mit  Mißtrauen  betrachtete  —  sich  anschloß  und  zur  Be- 
grüßung des  Königs  Ludwig  mit  glänzendem  Gefolge  nach 
Mailand  ging,  sah  der  Papst,  wahrscheinlich  au%estachelt 
von  Alberto  Pio,  darin  die  Eigenmächtigkeit  eines  Va- 
sallen'': „Er  wurde  des  Herzogs  Todfeind",  schreibt  dessen 
Sekretär  Bonaventura  PistofUo,  „und  blieb  dies  sein  Leben 
lang.**  Zur  Besänftigung  des  Papstes  wurde  Ariost  nach 
Rom  entsandt.  Von  dort  aus  meldete  er  nach  Ferrara, 
der  Zorn  des  HeOigen  Vaters  sei  zu  groß ;  der  Herzog  m^e 
selbst  nach  Rom  kommen.  Doch  Alfons  blieb  in  Ferrara. 
Nach  der  Rückkehr  hatte  Ludovico  für  den  imFdde  stehen- 
den Kardinal  mancherlei  Geschäfte  zu  besorgen:  zwei 


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XLVIII 


EINLEITUNG 


Briefe  aus  dieser  Zeit  an  Ippolito  sind  uns  erhalten.  Als 
Fenara  durch  den  Venezianer  Trevisano  bedroht  wurde, 
befand  sich  der  Dichter  in  der  Kriegsschar  seines  Herrn, 
der  gegen  die  venezianische  Flotte  und  gegen  eine  starke 
Bastion  am  Ufer  des  Po  zugleich  zu  kämpfen  hatte.  Am 
I.  November  1509  befahl  Ippolito  einen  Vormarsch  zum 
Sturm,  seine  Leute  in  der  Front.  Dabei  geriet  Ercole 
Cantelmo,  Sohn  des  Herzogs  von  Sora,  wie  Luigi  da  Porto 
schreibt,  ,,ein  herrhcher,  überaus  anmutiger  und  schöner 
Jünghng",  der  mit  Alessandro  Ferrusino  vorausgesprengt 
war.  durch  slawonische  Söldner  in  Gefangenschaft  und 
wurde  vor  Augen  seines  Vaters  und  aller  Ferraresen  auf 
einem  Schiff  enthauptet.  Daran  erinnert  Ariost  den  Kar- 
dinal im  Orlando  (36.  (ies.,  St.  i — 7). 

Die  Kriegsereignisse  machten  Verstärkungen  der  Trup- 
pen Ferraras  notwendig.  Um  solche  vom  Papst  zu  erwir- 
ken. \\airde  Ariost  aufs  neue  nach  Rom  geschickt.  Am 
16.  Dezember  brach  er  nach  Bologna  auf.  Unterwegs  wäre 
er  fast  in  den  übergetretenen  Fluten  des  Po  umgekommen. 
Am  Tiber  blieb  er  zwei  Monate.  Dort  traf  ihn  die  Nachricht 
von  der  Vernichtung  der  venezianischen  Flotte  bei  La 
Polesella  durch  Alfons  und  Ippolito,  einem  so  vollständigen 
Siege,  daß  danach  ,,weder  Pferde  noch  Fußvolk  mehr 
nötig  waren**,  wie  er  sich  ausdrückt.  Im  Orlando  findet 
der  Schlachtendonner  von  La  Polesella  seinen  Widerhall 
bei  Schilderung  des  Sieges,  den  Dudo  über  die  Flotte  König 
Agramants  errang  (Ges.  40,  St.  15).  Der  Dichter  war 
nicht  zugegen.  ,,Wie  vom  Blute  rot  die  Wogen  gingen," 
ruft  er  dem  Kardinal  ins  Gedächtnis,  „Ihr  saht's  —  und 
ließt  es  viele  andre  sehen"*. 


*  Aus  Rom,  wo  ihn  die  Nacliricht  von  der  siegreichen  Schlacht  bei 
La  Polesdia  erreicht  hatte,  achrieb  Ariost  am  Wcabnachtstag  1509 
an  den  Kardinal  IppoUto.  Sein  Brief  ist  noch  erhalten  und  auch  deshalb 
wichtig,  weil  eine  Anspielung  auf  Dinge,  die  im  letaten  Gesänge  des 


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EINLEITUNG 


XLIX 


Ich  sah  es  nicht:  ich  war  in  Hast  gelangen, 

Die  Pferde  wechselnd  stets,  sechs  Tag'  vorb^, 

Vorm  großen  Hirten  kniend  zu  erlangen, 

Daß  er  zur  Hille  rasch  entsend'  ein  Heer. 

Doch  nicht  um  Beistand  braucht'  ich  mehr  zu  bangen: 

Des  Leuen  Klanen  und  Gebisses  Wehr 

Bracht'  ihn  schon  so,  daß  Unbill  oder  Flage 

Er  onterlasaen  hat  seit  jenem.  Tage. 

Am  i6.  Februar  15x0  war  Ariost  wieder  in  Ferrara. 


IV 

Die  Stadt  ging  einer  schweren  Zeit  entgegen.  Acht  Tage 
nach  des  Dichters  Rückkehr  machte  die  Repubhk  Venedig 
ihren  Frieden  mit  dem  Papst,  und  immer  offenkundiger 
zeigte  Julius  II.  seine  Gelüste  nach  Alfonsos  Herzogtum. 
Ippolito  seinerseits  erregte  den  Grimm  des  geistHchen 
Oberiürten  durch  erfolgreichen  Druck  auf  die  Mönche  der 

Orlando  vorkommen  (nämlich  den  wunderbaren  Pavillon,  in  dem 
Ruggiero  nnd  Bradamaate  verheiratet  werden  sollen),  uns  zeigt,  daß 
die  erste  Gestalt  des  Gedichtes  -wenigstens  im  Gehirn  des  Dichters 
nahem  vollendet,  wenn  anch  wohl  noch  nicht  schriftlich  ausgearbeitet 

war.  Der  Brief  lautet:  ,,Seit  ich  Ferrara  verließ,  hat  es  beständig, 
Tag  und  Nacht,  geregnet;  die  Flüsse  sind  ausgetreten,  so  daß  eine 
Reise  aasntfietsii  fsdkt  g^fthrUch  ist  Damm  möchte  ich  bei  Eurer 
Herrlichkeit  entschuldigt  sein,  wenn  meine  Rückkehr  sieh  etwas  v«r- 

spätct.  Heute  traf  die  Nachricht  ein,  daß  Eure  Herrlichkeit  zusammen 
mit  dem  Herzog  die  venezianische  Flotte  auf  dem  Po  besiegt  hat,  worülxjr, 
wie  ich  meine,  dieser  ganze  Hol  sich  freut.  Das  ist  mir  heb,  denn  ab- 
gesdien  voa  der  öffentlichen  Eznngenschaft,  wird  meine  Muse  in  dem 
Pavillon  meines  Ruggiero  eine  Geschichte  zu  neuem  Preis  Eurer  Herr' 
lichkeit  zu  malen  haben."   (Bei  Gardner,  The  Kinq         S.  67.) 

Die  ani  Ende  als  beabsichtigt  erwähnte  Ausmalung  ist  erfolgt  im 
letzten  Gesang  des  Orlando:  Gemälde  in  dem  Prachtzclt  für  die  Ver- 
mählung voa  Roger  nnd  Bradamant  stellen  Taten  ihrer  Nachkommen 
dar  nnd  auch  diese  Waffentat  IppoUtos.  Der  Schluß,  den  Gardner 
hieraus  zieht,  daß  Orlando  um  diese  Zeit  schon  seiner  Vollendung  nahe 
gewesen  sei,  ist  unwahrscheinlich.  Vielmehr  genügt  es,  anzunehmen  — 
eine  Möglichkeit,  deren  auch  er  gedenkt  — ,  daß  der  Dichter  den  Plan 
seines  Werkes  im  Kopfe  hatte. 

Atiost  I  IV 


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EINLEITUNG 


begüterten  Abtei  Nonantola,  die  ihn  nach  dem  Tode  des 
bisherigen  Inhabers  zmn  Abt  ^lvählen  sollten.  Eine  aber- 
malige Entsendung  Ariosts  nach  Rom  (im  Mai  1510),  um 
Gefahren,  die  den  beiden  Fürsten  drohten,  abzuwenden, 
blieb  wirkungslos;  ebenso  zwei  im  August.  In  anderer 
politischer  Angelegenheit  ging  er  in  diesem  Jahr  zum 
Fürsten  von  Carpi,  Alberto  Pio.  In  alter  Herzhchkeit 
konnten  sie  einander  nicht  begegnen.  Durch  Albertos 
fortgesetzte  Ränke  gegen  das  Haus  Este  löste  sich  ihr 
Verhältnis,  vermutlich  um  diese  Zeit,  wie  Ariosts  Sohn 
Virginio  es  ausgesprochen  hat. 

Mit  zahlreichen  hochstehenden  Herren  unterhielt  Ariost, 
zumeist  infolge  seiner  Missionen,  Verbindungen.  Aus  dem 
Jahr  1511  besitzen  wir  ein  Glückwunschschreiben  von 
ihm  an  den  Kardinal  Giovanni  de'  Medici,  der  damals  zum 
L^ten  von  Bologna  ernannt  worden  war.  Er  hatte  sich 
dem  Dichter  immer  äußerst  wohlgesinnt  bewiesen,  und 
dieser  glaubte,  einen  zuverlässigen  Gönner  in  ihm  gefun- 
den zu  haben. 

Als  Ende  15 11  die  Spanier  unter  Cardona  in  die  Ro- 
magna  einrückten,  ergaben  sich  die  dem  Herzug  Alfons 
gehörigen  Städte  mit  Ausnahme  der  Badia  del  Zaniolo, 
die  den  Flußübergang  beherrschte.  Nach  heldenmütigem 
Widerstand  wurde  die  kleine  Garnison  überwältigt  und 
mit  ihrem  Befehlshaber  Vestidello  niedergemacht.  Bald 
darauf  erschien  Alfons  mit  französischen  Truppen.  In- 
folge seines  Artilleriefeuers  löste  sich  ein  Stein  des  Walls, 
traf  ihn  an  die  Stirn  und  streckte  ihn  besinnungslos  zu 
Boden.  Wütend  darüber,  stürmten  seine  Leute  vorwärts, 
nahmen  die  Bastei  und  ließen  sämtliche  Spanier  darin 
über  die  KUnge  Biringen.  Als  es  nun  im  Orlando  gilt,  dar- 
zustellen, in  wdchem  Grad  beim  Kampf  Roland  durch  den 
Tod  seines  Freundes  Brandimart  zur  Wut  gereizt  wird, 
dient  jener  Vorfall  dem  Dichter  zu  einem  seiner  anziehenden 


EINLEITUNG  LI 


Exkurse,  wie  sie  namentlich  gern  den  Eingang  seiner 
Gesänge  schmücken  (Ges.  42,  i — 4). 

Das  nächste  große  Ereignis  im  Kriege  war  die  fürchter- 
liche Schlacht  bei  Ravenna  am  Ostersonntag  1512,  dem 
II.  April.  Alle  päpstlichen  und  spanischen  Feldherren 
wurden  gefangen,  mit  ihnen  der  Kardinal  Giovanni  von 
Medici.  Der  verwundete  Fabrizio  Colonna  ergab  sich 
nach  veratweifelter  Gegenwehr  dem  Herzog  von  Ferrara 
persdoHch.  Die  Artillerie  Alfonsos  entschied  den  Tag; 
g^en  sie  konnten  die  Sensenvragen  der  Spanier  nichts  aus- 
richten. Jedoch  verloren  die  Franzosen  in  der  Stmide  des 
Sieges  ihren  gefeierten  Feldherm  Gaston  de  Foix.  Den 
gefangenen  Fabrizio  Colonna  lieferte  Alfons  trotz  allen 
Drängens  des  französischen  Königs  nicht  aus,  sondern 
behanddte  ihn  wie  einen  geehrten  Gast. 

Auch  dieses  Ereignis  verwertet  Ariost  im  Orlando:  um 
den  schwererkauften  Sieg  der  Sarazenen  über  das  Christen- 
heer zu  illustrieren,  zieht  er  zum  Vergleich  die  Schlacht 
von  Ravenna  heran  und  erinnert  Alfons  an  seinen  ,,glanz- 
und  ehrenreichen  Triumph", 

Triumph,  auf  den  mit  schmerzgesenkten  Brauen, 
Beträntem  Aug'  Ravennas  Bürger  schauen. 

(Gesang  XIV,  St.  2.) 

Bald  nach  der  Schlacht  scheint  Ariost  —  vermutlich  als 
Träger  einer  Botschaft  von  Ippolito  an  den  Herzog  —  per- 
sönlich in  Ravenna  gewesen  zu  sein.  Darauf  deutet  die 
zehnte  Elegie,  wo  er  sagt:  „Ich  kam  dahin,  wo  rot  noch 
die  Gefilde  waren  von  unserm  und  Barbarenblut . . .  Und 
sah  so  eng  gereiht  der  Toten  Schar,  daß  meilenweit  keui 
Fleckchen  Erde  war,  den  Fuß  zu  setzen,  ohn'  auf  sie  zu 
treten." 

'Im  August  1512  gelang  es  dem  Dichter,  im  Auftrag 
Ippolitos  sich  durch  die  päpstlichen  Staaten  zu  dem 
geächteten  Herzog  Alfons,  der  in  Verkleidung  bei  den 

IV* 


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EINLEITUNG 


Cdonna  weilte,  zu  schleicheii  und  ihn  auf  der  Flucht  nach 
Florenz  zu  begleiten.  Von  dort  begab  er  sich  nach  Ferrara 
zurück.  Als  im  März  1513  nach  dem  tbde  Julius'  IL  der 
allgemein  beliebte  Giovanni  de'  Medici  als  Leo  X.  den 
päpstlichen  Stuhl  bestiegen  hatte,  eilte  Ariost  nach  Rom*^, 
dem  Heiligen  Vater  des  Herzogs  Glückwunsch  zu  bringen, 
froher  Hoffnung  voll;  denn  wiederholt  hatte  er  vom  Kar- 
dinal Giovanni  die  Versicherung  erhalten,  wenn  er  einen 
Wunsch  habe,  werde  sein  Gönner  ihn  wie  den  eigenen 
Bruder  Giuliano  behandeln.  Ein  liebreicher  Empfang  in 
Rom  versprach  viel  und  hielt  nichts.  „Die  Hoffnung'*, 
schrieb  Ariost  später  in  einer  Satire,  ,,floh  von  mir  in  des 
Himmels  unbekannte  Regionen  an  dem  Tage  fort,  da  der 
Heilige  Vater  mir  die  Hand  drückte  und  die  Wangen 
küßte."  In  Rom  blieb  er  noch  einige  Wochen,  verdrieß- 
lich und  enttäuscht;  sodann,  im  Frühsommer,  finden  wir 
ihn  in  Florenz**,  als  Teilnehmer  an  den  Freudenfesten,  die 
vom  Papst  gegeben  wurden.  Dort  sah  er  die  schöne  junge 
Florentinerin  Alessandra  Benucci,  Gattin  des  Tito  Strozzi, 
wieder,  die  er  früher  schon  kennengelernt  hatte,  und 

*  Weiteres  über  diese  Romreise  siehe  IV.  Band,  Anhang  Nr.  lo  und 
Anm.  ni  SaA.  in.  V.  184. 

**  Er  Itfttt»  dort  im  Namen  seines  Vetteis  Rinaldo  Aiiosti  mit  Gio- 
vanni Vespucci  Geldangelegenheiten  zu  regeln  (s,  Gustavo  Uzielli, 

Vita  di  Amerigo  Vespucci  scritta  da  Angolo  Bandini,  Firenze  1898,  p.  g.) 
und  wohnte  damals,  wie  Uzielli  nachgewiesen  hat,  als  Gast  Kiccold 
VeepocciB  in  dessen  Hans  am  Sfidende  des  Ponte  Vecchio.  Dieses 
Gebäude  ist  noch  vorhanden  (es  trägt  die  Nr.  2)  und  darf  der  Stein- 
tafel gewärtig  sein,  die  Florenz,  wie  Uziflli  sehr  richtig  bemerkt,  dem 
Dichter  noch  schuldet.  Alessandra,  eine  \'crwandte  des  Vespucci,  war 
mit  ihm  zusammen  Gast  dieser  Familie  (Näheres  in:  „Auf  den  Spuren 
L.  Ariostos",  Frankforter  Zeitong  1908,  Nr.  36).  Wenn  Uzidli  in  der 
von  Fomari  erwähnten  Cognata  der  Vespucci  eine  andere  Verwandte 
sieht  und  nicht  Alcssandra  Strozzi-Bcnucci,  so  steht  er  mit  dieser 
Ansicht  wohl  allein.  —  Bei  seinem  zweiten  Aufenthalt  in  Florenz 
wohnte  Ariost  als  Gast  des  Zanobi  Buondelmonti  im  Hause  (heute 
Nr.  6)  Bmndam<mH*\  Fiasza  Santa  TtinitA,  gerade  der  Kirdhe 
gsgenftber,  an  der  Ecke  der  V»  SantI  Apostoli. 


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EINLEITUNG 


Uli 


verlor  jetzt  ganz  sein  Herz  an  sie.  Und  diese  Leidenschaft 
blieb  lebendig  durch  sein  ganzes  Leben;  der  flatterhafte 
Sinn"  kam  zur  Ruhe.  Alessandra  soll  den  Dicliter  zur 
Vollendung  seines  Orlaftdo  angetrieben  haben,  indem  sie 
ihm  die  Verpflichtung  auferlegte,  ihr  jeden  Monat  einen 
durchgesehenen  Gesang  zu  schicken.  Bald  hier,  bald  da 
blickt  aus  dem  Dicht  er  werk  ihr  Antlitz  uns  entgegen. 
Man  könnte  meinen,  schon  beim  ersten  Anfang  habe  Ariost 
in  Alessandras  Banden  gelegen ;  denn  von  ihr  macht  er  die 
VoUendung  des  Ganzen  abhängig,  gleich  in  der  zweiten 
Stanze  des  ersten  Gesanges: 

Von  Roland  gilt  es  Unerhörtes  sagen, 
Was  weder  Reim  noch  Prosa  je  gckauut; 
Vn»  er,  ao  vreiae  aonat  in  allen  Tagen, 
Durch  Liebe  ward  vom  Wahnsinn  übermannt; 
Wenn  sie,  die  fa?;t  wie  ihn  mich  hat  geschlagen, 
So  daß  mir  scliier  mein  bißchen  Witz  ent'^chwand, 
Von  diesem  Rest  so  viel  mir  will  vergönnen, 
DaB  ich  Versprochnes  werde  achaffen  kAnnen. 

Aber  die  Fassung  mag  jünger  sein,  die  Anspielung  ein- 
geschaltet wie  so  viele.  Noch  einmal  bezeichnet  der  Sänger 
sich  als  Leidensgenossen  Rolands.  Nach  der  köstlichen 
Schüderung  der  Fahrt  Astolfs  zum  Monde,  von  wo  der 
in  einem  Kruge  verwahrte  Verstand  des  verrückten  Helden 
zurückgeholt  werden  soll  (denn  alles«  das  hier  auf  Erden 
verloren  ging,  findet  sich  dort  auf  dem  Monde  au%e- 
.  speichert),  beginnt  er  einen  neuen  Gesang  mit  der  Anrede 
an  Alessandra  (ohne  Namensnennung): 

Wer  wird  für  micli  herab  vom  Himmel  bringen, 

Was  ich  verlor,  o  Herrin,  an  Verstand, 

Der  —  seit  aus  Eurem  Aug'  ins  Herz  mir  dringen 

Die  scharfen  Pfeile  —  mehr  und  mehr  verschwand? 

Doch  will  ich  drob  nicht  KlagnHedwr  tingen. 

Wenn  keine  neuen  werden  ausgesandt. 

Denn,  muß  ich  ihn  noch  mehr  geschmälert  sehen, 

So  wird  mir's,  furcht'  ich,  bald  wie  Roland  gehen. 


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i 


LIV  EINLEITUNG 


ich  brftucli*  in  tolclie  HOhen  nicht  sn  iteigeQ, 

Um  einzuholen  meines  Geists  Verlust, 
In  Mondeskreis  und  Paradieses  Reigen  — 
DttB  er  80  hoch  nicht  «eilt,  ist  mir  bewnfit. 
Ab  Wohndts  watd  ihm  En«r  Anllits  eigmt; 

Die  Alabasterhügel  Eurer  Brust 

Durchschweift  er,  und  ich  kann  mit  diesen  Lippen, 

Glaub'  ich,  wenn  Ihr's  vergönnt,  herab  ihn  nippen. 

(35,  1—2.) 

Wie  hoch  er  Alessandra  stellt,  zeigt  ihre  Einreihuag 
unter  die  acht  edelsten  und  schönsten  Damen  des  zeitge- 
nössischen Italien,  deren  Bfarmorstatuen  Rinald  auf  dem 
Brunnen  eines  wundervollen  Schlosses  am  Po  findet. 
Sieben  von  ihnen  werden  von  je  zwei  Sängern,  auf  deren 
Schultern  sie  stehen,  getragen:  Lucrezia  Borgia  von  Te- 
baldeo  und  Strozzi;  IsabeQa  Gonzaga  von  Calandra  und 
Barddone;  Elisabetta  Gonzaga  da  Montefeltro  von  Sado- 
leto  und  Bembo;  Leonora  Gonzaga  (gleichwie  Elisabetta 
eine  Herzogin  von  Urbino)  von  Castiglione  und  Arelio; 
Lucrezia  Bentivoglio  von  Paleotto  und  Silvestri;  Diana 
de*  Contrari  von  Calcagnini  und  Cavallo;  Beatrice  Sforza 
von  Niccolö  da  Correggio  und  Bendadei.  Zwischen  der 
Borgia  und  Beatrice 

In  Alabaster  schön  ist  ausgehaueu 

Ein  Frauenbild:  gar  herrlich  scheint  es  dir, 

Im  Schleier  und  im  schwarzen  Kleid  zu  schauen, 

Ohne  Juwelen,  ohne  goldne  Zier 

Strahlt  nnter  den  GeBchmOckten  diese  eine, 

Wte  Venns  strahlt  bei  andrer  Sterne  Scheine  . . . 

Wie  ächr  auch  immer  Huld  und  Anmut  eigen 
Hier  dieseui  schöneni  wohlgefbnnten  Stein, 
Scheint  er  doch  Unmut  ob  des  Sangs  xa  seigen, 
Des  einer  sich  erkühnt  mit  Stümperein 
(Warum  kein  zweiter  führt  mit  ihm  den  Reigen, 
Nicht  weifi  ich's),  der  die  Dame  trägt  allein. 
Der  Ibme  wu  bei  allen  soost  geachiieben. 
Und  nngenannt  nur  diese  beiden  blieben. 

{42,  8o— 95.) 


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EINLEITUNG 


LV 


Daß  der  Dichter  Alessandra  und  sich  selbst  geraeint  hat, 
steht  außer  Zweifel. 

Sechs  Monate  verbrachte  er  zAim  Studium  des  feinen 
toskanischen  Idioms,  so  wird  überliefert,  in  Florenz*  — 
der  Stadt,  die  von  da  an  ihm  über  alles  teuer  wurde  — , 
„den  Orlando  beendend",  schreibt  Gardner;  doch  so 
weit  war  das  Werk  wohl  noch  nicht  vorgerückt.  Die  Notiz 
Fomaris,  Ariost  habe  damals  am  Kampf  des  Prinzen  Zerbin 
mit  Mandrikard  (im  24.  Gesang)  gearbeitet,  spricht  auch 
dagegen.  Die  imgewohnte  Weichheit  wid  Zartheit,  die 
jener  Gesang  atmet,  mag  ans  dem  von  Liebe  bewegten 
Dichtelgemüt  geflossen  sein. 

Ob  Alessandra  ihren  Sänger,  der  gegen  Ende  des  Jahres 
nach  Ferrara  zurückkehrte,  dorthin  begleitet  hat,  steht 
nicht  ganz  fest,  doch  ist  es  wahrscheinlich.  Sie  war  in- 
zwischen Vi^twe  geworden  nnd  scheint  sich  in  bedrängten 
Verhältnissen  befunden  zu  haben.  Auch  Ariosts  Lage  wurde 
immer  schwieriger.  Die  Freiheit  der  jüngsten  Jahre  ent- 
sprang dem  Umstand,  daß  der  Kardinal  Ippolito  ihm  sein 
Gehalt  niclit  mehr  auszahlte.  Schulden  bedrückten  den 
Dichter.  Da  kam  es  ihm  sehr  zustatten,  daß  ihm  durch 
eine  Bulle  Leos  X.  im  Juni  1514  die  Pfründe  von  Santa 
Agata  bei  Faenza  verliehen  wurde.  Das  verhalf  ihm 
zu  einem  Einkommen  von  dreihundert  Golddukaten. 
Von  der  damit  verbundenen  VerpfUchtung,  innerhalb 
Jahresfrist  Priester  zu  werden,  scheint  er  Dispens 
erhalten  zu  haben.  —  Im  Herbst  darauf  war  er  mit  dem 
Kardinal  auf  dem  Wege  nach  Rom,  erkrankte  aber  in  den 

♦  „Im  Hanse  seines  Freundes",  so  meldet  Fornaxi,  „verweilte  er 
sechs  Monate  und  pflegte  mitten  in  der  Nacht  aufzustchn,  um  zu 
dichten.  Oftmals  mnOte  aein  Diener  Giovanni,  der  ans  Peada  war 
nnd  in  der  Satirc  an  IfesSer  Galaaso  erwähnt  wird,  für  ihn  Feder  nnd 

Papier  holen.  Frühmorgens  dann,  ganz  glühend  und  mit  sich  zu- 
frieden hinsichtlich  des  nächtlicbtfweile  Geschafienen,  las  er  Vespucci 
das  von  ihm  Niedergeschriebene  vor/* 


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LVI 


F  T  X  L  K  T  T  TJ  X  C 


Apenninen*  imd  kehrte  dann  wieder  zu  seiner  Alessandra 
zurück.  In  Ferrara  führte  er  seingroßes  Werkim  Herbst  1515 
zu  Ende.  Schon  im  Juli  hatte  er  von  Leo  X.  für  die  Ausgabe 
das  S.  I  erwähnte  Privilegium  erhalten;  ein  anderes  vom 
Senat  von  Venedig  folgte  im  Oktober.  Der  Druck  wurde 
im  April  IJ16  beendet.  IiTtümlicherwcise  hat  man  zwei 
Ausgaben,  von  1515  und  von  1516,  angenommen.  Die 
von  15 16  ist  die  erste**.  Der  Kardinal  empfing  sein  Exem- 
plar nach  der  Rückkehr  von  Rom  im  Juni  und  soll  be- 
kanntlich mit  der  Frage  quittiert  haben:  ,, Messer  Lodovico, 
dovc  mai  trovastc  tanie  fanjaluche?  (,,Wo  habt  Ihr  all 
die  Hirngespinste  gefimden?").  Darin  eine  Verlegenheits- 
äußening  über  die  in  dem  Werk  ihm  gespendeten  Lob- 
sprüche zu  sehen,  wie  Gardner  es  tut  (der  die  Worte  für 
authentisch  nimmt),  will  doch,  zumal  bei  Ippolitos  Selbst- 
bewußtsein, nicht  einleuchten. 

Ariost  war  mit  seinem  Heim  längst  wenig  zuMeden  ge- 
wesen. Er  hatte  durch  seine  Dichtungen  Ruhm  und  Ehre 
erworben,  aber  bei  der  Kargheit  des  Kardinals  nicht  so 
viel  erübrigt,  „daß  er  sich  einen  neuen  Mantel  hatte  an- 
schaffen können"  (Sat.  I).  Der  Dienst  war  beschwerlich; 


*  Siehe  Capitcdo  IV.  Diese  reisenden,  an  Ippc^to  d'&te  gerich« 

teten  Verse  atmen  Schmerz  über  die  Trennung  von  der  Gdiebten  und 
Sehnsucht  nach  ihr  sowie  der  Heimat. 

Sie  enthält  nur  40  Gesänge.  Auf  46  wurde  erst  die  Ausgabe  von 
1532  gebracht. 

Eines  anderoi  Ansdmda  (gemeiat  ist  wohl  eofb»IUn$i  die 

überlieferten  Bezeichnungen  sdiwanken)  gedenkt  P.  Heyae  in  seiner 

„Madonna  im  Oelwald": 

„Wie  kamt  Ihr  zu  dem  Possenkram,  Mcssere 
Ariost?*'  rief  jener  Kardinal;  —  er  branchte 
Ein  stärkres  Wort,  das  jetzt  nicht  «r.hicklich  wize. 
Braucht's  gegen  den,  der  seinen  Pinsel  tavchte 
In  Irisfarben,  frei  von  Erdenschwere, 
Und  eine  Zauberwelt  ins  Leben  hauchte, 
Sich  trOetend:  „honny  soit  qni  mal  y  pense. 
Sind  wir  nicht  in  der  Zeit  der  Renaissance?** 


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EINLEITUNG 


LVII 


namentlich  die  zahlreichen  Entfernungen  von  Alessandra 
durch  die  Reisen  behalten  ihm  nicht.  Als  Ipix)lito  im 
Herbst  nach  seinem  Bischofssitz  Agram  übersiedeln  und 
dea  Dichter  mitnehmen  woUte,  weigerte  sich  dieser  zu 
gehen.  Er  wurde  in  kränkender  Weise  entlassen  und  ge- 
zwungen, auf  seine  zwei  einträglichsten  Benefizien  zu 
verzichten.  Sein  jüngster  Bruder  Alessandro  ging  mit 
nach  Ungarn.  An  ihn  schreibt  er  über  den  Kardinal  in  der 
zweiten  Satire:  ,,DaB  er,  weil  ich  nicht  willig  war,  zu 
gehen.  Um  Buda  mir  und  Agram  anzusehen,  das  Seine 
nimmt,  kränkt  nicht  so  überaus  (Riß  er  mir  gleich  die 
besten  Federn  aus.  Womit  die  letzte  Blauserung  mich 
schmückte),  Als  daß  er  mich  der  Lieb  und  Huld  entrückte, 
Ifich  ohne  Treu  und  Glauben  nennt"  usw. 

So  war,  anderthalb  Jahre  nach  Erscheinen  des  Orlando, 
,,das  Joch  des  Kardinals"  abgeschüttelt  und  Ludovico 
Ariosto  der  Freiheit  zurückgegeben. 

V 

Die  goldenen  Tage  der  Unabhängigkeit  gingen  rasch 
vorüber.  Ariost  vermochte  von  zwei  Benefizien,  die  ihm 
geblieben  waren,  seine  bescheidenen  Lebensbedürfnisse 
nicht  zu  befriedigen.  Er  trat  (April  1518)  als  Mitglied 
des  herzoglichen  Haushaltes  in  den  Dienst  Alfonsos,  der 
freigebiger  und  weniger  anspruchsvoll  war  als  sein  Bruder 
Ippolito.  Dennoch  sollte  Ludovico  auch  über  den  Herzog 
zu  klagen  haben.  Als  sein  Vetter  Rinaldo  Ariosto,  das 
eigentliche  Haupt  der  Familie  (er  führte  auch  den  Grafen- 
titel, von  dem  der  Dichter  kdnen  Gebrauch  machte), 
im  Juli  1529  starb,  hätte  ein  reiches,  von  Ercole  L  an  Ri- 
nalds  Vater  verliehenes  Besitztum  bei  Bagnolo  an  Ludo- 
vico und  seine  Brüder  fallen  sollen.  Aber  die  herzogliche 
Kammer  nalim  es  für  sich  in  Anspruch,  und  Alfonso  zeigte 


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lA'IlI 


K  T  N  L  E  I  T  U  N  G 


für  die  Bitten  des  Dichters  ein  taubes  Ohr.  Ein  Prozeß, 
den  dieser  anstrengte,  führte  zu  nichts  nnd  verbitterte,  wie 
die  alten  Biographen  melden,  den  Rest*  von  Ludovicos 
Leben. 

Weiteres  Ungemach  brachten  ihm  die  Kriegsereignisse. 

Der  Herzog,  zur  Sparsamkeit  gezwungen,  ließ  ihm  sein 
Gehalt  sehr  unregelmäßig  auszalilen  und  deutete  an,  er 
werde  es  ganz  auflieben  müssen.  Da  zu  gleicher  Zeit  noch 
eine  andere,  aus  dem  Erzbistum  Mailand  fließende  Ein- 
nahmequelle versiegte,  blieb  der  Dichter  fast  mittellos. 
Offenherzig  bekannte  er  dem  Herzog,  er  werde  einen  andern 
Dienst  suchen.  Das  half.  Ariost  wurde  (Februar  1522) 
zum  herzoglichen  Kommissar  in  der  Garfagnana  er- 
nannt*, einer  ursprünglich  ferraresischen,  zwischen  Mo- 
dena,  Lucca  und  Massa  gelegenen.  Von  Gebirgen  um- 
schlossenen Provinz,  deren  Bewohner  gerade  nach  Leos  X. 
Tod  (Dezember  1521)  der  päpstlichen  Herrschaft  sich  ent- 
zogen und  die-  Wiederaufnahme  unter  Alfonsos  Schutz 
nachgesucht  hatten.  Am  12.  Februar -machte  der  neue 
Statthalter  sein  Testament,  worin  er,  abgesehen  von  from- 
men Spenden,  alles  seinem  inzwischen  legitimierten  \^ginio 
vermachte,  und  ging  —  einen  Tag  nach  Veröffentlichung 
der  zweiten  Ausgabe  seines  Furioso  —  nach  dem  neuen 
Wirkungskreis  ab,  von  Virginio  und  einigen  Bewaffneten 
begleitet.  Am  20.  Februar  traf  er  in  Castelnovo  ein*"^. 

♦  Freilich  XU  seinem  Mißvergnügen,  wie  wir  durch  ihn  selbst  er- 
fahren; er  nennt  das  neue  Amt  , .nicht  recht  seinem  Wunsch  ent- 
sprechend (non  molto  conformc  al  mio  disio)".  Seine  schwache  Gesund- 
bdt  'war  für  das  anstrengende,  entbehrungsreiche  Leben,  das  dort 
seiner  wartete,  nicht  aagetan,  seine  städtischen  Gewtihiiheitea  nicht 
für  die  rauhe  Bergwildnis.  Aber  er  konnte  nicht  ablehnea  und  nahm 
die  Stelle  an. 

**  Zu  sehen,  wie  der  Orlandodichter  in  Ausiibung  Reiner  staats- 
minnisdien  Pflichten  als  heraoglicher  Kommissar  verfuhr,  ermögUchen 
nns  vorhandene  Briefe  nnd  Berichte  Ariosts  ans  jener  Zeit.  Kein  Ab- 
schnitt seines  Lebens  li^  so  reich  beurinmdet  und  so  klar  vor  nns  wie 


EINLEITUNG 


LIX 


Das  stille  Bergörtchen  gefällt  dem  Städter  gar  nicht  I 
„Wo  wäre  wohl  zu  finden  eine  Stätte,"  —  schreibt  er 
nach  einem  Jahre  an  Vetter  Sigismondo  —  ,,die  minder 
Raum  für  heil'ge  Studien  hätte,  An  Liebreiz  weniger,  an 
Sclurecken  mehr*?** 

Die  ihm  gestelhe  Aufgabe  ging  in  der  Tat  über  seine 
Kraft,  zumal  da  er  von  oben  her  im  Stich  gelassen  wurde. 
Oft  sollte  er  es  erleben,  daß  bei  Vorstellungen,  die  er  nach 
Ferrara  machte,  gegen  ihn  entschieden  ¥rurde,  weil  der 
Einfluß  örtlicher  Persönlichkeiten  größer  war  als  der  seine. 

die  drei  Jahre  in  der  Garfagnaua.  Sein  erstes  staatspolitisches  Schreiben 
nach  der  Aakoiift  In  Castelnovo  war  an  den  Kapitän  der  florentinischen 
BeMtxnng  im  benachbarten  St&dtcben  Barga  gerichtet  Ein  Teil  der 

Garfagnana  nämlich,  mit  diesem  Barga  ab  Hanptort,  gehörte  nicht 
7u  den  cstcnsischen  Besitzungen,  vielmehr  zu  Florenz.  Mit  dem  dortigen 
Machthaber  sich  gut  zu  stellen,  war  eine  wichtige  Aufgabe  für  den 
ferrareaischen  Stattiialter  nnd  eine  domige,  denn  die  Besidrangen  sn 
jener  R^Uik  waren  natnrgemäB  gespannte.  Am  3.  Mira  1532  schrieb 
Ariost  an  ,,sf  incn  hohen  und  geehrten  Bruder",  den  Kapitän  von  Barga: 
„Da  mein  erlauchter  Herr,  der  Herzog  von  Ferrara,  mich  für  die  Re- 
gierung dieser  Provinz  Garfagnana  ausersehen  hat  und  ich  weiß,  wie- 
viel Seiner  EsoeUena  daran  liegt,  dafi  seine  Untertanen  in  Frieden  und 
ohne  Argwohn  mit  ihren  Nachbarn,  insonderheit  den  Untertanen  der  hohen 
Republik  Florenz,  leben  und  verkehren  mögen,  habe  ich  in  Anbetracht 
der  vollkommenen  Freundschaft,  die  immer  zwischen  genannter  hoher 
RepubUk  und  Seiner  Exzellenz  bestanden  hat  und  besteht,  es  für  meine 
Pflicht  gehalten,  nach  meiner  Ankunft  Euer  Herrlichkeit  mit  diesem 
Brief  zu  besuchen  nnd  Sie  zu  bitten,  falls  Schwierigkeiten  . . .  entstehen 
sollten,  gemeinsam  mit  mir  zu  handeln,  wie  ich  es  Ihr  gegenüber  tun 
würde,  damit  wir  durch  allen  Fleiß  nach  unserm  besten  Vermögen  die 
Untertanen  zu  jenem  Frieden,  jener  Eintracht  und  Ruhe  zurtkckführen 
mögen,  in  der  nnsere  hohen  und  erlauchtesten  Herren  immer  verharrt 
haben  und  xur  Zeit  verharren." 

*  Ein  moderner  Besucher  des  Bergstädtchen!^  Castelnovo  di  Gar- 
fagnana, das  von  Lucca  aus,  zumeist  im  Serchiotal  hin,  in  ein  paar 
StmideiB  m  erveichien  ist,  wird  anderer  Bidnung  sein  xtuA  von  SefaredBen 
nichts,  von  landschaftlichem  Liebreiz  aber  gar  manches  verspfiren. 
La  Rocca,  die  Burg,  einst  Wohnsitz  des  herzogUch  ferraresischen  Kom- 
missars Conte  Ludovico  Ariosto,  ist  ziemUch  unverändert  gebUeben. 
Das  kleine  Zimmer,  in  dem  unser  Poet  dichtete  und  sclirieb  („5t  äice  — 
wie  man  sagt",  bemerkt  vorsichtigerweise  die  liebenswürdige  Schloß- 


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LX 


EINLEITUNG 


Das  mußte  ihn  um  so  mehr  kränken,  als  er  sein  Amt  durch- 
aus ernst  nahm  und  mit  ganzer  Kraft  für  das  Wohl  seiner 
Bergbewohner  zu  wirken  strebte.  „Solange  ich  in  dieser 
Stellung  bin,"  schrieb  er  an  den  Herzog  (am  23.  Juh  1524), 
werde  ich  keinen  anderen  Freund  kennen  als  die  Gerech- 
tigkeit." Die  Bevölkerung  zollte  ilim  Dank  dafür.  ,,Er 
wurde",  sagt  der  älteste  Biograph,  ,,in  jener  Gegend  nicht 
nur  geliebt,  sondern  verehrt,  sogar  von  den  Straßenräubem, 
nahezu  tierischen  Gesellen."  Einer  der  gefürchtetsten 
Wegelagerer,  Filippo  Pacchioni ,  war  ihm  begegnet,  ohne  ihn 
zu  keimen.  Als  er  von  einem  Diener  erfuhr,  Ariost  sei  vor- 
übeigeschritten,  eilteer  ihmnachundbat,  demütig  grüßend, 
um  Verzeihung  für  die  unterlassene  Achtungsbezeigung. 

Ein  eindringlicher  Brief  des  Kommissars  Ludovico  an 
Herzog  Alfons  um  Abberufung  aus  seiner  Einöde  (vom 
30.  Januar  1524)  blieb  ohne  Erfolg.  Indessen  hätte  er 
—  wenn  der  Sdoretär  Fistofilo  seinen  Einfluß  nicht  zu 
hoch  einschätzte  —  bald  darauf  ,,für  ein  oder  zwei  Jahre" 
Gesandter  in  Rom  bei  Papst  Clemens  werden  können. 
Der  Dichter  wies  das  Angebot  zurück.  Glänzende  Ehren 
locken  ihn  nicht  mehr,  auch  nicht  die  von  Pistofilo  eröffnete 
Aussicht,  im  Strome,  wenn  es  ihm  um  leckere  Fische  zu 
tun  sei,  mehr  Beute  zu  finden  als  im  Bach.  Den  ehrgeizig 
Emporldimmenden  bedroht  ja  eine  besondere  Gefahr: 
„Man  braucht  bei  keiner  Sphinx  sich  Rat  zu  holen :  Wer 
au&teigt,  der  vereselt  unverhohlen."  Sein  Sinn  steht  nach 
Ferrara.   „Wenn  man,"  so  heißt  es  in  der  Epistel  an 

bewohnerin),  sieht  freilich  jetst  nicht  wie  das  Allerheiligste  daes  Literaten 

aus.  Die  Ortlichkeiten,  deren  der  Dichter  in  seiner  vierten  Satire  gedenkt, 
sind  alle  da  und  reden  eine  beredte  Sprache  zu  jedem  cmpfängüchen 
Gemüt.  Vom  Strahl  einer  Dichtersonne  beschienen  worden  zu  sein,  ist 
ein  danernder  Ruhm  für  die  gute  Stadt  Castelnovo  di  Gerfagnaaa.  Stds 
auf  ihren  großen  Ferraiesen,  hat  flie  in  das  Gemäner  ihrer  Borg  den 
Dantcschen  Vers  eingehauen:  „Qui  basta  il  nonte  di  quel  divino  ingegno" 
Genügend  ist  des  hohen  Geistes  Name").  Näheres  in  dem  Aufsatz 
„Staatsmann  und  Dichter"  (Münchencr  AUgem.  Zeitimg  1909,  Nr.  16). 


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EINLEITUNG  LXI 

Pistofilo  (Sat.  7),  warum  mir's  Nest  so  lieb  ist,  fragt,  Sag' 
ich 's  so  gern,  wie  man  die  Sünden  sagt  Dem  Beichtiger.  Du 
sprichst :  ,Will  das  sich  schicken  Für  einen  Mann  von  neun- 
imdvierzig  dicken,  Gereiften  Jahren,  voll  und  wohlgezählt  ?' 
Du  würdest  gleich  nach  einem  Prügel  schaun,  War'  ich  dir 
nahe,  um  mich  durchzuhaun,  Nennt'  ich  den  tollen  Grund, 
daß  ich  nicht  gerne.  Von  euch  getrennt,  leb'  in  der  weiten 
Feme*" 

Pistofilo  wird  vermutlich  Alessandra  gekannt  und  den 
Grund  erraten  haben.  Endlich,  im  Jimi  1525,  durfte  der 
Staatsmann  wider  Willen  Castelnovo  Valet  sagen;  sein 
geliebtes  Ferrara  hat  er  fortan,  abgesehen  von  kürzeren 
Ausflügen,  nicht  mehr  verlassen. 

VI 

Nachdem  während  der  drei  Jahre  in  der  Garfagnana  die 
poetische  Ausbeute  notgedrungen  eine  geringe  gewesen 
war  —  außer  zwei,  vielleicht  drei  Satiren  scheint  dort 
nichts  entstanden  zu  sein  — ,  konnte  der  Dichter  nunmehr 
sdn  Musenrofi  wieder  nach  Herzenslust  tununeln.  Das 
Echo  der  großen  Ereignisse  dieses  Jahres  1525  findet  sich 
im  Orlando,  wie  er  später  vorliegen  sollte.  Von  den  Ge- 
sängen, die  gegenüber  den  Fassungen  der  beiden  ersten 
Ausgaben  Umgestaltungen  und  Erweiterungen  aufweisen, 
steht  der  dreiunddreißigste  obenan.  Einen  breiten  Raum 
nimmt  hier  der  Tag  von  Pavia  (24.  Februar)  ein,  an  dem 
die  Glücksgöttin  sich  von  Franz  I.  (und  seinem  Bundes- 
genossen Alfonse)  ab  wandte.  Vom  französischen  König 
heißt  es  dort: 

Sie,  die  dem  Wind  gleicht,  der  emporzujagcn 
Ein  Weilchen  pflegt  den  Staub  im  Sturmeswehn 
Und  jetst  üm  yrim  Umaaf  zum  IBrnmel  tragen 
Und  irieder  läßt  hinab  mr  Erda  gdin« 

*  Vgl.  Anmerkung  zum  letzten  Vers  der  letzten  Satire. 


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LXII 


EINLEITUNG 


Gibt  ihm  den  Wahn  dn,  daß,  den  Feind  su  schlagen, 
Dort  bei  Favia  hunderttausend  stehn: 

Er  sieht,  wie  viele  durch  die  Hand'  ihm  laufen, 
Doch  nicht,  ob  abnimmt  oder  wächst  der  Haufen. 

Weitere  Schlachtbilder  verherrlichen  den  tapferen  Be- 
siegten und  seine  Überwmder  Pescara  und  del  Vasto, 
denen  Ariost  auch  sonst  in  seinem  Gedicht  wiederholt 
Ruhmeskränze  gewunden  hat. 

Des  Dichters  Gebieter  mußte  nunmehr  zwar  auf  die 
Seite  der  bisherigen  Feinde,  der  Kaiserlichen,  sich  stellen, 
beteiligte  sich  aber  nicht  an  dem  Raubzug  gegen  Rom. 
So  durfte  Ariost  die  Plünderer  der  heiligen  Stadt  brand- 
marken : 

Seht,  wie  sie  uxisrcr  Roma  Jammer  bringen 
Allüberall,  durch  Mord  und  R&nbereinI 
Am  Heil'gen  frevelnd  und  an  Menschendingen, 
Durch  Brand  und  SchändunR  alles  rings  entweihnt 
Zum  Heer  der  Liga  Klag'  und  Wehruf  dringen: 
Von  draußen  sehen  sie  die  Wfistenein 
Und  lassen,  statt  sich  vorwärts  an  bewegen, 
Den  Erben  Petri  dort  in  Fesseln  Ugoa, 

Die  nächsten  Jahre  sollten  Stoff  zu  fröhlicherem  Tun  imd 

freudigeren  Gesängen  liefern.  Die  achtzehnjährige  Ge- 
mahlin des  Erbprinzen  Eicole  d'Este,  Renata  von  Frank- 
reich, hielt  ihren  Einzug  in  Ferrara.  Als  zu  ihrer  Begrüßung 
Herzog  Alfons  ihr  nach  Reggio  und  Modena  entgegenreiste, 
befand  sich  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  Ariost  im  Ge- 
folge. Sicher  ist,  daß  er  die  Oberleitung  über  die  drama- 
tischen Aufführungen  zu  Ehren  der  Prinzessin  zugewiesen 
erhielt.  Zwei  seiner  eigenen  Stücke  bekam  die  künftige 
Landesmutter  damals  zu  sehen:  am  25.  Januar  1529  die 
aus  der  früheren  Prosafassung  völlig  umgestaltete,  durch 
Verseinkleidung  in  eine  höhere  Sphäre  gehobene  Cos- 
saria  und  ein  ganz  neues  Werk:  Lena  (Die  Kupplerin). 
Vielleicht  war  es  gut,  daß  Madame  Ren6e  kein  Italienisch 
verstand:  manche  Stellen  der  zweiten  Komödie  hätten  sie 


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EINLEITUNG 


LXIII 


am  Ende  doch,  trotz  der  Unbefangenheit  der  Zeit,  die 
sich  viel  Heikliges  gefallen  ließ,  peinlich  berührt. 

Im  Orlando  ist  eine  Huldigung  an  Renata  dem  drei- 
zehnten Gesang  cingesclialtet  worden;  die  Prinzessin  er- 
scheint unter  den  edlen  Damen  der  Zukunft,  die  der  Brada- 
mante  als  Zierden  des  Hauses  Este  von  der  Zauberin  ge- 
zeigt werden.  Nach  einem  Lobgesang  auf  Lucrezia  Borgia 
f äturt  letztere  fort : 

Ich  ^11  dir  nicht  Renatas  Ruhm  verschließen, 
Die  man  dereinst  als  Schnur  der  vor'gen  kennt. 
Dem  zwulften  Ludwig  wird  das  Kind  entsprießen 
Und  ihr,  die  man  Bretagnes  Glorie  nennt. 
Was  safte  Fkaven  siert,  seitdem  die  Ströme  iIieOen 
Dem  Meere  zu  —  seitdem  das  Feuer  brennt  — 
Seitdem  der  Himmel  kreist  —  wird  sich  vereinen, 
Um  als  L-in  Schmuck  Renatas  hell  zu  scheinen. 

Dies  und  was  sonst  in  den  ilim  noch  beschiedcnen 
Lebensjahren  der  Dichter  veröffentlichte,  müssen  wir  uns 
in  dem  kleinen  Häuschen  ersonnen  und  niedergrscln  ieben 
denken,  zu  dem  jeder  Besucher  Ferraras  wallfahrtet:  es 
steht  in  der  Contrada  di  Mirasole  bei  San  Benedetto  und 
trägt  noch  über  der  Tür  die  Inschrift,  die  ihm  Meister 
Ludovico  gab,  als  er  den  Hafen  erreicht  hatte  und  „hinter 
sich  liefi  das  Meer  und  Stürme'*.  Sie  lautet: 

„Klein,  doch  passend  für  mieh,  doch  niemand  sinsbar.  nicht  dfiritig, 
Und  von  dem  eigenen  Gdd  haV  ich  das  Häuschen  erlSant." 

{,, Parva  sed  apta  mihi,  sed  nutli  obnoxia,  sed  non 
Sordida,  parta  meo  sed  tarnen  aere  domus.") 

Die  harmlose  Besitzerfreude,  die  sich  darin  ausspricht, 
hat  etwas  Rührendes.  Das  „eigene  Geld"  wird  wohl  mit 
Recht  als  die  Ersparnis  der  drei  Statthalterjahre  gedeutet. 
In  der  Loggia  stehen  die  Verse  De  pßupaiaie  (Carm.  II, 
28 — 29).  Nach  der  Erzählung  seines  Sohnes  Virginio  soll 
er  auf  die  Frage  von  Besuchern,  warum  er,  in  dessen  Werk 
sich  so  herrliche  Beschreibungen  von  Palästen  finden,  sich 
mit  so  kleinem  Hause  begnüge,  die  Antwort  gegeben  haben, 


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LXIV 


E  I  N  L  E  I  T  U  N  C; 


ZU  jenen  Palästen  habe  es  keines  Geldes  bedurft.  Sehr 
hoch  hielt  er  seinen  Garten,  pflanzte  und  hantierte  darin 
mit  großem  Eifer,  aber  ohne  Sachkenntnis.  Einmal  dachte 
er,  Kapern  zu  ziehen;  es  kam  aber  Holunder  heraus.  Was 
er  gesät  oder  gepflanzt  hatte,  verfolgte  er  mit  der  größten 
Spannung,  ungeduldig  nach  Zeichen  des  Wachstums 
spähend.  Durch  fortwährendes  Prüfen  der  Pflanzen  ver- 
hinderte er  sehr  oft  das  Aufgehen. 

Auf  dieses  kleine  Besitztum  (das  Grundstück  wurde  im 
Jahr  1526  erstanden,  das  Haus  während  der  nächsten 
zwei  Jahre  erbaut,  der  Garten  von  ihm  selbst  angelegt) 
verwendete  er  nach  Virginios  Zeugnis  jeden  Betrag,  der 
von  seinem  Einkommen  sich  erübrigen  ließ,  oft  auf  Ver- 
besserungen bedacht  und  dann  beklagend,  „daß  es  für 
ihn  nicht  so  leicht  sei,  am  Hause  Änderungen  vorzunehmen 
wie  an  seinen  Versen". 

Wann  Alessandra  seine  rechtmäßige  Gattin  wurde,  ist 
ungewiß.  Daß  die  Eheschließung  stattgefunden  hat, 
nimmt  man  allgemein  an.  Gardner  setzt  sie  gleich  in  die 
erste  Zeit  nach  der  Rückkehr;  dagegen  spricht  aber  man- 
cherlei. Er  mußte  sie  heimlich  heiraten,  um  nicht  der 
Pfründe  von  Santa  Agata  verlustig  zu  gehen.  Auch  als 
Hausfrau  in  sem  Hdm  sie  aufzunehmen,  war  ihm  ver- 
sagt. Daß  er  sich  verstohlen  zu  ihr  schleichen  mußte, 
wird  mehrfach  in  den  Elegien  berührt.  Als  der  Dame  Se- 
kretär {tl  suo  cancellierc)  bezeichnet  er  sich  selbst  (vielleicht 
scherzhaft)  in  einem  Brief,  den  er  in  Alessandras  Namen 
schrieb.  Seine  Leidenschaft  für  sie  war  wie  die  eines 
JüngHngs;  er  wird  von  den  Freunden  deshalb  geneckt. 
Einer  von  ihnen,  Ercole  Bentivogho,  als  Sohn  der  Lu- 
crezia  d'Este  Neffe  des  Herzogs  und  selbst  ein  Poet, 
läßt  uns  m  seinem  „Liebestraum*'  {Sogno  amoroso,  1530) 
erkennen,  welchen  Einfluß  auf  den  Dichter  man  jener  Frau 
zuschrieb.  Dort  heißt  es: 


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I 


EINLEITUNG 


LXV 


Ich  sah  Arioet  and  sie  an  seiner  Seite, 
Die  gaas  von  liabeB^nt  ihn  UL0t  erbebea: 
So  trägt  er  ihren  Namen  in  di»  Weita 
Anf  Fl&geln,  die  sie  selber  ihm  gegeben. 

Von  den  jungen  Männern,  die  sich  damals  um  ihn 
scharten  und  bewundernd  zu  dem  Meister  aufbUckten, 
muß  noch  besonders  Giovan  Battista  Giraldi  genannt 
werden,  bekannt  als  Cintio,  der  Verfasser  der  von  Shake- 
speare benutzten  Novellensammlung  Hecatommiti  (Hundert 
Novellen):  seine  Discorsi  geben  wertvolle  Aufschlüsse  über 
Ariosts  Leben  und  Schaffen.  Zu  solchen  Schülern  des 
Dichters,  wie  man  sie  nennen  kann,  gesellte  sich  auch  der 
Thronerbe  Don  Ercole.  Wenn  er  —  nach  Virginios  Über- 
lieferung —  den  Meister  zur  Wiederaufnahme  der  Föesie 
veranlaßt  haben  soU,  so  werden  wir  mit  Gardner  das  auf 
die  Neugestaltung  des  Orlando  beziehen.  Ariost  seinerseits 
hatte  eine  außerordentlich  hohe  Meinung  von  dem  jungen 
Mnzen  und  stellte  ihn  über  fast  samtliche  Fürsten  der  Zeit. 

Von  äußeren  Ereignissen  dieser  letzten  Jahre  Ariosts  ist 
der  einzigen  diplomatischen  IGssion,  die  ihm  noch  über- 
tragen ward,  zu  gedenken.  Er  ging  im  Oktober  1531  nach 
Correggio  zu  dem  Marchese  del  Vasto,  dem  von  ihm  so 
überaus  gefeierten  Feldherm,  dessen  spanische  Truppen 
damals  im  Modeneser  Gebiet  standen  und  dem  Herzog 
Alfons  zu  schaffen  machten.  Alle  Wünsche  des  letzteren 
wurden  erfüllt,  und  dem  Dichter  selbst  eine  glänzende  Auf- 
nahme bereitet.  Fürsthch  beschenkt,  kehrte  er  heim. 
Wir  wissen  noch,  daß  er  auf  einigen  Ausflügen,  z.  B.  nach 
Venedig,  den  Herzog  begleitete.  Im  übrigen  lebte  er, 
wiewohl  noch  Kavalier  des  Hofes,  für  sich,  ein  stilles 
Poetendasein  führend.  Von  dichterischen  Erzeugnissen 
gehört  dem  Jahre  1531  die  schöne  Epistel  an  Bembo 
an,  dem  er  seinen  Virginio  als  Studenten  nach  Padua 
schickte. 

Ariost  I  V 


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V  I  >:  T,  K  T  T  u  X  n 


Ein  Geleitbrief  in  Ftosa,  den  er  '^^]:ginio  für  Bembo  mit- 
gab, enthält  die  Notiz,  seine  Durchsicht  des  Orlando  sei 
nahezu  beendet.  Die  Privilegien"  zum  Druck  für  die  Ge- 
biete des  Herzogs  von  Mantua,  des  Kaisers,  Mailands  und 

des  Papstes  waren  bis  Ende  Januar  1532  (die  Venedigs 

schon  1527)  genommen.  Im  März  schreibt  der  Dichter  an 
Calandra:  ,,Ich  bin  so  mit  dem  Druck  meines  Furioso  be- 
schäftigt, daß  ich  für  nichts  anderes  zu  brauchen  bin." 
Im  folgenden  Monat  begleitete  er  wahrscheinlich  den  Her- 
zog nach  Venedig*.  Er  sollte  die  Lagunenstadt  nicht  wieder- 
sehen. Darauf  nahmen  ihn  gänzlicli  die  Drucksorgen  in 
Anspruch.  Unaufhörlich,  bei  jedem  Wetter,  ging  er  von 
seinem  Hause  zur  Druckerei  und  zurück  und  quälte  die 
Setzer  mit  tausend  Kleinigkeiten,  um  alles  in  vollendetem 
Italienisch  nach  Bembos  Regeln  zu  haben.  „Bei  Korrek- 
tiu:  der  Druckbogen",  meldet  Giraldi,  holte  er  sich  den 
Keim  der  Krankheit,  die  ihm  den  Tod  brachte**."  Trotz 

*  Damals  adieiiit  Ariost  auf  einer  vom  Herzog  befohlenen  Spasier- 
Ubrt  ins  Meer  hinaus  in  Lebensgefabr  gewesen  zu  sein.  Einer  der 

Teilnehmer,  Antonio  Musa  Brassavola,  herzogUcber  Leibarzt,  berichtet 
darüber  zwanzig  Jahre  später  (,,De  medicamentis"  usw.,  Venedig  1552): 
Der  Herzog  „bestellte  eine  Gondel  .  .  .  und  hieß  mich  und  den  hoch- 
ansehnlichen  Lodovico  Aiiosto  ihn  begleiten.  Der  Henog  und  Zeno 
saßen  hinten,  Ariosto  und  ich  vom".  Es  ging  aus  dem  Porto  de' 
Castclli  mit  Ruderern  zwei  Meilen  vom  Hafen  in  die  offene  See.  Ein 
Sturm  erhob  sich  und  nötigte  zur  Rückkehr:  die  beiden  auf  den  Vorder- 
sitzen, der  Poet  und  der  Ar^t,  wurden  jämmerlich  durchweicht  und 
gesch&ttelt.  In  seiner  Seelenangst  gedachte  der  Askulapsjünger,  steh 
an  den  Herzog,  den  er  als  vorzfi^hen  Schwimmer  kannte,  ansn- 
klammem.  Wie  unserem  Dichter  zumute  gewesen  sein  mag,  erfahren 
wir  leider  nicht.  Als  echte  Landratte  verabscheute  er,  wie  seine 
Biographen  melden,  Meerfahrten.  Zudem  war  sein  Gesundheitszustand 
schon  damals  sdir  mifiüdi. 

**  Welche  unendliche  Sorgfalt  Ariost  auf  die  Vorbereitung  zu  der 
neuen,  endgültigrn  Ausgabe  seines  Orlando  und  schließlich  auf  ihre 
Herstellung  verwandte,  schildert  anschauUch  sein  Landsmann  und 
jüngerer  Freund  Giraldi  in  den  SeritÜ  estefid,  S,  140:  „Wlhrend  eines 
Zeitranms  von  sechsdu  Jahnen  nach  der  ersten  Ausgabe'*,  so  heiOt  es 
dort,  „nahm  er  die  Durchsicht  seines  Gedichtes  vor;  kdn  Tag  verfing. 


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EINLEITUNG 


LXVII 


all  dieser  Sorgfalt  war  er,  als  der  Orlando  fertig  gedruckt 
(Anfang  Oktober  1532)  vorlag,  unzufrieden  damit  und 
klagte,  man  habe  ihn  gemordet".  —  Im  November  ging 
er  mit  seinem  Herrn  nach  Mantua  zur  Begrüßung  des 
Kaisers  und  überreichte  diesem  persönlich  das  Werk,  in 
dem  auch  Karl  V.  seine  Verherrlichung  gefunden  hat.  Die 
Huldigung  ist  wieder  in  Form  einer  Pro]:)lu'zeiung  gekleidet. 
Er  gedenkt  zunächst  der  Eroberung  der  Neuen  Welt: 

ohne  daß  er  sowohl  mit  der  Feder  wie  mit  seinen  Gedanken  daran 
gearbeitet  hätte.  Sodann,  als  die  Durchsicht  beendet,  dieVerbenerungen 

und  Zusätze  erledigt  warai,  brachte  er  das  Werk  zu  vielen  guten  und 
ausgezeichneten  Denkern  Italiens,  um  deren  Urteil  zu  vernehmen,  wie 
Monsignor  Bembo,  Molzo,  Navagero  und  vielen  anderen,  deren  im 
letsttD  Gesang  Erwähnung  geschieht,  nnd  nach  Etnholnng  ihrer 
liemnng  begab  er  sich  nach  Hause.  Und  wie  Apelles  in  alter  Zeit  mit 
seinen  Gemälden,  verfuhr  er  mit  seinem  Werk;  denn  zwei  Jalire,  bevor 
er  es  zur  Presse  gab,  legte  er  es  in  ein  Zimmer  seines  Haasts  und  ließ 
es  beurteilen  von  jedem,  der  da  wollte.  Und  zuletzt,  nachdem  er  in 
der  Stadt  nnd  anBorhalb  in  dieser  Art  viele  Urteile  gesammelt  hatte, 
schloß  er  sich  denen  an,  die  ihm  die  besten  schienen."  An  einer  späteren 
Stelle  seines  Discorso  de'  Romanzi  kommt  Giraldi  auf  diese  Eigentüm- 
lichkeit des  Dichters  zurück;  ,,Ariosto,  dieser  glückhche,  für  solche 
Art  Poesie  wahrhaft  geschaffene  Geist,  pflegte  über  seine  Schöpfungen 
sich  mit  SchriflsteUem  und  snmal  mit  denen,  die  in  der  Volkssinrache 
zu  schreiben  pflegten,  zu  beraten;  und  oftmals  änderte  er  nach  ihrem 
Urteil,  schnitt  weg,  fügte  hinzu,  formte  um.  Und  zuvörderst  war  es 
seine  Gewohnheit,  bevor  etwas  zu  ihm  gesagt  wurde,  herauszulinden  zu 
Sachen,  «aa  die,  deren  Rat  er  einholte,  von  ihm  woUtea.  Deshalb 
pflegten  letztere  zu  bezeichnen  oder  zu  unterstreichen,  was  ihnen  der 
Verbesserung  zu  bedürfen  schien;  dann  ließen  sie  ihn  darüber  nach* 
denken;  und  wenn  er  befriedigt  war  und  herausbekommen  hatte,  was 
sie  von  ihm  wollten,  so  suchte  er  nicht  weiter.  Wenn  nicht,  so  strebte 
er  in  ihre  Meinung  einzudringen,  und  wenn  sie  ihm  zusagte,  pflichtete 
er  ihr  bei.  Dergestalt  kann  man  sagen,  in  seinem  Gedicht  sei  das  lori« 
tische  Urteil  aller  hervorragenden  Männer  der  Zeit,  in  der  er  die  letzte 
Ausgabe  vcröffentliclUf,  mit  dem  Siegel  seiner  letzten  Hand  versehen, 
niedergelegt."  —  Danach  hätten  gewissermaßen  die  hier  erwähnten 
drei  Lnstra  der  Hochrenaissance  die  vorafiglichsten  Köpfe  des  Landes 
an  der  endgültigen  G<staltung  des  ,, Rasenden  Roland"  als  Mitarbeitende 
sich  beteiligen  sehen  —  fürwahr  eine  stolze  Gemeinschaft!  — ,  und  das 
Gedicht  wäre  eine  Art  Denkmal  gesamtitalischen  Geistes,  wie  ihn  jener 
Abschnitt  des  Cinquecento  vor  der  bewundernden  Mitwelt  entfaltete. 


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LXVIll 


EINLEITUNG 


Ich  seh'  das  heirgc  Kreuz  und  seh'  entfalten 
Die  Kaiserbanner  an  dem  grünen  Strand; 
Seh*  viele  noch  in  Schüfen  Wache  halten 
Und  als  Verwitter  niidM  vid  im  Laad; 
Sdi'  sehn  verjagen  tawend,  sah*  die  alten 
Reiche  bis  Indien  in  der  Spanier  Hand 
Und  Karls  des  Fünften  tapfre  Kapitäne 
I         Aufpflanzen  überall  die  Siegesfahne. 

Gott  hielt  den  Weg  in  Zeiten,  die  vergangen, 

Verhüllt,  und  lang  noch  wird  verhüllt  er  sein. 

Es  soll  auf  ihm  noch  weiter  Dunkel  hangen, 

Bis  einst  des  achte  Alter  bricht  herein; 

Dann  wird  der  Herrscher  auf  den  Thron  gelangen, 

Dem  Gott  die  Wcltenhcrrschaft  will  verleihni 

Der  weise  Kaiser  hehr  und  auserlesen, 

Der  edelste,  der  seit  August  gewesen.  (Orl.  15,  23  ff.) 

Daß  Ludovico  zu  Mantua  vom  Kaiser  als  Dichter  ge- 
krönt worden  sei,  bezeichnet  Virginio  als  Fabel.  Trotz- 
dem —  auch  Gardner  neigt  dazu  —  nimmt  man  es  noch 
vidfach  an,  weil  Fornari  und  andere  Zeitgenossen,  auch 
Urkunden  es  melden.  In  einem  Dokument  von  1530  heißt 
Alessandra  ^mof  . .  .  iMm  NMUs  a  LaureaH  Poetae  Lu- 
dovid  de  Afiosiis\  Femow  meint,  die  Ernennung  möge 
ohne  öffentlichen  Akt  durch  kaiserlichen  Brief  erfolgt 
sein,  und  ein  solches  Privilegium  solle  wirklich  existieren. 
Aber  daß  des  Dichters  Sohn  davon  nicht  gewußt  habe,  ist 
doch  kaum  denkbar. 

Über  einen  Monat  dauerte  der  Aufenthalt  in  Mantua; 
am  17.  Dezember  war  Ariost  wieder  in  Ferrara  (wie  ein 
Schreiben  an  Guidobaldo  della  Rovcre  besagt) ,  aber 
schon  krank.  In  der  Silvesternacht  brach  in  einer  Bude 
unter  der  Schloßhalle  ein  großes  Feuer  aus  und  verzehrte 
auch  die  Sola  grande  mit  der  Bühne,  auf  der  Ariosts 
Komödien  aufgeführt  worden  waren*.    Sein  Zustand 


•  Der  alte  Ariostbiograph  Pigna  (der  als  dreijälariges  Kind  Zeuge 
dieses  Brandes  war)  nennt  die  Vernichtung  der  Bühne  ein  Vorzeichen 
fOr  dmi  henifitiBhunden  Tod  des  Dichtos,  „wio  ein  Komet  oder  etn 


EINLEITUNG 


LXIX 


verschlimmerte  sich  durch  die  Aufregung  in  derselben 
Nacht  und  ging  im  Frühling  in  Schwindsucht  über.  Am 
6.  Juh  1533*  ,,\iTr)  ein  Uhr  nachts"  (d.  h.  kurz  nach 
Sonnenuntergang),  wie  ein  ohnlängst  durch  Luzio  und 
Renier  im  Giomale  Storico  della  Literatura,  XXXV.  TT. 
229 — 231  veröffentlichter  Brief  von  Girolamo  da  Sesto  an 
Isabella  von  Este  (Gardner,  S.  259)  dartut,  schloß  der  größte 
Poet,  den  Italien  seit  den  Tagen  der  Divina  CommeHa 
der  Welt  geschenkt  hat,  die  gütigen  Augen  auf  ewig. 

Seine  sterbliche  Hülle  wurde  von  Mönchen  nach  der 
Kirche  San  Benedetto  getragen  und  dort,  seiner  Anord- 
nung gemäß,  prunklos  beerdigt;  im  Jahre  1573  kam  sie 
nach  dem  heutigen  San  Benedetto»  zu  Anfang  des  19.  Jahr- 
hunderts nach  der  Bibliotheca  Communale.  Dort,  in  der 
Sala  Ariostea,  steht  des  Dichters  Grabmal. 

Bis  zuletzt  war  er  ein  Jüngling  an  Frische  des  Geistes 
und  Wärme  des  Herzens,  wiewohl  körperlich  früh  gealtert. 
Ein  Gemälde  Tizians,  das  den  Dichter  „zum  Sprechen 
ähnHch"  darstellte,  ist  leider  verlorengegangen.  Um  seine 
Züge  uns  zu  vergegenwärtigen,  sind  wir  auf  den  Holz- 
schnitt angewiesen,  der  nach  einer  Zeichnung  Tizians 
die  Ausgabe  von  1532  schmückt**.  Auf  Grund  des  ge- 
samten Materials  an  Abbildungen,  Nachrichten,  Anekdoten 
usw.  ergibt  sich  nach  Gardner  folgendes  Bild:  Er  war 
hochgewachsen  und  mager,  hielt  sich  etwas  gebückt,  wurde 
frühzeitig  kahL  Was  von  seinem  Haar  blieb,  war  schwarz, 
seine  Stime  umfangreich,  die  Nase  groß  und  adlerartig, 
der  Bart  etwas  spärlich ...  Er  war  freundlich  und  heiter 
in  der  Unterhaltung,  witzig  und  schlagfertig,  aber  nicht 

Blitzschlag  das  Lebensende  von  Fürsten  vorausverkündet".  Diese 
Auffassung  scheint  in  Ferrara  verbreitet  gewesen  zu  sein. 

*  Dieses  Datnm  ist  jetst  sichergestellt;  bisher  nahm  maa  auf  (änmd 
späterer  Überlieferungen  den  6.  Juni  als  Todestag  Ariosts  an. 

**  Denn  das  Gemälde  in  der  National  Gallery  xu  London  trflgt  höchst" 
wahrscheinlich  mit  Unrecht  Ariosts  Namen. 


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LXX 


EINLEITUNG 


ZU  vielem  Lachen  geneigt;  dem  Pomp  und  der  Feierlich- 
keit durchatis  abhold.  Niemals  im  geringsten  anspruchs- 
voll, wußte  er  seine  Rechte  geltend  zu  machen  imd  wurde, 

wenn  gereizt,  nicht  leicht  besänftigt.  Ein  treuer  und  liebe- 
voller Freund,  war  er  stets  hilfsbereit  für  andere,  in  Ge- 
sellschaft, zumal  in  weiblicher,  äußerst  liebenswürdig, 
wiewohl  eigenthch  von  melancholischer  Anlage.  Er  haßte 
Gelage  und  Feste,  machte  täglich  nur  zwei  Mahlzeiten, 
mittags  imd  abends,  imd  aß  dann  rasch  und  reichlich,  die 
einfachste  Kost  vorziehend.  Eine  Rübe  auf  eigenem 
Tisch,  sagte  er,  schmecke  ihm  besser  als  köstliche  Speisen 
an  des  Herzogs  Tafel .  Er  war  ungemein  nervös,  besonders 
als  Reiter  oder  auf  dem  Wasser,  auf  Brücken  und  auf 
Reisen  durch  Bei]gg^enden;  ein  tüchtiger  Fußgänger  und 
unglaublich  zerstreut,  immer  im  Traiune*. 

Beun  Dichten  nvar  er  höchst  peinlich,  nie  zufrieden  mit 
dem,  was  er  niedergeschrieben  hatte.  Die  unzähligen 
Änderungen  im  Manuskript  des  Orlando  überraschen  jeden 
Besucher  Ferraras;  seine  leichtflüssigen  Verse  sind  —  wie 
bei  Heinrich  Heine  —  das  Ergebnis  einer  äußerst  sorg- 
fältigen, immer  wiederholten  Arbeit  gewesen. 

Ober  sein  inneres  Leben  erfahren  wir  am  meisten  aus 
den  „Satiren".  Unsere  Vorstellung  von  dem  Menschen 
Ariost  zu  vervollständigen,  sind  sie  am  besten  geeignet. 
Da,  wo  er  in  vertraulichem  Geplauder  sorglos  sich  gehen 
läßt,  lernen  wir  den  ganzen  liebenswerten  Mann  kennen, 
seine  harmlose  Einfachheit,  sein  warmes  Herz,  seine  Recht- 
schaffenheit, übereinstimmend  heben  die  Zeitgenossen  die 
Güte  seines  Wesens  hervor;  sie  erkennt  sogar  ein  Pietro 
Aretino  an.  „Großen  Verlust  liat  die  Welt  in  diesem  Manne 

•  Einmal  —  so  wird  übrrHefert  —  befand  er  sich  rur  Sommerzeit 
in  Carpi.  Sehr  früh  ging  er  aus,  zu  einem  Spaziergange,  ohne  zu 
merken,  daß  er  Morgenschube  trug,  und  machte  so,  von  seinen  Ge- 
danken in  Anspruch  genommen,  den  ganzen  Weg  nach  Ferrara,  etwa 
eine  Tagereiae  weit;  wiewohl  dies  gar  nicht  sein  Ziel  war. 


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EINLEITUNG 


LXXI 


erlitten/*  schreibt  er  nach  Ariosts  Tode,  »,der,  neben 
seinen  Geistesgaben,  die  Güte  selbst  war.*'  Und  Isabella 
von  Este  schreibt :  ,,Die  Stadt  Ferrara  hat  einen  Edlen  ver- 
loren, der,  abgesehen  von  seiner  Trefflichkeit,  ihr  größter 
Schmuck  war  durch  die  in  ihm  vereinigten  seltensten  und 
erlesensten  Tugenden." 

Wie  das  moderne  Itahen  seinen  großen  Toten  in  Ehren 
hält,  bekunden  zahlreiche  gelehrte  Arbeiten,  Äußerungen 
der  Presse  und  Stimmen  der  Dichter.  Eine  solche  mache 
den  Beschluß  dieser  Skizze.  In  den  Poesien  von  Giosud 
Cardnod  findet  sich  ein  Sonett,  das  wir  nach  der  Über- 
setzung von  Paul  Heyse  mitteilen: 

BCit  einem  Bilde  des  Ariott 
An  Fma 

Dies  Bildnis,  edle  Frau,  darin  wir  schauen 
Des  göttlichen  Lombarden  AnijcJ'icht, 
Trägt  es  den  Abglanz  großer  Träume  nicht 
Auf  dieser  mScht'gen  Stirn,  den  festen  Bnraen? 

Der  Glücklichel  Voll  dürft'  er  im  Gedicht 
SIdi  Seins  heitre,  kecke  Welt  erbauen 
Und  dann  nicht  Unger  sehn  die  ird'schen  Anen, 
Ihr  tristes  Grfin,  ihr  Meiches  Hinuneblicfat 

Noch  mehr  beglfidct,  da0  keine  Fttrstengonst 

Noch  Volkesgunst,  die  wankelmüt'ge  Dirne, 
Kein  theologisch  IJiebchen  nur  ihn  kränste. 

Ein  schöner  Mnnd  belohnte  seine  Kunst, 

Die  Gluten  kühlend  seiner  Dichterstirnc 

hGt  Küssen,  daß  sie  wie  ein  Stern  erglänzte." 

VII 

Wir  wenden  uns  zu  seinem  Lebenswerk  und  fragen 
zunächst :  Wie  stellt  sich  zu  ihm  unsere  Gegenwart  ? 

,,Es  hat  nicht  an  Stinunen  gefehlt,"  schreibt  Eugen 
Zabel*,  „die  in  diesem  Werk  nur  ein  reizendes  Unter- 

*  In  einem  Aufsatz  über  Ariost  (Sonntagsbeilage  Nr.  28  tnrVcMSischen 
ZeitnnK»  io>  Juli  1910). 


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LXXTT 


EINLEITUNG 


haltongsspiel  ohne  tiefere  Bedeatung,  ein  Meisterstück  an 
Fonngeschick  und  Sprachkonst  erkennen  wollten,  das  aber 
unserer  modernen  Empfindung  nur  noch  wenig  sagt  und 
als  schöne  Mumie  in  den  Schaukästen  der  Literaturge- 
schichte aufbewahrt  wird.  Dieser  kühlen  Verneinung  von 
Ariostos  Wert  widerspricht  die  volltönende  Huldigung,  die 
ihm  und  seiner  Dichtung  gerade  von  den  feinfühligsten 
Geistern  dargebracht  wurde.  Die  Führung  übernimmt 
dabei  Goethe,  der  ihn  in  Worten  von  solcher  poetischen 
Schönheit  gepriesen  liat,  wie  sie  keinem  anderen  Dichter 
jemals  zuteil  geworden  sind.  Leonore  San  vitale,  die  im 
„Tasse"  seine  Büste  mit  frischen  Frühlingsblumen 
schmückt,  meint,  daß  seine  Scherze  „nie  verblühen",  und 
der  vorsichtige  Staatsmann  Antonio  knüpft  daran  eine 
Betrachtung,  die  Bilder  aus  der  Geisteskraft  des  Menschen 
mit  Gleichnissen  aus  dem  Naturleben  verbindet,  um  seinem 
Verdienst  gerecht  zu  werden,  mit  all  seiner  Weisheit  und 
Phantasie,  Leidenschaft  und  Schalkheit  im  „blühenden 
Gewand  der  Fabel".  Selbst  ein  so  strenger,  im  Tiefeten 
bohrender  Geist  wie  Schiller,  bekennt  in  einem  Brief  an 
Kömer,  wie  anziehend  und  erquickend  ihm  die  Lektüre 
des  „Rasenden  Roland"  war,  weil  er  ihn  mit  Leben,  Be- 
wegung, Farbe  und  Fülle  aus  sich  heraus  und  zugleich  in 
sich  zurückgeführt  und  in  einen  Zustand  von  Behaglich- 
keit und  Fröhlichkeit  versetzt  habe.  Auch  der  italienische 
Klassiker  des  Weltschmerzes,  Leopardi,  kann  sich  in  einem 
Gedicht  an  Angelo  Mai  nicht  enthalten,  dem  Mann  der 
holden  Träume  mit  seinen  Rittern  und  schönen  Frauen, 
seinen  Palästen  und  Gärten  seine  echt  empfundene  Bewun- 
derung auszudrücken.  Bis  auf  die  jüngste  Zeit  ist  Ariosto 
der  Liebling  unserer  großen  Künstler,  vor  allem  der  Maler, 
geblieben,  die  in  der  breiten  und  dabei  doch  stets  gestei- 
gerten Durchbildung  der  Situationen  mit  ihrem  leuchtenden 
Sinnesglanz  etwas  Seelen-  und  Geistesverwandtes  finden.** 


EINLEITUNG 


LXXIII 


Avfier  dem  Furiosobewuiulerer  Arnold  Böddin  (dessen 
oben  S.  XIII  am  Schluß  des  Vorworts  zur  I.  Auflage  Er- 
wähnung geschah)  gedenkt  Zabel  der  Begeisterung  von 
Reinhold  Begas  für  den  Rolanddichter.  Die  Liste  gleich- 
fühlender künstlerischer  und  literarischer  Autoritäten  ließe 
sich  noch  sehr  vermehren,  allein 

Es  hieß'  Ägyptern  Krokodile  bringen, 
Nach  Samoa  Vasen»  Eulen  nadi  Atiien. 

Nur  an  Geibel,  dessen  Huldigungsverse  die  Entrada  ztun 
ersten  Vorwort  bilden,  sei  noch  erinnert,  an  Konrad  Fer- 
dinand Meyer  und  an  Lassalle.  Daß  ein  kühl  wägender 
Kopf  wie  dieser  in  literarischen  und  anderen  Salons 
eifrig  für  den  Orlafido  Propaganda  maclite  und  iotä  Berlin, 
voraus  die  Damen,  durch  seinen  Vortrag  ariostischer  Stan- 
zen entzückte,  ist  besonders  lehrreich. 

Wer  bloß  die  Geschehnisse,  das  rein  Stoffliche  der 
großen  Epopöe  sich  erzählen  Heße,  dürfte  kaum  zu  einer 
näheren  Bekanntschaft  mit  diesen  Dingen  „aus  der  Vorzeit 
holder  Romantik"  angelockt  werden.  Es  mag  ihm  gehen 
wie  dem  Einsiedler  der  Insel  Ufenau  in  der  auch  von  Zabel 
herangezogenen  Dichtung  K.  F.  Meyers  »»Huttens  letzte 
Tage*'.  Der  vereinsamte  Kranke  nimmt  den  „Roland  in 
Furie"  zur  Hand,  und  wir  verfolgen  den  Eindruck,  den 
das  Werk  auf  ihn  macht:  „Zuerst  erscheinen  ihm  Drachen- 
brut und  verwunschene  Prinzessin  als  tolles  Zeug  für  Kin- 
der. Dann  wird  er  nachdenklich  bei  einem  frischen  Bild, 
einem  feinen  Spruch,  beim  Kugelflug  und  Pulverknall 
und  erkennt  schheßlich  den  tiefen  Sinn  des  Ganzen: 

Aus  abergläub'schen  Mären  seh'  ich  braun 
Und  Ui^  des  Sdialkes  Augen  spottend  achaiu. 
Vor  holden  GiOfien  benc^t  dn  sierÜdi  didi 
Und  grfl^eet  hflfasch  —  nnd  machet  tie  licherMch. 

Der  Schalk  und  Spdtter  bleibt  in  Ariosto  immer  lebendig .. . 
Am  Eingang  der  einzelnen  Gesänge  werden  sinnschwere 
Betrachtungen  geprägt,  als  handle  es  sich  um  ein  Lehrbuch 


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T.XXn'  V.  T  V  T.  r  T  T  T'  X  r, 


der  Lebensweisheit.  Dann  beginnt  die  kühne  Jagd  mit 
Heckenspdingen,  gefährlichen  Abstürzen,  zerbrochenen 
Armen  tmd  Beinen  nnd  gewonnenen  Siegespreisen,  wobei 
der  Veranstalter  dieser  Feste  gespannt  und  schmunzelnd 
in  seiner  Loge  sitzt  und  sich  freut,  wenn  alles  durchein- 
ander rennt,  drängt,  schreit  und  jubelt.  Die  hohen  Herren 
merken  es  gar  nicht,  wie  er  ihnen  eine  Nase  dreht,  während 
er  sie  mit  Schmcirheleien  überschüttet*." 

Überall  im  Orlando  tritt  die  Begebenheit  vor  der  Ver- 
arbeitung zurück.  Das  Was  ist  nichts,  das  Wie  alles. 

Als  „Form"  muß  auch  die  Gliederung,  die  Verteilung 
des  Stoffs,  die  Anordnung  und  Verknüpfung  der  Begeben- 
heiten betrachtet  werden.  Seitens  Scharfsinniger  (Dichter 
nnd  Gelehrter)  hat  die  feine  Kombination,  mit  der  dies 
geschehen  ist  (an  Stellen  gerade,  wo  auf  den  ersten  Blick 
Wrrwarr  und  Willkür  zu  herrschen  scheinen),  Bewun- 
derung gefunden:  wie  geschickt  die  einzdnen  Fäden  der 
Geschehnisse  ineinander  verschlungen,  zu  einem  wohl- 
berechneten Gewebe  verbunden  sind;  die  unendlidie  Fülle 
der  Einzelvorwürfe  („Motive" könnte  man  malerisch  sagen), 
ihr  Ineinanderspiel,  Abbrechen  und  Wiederaufnahme, 
Wechsel  des  Stimmungsgehaltes  —  alles  sorglich  be- 
stimmten Zwecken  dienstbar  gemacht.  Voran  steht  das 
Bestreben,  ,,die  böse  Langeweile  fernzuhalten".  Auch 
hierin  zeigt  sich  der  Meister  kunstvollen  Gestaltens. 

Wenn  ein  modemer  Leser  unvorbereitet  an  den  „Ra- 
senden Roland"  herantritt,  ist  er  betroffen,  gleich  zu  An- 
fang einer  Reihe  von  Personen  zu  begegnen,  die  der  Dich- 
ter weder  eingeführt  noch  in  ihren  Beziehungen  zueinander 
klargestellt  hat.  Da  ist  von  einer  Angelika  die  Rede,  als 
wäre  sie  eine  alte  Bekannte.  Ist  das  nicht  wunderlich  ?  — 
Nein,  für  die  Leser,  die  Ariost  im  Auge  hatte,  war  An- 
gelika, waren  Sakripant  und  die  anderen  in  der  Tat  alte 

*  Eufm  Zabel,  a.  a.  O..  S.  aai. 


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EINLEITUNG 


LXXV 


Bekannte.  Er  durfte  die  Vertrautheit  mit  diesen  Personen 
und  Dingen  als  etwas  so  Selbstverständlicfaes  betrachten, 
da0  er  nicht  einmal  den  Namen  des  Grafen  Bojardo 

von  Scandiano,  aus  dessen  „Verliebtem  Roland"  er  seine 
Figuren  heriibemimmt,  zu  nennen  für  angebracht  gehalten 
hat.  Der  Orlando  innamorato  war  eben  in  den  Händen 
aller,  der  Inhalt  lebte  im  Gedächtnis  aller.  Immerhin  war 
sich  Ariost  der  Überraschung  und  der  etwas  komischen 
Wirkung  wohl  bewußt,  die  er  hervorrief,  indem  er  die 
Existenz  fabelhafter,  zum  größten  Teil  dem  Gelürn  eines 
Zeitgenossen  entsprungener  Gestalten  als  so  ausgemacht 
\virklich  hinstellte,  wie  wenn  es  sich  tun  historische  Persön- 
lichkeiten handle.  Das gabseinem Gegenstand — nach  Gilde- 
meisters Ausdruck  —  etwas  von  der  „Dignität"  der  Ge- 
schichte, stinmite  aber  zugleich  eben  dadurch  die  Gemüter 
auf  den  ironisch-humoristischen  Ton,  der  im  Funoso  ganz 
anders  als  im  Innamoraio  angeschlagen  wird.  Ariost  unter- 
ließ vermutlich  den  Hinweis  auf  Bojardo  auch  deshalb, 
weil  eine  buchmäßige  Bezeichnung  seiner  Quelle  die  Frische 
des  Eindrucks  verwischt  haben  würde.  Möghchst  leib- 
haftige Menschen  hinzustellen,  war  sein  Bestreben.  Er 
schob  seine  Figuren  vor,  ak  ob  man  ihnen  auf  der  Straße 
begegnen  könnte.  Ein  Ursprungsattest  hätte  gezeigt, 
daß  es  sich  um  literarische  Erfindungen  handelte.  Dem 
steht  die  zuweilen  bei  ihm  sich  findende  Berufung  auf 
,.Turpin"  (d.  h.  den  Pseudo-Turpin,  der  für  die  meisten 
Ritterbücher  die  (inmdlage  bildet)  nicht  im  Wege,  denn 
eine  solche  Berufung  gehörte  eben  zu  der  überlieferten  Ein- 
kleidimg  der  romantischen  Fabeleien,  ist  gewissermaßen 
ein  Ton,  der  mitkhngen  muß,  um  das  rechte  Konzert 
zu  erzielen.  Kein  Mensch  nahm  eine  solche  Quellenbe- 
zeichnung als  ernst  gemeint;  alle  Welt  wußte  es  zu  wür- 
digen, wenn  der  Autor  bei  Vorführung  seiner  aus  anderen 
Werken  entnommenen  Figuren  sich  mit  gravitätischer 


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LXXVI 


EINLEITUNG 


Schalkhaftigkeit  anstellt,  als  ob  es  sich  um  historische 
Personen  handle,  deren  Existenz  beglaubigt  sei,  ein  Vor- 
gehen, das  seine  belustigende  Wirkung  gewiß  nicht  verfehlt 

hat  zu  einer  Zeit,  als  die  Erinnerung  an  jene  Werke  noch 
frisch  war.  Aber  selbst  spätere  Geschlechter  standen  noch 
unter  dem  gewaltigen  Eindruck  dieser  genialen  Schöpfung. 
Noch  1559,  ein  Viertel]  ahrhundert  nach  dem  Tod  des 
Dichters,  schreibt  Bemardo  Tasso,  Vater  des  von  Goethe 
verherrüchten  Torquato,  in  einem  Brief:  ,,Es  gibt  keinen 
Gelehrten,  keinen  Künstler,  keinen  JüngUng,  nicht  Jung- 
frau noch  Greis,  der  an  einem  einmahgen  Lesen  des 
Rasenden  Roland  genug  hätte.  Dies  Gedicht  dient  dem 
Reisenden  zur  Erholung,  der,  vom  Weg  ermüdet,  Er- 
schöpfung und  Unbehagen  durch  das  Singen  einiger  Stan- 
zen aas  dem  herrlichen  Werk  verscheucht/* 

Der  Streit  darüber,  ob  eine  solche  Aneignung  fremden 
Stoffes  za  tadehi  sei,  geht  nun  bald  durch  vier  Jahrhun- 
derte; von  den  Tagen  eines  Speroni  und  eines  Jacobus 
Gaddius  (der  den  Grafen  Bojardo  als  durch  seinen  Nax:h- 
folger  „ausgeweidet,  geblendet  und  des  Herzens  beraubt" 
bezeichnet)  bis  in  unsere  Gegenwart.  Noch  jüngst  haben 
die  beiden  einander  entgegengesetzten  Meinungen  Ver- 
treter gefunden.  Wenn  nach  Heinrich  Morf*  ,,Ariosts 
unvergleichliches  Poem  einen  Jahrhunderte  alten,  stolzen 
Bau  krönt,  einen  Bau,  dessen  Fundamente  in  den  Tiefen 
des  Mittelalters  ruhen  und  dessen  Gipfel  hineinragt  in  den 
Himmel  der  Renaissance",  so  ist  jedes  Steinchen  dieses 
Baues  von  Pio  Rajna  [Fonti  delT  Orlando)  sorgfältig 
auf  seine  Herkunft  untersucht  worden.  Der  Florentiner 
Forscher  meint,  die  Phantasie  eines  Dichters  bestehe  in 
der  Erfindung,  das  heißt  in  der  materiellen  Verknüpfung 
der  äußeren   Tatsachen,   und  weigert  unserem  Ariost 

*  „Vom  Rdandilied  snm  OrUmdo  furioso"  Deatsd»  Rondachan. 
1898,  Bd  LXXXXV,  S.  370a 


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■ 


EINLEITUNG 


LXXVII 


Zuerkennung  der  Phantasie,  weil  er  arm  sei  an  Erfindung. 
„Er  fand",  sagt  Rajna,  ,,das  Scliöpfungswerk  schon  getan 
und  brauchte  nur  in  diese  neue  Welt  einzudringen",  und 
zu  der  Frage,  ob  die  Entlehnungen,  seien  es  Nachahmungen 
oder  Umgestaltungen,  Ariosts  Verdienst  Eintrag  tun, 
wagt  er  niclit  mit  ,,Nein"  sich  zu  äußern.  Gegen  Rajnas 
Prämissen  und  Schlußfolgerung  wendet  sich  energisch  sein 
Kollege  in  Palenno,  G.  A.  Cesareo,  in  einem  anregenden 
Aufsatz;  La  fantasia  deW  Ariosto*.  Die  Vorstellungen,  so 
führt  er  aus,  d.  h.  die  von  den  Eindrücken  der  äußeren 
materiellen  und  moralischen  Welt  in  unserm  Innern  hinter- 
lassenen  Furchen  können  durch  das  Gedächtnis  reprodu- 
ziert und  mannigfach  kombiniert  werden;  das  ist  die  Er- 
findung. Die  Amme,  die  auf  gut  Glück  Märchen  schmiedet, 
der  Lügner,  der  da  schwindelt,  das  Volk,  das  sich  Sagen 
webt,  sie  alle  zeigen  solche  imemume.  Die  Fähigkeit, 
die  einzelnen  Merkmale  der  Idee  zu  &ssen  und  wiederzu- 
geben, heißt  ihm  Imagination.  Der  Dichter  z.  B.,  der 
nacheinander  die  Schönheiten  seiner  Dame  beschreibt, 
Augen,  Haare,  Stirne,  Nase  usw.,  ohne  doch  die  Gestalt  vor 
unser  inneres  Auge  zu  zaubern,  besitzt  diese  unvollkom- 
mene Phantasie";  er  hat  niclit  die  Kraft,  seinen  Eindruck 
einfach  und  ganz,  wie  etwas  im  Spiegel  Geschautes,  zur 
Vorstellung  zu  bringen.  Die  Fähigkeit  vollkommener  Vor- 
stellung heißt  Phantasie;  sie  ist  die  Kraft,  das  Gefühlte 
in  seiner  Ganzheit,  in  jeder  Eigenschaft,  in  jeder  beson- 
deren Beziehung  mit  der  größtmöglichen  Sicherheit  und 
Wirksamkeit  hervorzurufen;  sie  besteht  in  der  vollen  Er- 
ziehung und  Überlieferung  des  Eindrucks ;  sie  ist  das  All- 
gemeine, das  in  ein  lebendes  Individuum  niedergestiegen 
ist,  kurz  das  Wesen,  die  „Gestalt**  {la  forma)*  Gegenüber 
der  Phantasie  ist  die  Erfindung  nur  die  rohe  Bfaterie,  der 
gemeinsame  Besitz,  die  stumme  Region  des  Ungeschaffenen, 

*  Nmoa  Antologia,  i6.  Novambcr  1900,  S.  278  ff. 


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LXXVIII 


EINLEITUNG 


etwas,  das  als  Kunst  gar  nicht  existiert.  Darum  ist  es 
das  Recht  der  Dichter,  sich  der  ^findungen  anderer  zu 
bemächtigen;  denn  das  Gefandene  ist  nichts  als  der  tote 

Stoff,  der  Poesie  werden  kann  oder  nicht,  je  nach  der 
Wärme  des  Gefühls,  das  der,  der  ihn  beseelt,  ihm  einzu- 
flößen vermag.  Dieser  braucht  sich,  weil  der  Stoff,  der 
Inhalt  nichts  und  das  Gefühl,  die  Form,  der  Ausdruck 
alles  ist,  um  die  Quelle  des  Eindrucks  so  wenig  zu  be- 
kümmern wie  der  Bildliauer  um  das  Modell  zu  seiner  Sta- 
tue. Vielleicht  kein  großer  Dichter  hat  jemals  es  sich  an- 
gelegen sein  lassen,  aus  sich  heraus  den  Gegenstand  für 
sein  Werk  zu  finden.  Die  Erfindung  zu  Dantes  Commedia 
steckt  in  den  vorhergehenden  Visionen,  in  theologischer 
und  historischer  Überlieferung;  die  zu  Shakespeares  Dra- 
men in  der  Chronik  des  Belleforest,  itaüenischen  No- 
vellen, Volksüberlieferung;  die  des  „Faust"  in  der  Sage 
und  in  der  Puppenkomödie.  Für  den  Poeten  macht  es 
kehlen  Unterschied,  ob  historischer,  ob  erdichteter  Stoff 
ihm  zustatten  kommt :  Ems  wie  das  andere  bietet  ihm  etwas 
Fremdes,  nichts  Eigenes,  und  wenn  die  Originalität  wirk- 
lich in  der  Erfmdung  bestände,  wäre  einer,  der  die  Ge- 
schichte plündert,  nicht  mehr  original,  als  wer  eine  Fabel 
ausbeutet. 

Hier  drängt  sich  ein  Einwurf  auf:  Möge  der  Dichter  sich 
des  Gemeinguts  bemächtigen  —  schön!  Rührt  aber  die 
Erfindung  von  einem  her  und  hat  dieser  ihr  als  Dichter 
schon  Form  gegeben,  ist  dann  der  Räuber  der  Idee  kein 
Plagiator?  Darauf  antwortet  Ccsareo:  Der  subjektive  An- 
laß, der  zum  Kunstwerk  führt,  kommt  dennoch  bei  der 
Bewertung  des  Kunstwerks  nicht  in  Betracht,  weil  er 
nicht  zur  ästhetischen  Tätigkeit  gehört.  Der  Anlaß  ist  ein 
physischer  Vorgang;  die  künstlerische  Tat  besteht  im 
Ausdruck.  Gar  viele  Seeleneindrücke  gelangen  nicht  zur 
Verwandlung  in  ein  Kunstwerk,  unzählige  Erfindungen 


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EINLEITUNG 


LXXIX 


werden  nicht  zur  Poesie.  Wo  es  aber  geschehen,  wo  aus 
dem  inneren  Anlaß  die  entsprechende  „Gestalt"  ge- 
worden ist,  da  muß,  wer  dieser  Gestalt  sich  bemächtigt, 
ein  Plagiator  genannt  werden,  selbst  wenn  der  Gegen- 
stand ein  anderer  ist.  Gelang  dem  Dichter  nicht,  seine 
Erfindung  zur  Gestalt  zu  erlieben,  so  bleibt  sie  toter 
Stoff  und  fällt  zurück  in  die  Nacht  des  Unausgesproche- 
nen, wo  sich  dunkel  Chroniken,  Sagen,  lyrische  und 
epische  Motive,  die  zahllosen  Fälle  des  Menschenlebens 
bewogen.  Ein  Inhalt  —  ein  Ahasverus,  Don  Juan,  Faust 
—  kann,  wiewohl  von  einem  erfunden,  hundert  Ge- 
staltangm  erfahren,  ohne  daB  eine  die  andere  wieder- 
holt, bis  die  Phantasie  eines  großen  Dichters  ihm  zum 
wahren  Ansdnick,  zur  vollendeten,  unveigänglichen  Form 
veriiilft 

Wir  werden  Cesareo  zustimmen.  Der  Dichter  darf  sich 
eines  schon  behandelten  Stoffes  bemächtigen,  an  ihn  an- 
knüpfen, ihn  weiterentwickeln  —  vorausgesetzt,  daß  ein 

Neues,  Lebenskraftiges  daraus  entsteht,  wie  er  ja  auch  mit 
geschichtUcher  überheferung  für  seine  Zwecke  nach  Be- 
heben schalten  mag  {,,Le  poHe  peut  violer  Uhistoire  pourvu 
quHl  lui  fasse  un  enfant,"  pflegte  Jules  Janin  zu  sagen). 
Für  Shakespeare  war  der  entlehnte  Stoff,  die  Ereignisse, 
Figuren,  Handlungen,  wie  ein  Gefäß,  das  er  mit  Eigenem 
mit  psychologischem  Inhalt  zu  füllen  hatte:  daraus  er- 
wuchs das  Kunstwerk,  sein  volles  Eigentum.  Wenn  Ariost 
dem,  was  er  vorfand,  die  Vollendung,  la  forma  sttprma, 
gab,  war  er  in  seinem  Recht. 

Bojardos  Innamorato  ist  in  der  Tat,  wie  Cesareo  be- 
merkt, eme  schwindelerregende  Anhäufung  von  Turnieren, 
Schlachten,  Verzauberungen,  Abenteuern  aller  Art.  Aber 
diese  Schlachten  und  Abenteuer  sind  immer  dieselben,  bei 
aller  ermüdenden  Abwechselung:  plus  ga  change,  plus 
c^eü  la  rnhne  chosi!  Von  innerem  Leben  semer  Personen 


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LXXX 


K  T  X  T,  f-  T  T  r  X  C 


keine  Spur!  Sie  endieiuen  unfrei«  memakplastisdiheraiis» 
gearbeitet.  Sie  tragen  Namen  —  das  ist  fast  ihre  ganze 
Charakteristik.  Das  Geschehnis  allem  interessiert  Bo- 
jardo;  Menschen  nns  vor  Angen  zu  stellen,  vermag  er 
nicht.  Die  wahre  „Phantasie",  die  künstlerische  Gestal- 
tungskraft geht  ihm  ab,  und  das  ist  —  wie  schon  der  alte 
de  Sanctis  sagte  —  der  Tod  des  Dichters. 

Ein  voller  und  ganzer  Künstler  ist  dagegen  Ludovico. 
Was  er  nur  berührt,  das  erblüht  zum  Leben.  Läßt  er  seine 
Helden  ein  Wort  sprechen,  eine  Bewegung  machen,  wir 
sehen  sie  leibhaft  vor  uns.  Vierhundert  Jahre  haben  der 
Wirkung  seines  unsterblichen  Poems  keinen  Eintrag  ge- 
tan; in  jugendlicher  Schönheit  strahlt  es  aus  der  Welt  der 
Renaissance  in  unsere  Zeit  herein*. 

Die  künstlerische  Wirkung  geht  ihm  über  alles.  Ihr 
opfert  er  auch,  wenn  es  sein  muß,  andere  Rücksichten, 
während  er  doch  für  gewöhnlich  durch  seine  Gegenständ- 
lichkeit fast  von  den  Anhängern  des  heutigen  Verismus 
als  einer  der  Ihren  in  Anspruch  genommen  werden  kann. 
Er  weiß — um  ein  Beispiel  zu  wählen  —  recht  gut,  daß  ein 
Schwerverwundeter  keine  langen  Reden  halten  wird,  läßt 
aber  einen  solchen  (den  Hermonides  von  Holland  im  21.  Ge- 
sang) die  Geschichte  von  Argeus  und  seiner  schlinmien 
Frau  erzählen,  keine  Beschreibung  oder  Ausführimg  ihm 
schenkend,  die  im  Mund  eines  Gesunden  angebracht 
gewesen  wäre.  Warum  ?  Weil  die  Wirkung  der  Erzählung 
selbst  für  ihn  das  Wichtige  ist,  nicht  die  begleitenden  Um- 
stände. Raffaels  Gemälde  von  der  Meeresfahrt  Christi 
zeigt  uns  die  Jünger  ruhig  und  harmonisch  gruppiert,  mit 
glatten  Haaren  und  trockenen  Gewändern,  ohne  Spur  des 
überstandenen  Sturmes,  imd  ist  deshalb  getadelt  worden. 
Aber  dem  Meister  kam  es  ledighch  darauf  an,  ,,schöne 
Menschen  in  einer  bedeutenden  Situation"  zu  malen;  da 

*  VgL  Vorbeaicrkiiiig  nr  ersten  Auflage  oben  S.  X. 


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K  T  N  T.  K  T  T  r  N  C 


LXXXI 


miiBten  andere  ErwSgungen  zurückstehen.  Auch  hier 
zwang  Stil,  d.  h.  strenge  Kunstmäßigkeit,  zur  Verletzung 
des  scheinbar  Natürlichen. 

Dahin  gehört  auch  eine  Gepflogenheit  Ariosts,  die  von 
vielen  als  seltsam  empfunden  werden  mag:  die  Kund- 
gebung klassischer  Anschauungen,  der  Gebrauch  mytho- 
logischer Bilder,  Erinnerungen  an  Sage  und  Geschichte 
der  alten  Welt,  wo  sie  wenig  angebracht  erscheinen.  Wenn 
Medor,  der  ungebildete  Sarazenen] üngling,  den  thebani- 
schen  Kreon,  Gradaß  den  Pompejus  zitiert,  Roland  seinen 
Freund  Brandimart  mit  Curtius  und  Kodrus  vergleicht, 
so  berührt  ims  das  als  ein  empfindUcher  Anachronismus. 
Aber  realistisch  korrekt  sein  zu  wollen,  lag  dem  Dichter 
gänzlich  fem;  die  Wirkung  auf  seine  Zeitgenossen  mußte 
sein  Hauptaugenmerk  sein,  und  dafür  war  es  erfcnnder- 
lieh,  daß  er  die  in  der  feinen  Gesellschaft  damals  übliche 
Ausdrucksweise  auch  seine  Helden  gebrauchen  ließ. 
„Eigentlich  wäre**  —  so  sagt  Gaspary  vortrefflich  —  „der 
ganze  Orkmdo  ein  Anachronismus,  da  er  ja  durchaus  nicht 
das  wahre  Rittertum  darstellt,  sondern  im  Rahmen  des- 
selben die  Neigungen  und  Tendenzen  von  des  Verfassers 
eigener  Zeit.  Ein  solcher  Anachronismus  gehört  aber,  wie 
.  Goethe  bemerkt,  gerade  zum  Wesen  der  Dichtung,  welche 
lebendig  und  gegenwärtig,  nicht  gelehrte  Vertiefung 
in  die  Vergangenheit  sein  soll."  Wenn  auf  Paul  Veroncses 
Gemälde  der  Hochzeit  von  Kana  alle  Dargestellten  sich 
als  Venezianer  des  i6.  Jahrhunderts  zeigen,  so  liegt  wohl 
ein  älmhches  Gefühl  zugrunde;  auch,  wenn  Corneille  seine 
römischen  Helden  wie  französische  Kavaliere  sprechen  und 
mit  Allongeperücke  und  Degen  erscheinen  ließ.  Ein  Karl 
Simrock  billigte  das  durchaus  und  sagte:  „Der  Dichter  soll 
in  seinem  Werk  nur  den  Anschauungen  seiner  Zeit  ge- 
mäß verfahren.'*  —  Der  Unkenntnis  darf  man  Ariost  bei 
solchen  Fehlem  nicht  zeihen. 

Ariost  I  VI 


9 


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LXXXTI 


EINLEITUNG 


Hörten  wir  eben  ans  dem  Poem  die  zeitgenössische  Ge- 
sellschaft, so  sind  die  Stellen  von  besonderem  Reiz,  wo  das 
„Ich**  des  Dichters  nns  nahetiitt,  wo  la  noU  pmaunäU 
erklingt.  Von  seiner  Subjektivität  ist  eigentlich  —  zor 
Freude  des  Genießenden  —  das  ganze  Werk  durchdrungen. 
Wer  wie  Grillparzer  denkt:  „Wenn  ich  lese,  will  ich  es 
mit  jemandem  zu  tun  haben",  findet  sein  Genüge  im 
„Rasenden  Roland*'.  Aber  zuweilen  —  und  das  ist  das 
Schönste  —  spricht  er  direkt  zu  uns,  so  z.  B.,  wenn  er 
mitten  im  Erzählen  eine  Unterbrechung  für  angemessen 
erachtet,  sei  es,  um  eine  Sentenz  einzustreuen  oder  zur  Illu- 
stration des  Gesagten  sich  selbst  oder  andere  als  Exempel 
heranzuziehen,  sei  es,  weil  er  aus  einem  ästhetischen 
Grund  den  Faden  für  eine  Weile  fallen  läßt: 

So  wie  den  Appetit  reist  nene  Speise, 
So  darf  ich,  will  mir  scheinen,  dann  und  wann 
Abwechslung  der  Erzählung  Euch  bescheren, 
Um  böse  Langeweile  abzuwehren,  (13,  8a) 

Ein  andermal: 

Bedenkt,  o  Herr,  in  Huld,  daß  mein  Beginnen 
Dem  klugen  Saitenspieler  gleichen  soll: 
£r  läßt  die  Weisen  durcheinemderrimien, 
^lielt  jetrt  in  Dar  und  gleich  darauf  in  M6U. 
Derweüan  nach  Kinald  ging  all  mein  Sinnen, 
Brschdnt  Angdika  mir  vorworfmill ...   {S,  39.) 

Noch  bedeutsamer  als  die  Unterbrechungen  sind  zu- 
meist die  Einleitungen  zu  Anfang  der  einzelnen  Gesänge. 
Schon  Ludovicos  Schüler  und  jüngerer  Freund  Giraldi  weist 
bewxmdemd  auf  die  Gesangsanfänge  hin  und  meint,  Clau- 
dians  Elegien  und  Vorreden  seien  das  Vorbild  gewesen. 
Aber  so  weit  brauchen  wir  nicht  zurückzugehen.  Die  volks- 
tümlichen Rittergeschichten  boten  ähnhches;  auch  Bo- 
jardo.  Aber  erst  Ariost  verlieh  diesen  Präludien  die  künst- 
lerische Vollendung.  Man  denkt  bei  ihnen  —  auch  Gardner 
tut  es  —  an  die  vielberufenen  Kapitelanfänge  in  Fieldings 


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EINLEITUNG 


LXXXIII 


Tom  Jones.  Sie  verbmden  das  Gesagte  mit  dem  Kom- 
menden, bieten  einen  Rnhepmikt  in  der  Erzählmig  mid 
bereiten  die  vom  Dichter  gewollte  Stimmung  vor.  Manch- 
mal übernimmt  ein  solcher  Eingang  die  RoUe  des  antiken 

Chors.  Wo  unsere  Gefühle  durch  das  zuletzt  Vorgetragene 
zwiespältig  sind,  leiht  er  dem  Empfinden  Worte,  erklärt, 
beschwichtigt  es.  Am  Ende  des  dritten  Gesangs  sehen 
wir  die  ideale  Heldin  Bradamante  vor  der  Aufgabe,  den 
verschlagenen  Brunei  zu  überhsten.  Es  kann  ohne  Trug 
nicht  geschehen,  und  ihre  Handlungsweise  hinterläßt  ein 
gewisses  Mißbehagen.  Da  setzt  der  vierte  Gesang  ein* 
entschuldigt  die  Heldin  md  leitet  zu  einem  neuen  Aben- 
teuer über. 

Galt  es  hier,  eine  unerwünschte  Wirkung  zu  verhüten,  so 
stageri  der  Eingang  zu  Gesang  5  eine  beabsichtigte,  indem 
er  auf  das  Grausen,  das  die  späteren  Stanzen  wecken  sollen, 
vorbereitet. 

Am  reizendsten  ist  der  Autor,  wo  er  selbst  ins  Spiel 
kommt.  Im  sechsten  Gesänge  sind  viele  Wunderdinge  ge- 
schehen. Er  stellt  sich,  als  ob  er  sich  verteidigen  müsse. 

Man  höre,  wie  der  Schalk  gravitätisch  sich  wehrt.  Der 
Anfang  des  siebenten  Gesangs  lautet : 

Wer  weit  von  Hanse  geht,  begegnet  Dinges 
Verschieden  vom  Gewohnten  ganz  und  gar. 
Und  Glauben  findet  er  daheim  geringen; 
Ein  Lttgner  heiSt  er,  aller  Wahrbdt  bar. 
Denn  weiter  kann's  das  dmniiie  Volk  nicht  Illingen, 
Sieht  es  nicht  selber  alles  klipp  und  klar. 
Unwissenheit  wird  jetzt,  besorg'  ich  banf^e, 
Auch  wenig  Glauben  schenken  meinem  Sange. 

Ob  rie  mir  Glavben  schenken  oder  keinen, 

Wi  gUt  der  dummen  Leute  Meinung  gleich; 

Each,  weiß  ich,  Herr,  wird's  Lüge  nicht  erscheinent 

Ihr  seid  an  Weisheit  und  Verständnis  reich. 

All  mdine  Kraft  will  ich  dahin  vereinen, 

DnB  Buch  geidle  meines  .Schafffen»  Reidi.  — 

VI* 


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I.XXXIV 


V  T  N  T..  F  T'T       N  (; 


Wie  er  bei  der  Rückholmig  von  Rolands  Verstand  des 
eigenen,  verlorenen,  gedenkt,  haben  wir  gesehen. 

Wenn  er  hier  (und  auch  sonst  mehrfoch)  scheinbar  zer- 
knirscht in  schalkhafter  Demut  eigener  Schwächen  und 

Fehler  gedenkt,  so  bilden  einen  scharfen  Gegensatz  hierzu 
andere  Stellen,  wo  er  mit  voller  Bestimmtheit  sich  seiner 
Kraft  und  seiner  Sendung  bewußt  zeigt.  Dann  erfreut  uns 
das  gesunde  Selbstgefühl  dieses  für  gewöhnlich  so  be- 
scheidenen Mannes,  dessen  Schhchtheit  die  Verwunderung 
der  Zeitgenossen  erregte.  Wenn  es  sich  um  seine  Kunst 
handelte,  trat  er,  im  Leben  wie  in  seiner  Dichtung,  zu- 
versichtlich auf,  seines  Wertes  bewußt,  als  ob  er  ein  an- 
derer Mensch  wäre.  Freimütig  spricht  er  zu  den  Gewaltigen 
der  Erde,  sobald  ihn  als  einen  Priester  Apollos  der  Pegasus 
trägt.  Während  aber  in  einer  ähnlichen  Lage  sein  moder- 
ner Kollege  Heinrich  Heine  auf  die  schrecklichen  Terzinen, 
„des  Dante  klin^de  Flammen**,  hinwdst  und  mit 
Verdammung  zu  gleicher  HdDe  droht,  sucht  der  Furioso- 
dichter  nicht  Furcht  und  Beben  in  die  Sede  seiner  hoch- 
mögenden  Zuhörer  zu  senken.  Vielmehr  möchte  er  sie 
durch  das  BOd  einer  lockenden  Unsterblichkeit  ge  wi  n  ne  n, 
indem  er  ihnen  einschmeichelnd  zu  Gemüt  fuhrt,  wie 
„Poäm  vor  VergessenheU  bewahren.  Die  ja  noch  sehUnmer 
fast  als  Sterben  ist".  Hier  haben  wir  die  einzige  Art  von 
Schrecknissen,  deren  Ausmalung  dieser  seltsame  Buß- 
prediger gern  imtemimmt.  Eindringlich  verweilt  er  bei 
den  üblen  Folgen  des  Knausems  den  Jüngern  Apollos 
gegenüber,  ungeschcut  und  lachend  spricht  er  pro  domo 
imd  geißelt  jene  Gebietenden,  die 

Die  hohen  Geister  lassen  betteln  gehn, 
Unwert  erheben  und  Verdienst  verbannen. 

Dem  Tode  verfallen  sind  die  Kurzsichtigen,  während  sie 

Sonst  lebend  schritten  über  Grabesrand 

Und  duften  würden  —  Dichtkunst  sprengt  die  Grüfte  — 

Nock  UehUcJm  als  Nord-  und  Myrfk$ndüfU. 


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EINLEITUNG 


LXXXV 


Scheinbar  emsthaft  —  in  Wahrheit  mit  feinem  Spott  — 
werden  die  wohltätigen  Wirkungen  der  Poesie  illustriert, 
wobei  die  Dichtkunst  sogar  als  Schönfärberei  (I)  Verherr- 
lichung findet;  denn  gewöhnliche  Menschen  wie  Aeneas, 
Hektor,  Achill  machte  sie  durch  Übertreibung  zu  Heroen: 

ZW  Diekt0ir  Hmnd  sekuf  aU  dU  hohtn  Bkran, 
Zu  4Mtm  »it  »ontt      gtkommm  mär$n, 

ja  noch  mehr:  sie  gestaltete,  erkenntlich  —  kombäe 
diäu  —  für  klingende  Münze  oder  andere  ,,Spenden**  — 
recht  bescheiden  werden  „PalOsie,  Vüten  amedesen**^ 
namhaft  gemadit  —  das  Tatsächliche  nach  Gutdünken 

und  Laune!  Ein  Glück,  daß  der  scherzhafte  Ton  des 
Vortrags  diesen  Ketzereien  das  Unerfreuliche  nimmt  I 
Die  Warnung  klingt  hindurch:  „Nehmt  es  nicht  zu  ernst- 
haft!*' Ariosts  Ruf  als  des  anspruchslosesten,  uneigen- 
nützigsten Menschen  der  Welt  war  bei  seinen  Landsleuten 
gesichert;  er  durfte  jene  recht  unverblümten  Aufforde- 
rungen an  die  Machthaber,  für  das  Sängervölkchen 
ordenthch  in  den  Säckel  zu  greifen,  sich  gestatten,  ohne 
Mißdeutung  befürchten  zu  müssen.  Wie  einst  für  unsere 
mittelalterlichen  Minnesänger  war  für  ihn  Milde,  d.  h. 
Freigebigkeit  (bei  den  französischen  Trouvöres  largesse), 
die  oberste  der  Henschertugenden,  Unmüde,  Kargheit, 
der  schlimmste  Fehler.  Eine  solche  Haltung  gebot  ihm 
schon  das  Interesse  der  gesamten  Sängerzunft. 

Wenn  In  jenem  35.  Gesänge  weiterhin  der  Dichter,  auf 
das  angestimmte  Rügelied  zurückblickend,  gewissermaßen 
entschuldigend  sagt: 

Ich  xnnBt  es  tun,  ich  liebe  die  Autoreo, 

Hab'  ich  die  Schreibenoiift  doch  «elbet  erkoren, 

so  darf  er  auf  Gegenliebe  rechnen,  der  göttliche  Ludovico. 

Und  nicht  nur  ,,die  Autoren",  auch  andere  entzückt  der 

Glanz  seines  Geistes,  der  Flug  seiner  Phantasie,  sein  rei- 
zender Mutwille,  seine  vollendete  Kunst. 


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LXXXVI 


EINLEITUNG 


Ein  einziges  Mal  vergönnt  er  scheinbar  dem  lieben  Ich 
weiteren  Spielraum  und  stellt  es  geradezu  in  den  Vorder- 
grund. Das  geschieht  im  Eingang  zum  letzten,  dem  46.  Ge- 
sang, aus  dem  uns  die  Freude,  sein  großes  Werk  dem  Ende 
nahegebracht  zu  haben,  entgegentönt.  Sie  zaubert  vor 
die  Augen  des  Dichters  eine  Vision ;  er  selbst,  ein  Schiffer, 
der  sein  Fahrzeug  dem  heimischen  Hafen  entgegensteuert, 
studiert  mit  klopfendem  Herzen  die  Seekarte*: 

Wenn  mich  die  Karte  läSt  die  Wahrheit  schauen. 

So  ist  jetzund  der  Hafen  nicht  mehr  weit: 
Ich  danke  bald  am  Strand,  darf  ich  vertrauen, 
Ihm,  der  durchs  große  Meer  mir  gab  Geleit. 
Ach,  drauf  sn  Bcfaeitem  wollte  schon  mir  grauen 
Odtf  omliersiniven  ew'ge  ZdL 

Mich  deucht  zu  sehn  —  vidmehr  ich  kann  es  sdien  — 
Daa  Land,  das  Landl  Die  Kfisten  oüea  stehen. 

Da,  horch  1  die  Fiat  erbraust,  die  Lfifte  hallen, 

Und  Freudenruf  erklingt  und  lautes  Wort, 
Und  Pfeifen  hör*  ich  und  Trompeten  schallen. 
Drein  Jubel  tönt  von  vielem  Volke  dort. 
Kon  seh'  ich  anch  die  Züge  sdM»  von  allen. 
Die  grüfiend  füllen  rechts  ond  links  den  Port 
Von  Freude  scheinen  allesamt  entglommen, 
Daß  ich  ans  End'  der  langen  Fahrt  gekommen. 

An  die  edlen  Frauen  aus  dem  Haiise  Corr^ggio  mit  der 
Dichterin  Venmica,  einer  Schülerin  Bembos,  schließt  sich 
eine  glänzende  Schar  erlauchter  und  gefeierter  Damen, 
eine  Angela  Borgia,  eine  Vittoria  Colonna,  und  von  Män- 
nern eigentlich  alle  Sterne  der  Literatur  und  Kunst,  von 
Fürsten  sehr  viele.  Ein  einziger  von  den  führenden  Gei- 
stern des  zeitgenössischen  Italien  fehlt  in  diesem  durch 
neunzehn  Stanzen  gehenden  Katalog  der  Berühmtheiten : 
Niccold  Machiavelli,  der  die  Vemachlässigung  zwar  bitter 
empfunden,  aber  in  seinem  Asino  d'oro  dem  götthchen 

*  Im  Vergleich  eines  Dichtwerkes  mit  einer  Seereise  hatte  Ariost 
Vorgänger :  Ovid  (Fast.  II,  vmimus  im  partum),  Vergil,  Boccaccio  sjn 
Ende  des  Filocopo. 


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EINLEITUNG 


LXXXVII 


Ludovico  nicht  nachgetragen  hat*.  Wenn  wir  genau  zu- 
sehen, ist  es  dem  Dichter  mit  dieser  Aufzählung  glänzen- 
der Persönlichkeiten  gar  nicht  um  eine  Selbstverherr- 
hchung  zu  tun,  vielmehr  um  eine  Huldigung  an  die  Ge- 
nannten. Im  Orlando  erwähnt  zu  sein,  galt  als  die  höchste 
Ehrung,  war  wie  ein  Diplom  für  die  Erlesenen.  Uns  Mo- 
demen wird  es  schwer,  die  Wirkung  dieses  Abschnittes 
auf  die  Zeitgenossen  naclizufühlen.  Nur  wer  tiefer  in  die 
Geschichte  der  Renaissance  eingedrungen  ist,  dem  ge- 
stalten sich  die  neunzehn  Stanzen  zu  einem  lebensvollen 
Bild  aus  großer  Zeit. 

Aiiosts  Oflanio  wird  noch  kommenden  Geschlechtern 
eine  Quelle  des  Genusses  sein. 

VIII 

VOM  „VERLIEBTEN"  ZUM 
„RASENDEN" ROLAND 

In  der  Neugestaltung  des  volkstümlichen  Stoffes  aus 
der  alt  französischen  Epik  für  den  Geschmack  des  vor- 
nehmen Publikums  der  Renaissancezeit  hatte  Ariost  zwei 
bedeutende  Dichter  zu  Vorgängern  gehabt:  Luigi  Pulci, 
den  Genossen  Lorenzos  von  Medici,  in  seinem  1483 
erschienenen  groteskkomischen  Heldengedicht  Morganie 
maggiore  und  den  ferraresischen  Grafen  Matteo  Maria 
Bojardo  von  Scandiano  in  seinem  Orlando  innamoraio 
(1494).  Pulet  steht  über  sdnem  Gegenstand,  hat  kein 
Herz  für  ihn  und  sucht  durch  spöttische  Behandlung  im 
persiflierten  Bänkelsängerton  nur  das  Gelächter  der 
kunstmäßig  Gebildeten  zu  erregen.  Bojardo  wählte  den 
volkstümlichen  Stoff,  nicht  um  ihn  zu  verspotten,  sondern 

•  Man  vermutet,  jenes  auffällige  Schweigen  Ariosts  sei  einer  Ver- 
stimmung des  Dichters  über  abfällige  Äußerungen  Machiavellis  in  bezug 
Mif  da«  AxiflfliMiM  Komödie  nnaMlinibeD. 


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LXXXVTTT 


F  T  NM,  F  T  T  TT  V  r, 


um  ihn  mit  höfischem  Geiste  zn  erfüllen  nnd  in  einer 
Fabelwelt,  an  die  auch  er  nicht  glaubt,  sein  höfisches  Ideal 
zu  verkörpern*. 

Ariost  knüpft  an  das  unvollendet  gebliebene  Werk  Bo- 
jardos an,  setzt  die  Kenntnis  des  dort  Erzählten  voraus 
und  führt  das  Schicksal  der  von  seinem  Vorgänger  einge- 
führten Personen  fort,  daneben  beUebig  den  Schatz  von 
anderen  Sagen  und  Romanen,  der  im  Gedächtnis  seines 
Pubükums  lebendig  war,  verwertend.  An  den  ursprüng- 
lichen Charakter  der  alten  Volkssagen,  die  der  religiösen 
Begeisterung  entsprungen  waren,  erinnert  nichts  mehr 
trotz  der  Ähnlichkeit  des  Stoffes.  Wohl  haben  wir  es  noch 
mit  den  Kriegen  Karls  gegen  die  Sarazenen  zu  tun,  aber 
um  was  es  sich  eigentUch  handelt,  sind  nicht  religiöse  Dinge 
und  Fragen,  sondern  lediglich  die  Entfaltung  der  ritter- 
lichen Persönlichkeit  in  Kampf  und  liebe,  im  Abenteuer 
um  des  Abenteuers  willen. 

Eine  phantastische  Welt  fand  der  Dichter  auch  bei  Bo- 
jardo;  aber  was  hat  er  aus  ihr  gemacht!  Hören  wir  hier- 
über Heinrich  Morf:  „Ariosts  Orlando  furioso  bringt 
in  diese  Wunderwelt  jene  vollkommene  Natürlichkeit, 
welche  bei  Bojardo  fehlt,  jene  der  kräftigsten  Realität  abge- 
lauschten feinen  Züge  und  Gefühle,  jenen  Mikrokosmus 
widerstreitender  Empfindungen,  der  uns  in  seinen  Figuren 
unseresgleichen  erkennen  läßt.   £r  hat  in  die  reizende 

*  NShere»  hierüber  und  Aber  das  llaterial  snm  stoben  Bmi  der 
aiieetischeik  Dichtung,  „dessen  Fandamcntc  in  den  Tiefen  des  Mitt^ 
alters  ruhen  und  dessen  Gipfel  hineinragt  in  den  Himmel  der  Renais- 
sance", lese  man  in  der  anziehenden  Abhandlung  von  Heinrich  Mori: 
„Vom  RdlandsUed  mm  Ofhmdo  fwim^*  in  „Aus  Dichtung  und  Sprache 
der  Romanen". 

Die  Frage  nach  der  Herkunft  der  vielen  in  das  Gedicht  verwebten 
Geschichten  ist  von  1542  an  mehrfach  untersucht  und  schheßüch  von 
dem  geistvollen  Florentiner  Gelehrten  Pio  Rajna  (Le  Fonti  deü' 
Odandö  Furioto  1876,  in  9.  Anllage  1900)  erledigt  worden.  Wit  die 
Fäden  bei  Ariost  sich  verscUingeii,  ist  dort  ringehund  idaxgdsgt 


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EINLEITUNG 


LXXXIX 


Traumwelt  gerade  das  Maß  von  Realismus,  von  Verstän- 
digkeit, von  Emst,  ja  von  Tragik  hineingelegt,  das  sie  er- 
trug, und  damit  jenes  Maß  von  Ironie  und  Schalkhaftigkeit 
verbunden,  das  nötig  ist,  um  das  moderne  Bewußtsein  mit 
dem  ganzen  Anachronismus  dieser  Fabeleien  fortwährend 
zu  versöhnen  .  .  .  Orlando  furioso,  das  Lied  vom  Roland, 
der  über  der  Liebe  zur  schönen  Heidenfürstin  Angelika  den 
Verstand  verliert  und  in  Raserei  verfällt,  ist  das  wahre  Ge- 
dicht der  Renaissance.  In  ihm  verkörpert  sich  das  Kunst- 
ideal einer  Zeit,  welche  den  Kultus  des  Schonen  zum  Selbst- 
sweck gemacht  hat.  Das  ist  eine  Dichtung,  die  sich  selbst 
genülgt,  die  wahre  Ldkamaticm  des  gesmiden  Vart  pour 
Fort,  In  Pulds  Dichtung  erscheint  die  Karlssage  gleichsam 
als  eine  Ruine.  Aus  dieser  Ruine  ist  durch  das  Zauberwort 
Bojardos  neues  Leben  aufgeblüht,  ein  Leben,  zu  dessen 
Verherrlichung  ein  wahrhaft  großer  Dichter  in  Ariost  er- 
standen ist.  Ein  gütiges  Geschick  hat  das  französische 
Volksepos,  dem  im  eigenen  Vaterlande  eine  ruhmlose  Auf- 
lösung bestimmt  war,  im  italienischen  Adoptiwaterlande 
einen  Poeten  finden  lassen,  der  an  ihm  die  höcliste  Auf- 
gabe der  Dichtkunst  löste  und  aus  dem  mittelalterlichen 
Stoff  zugleich  das  glänzendste  Poem  der  Renaissance  schuf. 

So  ist  Ariosts  Sang  eine  Apotheose  des  Mittelalters  und 
der  Renaissance  zugleich.  Und  wie  er  zwei  Weltzeiten 
verbindet  und  krönt,  so  vereinigt  er  in  sich  die  Arbeit 
mehrerer  Nationen.  An  die  französische  Epik  von  den 
germanischen  Helden  hat  ein  italienischer  Künstler  die 
letzte  Hand  gelegt. 

Sein  Werk  erhebt  sich  über  Zeiten  und  Völker." 

Zum  Verständnis  des  Zusammenhanges  in  Ariosts  Dich- 
tung wird  es  gut  sein,  sich  das  Folgende,  das  dort  als  bekannt 
vorausgesetzt  wird,  aus  Bojardos  „Verliebtem  Roland** 
gegeuwäitlg  su  halten. 


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xc 


EINLEITUNG 


Angelika,  Tochter  Gakfrans,  des  Herrschers  von  Ka> 
tai  (China),  ist  im  Auftrag  ihres  Vaters  an  Karls  Hof  ge- 
kommen, um  alle  seine  Paladine  und  Helden  als  Gefan- 
gene nach  Katai  zu  bringen.  Das  soll  so  geschehen:  Da 
viele,  von  ihrer  wunderbaren  Schönheit  ergriffen,  sie  ge- 
winnen wollen,  macht  sie  ihre  Gunst  von  einer  Probe  ab- 
hängig. Der  Werbende  muß  ihren  Bruder  Argalia  im 
Speerkampf  überwinden;  unterUegt  er,  wird  er  Angehkas 
Gefangener.  Wiewohl  nun  Argalia  von  Galafron  mit  einer 
Zauberlanze,  vor  deren  goldener  Spitze  jeder  von  ihr  Be- 
rührte zu  Boden  sinken  muß,  femer  mit  undurchdring- 
lichem Harnisch  und  dem  schnellfüßigen  Hengst  Rabiküi 
versehen  worden  ist,  wird  er  doch  von  dem  spanischen 
Sarazenen  Ferragn  getötet,  nachdem  dieser  g^gen  die 
Bestimmung  den  Kampf  zu  Fnße  fortgesetzt  hat.  Der 
Sieger  verspricht  dem  sterbenden  Argalia  auf  dessen 
Bitte,  ihn  —  damit  die  Welt  nicht  erfahre,  daß  er  trotz 
solcher  Waffen  überwunden  worden  sei  —  samt  der  Rü- 
stung im  nahen  Strom  zu  versenken.  Nur  den  Helm  will 
Ferragu  auf  vier  Tage  borgen,  um  unerkannt  unter  den 
Feinden  sich  zu  bewegen. 

Angelika  ist  nach  dem  Ardennenwald  entflohen;  drei 
in  sie  verliebte  Helden,  Roland,  Rinald,  der  Sohn 
Haimons,  und  der  Sarazen  Ferragu,  suchen  sie.  Nun 
fließen  in  den  Ardennen  zwei  Quellen:  die  eine  zwingt 
zu  Haß,  die  andere  zu  Liebe.  Rinald  trinkt  aus  der 
ersteren  und  verliert  seine  Leidenschaft  zu  Angelika; 
diese  aus  der  zweiten  und  ist  nunmehr  für  Rinald  ent- 
flammt. Aus  Verzweiflung,  daß  der  Held  sie  ver- 
schmäht, eilt  sie  nach  Katai  zurück.  Dorthin  folgt  ihr 
Roland  nach,  Ferragu  wendet  sich  auf  die  Kahnung  Flor- 
despinas,  der  Tochter  seines  Königs  Marsil,  heim 
nach  dem  geföhrdeten  Spanien,  wahrend  Rinald  nach 
Paris  reitet. 


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EINLEITUNG 


XCI 


Auch  Kaiser  Karl  ist  schwer  bedroht,  durch  den  ge- 
waltigen Streiter  Gradaß,  König  von  Serikane,  der  aus- 
gezogen ist,  um  das  beste  Schwert  der  Welt,  Rolands 
Düren  dal  (dieser  bekanntere  Name  wird  in  der  Über- 
setzung statt  des  itahenischen  Durendana  gebraucht),  und 
das  beste  Pferd,  Rinalds  Bajard,  zu  erringen.  Gradaß 
überwindet  Marsil,  führt  die  spanischen  Ritter,  darunter 
Ferragu,  gefangen  mit  nach  Frankreich  und  schlägt  dort 
auch  Karls  Heer,  nachdem  dessen  Oberfeldherr,  Rinald, 
auf  Veranlassung  Angelikas,  die  den  Geliebten  in  Asien 
haben  will,  durch  Zaaberkünste  seines  Vetters  Malegis 
vom  Heere  verschwanden  ist. 

Angelika,  nach  Katai  zurückgekehrt,  war  von  mäch- 
tigen Herrschern  umworben  worden,  darunter  dem 
Tatarenkönig  Agrikan.  Sie  wies  ihn  aber  —  gegen  den 
Wunsch  ihres  Vaters  —  ab  und  wurde  in  ihrer  festen  Burg 
Albrakka  von  den  zahDosen  Scharen  Agrikans  belagert. 

Ihr  zu  helfen,  nahten  heidnische  Herrscher,  darunter  der 
starke  Zirkassierfürst  Sakripant,  in  heißer  Liebe  für 
Angelika  entbrannt;  auch  christliche  Helden  wie  Roland, 
die  Zwillingssöhne  OHvers  Grifon  und  Aquilant,  und 
Herzog  Astolf,  der  junge  Sohn  des  Königs  Otto  von 
England. 

Astolf  war  nach  Asien  geraten,  nachdem  er,  der  jugend- 
liche Streiter,  durch  des  Himmels  Fügung  den  Kaiser 
Karl  und  die  Christenheit  aus  schwerer  Not  befreit  hatte. 
Nach  der  Niederlage  des  führerlosen  Frankenheeres  war 
nämlich  Karl  mit  seinen  Paladinen  in  Gefangenschaft  ge^ 
raten  und  Gradaß  vor  Paris  gezogen.  Dieser  eröffnete  dem 
gefangenen  Kaiser,  er  solle  Freiheit  und  Reich  gegen  Aus- 
lieferung Bajards  und  Durendais  zurückerhalten.  Das 
Schwert  führte  Roland  in  Asien  mit  sich,  aber  Bajard  be- 
fand sich  nach  dem  Verschwinden  Rinalds  in  Paris.  Als  der 
Hengßt  dem  Sieger  zugeführt  werden  sollte,  erschien  der 


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XCII 


EINLEITUNG 


einzig  freigebliebene  Christenkämpfer,  den  Karl  wegen  Un- 
gehorsams mit  Haft  bestraft  hatte,  Herzog  Astolf,  um  Gra- 
daß  zum  Zweikampf  herauszufordern,  unter  der  Bedin- 
gung, daß  der  Serikaner,  falls  besiegt,  die  Gefangenen  frei- 
gäbe und  das  Land  räume.  Der  gewaltige  Gradaß  wurde 
nun  in  der  Tat  aus  dem  Sattel  gehoben:  Astolf  hatte  die 
herrenlos  im  Lager  gebliebene  goldene  Lanze  Argalias  auf- 
genommen und.  ohne  deren  Kraft  zu  kennen,  mit  ihr  den 
Gegner  getroffen.  Der  zog  darauf,  das  Erringen  von 
Schwert  und  Roß  auf  späteren  Einzelkampf  mit  Roland  und 
Rinald  verschiebend,  ab,  und  Astolf,  auf  Bajards  Rücken, 
gelangte,  den  Helden  Roland  und  gemeinschaftliche  Aben- 
teuer suchend,  nach  Asien  zu  Angelikas  Burg  Albrakka. 

Die  Schdne  läßt,  um  ihre  Helfer  festzuhalten,  es  nicht 
an  Schmeicheleien  und  Versprechungen  fehlen;  denn  nach 
dem  Tode  Agrikans,  der  von  Rolands  Hand  gefallen  ist, 
sieht  sie  sich  von  der  furchtbaren  Kriegerin  Königin  Mar- 
fisa  bedroht  und  bedarf  der  Freunde.  Auch  den  Ge- 
hebten will  sie  bei  sich  liaben.  Da  nun  unter  den  gefangen 
nach  Katai  gebrachten  Rittern  Rinalds  Vetter  Malegis  ist, 
läßt  sie  den  Zauberkundigen  mit  dem  Versprechen  der 
Freiheit  durch  Geister  nach  Barcelona  tragen,  wo  am 
Strande  Rinald  imd  Gradaß  im  Zweikampf  sich  haben 
messen  wollen.  Vor  dem  Eintreffen  seines  Gegners  jedoch 
wird  Rinald  durch  ein  Zauberkunststück  des  Malegis  auf 
ein  Schiff  gelockt  imd  nach  Asien  entführt.  Aber  nichts 
mindert  seinen  Widerwillen  gegen  Angelika.  Statt  ihr  zu 
helfen,  wendet  er  sich  nach  allerlei  Taten  heimwärts,  im 
Besitz  seines  Bajard,  den  ihm  Astolf  zurückerstattet  hat. 
Die  Ankunft  des  Paladin  D  udo ,  Sohnes  Holgers  des  Danen, 
führt  in  Gesellschaft  Rinalds  auch  den  jungen  Herzog 
sowie  Grifon  und  Aquilant  heim  nach  Westen;  denn  der 
Kaiser  bedarf  ihrer.  Auch  den  Grafen  Roland  sollte  Dudo 
bringen ;  der  aber  kann  sich  nicht  von  Angehka  losreißen. 


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F  T  X  T.  K  T  T  T'  X  C 


xriTT 


Die  Schöne,  seiner  überdrusog,  laßt  ihn  die  Fee  Falerina 
aufsuchen,  die  auf  sein  Kommen  schon  vorbereitet  ist;  aus 
Zauberbüchem  hat  sie  das  Nahen  eines  Unverwundbaren 

erkundet,  der  ihren  Garten  zerstören  werde.  Sie  schmiedet 
das  Wundei Schwert  Balisarde,  das  die  Kraft  besitzt, 
jeden  Zauber  aufzuheben.  Aber  Roland  siegt  über  alle 
Ungeheuer  Falerinas,  erringt  Balisarde  und  kommt  zurück 
nach  Albrakka. 

Dort  ergeht  es  Angelika  schlimm:  sie  muß,  von  den  wil- 
den Belagerern  bedrängt,  auch  den  einzigen  ihr  gebHebenen 
Helfer  Sakripant  zu  Gradaß  schicken,  um  Beistand  zu  er- 
bitten. Ein  Kleinod,  das  allein  ihr  gegen  die  schreckliche 
Marfisa  Schutz  gewähren  könnte,  nämlich  ein  Ring,  der, 
am  Finger  getragen,  jeden  Zauber  veniichtet  —  im  Munde 
getragen,  unsichtbar  macht,  ist  ihr  von  dem  Erzdieb 
Brunei  gestohlen  worden. 

Dieser  Brunei  war  der  Sklave  eines  afrikanischen  Kdnigs, 
Untergebenen  des  Oberherrschers  aller  Sarazenen,  Agra- 
mant  von  Biserta.  Des  Agramant  Vater  Tro j  an  fiel  durch 
Rolands  Hand;  ebenso  sein  Oheim  Almonte,  von  dem 
der  Sieger  das  Schwert  Dorendal,  das  Horn,  die  gefeite 
Rüstung  und  den  Hengst  Güldenzaum  (Brigliador)  er- 
beutete. Früher  schon  war  auch  Agramants  (Großvater, 
Agolant,  im  Kampf  gegen  die  Christen  gefallen.  Diese 
Erschlagenen  zu  rächen,  rüstet  sich  —  wie  der  von  Karl 
ob  dieser  Gefahr  entsendete  Dudo  berichtet  —  jetzt  Agra- 
mant. Aber  ihm  wird  die  Weissagung,  ohne  den  jungen 
Roger,  seinen  Schwestersohn,  werde  der  Kriegszug  ver- 
gebens sein.  Roger  —  so  hört  er  weiter  —  wurde  bei 
seiner  Geburt  mit  einer  Zwillingsschwester  der  sterbenden 
Mutter  von  einem  Zauberer  Atlas  abgenommen  und  weilt 
in  unnahbarem  Schlosse  auf  dem  Berg  Carena.  Durch 
diese  Verborgenheit  will  ihn  Atlas  vor  Verderben  be- 
wahren: er  hat  namlidi  in  den  Sternen  gelesen,  Roger 


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XCIV 


EINLEITUNG 


werde,  wenn  er  nach  Frankreich  komme,  zum  Christen- 
tum übertreten  mid  durch  Verrat  sterben.  Den  offenbar  zu 
erwartenden  Wderstand  des  Zauberers  gegen  Rogers  Ent- 
führung kann  nur  der  Ring  der  Kaiserstochter  von  Katai 
überwinden,  der  jeglichen  Zauber  zunichte  macht.  Diesen 
Ring  der  Prinzessin,  während  sie  einer  Schlacht  zusah, 
vom  Finger  zu  streifen,  war  damals  dem  zur  Erlangung 
des  Kleinods  von  Agramant  ausgesandten  Brunei  gelungen. 
Außerdem  stiehlt  er  dein  Sakripant,  der  nachdenkhch  des 
Wegs  reitet,  sein  Pferd  Milchstirn  (Frontalatte)  unter 
dem  Leib  weg,  der  Marfisa  ihr  Sciiwert,  dem  Grafen  Ro- 
land das  Horn  des  Almonte  und  das  Schwert  Balisarde. 
Der  Ring  führt  dann  in  der  Tat  zur  Auffindung  Rogers. 
Der  jimge  Held  schließt  sich  dem  Heere  Agramants  an. 
Der  König  erhält  den  Hengst  MÜchstim  sowie  Balisarde 
und  macht  Brunei  zur  Belohnung  zum  Herrn  von  Tingi- 
tanien. 

Roland»  von  Karl  an  seine  Pflicht  gemahnt,  tritt  die 
Reise  nach  Ftankreich  an;  ihn  bebtet  Prinzessm  Ange- 
lika. Das  Abendland  ist  inzwischen  schwer  vcmi  ge- 
waltigsten Mohrenkämpen,  dem  König  Rodamonte  (Ariost 

nennt  ihn  Rodomonte)  von  Algier,  heimgesucht  worden. 
Dudo  mißt  sich  nach  seiner  Rückkehr  mit  ihm  im  Kampf, 
erhegt  und  wird  gefangen  nach  Algier  geschickt.  Rinald, 
der  im  Ardennenwald  jetzt  aus  der  anderen  Quelle  getrun- 
ken hat  und  in  Liebe  zu  Angelika  erglüht,  tritt  ihr,  als  sie 
an  Rolands  Seite  ihm  vor  Augen  kommt,  leidenschaftüch 
entgegen,  ohne  Erhörung  zu  finden,  weil  sie  mittlerweile 
aus  der  HassesqueUe  getrunken  hat.  Zwischen  ihm  und 
Roland  kommt  es  zum  Zweikampf:  Karl  tut  diesem  Ein- 
halt, und  um  den  Anlaß  des  Haders  zu  beseitigen,  über- 
gibt er  die  Sch6ne  dem  ehrwürdigen  Naims  von  Bayern: 
der  soll  sie  hüten,  bis  der  Krieger,  der  sich  in  der  bevor- 
stehenden Schlacht  am  glänzendsten  hervorgetan  haben 


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E  T  N  I.  T-  I  T  U  N  r. 


wird»  Angdika  als  Preis  erhalt.  Der  ungeheure  Zusammen- 
stoß zwischen  der  gesamten  Mohrenschaft  miter  Agramant 
von  Afrika,  Marsil  von  Spanien  usw.  und  dem  christlichen 
Heere  findet  in  nächster  Nihe  der  Pyrenäen  statt:  Karl 
wird  geschlagen  und  flieht  nach  Paris.  Dorthin  führen 
nun  alle  Heidenfürsten  ihre  Scharen.  In  der  Stadt  rüstet 
Roland  —  der  an  dem  unglückhchen  Kampfe  nicht  teil- 
genommen hat,  weil  ilm  ein  Zaubertrug  von  dannen  führte, 
bis  ihn  sein  Freund  Brandimart  (nach  der  Schlacht)  zu 
den  Seinigen  zurückbrachte  —  die  Verteidigung  der 
Hauptstadt  gegen  die  andringenden  Feinde. 

So  weit  geht  die  Erzählung  Bojardos.  Die  Fäden,  die  er 
hier  fallen  Meß,  niount  Ariost  auf. 

IX 

KLEINERE  WERKE 

Wenn  ein  großer  Dichter  durch  ein  Meisterwerk  die 
Bewunderung  der  Mit-  und  Nachwelt  gefunden  hat,  wird 
in  manchem  dankbaren  Leser  der  Wunsch  rege  werden, 
auch  mit  den  anderen  Darbietungen  eines  solchen  Genius 
Bekanntschaft  zu  machen. 

An  Ariosts  phantastische  Epopöe  reihen  sich  seine 
Kleineren  Werke,  die  Opere  minori,  das  enthaltend,  was 
er  uns  sonst  noch  an  poetischen  Schöpfungen  hinterlassen 
hat.  Das  allermeiste  hiervon  war  bis  vor  ein  Jahrzehnt  in 
Deutschland  unbekannt,  während  sonst  fast  sämtHche 
führenden  Geister  unserer  Naclibamationen  sich  bei  uns 
durch  Gesamtausgaben  vertreten  finden.  Der  helle  Glanz, 
der  vom  Rasenden  Roland  ausstrahlt,  blendete  vier 
Jahrhunderte  hindurch  unsere  Augen,  ließ  uns  ihm 
Benachbartes  nicht  erkennen  und  nicht  würdigen;  nicht 
nur  Lichtlein,  auch  größere  Feuer  erblassen  vor  der  Sonne. 
So  hat  die  gefährliche  Nähe  des  Orlatido  furioso  den  andern 


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XCVI 


EINLEITUNG 


Schdpfungeii  semes  Meisters  Abbruch  getan;  jedenfalls 
bei  uns.  Denn  im  Lande  des  Autors  waren  auch  seine 
Verskomödien  einst  hochberfihmt  imd  populär,  und 
seine  köstlichen  Versepistebi,  die  sieben  Satiren,  werden 
noch  heute  in  Italien  bewundert  und  immer  wieder  ange- 
legt. 

Unter  den  nunmehr  gehobenen  Schätzen  befinden  sich 
zunächst  die  eben  genannten  Komödien  und  die  Rime, 
fünfundsechzig  teils  längere,  teils  kürzere  poetische  Kom- 
positionen des  Meisters,  Elegien  und  Capitoli,  seine 
Ekloge,  die  Kanzonen,  Sonette  imd  Madrigale  ent- 
haltend. Man  mag  diese  verschiedenartigen  Erzeugnisse 
unter  der  Bezeichnung  lyrische  Gedichte  zusammen- 
fassen, wenngleich  eines  davon,  die  Ekloge,  in  dramatischer 
Form  gehalten  ist  und  auch  in  den  anderen  das  Gebiet 
des  rein  Lyrischen  vielfach  überschritten  wird. 

Einiges  in  den  italienischen  Ausgaben  der  Opere  minori 
Enthaltene  mußte  von  der  Aufiiahme  ausgeschlossen  blei- 
ben: Vereinzeltes,  Unvollendetes,  wofür  die  Teilnahme  des 
deutsdien  Lesers  nicht  zu  erhoffen  schien,  oder  Erzeug- 
nisse, deren  Autorschaft  nicht  sicherstand.  Aus  dem 
dnen  wie  dem  anderen  Grund  blieben  so  zunächst  die 
fOnf  Gesänge,  die  den  Titel  SitiaHo  ardito  tragen,  bei- 
seite, d.  h.  das  Bruchstück  eines  einsehen  Gedichts  in 
Oktaven  zur  Verherrlichung  des  aus  dem  Funoso  bekannten 
Helden  Rinald.  G  a  rd  ner*  verwirft  es  in  Übereinstimmung 
mit  Pohdori  u.  a.  schon  aus  dem  Grund,  daß  während  der 
Jahre  zwischen  1525  und  1534  —  dieser  Zeitraum  er- 
gibt sich  aus  inneren  Gründen  für  die  Abfassung  des 
Rinaldo  —  Ariost  mit  der  dritten  endgültigen  Ausgabe 
seines  Roland  viel  zu  sehr  beschäftigt  war,  um  sich  einem 
anderen  Stoff  zuzuwenden.  Ludovico  kann  überhaupt  im- 
möglich diese  (zuerst  1551  erwähnten)  „plumpen,  geist- 

*  Tk$  Kütg  of  Comt  PobU  (Londoo,  GoosUAle,  1906),  p.  313. 


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EINLEITUNG 


XCVII 


und  witzlosen"  Stanzen  geschrieben  haben:  sie  sind,  wenn 
nicht  eine  beabsichtigte  Fälschung,  das  Machwerk  eines 
ferraresischen  Nachahmers;  man  hat  an  des  Dichters 
Bruder  Gabriel,  der  die  ScolasUca  beendete,  auch  an 
den  Sohn  Virginio  Ariosto  gedacht;  indessen  sollte  das 
Andenken  dieser  beiden  nicht  durch  die  Annahme,  solcher 
geradezu  pornographischen  Ausführungen  fähig  gewesen 
zu  sein,  ohne  Beweis  verunglimpft  werden. 

Ein  anderes  Fragment  besteht  aus  84  Stanzen,  die  eine 
Episode  aus  dem  32.  Gesang  des  Orlatido  weiterverfolgen 
und  vom  Schicksal  des  Goldschildes  berichten,  den  UUania 
zu  Karl  bringt.  Auf  dem  Schild  sind  die  Kriege  in  Italien 
von  der  Gotenzeit  bis  1308  dargestellt:  vermutlich  be- 
stimmte Ariost  diese  historischen  Erinnerungen  anfänglich 
für  den  33.  Gesang,  ersetzte  sie  aber  durch  die  jetzt  dort  zu 
findende  Schilderung  der  Gemälde  auf  den  Wänden  des 
Palastes.  GioHtos,,Orlando"-Ausgabe  von  1547  brachte  diese 
Strophen,  Frammenti  in  ottave,  als  Anhang,  nachdem  sie 
schon  ein  Jahr  vorher  in  der  Venezianer  Ausgabe  der  Rime 
gedruckt  worden  waren. 

In  einem  weiteren  Bruchstück,  den  sog.  Cinque  Canü, 
haben  wir  fünf  Gesänge,  deren  Entstehung  und  Bestim- 
mung ziemlich  rätselhaft  ist.  Am  besten  sieht  man  darin 
direkte  Überbleibsel  einer  vom  Dichter,  wohl  nach  der 
Ruckkehr  aus  der  Garfagnana,  geplanten  und  begonnenen 
Weitelgestaltung  des  Orlaiiio,  der  auf  ffinfzig  Gesänge 
gebracht  werden  und  noch  die  Ermordung  Rogers  durch 
die  Mainzer  sowie  Rolands  Tod  bei  Roncesvalles  enthal- 
ten sollte.  SchließHch  gab  Ariost  dies  auf  und  beschränkte 
sich  auf  die  Zusätze  und  Erweiterungen,  die  seine  dritte 
Ausgabe  des  Furioso  (von  1532)  uns  darbietet.  Der  ver- 
änderte Ton  der  Cinque  Canti  gegenüber  dem  vollendeten 
Gedicht  ist  seltsam  und  viel  erörtert  worden;  „sie  haben", 
so  bemerkt  Pio  Rajna,  „einen  schwereren/ feierlicheren, 

Artost  1  VII 


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XCVIII 


EINLEITUNG 


kurz  mehr  epischen  Gang  als  das  Werk,  das  sie  ursprüng- 
lich erweitem  sollten." 

Unverkürzt  erscheinen  in  dem  vorliegenden  Bande  zu- 
nächst als  erster  Teil  der  „Kleineren  Werke"  die  fünf 
Verskomödien.  Daran  schließen  sich  die  lyrischen  Ge- 
dichte {Rime),  die  Elegien,  CapUcU,  dieEklcge»  Kanzonen, 
Sonette  und  Madrigale. 

Aus  der  Zahl  der  CapitoU  blieb  nur  eines,  das  eigent- 
lich zu  dieser  Gattung  gar  nicht  gehört,  aber  in  den  Aus- 
gaben als  Capitolo  VI  verzeichnet  ist,  unberücksichtigt. 
Es  ist  unverkennbar  epischen  Charakters  und  stellt  in  der 
Tat  den  Anfang  einer  erzählenden  Dichtung  dar,  in  der 
das  Lob  des  Hauses  Este  gesungen  werden  sollte,  und  zwar 
in  Terzinen*.  Zum  Helden  war  ein  Obizzo  d'Este  gewählt, 
der  zur  Zeit  Philipps  des  Schönen  im  französischen  Heer 
gegen  die  Engländer  focht  und  im  Einzelkampf  einen 
berühmten  Kämpen  ,,Aramone  di  Nerbolanda"  (North- 
umberland)  besiegte.  „Aber  der  Dichter,"  so  bemerkt 
Molini  —  nach  Pigna  — ,  „unzufrieden  mit  dem  Gegen- 
stand oder  in  der  Erkenntnis,  daß  die  Terzine  für  solche 
Stoffe  weniger  geeignet  sei  als  die  Oktave,  gab  den  Plan 
auf  und  wandte  sich  dem  Orlando  funoso  zu."  Das  Frag- 
ment zahlt  210  Verse  und  beginnt:  „Canterd  Pame,  cafUerd 
gli  affami  D*amor**, 

Die  dreißig  Sonette  wurden  vollständig  aufgenommen. 
Als  unecht  betrachtet  man  neuerdings  die  Sonette  31  und 
32  (das  erstere  beginnt:  ;,Magmftco  fattore  Alfonso  Trotto'\ 
das  zweite:  ,,Non  ho  dctto  di  tc  cid  che  dir  posso"),  Schmäh- 
gedichte, an  den  Intendanten  des  Herzogs  Alfonso,  Trotto, 
gerichtet.  Da  letzterer  im  Orlajido  wohlwollend  erwähnt 
wird,  sprachen  Gardner  und  der  neueste  Herausgeber  des 
Orla7ido,  Papini,  die  Autorschaft  der  beiden  Sonette  un- 
serem Dichter  ab.  Gewiß  mit  Recht:  der  Ton  der  beiden 

•  Vfl^  IV.  Band,  Anhang  Nr.  9. 


% 


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EINLEITUNG 


XCIX 


Gedichte  erscheint  auch  nicht  ariostisch.  Von  den  vier 
Kanzonen  blieb  die  vierte  {Quante  fiaU)  unberücksichtigt. 
Sie  findet  sich,  wie  schon  Barotti  und  Polidori  bemerkten, 
nicht  in  den  Handschriften»  ist  entschieden  minderwertig 
imd  gilt  mit  Grund  als  unecht. 

Von  diesen  Einzelheiten  abgesehen,  ist  die  Wiedergabe  der 
„Kleineren  Werke",  d.  h.  der  Komödien,  der  lUme  (Elegien. 
CapikU,  Ekloge,  Sonette,  Kanzonen,  Ifadrigale)  und  der 
Satiren  eine  voUst&idige. 

X 

KOMÖDIEN 

Wiewohl  die  Calandria  des  Kardinals  Bibbiena  —  was 
von  einigen  angenommen,  von  anderen,  wie  z.  B.  Tortoü 
in  seiner  Ausgabe  der  Opere  tninori  {Firenze  1854),  sehr  ent- 
schieden bestritten  wird  —  möglich  einweise  ebenso  alt  oder 
etwas  älter  als  Ariosts  Cassaria  und  Supposüi  ist,  so  gilt 
er  doch  allgemein  als  der  erste,  der  eine  regelrechte  Ko- 
mödie in  der  Volkssprache  nach  dem  Muster  der  Alten  ver- 
faßt hat ;  unter  allen  Umständen  wird  i  h  m  es  zuzuschrei- 
ben sein,  daß  man  der  Muttersprache  die  Fähigkeit  zuer* 
kannte,  von  der  Bühne  zu  wirken,  sowie  dem  Dichter  das 
Recht,  die  Gegenwart,  zeitgenteische  Zustände,  nicht 
bloß  Stoffe  aus  der  Antike,  zu  behandehi,  und  daß  diese 
ungeheure  Neuheit  sich  Bahn  brach.  Dies  würde  schon  ge^ 
nügen,  Ariosts  Komödien  ihren  Platz  in  der  Weltliteratur 
zu  sichern.  Aber  auch  abgesehen  hiervon,  sind  sie  der 
Teilnahme  eines  modernen  Lesers  nicht  unwert :  er  muß  sich 
nur  gegenwärtig  halten,  daß  er  es  mit  einer  entstehenden, 
nicht  mit  einer  fertigen  Kunst  zu  tun  hat.  Kein  Ver- 
ständiger wird  dort  den  Maßstab  modemer  Technik  an- 
legen, Charakterzeichnung,  dramatischen  Aufbau  so  er- 
warten, wie  ihn  eine  vierhundert] ährige  Schulung  uns 

VII* 


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c 


EINLEITUNG 


gelehrt  hat.  An  den  Werken  der  Präraff aehten  stören 
beträchtHche  Unvollkommenheiten  nicht  unser  Vergnügen 
an  diesen  hebenswürdigen  Schöpfungen  der  Vorblüte:  die 
Fehler  gegen  die  Perspektive,  die  harten,  wie  mit  dem 
Messer  gegrabenen  Umri^^se,  die  sich  bei  dem  jetzt  so  sehr 
gefeierten  Botticelh  finden,  nehmen  wir  als  Zeichen  der 
Entwicklung  aus  der  Skulptur  in  Stein  und  Metall,  steife 
Unbehilflichkeit  als  Nachwirkung  der  früheren  byzan- 
tinischen Auffassung,  kurz  als  historisch  gegeben  hin 
und  freuen  uns  der  unfertigen  Kunst  oft  mehr  als  der 
vollentwickelten:  das  Werden  fesselt  uns  mehr  als  das 
Sein.  Vielleicht  konunt  diese  Betrachtungsweise  auch 
den  Erstlingen  der  dramatischen  Kunst  zugute.  Nicht 
byzantinische  Gebundenheit,  aber  römisch-antike  hält  sie 
noch  gefangen:  in  der  Nachahmung  des  Plautus  und  des 
Terenz  erkennen  wir  die  Eierschalen,  die  dem  gar  jungen 
Vöglcin,  der  nationalen  Komödie,  noch  ankleben. 

Immerhin  gilt  es  hier  zu  unterscheiden.  Diejenigen 
gehen  zu  weit,  die  in  der  beginnenden  italienischen  Komödie 
nichts  als  eine  bleiche  Wiederholung  der  lateinischen 
sehen.  Gegen  sie  hat  sich  Tortoli  mit  Recht  gewendet:  be- 
stand jener  Einfluß  unfraglich,  so  hat  die  junge  Komödie 
doch  keineswegs  aUes  —  wie  behauptet  worden  ist  — , 
Gegenstand,  Charaktere,  Zwischenfälle,  vis  comica,  Ideen 
und  fast  die  Worte  herübergenommen.  Nur  die  Form, 
die  Handhabung  der  Fabel,  ist  lateinisch.  Das  gebot  der 
herrschende,  an  die  Art  des  Plautus  und  des  Terenz  ge- 
wähnte Geschmack  der  maßgebenden  Gesellschaftsklassen, 
der  etwas  Abweichendes  kaum  geduldet  haben  würde. 
Hierzu  bekennt  sich  Ariost  mit  klaren  Worten  im  Prolog 
zur  Cananai  er  fürchtet  Widerspruch  gegen  seine  „neue 
Komödie,  die  niemals  lateinische  oder  griechische  Zungen 
aufführten";  denn  der  Zuhörer  erachte  nur,  was  die 
Alten  fijesagt,  für  vollkommen,   darum  wolle  er,  der 


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EINT.EITUNG 


CI 


Verfasser,  mit  allen  Kräften  ein  Nachahmer  der  alten  und 
gefeierten  Dichter  sein  nnd  sich  nicht  vom  Verfehren  imd 
von  der  Art  lateinischer  Autoren  entfernen.  Aber  schon 
im  zweiten  Stück  gewinnt  er  eine  gewisse  Unabhängigkeit ; 
.  er  wagt  eine  andere  Zeit  und  Gesellschaft  darmsteUen:  die 
eigene.  Zwar  gedenkt  er  wiederum  der  Entlehnungen 
(aus  dem  Eunuchus  des  Terenz  und  den  Captivi  des  Plautus), 
aber  er  fügt  hinzu,  sie  seien  so  geringfügig,  daß  Terenz 
und  Plautus  selbst  daran  keinen  Anstoß  nehmen,  sie  mehr 
poetische  Nachahmung  als  Diebstahl  nennen  würden". 
Mit  der  Wahl  der  eigenen  Zeit  und  Umwelt  wurde  die 
Gepflogenheit  der  lateinischen  Schriftsteller  verlassen,  bei 
denen  alles  griechisch  ist,  Schauplatz,  Personen,  Fabel, 
Charaktere,  Ideen,  und  kaum  je  die  römische  Gesellschaft 
vorgeführt  wird.  In  den  folgenden  Komödien«  wie  wir 
sehen  werden,  wird  ein  reicherer  Stoff  wiederum  mit  er- 
weiterter Selbständigkeit  behandelt. 

Ariosts  erste  Komödie,  die  Cassaria,  d.  h.  Kastenkomodie 
(der  latinisierende  Name  schlieOt  sich  unverkennbar  an 
Bildungen  an  wie  Aidulanat  MosUüana),  in  Prosa  ge- 
schrieben, gelangte  in  Ferrara  Anfang  März  1508  auf  Be- 
fehl Ippofitos  d'Este  tur  Aufführung  bei  Hofe,  mit  großem 
Erfolge,  wie  der  uns  erhaltene  (von  Campori,  NoHne  per 
la  Vita  di  L.  Ar.,  1891,  S.  48 ff.  mitgeteilte)  Bericht  eines 
Zuhörers  an  die  Marchesana  Isabella  von  Mantua  meldet. 
Das  Entzücken,  dem  letzterer  Worte  leiht,  gilt  allerdings 
zum  großen  Teil  der  Ausstattung,  der  Musik,  Tänzen,  Pan- 
tomimen, kurz  Nebenumständen,  die,  statt  der  Handlung 
zu  dienen,  die  Aufmerksamkeit  von  ihr  ablenkten.  In 
solcher  , »anderweitigen  Beschäftigung  der  Schaulust", 
in  der  Pracht  der  Kostüme,  der  Dekoration,  den  Inter- 
mezzi, die  bereits  die  Mysterien  überwucherten,  erkannte 
J.  Burckhardt*  geradezu  das  Verderben  für  das  italienische 

*  Kultur  der  Remiasaace. 


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CII 


EINLEITUNG 


Drama :  der  Pomp  tötete  die  Tragödie,  verhinderte  die  reine 
Entwicklung  der  Komödie. 

Ariosts  Aufgabe  ward  dadurch  von  vornherein  be- 
schränkt, daß  er  ledigHch  dem  Zeitvertreib  zu  dienen  hatte: 
man  wird  sich  nicht  womdern,  wenn  die  Stücke  leicht  ge- 
zimmert sind  und  die  Cassaria  die  aus  den  lateinischen 
Komödien  bekannten  Vorwürfe  imd  Personen  bringt.  Zwei 
verliebte  junge  Männer  za  MytUene  betrügen»  unterstützt 
dnrch  sctüaue  Diener  (denen  die  Hauptrollen  zugewiesen 
sind)^  einen  Kuppler  um  zwei  sch&ie  Sklavinnen,  zugleich 
auch  ihre  Väter.  Wenn  letzteres  uns  etwas  peinlich  berührt, 
so  scheint  das  damalige  Publikum  nichts  von  Bedenken 
gespürt,  viebndir  die  vorgeführten  komischen  Szenen  voll 
genossen  zu  haben.  Eine  einzige  etwas  emster  gehaltene 
Szene,  die  Ermahnung  des  hintergangenen  alten  Crisobolo 
an  seinen  Sausewind  von  Sohn,  tritt  fast  etwas  befremdend 
—  auch  Gardner  macht  darauf  aufmerksam  —  aus  dem 
allgemeinen  Leichtsinn,  wo  Betrachtungen  über  Recht  und 
Unrecht  kaum  eine  Stätte  haben,  heraus.  Nach  der  Über- 
heferung  hat  der  junge  Ariost  hier  ein  eigenes  Erlebnis 
verwertet:  Sein  Vater  kam  1492  von  Modena  nach  Ferrara, 
wo  Ludovico  allein  ,,studierenshalber"  geblieben  war,  zu- 
rück und  hielt  dem  Sprößling  über  dessen  unbefriedigendes 
Verhalten  eine  gewaltige  Strafpredigt.  Der  junge  Gabriele 
war  zugegen  und  wunderte  sich  über  das  demütige  Schwei- 
gen, mit  dem  sein  Bruder  alles  hinnahm.  Nachher  gestand 
ihm  Ludovico,  er  habe  für  seine  im  Werden  begriffene 
Komädie  gerade  solch  einer  Strafrede  bedurft  und  still- 
geschwiegen, weil  er  während  des  väterlichen  Donnems  die 
Emreihung  der  gehörten  Worte  in  seinen  Plan  überdachte; 
er  selbst  fühlte  sich  als  den  Erofilo  und  sah  im  Vater  den 
Crisobolo  von  Mytilene.  —  Danach  hätte  Ariost  also  be- 
reits im  18.  Jahre  sich  mit  dem  Plan  zu  seiner  Cassatia 
getragen. 


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EINLEITUNG 


cm 


Eine  zweite  Komödie,  Die  Untergeschobenen,  wie  die 
erste  in  Prosa  abgefaßt  und  im  Karneval  1509  aufgeführt, 
brachte  ihm  weitere  Lorbeeren.  Derselbe  Berichterstatter, 
Bemardino  Prosperi,  bezeichnet  (wieder  in  einem  Brief 
an  die  Marchesana  Isabella  von  Mantua)  das  Stück  als 
„gaiw  neu,  höchst  ergötzhch  und  voll  von  Sentenzen  und 
Worten  und  Taten,  die  großes  Gelächter  hervorriefen,  mit 
drdiacher  Vertauschung  von  Personen.  Der  Prolog  ward 
von  dem  Autor  selbst  vorgetragen,  der  Stoff  ist  ausgezeich- 
net und  unseren  Sitten  wohl  entsprechend,  denn  er  stellt 
den  Fall  als  in  Feirara*  geschehen  dar.*' 

ICan  mag  es  sich  vorstellen,  mit  welchem  verwunderten 
Behagen  die  Ferraiesen  sich  diese  Neuerung  gefallen  Ueßen ; 
wir  sind  noch  jetzt  imstande,  nach  den  im  Stück  genannten 
örtlichkeiten  unsere  Wanderung  durch  die  Stadt  zu  den 
Kirchen,  den  öffentlichen  Gebäuden,  den  Toren,  der  Um- 
gegend vorzunehmen.  Alles  das  mußte  den  Eindruck  der 
Wirklichkeit  verstärken.  Auch  die  Figuren  sind  nicht 
mehr  aus  Plautus  und  Terenz  entlehnt  —  diese  haben  im 
wesenthchen  nur  die  Vertauschungsmotive  geliefert  — , 
bis  vielleicht  auf  den  Parasiten  Pasofilo;  und  auch  diese 
typische  Gestalt  war,  wie  Gardner  aus  Dante  und  Boccaccio 
belegt,  in  ItaUen  nicht  unbekannt**.  Der  Gegenstand  des 
Stückes  ist  ebenfalls  dem  modernen  Leben  entnommen: 
Werbung  des  als  Diener  verkleideten  Studenten  Ero- 
strato um  Polimnesta,  die  er  zuletzt  gewinnt,  indem  der 

*  Daß  mao  es  in  der  Tat  mit  der  Gegenwart,  dem  Ferrara  zwisclien 
148S  und  1493,  Sil  tan  hatte,  UBt  sich  aw  npeiStdlenbel^asi:  ein  junger 
Ifonn  ist  (Akt  $,  Ss.  5)  Stndent  an  der  Universität,  während  er  nur 

2^it  der  Plünderun!:;  von  Otranto  (1480)  ein  Knabe  von  fünf  bis  sechs 
Jahren  gewesen  ist.  Den  Terminus  ad  qnern  gewinnen  wir  durch  die 
Erwähnung,  daß  König  Ferrante  in  Neapel  herrscht  und  Herzogin 
I^eonota  noch  lebt* 

**  Über  weitere  Quellen  Arlosts  ni  den  Supposüi  siehe  Guido  Mar- 
pillero  {Giornals  Storico  della  LettereUura  ItaJinna,  S.  291-310),  der 
das  Stück  iür  ein  Mosaik  ans  voschiedenen  Komödien  erklärt. 


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« 


CIV  EINLEITUNG 


Dichter  durch  ein  bei  den  Alten  behebtes  Mittel,  eine  Wie- 
dererkennung, sämtliche  Schwierigkeiten  löst.  Mit  solchen 
UnWahrscheinlichkeiten  müssen  wir  uns  abzufinden  suchen 
und  für  die  hier  beliebte  nicht  nur  mit  Tortoli  an  die 
Wechselfälle-  jener  Zeiten  der  Türkenraubzüge  denken, 
sondern  auch  an  den  durch  solche  Vorfälle  genährten  Ge- 
schmack des  damaligen  PubUkmns,  das  wmidersamen  Be- 
gebenheiten gern  ein  gläubiges  Ohr  schenkte.  DaB  die 
bewmiderten  Vorbilder  der  Vergangenheit  fast  regelmäßig 
dergleichen  starke  Würze  boten,  ließ  den  ZuhGrer  nach  ihr 
als  etwas  Selbstverständlichem  verlangen. 

Kein  Geringerer  als  William  Shakeq>eare  hat  sich 
eines  Teils  der  SupposiH  bemächtigt,  indem  er  —  durch 
Vermittlung  der  Übersetzung  von  George  Gascoigne  {The 
Supposes,  1566)  —  in  seine  , »Bezähmte  Widerspenstige" 
die  Episode  von  Bianca  und  Lucenzio  aufnahm. 

Lange  Zeit  ruhte  Ariosts  dramatische  Tätigkeit.  Zehn 
Jahre  nach  der  Aufführung  von  Ferrara,  im  März  15 19, 
wurden  die  Suppositi  7ai  Rom  vor  Papst  Leo  X.  gespielt*. 
Der  Herr  der  Christenheit  fand  großes  Vergnügen  an  dem 
Stück  und  lachte  sehr  über  die  darin  enthaltenen  Anzüg- 
lichkeiten, auch  die  histicd  6aromaUci  des  Prologs,  d.  h. 
gepfefferte  Wortspiele,  an  denen  nur  manche  der  frem- 
den Gäste  Anstoß  nahmen.  Der  Beifall,  den  zu  Rom  die 
Suppositi  fanden,  veranlaßte  bald  darauf  den  jungen 
Federigo  Gonzaga  von  Mantua,  den  Dichter  um  sein  frü- 
heres Lustspiel  anzugehen,  bei  dessen  erster  Aufführung 
der  Bfarchese  noch  ein  Kind  gewesen  war.  Ariost  schickte 
ihm  die  Cassana  mit  einem  noch  erhaltenen  Brief  vom 
6.  Juni  15x9. 

Wie  Ludo^cos  Komödien  eingeschätzt  wurden,  zeigte 
um  die  Jahreswende  eine  —  durch  Galasso  Ariosto,  des 

Dichters  Bruder  —  übermittelte  Nachfrage  des  Papstes 
*  VgL  IV.  Band,  Anhang:  Zur  römischen  Aufführung  der  „Suppositi". 


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EINLEITUNG 


CV 


nach  einem  neuen  Stück  für  den  Karneval  von  1520. 
„Solches  Gewicht  hatte  der  in  Euer  Heiligkeit  Namen 
mir  gewordene  Auftrag"  —  schrdbt  Ariost  am  x6.  Januar 
an  Leo  X.  —  ,,daß  ich  in  zw&  t»8  drei  Tagen  beendigte, 
was  ich  in  den  zehn  Jahren,  seit  die  erste  Idee  mir  auf- 
stieg, nicht  ausgeführt  habe."  So  lange  also  hatte  er  sich 
mit  der  Komödie  getragen,  die  jetzt  nach  Rom  wanderte 
—  aber  nicht  aufgeführt  wurde,  vielleicht  weU  Leo  doch 
die  darin  befindlichen  Ausfälle  auf  den  Ablaßhandel  Übel 
vermerkte.  An  dem  bedenklichen  Stoff  wird  er  kaum 
Anstoß  genommen  haben. 

Dieses  dritte  Lustspiel,  Der  Nekromant,  zeigt  eine  ver- 
änderte äußere  Form:  Verse  statt  der  früher  gebrauchten 
Prosa.  Durch  die  gebundene  Form  wird  das  Ganze  in  eine 
höhere  Sphäre  gehoben,  zugleicli  aber  gestattet  die  be- 
queme Handhabung  des  endecasillabo  sdrucciolo,  des  elf- 
silbigen  Gleitverses*,  ungefähr  die  gleiche  freie  Bewegung 
wie  die  Prosa.  Wenn  manche,  wie  z.  B.  späterhin  Federigo 
Gonzaga,  statt  des  Verses  in  Ariosts  Komödien  lieber 

•  „Ein  von  ihm  eigens  erfundener  fünffüßiger  Jambus  mit  gleiten- 
dem Ausgang",  sagt  Paul  Heyse  (Satiren,  übersetzt  von  Gildemeister, 
Vorwort  S.  VI):  das  ist  nur  insofern  richtig,  als  es  den  reimlosen 
sdrucciolo  betritffc,  denn  dieBer  Veis  vnif  in  XcTsinen  gebunden»  bereits 
in  Eklogen  und  andern  Dichtungen  vorhanden.  Einen  solchen  endecnsU- 
lAbo  cdruedolo  haben  vdt  bei  Goettie: 

Sehnsucht  ins  Feme,  Künft'ge  zu  verflüchtigen. 
Beschäftige  dich  heut  und  hier  im  Tfichtigen; 

bei  Bodenstedt: 

Wir  suchpn  allebcide  gern  durch  Predigen 
Uns  überflüssiger  Weisheit  zu  entledigen; 

auch  bei  Paul  Heyse: 

Da  mußte  man  ihn  sehen,  wenn  er  toastete, 

Vfi»  in  dar  Scheide  nie  das  Schwert  ihm  rostete, 

Und  wenn  in  deutschem  Schanmirrfn,  der  nichts  kostete. . . 


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CVI 


EINLEITUNG 


die  ungebundene  Form  festgehalten  gesehen  hätten,  so 
bheb  der  Autor  bei  seiner  Ansicht,  daß  seine  Lustspiele 
,,so  besser  seien  als  in  Prosa"  (Brief  an  Federigo  Gonzaga 
vom  25.  März  1532).  Künstlerische  Einkleidung  war  ihm 
eben  Bedürinis,  auch  bei  Stoffen  aus  der  niederen  Alltag- 
lichkeit. 

Zur  Aufführung  gelangte  der  «»Nekromant"  erst  später 
in  Ferrara;  wahrscheinlich  im  Kameval  1530.  Durch 
Kraft  und  Kühnheit  der  Gestaltung  ragt  diese  Komödie 
entschieden  über  die  Vorgänger  empor.  Einzelheiten  smd 
allerdings  sehr  heikel  und  würden  auf  der  Bühne  unserer 
Zeit  undenkbar  sein,  wie  eigentlich  schon  die  ganze  Vor- 
aussetzung, auf  der  das  Stück  beruht. 

Noch  rücksichtsloser  im  Aufdecken  von  Gebrechen 
seiner  Zeit  finden  wir  Ariost  in  ,,Lena,  die  Kupplerin" 
(La  Lena):  ein  Hauch  von  Wirklichkeit,  allerdings  keines- 
wegs ein  erfreuHcher,  weht  uns  hier  wie  aus  keinem  andern 
Stück  des  Dichters  entgegen.  Nirgends  erscheint  er  so 
,,naturaHstisch*'  wie  hier,  nirgends  verrät  sich  so  eine  bei- 
nahe moderne  Betrachtung  wie  Behandlung  der  Dinge. 
Der  sonst  meist  so  Milde,  Nachsichtige  erscheint  in  seinem 
Verweilen  beim  HäBhchen,  Abschreckenden  manchmal 
fast  geradezu  als  Schwarzseher  mid  Pessimist,  bis  schließ- 
lich doch  noch  zu  einer  befriedigenden  Lösung  abge- 
schwenkt wird  und  das  Ganze  in  Heiterkeit  endet.  Das 
Stück  ist,  wie  Gardner  es  kennzeichnet,  „zweifellos  eine 
genaue  Studie  des  niederen  Lebens  in  Ferrara  während  der 
zwanziger  Jahre  des  Cinquecento.  Es  ist  voll  von  kleinen 

Nach  Gardners  Ansicht  fiind  Ariost  mit  dt-m  sdrucciolo  „die  goldene 
Mitte  zwischen  Poesie  und  Prosa,  indem  er  durch  meisterhaite  Hand- 
babwig  und  VarUerung  desselben  die  Sprache  sebier  KbmMien  Aber 
die  Plattheit  der  letzteren  erhob  und  sie  vor  der  Unecfatheit  der  ersteren 

(im  Dialog)  bewahrte".  In  der  deutschen  Übertragung  mußte  natür- 
üch  die  gleitende  Silbe  fallen,  so  daß  sich  der  steigende  fünftaktige  Vers 
(fünffüßiger  Jambus)  ergab,  der  im  tiöheren  Drama  auch  bei  uns  üblich  ist. 


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EINLEITUNG 


CVIl 


Abschriften  aus  den  täglichen  Szenen  des  Stadtlebens.  Wir 
hören  von  Verfügungen  gegen  den  Luxus,  von  Jagd- 
gesetzen, jüdischen  Geldverleihem  und  Verderbnis  der  Ver- 
wattung.  Selbst  die  Dien»  des  Prinzen  Don  Ercole  lassen 
sich  durch  Getränke  und  Profit  bestechen.  Die  Gesetze 
bestehen,  aber  der  Podestä  erhöht  nach  eigenem  Gutdünken 
die  Strafen,  je  nach  den  Mittehi  des  Schnldigen,  nicht  nach 
den  Vorschriften  und  nicht  im  Verhältnis  zum  begangenen 
Fehler.  Was  hilft  AppeU  an  den  Podestä,  die  Sekretäre, 
den  Herzog  selbst  ?  Seine  Exzellenz  wird  den  Klagenden 
einfach  an  den  Podest ä  zurückverweisen.  Sie,  die  etwaige 
Übeltäter  ergreifen  sollen,  plündern  selbst,  und  die  Beamten, 
sogar  der  Podestä,  sind  den  Gewinn  zu  teilen  bereit.  Solche 
Sprache  durfte  der  Dichter  in  Gegenwart  des  Herzogs 
führen  I" 

Die  nächste  Tätigkeit  Aiiosts  auf  dem  dramatischen 
Gebiet  bestand  in  einer  Um  formung  seiner  beiden  ersten 
Komödien  aus  der  Prosa  in  den  sdrucciolo,  um  sie  in  Ein- 
klang mit  den  späteren  zu  setzen  vaid  zu  vervollkommnen, 
sogar  nach  Seite  der  Charakteristik,  wie  eine  Vergleichung 
der  neuen  Gestalt  mit  der  anfängUchen  erkennen  läßt;  es 
findet  sich  außerdem  die  Einführung  einer  neuen  Figur  in 
die  Cassaria,  der  Stamma,  die  der  Figur  des  Kupplers  noch 
mehr  Relief  verleiht.  Auch  ist  dort  —  aus  Versrücksichten 
—  Sybaris  an  die  Stelle  von  Ms^tilene  getreten. 

In  der  neuen  Gestalt  wurde  die  Cassofia  im  Karneval 
1531  zu  Ferrara  aufgeführt,  mit  ungeheurem  Erfolg.  Der 
Autor  selbst,  so  hdren  wir,  hatte  die  Szenerie  gezeichnet; 
er  trug  auch  den  Prolog  vor.  Im  Karneval  des  nächsten 
Jahres,  Februar  1532,  wirkte  er  noch  einmal  als  Intendant 
bei  Aufführung  einer  Komödie  des  Ruzzante  sowie  seiner 
eigenen  Cassaria.  Es  war  sein  Abschied  von  der  Bühne, 
die  ihm  so  sehr  am  Herzen  lag;  bald  darauf  brannte  sie 
ab,  und  Ludovicos  eigenes  Ende  nahte  heran. 


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CVIII 


EINLEITUNG 


Die  Nachfrage  nach  ariostischen  Lustspielen  mehrte 
sich.  Vor  Weihnachten  1532  wandte  sich  der  Erbprinz  von 
Urbino,  Guidobaldo  della  Rovere,  an  Ariosto  mit  dem 
Wunsch,  ein  noch  niemals  an^führtes  Stück  zu  erhalten. 
Der  Dichter  entschuldigt  sich  in  einem  Brief  vom  17.  De- 
zember: „Euer  Exzellenz  muß  wissen,  dafi  ich  nur  vier  Ko- 
mödien schrieb;  von  diesen  wurden  mir  zwei,  die  Suppo- 
siÜ  und  die  Cßssana,  vor  zwanzig  Jahren,  als  sie  in  Ferrara 
aufgeführt  wurden,  durch  die  Schauspieler  gestohlen  und 
zu  meinem  großen  Mißvergnügen  gedruckt.  Dann  nahm 
ich  —  vor  etwa  drei  Jahren  —  die  Cassaria  wieder  auf, 
änderte  sie  fast  vollständig  und  schrieb  sie  um  und  erweiterte 
sie  auch  in  der  Form,  in  der  Herr  Marco  Euer  Exzellenz 
eine  Abschrift  sandte;  in  dieser  neuen  Form  wurde  das 
Stück  hier  aufgeführt  und  nirgendwo  sonst.  Die  beiden 
andern,  die  Lena  und  der  Nekromant,  wurden,  soviel  ich 
weiß,  nur  in  dieser  Stadt  dargestellt.  Andere  Komödien 
besitze  ich  nicht.  Allerdings  begaim  ich  vor  vielen  Jahren 
eine,  die  ich  ,,Die  Studenten"  benannte;  doch  bei  meinen 
vielen  Beschäftigungen  habe  ich  sie  nie  beenden  können  . 

Das  erwähnte  Werk,  die  „Scholastika"  —  so  wird  es 
jetzt  genannt  —  wurde  nie  von  seinem  Autor  zu  Ende  ge- 
führt. Virginio  Ariosto  wandte  sich  nach  des  Vaters  Tod  ver- 
gebens zur  Fortsetzung  an  Giulio  Guarini  von  Modena  und 
ergänzte  die  väterliche  Komödie  dann  selbst.  Er  nannte 
sie  bescheiden  Die  „Unvollkommene"  (La  ImperfeUa). 
Hiervon  ist  alles  bis  auf  den  Prolog  verlorengegangen. 
Wir  besitzen  dagegen  eine  —  „etwa  zwischen  1543  und 
1548"  (Gardner)  angefertigte  —  Ergänzung  durch  Gabriel 
Ariosto,  der  mit  ihr  einem  Auftrag  des  Herzogs  Ercole  II. 
entsprach.  Er  nannte  das  Stück  La  Scolastica,  d.  h.  die 
Scliolarenkomödie,  weil  ja  darin  ein  Stück  Universitäts- 
leben jener  Zeit  zum  Ausdruck  kommt.  Die  Fortsetzung 
muß  als  gelungen  bezeichnet  werden;  Gabriel  hat  sich 


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EINLEITUNG 


CIX 


in  Stil  und  Ton  seines  großen  Bruders  hineinzuleben  ver- 
standen. Wir  brauchen  nicht  der  Mahnung  im  Prolog  ein- 
gedenk zu  sein,  uns  nichts  merken  zu  lassen,  falls  eine  Ver- 
schiedenheit uns  auffallen  sollte.  Diese  einleitenden  Verse 
Gabriels  sind  —  wenn  auch  der  üblichen  Obszönitäten 
nicht  ennangelnd — geschickt,  und  die  Einkleidung  in  eine 
Vision,  die  den  toten  Dichter  erscheinen  und  ihn  selbst 
das  Werk  beenden  läfit,  ist  hübsch  und  eindrucksvoll. 
Schalkhaft  schließt  er: 

Dfinkt  euch  der  angefügte  Stil  zuweilen 
Atmddiend,  haltet  solchet  nicht  fOr  sdtMin: 
Die  Toten  dnd  von  Lebenden  verschiedenl 

Gabriel  dachte  bei  seiner  ganzen  Einkleidung  wohl  an 
die  bekannte  Überlieferung,  daß  Dante  nach  seinem  Tode 
dem  Sohn  im  Traum  erschienen  sei  und  ihm  den  Platz,  wo 
die  fehlenden  Gesänge  des   Paradiso"  lagen,  gezeigt  habe. 

Die  satirische  Geißel  wird  in  der  Scolastica  nicht  so  un- 
barmlierzig  geschwungen  wie  in  den  beiden  vorhergehen- 
den Stücken,  erscheint  aber  doch  gelegentlich,  wie  z.  B. 
im  dritten  Akt  (und  IV,  4),  wo  ein  Dominikanermönch 
dem  Bartolo  Ablaß  dafür  erteilt,  daß  er  des  verstorbenen 
Gentile  Geld  für  sich  behalte,  ohne  die  übernommene  Pflicht 
zu  erfüllen.  Die  kulturhistorische  Ausbeute,  die  wir  aus  den 
mannigfachen  Därstellungen  des  ferraresischen  Lebens 
jener  Zeit  gewinnen,  ist  wieder  bedeutend. 

Fragen  wir  nach  der  Wirkung,  die  Ariosts  Komödien 
auf  uns  ausüben,  so  werden  wir  uns  in  erster  Linie 
an  der  Lebendigkeit  seines  Dialoges,  namentlich  in  den 
späteren  Stücken,  erfreuen  und  an  den  zahlreichen  witzigen 
l^nfiillen,  die  uns  aus  den  munteren  Versen  entgegaolachen, 
wenn  es  auch  zumeist  Wortwitze  sind,  wie  die  puns,  an 
denen  der  jugendliche  Shakespeare  sein  Vergnügen  fand. 
Von  einer  dramatischen  Sprache  und  dramatischer  Ent- 
wicklung im  Sinne  dieses  Meisters  ist  freilich  keine  Rede. 


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cx 


EINLEITUNG 


Für  den  Mangel  an  wahrhaft  dramatischem  Leben  ent- 
schädigen uns  viele  Einzelschönheiten;  die  Kunst,  den 
jedesmaligen  Vorwurf  fein  auszugestalten,  treffen  wir  hier 
nicht  minder  als  in  der  unsterblichen  Epopöe;  wir  werden 
darüber  wegsehen,  daß  manchmal  der  Fortschritt  der 
dramatischen  Handlung,  die  rasch  „wie  nackte  Füße  auf 
glühendem  Eisea"  vorandrängen  sollte,  aufgehalten  wird. 

Die  Bewahrung  der  drei  Einheiten  mußte  bei  einem 
Schüler  der  Alten  selbstverständlich  sein.  So  dürfen  wir 
uns  nicht  wundem,  wenn  die  vertrautesten  Dinge  auf  der 
Straße  geschehen,  zwischen  den  Häusern  der  Beteiligten 
die  ganze  Handlung  vor  sich  geht.  Wie  bequem  eme 
solche  Szenerie  war,  hat  bereits  Gaspary"^  hervoigehoben: 
„Hier  konnten  alle  möglichen  Personen,  ohne  schwierige 
Motivierung,  kommen  und  gehen.  Sie  konnten  leicht  auf- 
treten, ohne  die  Abgehenden  zu  sehen  und  auch  ohne 
selbst  von  den  Anwesenden  bemerkt  zu  werden.  Sie 
konnten  auf  der  Straße  selbst,  in  den  Türen,  von  den 
Fenstern,  auch  ungesehen  in  den  Häusern  spreclicn."  Da 
mußte  man  die  Nachteile  schon  mit  in  den  Kauf  nehmen, 
die  vielen  Berichte  über  Vorgänge,  die  wir  gern  vor  uns 
auf  der  Bühne  gesehen  hätten;  auch  die  Monologe. 
Bei  Ahost  indessen  begrüßen  wir  diese  letzteren  von  der 
modernen  Technik  verworfenen**  Hilfemittel,  wenn  sie 

*  Italifniurlin  Literaturgesch.  II,  S.  419. 
Ind«H«ik  hat  ftodi  jetrt  noch  der  Monolog  Verteidiger;  man  hOro 
P.  Heyse: 

Sie  haben 's  auf  dcu  Brettern  streng  verpönt, 
Sein  Herz  in  Selbstgesprächen  zu  entladen; 
Was  Meister  sich  erlaubt  von  Gottes  Gnaden, 
Wird  von  den  Jfingrten  als  vUu»  jtu  verhGhnt. 

tBXt  an  die  slte  Technik  noch  gewohnt, 

Scheint:  die  Natur  kommt  nicht  dabei  an  Schaden, 

Weil,  frei  von  theatralischen  Tiraden, 
„Sein  oder  Nichtsein"  ganz  natürlich  tönt. 

(Prolog  zu  „Waldmonologe  aus  Kreuth'*.) 


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EINLEITUNG 


CXI 


gleich  den  eigentlich  dramatischen  Zwecken  nur  selten 
dienen,  mit  Wohlgefallen :  nirgends  sprudelt  der  Geist  des 
Dichters  reicher  als  hier ;  die  feinen  Bemerkungen,  tiefen 
Gedanken,  prächtigen  Einfälle  jagen  einander.  Daran 
ergötzen  wir  nns  und  sehen  der  Handlung  ihren  verlang- 
samten Schritt  nach. 

Seltsam  wird  manchem  erscheinen,  daß  die  Diener  so 
sehr  im  Vordergrund  stehen,  als  die  eigentlichen  Helden 
des  Stückes,  die  Protagonisten,  durch  Erfindung  und  Ge- 
schick ihre  Herren  überschattend.  Sie  sind  eben  die  Nach- 
kommen unerläßlicher  Gestalten*  der  lateinischen  Komödie. 

Die  weiblichen  Figuren  treten  sehr  zurück:  in  den  drei 
späteren  Stücken  sehen  wir  die  Schönen,  die  doch  eigent- 
Hch  der  Anlaß  für  die  ganze  Intrige  sind  und  nach  iin- 
scrm  Gefühl  im  Mittelpunkt  der  Handlung  stehen  sollten, 
nicht  einmal  auf  der  Bühne;  es  wird  nur  von  ihnen  ge- 
sprochen. ,,Die  Liebe  hat  noch  etwas  von  dem  antiken 
Charakter,  als  bloßes  Begehren  nach  dem  Besitze,  und  die 
Geliebte  ist  kein  selbständiges  Wesen.  Die  Schürzung  imd 
Lösung  des  Knotens  geschieht  mit  äußeren  Mitteln,  und 
dem  Zufall  ist  ein  weiter  Spielraum  gewährt"  (Gaspary). 

•  Stammvater  der  ,, verschmitzten  Diener"  in  den  griechischen,  latei- 
nischen, spanischen,  französischen  Komödien  usw.  ist  der  Sklave  Daos 
des  griechisclien  Dichters  Menauder  in  dessen  Komödie  „Der  Land- 
maan"  (411  vor  Chr.)  Alfred  KQrte  nennt  diesen  Daos  eine  ftacht- 
figur,  einen  Liebüngstypus  des  hellenischen  Poeten  —  „Auf  einem 
hellenistischen  Reliefbild  ist  Menander  dargestellt  mit  drei  Masken  vor 
sich,  der  eines  JüngUngs,  der  eines  Mädchens  und  der  eines  listigen 
Sklaven.  Das  waren  also  die  Figuren,  die  für  ihn  besonders  charak- 
teristisch schienen:  das  Uebe^sar  nnd  der  venchmitste  Sklave,  der 
meist  der  eigentliche  Leiter  der  Intrige  ist.  Wir  kennen  diese 
frechen,  ergötrlichen  Burschen  zur  Genüge  aus  Plautws  und  Terenz, 
bei  Calderon  fehlen  sie  nie,  in  Moretos  „Donna  Diana"  spielt  ein  sol- 
dier  IHener  Perin  die  Hauptrolle,  in  Leisings  Jagendlustspielen  kdurt 
der  alte  Typns  fast  nnverindert  vrieder,  nnd  in  BeanmarpJiais*  „Figaro^' 
hat  er  seine  feinste  moderne  Ausprägung  gefunden  (,, Menander  im 
Lichte  neuerer  Fände",  D.  Rundschaa,  Mirs  1904,  S.  300). 


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CXII 


EINLEITUNG 


Wenn  auch  eine  vertiefte  Charakteristik,  wie  wir  sie 
heutzutage  im  Drama  beanspruchen,  in  den  Komödien 
nicht  gerade  des  Autors  starke  Seite  ist,  so  zeigt  er  sich 
doch  als  Kenner  der  menschlichen  Leidenschaften  und  weiß 
sie  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Sein  Schmarotzer  Pasifilo  — 
eigentlich  die  aus  dem  Altertum  herübergenommene  Figur 
des  Parasiten  —  verkörpert  nicht  nur  seinen  Typus,  er 
gelangt  durch  tausend  individuelle  Züge  zum  Leben; 
ebenso  seine  Lena,  die  Kupplerin,  und  sein  Nekromant, 
dessen  Prahlereien,  mit  seinen  Geisterbeschwörungen  den 
Tag  verdunkdn,  sich  unsichtbar  machen,  Menschen  in 
Tiere  verwandeln  zu  können,  nur  ein  Anhängeschild  smd*, 
während  er  in  Wahrheit  die  Ausbeutung  unglücklicher 
und  leidenschaftlicher  Liebenden,  eigenwilliger  Väter  usw. 
betreibt. 

Den  Zeitgenossen  —  und  darauf  den  Nachkommen  — 
galt  Ariost  als  vornehmster  Dichter  auch  auf  dem  drama- 
tischen Gebiet,  trotz  MachiavelH,  der  ihn  an  vis  comica 
und  Neuheit  der  Charaktert3'pen  übertrifft.  Polidori  in 
seiner  Ausgabe  der  Opere  minori  (Florenz  1857,  S.  115) 
zitiert  zu  Virginios  Äußerung  im  Prolog  zu  der  un- 
vollendeten Scolastica  (,,Ariosto  einzig  in  der  ganzen 
Welt  zu  unsem  Zeiten")  den  Florentiner  Giovammaria 
Cecchi,  der  im  Prolog  zu  seiner  Komödie  Die  Rivalen 
schreibt: 

El  divino  Ariosto  a  cht  cedono 

Creci,  Latini  s  Toscani,  tuUi  i  cotnici, 

„der  göttliche  Ariost,  vor  dem  Griechen,  Lateiner  und 
Toskaner,  alle  KomÖdienschreiber  zurückstehen".  „Das 
auffälligste  Lob'*,  fährt  Polidori  fort,  „seitens  derer,  die 
den  Lebenden  kannten",  ward  ihm  —  so  scheint  uns 
—  von  einem  als  Übelredner  berüchtigten  Mann,  seinem 

•  Vgl.  Burckhardt,  Kultur  der  Renaissance  IT,  287 — 28S,  Über  die 
Wichtigkeit  der  geheimen,  zu  persönlichen  Zweclcen  angewandten  Magie. 


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EINLEITUNG 


CXIII 


Nebenbuhler  in  der  Kunst,  jener  Geißel  nicht  sowohl  der 
Fürsten  als  der  Literatur,  die  er  tadelt,  Pietro  Aretino, 
gezollt.  In  der  Cortigiana  fragt  einer  der  Prologsprecher, 
von  wem  die  Komödie  sei,  vielleicht  von  Ariost  ?  Darauf 
erwidert  der  andere:  ,.0  weh,  daß  Ariost  in  den  Himmel 
ging,  weil  er  auf  Erden  keinen  größeren  Ruhm  nötig 
hatte!"  Der  erste  bestätigt  nachher;  ,, Schade  für  die  Welt 
um  solchen  Mann,  der,  abgesehen  von  seiner  Trefflichkeit, 
die  Güte  selbst  war!*' 

Hinsichtlich  des  Stils  hebt  Polidori  den  Fortschritt  her- 
vor von  der  Prosa  zu  den  Verskomödien,  die  elegante 
„Spontaneität''  der  Verse,  die  Ktmst  des  Ausdrucks,  die 
doch  von  Rhetorik  weit  entfernt  ist,  „so  daß  im  Herzen 
der  Wunsch  sich  r^:  hatten  die  Italiener  doch  niemals 
die  metrische  Form  in  ihren  dramatischen  Erzeugnissen 
aufgegeben!" 

XI 
RIME 

Elegien,  Capitoli,  Ekloge,  Kanzouen,  Sonette, 

Madrigale 

„Unflbenetsbw  dftnkt  mich  das  Lyrische,  ist  doch  der 

All"- druck 

Hier  mit  des  Dichters  Gemftt  Us  in  das  Kleinste  ge- 

tränkt"  — 

Wenig  ermutigend  klingt  dieser  Geibelsche  Satz  für  den 
Vermittler  von  Ariosts  Lyrik.  In  der  Tat  ist  die  Aufgabe 
domig.  Wenn  unsere  Armut  an  Reimen  nach  A.  W.  von 
Schlägel  derart  ist,  „daß  sie  einem  Übersetzer  des  Rasen- 
den Roland,  der  nicht  eher  loskommen  sollte,  als  bis  er 
fertig  wäre,  Flüche  und  Verwünschungen  abringen  könnte, 
wie  die  Verdammten  sie  ausstoßen",  was  soll  man  dann 
von  der  Kanzonen-  und  Sonettenform  sagen?  —  Zum 


Ariost  I 


VIII 


cx^^■ 


r  T  X  T,  r  T  T  T'  X  G 


Glück  ist  Ariosts  Lyrik  überwiegend  Gedankeii*,  Verstandes- 
poesie, der  vielleicht  in  so  schwieriger  Form  eher  beisu- 
kommen  ist  als  dem  zarten  Duft  des  Gemütes. 

Wer  an  diese  Gedichte  etwa  mit  der  Erwartung  heran- 
treten sollte,  in  ihnen  den  Inlialt  und  die  Formgebung 
unserer  dcutsclien  Lyrik  wiederzufinden,  dürfte  sich  ent- 
täuscht sehen.  Wir  verlangen  vom  Lyriker,  daß  in  seinen 
Versen  sein  Herzschlag  uns  vemchmHcli  werde:  was  in 
der  Weihestunde  des  Musenkusses  seme  Seele  bewegte,  soll 
in  der  unsem  nachzittemd  uns  seines  inneren  Lebens  teil- 
haftig machen*.  Also  ein  ernstes  Empfinden  ist  die  erste 
Anforderung  nach  der  Seite  des  Inhaltes ;  ihm  muß  femer 
nach  nnsem  Anschauungen,  damit  die  rechte  Wirkung  er- 
zielt werde,  eine  dem  Gegenstand,  der  Stimmung  wohlan- 
gepaßte Form  entsprechen.  Unter  unzahligen  Vers-  und 
Strophenarten  mu6  die  angemessene  herausgesucht  oder 
ganz  neu  im  Hinblick  auf  die  Ziele  des  Dichters  erfunden, 
gebildet  werden,  in  langen  oder  kurzen  Versen,  einfach  oder 
verschlungen  usw.  Solche  Erwagimgen  lagen  in  Italien 
den  Dichtem  des  Cinquecento  ganzlich  feme:  für  die  Lyrik 
war  im  wesentlichen  einmal  der  Stoff  gegeben,  durch  das 
Vorbild  Petrarcas.  In  der  Nachahmung  dieses  Vielbewun- 
derten ging  die  ganze  Gefühlspoesie  jener  Zeit  auf;  der 
durch  ihn  eingeführte  platonische  Frauenknltus  galt  so 
ziemlich  als  das  einzig  denkbare  Thema,  das  lyrisch 


•  Kunstgebildo,  die  dem  Kopfe,  nicl)t  zugleich  der  bewegten  Seele 
entsprangen,  pflegen  uns  kalt  zu  lassen,  auch  wenn  virtuos  gestaltet; 
sie  liefert  der  „Macher**,  nicht  der  HenensfcBndiger,  den  wir  finden 
wollen,  wenn  vrix  VerM  war  Hand  nehmen.  „Innerlichkeit!"  tönt  der 

große  Mahnruf  im<5erer  Gegenwart  (er  ist,  scheint  es,  noch  nicht  ge- 
nügend beiolgt  worden:  ein  feinsinniger  Poet,  Theodor  Birt,  klagt: 

Was  sollen  mir  die  Chöre 
Der  Dichter  um  mich  her? 
Die  meisten  sind  Faiseure 
Und  ihre  Verse  leer). 


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EINLEITUNG 


CXV 


behandelt  werden  konnte.  Nur  ganz  wenige  Poeten  — 
im  Quattrocento  vor  allem  der  große  Mediceer,  Lorenzo 
il  Magnifico  —  entzogen  sich  dieser  Norm. 

Wie  der  Stoff,  war  auch  die  Form  sozusagen  festgelegt, 
das  herrschende  Versmaß  in  epischen  Dichtungen  wie  in 
der  Lyrik  der  EndecasMabo  (der  fünffüßige  Jambus),  für 
jene  poetischen  Gattungen  zur  achtzeiligen  Stanze,  der 
Ottava,  verbunden,  für  diese  zur  terza  rima  und  zum 
Sonett.  Auch  die  Kanzone  mit  ihren  meist  langen  Stro- 
phen und  kunstvollen  Reimverschlingungen  wies  diesen 
EUsilbler  auf,  veigdnnte  jedoch  gleichzeitig  einem  kür- 
zeren Vers  von  sieben  Silben  einen  gewissen  Spelraum. 

Für  alle  denkbaren  Eigüsse  einer  Dichterseele  auf  eine 
einzige  Versart  angewiesen  zu  sem,  muß  uns  in  der  Tat  als 
eine  arge  Einengung  erscheinen.  Wo  bleibt  da  die  Freiheit 
der  Bewegung,  die  für  die  gestaltende  Tätigkeit  doch  un- 
erläßlich ist  ?  Erfordern  nicht  die  tausendfach  verschie- 
denen leisen  Regungen  des  Innern  ebenso  viele  verschie- 
dene Maße  und  Rhythmen,  um  den  Weg  zu  uns  zu  finden  ? 
—  Ganz  gewiß,  für  das,  was  wir  heutzutage  unter  L^Tik 
verstehen.  Was  aus  den  Tiefen  der  Empfindung  quillt, 
schaffe  sich  —  so  wollen  wir  es  —  die  eigene,  besondere 
Form! 

Hier  ist  der  Punkt,  wo  unsere  Auffassung  vom  Poetischen 
zu  der  des  italienischen  Cinquecento  in  fühlbarem  Gegen- 
satze steht.  Die  Gebildeten  jener  Zeit  —  und  nur  für  solche 
schrieben  die  Dichter,  Ariost  an  der  Spitze  —  waren  in 
der  logischen  Schulung  altrdmischer  Poeten  herange- 
wachsen und  suchten  im  Gedicht,  auch  dem  lyrischen, 
nichts  anderes  als  intellektuelle  Ergotzung:  klare  Gedan- 
ken, fein  abgewogene  Verhältnisse,  geistreiche  Diktion, 
kurz,  in  allererster  Linie  Schönheit  der  Form.  Wenn 
der  Trank  der  Poesie  geboten  wurde,  war  die  oberste  Er- 
fordernis, daß  er  in  herrlich  geschhffener  künstlerischer 

VIII* 


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CXVI 


EINLEITUNG 


Schale  kredenzt  werde.  Die  Offenbarung  eines  Seelen- 
zustandes  vom  Dichter  zu  empfangen,  diesen  Anspruch  er- 
hob niemand.  Nicht  mit  dem  I(  h  des  Autors  wollte  man 
e,s  zu  tun  haben,  sondern  mit  seiner  Kunstfertigkeit;  sie 
mußte,  ohne  sich  einen  besondeni  Boden  durch  Auswahl 
eigener  Form  bereitet  zu  haben,  gleichsam  auf  neutralem 
Felde  sich  bewähren,  in  der  hergebrachten  \'ersart,  die 
für  alle  Zwecke,  für  hoben  und  niedem  Ton.  als  die 
gegebene  galt. 

Mit  dieser  Erwägimg  —  daß  der  Subjektivität  des 
Schaffenden  keinerlei  Zugeständnis  gemacht  wurde  und 
Stoffe  und  Form,  mit  denen  er  zu  gestalten  hatte,  ab- 
gegrenzt für  ihn  bereit  lagen  —  soll  man  Ariosts  Rime 
lesen;  dann  wird  man  staunen,  wieviel  Eigenartiges, 
Persönfiches,  IndividueDes  auch  hier  trotz  ungünstiger 
einengender  Umstände  sich  kundgibt. 

Auch  auf  dem  Gebiete  der  Lyrik  war  Ludovico,  wie 
wir  gesehen  haben,  zunächst  ein  Schüler  der  rdmischen 
Dichter  gewesen. 

Das  erste  Gedicht  in  der  Muttersprache  war  ein  Klage- 
poem auf  den  am  ii.  Oktober  1493  erfolgten  Tod  der  Her- 
zogin Leonora  von  Aragon,  Gemahlin  Ercoles  I.  von  Fer- 
rara,  im  Stil  Petrarcas,  an  dessen  Trionfo  della  Morte  sich 
unverkennbare  Anklänge  finden.  Aufrichtige  Anhänghch- 
keit  an  die  edle  Fürstin  läßt  den  jugendhchcn  Poeten  — 
bei  aller  Nachahmung  und  manchen  aus  ihr  entspringen- 
den Floskeln  —  bereits  wirkungsvollen  Schwimg  finden 
und  eine  Kraft,  die  uns  überrascht.  Ariost  schrieb  das 
Poem  in  Terzinen;  ebenso  die  meisten  andern  seiner 
größeren  Gedichte,  die  Elegien  und  CapUoU.  Diese  bei- 
den Gattungen  sind  kaum  vonemander  geschieden*  und 

♦  Auch  gehen  die  Bezeichnungen  in  den  verschiedenen  Ausgaben 
durcheioander.  So  hat  die  Ausgabe  Ü(>cre  di  L.Ariosto  (Trieste  1857), 
der  iioMre  Aiuvdoung  folgt,  das  Gedicht  ,^om  i  al  fin"  als  erstes 


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EINLEITUNG 


CXVIl 


nur  zum  Teil  lyrischen  Gehaltes:  vielfach  überwiegt  Be- 
trachtung, manchmal  mit  didaktischem  und  satirischem 
Charakter.  So  findet  sich  die  Abwehr  der  Neugierigen 
(Deila  mia  negra  penna)  unter  den  Elegien  (Nr.  II). 
Hoher  und  niederer  Ton  wechseln  in  beiden  Gattungen 
miteinander;  jeder  Stimmung  werden  seine  virtuosen 
Terzinen  gerecht*. 

Die  Eli^e«  deren  Name  der  lateinischen  Literatur  ent- 
nommen wurde,  hat  im  Italienischen  ihr  Gebiet  merklich 
erweitert  und  wird  für  jede  poetische  Komposition  nicht- 
epischen und  nichtdramatisdien  Charakters  angewendet. 
Ebenso  das  Capüolo  (der  Name  soll  von  Lorenzo  ü 
Magnifico  herrühren,  dessen  satirisches  Gedicht  Beoni  in 
neun  Kapitel  gegliedert  war ;  in  den  Ariostausgaben  herrscht 
Verwirrung:  hier  erscheint  ein  Gedicht  als  Elegie,  dort 
als  CapUdo,  und  umgekehrt):  Satiren,  Idyllen,  Oden, 
Burlesken,  moralische  Betrachtimgen,  lyrische  Ergüsse 
aller  Art  gehen  unter  diesem  Titel. 

Außer  dem  Klagelied  auf  Herzogin  Lconora  gehörten 
jener  ersten  Schaffensperiode  noch  „heitere  Dichtungen'* 
{amorose  temprc),  deren  er  im  Trauergesang  gedenkt  und 
die  verlorengegangen  zu  sein  scheinen,  sowie  einige  leicht 
gezimmerte  andere  Elegien  und  Capitoli  an. 

Neben  antikem  Einfluß  verrät  sich  das  Vorbild  Petrarcas 
in  Bildern  und  Wendungen.  Frisch  und  frech,  wie  in 
den  gleichzeitigen  lateinischen  Carmina,  besingt  er  Venus 

Capüolo;  wihrend  die  Opwe  minori,  fer  cwra  di  PcHdaH  (Firense,  Lo 
Mäanier,  1857)  dasselbe  sds  5.  Elegie  bringen.  Der  neuen  Ausgabe  der 

Opcre  minori  (Firenze  1894)  habe  ich  nicht  habhaft  werden  können. 
Eine  persönliche  Anfrage  beim  Verleger  Le  Monnier  in  Florenz  ergab,  daß 
sie  esaurUo,  erschöpft,  vergriffen  sei;  auf  den  Bibliotheken  von  Güt- 
tingen» Berlin,  Wien  trar  sie  nicht  sn  finden. 

*  In  der  Obersetzung  ist  der  Ven  und  die  Dreiteilung  beibehalten, 
dagegen  aus  den  S.  CXXXI  genannten  Gründen  die  verschlungene 
Reimstellung,  die  im  Deutschen  den  Terzinen  einen  hochtrabenden 
Charakter  gibt,  aufgegeben,  die  Stropheniormi  somit  vereiniacht  worden. 


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CXVIII 


EINLEITUNG 


Cypria,  und  nach  dem  Vorgang  CatnUs  und  Ovids  ver- 
kündet er  den  Grcai,dsatz: 

Ich  lieb'  in  dunklen  und  in  weißen  Haaren 
Und  mahn',  ohn  End«  Liebe  sa  bewabren; 
Und  wird,  da0  Lieb'  erlischt,  mir  einst  bewußt, 
Erlfiecbe  auch  das  Leben  meiner  Brost I 

Der  junge  Diditer,  wiewohl  noch  zuweilen  in  den  Ban- 
den der  Rhetorik  befangen,  zeigt  bereits  Phantasie, 
Schwung  der  Diktion  und  überraschend  sichere  Hand- 
habung poetischer  Mittel. 

Eine  Sonderstellung  nimmt  die  sogenannte  ,,Ekloge,  ein 
historisches  Gedicht  [Egloga.  Poenietto  siorico),  ein.  Die  dra- 
matische Form  der  Ekloge  war  namentlich  von  Bojardo  ge- 
braucht worden.  Ariost  hat  in  ihr  nur  diese  eine  in  Terzinen 
abgefaßte  Komposition  hinterlassen,  von  der  zuerst  37  Verse 
im  Jahre  1807  von  Baruffaldi  veröffentlicht  wurden.  Die 
ganze  Dichtung  erschien  1820  im  ersten  Band  der  Nuova 
coUezione  cTopuscoH  des  Francesco  Inghirami  und  wurde 
1824  von  Mdini  in  den  Poesie  varie  di  L.  Ariosto  neu  ge- 
druckt. Gegenstand  ist — in  pastoraler  Einkleidung — eine 
bereits  erwähnte  traurig  berühmte  Familientragödie  im 
Hause  Este,  die  sich  nach  dem  Tode  des  Herzogs  Ercole 
und  der  Thronbesteigung  Alfonsos  I.  in  den  Jahren  1505 
und  1506  abspielte.  Der  Kardinal  Ippolito  hatte  aus  Eifer- 
sucht gegen  seinen  Halbbruder  Giulio,  der  mehr  als  er  der 
schönen  Angela  Borgia  gefiel,  diesen  in  seiner  Gegenwart 
nahezu  völlig  blenden  lassen.  Giulio  verband  sich  darauf 
mit  Ferrante,  Ercoles  zweitem  legitimen  Sohn,  und  noch 
vier  Personen  am  Hofe  von  Ferrara  zur  Beseitigung  Al- 
fonsos und  Ippolitos;  aber  der  Anschlag  schlug  fehl.  Beide 
wurden  zum  Tode  verurteilt,  dann  zu  ewigem  Kerker  be- 
gnadigt. Giulio  starb  als  Gefangener  1540;  Ferrante,  auf 
Ippolitos  Betreiben  geblendet,  erhielt  später  als  Blinder 
die  Freiheit. 


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EINLEITUNG 


CXIX 


AutfaUend  ist  der  Unterschied  der  hier  in  der  Ekloge 

zutage  tretenden  Auffassung  dieser  fürchterlichen  Ereig- 
nisse gegenüber  der  Haltung,  die  Ariost  später  im  dritten 
Gesang  des  Orlando  zu  ihnen  einnimmt.  In  der  Ekloge 
kann  man  —  trotz  der  Allegorisierung  —  den  peinlichen 
Eindruck  haben,  daß  Unrecht  und  Grausamkeit  beschönigt 
werden.  Letzteres  war  gewiß  nicht  die  Absicht  des  Dich- 
ters, und  Gardner  tut  ihm  unrecht,  wenn  er  die  Ekloge 
„unzweifelhaft  niedrig"  {unmistakably  vile)  nennt*.  Wir 
müssen  uns  vergegenwärtigen,  daß  Ariost  unter  streng 
monarchistischen  Anschauungen  aufgewachsen  war  und  zu 
Urnen  sich  auch  späterhin  bekannte,  wie  frei  er  sich  auch 
über  die  Persönlichkeiten  der  Herrscher,  zumal  in  den  Sa- 
ttren,  änfiert.  Ein  Anschlag  g^gen  das  Staatsoberhaupt 
mußte  ihm  als  das  denkbar  ärgste  Verbrechen  erschemen. 
Nach  dem  Scheitern  jener  Verschwörung  stand  er  vermut- 
lich ganz  unter  dem  Eindruck  der  Darstellung,  wie  sie  von 
den  nächstbeteiligten  Persönlichkeiten  ausging.  Später 
mag  er  zu  anderer  Ansicht  gelangt  sein,  und  freimütig  — 
auf  die  Gefahr  hin,  seinem  Patron  Ippolito  und  dem  tyran- 
nischen Herzog  zu  mißfallen  —  tritt  er  für  die  unglück- 
hchen  Verschwörer  ein  (Ras.  Rol.  3,  60 — 62).  So  erklären 
wir  uns  wohl  am  besten  den  merkwürdigen  Umschwung  in 
des  Dichters  Anschauung.  Wenn  auch  ein  Höfling  und 
nach  der  damaligen  Sitte  Formen  gebrauchend,  die  uns  wie 
Schmeichelei  erscheinen  —  kriechend  und  unaufrichtig  war 
Ariost  niemals.  Die  übermäßigen  Lobhudeleien  an  den 
Kardinal,  denen  wir  in  seinem  großen  Gedicht  begegnen, 
tragen,  wie  wir  sahen,  die  Kennzeichen  scherzhafter  Über- 
treibung, leiser  Ironie.  Das  ist  von  Giosuö  Carducci  über- 
zeugend nachgewiesen  worden. 

Von  den  beiden  Hirten,  deren  Dialog  die  Ekloge  aus- 
macht, hat  man  in  dem  einen,  Tirsi,  der  sich  als  begeisterten 

*  a.  a.  O.  &  49. 


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cxx 


EINLEITUNG 


Bewunderer  der  Licoria  (Lucrezia  Borgia)  kundgibt,  ganz 
richtig  Ariost  selbst  erkannt.  In  der  Art  und  Weise,  wie 

er  Licorias  Hochzeit  mit  Alfenio  schildert,  tritt  uns  der 
Augenzeuge  entgegen,  der  er  ja  war.  Ob  wir  mit  Gardner 
in  dem  anderen,  Meliböus,  den  Dichter  Ercole  Strozzi  sehen 
sollen,  mag  dahingestellt  bleiben.  Die  Deutung  der  übrigen 
im  Gedicht  erwähnten  Persönlichkeiten  findet  der  Leser 
in  den  Anmerkungen*. 

Tiefer  gefärbt  als  die  früheren  Dichtungen,  markiger  im 
Ausdruck  und  vollendeter  in  der  Behandlung  sind  die 
übrigen  Elegien  und  CapUolh  die  wir  sämtlich  einer  spä- 
teren, reiferen  Schaffensperiode  zuzuweisen  haben,  sowie 
die  drei  Kanzonen  und  die  Sonette.  In  den  Kanzonen 
erhebt  sich  Ariost  zuweilen  zu  einer  ungewohnten  Höhe 
des  Pathos,  namentlich  in  der  zweiten  Kanzone  an  Fiüberta 
von  Savoyen,  die  im  Jahre  1516  ihren  Gemahl  Giuliano 
de*  Medid,  Herzog  von  Nemours,  verloren  hatte.  Das  Ge- 
dicht führt  den  Verstorbenen  als  zu  seiner  V^twe  redend 
em  und  enthält  eme  vidbewunderte  ernste  und  begeisterte 
Huldigung  an  edle  Weiblichkeit.  Die  FeierUcfakeit  der 
Stimmung  und  des  Vortrags  erscheint  uns  als  etwas  fast 
Befremdendes  an  unserem  Dichter.  Auch  vermeint  man, 
hier  und  da  zu  spüren,  daß  ein  solcher  Stoff  und  auch  die  ge- 
wählte Form  dem  Genius  des  Dichters  nicht  recht  homogen 
waren.  Es  ist,  als  bewege  er  sich  auf  einem  fremden  Gebiet; 
der  angeschlagene  Ton  klingt  unariostisch. 

Kunstvoll  wie  die  Kanzonen  sind  auch  die  Sonette. 
Sie  lassen  deuthch  die  Schulung  nach  dem  Vorbilde 
Petrarcas  erkennen,  in  der  Gruppienmg  der  Gedanken, 
Ausdrucksweise,  Antithesen,  geistreichen  Wendungen.  Um 

*  Für  die  deutsche  Übertragung  der  Ekloge  schien  ans  den 
S.  CXXXIVff.  genannten  Gründen  eine  Herübernahme  der  Terzinenform 
nicht  rätUch.  Der  Vers  dagegen  wurde  beibehalten,  ohne  Reime,  so 
daB  sich  der  ffir  dramatwche  Dichtungen  üblkhc  „reimlose  fünMßige 
Jambus"  oder  der  fünftaktige  Vers  mit  steigendem  Rhytimini  ergab. 


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EINLEITUNG 


CXXI 


diesen  Poesien  gerecht  zu  werden,  miiB  man  sich  abermals 
gegenwärtig  halten,  welchen  Kidtns  der  Form  man  da- 
malstrieb. So  erscheint  uns  manches  gesucht,  und  einiges 
macht  den  Eindruck  der  Spielerei,  zumal  wir  für  mytho- 
logische Einkleidung,  für  die  Bilder  von  Amor  mit  seinem 
Pfeile  u.  dgl.,  keine  Empfänglichkeit  mehr  haben.  Aber 
viele  der  poetischen  Mittel,  die  bei  uns  längst  in  die 
ästhetische  Rumpelkammer  verwiesen  worden  sind,  be- 
gegneten im  Cinquecento  einem  lebendigen  Gefühl,  hatten 
für  die  an  der  Auffassung  der  Alten  Herangebildeten  etwas 
mmtiittelbar  Wirkendes,  eine  Gegenständlichkeit  und  pla- 
stische Kraft,  die  wir  uns  kaum  mehr  vorstellen  können. 
Immerhin  wird  auch  heutzutage  noch  ein  Freund  kunst- 
voller Kleinarheit  viele  Sonette  Ariosts  mit  Vergntigen 
lesen. 

Wie  den  Sanger  Lauras  und  die  frühesten  italieniscben 
Lsrriker  (seit  dem  zweiten  Fünftel  des  13.  Jahrh.)  darf 
man  noch  Ariost  als  prooeH/uUeggiante  (d.  h.  im  provenza- 
Uschen  Stil  Sdiaffenden)  ansprechen.  Die  Kuastübung 
der  Troubadours,  die  drei  Jahrhunderte  vor  ihm  in  den 
Tälern  Südfrankreichs  gesungen  hatten,  wirkt  bei  ihm 
noch  nach:  seine  Vergleiche  mit  Rose  und  Dom,  Schnee 
und  Wachs,  die  Bilder  vom  Phönix  und  Salamander; 
die  Hyperbeln  vom  Tränenstrom,  vom  tausendfachen 
Tod,  zahlreiche  Metapliem  und  Periphrasen  waren  schon 
jenen  Minnesängern  geläufig;  Petrarca  und  seine  Nach- 
folger übernahmen  solche  Kunstnüttel.  Der  in  Stilkünstelei 
schwelgende  Petrarkismus,  dessen  wesentliche  Ele- 
mente, Auffassung  und  Formen  solchen  Ursprungs  waren, 
wurde  späterhin  geradezu  zur  „Uterarischen  Krankheit, 
die  das  ganze  Abendland  ergriff  und  mit  den  wechselnden 
Symptomen  auch  verschiedenen  Namen  hod:  pridosiU, 
ctUUsmo,  euphuisme,  Marimsmus**  (H.  Mort  Petrarca. 
D.  Rundschau,  Juli  1904).  Auch  die  Giandiloquenz  des 


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CXXII 


I  N  L  E  I  T  i;  N  G 


Spanischen  Gangorisaiiis  hat  ihre  Wnrzeb  in  der  Dik- 
tion jener  mittelalterlichen  Provenzalen,  die,  dem  Ge- 
meinen abhold,  Adel  des  Ausdrucks  anstiebten. 

Die  Madrigale  fassen  einen  flüchtigen  Gedanken  in 
kurze  Form*  Die  recht  verschiedenartigen,  meist  umfang- 
reichen Gedichte  stechen  nach  einer  Seite  sehr  von  dem 
ab,  was  die  Renaissancelyrik  zu  bieten  pflegt.  Selten  ist 
dort  —  so  bemerkt  Gaspary  in  seiner  „Literatur  der  Re- 
naissance" —  die  Anknüpfung  an  reale  Dinge,  an  Verhält- 
nisse und  Vorkommnisse,  die  uns  die  Darstellung  beleben 
könnten.  Der  ausgezeichnete  Gelehrte  hätte  hinzufügen 
sollen:  eine  Ausnahme  macht  Ariost.  Bei  ihm  haben  wir 
fast  immer  einen  deutlich  erkennbaren  realen  Fall;  der 
die  dichterische  Inspiration  entflammende  Funke  blitzt 
sozusagen  vor  unsem  Augen  auf.  Jene  von  Gaspary  ge- 
rügte Unbestimmtheit  des  Stoffes  nimmt  man  hier  und 
da  in  Ariosts  Jugendversen  wahr.  Später  fühlen  wir,  daß 
WUT  es  mit  Gelegenheitsdichtungen  im  Goetheschen 
Sinne  zu  tun  haben,  mit  Schöpfungen  von  individueller 
Physiognomie;  selbst,  wo  konventionelle  Formgebung  bei- 
behalten ist.  Das  Ich  des  Dichteis  durchdringt  die  über- 
lieferte Einkleidung.  Dieser  Subjektivität  des  Autors  zu 
begegnen  —  auch  da,  wo  er  sich  zu  verstecken  sucht  — 
wird  der  Leser  als  besonderen  Reiz  empfinden. 

Den  Menschen  Ariost  finden  wir  in  einer  Gruppe  von 
poetischen  Schöpfungen,  die  —  abgesehen  von  ihrem  hte- 
rarischcn  Wert  —  uns  dadurch  fesseln,  daß  sie  Streiflichter 
auf  des  Dichters  Leben  werfen  und  als  autobiographische 
Dokumente  gelten  können.  Im  Mittelpunkt  solcher  „per- 
sönlichen" Gedichte  steht  Ludovicos  Geliebte  und  spätere 
Gattin,  die  schöne  Alessandra*  Strozzi-Benucci,  der  er  im 

*  Vgl.  Einleitung  S.  LIV.  Was  sich  über  Alessandra  hat  ermit- 
tdn  lassen«  ist  susammengestdlt  in  einer  Schrift  von  G.  Pardi«  ta 
Moglit  dtiF  AfiostOt  Ferrara  1901.  Auch  eine  Arbeit  von  Adolfo 


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EINLEITUNG 


CXXIII 


Furioso  ein  so  glänzendes  Denkmal  gesetzt  hat.  Wenn 
wir  seine  lyrischen  Aufzeichnungen  nach  ilirem  Inhalt 
prüfen  und  die  Einzelheiten  ordnen,  vermögen  wir  den 
Liebesromaji,  deren  Heldin  Alessandra  ist,  in  den  Haupt- 
zügen zu  verfolgen.  Eine  wichtige  Quelle  sind  die  So- 
nette (wenn  wir  auch  nicht  alle  auf  Alessandra  beziehen, 
wie  viele  Erklärer  es  tun)  und  die  Madrigale,  daneben 
einzelne  Elegien  und  Capitoli.  Im  ersten  Sonett  klagt  der 
Dichter  über  ein  feindseliges  Geschick,  das  ihm  Amors 
köstliches  Geschenk  rauben  will ;  im  zweiten  über  Kälte  der 
Geliebten.  Sodann  wird  sie  ermahnt,  Hindernissen  (wie 
es  scheint,  von  Seiten  der  Famifie)  kraftig  zu  widerstehen: 

Wo  groBe  Fener  lohen, 

Da  mehret  nur  dio  Glut  ein  großer  Wind; 

Die  kleinen  Flammen  bald  crloschea  aind  ... 

Schwach  kommt  mir  Eure  vor, 

Madonna!  Füglich  darf  ich  dieses  sagen, 

Genfigt  ein  Drohn,  sie  in  die  Flucht  sn  schkigen.  (Madr.  4.) 

Geradezu  eine  Urkunde  für  die  Anfänge  dieses  Liebes- 
lebens und  seine  Peripetien  ist  die  berühmte  erste  Kan- 
zone,  die,  wie  die  ersten  Verse  zeigen,  auf  Alessandras 
Wunsch,  den  zu  Florenz  am  24.  Juni  1513  geschlossenen 
Herzensbund  verewigt  zu  sehen,  geschrieben  wurde. 

Wir  hören,  daß  Ariosts  Leidenschait  schon  früher  —  zu 
der  damals  noch  Verheirateten  —  sich  regen  wollte.  Mo- 
nate und  Jahre  suchte  er  sich  durch  Abwesenheit  und  — - 
durch  gewöhnUche  Liebeleien  (dergleichen  wird  in  der 
vierten  Strophe  angedeutet)  zu  betäuben,  „Gewohnheit 

Vital,  Di  alcuni  documenti  ri<;Haydan(i  Alcssandra  Bentuci,  Conegliano 
i£K>i,  gibt  Aufschluß.  Hervorgehoben  zu  werden  verdient,  daß  Ales- 
sandia,  «iernihl  lie  faeieitB  ra  Lebieiten  ihres  Gatten  die  Hnkligangen 
des  Dichtere  entgegennahm,  doch  keinerlei  Untrene  gegen  den  Ehge- 
mahl  sich  zuschulden  kommen  ließ,  wie  es  scheint.  Wir  vernehmen, 
daß  Alessandra  von  hoher  Gestalt  war  und  sehr  schön,  mit  pracht- 
vollen blonden  Haaren.  Von  ihren  Eigenschaften  wissen  wir  kaum 
etwas,  abgesehen  von  dem  durch  den  IHditer  Angedeot«tea. 


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CXXIV 


EINLEITUNG 


schien  ihm  stärker  ab  die  Sterne**,  da  nahte  sich  das 
Schicksal  (deutlich  wird  das  Jahr  1513  bezeichnet). 

An  jenem  schönen  Tag,  der  Sankt  Baptist 
Ifitten  in  Sommerszeiten  heilig  ist. 
Zur  Tnskerstadt  —  sie  h&lt  vor  allen  andern 
Den  Tag  ja  hoch  und  hehr  — 

Rief  Fama  nicht  von  nahe  bloß  die  Frommen; 
Sie  ließ  zum  feierhchen  Schauspiel  wandern 
Viele  von  ferne  her. 

Die  Lust  stt  schauen  trieb  mich  selbst  sn  kommen; 

Was  sonst  ich  wahrgenommm, 

Nicht  weiß  ich's  mehr  —  es  gilt  mir  gleich  — •  das  eine 

Lebt  in  des  Busens  Schreine 

Unsterblich:  in  der  Stadt,  der  schönen,  hier, 

Was  ich  auch  sah  —  nichts  war  so  schön  wie  Ihr! 

(Dieses  ,,tion  vidi  in  tutta  quella  Bella  cittä  di  voi  cosa 
piü  bella"  ist  ein  geflügeltes  Wort  geworden.)  Noch  viele 
anziehenden  Einzelheiten  melden  die  164  Verse  des  Ge- 
dichtes: wie  Alessandra,  zu  Besuch  in  der  Familie  ihres 
Verwandten  (des  Niccolo  Vespucci,  bei  dem  damals  auch 
Ariost  —  in  dem  heute  noch  vorhandenen  Hause  auf  dem 
Ponte  Vecchio  —  als  Gast  weilte),  beim  Festglanz  alle 
anderen  Frauen  überstrahlte: 

Der  Flüsse  König  stand  darum  voll  Leid, 
Zum  Arno  blickten  alle  hin  mit  Neid  . . . ; 

wie  das  „Gold  des  blonden  Haares,  zu  feinem  Netz 
geschlungen,"  den  Hals  beschattete; 

An  tausend  Herxen  wohl  man  siblen  mag, 
Gelangen  von  dem  Nets  an  einem  Tag. 

Im  Glauben  an  die  lange  Abwesenheit  hatte  er  sich 
gefeit  gemeint  gegen  Gefahren, 

Doch  unversehens  waren 

Die  Knil1)Iein,  die  auf  goldnen  krausen  Locken, 
Verborgen,  lauernd  hocken, 
Aof  dieses  Wfin  gesdiwtont  wie  Wespenschar 
Und  banden*«  fest,  gans  fest  —  an  Euer  Haart  — 


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EINLEITUNG 


CXXV 


Dieses  poetische  \'erlubungsi)rotokoll,  wie  man  das  Ge- 
dicht nennen  könnte,  wird  auch  moderne  Leser  ansprechen. 
Im  allgemeinen  haben  wir — trotz  Zedlitz'  Totenkränze** 
und  schöner  Kanzonen  von  Max  Waldau,  Dingeist edt. 
Platen,  Rückert  —  gegenwärtig  wenig  Empfänglichkeit 
für  die  unsymmetrische  Architektonik  dieser  (ursprüng- 
lich provenzalischen)  Strophe  mit  ihren  Verschlingungen 
und  weitgetrennten  Reimen. 

Allerliebst  ist  es,  wenn  bei  lyrischen  Aufoeichnungen, 
die  uns  zuweilen  wie  Blatter  eines  poetischen  Tagebuches 
anmuten»  an  kleine  Geschehnisse  des  Tages  angeknüpft 
wird:  an  den  Tod  eines  Zickleins,  das  die  Geliebte,  den 
Neid  des  Dichters  erregend,  beweint  (Son.  15);  an  ein- 
Goldstickerei, die  sie  kopieren  will  (Son.  26);  an  zwei  Blue 
men  auf  ihrem  Mantel  (Son.  4).  Manchmal  gestalten  sich 
aus  flüchtigen  Gedanken  geradezu  anmutige  Genrebilder. 
Man  nehme  die  Begegnung  auf  der  Pobrücke  zu  Ferrara 
(Son.  17),  wo  wir  etwas  wie  ein  Gemälde  vor  uns 
haben:  er  geht  bei  schwarzbewölktem  Himmel  und 
drohendem  Sturm  über  die  Brücke,  unter  sich  die  aufge- 
regte Flut :  da  erblickt  er  sie  am  anderen  Ufer  —  und  die 
Sonne  durchbricht  ihren  Schleier,  die  Wogen  sind  ge- 
glättet. Un  regard  de  tna  belle,  wie  es  in  Blondeis  Lied 
(variiert  \'on  Beethoven)  aus  Richard  CoeurdeUon  heißt, 
hat  das  Wunder  getan. 

Ein  andermal  sehen  wir  den  Dichter  in  Florenz  (vermut- 
lich bei  seiner  Botschaftsreise  im  Mai  1519,  als  er  dem 
Lorenzo  di  Medid,  der  seine  Gattin  Madeleine  d'Auvergne 
verloren  hatte,  kondolieren  sollte),  und  er  gedenkt  des  sechs 
Jahre  zurückliegenden  Johannistages  am  Arno  (Son.  18): 

Hier  band  mich  fest  das  wunderschöne  Haar: 
Die  Schmerzen,  die  mich  jotzt  zu  Tode  quälen. 
Begannen  hier!  Ihr  könnt  davon  erzählen, 
Ihr  Dicher,  Hallen,  Marmor  licht  und  rarl  . . . 


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CXXVI 


EINLEITUNG 


Das  Sonett  schließt: 

Madonna  sah,  mir  war  die  Sccl'  entrissen: 

Da  hat  sie  mir  die  eigene  gegeben; 

Die  hab*  ich  jetst:  mit  ihr  nur  leb'  ich  heute. 

Den  hier  gepriesenen  Schrniu  k  dvv  Gehebten,  ihr  „Gold- 
haar", verherrhchen  zahlreiche  Gedichte.  Einmal,  bei 
einer  Krankheit,  war  das  Haar  abgeschnitten  worden: 
darauf  allein  beziehen  sich  drei  Sonette  (23  bis  25).  — 
Während  eines  anderen  langwierigen  Leidens  Alessandras 
fleht  er  den  Himmel  um  Genesung  für  sie  an  und  um  An- 
nahme seines  eigenen  Lebens,  falls  ein  Opfer  erforderlich  sei. 

Auf  den  soeben  erwähnten  Aufenthalt  in  der  Amostadt 
bezieht  sich  noch  die  elfte  Elegie,  worin  die  Herrlichkeit 
von  Florenz  besungen  wird:  aber  was  hilft  alle  Schdnhdt 
der  Welt,  wenn  die  Gefiebte  fem  ist? 

Der  Liebe  ewiges,  nie  ansgesungenes  Thema  durch- 
klingt auch  die  anderen,  größeren  Terzinendichtungen, 
Elegien  und  CafüoU»  Daß  der  Schüler  Ovids  und  Catulls 
nicht  vor  Verherrlichung  der  Sinnlidikeit  zurückschreckt, 
wird  uns  kaum  überraschen ;  eine  Schilderung,  wie  in  der 
fünften  Elegie,  so  sehr  sie  auch  durch  künstlerische  Fas- 
sung gel  loben  ist,  dürfte  selbst  unserem  gewiß  nicht  prü- 
den Publikum  allzu  gewagt  vorkommen. 

Frohlockt  diese  Elegie  im  hellsten  Dur  über  eine  wonne- 
reiche Nacht,  so  murrt  und  grollt  im  Gegenstück  (Elegie  6), 
das  äußerst  fein  durcligcführt  ist,  die  Enttäuschung. 

Ergötzlicher  ist  wohl  noch  selten  ein  vereiteltes  Stell- 
dichein geschildert  worden. 

Sehr  schön  offenbart  sich  wirkliches  freudiges  Erleben 
in  einigen  Gedichten,  die  man  „Erwartung'*  überschreiben 
könnte  (Son.  3  und  10). 

So  wird  Lust  und  Leid  der  großen  Fässion  gesungen, 
bald  schwungvoll  und  pathetisch,  bald  spielend  und  nek- 
losch,  mit  kostUchem  Humor,  dessen  Schellenglöckchen 


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EINLEITUNG 


CXXVII 


nirgends  in  der  Renaissance  so  unwiderstehlich  lustig 
klingen  wie  bei  Ferraras  heiterem  Sohne. 

Der  hohe  Klang  reiner  Freude  tönt  durch  ein  Gedicht 
{Capitolo  i),  das  —  wie  die  Erklärer  gewiß  mit  Recht  ver- 
muten —  auf  die  heimlich  vollzogene  Vennählung  mit 
seiner  Alessandra  sich  bezieht.  Man  fühlt,  wie  der  Über- 
schwang der  Seligkeit,  die  doch  verhehlt  werden  muß,  nach 
Betätigung  drängt.  Der  Schluß  lautet: 

Ich  bin  des  Glückes  voll  —  mag's  jeder  hfiKOy 
Daß  Lust  und  Hochgefülü  mich  ganz  betören; 
Ein  großer  Teil  kann  nicht  im  Busen  ruhn. 

Doch  was  der  Anlaß  meiner  luthen  Wonne, 

Konunt  nicht  durch  Stimm'  und  Zung'  ans  Licht  der  Sonne. 

Sollte  mich  Gott  je  andern  Sinnes  finden, 

Bfag  die  entwnneH  werden,  jene  schwinden I 
Die  bisher  betrachteten  Dichtungen  hatten  es  lediglich 
mit  den  beiden  Liebenden  zu  tun.  Unser  besonderes  Inter- 
esse nehmen  andere  Kompositionen,  die  gewissermaßen 
einen  historischen  Hintergrund  haben  und  in  der  weiten 
und  biegsamen  Form  der  Terzine  geschrieben  sind,  in 
Anspruch.  Hier  erschheßt  sich  ein  größerer  Horizont; 
wir  sehen  den  Dichter  als  Teilnehmer  an  den  großen  Zeit- 
ereignissen, im  Weltgetriebe,  als  Mithandelnden,  Mitlei- 
denden, öffentüche  Angelegenheiten,  Ereignisse  der  Welt- 
geschichte finden  wir  in  des  Dichters  Seele  reflektiert: 
als  einer  der  wenigen,  die  zu  jener  Zeit  den  Mediceem  auf- 
richtig zugetan  waren,  fühlt  er  Trauer  um  den  erkrankten* 
Lorenzo,  Herzog  von  Urbino  —  der  in  der  Tat  seinem 
Ende  nahe  war  —  und  lä0t  in  der  eisten  Elegie  die  Stadt 
Florenz  klagen  und  hoffen. 

*  Nicht  um  dessen  Tod,  wie  Gardner  irrtümUch  meint.  Die  Schlnfi- 
seileii  weisen  deatlidk  darauf  hin:  „Wenn  der  Lorbeer  (Lauro,  *d.  h. 
Lbrenio)  stirbt,  so  sterbe  andi  Ich"  (d.  t  Fkwens).  Dies  auf  das  hinter- 

lassenc  Kind  (Caterina,  die  zukünftige  Königin  von  Frankreich)  zu 
beziehen,  ist  unmöglich.  Vorher  (Vers  37)  iindet  sich  eine  Anspielung 
auf  das  Kind  Caterina. 


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CXXVIII 


K  I  NM.  E  I  T  r  N  C. 


Die  neunte  Elegie  zeigt  uns,  daß  Ariost  im  April  1512 
in  Ravenna  war,  kurz  nach  der  blutigen  Schlacht  vom 
elften  desselben  Monates,  in  der  die  Franzosen,  und 
mit  ihnen  Alfons  von  Ferrara,  über  die  Spanier,  Schweizer 
und  Papst  Julius  IL  siegten.  Wir  hören,  daß  Liebeskum- 
mer und  der  Wunsch,  seine  Leidenschaft  zu  unterdrücken, 
ihn  zur  Entfernung  aus  Ferrara  bewogen.  Handelt  es 
sich,  wie  manche  glauben,  auch  in  diesem  Fall  um  Alessan- 
dra, so  muß  man  annehmen,  daß  die  Reise  einer  jener  Ver- 
suche sich  zu  betäuben  war,  auf  die  Ariost  in  der  ersten 
Kanzone  anspielt:  Alessandra  war  1512  noch  verheiratet 
und  scheint  den  ihr  dargebrachten  Huldigungen  wider- 
standen zu  haben. 

Der  Liebende  meidet  Orte,  wo  Freude  und  Lachen 
wohnen;  denn  an  solchen  wird  Amor  genährt.  Heilung 
suchte  er  an  Stätten  des  Entsetzens  und  des  Jammers. 

Nachdem  alle  Mittel  fehlschlugen,  auch  die  Abwesen- 
heit, sieht  er  für  sein  Weh  keine  Rettung  mehr: 

Nun  bleibt  mir  keine  Hoffnung  mehr  auf  Erden, 
Als  daß  die  Schmerzen  übermächtig  werden, 
Bis  sie,  mich  tfltend,  Euch  von  Usfger  Psin 

Und  mich  von  großer,  langer  Qual  befrein. 

Ein  anderes  Reisebild  bietet  uns  das  vierte  Capitoh  (vgl. 
oben  S.  LIV).  Ippolito  d'Este  unternahm  1515  einen  Besuch 

am  Hofe  von  Urbino;  Ariost,  in  seines  Herrn  Gefolge,  er- 
krankte unterwegs  in  den  Apenninen  und  mußte  zurück- 
bleiben, in  Fossombrone  wahrschoiiiHch.  Auf  diesen  Ort 
weist  eine  Anspiehmg  in  den  beiden  Anfangsterzinen,  wo 
von  Flavius  Vcsj)asian,  der  zur  Abkürzung  der  Via  Flaminia 
von  Rimini  nach  Rom  dort  eine  Bergdurchbohrung 
voi~nahm,  sodann  von  der  in  der  Nähe  erfolgten  Nieder- 
lage des  Hasdrubal  Barca  am  Metaurus  die  Rede  ist.  In 
Bergemöde,  auf  dem  Krankenbett«  unter  Todesgedanken 


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EINLEITUNG  CXXIX 


entstand  die  Versepistel  an  den  Kardinal  Del  bei  numero 

vostro  avretc  uii  manco. 

Für  Ungehorsam  hat  Amor  dem  Liebenden  Strafen  ge- 
schickt, deren  kleinste  das  Fieber  ist,  und  vielleicht  bereitet 
der  Tod  ihm  schon  die  Bahre.  Ausführlich  malt  der  Kranke 
sich  aus,  wie  er  einsam  stirbt  und  zu  Grabe  getragen  wird, 
ohne  daß  die  Mutter  (Frau  Daria  lebte  noch)  und  die 
Schwestern  trauern,  und  schwarzgekleidet  hinterm  Sarg 
die  Brüder  schreiten.  Auch  Madonna  fehlt,  deren  Mitleid, 
im  Busen  erwachend,  ihr  Blut  zu  ungewohntem  Feuer  er- 
wärmen kannte: 

Schant  sie  das  AnÜits,  bleich  und  ohne  Lebeiii 
So  wird  der  tote  Körper  sich  erbeben;  — 
Ich  glanbe  sicher,  abo  ymd  es  sein. 

Rührende  Anhänghchkeit  an  die  Heimat  tritt  in  den 
Schlußversen  hervor:  er  fleht  den  Kardinal  an,  die  Leiche 
nach  dem  gehebten  Ferrara  zu  senden,  damit  wenigstens 
die  unnützen  Überreste  von  ihm  {intUili  spoglie)  dort  Ruhe 
fänden,  und  schließt: 

Es  hat  ihm,  der  hier  sddSft  in  Grabesnacht, 
Das  Femsein  von  der  Herrin  Tod  gebracht. 

Ob  die  Todesgedanken  ernst  waren  ?  Ob  das  ganze  Ge- 
dicht nur  der  Form  nach  eine  Epistel  an  den  Gebieter,  in 
Wahrheit  aber  eine  —  vielleicht  nachträglich  dargebrachte 
—  Huldigung  an  die  Geliebte  darstellt  ?  Wir  sind  zur  Be- 
antwortung dieser  Fragen  auf  Vermutungen  angewiesen. 

Ebenfalls  fem  von  Ferrara  ist  gedichtet  und  in  eine 
Huldigung  an  Alessandra  klingt  jene  elfte  Elegie  aus, 
deren  eigentliches  Thema  eine  begeisterte  Verherrlichung 
der  Stadt  Florenz  ist. 

Man  sieht,  Alessandras  l^d  schwebt  beständig  vor  des 
Dichters  Augen;  an  sie  denkt  er,  wenn  immer  seine  Feder 
über  das  Papier  gleitet;  sie  ist  bei  ihm,  wenn  er  «,im  üblen 

Ariost  I  IX 


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cxxx 


EINLEITUNG 


Dienst  des  Kardinals**,  der  „aus  dem  Poeten  einen  Boten- 
knecht macht",  Bergeshöhen  hinauf  und  hinunter  reitet. 
Nichts  macht  ihm  das  Reisen  so  verhaßt  als  die  Entfer- 
nung von  ihr.  Der  Unmut  darflber  und  über  anderes,  das 
.  ihn  ärgert,  läBt  ihn  Rügelieder  schreiben. 

So  kann  man  eine  Anzahl  Gedichte  nennen,  in  denen 
Ariost  die  satirische  Geißel  schwingt.  Manchmal  wegen 
geringer  Veranlassung.  Er  trug,  wie  sich  aus  der  zweiten 
Elegie  ergibt,  an  vielen  Stellen  seiner  Kleidung  eine  gold- 
verzierte schwarze  Feder  {penna  negra  fregiata  d'oro), 
über  deren  Sinn  sich  die  Leute  den  Kopf  zerbrachen.  Den 
Neugierigen  wird  nun  tüchtig  der  Text  gelesen. 

Warnend  erinnert  der  Dichter  an  die  Verwandlung  des 
ursprünghch  weißen  Raben  in  einen  schwarzen  (wegen 
Verrates  des  Liebeshandels  Apollos  mit  Koronis),  an  Tei- 
resias  und  an  Aktäon,  die  für  Vorwitz  büßten,  und  schließt : 

Ich  sage:  Dessen  Recht  scheint  mir  gwinge. 

Der  immer  sinnt  und  keine  andren  I>inge 
Mehr  denkt  als  einzig  dieses:  sn  begreifen 

Den  Sinn  der  Feder  mit  den  goldnen  Strdlen. 

Wenn  der  Ariostbiograpli  Baruffaldi  mit  seiner  Ver- 
mutung das  Rechte  getroffen  haben  sollte,  so  wiese  das 
Schwarz  der  Feder  auf  das  Kleid  Alcssandras,  das  Guld 
auf  ihr  blondes  Haar.  Ludovico  liätto  dann  nach  Art  der 
alten  Ritter  dies  an  die  Geliebte  erinnernde  Abzeichen  an 
sich  getragen. 

In  der  vierten  Elegie  {Era  candido  Ü  corvo),  die  mit  der 
Hindeutung  auf  den  ursprünglich  weißen  Raben  an  die 
zweite  anknüpft,  läßt  Ariost  eine  unter  übler  Nachrede 
leidende  Dame  sprechen  und  sich  verteidigen.  Abermals 
wird  eingeschärft: 

Auf  jede  Zunge  sollt'  ein  Zaum  sich  legen, 

Die  Lehre  allen  in  das  Hen  sn  prägen: 

Spfth*  nicht,  was  andre  tnnl  Besprich  es  nicht  I 


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EINLEITUNG 


CXXXI 


Das  —  immerhin  merlcwürdige  —  Gedicht  schließt  mit 
dem  Verlangen: 

Die  Strafe,  die  so  unerhArtem  Falle 
Gebührte,  nun  auf  jenen  Schurken  fallt-, 
Ans  dessen  Muud  die  ialscüe  Rede  üoUl 

Ein  Beispiel  sei  es  fOr  die  Lfigner  allel 

Waren  die  beiden  zuletzt  erwähnten  Gedichte  sozusagen 
moralische  Rügeheder,  würdig  eines  Peire  Cardinal,  so  ist 
das  fünfte  Capüoh  ein  persönliches;  im  Dienste  über- 
mäßig angestrengt,  macht  Ariost  seinem  Unmut  über  den 
Kardinal  Luft  (wohl  hinter  dessra  Rücken;  der  recht  un- 
bequeme Gebieter  hätte  eine  offene  Auflehnung  veimut- 
fich  übel  vermerkt).  Ariost  veigleicht  sich  dem  Atlas,  der 
den  Hunmel  ohne  Rasten  trSgt,  dem  Typhöus  unter  dem 
Epomeo  auf  Ischia,  dem  Giganten  Enkelados  unterm  Ätna. 
Im  Anfang  schien  ihm  seine  Last  leicht,  und  frdhlich  trug 
er  sie;  aber  sie  wuchs.  Er  ist  das  überfüllte  Schiff  und  der 
überspannte  Bogen,  der,  wenn  der  Schütze  sich  nicht  ge- 
linder zeigt,  statt  zu  töten,  zerspringen  wird.  Trotzig  ist 
der  Schluß: 

Ich  war'  ein  Tor,  wollt'  ich  hier  schweigend  stehen. 
Durch  Lasten  unerträglich  stumm  vergehen. 
Drum  will  ich's  sagen,  eh  Vernichtung  droht: 

Mir  stehn  nicht  weitre  Krifte  ra  Gebot 

Gestattet  sei  noch  der  Hinweis  auf  ein  strafendes 
Sonett  {Se  con  speranza),  worin  Ariost  ziemlich  herb 
einige  Damen,  die  ihn  mit  der  Bitte  um  weitere  Liebes- 
poesien bedrängt  hatten,  abfertigt;  seine  Leiden  sollen 
nicht  zur  Unterhaltung  dienen.  Er  schließt: 

Seid  ihr  ein  Phalaris  —  verzeiht,  o  Fraun  — , 
Ich  will  der  Mann  nicht  sein,  an  dessen  Klagen 
Und  Sterbdied  sich  andre  Leat'  erbatin. 

IX* 


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CXXXII 


r  I  X  T    F  I  T  \'  \  (] 


Oberall  vemehmen  wir  wahfhaft  modernen  Ton.  Viele 
dieser  Sonette,  Eleven  usw.,  von  einem  sseitgenfissischen 
Dichter  geboten,  würden  uns  In  der  Tat  als  Geist  von 
unserm  Geist  anmuten ;  man  staunt,  daß  solche  Verse  vor 
vierhundert  Jahren  geschrieben  worden  sind:  Thema, 
Durchführung,  Stmimung  —  alles  spricht  uns  an  wie  von 
Zeitgenossen  gedacht  und  empfunden,  zumal  nachdem 
wir  neuerdings  wieder  mit  der  Sonettform  mehr  Fühlung 
gewonnen  haben. 

So  lohnen  Ariosts  Rimc  eine  nähere  Bekanntschaft  reich- 
lich. Es  sind  zweifellos  hochbedeutende  poetische  Erzeug- 
nisse. In  vollem  Sinne  ein  Künstler,  hat  der  Dichter  des 
Furioso  seine  glänzenden  Gaben  auch  hier  entfaltet ;  seine 
reiche  Individualität  hat  diesen  kleineren  Werken  ihren 
Stempel  aufgedrückt.  Die  Klaue  des  Löwen  ist  überall  zu 
erkennen.  Welche  Fülle  der  Stimmungen  imd  Bilder  in 
seinen  Elegien  und  CapüaUt  Jedem  Tone  werden  seine 
virtuosen  Strophen  gerecht,  dem  feierlichen,  dem  necki- 
schen« dem  behaf^ch  scherzenden.  Und  wuchtig  weiß  er 
die  satirische  Geißel  zu  schwingen.  Das  Sonett  —  für  so 
viele  ein  „vierzehnzeihges  Prokrustesbett  der  (Gefühle  und 
Gedanken"  —  wird  für  ihn  das  geschmeidigste  Instrument 
In  der  Gedrungenheit  der  Form  wächst  nur  seine  Kraft. 
Die  Klarheit  und  Schönheit  des  Sonettenbaus,  die  Jakob 
Burckhardt  hervorgehoben  hat,  die  Aufforderung  zur  Stei- 
gerung des  Inhaltes  in  der  lebhafter  geghederten  zweiten 
Hälfte,  alles  kommt  bei  Ariost  in  vollendeter  Weise  zur 
Geltung.  Für  den  Literaturfreund  hat  noch  eines  in  diesen 
lyrischen  Gedichten  besonderen  Reiz:  der  Niederschlag 
dessen,  was  des  großen  Ferraresen  Seele  bewegte,  und  die 
darin  zu  findende  Ausbeute  für  die  Kenntnis  seines  Lebens. 


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EINLEITUNG 


cxxxin 


XII 
SATIREN 
z 

Ariosts  Satiren  erschienen  in  deutscher  Fassung  zu- 
erst 1794  in  Berlin  bei  Friedrich  Maurer.  Der  Übersetzer, 
Christian  Wilhelm  Ahlwardt,  bot  damit  eine  für  seine  Zeit 
recht  achtbare  Leistung.  An  Stelle  der  Terzinen  des 
Originals  verwendete  er  reimlose,  teils  fünf-,  teils  sechs- 
füßige Jamben,  die  sich  im  ganzen  recht  glatt  lesen. 
Aber  heutigen  Anspdichen  genügt  das  Büchlein  doch  nicht 
mehr,  ganz  abgesehen  davon,  daß  dieses  schwankende 
Versmaß  dem  gegenwärtigen  Geschmack  nicht  entspricht; 
an  ziemfich  vielen  Stellen  ist  ihm  das  Verständnis  des 
—  allerdings  kehieswegs  leichten  —  italienischen  Textes 
mißglückt;  sodann  hat  er  auch,  erschreckt  über  gewisse 
Derbheiten  des  Originals,  em  paarmal  willkürliche  Än- 
derungen vorgenommen,  die  vom  Dichter  gegebene  Pomte 
ganz  tmd  gar  umgebogen  und  durch  eigene  Erfindung 
ersetzt.  Ihm  bleibt  Indessen  das  unstreitige  Verdienst, 
nachdrücklich  auf  die  Größe  seines  Helden,  des  Dichters 
von  Ferrara,  aufmerksam  gemacht  zu  haben.  In  seiner 
Begeisterung  ging  er  so  weit,  daß  er  jeden,  der  sich  nicht 
gründlich  den  Orlando  furioso  zu  eigen  gemacht  habe, 
geradezu  aus  der  Schar  der  Gebildeten  verwies. 

Über  ein  Jahrhundert  war  Ahlwardts  Wiedergabe  der 
Satiren  die  einzige.  Unlängst  hat  sich  eine  zweite  zu 
ihr  gesellt,  von  keinem  Geringeren  als  Otto  Gildemeister, 
ans  dem  Nachlasse  dieses  genialen  Vermittlers  hremd- 
zungiger  Geisteswerke. 

Paul  Heyse  versah  die  Nachdichtung  seines  geschie- 
denen Freundes  mit  einem  Vorwort  und  Anmerkungen 
und  gab  sie  1904  heraus  (in  B.  Behrs  Verlag  zu  Berlin). 


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CXXXIV 


EINLEITUNG 


Abweichend  von  Ahlwardt  hat  es  Gildemeister  nicht 
für  notig  befunden,  von  der  Form  des  Originals  abzugehen. 

B«  seiner  „spielenden  Herrschaft  über  Sprache  und  Me- 
trum'* —  die  gebührend  von  Paul  Heyse  hervorgehoben 
wird  —  kleidete  er  ohne  Bedenken  seine  Wiedergabe  in 
Terzinen,  mit  gewohnter  formaler  Meisterschaft. 

Immerhin  muß  hier  eine  Frage,  die  vielleicht  zunächst 
sonderbar  erscheint,  aufgewwfen  werden;  die  Frage:  sind 
Terzmen  wirklich  hier  angebracht  ?  Man  sollte  meinen, 
ja;  weil  das  Original  sie  bietet.  Aber  für  die  italienische 
Sprache  ist  die  Terzineniorm  etwas  ganz  anderes  als  für 
die  deutsche.  Wenn  zwei  dasselbe  tun,  ist  es  nicht  das- 
selbe. Dem  Italiener  steht  bei  der  Reimfülle  seiner  Sprache 
die  ierxa  rima  für  jeden  poetischen  Zweck  zu  Gebot: 
für  den  hohen  Kothnm,  den  Sermon,  die  feierliche  Rede, 
philosophischen  Tiefsimi,  mystische  Spekulation  eben- 
sowohl wie  für  die  niederen  Gattungen,  für  Scherz,  Sa- 
tire, Neckerei,  das  Geplauder  der  Alltä^chkeit,  das 
höchste  Pathos  und  das  leichte  Parlato;  ja  für  Gerin- 
geres: für  die  Derbheit  und  Roheit  volkstümlicher  Dar- 
stellung. Diese  Geschmeidigkeit,  Biegsamkeit  geht  aber 
der  deutschen  Terzine  durchaus  ab:  bei  uns  ein  aus- 
gesprochen aristokratisches  Versmaß,  kann  sie  nur  er- 
habenen Gegenständen,  der  ernsten  Betrachtung  dienen. 
Selbst  da  hat  sie  in  den  meisten  Fällen  für  uns  etwas 
Fremdartiges,  Steifes,  Unlebendiges.  Sollte  es  diesem  Ge- 
fülil  zuzuschreiben  sein,  daß  einer  der  jüngsten  Dante- 
übersetzer, Pochhammer,  sogar  bei  der  ,, Göttlichen  Ko- 
mödie*' die  Terzinenform  des  Originals  durch  —  Ok- 
taven* ersetzt  hat?  Auch  frühere  Danteübersetzer  ver- 
mieden zumeist  die  Terzine. 

*  Pochliammer  ncnut  die  Oktaven  „der  Terzine  überlegen  an  selbst- 
tätiger  Wirkung,  an  tragender  KniV'i  das  soD  wohl  sagen,  dafi  die 
Oktaven,  als  dem  deutschen  Volke  vertraut,  schon  dadurch  auf  das 


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F  T  N  T,  !•  T  T  T'  N  r, 


rxwv 


Wenn  das  feierliche  Element,  das  Hochtrabende,  nicht 
aus  der  deutschen  Terzine  zu  verbannen  ist,  so  muß  bei 
einer  Übertragung  von  Ariosts  Satiren  die  Originalform 
aufgegeben  werden.  Denn  in  den  so  bezeichneten  poetischen 

Episteln  läßt  sich  der  Dichter  —  sehr  im  Gegensatz  zum 
Orlando  —  behaglich  gehen,  im  ungezwungenen  (iesprächs- 
ton;  ja  er  zeigt  zum  Teil  deutHch,  daß  er  volkstümlich 
derb,  vulgär  sein  will.  Er  gestattet  sich  hier  imd  da 
Ausdrücke  und  l.jigeheuorlirhkeitcn,  die  dort  im  ,,R(jland'* 
unmöglich  gewesen  wären.  Sogar  aus  der  niedern  Volks- 
sprache, ja  aus  dem  Gaunerkauderwelsch  hat  er  Entleh- 
nungen gemacht;  über  seine  ,,Reggianismen'*  und  „Lom- 
bardismen"  sind  wissenschaftliche  Untersuchungen  an- 
gestellt worden. 

Bewegt  sich  also  der  Autor  unverkennbar  im  stilisti- 
schen Hauskittel  —  zuweilen  möchte  man  sagen,  in  Hemd* 
Srmefai  —  so  dörf en  wir  ihm  nicht  ein  Prunkgewand  an- 
ziehen: für  deutsche  Dichtungen  ist  und  bleibt  die  Terzine 
eine  Art  Königsmantel.  Die  gemessene  Würde  ihrer 
kunstvollen  Reimverschlingungen  ist  mit  einfachem  Flau- 
derton unvereinbar*.  In  diesem  stolzen  Versmaß  bequem, 
lässig,  behaglich,  grobkörnig,  hanebüchen,  zynisch  zu  sein, 
ist  auch  einem  Otto  Gildemeister  nicht  gelungen,  so  glän- 
zend einzelne  Teile  der  Satiren  zur  Geltung  kommen:  die- 
jenigen, bei  denen  der  Dichter  die  im  ganzen  vorherrschende 
niedere  Diktion  mit  einer  höheren  zu  vertauschen  Anlaß 
nimmt.  Im  wesentlichen  ist  der  von  Ariost  angeschlagene 


Geiühl  wirken  und  des  Dichter»  Worten  ein  Helfer  sind,  indem  sie 
mit  Uurer  inaeran  I&aft  adne  Mitteilung  tragen,  während  der  uns  fremden 
Tenioe  im  Gmüte  des  Lesen  nichts  entgegenlro^^  Wenn  man  dieser 
Ausführung  snstimmt,  so  wird  man  dem  uns  noch  bei  weitem  mehr 
vertrauten  Reimpaar  die  gleiche  freundliche  Eigenschaft  in  erhöhtem 
MaJße  zuerkennen  müssen,  zumal  wo  der  Gegenstand  dem  anspruchs- 
losen Reimpaar  entspricht. 

•  VgL  oben  Vorwort  S.  XXIII,  FnOnote 


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CXXXVI 


EINLEITUNG 


Ton  in  den  deutschen  Terzinen  nicht  getroffen  worden, 
konnte  nicht  getroffen  werden. 

Diesen  —  den  Ton  —  zu  retten,  muß  aber  des  Über- 
setzers höchstes  Ziel  sein.  Mir  schien  hier  ein  Fall  vor- 
zuliegen, wo  das  Hesiodsche  Wort  „Die  Hälfte  ist  mehr 
als  das  Ganze'*  seine  Geltung  hat.  Der  Vers  darf  bleiben, 
die  Strophe  fallt.  Wenn  beim  Roland  der  hervorragend 
höfische  Charakter  der  grofien  Epopöe  dem  Übersetzer 
peinliche  Gesetzmäßigkeit  und  Strenge  in  der  Form  auf- 
erlegte, so  erheischt  der  eigenste  Geist  dieser  vertraulichen 
Episteln  geradezu  ein  leichtes,  lässiges  Formgewand.  Wer 
aber  in  deutschen  Terzinen  sich  bewegt,  geht  schwer 
gekleidet  und  geht  wohl  immer  auf  Stelzen.         i  fej 

Um  die  Aneignung  eines  fremden  Geisteswerkes  mög- 
lichst voll  zu  erzielen,  müssen  die  Ausdrucksmittel  der 
aufnehmenden  Sprache  berücksichtigt  werden.  Zuweilen 
darf  man  nicht  das  Original,  wie  es  ist,  herübemehmen. 
Man  könnte  hier  an  den  „Vater  der  englischen  Literatur" 
erinnern:  Geoffrey  Chaucer  entkleidete  den  Stoff  von 
Boccaccios  Teseida,  die  er  schon  in  schwungvollen 
Stanzen  übersetzt  hatte,  der  feierhchen  Form  imd  schrieb 
danach  seine  „Erzählung  des  Ritters"  für  die  Canterbury- 
geschichten  in  einfachen  Reimpaaren.  —  Noch  deutUcher 
wird  uns  der  Weg,  der  in  unserem  Fall  zu  beschreiten  ist, 
durch  Theodor  Mommsen  gewiesen.  Er  spricht  von  einem 
saloppen  Dichtwerk,  einer  Satire  des  LudUus,  und  be- 
merkt dazu,  es  wurde  verkehrt  sein,  bei  einer  deutschen 
Wiedergabe  den  Hexameter  beizubehalten;  der  Knüttel- 
vers sei  hier  am  Platz.  Zur  gleichen  Anschauung  bekennt 
sich  der  Verfasser  einer  feinsinnigen  Schrift  über  die  Kunst 
des  Übersetzens,  C.  Bardt,  der  uns  nacli  einem  Band  alt- 
römischer  Lustspiele  und  den  Horazischen  Sermonen 
(Römische  Komödien,  II.  Band,  Berlin,  Weidmann  1907) 
Plautus'  Gefangene,  Bramarbas  und  Schiffbruch,  Terentius' 


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EINLEITUNG 


CXXXVII 


Selbstquäler  in  allerliebsteii  Knüttelversen  geschenkt  hat. 
Man  wird  —  wohl  gemerkt:  unter  gewissen  Umständen, 

bei  Dichtungen  von  nachlässiger  Haltung  —  die  Hora- 
zische  Mahnung  an  Übersetzer:  „Klebe  nicht  am  Wort!" 
{ne  verhum  verbo  reddas)  allmähUch  zu  einem  „Klebe 
nicht  am  Vers!"  erweitem  müssen*. 

Als  mir  klar  wurde,  daß  bei  Ariosts  Satiren  die  Bei- 
behaltung der  ierza  ritna  nicht  rät  lieh  sei,  dachte  ich  in 
der  Tat  zuerst  an  den  Knüttelvers.  Aber  dieses  volks- 
tümliche Versmaß  entfernt  sich  doch  gar  zu  weit  vom 
italienischen  Vorbild.  Von  letzterem  konnte,  wenn  auch 
die  Strophenform  fiel,  immerhin  der  Vers  beibehalten 
werden.  Also  wählte  ich  den  fünftaktigen  Jambus,  der 
dem  Endecasiüabo  entspricht,  und  die  einfachste  Stro- 
phenform: das  Reimpaar.  WeU  aber  Ariost  alles  in  einem 
künstlerischen  Rahmen  halt,  §^ubte  ich  einen  solchen 
dadurch  andeuten  zu  sollen,  daß  ich  im  wesentlichen  die 
Altemans,  den  regehnäßigen  Wechsel  klingender  und 
stumpfer  Versausgänge,  beobachtete,  mir  die  Freiheit 
wahrend,  hier  und  da  eine  Umkdmmg  eintreten  zu  lassen. 

Noch  auf  ein  Moment  machte  ich  hinwdsen,  das  für 
die  Entscheidung  der  Frage,  ob  das  Aufgeben  der  Original- 
form in  einer  deutschen  Fassung  der  Satiren  Ariosts  zu 
empfehlen  sei,  in  Betracht  kommt.  Kann  die  erforderliche 
Treue  der  Textwiedergabe  —  ganz  abgesehen  von  der 
Frage  der  poetischen  Wirkung  —  in  deutschen  Terzinen 

*  Wann  die  Fenn  des  Vorbildes  beizubehalten  ist  —  dies  wird  die 
Regel  sein  —  und  wann  sie  aufgegeben  werden  muß,  entscheide  des 
Übersetzers  Feingefühl.  Vor  die  Aufgabe  gestellt,  ein  annäherndes 
Äquivalent  des  Originals  zu  schaffen,  hat  er  sämtUche  Elemente  des 
NachbUdnngsmatBrials  auf  ihre  Eigenart  und  ihre  'Wirkung  ra  prfllen 
und  danach  den  EkBats  dar  Vorlage  zu  gestalten,  wobei  bald  dem  Stoff, 
bald  der  Form  das  größere  Zugeständnis  zu  machen  sein  wird.  In  allen 
Fällen  bleibt  natürUch  oberstes  Erfordernis,  daß  wir  in  die  Stimmungs- 
lage der  fremden  Dichtung  vezaetst  werden.  Hierffir  gilt  es,  möglichst dae 
Wort  singen  sn  lassen  wie  den  Klang  «nl  der  BogensaHe  eines  KflnstieES. 


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CXXXVTTT 


r  I  N  T.  E  I  T  U  N  G 


eizielt  werden  ?  Ich  sage  unbedenklich  nem.  „Der  Ober- 
setzergilde Meister**  hat  sie  auch  in  seinen  kunstvollen 
Viersen  —  ein  von  ihm  eingefOhrter  regelmäßiger  Wechsel 
klingender  und  stumpfer  Reime  erhSht  die  Kunstmäßigkeit 
(und  mit  ihr  die  Schwierigkdt)  —  nicht  genügend  za  retten 
vermocht.  Hier  und  da  kommt  er  um  Gewaltsamkeiten 
nicht  herum.  Viele  Leser  mögen  es  ja  ruhig  hinnehmen, 
wenn  sie  (S.  2)  einen  „Doktor  Bonaläus"  statt  „Buonleo** 
finden.  Wer  aber  die  ansehnliclie  FamiHe  Buonleo  von 
Ferrara  kennt  (ein  Niccolö  Biionko  stand  zu  Ariosts  Zeit 
im  Briefverkehr  mit  Pietro  Aretino),  der  wird  über  diese 
Umbiegung  den  Kopf  schütteln ;  denn  auch  das  Erforder- 
nis, auf  „Lyäus"  und  „Hymenäus"  den  dritten  Reim  zu 
haben,  wird  ihm  kein  genügender  Grund  für  die  Umge- 
staltung erschemen.  Femer  sind,  bei  so  schwierigem  Stro- 
phenbau, Änderungen  des  Textes  zuweilen  geradezu  un- 
vermeidUch,  auch  selbständige  Zutaten,  wie  z.  B.  S.  3,  wo 
(V.  62)  »»trotz  weiser  Sprüche**  sich  als  Versausgang 
findet,  während  nichts  Ahnliches  im  Original  steht;  aber 
die  Reime  »»Brüche**  und  »»Küche**  verlangten  ihre  Bindung. 
—  Umgekehrt  sind  auch  wesentliche  Bestandteile  der 
Verse  manchmal  gefallen»  z.  B.  IV»  189:  a  procacdar 
iTalif^esca,  d.  h. :  »»sein  Futter  sich  bei  andern  Herden  zu 
holen**.  Dies  einfach  auszulassen»  war  nicht  berechtigt.  Auf 
die  Einengung  durch  so  strenge  Kunstform  hat  übrigens 
auch  Paul  Heyse  hingewiesen :  er  nennt  den  in  Gildemeisters 
Terzinen  streng  durchgeführten  Wechsel  von  männlichen 
und  weiblichen  Reimen  einen  Zwang,  der  in  den  Satiren 
sogar  von  zweifelhaftem  Wert  für  den  Gesamteindruck  ist, 
da  der  Ton  bequemer  briefücher  Mitteilung  eher  gewonnen 
hätte  durch  einen  willkürHchen  Wechsel  der  Reime**.  — 
Auch  eine  Reihe  gespreizter  Wendungen  erklärt  sich 
aus  der  Reimnot:  wenn  Ariost  aus  seiner  Verbannung 
nach  der  Garfagnana  klagend  die  Gründe  nennt»  die  ihn 


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EINLEITUNG 


CXXXIX 


„dem  Dienst  der  Musen  entzogen"  (dalle  Dee  m^han 
toUo),  sind  es  bei  Gildemeister  (S.  47)  solche,  ,,die  mich 
jedem  Feste/Entfremden  im  pamassischen  Revier".  Ganz 
unverständlich  ist  Sat.  VII,  V.  145  „den  römischen  Paß/ 
Nach  Delphi  gehen"  für  per  U  latine  vestigic,  auf  dem 
Pfade  lateinischer  Übersetzungen.  Daß  hier  die  Reim- 
not  ungünstig  gewirkt  bat,  mußte  auch  Paul  Heyse  zu- 
geben. 

Es  li^  mir  fem,  durch  diese  Bemerkungen  die  vor- 
treffliche Verskunst  Güdemeisters*  herabsetzen  zu  wollen. 
Es  galt  nur»  durch  Beispiele  zu  zeigen,  wie  die  drei  Reime 
in  ihrer  kunstvollen  Veischlingung  den  Übersetzer — selbst 
wenn  es  ein  Otto  Güdemeister  ist  —  ins  Gedränge  bringen. 
Wo  wir  aber  Zwang  merken,  wird  der  poetische  GenuB  be- 
einträchtigt. 


*  Einige  wenige  Ififiverständniäse,  die  sich  in  seiner  Übertragung 
finden,  hftbe  ich  in  den  Anmerkungen  richtiggeetdlt.  —  Einwendungen 

ließen  sich  gegen  eine  Freiheit  Gildemeisters  erh(l)en,  die  ich  an  anderm 
Ort  bereits  in  seiner  ,,  Roland  "-Übersetzung  beanstandet  habe.  Takt- 
umsteUung  —  nicht  bloü  nach  der  Zäsur  —  veranlaßt  ziemhch  häuüg 
nnschiöne  Verse,  wie: 

Du  wirst  mich  wohl  ausimchen,  wenn  tch  sage  (/,  80) 
Das  gatue  Haus  umkskrt  mü  rnutn  Sitten  (/,  147) 

Das  heiß  ersehnte  Naß  antreffen  werde  {IV,  123) 

Und  Sphinx  braucht  nicht  Dolmetscher  er^t  .ru  sein  {Vi^  $1) 

Der  sie  aufrichtet  nach  der  Niedcrlai^e  (VI,  9'J) 

Dann  aber,  ah  die  Zeit  fruchtlos  verflossen  {VII,  160). 

Zuweilen  geht  der  lünftaktige  Rhythmus  geradezu  in  einen  vier- 
taktigen,  anapistischcn  oder  daktylischen  Charakters,  über: 

Und  wie  du  so  großtun  und  prassen  kannst  (/F,  296) 
Wer  diesen  Wahn  hegt,  dem  antwort'  ich  hier  (IV,  106) 
Plebs  oder  Adel  ihn  anreden  würde  {V,  9g) 

Seit  durch  die  spanischen  Schwei fwedeUien  {III,  77) 
V<)}i  deinen  Freunden  auch  Auskunft  erfragen  {VJI,  12) 
Nach  xwatizicjähriger  Abwesenheit  (R.  Ii.) 

Man  bedauert  diese  Unebenheiten  in  den  sonst  auageceicbneten 
Versen. 


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CXL 


E  I  N  L  E  I  T      N  n 


So  stehen  denn  gegenwärtig  dem  deutschen  Leser  zwei 
Übersetzungen  eines  ariostischen  Dichtwerkes  zu  Gebote, 
ich  denke,  nicht  zum  Schaden  der  Sache.  Jede  fOr  sich 
trägt  dazu  bei,  das  Interesse  für  den  großen  Meister  der 

Renaissance  in  weitere  Kreise  zu  tragen.  Der  Literatur- 
freund mag  nach  seinem  Geschmacke  wählen.  Man  könnte 
sich  vorstellen,  daß  zwei  Gemälde,  den  gleichen  Gegenstand 
darstellend,  sich  nebeneinander  befinden,  eins  im  Stile 
des  Raffael,  eins  in  der  Art  des  Teniers:  wer  edle 
Formgebung,  harmonische  Gruppierimg,  fein  abgewogene 
Verhältnisse,  rhythmische  Linienführung  und  Stilisierung 
sucht,  wird  sich  zum  Schüler  des  Urbinaten  wenden ;  wem 
es  um  die  packende  Note  der  Wirklichkeit,  um  den  Ein- 
druck des  pulsierenden  Lebens,  um  das  Ungefärbte,  Echte 
zu  tun  ist,  der  hält  es  vielleicht  mit  dem  ungeschlachten 
Holländer.  Im  Hause  der  Kunst  sind  viele  Wohnungen. 


2 

Bieten  uns  Ariosts  Komödien  und  Rime  viel  des  An- 
ziehenden, so  sind  doch  als  das  Bedeutendste,  das  uns  — 
nach  seinem  „Roland"  —  der  göttliche  Ludwig  hinter- 
lassen hat,  unbedingt  die  eben  genannten  Satiren  zu 
bezeichnen.  Daß  diese  literarischen  Kleinodien  in  Deutsch- 
land ungeachtet  der  Übertragung  eines  Otto  Gilde- 
meister fast  unbekannt  geblieben  sind,  kann  nicht  genug 
wundernehmen.  Trotz  seines  Weltruhms  könnte  Messer 
Ludovico  sich  Lessings  Wunsch  zu  eigen  machen:  ,,Wir 
wollen  weniger  erhoben  und  fleißiger  gelesen  sein."  Die 
Satiren  erwecken  die  Teilnahme  des  Lesers  nach  drei 
Richtungen  hin:  durch  ihren  literarischen,  ihren  kultur- 
historischen und  —  nicht  zum  mindesten  —  durch  ihren 
biographischen  Wert:  durch  die  Aufschlüsse,  die  sie  über 
den  Verfasser  geben. 


EINLEITUNG 


CXLI 


Wer  vom  ,,Roland"  kommt  und  den  Hauch  ariostischen 
Geistes  verspürt  hat,  in  dem  regt  sich  der  Wunsch,  der 

Psyche  des  Mannes  näherzutreten,  dessen  dichterischem 
Genius  er  so  auserlesenes  Ergötzen  verdankt.  Fühlen  wir 
uns  doch,  wenn  wir  in  das  Werk  uns  versenken,  am  freu- 
digsten da  in  den  Banden  des  unvergleichlichen  Dichters, 
wo  er  —  sei  es,  um  uns  eine  Pause  zum  Ausruhen  zu  ver- 
gönnen, sei  es,  um  die  Abwechslung  zu  erhöhen  oder  um 
die  Stimmung  für  Neues  präludierend  vorzubereiten  — 
die  Fäden  des  phantastischen  Gewebes  fallen  läßt,  unsere 
Aufmerksamkeit  von  seinen  Helden  und  Heldinnen  und 
dem  altromantischen  Land  abzieht  und  mit  irgendeiner 
nachdenklichen  —  weisheitsvollen,  launigen,  übermütigen 
—  Bemerkung  uns  unerwartet  in  seine  Gegenwart,  das 
italienische  Cinquecento  und  vielleicht  —  dann  ist's  am 
schönsten  —  zu  dem  persönlich  zu  uns  sprechenden  Ludo- 
vico  Ariosto  zurückführt.  Solche  Stellen,  die  vom  Stoff 
auf  den  Gestalter,  vom  Erzählten  hinweg  den  Blick  auf 
den  Erzähler  lenken,  sind  von  jeher  bewundert  worden. 
Angelockt  von  den  dort  —  ob  auch  nur  spurenweise  — 
hervorquellenden  Lebensäußerungen  einer  reichen  Indivi- 
dualität, möchten  wir  den  Menschen  kennen  lernen, 
dessen  Genie  uns  entzückt  hat. 

Leider  fließen  die  Quellen  über  das  innere  Leben  Ludo- 
vico  Ariostos  nur  spärhch.  Die  erhaltenen  Briefe  von 
ihm  geben  wenig  Aufschluß.  Zeitgenössische  Überliefe- 
rungen verbreiten  wohl  liier  und  da  em  Licht,  aber  doch 
nicht  mit  der  erwünschten  Klarheit.  Dagegen  springt 
aus  einer  Reihe  Schöpfungen  das  Bild  des  Autors  mit 
vollkommener  Deutlichkeit  hervor:  wir  vermeinen  ihn  vor 
uns  zu  sehen,  die  äußere  Gestalt  und  fast  die  Züge.  Es 
sind  die  »»Satiren**,  poetische  Epistehi,  sieben  an  der 
Zahl,  in  Terzinenform,  gerichtet  an  Verwandte  und 
Freunde.   Ob  es  Briefe  im  eigentlichen  Sinne  sind  oder 


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CXLII 


F  I  N'  L  K  I  r  f  N  G 


nur  literarische  £rzeugnisse,  die  sich  scheinbar  als  persön-. 
fiche  Mitteflungen  geben,  darüber  gehen  die  Meinungen 
der  Gelehrten  auseinander,  wovon  später. 

Die  erste*  wendet  sich  an  Galasso  Ariosto,  des  Dichters 
Bruder,  einen  Geistlichen  in  Rom,  und  enthält  zunächst 
die  Bitte,  Wohnung,  Holz,  Wasser,  Koch  und  Diener  für 
Ludovico,  der  zum  Tiberstrand  kommen  will,  zu  besoigen. 
Als  Zeit  wird  das  Jahr  1518  anzunehmen  sein.  Der  Kn- 
weis  auf  den  Anlaß  seines  Kommens  und  andere  persön- 
liche Verhältnisse  dient  aber  nur  als  Einleitung  zu  seinem 
eigentlichen  Thema:  den  korrupten  Zuständen  in  der  Welt 
der  Hierarchie,  die  ihm  die  Lust  benehmen,  die  geistliche 
Laufbahn  zu  verfolgen. 

Der  Ehrgeiz  des  geistlichen  Emporkömmlings  wird  ge- 
geißelt, ebenso  die  Gleichgültigkeit  der  Päpste  gegen  das 
Wohl  Italias  und  der  ganzen  Christenheit.  Ariost  findet 
hier  schier  Dantesche  Töne,  wie  sie  der  milde  Ferrarese 
sonst  kaum  wieder  angeschlagen  hat.  Versvandte  Dinge 
berührt  er  auch  im  Rasenden  Roland",  aber  ohne  solchen 
Ingrimm.  Er  gewinnt  in  seinem  gro6en  Gedicht  don 
Falschen  und  Verkehrten  mit  Vorliebe  die  komische 
Seite  ab. 

Nur  gelegentlich  flackern  auch  hier  Spott  und  Ironie 
auf,  so,  wenn  der  Flitterkram  priesterlicher  Eitelkeit  — 
les  caUfichäs  de  la  vaniU  sacerdokäe,  wie  Ferdinand  Fahre 
sagen  würde  —  zerzaust  wird:  die  faulen  Mönche  lassen 
sich  verleugnen 

(Wenn  sie  zum  Mittagbrote  sind  zur  Stell'; 

£i,  klingeln  mag,  so  lang  sie  will,  die  Schell' i 

„Ich  bitt  Eadb,  Heri"  —  ao  md'  kh  liMBeh  sagen  — 

Zu  brauclwii  „Brnder",  ist  kein  fein  Betragen, 


*  Wir  folgen  der  Anordnung  in  der  Afaechrift  su  Fenrarm,  die  anch 
Giovanni  Tambara  in  seiner  kritischen  Ausgabe  {Lt  SaHre  ü  Lmdovico 
AHotto,  Livomo  1903)  beibehalten  bat 


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EINLEITUNG 


CXLIII 


WiU  doch  mr  Zeit  die  spen'eehe  Sdundchelei, 
BaB  ,,Herrliclikeit'*  eeBbst  in  BordeUen  sei, 
„Herr"  ~  ist* s  ein  StraOenkebrer  —  usw.) 

und  verfaUen  mit  ihrem  Anspruch  auf  die  dem  spanischen 
Senor  Cavaüero  entsprechende  Anrede  Vossigfwria  dem 

Fluch  der  Lächerlichkeit. 

Auch  an  die  eigene  Brust  schlägt  der  Dichter  in  ergötz- 
licher Zerknirschung  und  bekennt  sich  schuldig,  denn . . . 

Wer  ist  klug  und  tadellos  zu  nennen, 
So  sehr,  daß  er  nicht  Torheit  sollte  kennen» 
'    Mag  sie  nun  kleiner  oder  größer  sein? 

Seine  Torheit,  das  Tragen  holder  Fesseln,  gibt  er  reu- 
mütig zu. 

Die  zweite  Satire,  ebenfalls  auf  das  Jahr  1518  weisend, 
ist  an  einen  anderen  Bruder  Ludovicos,  Alessandro  Ariosto, 
und  einen  Freund  namens  da  Bagno  gerichtet,  die  mit  dem 
Kardinal  Ippolito  d*£ste  nach  Ungarn  gegangen  waren. 
Seinem  Gebieter  dorthin  zu  folgen,  hatte  der  Dichter  sich 
geweigert  und  war  in  Ungnaden  entlassen  worden.  Die 
Gründe,  die  ihn  zum  Bleiben  bestimmten,  legt  diese  Epistel 
dar:  Anhänglichkeit  an  die  Heimat,  üble  Gesundheit, 
Furcht  vor  dem  nordischen  Winter  und  geheizten  Stuben, 
Rücksicht  auf  die  alte  Mutter,  eine  zu  versorgende  Schwe- 
ster und  einen  verkrüppelten  Bruder  in  Ferrara.  Ob  nicht 
noch  etwas  anderes  in  die  Wagschale  fiel  ?  Kr  schweigt 
davon,  aber  man  darf  mit  Fug  annehmen,  daß  die  Leiden- 
schaft für  seine  geUebte  Alessandra  Benucci,  die  später  sein 
—  heimlich  angetrautes  —  Weib  wurde,  und  die  Furcht 
vor  der  Trennung  von  ihr  seiner  Vaterlandsliebe  als  sehr 
wesoitHche  Verbündete  sich  zugesellten. 

In  dieser  Epistel  frohlockt  wieder  das  Wohlgefühl  ge- 
wonnener Freiheit  —  langersehnter,  denn  „der  üble  Dienst 
beim  Kardinal*'  dauerte  fünfzehn  Jahre.  Freilich  ist 
der  Schreiber  arm  geblieben;  doch,  wenn  er  in  dürftigen 


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CXLIV 


E  I  NM.  E  I  T  U  N  G 


Verhältnissea  lebt,  so  gelten  ihm  mehr  als  Reichtum 
Ruhe  und  die  lieben  Studien. 

Die  Torheit  derer,  die  auf  Geld  und  Gut  ausgehen,  er- 
hält ihre  Peitschenhiebe;  dazu  andere  Verkehrtheiten  und 
Laster,  die  mit  der  Habsucht  in  Verbindung  stehen.  Mit 
allerliebsten  Fabeln  belegt  er  seine  Weisheit. 

Allzu  kurz  waren  die  Tage  der  Unabhängigkeit.  Der 
Dichter  mußte  den  Nacken  unter  ein  neues  —  milderes  — 
Joch  beugen:  er  trat  im  April  1518  in  den  persönlichen 
Dienst  des  Herzogs  Alfons.  Ein  Sendschreiben  an  seinen 
Vetter  Annibale  Malaguzzi  berichtet  von  der  Veränderung, 
von  seinem  Einreihen  in  die  Hofgesellschaft,  deren  Glanz 
ihn  ebensowenig  verführen  kann  wie  das  Wohlleben,  die  ' 
Gastereien  der  Reichen: 

Daheim  die  Rüb'  ist  kfistUdier  für  midi. 

Die  ich  mir  koch'  und  spieß'  und  säuberlich 

Mit  Essig,  Senf  zu  würzen  bin  beflissen, 

Als  Wildschwein  und  die  andern  Leckerbissen 

Auf  fremdem  Tfach  . . . 

Die  Ferne  reizt  ihn  wenig:  Reisen  macht  er,  ohne  Geld 
•  zu  verbrauchen,  auf  der  Weltkarte  des  Ptolemäus;  und 
daß  er  daheim  bleiben  darf,  weiß  er  dem  Herzogsdienst 
Dank.  Zum  erstenmal  gesteht  er  auch  ein,  daß  noch  etwas 
anderes  als  Heimatliebe  und  Studieneifer  ihm  das  Fort- 
gehen schwer  macht  —  em  Weib!  (Frau  Alessandra  huscht 
in  den  Episteln  gelegentlich  vorüber  oder  neigt  das  schöne 
Antlitz  über  den  Schreiber.)  In  Rom  ein  Benefizienjäger  zu 
sein,  lehnt  er  ab,  wiewohl  er  zu  des  Papstes  Freunden  zählte. 

Lang,  eh  man  den  zum  höchsten  Hirten  wählte. 

Leo  X.  hielt  nichts  von  seinen  früheren  Versprechungen 
dem  Dichter  gegenüber.  Doch  gesetzt  den  Fall,  der  Papst 
besinnt  sich  jetzt  eines  Besseren, 

Ffillt  mir  den  Sack,  den  Schoß,  den  Mantd  wach 
Mit  Gold  —  and,  wenn  es  nicht  gen&gt,  den  Bauch, 


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EINLEITUNG 


CXLV 


Um  ■CihW^OHch  all  die  Eingeweid'  m  toben,  — 
WM  eett  davon  die  wilde  Gier,  »u  haben?" 

So  erzeugt  Reichtum  Unersättliclikeit ;  weiser  ist  Be- 
scheiduijg. 

Auch  hoher  Stand  tut's  nicht  (wie  er  schon  im  Orlando 
[Ges.  44,  St.  50]  gesungen  hatte:  „Tiara  nicht,  noch  Krön' 
und  Zepter  heben  die  Päpst  und  Kaiser  über  andre  Leut*'), 
in  Halskette  und  neuer  Würde  läuft  mancher  Lump  herum, 
und  einige  dieser  Spezies  fühlen  sodann  die  Peitsche  des 
Satirikers.  Wiedenmi  veranschaulichen  Gleichnisse  und 
Fabeln  aufs  ergötzlichste  die  Predigt. 

Fünf  Jahre  nach  der  Aufnahme  unter  des  Herzogs  Fa- 
miliah  schreibt  Ariost  an  seinen  Vetter  Sigismondo  Mala- 
gnzzi  aus  der  Bergwildnis  der  Garfagnana  (nordwestlich  von 
Lncca),  in  die  er  als  Statthalter  Alfonaos  versetaet  worden  ist, 
umdiekleineProvinzsur^eren.  Diese  hatte,  wie  wirsahen, 
nach  dem  Tode  Leos  X.  am  i.  Dezember  1521  das  päpst- 
liche Joch  abgeschüttelt  mid  Ferraras  Schutz  nachgesncht. 
Der  träumerische  Poet  als  Staatsmann,  als  Bändiger  von 
Aufruhrern  und  Banditen  —  es  ist  eme  tragikomische 
Situation;  sie  kommt  in  der  vierten  Epistel  durch  des 
Dichters  Verse,  die  \ms  hier  ganz  besonders  durch  ihren 
subjektiven  Gehalt  fesseln,  uns  zum  vollen  Bewußtsein. 
Von  seinen  Terzinen  geleitet,  können  wir  noch  heutzutage 
in  Castelnovo  di  Garfagnana  die  einzelnen  örtHchkeiten, 
Brücken,  Höhen,  Wald,  Fluß  und  Waldbach,  erkennen, 
wo  Conte  Ludovico  Ariosto  —  zum  ersten  und  einzigen 
Male  machte  er  dort  von  dem  ihm  zustehenden  Titel  Ge- 
brauch —  als  Mann  des  Gesetzes  waltete.  Die  Rocca,  d.  h. 
die  Burg,  wo  er  seinen  Amtssitz  hatte,  können  wir  noch 
sehen;  dank  seiner  lebensvollen  Schilderung  steht  die 
„Höhle",  die  „Grube",  das  „Loch",  der  „Käfig"  deutlich 
vor  uns;  auch  er  selbst,  der  arme  Gebieter,  wie  er  am 
20.  Februar  1523,  genau  em  Jahr  nach  sehiem  Eintrefföi, 

Arto*t  I  X 


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f 


CXL^'T  r  T  V  T  F.  T  T  r*  N  G 


dort  am  Tisch  sitst  und,  voniübeigebeugt  über  das 
Papier  —  »»imökonoimsch  ist^s  nur  in  der  lütt'  beschrie- 
ben** — ,  dem  Vetter  in  der  Feme  sein  Herz  ausschüttet, 
yor  allem  beklagend,  daß  er  der  Diditkunst  g^nz  ent- 
fremdet worden  sei. 

Er  kennt  nicht  mehr  Scherz,  Lachen  oder  Singen,  und 
voll  Wehmut  denkt  er  an  seine  Vaterstadt  Reggio  il  gio- 
condo  {il  natio  nido  vito).  Dort  hatte  er  ja  in  jungen 
Jahren,  als  Schloßhauptmann  der  Burg  Canossa,  auf  dem 
Landgut  des  Vetters,  dem  er  schreibt,  im  trauten  Mauri- 
ziano  (wie  wir  oben  S.  XL  sahen)  sinnend  mid  genießend 
geschwelgt. 

Ein  Jahr  später  suchte  Pistofilo,  der  Sekretär  Alfonsos, 
dem  Dichter  einen  anderen  Wirkungskreis  zu  bereiten :  er 
fragte  bei  ihm  an,  ob  er  als  herzoglicher  Gesandter  an  den 
Hof  des  Papstes  Clemens  VII.  nach  Rom  gehen  wolle. 
Ariost  lehnte  ab;  ob  dies  —  wie  anzmiehmen  steht  —  zu- 
nächst in  einem  Prosaschreiben  geschehen  ist,  hat  sich 
nicht  ieststeUen  lassen.  Erhalten  ist  nur  eine  poetische 
Epistel  an  Pistofilo,  die  im  Manuskript  zu  Ferrara  —  und 
in  TambaraS  Ausgabe  —  als  letzte  der  sieben  Satiren  er- 
scheint, weil  sie  vermutlich  nachträglich  als  rein  literari* 
sches  Erzeugnis  entstanden  ist  und  die  Ramm^^yig  har- 
moniscfa  abschließt. 

FtelUch,  dem  Tone  nach  ließe  sie  sich  auch  ganz  gut 
als  aktuelle  briefliche  Mitteilung  denken,  trotz  der  allge- 
meinen Betrachtungen,  Abschweifungen,  wie  sie  in  einem 
offiziellen  Schreiben  ja  nicht  üblich  sind,  ebensowenig  wie 
die  poetische  Form.  Aber  offiziell  war  wohl  auch  die  An- 
frage nicht,  höchstens  offiziös. 

An  den  Dank  für  die  gute  Absicht  des  Freundes,  der 
Vorteil  und  Ehre  für  Ariost  in  Aussicht  gestellt  hat,  falls 
er  zur  Kurie  sich  begebe,  schließt  sich  der  Hinweis  auf 
seine  Bereitwilligkeit,  zu  gehen,  wenn  es  sein  müsse.  Doch 


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EINLEITUNG 


CXLVII 


Ho^nng  auf  gute  Dinge  solle  ihn  nicht  länger  wie  einen 
Büffdochsen  am  Kasenring  z^en. 

Eines  könnte  ihn  fast  nach  Rom  verführen  —  und  diesen 
Ton  hätte  der  Versucher  anschlagen,  an  die  Gesellhcliaft 
der  großen  Humanisten  Bembo,  Sadoleto,  Giovio  erinnern 
sollen:  die  würden,  mit  Büchern  in  den  Händen,  die  Ver- 
gangenlieit  der  sieben  Hügel  ihm  aufhellen.  In  den  Bücher- 
schätzen,dieSixtus  (IV.)  sammelte,  könnteerschwelgen.  Den 
Grund,  weshalb  auch  diese  Beschwörung  keine  Macht  über 
ihn  hat,  deutet  er  widerstrebend  an  —  Frau  Alessandras 
weiße  Hände  halten,  so  vermeinen  wir,  in  der  Feme  un- 
sichtbare Fäden  —  und  er  schreibt  es  nieder,  im  Anthtz 
erglühend  und  ob  seiner  Torheit  Stockschläge  vom  Freund 
befürchtend. 

So  spottet  der  Fünfzigjährige  über  sich  selbst.  Zu  den 
Besten  gehörend,  durfte  &r  sich  zum  besten  haben. 

Aul  die  Zeit  der  reifen  Jahre  —  der  ja  samtliche  Sa- 
tiren angehören  —  weist  auch  die  fünfte,  wieder  an  Anni- 
bale  Malaguzzi  gerichtete.  Hier  sehen  wir  den  göttlichen 
Ludovico  in  emer  ungewohnten  Rolle:  in  der  undankbaren 
des  getreuen  Eckart,  der  andere  vor  Schaden  warnen  wiU 
\md  nicht  bedenkt,  „sie  laufen  dennoch  nach  den  Garnen**. 
Es  gilt,  den  auf  Freiersfüßen  gehenden  Vetter  zu  beraten 
(freihch  etwas  spät,  denn  die  Braut  wähl  scheint  bereits  ge- 
troffen zu  sein),  und  als  Grundmotiv  khngt  durch  alle  Verse: 

Ich  denk'  —  und  sag'  es  auch  zu  jeder  Zeit  — : 

Der  Mensch  kann  ohne  Weib  an  seiner  Seit' 
Sich  nie  zur  Höhe  rechten  Wertes  schwingen. 

Dem  Einwurf,  daB  einer  raten  will,  ,,der  niemals  hatt* 
in  Schlingen  Fuß  noch  Hals**,  begegnet  er  mit  der  Be- 
merkung: 

Beim  Schachspiel,  Freund,  da  sahst  du  jedenialls: 
Oft  ist  et  gut,  dem  Urteil  zn  vertrauen 
Der  Leute,  die  deaebenetdm  und  tdiMen. 


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CXLVIII 


EINLEITUNG 


Der  wirkfich  wetsheitsvoUen  Lehren,  die  nim  der  Hei- 
ratskandidat  erhält,  sind  viele;  sie  sind  auch  in  der  Form- 
gebung sehr  reizend.  Vielleicht  hat  dieser  Umstand  mit- 
gewirkt, wenn  in  den  Ausgaben,  bis  auf  Tambara,  dieser 
Satire  der  erste  Platz  eingeräumt  worden  ist.  Gewisse 
Unflätigkeiten  —  nicht  Unsittlichkeiten  —  wird  man  der 
Unbefangenheit  jener  Zeit  zugute  halten: 

Vetter  Hannibal  tut  wohl  daran,  jung  zu  heiraten,  weil 
das  Alter  mehr  die  Zeit  des  Bacchus  ist  als  der  Venus. 
Auch  gewissen  ehehchen  Gefahren  ist  der  an  Jahren  Vor- 
gerückte mehr  ausgesetzt.  Wer  aus  Furcht,  durch  Kinder 
das  Erbgut  zerstückt  zu  sehen,  nicht  heiratet,  gerät  leicht 
auf  Abwege.  Und  wie  soll  die  Zukünftige  beschaffen  sein  ? 
Das  wird  ausführlich  erörtert.  Es  folgt  ein  goldenes  Wort 
ums  andere.  Dem  Alter  nach  soll  die  Frau  zehn,  zwölf 
Jahre  jfinger  sein  als  der  Gatte.  Sie  hüte  sich  vor  der  Tor- 
heit, das  Antlitz,  das  Gott  ihr  §ab,  bessern  su  wdlen. 
G^gen  die  Unsitte  des  Schminkens  findet  Ariost  kräftige  — 
allzu  kraftige  —  Ausdrücke;  man  erkennt  den  Schüler 
Juvenals.  Mägen  auch  die  Vielen  der  Modetorheit  folgen, 
so  komme  des  Vetteis  Erkorene 

. , .  vMA  mit  dem  grofien  Sdtwarm  gegangen, 

Nein,  mit  der  Ifinderalil,  —  wfiliininlrloii  die  Waagen; 

Und  Faden  sei  and  FinicMag  gnt  and  tdxtl 

Einmal  findet  sich  etwas  bedenkliche  Weisheit:  hat  sie 
etwas  Verkehrtes  getan»  wird  das  kluge  Frauchen  es  nicht 
wie  die  Törin  an  die  große  Glocke  hängen, 

Nein,  einem  Kätzlein  weiß  sie's  nachzumachen, 
Das  Ekide  deetct  aaf  mUebeame  Saehen. 

Unerschöpflich  geht  es  weiter  mit  feinen  Bemerkungen. 
Sehr  unfein  aber,  wiewohl  lustig,  ist  ein  Geschichtchen, 
das  den  Beschluß  macht  imd  den  Sänger  edler  Weiblich- 
keit auf  einmal  als  zynischen  Pessimisten  —  den  man  frei- 
lich nicht  einst  nehmen  darf  —  zeigt. 


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EINLEITUNG  CXLIX 


Wer  Aliost  kennt,  ist  gewärtig,  daß  er  im  nächsten 
Augenblick  gegen  sich  selbst  Front  macht  und  sich  zur 
amende  honorable  für  seine  Ketzereien  versteht,  wie 
mehrfach  im  Orlando;  Abbitte  tuend,  ähnlich  der  im 
29.  Gesang: 

Ihr  edlen  Fraun,  was  an  Vorrätereien 
Der  Mann,  euch  scheltend  ohne  jedes  Recht, 
Begangen  hat,  werd'  ich  ihm  nicht  verzeihen, 
Bis  er  es  merkt,  wie  bös  er  war  und  Bchlecht. 
Und  Unf  ttnd  Feder  soll  dem  Ansdruck  leihen. 
Damit  man  sieht,  wie  sehr's  ihm  Nutzen  brächf , 
Hätt'  er  sich  th'r  die  Zunge  abgebissen, 
Als  schmähend  euren  Wert  herabgerissen  l 

Vermutlich  die  ktste  Satire  der  Abfassung  nach  ist  die 
sechste,  an  Pietro  Bembo  in  Padua  gerichtete.  Sie  ent- 
hält die  Bitte  an  den  berühmten  Humanisten,  sich  des 
jungen,  dorthin  —  Ende  Februar  1531  —  zur  Alma 
mater  wandernden  Virginio  Ariosto  aneundmuen  und 
ihm  emen  Griechen  als  Ldirer  zu  besorgen,  aber  eincai 
Ehrenmann. 

Nicht,  wie  ins  Lateinische,  vermag  der  Vater  den  Sohn 
in  die  Sprache  Homers  selbst  einzufüliren,  denn  —  und  nun 
eröffnet  sich  ein  RückbHck  auf  seine  Jugendzeit,  den  wir 
mit  Freuden  begrüßen  —  erst  spät,  als  er  über  zwanzig 
Jahre  alt  war,  konnte  er  die  antiken  Studien  unter  seinem 
Gregorio  beginnen,  dem  geUebten  Lehrer,  den  er  „für  alle 
Zeiten  segnen  muß". 

Der  anziehenden  Aufschlüsse  über  des  Dichters  Ver- 
gangenheit sind  zahlreiche  in  diesem  bedeutenden  Send- 
schreiben und  machen  es  besonders  wertvolL  Wir  tun 
Blicke  in  seine  Jönglingstage;'die  Jahre  steigen  herauf,  da 
er  unter  dem  Joch  des  Kardinals  seufste  und  nicht  nach 
Wunsch  den  Musen  dienen  konnte.  Vor  dem  Schicksal 
der  Unbildung  den  Sohn  zu  bewahren,  möge  der  Freund 
ihm  helfen,  damit  der  Jünghng  den  Weg  zum  Parnaß  finde. 


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CL 


BIMLEITUNG 


Ton  und  CharaJrter  der  Satiren  sind  dem  „Rasenden 
Roland*'  gegenüber  nicht  nnwesentfidi  verschieden,  wie 

das  ja  Stoff  und  Anlage  mit  sich  bringen  mußten.  Den 
Orlando  sollen  wir  nach  Geibel  in  später  Abendstunde 
lesen  (s.  ,,Ras.  Rol.",  Motto  zur  Vorbemerkung),  die  Satiren 
gehören  in' das  Licht  des  Tages,  in  dem  sie  entstanden 
sind,  von  dem^sie  Kunde  geben.  Trägt  dort  der  Hippo- 
gryph  den  Sänger  in  luftige  Höhen,  zum  Ritt  ins'  alt- 
romantische Land,  so  sehen  wir  hier  den  Poeten  in  der 
Alltäglichkeit  seiner  Gegenwart,  mit  Freunden  und  Nach- 
barn plaudernd,  Erinnerungen  auftischend,  in  der  Garfa- 
gnanaals  Staatsmann  waltend,  richtend  und  schhchtend; 
dann  wieder  allein  in  seinem  selbstgebauten  Häuschen  in 
der  Contrada  di  Mirasole  zu  Ferrara,  seine  einsame  Mahl^ 
sdt  geniefiend.  Dementsprechend  unterscheidet  sich  auch 
Stil  und  Sprache  vom  „Roland".  Hier  in  den  vertraulichen 
Episteln  lafit  sich  der  Schreiber  bequem  gehen^.  Dabei 
veilSßt  ihn  aber  niemals  sein  unendlich  feines  Gefflhl  ffir 
das  Künstlerische.  Sogar  bei  Derbheiten,  die  uns  er- 
schrecken» wird  das  zu  erkennen  sein. 

So  sind  die  Satiren  wichtig  für  die  Kenntnis  des  Dich- 
ters wie  des  Menschen  Ariost:  sie  sind  auch,  literarisch 
betrachtet,  wahre  Kabinettstücke  voll  Geist  und  Witz, 
und  Gardner  bezeichnet  mit  vollem  Recht  diese  sieben 
Episteln  als  die  ,, vollkommensten,  unnachahmlichen 
Beispiele  einer  Brief konespondenz  in  Versen''  (wenn  auch 

*  Von  ihnen  gilt,  was  Tlieodor  Birt  in  seinen  bedeutenden  Reue- 
skizzen (,,Aus  der  Provence",  Deutsche  Rundschau,  Februar  1907, 
S.  313)  von  den  Briefen  Petrarcas  rühmt:  ,,Wer  sie  liest  tritt  in 

Verkehr  mit  einem  Menschen  voll  wirklichen  irischen  Erlebens,  fast  so, 
als  ob  er  jetzt  eben  die  Feder  ffihrte,  und  fühlt  sich  noch  heute  ge- 
fesselt und  bdohnt . . .  Petrarca  hat  «ufi  neue  entdeckt,  was  schon 
Qcero  wußte:  daß  man  im  Brief  das  Intimste  sagen,  daß  Geist  und 
Herzensregung  sich  im  Brief  aui  das  ireiste  geben  kann.  Der  Brief 
wird  ein  unwillkSrliches  Inntes  Denken.  Das  war  eine  Losbindung  des 
Individnellen  fflr  immer." 


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!  ■■  T  N  I   1^"  !  T  r  V  r 


CLI 


das  Wort  „Korrespondenz**  nicht  ganz  zutrifft,  da  von 
einer  Entgegnung  der  Angeredeten  nichts  bekannt  ist) 
und  als  ,,die  wundervollste  Autobiographie  mi  ndmatme, 
die  ein  groBer  Dichter  jemals  der  Wdt  hinterlassen  hat. 

Die  Gestalt  des  liebenswerten,  schlichten,  wahrhaftigen 
Ehrenmannes,  der  als  der  schärfste  Beobachter  und  zu- 
gleich als  der  gutherzigste  Zyniker  in  der  verderbtesten 
aller  Zeiten  seinen  geraden  Weg  geht,  steht  im  Vorder- 
grunde des  Gemäldes.  Hinter  ihm  das  Italien  des  Cinque- 
cento, nur  im  Hintergrunde  —  aber  dieser  Hintergrund 
ist  mit  einem  Pinsel  gemalt,  bei  dem  jeder  Strich  seine 
beredte  Sprache  führt,  sobald  die  sieben  Szenen  nach- 
einander sich  entfalten.  Wir  sehen  der  Reihe  nach  die 
verrottete  Kirche,  die  Zustände  au  Hof  und  Kurie,  etwas 
vom  Familienleben  des  alten  Ferrara,  die  Bergregion  der 
Garfognana  mit  ihren  Parteizwisten  und  Ban<üten;  dann 
wieder  die  Sitten  und  Gepflogenheiten  der  Gelehrten  und 
Humanisten  an  den  Universitäten.  Kaum  etwas  fehlt, 
kaum  etwas  ist  böswillig  niedergeschrieben.  Wer  diese 
sieben  herrlichen  Gedichte  gut  studiert  hat,  weiß  mdu: 
von  dem  i6.  Jahrhundert  der  Italiener,  mehr  von  dem 
wirklichen  Leben  der  Hochrenaissance,  als  eine  ganze 
Bibliothek  gelehrter  Abhandlungen  ihn  lehren  könnte." 

Wiewohl  zu  Lebzeiten  Ariosts  nie  gedruckt,  haben  die 
Satiren  doch  —  vermutlich  durch  vorsichtig  betriebene 
handschrifthche  Verbreitung  —  ihres  Verfassers  Ruhm 
schon  bei  den  Zeitgenossen  in  noch  luftigere  Höhe  ge- 
hoben. Paolo  Giovio  gedenkt  jener  Episteln  im  Jahre  1520 
{sunt  et  nonnullae  ejus  scUirae),  und  der  Poet  Luigi 
Alamanni,  als  Satiriker  eine  anerkannte  Größe,  huldigt 
dem  auch  auf  diesem  Gebiet  unerreichten  Ludovico.  Er 
hofft,  der  gefeierte  Mann  {ü  Ferrarese  nm  ckiaro  e  gMÜlc) 
werde  über  das  Unterfangen,  mit  ihm  zu  wetteifern,  nicht 
ungehalten  sein: 


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CLII  EINLEITUNG 


D«0  miBer  lfdster  dort,  auf  den  die  Wdt 
Bswundemd  blickt»  doch  keinen  GcoU  mir  trage, 

Wenn  ich  jctzund  wie  er  zu  singen  ivage. 
Und  mein  geringes  Können  ihm  miBflUltl 

Es  kann  sich  hier  nur  um  die  Satiren,  nicht  etwa  um 
anderes  handeln.  Der  gelehrte  Giovanni  Tambara  in 
Udine,  der  uns  vor  ein  paar  Jahren  mit  einer  kritischen 
Ausgabe  der  Satiren  beschenkt  hat  (einstweilen  allerdings 
nur  mit  dem  Text;  die  sachhchen  Anmerkungen  stehen 
nochAUs),  bezweifelt  auch  die  handschriftliche  Verbreitung 
dieser  poetischen  Sondschreiben.  Nünmermehr,  meint  er, 
habe  Ariost  so  gefährliche  Dinge,  wie  z.  B.  in  der  Epistel 
an  den  Bruder  Alessandro  Ariosto  und  da  Bagno,  die  in 
Ungarn  beim  Kardinal  Ippolito  weilten,  brieflich  auf  eise 
so  nufiHche  Reise  schicken  können.  Es  ist  wahr,  der 
Freimut  des  Schreibers  hätte,  wenn  entdeckt,  groBe  Un- 
annehmlichkeiten für  ihn  zur  Folge  gehabt;  nicht  minder 
för  die  Empfänger.  Femer  würden  solche  Abschriften, 
meint  Tambara,  kaum  gierigen  Buchhändlern  entgangen 
sein,  die  schon  früher  zum  Arger  Ariosts  handschriftliche 
Kopien  einiger  seiner  Komödien  „geraubt"  [rubaie)  und 
unrechtmäßigerweise  zum  Druck  gebracht  hatten.  Die 
Berühmtheit  der  Satiren  zu  Lebzeiten  des  Verfassers  er- 
kläre sich  aus  den  Lobsprüchen,  mit  denen  vermuthch 
Verwandte  und  Freunde  —  nach  EinbHck  in  das  vom 
Dichter  aufbewahrte  Originalmanuskript  —  andern  g^en- 
über  jener  Dichtungen  Erwähnung  getan  hätten. 

Dies  will  doch  nicht  recht  überzeugen.  Daß  die  rück- 
haltlose Anerkennung  des  Satirikers  Ariost,  die  Huldi- 
gung rivalisierender  Kollegen  an  ihn  auf  bloßes  Hören- 
sagen hin  erfolgt  sein  sollte,  leuchtet  nicht  ein.  Auch  läßt 
sich  em  Zeugnis  für  die  handschriftliche  Verbreitung  — 
von  1554,  zwanzig  Jahre  nach  Ariosts  Tod  —  nicht  so 
ohne  weiteres  beiseite  schieben.  In  der  Ausgabe,  die  im 


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EINLEITUNG 


CLin 


genannten  Jahr  Girolamo  Ruscclli  von  den  Satiren  unseres 
Dichters  zusammen  mit  denen  Luigi  Alamannis  zu  Ve- 
nedig veranstaltete,  sagt  er  im  Vorwort:  Da  diese  sehr 
schönen  Satiren  niemals  vom  Autor  selbst  ans  Licht  be- 
fördert wurden  (er  schrieb  die  eine  hierliin,  die  andere 
dorthin),  geschah  es,  daß  dieser  und  jener  eine  Abschrift 
nalmi«"  Ruscelli  spricht  darauf  von  drei  solchen  in  seinem 
eigenen  Besitz  befindlichen  Abschriften,  die  er  ,, schon  seit 
vielen  Jahren"  in  Rom  gehabt  habe.  Die  Annahme 
Tambaras,  diese  Abschriften  möchten  von  bereits  vor- 
handenen Drucken  (der  erste,  unrechtmäßige,  «^folgte 
15^)  herrühren,  ist  wenig  wahrscheinlich..  Warum  ab- 
schreiben, wenn  der  Druck  vcfflag? 

Wir  werden,  obwohl  keine  einzige  solcher  Abschriften 
in  unsere  Zeit  herübergekommen  ist,  doch,  wie  man  es 
bisher  getan  hat,  annehmen  müssen,  dafi  sie  vorhanden 
waren  und  —  mit  Vorsicht  —  zirkulierten,  vielleicht  ohne 
Gutheißen  des  Autors.  Obwohl  in  den  letzten  Lebens- 
jahren des  Dichters  die  Gefahr  übler  Folgen  minder  drohte, 
nachdem  der  Kardinal  Ippolito  im  Grabe  lag  und  Ariost 
in  einer  leidlich  imabhängigen  Stellung  zu  Ferrara  den  Zorn 
der  Großen  nicht  mehr  so  sehr  zu  fürchten  brauchte,  hat  er 
doch  sein  Satirenmanuskript  sorglich  gehütet  und  wenigen 
Einblick  gestattet.  Der  Zorn  der  Kirche  freilich  wäre  nach 
wie  vor  durch  eine  Veröffentlichung  erregt  worden. 

Mit  der  Frage  über  die  Verbreitung  der  Satiren  zu  Leb- 
zeiten des  Autors  hängt  eng  eine  andere  zusammen: 
haben  wir  diese  in  Epistelform  gehaltenen  poetischen  Er- 
zeugnisse wirklich  als  Briefe  zu  denken,  die  einem  be- 
stimmten Anlaß  ihre  Entstehung  verdankten  und  zur  Zeit 
dieses  Anlasses  an  den  Adressaten  als  persönliche  Mit- 
teilung abgingen?  Ks  in  die  neueste  Zeit  wurde  dies 
bejaht.  Tambara  kommt  zu  einem  anderen  Exgebnis. 
Gestützt  auf  die  Tatsache,  daß  wir  neben  der  Verseptstel 


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CUV 


EINLEITUNG 


an  Pietro  Bembo,  worin  dem  Paduaner  Gelehrten  Ariosts 
Sohn  Virginio  empfohlen  ^^ird.  noch  Ludovicos  Prosa- 
sclirciben,  das  dem  nach  Padua  auf  die  Universität  gehen- 
den JüngHng  für  Bembo  mitgegeben  wurde,  besitzen, 
spricht  er  die  briefliclie  Eigenschaft  und  aktuelle  Verwen- 
dung den  Satiren  ganz  ab.  Ihr  eigentlicher  materieller  In- 
halt bilde  nur  ein  nebensächliches  Element,  dessen  der 
Dichter  sich  bediente,  um  die  Hauptsache  anzureihen:  seine 
Betrachtungen  über  die  Wechselfälle  seines  eigenen  Lebens, 
über  zeitgenössische  Zustände,  über  Gott  und  die  Welt. 
Als  Briefe  seien  die  Satiren  überhaupt  nicht  abgegangen 
imd  hätten  somit  auch  nicht  jener  handschriftlichen  „Ver- 
breitung** unterfiegen  können;  sie  seien  zu  der  Zeit,  die  sie 
bezeichnen,  wohl  gar  nicht  ver^t  worden,  sondern  später, 
nachdem  der  scheinbare  AnlaB  nicht  mehr  existierte. 

Wenn  man  genauer  zusieht,  wird  sich  die  Notwendig- 
keit ergeben,  hier  zu  unterscheiden,  und  auf  dem  Wege 
dazu  befand  sich  auch  Tambara.  Hinsichtlich  der  Epistd 
an  Bembo  (Sat.  VI)  hat  der  Gelehrte  von  Udine  recht: 
die  vorhandene  Prosaempfehlung  schließt  aus,  daß  schon 
vor  ihr  ein  poetisches  Ersuchen  an  den  Humanisten,  für 
den  jungen  Virginio  einen  griechischen  Lehrer  zu  besorgen, 
ergangen  sei,  zumal  von  einem  solchen  Versebrief  kein 
Wort  in  dem  Prosaschreiben  sich  befindet.  Ebenso  wird 
man  die  Epistel  an  Pistofilo  (Sat.  VII),  worin  der  gutge- 
meinte Vorschlag  des  herzoghchen  Sekretärs,  dem  Dichter 
den  Gesandtschaftsposten  bei  der  Kurie  zu  vermitteln,  ab- 
gelehnt wird,  als  post  festum  geschrieben  anzunehmen  haben. 
Der  offiziellen  oder  offiziösen  Anfrage  antwortete  vermut- 
lich zimächst  ein  ebensolcher  Bescheid,  d.  h.  in  Prosa. 

Aber  in  der  vierten  Satire  mit  ihrer  Beschreibung  von 
Ariosts  Leben  in  der  Garf agnana  befindet  sich  —  Tambara 
selbst  gesteht  es  zu  —  nichts,  das  die  Grenzen  eines  harm- 
losen Bekenntnisses  an  einen  Freund  überschritte.  Ebenso 


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EINLEITUNG 


CLV 


kann  die  fünfte  mit  den  Ratschlägen  an  den  heiratslusti- 
gen Vetter  durchaus  als  ein  persönlicher  Brief  aufgefaßt 
werden.  Kommt  der  Rat  darin,  wie  wir  sahen,  etwas 
spät,  so  ist  das  kein  Grund  für  uns,  die  Sache  anders  zu 
nehmen.  Ferner  gibt  sich  die  Epistel  an  den  Bruder 
Alessandro  (Sat.  II)  nach  Ungarn  als  rein  persönliche  Mit- 
teilung zu  erkennen.  Gefährlich  war  der  Inhalt  —  wie 
bemerkt  —  freilich;  möglicherweise  indessen  verfügte 
Äriost  über  einen  imbedingt  sicheren  Boten.  Das  gleiche 
gilt  von  der  dritten:  sie  ist  rein  persönlich.  Daß  die  darin 
enthaltene  VerherrMchiing  der  Freiheit  den  Schreiber  beim 
Herzog  Alfons  in  Ungelegenheiten  bringen  konnte,  ändert 
nichts  an  dem  Charakter  des  Schriftstückes. 

Somit  ist  kein  Grand,  in  vier  Satiren  (II — ^V)  etwas 
anderes  za  sehen  als  Frivatschrdben,  denen  die  poetische 
Form  gegeben  ist,  weil  der  Absender  in  erhöhter  Stimmung 
sich  befand.  DaB  er  mit  der  Wahrscheinlichkeit  der  Iftt- 
teilung  des  Versebriefes  an  andere  Personen  als  den 
Empfänger  rechnete,  wird  wohl  anzunehmen  sein,  wenn 
er  auch  später  das  Manuskript  verschloß. 

Von  einer  Epistel  ist  es  sicher,  daß  sie  rein  literari- 
schen Zwecken  diente:  es  ist  die  an  Bembo ;  von  der  letzten, 
an  Pistofilo  gerichteten,  ist  dies  wahrscheinlich.  Bei  der 
ersten,  an  Galasso  Ariosto,  werden  wir  vielleicht  gut  tun,  das 
gleiche  anzunehmen.  Daß  Ludovico  den  Brief  geschrieben 
habe,  bloß  van  nach  seiner  Ankunft  in  Rom  Wohnung, 
Holz  und  Wasser  bereit  zu  finden,  ist  nicht  recht  denkbar. 

Wir  kommen  zum  Ergebnis,  daß  drei  Satiren  ledighch 
als  literarische  Erzeugnisse  zu  betrachten  sind ;  vier  können 
als  briefliche  Mitteilungen  betrachtet  werden. 

Nicht  über  alles,  das  diese  kleine  Gruppe  dichterischer 
Erzeugnisse,  ihren  Umfang,  ihre  Entstehung,  Anordnung 
betrifft,  sind  wir  im  klaren.  Hätte  doch  ^ginio  Ariosto, 
des  Dichters  Sohn,  sein  Wort  gehalten  1  Er  versprach,  in 


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CLVT 


T:  T  X  T   I-  T  T  ü  N  C 


bezog  auf  Werke  seines  Vaters  zu  veröffentUchen:  „dessen 
erste  Satiren;  und  den  Grund,  warum  er  späterhin  von 
der  Abfassung  weiterer  Satiren  Abstand  nahm.  Welches 
die  erste  Satire  war,  die  er  schrieb;  und  wie  er  vermeinte, 

sie  seien  verlorengegangen,  und  deshalb  keine  mehr  ver- 
fertigte. Und  wie  er,  nachdem  sie  wiedergefunden  waren, 
zwei  oder  drei  neue  begann,  die  unvollendet  blieben  und 
von  denen  eine  an  Castiglione*  gerichtet  ist." 

Von  den  hier  erwähnten  unvollendeten  Gedichten  ist 
nichts  auf  uns  gekommen,  und  "\'irginios  lockende  Ver- 
kündigungen haben  sich  nicht  erfüllt.  Für  manches  sind 
wir  noch  auf  Vermutungen  angewiesen.  So  in  bezug  auf 
die  Frage,  ob  Ariost  noch  weitere  sokher  Satiren  ver- 
faßt habe:  seine  Absicht  sei  es  gewesen  —  meldet  Garo- 
faio,  der  alte  l^ograph  — ;  auch  habe  er  sie  selbst  veröffent- 
fichen  wollen,  sei  aber  durch  häusliche  und  andere  An- 
gelegenheiten daran  verhindert  worden.  Man  vermag  an 
das  Vorhaben  nicht  recht  zu  glauben,  da,  wie  bemerkt, 
der  gedruckte  Inhalt  dem  Verfasser  immerhin  noch  Unan- 
nehmlichkeiten bereiten  konnte. 

Das  berühmte  Manuskript  in  der  BthUctheea  ehka  zu 
Ferrara  ist  die  einzige  erhaltene  zeitgenössische  Nieder- 
schrift der  Satiren.  Wie  Tambara  endgültig  festgestellt 
hat,  rührt  es  nicht  von  Ariosts  Hand  her,  bietet  aber  eine 
Abschrift,  die  dem  Dichter  vorgelegen  und  seine  Billigung 
erhalten  hat.  Von  den  Änderungen  am  Rande  und  zwi- 
schen den  Zeilen  ist  ein  Teil,  Ariosts  Handschrift  zeigend, 
in  der  Tat  als  von  ihm  persönlich  vorgenommen  anzu- 
sehen, eine  andere  Gruppe  solcher  Korrekturen  späterer 
Zeit  zuzuweisen. 

Zum  erstenmal  gedruckt  erschienen  die  Satiren  in 
einer  —  unrechtmäßigen  —  Ausgabe  im  Juni  1534,  ein 

*  Baldanwure  Castiglione,  der  Verlasser  des  „Hofimaiui«'*  (Corte- 
gUmo).  V|(l.  Sat.  III,  Anm.  16. 


L 


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F.  T  X  T.  F,  T  T  T'  X  G 


CTA'II 


Jahr  nach  des  Dichters  Tod.  Auch  der  nächste  Druck, 
im  Oktober  desselben  Jahres,  war  ein  unrechtmäßiger. 
Darum  fehlt  in  diesen  beiden  Ausgaben  die  Bezeichnung 
des  Orts  und  Verl^ers.  Nachdem  Ariosts  Erben  vom 
venezianischen  Senat  im  April  1535  das  ausschliefiliche 
Veröffentlichungsrecht  erhalten  hatten,  folgten  gleichwohl 
eine  Reihe  weiterer  betrügerisclier  Ausgaben.  Die  erste 
rechtmäßige,  von  Doni  besorgt  (Venedig,  Gabriel  Giolito), 
gehört  dem  Jahr  1550  an.  Der  gleiche  Verlag  brachte  1553 
und  1556  neue  Drucke  mit  der  Widmung  an  Ercole 
Bentivoglio  (Tambara,  S.  29),  der  mit  Ariost  durch 
Freundschaft  verbunden  gewesen  war.  Die  Gesamtzahl 
der  Ausgaben  von  1550  bis  1^24  beträgt  siebzig. 

Reizvoll  nach  ihrem  literarischen  Gehalte,  bleibe& 
Ariosts  Satiren  das  unschätzbare  Denkmal  einer  großen 
Zeit  und  eines  hohen  Dichtergenies.  Kein  Verehrer  des 
Ferraresen  sollte  diese  köstlichen  Schöpfungen  uqgelesen 
lassen  —  vorausgesetzt,  daß  er  „einen  Puff  vertragen 
kann":  von  zarten  Seelen  sind  die  Satiren,  weil  die 
darin  enthaltenen  Ungeniertheiten  und  Zynismen  aller- 
dings sehr  weit  gehen,  nicht  oder  nur  in  Auswahl  zu  ge^ 
niefien.  Es  waren  eben  die  Erzeugnisse  emer  Zeit,  in  der 
eine  Prinzessin  von  Frankreich  das  Heptameron  schrieb. 
„Man  erinnere  sich  nur,"  —  so  sagt  Paul  Heyse  in  scmem 
Vorwort  zu  Gildemeisters  Übersetzung  —  ,,von  wie  über- 
mütiger Frivolität  die  Mandragola  eines  so  ernsten  Poli- 
tikers wie  Machiavelli  strotzt  und  welche  Freiheiten  ein 
so  tiefsinniger  Geist  wie  Giordano  Bruno  in  seinem  Can- 
delajo  sich  erlaubte,  und  man  wird  es  nur  natürlicli  finden, 
daß  Ariost,  dessen  Heldengedicht  ja  auch  an  mutwilligen 
Szenen  nicht  arm  ist,  in  Briefen  an  seine  Freunde  sich 
keinen  Zwang  auferlegt.''  Tugendsam  Entrösteten  möchte 
man  jenes  lustige  Dictum  Paul  Heyses,  das  er  scherz- 
haft dem  Furiosodichter  in  den  Mund  legt,  als  Sdiüd 


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CLVIII 


EINLEITUNG 


entgegenhalten,  den  Trostspruch:  „Horniy  soU  qm  mal 
y  pMse;  sind  wir  nicht  in  der  Zeit  der  Renaissance?" 

Trotzdem  hätte  ich,  Heyses  Beisi»el  folgend  (oder 
Gildemeisters  selbst  ?),  gern  einiges  gar  zu  Arge  ausgelassen. 
Allein  ich  wagte  es  nicht :  der  Leser  hat  Ansprach  auf  un- 
verkürzte Wiedergabe  des  Werkes,  wie  es  aus  der  Feder  des 
Dichters  hervorgegangen  ist.  Der  Übersetzer  darf  nicht  den 
Zensor  spielen.  Daß  nur  reife  Literaturfreunde  die  Satiren 
wie  die  Komödien  zur  Hand  nehmen  dürfen,  versteht  sich 
von  selbst :  sie  werden  am  Ausdruck  jener  Ungebundenheit, 
die  in  ihrer  Art  doch  auch  das  Zeichen  einer  bestimmten 
Kulturepoche  ist,  kein  Ärgernis  nehmen,  zumal  wenn  sie 
mit  Sainte  Beuve  die  Ansicht  teilen:  ,,que  la  pruderie  est 
unc  chose  funeste  en  UtUrature  et  que,  jusqu*  ä  rohscenite  ex- 
dusivement,  Fart  consacre  et  purifie  tout  ce  qu'il  touche*^ 

Die  sieben  Versepisteln  veranschaulichen  unsdes  Dichters 
„secanda  mamera*^  am  deutlichsten;  sie  zeigen  nach  Ton 
und  Stil  einen  fühlbaren  Unterschied  g^gen  die  Verse 
der  „eisten  Periode".  Gemeinsam  ist  den  Schöpfungen 
beider  Lebensabschnitte  eines:  wenn  immer  Ariost  spricht 
—  sei  es  der  jüngere,  sei  es  der  spätere  — ,  so  hält  er  den 
Leser,  auch  den  modernen,  im  Bann  setner  Kunst,  zwingt 
ihn  zu  freudiger  Bewunderung  und  —  was  mehr  ist  — 
zu  stets  wachsender  Liebe.  Als  ^nale  dieser  Ausführungen 
sei  in  Erinnerung  gebracht,  was  der  Vorgänger  des  gött- 
lichen Ludovico  bei  der  Darbietung  des  „Verliebten  Roland" 
seinen  Landsleuten  in  jenem  ,,Grido  di  gioia^*^  (s.  oben 
S.  XXXIII)  ans  Herz  legte  in  Bezug  auf: 

,,dif  ßute  Mär,  daran  ich  lang  gewebt: 

Daß  ihr  in  Scharen  kommt,  will  ich  vertrauen; 

Hört  Mu  9oß  Hitld,  ihr  Herrn  und  sehänen  Frauen!** 

Möge  die  Teilnahme  weiter  Leserkreise  zur  Erreichung 
des  Zieles  beitragen,  dem  die  in  den  vorUegenden  Bänden 
abgeschlossene  erste  deutsche  Gesamtausgabe  Ludovico 


EINLEITUNG 


CLIX 


Ariostos  entgegenstrebt:  ein  tieferes  Eindringen  unserer 
Literaturfreunde  in  die  Schöpfungen  des  Meisters  der 
Renaissance,  auf  den  wir  sein  eigenes  —  im  Orlando  einer 
seiner  anmutendsten  Phantasi^estaiten  gewidmetes  — 
Wort  anwenden  dürfen: 

Natura  il  fece  e  poi  ruppe  la  stampa, 

Ihn  schuf  Natur  —  und  hat  die  Form  zerbrochen. 

Auerbach  in  Hessen,  November  19x9 

DER  ÜBERSETZER 

XIII 

ARIOST-BIOGRAPHEN,  -ERKLÄRER, 

-AUSGABEN 

Wer  tiefere  Arioststudien  verfolgt  und  über  des  Dichters 
Leben  im  Zusammenhang  mit  den  Geschicken  seiner 

Vaterstadt  eingehend  unterrichtet  sein  will,  nimmt  als  die 
beste  Leistung,  die  auf  diesem  Gebiet  die  Neuzeit  aufzu- 
weisen hat,  die  beiden  —  mehrfach  schon  erwähnten  — 
Bände  von  Edmund  G.  Gardner  zur  Hand:  Dukes  and 
Poeis  in  Ferrara  (Westminster  1904),  mehr  allgemein 
ferraresische  Dinge  behandelnd,  bis  zur  Liga  von  Cambray, 
dem  Jahre  1508,  in  dem  für  Ferrara  eine  neue  Epoche 
begann,  gehend,  und  The  King  of  Court  Poeis  (London 
1906),  wo  die  Gestalt  des  Dichters  im  Mittelpunkt  steht. 

Auch  der  vorliegende  deutsche  Gesamt-Ariost  ist  diesen 
hervorragenden  Veröffentlichungen  des  englischen  Ge- 
lehrten ffir  wertvolle  Hinweise  und  Ausfühnmgen  zu  Dank 
verpflichtet. 

Von  den  älteren  Erklärem  kommen  aus  dem  Cinque- 
cento drei  in  Betracht,  die  Gardner  mit  Recht  als  exceUent 
biographers  in  den  Vordergrund,  stellt:  zunächst  Simone 
Fomari  aus  Reggio  in  Calabrien,  der  während  seiner 


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CLX 


EINLEITUNG 


Studienzeit  in  NorditaUen  den  Sohn  des  Dichters»  Vir- 
ginio  Ariosti«  besucht  und,  wie  wir  sagen  würden,  inter- 
viewt hatte.  Er  berichtet  darüber  in  La  sfoaitione  ii 
M,  Simone  Fomari  da  Rheggio  sapra  POrlando  Furioso  ü 
M.  Ludooico  Ariasto  Firenze  1549,  einer  Art  Vorwort  zu 
Bemerkungen  über  den  »^Rasenden  Roland*':  „Ich  fand  ihn 
(Virginio)  in  Ferrara,  als  ich  die  Universität  von  Padua 
verlassen  hatte  und  den  würdigen  und  blühenden  Schulen 
von  Pisa  zustrebte,  und  er  teilte  mir  mancherlei  das 
Leben  seines  geehrten  Vaters  Betreffende  mit;  gleicher- 
weise Messer  Gabriele  Ariosto,  der  allein  von  den  Brüdern 
noch  am  Leben  Befindliche:  auch  er,  wiewohl  von  bestän- 
digen Gebrechen  heimgesucht,  hielt  aus,  bis  ich  ein  langes 
und  gelehrtes  epicedium  von  etwa  zweihundert  Versen 
gelesen  hatte,  die  von  ihm  klagenderweise  auf  den  Tod 
des  Messer  Ludovico,  seines  Bruders,  gedichtet  worden 
waren." 

Fünf  Jahre  später,  1554,  veröffentlicht  Giovanni  Bat- 
tista  Pigna,  der  Sekretär  einer  aus  Goethe  uns  bekannten 
Persdnfichkdt,  des  Herzogs  Alfcmso  II.,  zu  Venedig  7  R<h 
maim,  deren  zweiter  Band  sich  mit  Ariost  beschäftigt. 
Nach  dreißig  Jahren  erschienen  diese  Ausemandersetzun- 
gen,  durch  wertvolle  Zusätze  vermehrt,  noch  einmal,  einer 
Or2aiMfo-Ausgabe  vorgedruckt,  unter  dem  Titel:  La  viia 
di  M.  Lodoüico  Ariosto  Traüa  in  compendio  dai  Romangi 
(Venczia  1584).  Gardner  bezeichnet  Pigna  als  einen  , »Pe- 
danten schwärzester  Färbung",  zollt  aber  seiner  Gelehr- 
samkeit und  seinem  kritischen  Scharfblick  Hochachtung: 
die  Bemerkungen  seien  oft  wahrhaft  lichtvoll  {genuinely 
iUuminating). 

Zu  dem  Ferraresen  Pigna  gesellt  sich  als  dritter 
sein  Landsmann  Girolamo  Garofalo,  Sohn  des  berühmten 
Malers  Benvenuto  Tisio.  Auch  seine  Ausführungen  er- 
schienen zttsammeu  mit  dem  Orlando  von  1584  in  Venedig. 


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EINLEITUNG 


CLXI 


Wer  Ariosts  Satiren  gelesen  hat,  wird  der  Äußerung 
Gardners  zustimmen,  das  Haupt  aller  seiner  Biographen 
sei  der  Dichter  selbst  gewesen. 

Als  die  hervorragendsten  der  späteren  Ariostgelehrten 
gelten  G.  A.  Barotti  {Memorie  Istoriche  dt  Letterati 
Ferraresi,  Ferrara  1777)  und  G.  Baruffaldi  {La  Vita  di 
L.  Ariosto,  Ferrara  1807).  Auf  ihrer  und  der  früheren  Er- 
klärer Mitteilungen  beruht  ,,Ario6t06  Leben"  von  Fernow 
(Zürich  1807). 

Der  Tätigkeit  neuerer  itaüenischer  Gelehrten  ist  schon 
gedadit  worden  (in  da:  „Einleitung**,  Anfang).  Voran 
steht  Pio  Rajna  mit  seinem  grandiosen  Werk  über  die 
Qttdlen  des  „Rasenden  Roland"  (die  zweite  Auflage  der 
Ricerehe  e  Siuäj  erschien  in  Florenz  1900).  Ober  die 
lateinischen  Quellen  des  Orhmio  hat  sich  A.  Romizi 
verbreitet  (Turin  1896).  Sehr  wichtig  sind  die  Natizie 
per  U  Viia  ü  L.  Ariosio  (Firenze  1896)  von  Giuseppe 
Campori.  Daß  der  ehrwürdige  GiosuÄ  Carducci  in 
seinen  Studj  (5m  Ludovico  Ariosto  e  Torquato  Tasso) 
namentlich  durch  einen  hochberühmt  gewordenen 
Essay  [La  Gioventü  di  L.  Ariosto  e  la  Poesia  Latina  in 
Ferrara,  Bologna  igoS)  an  der  Ariostforschung  sich  be- 
teihgt  hat,  sahen  wir  in  der  Einleitung.  Die  Briefe  des 
Dichters  {Letterc  di  L.  A.,  con  prefazione  storico-critica) 
kamen  in  dritter  Auflage  zu  Mailand  1887  heraus, 
per  cura  di  Antonio  Cappelli.  Eme  gute  Ausgabe 
der  Komödien  und  der  Satiren  besorgte  (Hovanni 
Tortoli:  Commedie  e  SaHre  di  L.  Ä.  (Firenze  1856), 
der  gesamten  kleineren  Werke  später  Polidori:  Opere 
nUnori  in  verso  e  in  frosa  di  L,  A.  ordinafe  e  annctate 
(Firenze  1894). 

Von  den  Gichten  allein  besteht  eine  Ausgabe  aus  dem 
Jahr  1546:  Le  Rime  di  M.  L.  A.  non  piü  viste  et  nuofoa- 
mefUe  stampaU  ,  .  .  (Venezia). 

Arioit  I  XI 


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CLXIl 


I'  I  N  T    FT  T  r  SC 


Die  treffliche  Ausgabe  der  Satiren  (d.  h.  bloß  des  Textes) 
von  Giovanni  Tambara  (Livomo  1903)  beschäftigte  unsere 
Einleitung. 

Was  die  Ausgaben  des  Orlando  betrifft,  so  lernten  wir 

die  —  nur  40  Gesänge  enthaltende  —  editio  princeps  von 
1516  beim  Berlin  der  „Einleitung"  kennen.  Die  erste 
vollständige,  alle  46  Gesänge  enthaltende  und  vom  Dichter 
noch  persönhch  besorgte  und  durchgesehene  erschien 
am  I.  Oktober  1532  in  Ferrara:  Orlando  Furioso  dt  Messer 
Ludovico  Arioslo  ,, nobile  Ferrarese^'  nuovamente  da  lui  pro- 
prio correito  e  d'altri  canti  ntiovi  ampliato.  Impresso  in 
Ferrara  per  Maestro  Francesco  Rosso  da  Valenza,  a  di 
primo  d'OUobre,  MDXXXII.  Vier  Venezianer  Ausgaben 
folgten,  eine  1545  {In  Casa  di  Figliuoli  di  Aldo),  eine 
andere  154Ö,  die  dritte  1556,  eine  vierte  1584. 

Im  ganzen  wurden  weit  über  hundert  Ausgaben  der 
großen  Epopöe  gedruckt ;  die  beste  der  neueren  ist  die  un- 
serem Gcsamt-Ariost  zugrunde  liegende:  OrUmdo  Furioso 
di  L,  An  seeondo  Pedixione  del  MDXXXII  con  commento  di 
Piäro  Papim  (Fketae  1903). 


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GESCHLECHTSTAFEL  I 


AllMrtP  da  I 


I 


t«74) 


Pündvaile 
Makteii  (t  1494 
Paadollo  (t  SSM) 


Tonunaso 
(Begründer  der  Bd 
Linie  der  Ark 


(t  I499)* 


(t  1519) 


dovamd  Battiste 
iuMA.  Saba.  1S09— Kapitio 


Ann«  m  der  StaoimtaM  M  P.  Utt%  FtaUBa  CcMfaM  Itdlm. 


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»ES  HAUSES  ARIOSTO» 


liosto  


PriadvaUe 


Jaoopo 


Booifuio  (t  1365) 


Llppa  (t  1347)  I 
B.OUMOlUd'Brt»  Niccolö 


Ftoloo  Bonifaxio 


Rin&ldo, 
I.  M.  Taddea  GOBtadinI 


Niccolö 


N  iccold  (t  1500) 
venn.  ra.  Daria  Malaguizl 


.udovico,  Gabriele,    Carlo.    Galasao,    AlesModro,    Taddea,    Dorothaa,  Vitgini«. 

1474-1^33  (ttSMl  (t»5t«  (t»5«j)  (t49»— S96») 

*  — — ■  ^ 

Virginiü,  1509 — x56o 
(Mutter  Ürsolina  CatinelU) 


GiuUo,  X540— »533 


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GESCHLECHTSTAFEL  KARLS  DES  Gl 


dodondt 


I 

Rampald 


tsior 


lU. 


I 

Bernhard  von  Clermont 


Ilalmon  von  Donlogne.    Getfuud  von  RonaaUlon.  Buovo  von  Airgemoot.  Pmpat  Lao.  Ott 
ÄUrd.  Goiscttd.  RinaUL  Rktanlet.  BmUmaat«.  Guido  (dw  WÖSc)  'Aküfier.  Makfta.  VMn.^ 


*  Dieser  von  Gries  anifeaibeitete  fabdhafte  SUnunbaam,  der  zunSclist  mf  dMi  itaUl 
von  Ludwig  Frinkel  in  tataer  EiaMtanf  n  Bo|a>da«  «Vcriiabm  Roiml"  (Stattfut»  C 


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iOSSEN  UND  SEINER  PALADINE* 


Fioljrdaot 
I 


itHtfaH^  CtÜOCUS 


7IÖV0 


Fioravant 


OcUvian  (vom  Löwen) 


Gisbert  (fi«  visa^gio) 


Buovo 


! 

1  'i  JUI 


Rolaod 


Kail  d«r  GroS«.  B^tha 

mit  dem 


Gokaid  voD  Fntu.  M 

Raioer  voo  V: 

oder  Reims 


Ii.-.-',  hr 


Don 


PoB« 

(Gattin 
Milom  V. 
Aoflaot , 


ÜUvter.  Alda  (Rolands  Frau) 
GfÜDD.  AquUaot 


•  (nm  1300),  Buch  V,  Scblnfikapitcl,  bcnibt,  irt 


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DERRASENDE  ROLAND 

£RST£R  BIS  VIERZEHNTER 

GESANG 


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INHALT  DER  GESÄNGE 


ERSTER  GESANG 

ElngMif  <i*-8).  WidmaBg  «n  den  Kardinal  Ippolito  d'Eate  (5— 14). 

Angelika  im  Lager  der  Franken.  Sie  flieht  vor  Rinald  (5 — 13).  Ferragn 
kämpft  mit  Rinald  (14—23).  Der  Geist  Argalias  erscheint  Ferragn 
(24 — 31).  Rinald  verfolgt  Angelika  (32).  Sie  trifft  Sakripant  (33 — 59). 
Bradamaat  endwfait  und  beeiegt  Sakripant  (60—70}.  Der  Heagn 
Bajaid  kommt;  hinter  Uun  Rinald  (7t — 81). 

ZWEITER  GESANG 

Klage  an  Amor  (i).  Rinald  kämpft  mit  Sakripant  {2 — 10).  Ange- 
lika und  der  Einsiedler  (11 — 15).  Rinald  kehrt  nach  Paris  zurück  und 
wird  nach  England  geschickt  (16 — 30).  Bradamaat  trifft  den  Grafen 
FiaabeL  Bericht  Uber  den  Reiter  anf  dem  geflflgdten  RoB  (31—63). 
Bradamnnt,  von  Pinabel  gefflhrt,  bricht  nach  der  Borg  des  ZaabeRdten 
auf.  Pinabels  Verrat  (63—76). 

DRITTER  GESANG 

Der  Dichter  rfistet  rieh,  das  Haoa  Este  ra  verherrlichen  (1—4).  Bra- 
daaiant  in  der  Grotte  Merlins  (5 — 62).  Sie  wird  belehrt,  wie  sie  durch 
einen  Zauberring  den  Magier  auf  dem  Flflgelpferd  überwindca  und 
Roger  befreien  kann  (63 — 77). 

VIERTER  GESANG 

Über  die  Verstdlnng;  wie  notwendig  rie  snweilen  ist  (i — 3).  Bra* 

damant  vor  dem  Zauberschloß  des  Atlas.  Sie  entreißt  dem  Brunei 
den  Ring,  überlistet  Atlas  — 37).  Das  Schloß  verschwindet;  die  Ge- 
fangenen werden  frei.  Roger  wird  vom  Flügelroß  entführt  (38 — 50). 
Rinald»  dnrch  efaien  Sturm  nach  Schottland  gebracht,  hfirt  von  der 
Not  der  Königstochter  Ginevra  (51 — 72). 

FCNPTER  GESANG 

Über  die  Schändlichkeit,  sich  an  Frauen  zu  vergreifen  (i — 3).  Da- 
linda  erzählt  Rinald,  wie  Ginevra  durch  den  Betrug  des  PolineO  in 
Gefehr  achwebt  (4—74).  Rinald  enKheiat  am  achottiscfaea  IGBniiriM»C 
und  besiegt  PoUnefi  (7S— 93). 


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CLXVI     INHALT  DER  GESÄNGE 


SECHSTER  GESANG 

über  dea  Fli»li  d«  bfl.«  Tat  <,).  Der  Ue  Ariod.»t  gewinnt 
Ginevra  {2 — 16).  Roger  gelangt  auf  dem  FlfigdroO  nach  dem  Eiland 
der  Alcina  (17 — 25).  Astolf,  in  eine  Myrte  verwandelt,  erzählt  seine 
Geschichte  (26—54).  Roger  sticht  Alcinas  Reich  zu  meiden  (55— 

SIEBENTER  GESANG 

Abwehr  der  Unglaubwürdigkeit  (i — 2).  Roger  kämplt  mit  der 
Riesin  Eriphyle  (3 — j).  Im  Zauberreich  Alcinas  (8 — 32).  Bradamant 
mid  Meliaaa  aaterttdiiiiea  die  Befreimif  Roceta  (33--50).  Enmrddnsch 
MdiMa,  die  dea  Atiaa  Geatalt  annimm^  entianbert  (51 — 80). 

ACHTER  GESANG 

Über  Falscliht  it  und  Arglist  (i — 2).  Roger  flieht  zur  weisen  I.o- 
giatilla;  Alcina  verfolgt  ihn  (3 — 21).  Rinald  in  England  (22—28). 
Der  Einsiedler  umstrickt  Angelika  (29 — 50).  Von  der  Insel  Ebuda, 
WO  der  Orka  tii^ich  eine  Vnn  geopfert  wird.  Angelika  96H  dem  Untier 
snr  Beute  werden  (51 — 68).  Roland  härmt  sich  um  Angelika.  Sein 
Tranm.  Roland  nnd  Brandimart  brechen  nach  Paris  auf  (69— -91I. 

NEUNTER  GESANG 

Über  die  Macht  Amors  (1—2).  Roland  sucht  Angelika;  er  will 
nach  Ebuda  fahren  (3 — 17)1  hört  die  Geschichte  der  Olympia  von 
Htdland  (18 — 56),  befreit  deren  Vertobten  Biren  von  Sedand  und  t5tet 
den  mit  einem  Fennrolir  bewaffiMim  FkiesenkOnig  Cimoaco  {S7—^7h 
Roland  wirft  das  Penerrahr  ina  Meer  nnd  a^idt  nach  Ebuda  (S8— 94). 

ZEHNTER  GESANG 

Biren  verläßt  verräterisch  Olympia  (l — 34).  Roger  reitet  ins  Land 
der  Logistilla.  Niederlage  der  Alcina  (35 — 68).  Roger  kelu-t  auf  dem 
Flügelpierd  nach  Europa  zurück  (69 — 73),  sieht  die  Heerschau  über  die 
engUsdien  und  achottisciien  Truppen  (74 — 90),  fliegt  nach  Ebuda,  be- 
tiubt  die  Orka  und  befreit  Angelika  {91 — 115). 

ELFTER  GESANG 

Weisheit  ist  schwach  gegen  Leidenschaft  (i).  Roger  fli^  mit 
Angelika  nach  der  Bretagne;  dort  verschwindet  sie  ihm;  sein  Flügel- 
roü  verläüt  ihn  (2 — 14).  Er  glaubt  Bradamant  von  einem  Riesen  be- 
droht SU  adien  (15—21).  Dlicr  die  FeuerwulfBa  (s»--48).  Rola»! 
kommt  nach  Eboda,  tötet  die  Orka  and  befreit  <Xympia;  diese  ver- 
mählt sich  mit  dem  KiSoig  von  Irland  (29— «9). 


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INHALT  DER  GESANGE  CLXVII 


ZWÖLFTER  GESANG 

Rolaad  wird  in  das  verhrncto  ScUoa  des  Atlas  geloekt  (i->x6): 
avdl  Roger  (17 — 32).  Angelika  kommt  dahin;  Roland,  Sakripant  und 
Ferraf^u  werden  durch  sie  frei  (23 — 37).  Roland  und  Ferragu  kämpfen 
um  den  Helm  Almonts  (38 — $5)-  Angelika,  vor  Ferrago  fliehend,  findet 
dnea  verwundeten  Jüngling  (56—65).  Roland  btttaht  allein  awei  Heore 
der  Saraawen  (66 — 85),  kommt  auf  der  Umachan  nach  Angelika  in  eine 
PdeenhOhle  und  trifft  dort  eine  gefangene  Prinanwrfn  (86 — 94). 

DREIZEHNTER  GESANG 

Lob  der  alten  Zeit  (i).  Geschichte  der  Isabella  von  Gaücicn  und 
des  Prinzen  Zerbin  von  Schottland  (2 — 31).  Roland  befreit  Isabella 
(33 — 44).  Melissa  unterrichtet  Bradamant  von  Rogers  Gefangenschaft 
im  ZanbeneUoB;  die  Jnngfran  beeddleOt,  Uun  in  bdlen  (4$— S5)* 
Verherrlichung  der  Frauen  aus  dem  Hanse  Este  ($6 — 73).  Bradamant 
läßt  sich  vom  Zanbcrer  Atlas  fangen  (74—79).  Heeischan  Agcamanta 
(80—85). 

VIERZEHNTER  GESANG 

Schlimme  Lage  der  Christen  wie  der  siegreichen  Saraaenen  (i — 3). 
Vergleich  mit  dem  Znstand  nach  der  Schlacht  bei  Ravenna  (3 — 9). 
Heerschau  der  Sarazenen  (10 — 27).  Mandrikard,  König  der  Tataren, 
neidet  Roland  seine  Ruhmestaten  (28 — 37),  überwältigt  allem  die 
Wachen,  von  denen  Doralis,  dl«  KBuigstoditer  von  Granada,  beschfltst 
wird,  und  entführt  letztere  (38 — 64).  Agramant  beschließt  den  Sturm 
auf  Paris  (65^ — 67).  Die  Christen  beten,  insbesondere  Karl  (68 — 74). 
Gott  schickt  den  Erzengel  Michael:  er  soll  den  Christen  helfen  und  die 
Ungläubigen  durch  Erregung  von  Zwietracht  schwächen  (75 — 97).  Sturm 
der  Saraaenen  nnf  Puls  (98—113).  Rodomonts  gewaltige  Taten  nnd 
ünteigang  scinea  Heerea  in  den  Flammen  (119—134). 


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ERSTER  GESANG 


X.  Die  Ritter,  Fraun,  Großtat  der  Hochgemuten, 
Lieb',  Edelart  zum  Sang  ich  mir  erkor, 
Wie  sie  die  Welt  sah,  da  durch  Meerosfluten 
Nach  Frankreich  fuhr  aus  Afrika  der  Mohr, 
Treu  seines  Herrschers  jugendlichen  Gluten, 
Des  Königs  Agramant,  der  sich  verschwor. 
Den  stolzen  Sinn  des  Kaisers  Karl  zu  brechen 
Und  schwer  an  ihm  den  Tod  Trojans  zu  rächen. 

2.  Von  Roland  gilt  es  Unerhörtes  sagen. 
Was  weder  Reim  noch  Prosa  je  gekannt: 
Wie  er,  so  weise  sonst  in  allen  Tagen, 

Durch  Liebe  ward  vom  Wahnsinn  übermannt; 
Wenn  sie,  die  fast  wie  ihn  mich  hat  geschlagen. 
So  daß  mir  schier  mein  biBchen  Witz  entschwand. 
Von  diesem  Rest  so  viel  mir  will  vergdnnen. 
Daß  ich  Versprochnes  werde  schaffen  können. 

3.  Hochherz'ger  Sproß  aus  Herkules'  Geschlechte, 
Du  Schmuck  und  Glanz  der  Zeit,  ninun  gnädig  an, 
Ippolito,  was  dir  von  deinem  Knechte 
Gegeben  wird,  wie  er  es  geben  kann: 

Mit  Schreibwerk  zahl'  ich  und  mit  Reimgeflechte 
Zum  Teil  zurück,  was  ich  durch  dich  gewann. 
Der  Kargheit  Vorwurf  trifft  mich  keinenfalles, 
Denn  geb'  ich  wenig,  geb'  ich  doch  mein  Alles. 

Artott  I  I 


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ERSTER  GESANG 


4.  Es  tritt  mit  andern  auserlesnen  Degen, 
Die  hoch  zu  preisen  dieser  Sang  erklingt, 
Auch  Roger,  ja,  der  Ahnherr,  dir  entgegen. 
Von  dem  des  Hauses  hehrer  Stamm  entspringt. 
Sein  Wert  und,  was  er  tat  auf  Heldenwegen, 
\\'enn  du's  verstattest,  dir  zu  Ohren  dringt: 
Den  Flug  des  Geistes  senk'  ein  wenig  nieder, 
Hinaulzimehmen  meine  schlichten  Lieder. 

5.  Graf  Roland,  für  Angelika  entglommen, 
Gewohnt,  für  sie  die  Gegner  hinzumähn, 
Erfocht  im  Inderreich  zu  ihrem  Frommen, 
Bei  Medern  und  Tataren  Kriegstrophän ; 
Nach  Westen  war  er  jetzt  mit  ihr  gekommen. 
Dort,  wo  am  Fuß  der  schroffen  Pyrenän 

Für  Frankreichs  Heer  und  das  aus  deutschen  Landen 
Auf  Karls  Befehl  die  Lagerzelte  standen, 

6.  Daß  vor  Verdruß  sich  selbst  ins  AntUtz  schlügen 
Marsilius  und  König  Agramant: 

Der  schickte  ja  nach  Nord  in  langen  Zügen, 
Wer  nur  mit  Schwert  und  Lanze  war  bekannt; 
Und  jener  sah  die  Hoffnung  ihn  betrügen. 
Mit  der  ganz  Spanien  ward  ausgesandt. 
So  traf  denn  Roland  ein  zu  guten  Stunden; 
Doch  Freude  drüber  ist  ihm  bald  geschwunden. 

7.  Denn  seine  Dame  sieht  er  sich  entrissen 

—  Entfernt  ist  Wähnen  oft  von  Wirklichkeit  I  — : 
Die  er  von  Ost  trotz  tausend  Hindernissen 
Gen  Abend  hat  geführt  nach  langem  Streit, 
Die  soll  er  mitten  unter  Freunden  missen, 
In  seinem  Land,  den  Degen  in  der  Scheid' ! 
Um  schweren  Brand  zu  löschen,  als  ein  Weiser 
HinwQggenommen  hatte  sie  der  Kaiser. 


ERSTER  GESANG 


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8.  Vor  kurzem  schuf  ein  Zwist  dem  Herrscher  Leiden: 
Rolands  und  seines  Vetters,  des  Rinald, 

Da  jähe  Glut  im  Busen  dieser  beiden 
Entbrannt  war  für  die  hebhche  Gestalt. 
Karl  sann  darauf,  den  Anlaß  ausauscbeiden, 
Der  Schwächung  drohte  seiner  Heergewalt: 
Er  nahm  die  Schöne  fort,  den  Streit  zu  enden. 
Und  ließ  sie  in  des  Bayeniherzogs  Händen. 

9.  Zum  Lohn  soll  der  von  ihnen  sie  behalten. 
Der  mehr  der  Feinde  habe  umgebracht; 
Der  mächt'ger  werde  Kriegerkraft  entfalten 
Und  Kaisers  Dank  verdienen  in  der  Schlacht« 
Doch  anders  sollte  sich  das  Ding  gestalten, 
Denn  fliehen  mußte  der  Getauften  Macht. 
Der  Herzog  ward,  mit  vielen  noch,  gefangen. 
Und  jeder  könnt'  ins  leere  Zelt  gelangen. 

10.  Rasch  ist  die  schöne  Maid  dort  aufgesprungen. 
Die  nach  der  Schlacht  des  Siegers  sollte  sein, 
Hat  vor  Entscheid  sich  auf  ihr  Roß  geschwungen 
Und  spreugt  mit  allen  Kräften  querfeldein. 
Sie  ahnt,  Herrn  Karl  ist  heut  der  Tag  mißlungen. 
Und  feind  das  Glück  des  Christenvolkes  Reihn. 
Ein  Hain  um^mgt  sie;  dort  auf  engen  Wegen 
Kommt  ihr,  zu  Fuß,  ein  Rittersmann  entgegen. 

XI.  Hehn  auf  dem  Haupt,  das  gute  Schwert  zur  Seiten, 
Gepanzert  und  am  Arm  den  Schildesrand, 
Lief  er  doch  leichter  durch  des  Waldes  Weiten, 
Als  nackt  ein  Bauer  nach  dem  roten  Band. 
Ein  Hirtenkmd,  sieht  es  die  Schlange  gleiten, 
Hebt  flinker  nicht  das  Füßchen  aus  dem  Sand, 
Als  hier  Angelika  die  Zügel  wandte, 
Sobald  den  Nahenden  ihr  Aug'  erkannte: 


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ERSTER  GESANG 


12.  Den  Haimonssohnl  —  es  bleichten  ihie  Wangen  — 
Den  Paladin  und  Herrn  von  Montalbant 

Gar  seltsam  war  sein  Roß  ihm  durchgegangen, 

Bajard,  und  lockt  ihn  her  auf  diese  Balm. 
Als  hin  zur  Dame  seine  Blicke  drangen, 
Hat  er  —  der  Himmel  wird  ihm  aufgetan!  — 
Vor  sich  die  süße  Huldgestalt  gefunden, 
Die  ihn  mit  starkem  Liebesnetz  umwunden. 

13.  Die  Dame  läßt  den  Zelter  rückwärts  jagen. 
Verhängt  die  Zügel,  stets  in  vollem  Lauf; 
Fragt  nicht,  ob  guten  Weg  sie  eingeschlagen. 

Ob  dicht  der  Wald,  ob  dünn  ;  sie  schaut  nicht  auL 
Nein,  zitternd,  außer  sich,  läßt  sie  sich  tragen 
Vom  Tiere,  wie  es  wäll;  bergab,  bergauf 
Schweift  sie  imiher  auf  rauhem  Waldespfade 
Und  kommt  zuletzt  zu  einem  Flußgestade. 

14.  Am  Ufer  dort  war  Ferragu  zu  finden, 
Beschmutzt  und  schweißbedeckt  mit  staub'gem  Schuh. 
Vom  Schlachtgewülil  ließ  zeitig  üm  entschwinden 
Brennender  Durst  und  Wunsch  nach  etwas  Ruh'. 
Da  mußt'  ein  Zufall  an  den  Ort  ilm  binden; 

Denn  als  er  gierig  trank,  ließ  Ferragu 

Vom  Haupt  den  Helm  ins  Wasser  sich  entwischen. 

Und  nicht  gelang's  noch,  ihn  herauszufischen. 

15.  Schreiend,  im  tollsten  Jagen  kommt  mit  Bangen 
Das  Mädchen;  —  hei,  wie  jetzt  sie  neu  erschrickt  1 
Ans  Ufer  springt  der  Heide  voll  Verlangen: 

Bei  dieser  Stimme  hat  er  aufgeblickt. 

Sind  auch  vom  Schreck  entstellt  und  blaß  die  Wangen, 

Er  weiß  doch,  wen  sein  guter  Stern  ihm  schickt: 

Von  der  er  viele  Tage  ohne  Ktmde, 

Angelika  schickt  ihm  die  Gunst  der  Stunde! 


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ERSTER  GESANG 


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z6.  Vielleicht  so  hitzig  wie  die  Vettern  eben. 
Und  weil  ein  edles  Heiz  ihm  waid  beä^hert. 

Eilt  er,  zu  ihrem  Schutz  den  Arm  zu  heben, 

So  kühn,  als  sei  er  ganz  mit  Stahl  bewehrt, 

Und  wo  Rinald  steht  —  wahrlich  ohne  Beben!  — , 

Hin  läuft  er  drohend  mit  gezücktem  Schwert. 

Die  beiden  kannten  sich,  und  unvergessen 

War  ihnen,  daß  im  Kampf  sie  sich  gemessen. 

17.  Beide,  zu  Fuß  jetzt,  nur  die  Schwerter  hatten: 
Ein  grimmig  Hämmern  alsobald  begann. 
Nicht  Schuppenkleider  oder  Panzerplatten, 

Ja  selbst  kein  Ambos  schützte  hier  den  Mann. 
Derweil  die  zwei  mit  Hieben  sich  ermatten. 
Verstohlen  fängt  das  Pferd  zu  laufen  an; 
Denn  jene  jagt  mit  aller  Kraft  der  Spornen 
Das  Tier  ins  Feld  durch  Dickicht  und  durch  Domen. 

18.  Lang  mühten  sich  umsonst  die  beiden  Degen, 
Den  Gegner  hinzustrecken  in  den  Sand; 
Denn  keiner  war  dem  andern  überlegen. 
Geschickt  des  Heiden  wie  des  Christen  Hand. 
Rinald  begann  zuerst  den  Mund  zu  regen 
Und  sprach,  dem  spanischen  Ritter  zugewandt. 
Wie  einer,  der  von  innem  Gluten  so  brennt, 
Daß  ihm  das  Wort  fehlt  und  er  lichterloh  brennt: 

19.  ,,Nur  mich  zu  treffen,  ist  ja  dein  Verlangen; 
Allein  dir  selbst  auch  fügst  du  Schaden  zu. 
Gesetzt,  daß  ich  dir  bis  zum  Morgenprangen 
Hier  zu  verweilen  den  Gefallen  tu, 

Ob  ich  dann  tot  bin  oder  bin  gefangen, 
Bei  alledem,  sprich,  was  erlangst  denn  du? 
Das  alles  wird  dir  nicht  die  Maid  gewinnen; 
Derweil  wir  säumen,  flieht  sie  ja  von  hinnen. 


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6  ERSTERGESANG 


20.  Gescheiter  wär's,  du  ständest  mir  zur  Seite, 
Liebst  du  sie  auch;  der  Weg  sei  ihr  verwehrt. 
Rasch,  eh  sie  noch  verschwinde  dort  ins  Weitet 
Hübsch  zu  verweilen,  werde  ^e  belehrt! 

Wenn  wir  sie  haben,  wohll  —  in  blut'gem  Streite, 
Wem  sie  geh^,  entscheide  dann  das  Schwert. 
Ich  sehe  nicht,  was  auf  der  Säunmis  Pfaden 
Sich  sonst  für  uns  ergeben  kann  als  Schaden." 

21.  Dem  Mohr  ge011t,  was  man  ihm  vorgeschlagen: 
Seht,  angeschoben  ist  der  Zweikampf  schont 
Die  Gegner  haben  derart  sich  vertragen 

(Haß  scheint  vergessen  und  der  Zorn  entflohn). 
Daß,  als  des  Mohren  Roß  den  Herrn  soll  tragen, 
Er  nicht  zu  Fuße  läßt  den  Haimonssohn. 
Er  lädt  ihn  ein,  den  Sitz  mit  ihm  zu  teilen, 
Und  hinterm  Fräulein  drein  die  Ritter  eilen. 

22.  O  Trefflichkeit  der  Ritter  alter  Zeiten  t 
Als  Nebenbuhler,  grimmig  aufgebracht, 
Versdiiednen  Glaubens,  während  noch  vom  Streiten 
Mandl  harter  Hieb  am  Leib  sich  fühlbar  macht, 

Ohn'  alle  Furcht  auf  gleichem  Rosse  reiten 
Sie  krummen  Pfad  entlang  durch  Waldesnacht! 
Vier  Sporen  fühlend,  kommt  gleich  einem  Pfeile 
Das  Pferd  hin,  wo  der  Weg  geht  in  zwei  Teile. 

23.  Und  weil  sie  beide  nun  in  Zweifel  stehen. 
Wohin  sich  wohl  das  schdne  Kind  gewandt  — 
Denn  hier  wie  dort  ist  neue  Spur  zu  sehen. 

Und  keiner  hat  ein  Zeichen  sonst  erkannt  — , 
Beschließt  ein  jeder  auf  gut  Glück  zu  gehen. 
Der  eine  rechts,  der  andre  linker  Hand. 
Im  Wald  Herr  Ferragu  die  Kreuz  und  Quer  ritt. 
Und  schüeßüch  war  er  wieder,  wo  er  herritt. 


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ERSTER  GESANG 


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24.  Am  Flusse  steht  er,  wo  der  Strdmiing  Schnelle 
Ihm  seinen  Helm  vom  Haupt  hinmiterzog. 

Noch  einmal  will  er  prüfen  hier  die  Welle, 

Weil  Hoffnung  auf  das  Fräulein  ihn  betrog. 
Wo  ihm  der  Helm  entfiel,  an  gleicher  Stelle 
Taucht  er  hinunter  in  das  Flutgewog! 
Da  hat  der  Helm  sich  in  den  Sand  gegraben: 
Wohl  Mühe  kostet's,  ihn  zurückzuhaben  1 

25.  Aus  einem  zugestutzten  glatten  Zweige 
Schnitzt  er  sich  eine  mächtig  große  Stang' 
Und  reizt  den  Fluß,  daß  er  den  Helm  ihm  zeige. 
Und  stochert  auf  und  ab  und  tastet  lang'; 

Er  sucht  und  sucht,  der  Tag  geht  auf  die  Neige, 
Des  Eifers  Hitze  rötet  ihm  die  Wang', 
Als  einen,  bis  zur  Brust  von  Flut  umgeben, 
Er  ans  dem  Strom  sich  dräuend  sieht  erheben. 

26.  Der  steckt  —  bis  an  den  Kopf  —  im  Eisenkieide, 
Und  einen  Helm  trägt  seine  rechte  Hand. 

Es  ist  der  gleiche  Helm,  um  den  der  Heide 
Umsonst  so  viele  Müh'  hat  aufgewandt. 
.Treuloser  Schurke,"  spricht  er  zornig,  leide. 
Daß  ich  behalte,  was  mir  Gott  gesandt! 
Den  Helm  zu  lassen  will  dir  Schmerz  bereiten. 
Den  du  mir  schuldest  doch  seit  langen  Zeiten  I? 

27.  Besinne  dich:  als  damals  du  erstochen 
Den  Bruder  —  ich  war's  —  der  Angelika, 
Den  andern  Waffen  nach  hast  du  versprochen 
Zu  werfen  in  den  Fluß  den  Stahlhelm  da. 
Hält  das  Geschick  den  Elid,  den  du  gebrochen. 
Füg'  didi,  kein  Grund  zu  jammern  ist  das  ja. 
Rßg'  dich  nicht  auf,  und  willst  du  auf  didi  regen. 
Je  nun,  so  tu's,  ich  habe  nichts  dagegen! 


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8  ERSTERGESANG 


28.  Trägst  du  nach  einem  schönen  Helm  Verlangen, 
Such'  einen  andern  dir;  trag  ihn  mit  Ehr'l 

In  solchem  Helm  kommt  Roland  heigegangen; 
Rinaldos  gilt  so  viel,  vielleicht  noch  mehr. 
Man  sah  ICambrin  darin  nnd  Alnumt  prangen: 
Von  jenen  hole  dir  doch  einen  her. 
Weil  diesen  hier  du  hübsch  mir  lassen  solltest. 
Wie  deinem  Wort  nach  du  ihn  lassen  wolltest I" 

29.  Dem  Möhren  sträubte  sich  das  Haar  vor  Schrecken, 
Als  jäh  der  Schatten  stieg  aus  Stromesflut; 

Die  Stimme  blieb  ihm  in  der  Kehle  stecken. 

Und  aus  den  Wangen  wich  zurück  das  Blut. 

Er  hdrte  sich  mit  Schmach  von  ihm  bedecken 

(Einst  Argalia  hieB  der  Kämpe  gut. 

Den  er  erstach);  als  der  ihn  treulos  nannte. 

Vor  Scham  und  Zorn  er  inn  und  aufim  fafannte. 

30.  Es  fehlte  Zeit,  um  Antwort  ihm  su  geben; 
Auch  wüßt  er  wohl,  daß  jener  Wahrheit  sprach. 
So  blieb  das  Wort  ihm  auf  den  Lippen  schweben. 
Doch  grub  sich  tief  ins  Herz  ihm  ein  die  Schmach, 
Und  heilig  schwur  er  —  bei  Lanfiisas  Leben  — , 
Das  Haupt  beschütz'  hinfort  kein  ander  Dach 

Als  jener  Helm,  den  einst  bei  Aspramonte 
Roland  gewann  vom  trotzigen  Almonte. 

31.  Und  treuer  sollt'  er  stehn  zu  diesem  Eide, 
Als  er  vordem  des  andern  hat  gedacht. 

Er  zieht  davon,  das  Herz  beschwert  von  Leide, 
Und  härmt  und  grämt  sich  lange,  Tag  und  Nacht, 
Den  Paladin  zu  finden  strebt  der  Heide, 
Sucht  hier  und  dort  nach  ihm  mit  aller  Macht. 
Rinald,  der  sich  indessen  fortbegeben, 
Sollt'  andre  Abenteuer  noch  erleben. 


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ERSTER  GESANG 


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32.  Er  geht  noch  gar  nicfat  lang,  da  sieht  er  springen 
Bajard  nicht  weit  vor  sich,  sein  stolzes  Tier: 
„Halt,  Bajard,  halt!  Du  willst  mir  Schaden  bringenl" 
So  ruft  er  laut,  ,,gar  sehr  ja  fehlst  du  mir!" 

Er  sieht  das  KoiS  nur  immer  weiter  dringen, 
Als  ob  es  taub  war',  in  das  Waldrevier. 
Nun  eilt  er  nach,  in  Zomesf lammen,  brennenden; 
Doch  folgen  wir  Angelika,  der  rennenden. 

33.  Sie  flieht  dahin  durch  dunklen  Waldes  Weiten, 

Einöden  menschenleer  und  grauenvoll. 
Wo  Blätter  wiegen,  wo  sich  Schatten  breiten 
Von  Ulmen,  Eichen,  Buchen  —  da  wie  toll 
Muß  sie  auf  einmal  pfadlos  seitwärts  reiten, 
Hier-,  dorthin,  weil  die  Furcht  im  Busen  schwoll. 
Bei  jedem  Schatten  fängt  sie  an  zu  traben: 
Stets  glaubt  sie  hinter  sich  Rinald  zu  haben. 

34.  So  wie  das  Zicklein  oder  Reh,  das  junge, 

Das  unter  Buschwerk  sah  im  heim 'sehen  Hain 
Des  Pardels  Wut  zerreißen  Brust  und  Lunge 
Der  lieben  Mutter,  und  mit  fünkem  Bein 
Von  Wald  zu  Wald  flieht  in  entsetztem  Sprunge, 
Zitternd  vor  Angst,  in  Dunkelheit  hinein  — 
Bei  jedem  Knistern,  jedes  Zweiges  Knacken 
Fühlt  es  das'  grimme  Tier  in  seinem  Nacken  — : 

35.  Den  Tag,  die  Nacht,  vom  nächsten  Tag  noch  Stunden 
Schweift  sie  —  wo,  weiß  sie  selber  nicht  —  umher. 
Bis  einen  Waldeshag  sie  hat  gefunden. 

Von  frischer  Luft  bewegt  und  düfteschwer; 
Von  zartem  Gras  und  Blumen  hold  umwunden, 
Zwei  Bächlein  drängen  murmelnd  nach  dem  Meer» 
Und  lieblichem  Gesang  glaubt  man  zu  lauschen. 
Da  leise  plätschernd  durchs  Gestein  sie  rauschen. 


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10  ERSTERGESANG 


36.  Sicher  za  sein  scheint  dieser  Ort  der  Wonnen, 
Rinald  entfernt  wohl  manche  weite  Meil'; 
Von  Hitz'  imd  Mühen  viel  ist  sie  gesonnen 
Hier  anssnruhen  eine  kleine  Weil'l 

Und  unter  Blumen  steigt  sie  ab  am  Bronnen. 
Das  Pferd  nimmt,  zügdfr^,  am  Rasten  teil: 
Es  schweift  vergnügt  mnher  im  kühlen  Räume, 
Der  frische  Gräser  beut  an  seinem  Saume. 

37.  Ganz  nahe,  siehl  ein  scfadn  Gebüsch  sich  brdtet, 
Wo  Blütendom  bei  roten  Rosen  sprießt, 

Sich  hold  im  Wasser  spiegehid,  das  da  gleitet; 
Der  Sonn'  ein  Eichendacfa  den  Platz  verschließt. 

Die  Mitte  drinnen  zum  Gemach  sich  weitet, 
Durch  das  erfrischend  dichter  Schatten  fließt, 
Blattwerk  und  Zweige  kunstvoll  sich  verschlingen  — 
Selbst  Phöbus'  Bück  vermag  nicht  durchzudringen. 

38.  Ein  zartes  Gras  ladt  ein  die  müden  Glieder, 
Wes  Augen  immer  diese  Rtihstatt  sahn; 

Die  Schöne  läßt  sich  in  der  Mitte  nieder 

Und  gleich  vom  Arm  des  Schlummergotts  umfahn. 

Jedoch  nach  kurzer  Frist  erwacht  sie  wieder: 

Sie  glaubt  zu  hören,  daß  sich  Tritte  nahn. 

Leis  steht  sie  auf,  Gewißheit  sich  zu  schaffen  — 

Und  sieht  am  Bäcblein  einen  Mann  in  Waffen. 

39.  Ob  Freund,  ob  Feind  es  ist?  Sie  kann's  nicht  sagen: 
Bald  ist  sie  hoffnungsfroh,  bald  wieder  bang 

Und  mag  den  Hauch  nicht  eines  Seufzers  wagen: 

Sie  wartet  auf  das  End'  vom  Liede  lang. 

Zum  Fluß  hinab  ihn  jetzt  die  Schritte  tragen: 

Dort  bleibt  er,  auf  den  Arm  gestützt  die  Wang', 

Und  in  Gedanken  steht  er  tief,  alleine, 

Ganz  wie  erstarrt  zu  regungslosem  Steine. 


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ERSTER  GESANG 


ZI 


40.  Gesenkten  Hauptes  stand  mit  seinem  Harme 
Der  Ritter  stundenlang  am  Bachesdanmi; 

So  weich  zu  klagen  drauf  begann  der  Arme, 

So  schmelzend  süß,  von  seiner  Liebesflamm', 

Als  gelt*  es,  Herr,  daß  sich  ein  Stein  erbarme. 

Ein  Tigertier  sich  wandle  in  ein  Lamm. 

Sein  Seufzer  scheint  aus  Ätnas  Gnmd  zu  dringen; 

Als  wär's  ein  Wasserfall,  die  Tränlein  springen. 

41.  Gedanke,"  sprach  er,  ,,der  mich  glutentglommen 
Und  eisig  macht,  du  drückst  das  Herz  mir  wund! 
Was  soll  ich  tun?   Ich  bin  zu  spiit  gekommen: 
Ein  andrer  pflückt  die  süße  Frucht  jetzund. 
Kaum  einen  Blick,  ein  Wort  hab'  ich  bekommen. 
Ein  andrer  die  Trophäen,  Herz  und  Mund. 

Kann  weder  Frucht  noch  Blüte  mich  beglücken. 
Was  soll  ich  mir  um  sie  den  Sinn  bedrücken? 

42.  Die  Jungfrau  ist  der  Rose  zu  vergleichen, 
Die  sich  im  Garten  auf  dem  Stengel  wiegt. 
Eh  Hirtenhand  und  Herde  sie  erreichen, 
Im  Schoß  der  Ruhe  still  geborgen  liegt: 
Wind,  Frührot  neigen  sich  der  Anmutreichen 
Und  Land  und  Flut,  von  ihrer  Huld  besiegt; 
Burschen  und  Mägdlein  mit  verhebten  Wangen 
Lassen  an  Schläfen  sie  und  Busen  prangen. 

43.  Doch  sieht  man  sie  nicht  mehr  am  Strauch  sich  heben. 
Ward  sie  getrennt  vom  mütterlichen  Stanun, . — 
Was  ihr  bei  Gott  und  Menschen  Wert  gegeben, 
Anmut  imd  Schönheit,  schwindet  allzusamm. 

Das  Mädchen,  das  nicht  mehr  als  Licht  und  Leben 
Zu  hüten  weifi  die  Blüte  wundersam. 
Verliert,  wenn  einer  dieses  Gut  verletzte. 
Den  Preis,  den  jeder  über  alles  schätzte. 


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ERSTER  GESANG 


44.  Andern  verhaßt,  sei  sie  nur  Heb  dem  einen, 
Den  sie  mit  ihrem  Selbst  so  reich  beglückt. 
Gransames  LosI  Wie  mnß  ich  dich  beweinen! 

Reich  sah  ich  andre,  mich  von  Not  bedrückt. 
Ist's  möglich:  unhold  wiU  sie  mir  erscheinen? 
Mein  Leben  selbst,  es  wäre  mir  entrückt? 
Ach,  lieber  war'  ich  heute  tot  geblieben, 
Als  daß  ich  sie  nicht  fürder  sollte  heben!" 

45.  Fragt  jemand:  wer  mag  innen  also  brennen? 

Hat  so  viel  Tränen  nach  dem  Fluß  gesandt?  — 

So  muß  ich  eiicli  Zirkassiens  König  nennen: 

Er  ist's:  der  Uebeskranke  Sakripant. 

Und  wollt  ihr  seines  Leides  Ursach'  kennen? 

Mit  seiner  Lieb'  ist  alles  schon  genannt. 

Zu  den  Verehrern  zählt  er  jener  Schönen, 

Und  sie  erkannt'  ihn  gleich  in  seinem  Stöhnen. 

46.  Um  sie  allein  war  er  in  Liebesgrillen 
Gekommen  aus  dem  fernsten  Orient; 

Denn  er  vernahm,  daß  sie  um  Rolands  willen 

Von  Indien  ging  weithin  zum  Okzident; 

Daß  Karl  in  Frankreich  dann,  den  Streit  zu  stillen» 

Im  Zelt  sie  hielt  von  andern  abgetrennt 

Und  dem  zum  Lohn  versprach,  der  im  Gefechte 

Den  LiUen  den  größten  Nutzen  brächte. 

47.  Er  war  im  Lager,  sah  die  Niederlage, 
Die  dort  erlitt  des  Christenkönigs  Schar. 
Umsonst  irrt  er  umher  seit  jenem  Tage, 

Daß  er  von  der  Entschwundnen  Kund'  erfahr'.  . 
Ihr  wißt  es  nun,  warum  mit  Liebesklage 
Die  Zährenüut  zum  Bach  geflossen  war 
Und  er  so  rührend  Worte  ließ  erklingen, 
Schier  um  die  Sonn'  aus  ihrer  Bahn  zu  bringen. 


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ERSTER   GESA  N  G 


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48.  Zum  Quell  die  Augen  wandebd,  liebentziindet 
In  Sduneiz  und  Leid  der  Annste  sich  verlor. 
Derweil  er  spricht,  was  nicht  die  Muse  kündet  — - 

Denn  andre  Dinge  hat  zur  Zeit  sie  vor  — 

Fügt  sich  s  —  o  seht !  —  daß  Glück  sich  ihm  verbindet. 
Denn  jeder  Laut  dringt  zu  der  Holden  Ohr. 
Was  er  mit  einem  mal  jetzt  soll  erreichen, 
Drob  könnten  tausend  Jahre  sonst  verstreichen. 

49.  Auf  jedes  Wort  des  Ritters,  Art  und  Wesen 

Gibt  unsre  schöne  Dame  sorglich  acht. 
In  seinem  Herzen  hat  sie  längst  gelesen, 
Daß  er  nach  nichts  als  ihrer  Liebe  tracht'. 
Allein  voll  Härte  ist  sie  stets  gewesen, 
Kalt,  ohne  Mitleid,  wie  aus  Stein  gemacht. 
Als  schätze  sie  die  ganze  Welt  geringe 
Und  keinen  würdig  solch  erlesner  Dinge. 

50.  Zum  Führer  aber  denkt  sie  ihn  zu  nehmen, 
Nun  sie  verlassen  durch  die  Wälder  schweift: 
Es  muß  zum  Gnadenruf  sich  wohl  bequemen, 
Wem  an  die  Lippen  schon  das  Wasser  streift  1 
Wer  weiß,  ob  jemals  bessre  Helfer  kämen. 
Wenn  sie  nicht  die  Gelegenheit  ergreift! 

Sie  hatte  ja  schon  in  gar  manchem  Falle 
Den  Fürsten  treu  befunden,  mehr  als  alle. 

51.  Doch  wül  sie  nicht  den  Armen  wirklich  letzen« 
Zu  seines  Kummers,  seiner  Treue  Lohn, 

Das  lange  Leid  durch  Sehgkeit  ersetzen. 
Die  jedem  Jüngling  aller  Freuden  Krön'  — 
Nein,  nur  in  Wahn  und  Irrtum  ihn  versetzen. 
Damit  in  seiner  Brust  das  Hoffen  w^ohn' 
Und  er  als  Werkzeug  ihr  ein  Weüchen  diene. 
Dann  wieder  zu  begegnen  harter  Miene. 


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ERSTER  GESANG 


52.  Auftauchend  plötzlich  aus  des  Haines  Schweigen, 
Wird  sie,  die  Göttergleiche,  nun  erblickt  — 

So  mag  Diana  sich,  so  Venus  zeigen, 

W  enn  ihrer  Schönheit  Glanz  den  Wald  erquickt  — 

Und    Friede  dir!"  spricht  sie  mit  holdem  Neigen, 

„Vom  Himmel  wirst  du  mir  als  Hort  geschickt. 

Und  sicherlich  wird  er  nicht  weiter  dulden. 

Daß  du  mich  so  verkennst  obn'  mein  Verschulden/' 

53.  Die  Mutter  zeigt  nicht  solch  ein  freudig  Beben, 
Wenn  sie  den  Sohn  schaut,  den  sie  tot  geglaubt, 
Des  sie  mit  Weinen  noch  gedacht  soeben 

Als  eines,  den  der  Kriegsgott  ihr  geraubt. 

Wie  sich  die  Blicke  Sakripants  erheben 

Zur  edelen  Gestalt,  dem  Engelshaupt, 

Den  zarten  Gliedern  dieser  Uulderscheinung, 

Der  herrlichsten  der  Welt  nach  seiner  Memung. 

54.  In  holder  Glut,  vom  süßen  Trieb  bezwimgen. 
Zu  seiner  Herrin,  Göttin  eilt  er  her. 

Sie  hält  um  seinen  Hals  den  Arm  geschlungen. 
Was  in  Katai  wohl  nicht  geschehen  war'. 
In  ihr  ist  plötzlich  Sehnsucht  aufgesprungen: 
Die  Heimat  winkt,  bleibt  ihr  zur  Seite  der. 
Durch  ihn  belebt  sich  Hoffnung  und  Vertrauen, 
Bald  wiederum  ihr  reiches  Schloß  zu  schauen. 

55.  Ausführlich  läßt  sie  den  Bericht  ihn  kosten. 
Von  jenem  Tag  an,  da  sie  ihn  gesandt 
Zum  Serikanerkönig  dort  im  Osten, 

Und  wie  für  sie  die  Sache  schHeßlich  stand; 
Wie  Roland  treuhch  blieb  auf  seinem  Posten 
Und  Schmach  und  Tod  von  ihr  hat  abgewandt; 
Sie  trag'  auch  unverletzt,  was  edlem  Weibe 
Der  höchste  Schatz  ist,  wie  vom  Mutterleibe. 


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ERSTER  GESANG 


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56.  So  war's  vielleicht,  alkm  der  Fall  wird  rar  sein 
(Wer  klaren  Kopf  hat,  urteilt  so  zumeist): 
Für  Sakripant  muß  dieses  alles  wahr  sein, 
Weil  er  in  noch  viel  größrem  Irrtum  kreist. 

Was  man  nicht  sieht,  das  läßt  uns  Amor  klar  sein. 
Der  Deutliches  als  unsichtbar  erweist. 
Nun,  jener  glaubt:  was  lieblich  ist  zu  glauben, 
Das  läßt  sich  ja  der  Mensch  nkht  gerne  rauben. 

57.  „Ließ  recht  als  Tor  sich  zimperlich  vervvehren 
So  leckem  Schmaus  der  Ritter  von  Anglant  — 
Der  Schad'  ist  sein;  das  Glück  will  nicht  bescheren 
Ein  zweites  Mal,  was  einmal  ward  verkannt: 

Ich  werde  nicht  mich  an  sein  Beispiel  kehren!" 
So  sprach  bei  sich  im  stillen  Sakripant. 
»»Entgehen  mir  zu  lassen  solchen  Bissen, 
Hätt'  ich  in  Ewigkeit  auf  dem  Gewissen. 

58.  Die  jugendfrische  Rose  will  ich  pflücken, 

Bevor  —  wie  baldl  —  die  Zeit  den  Duft  verjagt: 
Ein  Dirnlein  kann  nichts  Süßeres  beglücken. 
Ziert  auch  ein  wenig  sich  die  gute  Magd. 
Und  scheint  es  noch  so  sehr  sie  zu  bedrücken. 
Und  ob  sie  weint  und  voll  Verzweiflung  klagt. 
Es  soll  kein  Zorn,  kein  Widerstand  mich  rühren; 
Was  ich  mir  vornahm,  denk'  ich  auszuführen  t" 

59.  Er  spricht*s.  Zum  süßen  Ansturm  vorzugehen 
Schickt  er  sich  an:  —  da  tönt  gewalt'ger  Schall 
Im  nahen  Wald;  er  muß  sich  wohl  verstehen. 
Zu  lassen,  ob  erbost,  vom  Überfall. 

Er  nimmt  den  Hehn  —  mit  Wehr  sich  za  versehen, 
War  er  ja  längst  gewohnt  für  jeden  FalL 
Er  geht  zum  Renner,  legt  ihm  an  die  Zügel, 
Ergreift  den  Sporn  und  setzt  den  Fuß  in  Bügel. 


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E  R  S  T  F  R    C  F  ?   \  \  G 


60.  Ein  Ritter  sprengt  hervor  ans  wald'gen  Auen« 
Dem  Anssehn  nach  gar  stolz  und  kampfbereit. 
Die  Zier  am  Hehn  ist  weiß  wie  Schnee  zu  schauen. 
Und  weiß  wie  Schnee  ist  audi  sein  Wafienkleid. 
Der  König  aber  steht  mit  finstem  Brauen: 

Daß  unterbrochen  werde,  was  zur  Zeit 

So  hohe  Lust  verspricht,  stimmt  ihn  nicht  heiter; 

Voll  Groll  und  Ingrimm  blickt  er  auf  den  Reiter. 

61.  Leicht  aus  dem  Sattel  denkt  er  ihn  za  heben 
Und  fordert  ihn  zum  Zweikampf  auf  der  Stell'; 
Und  jener,  der  —  mir  scheint  —  zu  schaffen  geben 
Wird  dem  Zirkassier  wohl  auf  alle  Fäll', 

Spornt  seinen  Renner,  läßt  die  Lanze  schweben 
Und  unterbricht  das  stolze  Drohen  schnell. 
Herr  Sakripant  kehrt  um  wie  Ungewitter, 
Und  aufeinander  jagen  beide  Ritter. 

62.  Nie  trafen  sich  gewaltig  gleidi  dem  Blitze 

Die  Stiere  und  die  Löwen  in  der  Schlacht, 
Wie  die  zwei  Krieger  hier  in  Kampfeshitze: 
Die  Schilde  bersten  durch  des  Stoßes  Macht. 
Vom  üpp'gen  Tal  bis  hin  zur  kahlen  Spitze 
Von  dem  Zusammenprall  die  Erde  kracht. 
Die  Panzerkleider  waren  gut  zum  Glücke; 
Sonst  gingen  beide  Leiber  wohl  in  Stücke. 

63.  Auch  keinen  Umweg  machten  ihre  Pferde: 
Sie  stießen  sich,  wie  Widder  tun  im  Zorn. 
Tot  blieb  das  Roß  des  Heiden  auf  der  Erde, 
Und  in  der  Zahl  der  besten  stand  es  voml 
Auch  jenes  fällt:  daß  es  lebendig  werde. 
Besorgt  in  seine  Flank'  ein  Druck  des  Sporn. 
Das  andre  Tier  muß  sich  am  Boden  strecken 
Und  mit  der  vollen  Last  den  Herrn  bedecken. 


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ERSTER  GESANG 


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64.  Der  Fremde,  der  im  Sattel  fest  geblieben. 

Schaut  seinen  Gegner  unterm  Pferd,  besiegt. 
Doch  rüstet  er  sich  nicht  zu  Schwerteshieben, 
Weil  ihm  an  einem  neuen  Kampf  nichts  liegt. 
Man  sieht  nur,  daß  er,  wie  vom  Sturm  getrieben. 
Geraden  Wegs  im  Wald  von  dannen  fliegt. 
Eh  aus  der  Klemme  kommt  der  andre  Streiter, 
Ist  er  ein  Stündchexi  fem,  vielleicht  noch  weiter. 

65.  So  wie  der  Pfiüger,  wenn  vorbei  das  Wetter, 

Sich  stumpf  erhebt,  betäubt,  vom  Schlag  erschreckt  — 
Geteilt  das  Los  schier  um  ein  Härchen  hätt'  er 
Der  Rinder,  die  der  Blitzstrahl  hingestreckt; 
Die  Fichte  schaut  er  ohne  Krön'  und  Blätter, 
Die  er  vorher  von  weitem  hat  entdeckt  — 
So  sucht  der  Heide  wieder  aufzustehen  .  .  . 
Und  alles  das  muß  seine  Dame  sehen. 

66.  Er  seufzt  und  stöhnt  —  nicht  etwa,  daß  ein  Arm  ihm. 
Ein  Fuß  gebrochen  sei,  verrenkt  vom  Schlag; 

Die  Wange  wird  aus  Schamgefühl  nur  warm  ihm. 

Wie  nie  zuvor  an  einem  Erdentag. 

Nicht  daß  er  fiel  —  daß  sie  aus  solchem  Harm  ihm. 

Die  last  abwälzend,  half,  ist  seine  Klag'. 

Ich  glaub*,  er  war'  am  Ende  stumm  geblieben, 

Hätt'  ihn  zum  Sprechen  jene  nicht  getrieben. 

67.  „Herr,"  sprach  sie,  ,,laßt  Euch  dieses  nicht  beschweren: 
Nicht  Euch  trifft  Schuld,  wenn  Ihr  gefallen  seid; 
Nein,  bloß  den  Renner:  Speis'  und  Ruhe  wären 
Ihm  dienlicher  gewesen  als  der  Streit. 

Nicht  prahle  jener  mit  den  Siegesehren; 

Er  brachte  sich  ja  schnell  in  Sicherheit! 

Seht,  wer  das  Fcdd  rätunt  —  das  gilt  allerwpgen  — 

Der  zeigt,  daß  er  im  Kampfe  unterlagen." 

Af  i*«t  I  » 


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ERSTER  GESANG 


68.  Derweil  sie  ihn  zu  trösten  Müh'  verwandte, 
Kommt  ein  berittner  Mann  dahergejagt, 

Mit  Tasch'  wid  Horn  versehn;  der  Unbekannte 
(Ein  müder  Bote  schien's,  von  Gram  geplagt) 
Kehrt  sich  zum  nächsten,  das  ist  Sakripante: 
„Kam  nicht  gii<id  mit  weißem  Schilde  —  sagt!  — 
Und  weißem  Federbusch  auf  Hchnes  Mitten 
Durch  diesen  Wald  ein  Knegersmann  geritten?" 

69.  Sprach  Sakripant:  „Den  du  zu  sehn  beflissen. 
Vom  Pferd  hier  warf  er  mich  und  ist  enteilt; 
Und  weil  ich  semen  Namen  nicht  will  missen. 
Sag'  mir,  wer  ist's,  der  solche  Schlag'  erteilt?" 
Der  Bote  drauf:  ,,\\'as  dich  verlangt  zu  wissen. 
Von  mir  erfaliren  sollst  du's  unverweilt; 
Erwarbst  du  Ruhm,  verdunkelt  ist  dein  Name: 
Dich  hob  vom  Sattel  eine  edle  Dame! 

70.  Sie  hat  durch  Kühnheit  hohen  Ruhm  gefunden, 
Durch  Schönheit  mehr;  den  Namen  künd'  ich  dir: 
Die  Heldin  Bradamant  hat  dir  entwunden. 

Was  du  gewannst  an  Ehr'  auf  Erden  hier." 

Der  Bote  sprach's  und  war  im  Wald  verschwund^. 

Den  Sarazen  will  Groll  verzehren  schier: 

Ratlos  und  wortlos  steht  er  da,  befangen; 

Es  röten  sich  in  Flammenglut  die  Wangen. 

71.  Nachdem  er  lange,  was  sich  zugetragen, 
Vergebhch  hat  erwogen  und  zum  Schluß 
Sich  sieht  von  einem  Mägdelein  geschlagen 
(Je  mehr  er's  denkt,  je  größer  sein  Verdruß!). 
Nimmt  er  das  Fräulein,  ohn'  ein  Wort  zu  sagen, 
Aufs  Roß  und  festigt  in  dem  Reif  den  Fuß, 
Mit  ihr  zu  besserm  Spiel  davonzureiten 

An  stillerm  Ort  in  spätem  günstigen  Zeiten. 


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B  R  S  T  B  R  GESANG  19 


72.  Sie  reiten  nicht  zwei  Meilen,  als  ein  Tönen 

Und  mächtiges  Gelärm  im  Hain  erschallt, 

Der  sie  umgibt,  ein  Krachen  und  ein  Dröhnen, 

Als  woir  erbeben  rings  der  weite  Wald, 

Und  einen  reich  mit  Gold  geschmückten,  schönen 

Und  stolzen  Renner  sehn  sie  nahen  bald, 

Der  über  Busch  und  Bach  setzt,  Bäum'  entblättert. 

Und  alles,  das  im  Weg  ist,  niederschmettert. 

73.  , »Täuscht  trübe  Luft  und  dichtverschlungne  Zweige", 
So  sprach  die  Dame,  ,, jetzt  mein  Auge  nicht, 
Will  mich  bedünken,  daß  sich  Bajard  zeige. 

Der  so  mit  Lärmen  durch  das  Dickicht  bricht. 
Gewiß,  er  ist's;  will,  daß  man  ihn  besteige: 
Wie  gut  er  doch  versteht,  was  uns  gebricht! 
Ein  einzig  Roß  für  zwei  würd'  unbequem  sein: 
£r  bringt  uns  Gutes:  laß  es  uns  genehm  sein!" 

74.  Der  Fürst  steigt  ab;  er  will  den  Renner  rufen, 
Ergriffe  gern  den  Zaum  mit  seiner  Hand: 
Doch  Bajard  gibt  die  Antwort  mit  den  Hufen; 
Schnell  wie  der  Blitz  hat  er  sich  umgewandt, 
Mit  Stößen,  die  jedoch  kein  Unheil  schufen  — : 
Weh,  träfen  volle  Schläge  Sakripant! 

Wollte  der  Huf  die  ganze  Kraft  beweisen. 
Zertrümmert  hatt'  er  einen  Beig  von  Eisen. 

75.  Sie  sahn  das  Roß  sich  sanft  zur  Dame  wenden. 
Fast  menschengleich,  voll  Demut:  wie  vorm  Herrn 
Des  Hündleins  frohe  Sprünge  gar  nicht  enden. 
Wenn  der  Gebieter  heimkehrt  aus  der  Fem'. 
Bajard  erkannte  sie:  aus  ihren  Händen 

Nahm  er  sein  Futter  in  Albrakka  gern. 
Als  für  Rinald  in  Liebesglut  sie  brannte, 
Der  damals  grausam  ihr  den  Röcken  wandte. 


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aO  ERSTERGESANG 


76.  Den  Zugd  mm  erfaßt  sie  nnt  der  Unken 

Und  klopft  nnd  streichelt  ihm  den  Bug  in  Huld: 

Das  kliige  Tier,  gehorsam  ihren  Winken, 

Ist  zahm  und  gut,  ein  Tümmchen  an  Geduld. 

Da  schwingt  sich  Sakripant  mit  einem  flinken 

Aufspmng  hinauf,  sitzt  in  der  Sattelmuld': 

Angelika  hat  seinen  Platz  bekommen; 

Die  Doppellast  ist  nun  dem  Tier  genommen. 

77.  Aufblickend  dann,  erschaut  sie  einen  Recken, 
Der  stolz  und  waffenklirrend  naht  in  Hast: 

Es  ist  Rinald  —  kann  sie  sich  nicht  verstecken? 
O  wie  bei  seinem  Anblick  Zorn  sie  faßtl 

Wie  vor  dem  Aar  das  Huhn,  flieht  sie  voll  Schrecken, 

Lud  er  verfolgt  sie  ohne  Ruh*  und  Rast. 
Einstmals  hat  er  von  ihr  nichts  wissen  wollen, 
Sie  liebte  ihn  —  so  tauschten  sie  die  Rollen. 

78.  Als  Ursach'  muß  ich  euch  zwei  Quellen  nennen; 
Zwiefache  Wirkung  hat  der  beiden  Flut 

(Sie  stehn  einander  nah,  in  den  Ardennen): 

Die  eine  füllt  mit  Liebe  heiß  den  Mut; 

Wer  von  der  andern  trinkt,  kann  nicht  entbrennen: 

In  Eis  verwandelt  sie  die  Liebesglut. 

Aus  jener  trank  Rinald  —  und  Liebe  faßt  ihn  — 

Aus  der  Angelika:  sie  flieht  und  haßt  ihn. 

79.  Der  Bronnen  ließ  geheimes  Gift  sie  trinken: 

Statt  holder  Triebe  fülilt  sie  Haß  sogleich, 
Wenn  dieser  Held  erscheint,  und  Schleier  sinken 
Auf  heitrer  Augen  lichterfülltcs  Reich. 
Sie  fleht  zu  Sakripant  —  die  Tränen  blinken, 
Die  Stimme  bebt,  die  Wangen  werden  bleich  — : 
Schnell  auf  die  Flucht  mit  ihr  sich  zu  begeben, 
Fem  von  dem  Krieger,  der  genaht  soeben. 


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ERSTER  GESANG 


az 


80.  „Hab'  ich  nicht  schon  Vertraun  bei  Euch  besessen?" 
Sprach  jener,  „bin  ich  nutzlos  und  gering, 
Unfähig,  mich  mit  jenem  dort  zu  messen. 

Daß  ohne  Schwertschlag  ich  von  dannen  ging? 
Habt  Ihr  Albrakka  und  die  Nacht  vergessen. 
Als  ich  allein  —  fürwahr  kein  kleines  Ding!  — 
Vor  Agrikan  und  Scharen  auserlesen 
Bin  ohne  Waffen  Euer  Schild  gewesen?" 

81.  Sie  weiß  nicht,  was  sie  tun  soll,  steht  verlegen 
Und  schweigend,  denn  Rinald  ist  fast  schon  da: 
Er  hält  dem  Sarazen  die  Faust  entgegen; 

Sein  Pferd,  das  dieser  nahm,  erkennt  er  ja; 
Erkennt  auch  sie,  für  die  auf  allen  Wegen 
Sein  Herz  in  Lohe  steht,  ob  fem,  ob  nah. 
Wie  weiter  nun  die  Dinge  sich  gestalten. 
Das  sei  dem  nächsten  Sange  vorbehalten. 


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ZWEITER  GESANG 

X.  Launischer  Amor,  sprich,  warom  fast  nimmer 
Im  schonen  Einklang  stehen  Herz  mid  Herz? 
Warum  geschieht  es,  daß  so  oft,  du  Schlimmer, 
Der  Seelen  Widerstreit  für  dich  ein  Scherz? 
Du  gdnnst  mir  nicht  die  Flut  mit  hellem  Schimmer. 
Ziehst  mich  zur  dunklen  tief  hinab,  zum  Schmerz; 
Die  meine  Lieb'  ersehnt,  die  soll  ich  lassen, 
Und  lieben,  die  mir  abgewandt  voll  Hassen! 

a.  Du  machst  Angelika,  dem  Jüngling  teuer. 
Den  sie  für  aig  und  widerwärtig  hält: 
Als  einst  für  ihn  die  Schöne  stand  in  Feuer, 
Da  haßt  er  sie  wie  nichts  auf  dieser  Welt. 
Nun  härmt  er  sich,  in  Leiden  ungeheuer; 
Vergolten  ward  ihm  gleich  mit  gleich;  der  Held 
Ist  ihr  ein  Greuel  jetzt  —  sich  ihm  verbinden?  — 
Nein,  eher  dann  den  Weg  zum  Tode  finden! 

3.  „Dieb,  steig  von  meinem  Pferd  I"  so  schrie  den  Heiden 

Mit  großem  Hochmut  an  der  Haimonssohn. 
,, Dali  man  mein  Pferd  nimmt,  pfleg' ich  nicht  zu  leiden. 
Und  wer  es  tut,  bekommt  von  mir  den  Lohn. 
Auch  will  ich  dich  von  dieser  Dame  scheiden; 
Sie  dir  zu  lassen,  wäre  Schmach  und  Hohn. 
Unwürdig  scheint  es  mir,  daß  einem  Diebe 
Solch  edle$  Fräulein,  solches  Roß  verbliebe." 


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ZWEITER  GESANG 


«3 


4.  ,,Niir  als  ein  Lügner  magst  du  Dieb  mich  schelten," 
Spricht  drauf,  nicht  minder  stolz,  Fürst  Sakripant: 
„Das  Wort  kann  eher  von  dir  selber  gelten. 
Nach  dem,  was  in  der  Welt  von  dir  bekannt. 

Es  zeigt  sich,  wenn  Entscheid  die  Schwerter  BOltm, 
Wer  mehr  mit  Recht  sich  hat  den  Herrn  genannt. 
Indes  von  ihr  muß  ich  dir  zugestehen: 
Man  kann  nichts  Edleres  auf  Erden  sehen." 

5.  Wie  Hunde  wohl,  bevor  sie  sich  zerstücken 
(Ob  Haß,  ob  Neid  und  Mißgunst  sie  bewegt). 
Mit  Zähnefietschen  aufeinanderrücken, 

Wie  jeder,  schielen  Augs,  die  Glieder  regt, 
Vor  Wut  dann  schäumend,  mit  zerzaustem  Rücken, 
Den  scharfen  Zahn  in  seinen  Gegner  schlägt  — 
So  ging's,  nachdem  genug  sie  schrien  und  schalten. 
Zwischen  den  beiden  jetzt  ans  Schädelspalten. 

6.  Zu  Fufi  ist  der,  und  jener  sitzt  zu  Pferde. 

Meint  Ihr,  daß  drum  der  Heide  Vorteil  hab*?  — 

O  nein!   Nur  Schaden;  hilflos  von  (jtbärde, 

Sitzt  er,  als  wär's  ein  unerfahrner  Knab': 

Es  schafft  der  Hengst  dem  Herren  niclit  Beschwerde, 

Weil  seltenen  Instinkt  Natur  ihm  gab. 

Ob  mit  der  Hand  der  Reiter  lenkt  —  mit  Sporen, 

's  ist  alles  an  dem  störr 'sehen  Tier  verloren! 

7.  Soll  stehn  der  Hengst,  beginnt  er  fortzujagen. 
Dann  rasch  zum  Kreisel  wird  er  ganz  und  gar: 
Er  bockt,  soll  er  den  Reiter  vorwärts  tragen, 
Bäumt  sich,  schlägt  aus,  beut  alle  Tücken  dar. 
Der  Heide  sieht,  die  Stund'  hat  nicht  geschlagen. 
Zu  bändigen  ein  Tier  so  wunderbar, 

Stützt  auf  den  Sattelbogen  sich  zum  Schwünge 
Und  steht  auf  Füßen  jetst  nach  raschem  Sprunge. 


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24  ZWEITERGESAXG 


8.  Als  sich  der  Heide  durch  sem  leichtes  Spnngen 
Hat  von  des  Tiers  verbißner  Wui  befreit. 

Hei,  da  beginnt  ein  Ansturm  und  Ringen, 
Wert  eines  Paars  so  hochbewahn  ira  Streit! 
Bald  singen  hoch,  bald  smmnrn  tief  die  Kliiigai; 
Volkaos  Gehämmer  wäre  Langsamkeit 
Dagegen  in  der  Höhle,  wo  beschieden 
Htm  war,  den  fiälz  des  Ji^iiter  ra  «rhrnieden. 

9.  Mit  langen  Hieben,  Finten,  kurzen  Streichen 
Zeigt  jeder  sich  als  Meister:  bald  gereckt 

Stehn  b'eide  aufrecht,  bald  geduckt  dann  sdileidiai 
Sie.  Blöfie  gebend,  und  darauf  gedeckt; 
Sie  rocken  vor,  um  rasch  anrockmiieicfaen. 
Parieren,  mridm,  lockiai  TorgestzedTt, 
Drehn  sich:  wo  Platz  der  eine  bat  gelassen. 
Will  i^eidi  der  FoB  des  andern  Posto  iassen. 

10.  Mit  voller  Wucht  zu  hauen  and  zn  p^chtn. 
Gibt  jetzt  Rinald  sich  hin  mit  einemmal ; 

Der  Fürst  hält  seinen  Schild  vor,  der — aus  Knodien — 
Mit  Platten  ist  versefan  von  feinem  Stahl: 
Fosberta  hat  den  staiken  doch  dmchlnocben; 
Weit  diOmend  senfzt  der  Wald  und  klingt  das  TaL 
Wie  Eis  geisplittcrnd  Stahl  und  Knodim  .spraiigrii. 
Betäubten  Arm  laßt  der  Zirkassaer  hangen. 

11.  Als  mm  das  scheue  Blädchen  solch  \'erderben 
Entspringen  sah  dem  Hiebe  fürchterlich  — 
Gleichwie  dem  armen  Sonder»  gdit's  ans  Sterben, 
Ihr  aus  den  Wangen  alles  Blut  entwich. 

's  ist  Zeit  zo  lliehn,  als  Beote  sonst  ei  werben 
Wird  sie  der  Ritter  ja,  so  sagt  sie  skh. 
Den  sie  verabscheot  mit  des  Hasses  Triebe, 
Wie  er  ihr  zugetan  ist  voller  Iid)e. 


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7  W  F  T  T  F  K    n  "F  5^  A  N  C 


25 


12.  Sie  schwenkt  das  Rofi,  läßt  es  von  dannen  jagen 
Auf  engem,  ranli  em  P£ad  dnxch  Waldesmitt': 

Oft  blickt  sie  scheu  zurück  mit  Furcht  und  Zagen, 

Im  Wahn,  sie  höre  der  Verfolgung  Tritt. 

Noch  hat  das  Tier  sie  nicht  gar  weit  getragen. 

Da  kam  im  Tal  daher  ein  Eremit, 

Dem  floß  der  Bart  bis  auf  die  Brust  hernieder, 

Ehrwürdig  schien  er  ihr  und  fromm  und  bieder, 

13.  Von  Fasten  mitgenommen  und  von  Jahren; 

Ein  Eselein,  bedächtig,  schaukelt  ihn. 

Man  meint,  es  sei  vor  andren  Menschenscharen 

Ein  fein  und  zart  Gewissen  ihm  verliehn. 

Als  er  die  Holde  sah  mit  Rabenhaaren 

Und  Rosenwangen  durch  die  Büsche  fliehn, 

Da  rief  sie  gleich  —  wiewohl  sie  etwas  schwach  ihm 

Und  schüchtern  schien — die  Menschenliebe  wach  ihm. 

14.  Sie  möchte  nun  von  ihm  den  Weg  erkunden. 
Der  sie  zu  einem  Hafen  bring'  am  Meer; 

Denn  gern  aus  Frankreich  wäre  sie  verschwunden. 
Daß  von  Rinald  nicht  mehr  die  Rede  wär'. 
Der  Mönch  —  er  war  der  schwarzen  Kunst  verbunden— 
Müht  sehr  sich  ab,  daß  er  ihr  Trost  bescher'; 
In  kurzem,  sagt  er,  werde  Fährnis  enden  — 
Flink  aus  der  Tasche  hat  er  was  in  Händen. 

15.  Es  war  ein  Buch  —  das  wirkte  große  Sachen! 
Er  las  darin  noch  keine  Seite  aus, 

Als,  auf  des  Herrn  Befehl,  sich  aufzumachen. 
In  Dienerform  ein  Geist  erscheint  daraus; 
Hin  geht  er,  wo  sich  Aug'  in  Aug'  bewachen 
Die  Ritter  noch  nach  halbvollbrachtem  Strauß. 
Im  Wald,  doch  nicht  in  Kühle,  beide  fand  er. 
Und  mutig  sswiscben  ihnen  plötzlich  stand  er. 


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a6  ZWEITERGESA  NG 


16.  Er  sprach:  „Ihr  Herrn,  wollt  mit  Verlaub  mir  sagen, 
Was  nutzt  es  euch,  daß  ihr  einander  fällt? 

Was  habt  ihr  wohl  von  allen  euren  Plagen, 
Nachdem  die  Schlacht  zu  End'  ist,  wenn  der  Held 
Roland,  ohn'  einen  einzigen  Hieb  zu  schlagen. 
Ohne  daB  nur  ein  Schuppenring  zerschellt. 
Hin  nach  Paris  das  Fräulein  fuhrt  als  Beute, 
Das  Ursach'  war  für  euren  Zweikampf  heute? 

17.  Ich  fend  ihn  mit  Angelika,  der  schönen  — 
Zur  Seine  geht  die  Reise  —  hier  ganz  nah 
Und  hörte  sie  mit  Kichern  euch  verhöhnen. 
Daß  euer  Kämpfen  ohne  Frucht  geschah. 
Jetzt  ihnen  noch  den  Spott  abzugewöhnen. 
Das  wäre  klug,  solange  sie  noch  da. 

Hält  Roland  in  Paris  sie  erst  geborgen, 

Läßt  sich  das  Wiedersehn  wohl  sclilecht  besorgen." 

18.  O,  säht  ihr  den  Verdruß  der  beiden  Ritter, 
Wie  starr  das  Paar  bei  dieser  Kunde  stand! 
Blind,  taub  und  sinnlos  schalt  sich  jeder  bitter. 
Als  er  von  Roland  so  verhöhnt  sich  fand. 

Und  Herr  Rinald!  —  Davon  mit  Seufzern  ritt  er 
(Die  kamen,  schien's,  aus  einem  Feuerbrand); 
Fänd'  er  den  Grafen,  schwört  er  sich  verstohlen, 
Das  Herz  ihm  aus  der  Brust  herauszuholen. 

19.  Wo  Bajaid  seiner  harrt  auf  Waldespfaden, 
Schwingt  er  skh  auf  und  sprengt  im  Sturm  dahin. 

Zu  sich  aufs  Roß  den  Ritter  einzuladen, 

Der  noch  zurück  ist,  kommt  ihm  nicht  in  Sinn. 

Das  Pferd,  vom  Herrn  gespornt,  bringt  allem  Schaden, 

Was  es  im  Lauf  berührt  im  Busche  drin. 

Nicht  Domen,  Strom  und  Felsen  will's  gelingen. 

Von  seiner  Bahn  den  Renner  abzubringen. 


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Z       F  T  T  E  R   OES  A  N  C 


27 


20.  Mag  sein,  o  Herr,  daß  gegen  mich  der  Schein  ist. 
Sag*  ich,  daß  jetzt  Rinald  den  Renner  ritt. 
Nach  dem  er  tagelang  schon  hinterdrein  ist. 
Und  der  nicht  leiseste  Berührong  litt. 
Das  Pferd — bedenkt,  daß  Menschengeist  ja  sein  ist  I — 
Aus  Tücke  nicht  so  rasch  vorüberglitt: 
Ihn  füliren  wollt'  es,  weil  den  Weg  es  kannte. 
Zu  ihr,  für  die  sein  Herz  voll  Sehnsucht  brannte. 

•    21.  Als  sie  entschlüpft  war  aus  des  Zeltes  Banden, 
Sah  sie  und  folgt'  ihr  nach  das  gute  Pferd, 
Dem  leer  gerad  die  Sattelbogen  standen, 
Weil  Herr  Rinald  zu  Fuß  focht  mit  dem  Schwert 
In  einem  Ehrenhandel,  ihm  entstanden 
Durch  einen  Rittersmann,  im  Kampf  bewährt. 
Den  Spuren  ging  der  Renner  nach  vom  weiten, 
Begierig,  sie  zu  seinem  Herrn  zu  leiten. 

22.  Vom  Wunsch  erfüllt,  die  Maid  zurückzubringen. 
Verlegt  er  ihr  den  Weg  geschickt  im  W  ald; 

Sie  darf  sich  nicht  in  seinen  Sattel  schwingen: 
Die  Sache  nähme  andere  Gestalt. 
Es  schien  Rinald  ein-,  zweimal  zu  gelingen, 
Ihr  nah  zu  sein,  doch  er  verlor  sie  bald: 
Erst  war  dazwischen  Ferragu  gekommen, 
Dann  Sakhpant,  wie  Ihr  es  hier  vernommen. 

23.  Auch  Bajard  glaubt,  was  jentM-  (ieist  verkündet. 
Der  nun  Rinald  auf  falsche  Hahnen  führt; 
Nicht  ahnend,  daß  er  sich  dem  Trug  verbündet. 
Folgt  er  dem  Herm,  so  wie  es  sich  gebührt. 
Fort  gen  Paris  jagt  dieser,  liebentzündet, 
Sturmgleich,  weil  auch  der  Haß  die  Flamme  schürt. 
Mit  Sehnsucht,  der  kein  Renner  je  geschwnd  scheint, 
Fliegt  er  dahin,  und  langsam  ilmi  der  Wind  scheint. 


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24.  Kaum  bleibt  genug  der  Nacht,  lun  hinzureiten. 

So  meint  Rinald,  zvttn  Ritter  von  Anglant;  — 

Ach,  daß  er  sich  vom  Boten  heß  verleiten, 
Den  ihm  der  schlaue  Magier  hat  gesandt! 
Er  reitet  früh  und  abends,  bis  vom  weiten 
Vor  seinen  BHcken  jene  Stätte  stand, 
Wohin  der  Kaiser  seit  dem  Unglückstage 
Zurück  sich  zog  nach  schwerer  Niederlage. 

25.  Und  weil  Belagningsnot  und  neue  Schlachten 
Vom  Mohrenkönig  jetzt  in  Aussicht  stehn, 

Ist  Volk  zu  sammeln  und  Proviant  sein  Trachten, 
Auch  mit  der  Wälle  Schutz  sich  ?ai  versehn. 
Was  man  zur  Abwehr  dienlich  mag  erachten. 
Das  zu  beschaffen,  läßt  er  Boten  gehn 
Und  Kriegsvolk  ziefan  aus  Albions  Gefilden, 
Mit  ihrer  Zahl  ein  neues  Heer  zu  bilden. 

26.  Nochmals  will  er  ins  Feld  mit  seinen  Scharen 
Und  sehn,  ob  sich  das  Kriegsglück  nicht  gewandt. 
Flugs  soll  Rinald  hin  nach  Britannien  iahren, 
Britannien,  das  nun  England  ist  genannt. 

Der  möchte  gern  die  Reise  sich  ersparen: 
Nicht  etwa,  daß  er  haßte  dieses  Land, 
Nein,  weil  ihn  augenblicklich  Karl  entsendet 
Und  auch  nicht  einen  Tag  ihm  Ruhe  spendet. 

27.  Rinald  ist  ob  des  Auftrags  recht  verdrießhch. 
Der  fem  ihn  führt  von  jenem  holden  Weib; 
Denn  ihr  zu  nahen  ist  nun  unersprießlich. 
Die  ihm  das  Herz  entführt  hat  aus  dem  Leib. 
Allein,  um  m  gehorchen,  meint  er  schließlich, 
Daß  jetzt  ihm  nur  sofort'ger  Aufbruch  bleib*.  — 
Er  hat  Calais  erreicht  in  wen'gen  Stunden 

Und  alsogleich  ein  Schiff  zur  Fahrt  gefunden. 


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28.  Auf  Heimkehr  brennend,  stößt  er  ab  verwegen, 
Warnt  auch  davor  der  Scliiffer  noch  so  sehr. 
Und  ob  sich  schon  in  raschen  Wogenschlägen 
Unwetter  droliend  künd'  auf  finstrem  Meer. 

Der  Wind,  empört,  schickt  Sturm  dem  Boot  entg^en 
Und  läßt  die  Wogen  wirbehi  ringsimiher. 
Er  lÄÜhlt  die  See  auf,  daß  sie  voller  Wut  schäumt 
Und  bis  zum  Mastkorb  oben  wild  die  Flut  schäumt. 

29.  Die  klugen  Schiffer,  die  die  Segel  reffen, 
Gedenken  wieder  umzudrehn  nach  Haus, 
Um  in  demselben  Hafen  einzutreffen. 
Aus  dem  sie  recht  zur  Unzeit  fuhren  aus: 

,  ,Nein/*  spricht  der  Wind,  „die  Aussicht  solleuchäffen ; 
Für  eure  Frechheit  konunt  ihr  nicht  heraus!" 
Und  bläst  und  heult,  läßt  droh^d  Schifflnnich  blicken. 
Wenn  sie  nicht  gefan,  wohin  er  sie  will  schicken. 

30.  Nie  ruht  er,  läßt  die  Schrecken  neu  beginnen; 
Von  vom,  darauf  von  hinten  stürmt  er  an. 
Ins  weite  Meer  so  treiben  sie  von  hinnen. 
Bescheidne  Segel  spannend  dann  und  wann. 
Doch  viele  Fäden  hab'  ich  auszuspinnen. 
Von  denen  nichts  beiseite  bleiben  kann. 

So  mag  der  Sturm  Rinald  von  dannen  tragen  I 
Ich  wiU  euch  jetzt  von  Bradamante  sagen. 

31.  Ich  meine  sie,  der  edlen  Jungfraun  Blume, 
Die  den  ^kassier  hinwarf  auf  den  Grund, 
Erbliiht  —  des  Bruders  wert  an  Heldentume  — 
Heim  Haimons  und  Beatrix'  Ehebund. 

Der  Kaiser  freute  sich  an  ihrem  Ruhme, 
Der  rings  erscholl  durch  aller  Franken  Hund 
—  Sie  sahn  gar  oft  schon  ihre  hohen  Werke  — , 
Nicht  minder  als  Rinalds  gewalt'ge  Stärke. 


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32.  Ergeben  dieser  Dame  war  in  Treuen 

Ein  Held  —  er  kam  mit  König  Agramant; 
Als  Vater  könnt'  ein  Roger  sein  sich  freuen, 
Die  Mutter  war  ein  Kind  des  Agolant. 
Das  Fräulein,  das  ja  nicht  von  Bär  und  Leuen 
Entsprang,  hat  ihm  den  Rücken  nicht  gewandt. 
Das  Glück  Heß  einmal  beide  sich  erbhcken. 
Um  dann  sie  weit  getrennt  hinwegzuschicken. 

33.  Ihn  aufzufinden,  war  des  Fräuleins  Streben, 
Der  nach  dem  großen  Vater  Roger  hieß. 

So  sicher,  wie  von  Kriegerschar  umgeben, 
Ging  sie  allein;  Geleit  sie  von  sich  wies. 
Nachdem  sie  Sakripant  den  Lohn  gegeben 
Und  ihn  die  Mutter  Erde  küssen  ließ, 
Durch  einen  Wald,  sodann  bergaufwärts  ritt  sie, 
Und  nun  an  eine  schöne  Quelle  tritt  sie. 

34.  Die  lief  durch  eine  Wiese;  kühlen  Schattin 
Von  alten  Bäumen  bot  ein  trauter  Hain: 

Hier  käme  Rast  den  Wandrern  wohl  zustatten. 
Das  sanfte  Murmeln  lud  zu  trinken  ein, 
Wobei  die  Ruhnden  links  noch  Hügel  hatten, 
Um  vor  der  Mittagsglut  geschützt  zu  sein. 
Die  schdnen  Augen  schweifen  lassend,  stazid  sie. 
Und  einen  Rittersmann  dort  ruhend  fand  sie. 

35.  Sie  sah  im  Schatten  dichtbewachsner  Hecken, 

An  grün-,  weiß-,  rot-  und  gelbgeschmücktem  Saum, 
Einsam  beim  Quelle  sitzend,  einen  Recken; 
Nachdenklich,  stumm  blickt  er  zum  Himmelsraum. 
Es  hingen  Schild  und  Helm  vorm  Wasserbecken 
Beim  angebundnen  Pferd  am  Buchenbaum: 
Die  Augen  feucht,  der  Ausdruck  trüb  und  bitter  — 
Sehr  traurig  schien  und  müde  dieser  Ritter. 


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31 


36.  V'erlangen,  das  wir  all  im  Busen  tragen, 
Nach  andrer  Menschen  Angelegenheit, 
Bevvog  das  Fräulein,  jenen  Herrn  zu  fragen, 
Was  doch  die  Ursach'  sei  von  seniem  Leid: 
Und  er  war  willig,  alles  ihr  zu  sagen, 
Gewonnen  von  des  Wortes  Artigkeit 

Und  stolzem  Wesen,  das  ihm  einen  Helden, 
Und  einen  kühnen  wahrlich,  schien  za  melden. 

37.  Er  sprach:  ,,Ich  führte  Fußvolk,  Herr,  und  Reiter 
Und  zog  dahin,  wo  Karl,  dem  Heer  gesellt, 

Des  Feindes  harrte:  ging  Marsil  nun  weiter. 
Fand  er  beim  Niederstieg  ihn  aufgestellt. 
Ein  Mädchen  hatt'  ich  bei  mir,  sdiön  und  heiter. 
In  Liebe  war  mein  Herz  für  sie  geschwellt  — 
Da  seh'  ich  einen  Mann  ein  R06  mit  Flügeln  — 
Bewaffoet  war  er  —  nah  der  Rhone  zügeln. 

38.  Sobald  der  Kerl  —  ob  Mensch,  ob  Ungeheuer, 
Verdammter  Geist,  der  sich  der  Holl'  entwand  — 
Das  Fräulein  sah,  mein  Liebchen  schön  und  teuer. 
Dem  Falken  gleich,  wenn  er  ein  Opfer  fand. 

Fiel  er  und  sti^  —  rasch  wie  ein  Blitz  von  Feuer  — 
Und,  die  betäubte  Maid  im  Arm,  verschwand. 
Noch  eh  ich  sah,  was  Stoß  und  Angriff  seien. 
Hört'  ich  die  Holde  in  den  Lüften  schreien. 

39.  So  schießt  aufe  Küchlein  bei  der  Gluck'  hernieder 
Der  gier'ge  Geier,  der  nach  Beute  lechzt: 

Gern  hätte  wohl  die  Henn'  ihr  Junges  wieder. 
Zu  dem  umsonst  hinauf  sie  piepst  und  krächzt. 
Ich  fliege  nicht  — ^  's  ist  der  Natur  zuwider  — 
Felswänd'  empor,  daran  mein  Rößlein  ächzt: 
Das  ist  gar  müd;  nur  langsam  kann  es  schreiten 
Den  rauhen  Pfad  abschüss'ger  Bergesseiten. 


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40.  Ab  einer»  der  es  lieber  sah'  geschehen. 
Zerrissen  ihm  den  Bosen  Hieb  und  Stich, 

Ließ  ich  ohn'  Hilf  und  Rat  von  dannen  gehen. 
Wo  es  verlassen  blieb,  mein  zweites  Ich, 
Und  zog  den  Weg,  da  steile  Höhen  stehen 
Mit  grausen  Schluchten;  Liebe  führte  mich, 
Dort  ist,  so  schien  es  mir,  in  üblen  Stimden 
Mein  Frieden  mit  dem  Käuber  fortgeschwunden. 

41.  Sechs  Tage  ritt  ich  bis  zum  Abendgrauen 
Durch  Felsgestein,  vorbei  an  Kluft  und  Schlund. 
Es  war  kein  \\'eg,  es  war  kein  Pfad  zu  schauen. 
Nicht  eine  Spur  gab  Menschenwesen  kund. 

Ich  kam  dann  in  ein  ödes  Tal  voll  Grauen, 
Sah  nichts  als  Khppen,  Höhlen,  wilden  Gnmd 
Und  mitten  drin  ein  Schloß  auf  Felsen  ragen 
Wie  schön  und  fest,  vermag  ich  nicht  zu  sagen. 

42.  Es  blitzt  wie  heller  Flamme  Licht  vom  weiten, 
Ist  nicht  aus  Lehm  gemacht  und  nicht  aus  Stein, 
Ein  Werk  erscheint  es,  wenn  wir  näherschreiten. 
So  herrlich  dürfte  kaimi  ein  zweites  sein. 
Dämonen,  hört'  ich,  mußten  es  bereiten, 
Durch  Zauberspruch  gebannt  und  Räucherein. 
Sie  haben  ganz  den  Bau  mit  Stahl  umschlossen. 
Um  den       Hölle  Flut  und  Feuer  flössen. 

43.  Nichts  gegen  ihn  vermögen  Rost  und  Flecken, 
Er  steht,  von  glattem  Stahl,  in  lichter  Pracht. 
Der  schlaue  Wicht  pflegt  hier  sich  zu  verstecken, 
Wenn  er  das  Land  durchschweift  hat  Tag  und  Nacht; 
Denn  nichts  auf  Erden  braucht  ihn  hier  zu  schrecken; 
Ohnmächtige  Wut  und  Fluch  wird  nur  verlacht. 
Dort  sitzt  mein  Lieb,  nein,  sitst  mein  Herz  ge&mgen. 
Und  nimmer  —  nimmer  —  hoff'  ich's  zu  erlangen. 


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44.  Was  kann  ich  tun,  ach,  als  die  Blicke  senden 

Zum  Fels,  der  sie  verschließt,  v(j11  Angst,  ergrimmt  ? 
Der  Füchsin  gleich,  die  hoch  von  glatten  Wänden, 
Vom  Adlerhorst,  des  Sohnes  Ruf  vernimmt  ? 
Sie  irrt  umher:  wo  soll  sie  hin  sich  wenden? 
Der  Flügel  fehlt,  der  sie  zur  Höhe  nimmt. 
Ach,  daß  der  Fels,  und  auch  das  Schloß,  so  steil  ist: 
Hinauf  kommt  nur,  wer  Vogel  oder  Pfeil  ist. 

45.  Zwei  Ritter,  die  ein  Zwerglein  führt  —  erscheinen 
Des  Wegs  daher,  derweil  ich  säume  dort, 

Die,  Hoffen  sei  bereits  Erfüllung,  meinen; 

Ach  Wunsch  und  Hoffnung  —  beide  schwinden  fort. 

Zwei  Krieger  sind 's,  die  Mut  mit  Kraft  vereinen: 

Gradaß,  der  Fürst,  gepriesen  allerort. 

Und  Roger,  dieser  Stolz  des  Rittertumes; 

Am  Mohrenhof  genoß  er  hohen  Ruhmes. 

46.  ,Sie  kommen',  sprach  der  Zwerg,  ,sich  zu  erproben 
Mit  ihrer  Kraft  am  Schloßherm,  jenem  Mann, 
Der  auf  behuftem  Vogel  von  dort  oben  — 

's  ist  unerhört!  —  kommt  durch  die  Luft  heran.' 
»Erbarmt  euch,  Herrn  T  sprach  ich,  die  Händ'  erhoben, 
«Nehmt  meines  herben  Falls  euch  gütig  anl 
Wenn  ihr  als  Sieger  —  will  es  hoffen  —  lebet, 
Bitt'  ich,  daß  ihr  mein  Lieb  zurück  mir  gebet  I' 

47.  Und  ich  erzählte,  wie  es  ihr  ergangen, 

Mit  Tränen  viel,  die  mir  der  Kummer  gab; 

Erfüllen  wollten  jene  mein  Verlangen 

Und  stiegen  drauf  den  Felsenpfad  hinab.  — 

Von  fem  zum  Schlachtfeld  meine  Blicke  drangen; 

Von  Gott  den  Sieg  fl^t'  ich  für  sie  herab. 

Es  war  ein  Platz  vorm  Schloß,  so  groß,  ich  meine. 

Wie,  zweimal  fortgeschleudert,  fliegen  Steine. 


Ariokt  1 


3 


34 


ZWEITER  GESANG 


48.  Wie  sie  zum  Fuß  des  hohen  Felsens  dringen, 
WiU  jeder  erster  sein  für  das  Duell: 

Es  ist  Gradaß  —  wollt  es  das  Los  ihm  hringen? 

Entsagte  Roger  seinem  Anspruch  schnell?  — 
Der  Kämpfer  läßt  sein  Horn  mit  Macht  erklingen: 
Es  dröhnt  der  Fels  mitsamt  dem  Stahlkastell. 
Heraus  tritt  aus  der  Tür  der  andre  Streiter: 
Der  auf  dem  Flügelroß,  der  Panzerreiter. 

49.  Aufwärts  ein  wenig  fing  er  an  zu  schweben, 

So  wie  wir 's  an  dem  fremden  Kranich  selm, 
Der  anfangs  schreitet,  um  sich  dann  zu  heben. 
Daß  ein,  zwei  Ellen  Zwischenraum  entstelm. 
Wenn  er  sich  ganz  der  Luft  hat  übergeben. 
Dann  läßt  er  erst  mit  Wucht  die  Flügel  gehn. 
So  flügelschlagend  jetzt  der  Zaubrer  aufsteigt 
In  Ätherhöhn,  wo  kaum  der  Aar  hinaufsteigt. 

50.  Mit  einem  Male  dreht  das  Roß  er  wieder, 
Senkrecht  wie  Blei  kommt  er  herab  im  Fall  — 
So  stürzt  der  Falk  herab,  sieht  aus  dem  Ried  er 
Die  Ente,  ausgesucht  für  seine  KralP; 

Er  saust,  den  Speer  gefällt,  im  Flug  hernieder. 
Die  Lüfte  spaltend  mit  gewalt'gem  Schall. 
Ein  Stich  von  hinten  macht  Gradaß  gewahren 
Den  Zauhrer,  den  er  kaum  sah  niederfahren. 

51.  Des  Magiers  Speer  zerbrach  bei  diesem  Steclien, 
Worauf  des  Gegners  Hieb  die  Luft  nur  schlägt. 
Und,  statt  den  Flügelschlag  zu  unterbrechen. 
Der  Flieger  rasch  sich  weiter  fortbewegt. 

Des  Mohren  Tier  —  nie  kannt*  es  früher  Schwächen  — 
Hat  flink  zuvor  ein  Stoß  ins  Gras  gelegt. 
Gradassos  Pferd  war  ein'  Alfana-Stute, 
Die  beste,  drauf  wohl  je  ein  Sattel  ruhte. 


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52.  Der  Flieger  schien  zum  Stemenland  zu  gehen; 
Dann  dreht'  er  sich  und  schoß  in  Eil'  herab. 

Stach  Roger,  der  sich  dessen  nicht  versehen. 
Weil  er  nur  auf  Gradasso  Achtung  gab. 
Fast  könnt'  er  nicht  dem  Stoße  widers teilen: 
Er  weicht  zurück  und  lenkt  ihn  etwas  ab. 
Als  er  dem  Magier  eins  versetzte  gerne, 
Ist  der  schon  wieder  oben  in  der  Feme. 

53.  Bald  den,  bald  den  —  an  Brust  und  Stirn  und  Beinen 
Und  Rücken  trifft  er  und  wo  sonst  noch  mehrl 
Er  ist  so  flink,  kaum  sieht  man  ihn  erscheinen; 
Der  Gegner  Stöße  sind  umsonst  und  leer. 

Und  droht  er  diesem,  wird  er  jenen  meinen. 
Und  dreht  sich  stets  im  Kreise  hin  und  her. 
Die  Augen  sind  den  beiden  so  geblendet, 
Daß  sie  nicht  sehen,  wer  die  Hiebe  sendet. 

54.  Bis  zu  den  Stunden  währt  der  Krieger  Ringen 
—  Zwei  unten,  einer  sich  in  Lüften  hält  — , 
Die  unsrer  Erde  dunkle  Schleier  bringen, 

So  daß,  was  schön  ist,  farblos  dar  sich  stellt. 
Zu  sprechen  wag'  ich  kaum  von  diesen  Dingen, 
Die  ich  doch  sah  —  ich  lüg'  nicht  um  die  Welt, 
s'  ist,  wie  ich  sprach:  doch  ireilich  mehr  der  Lüge 
Trägt  dieses  Wunder  als  der  Wahrheit  ZQgß, 

55.  Ich  sah  den  Zaubrer  an  dem  Arme  tragen 
Den  Schild,  von  schönem  Seidentuch  verdeckt. 
Warum  er  ihn  so  lang  verhüllt?  Zu  sagen 
Vermag  ich  nicht,  was  er  damit  bezweckt. 
Denn  wer  ihn  offen  sieht,  der  wird  geschlagen 
Mit  Blindheit  gleich;  sein  Auge  Dunkel  deckt. 
So  daß  er  £Ult,  wie  tote  Kdrper  fallen. 

Und  hilflos  bleibt  er  in  des  Zaubrers  Krallen. 

3* 


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56.  Der  Schild  glänzt  wie  Pyropus,  doch  vergleichen 

An  Kraft  läßt  sich  kein  Glanz  mit  diesem  Licht. 
Zu  Boden  stürzt,  wes  Augen  ihn  erreichen, 
Bewußtlos,  mit  geblendetem  Gesicht. 
Auch  mich,  so  fern,  faßt  Ohnmacht  —  es  verstreichen 
Wohl  Stunden,  bis  ich  wieder  aufgericht't.  — 
Ich  sehe  nichts  von  Kriegern,  nichts  vom  Zwerge; 
Leer  ist  das  Feld,  im  Dunkel  Tal  und  Berge. 

57.  So  meint'  ich  denn,  es  trug  mit  emem  Male 
Der  Zaubrer  jene  beiden  auf  sein  Schloß: 

Er  nahm  die  Freiheit  ihnen  mil  dem  Strahle 
Und  mir  der  Hoffnung  Quell,  der  noch  mir  floß. 
Ich  schied  darauf  von  dieser  Burg  aus  Stahle, 
Die  all  mein  Gut,  mein  ganzes  Heiz  umschloß.  — 
Sagt,  kann  ein  hartes  Los  an  dieses  reichen? 
Kann  Liebesleid  dem  meinen  sich  veigleichen?'* 

58.  Der  Ritter  sinkt  zurück  in  stummes  Trauern, 
Als  er  den  Grund  genannt  hat  seiner  Pein: 
Graf  Pinabel  ist's,  der  sich  läßt  bedauern, 
Anselms  von  Haut'rives  Sohn,  aus  Mainz  am  Rhein. 
Von  jenen  Schelmen,  die  auf  Untat  lauem. 
Wollt'  er  nicht  wacker  bleiben  ganz  allein. 

Er  kam  nicht  ihnen  gleich  an  Lastern  greulich. 
Nein,  übertraf  sie  alle»  falsch,  abscheulich. 

59.  Wechselnden  Schein  der  Dame  Züge  nahmen» 
Als  still  sie  lauschte  dieses  Manns  Bericht, 
Denn  wie  sie  klingen  hörte  Rogers  Namen, 
Vor  Freude  hell  erglänzt*  ihr  Angesicht. 
Doch  als  dann  später  seine  Leiden  kamen. 
Verstört  von  Mitleid  folgt  sie  der  Geschieht'; 
Auch  kann  sie  manches  Mal  sich's  nicht  versagen. 
Den  Einzelheiten  nochmals  nachzufragen. 


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60.  Sie  meint  nach  einer  Zeit,  sie  sei  im  klaren, 
Und  spricht:  ,.Hcrr  Ritter,  gönne  jetzt  dir  RuhM 
Aus  meiner  Ankunft  magst  du  Heil  erfahren; 
Daß  nur  das  Glück  jetzt  auch  das  Seine  tu! 
Hin  zu  der  Stätte  will  ich  mit  dir  fahren, 

Die  du  ja  sahst  als  reicher  Schätze  Tmh' ; 
Ob  unser  Mühn  vielleicht  belohnt  sich  findet, 
Wenn  freundliches  Geschick  sich  uns  verbindet?" 

61.  Der  Ritter  sprach:  ,,Ich  soll  den  Weg  dir  zeigen? 
Die  Höhen  überschreiten  jetzt  aufs  neu? 

Weil  alles  ich  verlor,  was  einst  mein  eigen. 
Fern  sei  es,  daß  ich  Zeit  und  Mühe  scheu*. 
Du  aber  willst  hinauf  zum  Kerker  steigen 
Den  Felsenpfad?  Es  schafft  vielleicht  dir  Reu'. 
Nicht  über  mich  dann  darfst  du  dich  beklagen: 
Ich  warnte  dich;  du  willst  es  dennoch  wagen." 

62.  Er  spricht's  und  hat  sich  auf  sein  Pferd  geschwungen 
Und  gibt  der  kühnen  Jungfrau  das  Geleit; 

Wo  sie  Gefahr  für  Roger  sieht,  den  jungen. 
Schreckt  sie  Gefängnis  nicht  noch  andres  Leid. 
Auf  emmal  schallt  es  „Haiti"  aus  vollen  Lungen: 
Der  Bote  naht  in  größter  Schnelligkeit, 
Der  dem  Zirkassierkönig  dort  entdeckt  hat, 
Wer's  sei,  der  in  das  Gras  ihn  hingestreckt  hat. 

63.  Er  bringt  dem  Fraulein  Nachricht  über  FäDe 
In  Montpellier,  Narbonne;  und  wie  der  Strand 
Von  Aiguesmortes  zu  Kastilien  sich  geselle 
Und  alles  lodre  von  des  Aufruhrs  Brand; 

Marseille,  bedrängt,  weil  sie  nicht  mehr  zur  Stelle, 
Ihm  Schutz  zu  bringen,  halte  kaum  noch  stand: 
Es  liarr'  auf  der  Gebieterin  Befehle 
Durch  diesen  Mann  —  womit  es  sich  empfelile. 


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64.  Die  Stadt  —  und  wo  das  Meer  noch  manche  Meile 

Rings  zwischen  Rlion*  und  Var  die  Wellen  schlägt  — 
Ward  durch  Herrn  Karl  dem  Haimonskind  zuteile. 
Zu  dem  er  lange  schon  Vertrauen  hegt. 
Sein  Blick  verfolgt  sie  staunend  eine  Weile, 
Wenn  sie  v^or  ihm  sich  kühn  im  Kampf  bewegt. 
Nun  kam  der  Bote,  wie  gesagt,  geritten, 
Um  für  Marseiile  um  Beistand  sie  zu  bitten. 

65.  Die  Jungfrau  läßt  das  Köpfchen  zweifelnd  hangen, 
Und  zwischen  Ja  und  Nein  noch  schwankt  ihr  Mut: 
Die  Pflicht  und  Ehre  Iii  er  hin  sie  verlangen. 

Und  dorthin  treibt  sie  heiße  Liebesglut. 
Zuletzt  ist  sie  den  Weg  vorangegangen, 
Roger  zu  holen  aus  des  Zaubrers  Hut: 
Und  kann  sie  nicht  ihm  helfen  in  die  Weite, 
Gefangen  bleibt  sie  an  des  Liebsten  Seite. 

.  66.  Zum  Boten  spricht  sie  drauf  in  einer  Weise, 
Daß  froh  er  hört,  was  sie  ihm  anvertraut. 
Dann  geht  es  rüstig  weiter  mit  der  Reise; 
Nur  Pinabel  ist  wenig  drob  erbaut. 
Stammt  jene  doch  aus  eines  Hauses  Kreise, 
Für  den  er  eitel  Haß  hegt  leis  und  laut. 
Schon  malt  er  sich  im  Geist  die  künftigen  Schrecken, 
Wenn  sie  ihn  je  als  Mainzer  soüt*  entdecken. 

67.  Clermont  und  Mainz!  Des  Hasses  Wogen  flössen 
Noch  stark  aus  alten  Zeiten  rauh  und  wild. 
In  Strömen  ward  der  Gegner  Blut  vergossen; 
Gar  oft  zerhieb  man  noch  einand  den  Schild. 
Arglosem  Mädchen — doch  dem  Feind  entsprossen  I  — 
Die  Tücke  jetst  des  falschen  Mannes  gilt: 
Kann  er  nur  die  Gelegenheit  erfassen, 
Will  er  entwischen  und  allein  sie  lassen. 


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39 


68.  Er  ließ  sich  grübelnd  von  dem  Rosse  tragen  — 
Furcht,  Z\v(  ifol  stieg  und  alter  Haß  empor  — ; 
So  kam's,  daß  er,  vom  rechten  Weg  verschlagen, 
In  einem  dunklen  Haine  sich  verlor. 

Drin  sieht  er  einen  Bergesgipfel  ragen, 
Ganz  kahl  und  steinig,  aus  dem  Grün  hervor. 
Dem  Reit  er  folgt  die  Haimonstochter  immer. 
Bleibt  ihm  im  Rücken  und  verläßt  ihn  nimmer. 

69.  Als  sich  der  Mainzer  fand  im  Walde  drinnen. 
Regt  sich  in  ihm  die  Lust,  davonzugehn. 

Er  spricht:  „£h  noch  das  Dunkel  mag  beginnen, 
Wär's  rätlich,  sich  nach  Herberg  umzusehn. 
Jenseits  des  Bergs  —  glaub'  ich  mich  zn  entsinnen 
Mu0  ein  vortrefflich  SchloB  im  Tale  stehn. 
Du  warte  hier,  derweü  vom  Felsenrücken 
Ich  Umschau  halte:  hoffentlich  wird's  glücken." 

70.  Bergaufwärts  läßt  er  nun  den  Renner  springen 
Zum  Gipfel  hin  mit  Wänden  schroff  und  jäh. 
Und  um  von  seiner  Spur  sie  abzubringen, 
Aufederkt  er,  ob  er  einen  Weg  erspäh*. 

Da  sieht  er  eine  Höhl'  ins  Innre  dringen 
Des  Felsens  dreifiig  Ellen,  in  der  Näh', 
Und,  wohl  mit  Pick'  und  Meißel  zubehauen, 
Senkt  sie  sich  rechts,  läBt  eme  Pforte  schauen. 

71.  Man  schritt  durch  diese  Tür  zu  einem  Zimmer, 
Das  hoch  und  sehr  geräumig  war,  hinein. 
Daraus  hervor,  aufleuchtend,  kam  ein  Schimmer  — : 
Es  könnten  Lichter  wohl  von  Fackeln  sein. 
Stumm  blickt,  verblüfft,  der  Schelm  auf  das  Geflimmer. 
Das  Fräulein,  das  von  ferne  hinterdrein, 

Die  Spur  nicht  zu  verlieren,  ist  gegangen, 
Muß  ebenfalls  zur  Höhle  jetzt  gelangen. 


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/WETTE   K    G  K    S  A  K  G 


72.  Der  Schurke  sah,  daß  es  mit  seinen  Tücken, 
So  wie  er  sich's  zurechtgelegt,  nicht  ging, 
Und  meint,  es  werd*  auf  andre  Weise  glucken, 
Ob  er  sie  lasse,  ob  ums  Leben  bring*. 

Er  führt  das  Mädchen  aufwärts,  wo  in  Stöcken, 
Klaffend  und  hohl,  ein  loser  Felsen  hing: 
Ein  Fräulein,  sagt  er,  jung,  von  holden  Mienen, 
Sei  dort  ihm  auf  dem  Höhlenginind  erschienen. 

73.  Sie  sei  gewiß  auch  edlem  Stamm  entsprossen, 
Das  zeig'  ihr  Aussehn  und  ihr  reiches  Kleid; 
Und  mit  Gewalt  wohl  sei  sie  eingeschlossen, 

Ihr  Trübsinn  zeig'  es,  ihre  Traurigkeit. 

Und  weil  er  gern  das  Rätsel  hätt'  erschlossen. 

Sei  er  hinabgestiegen,  ziemlich  weit. 

Da  sei  vom  Innern  her  ein  Mann  gekommen. 

Der  habe  wütend  sie  hineingenommen. 

74.  So  arglos  wie  beherzt,  glaubt  Bradamante 
Dem  Märchen,  das  ihr  auftischt  jener  Schuft, 
l^nd  eifrig  sinnt  sie,  um  die  Unbekannte 

Zu  retten,  wie  sie  eindring'  in  die  Gruft: 
Ein  Ulmbaum,  sieh,  als  jetzt  den  Blick  sie  wandte. 
Hob  einen  langen  Zweig  dort  aus  der  Kluft. 
Der  wird  geschwind  vom  Schwert  herabgehauen: 
Ihm  kann  sie  für  die  Tiefe  sich  vertrauen. 

75.  Festhalten  soll  nun  Pinabel  den  Stecken 
Am  abgehiiunen  End' ;  sie  hängt  daran ; 
Zuerst  die  Füße  sich  hinunterstrecken, 
Bis  sie  an  beiden  Armen  schweben  kann. 

Der  Mainzer  lächelt,  fragt:  ,,\\'ird  Springen  schmek- 
Er  öffnet  weit  die  beiden  Hände  dann  [ken?" 
Und  spricht:  ,,Wär'  alles  hier  von  deinem  Samen! 
Auslöschen  möcht'  ich  gern  den  ganzen  Namen  1" 


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ZWEITER  GESANG 


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76.  Nicht,  wie  er  wünschte,  sollt*  es  sich  gestalten. 
Nicht  solclies  war  der  edlen  Jungfrau  Ix)S. 
Hinunterfallend  —  mocht'  er  auch  zerspalten!  — 
Kam  auf  den  Grund  zuerst  der  Stecken  bloß. 
Ob  er  nun  brach,  er  konnte  doch  sie  halten: 
Sie  ward  vorm  Tod  gerettet  durch  den  Stoß. 
Das  Fräulein  lag  betäubt,  wohl  etwas  lange; 
Ich  meld'  es  Euch  im  folgenden  Gesänge. 


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DRITTER  GESANG 

1.  Wer  leiht  die  Stimme  mir  und  wer  die  Worte, 

Die  sich  geziemen  für  so  hohen  Plan? 
Wer  gibt  mir  Flügel,  mich  der  Himmelspforte, 
Aufsteigend  wie  mein  Gegenstand,  zu  nahn? 
Jetzt  müssen  Gluten  ganz  besondrer  Sorte, 
Begeistrungsflammen  mir  die  Bnist  umfahn : 
Denn  dieses  Lied  wird  meinem  Herrn  gelungen; 
Die  Ahnen  künd'  ich,  denen  er  entsprungen. 

2.  Wie  viele  Herrscher,  Menschentun  zu  leiten, 
Vom  Himmel  kamen  her  in  unsre  Welt, 

Nie  durch  die  Erde,  Phöbus,  sahst  du  schreiten 
Ruhmvollem  Stamm  im  Frieden  und  im  Feld, 
Der  seinen  Adel  führt  aus  fernem  Zeiten 
Und  führen  wird  (wenn  wahrhaft  mich  erhellt 
Dein  Licht,  das  mir  die  späte  Zukunft  weiset). 
Solang  nm  seinen  Pol  der  Himmel  kreiset. 

3.  \\'olIt  ihren  Wert  ich  voll  zu  künden  trachten. 
Statt  meiner  Leier  braucht  ich  jene  dann, 

Die  du  gebrauchtest  nach  Gigantenschlachten: 
Auf  ihr  ja  stimmtest  du  dein  Danklied  an. 
Wenn  jemals  deine  Gaben  mich  bedachten 
Mit  beßrem  Werkzeug,  will  ich,  was  ich  kann, 
In  edlem  Stein  die  Bilder  zu  vollenden, 
Bfein  ganzes  Mühn,  all  meinen  Geist  verwenden. 


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DRITTER  GESANG 


43 


4.  Aufnehmend  jetzt  die  ersten  groben  Stücke, 
Hab'  ich  den  stumpfen  Meißel  hier  benützt 
Voll  Hoffnung,  daß  Vollkommneres  mir  glücke, 
Wenn  tiefres  Studium  einst  mich  unterstützt.  — 
Zurück  zu  ihm  nun,  dem  ob  seiner  Tücke 
Nicht  Mut,  nicht  Panzerkleid  den  Busen  schützt. 
Ich  sagte,  wie  der  Mainzer  Mörderbube 

Die  Jungfrau  töten  wollte  in  der  Grube. 

5.  Zerschmettert  liegend  wähnt  der  Schandgeselle 
Das  Mädchen  unten  auf  dem  Felsengrund; 

Von  der  durch  ihn  mit  Schmach  bedeckten  Schwelle 
Eilt  er  davon  mit  schreckensbleichem  Mund 
Und  wendet  sich  zur  Flucht  mit  aller  Schnelle. 
Und  weil  er  mit  der  ganzen  Holl'  im  Bund 
Und  gar  kein  Maß  in  Schuld  und  Sünden  kannte. 
Nahm  er  das  RoB  hinweg  von  Bradamante. 

6.  Mag  er  für  andrer  Tod  die  Ränke  weben, 
Dieweil  er  nur  den  Tod  sich  selber  spann!  — 
Wir  wollen  uns  zur  Jungfrau  jetzt  begeben. 

Die  fast  den  Tod  —  das  Grab  zugleich  —  gewann. 
Sie  konnte  sich,  noch  halb  betäubt,  erheben 
—  Denn  unsanft  kam  sie  auf  dem  Boden  an  — 
Und  schritt  durch  jene  Pforte  wie  im  Traume 
Hin  nach  dem  zweiten,  größren  Höhknraume. 

7.  Viereckig,  hoch,  als  würdige  Kapelle 

Wxd  gleich  vom  Aug'  der  hehre  Ort  erkannt; 
Auf  Alabastersäulen  schlank  und  heQe 
Sich  wohlgegliedert  das  Gewölbe  spannt: 
Inmitten  ein  Altar  an  rechter  Stelle, 
Vor  dessen  Stufen  einer  Lampe  Brand. 
Und  reiches  Licht  für  alle  beiden  Zimmer 
Bot  dieser  reinen  Flamme  klarer  Schimmer. 


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44  D  R  I  T  T  £  R  G  E  S  A  K  G 


8.  In  frommer  Demut  in  der  Stätte  Mitten, 

Der  göttlich  hohen,  blieb  das  Mädchen  stehn; 

Um  Beistand  Gott  mit  Herz  und  Mund  zu  bitten, 

Sank  sie  auf  ihre  Knie  mit  stillem  Flehn. 

Da  kam  mit  offnem  Haar  daliergeschritten 

—  Sie  hörte  knarrend  sich  ein  Pförtchen  drehn  — 

In  losem  Kleide,  barfuß,  eine  Dame, 

Von  deren  Lippen  klang  des  Mädchens  Name: 

9.  Vieledle  Bradamant!  Mit  Himmels  Segen", 
Rief  sie,  ,,und  seinem  Willen  trittst  du  ein. 
Merlins  Prophetengeist  sah  dir  entgegen 

Schon  manchen  Tag:  du  werdest  seinem  Schrein, 
So  sprach  er,  nahn  auf  wunderbaren  Wegen, 
Zu  grüßen  fromm  sein  heiliges  Gebein. 
Geblieben  bin  ich  hier,  dir  m  enthüllen, 
Was  sich  —  der  Himmel  wiU's  —  dir  soll  erfüllen. 

10.  Dies  ist  die  alte,  weitverehrte  Halle, 
Die  sich  Merlin  der  W^eise  ließ  erbaun. 

Hier,  wo  —  du  kennst  die  Mär  in  jedem  Falle  — 
Getäuscht  ihn  hat  die  schlaueste  der  Fraun. 
Sein  Fleisch  verzehrt  sich  imten  im  Ver&Ue: 
Bestrebt,  ihr  zu  gehorchen,  voll  Vertraun 
In  ihren  Rat,  legt'  er  sich  lebend  nieder; 
Dort  sind  im  Tod  geblieben  seine  Glieder. 

11.  Tot  ist  der  Leib,  der  Geist  in  ihm  doch  lebet, 
Bis  einst  des  Engelchors  Posaun'  erklingt. 
Die  ihn  hhiabstößt  oder  ihn  erhebet. 

Ob  er  als  Rab',  als  Taube  fort  sich  schwingt. 
Die  Stimme  lebt  —  und  jeder  Hörer  bebet. 
Wie  klar  sie  aus  dem  Marmorgrabe  dringt. 
Denn  allen  ^1  er,  die  ihn  drum  befragen, 
Das  Kiiuftige  wie  das  Vergangne  sagen. 


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DRITTER  GESANG 


45 


12.  Zur  Stätte  hier,  wo  Grabesschaiicr  wehen. 
Aus  fernen  Landen  bin  ich  hergeeilt, 

Um  meiner  Kunst  Mysterien  zu  verstehen, 
Darob  die  Kunde  nur  Merlin  erteilt ; 
Und  weil  es  dann  mich  drängte,  dich  zu  sehen, 
Hab'  ich  noch  einen  Monat  mehr  verweilt: 
Für  hent  versprach  —  nie  trügen  seine  Worte  ^ 
Merlin  dein  Kommen  diesem  heil'gen  Orte." 

13.  Stumm  steht  die  Haimonstochter  und  beklommen. 
Aufmerksam,  still  erwägend  den  Bericht, 

Und  solches  Staunen  hat  sie  überkommen: 

Ob  jetzt  sie  wacht,  ob  träumt,  sie  weiß  es  nicht. 

Gesenkt  die  Lider,  ganz  von  Scham  benonunen. 

Errötend  in  Bescheidenheit  sie  spricht: 

„Was  hat  m  mir  denn  sokh  Verdienst  begründet. 

Daß  ein  Prophet  mein  Nahn  vorausverkündet?" 

14.  Und  fröhlich  über  solch  ein  Abenteuer, 
Hin  geht  sie  mit  der  Fremden  im  Verein 
Zu  jenem  Mausoleum  hehr  und  teuer, 
Allwo  des  Zaubrers  Geist  ruht  und  Gebein: 
Der  Sarkophag  erglänzt  wie  rotes  Feuer 
(Glatt  war  er  und  von  lichtem,  hartem  Stein). 
Von  ihm  nur  ins  Gemach  der  helle  Schein  drang, 
W  eil  nie  ein  Sonnenstrahl  von  außen  eindrang. 

15.  Ist's  manchem  Marmor  wie  den  Fackeln  eigen. 
In  helles  Licht  zu  wandeln  Dunkelheit? 
War's  Räucherung?  War  es  der  Sterne  Reigen? 

War's  Zauber,  den  ein  Magierspruch  verleiht  ?  — • 
Dies  glaub'  ich  selbst  und  will  es  nicht  verschweigen  — 
Kurz,  reichen  Schmuck  voll  Pracht  und  Herrlichkeit, 
Aus  Farben  teils  und  teils  in  Stein  gehauen, 
Ließ  jener  Glanz  in  dem  Gemache  schauen. 


46 


DRITTER  GESANG 


16.  Kaum  hat  nun  Bradamant  den  Fuß  erhoben 

Hin  nach  dem  Grabesraume  von  der  Schwell', 

Als  aus  der  toten  Hülle  dringt  nach  oben 
Lebend 'gen  Geistes  Stimme  klar  und  hell: 
,,Du  keusche,  tugendreiche  Maid  da  droben, 
O  daß  dir  ewig  sich  das  Glück  gesell' ! 
Du  sollst  uns  reichen  Samen  ja  bescheren, 
Italien  und  der  gan^n  Welt  zu  Ehren. 

17.  Das  alte  Troerblut  fließt  in  zwei  Bronnen; 
In  dir  sie  strömen  künftig  ineinand 

Und  bringen  alle  Blüte,  Zier  und  Wonnen 
Des  Menschenstamms,  den  von  des  Indus  Rand 
Bis  hin  zum  Tajo  schaut  das  Licht  der  Sonnen, 
Und  fem  vom  Nil  bis  an  der  Donau  Strand. 
Reich  schmücken  dein  Geschlecht  der  Ehren  Reiser: 
Üiarkgrafen  mächtig,  Herzoge  und  Kaiser! 

18.  Die  Kapitän  und  Ritter  draus  entspringen, 
Die  mit  des  Geistes  Kraft  und  blanker  Wehr 
Dem  ehmals  unbesiegten  Lande  bringen 

Den  alten  Kriegsruhm  imd  die  alte  Ehr'. 
Und  edle  Herrscher  ihre  Zepter  schwingen. 
Ob  es  Augustus  oder  Numa  war'. 
Einmal  noch  läßt  ihr  weis  und  mildes  Walten 
Sich  femer  Vorzeit  goldne  Zeit  gestalten. 

19.  Daß  sich  in  dir  erfülle  nun  hienieden 

Des  Himmels  Wille,  der  in  seiner  Gnad'  . 
Jung  Roger  als  Gemahl  dir  hat  beschieden. 
Verfolge  guten  Mutes  deinen  Pfadl 
Kein  Hindernis  mag  stdren  deinen  Frieden. 
Damit  nicht  Soige  dir  das  Herz  beladM 
Es  wird  beim  ersten  Ansturm  überwanden 
Der  Rauber,  der  dein  Liebstes  hält  gebunden." 


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DRITTER  GESANG 


47 


ao.  So  spricht  Merlin  und  sinkt  zurück  in  Schweigen 
Und  überläßt  der  Magierin  das  Feld, 
Die  Bradamant  soll  jeden  Apfel  zeigen, 
Der  künftighin  von  ihrem  Baume  fällt. 
Zum  Dienst  war  ihr  ein  Geisterheer  zu  eigen.  — 
Ob  aus  der  Holl'?  Nicht  weiß  ich 's  um  die  Welt. 
Die  wurden  all  an  einem  Ort  gehalten 
In  mancherlei  Gewanden  und  Gestalten. 

21.  Zur  Kirche  lenkt  die  Zauberin  die  Schritte, 
Ein  Kreis  war  dort  gezogen  schon  vorher; 
Der  faßte  Bradamant  in  seiner  Mitte, 
Ganz  ausgestreckt,  und  eine  Spanne  mehr. 
Daß  sie  nicht  Unbill  durch  die  Geister  litte. 
Gab  sie  ein  Pentagon  ihr  noch  zur  Wehr 
Und  hieß  sie  zuschann,  nie  sie  unterbrechen; 
Zur  Geisterschar  begann  sie  dann  zu  sprechen. 

22.  Die  kommt  vom  ersten  Höhlenraum  geschossen 
Und  will  in  jenen  heil 'gen  Kreis  hinein; 
Doch  als  ihr  dort  der  Eingang  ist  verschlossen. 
Wie  wenn  es  Ifauem  oder  Graben  sei'n. 

Hin  drängt  sie,  wo,  von  schöner  Gruft  umschlossen, 
Ruht  des  Propheten  heiliges  Gebein. 
Dorthin  verloren  sich  die  dunklen  Schatten, 
Ak  sie  den  Kreis  dreimal  umwandelt  hatten. 

23.  ,,Soll  ich  die  Namen  dir  von  allen  sagen, 
Die  hier  durch  Geister",  sprach  die  Zauberin, 
„Beschworen  sind  vor  ihren  Lebenstagen, 

So  reicht  dafür  die  eine  Nacht  nicht  hin. 

Nicht  weiß  ich,  traun,  wann  wird  die  Stunde  schlagen. 

Da  ich  mit  allen  diesen  fertig  bin. 

Nur  einige  vermag  ich  auszuwählen 

Und  will  davon  nach  Schicklichkeit  erzählen. 


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48  DRITTERGESANG 


24.  Mit  schönen  Zügen,  freundlicher  Gebärde, 
Dir  selber  ähnlich,  sieh  den  Ersten  hier: 

Bestimmt  ist's,  daß  des  Hauses  Haupt  er  werde. 

Erzeugt  von  Rogers  Samen  und  von  dir. 

Mit  Ponthicus  Blute  rötet  er  die  Erde 

Und  wird  —  die  feme  Zukunft  zeigt  es  mir  — ' 

Sich  blutig  rächen  und  mit  Heldentaten 

An  denen,  die  den  Vater  ihm  verraten. 

25.  Durch  ihn  wird  Desider  verlassen  stehen. 
Der  König  auf  der  Langobarden  Thron. 

Für  dies  Verdienst  wird  er  vom  Reich  versehen 
Mit  Lehn  von  Este  und  von  Calaon. 
Nach  ihm  wird  als  des  Landes  Hort  erstehen 
Im  Kranz  des  Waffenruhms  dein  Enkelsohn. 
Er  wird  gar  oft  der  heil'gen  Kirche  nützen 
Und  gegen  die  Barbaren  sie  beschützen. 

26.  Sieh  Albert  hier:  er  läßt  die  Tempel  prangen 
Von  Kriegstrophäen,  unbesiegt  im  Streit. 
Hugo,  sein  Sohn,  der  das  Panier  der  Schlangen 
Nach  Mailand  bringen  wird,  gibt  ihm  Geleit. 
Azzo  ist  jener,  der  das  Reich  erlangen 

Wird  der  Insubrer  nach  des  Bruders  Zeit. 
Dort  Albertazzo  (durch  sein  Idug  Beginnen 
Weicht  Beiengar,  mit  ihm  der  Sohn,  von  hinnen)» 

27.  Wert,  daß  von  Kaiser  Otto  er  empfange 
Der  Tochter  Alda,  der  Prinzessin,  Hand. 
Ein  andrer  Hugol  Schöne  Reihe,  lange, 
Die  väterlichen  Ruhm  vennehrt  im  Land! 
Hier  dieser  wehrt  der  Römer  Überschwange 
Und  löscht  zu  Recht  des  stolzen  Mutes  Brand* 
Den  Kaiser  und  den  Papst  aus  ihren  Händen 
Wird  er  befrein  und  die  Belagrung  enden. 


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DRITTER       i:  S  A  X  ('. 


49 


28.  Sieh  Folco  jetzt:  dem  Brader  wird  er  geben. 
Was  in  Italien  sein,  und  in  die  Welt 

Hinaus,  bis  tief  nach  Deutschland  wird  er  streben. 

Wo  er  ein  großes  Herzogtum  erhält. 

Durch  ihn  wird  Sachsin  wieder  sich  erheben, 

Wenn  es  schun  ganz  auf  eine  Seite  fällt. 

Als  mütterlicher  Erbe  wird  er  walten 

Und  es  durch  seinen  Nachwuchs  aufrecht  halten. 

29.  Ein  zweiter  Azzo  kommt  (nicht  hold  den  Kriegen, 
Ein  Freund  von  feiner  Höflichkeit  ist  der) 

Mit  Söhnen  Albert  azz  und  Herthold;  siegen 
Wird  einer  ob  des  zweiten  Heinrich  Heer. 
Von  deutschem  Blute  rot  wird  Parma  liegen 
Und  seine  sonn  gen  Fluten  rings  umher. 
Der  andre  nimmt  zur  Gattin  sich  Mathilde, 
Die  weise,  mit  des  Ruhmes  blankem  Schilde. 

30.  Er  macht  sich  würdig  solcher  Ehebande: 
Für  jene  Zeit  acht'  ich  das  Lob  nicht  klein, 
Mit  fast  der  Hälfte  der  ital  sehen  Lande 
Des  ersten  Heinrich  Enkelkind  zu  frein. 
Von  dieses  Berthold  teurem  liebespfande, 
Rinald  dort,  wird  der  Ruhm  errungen  sein. 
Aus  Friedrich  Barbarossas  Hand,-  des  bösen. 
Rettend  die  heil'ge  Kirche  zu  erlösen« 

31.  Ein  andrer  Azzo!  Zu  Verona  walten 

Wird  er  des  Herrscheramts  und  weit  im  Land 
Und  auch  als  Markgraf  in  Ancona  schalten. 
Vom  Kaiser  und  vom  Papst  dazu  ernannt. 
Lang  währt  es,  wollt'  ich  alle  dir  entfalten. 
Die  Romas  Banner  tragen  in  der  Hand, 
Aus  deinem  Blut  entstammt,  und  Kunde  bringen. 
Was  sie  dereinst  dem  heil'gen  Stuhl  erringen. 


Ariost  1 


4 


5^ 


D  K  I  T  T  r  R    n  1^  ^'  \  V  C 


32.  Obizzo,  Folco,  Azzos,  Hugos;  beide 
Hemriche,  Sohn  und  Vater,  sind  gesellt. 

Zwei  Weifen  — :  der,  inUmbrien,  im  Herrscberldeide 
Das  Herzogszepter  zu  Spoleto  hält. 

Italia  errettet  er  vom  Leide, 

Denn  Wunden  heilt  und  Ficudc  bringt  der  Held. 
Azzo  der  Fünfte  hier,  er  hilft  aus  Nöten 
Und  fängt  den  Ezzelin  und  läßt  ihn  töten. 

33.  Der  Ezzelin,  der  schlimmste  der  Tyrannen 
(Ihn  halten  viele  für  des  Teufels  Sohn), 
Trägt  einst  Ausoniens  Herrliclik(>it  von  dannen, 
Schindend  und  marternd,  aller  Welt  zum  Hohn, 
Daß  mild  erscheint,  was  frülier  schon  ersannen 
Ein  Sulla,  Nero,  Cajus  und  Anton. 

Der  Kaiser  auch,  der  Friederiche  zweiter, 
Wild  überwunden  einst  von  diesem  Streiter. 

34.  Die  Stadt  wird  dann  sein  Zepter  glücklich  preisen  — 
Sie  zieht  sich  anmutvoll  den  Fluß  hinab  — , 

Wo  Phöbus  rief  mit  trauervollen  Weisen 
Den  Sohn,  als  er  vom  Wagen  stürzt'  ins  Grab, 
Und  Ambra  quoll  in  vielen  Tränen,  leisen. 
Und  Cygnus  sich  mit  weißem  Flaum  umgab. 
Für  tausend  Dienste  ynid  sie  ihm  zum  Lohne 
Vom  Hirten  auf  dem  apostoFschen  Throne. 

35.  Wo  bleibt  Aldobrandin  der  Bruder?  Dienen 
Wird  er  dem  Papst:  er  eilt,  ihm  beizustehn 
Im  Kampf  rrüt  Otto  und  den  Ghibellinen; 
Die  sind  schon  nah  beim  Kapitol  zu  sehn. 
Und  ringsumher  ist  alles  Land  mit  ihnen. 
Gebändigt  liegen  Umbrien  tmd  Pizen. 

Weil  ohne  Gold  kein  Beistand  kann  gelingen. 
So  geht  er,  solches  aus  Florenz  zu  bringen. 


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DRITTER  GESANG 


51 


36.  Kann  er  nicht  Kleinod  und  Juwelen  geben. 
So  läßt  er  seinen  Bruder  dort  als  Pfand. 
Siegreich  die  Banner  wird  er  dann  erheben 

Und  Krieger  schlagen  aus  dem  deutschen  Land; 
Er  setzt  den  Papst  ein»  straft  für  aiges  Streben 
Die  von  Celano  mit  gerechter  Hand; 
Dient,  daß  er  treu  den  höchsten  Hirt  behüte. 
Und  stirbt  in  seiner  Jahre  schönster  Blüte. 

37.  Pisaurum  läßt  er  und  Auconas  Auen 

Dem  Bruder  imd  was  sonst  er  sein  noch  nennt 

» 

An  Städten,  die  vom  Apennin  2a  schauen 

Bis  zum  Isaur,  am  Ufer  des  Troent. 

£r  wird  viel  mehr  auf  Seelengrdße  bauen 

Als  Gold  und  Edelstein,  so  viel  man  kennt: 

Die  gibt  das  Glück  und  läßt  sie  wieder  schwinden: 

Bestand  ist  nur  in  Trefflichkeit  zu  finden. 

38.  Sieh  dort  Rinald!  Nicht  minder  wird  er  scheinen. 
Der  nie  den  hohen  Wert  des  Stamms  veigißt: 
Doch  wie  sich  neidisch  gegen  ihn  vereinen. 
Ach,  Mißgeschick  und  Tod,  kein  Mensch  ermißt  I 
Von  hier  bis  nach  Neapel  wird  man  weinen. 

Wo  er  die  Geisel  für  den  Vater  ist.  — 

Olnzzo  kommt:  der  Lenze  wird  er  zählen 

Noch  wen'ge,  wenn  sie  ihn  zum  Fürsten  wählen. 

39.  Durchs  rauhe  Modena,  R^igio  das  schöne. 
Fügt  er  zum  Prachtbesitz  hinzu  noch  mehr. 
Einstimmig  will  das  Volk,  daß  diesen  kröne 
Ob  seines  Werts  im  Staat  die  höchste  Ehr*. 

Azzo  der  Sechste,  einer  seiner  Söhne, 
Wird  von  dem  heil'gen  Kreuz  Gonfalonier'. 
Karl  von  Sizilien  wird  sein  Kind  ihm  geben 
Und  ihn  zum  Herzog  Andrias  erheben. 

4* 


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52 


DRITTER  GESANG 


40.  Schau  die  vereint  in  freundschaftlichem  Ringe! 
Die  herdichsten  der  Fürsten  bilden  ihn: 
.\lbert,  an  Milde  reich  und  guter  Dinge, 
Niccol,  Zoppo,  Obizz,  Aldobrandin. 

Zu  melden,  wie  Faenza  man  erringe, 
Laß  ich;  auch,  langer  Weile  zu  entfliehn. 
Wie  Adria  sie  festigen;  bekannt  ist, 
Daß  es  nach  salz'ger  Wogenflut  benannt  ist. 

41.  Dazu  die  Stadt,  die  nach  dem  Rosensegen 

Den  Namen  hat  mit  holdem  griech 'sehen  Klang, 
Und  jene,  ganz  im  Fiscliesumpf  gelegen, 
Um  die  der  Po  die  Doppelhömer  schlang. 
Daß  wacker  Wind  und  \\'ellen  dort  sich  regen. 
Verlangt  das  Volk  und  wilden  Sturmgesang. 
Ich  lass'  Argen ta,  Flecken  und  Kastelle, 
Lugo  nnd  andre  Städt'  an  dieser  Stelle. 

42.  Sieh  Niccolö,  den  schon  als  zarten  Knaben 
Das  Volk  zum  Herren  seines  Landes  macht! 
Tideo  wird  durch  ihn  das  Nachsehn  haben; 
Gern  hätt'  er  Bürgerkrieg  hervorgebracht. 

Als  kindlich  Spiel  wird  dies  den  Kleinen  laben: 
Schwitzen  in  Stahl  und  Müh'  bei  Tag  nnd  Nacht. 
Aus  früher  2^ten  Plag'  erwächst  die  Blume 
Von  hoher  Ritterschaft  und  Heldentume. 

43.  Kr  macht  zunicht  rebellisches  Gebaren, 

Für  den  zum  Schaden,  der  Empörung  sann. 

In  Kriegeslisten  ist  er  so  erfahren. 

Daß  ein  Betrug  ihn  schwerlich  täuschen  kann. 

Zu  spät  wird  Oto  Terzo  das  erfahren, 

Von  Reggio  und  von.  Parma  der  Tyrann: 

Von  ihm  besiegt,  muß  der  verlorengeben 

Zu  gleicher  Zeit  die  Herrschaft  und  das  Leben. 


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DRITTER  GESANG 


53 


44.  Ein  stetig  Wachstum  ist  dem  Reich  beschieden, 
Weil  nie  der  Herrscher  wankt  vom  rechten  Pfad: 
Andre  zu  schädigen,  das  wird  vermieden, 

Wenn  keiner  Unheil  bringt  durch  Missetat. 
Der  Dinge  Lenker  ist  damit  zufrieden 
Und  gönnt  ihm  froh  Gedeihen  früh  und  spat. 
Wacl^ende  Wohlfahrt  wird  ihm  niemals  mangeln, 
Solang  die  Welt  sich  dreht  in  ihren  Angeln. 

45.  Sieh  Lionel!   Und  Borso  sieh,  den  hehren, 
Ruhm  seiner  Zeit,  zuerst  im  Herzogshut. 

Er  sitzt  in  Frieden:  und  das  Glück  zu  mehren 

Mit  friedlichen  Triumphen,  weiß  er  gut. 

Er  wird  dem  Mars  das  Tageshcht  verwehren, 

Und  fest  schnürt  er  den  Arm  der  blinden  Wut. 

Vortrefflich  ist,  was  immer  er  begonnen. 

Was  er  nur  plant  —  drum  lebt  sein  Volk  in  Wonnen. 

46.  Kommt,  halbverbrannt  den  Fuß,  man  sieht  ihn  schwan- 
Ercol ;  er  naht  und  wirft  dem  Nachbar  vor :  Pcen, 
Er  stützte  wahrlich  nicht  des  Heeres  Wanken 

Bei  Budrio,  das  schon  die  Schlacht  verlor. 
Damit  durch  Krieg  ihm  jener  möge  danken 
Und  ihn  verfolge  bis  an  Barcos  Tor. 
Bei  diesem  Herren  wird  nicht  leicht  entschieden: 
Ist  er  im  Kriege  größer  oder  Frieden? 

47.  Apuliem,  Kalabresen  und  Lukanen 
Wird  sein  Gedächtnis  unveigeBlich  sein. 
Durch  Zweikampf  mit  dem  Herrn  der  Katalanen 
Schon  tritt  er  in  des  Ruhmes  Tempel  ein: 
lifanch  ein  Triumph  wird  bei  den  Kapitänen, 
Den  unbesiegten,  ihm  den  Platz  verteihn. 

Und  er  erringt  das  Reich  durch  Geistesgaben, 
Das  er  vor  dreißig  Jahren  sollte  haben. 


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54 


DRITTER  GESANG 


48.  Was  eine  Stadt  für  gütig  fürstlich  Walten 
An  Dank  nur  hat,  das  wird  ihm  zuerkannt: 

Nicht,  weil  sich  blühnde  Felder  dort  entfalten, 
Wo  er  Moraste  nur  und  Sümpfe  fand; 
Nicht,  weil  den  Ort  er  fester  wird  gestalten, 
Mit  Mauern  und  mit  Graben  wohl  umspannt, 
Mit  Kirchen,  schmucken  Schlössern,  freien  Plätzen, 
Theatern  —  was  das  Herz  nur  kaim  ergetzen; 

49.  Nicht,  weil  er  vor  den  Klaun  des  Flügelleuen 
Die  Stadt  beschützen  wird  mit  kühnem  Mut; 
Nicht,  weil,  wenn  Gallierfackeln  rings  bedräuen 
Italias  Fluren  mit  Vemichtungsglut, 

Sie  ganz  allein  des  Friedens  kann  sich  freuen, 
Sicher  und  frei  von  jeglichem  Tribut  — 
Für  diese  nicht  sowohl  und  andre  Gaben 
Wird  Herkules  sein  Volk  als  Schuldner  haben  — , 

50.  Als,  weü  er  ihm  Alfonso  den  Gerechten 
Und  Hippolyt  den  Gütigen  beschert; 

Die  werden  sein,  wie  wenn  sie  wieder  brächten, 
Was  vom  Geschlecht  des  Schwans  die  Sage  lehrt: 
Daß,  um  den  Bruder  zu  befrein  aus  Nächten, 
Der  Bruder  wechselweis  der  Sonn'  entbehrt. 
Genug  an  Stärk'  und  Willen  beide  hätten. 
Durch  ew'gen  Tod  den  Bruder  zu  erretten. 

51.  Die  Liebe,  die  das  schöne  Paar  empfindet. 
Gewährt  dem  Volke  größre  Sicherheit, 

Als  selbst  ein  Stahlwerk,  das  Vulkan  erfindet. 
Doppelt  den  Wall  umschUeßend,  sie  verleiht. 
Alfons  mit  Weisheit  Güte  so  verbindet, 
Daß  man  einst  wähnen  wird  in  sf^trer  Zeit, 
Asträa  kehr'  ans  Himmdsre^onen 
Dahin  zurück,  wo  Hitz'  und  Kälte  wohnen. 


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DRITTER  GESANG 


55 


5a.  Der  Klugheit,  wahrlich,  darf  er  sehr  sich  freuen. 
Und  Kühnheit,  drin  er  ganz  dem  Vater  gleicht: 
Denn  —  selber  schwach  —  sieht  er  von  dorther  dräuen 
Venedigs  Flotte,  die  durch  Fluten  streicht, 
Und,  ach,  die  Mutter  hat  er  hier  zu  scheuen 
—  Stiefmutter  sagt  man  richtiger  vielleicht  — ; 
Wenn  aber  Mutter,  ist  sie  nicht  gelinder 
Als  Progne  und  Medea  für  die  Kinder. 

53.  So  oft  er  aufbricht,  sei's  bei  Nacht,  bei  Tage, 
Mit  seiner  treuen  Heeresmacht  vom  Strand, 
Bringt  er  den  Feinden  Flucht  und  Niederlage, 
Hier  auf  den  Wasserfluten,  dort  zu  Land. 
Romagnas  Volk,  noch  jüngst  zum  Schwertesschlage 
Vereint  mit  ihm  und  Freunde  da  genannt, 
Erfährt  es,  wenn  von  Blut  die  Felder  fließen. 

Die  Po,  Santem  und  Zanniol  umschließen. 

54.  Davon  wird  femer  dort  zu  sagen  wissen 
Der  span'sche  Mietling  in  des  Papstes  Lohn: 
Er  hat  dem  Herzog  die  Bastei  entrissen. 
Erschlägt  den  Schloßvogt,  der  gefangen  schon; 
Zur  Strafe  müssen  all'  das  Leben  missen. 

Vom  Soldner  bis  zum  obersten  Patron; 
Nach  Rom  von  der  Erobnmg  zu  berichten 
Und  von  der  Mordtat,  gilt  es  zu  verzichten. 

55.  Er  hat  durch  Kraft  des  Schwerts  und  der  Gedanken 
Auf  der  Romagna  Feld  die  hohe  Ehr', 

Erlesnen  Siegesruhm  zu  leihn  den  Franken, 
Entgegen  Julius'  und  Spaniens  Heer. 
Bfan  sieht  in  Menschenblut  bis  an  die  Flanken 
Die  Hengste  schwimmen  auf  der  Flur  umher. 
Kaum  wird  man  Platz  um  zu  bestatten  haben 
Italer,  Griechen,  Spanier,  Franken,  Schwaben. 


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56  DRITTER  GESANG 


56.  Der  im  Prälatcnkleid  und  Purpurhiite 
Auf  heil'gen  Locken  —  das  ist  er  zumal, 
Ippolito,  der  Edelmüt'ge,  Gute, 

Der  röm'schen  Kirche  großer  Kardinal. 
Zu  Vers  und  Prosa  leiht  der  Hochgemute 
In  allen  Sprachen  Stoffe  sonder  Zahl. 
Ein  Maro  gibt  dem  Herrlichen  Qeleite, 
Wie  dem  August  ein  andrer  ging  zur  Seite. 

57.  Er  wird  der  Glanz  des  schönen  Stammes  werden. 
So  wie  den  Weltenbau  die  Sonne  schmückt; 
Verdunkeln  wird  er  jedes  Licht  auf  Erden, 

So  wie  von  ihr  wird  Mond  und  Stern  erdrückt. 
Er  zieht  mit  wenig  Fußvolk,  wen'gen  Pferden 
Bekümmert  fort  und  kehrt  nach  Haus  beglückt. 
Fünfzehn  Galeeren,  hingeschleppt  in  Banden, 
Und  tausend  Boot'  als  Beute  sind  vorhanden. 

58.  Und  dort!  Zwei  Sigismunde  kannst  du  sehen  1 
Fünf  Prinzen  dort:  Alfonsos  Söhneschar. 

Ihr  großer  Ruhm  wird  ühem  Erdball  gehen, 

Kein  Beig,  kein  Meer  kann  vdderstefan  fürwahr. 

Der  zweite  Herkules  ist  ausersehen 

Zum  Eidam  Frankreichs;  weiter  stellt  sich  dar 

Herr  Hippolyt,  um  keinen  zu  vergessen. 

Der  mit  dem  Ohm  sich  kann  an  Glänze  messen. 

59.  Franz  ist  der  dritte,  die  zwei  nächsten  tragen 
Den  Namen  Alfons.  Du  vernahmst  zuvor: 
Zeigt'  ich  dir  alle  Zweige,  wie  sie  ragen 
Vom  edlen  Stamm  in  Herdidikeit  empor. 

Es  müßte  mehrmals  nachten  dann  und  tagen. 
Eh  ich  das  Ganze  brachte  vor  dein  Ohr. 
Doch  schweigen  möcht'  ich  jetzt,  will's  dir  gefallen; 
Zeit  ist  es,  daß  zurück  die  Schatten  wallen." 


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DRITTER  GESANG 


57 


60.  Als  Bradamant  damit  war  einverstanden, 
Die  weise  Frau  ihr  Zauberbuch  verschloß, 

Und  all  die  Geister  nach  dem  Raum  entschwanden 

In  Eile,  der  Merlins  Gebein  umschloß. 

Weil  ihr  zu  sprechen  jetzt  war  zugestanden. 

Die  Dame  so  den  holden  Mund  erschloß: 

,,Wer  sind  die  Traurigen  —  möcht'  ich  erfahren  — , 

Die  zwischen  Hippolyt  und  Alfons  waren? 

61.  Gesenkt  die  Augen,  seufzend  kamen  beide. 
Als  sei  geschwunden  Mut  und  kühner  Sinn; 
Als  ob  sie  von  den  Brüdern  etwas  scheide, 
Sie  schritten  fremd  und  fem  den  andern  hin." 
Bei  dieser  Frage  wurde  blaß  vor  Leide 
Und  weinend  sprach  die  gute  Zauberin: 
„Unselige,  zum  Weh  euch  muß  sich's  wenden. 
Daß  ihr  euch  ließt  durch  böses  Volk  verblenden  I 

62.  O  Sproß  des  Herkules,  laß  nicht  bezwingen 
Durch  beider  Schuld  den  edlen,  güt'gen  Mut! 
Mitleid  statt  Recht  mag  ihnen  Gnade  bringen: 
Die  Armen  sind  ja  doch  von  eurem  Blutl" 

Sie  fügt  hmzu  —  ganz  leis  die  Worte  klingen  — : 
„Davon  noch  mehr  zu  sagen,  ist  nicht  gut. 
Du  solltest  Süßigkeit  im  Munde  schmecken ; 
Ich  will  sie  nicht  durch  Bitternis  verdecken. 

63.  Erstrahlt  am  Himmelsrand  die  erste  HeÜe, 
Geradenweges  brichst  du  auf  alsbald 

Zum  Felsen  mit  dem  leuchtenden  Kastelle, 

Wo  Roger  weilt  in  fremden  Manns  Gewalt. 

Als  Führerin  ich  selbst  mich  dir  geselle, 

Bis  du  herauskommst  aus  dem  rauhen  Wald. 

Das  Weitre  werd'  ich  auf  dem  Meer  erzählen: 

Du  kannst  den  Weg  von  dort  nicht  mehr  verfehlen." 


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58  DRITTERGESANG 


64.  Weil  über  Nacht  die  kühne  Haid  hier  weilte. 
Besprach  sie  vieles  in  der  Stunden  Lauf 
Noch  mit  Merlin,  der  ihr  den  Rat  erteilte, 

Sie  suche  gleich  den  edlen  Roger  auf, 
Wenn  sie  vom  Hölüengrund  von  dannen  eilte. 
In  Flammen  steigt  der  Morgenschein  herauf, 
Da  führt  ein  dunkler  Weg  sie  in  die  Weite; 
Stets  schreitet  ihr  die  weise  Frau  zur  Seite.  — 

65.  Durch  öden  Grund,  den  Berge  rings  umschHeßen, 
Unnahbar  mächt 'ge,  wilde,  ziehn  sie  fort. 
Tagsüber,  ohne  Ruhe  zu  genießen, 

Vorbei  an  Strom  und  Abgrund  geht  es  dort. 
Damit  des  Weges  Mühn  sie  nicht  verdrießen, 
So  plaudern  sie  mit  manchem  trauten  Wort 
Von  wichtigen  und  angenehmen  Dingen, 
Daß  sie  die  langen  Stunden  schön  verbringen. 

66.  Ermahnt  wird  Bradamant,  zu  überlegen. 
Sorglich  und  wohlbedacht  auf  ihre  Hut; 
Mit  List  und  Vorsicht  solle  sie  sich  regen. 
Dann  meine  sie 's  mit  Roger  wirkhch  gut. 
„Trittst  du  als  Mars,  als  Pallas  ihm  entgegen 
Und  mit  dir  größre  Heere  voller  Mut, 

Ais  Karl  besitzt,  zu  kriegen  mit  den  Mohren» 
Gegen  den  Zaubrer  bist  du  doch  verloren. 

67.  Nicht  nur,  daß  unersteiglich  hoch  sich  heben 
Aus  Stahl  die  Wände  dort  am  Felsenschloß, 
Nicht  nur,  daß  er  durch  Lüfte  rennen,  schweben 
Und  springen  kann  auf  seinem  Flügelroß, 

Ist  ihm  auch  noch  der  Wunderschild  gegeben; 
Der  dringt,  enthüllt,  ins  Aug'  wie  ein  Geschoß, 
Und  blendet  es,  daB  alle  Sinne  schwinden 
Und  die  Getroffnen  sich  wie  tot  befinden. 


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DRITTER  GESANG 


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68.  Und  wenn  du  meinst,  der  Angriff  könne  glücken, 
Wenn  man  beim  Streiten  dort  die  Augen  schließt. 

Du  wüßtest  nicht:  wann  gilt  es  vorzurücken, 
Wann  ihn  zu  meiden,  falls  er  niederschießt. 
Dich  rettet  eins  nur  vor  des  Lichtes  Tücken, 
Daß  du  dem  ganzen  Zauber  dich  entziehst. 
Den  er  verübt,  geschickt  auf  eine  Weise: 
Und  diesen  einz'gen  Schutz  ich  jetzt  dir  weise. 

69.  Herr  Agramant  hat  einen  Ring  erhalten, 
Den  man  in  Indien  einer  Fürstin  stahl: 
Er  läßt  damit  jetzt  einen  Diener  schalten, 
Brunei;  der  reitet  unfern  hier  im  Tal. 

Es  kann  sich  keine  Zauberkraft  entfalten, 
Trägt  man  den  Ring  am  Finger  allzumaL 
Brunei  versteht,  was  Schlich'  und  Listen  sden. 
Wie  Rogers  Kerkermeister  Zaubereien. 

70.  Nun  will  der  Dieb  —  so  schlau  und  so  verschlagen. 
Wie  schon  gesagt  —  mit  seiner  Meisterschaft 
(Der  König  hat  ihm  dieses  aufgetragen) 

Und  unterstützt  von  jenes  Ringes  Kraft, 
Die  Fesseln  Rogers  auf  dem  Fels  zerschlagen: 
Er  hat  geprahlt,  er  Idse  seine  Haft, 
Und  also  hat  er's  seinem  Herrn  geschworen. 
Dem  Roger  mehr  gilt  als  die  andern  Mohren. 

71.  Daß  Roger  nur  von  dir  die  Rettung  habe 
Und  nicht  verpflichtet  sei  dem  Agramant 
Für  die  Befreinng  ans  dem  Zaubeigrabe, 
Geb'  ich  dir  hier  ein  Mittel  an  die  Hand. 

Drei  Tage  lang  am  Strand  des  Meeres  trabe  — 
Es  wird  sich  gleich  dir  zeigen  —  durch  den  Sand, 
Bis  dich  der  Abend  an  ein  Gasthaus  bringe. 
Wo  auch  der  andre  sein  wird  mit  dem  Ringe. 


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60 


DRITTER  GESANG 


7a.  Sein  Wachs  —  dies  mag  dir  zum  £rkem[ien  dienen  — 

Sechs  Spannen  kaum,  der  Kopf  ist  schi/varzbehaart 

Und  wollig,  braun  die  Haut  und  bleich  die  Mienen, 
Mit  einem  struppigen  und  wilden  Bart; 
Die  Augen  scheel,  geschwollen,  über  ihnen 
.  Die  Brauen  dick;  die  Nase  platter  Art. 
Sein  Rock  ist  kurz  —  daß  ich  ihn  ganz  beschreibe  — 
Und  liegt,  wie  bei  Kurieren,  knapp  am  Leibe. 

73.  Du  kannst  dich  leicht  zum  Plaudeni  ihm  gesellen 
Und  sprechen  von  dem  Spuk  —  das  wird  wohl  gehn  — 
Und  dich,  wie  du  es  bist,  begierig  stellen, 

Dem  Hexenmeister  dort  im  Kampf  zu  stehn. 
Doch  schweigen  sollst  du  ganz  in  allen  Fällen 
Vom  Ring,  vor  dem  der  Zauber  muß  veigebn. 
Er  bietet  dann  sich  an,  mit  dir  zu  reiten 
Und  dich  nach  jenem  Felsen  zu  geleiten. 

74.  Du  gehe  hinter  ihm,  bis  daß  vom  weiten 
Die  Wände  jenes  Schlosses  sichtbar  sind; 
Dann  töt'  ihn:  Mitleid  darf  dich  nicht  verleiten  1 
Damit,  was  ich  dir  sag',  Erfüllung  find*, 

Laß  dir  kein  Zeichen  deines  Plans  entgleiten: 
Verdecken  würd'  ihn  sonst  der  Ring  geschwind. 
Dir  zu  verschwinden,  wird  ihm  leicht  gelingen. 
Wenn  er  den  Ring  kann  an  die  Lippen  bringen." 

75.  So  sprechend  kamen  sie,  wo  sich  dem  Meere 
Dort  die  Garonne  bei  Bordeaux  verband. 
Da  schieden  nun,  nicht  ohne  manche  Zähre, 
Die  beiden  Weggenossen  voneinand. 

Daß  sie  dem  Teuren  Freiheit  bald  beschere. 
Strebt  ohne  Säumen  vorwärts  Bradamant 
Und  geht,  bis  sie  in  abendlichen  Stunden 
.   Das  Gasthaus  mit  Brunei  hat  vorgefunden. 


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DR  ITTER  GESANG 


6x 


76.  Und  sie  erkennt  ilin  an  Gestalt  und  Zügen, 
Denn  die  Beschreibung  hat  sie  gut  im  Sinn. 
Sie  fragt:  woher?  wohin?  Und  zu  belügen 
Sucht  sie  der  andre  gleich  von  Anbeginn. 
Jedoch,  gewarnt,  läßt  sie  sich  nicht  betrügen, 
Hält  ihn  geschickt  mit  FlunkiMeien  hin, 

Ob  Stamm  und  Namen  bunte  Mären  flickend 
Und  oft  dabei  ihm  auf  die  Hände  blickend» 

77.  Mit  Vorsicht  öfter  blickend  auf  die  Hände, 
Vor  seinen  Diebesfertigkeiten  bang. 

Sie  ließ  ihn  nicht  ihr  nahn,  denn  wie  l)ehende 
Er  Sachen  stahl,  das  wußte  sie  nun  lang. 
So  standen  sie,  als  ein  Gelärm  ohn'  Ende 
Den  beiden  häßlich  in  die  Ohren  drang. 
Was  Uisach',  Herr,  der  Unruh'  war  im  Hause, 
Erzähl'  ich  noch;  —  jetzt  schickt  sich  eine  Pause. 


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VIERTER  GESANG 


1.  Wohl  ist's  verwerflich  meist,  sich  zu  veistelien. 
Wird  oft  ein  Zeichen  niedrer  Seele  sein; 

Doch  bietet  Heuchelei  in  vielen  Fällen 
Unstreitig  einen  Nutzen,  der  nicht  klein, 
Und  kann  vor  Schaden,  Tod  uns  sicherstellen. 
Verkehrt  man  doch  mit  Freunden  nicht  allein 
Im  Eidenleben,  wo  mehr  Nacht  als  Licht  ist 
Und  mancher,  ach,  auf  Neid  und  HaB  erpicht  ist! 

2.  Zur  Not  nach  langer  Prüfung  mag's  gelingen 
Zu  finden,  den  du  Freund  nennst  ohne  Scheu, 
Dem  du  dein  Herz  vertraust  in  allen  Dingen 
Und  ohne  Schleier  zeigest  stets  aufs  neu; 

Doch  soll  Vertrann  die  Freundin  Rogers  bringen 
Jenem  Brunei,  der  weder  rein  noch  treu? 
Der  sie  durch  Lug  und  Schändlichkeit  empörte. 
Nach  dem,  das  von  der  Zauberin  sie  hörte? 

3.  So  heuchelt  denn  auch  sie  —  was  kann  sie  machen? 
Denn  aUen  Truges  Vater  ist  Brunei. 

Und  ihre  Blicke  seine  Hand  bewachen  — : 

Ha,  wahre  Geierldaun  hat  der  Gesell! 

Da  trifft  ein  Lärm  ihr  Ohr,  ein  Dröhnen,  Krachen: 

„O  Himmelsherr!  Bfaria,  Gnadenquell!" 

Ihr  Ruf  erklingt:  „Was  ist  das  för  em  Toben?" 

Hin  eilt  sie,  wo  der  Lärm  sich  hat  erhoben. 


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VIERTER  GESANG 


4.  Und  sieht  den  Wirt  mit  allen,  jung  und  alten, 
Empor  zum  Himmel  richten  Aug'  und  Braun 
Innen  und  draußen  — :  vnll  sich  dort  gestalten 
Verfinsterung?   Ist  ein  Komet  zu  schaun? 

Sie  sieht  ein  holdes  Wunder  sich  entfalten 
(Daran  zu  glauben,  mag  sie  kaum  sich  traun): 
Ein  mächtig  Flügelroß  im  Äther  schweben 
Und  einen  Ritter  in  die  Lüfte  heben. 

5.  Vielfarbig  und  gewaltig  sind  die  Schwingen, 
Und  mittendrin,  gewappnet,  sitzt  ein  Mann; 
Von  seiner  Eisenrüstung  Strahlen  dringen, 
Nach  Westen  zu  kommt  er  im  Flug  heran. 

Er  sinkt  —  und  ferne  Höhen  ihn  verschlingen, 
's  ist  —  sagt  der  Wirt,  der  keine  Lüg'  ersann  — 
Ein  Zaubezer,  der  also  pflegt  zu  schweifen 
Und  nah  imd  fem  die  Gegend  zu  durchstieifen. 

6.  Jetzt  zu  den  Sternen  hebt  er  sich  im  Fluge, 
Jetzt  streift  er  hin  am  Boden,  fast  im  Staub, 
Und  mit  sich  nimmt  er,  was  er  auf  dem  Zuge 
An  Schdnen  nur  erraffen  kann  zum  Raub, 
So  daß  ein  armes  Kind,  ob  es  mit  Fuge, 
Ob  nur  im  Wahn  sich  eine  Venus  glaub' 

(Es  kommt  auf  eins  heraus  —  er  nimmt  sie  allel). 
Die  Sonne  meiden  muß  in  jedem  Falle. 

7.  „Sein  Schloß  steht  in  den  PyrenSn;  da  sprangen". 
Der  Wirt  sagt,  „Mauern  auf  durch  Zaubermacht; 
Leuchtend  und  schön  in  hellem  Stahl  sie  prangen. 
Nie  schien  die  Sonn'  auf  eine  größre  Ptacht. 
Gar  viele  Ritter  sind  dorthin  gegangen. 

Doch  keiner  hat  den  Weg  zurückgemacht. 
Drum  hab'  ich,  Herr,  als  glaublich  dies  erachtet: 
Im  Kerker  sind  sie  —  oder  abgeschlachtet." 


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64 


VIERTER   r,  E  S  A  X  G 


8.  Die  Dame  hört's  und  hört  es  frohbetroffen; 
Denn  fortzuraffen  all  den  Zanbeigraus 

Mit  ihrem  Ring,  darf  sie  ja  sicher*  hoffen, 

Den  Magier  selber  und  sein  Wunderhaus. 

Sie  spricht  zum  Wirt:  ,,Die  Wege  stehen  offen; 

Ein  kund'ger  Diener  führe  mich  hinaus! 

Ich  brenne  heiß  —  der  Ruh'  muß  ich  vt-rgessen  — 

Mit  jenem  Hexenmeister  mich  zu  messen." 

9.  , .Nicht  fehlen",  sprach  Brunei,  ,,soll  der  Begleiter: 
Ich  selber  will  mit  dir  als  Führer  gehn. 

Den  Wegplan  hab'  ich  und  noch  manches  weiter. 
Das  als  (Gesellen  mich  macht  gern  gesehn." 
Vom  Ringe  wollt'  er  sprechen,  doch  gescheiter 
Hält  er  das  Schweigen,  nicht  geprellt  zu  stehn. 
Sie  spricht:  ,,Du  bist  genehm  mir  zur  Gesellschaft" 
Und  meint :  Jawohl,  weil  mir 's  denRing  zurStell'  schafft. 

10.  Was  nützen  kann,  das  sagt  sie;  was  ihr  schaden 
Mag  bei  Brunei,  verschweigt  sie  mit  Bedacht. 
Der  W'irt  besaß  ein  Roß:  zu  Wanderpfaden 
Vortrefflich  schien  ihr 's  wie  zu  Krieg  und  Schlacht. 
Sie  kauft  es.  Als  im  Morgentaue  baden 
Die  Fluren  früh,  man  auf  den  Weg  sich  macht. 
Durdi  enge  Felsschlucht  sie  von  dannen  reitet; 
Brunei,  bald  vom,  bald  hinten,  sie  begleitet. 

iz.  Von  Belg  zu  Beig,  von  Wald  zu  Wald  sie  ziehen 
Zum  Fyrenaengipfel  hoch  und  hehr. 
Von  wo  zu  schauen,  wenn  die  Nebel  fliehen, 
Frankreichs  und  Spaniens  Doppelküste  wär'. 
Wie  ob  Camaldoli  ein  Blick  verliehen 
Vom  Apennin  ist  auf  ein  zwiefach  Meer. 
Mühsam  und  steil,  an  schroHen  Felsenschlünden 
Vorüber  ging's  zu  tiefen  Tales  Gründen. 


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VIERTER  GESANG 


la.  Inmitten  sieht  man  einen  Felsen  ragen; 
Stahlmauem  kränzen  kriegerisch  sein  Haupt. 

Des  Himmels  Wolken,  scheint  es,  will  er  tragen. 

Die  Berge  rings  man  seine  Diener  glaubt. 
Wer  Flügel  hat,  kann  hinzudringen  wagen; 
Sonst  ist  für  Botschaft  Hoffnung  ganz  geraubt. 
,,Sieh !"  sprach  Brunei,  ,,du  kannst  den  Ort  betrachten, 
Wo  in  der  Haft  die  Fraiin  und  Ritter  schmachten  1" 

13.  Viereckig  zubehaun  und  glatt  die  Wände 
Des  Felsens,  lotgerecht  wie  nach  der  Schnur I 
Auf  keiner  Seite  Halt  für  Fuß  und  Hände, 
Von  Stufen  oder  Treppen  keine  Spur! 

Daß  dort  ein  Tier  wohl  seine  Höhle  fände. 
Meint  man,  doch  ein  Geschöpf  mit  Flügeln  nur. 
Das  Fräulein  sieht,  's  ist  Eile  jetzt  vonndten. 
Den  Ring  zn  nehmen  rnnd  Brunei  zu  töten. 

14.  Bloß  mit  des  Schelmen  Blut  sich  zu  beflecken,  , 
Des  waffenlosen,  sehr  ihr  widerstrebt. 

Auch  so  wohl  geht's,  den  Ring  sich  anzustecken 

Und  zu  erlauben,  daß  er  weiterlebt  1 

Olm'  Argwolm  ist  Brunei;  da  —  welch  ein  Schrecken! 

Gebunden  war  er  und  wie  festgeklebt 

An  eine  Tann':  am  Stamme  hilflos  hing  er; 

Allein  zuvor  nahm  sie  den  Ring  vom  Finger. 

15.  Vergebens  seine  Klagen,  seine  Bitten; 
Ihn  freizugeben  sinnt  sie  keinesfalls. 

Sie  steigt  zu  Tal  mit  langsam  festen  Schritten, 
Bis  sie  am  FuB  ist  jenes  Felsenwalls. 
Zum  Kampfe  laden  aus  des  Schlosses  lütten 
Soll  jetzt  den  Zaubrer  Kraft  des  HQmerschalls. 
Sie  bläst»  und  hinterdrein  mit  drohndem  Schreien 
Entbietet  sie  zum  Streit  ihn  hier  im  Freien. 

Ariest  I  K 


I 


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66 


V  T  F       T  F  F'    r,  ]■:  ^  A  N'  n 


i6.  Nachdem  das  Horn  erschallt  ist  und  die  Stimme, 
Läßt  in  der  Luft  der  Flügelhengst  »ch  schaun 
Auf  sie  za,  die  ein  Mann  erscheint  voll  Grimme. 

Von  vornherein  gleich  wächst  ihr  das  Vertraun; 
Geringen  Schaden,  meint  sie,  tut  der  Schlimme, 
Vor  diesem  Reiter  braucht  ihr  nicht  zu  graun. 
Nicht  Spieß  noch  Keul'und  Schwert  sieht  man  ihn  hal- 
Den  Harnisch  zu  zerschmettern  und  zu  spalten,  [ten, 

Z7*  Nichts  trägt  er  als  den  Schild  in  seiner  Linken, 

Rotseiden  Tuch  darum  als  Decke  weht. 
Und  rechts  ein  Buch,  o  seht  nur:  auf  sein  Winken, 
Dieweil  er  liest,  ein  \\'under  draus  entsteht! 
Bald  zeigt  sich,  wie  man  glaubt,  ein  Lanzenbiinken 
(Davon  der  Atem  manchem  Held  vergeht). 
Und  bald  ein  Tanz  von  Knüppel  oder  Keule; 
Fort  ist  er  dann,  ganz  ohne  Wtmd'  und  Beule. 

18.  Der  Hengst,  von  Greif  und  Pferdestut'  entsprungen. 
Ein  wirklich  Wesen  und  kein  Zauber  war: 

Das  Vatertier  gab  Federn  seinem  Jungen, 
Den  Schnabel,  \^orderfüß'  und  Schwingenpaar. 
Der  Mutter  war  das  übrige  gelungen; 
Der  Name  ..Hippogrj'ph"  macht  solches  klar. 
In  Nordlandsbeigen  kommen,  freilich  selten. 
Dergleichen  Wesen  aus  den  Etsmeerwelten. 

19.  £r  bracht'  ihn  her  von  dort  in  Zauberbanden; 
Ihn  abzurichten  war  er  dann  bedacht, 

Bis  er  den  Hengst,  nachdem  vier  Wochen  schwanden. 
Für  Zaum  und  Zügel  fügig  hat  gemacht. 
Das  Tier  gehorcht  in  Luft  mid  Menschenlanden, 
Wenn  er  es  tummelt,  vSDig  seiner  Macht. 
Nicht  Zauberiisten  hier,  wie  sonst,  betören. 
Man  kann  das  alles  wiridich  sehn  und  hören. 


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V  T  F  R  T  F  R        F  S  \  N  C 


67 


ao.  Zu  täuschen  war  der  Zaubrer  scmst  nkht  träge: 
Was  gelb  ist,  sieht  das  Aug'  in  Rot  verkehrt. 
Doch  bd  dem  Frätdein  hat  das  gute  Wege, 
Weil  ja  der  Ring  jedweder  Täuschung  wehrt. 

Und  doch  gibt  sie  dem  Winde  Schlag'  auf  Schläge 
Und  wirft  sich  hierhin,  dorthin  mit  dem  Pferd. 
Sie  tummelt  sich,  tut  alles,  heiß  die  Wangen, 
Wie  sie  die  Unterweisung  hat  empfangen. 

21.  Ein  Weilchen  läßt  sie  so  den  Renner  springen 
Und  steigt  darm  ab,  zu  Fuß  mit  klugem  Sum 
Bequemer  noch  das  andre  zu  vollbringen, 
Was  ihr  gesagt  ward  von  der  Seherin. 
Unmöglich  hält  der  Magier  ein  Mißlingen 
Und  schleudert  seinen  stärksten  Zauber  hin: 
Den  Schild  enthüllt  er  und  vermeint,  sie  werde 
Vom  ZauberUcbt  hinstürzen  auf  die  Erde. 

22.  Gleich  könnt'  er  ja  die  Hülle  ziehn  vom  Schilde, 
Den  Kämpfer  schonend,  eh  er  niederfiel; 

Doch  hatt'  er  seine  Lust  am  schönen  Bilde: 
Wie  Schwert  und  Lanze  träfen  hübsch  das  Ziel. 
Er  ghch  der  Katze  hier,  die,  scheinbar  milde. 
Sich  mit  der  Maus  ergötzt  zu  ihrem  Spiel; 
Wird  ihr  das  Spaßen  dann  zum  Überdrusse, 
So  beißt  sie  zu  und  gibt  den  Tod  zum  Schlüsse. 

23.  Ich  sagt':  er  war  der  Katze  zu  vergleichen, 
Und  wer  ihm  gegenüberstand,  der  Maus. 

Doch  muß  das  Gleichnis  jetzt  sein  End'  erreichen, 
Seit  jene  ndt  dem  Ringe  kommt  zum  Strauß. 
Gespannt  verfolgt  sie  seiner  Absicht  Zeichen; 
Nach  Wunsche  sdilägt  es  ihm  wohl  schwerlich  ans. 
Als  sk  die  Hülle  sieht  hemiederwallen. 
Schließt  sie  das  Aug'  und  läßt  sich  niederfallen; 

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68  VIERTERGESA  N-'G 


24.  Nicht,  weil  der  Blitz  des  leuchtenden  Metalles, 
Wie  allen  andern,  Schaden  ihr  gebracht, 

Nem,  bloß,  damit  beim  Anblick  ihres  Falles 
Per  Femd  vom  Pferde  steige  imbedacht. 
Und  vie's  ersonnen  war,  so  glückt  ihr  alles: 
.  Kaum  lag  sie  da,  so  kam,  mit  aller  Macht 
Die  Schwingen  regend,  in  gewalt'gem  Bogen 
Der  luft'ge  Reiter  auf  sie  zugeflogen. 

25.  Den  Schild,  veihüllt,  läßt  er  am  Sattel  hangen 
Und  konmit  zu  Fuß  zum  Mädchen  her  in  Hast: 
Das  gleicht  verstecktem  Wolf,  der  voll  Veriangen 
Im  Dickicht  lauernd  auf  den  Rehbock  paßt; 

Und  als  er  nah  ist,  nimmt  sie  ihn  gefangen. 
Indem  sie  rasch  mit  Armen  ihn  umfaßt, 
Vergessen  hat  der  Arme,  Unbedachte 
Das  Buch,  das  sonst  für  ihn  die  Kämpfe  machte. 

.  26.  Man  sieht  ihn  eine  Kette  bei  sich  tragen. 
Damit  er  seine  Opfer  stets  umwand; 

Vermeint  er  doch,  es  geh'  ihr  an  den  Kragen; 
Die  Arme  wollt'  er  binden  aneinand. 
Zu  Boden  jetzt  hat  ihn  die  Maid  geschlagen: 
Er  wehrt  sich  nicht  —  was  ich  begreiflich  fand. 
Er  liegt  —  so  wollte  sich  das' Blättlein  wenden  — 
.  Ein  schwacher  Greis,  in  starker  Jungfrau  Händen  1 

27.  Das  Haupt  ihm  abzuhaun,  hat  sie  im  Sinne: 
Die  Siegerhand  erhebt  sie  zum  Gericht. 
Doch  in  das  Antlitz  schauend,  hält  sie  inne; 
Die  Rache  scheint  gemein,  sie  will  sie  nicht. 
Ein  Greis,  elirwürdig,  weißen  Bart  am  Kinne, 
Blickt  zu  ihr  auf  mit  traurigem  Gesicht; 
An  seinen  Runzeln  und  am  weißen  Haare 
Sieht  man,  er  zählt  wohl  an  die  siebzig  Jahre. 


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VIERTER  GESANG 


69 


28.  „Bei  Gott,  o  Jüngling,  nimm,  o  nimm  mein  Leben  1'* 
Verzweifelt  rief  der  Greis  in  Zorn  und  Groll. 
Doch  ist,  es  losasawerden,  sein  Bestreben, 

Ifetnt  jene,  daß  er's  noch  behalten  soll. 
Und  sie  veilangt,  er         Kunde  geben, 
Was  all  der  Zauber  hier  besagen  jvoll': 
Warum  die  Burg  gebaut  an  diesm  Orte 
Und  er  drin  hause,  aller  Welt  zum  Torte. 

29.  „Weh,  nicht  aus  Bosheit,  nicht  aus  Aberwitze," 
Erwidert  unter  Zähren  ihr  der  Greis, 

„Ifacht*  ich  die  schdne  Burg  auf  Felsenspitze; 

Von  Raub  und  Habsucht,  ach,  mein  Herz  nichts  weiß. 
Nein,  Liebe  treibt  mich,  vor  der  Jugendhitze 
Gefahr  zu  retten  edler  Ritter  Preis. 
Der  Himmel  zeigt,  er  muß  nun  bald  verderben 
Und  —  durch  Verrat  —  als  Christ  und  gläubig  sterben. 

30.  Die  Sonne  nicht  —  vom  Nord  zu  Südpols  Feme  — 

So  schönen,  wackren  Jüngling  hat  gekannt. 
Sein  Nam'  ist  Roger;  ach,  ich  hab'  ihn  gerne!  — 
Ich,  Atlas,  der  ihn  als  ein  Kindlein  fand, 
Bis  ihn  die  Ehr'  und  seines  Schicksals  Sterne 
Nach  Frankreich  führten  gegen  Agramant. 
Mehr  als  mein  Kind  ihn  liebt'  ich;  ihn  hier  drinnen, 
Von  Frankreich  fem,  zu  bergen,  war  mein  Sinnen. 

31.  Den  Jüngling  zu  behüten  vor  (lefahren, 
Hab'  ich  allein  die  schöne  Burg  erbaut; 

Ich  fing  ihn  ein  (du  kennst  nun  das  Verfahren, 
Mit  dem  auch  dich  zu  fassen  ich  vertraut). 
Hier  sammelt'  ich,  die  hoch  und  edel  waren, 
Ritter  in  Waffen  kühn  imd  Damen  traut. 
Danüt  er,  ging  es  nicht  nach  seinem  Willen, 
Doch  in  GeseUschaft  weile  sonder  Grillen. 


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70 


VIERTER  GESANG 


33.  Läßt  er  den  einen  Wunsch  der  Rückkehr  lahren. 
Wird  hier  kein'  andre  Lust  der  Weh  entbehrt; 
Was  nur  zu  hnden  ist  bei  Menschenscharen 
Des  Erdenrunds,  das  wird  ihm  dort  gewährt. 
Sang,  Speisen,  Spiel.  Gewänder,  schöne  Waren, 
Was  sich  der  Mund  ersehnt,  das  Herz  begehrt. 
Gesät  war  gut,  die  Ernte  will  gelingen, 
Doch  du  erscheinst,  um  Unheil  mir  zu  bnngen« 

33.  O  möge  doch  dein  Herz  dem  Antlitz  gleichen! 
Mein  Sinn  ist  redlich;  laß  mein  Streben  mir! 
Nimm  hin  den  Schild  und  nimm  als  Friedenszeichen 
Das  durch  die  Luft  sich  schwingt,  das  Flügeitier. 
Bleib  Um  der  Buig  und  laß  mit  dir  entwetdien 
Zwei,  drei  der  Freunde  noch  vom  Schioase  hier! 
Ja,  nimm  sie  alle  —  nicht  werd'  ich  dich  hassen. 
Willst  du  mir  einen,  willst  du  Roger  lassen! 

34.  Und  nraßt  du  grausam  dennoch  ihn  behalten, 
O  dann,  eh  du  ihn  führst  zum  Frankenland, 
Löse  die  Seele  mir,  dem  schwachen  Alten, 

Die  hst  aus  morscher  Hülle  sdum  entschwand!"  — 
„Schw&tzend  und  klagend  magst  du  woter  schalten; 
Ich  lös'  ihm,"  sprach  die  Maid,  „das  Fesselband. 
Es  sollen  Schild  und  Rofi  mich  nidit  betöien. 
Die  alle  beide  ja  mir  schon  gehören! 

35.  Und  könntest  du  sie  nehmen  oder  geben. 

Ich  würde  doch  zum  Tausch  mich  nicht  verstehn. 
Du  willst  für  Roger,  sagst  du,  Unheil  heben. 
Damit  er  schlimmen  Sternen  könn'  entgehn? 
Nicht  weißt  du,  was  die  Hinunel  für  ihn  weben. 
Und  wüßtest  du's,  es  müßte  doch  geschehn. 
Dein  Unglück  siehst  du  nicht,  das  doch  so  nah  ist. 
Wie  willst  du  sehn,  was  lange  noch  nicht  da  ist? 


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VIERTER  GESANG 


71 


36.  Fleh'  nicht,  daß  ich  dich  gleich  ins  Jenseits  seode: 
Veigebeiis  wär's!  Ist  Sterben  dein  Begehr  — 
Yerweigem  auch  die  Menschen  dir  das  Ende, 
Den  Weg  zum  Tod  veispenrt  man  nimmennehr. 
Doch  eh  vom  Fleisch  dich  lösen  deine  Hände, 
Gab  erst  in  Freiheit  die  Gefangnen  her." 

So  sprach  das  Fräulein,  und  dem  Fels  entgegen 
Hieß  sie  den  Zaubrer  sich  voran  bewegen, 

37.  Der  Zaubrer  geht,  in  eigner  Kette  Banden) 
Das  Fräulein  neben  ihm  hat  au^epaSt: 

Noch  ist  nicht  recht  Vertraun  in  ihr  vorhanden^ 
Scheint  er  auch  jetzt  ergeben  und  gefaßt. 
Als  sie  den  Spalt  nach  wen 'gen  Schritten  fanden, 
Der  aufwärts  stieg  im  ^ckzack  zum  Palast, 
Auf  Stufen,  die  in  Bogenform  sich  schlangen, 
Sind  sie  zum  Tor  der  Burg  hinaufgegangen, 

38.  Ein  Felsenstück  mit  Zdchen,  nicht  geheuer, 
Nimmt  von  der  Schwelle  dort  der  Nekromant. 

Darunter  qualmen  von  verborgnem  Feuer 

Beständig  Töpfe  (,,011e'*  zubenannt). 

Der  Greis  zerbricht  sie  — :  fort  ist  das  Gemäuer! 

Ungastlich,  öde  steht  die  Felsenkant*, 

Und  nirgends  sind  zu  sehen  Türm'  und  Wände, 

Als  wär's  unmöglich,  daß  ein  Schloß  hier  stände. 

39.  Der  Zaubrer  hat  der  Dame  sich  entwunden 
(So  mag  die  Drossel  sich  vom  Netz  befrein). 

Und  mit  ihm  plötzlich  ist  sein  Schloß  verschwunden: 
Frei  zeigen  sich  die  Gäste  jetzt,  allein 
Nicht  mehr  in  Sälen  haben  sich  befunden 
Die  Herrn  \md  Damen  aUe,  nein,  im  Frein. 
Auch  waren  viele  drob,  fürwahr,  in  Trauer; 
Denn  groß  Vergnügen  gab's  im  Vogelbauer. 


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72 


VIERTER  GESANG 


40.  Hier  steht  Gradaß,  dort  König  Sakripante 
Und  weiterhin  der  edle  Held  Prasild 

(Der  mit  Rinaldo  kam  aus  der  Levante); 
.  Bei  ihm  Irold  —  der  Freundschaft  echtes  Bildl 
Nun  siebt  auch  ihn  die  schöne  Bradamante, 
Roger,  dem  ihres  Heizens  Sehnen  gilt 
Und  kaum  hat  sie  sein  Auge  wahigenommen. 
Gar  .hold  und  freudig  haßt  er  sie  mUkomnien. 

41.  Mehr  als  am  Augenlicht,  am  Blut  und  Leben 
Sein  Herz  an  dieser  stolzen  Schönen  hing, 

.  Seit  er  sie  sah  den  Helm  vom  Haupte  heben 
Für  ihn,  so  daß  sie  jene  Wund'  empfiqg. 
Ich  kann  nicht  sagen  hier,  wer  die  gegeben, 
Wie  er,  wie  sie  durch  Wälder  schweifend  ging. 
Wie  Tag  und  Nacht  sie  suchten,  auf  und  nieder. 
Und  nienials  noch  —  bis  jetzt  —  sich  fanden  wieder. 

42.  Nun  er  sie  sieht  und  hört,  dies  hehre  Wesen 
.  Hab'  ihn  gerettet  aus  der  Buig  von  Stahl» 

Gesegnet  nennt  er  sich,  vom  Glück  erlesen, 
Das  Hers.veikULrt  von  heller  Freude  Strahl 

•  Zum  Platze»  wo  sie  Siegerin  gewesen. 
Geht  es  hinunter  jetzt,  ins  Felsental. 
.  Dort  haben  sie  den  Flügelhengst  gefunden; 

.  Den  Schild,  bedeckt,  trug  er  zur  Seit'  gebunden. 

43.  Die  Dame  griff  nach  seinem  Zaum:  die  GHeder 
Erst  röhrt  er  nicht,  ab  er  sie  kommen  sah; 
Dann  flog  er  auf  in  heitre  Luft,  und  nieder 

Zu  Boden  senkt  er  sich,  nicht  weit  von  da. 
Sie  folgt  ihm  nach:  er  regt  die  Schwingen  wieder, 
LäBt  sich  herab  und  bleibt,  bis  sie  ganz  nah; 
So  wie  die  Kräh'  in  trocknem  Sande  tänzelt. 
Wenn  jagend  hinter  ihr  ein  Hündlein  schwänzelt. 


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VIERTER  GESANG 


73 


44.  Roger,  Gradaß  und  Sakripant,  sie  liefen. 
Wie  alle,  denen  Freiheit  ward  gebracht. 
Bergauf,  bergunter  nach  dem  Hippogryphen, 
Weil  jeder  ihn  zu  fassen  war  bedacht; 

Als  dieser  nun  den  W^  nach  sumpfgen  Tiefen 
Und  der  nach  Bergeshöhen  hat  gemacht, 
Auf  steile  Spitzen  ist  hinaufgedrungen, 
Da  kommt  der  Hengst  zn  Roger  hingesprungen. 

45.  Ein  Mittel  war's,  das  Atlas  schlau  verwandte. 
Der  stets,  vdl  Sorgfalt,  zartlicfa  überaus, 
Roger  aus  der  Gefahr  zn  ziehen  brannte. 
Nur  dies  bekümmert'  ihn  tagein,  tagaus. 
Den  Hippogryphen  drum  er  jetzt  entsandte, 
Roger  zu  tragen  in  die  Fem'  hinaus. 

Als  der  zum  Renner  kommt,  um  ihn  zu  fassen, 
Sträubt  sich  das  Tier,  will  sich  nicht  lenken  lassen. 

46.  Erzflmt  üeB  Roger  dem  Frontin  die  Zügel 
(Den  Namen  führte  dieses  gute  Roß) 

Und  schwang  sich  in  des  Flügeltieres  Bügel, 
Reizt  ihm  den  stolzen  Mut  durch  Sporenstoß; 
Es  lief  ein  Weilchen,  regte  dann  die  Flügel, 
Bis  es  in  leichtem  Schwung  zur  Höhe  schoß. 
Kein  Falk,  der  hutlos  sich  der  Freiheit  freute. 
Stieß  schneller  auf  den  Reiher,  seine  Beute. 

47.  Das  Fräulein,  das  den  Liebsten  sah  entweichen 
In  so  gefährüch  mächt 'ge  Höhn  empor. 

Ließ  in  Betäubung  eine  Zeit  verstreichen. 
Darin  sie  das  Bewußtsein  schier  verlor: 
Will  ihn  das  Schicksal  Ganymeds  erreichen. 
Den  für  den  Himmel  Zeus  sich  einst  erkor? 
Sie  meint  nun,  dies  erneut  sich,  all  und  jedes: 
Ist  er  doch  lieb  und  schön  me  Ganymedes. 


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74  VIERTERGESANG 


48.  Gespannten  Augs  zum  Himmel  muß  sie  schauen, 
Solang  sie  sehn  kann;  als  er  allzuweit 

Und  gänzlich  bald  verschwunden  ist  im  Blauen, 

Gibt  ihm  noch  ihre  Seele  das  Geleit. 

Nun  darf  sie  Klag'  und  Seufzern  sich  vertrauen. 

Die  bleiben  ihr  fortan  für  alle  Zeit. 

Als  Roger  ihr  entführt  ist  vom  Geschicke, 

Treffen  den  Hengst  Frontin  der  Dame  Blicke, 

49.  Und  sie  beschließt,  für  sich  ihn  zu  behalten 
(Vom  ersten  besten  würd'  er  ja  geraubt), 
Bis  Roger  werd'  als  sein  Gebieter  schalten. 
Weil  an  ein  Wiedersehn  bestimmt  sie  glaubt.  — 
Der  Vogel  steigt;  des  Zügels  kann  nicht  walten 
Der  Reiter  — :  tief  versinkt  der  Höhen  Haupt; 
Sie  weiden  kleiner,  und  mit  einem  Mal  ist 
Nicht  mehr  za  schauen,  was  Gebiig,  was  Tal  ist. 

50.  Roger  ist  hoch  (als  Punkt  mag  er  erscheinen 
Den  Leuten,  die  ihn  von  der  Erde  sehn) 
Und  steuert  hin,  wo  Sei  sich  senkt,  um  seinen 
Wagen  fortan  im  Krebseshüd  zu  drehn. 

Es  fohr'  ein  Schifflein,  möchte  man  venneinen. 
In  dessen  Segel  günst'ge  Winde  wehn. 
So  geh'  er  denn  —  wir  wiinschen  gute  Reise! 
Und  von  Kinald  erkhnge  jetzt  die  Weise. 

51.  Zwei  Tage  fuhr  er  hin  durch  Meereswogen 
Gewalt'ge  Strecken,  von  dem  aigen  Wind 
Nach  Westen  bald  und  bald  zum  Bar  gezogen. 
Und  Tag  und  Nacht  im  wilden  Sturm  verrinnt. 
So  kam  er  auch  zum  Schottenland  geflogen, 
Wo  Kaledonias  Wald  und  Rasen  sind. 

Sie  hören  durch  die  alten  schatt'gen  Eichen 

Oft  Klang  von  Waffen  und  von  mächtigen  Streichen. 


VIERTER  GESANG 


75 


52.  Britanniens  Ritterschaft  und  ihre  Leiter» 
Die  kampfbereiten,  alle  sind  darin. 
Von  nah  und  ferne  viel  erlesae  Streiter 

« Ifit  Deutschlands,  Frankreictis,  Nordlands  Heldensinn. 
Wem  Kraft  gebricht,  der  gehe  lieber  weiter. 
Denn,  sucht  er  Ruhm,  wird  Tod  nur  sein  Gewinn. 
Galaß,  Galvan  und  Lancelot  vollbrachten 
Mit  Artur,  Tristan  Wunderwerk  in  Schlachten. 

53.  Dazu  der  Tafelrunde  Kampfgesellen, 
Der  alten  und  der  neuen,  wie  bekannt. 

Es  künden  ihren  Ruhm  an  manchen  Stellen 
Denkmäler  und  Trophäen  weit  ins  Land. 
Rinald  fand  Waffen,  Bajard  auch,  den  schnellen, 
Und  fährt  von  dannen  nach  dem  Nebelstrand, 
Befiehlt  dort  seinem  Schiffer,  zu  verschwinden 
Und  später  sich  in  Berwick  einzufinden. 

54.  Allein,  auch  ohne  Knappen,  zog  der  Ritter 
Hin  durch  den  weiten,  ungeheuren  Wald: 
Ob  sich  ein  Abenteuer  träfe,  ritt  er 

Bald  diesen  Weg  und  wieder  jenen  bald. 
Da  fand  er  sich  vor  eines  Klosters  Gitter, 
Das  guten  Teil  von  seinem  Unterhalt 
Hingab,  im  Klosterbau  die  Herrn  und  Damen 
Gut  zu  bewirten,  die  des  Weges  kamen. 

55.  Der  Paladin  wird  höflicli  aufgenommen 

Und  fragt  beim  Abt  und  bei  den  Mönchen  an 
(Doch  nicht,  bevor  am  leckren  Mahl  der  Frommen 
Er  für  den  Magen  Stärkung  sich  gewann). 
Wie  einer,  der  in  diesen  Wald  gekommen, 
Wohl  solch  ein  Abenteuer  finden  kaim. 
Wo  sich  bewähren  mag  des  Menschen  Adel 
Und  ob  mit  Recht  er  Preis  verdien',  ob  Tadel. 


76  VIERTERGESANG 


56.  Die  Antwort  ist  :  es  gäbe  dort  im  Freien 
Seltsamer  Abenteuer  wohl  genug, 

Ällein  der  Ort  und  Vorgang  dunkel  seien. 
Weil  keiner  ans  dem  Walde  Kunde  trug. 
,,Auf,  suche/*  sprachen  sie,  „ob  in  den  Reihen 
Der  Helden  man  dich  preisen  darf  mit  Fug 
Und  Ruhm  sich  sddieBt  an  Mühen  mid  Gefahren, 
Um  dauernd  deinen  Namen  zu  bewahren. 

57.  Und  willst  du  deine  Tapferkeit  bekunden. 
Zur  schönsten  Tat  ist  jetzt  Gelegenheit, 
Und  keine  beßre  wurde  noch  gefimden. 
Sei's  in  der  alten,  sei's  in  neuer  Zeit: 

Des  Kdmgs  Tochter  braucht  in  diesen  Stunden 
Verteidigung  und  Schutz  vor  Schandfichkdt 
Eines  Barons  —  Lurcan  ist  er  geheißen  — 
Der  sucht  ihr  Ehr'  und  Leben  zu  entreißen. 

58.  Es  hat  —  vielleicht  mit  Unrecht  und  aus  Hasse  — 
Beim  Vater  selbst  sie  angeklagt  Lurcan, 

Gesehn  hab'  er,  wie  nachts  sie  zu  sich  lasse 

Und  hoch  zum  Sdller  ziehe  den  Galan. 

Wenn  kdner  kommt,  der  ihre  Sach'  erfasse, 

Den  Todesweg  zum  Hohsstoß  tritt  sie  an. 

In  Monatsfrist     die  Zelt  wird  nächstens  enden  — 

Muß  er  die  Lüge  auf  den  Kläger  wenden. 

59.  Rauh,  gottlos,  strenge,  wiH  die  Satzung  eben. 
Daß  jede  Frau,  wie  hoch  sie  stehen  mag. 
Die  andrem  als  dem  Gatten  sich  eigeben. 
Den  Tod  erldde  nach  eihobner  Klag*. 

Und  nichts  auf  Erden  rettet  ihr  das  Leben, 
Als  daß  ein  Krieger  zum  bestimmten  Tag 
Erschein'  und  mit  dem  Schwert  den  Satz  verfechte: 
Unschuldig  sei  sie,  stürbe  nicht  zu  Rechte. 


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VIERTER  GESANG 


77 


60.  Der  Kdnig,  «unfind,  m  sdn  Kind  er  rette 
{Cmem.  heißt  die  Tochter  hold  und  gut), 

lieB  künden  durch  die  SchlSsser  und  die  Städte: 
Wer,  sie  verteidigend  mit  Kraft  und  Mut, 
Erstickt  die  schändliche  Vedeumdung  hätte. 
Solle  sie  freien  (wenn  aus  edlem  Blut), 
Auch  reiches  Gut  empfangen,  Land  und  Habe, 
Wie  solcher  Maid  geziem'  als  Morgengabe. 

61.  Sie  stirbt,  wenn  kein  Verteid'ger  will  erscheinen. 

Auch,  wenn  der  Sieg  im  Kampf  nicht  wird  erreicht. 

Ein  solches  Werk  frommt  besser,  sollt*  ich  meinen. 
Als  daß  man  irrend  durch  die  Wälder  streicht. 
Und  Ehr'  und  Ruhm  dem  Namen  sich  vereinen. 
Daß  nimmermehr  der  lichte  Glanz  erbleicht; 
Dazu  die  lieblichste  der  schönen  Frauen, 
So  viel  von  hier  bis  Indien  sind  zu  schauen, 

62.  Und  einen  Reichtum  femer,  deinem  Leben 
Behaglichkeit  auf  immer  zu  verleihn; 
Machst  du  des  Hauses  Ehre  neu  sich  heben. 
So  ist  des  Königs  Huld  und  Gnade  dein. 

Die  Unschuld  zu  beschützen  mußt  du  streben 
Vor  Niedertracht,  aus  Ritterpflicht  allein. 
Das  Mädchen  ist  nach  aller  Stimmen  Einheit 
Das  Urbild  aller  Tugend,  aller  Reinheit." 

63.  Nachdenkhch  stand  Rinald ;  dann  sprach  er :, .Sterben 
Soll  eine  junge  Maid  ohn'  andre  Schuld, 

Als  daß  in  ihrem  Arm  von  Qualen,  herben, 
Den  Liebsten  sie  erlösen  wollt'  in  Huld? 
Wer  solch  Gesetz  gab,  mög'  er  stracks  verderben, 
Verderben  jeder  Feige,  der  es  duld'l 
Gebührend  stirbt,  wer  grausam  Liebe  wehret; 
Nicht,  wer  des  liebsten  Wonn'  und  Leben  mehret. 


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VIERTER  GESANG 


64.  Nicht  kfiminert's  mich,  ob  sie  tu  süBem  Ifinnen 
EinlaB  dem  Freund  gewähr'«  ob  nicht  gewähr', 
:  Und  sie  xu  loben  kdnnt'  ich  gleich  beginnen. 
Wenn  nnr  der  Fall  geheim  geblieben  wär'* 
Ihr  Hort  zu  sdn,  danach  steht  all  mem  Smnen» 
Nun  bitt'  ich:  gebt  mir  einen  Führer,  der 
Den  Kläger  zeig'  und  mich  zu  ihm  geleite; 
Ihr  Kummer,  hoff  ich,  sucht  nun  bald  das  Weite. 

Ich  sage  nicht:  die  Tat  sei  zu  verneinen; 
Unkundig,  ging  ich  leicht  ja  falschen  Weg; 
Ich  sage  dies:  verkehrt  wäl  mir  erscheinen. 

Daß  man  auf  solche  Dinge  Strafe  leg', 
Und  wer  die  Satzung  gab,  der,  sollt'  ich  meinen, 
War  bös  und  reif,  daß  ihn  ein  Tollhaus  heg'. 
Als  schädhch  schaffe  man  sie  aus  dem  Lande, 
Und  neue  mache  man  mit  mehr  Verstände! 

66.  Wenn  gleiche  Glut,  just  mit  dem  gleichen  Triebe, 
Geschlecht  sowie  Geschlecht  bezwingt  und  lenkt 
Zu  jenem  letzten  süßen  Ziel  der  Liebe, 

Daran  im  Volk  man  wie  an  Sünde  denkt, 
Wie  käm's,  daß  für  die  Frau  Verbrechen  bliebe. 
Wenn  ein,  zwei  Freunden  sie  dasselbe  schenkt. 
Was  wir  beliebig  tun  und  unbeachtet, 
Jawohl,  gelobt  sogar  imd  nicht  verachtet? 

67.  Den  Fraun  ist  Unrecht  im  Gesetz  geschehen. 
Steht  solche  Strafe  dort  für  sie  bereit; 

Und  bald,  ich  hoff  es,  laß  die  Welt  ich  sehen. 
Daß  man  die  Unbill  trug  zu  lange  Zeit." 
Und  zu  Rinald  die  Mönche  sämthch  stehen. 
Daß  sich  die  Alten  aller  Bilhgkeit 
Entschlugen,  als  sie  dieses  ließen  gelten; 
Der  König  auch,  der's  zuläßt,  sei  zu  schelten. 


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VIERTER  GESANG 


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68.  Als  weiB  und  rot  en^r  der  Moigen  gleitet 
Und  hell  und  freudig  naht  am  Hinunelsrand, 
Sieht  er  Rinald,  der  zu  dem  Hengste  schreitet; 
Ein  Knapp'  auch  aus  dem  Kloster  ist  zur  Hand. 

Stunden,  Meilen  hat  ihn  der  begleitet, 
Stets  durch  des  Waldesdickichts  graiise  Wand. 
Hin  nach  der  Gegend  beide  Reiter  streben, 
^^'0  um  die  Maid  der  Kampf  sich  soll  erheben. 

69.  äe  wählten,  abzuschneiden  von  dem  Wege, 

Ein  schmales  Pfädchen,  das  sich  seitwSrts  schlingt. 

Da  —  horch!  —  tönt  eine  Klage  durchs  Gehege, 

Die  jammervoll  zu  ihren  Ohren  dringt. 

Rinald  voran,  der  andre  auch  nicht  träge, 

Eilen  dem  Tal  zu,  draus  der  Ruf  erklingt: 

Zwei  Kerle  stehn,  ein  Mädchen  zwischen  ihnen. 

Nach  Ansehn  war  es  jung  und  schön  von  Mienen. 

70.  V  erzweiflung,  Schmerz  der  Armen  Züge  tragen, 
Wie  sie  nur  je  ein  Mädchenantlitz  bot; 

Und  schon  gezückt  die  grimmen  Eisen  ragen. 

Bereit,  das  Gras  zu  färben  blutigrot. 

Um  Aufschub  fleht  sie,  weinend  und  mit  Klagen» 

Das  Paar  bleibt  ungerührt  von  ihrer  Not, 

Rinald  erscheint,  erblickt  sie  mit  den  Zweien 

Und  stürzt  herbei  mit  lautem  Drohn  und  Schreien. 

71.  Die  Missetäter  waren  gleich  entwichen; 
Kaum  wurden  sie  der  Nahenden  gewahr. 
Als  tief  hinab  ins  dunkle  Tal  sie  schlichen. 
Rinald  verfolgte  nicht  das  Mörderpaar: 

Er  wollte  hören,  was  2u  Schwerterstichen 

Der  beiden  Schelme  wohl  der  Anlaß  war. 

Zum  Knappen  setzt  er  —  Zeit  ja  gilt's  gewinnen  1  — 

Die  Maid;  zum  Pfad  zurück  geht  es  von  hinnen. 


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VIERTER  GESANG 


78.  Wie  schön  sie  war  und  artig,  sah  genauer 
Rinald,  als  er  an  ihrer  Seite  ritt. 
Wiewohl  sie  noch  eischöpft  durch  Todesscfaauer 
Und  all  den  Schrecken  war,  von  dem  sie  litt. 
An&  neu  befragt,  was  Ursach'  ihrer  Trauer 
Und  Leiden  sei,  erfüllt  sie  seine  Bitt' 
Und  sagt  mit  leiser  Stimme  jetzt  dem  Helden, 
Was,  mit  Verlaub,  ein  neuer  Sang  soU  melden. 


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FÜNFTER  GESANG 


1.  All  andre  Tiere  auf  des  Erdninds  Weiten, 
Ob  sie  nun  Eintracht  halten  wohlgemut. 
Ob  sie  sich  jagen,  beißen  und  sich  streiten, 
Sie  halten  doch  ihr  Weibchen  stets  in  Hut. 
Im  Wald  selbander  Bär  und  Bärin  schreiten. 
Beim  Ldwen  sicher  seine  Löwin  ruht. 

Die  Wölfin  mag  zum  Wolf  sich  ruhig  strecken, 
.  Die  Jungkuh  IQhlt  vorm  Stiere  keinen  Schrecken. 

2.  Welch  böse  Pest,  welch  eine  Furie  gräßlich 
Nun  in  den  Bfensdienbusen  Wohnung  nimmt. 
Daß  immer  Ehmann,  ach,  und  Frau  sich  häßlich 
Mit  Schelten  überschütten,  arg  ergrimmt? 
Zerkratztes  AntHtz  färbt  sich  schwarz  und  bläßlich. 
Von  Tränen  selbst  das  traute  Lager  schwimmt. 
Und  nicht  bloß  Zähren  sind  darin  geflossen: 

Oft  hat  auch  blinder  Zorn  dort  Blut  vergossen. 

3.  I^cht  nur  ein  schlimm,  ein  unerhört  Betragen, 
Mit  Gott  und  der  Natur  im  Widerstreit, 

Zeigt,  wer  das  Antlitz  einer  Frau  kann  schlagen 
Oder  nur  tun,  was  Schmerz  ihr  bringt  und  Leid, 
Und  wer  mit  Gift,  mit  Strick,  mit  Dolch  zu  jagen 
Die  Seele  sucht  aus  ihrem  Erdenkleid, 
Ich  glaube  nicht,  er  sei  ein  Mensch  zu  nennen: 
Nein,  Teufel  nur  ihn  als  Genossen  kennen. 

Ariost  I  6 


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FÜNFTER  GESANG 


4.  Deigleicfaeii  waren  wohl  die  Mordgesellen, 
Die  Herr  Rinald  traf  mit  der  Schdnen  an; 

Sie  war  geschleppt  an  jene  dunklen  Stellen, 

Daß  ihre  Spur  entschwinde  jedermann. 

Wir  ließen  sie,  als  sie  von  Wechsclfällen 

Ihres  Gesclucks  dem  Paladin  begann, 

Dem  freundlichen,  zu  künden  die  Geschichte. 

So  hört,  was  nach  dem  Mädchen  ich  behchte. 

5.  ,,Ich  habe",  sprach  sie,  ,,mehr  in  meinem  Leben 
An  ausgesuchter  Grausamkeit  gesehn, 

Als  in  Mykene,  Argos  oder  Theben 
Und  schlimmem  Orten  jemals  ist  geschehn. 
Mag  hier  die  Sonne  mindro  \\'ärme  geben 
Als  sonst,  läßt  sie  die  Stralilen  femer  stehn. 
So  will  sie,  mein'  ich,  nur  zu  sehn  vermeiden, 
Was  Menschen  hier  durch  Bösewichte  leiden. 

6.  Daß  man  mit  seinen  Feinden  grausam  schalte. 
Das  zeigen  wohl  Exempel  jeder  Zeit; 

Doch  ihn,  der  sinnt,  wie  deines  Glücks  er  walte, 
Morden,  ist  Gipfel  doch  der  Schändlichkeit. 
Und  daß  sich  klar  und  deutlich  dir  entfalte, 
Wie  man  hier  ohne  Recht  mich  arme  Maid 
Umbringen  wollt'  in  meinen  Blütetagen, 
Will  ich  vom  Anfang  an  dir  alles  sagen. 

7.  Der  Königstocher,  edler  Herr,  zu  dienen 
In  früher  Jugend  kam  ich  hin  zum  Schloß, 
Wuchs  mit  ihr  auf,  die  Großen  freimdUch  schienen. 
So  daß  ich  Ehr'  und  Gunst  bei  Hof  genoB. 
Doch  Amor,  grausam,  stand  mit  neid'scfaen  Mienen: 
Zur  Sklavin  machte  mich,  ach,  sein  GeschoBI 
Mir  wollte  von  den  Herrn  und  Junkern  allen 

Der  Herzog  von  Albanien  Wohlgefallen. 


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FÜNFX£K  GESANO 


83 


8.  Als  ich  ihn  drauf  mir  Liebe  hörte  schwören. 
Mit  eins  ward  ihm  mein  ganzes  Herz  zuteil. 
Das  Antlitz  kann  man  sehn,  die  Rede  hören. 
Allein  die  Brust?  —  da  hat  es  gute  Weil'! 
Liebend  und  glaubend,  ließ  ich  mich  betören: 
Ich  gab  mich  —  und  nicht  merkt'  ich  in  der  £ü\ 
Daß  mt  uns  just  zu  trauten  liebesbanden 

In  meiner  Herrin  Leibgemach  befanden; 

9.  Dort  weilte  sie  bei  ihren  liebsten  Dingen, 
Dort  war  es  auch,  wo  sie  gewöhnlich  schlief. 
Man  konnte  hier  tu  einem  SdUer  dringen. 
Der  von  der  Blauer  aus  ins  Freie  lief. 

Den  Liebsten  ließ  ich  dort  hinauf  sich  schwingen. 
So  oft  ihn  meine  Sehnsucht  zu  mir  rief. 
Ich  selber  warf  vom  Söller  ihm  die  Leiter, 
Die  hänfne,  zu:  auf  ihr  stieg  er  dann  weiter. 

10.  Und  jedes  einz'ge  lial  ließ  ich  ihn  konmien. 
Sobald  es  ging,  weil  in  gar  mancher  Nacht 

Ihr  Bett  die  Herrin  wechselt,  wenn  beklommen 

Sie  schlimmer  Nebel  oder  Hitze  macht. 

Stets  ungesehn  ist  er  hinaufgeklommen. 

Weil  jener  Schloßteil  altem  Häuserschacht, 

Zerfallnem,  gegenüber  ist  gelegen, 

Wo  Tag  und  Nacht  sich  niemals  Menschen  regen. 

11.  So  mochten  Tag'  und  Monde  viel  vergehen, 
Seit  wir  genossen  heimlich  Minnespiel. 

Die  Liebe  wuchs,  ließ  mich  in  Flammen  stehen; 

Ich  brannt'  im  Innern  ohne  Maß  und  Ziel 

Und  war  wie  blind!  Nicht  wollt'  und  wollt'  ich  sehen. 

Er  liebe  wenig  nur  und  heuchle  viel. 

Und  doch  verrieten  sich  in  tausend  Zügen 

Schon  unverkennbar  seine  schnöden  Lügen. 

6* 


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FÜNFTER  GESANG 


12.  Da  stand  er  eines  Tags  in  hellen  Flammen 
Für  die  Prinzessin;  mir  ist  nicht  bewußt. 
Ob  jene  Gluten  dieser  Zeit  entstammen. 
Ob  er  sie  früher  schon  trug  in  der  Brust. 
Gewachsen  war  mit  ihm  mein  Ich  zusammen; 
Mich  zu  beherrschen  hat  er  so  gewußt, 

Daß  er  mir's  eingestand  ohn'  ein  Bedenken 
Und  bat,  ich  solle  selbst  ihm  Beistand  schenken. 

13.  Nicht  unsrer  Liebe,  sagt'  er,  zu  vergleichen 
Sei  jener  Handel,  den  er  neu  begann; 

Er  heuchle  nur  mit  der  \'erliebtheit  Zeichen« 
Damit  er  sie  Gemahlin  nenne  dann. 
Vom  König  könn'  er  alles  leicht  erreichen» 
Woll'  ihn  Ginevra  nur  zum  Ehemann, 
Da  er  an  edlem  Blut  und  hohem  Stande 
Gleich  nach  dem  König  komme  hier  im  Lande. 

14.  Er  setzt'  hinzu:  wenn 's  ihm  durch  mich  gelinge. 
Und  sei  er  seines  Herren  Schwiegersohn 

(Ich  müsse  sehn,  ihm  sei  die  Müh'  geringe, 
Wie  keiner  hochzusteigen,  nah  zum  Thron), 
Veigess'  er  nie  das  Opfer,  das  ich  bfinge. 
Und  spende  mir  zvm  Danke  solchen  Lohn: 
Höher  als  Weib  mid  Freund  werd'  er  mich  setzen 
Und  ewig  mich  als  HeiBgeliebte  schätzen. 

15.  Ich,  nur  bedacht,  zufrieden  ihn  zu  stellen. 
Verstand,  o  weh,  das  Nein  auf  keine  Weis*, 
Für  mich  b^fann  der  Tag  sich  erst  zu  hellai, 
Hatt'  ich  ihm  zu  gefallen  den  Beweis. 

So  oft  sich's  machen  läßt,  in  allen  Fällen, 
Find'  ich  Gelegenheit  zu  Lob  und  Preis, 
Versuche  alles,  mühe  mich  voll  Treue, 
Daß  sich  Ginevra  meines  Liebsten  freue. 


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FOMFTER  GESANG 


85 


16.  So  tu  ich,  was  ich  kann:  mit  ganzer  Seele 

—  Der  Himmel  weiß  —  wirk'  auf  mein  Ziel  ich  hin; 
Allein  so  sehr  ich  auch  den  Herrn  empfehle, 

Bei  ihr  bring'  ich  dem  Herzog  nicht  Gewinn; 
Und  zwar  —  daß  ich  dir  nicht  den  Grund  verhehle  — 
Weil  einem  galt  ihr  Denken  und  ihr  Sinn, 
Der,  artig,  herrhch,  schön  gleich  einem  Sterne, 
In  Schottland  war  erschienen  aus  der  Feme. 

17.  Er  kam  mit  seinem  Bruder,  dem  noch  jungen. 
Zum  Königshofe  aus  Italiens  Gaun, 

Hat  als  ein  Held  sich  bald  emporgeschwungen 
(Kein  stärkrer  war  im  Britenland  zu  schaun) 
Und  auch  des  Königs  Lieb'  und  Huld  errungen; 
Der  schenkt'  ihm  als  Beweis  für  sein  Vertraun 
Kastelle,  Burgen,  Städte  seiner  Krone 
Und  hob  ihn  hoch  im  Kieise  der  Barone. 

18.  Der  Tochter  nocli  viel  teurer  als  dem  Vater 
Ward  dieser  Rittersmann  Ariodant; 

Nicht  nur  im  Kampfe  wahre  Wunder  tat  er. 
Als  ihr  ergeben  auch  ward  er  erkannt. 
Nicht  des  Vesuv  und  nicht  des  Ätna  Krater, 
Nicht  Troja  so  in  hellen  Flammen  stand 
V/ie  sie,  als  sie  erfuhr,  daß  im  Gemüte 
Ariodant  getreu  für  sie  erglühte. 

19.  Die  Liebe,  die  sie  für  den  Fremdüng  hegte, 
Anfricht'gen  Heizens,  inniglich  und  treu, 
Abneigung  für  den  Herzog  nur  erregt : 
Sie  gab  mir  keine  Antwort,  die  mich  freu*. 
Und  als  ich  weiter  mich  aufs  Bitten  legte 

—  Sie  umzustimmen  sucht'  ich  stets  aufs  neu  — , 
Begann  sie  tadelnd  ihn  gering  zu  schätzen 

Und  feindhch  immer  mehr  herabzusetzen. 


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86  F      N  F  T  E  H    (',  F  S  A  X  C 


80.  So  mußt'  ich  denn  in  meinen  liebsten  dringen. 
Nicht  ISnger  auf  verkehrtem  Plad  zu  gehn; 
Die  Maid  sei  nicht  auf  andern  Weg  zu  bringen, 
Sie  werde  treu  vom  Anserwählten  stehn. 

Wie  nach  dem  Helden  ihre  Wünsche  gingen. 

Das  sei,  so  zeigt'  ich  ihm,  doch  klar  zu  sehn. 
Um  auszulöschen  solch  gewalt'ge  Flamme, 
Gleiche  das  Meereswasser  einem  Gramme. 

21.  Dem  FtdineB  (so  hieß,  den  ich  erkoren) 
Schon  zu  verschiednen  Malen  sagt'  ich  das; 

Als  er  nun  selber  merkt'  mit  Aug'  und  Ohren, 
Daß  sie  zum  andern  hält  ohn'  Unterlaß, 
Hat  er  der  Leidenschaft  nicht  abgeschworen. 
Nein,  Arger  plagt  ihn  nur  und  wilder  Haß, 
Daß  ihm,  dem  Stolzesten  der  weiten  Erde, 
Ein  andrer  Ritter  voigezogen  werde. 

22.  Und  jene  beiden  sinnt  er  voller  Tücken 
In  Zwietracht  zu  verstricken  und  in  Streit; 
Feindschaft  soll  ihre  Liebe  niederdrücken: 
Die  soll  nicht  währen  für  die  Ewigkeit. 
Ginevras  Stirn  soll  unter  Schmach  sich  bücken, 
Davon  kein  Leben  und  kein  Tod  befreit. 
Doch  von  dem  Plan,  so  niedrig  sich  zu  rächen. 
Wollt'  er  mit  mir  nicht  noch  mit  andern  sprechen. 

23.  ,Dalinda,'  sprach  er  (so  bin  ich  geheißen), 

,Du  weißt,  fällt  man  im  Wald  durch  Beileshieb 
Den  Baum,  den  man  dem  Boden  will  entreißen. 
Noch  an  der  Wurzel  zeigt  er  weitem  Trieb; 
Also  ergeht  es  jetzo  meiner  heißen, 
Durch  Schicksalsschläge  hingestreckten  Lieb' : 
Auch  sie  keimt  fort,  will  nimmer  von  mir  weidien 
Und  muß  zuletzt  des  Wunsches  Ziel  erreichen. 


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FONFTER  GESANG 


87 


24.  Ich  will's,  nicht  weil  ich  Lust  so  sehr  begehre. 

Nein,  weil  Gefühl  des  Sieges  wohl  mir  tut. 

Drum,  das  ich  in  der  Wirklichkeit  entbehre. 

Das  zeige  mir  der  Wahn,  das  hohe  Gut. 

O  nimm,  wenn  ich  demnächst  hier  wiederkehre 

Und  die  Prinzessin  schon  im  Bette  ruht, 

Die  Kleider  all,  die  ihr  zur  Hülle  dienen, 

Und  schmücke  selber  deinen  Leib  mit  ihnen! 

25.  Wie  sie  sich  schmückt,  das  Haar  pflegt  zu  bereiten, 
Das  ahme  sorglich  nach  und  gleiche  ihr. 

So  sehr  du  kannst;  laß  dann  die  Leiter  gleiten: 
Ich  klimm'  empor  zum  Söller,  liin  zu  dir. 
Verstellung  wird  dann  sie  zu  dir  geleiten, 
Von  der  das  Kleid  du  trägst,  sie  winke  mir! 
So  hoff  ich  denn,  mich  sähst  zu  hintergehen 
Und  meine  Leidenschaft  geschwächt  zu  sehen.' 

26.  Er  sprach's.   Ich,  wie  von  Sinnen,  traumbefangen, 
Hab'  all  die  offnen  Liegen  nicht  erkannt, 

Daß  Fallstrick  war  sein  dringendes  Verlangien 
Und  auf  Betrog  sein  ganzes  Sinnen  stand. 
Im  Kleid  Qnevras  von  dem  Söller  hangen 
Ließ  ich  die  Stufen,  die  er  oft  schon  fand. 
Nicht  efa'r  vermocht'  ich  all  den  Ttog  zu  sehen« 
Als  bis  das  ganze  Unhdl  war  geschehen. 

27.  Der  Herzog  hatt*  an  einem  jener  Tage 
Dies  Wort  gerichtet  an  Arfodant 

(Sie  waren  Freunde,  das  stand  außer  Fragte, 
£h  um  Qnevra  war  der  Streit  entbrannt): 
Ificfa  wundert,  sprach  er,  eines,  und  ich  sage« 
Daß  du,  für  den  idi  Liebe  nur  empfand. 
Der  du  im  Herzen  obenan  mir  throntest. 
Recht  übel  meine  Freundschaft  nun  belohntest. 


88 


FÜNFTER  G£SANG 


28.  Ich  meine  fest,  es  ist  dir  nicht  entgangen: 
Midi  und  Ginevia  knüpft  em  liebesband, 
Und  sie  als  Ehegattin  zu  erlangen. 

Geh'  ich  zum  König  noch  in  dieser  Stund'. 
Soll  nun  dein  Herz  an  ihr  veigeUidi  hangen? 
Was  stdrst  du  mich?  Gibst  dich  ak  G^er  kund? 
Ich  würde  wahrlich  Rücksicht  dir  erzeigen, 
Wäre  dir  mein  Fall  und  mir  deiner  eigen/ 

29.  Jch  muß  noch  mehr  verwundert  mich  bekennen'. 
Sprach  jener  drauf  mit  hocbgehobnen  Braun; 
»Ihren  Getreuen  dürft'  ich  schon  mich  nennen, 

Eh  sie  dein  Auge  mochte  noch  erschaun. 

Nicht  heißer  könnte  unsre  Liebe  brennen. 
Das  ist  dir  auch  bewußt;  ich  mag  drauf  baun. 
Mein  Weib  zu  werden,  ist  ihr  ganzes  Sehnen; 
Daß  sie  dich  liebe,  kannst  du  nimmer  wähnen. 

30.  Warom  nicht  selbst  die  Rüdcsicht  üben  wollen 

(Da  wir  doch  Freundschaft  hegen  für  einand). 
Die  du  verlangst,  ich  würde  sie  dir  zollen, 
Hätt'  ihre  Liebe  sich  auf  dich  gewandt? 
Nicht  deine  Schätze,  traun,  mich  schrecken  sollen. 
Bist  du  der  Reichre  schon  in  diesem  Land. 
,     Beim  König  unser  Wert  der  gleiche  bliebe. 
Doch  mir  allein  gehört  der  Tochter  Liebe.' 

31.  ,Du  heßt',  sprach  der,  .vom  Wahne  dich  umkrallen. 
Durch  tolle  Liebesglut,  das  ist  mir  klar. 

Du  wähnest  dich,  ich  mich  geliebt  vor  allen; 
Gewißheit  bieten  nur  die  Früchte  dar: 
Den  Schleier  lasse  dein  Geheimnis  fallen; 
So  mach'  ich  dir  auch  meines  offenbar. 
Und  wem  von  ihr  ward  kleinre  Gunst  erwiesen. 
Lasse  den  Sieger  freie  Bahn  erkiesen. 


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F  V  N  r  T  E  R    r.  F.  S  A  X  C 


32.  Ich  bin  bereit,  dir,  wenn  du  willst,  zu  schwören, 
Kein  Mensch  veminunt,  was  ich  von  dir  erfuhr; 
Du  schwerst:  von  dem,  was  deine  Ohren  hören. 

Verrät  dein  Mund  auf  ewig  keine  Spur.* 
Drauf  einzugehn  ließ  jener  sich  betören, 
Und  auf  die  Bibel  taten  sie  den  Schwur, 
Den  Pakt  zu  halten,  Treubruch  zu  vermeiden. 
Ariodant  als  erster  sprach  von  beiden. 

33.  Und  er  begann  dem  andern  darzulegen, 
Wie  zwischen  ihm  und  ihr  die  Sache  stand: 

Sie  schwur  ihm  —  mündhch,  schriftlich,  allerwegen  — , 
Sie  kenne  niemals  andres  Liebesband; 
Und  stelle  sich  der  König  dem  entgegen. 
Dann  weise  sie  den  Ehbund  von  der  Hand. 
Sie  werde,  wie  die  Ritter  immer  hießen, 
Ihr  lieben  einsani,  unvermähit  beschließen. 

34.  Er  selber  hoffe  nun,  im  Lauf  der  Zeiten 
Durch  Waffen  taten,  die  er  oft  vollbracht 

(Daß  sie  dem  Reich  auch  Ehr'  und  Ruhm  bereiten. 
Sei  er  dem  Herrn  zu  zeigen  noch  bedacht), 
In  seines  Königs  Gunst  so  vorzuschreiten, 
Daß  er  ihn  schließlich  doch  für  würdig  acht'. 
Als  Ehgemahl  die  Tochter  heimzuführen, 
Säh'  er  ihn  heiß  bemüht,  ihr  Herz  zu  rühren. 

35.  ,Das  ist  der  Punkt,  wo  ich  mich  jetzt  befinde'. 
Sprach  er,  ,und  wo  gewiß  noch  keiner  stand. 
Nicht  such'  ich  mehr,  und  von  dem  holden  Kinde 
Erwünsch'  ich  mir  kein  klarer  Liebespfand. 
Auch  möcht'  ich  nichts,  bevor  die  Eh'  uns  binde. 
Von  dem,  was  Gott  für  sie  uns  zugestand. 

Mehr  heischen  wSr'  umsonst  in  jedem  Falle; 
Denn  wdt  an  Tugend  überstrahlt  de  alle.' 


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90  F  Ü  N  F  T  £  R  G  £  S  A  N  G 


36«  Wie  er  der  Mfihen  Lohn  hofft  2x1  eisiesea, 
Tnt  so  der  RittecBmann  dem  Herzog  kund; 
Und  dieser  plant  in  seiner  Brust  verschwiegen. 
Bald  xa  durchkreuzen  beider  liebesbund. 
Und  8i»icht:  ,Du  ÜeBest  weit  dich  überfliegen! 
Und  zugestehen  soll's  dein  eigner  Mimd. 
Sieh  meiner  Freude  Wurzel  und  bekenne, 
Daß  ich  allein  mit  Recht  mich  glückhch  nenne! 

37.  Sie  heuchelt,  weiht  dir  nicht  die  zarten  Triebe, 
Da  sie  mit  Hoffaiung  dich  und  Worten  speist: 
Spricht  sie  —  vernimm  I  —  mit  mir  von  deiner  Liebe, 

Ihr  das  nur  Kinderei  und  Dummheit  heißt. 
Ganz  andre  Sicherheit,  traun,  mir  verbliebe. 
Als  Kleinigkeiten,  die  man  dir  erweist. 
Ich  will  —  bei  deinem  Eide  —  dir  es  zeigen, 
Wiewohl  sich  mehr  geziemte,  hier  zu  schweigen. 

38.  Kein  Mond  vergeht,  daß  nicht  sechs,  sieben  Nächte 
Und  manchmal  zehn  vielleicht  in  ihrem  Arm 

Ich  in  der  Liebeslust  mit  ihr  verbrächte, 
Die  heiß  begehrt  wird  vom  verliebten  Schwärm. 
Wer  ist  nun,  sprich,  der  nicht  gering  hier  dächte 
Von  dem,  das  dir  ward?    Ists  nicht  dürftig,  arm? 
Räume  den  Platz,  such'  sonst  dich  zu  versehen, 
Da  du  nicht  leugnen  kannst,  mir  nachzustehen/ 

39.  ,Ich  kann',  spricht  jener, , dem  nicht  Glauben  schenken: 
Ein  T.ügner,  mein'  ich,  hat  dies  vorgebracht: 
Hast  dich  bemüht,  dies  alles  auszudenken. 

Weil  du  dem  Handel  gern  ein  End'  gemacht, 
Versuchst  auf  sie  Verleumdung  nun  zu  lenken; 
Dein  Wort  jetzt  zu  vertreten  sei  bedacht: 
Hier  auf  der  Stelle  seig'  ich.  Missetater, 
Nicht  Lügner  bist  du  blo6,  nem,  auch  Verräter.' 


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FÜNFTER  GESANG 


91 


40.  Der  Herzog  sprach:  »Nicht  recht  ynSxs,  muß  ich  sagen, 
Sollten  wir  darum  aufeinander  haun. 

Was  ich  als  Wahrheit  so  will  vor  dich  tragen. 
Daß  deine  eignen  Augen  es  erschaun!* 
Venvirrt  steht  nun  der  Ritter  und  mit  Zagen, 
Durch  sein  Gebein  scliieicht  ihm  ein  kaltes  Graun. 
Hätt'  er  die  Wahrheit  fest  geglaubt  zu  sehen. 
So  war  es  um  sein  Leben  jetzt  geschehen. 

41.  Er  sprach  mit  schwerem  Herzen,  bleichen  Wangen, 
Bebender  Stimm',  im  Munde  Bitterkeit: 

,Läßt  du  zu  solcher  ^^'ahrheit  mich  gelangen, 
Und  gibt  der  Augenschein  mir  Sicherheit, 
Nicht  länger  wird  mein  Herz  an  jener  hangen. 
Die  mich  läßt  fasten,  alles  dir  verleiht. 
Doch  denke  ja  nicht,  daß  ich  dir  vertraue. 
Bevor  ichs  nicht  mit  eignen  Augen  schaue.' 

42.  .Nachricht  erhältst  du,  wenn  das  Ding  beschlossen'. 
Sprach  Polineß  und  ließ  ihn  dann  allein. 

Zwei  Nächte,  glaub'  ich,  waren  kaum  verflossen. 
Da  kam  Befehl  zum  nächsten  Stelldichein. 
£r  hält  bereit,  was  er  an  Tniggeschossen 
Zu  schleudern  denkt,  lädt  nachts  den  Ritter  ein 
Und  hdßt  ihn  warten  in  den  Häusertrünunem, 
Um  die  gar  niemals  Menschen  sich  bekümmern. 

43.  Es  ist  ein  Ort,  vor  dem  Balkon  gelegen. 

Zu  dem  schon  oft  der  Aufstieg  ward  gemacht. 
Nun  wollt'  im  Ritter  der  Verdacht  sich  regen. 
Man  hab'  an  den  entlegnen  Ort  gedacht 
(Gewählt,  so  schien's,  des  Hintertialtes  wegen), 
Um  aus  der  Welt  ihn  fortzuschaffen  sacht. 
Heuchelnd,  man  werde  dort  ihn  schauen  lassen. 
Was  von  Gmevra  nimmer  war  zu  fanen. 


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F      N  F  T  K  R   O  F  S  A  V  G 


44.  Und  er  beschloß,  an  jenen  Platz  zu  gehen. 
Gerüstet  aber  gegen  ihrer  viel: 

So  branch'  er  nicht  in  Furcht  des  Tods  zu  stehen. 
Auch  für  den  Fall,  daß  man  ihn  Überfiel 

Als  Held  —  kein  beßrer  war  am  Hof  zu  sehen  — 
Sein  Bruder  galt,  berühmt  im  Waffenspiel. 
Er  hieß  Lurcan;  mehr  schätzt  er  sein  Geleite, 
Als  hätt'  er  sonst  ein  Dutzend  sich  zur  Seite. 

45.  In  Waften  hieß  er  den  sich  ihm  gesellen 

Und  nahm  ihn  mit  sich  nachts  an  jenen  Ort, 

Ohn'  aber  das  Geheimnis  aufzuhellen; 

Ihm,  wie  den  andern,  sagt'  er  nicht  ein  Wort. 

Der  mußte  sich  in  Stein  wurfsweite  stellen; 

Und  nur  auf  Anruf  sollt'  er  nahn  sofort. 

Auch  ward  ihm  eingeschärft  —  bei  seiner  Liebe  — , 

Daß,  wenn  kein  Ruf  scholl,  er  am  Platze  bliebe. 

46.  ,Geh',  sprach  Lurcan,  ,verfolge  deine  Zweckel* 
Und  zum  Gelasse  ging  der  Ritter  hin; 

Er  barg  sich  in  der  stillen  Lauscherecke, 
Dort  vor  dem  Söller  in  der  Straße  drin. 
Und  bald  erscheint  der  trügerische  Recke, 
Ginevras  Schande  plant  sein  arger  Sinn. 
Das  Zeichen,  das  vorher  von  ihm  bestimmte, 
Gibt  mir,  die  nicht  den  Trug  ahnt,  der  Ergrimmte. 

47.  Und  ich,  in  weißem  Kleid  mit  goldnen  Streifen, 
Die  vom  und  rings  am  Leibchen  gehn  entlang 
(Ein  Netz  aus  reinem  Gold,  mit  roten  Schleifen 
Und  schönen  Quasten  um  das  Haupt  sich  schlang  — 
Ginevra  ganz  allein  trug  diese  Reifen, 

Sonst  niemand  mehr — ),  tret',  als  der  Laut  erklang. 
Hinaus  auf  den  Balkon,  der  solch  ein  Bau  ist, 
Daß  vom  und  nach  den  Seiten  man  zur  Schau  ist. 


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FÜNFTER  GESANG 


93 


48.  Lurcan,  ob  von  Besorgnis  jetzt  befallen, 
Sein  Bruder  sei  schon  in  Gefahr  gebracht. 
Ob  jener  Wunsch,  der  ja  gemein  uns  allen, 
Geheimnis  zu  erspähn,  in  ihm  erwacht, 

War  der  Versuchung  schließlich  doch  verfallen 
Und  hielt  sich  nur  voll  Vorsicht  in  der  Nacht. 
Noch  nicht  zehn  Schritt  von  seines  Bruders  Klause 
Bheb  er  verboigen  In  dem  gleichen  Hanse. 

49.  In  dieser  Tracht  —  ich  wähnt'  uns  ganz  alleine  — 
Stellt'  ich  auf  oHenem  Balkon  mich  dar 

(Ich  ging  dorthin  ja  früher  mehr  als  eine 
Und  als  zwei  Nächt'  ohn'  Nachteil  und  Gefahr), 
Hell  leuchtete  das  Kleid  im  Mondenscheine; 
In  Wuchs  und  in  den  Zügen  sdber  war 
Ich  von  der  Herrin  gar  nicht  allzufeme; 
Man  komite  uns  verwechsehi  gut  und  gerne, 

50.  Zumal  vom  Söller  und  des  Schlosses  Mauer 
Ein  großer  Raum  war  bis  zum  öden  Haus. 
So  legen  beide  Brüder,  auf  der  Lauer, 
Sich  alles  nach  des  Herzogs  Willen  aus. 
Bedenke,  wie  des  Ritters  Herz  voll  Trauer 

Sich  wild  zusammenpreßt  in  Schmerz  und  Graus  I 
Der  Herzog  nahm,  die  ich  ihm  bot,  die  Leiter 
Und  stieg  auf  ihr  hinauf  zum  SöOer  weiter, 

5z.  Wo  meine  Arme  ihn  sogleich  umschlangen; 
Nicht  ahn'  ich,  daß  mich  fremde  Augen  sehn: 
Ich  küß  ihn  auf  den  Mund  und  auf  die  Wangen, 
Wie  stets  bei  seinem  Kommen  war  geschehn. 
Den  Trug  erhöhend,  hält  er  mich  umfangen, 
Läßt  längre  Zeit  als  sonst  dabei  vergehn. 
Er,  der  als  Zeuge  kam  des  schnöden  Falles, 
Steht  elend  dort  und  schaut  von  fernher  alles. 


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94 


FOVFTER  GESANG 


52.  Vernichtet  steht  er  — ;  daB  er  sterben  werde. 

Scheint  einz'ger  Trost  im  übemiächt'gen  Schmeix: 
Er  setzt  den  Knaul  des  Schwertes  auf  die  Erde 
Und  gibt  der  Spitze  Richtung  auf  das  Heiz. 
Lurcan,  der  wohl  mit  staunender  Gebärde 
bah  einen  Menschen  khmmen  söllerwärts, 
Doch,  wer  es  sei,  nicht  konnte  imterscheiden. 
Kommt,  als  der  finider  käizen  will  sein  Leiden. 

53.  Er  hält  ihn  ab,  daß  er  mit  eignen  Händen 
In  Minder  Wahnsinnswut  sein  Mörder  sei: 
Stand  er  entfernter,  war 's  nicht  abzuwenden. 
Und  kam  er  später  —  wär'  es  schon  vorbei. 
^Unserger*,  rief  er,  ,laß  die  T(^heit  enden  1 
Ward  dein  Verstand  denn  ganz  zur  Raserei? 
Kannst  du  nicht  Treubruch  einer  Frau  verwinden? 
O,  schwanden  sie  wie  Nebel  vor  den  Windenl 

54.  Laß  jene  sterben,  die  verdient  zu  sterbenl 
Für  beßre  Sache  spare  deinen  Tod! 

Als  du  nicht  Falschheit  sahst,  war's  Zeit  zu  werben; 
Jetzt  wird  für  dich  ein  starker  Haß  Gebot. 
Dein  Auge  liefi  Gewi0heit  dich  erwerben» 
DaB  sie  verbnhlt  ist;  die  wird  nicht  mehr  rot! 
Das  Schwert,  statt  gdgen  dich  es  zu  erheben. 
Bewahre,  ihres  Trogs  Beweis  zu  geben!' 

55.  Als  der  Betrübte  sah  den  Bruder  kommen. 
Stellt'  er  sein  blutiges  Beginnen  em; 
Doch  soDte,  was  er  still  sich  voigenommen. 
Flucht  in  den  Tod,  nicht  au%egeben  sein. 

Er  ging  davon,  das  Hers  nicht  bloß  beklommen, 
Nem,  wie  durchbohrt  von  Schmerz  und  tiefer  Pein. 
Vorm  Bruder  stellt  er  sich,  als  sei  geschwunden 
Der  grimme  Haß,  den  er  noch  just  empfmiden. 


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FÜNFTER  GESANG 


95 


56.  Geführt  von  der  Verzweiflung  wilden  Trieben, 
In  aller  Stille  war  er  morgens  fort. 

Wohin  er  sich  gewandt,  wo  er  geblieben, 

Blieb  unbekannt  noch  viele  Tage  dort. 

Was  aus  dem  Land  ihn  habe  weggetrieben. 

Das  wußten  jene  beiden  nur  am  Ort. 

Im  Königshaus  ward  dies  und  das  gesprochen; 

Ganz  Schottland  hat  sich  drob  den  Kopf  zerbirochen. 

57.  Acht  Tag'  und  mehr  am  Hofe  so  vergingen, 
Den  Weg  ein  Waller  zu  Gmcvra  fand; 

Er  brachte  Kunde  von  gar  üblen  Dingen: 
Ertrunken  lag  im  Meer  Ariodant. 
Der  eigne  Wille  sollte  Tod  ihm  bringen, 
Kein  Boieas,  kein  Wind  vom  Morgenland. 
Weit  ragt  ins  Meer  ein  Fels  wie  Landeszongen: 
Kopfüber  war  er  da  hina1?gesprungen. 

58.  Der  Fremde  sprach :  ,  Von  mir  am  Weg  gefunden. 
Sagt  er,  bevor  die  Untat  noch  geschehn: 

Was  du  Ginevra  später  sollst  bekunden 
Als  Bote,  komm,  es  jetzt  mitanznsehn. 
Sag'  ihr,  mich  hab'  ein  Anlafi  nur  gebunden. 
Das  hier  zu  tun,  was  jetzt  wird  vor  sich  gehn: 
Zuviel  Erblicktes  wollte  mir  nicht  taugen, 
Und  glücklich  wSr'  ich,  hätt'  ich  keine  Augen. 

59.  Wir  waren  grad,  wo  Iiiand  gegenüber 

Hoch  Capobaß  sich  streckt  ins  Meer  hinaus: 

Als  er  gesprochen,  sah  ich  ihn  kopfüber 

Vom  Felsen  springen  in  der  W  ogen  Graus. 

Ich  UeB  ihn  in  der  See  und  lief  hinüber. 

So  bring*  ich  gleich  die  Botschaft  dir  ins  Haus.*  — 

Ginevra,  wie  verwirrt,  mit  bleichen  Wangen 

Blieb  zitternd  zwischen  Tod  und  Leben  hangen. 


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o6  F  f  ■  N  r  T  F       r.  F  ^  A  X  n 


60.  Gott,  welchen  Januner  mußte  sie  eist  tragen. 
Als  sie  allein  war  in  dem  Schla%emachl 

Wie  sie  das  Kleid  zerrifi,  die  Brust  zu  schlagen  I 
Den  goldnen  Haaren  tat  sie  Schimpf  und  Schmach, 

Und  immer  mußte  sie  das  Wort  sich  sagen. 
Das  der  Geliebte  vor  dem  Sterben  sprach: 
Gekommen  sei  das  Leid,  der  Tod  des  Trauten, 
Kurz  alles  nur  vom  Allzuvieigeschauten. 

61.  Am  ganzen  Hofe  ging  von  ihm  die  Märe, 

Der  sich  aus  großem  Schmerz  das  Leben  nahm. 

Der  König  unterdrückte  nicht  die  Zähre 

Und  auch  kein  Rittersmann  und  keine  Dam'. 

Der  Bruder  aber  fast  gestorben  wäre, 

In  bittrem  Leid  ertränkt  und  tiefem  Gram. 

Schon  nach  dem  Dolche  tasteten  die  Hände, 

Damit  er  bald  den  teuren  Bruder  fände. 

62.  Und  immer  wieder  sagt'  er  sich  im  stillen: 
Ginevra  nur  hat  ihm  den  Tod  gebracht; 
Zum  Sterben  führte  Gram  und  Wider^villen 
Ob  dessen,  was  er  sah  in  jener  Nacht. 

•  So  blind  verrannt'  er  sich  in  wilde  Grillen, 
Von  Schmerz  und  Kümmernis  wie  toll  gemacht. 
Daß  es  ihm  gleich  galt,  alle  Huld  zu  missen. 
Von  Volk  und  König  sich  gehaßt  zu  wissen. 

63.  Und  vor  den  König,  als  im  Saale  drinnen 
Der  ganze  Hof  war,  trat  er  hin  und  sprach: 
.Herr,  wisset,  wenn  mein  Bruder  kam  von  Sinnen 
Und  sich  den  Tod  gab,  weil  das  Herz  ihm  brach, 
's  ist  eurer  Tochter  schändliches  Beginnen: 

Denn  solch  ein  Schmerz  ihn  in  die  Seele  stach, 
Als  er  sie  sah  der  Keuschheit  sich  begeben, 
Da0  Tod  ein  größrer  Freund  ihm  war  als  Leben. 


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FÜNFTER  GESANG 


97 


64.  Er  liebte  sie;  weil  all  sein  Streben  otfen 
Und  ehifidi  war,  enthfilP  ich  alks  gem. 

Zur  Frau  sie  zu  gewinnen  dürft'  er  hoffen 
Durch  treuen  Dienst,  geleistet  semern  Herrn. 
Da  hat  er  einen  auf  dem  Baum  getroffen, 
Der  mit  dem  Duft  ihn  labte  nur  von  fem; 
Die  heißersehnte  Fnicht  sieht  er  sich  rauben, 
Die  nur  für  ihn  bestimmte  (mochf  er  glauben).' 

65.  Ginevra  zeigt  er  dann,  hab'  er  gesehen 
Ein  Seil  entsendend  von  des  Söllers  Rand: 
Ein  Mensch  begann  darauf  hinaufzugehen, 
Doch  ward  er  von  Lurcanio  nicht  erkannt; 
Denn  jener  hatte  gut  sich  vorgesehen, 

Das  Haar  verdeckt,  verändert  das  Gewand. 
In  seinem  Schwerte  den  Beweis  er  trage* 
Daß  alles  Wahrheit  sei,  was  hier  er  sage. 

66.  Denk,  welche  Qual  den  Vater  elend  machte. 
Als  er  sein  hebes  Kind  beschuldigt  hört'! 
Ach,  er  vernahm,  was  er  unmöglich  dachte 
Und  was  ihm  völlig  seinen  Sinn  verstört. 
Dem  Wahnsinn  nahe  ein  Gedank'  ihn  brachte: 
Will  keiner,  ob  der  Niedertracht  empört, 
Lurcan  der  LQge  mit  dem  Schwerte  zeihen, 
Muß  ja  sein  Urteilsspnich  dem  Tod  sie  weihen I 

67.  Herr,  das  Gesetz,  vermein  ich,  wirst  du  kennen: 
Es  kündigt  Todesstrafe  jeder  an, 

Mädchen  wie  Frau,  hört  man  sie  Buhle  nennen. 
Weil  sie  sich  andrem  gab  als  ihrem  Hann. 
WH  keiner  als  ihr  Kämpe  sich  bekennen. 
Stirbt  sie,  sobald  ein  Monat  nnr  verrann: 
Ein  Sieger  muß  Beweis  der  Unschuld  geben 
Und  zeigen,  daß  mit  Recht  sie  dürfe  leben. 

Artott  I  7 


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98  F  Ü  N  F  T  E  R  G  E  S  A  N  G 


68.  Der  König  will,  die  Arme  zu  befreien, 
Weil  sie  unmöglich  schuldig  heißen  kann, 

Es  soll  —  mit  großer  Mitgift  —  der  sie  freien. 
Durch  dessen  Waffen  Klag'  und  Schimpf  zerrann. 
Es  zeigt  sich  keiner  aus  der  Krieger  Reihen; 
Unschlüssig  sehen  sie  einander  an: 
Lurcan  hat  großen  Ruhm,  mit  ihm  sich  schlagen» 
Will  keiner  von  den  andern  Rittern  wagen. 

69.  Auch  fügt's  das  Schicksal,  grausam  ohnegleichen: 
Zerbin,  der  kühne  Bruder,  fehlt  der  Maid. 

Er  soll  seit  Monden  durch  die  Feme  streichen. 
Die  Fama  kündet  seine  Tapferkeit. 
War'  er  zu  finden  in  den  Nachbarreicfaen, 
Wo  ihm  die  Botschaft  naht  in  kurzer  Zeit, 
Unfehlbar  würd'  er  für  die  Schwester  fechten. 
Wenn  ihm  entsandte  Diener  Kunde  brächten. 

70.  Durch  andres  noch,  als  Waffen,  zu  erkunden 
War  mittlerweil'  der  Konig  sehr  erpicht. 

Ob  die  Beschuldigung  wahr  sei,  ob  erfunden. 

Ob  sie  den  Tod  verdiene  oder  nidit. 

So  rief  er  denn  bereits  nach  ein  paar  Stunden 

Der  Fürstin  Frauen  vor  sdn  Angesicht 

Ich  sah  voraus,  wenn  nun  auch  mich  sie  fingen, 

Werd'  es  Gefahr  mir  und  dem  Herzog  bringen. 

71.  Noch  in  der  Nacht  entschlüpft'  ich  leis  dem  Bette, 
Worauf  ich  fem  vom  Hof  zum  Herzog  schlich; 
Ich  zeigt'  ihm,  nötig  sei's,  dafi  er  mich  rette; 
Um  unser  beider  Leben  handl'  es  sich. 

Er  lobt  mich,  spricht  von  einer  sichren  Stätte: 
Dahin,  für  ihn  zur  Freude,  send'  er  mich. 
Und  einer  Buiig,  nicht  weit  von  hier  gelegen, 
Schickt  er  durch  zwei  der  Diener  nüch  entgegen. 


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FÜNFTER  GESANG 


99 


72.  Ou  weißt  es,  Herr,  wie  alle  meine  Triebe 

Hinzielten  auf  des  Herzogs  Glück  fürwahr; 
Und  daß  er  auch  noch  dann  mein  Schuldner  bliebe. 
Wenn  er  mich  liebt"  und  ehrte,  das  ist  klar. 
Sag'  mir,  was  ich  empfing  für  meine  Liebe 
Und  was  der  Lohn  für  meine  Dienste  war? 
Kann  irgendeine  von  uns  armen  Frauen, 
Liebend,  das  Glück,  geliebt  zu  werden,  Schagen? 

73.  Besorgt  ist  dieser  Böse,  Ungetreue, 

Am  Ende  könne  wanken  doch  mein  Mut, 

So  daß  ich  aufzudecken  mich  nicht  scheue 

Den  wölfischen  Betrug  und  seine  Wut. 

Er  sagt,  bis  sich  des  Königs  Sinn  erneue 

Aus  Grimm  und  Zorn,  woU'  er  mich  bergen  gut 

Und  mich  dorthin  zu  seinem  Schlosse  senden  — 

In  Wahrheit  aber  zu  des  Todes  Händen. 

74.  Dem  Führer  hatt'  er  heimüch  aufgetragen. 
Sobald  wir  hier  im  dunklen  Walde  sei'n. 
Zu  meiner  Treue  Lohn  mich  zu  erschlagen. 

Und  wärst  du  nicht  erschienen  auf  mein  Schrei'n« 
Hätt'  alles  dies  sich  wirkUch  zugetragen. 
So  lohnt  die  Liebe,  die  ihr  Treue  mhnt" 
IKes  der  Bericht  Dalindas,  herb  und  bitter. 
Den  sie,  des  Weges  reitend,  macht  dem  Ritter« 

75.  Dem  aber  kommt  es  überaus  gelegen, 
Daß  an  die  Maid  ihn  hier  der  Zufall  band. 
Durch  die  mit  einemmal  dem  jungen  Degen 
Der  Zweifel  an  Ginevras  Unschuld  schwand. 
War  sein  Entschluß  schon,  helfend  sich  zu  regen. 
Wenn  er  das  Königskind  auch  schuldig  fand. 
Erneut  er  mit  noch  größrer  Wärme  diesen. 
Nachdem  Verleumdung  offenbar  erwiesen. 

7* 


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100 


FÜNFTER  GESANG 


Zur  Stadt  Sankt-Andres,  wo  am  Königsheide 
Ein  jedes  Gfied  des  hehren  Hauses  weilt. 
Harrend,  daß  noch  der  Held  erscheinen  werde. 

Der  dort  im  Kampf  den  Ruf  der  Tochter  heilt, 
Ist  jetzt  Rinald  mit  aller  Macht  der  Pferde 
Auf  etwa  eine  Meil'  herangeeilt. 
Der  Stadt  schon  naht  er,  als  er  frische  Kunde 
Am  Weg  vernimmt  aus  eines  Knappen  Munde: 

77.  Ein  fremder  Ritter  hat  sich  eingefunden, 
Ginevras  Kämpe  will  er  sein  im  Streit; 

Nichts  läßt  sich  durch  die  Waffenzier  erkunden: 
Still  und  verschlossen  hält  er  sich  beiseit; 
Verhüllt  ist  sein  Gesicht  zu  allen  Stunden; 
Entschleiert  sah  ihn  keine  Tageszeit. 
Sein  Knappe  schwört,  daß  er  den  Herrn  nicht  kenne; 
Er  wisse  nicht»  wie  man  den  Ritter  nenne. 

78.  Sie  reiten,  bis  sie  an  den  Mauern  stehen; 
Dalmda  schliche  gerne  jetzt  sich  fort; 

Sie  fürchtet  sich  und  will  nicht  weitergehen. 
Doch  folgt  sie  noch  Rinaldos  Trosteswort.  — 
Verschloßne  Tür!  —  Als  sie  den  Pförtner  sehen. 
Fragt  ihn  Rinald:  „Sag'  an,  was  gibt  es  dort?" 
Gegangen  —  heißt's,  sind  Männer  sowie  Frauen, 
.Das  ganze  Volk,  den  Zweikampf  anzuschauen, 

79.  Den  grad  am  andern  End'  ein  fremder  Streiter 
Zu  dieser  Zeit  bestehe  mit  Lurcan, 

Wo  Rasen  sei,  ein  ebener  und  breiter; 
Im  Gang  schon  sei  der  Kampf  auf  jenem  Plan. 
Der  Pförtner  öffnet  drauf  für  unsre  Reiter, 
Dann  wird  das  Gitter  wieder  zugetan. 
Durch  öde  Straßen  trabt  Rinald  geschwinde; 
£r  ließ  im  ersten  Gasthaus  schon  Dalinde. 


FÜNFTER  GESANG 


lOI 


80.  Sie  weide,  sprach  er,  Scfaerheit  dort  haben, 
Er  xeit'  allein  ein  Weilchen  jetzt  fOrbaß; 

Und  nach  dem  Kampfplate  sah  sie  rasch  ihn  traben. 
Wo  jene  beiden  noch  otia*  Unterlaß 
Angriffe-  tmd  Antworthieb'  emander  gaben. 
I;iircan  ist  ganz  erfüllt  von  tiefem  Haß 
Auf  die  Prinzessin;  treu  sie  zu  beschützen, 
Will  jener  alle  Kraft  mit  Eifer  nützen. 

81.  Sechs  andre  Ritter  noch  zu  Fuße  halten 

Ifit  Schwert  und  Harnisch  um  das  KSmpferpaar. 

Nach  dem  Befehl  des  Herzogs  hier  sie  schalten; 

Der  stellt  sich  stolz  auf  edlem  Renner  dar. 
Als  Reichsmarschall  muß  er  des  Platzes  walten 
Und  nimmt  an  diesem  Tag  die  Ordnung  wahr. 
Froh  ist  sein  Herz,  hochmütig  seine  Brauen, 
In  solcher  Not  Ginevra  hier  zu  schauen. 

82.  Rinald  dringt  vorwärts  zwischen  Meng'  und  Menge; 
Platz  schafft  ihm  Bajard,  sein  erlesnes  Roß. 
Nicht  lahm  und  säumig,  sei  es  noch  so  enge, 

Ist,  wer  sein  Dröhnen  hört  im  Menschentroß. 
Hoch  ragt  Rinald  empor  aus  dem  Gedränge; 
Man  sieht  es  wohl:  das  ist  ein  Heldensproß. 
£r  hält  am  Königssitze  vor  dem  Ringe: 
Ein  jeder  lauscht,  was  wohl  der  Ritter  bringe. 

83.  , .Erlauchter  Herr,"  sprach  er,  gehört  von  allen, 
„Hör'  mich,  laß  hier  den  Kampf  nicht  weitergehnl 
Denn  wer  von  diesen  beiden  möge  fallen, 

Ein  Unrecht  war'  mit  seinem  Tod  geschehn. 
Ehrlich  ist  der  und  doch  dem  Trug  verfallen. 
Lügt  nicht  und  muß  auf  Falschem  doch  bestehn: 
Zum  Müschen  Kläger  ihn  der  Irrtum  machte. 
Der  schon  vorher  Tod  seinem  Bruder  brachte. 


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102  FüNFTERGESANG 


Dem  andern  selbst  ist  dunkel  sein  Gebaren; 

Was  ihn  —  in  Todes  Nähe  —  z«g  herbei, 

Hochsinn  alldn  imd  eitel  Güte  waren, 

DaB  solcher  Liebreiz  nicht  des  Todes  sei. 

Der  Unschuld  bring'  ich  Rettnog  ans  Gefüueiit 

Das  Gegenteil  wird  der  Verräteici 

Dodi  eist  befiehl,  den  Zwakampl  enmstdlen; 

Dann  gib  Gehfir  nur,  alles  anfenheDenr' 

8^  Des  fremden  Ritters  Hoheit  ohnegleichen 

—  Er  schien  ein  Heldp  ein  wfiidiger,  färwalir  — 
Macht  Eindruck  anf  den  König,  nnl  das  Zeichen 
Gibt  er,  das  Halt  gebent  dem  Kan^lecpaar. 
Vor  ihm,  dem  ganzen  Volk,  den  Arm  nnd  Reichen, 
Der  Kitterschaft,  legt  Herr  Rinald  nmi  dar. 
Wie  FölineB  versachte,  schnM'  mit  Lügen 
Den  Ritter  ob  Ginevras  tu  betrügen. 

86.  Die  Waffen  sdlen  snm  Beweise  dienen. 
Daß  man  die  lautre  Wahrheit  hat  gefafirt 
Geholt  wird  Folinefi:  —  er  ist  erachiencn. 
Jedoch  —  man  sieht's  —  im  Antlits  ganz  verstört 

Indes  er  leugnet  mit  verbißnen  Mienen. 

„Nun",  spricht  Rinald,  „Beweis  dem  Schwert  gehört." 
Gewaffnet  sind  sie,  und  der  Platz  bereit  ist, 
Daß  kein  Verzug  mehr  für  den  blut'gen  Streit  ist. 

87.  Wie  Konig  nmi  nnd  Volk  vom  Wunsche  brennen: 

Ginevras  Unschuld  zeige  das  Gefecht! 

Durch  Gott,  so  hoffen  sie,  wird  man  erkennen: 

Man  zieh  sie  schwerer  Sünde  ungerecht. 

Und  grausam,  stolz,  falsch  und  verworfen  nennen 

Die  Stimmen  rings  den  Herzog,  bös  und  schlecht. 

Ein  W  under  seinen'  es  keinem,  wenn  die  Märe 

Von  dem  Betrüger  rein  erfunden  wäre. 


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F      N  F  T  F  IR   G  F  S  A  X  G  TO3 


88.  Bleich  steht  der  Henog  —  seine  Lippen  beben  — 
Das  Antlitz  stair  und  dumpf  das  Heiz  und  schwer. 
Beim  dritten  Schall  sieht  man  die  Lanz'  ihn  heben: 
Da  stttnnt  RinaM  in  vollem  Lauf  daher. 

Er  zielt  tmd  will,  ihm  gleich  den  Rest  zu  geben. 
Durchbohren  den  Verräter  mit  dem  Speer. 
Und  also  kam  es  —  sieh,  dem  bösen  Recken 
Blieb  in  der  Brust  der  Spieß  zur  Hälite  stecken. 

89.  Am  Schaft  gespießt,  fliegt  Polineß  vom  Pferde 

Sechs  Ellen  weit:  so  mächtig  war  der  Stoß. 

Rinald  springt  ab,  packt,  eh  er  von  der  Erde 

Aufstehe,  seinen  Helm  und  knüpft  ihn  los. 

Doch  jener  kämpft  nicht  mehr:  mit  Angstgebärde, 

Demütig,  bittet  er  um  Gnade  bloß; 

Und  er  bekennt  —  vorm  Hof,  vor  aller  Ohren  — 

Den  Trug,  durch  den  das  Leben  er  verloren. 

90.  Mitten  im  Sprechen  noch  —  eh  er  kann  enden  — 
Ihm  Stimm'  und  Leben  schon  geschwunden  sind. 
Den  König,  der  des  grimmen  Todes  Händen 
Und  üblem  Ruf  entrungen  sieht  sein  Kind, 

Hört  man  zum  Himmel  Freudenrufe  senden. 
Als  ob  er  jetzt  die  Krone  wiederfind'. 
Die  er  dem  Haupte  sah  bereits  entrissen: 
Daun  soll  Rinald  von  Ehren  keine  missen. 

91.  Er  sieht,  als  das  Visier  emporgeschoben. 
Den  Helden,  ihm  von  früher  schon  bekannt; 
Und  streckt  die  Hand  zum  Himmel,  Gott  zu  loben, 
Der  solchen  Schutz  in  Not  ihm  hat  gesandt. 
Der  andre  Ritter,  der  den  Arm  erhoben. 

Als  Unglück  auf  Ginevra  sich  gewandt. 
Und  unbekannt  eintrat  für  sie  zum  Streite, 
Sieht  alles  dies,  doch  steht  er  still  beiseite. 


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104 


FÜNFTER  GESANG 


92.  Der  König  bittet  ihn,  sich  kund  zu  geben 
Oder  auch  nur  im  of&ien  Hehn  zu  stehn, 
Weil  er  und  alle  hier  des  Wunsches  leben, 
Sein'  edle  Absicht  recht  belohnt  zu  sehn. 
So  muß  er  denn  den  Helm  vom  Haupte  heben 
Nach  langem  Bitten,  und  —  was  sonst  geschehn. 
Das  möcht'  ich  für  den  nächsten  Sang  verschieben, 
Will  weiter  zuzuhören  Euch  beheben. 


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SECHSTER  GESANG 


z.  Dem  Fievkr  wehe,  der  da  meint,  es  werde 
Die  Ifissetat  bedeckt  ffir  alle  Zeit! 

Wenn  alles  schweigt,  so  spricht  die  Luft;  die  Erde, 

Wo  sie  verscharrt  ist,  in  die  Weite  schreit. 
Verschiebt  auch  Gott  dem  Sünder  die  Beschwerde, 
Er  lenkt  die  Schuld,  der  er  die  Kraft  verleiht. 
Daß  sie  den  Täter  muß  von  selber  zwingen, 
-    Den  Frevel  unversehns  ans  Licht  zu  bringen. 

2.  Der  Unglücksel'ge  war  im  Walm  befangen. 
Die  Untat  sei  begraben  ganz  und  gar, 
Und  dachte  fortzuleben  ohne  Bangen: 
Nur  in  Dalinda  sah  er  die  Gefahr. 

Dem  ersten  Frevel  weitre  so  entsprangen; 
Beschleunigt  ward,  was  noch  gekommen  war. 
Vielleicht  aufschieben  könnt'  er 's  und  vermeiden 
Und  fügt  nmi  selbst,  daß  er  den  Tod  muß  leiden. 

3.  Freund',  Güter,  Leben  werden  ihm  genommen. 
Dazu  die  Ehre  —  Schhmmres  gibt  es  nicht.  — 
Als  man  den  Fremden  bat  (Ihr  habt 's  vernommen). 
Daß  er  das  Antlitz  biete  frei  dem  Licht, 

Hebt  er  den  Helm,  und  sieh:  zum  Vorschdn  kommen 
Bekannte  Züge,  ein  geliebt'  Giestcht: 
Ariodant  ist's,  den  im  Grab  man  meinte. 
Der  Edle,  den  das  ganze  Land  beweinte. 


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io6 


SECHSTER  GESANG 


4.  Ailodant,  um  den  Ginevra  klagte 

Und  Kdnig,  Hof  und  Volk  in  Trauer  stand. 
Der  als  ein  Tnim  der  Rittertugend  ragte 
Und  teuer  war  rings  allem  Schottenland. 
So  war  es  falsch,  was  jener  Bauer  sagte? 
Noch  hielt  den  Edlen  nicht  des  Todes  Hand? 
Nein,  Wahrheit  sprach  er;  denn  den  Hochgemuten 
Sah  er  vom  Fels  sich  stürzen  in  die  Fluten. 

5.  Doch  wie  es  geht:  man  ruft  den  Tod  vom  weiten, 
Willkommen  scheint  er  uns  in  hohem  Ma6; 
Sieht  man  ihn  aber  wirklich  näherschreiten. 

So  hat  man  bald  genug  von  solchem  SpaB. 

Als  um  ihn  Wasser  floß  von  allen  Seiten, 

Da  sehnt  der  Ritter  sich  nach  fester  Straß'. 
Und  kühn,  geschickt,  entreißt  er  sich  dem  Bade 
Und  schwimmt  voll  Kraft  zurück  nach  dem  Gestade. 

6.  Er  schilt  sich  töricht  jetzt  und  schier  von  Sinnen, 
Zu  scheiden  aus  dem  Dasein  freundlich  hell; 

Durchweicht  und  triefend  macht  er  sich  von  hinnen 

Und  kommt  gemach  zu  einer  Klausnerzell'. 

Er  denkt,  in  aller  Stille  nun  hierinnen 

Zu  weilen,  bis  man  hör'  an  dieser  Stell', 

Ob  sich  Ginevra  des  Geschehnen  freue. 

Ob  sie  vielleicht  Betrübnis  zeig'  und  Reue. 

7.  Zunächst  vernimmt  er,  daß  sie,  schmerzzerrissen. 
Dem  Tode  nahe  sei,  gebeugt  vom  Gram 
(Davon  zu  reden,  war  man  so  beflissen. 

Daß  kaum  die  Red'  im  Land  auf  andres  kam): 
Es  stimmt  zu  allem,  das  er  glaubt  zu  wissen 
—  Ach,  ihm  zum  Jammer!  — ,  freilich  wimdersam. 
Dann  hört  er,  daß  Lurcan,  so  wie  man  sagte, 
Ginevra  bei  dem  Vater  selbst  verklagte. 


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SECHSTER  GESANG 


107 


S.  Zorn  auf  den  Bmder  regt  sich,  em  so  giiminer, 
Vfie  er  für  sie  vor  Liebe  will  veigehn, 
Demi  nichts  eisdieint  ihm  grausamer  und  schlimmer. 
Wiewohl  er  weifi,  es  ist  für  ihn  geschehn. 
Darauf  erfährt  er,  daB  die  Schranken  nimmer 
Den  Kämpen  für  Ginevra  werden  sehn  ' 
(Lurcanios  Taten  waren  unvergessen, 
Daß  jeder  Scheu  trug,  sich  mit  ihm  zu  messen). 

9.  Als  klug  ihn  imd  besonnen  zu  erheben. 

Hat  keiner,  der  ihn  kannte,  noch  verfehlt: 

Derart  gefährden  würd'  er  nicht  sein  Leben, 
Wenn  unwahr  wäre,  was  der  Held  erzählt! 
Drum  die  Verteid'gung  lieber  aufzugeben, 
Hat  als  das  Klügste  jedermann  erwählt. 
Ariodant  nach  langem  Überlegen 
BeschUeßt,  er  stellt  dem  Bruder  sich  entgegen. 

10.  „Vor  meinem  Ende  jene  sehen  sterben", 
Sprach  er  bei  sich,  ,,es  würde  schrecküch  sein; 
Erlitte  sie  imi  mich  den  Tod,  den  herben. 

Das  machte  meinen  Tod  zu  bittrer  Pein. 
Um  andre  Herrin  könnt'  ich  nimmer  werben: 
Sie  bleibt  mir  Göttin,  meiner  Jugend  Schein. 
Mit  Recht  imd  Unrecht  muß  ich,  sie  zu  retten. 
Im  Kampf  für  sie  mich  2a  den  Toten  betten. 

11,  Mit  Unrecht,  gut!  —  So  muß  ich  dem  willfahren. 
Ich  sterbe  —  wohll  Doch  eins  schafft  bittre  Not: 
Ich  schütze  sie  dadurch  nicht  vor  Gefahren; 

Erst  recht  vielmehr  bringt  der  Verlauf  ihr  Tod. 
Den  einen  Trost  mag  ich  im  Sterben  wahren: 
Daß  Polineß,  der  ihr  doch  Liebe  bot, 
Nidit  im  geringsten  —  dentfidi  mn6  sie's  sehen  — 
Den  Fnß  nnr  xegt,  dsx  Hdden  bdzustefaen. 


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I08  SECHSTERGESANG 


12.  Idi  aber»  dem  das  Hers  sie  wollte  brechen, 
Ifich  aiAt  äe  sterben,  auf  ihr  Heil  bedacht  1 
Am  Bmder  werd'  Ich  dann  zugleich  mich  rächen. 
Der  diesen  &and  hat  gransam  angefacht: 

In  seinem  Herzen  wird  die  Reue  sprechen, 
Sieht  er  zu  solchem  Ziel  sein  Tun  gebracht. 
Daß  er  dem  Bruder,  den  er  rächen  wollte, 
Mit  eigner  Hand  Verderben  bringen  sollte/* 

13.  Als  die  Gedanken  zum  Entschlüsse  reifen. 
Ein'  andre  Rüstung  und  ein  Pferd  er  fend. 

Ein  schwarz  Gewand  auch ;  schwarzen  Schild  mit  Strei- 

Grüngelber  Farbe  nahm  er  drauf  zur  Hand.  [£en 
Und  einen  fremden  Knappen  sah  er  schweifen; 
Den  nahm  er,  weil  ihn  niemand  kannt'  im  Land. 
So  stellte  sich  —  wo  keiner  ihn  erkannte  — 
Dem  Bruder  dann  zum  Kampf  Ariodante. 

14.  Wie's  weiter  ging,  habt  Ihr  bereits  erfahren, 

Und  was  nach  der  Erkennung  noch  geschah: 
Der  heben  Tochter  Rettung  aus  Gefahren 
Den  König  nicht  in  größerm  Jubel  sah. 
Sie  finde,  meint  er,  nie  so  treuen,  wahren. 
So  edeln  Ehgemahl  wie  diesen  da: 
Die,  wie  er  wähnt,  ihn  tödlich  hat  beleidigt. 
Gegen  den  Bruder  hat  er  sie  verteidigt! 

15.  Und  wie  der  Held  ihm  selber  hat  gefallen 
Und  weil 's  dem  ganzen  Hofe  gut  erschien, 

*  Und  weil  Rinald  es  wollte  so,  vor  allen 
Als  Eidam  grüßt  er  ihn  mit  froher  Mien'. 
Ein  Herzogtum,  Albanien,  heimgefallen 
Von  Polineß,  kam  grade  recht  für  ilm. 
Fiel  ihm  anheim  zur  besten  Zeit  im  Leben : 
Er  könnt'  es  seinem  Kind  zur  Mitgift  geben. 


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SECHSTER  GESANG 


109 


16.  Dalinda  —  durch  Rinakl  —  erhielt  Venseihen;  . 
Frei  ging  sie  aus,  die  groBe  Sünderin. 

Der  Welt  entsagen,  künftig  Gott  sich  weihen 

Und  Frieden  finden,  darauf  stand  ihr  Sinn. 

Sie  schied  aus  Schottland:  in  der  Nonnen  Reihen- 

Zu  büßen  ging  sie,  weit  nach  Dazien  hin.  — 

Nun  ist  es  Zeit,  nach  Roger  auszuschauen. 

Der  auf  dem  Flügeltier  hiniährt  im  Blauen. 

17.  Man  sieht  ihn  oben  keineswegs  erblassen: 
Er  ist  ein  kühner  Held  —  allein  ich  glaub', 
Es  mag  doch  größrer  Schauer  ihn  erfassen. 
Als  man  bemerken  kann  am  Espenlaub. 
Europa  hat  er  hinter  sich  gelassen 

Und  macht  sich  immer  weiter  aus  dem  Staub. 
Das  Zeichen  ist  weit  unter  ihm  geblieben. 
Das  Herkules  hat  Schiffern  voigeschrieben. 

18.  Der  Hippogryph,  ein  Vogel  nur  zum  Teile, 
Führt  ihn  dahin  auf  Flügeln  alsoschnell: 
Des  BUtzes  Träger  käm'  erst  eine  Weile 
Nach  ihm,  vermein'  ich,  an  dieselbe  Stell'. 
Es  gibt  kein  Tier,  das  fliegend  ihn  ereile 
Oder  an  Schnelligkeit  sich  ihm  gesell'. 

Auch  Pfeile,  glaub'  ich,  —  selbst  die  Blitze  dringen 
Vom  Himmel  kaum  herab  mit  raschem  Schwingen. 

19.  Nachdem  der  Vogel  weiten  Raum  durchflogen 
(Im  Zickzack  nie,  gradaus  ohn'  Unterlaß), 
Senkt  er  sich  leis,  von  Luft  nun  voUgesogen, 
Im  Kreise  auf  ein  Inselland  wie  das. 

Wo  Arethusa  vor  dem  Gott  der  Wogen, 
Den  sie,  gar  sprdd,  geplagt  in  ihrem  Haß, 
Nach  unterseeisch  dunklem  Weg  voll  Schreckfai 
Vergebens  lange  sann  sidi  za  verstecken. 


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HO  SECHSTERGESANG 


20.  Er  schaut,  was  lieblicbes  die  Welt  kann  schenken 
—  Nichts  Ähnliches  hat  noch  sem  Flug  gesehn  — ; 
Sollt'  er  die  Erde  zu  durchsncben  denken. 

Doch  würde  unerreicht  das  Eiland  stehn, 

Zu  dem  des  Vogels  Schwingen  jetzt  sich  senken; 

Bedächtig  läßt  er  sie  im  Kreise  drehn  — . 

Bebautes  Land,  der  Hügel  sanft  Gefälle, 

Wiesen  und  scbatt'ger  Strand  und  Bächlein  helle: 

21.  Sieh  dort  des  sanften  Lorbeers  Büsche  prangen! 
Und  Myrten  hold  und  Palmen  rings  im  Hagl 
Zitronen  und  Orangen  golden  hangen 

Und  Frucht  und  Blüten,  was  es  geben  mag; 
Der  Blätter  Dächer  bieten  Schutz:  sie  fangen 
Den  Sonnenstrahl  am  heißen  Sommertag, 
Und  im  Gezweige  hüpfend  läßt  erschallen 
Sein  schmelzend  Lied  ein  Chor  von  Nachtigallen. 

22.  Rotröselein  und  Lihe  weiß  der  Heiden, 
Frisch  in  den  Lüften  schmeichelnden  und  laun. 
Sehn  Hasen  und  Kaninchen  sicher  weiden 
Und  Hirsche  stolz  und  ernst  auf  grünen  Ann« 
Die  sonder  Furcht,  Verfolgung  zu  erleiden. 
Die  Gräser  rupfen  oder  wiederkaun. 
Damwild  und  Böcke  fliegen  hin  in  Sätzen; 
Gar  zahlreich  sind  sie  dort  an  stillen  Plätzen. 

23.  Als  sich  der  Erde  nahn  des  Tieres  Schwingen, 
Daß  man  wohl  einen  Sprung  darf  wagen  hier. 
Alsbald  vom  Sattel  muß  sich  Roger  schwingen  — 
Wdch  fiel  er  in  ein  blumiges  Revier. 

Die  Zügel  fest  noch  in  der  Hand  ihm  hingen, 

DaB  nicht  das  Roß  sich  in  die  Luft  verlier'. 

An  eine  Myrte  fesselt  er's  durch  Bande 

Grad  zwischen  Ficht'  und  Lorbeerbaum  am  Strande. 


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SECHSTER  GESANG 


III 


24.  Dann  kgt  er,  wo  sich  nah  um  eine  Quelle 
Zitnmenbfttim'  und  hohe  Pafanen^ieihn, 

Handschuh  und  Schild  an  eine  grüne  Stelle, 

Vom  Helm  darauf  die  Stime  zu  befrein: 
Er  blickt  zum  Berg,  auf  Wogen,  blaue,  helle. 
Und  Kühlung  frische  Lüfte  ihm  verleihn, 
Die  um  die  mächt'gen  Wipfel  raunend  weben 
Und  Tann'  und  Buche  lassen  wohlig  beben. 

25.  Nunmehr  in  klaren,  frischen  Fluten  kühlt  er 
Die  trocknen  Lippen,  und  im  Händebad 
Aus  seinen  Adern  fort  die  Gluten  spült  er. 
Die  ihm  der  Harnisch  brachte  nachgerad. 

Kein  Wimder,  diesen  ganz  empfindlich  fühlt  er: 
Was  er  vollbracht,  war  keine  Promenad'l 
In  ganzer  Rüstung,  ohne  je  zu  weilen. 
Hat  er  zurückgelegt  dreitausend  Meilen. 

26.  Da  sieh,  der  Renner,  den  er  dort  gelassen. 

Wo  dichtes  Blattwerk  frischen  Schatten  bringt, 
Bäumt  auf,  zu  fliehn,  als  woll'  ihn  Schrecken  fassen 
Durch  etwas,  das  aus  jenen  Büschen  dringt; 
Zerrt  an  der  Myrte,  beugt  sie  Übermaßen, 
Daß  er  mit  Zweigen  sich  den  Fuß  umschlingt; 
Die  Blatter  fallen  und  die  Aste  krachen; 
Doch  nicht  gelingt  es  ihm,  sich  ftd  zu  machen. 

27.  Wie  in  dem  Klotze,  hohl  und  marklos  innen. 
Den  man  ans  Feuer  brachte  auf  dem  Herd, 
Nachdem  die  Luft,  die  dumpfe,  die  ihn  drinnen 
Erfüllte,  ward  durch  Hitze  aufgezehrt. 

Ein  Sieden  und  Rumoren  mag  beginnen, 
Bis  schließlich  sich  die  Wut  nach  außen  kdirt. 
So  zischt  und  murrt,  als  ob  sie  Zorn  empfuide. 
Die  Myrte:  sieh,  da  öffnet  sich  die  Rinde, 


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Iia  S  E  C  TT  ^  T  F  R    G  E  ?  A  N  r, 


28.  Und  eine  Stimine  k&agt  in  flehnden  Klagen* 
Und  deutlich  fügt  es  sich  zu  Worten  gar: 
„Bist  du  so  gut  und  edel",  hört  man's  sagen, 
„Wie  es  die  schönen  Züge  stellen  dar. 

Wolle  dies  Tier  von  meinem  Baume  jagen! 
Was  schon  mich  peinigt,  das  genügt  fürwahr! 
Nicht  weitre  Schmerzen,  traun,  braucht  man  zu  wählen. 
Um  auch  von  außenher  mich  noch  zu  quälen." 

29.  Beim  ersten  Ton  sprang  Roger  auf  und  wandte 

Sich  nach  der  Richtimg,  wo  er  das  vernahm; 
Versteinert  bheb  er  stehn,  als  er  erkannte. 
Wie  aus  dem  Baum  heraus  die  Stimme  kam. 
Nachdem  er  rasch  von  dort  das  Pferd  entspannte 
(Die  \\'angen  fingen  an  zu  giühn  vor  Scham), 
Sprach  er:  ,.\Ver  du  auch  sein  magst,  was  ich  fehle. 
Verzeih»  Waldgöttin  oder  Menschenseele  1 

30.  Daß  hier  ein  Geist  sich  barg,  nicht  könnt'  ich's  denken. 
Als  ich  das  schöne  Laubhaar  dir  verwirrt, 

Und  daß  in  knorr'ger  Rind'  er  sei  zu  kränken; 
So  schuf  ich  Unheil  der  lebend'gen  Myrt'. 
Der  Bitte  woUe  nun  Erfüllung  schenken: 
Sprich,  wer  hat  sich  in  strupp'gen  Leib  verirrt. 
Daß  er,  mit  Stinmi'  und  Seele,  lebend  leide?  — , 
So  wahr  des  Himmels  Hagel  dich  vermeidel 

31.  Und  fügt  es  sich,  daß  ich  für  mein  Vergehen 
Ersatz  dir  leisten  kann  zu  einer  Zeit, 

So  soll  es  —  heilig  schwör'  ich's  dir  —  geschehen; 

Bei  jener,  der  mein  beßres  Teil  geweiht. 

Mit  Worten  und  mit  Taten,  sollst  du  sehen. 

Erring'  ich  dann  von  dir  Zufriedenheit."  — 

Ak  so  der  Ritter  hat  geendet  eben, 

Sieht  man  den  Baum  vom  Fuß  zum  Wipfel  beben. 


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SECHSTER  GESANG 


113 


32.  Die  Rinde  schwitzt,  wie  Holz  aus  Waldgehegen, 

Das  frisch  geschlagen  ward  in  seinem  Saft, 
Der  Feuerghit  setzt  Widerstand  entgegen 
Und  sich  vergebens  wehrt  mit  aller  Kraft. 
Es  klingt  darauf:  ,,Du  zwingst  mich  darzulegen 
Und  zu  entdecken,  wer  ich  vor  der  Haft 
Gewesen  bin  und  wer  mich  hier  zum  Baume 
Verwandelt  hat  am  schönen  Meeressaume. 

33.  Ich  hieß  Astolf,  war  Paladin,  mich  kannte 
Frankreich  als  wohlbewährt  im  Kriegesspiel, 
Rinald  und  Roland  waren  mir  Verwandte, 
Sie,  deren  Ruhm  nicht  Ende  hat  noch  Ziel. 
England,  das  mich  des  Reiches  Erben  nannte. 
War  mein,  wenn  Otto  dem  Geschick  verfiel. 
Schön  war  ich  auch,  stand  bei  den  Fraun  in  Gnaden 
Und  schuf  doch  schließlich  mir  allein  den  Schaden. 

34.  Heim  kehrt'  ich  von  den  fernen  Inselstranden, 
An  die  von  Ost  die  Meerflut  Indiens  floß. 
Rinald  und  ich  mit  andern,  wir  befanden 
Uns  in  dem  Keikerraum,  der  uns  umschloß. 
Da  brachte  Rettung  aus  den  schnöden  Banden 
Mit  seiner  Riesenkraft  der  Milonsproß, 
Worauf  wir  westwärts  längs  der  Küste  fuhren. 
Die  oft  des  Nordwinds  Wüten  schon  erfuhren. 

55.  Das  Schicksal  will,  daß  wir  auf  unsem  W^gen, 
Als  wir  uns  in  der  Früh*  am  Strand  eigehn, 
Ein  Schloß,  hübsch  nach  dem  Meere  zu  gelten 
—  Der  Hex'  Aldna  war's  gehörig  — ,  sehn. 
Wff  finden  sie,  —  nicht  in  den  Burggehegen, 
Nein,  einsam  am  Gestad'  des  Meeres  stehn. 
Und  ohne  Netz  und  ohne  Angel  brachte 
Sie  Fisch'  ans  Land,  so  viel  ihr  Freude  machte. 

Ariott  I  8 


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114 


SECHSTER  GESANG 


36.  ]>a  haschen  ffinke  Hänfen  wotk  Driphrngn; 
Hit  cttaem  Manie  kommt  der  dicke  Unm, 
WaIro6  nod  Robben  mit  den  grasen  ^*«**^, 
Emporgeschrecfct  ans  ihrem  fanlen  Rnhn: 
Lad»,  Barbe,  Bett  und  Meeraal,  und  zn  Oma 
Die  gröBten  ans  der  Herde  des  Neptxm, 

Wal,  Pottfii<:h,  Bii'-zkopf,  Narwal  sich  gest^cn; 
Die  Rieäenröcken  ragen  aas  den  \\  elkn. 

37.  Da  ist  ein  Wal,  der  machtigste  toi  allen. 
Die  je  gesdien  wuidoi  in  dem  Meer; 
Fettlagen  dick  nm  seinen  Hak  sich  ballen. 

Die  Schill ter  ra^  elf  Schritt  empor  raMi  mehr; 

So  daß  wir  inigesamt  dem  Wahn  verfallen, 

Wir  kommen  hier  zu  einem  Eiiand  her: 

Es  stand;  man  sah  s  sich  rühren  mcht  noch  wende»; 

Groß  war  der  Zwischenraum  der  beiden  Enden. 

5S.  D:e  Fische  las-^n  ihre  n«issen  Barinen, 

Sobald  die  Hex'  ein  Wort,  ein  SprücbJein  sagt. 
Sie  kam  zur  Welt  als  Schwester  von  Morganen« 
Ob  früher,  später  —  hab'  ich  nicht  erfragt. 
Aldna  sah  mich  an  —  schon  mocht'  ich  ahnen 
(Nach  ihrem  Antlitz),  ich  hab'  ihr  behagt; 
Mich  schlau  hinwegznlocken,  2a  berücken. 
Sann  sie  mit  List;  m  gat  nur  sdlt'  es  glücken. 

39.  Sie  trat  heran  mit  Anstand  edler  Sitten, 
Anmutig,  höfüch  und  mit  heitrem  Wort; 
Sie  sprach:  .Ihr  werten  Herrn,  darf  ich  euch  bitten: 
Nehmt  Herberg'  heut  bei  mir  an  diesem  Ort! 
Ich  zeig'  euch,  was  die  Jagd  aus  Meeres  Mitten 
Mir  brachte,  schöne  Fische  jeder  Sort'; 
An  schupp'gen,  weichen,  rauhen  ein  Gewimmel 
Und  mehr,  als  oben  Sterne  sind  am  Himmeir 


SECHSTER  GESANG 


"5 


40.  Eine  Sirene  drauf  uns  anzusehen, 

Die  Stürme  stillt  mit  süßen  Melodie 'n. 

Zum  anderen  Ufer  wir  hinübergehen, 

Wo  sie  zu  dieser  Stunde  stets  erschien, 

Als  wir  mit  einemmal  vorm  Walfisch  stehen, 

Der,  wie  gesagt,  ein  kleines  Eiland  schien. 

Fürwitzig  stets  —  wie  sollt'  ich  es  beklagen I  — 

Mußt'  ich  hinüber  auf  den  Fisch  mich  wagen. 

41.  Und  ob  Rinald  mir  Wamerzeichen  machte, 
Dudo  desgleichen,  half  es  mir  nicht  mehr; 
Alcina  ließ  —  hei,  wie  die  Hexe  lachte!  — 
Die  andern,  sprang  geschwinde  zu  mir  her. 
Gleich  regte  sich  der  auf  sein  Amt  bedachte 
Walfisch  und  schwamm  hinaus  ins  salz'ge  Meer. 
Jetzt  reuten  mich  wohl  meiner  Torheit  Bande, 
Doch  aUzuwdt  schcm  waren  wir  vom  Strande* 

42.  Rinald  war,  mich  zu  retten,  nachgeschwommen 
Und  hätte  selbst  sich  fast  den  Tod  gebracht. 
Denn  wütend  war  ein  Sturm  heraufgekommen. 
Der  Meer  und  Himmel  hüllte  tief  in  Nacht. 

Was  aus  ihm  ward,  ich  hab'  es  nicht  vernommen. 

Alcina  war  auf  memen  Trost  bedacht. 

Mitten  im  Meer,  ans  Ungetüm  gebunden. 

Hielt  de  mich  Tag  und  Nacht,  viel  bange  Stunden, 

43.  Bis  wir  zuletzt  hier  an  das  Ufer  steigen; 
Der  Zaubrerin  gehört  zumeist  das  Land, 
Das  einer  Schwester  war  vom  Vater  eigen, 
(Eh  sie  es  nahm  mit  räuberischer  Hand), 
Weil  die  als  echtes  Kind  sich  konnte  zeigen, 
Derweil  (ich  hab's  von  einem,  dem  bekannt 
Die  weitren  Einzelheiten  allzusammen) 

Die  beiden  andern  vom  Inzeste  stammen. 

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SECHSTER  QESANG 


44.  Und  wie  in  Schand'  und  Sünden  diese  leben 
Und  voll  sind  jedes  Lasters  auf  der  Welt, 
Hat  jene  Maid,  der  Keuschheit  hingegeben. 
Auf  hohe  Tugend  ihren  Sinn  gestellt. 

Doch  als  die  zwei  sich  gegen  sie  erheben 
Und  Heer  auf  Heer  entsandten  in  das  Feld, 
Sind  mehr  als  hundert  Schlösser  ihr  entrissen; 
Sie  zu  verjagen,  sind  sie  jetzt  beflissen. 

45.  Und  jene,  die  sie  Logistilla  nennen, 
Besäße  kaum  mehr  einen  Fuß  breit  Land, 
VV'är'  hier  nicht  ein  Gebirg',  das  wen'ge  kennen. 
Und  dort  ein  Meeresgoii  die  Scheidewand, 

So  wie  das  Schottenreich  von  England  trennen 
Die  Bergeshöhen  und  der  Meeresstrand. 
Doch  auch  das  Wenige,  das  ihr  geblieben. 
Zu  rauben,  ist  das  Ziel  von  jenen  Dieben. 

46.  Weil  lasterhaft  das  Paar  ist,  muß  es  hassen 
Sie,  die  voll  Züchten  stets  und  heilig  war. 
Doch  Nvill  ich  diesen  Gegenstand  nun  lassen; 
Wie  ich  zur  Pflanze  wurde,  werde  klar. 
Alane  lieB  mich  schwelgen  Übermafien 
Und  stand  in  liebesfeuer  ganz  und  gar. 

Sie  selber,  sch5n  und  artig  anzusehen, 

liefi  bald  auch  mich  für  sie  in  Flammen  stehen. 

47.  Sie  gOmiet  mir  der  zarten  Glieder  Wonnen; 
Ich  bin  es,  der  in  vollem  Zug  genießt. 

Was  Menschenkindern  beut  der  Glückesbronnen, 
Der  stets  nur  späriich,  niemals  reichlich  fliefit 
Frankreich  und  alks  sonst  ist  wie  zerronnen; 
Ich  hang*  am  Antlitz,  das  mein  Heil  umscMeOt. 
Sie  ist  das  Ziel  —  dort  endigt  Tun  und  Trachten  — , 
Der  Grenzstein,  den  ich  nimmer  kann  mißachten. 


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SECHSTER  GESANG 


117 


48.  Und  so  geliebt  ward  ich  von  ihrer  Seite; 
Sie  kimimert  nimmer  sich  mn  andre  mehr: 
Die  sonstigen  Buhlen  schickt  sie  in  die  Weite 
Penn  früher  waren  freilich  andre  mehr). 
Mich  als  Berater  will  sie  stets  zur  Seite, 
Mich  als  Gebieter  ob  der  andren  Heer, 

Mir  glaubte  sie,  ich  war  ihr  der  Vertraute, 
So  daß  sie  nie  nach  einem  andern  schaute. 

49.  Warum,  ach,  rOhr'  ich  an  die  alten  Wunden, 

Wo  keine  Hoffnung  für  den  Schmers  bereit? 

Der  Lust  gedenkend,  die  dahingeschwimden. 

Derweil  ich  dulde  hier  unsäglich  Leid? 

Ich  wähnte  schon  das  Glück  an  mich  gebunden 

Und  ihre  Liebe  größer  allezeit, 

Als  sich  ihr  Herz  auf  einmal  von  mir  wandte 

Und  neu  in  Glut  für  einen  andren  brannte. 

50.  Gleichzeitig  —  spät  erkannt'  ich's  —  war  das  Lieben 
Und  Ninunerlieben  ihrem  Flattcrsinn: 

Als  ich  zwei  Monde  war  im  Land  geblieben, 
Schloß  einen  neuen  Bund  die  Buhlerin. 
Mich  hat  sie  schmähüch  von  sich  fort  getrieben; 
All  ihre  Gunst  und  Huld  war  nun  dahin. 
Behandelt  hatte  sie  mit  gleichem  Spiele, 
Hört'  ich,  ohn'  Anlaß,  schon  der  Buhlen  viele. 

51.  Zögen  die  Abgesetzten  nun  von  dannen. 
So  hörte  ja  die  Welt  den  argen  Brauch, 
Drum  werden  sie  verwandelt  hier  in  Tannen, 
Ölbäume  oder  Palmen,  Zedern  auch. 

Und  wieder  andre  läßt  sie  grausam  bannen, 
We  mich  du  siehst,  in  grünen  Myrtenstrauch, 
In  QueUen  andre  oder  wilde  Tiere, 
Wie's  grad  der  Zaubrin  paßt,  im  Waldreviere. 


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SECHSTER  GESANG 


52.  Da  aber,  der  auf  ungewohnten  Wegen, 
Herr,  in  dies  UnglückseUand  dringst  herein, 
Daß  iigendein  Galan  um  deinetwegen 
Verwandelt  werd'  in  Wasser  oder  Stein, 
Nimm  Reich  und  Zepter  eine  Weil'  entgegen, 
Um  mdir  als  aBe  Menschen  froh  ta  sein; 
Allein  auch  du  trittst  dann  auf  alle  Fälle 

In  Holz,  in  Fels,  in  Tier  ein  oder  Quelle. 

53.  Ich  habe  gerne  dir  Bescheid  gegeben, 

Wenn*s  auch  nicht  grad  von  Nutzen  für  dich  ist; 
Gut  ist  es  stets,  gewarnt  voranzustreben: 
Denk,  daß  du  nun  des  Brauches  kundig  bist. 

Wenn  das  Gesicht  verschieden  ist  im  Leben, 
Mag  auch  Verstand  verschieden  sein  und  List: 
Dem  Schaden,  den  die  andern  nicht  vermieden, 
Vielleicht  ist  ihm  zu  trotzen  dir  beschieden.'* 

54.  Roger,  dem  Astolf,  seiner  Dame  Vetter, 

Schon  längst  bekannt  vom  Hörensagen  war. 

Betrübte  sich,  als  er  in  Holz  und  Blätter 
Ein  Antlitz  sah  verwandelt  ganz  und  gar. 
Und  Bradamant  zuliebe  gerne  hätt'  er 
(Wär'  ihm  dabei  das  Wie  nur  offenbar!) 
Thm  Beistand  hier  geleistet;  doch  zur  Stunde 
Könnt'  er  nichts  tun  als  trösten  mit  dem  Munde. 

55.  Er  tat's  nach  Kräften,  um  sodann  zu  fragen. 

Ob  nicht  ein  Weg  —  durch  Tal,  durch  Berge  —  sei 

Zum  Reiche  Logistillas  einzuschlagen, 

Am  Lande  der  Alcina  hübsch  vorbei. 

Wohl  gab'  es  den,  hört'  er  die  Myrte  sagen. 

Doch  nur  durch  eine  stein 'ge  Wüstenei; 

Ein  wenig  rechtshin  mög'  er  sich  bewegen. 

Aufwärts,  dem  Aipengipfel  dann  entgegen. 


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SECHSTER  GESANG 


119 


56.  Doch  leicht  geschah'  es,  daß  Ge&hr  ihm  drohte, 
ZQg'  er  auf  diesem  einen  Wege  fort; 

Denn  wilde  Menschen,  rechte  Schlagetote, 

Und  eine  böse  Sippschaft  hausen  dort. 
Sie  stehn  der  Fee  statt  Mauern  zu  Gebote, 
Wenn  einer  fliehen  wolle  von  dem  Ort. 
Roger  hat  seinen  Dank  dem  Baum  entrichtet 
Und  scheidet  dann,  belehrt  und  unterrichtet. 

57.  Er  geht  zum  Pferd,  löst  es  und  nimmt  die  Zügel, 
Geht  selbst  zu  Fuß,  das  Roß  trabt  hinten  sacht. 
Denn  nicht  wie  früher  steigt  er  in  die  Bügel: 
Leicht  hätt'  es  ihn  zu  anderm  Ort  gebracht. 

Auf  sichren  Wegen  über  Tal  und  Hügel 
Dem  Reiche  dort  zu  nahn  ist  er  bedacht. 
Und  fest  vor  Augen  hat  er  eins  vor  allen: 
Nicht  in  die  Macht  der  Zaubrerin  zu  fallen. 

58.  Er  dachte  freilich  sich  aufs  Roß  zu  schwingen 
Zu  neuem  Ritte  durch  das  Luftrevier, 

Doch  könnte  dies  ihm  größres  Übel  bringen. 
Denn  allzu  störrisch  war  das  Flügeltier. 
„So  werd'  ich  mit  Gewalt  das  Ding  eizwingen". 
Sprach  er  bei  sich  —  doch  anders  kam  es  hier. 
Zwei  Meilen  weit  kaum  ging  er  an  der  Küste, 
Als  ihn  die  schöne  Stadt  Äldnens  grüßte. 

59.  Fem  sieht  er  eine  lange  Mauer  scheinen, 
Die  in  der  Runde  vieles  Land  umspannt; 
Sie  will  an  Höh'  dem  Himmel  sich  vereinen 
Und  ist  aus  Gold  von  imten  bis  zum  Rand. 
Wenn  jemand,  andrer  Ansicht  als  der  meinen. 
Es  Messing  nennt  —  ob  minder  sein  Verstand, 
Ob  mehr  als  mir  ihm  die  Minerva  hold  ist  — , 
Weil  es  so  glänzt,  behaupt'  ich,  daß  es  Gold  ist. 


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120 


SECHSTER  GESANG 


60.  Als  Roger  näherkommt  der  großen  Mauer, 
Der  in  der  Welt  der  erste  Platz  gebührt. 
Läßt  er  den  breiten  Weg,  der  in  genauer 
Gerader  Richtung  zu  den  Toren  führt; 
Rechts  strebt  der  sichre  Pfad  empor  an  rauher 
Felswand:  er  ist  es,  den  der  Held  erkürt. 
Bald  aber  tauchen  auf  die  Waldgesellen, 

Die  sich  mit  Wüten  in  den        ihm  steDeo. 

61.  Nie  sah  man  noch  so  wunderliche  Fxatsen, 
Bildungen  seltsam,  scheußlich  und  verzwickt: 
Köpfe  von  Affen  hier  imd  dort  von  Katzen, 
Abwärts  vom  Hals  man  Menschenleib  erblickt 
Bocksfüfie  stampfen  hier,  dort  Bärentatzen, 
Kentauren  gibt  es,  hurtig  und  geschickt, 
Und  Burschen  frech  und  stumpfe  alte  Leute, 
Die  nackt,  die  greulich  eingehüllt  in  Häute. 

62.  Der  reitet,  zügellos,  gleich  Blitzesstrahle, 
Langsam  auf  Ochs  und  Esel  dort  ein  Paar; 
Der  qnringt  auf  den  Kentaur  mit  einem  Male, 
Und  viele  reiten  Kranich,  Straufi  und  Aar; 
Der  setzt  ein  Horn  ans  Maul,  der  eine  Schale, 
Hier  ist  ein  Mann,  hier  Frau,  hier  beides  gar. 
Der  trägt  den  Haken,  der  die  Leiterseile, 
Stemmeisen  jener,  der  die  stille  Feile. 

63.  Dickbaddg  kam  ihr  Hauptmann  angeritten. 
Dem  war  als  Zier  ein  fetter  Wanst  gesdienkt; 
Er  saß  auf  einer  SchildkrÖt'  in  der  Ifitten, 
Die  gar  bedächtig  ihre  Schritte  lenkt'. 

Zwei,  rechts  und  links,  um  ihn  zu  halten,  schritten: 

Er  war  berauscht  und  trug  den  Kopf  gesenkt; 
Einer  hat  Stirn  und  Kinn  ihm  abzuwischen, 
Einer  muß  fächeln,  um  ihn  zu  erfrischen. 


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SECHSTER  GESANG 


121 


64.  Ein  Ungetüm  mit  MenscfaenfoB  mid  -leibe. 
Doch  Hundehals  und  -ohr  und  -schädelstück, 
Bellt  gegen  Roger  an  und  meint,  es  treibe 
Ihn  zu  der  schönen  Zaubeistadt  zurück. 

Da  ruft  der  Kitter:  »»Nimmermehr,  ich  bleibe« 
Solange  dies  noch  mein  zum  guten  Glückt" 
Und  zeigt  sein  gutes  Schwert  und  droht  dem  Wichte, 
Die  Spitze  scliarf  vor  dessen  Angesiebte. 

65.  Nun  eilt  der  Unhold,  seinen  Speer  zu  schwingen. 
Doch  plötzfich  stürzt  der  Ritter  auf  ihn  los. 

Und  in  den  Wanst  läßt  er  das  Eisen  dringen, 

Heraus  zum  Rücken  ragt  es  händegroß. 

Den  Schild  am  Arm  will  Roger  vorwärts  springen  — 

Ja,  hätt'  er  Raum  sich  zu  bewegen  bloß! 

Der  sticht  ihn  vom,  der  fällt  ihm  in  den  Rücken  — 

Er  wehrt  sich  wild,  schlägt  alles  nngs  in  Stücken. 

66.  Durchschnitten  bis  zum  Maul  muß  der  erkalten, 
Zerhaun  liegt  jener  bis  aufs  Brustgebein, 
Denn  alles  mag  die  gute  Klinge  spalten, 

Helm,  Schild  und  Panzer  haut  sie  kurz  und  klein. 
Doch  wird  der  Held  so  eingeengt  gehalten, 
Daß,  fortzuscheuchen  all  der  Feinde  Reihn 
Und  Raum  zu  schaffen  im  verruchten  Schwarme, 
Mehr  nötig  waren  als  Biiareus'  Anne. 

67.  Ja,  wenn  des  Schilds  er  jetzt  gedenken  wollte, 
Des  herrhchen  vom  alten  Nekromant! 

Der  Blendung  gab,  wenn  man  das  Tuch  entrollte, 
Und  den  am  Sattel  ließ  des  Atlas  Hand! 
Wie  rasch  er  das  Gesindel  zwingen  sollte  1 
Bünd  würden  alle  stürzen  miteinandl 
Vielleicht  war  grade  dies  ihm  widerwärtig: 
Kraft  bringe,  nicht  Betrug,  die  Siegtat  fertig! 


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122  SECHSTERGESANG 


68.  Sei's,  wie  es  sei»  er  hat  sich  Tod  geschworen. 
Müßt'  er  so  niedrea  Volks  Gekogner  sein  — 
Doch  sieh,  da  kommen  aus  der  Mauer  Toren 
(Hell  leuchtend,  wie  gesagt,  in  Goldes  Schein) 
Zwd  Mägdlein  hold,  voH  Anstand  auserkoren. 
Auch  nach  der  Kleidung  hochgestellt  und  fein; 
Erwachsen  nicht  in  diirft'ger  Hirtenklause, 
Nein,  wonniglich  in  stolzem  Königshause. 

69.  Auf  dnem  Einhorn  weiß  wie  Hermeime 
Gelagert  heide,  zogen  sie  heran. 

So  reich  geschmückt  und  von  so  holder  Miene, 

Fremdartig  hoheitsvoll,  dafi  emem  Mann 

Es  Aufgab'  eines  Götterauges  schiene, 

Zu  sagen,  welche  hier  den  Preis  gewann. 

Wenn  Reiz  und  Schönheit  jemals  leibhaft  walten 

Und  Anmut,  wär's  in  diesen  Huldgestalten. 

70.  Wie  beide  zu  der  Wiese  nun  gelangen. 
Wo  Roger  im  Gedräng  des  Haufens  stand 

(Der  Schwann  war  rasch  auf  und  davon  gegangen). 

Da  boten  sie  dem  Ritter  fein  die  Hand. 

Ihm  färbten  rosenrot  sich  jetzt  die  Wangen, 

Als  für  die  Huld  er  Dankesworte  fand. 

Dann,  ihnen  einen  \\'unsch  nicht  zu  ver^'ehren, 

Wilhgt  er  ein,  zum  Tor  zurückzukehren. 

71.  Zum  Schmuck  des  Architraves  sich  vereinen 

—  Überm  Portal  ragt  er  ein  wenig  vor  — 
Endlose  Zahl  von  seltnen  Edelsteinen, 
Wie  nur  das  Morgenland  sie  bringt  hervor. 
Ans  eitel  Demant  dicke  Säulen  scheinen. 
Die  an  vier  Seiten  tragen  dieses  Tor. 
Ob  das  nun  unecht  oder  ob  es  echt  ist. 
Für  höchste  Augenlust  es  just  so  recht  ist. 


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SECHST  I  -  K    r,  E  S  A  N  G 


123 


72.  Über  die  Schwelle  hm  und  Säulenhallen 
Gehn  üpp'ge  Mädchen  scheizend  aus  und  ein; 
Wollt'  ihnen  Züchtigkeit  nur  mehr  gefallen. 

So  könnten  sie  vielleicht  noch  schöner  sein. 
Grünfarbne  Kleider  sieht  man  schier  an  allen, 
Die  Häupter  tragen  frische  Kränzelein. 
Entgegenkommend,  nett  in  jeder  Weise, 
Führen  sie  Roger  nach  dem  Paradeise. 

73.  Denn  also  kann  man  wohl  den  Ort  begrüßen. 

Wo  Amor,  mein'  ich,  seine  Heimat  hat; 

Und  Tanz  und  Spiel  der  Stunden  Flucht  versüßen. 

Der  frohen  Feste  wird  man  niemals  satt. 

Grauhaar 'ge  Weisheit  und  der  Wunsch  zu  büßen  — 

Die  haben  in  den  Herzen  keine  Statt. 

Nicht  Mangel  naht  hier  mit  den  leeren  Händen, 

Nur  Überfluß  will  stets  sein  Füllhorn  spenden. 

74.  Hier,  mit  der  Stime  heiter  stets  und  helle. 
Für  ewig,  scheint's,  lacht  lieblicher  April, 
Sind  Jüngünge  und  Frauen;  nah  der  Quelle 
Süßinnig  der  sein  Liedchen  singen  will; 

Der  unterm  Baimn,  am  Berg,  an  schattiger  Stelle 
Spielt  oder  tanzt,  vergnügt  Mrohl  auch  sich  still; 
Und  der,  den  andern  fem,  vertraut  dem  Hersen 
Des  Freundes  seines  Liebesleides  Schmensen. 

75.  Wo  Buchen  hoch  und  Pinien wipfel  wiegen, 
Und  bei  dem  Lorbeer  strupp'ge  Tannen  stehn. 
Hold  tändelnd  junge  Liebesgötter  fliegen: 
Der  hat  ein  Herz  für  seinen  Pfeil  ersehn. 
Und  jener  triumphiert  nach  schnellen  Siegen; 
Der  zielt,  und  diesen  sieht  man  Schlingen  drehn; 
Im  Bach  Geschosse  härtet  jener  Kleine, 

Und  der  da  spitzt  sie  zu  auf  glattem  Steine. 


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124  SECHSTERGESANG 


76.  Man  führt  für  Roger  einen  fetuig  flinken, 
Gewalt'gen  Hengst  —  ein  Braoner  ist's  —  herbei; 
An  dem  Geschirre  Prachtjuwelen  blinken 

Und  pures  Gold  in  schöner  Stickerei. 
Und  einen  Knaben  hden  sie  durch  Winken, 
DaB  er  des  Flügeltieres  Hüter  sei; 
Hinter  dem  Helden,  mit  geringrer  Eile, 
Am  Zaum  gehalten,  trabt  es  alleweile. 

77.  Die  beiden  Holden,  die  entweichen  machten 
Den  wilden  Haufen  dort  am  Beigesrand 
Und  Ungetüme,  die  den  Weg  bewachten. 
Der  rechts  hin  weiterführte  diuch  das  Land, 
Sie  sprachen:  „Edler  Ritter,  die  vollbrachten 
Großtaten  deines  Arms  sind  uns  bekannt; 
Drum  bringen  wir  die  Bitte  dir  entgegen, 
Auch  uns  jetzt  beizustehn  mit  deinem  Degen. 

78.  In  zwei  getremate  Teile,  wirst  du  sehen. 
Scheidet  die  Eime  hier  ein  sumpf 'ger  Spalt; 
Dort  pflegt  das  Weib  Eriphyle  zu  stehen 
Und  sperrt  da  stets  mit  Tücke  und  Gewalt 
Die  Brücke  allen,  die  hinübergehen; 

Und  eine  Riesin  ist  sie  von  Gestalt, 

Mit  langen  Zähnen,  gift'gem  Biß  und  Tatzen, 

Scharfen,  die  ganz  wie  Bärenklauen  kratzen. 

79.  Und  dieses  nicht  allein  muß  uns  empören. 
Daß  sie  gesperrt  die  freie  Straße  hält; 
Auch  in  den  Garten  läuft  sie,  zu  zerstören 
Bald  dies,  bald  das,  was  in  die  Hand  ihr  fällt. 
Und  denk,  als  Kinder  viele  ihr  gehören 

Vom  Schwann,  der  dir  sich  in  den  Weg  gestellt. 
Ihr  folgen  alle,  sind  gleich  ihr  abscheulich, 
Ungastlich,  räuberisch,  kurzum  ganz  greulich." 


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SECHSTER  GESANG 


125 


80.  Sprach  Roger:  „Nicht,  daß  eine  Schlacht  ich  schlage. 
Nein,  hundert  möchte  ich  für  euch  bestehn. 

Ich  und  was  Gutes  nur  man  von  nur  sage, 
Soll,  wie  ihr  wollt,  euch  ganz  zu  Diensten  stehn; 
Wenn  ich  als  Ritter  Schien'  und  Harnisch  tiage. 
Will  ich  nicht  Geld  und  Gut  errungen  sehn. 
Nein,  lediglich  den  andern  Beistand  leisten 
Und  schönen  Frauen  so  wie  euch  am  meisten.*' 

81.  Wie  sich's  geziemt  genüber  hohem  Degen, 
Ward  jetzt  anmut'ger  Dank  ihm  ausgedrückt; 
So  plaudernd  gingen  sie  dem  Ort  entgegen: 
Sie  fanden  dort  die  Ufer  überbrückt. 

Schon  sahen  sie  das  Mannweib  sich  bewegen 
In  goidner  Rüstung,  edelsteingeschmückt. 
Ob  Roger  hat  mit  dieser  angebunden. 
Das  wird  im  nächsten  Sange  vorgefunden. 


SIEBENTER  GESANG 

1.  Wer  weit  von  Hause  geht,  begegnet  Dingen 
Verschieden  vom  Gewohnten  ganz  und  gar. 
Und  Glauben  findet  er  daheim  geringen; 
Ein  Lügner  heißt  er,  aller  Wahrheit  bar. 

Denn  weiter  kann's  das  dumme  Volk  nicht  bringen, 
Sieht  es  nicht  selber  alles  klipp  und  klar. 
Unwissenheit  wird  jetzt,  besorg'  ich^  bange. 
Auch  wenig  Glauben  schenken  meineni  Sange. 

2.  Ob  sie  mir  Glauben  schenken  oder  keinen, 
Mir  gilt  der  dummen  Leute  Meinung  gleich; 
Euch,  weiß  ich,  Herr,  wird's  Lüge  nicht  erscheinen, 
Ihr  seid  an  Weisheit  und  Verständnis  reich. 

All  meine  Kraft  will  ich  dahin  vereinen, 
Daß  Euch  geialle  meines  Schaffens  Reich. 
Zur  Brücke  nun,  wohin  ich  grad  Euch  brachte. 
An  der  Eriphyle  voll  Glimme  wachte. 

3.  Zu  feinen  Panzers  Schmuck  hat  sie  genommen 
Buntfarbig  glänzend  herrhches  Gestein: 
Smaragden  grün,  und  rot  Rubinen  glommen. 
Dann  wieder  Chrysolith  mit  gelbem  Schein. 

Sie  war  beritten  —  nicht  zu  Pferd  —  gekommen: 
Statt  dessen  muß  dn  Wolf  ihr  Schlachtroß  sein. 
Ein  Wolf  ihr  Scfalachtroß  an  des  Wassers  Rande, 
Ifiit  Sattelzeug,  wie's  keiner  kennt  im  Lande. 


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SIEBENTER  GESAKG  127 


4.  So  großen  gibt's  nicht  in  Apuliens  Auen, 

Hoch  wie  ein  Stier,  die  Knochen  stark  und  fest; 
Kein  Zügel,  dran  des  Rachens  Zähne  kauen; 
Weiß  selber  nicht,  wie  er  sich  lenken  läßt. 
Ein  Kleid  von  sand'ger  Farbe  ist  zu  schauen 
Über  dem  Harnisch  dieser  Höllenpest, 
Dem  ähnhch,  von  der  Farbe  abgesehen. 
Darin  Prälaten  jetzt  zu  Hofe  gehen. 

5.  Auf  ihrem  Helm  sitzt,  ebenso  im  Schilde, 
'ne  Kröte,  die  sich  giftgeschwollen  bläht. 
Die  Damen  zeigen  ihrem  Held  die  Wilde, 

Die  drüben,  kampfgerüstet,  schilt  und  schmäht 
Und  höhnend  sperrt  den  Eingang  ins  Gefilde, 
Wie  sie's  zu  tun  gewohnt  ist  früh  und  spät. 
Zurückzuweichen  schreiend  jetzt  gebeut  sie; 
Jung  Roger  nimmt  den  Speer  auf  und  bedräut  sie. 

6.  Ihm  sprengt  die  Riesin  kühn  und  rasch  entgegen; 
Spornend  den  Wolf,  sitzt  sie  im  Sattel  schwer; 
Er  sieht  sie  halben  Laufs  die  Lanze  legen  — 

Bei  ihrem  Nahn  erdröhnt  der  Grund  umher. 
Doch  nicht  vom  Feld  soll  sie  sich  fortbewegen. 
Denn  unterm  Helm  trifft  sie  des  Ritters  Speer 
So  wuchtig,  daß  die  ungeheuren  Glieder 
Sechs  Ellen  weit  nach  hinten  fallen  nieder. 

7.  Den  Kopf,  den  trotzigen,  ihr  abzuschlagen. 
Hat  nun  der  Hekl  bereits  das  Schwert  gezückt 
(Vollbringen  könnt'  er's,  ohne  was  zu  wagen; 
Im  Gras  ja  lag  sie,  schon  der  Welt  entrückt), 
Jedoch  »,Genug,"  hört  er  die  Damen  sagen, 
„Begnüge  dich,  daß  dir  der  Sieg  geglückt  I 
Steck'  ein  den  Degen,  ritterlicher  Streiter; 

Die  Brück'  ist  frei:  so  gehen  wir  denn  weiter I'* 


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128  SIEBBNTERGESAN6 


8.  Ifitten  durch  ein  Gehölz  am  Beigesiaiiie, 

Ein  wenig  rauh  und  mühsam  ging  die  Bahn; 
Nicht  eng  nur  war  der  Pfad  und  voller  Steine, 

Auch  kerzengrade  stieg  er  himmelan. 
Doch  oben,  bei  dem  Ausgang  aus  dem  Haine, 
Bald  einer  breiten  Wiesenflur  sie  nahn, 
Und  dort  vor  ihren  Augen  steht  der  beste 
Und  lieblichste  der  irdischen  Paläste. 

9.  Alcine  war  vorm  ersten  Tor  erschienen, 
Wo  sie  dem  Ritter  hold  entgegentrat 
Und  grüßte  ihn  mit  hoheitsvollen  Mienen, 
Umringt  von  ihres  Hofes  stolzem  Staat. 

Das  neigt  und  beugt  sich,  und  dem  Held  zu  dienen. 
Das  Menschenmögliche  ein  jeder  tat, 
An  Ehren  könnte  gar  nicht  mehr  geschehen. 
Und  ließe  sich  der  Herrgott  selber  sehen. 

IG.  Nicht  weil  an  Glanz  es  alles  überwindet, 
Muß  dieses  Schloß  weit  über  andern  stehn, 
Nein,  weil  man  hier  die  nettsten  Leute  findet. 
Die  feinsten,  artigsten,  die  man  kann  sehn. 
Und  die  ein  gleiches  Alter  hübsch  verbindet 
Und  Jugend,  Schönheit,  blühndes  Wohlergehn. 
Alcine  Königin  der  Huld  und  Wonn'  ist. 
Wie  über  alle  Sterne  schon  die  Sonn'  ist. 

II.  So  muß  das  Urbild  aller  Reize  p/cingen. 
Wie 's  zu  erfassen  sucht  des  Malers  Fleiß, 
Mit  blonden  Haaren,  schön  verschlungnen,  langen 
(So  leuchtet  nicht  des  Goldes  Strahlenkreis); 
Und  Uebhch  mischt  sich  auf  den  zarten  Wangen 
Der  Rosen  Rot  und  des  Ligusters  Weiß. 
Es  gleicht  die  heitre  Stirn  dem  Elfenbeine, 
Ist  keine  allzu  hohe  noch  zu  kleine. 


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SIBBBNTER  GESANG 


129 


12.  Unter  zwei  schwarzen,  allerfeinsten  Brauen 
Zwei  schwarze  Augen,  nein,  zwei  Sonnen  sind. 
Langsam  beweglich,  die  voll  Mitleid  schauen, 
Und  um  sie  scherzt  und  spielt  das  Flügelkind. 
Dort  leert  er  seinen  Köcher,  möcbt'  ich  trauen. 
Und  stiehlt  von  dort  die  Herzen  sich  geschwind. 
Dort  ins  Gesicht  senkt  sich  der  Nase  Adel  — 
Da  findet  selbst  der  Neid  nicht  einen  Tadel. 

13.  Darunter,  von  zwei  Tälern  klein  umschlossen, 
Das  Rot  des  Mündleins,  dem  Zinnober  gleich: 
Darin  zwei  Schnüre  Perlen,  glanzumgossen ; 

Die  zeigt  und  schließt  die  Lippe  schon  und  weich. 
Von  der  so  oft  die  holden  Worte  flössen. 
Die  jedes  Herz  ziehn  in  der  Liebe  Reich, 
Heimat  von  Schalkheit  und  von  süBem  Lachen, 
Die  uns  die  Welt  zum  Paradiese  machen. 

14.  Milch  ist  die  Brust,  der  Hals  Schnee,  frisch  gefallen. 
Breit  jene,  dieser  wie  ein  rundes  Band. 

Von  Elfenbein  zwd  herbe  Äpfel  wallen 
Hinauf,  hinab  gleichwie  die  Weil'  am  Strand, 
Wenn  Meer  und  Unde  Luft  in  Zwist  gefallen. 
Mehr  wird  dem  Aigns  selber  nicht  bekannt. 
Doch  meint  man,  was  man  sieht,  wird  wohl  sich  reimen 
Mit  jenem,  das  verborgen  im  geheimen. 

25.  Die  Arme  bieten  ganz  die  rechte  Weite, 

Es  zeigt  sich  oft  das  Händchen  weiß  und  fein. 
Länglich  gestreckt  und  nur  von  schmaler  Breite; 
Kdn  Knötchen  sichtbar  und  kdn  Aderletn! 

Zuletzt  stellt  diesen  Reizen  sich  zur  5>cite 

Das  liebe  Füßchen,  zierlich  rund  und  klein. 
Nie  wird  sich  dieser  Himmelsreize  Fülle 
Verbergen  lassen  unter  einer  Hülle. 

Arlott  1  9 


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130 


SIEBENTER  GESANG 


^l6.  Stets  spannt  ^ie  Schlingen,  jemand  einzufangen. 
Ob  sie  nun  geht,  ob.  singt  und  lacht  und  spricht: 
Kein  Wunder  ist's,  bleibt  Roger  darin  hangen, 
Ihm  hat  es  angetan  ihr  hold  Gesicht. 
Die  Warnung,  die  er  jüngst  erst  hat  empfangen 
Von  ihrer  List  und  Tücke,  nützt  ihm  nicht. 
Er  kann  sich's  einmal  nicht  begreiüich  machen. 
Daß  Trug  vereinbar  sei  mit  solchem  Lachen, 

17.  Er  glaubte  lieber,  daß  dort  an  der  Küste 
Astolf  um  eigne  Schuld  verwandelt  sei 
Und  er  darum  mit  Recht  so  schmerzUch  büßte 
Als  Undankbarer,  für  Verräterei, 
Auch  alles  dies  gesprochen  haben  müßte 
Aus  Räch'  und  Haß  in  eitel  Heuchelei; 
Und  Mißgunst  nur  und  Neid  hab'  ihn  bewogen 
Zu  seiner  Rede  —  alles  sei  erlogen. 

lö.  Aus  seinem  Herzen  ist  die  Maid  geschwunden. 
Die  schöne,  die  bisher  es  hat  bew^t; 
Durch  Zauber  hat  ihm,  was  er  einst  empfunden, 
Aldna  vom  Gedächtnis  fortgefegt; 
Ihr  Bild  allein  ist  ihm  in  diesen  Stunden 
Und  ihre  Liebe  nur  ihm  eingeprägt. 
Entschuldigung  drum  darf  man  Roger  gdnnen; 
Er  hat  nicht  treu  und  standhaft  bleiben  können. 

IQ.  Bei  Tische  fehlt,  die  Freude  zu  verschönen. 
Das  Spiel  von  Zithern,  Harfen,  Lauten  nie; 
Und  noch  von  vielen  andern  holden  Tönen 
Erbebt  die  Luft  in  süßer  Harmonie. 
Ein  kund'ger  Mund,  die  Wonne  recht  z\x  krönen. 
Preist  Liebeslust  in  Lied  und  Poesie, 
Und  mit  Erfindungen  und  Melodien 
Ruft  er  empor  wiUkommne  Phantasien. 


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SIEBENTER  GESANG 


131 


20.  Kann  sich  ein  Mahl  bei  Ninus  wohl,  dem  Zecher 
(Oder  wer  nach  ihm  kam  m  Ninivc),  >  ti>.ti 
Kann,  das  Kleopatra  gab  Romas  Rächer,  f^-^f^-*. 
Kann  irgend  eines  sich  veigkichcn  je  k  ..,  ( 
Dem  üpp'gen  Prunkmahl,  dran  vor  seinem  Becher 
Der  Paladin  saß  bei  der  Zauberfee  ?          > . 

Es  gibt  kein  solches  Mahl,  zurück  steht  jedes; 
Selbst,  wo  dem  Zeus  den  Trank  reicht  Gan3miedes. 

21.  Als  dann  die  Speisen  waren  abgetragen, 

Saß  man  im  Kreis  und  spielt'  ein  fröhlich  Spiel: 

Ein  jedes  mußt'  ins  Ohr  dem  andern  sagen 

Etwas  Geheimes,  wie  es  ihm  gefiel; 

Ist's  für  Verliebte  doch  ein  groß  ^Behagen, 

Liebe  gestehen  ohne  Zeugen  viel. 

Zuletzt  zu  dem  Beschluß  sie  sich  verbinden. 

In  dieser  Nacht  zusammen  sich  zu  finden. 

22.  Ein  Ende  wurdt»  bald  dem  Spiel  bereitet 

(So  früli  war's  für  gewöhnlich  noch  nicht  aus): 
Blutjunger  Pagen  Fackellicht  verbreitet 
Sich  bald  und  jagt  die  Finsternis  hinaus. 
Von  freundlichsten  Genossen  schön  geleitet. 
Trat  Roger  aus  dem  hohen  Saal  heraus. 
In  einer  Kammer,  schön  und  kühl  gehalten, 
—  Die  allerbeste  war  es  —  Ruh'  zu  halten. 

23.  Backwerk  und  guten  Feuerwein  b^;innen 
Sie  neu  zu  liieten,  wie  es  Brauch  im  Land, 
Dann,  tief  sich  neigend,  gehen  sie  von  hinnen. 
In  seine  Kammer  jeder,  wo  sie  stand. 

Auch  Roger  schlüpft  hinein  in  duft'ge  Linnen, 
Gewoben,  schien  es,  von  Arachnes  Hand, 
Doch  hält  er  weiter  noch,  in  frohem  Hoffen, 
Sie  nahn  zu  hören,  seine  Ohren  offen. 

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SIEBBNTBR  GBSANG 


24.  Mag  irgendwo  das  kleinste  sich  bewegen, 

Hebt  er  den  Kopf  und  denkt:  .Jetzt  ist  sie  nah!" 

Ermcint:  ,,Daregtsichs!"  — Ach,  nichts  will  sich  regen  l 

Aufseufzt  er  nun,  ein  Irrtum  war  es  ja! 

Jetzt  hebt  er  sich  vom  Bett,  der  Tür  entgegen. 

Und  blickt  hinaus  —  vergebens,  nichts  ist  da. 

Er  flucht  wohl  tausendmal  dem  Gang  der  Stunde: 

Sie  schleicht  doch  allzu  säumig  in  der  Runde  1 

25.  Oft  sagt  er  sich:  .Jetzt  ist  sie  schon  im  (iange!" 
Und  rechnet,  wie  viel  Schritt  es  mögen  sein. 

Bis  sie  von  ihrer  Schwell'  an  die  gelange, 

Die  sie  betreten  muß  zu  ihm  herein! 

So,  eh  die  Dame  kommt,  verfällt  er  bange 

In  die  verschiedensten  Phantasterein 

Und  fürchtet,  daß  ein  Hindernis  sich  finde. 

Das  ihm  die  Frucht  noch  aus  der  Hand  entwinde. 

26.  Nachdem  die  Fee  hat  lange  Zeit  verschwendet, 
Zu  duften  von  den  feinsten  Spezerein. 
Scheint's,  daß  im  Hause  die  Bewegung  endet. 
Und  aus  dem  Zimmer  schlüpft  sie  fort  allein. 
Und  auf  geheimem  Wege,  leise,  wendet 

Sie  sich  dahin,  wo  zwischen  Glück  und  Pein 
Der  Ritter  harrend  muß  die  Zeit  verbringen, 
In  dessen  Seele  Furcht  und  Hoffnung  ringen. 

27.  Kaum  daß  die  lächelnden,  die  hellen  Sonnen 
Astolis  Ersatzmann  in  der  Näh'  erschaut. 
Loht  es  in  Adern  wie  aus  Schwefeltonnen: 
Ihm  ist,  es  duld'  ihn  nicht  in  seiner  Haut. 
Bis  zu  den  Augen  hoch  im  Meer  der  Wonnen 
Schwimmt  er  ob  all  der  Dunge  süß  und  traut. 
Er  springt  vom  Lager:  ohn'  ihr  Zeit  zu  lassen. 
Sich  zu  entkleiden,  muß  er  sie  umfassen. 


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SIEBENTER  GESANG 


133 


28.  Wenn  sie  auch  weder  Reif  rock  trägt  noch  Mied^: 
Nichts  als  ein  leichter  Zindel  hüllt  sie  ein; 
Darunter  wallt  ein  Hemdchen  um  die  Glieder, 
Gewoben  weiß  wie  Schnee,  unsagbar  fein. 

Wie  Roger  sie  umarmt,  da  gleitet  nieder 
Der  Mantel,  und  der  Schleier  bleibt  allein. 
Der  deckt  nicht  mehr  vom  Reiz  der  Tadellosen, 
Als  Glas  verbiiigt  die  Lilien  und  die  ^osen. 

29.  Kein  Efeu  hält  den  Baum  so  fest  umschlossen» 
Um  den  er  sich  mit  zähen  Wurzeln  schlingt. 
Als  sich  umfahn  die  liebenden  Genossen: 

Ein  süßrer  Hauch  von  Mund  zu  Munde  dringt 
Als  Duft,  der  Indiens  Blumen  ist  entsprossen 
Oder  dem  Sand  von  Saba  sich  entringt. 
Wie  sie  genossen  —  fragt  sie  selbst  um  Kunde: 
Sie  haben  mehr  als  eine  Zung'  im  Munde. 

30.  Verhohlen  bUeben  —  oder  doch  so  galten  — 
Die  Dinge,  die  da  trieb  das  junge  Paar: 

Des  Mundes  Lippen  hübsch  gepreßt  2U  halten. 
Ein  Fehler  nie,  doch  oft  schon  Tugend  war. 
Für  Roger  alles  freundlich  zu  gestalten, 
Befliß  sich  eifrig  jene  schlaue  Schar. 
Ihm  neigt  sich  und  ihm  huldigt  jede  Miene, 
Denn  so  gefiel's  der  Hebenden  Alcine. 

31.  Fem  bleibt  dem  Liebesnest  nicht  ein  Behagen, 
Nicht  eine  Lust;  schier  alle  sind  sie  hier. 
Zwei-,  dreimal  täglich  frisch  Gewand  sie  tragen. 
Nach  dieser  bald  und  bald  nach  der  Manier. 

Stets  eilt  man  von  den  Festen  zu  Gelagen, 
Zu  Schauspiel,  Ringen,  Bädern.  Tanz.  Turnier. 
Man  liest  am  Quell,  in  schattig  kühlem  Grunde, 
Wie  Dichter  geben  von  der  Liebe  Kunde, 


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SIEBENTER  GESANG 


32.  Man  folgt  im  Tal,  in  fröhlichen  Gehegen 

Durclis  Hügelland  des  scheuen  Hasen  Lauf; 
Man  schreckt  mit  klugem  Hund  auf  Feldeswegen 
Dumme  Fasanen  unter  Lärmen  auf; 
Dann  geht  man,  im  Wacholderduft  zu  legen 
Leimrut'  und  Schhnge  für  der  Drosseln  Häuf  — 
Oder  man  holt  die  Angeln  und  die  Netze, 
Dem  Fisch  zu  stören  seine  stillen  Plätze. 

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33.  So  lebt  man  denn  in  Freuden  unermessen. 
Derweil  sich  abmühn  Karl  und  Agramant; 
Sie  wollen  wir  nun  auch  nicht  ganz  vergessen« 
So  wenig  wie  die  gute  Bradamant, 

Die  Tage  lang  voll  Kummer  unterdessen 
Den  Freund  beweint«  der  ihr  so  rasch  entschwand 
Und  vor  den  Augen  ward  davongetragen; 
Wohin  des  Weges,  weiß  sie  nicht  zu  sagen* 

34.  Vernehmt  von  ihr  zuerst  aus  meinem  Munde, 
Daß  sie  vergebens  suchte  tagelang 

Auf  offnen  Feldern  und  in  schatt'gem  Grunde, 
In  Dorf  und  Stadt,  im  Tal,  am  Bergeshang; 
Ach,  von  dem  Liebsten  ward  ihr  keine  Kunde, 
Der  allzu  weit  ja  sich  von  hinnen  schwang! 
Im  Mohrenheer  besucht  sie  Kriegerscharen, 
Doch  über  Roger  kann  sie  nichts  erfahren, 

35.  Befragt  tagtäghch  mehr  als  hundert  Streiter, 
Ohne  daß  jemals  sie  Bescheid  erhält; 

Von  Lagerplatz  zu  Lager  geht  sie  weiter. 

Durchsucht  nach  Roger  Hütten  und  Gezelt. 

Wohl  kann  ^e's  tun;  durch  Fußvolk  und  durch  Reiter 

Hinschreitet  sie,  sobald  es  ihr  gefällt: 

Hat  sie  den  Ring  nur  in  den  Mund  genonmien. 

Wird  sie  von  keinem  Menschen  wahi  genonmien. 


SIEBENTER  GESANG 


135 


36.  Er  lebt  noch,  glaubt  sie  —  glaubt  es  obn'  Bedenken: 
Denn  schwände  solch  ein  großer  Name  fort. 

Zu  hören  wär'  es  von  des  Indus  Bänken 
Bis  wo  die  Sonne  sucht  der  Ruhe  Port. 
Nur  weiß  sie  nicht  zu  sagen  noch  zu  denken, 
Wohin  er  ging;  betrübt  von  Ort  zu  Ort 
Geht  sie  und  sucht,  und  ihre  W'rggesellen 
Sind  Seufzer,  herbe  Pein  und  Tränenquellen. 

37.  Zurückgehn  will  sie,  hin,  wo  die  Gebeine 
Merhns  des  Weisen  jene  Grotte  hegt, 

Will  schreien  dort  so  lang  an  seinem  Steine« 
Bis  Mitleid  sich  im  kalten  Marmor  regt: 
Lebt  Roger?  Oder  ruht  er  schon  im  Schreine, 
Früh  vom  \Vrhängnis  in  das  Grab  gelegt? 
Dort  wird  es  kund  —  dann  läßt  sich  erst  beginnen« 
Was  man  als  besten  Ratschluß  mag  ersinnen. 

38.  Mit  diesem  Plane  sucht  sie  nun  die  Wege 
Nach  Pontier  hin  und  seiner  Waldesnacht, 
Wo  in  dem  düstren  beigigen  Gehege 

Des  Zaubrers  Stimme  noch  im  Grabe  wacht. 
Doch  jene  Magierin,  die  aUerw^ 
Auf  Bradamantes  AVoU&hrt  ist  bedacht, 
Sie  mein'  ich,  die  ihr  in  der  Felskapelle 
Gezdgt  hat  künftgen  Stammes  Wechselfölle» 

39.  Die  Zauberin  voll  Weisheit  und  voll  Güte, 
Die  Soige  trägt  um  diese  eine  bloß  — 
Daß  sie  vor  Ungemach  die  Ahnin  hüte 
Siegreicher  Hdden  imd  Heroen  groß. 
Verfolgt  ihr  Tun  und  Lassen  im  Gemüte 
Und  wirft  an  jedem  Tag  für  sie  das  Los. 
Wie  Roger  frei  ward  und  sich  dort  verrannte, 
Erfuhr  sie  so,  daß  sie  schon  alles  kannte. 


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136  S  T  T-  B  ]•  X  T  K  K    r,  K  c  A  X  G 


40.  Sie  sah  ihn  und  das  R06,  das  ungezäumte, 
Das  er  nicht  lenken  konnte,  ganz  genau» 
Wie  sie  durch  grause  P£ade,  nie  geträumte. 
Hinflogen  wdüün»  weit  durchs  Atherblau; 

Sie  weiß,  dafi  er  mit  Spiel  die  Zeit  versäumte. 
Weichlich  und  schwelgerisch,  bei  jener  Frau, 
Daß  er  den  Herrn  ganz  aus  dem  Sinn  verloren 
Und  Ehr'  und  Dame,  die  er  sich  erkoren. 

41.  So  hätte  in  der  Blüte  seiner  Jahre 

Sich  solcher  Held  verzehrt  in  Lässigkeit, 
Nicht  nur  den  Leib  bereitet  iür  die  Bahre, 
Nein,  auch  die  Seele  selbst  dem  Tod  geweiht; 
Und  jener  Duft,  der  einzig  bleibt,  der  wahre 
(Weil  alles  andre  schwindet  mit  der  Zeit) 
Und  der  uns  aus  dem  Grab  zieht  als  Heroen, 
Wäre  geschwächt,  vielleicht  auch  ganz  entflohen. 

42.  Doch  jene  Magierin,  die  mehr  beflissen 
Als  Roger  selber  seines  Heiles  schien, 

Denkt  durch  ein  Leben  hart  und  schmerzzerrissen 

Zur  Tugend  wider  Willen  ihn  zu  ziehn: 

Ein  guter  Arzt  muß  ja  zu  heilen  wissen 

Mit  Eisen,  Feuer,  gift'ger  Medizin; 

Ob  er  im  Anfang  quält  den  armen  Kranken, 

Er,  heilt  ihn  doch,  und  jener  wird  ihm  danken. 

43.  Sie  will  nicht,  daß  der  Held  zu  weich  sich  bette: 
Von  solcher  AffenHebe  ist  sie  frei; 

Atlas  sinnt  nur,  wie  er  das  Leben  rette. 
An  andres  denkt  er  kaum  so  nebenbei; 
Daß  er  auf  Ehr'  und  Ruhm  verzichtet  hätte. 
Wenn  Roger  vor  Gefahr  nur  sicher  sei; 
Kein  Jährlein  hätt'  er  vom  bequemen  Leben 
Für  allen 'Preis  der  Welt  dahingehen. 


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SIEBENTER  GESANG 


44.  Das  Waffenwerk  am  Hofe  zu  vergessen, 
Hätt'  er  ihn  dort  mm  Eiland  hingebracht, 

Und  durcli  Magie,  die  er  vollauf  besessen 
Und  trefflich  anzuwenden  war  bedacht, 
Alcine  auf  den  Ritter  ganz  versessen, 
Auch  solchen  Knoten  um  ihr  Herz  gemacht. 
Daß  nichts  ihn  lösen  könnt'  auf  dieser  Erden, 
Und  sollte  Roger  alt  wie  Nestor  werden. 

45.  Und  nun  zu  ihr,  die  alle  Zukunft  kannte! 
Vernehmet  denn:  in  kurzem  war  sie  dort. 
Geraden  Weges,  wo  ihr  Jkadamante 
Begegnen  mußte,  schritt  sie  weiter  fort: 
Als  auf  die  Magierin  ihr  Blick  sich  wandte, 
Zu  froher  Hoffnung  wird  die  Pein  sofort. 
Doch  Roger  sei  Alcinens  Gast,  die  Kunde 
Hört  jetzt  die  Anne  aus  der  Freundin  Munde. 

46.  Vom  Tode  fühlt  die  Jungfrau  sich  umfangen. 
Als  sie  erfährt,  wie  fem  ihr  Liebster  weilt, 
Und  Wolken  schwer  auf  ihrer  Liebe  hangen, 
Wenn  starke  Hilfe  nicht  zur  Rettung  eilt; 
Doch  Trost  bringt  nun  die  Magierin  der  Bangen 
Und  reicht  das  Pflaster,  das  die  Wunde  heilt:' 
In  wenig  Tagen  wird,  sie  kann's  beschwören. 
Nun  Roger  konmien  und  ihr  angehören. 

47.  „Versehen  bist  du",  sprach  sie,  „mit  .dem  Ringe, 
Vor  dem  der  Zauberspuk  verliert  die  Kraft; 

Ich  meine  wohl,  wenn  ich  dorthin  ihn  bringe. 
Wo  jetzt  Akine  all  dein  Glück  entrafft, 
DaB  ihren  Plan  zu  stören  mir  gelinge: 
Dein  süBer  Trost  wird  dir  herbeigeschafft. 
Ich  gehe,  wenn  des  Tages  Glut  verglommen, 
Nach  Indien  mit  dem  Morgenrot  zu  kommen." 


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SIEBENTER  GESANG 


48.  Des  weitem  legt  sie  dar,  worauf  sie  baute. 
Daß  glücken  möge  der  gefaßte  Plan 

Und,  aus  dem  weib'schen  Bann  befreit,  der  Traute 

Dem  Frankenlande  wieder  könne  nalm; 
Worauf  die  Maid  den  Ring  ihr  anvertraute. 
Sie  hätte  gern  viel  mehr  dazu  getan: 
Herzblut  und  Leben  %vürde  sie  verschenken, 
Um  Roger  auf  den  Rettungspfad  zu  lenken. 

49.  Sie  gibt  den  Ring  und  eilt,  sich  zu  empfelilen. 
Empfiehlt  ihr  auch  den  jungen  Ritter  fein, 
Noch  tausend  Grüße  läßt  sie  ihm  befehlen; 
Drauf  zur  Provence  schlägt  sie  die  Richtung  ein. 
Die  Magierin  \vill  andren  Weg  sich  wählen; 
Daß  sie  dafür  gesattelt  möge  sein, 

Ein  Roß  ihr  für  den  Abend  zu  Gebot  ist, 
Das  rabenschwarz,  an  einem  Fuß  nur  rot  ist. 

50.  War's  ein  Aichin,  den  sie  der  Holl'  entzogen? 
Ein  Farfarell?  Nicht  weiß  ich's  ^^elbst  fürwahr. 
Sie  schwang  sich  barfuß  in  den  Sattelbogen 
Und  gürtellos;  frei  wallt  ihr  offnes  Haar. 

Den  Ring  nahm  sie  vom  Finger  wohlerwogeo, 
Ihr  Zauber  wäre  sonst  der  Wirkimg  bar. 
Nun  gings  voran,  so  eilig,  daß  am  Morgen 
Sie  auf  dem  Inselland  sich  fand  geborgen. 

51.  Gleich  fing  sie  an,  sich  selbst  umzugestalten: 
Sie  wuchs  an  Höhe  eine  Spanne  weit; 
Entsprechend  daim  die  Glieder  sich  entfalten, 
Sie  werden  massiger  und  derb  und  breit: 

Jetzt  kaim  man  schon  sie  für  den  Zaubrer  halten. 
Der  solche  Liebe  Roger  hat  geweiht; 
Es  nmzelt  sich  die  Haut^  die.  Stirn,  die  Wangen, 
Von  denen  lange  Barteshaare  hangen. 


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SIEB  ENTER  GES  A  N  G  139 

52.  An  Zügen,  Worten  und  an  äußern  Zeichen 
Ihn  so  zu  treffen,  herrlich  sie  verstand, 

Um  ganz  und  gar  dem  Zauberer  zu  gleichen. 

Daraul  verbarg  sie  sich  und  stand  und  stand, 

Bis  sie  Alcine  sah  von  Roger  weichen 

Und  nun  den  JüngUng  ohne  Hexe  fand. 

Das  war  ein  Glück»  denn  ihren  Schatz  2a  meiden 

Auch  nur  ein  Stündchen,  konnte  die  nicht  leiden. 

53.  Den  frischen,  heitern  Morgen  zu  genießen, 
Ging  er,  wie  sie's  gewünscht,  dahin  allein, 
Wo  talwärts  eines  Bächleins  Wellen  fließen, 
Lieblich  und  klar,  in  einen  See  hinein. 

Er  atmet  Üppi^ceit:  den  Leib  umschUeBen 
Gewänder  kfistlich,  Stoffe  weich  und  fein. 
Die  ihm  Äkine,  zart  aus  Gold  und  Seide, 
Kunstvoll  mit  eignen  Händen  wob  zum  Kleide. 

54.  Ein  Halsschmuck,  herriich,  ganz  aus  reichen  Steinen, 
Ihm  tief  bis  auf  die  Brust  hemiederhing; 

Die  beiden  Arme  (männlich  gleich  den  Beinen) 
Mit  lichtem  Glanz  je  eine  Spang'  umfing; 
Die  Ohren  sind  durdibohrt  mit  zierlich  kleinen 
Goldfäden  in  der  Form  von  einem  Ring, 
Daran  zwei  große  Perlen  hangend  schweben. 
Wie  es  in  Indien  keine  hat  gegeben. 

55.  Vom  lock  gen  Haare  Wohlgerüche  kamen. 
Das  Kfistlidiste,  das  sich  nur  denken  läßt. 
Verweichlicht  schien  er,  wie  gewohnt,  den  Damen 
Zu  dienen  in  Valencia  beim  Fest. 

Gesund  an  ihm  war  nichts  bis  auf  den  Namen, 
Verdorben,  mehr  als  faul,  der  ganze  Rest. 
Also  der  Jüngling  seines  Weges  wandelt, 
Durch  Zauberkunst  im  Innersten  verwandelt. 


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SIEBENTER  GESANG 


56.  Mit  einem  Mal  tritt  ihm  die  Fee  entgegen: 
Sie  bietet  sich  dem  Aug*  als  Atlas  dar 

Und  weiß  den  würd'gen  Ausdruck  anzulegen, 
Den  Roger  stets  mit  Ehrfurcht  ward  gewahr; 
Unwiir  und  Zorn  im  dräunden  Bück  sich  regen, 
Der  ihm  als  Knaben  oft  so  furchtbar  war. 
Sie  sprach:  ,,Soll  Schweiß  und  Mühe  langer  Zeiten 
Mir  dieses  als  ersehnte  Frucht  bereiten? 

57.  Ließ  ich  mit  Leun-  und  Bärenmark  dich  laben 
Als  erster  Nahrung  für  die  Heldenbahn? 

Und  grausen  Schluchten  dich  und  Höhlengraben, 
Sclilangcn  zu  würgen,  schon  als  Kindlein  nahn, 
Dem  Panther,  Tiger  ihre  Klauen  gaben? 
Lebend'gem  Eber  nahmst  du  seinen  Zahn, 
Um  nach  der  besten  Zucht  auf  dieser  Erden 
Ein  Atys  und  Adon  der  Fee  zu  weiden? 

58.  Ist  das,  was  mir  die  Sterne  offenbarten? 
Die  heil'ge  Maserung,  die  Punkt-Figur, 
Orakel,  Traum,  Augiuien,  alle  Arten 
Von  Zeichen,  ausgespäht  in  der  Natur, 
Die  mir  seit  deiner  Kinderzeit,  der  zarten. 
Verhießen:  kämen  diese  Jahre  nur. 

Das  Allerhöchste  werdest  du  erreichen 
Durch  Waffentaten  völlig  ohnegldchen? 

59.  Fürwahr  der  herrlichste  Beginn  aui  Erden  I 
Ein  Alexander,  Juhus,  Sdpio, 

Das  seh'  ich  deutlich  — mußt  du  sicher  werden  1 
Wer  hatt'  —  o  wehl  —  geglaubt,  dich  jemals  so 
Zu  sehn  als  Sklav'  Aldnens  didi  gebärden? 
Und  daß  kein  Zweifel  sei  noch  iigendwo. 
Mußt  du  an  Hals  und  Ann  die  Kette  zeigen. 
Dran  sie  nach  Laune  führt,  wer  ganz  ihr  eigenl 


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SIEBENTER  GESANG 


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60.  Und  wenn  dvi  eigne  Ruhm  dich  nimmer  rühret, 
Nicht  die  von  Gott  dir  auferlegte  Tat, 

Was  raubst  du,  ach,  das  deinem  Stamm  gebühret, 
Das  Glück,  das  ich  verkündet  früh  und  spat? 
Was  schheßest  du,  den  Gott  für  dich  erküret. 
Den  Schoß,  der  tragen  soll  nach  seinem  Rat 
Heroenblut,  das  in  des  Ruhmes  Kränzen 
Einst  heller  als  die  Sonne  selbst  wird  glänzen? 

61.  Ü  gönne  doch  den  adeligsten  Seelen, 
Die  ewiger  Idee  entsprungen  sind, 

Von  2^it  zu  Zeit  sich  einen  Leib  zu  wählen. 
Der  da  in  dir  des  Stammes  W^urzel  find'! 
O  laß  der  Welt  nicht  tausend  Siege  fehlen. 
Womit,  nach  Leid  und  Schicksal  ungelind, 
Die  Söhn'  und  Enkel  einst  und  ihre  Erben 
Italiens  frühsten  Glanz  zuröckerwerbenl 

62.  Doch  dich  zu  weihn  dem  herrlichen  Beginnen, 
Brauchst  du  so  vieler  schdnen  Seelen  kaum. 
Die  glorreich,  unbesiegt  und  hoch  von  Sinnen 
Entblühen  sollen  deinem  reichen  Baum: 

Ein  einzig  Paar  schon  müßte  dich  gewinnen: 
Alfons  und  Hippolyt;  der  Eide  Raum 
Vermag  wie  sie  nur  wenige  zu  zeigen, 
Die  alle  Stufen  auf  zur  Größe  steigen. 

63.  Mehr  mußt'  ich  dir  von  diesen  beiden  sagen 
Als  von  den  andern  Deinen  miteinand; 
Teils  weil  an  Ruhm  sie  über  alle  ragen 

(So  hoch  an  Tugend  noch  kein  dritter  stand), 
Teils  weil  dir  selbst  sie  mehr  am  Herzen  lagen. 
Als  wen  ich  sonst  aus  deinem  Samen  fand: 
Dich  freute,  daß  dir  Enkel  werden  sollen, 
Heroen,  denen  Menschen  Ehrfurcht  zollen. 


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142  SIEBENTERGESANG 


64.  Was  hat  nun  die,  daß  Vorzug  sie  verdiene 
Vor  tausend  andern  Dirnen  dieser  Welt? 
Sie,  die  so  vielen  schon  war  Konkubine 
(Du  weißt,  wie  das  Beglücken  ihr  gefällt)? 
Damit  du  siehst,  wie's  stehe  mit  Alcine, 
Und  dir  vom  Aug'  des  Truges  Schleier  fällt, 
Den  Ring  am  Finger,  sollst  du  zu  ihi'  gehen; 
Wie  schön  sie  wirklich  ist,  wirst  du  dann  sehen." 

65.  Rüger  stand  schamerfüllt,  stumm  und  beklommen; 
Zu  Boden  schauend,  lang  kein  Wort  er  sprach. 
Sein  kleiner  Finger  hatte  hingenommen 

Mehssas  Ring,  da  ward  der  Jüngling  wach. 

Und  als  er  völlig  zu  sich  war  gekommen, 

Sah  er  sich  so  bedrängt  von  Schimpf  und  Schmach, 

Daß  er  versinken  möchte  tausend  £Uen, 

Um  keinem  vor  die  Augen  sich  zu  stellen. 

66.  Mit  eignen  Zügen,  als  ihr  Wort  verklungen. 
Die  Magierin  nun  plötzHch  vor  ihm  stand; 
Nachdem  der  Si^  so  glänzend  war  errungen, 
Atlas  zu  sein  sie  nicht  mehr  nötig  fand. 
Melissa  (was  mir  früher  nicht  gelungen 
Euch  mitzuteilen)  war  sie  zubenannt. 

Und  Roger  hörte  nun  aus  ihrem  Munde 
Von  dem,  was  her  sie  brachte,  treue  Kunde. 

67.  Wie  jene  von  so  großer  Lieb'  Entbrannte, 
Die  ihn  ersehnt,  nicht  von  ihm  lassen  kann. 
Ihn  aus  dem  Netz  zu  lösen,  sie  entsandte, 
Das,  ihn  zu  halten,  Zauberkunst  ersann; 
Wie  sie  des  Atlas  Ztige  dann  verwandte. 
Ihn  besser  zu  bcfrein  aus  jenem  Bann; 
Nun  aber,  da  Vernunft  zurückgekehrt  sei, 
Einsicht  in  alles  ihm  nicht  mehr  verwehrt  sei: 


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SIEBENTER  GESANG 


143 


68.  „Die  edle  Jungfrau,  dir  so  ganz  ergeben« 
Die  deiner  Liebe  also  würdig  ist, 

Der  du  verdankst,  in  Freiheit  jetzt  zu  leben. 
Von  ihr  gerettet  —  ob  du's  wohl  vergißt?  — , 
Schickt  diesen  Ring,  der  Zauberspuk  kann  heben. 
Sie  hält'  ihr  Herz  entsandt  zu  dieser  Frist, 
War'  in  dem  Herzen  jene  Kraft  erschienen. 
Wie  sie  der  Ring  hat/  deinem  Heil  zu  dienen." 

69.  Sie  zeigt  ihm,  welche  Liebe  stets  getragen 
.  Ihm  Bradamante  hat  imd  weiter  trägt. 

Und  weiß  den  Ton  des  Ix)blieds  anzuschlagen, 
Soweit  mit  Freundschaft  W  ahrheit  sich  verträgt. 
Auch  alles  dies  aufe  trefflichste  zu  sagen. 
Wie  kluger  Botin  wohl  ist  auferlegt. 
Und  macht  den  JungUng  derart  jene  hassen, 
Wie  böse  Dinge  nur  sich  hassen  lassen. 

70.  Ja,  hassen  —  mocht'  er  noch  so  sehr  sie  lieben 
Vor  dieser  Stunde;  staunet  nicht  fürwahr, 

DaB  Liebe,  ihm  durch  Zauber  eingetrieben. 
Sobald  der  Ring  erschien,  ohnmächtig  war. 
Auch  daß  ein  Schein  Aldnes  Reize  blieben. 
Erborgt  und  fremd,  es  ward  jetzt  offenbar. 
Nicht  eigen,  nein,  erborgt  vom  Fuß  zur  Sdiläfe: 
Die  Schönheit  schwand,  und  übrig  blieb  die  Hefe. 

71.  So  wie  em  Kind,  das  Früchte  ging  verwahren 
Und  dann  (wenn  es  vom  Platz  sich  wandte  fort) 
Vergißt,  wo  die  geliebten  Schätze  waren. 

Nach  langer  Zeit  zurückkommt  an  den  Ort 

Und  muß  verfault  nun  und  verschrumpft  gewahren, 
Verändert  ganz,  was  es  geborgen  d^rt, 
Und,  was  es  einst  bewundernd  hat  betrachtet, 
Jetzt  haßt,  verschmäht  und  wegwirft  und  verachtet  — 


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144 


SIEBEXTER  GESANG 


J2.  So  fand  der  Jungimg,  als  zurück  er  kehrte 
Zur  Fee.  wie  das  ihn  ja  Melissa  hieß 
(Mit  jenem  Ring,  der  allem  Zauber  wehrte. 
Solange  man  ihn  nur  am  Fmger  ließ). 
Nicht  jene  Schönheit  mehr,  die  heißbegehrte. 
Die  er  doch  erst  vor  kurzer  Zeit  verüeß. 
Vielmehr  ein  Weib,  so  alt,  verschrumpft  und  häßlich  — 
Nichts  auf  der  weiten  Welt  schien  ihm  so  graßbch. 

73.  Fahl,  runzlig,  dürr  und  \%-idrig  anzuschauen 

Im  Antlitz,  kaum  sechs  Spann  hoch,  stand  sie  da. 

Mit  borst  gen  Haaren,  spärlichen  und  grauen; 

Nicht  einen  einz'gen  Zahn  im  Mund  man  sah. 

So  alt  nicht  waren  jemals  Erdentraoen, 

Kumäs  Sibylle  nicht  und  Hekuba. 

Doch  Kunst,  uns  unbekannt,  war  ihr  su  eigen. 

Trotzdem  als  schon  und  lieblich  sidi  za  zeigen. 

74.  Ja,  lieblich  wußte  sie  sich  darzustellen 
Und  täuschte  schon  damit  der  Ritter  viel; 
Da  kam  der  Ring,  um  alles  aufzuhellen, 
Die  wahren  Karten  und  ihr  falsdies  Spiel. 

Kein  Wunder,  wenn  dem  Jungling  nach  der  schnellen 
Verwandlung  der  Gedanke  ganz  entfiel, 
Sie  noch  zu  lieben,  nun  er  sie  gefunden, 
Nachdem  ihr  alle  Zauberkraft  geschwunden. 

75.  Doch  ohne  nur  die  Wimper  zu  bewegen. 
Hielt  er  sich  ruhig,  nach  Melissas  Rat, 
Bis  sich  von  Kopf  zu  FuB  der  junge  Degen 
llit  allen  Waffen  wohl  gerüstet  hat 

Und  um  nicht  ihren  Arg\\'ohn  zu  erregen, 
Deucht  ihm  eni  bißchen  Heuchelei  probat: 
Ob  er  nicht  dick  geworden,  müss'  er  sehen 
Und  drum  ein  Weilchen  voll  gerüstet  gehen. 


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SIEBENTER  GESANG 


76.  Er  nimmt  die  scharfe  Balisarda,  bindet 
Sie  um,  es  ist  sein  gutes  Schwert  gemeint, 
Bei  der  zugleich  sich  jener  Schild  befmdet. 
Der  mit  der  Augcnblendung  dies  vereint. 
Daß  er  der  Seele  ihre  Kraft  entwindet 
Und  daß  sie  plötzlich  wie  betäubt  erscheint. 
Mit  Zindelstoff,  wie  immer»  ganz  umwunden, 
Trug  er  den  Schild  um  seinen  Hals  gebunden. 

77.  Im  Stalle  einem  Renner,  schwarz  wie  Raben, 
Legt'  er  den  Sattel  und  die  Zügel  an; 
Melissa  riet's;  sie  weiß  ja,  wie  er  traben 
Und  leichten  Laufes  pfeilschnell  fliegen  kann. 
Und  „Rabikan"  soll  er  als  Namen  haben; 
Den  Renner  hatte  mit  dem  Rittersmann, 
Den  jetzt  am  Meeresstrand  die  Winde  plagen, 
Der  Walfisch  einst  an  diesen  Ort  getragen. 

78.  Wohl  könnt'  er  auch  den  Hippogryphen  nehmen, 
Der  neben  Rabikan  gebunden  war; 

Doch  warnend  spricht  die  Fee:  „Das  Tier  zu  zähmen 
Ist  schwer,  unlenkbar  scheint  es  ganz  und  garl" 
Und  fugt  hinzu,  sie  wolle  sich  bequemen 
Zu  zeigen  —  und  am  nächsten  Tage  zwar  — 
(Dort,  wo  man  sich  die  rechte  Ruhe  gönne), 
Wie  man  ihn  zäumen  und  dann  lenken  könne« 

79.  Auch  werd'  er  also  nicht  Verdadit  erregen, 
DaB  er  den  Plan  geheimer  Flucht  gefaßt. 
Roger  tat  alles  dies  Melissas  wegen. 

Die  unsichtbar  ihm  beistand  ohne  Rast. 

Drauf,  sich  verstellend,  auf  verschwiegnen  Wegen 

Mied  er  der  Vettel  üppigen  Palast. 

Und  konnte  still  nach  einem  Tor  entweichen. 

Zum  rechten  W  eg  nach  Logistillas  Reichen. 


Ariott  I 


10 


X46 


SIEBENTER  GESANG 


80.  Urplötzlich  fiel  er  auf  die  Wächterscharen, 

Sein  gutes  Schwert  brach  ihm  die  blut'ge  Bahn: 

Und  jene  tot  und  die  verwundet  waren. 

Er  sprengte  von  der  Brücke  dann  bergan; 

Und  eh  Alcine  noch  die  Flucht  erfahren. 

War  eine  große  Strecke  schon  getan. 

Bald  hört  ihr,  welchen  Weg  er  eingeschlagen 

Zu  Logisti]!,  und  was  sich  zugetragen. 


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ACHp:ER  GESANG 


1.  Wie  viele  Zaubrer,  ach,  und  Zaubrerinnen 
Sind  unter  uns,  von  denen  man  nichts  weiß! 
Die  mit  Betrug  em  liebend  Heiz  gewmnra« 
Mit  falschem  Antlitz  schüren  Gluten  heiB! 
Sie  fördern  nicht  durch  Geister  ihr  Beginnen, 
Erkunden  nicht  der  Sterne  Lauf  mit  Fleiß, 
Derweil  sie  mit  Verstellung,  List  und  L%en 
Ums  Herz  die  Bande,  unzerreißbar,  fügen. 

2.  Wer  mit  dem  Zauberring,  vielmehr  dem  Ringe 
Der  Einsicht  stünde,  wohl  war'  ihm  verliehn, 
Bis  auf  den  Grund  zu  schauen,  weil  die  Dinge 
Nicht  Trug  und  Täuschung  hätten  mehr  für  ihn. 

Dann  zeigte  schlecht  sich  mancher  und  geringe, 
Der  da,  geschminkt,  ganz  schön  und  gut  erschien. 
Für  Roger  war's  ein  glückliches  Geschehen, 
Daß  ihn  der  Ring  ließ  also  Wahrheit  sehen. 

3.  Verstohlen  trabt  —  so  sagt'  ich  —  unser  Reiter 

Auf  seinem  Rabikan  zum  Tore  her: 
Nichts  ahnt  die  Wache,  und  der  junge  Streiter 
Fährt  unter  sie,  haut  um  sich  kreuz  und  quer, 
Zerschlägt  das  Brückentor  und  reitet  weiter 
(Den  läßt  er  tot  und  den  getroffen  schwer) 
Und  sprengt  zum  Wald,  als  ihm  auf  seinen  W^en 
Ein  Diener  der  Alcine  tritt  entgegen. 


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ACHTER  GESANG 


4.  Ein  Habicht  auf  der  Faust  gab  ihm  Geleite, 
BGt  dem  er  alle  Tage  jagen  ging. 

Bald  nah  dem  See,  bald  durch  des  Feldes  Weite, 
Wo  jederzeit  sich  etwas  Beute  fing; 
Der  Hund,  sein  Jagdgenoß,  trabt*  ihm  zur  Seite; 
Der  Klepper,  drauf  er  ritt,  war  nur  gering. 
Gleich  denkt  er  sich,  der  Kitter  woU'  entflidien. 
Als  er  so  rasch  ihn  sieht  des  Weges  ziehen. 

5.  Mit  drohnder  Miene  tritt  er  ihm  entgegen 
Und  fragt  ihn  barsch,  warum  er  eile  doch. 
Antworten  wollt'  ihm  nicht  der  gute  D^en; 
Das  macht  dem  Knecht  die  Flucht  gewisser  noch: 
Er  schickt  sich  an,  den  Weg  ihm  zu  verlegen, 
Und  spricht,  den  linken  Arm  erhoben  hoch: 
,,Was  meinst  du,  wenn  du  jetzt  dir  Ruhe  gönntest 
Und  diesem  Vogel  nicht  entfliehen  könntest?" 

6.  Auf  fliegt  der  Vogel,  regt  so  schnell  die  Flügel, 
Daß  Rabikan  nicht  seines  Siegs  gewiß. 
Herab  mm  springt  der  Jäger  aus  dem  Bügel 
Und  löst  dem  Renner  Zügel  und  Gebiß. 

Der  gleicht  dem  Wind  und  Blitz,  befreit  vom  Zügel, 
Furchtbar  durch  seine  Hufe  und  durch  Biß. 
Und  hinterdrein  muß  nun  der  Diener  jagen. 
So  schnell,  als  hätte  Feuer  ihn  am  Kragen. 

7.  Nun  will  der  Hund  auch  nicht  dahinten  bleiben: 
Mit  solcher  Hast  verfolgt  er  Rabikan, 

Wie  da  im  Wald  die  Panther  Hasen  treiben. 
Da  wandelt  Scham  zu  fliehn  den  Helden  an: 
Den  Mann  zu  Fuß  gilt  es  zuerst  vertreiben; 
Den  sieht  er  rüstig  mit  dem  Stecken  nahn, 
Von  ihm  gebraucht,  um  Hunde  abzurichten; 
Das  Schwert  zu  ziehn,  will  Roger  da  verzichten. 


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ACHTER  GESANG 


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8.  Der  Knecht  beginnt  mit  Kraft  den  Stock  zu  schwingen , 
Ins  linke  Bein  des  Ritters  beißt  der  Hund, 

Derweil  des  Kleppers  Hufe  Nöte  bringen, 

Der  dreimal  ausschlägt,  und  nach  rechts  jetzund. 

Der  Vogel  kreist  herum  in  tausend  Ringen, 

Und  seine  Klauen  schlagen  manche  Wund'; 

Auch  macht  sein  Schrei  des  Helden  Rappen  scheuen. 

Daß  Sporn  und  Zügel  ihn  umsonst  bedräuen. 

9.  Nun  doch  zum  Schwert  greift  Roger  in  der  Enge, 
Und  ob  des  Unfugs,  der  ihn  so  beschwert, 
Wird  auf  den  Kerl,  den  Hund,  des  Vogels  Fänge 
Der  Waffe  Schneid'  und  Spitze  jetzt  gekehrt. 

Der  Schwärm  bringt  immer  mehr  ihn  ins  Gedränge 
Und  hält  ihm  allerorts  den  Weg  verwehrt. 
Schon  sieht  der  Jüngling  Schimpf  und  Schaden  kom- 
Wird  nicht  das  Hindernis  bald  weggenommen,  [men, 

10.  Macht  man  ihm  nur  ein  Weilchen  noch  zu  schaffen. 
Hat  er  auf  Fersen  die  von  unten  all: 

Er  hört  den  Lärm  schon,  wie  sie  auf  sich  raffen, 
Den  Glocken-,  Trommel-  und  Trompetenschall. 
Jetzt  gegen  Hund  und  Bauer  ohne  Waffen 
Das  Schwert  ziehn,  war'  ein  zu  fataler  Fall; 
Eins  wird  den  Zweck  viel  kräftiger  erfüllen: 
Den  Zauberschild  des  Atlas  zu  enthBIlen. 

11.  So  ließ  er  frei  den  roten  Schleier  wallen. 
Der  viele  Tage  schon  den  Schild  umschlofi; 
Die  Wirkung  war  dieselbe  wie  bei  allen. 

In  deren  Augen  sich  das  licht  eigoß: 
BewnBtlos  aeht  er  gleich  den  Jager  fallen, 
Des  Vogels  Schwinge  ^t  wie  Hund  und  Roß; 
Nicht  in  der  Luft  mehr  kann  der  Habicht  schweben: 
Sie  liegen  da,  dem  Schlaf  dahingegeben. 


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150 


ACHTER  GESANG 


12.  Alane,  die  inzwischen  hat  erfehien. 

Daß  dem  geliebten  Hann  die  Flucht  gebückt 

Und  viele  tot  von  ihren  Wächterscharen, 

Fnhlt  bis  zum  Sterben  sich  vom  Schmerz  zersttickt. 

Zerreißt  die  Kleider,  wühlt  in  ihren  Haaren 

Und  schilt  sich  selber  töricht  und  verrückt. 

Dann  ruft  sie  rasch  das  Kriegsvolk  zu  den  Waffen, 

Den  flüchtgen  Ritter  ihr  herbeizuschaffen. 

15.  Zwei  Teile  macht  sie  und  entsendet  einen 
Auf  jenem  Wege,  drauf  der  Ritter  flieht; 
Am  Halen  muß  der  andre  sich  vereinen, 
Von  wo  zu  Schiff  er  in  die  Weite  zieht; 
Das  Meer  wird  schwarz  vor  all  den  Segehi  scheinen, 
Mit  denen  die  Verfolgung  jetzt  geschieht. 
Von  Sehnsucht  läßt  die  Fee  sich  so  erfassen. 
Daß  sie  die  Stadt  hat  ohne  Scliutz  gelassen. 

14.  Das  Schloß  sogar  war  völlig  ohne  Wachen, 

So  daß  Melissa,  die  auf  Lauer  stand, 

Die  leid  voll  dort  Gebannten  freizumachen 

Von  solcher  Tyrannei,  nun  leicht  es  fand, 

Mustrung  zu  halten  in  den  vielen  Sachen, 

Sorglich  zu  prüfen  jeden  Gegenstand, 

Siegel  zu  lösen,  Bilder  zu  verbrennen 

Und  Schlingen,  Knoten,  Schleifen  aufzutrennen. 

15.  Sie  eilt  hinaus  durch  Felder  und  durch  Haine 
Und  gibt  den  Liebenden,  auf  weiter  Flur 

In  Fels  verwandelt,  Holz,  Quell,  Tiere,  Steine, 

Zurück  die  alte  menschliche  Natur. 

Sie  folgten  (und  zwar  schleunig,  wie  ich  meine) 

Zu  Logistilla  Ritter  Rogers  Spur 

Und  kehrten  heim  sodann  zum  Gnechenstrande, 

Zum  Peiser-,  Skythen-  oder  Inderlande. 


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ACHTER  GESANG 


x6.  Sie  ziefan  nach  Haus,  entlassen  von  Melissen, 
Ifit  einer  Dankesschuld,  die  ewig  währt. 
Astolf  zuerst  war,  seinem  Baum  entrissen, 
In  menschlicher  Gestalt  zurückgekehrt. 
Blutsfreunde  haben,  für  sein  Wohl  beflissen. 
Mit  Roger  manches  Gute  ihm  beschert. 
Damit  die  Fee  noch  mehr  ihm  Hilfe  bringe, 
Beschenkt  sie  Roger  noch  mit  seinem  Ringe. 

17.  So  ließ  sie  denn  zurück  ins  Leben  führen 
Den  Paladin;  er  geht  wie  sonst  umher. 

Doch  mehr  wiU,  meint  Mehssa,  sich  gebühren. 
Jetzt  gilt  es  eins:  die  Waffen  müssen  her: 
Zimial,  der  aus  dem  Sattel  beim  Berühren 
Den  Gegner  schleudert,  jener  goldne  Speer 
Des  Argalia,  dann  des  Astolf  Lanze, 
Die  viel  in  Frankreich  tat  zu  beider  Glänze. 

18.  Melissa  wußte  diesen  Speer  zu  finden. 
Verborgen  von  der  Fee  im  Schlosse  hier. 

Und  was  der  Herzog  sonst  noch  sah  entschwinden 

Zuvor  in  diesem  übelen  Quartier; 

Bestieg  des  Zaubiers  Renner,  den  geschwinden, 

Gdnnt'  einen  Hätz  Herrn  Astolf  hinter  ihr: 

Vor  Roger  eine  Stunde  war  die  Weise 

Bei  Logistilla  schon  nach  schneller  Reise. 

19.  Der  Jüngling  ging  der  guten  Fee  entgegen 
Durch  Felsgestein  und  domiges  Gefild', 
Von  H5h'  zu  H^ien  und  von  St^  zu  St^en, 
Ungastlich  all  und  einsam,  lauh  und  wild. 
Bis  er  zuletzt  nach  mühevollen  Wegen 

In  Mittagsglut  auf  einem  Plane  hielt. 

Der,  frei  nach  Süden,  zwischen  Berg  und  Strand  war 

Und  öd  und  nackt,  unfruchtbar  und  verbrannt  war. 


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152 


A  C  fl  T  F  TR    G  E  S  A  X  G 


20.  Prall  liegt  die  Sonn'  auf  nahem  Htigelraine, 
Und  solche  Hitze  strSmt  das  Feld  entlang 

Und  macht  die  Luft  eigllttien,  Sand  und  Steine  — 

Glas  schmelzen  könnte  man  an  jenem  Hang; 

Reglos  im  Schatten  sitzen  Vögel,  kleine, 
Und  nur  der  Grill'  eintöniger  Gesang 
Betäubt  in  dichter  Sträucher  Laubgewimmel 
Die  Täler  und  die  Berge,  Meer  und  Himmel. 

21.  Auf  sandgem  Wege  mühsam  hinzureiten, 
Mit  Durst  nur  und  mit  Hitze  als  Genoß, 
Will  unserm  Ritter  wenig  Lust  bereiten, 
Und  Rogers  Ungemach  ist  wahrlich  groß. 
Doch  ziemt  es  nicht,  stets  einen  zu  begleiten. 
Von  einer  Sache  zu  erzählen  bloß, 

So  lassen  wir  jetzund  den  Helden  schwitzen 

Und  schaun:  wo  mag  Rinald  in  Schottland  sitzen? 

22.  Rinald  war  bei  dem  König  hochwillkommen. 
Auch  bei  der  Tochter  und  beim  ganzen  Land. 
Er  macht  den  Grund,  weshalb  er  hergekonunen. 
Sobald  ihm  Muße  wurde,  dort  bekannt: 

Gern  würde  Hilfe  von  ihm  mitgenommen 
Für  Karl,  aus  Schottland  und  aus  Engelland; 
Des  Kaiseis  Bitten  nicht  nur  zu  verkünden 
Wnßt  er,  nein,  auch  gewichtig  zu  begründen. 

23.  Der  König  zögert  nicht,  Bescheid  zu  sagen: 
Nach  KrsüEten  werd'  er  folgen  dem  B^ehr 
Und  immer  sich  zu  Reich  und  Kaiser  schlagen; 
Sein  Nutzen  heische  dies  und  auch  die  Ehr' ; 
Von  seinen  Reitern  soll'  in  wenig  Tagen 
Gewappnet  stehn  ein  möglichst  großes  Heer; 
Und  wär'  er  selbst  nicht  gar  so  hoch  an  Jahren, 
Als  Feldherr  würd'  er  mit  zu  Felde  fahren. 


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ACHTER  GESANG 


24.  Doch  auch  das  Alter  nicht  könnt'  ihn,  den  Alten, 

Zu  gehen  hindern,  wäre  nicht  sein  Sohn 
Besonders  würdig,  solchen  Amts  zu  walten, 
Stark,  ho(hl)egabt  und  aller  Tugend  Krön'! 
Und  würd'  er  jetzt  noch  fem  dem  Reich  gehalten. 
So  müss'  er  kommen  doch  beizeiten  schon. 
Um  jenen  vor  der  Fahrt  sich  zu  gesellen 
Und  an  des  Heeres  Spitze  sich  zu  stellen. 

25.  Schatzmeister  hat  der  Herrscher  in  die  Weite 
Nach  Pferden  und  nach  Mnnnscliaft  ausgesaadt. 
Kr  ließ  die  Schiffe  rüsten  vor  dem  Streite 

Und  eilig  sammeln  Geld  und  Proviant. 
Rinald  dann  gab  er  höflich  das  Geleite, 
Als  dieser  Abschied  nahm  nach  Engelland: 
Von  Berwick  erst  wollt'  er  nach  Hause  kehren; 
Er  hatte,  als  er  schied,  im  Auge  Zähren. 

26.  Rinald  steigt  ein,  wünscht  wohl  zu  leben  allen, 
Und  gtinst'gen  Windes  Hauch  die  Segel  bläht: 
Schon  ist  das  Tau  vom  Halteblock  gefallen. 
Und  flott  die  Fahrt  bis  hin  zur  Mundung  geht. 
Wo  salziger  der  Themse  Wogen  wallen. 

Die  Meeresflut  gerad  im  Wachsen  steht; 
Und  Wind  und  Ruderkraft  die  Schiffe  treiben. 
Bis  London  kommt  und  sie  vor  Anker  bleiben. 

27.  Von  Karl  und  Otto  war  Rinald  befohlen 
(Als  eingeschlossen  in  Paris  die  zwei). 

Zu  melden  an  den  Prinz  von  Wales  verstohlen 
Durch  Vollmacht  und  durch  Briefe  der  Kanzlei: 
Was  man  in  jener  Gegend  könne  holen, 
An  Pferd  und  Leuten,  rasch  zu  sanuneln  sei 
Und  übers  Meer  hin  nach  Calais  zu  schaffen, 
Zum  Heil  für  Kaiser  Karl  und  Frankreichs  Waffen. 


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I 


\  r  H  T  F  T?   C  F  s  \  X  n 


28.  Es  ehrt  der  Fdnz,  der  als  Regent  gelassen 
Am  Herrsdiersitz  von  König  Otto  war» 
Rinald  den  Helden  über  alle  Maßen 
Und  mehr  als  seinen  eignen  Herrn  sogär. 
So  ließ  er,  um  nichts  unerfüllt  zu  lassen. 
Entbieten  alle  waffenfäh'ge  Schar 
Britanniens  und  der  Inseln  in  der  Runde 
Zum  Meeresstrand  zur  festgesetzten  Stunde. 

29.  Bedenkt,  o  Herr,  in  Hnld,  daß  mein  Beginnen 

Dem  klugen  Saitenspieler  gleichen  soll: 

Er  läßt  die  Weisen  durcheinanderrinnen; 

Spielt  jetzt  in  Dur  und  gleich  darauf  in  Moll. 

Derweilen  nach  Kinald  ging  all  mein  Sinnen, 

Erscheint  Angelika  mir  vorwurfsvoll: 

Sie  hatte  durch  die  Flucht  sich  ihm  entwunden 

Und  jenen  Klausner  unterwegs  gefunden. 

30.  So  folgen  wir  ihr  jetzt,  wenn  auch  nicht  lange: 
Gesagt  hab'  ich,  wie  sie  in  Sorge  schwebt. 

Daß  sie  zum  Strand  des  Meeres  hingelange; 
Dies  zu  durchkreuzen  ist,  was  sie  erstrebt. 
Weil  vor  Rinaldo  ihr  zum  Sterben  bange. 
So  daß  sie  nie  im  Westen  ruhig  lebt. 
Allein  der  Klausner  sucht  sie  hinzuhalten: 
Bei  ihr  zu  sein,  behagte  diesem  Alten, 

31.  Dem  ihre  Schönheit  Herzensglut  entfachte: 
Ins  kalte  Mark  ein  Feuerfünkchen  dringt; 
Doch  als  er  merkte,  daß  sie  sein  nicht  achte. 
Und  daß  Ihm,  sie  zu  halten,  nicht  gelingt, 
Kam's,  daß  den  Esel  er  zu  spornen  dachte, 
Doch  ohne  daß  er  ihn  zur  Eile  bringt : 

Schritt  nur  ganz  wenig,  Trab  noch  wen'ger  geht  er. 
Und  sich  zu  strecken  ganz  und  gar  verschmäht  er. 


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ACHTER  GESANG 


32.  Das  Madchen  war  schon  weit  vorausgeritten; 
Als  er  heinah  schon  Ihre  Spur  verlor. 

Mußt  er  sich  Hilfe  von  der  HöU'  erbitten 
Und  lieB  Dämonen  kommen,  schier  ein  Korps. 

Drauf  wählt'  er  einen  aus  des  Schwarmes  Mitten 

Und  schrieb  ihm,  was  er  machen  solle,  vor. 
Er  muß  ins  Pferd  hinein  die  Straße  finden, 
Demi  auf  dem  Renner  will  sein  Herz  entschwmden. 

33.  So  wie  ein  Hund,  gewohnt  Im  Berg  zu  jagen. 
Wo  er  gar  oft  die  Füchs'  und  Hasen  hetzt, 

Sieht  er  nach  dieser  Seit'  ein  Wild  sich  schlagen. 
Nach  jener  geht,  die  Spur  geringe  schätzt 
Und  unversehns  die  Beute  hat  am  Kragen 
Und  ihr  den  Leib  aufreißt  und  sie  zerfetzt, 
So  muß  die  Dame,  wie  sie  auch  geritten. 
Begegnen  jedenfalls  des  Klausners  Schritten. 

34.  Ich  kann's  begreifen,  was  der  Kerl  noch  planet. 
Und  nenn'  Kiich  später  noch  des  Argen  Ziel, 
Angelika,  die  nichts  von  allem  ahnet, 

Ritt  Tag  für  Tag,  bald  wenig  und  bald  viel. 
Im  Pferd  der  Geist  sich  sacht  die  Wege  bahnet, 
Verboigen,  wie's  dem  Feuer  oft  gefiel. 
Bevor  es  aufloht  in  so  mächt 'gen  Flammen» 
Daß  nichts  es  löscht  und  alles  sinkt  zusammen« 

35.  Die  Jimgirau  wälilt  sich  ihren  Weg  am  Strande 
Des  Meers,  das  den  Gascognem  bietet  Giniß, 
Und  hält  den  Renner  dicht  am  Uferrande, 

Wo  Feuchtigkeit  gibt  festem  Grund  dem  FuB: 
Da  sieht  der  Geist  das  Rofi  hinweg  vom  Sande 
Ins  Wasser  tief,  daß  es  drin  schwimmen  muB. 
Die  Schöne  weiß  nicht  Rat  für  ihr  Verhalten, 
Als  nur  recht  fest  im  Sattel  sich  zu  halten. 


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ACHTER  GESANG 


36.  Sie  mag  die  Ziegel  ziehen  nach  Gefallen, 

Der  Hengst  drangt  weiter  nadi  der  Tiefe  vor: 
Aufwärts  muß  sie  das  Kleid  zusammenballen 

—  Sonst  taucht  es  ein  —  und  sieht  den  Fuß  empor; 
Über  die  Schultern  frei  die  Haare  wallen. 

Drin  lüstern  spielt  der  losen  Lüfte  Chor. 

In  stummer  Schau  die  größt-m  Winde  schweigen. 

Als  müßten  solcher  Schönheit  sie  sich  neigen. 

37.  Die  tränenfeuchten  schönen  Augen  flogen 

—  Vergebens,  ach  —  hinüber  nach  dem  Strand: 

Des  Ufers  Linien  fem  und  femer  zogen, 
UndeutUch  ward  es,  bis  es  ganz  verschwand. 
Da  tmg  der  Zelter  rechts  hin  durch  die  Wogen 
Die  Maid  nach  langer  Schwimmfahrt  an  das  Land, 
Das  düstrer  FeLs  und  Höhlen  furchtbar  machten. 
Derweil  es  mählich  schon  begann  zu  nachten. 

38.  Einsam  in  diese  Wüste  hier  verschlagen, 
Grausig  zu  sehen  schon  und  schauerlich, 
Zur  Stunde  just,  da  Phöbus  mit  dem  \\  agen, 
Fem  dunkler  Erd'  und  Luft,  ins  Meer  entwich. 
Da  bheb  sie  stehn  —  man  wußte  nicht  zu  sagen 
(Wenn  einer  sie  mit  Späherblick  beschlich). 

Ob  sie  ein  Menschenkind  aus  Fleisch  imd  Bein  sei, 
*  Ob  sie  ein  Bildwerk  aus  bemaltem  Stein  sei. 

39.  Die  Haare  wirr  und  fliegend  im  Genicke, 
Stand  regungslos  und  starr  die  junge  Maid, 
Sah  mit  geningnen  Händen,  trübem  Bhcke 

Und  stunmiem  Mund  zum  Himmel  still  und  weit. 
Als  klage  sie  dem  Lenker  der  Geschicke, 
Daß  er  ihr  nichts  gesandt  als  Weh  und  Leid, 
Stand  wie  betäubt,  nach  einer  Weil'  erschlossen 
Die  Lippen  sich  dem  Schmerz,  die  Augen  flössen. 


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ACHTER  GESANG 


157 


40.  Sie  sprach:  ,,Was  kannst  du,  Scliicksal,  wohl  noch  fin- 
Zu  siitt'gen  dich  an  mir,  zu  schänden  dich?  [den. 
Du  heßest  alles,  das  ich  hatte,  schwinden, 

Nur  nicht  mein  Leben ;  was  verschmähst  du  's  ?  Sprich  1 
Was  mußtest  du  dem  Meer  es  jetzt  entwinden. 
Verlängerst  meine  Tage  freventlich?  — 
Nur  daß,  bevor  der  Tod  mich  soll  erwählen, 
Noch  weiter  dir  veigönnt  sei,  mich  zu  quälen. 

41.  Zwar  Schlimmeres  vermagst  du  nicht  zu  bringen. 
Als  was  mir  Böses  schon  dein  Haß  ersann: 
Heimat  und  Thron  durch  dich  verlorengingen; 
Ach,  daß  ich  nie  sie  wiedersehen  kann! 

Das  Höchste  willst  du  mir,  die  Ehr'  entringen: 
Denn  focht  mich  Sünde  gleich  noch  niemals  an. 
So  mag  die  Welt  doch  sagen,  weil  ich  flüchtig 
Und  heimatlos,  so  sei  ich  auch  nicht  zQchtig. 

42.  Was  nützt  den  Mädchen  Gutes,  sprach  man  ihnen 
Die  Tugend  ab  und  rechte  Züchtigk^t? 

Jung  hin  ich,  ach,  und  vielen  schdn  erschienen; 
Sei's  wahr,  sei's  falsch,  mein  Fluch  ist's  allezeit. 
Zur  Freude  kann  das  Gottgeschenk  nicht  dienen. 
Denn  nur  von  ihm  ja  rührt  mein  ganzes  Leid, 
Und  auch  dem  Bruder  mußte  Tod  es  schaffen. 
Denn  wenig  halfen  ihm  die  Zauberwaffen. 

43.  Darum  war  einst  mein  Vater  Galafrone 
Verdrängt  vom  Tataricönig  Agrikan, 

Er,  dessen  Indien  war  und  Katais  Throne, 
Und  ich  bin  angelangt  auf  solcher  Bahn, 

Daß  ich  des  Nachts  an  andrer  Stätte  wohne 

Als  ta^s.  Freund',  Ehr'  und  (iut  sind  abgetan: 
Sprich ,  welchemSchmerz  noch  du  mich  aufbewahrt  hast, 
Nachdem  du  mir  bisher  kein  Leid  erspart  hast  ? ! 


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158  ACHTER  GESANG 


44.  Genügt's  dir  nicht,  im  Meer  mich  zu  ersticken, 
Ich  will  bereit  für  größre  Qualen  sein: 

Magst  eine  wilde  Bestie  zu  mir  schicken! 
Verschlingt  sie  mich,  so  endigt  meine  Pein. 
Bringt  sie  nur  Tod,  soll  Marter  mich  erquicken; 
Ich  will  dir  Dankbarkeit  für  Qualen  weihn." 
So  sprach  die  Jungfrau  unter  großem  Weinen 
Als  sie  den  Klausner  sali  vor  ihr  erscheinen. 

45,  Er  hatt'  hinabgebückt  vom  höchsten  Rande 
,  Turmhohen  Felsens  auf  AngeHka: 

Verwirrt  und  ganz  verzweifelt  dort  am  Strande 
Am  Fuß  der  Klippen  er  sie  stehen  sah. 
Ihn  trug  sechs  Tag'  vorher  zum  Küstenlande 
Ein  Dämon  (der  hat  schneHe  ja). 
Ifit  frommer  Bfien'  ihr  jetzt  entgegen  trat  er, 
We  Sankt  Hilazion  oder  sonst  ein  Pater. 

46,  Als  ihn  Angelika  sieht  näher  schleichen 

—  Sie  hat  ihn  nicht  erkannt  — ,  so  schöpft  sie  Mut, 
Die  schweren  Ängste  fühlt  ae  langsam  weichen. 
Bleibt  auch  die  Wange  jetzt  noch  ohne  Blut. 
^  spricht:  „Gar  üblen  Port  mußt'  ich  erreichen; 
Erbarme  dich,  nimm  mich  in  deine  Hutl" 
Und  schluchzend  gab  sie  und  mit  bleichem  Munde 
Von  dem,  was  ihm  gar  wohlbekannt  war,  Kunde. 

47.  Der  Klausner  spendet  biedern  Trost  der  Bangen 
Mit  schönen  frommen  Reden  allerhand, 

Und  auf  den  Busen  und  die  feuchten  Wangen 
er,  dieweil  er  spricht,  die  freche  Hand. 
Zum  Kuß  dann,  sichrer,  sucht  er  zu  gelangen, 
Doch  sie,  entrüstet,  leistet  Widerstand, 
Stößt  ihn  zurück,  als  ob  er  Unbill  böte, 
Und  in  das  Antlitz  steigt  ihr  keusche  Röte. 


ACHTER  GESANG 


48.  In  eine  Tasche  griff  er  auf  der  Stelle, 

Zog  draus  ein  Fläschchen  Flüssigkeit  hervor. 

Und  in  die  Augen,  die  als  Fackel  helle, 

Als  schönste  Leuchte  Amor  sich  erkor, 

Leichthin  ein  kleines  Tröpfchen  spritzt  er  schnelle. 

Davon  das  Augenlid  die  Kraft  verlor: 

Schon  liegt  die  Schöne  schlafend  da  im  Staube, 

Des  gier'gen  Alten  Lüsternheit  zum  Raube. 

49.  Er  küßt  sie  und  berührt  sie  nach  Gefallen; 
Sie  schläft  und  ist  zur  Abwehr  nicht  bereit. 

Er  küBt  die  Brust,  er  küßt  des  Munds  Korallen, 

Und  keiner  sieht's  in  dieser  Einsamkeit. 

Doch  bei  dem  Treffen  ist  sein  Hengst  gefallen. 

Es  bleibt  das  Fleisch  ja  hinterm  Wunsche  weit: 

Er  hat  die  Krankheit  voiigeriickten  Lebens, 

Und  plagt  man  ihn,  so  plagt  man  ihn  vergebens. 

50.  Alles  versucht  er,  daß  er  aufrecht  schreite, 
Doch  ohne  daß  der  faule  Klepper  springt. 
Ob  er  den  Zügel  schüttle,  abarbeite. 

Den  Kopf  er  ihm  nicht  in  die  bringt. 
Einschläft  er  schliefilich  an  der  Dame  Seite, 
Auf  die  schon  andres,  neues  Unheil  dringt. 
Ein  bißchen  will  Fortuna  nicht  genügen. 
Gewährt  ihr,  uns  zu  quälen,  ein  Vergnügen. 

51.  Um  deutlich  zu  erzählen  und  zum  besten, 
Schwaf  ich  ein  wenig  aus  dem  Pfod  heraus. 
Im  Nordmeer  ist  gelegen,  gegen  Westen, 
Noch  über  Irland  eine  Streck'  hinaus, 
Ebuda,  eine  Insel,  nur  mit  Resten 

Von  einem  Volke,  weil  die  Orka  graus 
Und  Meergetier,  das  Proteus  zugehörte, 
Den  Gott  zu  rächen,  jenes  Land  zerstörte. 


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ACHTER  GESANG 


52.  Ob  wahr,  ob  falsch  —  die  alten  Maren  künden. 
Daß  dort  einmal  ein  mächt'ger  König  war: 

In  seiner  Tochter  sah  man  sich  verbünden 

Anmut  und  Schönheit  so,  daß  sie  fürwalir 

Im  Wasser  drin  den  Proteus  könnt'  entzünden. 

Bot  sie  dem  Blick  sich  auf  der  Salzflut  dar. 

Einmal,  als  sie  allein  ist  auf  dem  Anger, 

Ergreift  sie  der  und  macht  das  Mädchen  schwanger. 

53.  Entsetzlich,  unerträglich  schien  die  Sache 
Dem  Vater,  der  gar  wild  und  ungerecht: 
Was  für  Entschuldigung  man  geltend  mache, 

Er  kennt  nicht  Mitleid,  bleibt  des  Zornes  Knecht, 
Auch  nicht  ihr  Zustand  sänftigt  seine  Rache; 
Er  schiebt  nichts  auf,  die  Tat  wird  streng  gerächt: 
Das  Enkelkind,  das  keine  Sünde  kannte. 
Eh  es  geboren,  in  den  Tod  man  sandte. 

54.  Proteus,  der  Hirte  jener  wilden  Herde 
Neptuns,  des  Herrschers  in  dem  Meerrevier, 
Fühlt  ob  des  Liebchens  bittere  Beschwerde 
Und  bricht  im  Zorn  Gesetz  mid  Ordnung  schier: 
Walroß  und  Robben  schickt  er  auf  die  Etde 
Mit  einenunal,  das  ganze  Seegetier, 

Und  nicht  nur  Vieh,  auch  Stadt  und  Land  und  Bürger, 
Sie  werden  Opfer  dieser  grimmen  Würger. 

55.  Die  kommen  oft  bis  an  die  Städtemauem 
Und  dröhn  zu  den  Belagerten  hinein. 

Die  Leute,  müd  imd  matt,  in  Schreckensschauem, 
Müssen  bei  Tag  und  Nacht  bewaffioet  sein; 
Verlassen  ist  das  Land  von  allen  Bauern. 
Sie  gehn,  um  von  der  Last  sich  zu  befinein. 
Zuletzt  noch  das  Orakel  zu  befragen, 
Und  solche  Antwort  läßt  es  ihnen  sagen: 


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ACHTBR  GESANG 


i6x 


56.  Man  suche  eine  auserlesne  Schöne, 
So  lieblich  wie  die  andre  ungefähr: 

Ob  man  den  Gott  vielleicht  durch  sie  versöhne. 
Die  schaffe  man  zum  Meergestade  her; 
Wenn  die  Erfüllung  dann  die  Wünsche  kröne» 
Behalt'  er  sie  und  wüte  dann  nicht  mehr. 
Mißfällt  sie,  gilt  es  andere  zu  bringen. 
Bis  endlich  die  Versuche  doch  gelingen. 

57.  Zuerst  sind  jene  in  der  schlimmen  Falle, 
Auf  deren  Wang'  am  hellsten  Schönheit  lacht. 
Denn  bis  dem  Proteus  eine  wohlgefalle. 
Wird  täglich  ihm  ein  Mägdlein  daigebracht. 
Die  erste  starb,  und  dann  die  andern  alle. 
Denn  stets  am  Leibe  packte  sie  mit  Macht 
Ein  Untier,  wachend  an  den  Uferwogen, 
Derweil  die  andern  waren  abgezogen. 

58.  Ob  das  mit  Proteus  wahr  ist,  ob  nur  Sage, 
Ich  weiß  es  nicht  und  lafi  davon  die  Hand: 
Ein  alt  Gesetz,  das  in  so  üble  Lage 

Die  Mädchen  brachte,  wirklich  dort  bestand. 
So  daß  ein  scheußlich  Walroß  alle  Tage 
In  Mädcfaenfleisch  am  Strande  Nahrung  fand. 
Ein  Weib  sein,  ist  ja  Unglück  jedenfadles. 
Es  hier  zu  sein,  ein  Unglück  über  alles. 

59.  Den  MSdchen  wdie,  wenn  da  bflse  Sterne 
Zum  Volk  sie  fOhren,  das  den  Strand  bewegt! 

Nach  Jungfratm  schaut  das  Volk  dort  in  die  Feme, 

Die  sie  zu  opfern  lange  schon  gewohnt; 
Und  sterben  lassen  sie  die  fremden  gerne. 
Denn  eigne  Kinder  werden  dann  verschont. 
Allein  nicht  jeder  W  ind  bringt  ihnen  Beute, 
Drum  suchen  überall  danach  die  Leute. 


Arloit  I 


It 


l62  ACHTERGESANG 


60.  Hin  durch  die  ganze  weite  Meerflut  gleiten 
Die  Boote,  Kähne,  Schiffe  jeder  Art 

Und  bringen  aus  der  Nähe  und  vom  weiten 

Erleichterung  der  Not  mit  ihrer  Fahrt: 

Teils  müssen  sie  mit  Waffen  Fraun  erstreiten, 

Teils  wirkt  das  Gold,  mit  Schmeichelei  gepaart. 

Gefangne  aus  verschiedensten  Regionen 

Des  Landes  Türm*  und  Kerker  stets  bewohnen. 

61.  So  fuhr  ein  Kreuzer  aus  von  Land  zu  Landen 
Und  kam  auch  an  den  stillen  Uferort; 

Es  schlummert  auf  dem  Gras  in  Schlaftrunks  Banden 

Angäika,  die  Unglücksel'ge,  dort 

Ein  paar  Matrosen  dieses  Fahrzeugs  landen 

Und  tragen  Holz  und  frisches  Wasser  fort, 

%  sie  das  lieblichste  von  schdnen  Kinden 

Im  Arme  jenes  frommen  Vaters  finden. 

62.  O  Beute,  allzu  hoch  und  aUzu  teuer 

Für  solche  wilde  Menschen,  wie  da  nahn! 
Wer  sollte  glauben,  daß  du  so  das  Steuer, 
Fortuna,  fuhrst  auf  dieser  Erdenbahn,' 
Daß  du  zur  Speise  gibst  dem  Ungeheuer 
Die  Schönheit,  derentwillen  Agrikan 
Halb  Skythien  hieß  den  Heereszug  beginnen 
Nach  Indien  hin,  den  Tod  nur  zu  gewinnen! 

63.  Der  hohe  Reiz,  um  den  Fürst  Sakripante 
Die  Ehre  hingab  und  sein  schönes  Reich, 
Die  Schönheit,  die  dem  Ritter  von  Anglante 
Den  Ruhm  getrübt  hat  und  den  Geist  so  reich, 

Die  Schönheit,  die  kopfüber  die  Levante 
Aufbäumen  ließ  und  zähmte  alsogleich, 
Hat  niemand  jetzt  —  so  ändern  sich  die  Dinge  — , 
Der  auch  mit  Worten  nur  ihr  Hilfe  bringe. 


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ACHTER  GESANG  163 


64.  Das  holde  Kind,  von  tiefem  Schlaf  umfangen. 
Es  wird  gefesselt,  eh  sie  noch  bei  Sinn. 

Der  Bruder  Hexenmeister,  mitgefangen, 
Liegt  bei  der  finstren  Schar  im  Boote  drin. 
Die  Segel,  die  am  hohen  Mastbaum  hangen. 
Führen  das  Schiff  zur  Schreckensinsel  hin: 
Die  Königstochter  bannen  Kerkerwände, 
Bis  zu  dem  Tag,  da  sich  ihr  Los  vollende. 

65.  Das  wilde  Volk  zum  Mitleid  zu  erregen, 
Gelang  nun  freilich  ihrer  Schönheit  Macht, 
Und  viele  Tage  wurde  ihretwegen 

Dem  Tod  ein  sonstig  Opfer  dargebracht 
Solang  noch  Hille  war  auf  andern  Wegen, 
Ward  dieser  Engelsschönheit  nicht  gedacht. 
Zuletzt  bringt  man  sie  doch  dem  Tier  als  Beute, 
Und  weinend  hinterdrein  g^  alle  Leute. 

66.  Wer  ist,  der  all  das  Schluchzen,  Klagen  künde? 
Das  Jammern  dringt  zum  Himmel  schier  hinein: 
Nicht  staun'  ich,  öffnen  sich  die  Felsengründe, 
Wie  sie  in  Ketten  steht  auf  kaltem  Stein, 

Daß  alle  Not  den  Schrecken  sich  verbünde. 
Um  herbem,  grausem  Tode  sie  zu  weihn. 
Ich  sag' es  nicht,  bin,  ganz  von  Schmerz  durchdrungen. 
Ein  andres  Lied  zu  singen  jetzt  gezwungen 

67.  Und  Klänge  minder  düster  anzustimmen. 
Bis  neue  Kraft  gewinnt  mein  müder  Sinn; 

Es  könnten  schleim 'ge  Drachen  nicht,  die  grimmen, 

Und  nicht  in  höchster  Wut  die  Tigerin 
Und  nicht,  was  in  Ägypten  schleicht  an  schlimmen 
Und  gift'gen  Tieren  durch  die  Wüste  hin. 
Sehn  oder  denken  ohne  Herzenswunden 
Angelika  an  nackten  Fels  gebimden. 

II* 


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ACHTER  GESANG 


68.  O  hätte  dies  ihr  Roland  doch  erfahren. 
Der  nur  um  sie  war  nach  Paris  gereist, 
Und  jene,  die  getäuscht  hat  das  Gebaren 
Des  schlauen  Alten  mit  dem  Höllengeistl 
Sie  wären,  ihr  zu  helfen  in  Gefahren, 
Herbeigeeilt  durch  tausend  Tode  dreist. 
Allein  wenn  sie  auch  wirklich  Kunde  hätten. 
Wie  kdnnten  sie  von  fem  die  Holde  retten? 

69.  Paris  inzwischen  dem  Belagrungsringe 
Von  Trojans  tapfrem  Sohne  widerstand. 
Und  mißlich  schienen  eines  Tags  die  Dinge: 
Beinah  schon  fiel  die  Stadt  in  Feindes  Hand; 
Da  stieg  zum  Himmel  des  Gebetes  Schwinge, 
Und  dnnkler  Regen  ward  von  Gott  gesandt; 
Durch  Mohrenwaffen  sonst  ein  Edöb  nahmen 

Das  heil'ge  Reich  und  Frankreichs  großer  Namen. 

70.  Der  höchste  Schöpfer  wendet  Gnadenblicke 
Auf  Karls,  des  alten,  Klageruf  hinab. 
Schickt  R^en,  der  die  Fenersbrunst  ersticke. 
Wo  keine  Menschenmacht  mehr  Hüfe  gab. 
Heil,  wer  vertraut  dem  Lenker  der  Geschicket 
Er  ist  in  aller  Not  der  beste  Stab. 

Und  dankbar  gläubig  König  Karl  erkannte. 
Daß  Gott  es  sd,  der  ihm  die  Hilfe  sandte. 

71.  Die  Nacht  hat  Roland  flüchtige  Gedanken 
Dem  läst'gen  Pffihl  vertraut  in  großer  Zahl, 

Faßt  sie  zusammen  jetzt,  läßt  dann  sie  schwanken. 
Hierhin  und  dorthin  —  ruhn  kein  dnzig  Mal: 
V/ie  Zwitterlicht  des  Wassers  wohl,  des  blanken. 
Vom  Mond  getroffen  oder  Sonnenstrahl, 
Das  weite  Dach  entlang  in  raschem  Lauf  hüpft. 
Nach  rechts  und  links  und  hoch  und  niedrig  aufhüpft. 


ACHTER  GESANG 

72.  Zur  Liebsten  hat  sdn  Geist  den  Weg  gefunden 

(Von  ihr  geschieden  war  er  noch  gar  nie): 

Die  Glut  erwacht  aufs  neu  in  nacht 'gen  Stunden, 

Der  leisen  Schlummer  nur  der  Tag  verlieh. 

Er  hatte  als  Genoß  sich  ihr  verbunden, 

Fem  in  Katai  —  und  hier  verlor  er  sie 

Und  konnte  keine  Spur  mehr  von  ihr  finden, 

Seit  bei  Bordeaux  sich  Karl  ließ  überwinden. 

73.  Das  schmerzte  Roland  sehr;  mit  bittem  Klagen 
Bereut'  er  jetzo  seinen  Unverstand: 

„Mein  Herz,  wie  könnt'  ich  nur  mich  so  betragen  1" 
Sprach  er  bei  sich.  „Obwohl  bei  mir  es  stand 
—  Denn  deine  Güte  wollt'  es  nicht  versagen  — , 
Dich  Tag  und  Nacht  zu  schauen  imverwandt, 
LieB  ich  in  Naims'  Hand  dich,  du  Holde,  legen. 
Statt  gegen  solches  Unrecht  mich  zu  regen. 

74.  War's  nicht  mein  Recht,  dagegen  anzuringen? 
Karl  hätt'  am  End  den  Wimsch  mir  nicht  verwehrt  — 
Und  wenn  verwehrt,  wer  könnte  wohl  mich  zwingen  ? 
Wer  mir  entreifien,  was  mein  Sinn  begehrt? 
Ließe  das  Herz  man  ans  dem  Leib  mir  springen, 
Mufit'  ich  nicht  ihnen  trotzen  mit  dem  Schwert? 
Nicht  hätten  Karl  und  alle  sdne  Leute 

Je  mit  Gewalt  dich  fortgeschleppt  als  Beute. 

75.  Ließ  er  sie  wenigstens  —  behütet  —  leben. 
Sei's  in  Fbris,  sd's  sonst  in  guter  Wacht  I 
Doch  daß  er  jenem  Naims  sie  hat  gegeben. 

Zeigt  mir,  ich  werde  ganz  um  sie  gebracht. 
Der  beste  Wächter  war'  ich  selber  eben: 

Drum,  was  geziemte  bis  zur  Todesnacht?  — 
Daß  ich  sie  mehr  als  Herz  und  Augen  schützte! 
Weh,  daß  ich  nicht  die  rechte  Zeit  benützte! 


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ACHTER  GESANG 


76.  Ach,  ohne  mich  wo  bist  du»  süßes  Leben, 
Geblieben,  du  so  jung  und  hold  und  schSn? 

Dem  Lämmchen  gleich,  das,  wenn  die  Schatten  weben, 

Verlassen  irrt  umher  in  wald'gen  Höhn, 
Das  hofft,  dem  Hirten  Kunde  noch  zu  geben, 
Und  hierhin,  dorthin  schickt  sein  Klaggetön, 
Bis  angelockt  zuletzt  die  \^'ölf'  erscheinen 
Und  nun  umsonst  der  arme  Hirt  muß  weinen. 

77.  Wo  bist  du,  meine  Hoffnung,  hingeschwunden? 
Irrst  du  umher,  weil  ich  dich  Heß  im  Stich? 
Hat  dich  vnelleicht  der  grimme  Wolf  gefunden? 
Wenn  nicht  dein  Roland,  ach,  wer  schützte  dich? 
Hat  sein  Gebiß  die  Blume  dir  entwunden? 
Die  höbe  zu  den  hohen  Göttern  mich! 

Doch  dir  zu  trüben  nicht  dein  keusch  Gemüte, 
Bewahrt'  ich  unversehrt  die  hehre  Blüte. 

78.  O  weh  mir!  Weh!  Verzweifelt  muß  ich  enden, 
Nahm  man  der  schönen  Blume  ihren  Schein  1 
Eh  das  geschieht,  Allgüt'ger,  wolle  senden 

All  andres  Herzeleid  und  jede  Peinl 
Sonst  taugt  mir  Tod  nur  von  den  eignen  Händen, 
Und  in  Verdamnmis  muß  die  Seele  sein." 
Weinend  und  stuboead  AUS  dem  tiefeten  Heizen 
Sprach  Roland  so  bei  sich  in  bittren  Schmerzen. 

79.  Gesunken  war  die  süße  Ruhe  nieder 
Rings  auf  die  müden  Seelen  allzumal, 

Löst  hier  auf  Federn,  dort  auf  Stein  die  GHeder, 
Dem  unterm  Baum,  dem  auf  dem  Gras  im  Tal. 
Du  aber,  Roland,  schlössest  kaum  die  Lider, 
So  sucht  dich  heim  der  Nachtgedanken  Qual. 
Nicht  einmal  diesen  kurzen,  flücht'gen  Sdilummer 
Gönnt  man  dir  ganz,  um  auszuruhn  von  Kummer! 


A  r  IT  T  F  T?    G  F  S  .\  X  C 


167 


80.  Wo  duft'ge  Blumen  —  schien  es  Roland  —  stehen 
In  Pracht  verstreut  auf  grünem  Uferrand, 
Gelnld'  aus  Elfenbein  glaubt  er  zu  sehen 

Und  Purpur,  den  gemalt  hat  Amors  Hand; 

Zwei  Sterne  hell  —  vor  Wonne  will  vergehen 
Die  Seele,  die  des  Amor  Netz  umwand  — : 
Die  Züge  mein'  ich  und  die  lichten  Strahlen, 
Die  mitten  aus  der  Brust  das  Herz  ihm  stahlen. 

81.  Die  höchste  Wonne  will  ins  Herz  ihm  schleichen. 
Die  sich  von  Treuverliebtem  fühlen  läßt: 

Da  plötzlich  kommt  ein  Sturm wmd  ohnegleichen, 
Der  Blumen  knickt  und  Büsche  zaust  und  preßt. 
Nicht  pflegt  an  diese  Wucht  fürwahr  zu  reichen, 
Was  sonst  noch  weht  von  Nord  und  Ost  und  West, 
Ihm  ist,  er  irre  jetzt  zum  Schutz  des  Lebens 
Durch  eine  weite  Wüste  hin  vergebens. 

82.  Mit  einemmal  verHert  er  seine  Dame 

Im  Nebelgrau  —  er  weiß  nicht,  wie  sich's  thiit  — , 
Ob,  laut  gerufen,  auch  der  schöne  Name 
Ringsiun  weckt  Widerhall  in  Wald  und  Trift. 
Und  wie  er  „Weh  mirl"  klagt  in  seinem  Grame, 
„Wer  wandelt  meine  Süßigkeit  in  Gift?'*  —  , 
Ist  ihm,  als  ob  sein  eigner  Nam'  ertöne 
Und  ihn  um  Hilfe  flehe  seine  Schöne. 

83.   Rasch  in  der  Richtung,  draus  die  Rufe  hallen, 
Schafft  er  sich  Bahn  und  sucht,  von  wo  man  spricht. 
O  welche  Schmerzen  in  der  Brust  ihm  wallen: 
Er  sieht  nicht  jener  Augen  süßes  Licht! 
Da  hdrt  er  eine  andre  Stimme  schallen: 
„Goiießen  sollst  du  sie  auf  Erden  nicht!" 
Bei  diesem  Schreckmf  ist  der  Traum  verflossen  — 
Der  Held  wacht  auf,  von  Tränen  Übergossen. 


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l68  A  C  H  T  E  R  G  E  S  A  N  G 


84.  Er  fragt  nicht,  ob  vielleicht  ein  Trug  ihn  necke. 
Durch  Sehnsudit  oder  Furcht  hervoigebracht; 
Nur  dafi  in  Nöten  sdne  Dame  stecke. 

Nur  dieser  einz'gen  Sorge  hat  er  acht. 
Blitzschnell  von  seinem  Lager  springt  der  Recke, 
Nimmt  W  affen,  ist  auch  auf  ein  Roß  bedacht. 
Auf  Güldenzaum,  und  steht  bereit  zur  Reise; 
Der  Knappen  Dienst  will  er  in  keiner  Weise. 

85.  Um  nun  behebig  Pfade  einzuschlagen, 
Die  seine  Würde  sonst  vielleicht  verbot, 

Galt  es,  sein  ruhmvoll  Wappen  sich  versagen. 
Bekannt  mit  seinen  Farben  Weiß  und  Rot, 
Und  lieber  jetzt  ein  schwarzes  Zeichen  tragen. 
Vielleicht  weil 's  ähnlich  seiner  Herzensnot. 
Er  hatt'  es  einem  Amostant  genonmien, 
Der  einst  durch  seine  Hand  war  umgekommen. 

86.  Um  Mittemacht  macht  er  sich  auf  in  Schweigen, 
Grüßt  nicht  und  gönnt  dem  Ohm  kein  Abscliiedswort, 
Will  nicht  einmal  sich  Brandimarte  zeigen, 

Der  ihm  so  teuer  doch,  der  Freundschaft  Hort. 
Doch  als  mit  goldnem  Haar  die  Sonne  steigen 
Die  Rosse  läßt  vom  Haus  des  Titon  fort. 
Und  feuchte  Schatten  fliehen  vor  der  Helle, 
Merkt  Karl,  der  Paladin  ist  nicht  zur  Stelle. 

87.  Er  hört  mit  tiefem  Groll,  es  ist  verschwimden 
Sein  Neffe  ganz  verstohlen  in  der  Nacht, 

Der  ihm  zu  helfen,  traun,  doch  war  gebunden: 
O,  wie  dem  schweren  Grimme  Luft  er  macht  1 
Manch  bittres  Wort  zeigt  seiner  Seele  Wmiden, 
Des  Frevlers  wird  mit  hellem  Zorn  gedacht. 
Es  dröhnt:  „Kehrt  nicht  zurück  der  Ungetreue, 
So  wird  man  sorgen,  daß  es  ihn  gereue." 


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ACHTER  GESANG 


169 


88.  Auch  Brandimart  beschließt  davonzueilen, 
Der  Roland  ja  sein  ganzes  Herz  geweiht: 
Will  er  das  Schicksal  seines  Freundes  teilen? 
War  ihm  das  Tadeln  und  das  Schelten  leid? 
Man  sah  ihn  grad  so  lange  noch  verweilen. 
Bis  sich  der  Tag  geneigt  zur  Dunkelheit. 
Und  Flordehs  verschwieg  er  ganz  die  Sache, 
Daß  sie  dem  Plan  nicht  Schwierigkeiten  mache. 

89.  So  hieß  ein  Fräulein,  dem  getreu  zu  dienen 
Ihm  Wonne  war,  kaum  ließ  er  sie  allein  — 
Voll  Anmut,  Sitte  und  von  holden  Mienen, 
Mit  hellem  Geist  begabt  und  klug  und  fein; 
Und  war  er  jetzt  nicht  auch  vor  ihr  erschienen. 
Geschah's,  weil  er  zurück  noch  wollte  sein 

Am  selben  Tag;  doch  sollten  Dinge  walten. 
Ihn  länger,  als  er  dachte,  au&uhalten. 

90.  So  war  ein  Monat  etwa  hingegangen, 
Sie  saß  noch  immer  seiner  harrend  dort. 

Da  wurde  Sehnsucht  mächtig  und  Verlangen: 

Ohn'  einen  Führer  zog  die  Dame  fort 

Und  suchte  den  geliebten  Blann  voH  Bangen, 

Wie  die  Geschichte  zeigt  am  rechten  Ort. 

Von  diesen  beiden  sag  ich  hier  nichts  weiter: 

Mehr  kümmert  jetzt  mich  von  Anglant  der  Streiter. 

9z.  Der  hat  ein  neues  Wappen  sich  erkoren. 

Statt  Almonts  Schild,  und  sich  zum  Tor  gewandt: 
„Ich  bin  der  Graf,  so  raunt  er  in  die  Ohren 

Dem  Hauptmann  leise,  der  dort  Wache  stand. 

Man  ließ  die  Brücke  nieder  vor  den  Toren, 
Und  auf  dem  Weg,  den  er  als  nächsten  fand 
Dem  Feind  zu,  in  gerader  Linie  ritt  er. 
Der  nächste  Sang  sagt  Weitres  von  dem  Kitter. 


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NEUNTER  GESANG 

1.  Was  kann  ein  Heiz  noch  tun,  ward  es  bezwungen 

Von  jenes  bösen,  falschen  Amors  Macht, 

Hat  sie  sogar  die  Lehenstreu'  entrungen 
Dem  Ritter  Roland  aus  des  Busens  Schacht? 
Er,  weise  sonst,  von  Ehrfurcht  ganz  durchdrungen. 
Stets  auf  der  heil'gen  Kirche  Schutz  bedacht, 
Er  macht  sich  jetzt  —  durch  eitle  Lieb'  ein  Blinder  — 
Aus  Karl  und  sich  nicht  viel,  aus  Gott  noch  minder. 

2.  Doch  ich  begreif  ihn  und  bin  frohen  Mutes, 
Daß  nicht  mir  Toren  der  Genoß  gebricht: 

Auch  ich  bin  krank  und  schwächhch  für  mein  Gutes, 
Doch  auf  mein  Böses  ganz  robust  erpicht.  — 
Der,  schwarz  gekleidet,  reitet  schweren  Blutes 
— '  Freunde  zu  lassen,  das  bedrückt  ihn  nicht  — 
Hin,  wo  die  Zelte  der  aus  Spaniens  Landen 
Und  Afrika  gekonunnen  Scharen  standen. 

3.  Was  sag'  ich  Zelte!  —  Durch  den  Regen  blieben 
Sie  unter  Bäumen  imd  wo  sonst  was  deckt, 

Ztt  zehn,  zu  zwanzig,  vier,  zu  acht,  zu  sieben. 
Der  weiter  fort,  der  in  der  Näh*  versteckt. 
Ein  jeder  schläft,  zermürbt  und  au^erieben. 
Der  auf  die  Hand  gestützt,  der  ausgestreckt. 
Man  schläft  — :  er  könnte  viel  ins  Jenseits  senden. 
Doch  ninunt  er  nicht  die  Durendal  zu  Händen. 


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N  E  u  N  T  r  n  n  F  ?  a  n  c 


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4.  Roland  Ist  edd:  er  kann  nicht  erschlagen. 
Wer  waffenlos  ist  und  vom  Schlaf  gebannt. 
Nun  geht  er,  den  und  jenen  Ort  befragen 

Nach  einer  Spur  von  ihr,  die  ihm  entschwand. 
Und  trifft  er  einen  wachend,  dann  mit  Klagen 
Beschreibt  er  die  Gestalt  und  das  Gewand, 
Vom  Mohren  sich  die  Richtung  zu  erbitten. 
In  der  die  Dame  sei  davongeschhtten. 

5.  Als  klar  und  leuchtend  es  begann  zu  tagen, 

Das  Mohrenheer  durchforscht'  er  weit  und  breit, 

Bedacht,  ein  Sarazenenkleid  zu  tragen; 

So  kann  cr's  tun  in  aller  Sicherheit. 

Es  kommt  dazu:  er  kann  die  Sache  wagen, 

Weil  er  in  fremden  Sprachen  weiß  Bescheid 

Und,  Afrikanisch  sprechend,  wird  verstanden. 

Als  ob  er  selber  stamm'  ans  jenen  Landen. 

6.  Drei  Tage  bleibt  er  —  nicht  zu  andern  Zwecken  — , 
Und  aus  dem  Suchen  kommt  er  nicht  heraus, 
Sucht  dann  in  Stadt  und  Dorf,  sie  zu  entdecken, 
Durchs  Frankenland  und  drüber  noch  hinaus 
Und  sucht  danach,  bis  auf  den  fernsten  Flecken, 
Anveigne  und  Gasoogne  ein  und  aus; 

Er  sucht  von  der  Provence  zu  den  Bretonen, 
Von  den  Picarden  bis  wo  Spanier  wohnen. 

7.  Es  war  Oktober,  wenn  die  Blätter  schwinden, 
Und  der  November  zog  gemach  heran. 
Wenn  nackend  sich  der  Pflanze  Glieder  finden. 
Weil  sie  das  Kleidchen  nicht  mehr  tragen  kann. 
Und  Vögel  sich  zu  enger  Schar  verbinden  — 
Da  trat  die  Liebesfahrt  Graf  Rxdand  an 

Und  HeB  nicht  ab  von  ihr  an  Winters  Grenze 
Und  auch  noch  nicht  in  nächsten  Jahres  Lenze. 


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172 


NEUNTER  GESANG 


8.  So  zieht  er  eines  Tages  auch  von  dannen 

Von  einem  Land  ins  andre,  wie  er  pflegt: 

Nun  trennt  ein  Fluß  Bretonen  von  Normannen, 

Der  sonst  sich  still  zum  nahen  Meer  bewegt; 

Jetzt  aber  hoch  und  wild  die  Wogen  rannen, 

Von  Schnee  und  Bergesfluten  aufgeregt: 

Die  Brücke,  von  des  Wassers  Wucht  durchstochen. 

War  fortgeschwemmt,  der  Zugang  miterbrochen. 

9.  Er  späht  hinüber,  was  da  wohl  zu  machen, 
Blickt  auf  und  ab  dann  wieder  diesen  Strand, 
Wie  er  (was  Fische-  sind  und  Vogelsachen) 
Hinkomme  nach  dem  andern  Uferrand: 

Da  sieh:  ganz  unversehens  naht  ein  Nachen, 
Das  Steuer  führet  eines  Fräuleins  Hand: 
Sie  winkt,  als  komme  sie  des  Ritters  w^en. 
Doch  scheint  sie  nicht  gesonnen,  anzulegen. 

10.  Sie  landet  nicht,  vielleicht  hat  sie  Bedenken, 
Man  bring'  am  Ende  ungebetne  Fracht. 

Nun  winkt  der  Graf,  das  Boot  heranzulenken: 
Er  wäre  gern  zum  andren  Strand  gebracht. 
Sie  sprach:  „An  meinen  Kahn  darf  keiner  denken« 
Der  nicht  zuvor  mir  hat  den  Schwur  gemacht. 
Den  Kampf  zu  kämpfen,  den  ich  fordern  werde. 
Den  besten  und  gerechtesten  der  Erde. 

11.  Und  seid  Ihr,  mein  Herr  Rittersmann,  gesonnen. 
Dem  andern  Uferrand  zu  nahn  durch  mich. 
Versprecht,  daß  Ihr,  wenn  dieser  Mond  verronnen. 
Und  eh  der  folgende  noch  ganz  entwich. 

Die  Fahrt  zu  Irlands  König  habt  begonnen: 
Ein  wackres,  schdnes  Heer  bereitet  sich. 
Denn  eines  gilt:  Ebuda  geh'  zugrunde. 
Die  sdiHmmste  Insel  auf  dem  Erdennmde. 


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NEUNTER  GESANG 


12.  Vernehmt:  weit  hinter  Irland  ist  gelegen 
Ebuda  (viele  Inseln  gibt  es  hier), 

Wo  die  Bewohner  noch  des  Raubes  pflegen 
Nach  alter  Satzung  rings  am  Strandrevier, 
Und  was  sie  dann  von  Frauen  finden,  l^en 
Sie  vor  zur  Speise  einem  Wassertier. 
Das  kommt  tagtäglich,  und  auf  alle  Fälle 
Ist  dort  ein  Fräulein,  eine  Frau  zur  Stelle. 

13.  Denn  Händler  haben  solche  und  Korsaren 
Im  Vorrat  stets,  imd  von  den  schönsten  zwar. 
Ihr  könnt  nun  zählen,  welche  Frauenscharen 
—  Tagtäglich  eine!  —  sterben  Jahr  für  Jahr. 
Herr  Ritter,  habt  Ihr  Amors  Macht  erfahren 
Und  seid  im  Herzen  nicht  des  Mitleids  bar, 
Ihr  werdet  zu  den  Edlen  Euch  begeben. 

Die  solch  ein  wohlgeföUig  Werk  erstreben." 

14.  Kaum  ließ  sie  Roland  bis  zu  Ende  sprechen; 
Er  schwur  sogleich,  als  erster  sei  er  da: 

Wo  er  von  Unbill  hdrt,  muß  er  sie  rächen; 
Davon  nur  zu  vernehmen,  schmerzt  ihn  ja. 
Zudem  will  die  Besorgnis  Bahn  sich  brechen. 
Dort  sei  gefangen  auch  Angelika; 
Denn  lang'  hat  er  gesucht  auf  vielen  Wegen, 
Und  nirgends  trat  ihm  dne  Spur  entgegen. 

15.  So  nahm  ihn  der  Gedanke  jetzt  gefangen. 
Und  frühre  Flän'  entschwanden  seinem  Sinn, 
In  aller  Eile  sucht'  er  zu  gelangen 

Nach  jenem  Eiland  der  Barbami  hin. 

Eh  noch  die  nächste  Sonn'  ins  Meer  gegangen, 
Saß  er  bei  Sankt  Malo  im  Schiffe  drin, 
Das  er  gefunden;  ließ  die  Segel  spannen, 
Und  um  Sankt  Michels  Berg  fuhr  er  von  dannen. 


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174 


NEUNTER  GESANG 


16.  Kieuc  und  Landrigfier  läBt  CT  TOT  Ittnkcn, 
Fährt  längs  dem  mächtigen  Bretagnestrand 
Dann  hin,  von  wo  die  weißen  Khppen  \%'inkeQ, 
Nach  denen  England  Albion  ist  genannt. 
Allein  der  Südwind  fängt  nun  an  zu  sinken, 
Und  ein  Nordwest,  ein  starker,  ist  zur  Hand; 
Er  zwingt,  die  Segel  rasch  herabzulassen 
Und  ihm  das  Steuern  selbst  tu.  äberiassoi. 

17.  Zurück  m  einem  Tage  flog  mit  Schnelle 
Das  Schiff,  wie  es  in  vieren  fuhr  heran; 
Damit  es  nicht  am  Strand  wie  Glas  zerschelle. 
Hielt  es  in  offner  See  der  Steuermann. 

Der  Wind.  \ier  Tag'  dn  wütender  Geselle, 
Stimmt  an  dem  fünften  andre  Liedchen  an; 
Das  Schiff  kann  sonder  Mühe  hingelangen. 
Wo  lieefcswelbi  Antwerpens  Strom  empfangen. 

18.  Der  müde  Schiffer  war  dort  eingefahren 

Mit  dem  zerzausten  Schiff  und  dicht  am  Strand, 
Da  kam  vom  Fhisse  rechts,  wo  Felder  waren. 
Ein  hochbejahrter  Mann  rom  Uferrand 
(Recht  ah,  man  sah  es  an  den  wdBen  Haaren). 
Der  hat  sich  hdflidi  an  den  Graf  gewandt. 
Ifit  Böcklingen,  wie  vor  dem  Obeihaiqyte, 
Das  er  in  Roland  hier  za  stSbea  glaubte, 

19.  ^nach  er,  ein  Fräulein  weid'  er  recht  vedMndm: 
Da»  bitt'  mn  sdn  Erscheinen  ihn  gar  sdir. 

Er  werde  nidit  nur  schön,  aoch  hold  sie  finden; 
Es  gäbe  solchen  Ladneiz  fast  nicht  mdir. 
Sonst  mög'  er  sich  sn  warten  überwinden. 
Dann  komme  sie  zom  Schiffe  sdlier  her. 
Er  werd'  ihr  ganz  gewiB  nicht  sänm'ger  dienen 
Als  viele  Ritter,  die  vor  ihm  erschienen. 


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NEUNTER  GESANG 


20.  Von  allen,  die  bisher  des  Weges  gingen, 

Zu  Land,  zu  See  und  auch  den  Fluß  liinauf. 

Versäumte  keiner,  Rat  ihr  darzubringen, 

Sie  halfen  ihr  in  ihren  Nöten  auf. 

Roland  vernimmt's,  er  eilt,  ans  Land  zu  springen. 

Und  geht  ohn'  Aufenthalt  in  schnellem  Lauf, 

Wie 's  einem  art'gen  Ritter  mag  gebühren. 

Wohin  der  Greis  bestrebt  ist  ihn  zu  fähren. 

21.  Im  Landgut  tritt  er,  stets  dem  Greis  zu  Seiten, 
Ein  in  ein  Schloß,  geht  dort  die  Trepp'  hinan 
Und  läßt  zu  einer  Dame  sich  geleiten: 

Nicht  nur  ihr  Antlitz  kündet  Trauer  an, 

Auch  schwarze  Decken,  die  im  Haus  sich  breiten. 

So  weit  man  SST  und  /Ammer  sehen  kann. 

Sie  grüßt  ihn  fein,  ISdt  ihn  zum  Sitzen  drinnen. 

Um  daim  mit  trübem  Tone  zu  beginnen: 

22.  ,,Dem  Graf  von  Holland,  Herr,  bin  ich  entsprossen: 
Der  hebte  mich  (blieb  ich  auch  nicht  allein. 
Denn  noch  zwei  Brüder  hatt'  ich  zu  Genossen), 
Er  konnte  gar  nicht  liebevoller  sein. 

Nie  hat  er  meinen  Bitten  sich  verschlossen; 
Für  meine  Wünsche  kannt'  er  nicht  das  Nein. 
Als  mir  in  Frohsinn  so  die  Tage  schwanden. 
Erschien  ein  Herzog  hier  in  unsem  Landen. 

23.  Herzog  von  Seeland  war  er,  und  sein  Sinnen 
Ging,  nach  Jffiska]^  in  den  Kri^  zu  ziehn. 

Ich  ließ  durch  Jugend,  Schtoheit  mich  gewinnen: 

Sie  machten  zur  Ge&mgnen  mich  für  ihn. 

Auch  ihm  erwachte  Glut  im  Herzen  drinnen, 

So  daß  es  nach  den  äußern  Zeichen  schien 

(Ich  glaubt'  und  glaub's  und  glaub',  ich  glaube  richtig): 

Er  liebte  mich  und  liebt  mich  nocli  aufrichtig. 


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176  N  BUNTER  GESANG 


24.  Ans  Haus  gebannt  durch  üble  Wetterlage 

(Übel  für  ihn,  für  mich  war  gut  der  Wind)  — 
Mir  Sellien 's  ein  Nu,  den  andren  vierzig  Tage, 
So  flog  die  Zeit  auf  Schwingen  pfeilgeschwind  — 
Beschließen  wir,  wir  wollen  ohne  Frage, 
Sobald  zu  End'  die  Kriegesfahrten  sind, 
Uns  zur  Vermählung  hier  zusammenfinden 
Und  feierlich  zum  ew'gen  Bund  verbinden. 

25.  Kaum  war  Biren  nun  fort  auf  seinen  Wegen 
(So  ist  mein  treuer  Liebster  zubenannt), 

Als  dort  aus  Friesland,  das  so  nah  gelegen. 
Wie  sich  die  Mündung  dieses  Stromes  spannt. 
Vom  Konig  Boten  kamen,  meinetwegen, 
Für  seinen  einz'gen  Sohn  zu  werben,  den  Arbant; 
Die  Höchsten  aus  des  ^es'schen  Adels  Reihen 
Sollten  bei  meinem  Vater  um  mich  ireien. 

26.  Ich  könnte  nie  mein  Wort  dem  Freunde  brechen. 
(Er  gab  mir  seines;  wie  betrog'  ich  ihn?); 

Und  könnt'  ich's,  würd'  es  Amor  schleunig  rächen, 
Hätt'  er  so  schnöden  Undanks  mich  geziehn. 
Um  das  Geschäft  auf  einmal  abzubrechen. 
Das  schon  im  Gang  war,  fast  zu  End'  gediehn. 
Sagt'  ich  dem  Vater,  sollt'  er  fort  mich  geben 
Nach  Friesland  hin,  so  wurd'  ich  nimmer  leben. 

27.  Mein  Väterlein,  das  stets  tat,  was  ich  wollte. 
Und  nur  auf  meine  Freude  war  bedacht. 
Hat,  mir  2«um  Trost,  als  meine  Träne  rc^te. 
Drauf  der  Verhandlung  gleich  ein  End'  gemacht; 
Der  stolze  Friese  war  empört,  er  grollte 

Und,  voller  Haß,  in  helle  Wut  gebracht. 
Trug  er  nach  Holland  seine  blut'gen  Waffen, 
Die  an  mein  Haus  von  hinnen  sollten  raffen. 


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NEUHTER  GESANG 


177 


28.  Er  ist  nicht  nur  an  Kraft  so  übermächtig, 

Daß  kaum  sich  einer  mit  ihm  messen  kann; 

Nein,  auch  im  Bösetun  so  niederträchtig, 

Es  kann  nicht  Mut  noch  List  an  ihn  heran: 

Er  hat  ein  Waffen,  das  noch  niemals,  dächt'  ich. 

In  alter  Zeit  und  neuer  trug  ein  Mann; 

Ein  Eisen  schwarz  von  zweier  Anne  Länge; 

Und  Blei  und  Pulver  jagt  er  durch  die  £nge 

29.  Mit  Feuer,  wo  die  Röhre  hinten  endet. 
Und  irgendwo  dort  eine  Spalte  sitzt; 

Die  braucht  er  so,  wie  sie  der  Arzt  verwendet, 

Wenn  er  dem  Kranken  eine  Ader  ritzt. 

Mit  solchem  Krachen  wird  der  Ball  entsendet. 

Daß  man  vermeint,  es  donnert  und  es  blitzt, 

Uild  was  er  trifft »  dem  Blitz  gleich,  vnam  es  wettert  ^, 

Verbrennt,  zerschlägt,  zerstört  er  imd  zerschmettert. 

30.  Zweimal  durchbrach  er  unsre  Heeresglieder 
Und  hat  die  Brüder  in  den  Tod  gesandt: 
Beim  erstenmal  streckt  er  den  einen  nieder 

(Das  Herz  durchbohrend  durch  das  Stablgewand), 

Kam  bald  darauf  zum  andern  Male  wieder 

Und  schoB  den  zweiten,  der  zur  Flocht  gewandt. 

Von  fem  traf  ihn  die  Kugel  in  den  Rfkdcen, 

Ging  durch  den  Leib  und  riß  die  Brust  in  Stocken. 

31.  Als  sich  darauf  noein  Vater  hinter  Toren 
Der  Buig,  die  ihm  allein  geblieben  ist 
(Demi  alles  andre  ging  ihm  schon  verloren). 
Sich  wehrt,  da  mordet  ihn  die  gleiche  List; 
Denn  als  er  grad  den  Wachtdienst  sich  erkoren 
Und  zeigt,  was  nottut  zu  derselben  Frist  — 
Zwischen  die  Braun  hat  er  den  Ball  bekommen 
Von  dem,  der  ihn  von  fem  zum  Ziel  genommen. 

Ariott  I  13 


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Z78 


NEUNTER   GESA  N  G 


32.  Der  Insel  Holland  Erbin  nun  gelassen, 
Dunch  meiner  Lieben  Tod,  war  ich  allein: 
Der  Friesenfürst,  gewillt  dort  Fn6  zu  fassen 

Und  in  dem  Reiche  sichrer  Herr  zu  sein, 
Verkündet  mir  und  auch  den  Volkesmassen, 
Er  würde  Ruh'  und  Frieden  jetzt  verleihn, 
Wollt'  ich  zur  Zeit,  was  früher  nicht  ich  wollte: 
Daß  Prinz  Arbant  mein  Gatte  werden  sollte. 

33.  Nicht  darum  nur,  weil  ich  den  Haß  will  tragen, 
Haß  auf  den  Friesen  und  sein  arges  Haus, 
Der  Brüder  mir  und  Vater  hat  erschlagen. 

Mein  Heim  verwandelt  hat  in  Brand  und  Graus  — 
Nein,  weil  ich  nicht  dem  Liebsten  will  entsagen 
(Er  nahm  ja  meinen  Schwur  nüt  sich  hinaus. 
Daß  ich  nicht  früher  eines  andren  wäre. 
Bis  er  von  Spanien  ninuner  wiederkehre), 

34.  Sagt'  ich:  Eh'r  will  ich  hundert  Tode  kennen; 
Man  mag  mit  allen  Qualen  mich  bedräun, 
Man  mag  mich  töten,  lebend  mich  verbrennen 
Und  meine  Asche  in  die  Winde  streun!  — 

Mein  Volk  sucht  von  dem  Vorsatz  mich  zu  trennen; 
Ich  hör'  ihr  Flehen  stürmisch  sich  ernenn. 
Mich  und  das  Reich  in  seine  Hand  zu  legen. 
Daß  nicht  das  Land  verderbe  meinetwegen. 

35.  Als  sie  ihr  Drängen  ganz  vergebhch  sehen 
Und  mich  so  felsenfest  im  Widerstand, 
Die  Meinen  all  zum  Friesenkönig  stehen 
Und  geben  Reich  und  mich  in  seine  Hand. 
Ohn'  iigend  weitre  Unbill  zu  begehen. 
Versichert  er  mir  Leben  so  wie  Land, 
Damit  ich  alten  Abscheu  überwinde 
Und  in  die  Heirat  mit  Arbant  mich  finde. 


NEUNTER  GESANG 


179 


36.  Zum  Tcxie  will  ich  meine  Zuflucht  nehmen, 

Um  so  verhaßtem  Zwange  zu  entgehn; 

V^orher  mich  rächen;  —  sonst  würd'  ich  mich  grämen 

Mehr  als  um  alles,  das  mir  noch  geschehn. 

Auch  der  Verstellung  darf  ich  nicht  mich  schämen. 

Einzig  in  ihr  ja  kaim  ich  Hilfe  sehn: 

Verliebtheit  heuchl'  ich,  bitt'  ihn,  zu  verzeihen. 

Scheinbar  voll  Sehnsucht  jetzt,  Arbant  zu  freien. 

37.  Von  all  den  vielen,  die  im  Dienste  standen 
Des  Vaters  noch,  wählt'  ich  zwei  Brüder  aus. 
In  denen  Mut  und  hoher  Sinn  sich  fanden 
(Die  Treue  ragte  drüber  noch  hinaus). 

An  mich  gekettet  durch  der  Jugend  Banden, 
Mit  mir  enogen  beid'  im  Königshaus 
Und  also  mein:  —  sie  würden  gern  ihr  Leben 
Für  meine  Wohl&hrt  mir  zum  Opfer  geben. 

3B.  Den  zwein  vertrau'  ich  mich  in  diesen  Zeiten, 
Und  sie  versprechen  Hilfe  mir  sofort : 
Der  geht  nach  Flandern  hin  die  Fahrt  bereiten. 
Der  andre  bleibt  bei  mir  zurück  am  Ort* 
Derweil  nun  für  die  Hochzeit  Boten  reiten 
Und  Fremd'  und  Heim'scfae  laden  hier  und  dort. 
Vernimmt  man,  daB  Biren  in  Spanien  rüste; 
Er  bring'  em  Kri^^esheer  nach  Hollands  Küste. 

39.  Nach  jener  Schlacht,  in  der  das  Heer  geschlagen 
Ward  und  den  Tod  mein  lieber  Bruder  fand, 
Hatt'  ich,  die  Kunde  zu  Biren  zu  tragen. 
Nach  Spanien  einen  Boten  abgesandt. 
Derweil  sie  dort  sich  mit  der  Rüstung  plagen. 
Kommt  meines  Reiches  Rest  in  Feindeshand. 
Biren,  dem  noch  lüervon  die  Nachricht  fehlte. 
Zu  unsrer  Hilf  indes  die  Schiffe  wälilte. 


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NEUNTER  GESANG 


40.  Als  drob  der  Friese  Meldung  hat  empfangen. 
Gibt  er  die  Hochzeit  in  des  Sohnes  Hand 
Und  ist  mit  seinem  Heer  zu  See  gegangen: 
Des  Herzogs  Flotte  ward  besiegt,  verbrannt, 
Er  selbst  nach  Schicksals  Willen,  ach,  gefangen; 
Doch  davon  wurd'  uns  damals  nichts  bekannt. 
Der  Jüngling  freit  mich:  nach  der  Sonne  Schwinden 
Denkt  er  die  Lagerstatt  bei  mir  2u  finden. 

41.  Verborgen  war  und  ohne  sich  zu  regen 
Mein  treuer  Helfer  hinterm  Bettverhang: 
Als  er  den  Gatten  sah  sich  herbewegen. 
Mit  starken  Armen  eine  Axt  er  schwang 

—  Arbant  fand  nicht  die  Zeit,  sich  hinzulegen  — , 
Und  auf  dem  Hinterkopf  der  Hieb  erklang. 
Der  ihm  die  Stimme  raubte  und  die  Seele  — 
Scbnell  spiang  ich  auf  und  schnitt  ihm  durch  die  Kehle. 

42.  Gleichwie  die  Ochsen  in  den  Schlachthaushallen, 
Fiel  der  unsel'ge  Jüngling  auf  den  Grund, 
Cimosk  zum  Trutz,  dem  Schändlichsten  von  allen 
(Den. bösen  Friesen  nenn'  ich  dir  jetzund), 
Durch  den  all  meine  Trmien  sind  gefallen 

Und  der  mich  zwang  zu  diesem  Ehebund, 
Um  seiner  Henschaft  gr56em  Halt  zu  geben. 
Nachher  wohl  doch  nach  meinem  Tod  zu  streben. 

43.  Wir  nehmen  rasch,  eh  Störung  uns  ereile. 
Was  nicht  viel  wiegt  und  gute  Dienste  tut; 
Dann  läfit  mich  man  Genosse  rasch  am  SeUe 
Hinab  vom  Fenster  auf  die  Meeresflut, 

■  Wo  in  dem  Boot  aus  Flandern  mittlerweile 
Sem  Bruder  wartet  mit  gespanntem  Mut: 
Ins  Meer  die  Ruder,  Segel  in  die  Windel  — 
Und  Gott  gefall's,  daß  jeder  Rettung  finde! 


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NEUNTER  GESANG 


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44.  Ob  Rachewut,  ob  Schmerzen  größer  waren 

Des  Königs  um  den  Sohn,  könnt'  ich  nicht  sehn; 
Er  kam  am  nächsten  Tage,  zu  gewahren, 
Was  ihm  zum  Hohne  Grausiges  geschehn. 
Stolz  war  er  heimgekehrt  mit  seinen  Scharen, 
Stolz  auf  den  Sieg,  den  Fang  auch  des  Biren; 
Zu  Fest  und  Hochzeit  glaubt'  er  zu  erschemeD, 
Nim  fand  er  alles  dunkel  und  zum  Weinen. 

45.  Schmerz  um  den  Sohn,  ein  Haß  wild  zum  Erschrecken 
Auf  mich  verläßt  ihn  nicht  bei  Tag  und  Nacht. 
Doch  weil  die  Klagen  Tote  nicht  erwecken. 

Die  Rache  aber  Luft  dem  Hasse  macht, 
Sdl  nicht  in  Seu&er  sich  das  Leid  verstecken. 
Auf  eines,  nach  dem  Wehruf,  sei's  bedacht: 
Auf  einen  Bund  mit  grenzenlosem  Hassen  — : 
Mich  finden  gilt  es  und  mich  büßen  lassen  1 

46.  Wer  mir  verknüpf t  war  mit  der  Freundschaft  Banden 
Und  wem  für  die  Genossen  sdüug  das  Heiz, 

Die  zn  dem  Werk  mir  hatten  beigestanden, 
.  Beraubt',  erschlug  er,  trieb  sie  anderwärts. 
Kren  auch  wollt'  er  töten  mir  zn  Schanden; 
Das  gäbe  ja  für  mich  den  größten  Schmerz; 
Doch  lebend — deucht  ihn  —  bild*  er  wohl  die  Schlinge 
In  seiner  Hand,  darin  auch  ich  mich  finge. 

47.  lüt  einem  Vorbehalte,  einem  schlimmen. 
Bleib*  er  am  Leben  bis  auf  Jahresfrist; 
Sodann  verfall'  er  doch  dem  Tod,  dem  grimmen. 

Geläng'  ihm  durch  Gewalt  nicht  oder  List, 
Verwandte  oder  Freunde  zu  bestimmen. 
Daß  sie  mich,  wenn  es  zu  erreichen  ist. 
Einliefern:  also  wird  für  ihn  mein  Sterben 
Der  einz'ge  Weg,  nicht  selber  zu  verderben. 


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NEUNTER  GESANG 


48.  Ich  tue,  was  für  ihn  nur  kann  geschehen 

(Bloß,  daß  ich  selbst  mich  nicht  dem  Tod  gestellt); 

Sechs  Schlösser  geh'  ich,  die  in  Flandern  stehen, 

Und  lasse  für  das  so  gelöste  Geld 

Te^ls  hin  zum  Feind  erfahrne  Späher  gehen, 

Die  Wache  zu  bestechen,  die  ihn  hält, 

Und  teils  verwend'  ich 's  zu  des  Friesen  Schaden, 

Engländer  oder  Deutsche  herzuladen. 

49.  Ob  dieses  nicht  vermocht  die  Mittler  haben, 
Ob  sie  nicht  taten,  was  sie  doch  gesollt  — 

Ich  weiß  nur,  daß  sie  nichts  als  Worte  gaben; 
Sie  höhnen  noch,  nun  eingesteckt  das  Gold. 
Und  jetzt,  zu  spät,  ach,  kämen  Heer  und  Gaben, 
Denn  jenes  Jahr  der  Frist  ist  hingerollt, 
Und  rings  die  weite  Welt  kein  Mittel  hätte. 
Das  meinen  Liebsten  vor  dem  Moide  rette. 

50.  Für  ihn  bin  ich  aus  meinem  Reich  vertrieben. 
Für  ihn  sind  Brüder  nur  und  Vater  tot; 
Für  ihn  das  Wen'ge,  das  mir  noch  gebheben. 
Daß  mir  gesichert  wär'  ein  täglich  Brot  — 
•Es  ward,  ihn  zn  befreien,  aufgerieben, 

Und  jetzt  steht  weiter  nichts  mir  zu  Gebot, 
Als  mich  zn  geben  in  die  Hand  des  bösen, 
Gransamen  Feindes,  nm  ihn  auszulösen. 

51.  Drum  sollt*  es  keine  Hilfe  weiter  geben 
Und  stellt  sich  nichts  zu  seiner  Rettung  ein 
Als  dies  mein  Leben,  nun,  so  wird  dies  Leben 
Mir  ihm  zn  opfern  nicht  zu  teuer  sein. 
Doch  eine  einz'ge  Sorge  macht  mich  beben: 
Wie  treff'  ich  wohl  den  Pakt  so  klar  und  rein, 
DaB  er  mich  sichre  vor  des  Wfitrichs  Lügen, 

Der,  bin  ich  sein,  noch  leidit  mich  kann  betrügen? 


NEUNTER  GESANG 


52.  Ich  fürchte,  wenn  mich  seine  Hände  fassen 
Und  alle  Todesqualen  mir  geschahn, 

So  wird  er  doch  darum  Biren  nicht  lassen» 
Daß  der  mir  danke  freie  Lebensbahn; 
Meineidig,  voller  Wut  in  seinem  Hassen, 
Ist  ihm  mit  meinem  Tod  nicht  gnug  getan: 
Mit  meiner  Qual  wird  er  sich  nicht  bescheiden 
Und  läBt  die  gleiche  dann  Biren  erleiden. 

53.  Bring'  ich  der  Lage  Bild  nun  Euch  entgegen 
Und  ihnen,  die  noch  sonst  am  Ufer  hin 

Als  edte  Herren  ziehn  nnd  kühne  Degen, 

So  geht  mir  der  Gedanke  durch  den  Sinn: 

Ich  hdre  so  von  IGtteln  wohl  und  W^gen, 

Zu  hindern,  wenn  ich  des  Tyrajoim  hm. 

Daß  er  doch  hmterdrein  Biren  behalte 

Und  wie  mit  mir  so  auch  mit  ihm  noch  schalte» 

54.  So  manchen  bat  ich  schon,  mich  zu  geleiten» 
Wenn  ich  mich  liefre  an  den  Friesen  dort. 
Und  jenen  Austausch  derart  anzuleiten 

—  Versprechen  mftes*  er  dies  mit  seinem  Wort 

Daß  ich  mich  gebe  —  doch  zu  gleichen  2^ten 
Frei  sei  Biren;  verfall'  ich  dann  dem  Mord, 
Getröstet  werd'  ich  sterben  und  zufrieden, 
Daß  ihm  mein  Tod  das  Leben  hat  beschieden. 

55.  Noch  keiner  wollte  mir  sein  Wort  verpfönden, 

Daß  er,  führt  man  zum  Friesenkönig  mich. 

Wenn  der  nicht  gleich  Biren  auch  will  entsenden« 

Hierher  zurück  mich  bring'  unweigerlich 

Und  nicht  mich  lasse  in  des  Feindes  Händen; 

So  fürchtet  jeder  vor  der  Waffe  sich. 

Der  gegenüber  nicht  es  hilft,  sich  rüsten. 

Mag  man  sich  auch  im  stärksten  Panzer  brfisten. 


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l84  NEUNTER  GESANG 


56.  Wenn  Will'  und  Mut  in  Euch  im  Einklang  stehen 
Mit  trutz'gem  Antlitz  und  herkul'scher  Kraft 
Und  Ihr  vermeint  zu  kommen  —  und  zu  gehen 
Mit  mir,  sobald  der  Friese  Falsches  schafft, 

So  mögt  Ihr  mich  in  seinen  Händen  sehen! 
Ich  sorge  nicht  — :  denn,  bin  ich  auch  in  Halt, 
So  wei6  ich  doch,  muß  ich  schon  selbst  verderben, 
Es  wird,  seid  Ihr  bei  ihm,  mein  Herr  nicht  sterben." 

57.  Des  Fräuleins  Rede,  vielfach  unterbrochen 

Von  Tränen  und  von  Seufzern,  fand  liier  Schluß. 
Roland,  der  sich  noch  niemals  hat  verkrochen 
Und,  gilt  es  Gutes  tun,  nie  zeigt  Verdruß, 
Sagt  kurz,  als  sie  zu  Ende  hat  gesprochen  i 
(Er  ist  kein  Freund  von  langem  Redefluß): 
Mdbr  als  sie  wünsche  werd'  erfüllt  sie  finden, 
•    Daianf  woU'  er  mit  seinem  Wort  sich  binden. 

58.  Daß  sie  dem  Leben  für  den  Freund  entsage. 
Schwebt  keineswegs  ihm  jetzt  als  Absicht  vor: 
Er  rettet  beide  wohl  mit  einem  Schlage, 

Warn  er  sein  Schwert  hat  md  nicht  Kraft  verlor. 
Sie  reisen  ab,  noch  an  demselben  Tage, 
Gpt  ist  der  Wind  mid  heU  das  Himmelstor. 
Der  Graf  hat  Eile,  denn  er  fühlt  Vedangen, 
Zmn  Eiland  jenes  Untiers  zu  gelangen. 

59.  Hieihin  und  dorthin  lenkt  von  Land  zu  Lande 
Durch  manchen  tiefen  Teich  der  Steuennann; 
Die  Inseln  Seelands  zeigen  ihre  Strande: 
Jetzt  schwindet  die,  und  jene  rückt  heran. 
Am  dritten  Tag  steht  er  auf  Hollands  Sande, 
Doch,  die  den  Friesen  haBt,  nicht  kommen  kann: 
Der  Graf  will,  daß  sie  von  dem  Schiff  aiis  sehe. 
Wie  es  dem  Wüterich  durch  ihn  ergehe. 


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NEUNTER  GESANG 


185 


60.  Auf  einen  Renner,  einen  schwärzlich-grauen. 
Steigt  er  am  Strand,  gerüstet,  nach  der  Fahrt; 
Ein  Däne  war's,  genährt  in  Flanderns  Auen, 
Und  mehr  von  starker  als  von  leichter  Art. 
Denn  als  der  Held  ging  sich  dem  Schiff  vertrauen, 
In  der  Bretagne  ward  sein  Roß  verwahrt, 

Der  Güldenzaum,  an  den  kein  Pferd  kann  reichen 
Und  der  sich  last  mit  Bajard  mag  veigleichen. 

61.  Nach  Dortrecht  kam  er,  sah  am  Tore  Wachen 
Und  daß  es  angefüllt  von  Kriegern  war, 

Teils,  weil  sich  Herrscher  immer  Soiigen  machen 
(Wenn  ihre  Herrschaft  noch  ein  Neuling  garl), 
Teils,  weil  gemeldet  waren  neue  Sachen: 
Von  Seeland  sei  zur  Fahrt  mit  einer  Schar 
Erlesner  Krieger  und  mit  vielen  Schiffen 
Ein  Vetter  des  gefangnen  Herrn  begriffen. 

62.  Graf  Roland  läßt  darauf  dem  König  sagen, 
Gekommen  sei  ein  Ritter  vor  die  Stadt, 

Wt  ihm  den  Kampf  auf  Lanz'  und  Schwert  zu  wagen: 

Doch  die  Bestimmung  finde  vorher  statt: 

Der  Ritter  liefre,  weid'  er  selbst  geschlagen. 

Die  Dam'  aus,  die  Arbant  getötet  hat; 

An  nahem  Orte  sei  sie  gut  verborgen; 

Er  selbst  könn'  ihr  Erscheinen  stets  besorgen. 

63.  Der  Kdnig  aber  soU  sdn  Wort  verpfänden. 
Im  Fall  der  Ritter  si^,  den  Kren 
Sofort  in  voller  Freiheit  zu  entsenden. 

Daß  er  des  Weges  sicher  möge  gehn. 

Der  Bote  eilt,  zum  König  sich  zu  wenden, 

Doch  er,  den  keiner  ehrhch  je  gesehn, 

Er  kennt  im  Augenblick  nur  dies  Beginnen: 

Auf  Trug,  Verrat  und  Hinterlisten  sinnen. 


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l86  NEUNTERGE8ANG 


64.  Er  denkt,  hab'  er  den  Ritter  in  der  Schlinge, 
So  hab'  er  —  falls  der  Bote  recht  vernahm. 
Daß  jener  Held  die  Dame  mit  sich  bringe  — 
Auch  sie,  die  Schmach  ihm  angetan  und  Gram. 
Ein  Trupp,  gebietet  er,  von  dreißig  dringe 

Aus  anderm  Tor,  als  jener  Ritter  kam, 
Zum  Platz  hinaus  und  falle  dort  mit  Tücken 
Nach  langem  Umwog  jenem  m  den  Rücken. 

65.  Der  Falsche  hält  ihn  hin  mit  leerem  Worte, 
Bis  Roß  und  Reiter  in  dem  Hinterhalt 

Sind  angelangt;  dann  sprengt  er  aus  der  Pforte, 
Mit  Mannschaft  rings  umgeben,  dergestalt, 
Wie  wohl  das  Wild  von  jedem  Zufluchtsorte 
Der  kund'ge  Jäger  sperren  mag  im  Wald, 
Und  wie  dort  im  Volano  mit  den  Netzen 
Die  Fischer  jeden  Wasserplatz  besetzen. 

66.  So  hat  der  König  mit  den  Kriegermassen, 
Daß  jener  nicht  entfliehe,  sorglich  acht; 

Er  will  ihn  lebend,  und  nicht  anders,  fassen 
Und  hat  sich  dieses  Ding  so  leicht  gedacht, 
Daß  er  den  irdischen  Blitz  zu  Haus  gelassen. 
Mit  dem  er  schon  so  viele  umgebracht; 
Denn  dieser  scheint  ihm  heute  nicht  vonndten. 
Wo  es  zu  greifen  gilt  und  nicht  zu  töten. 

67.  Wie  Vogebteller  lassen  Schlingen  hangen. 
Lebend  zu  haschen  ein  paar  VögeLein 
(Mit  ihrem  Ruf  und  ihrem  Zirpen  femgen 
Sie  ja  die  andern  vielen  hinterdrmn). 

So  ist  jetzt  dieses  Fiiesenherm  Verlangen: 
Doch  Roland  will  kein  solcher  Vogel  sein, 
Der  da  sich  greifen  läßt  beim  ersten  Zuge: 
Er  reißt  die  Schlinge  durch  mit  starkem  Fluge. 


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NEUNTER  GESANG 


187 


68.  Den  Speer  gesenkt,  wo  sie  am  dichtsten  reiten, 
Hin  sprengt  der  Ritter  von  Anglant  in  Hast: 
Er  spießt  den  einen  auf  und  gleich  den  zweiten, 
Den  dritten,  vierten  —  Semmeln  scheint  es  fast. 
So  läßt  er  bis  zu  sechs  den  Schaft  durchgleiten. 
Und  weil  die  eine  Lanze  mehr  nicht  faßt, 

Ist  draußen  nm)  der  nächste  Mann  gehlieben, 
Doch,  schwer  getroffen,  stirbt  auch  Nummer  sieben. 

69.  So  sehn  wir  Frösche  —  will's  dem  Jäger  glücken  — 
Aus  Gräben  und  Kanälen  an  dem  Strand 

Vom  Schützen  au^espießt  in  Seit'  und  Rücken 

Wohl  angereiht,  gar  viele  nacheinand; 

Er  pflegt  vom  Pfeil  nicht  einen  abzupflücken, 

Eh  er  gefüllt  von  vom  bis  hinten  stand. 

Der  Speer  flog  fort,  der  solcherart  beschwerte. 

Und  Roland  schritt  zum  Kampfe  mit  dem  Schwerte. 

70.  Zur  Klinge  griff  er  nach  dem  Lanzenbrechen, 
Die  niemals  ein  veigeblich  Werk  begann: 
Es  fiel  bei  jedem  Hauen,  Schneiden,  Stechen 

Ein  Mann  zu  Fufi,  sonst  auch  zu  Pferd  ein  Mann; 
Wo's  traf,  da  &bte  sich  von  roten  Bachen, 
Was  man  zuvor  als  blau,  weiß,  gelb  sah  an. 
Der  Friese  weiß  vor  Wut  sich  nldit  zu  fassen. 
Daß  er  sein  Feuerrohr  zu  Haus  gelassen. 

71.  Er  ruft  mit  lautem  Drohn,  man  soll  es  bringen. 
Doch  die  erschreckten  Krieger  hdren  nicht; 
Denn  jedem,  der  zurück  zur  Stadt  kann  dringen, 
Der  Mut,  aufi  neu  herauszugehn.  gebricht. 

Der  König  sah,  wie  alle  rückwärts  gingen, 
Und  war  auf  eigne  Rettung  nun  erpicht: 
Die  Brücke  aufzuziehn,  eilt  er  zur  Pforte, 
Doch  allzuschnell  ist  auch  der  Graf  am  Orte. 


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NBUKTER  GESANG 


72.  Umkehrend  läßt  der  König  Tor  und  Brücken 
Nun  völlig  frei  dem  grimmen  Rittersmann, 
Läßt  fliehend  alle  Mannschaft  hinterm  Rücken, 
Die  weil  sein  Pferd  am  besten  laufen  kann. 

Nach  niederm  Volk  will  Roland  nicht  sich  bücken, 
Nur  auf  den  Tod  des  Schurken  kommt's  ihm  an; 
Doch  wenig  f^ugt  sein  Tier  znm  raschen  Rennen: 
Man  könnt'  es  lahm,  das  dort  geflügelt  nennen. 

73.  Verschwimden  —  just  als  ob  ihn  Nacht  bedecke  — 
Ist  er  dem  Ritter;  doch  nach  kurzer  Weil' 
Kommt  er  mit  neuen  Waffen,  denn  ein  Recke 

Hat  ihm  das  Feuerrohr  gebracht  in  Eil'. 
Er  drückt  sich  lauernd  dicht  an  eine  Ecke 
Und  hairt,  so  wie  mit  Hmiden,  Spieß  und  Pfeil 
Der  Jäger  wildem  Eber  harrt  entgegen. 
Den  er  verheerend  hOrt  im  Wald  sich  regen 

74.  Und  Steine  wälzen  und  die  Zweige  knicken: 

Ein  Berg  —  so  scheint's  —  sich  in  Bewegung  setzt; 
Läßt  sich  der  stolze  Kopf  des  Tieres  blicken. 
Meint  man,  es  werde  rings  der  Wald  zerfetzt. 
Ciinosk  steht  lauenid,  und  am  Zesag  zu  flicken 
Denkt  er  dem  übermüt'gen  Grafen  jetzt 
Der  kommt  — :  das  Feuer  in  dem  Spalt  am  Rdir  blitzt. 
Worauf  der  Schuß  im  Augenblick  hervoiblitzt. 

75.  Von  hinten  leuchtet's  auf  wie  beim  Gewitter, 
Und  vorne  kracht's,  entsendend  DonnerknalL 
Der  Boden  schwankt,  als  ob  er  beb'  und  zitter'. 
Der  Himmel  oben  dröhnt  vom  grausen  Schall. 
Der  gluhnde  Pfeil  (es  sinkt  vor  ihm  in  SpHtter, 
Was  er  nur  trifft,  und  sei's  dn  Felsenwall), 

Er  saust  und  zischt ;  doch  sollt'  er  Unheil  bringen 
Nach  Wunsch  des  Mörders,  wollt'  es  nicht  gehngen. 


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N  EÜNTER  GESANG  189 


76.  War's  Eile  oder  daß  za  sehr  er  glühte, 
Roland  zu  töten,  was  ihn  fehlen  UeB? 
War's,  daß,  wie  Blätter  bebend,  sein  Gemüte 

.   Zugleich  auch  Arm  und  Hände  beben  hieß? 
"War's,  daß  den  treuen  Held  die  ew'ge  Güte, 
Die  noch  ihn  brauchte,  nicht  in  Not  verließ?  — 
Der  Schuß  drang  in  den  Leib  hinein  dem  Pferde 
Und«  nie  sich  zu  erheben»  üel's  zur  Erde. 

77.  Es  stürzt  das  Roß,  es  stürzt  der  Reiter  nieder. 
Doch  jenes  bleibt,  und  dieser,  leicht  und  frei. 
Springt  auf  geschickt  und  regt  so  frisch  die  Glieder, 
Ob  Atem  ihm  und  Kraft  gewachsen  sei. 

Wie  sie  gedoppelt  kam  Antäus  N^ieder 
Vom  Boden  dort  in  Libyens  Wüstenei, 
So  schien's,  daß  bei  Berührung  mit  der  Erde 
Roland  die  Stärke  nea  gegeben  werde. 

78.  Wer  je  das  Feuer  sah  vom  Himmel  fahren, 
Von  Zeus  mit  solchem  Krachen  ausgesandt. 
Hinkommen,  wo  die  Menschen  aufbewahren 
Salpeter,  Schwefel,  Kohlen,  allerhand 

(Wie  leicht  auch  die  Zusammenstöße  waren. 
So  steht  doch  Eid'  und  Himmel  gleich  in  Brand; 
Hartes  Gestein  zerreißt,  die  Ifaaem  springen. 
Und  Felsenstücke  zu  den  Sternen  dringen), 

79.  Der  denke:  also  hob  sich  von  der  Erde, 
Die  er  berührt,  Roland  der  Paladin; 
Mit  solcher  wilden,  schrecklichen  Gebärde, 
Daß  Mars  im  Himmel  drob  zu  zittern  schien. 
Umwandte  sich  der  Friese  mit  dem  Pferde, 
Entsetzt  und  schaudernd,  jäh  davonzufliehn; 
Doch  Roland  hinterdrein  mit  grdßrer  Eile 
Als,  fortgeschnellt  vom  Bogen,  rasche  Pfeile  l 


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190  NEU  NTER  GESANG 


80.  Was  er  vorher  umsonst  versucht,  beritten, 
Das  führt  er  aus,  nun  er  auf  Füßen  steht: 

Er  folgt  so  rasch  und  mit  so  mächt  gen  Schritten, 
Ihr  glaubt  es  nicht,  wenn  Ihr's  nicht  selber  seht 
Er  holt  ihn  ein,  und  auf  des  Helmes  Mitten 
Schwingt  er  das  Schwert,  und  durch  das  Eisen  geht 
Die  Klinge,  haut  hinab  bis  auf  die  Kehle  — « 
Der  Friese  baucht  am  Boden  aus  die  Seele. 

81.  Da  hört  man  neuen  W'affenlärm  erklingen 
Und  neu  Getümmel  drinnen  in  der  Stadt: 
Die  Krieger  sind's  und  wollen  Hilfe  bringen. 
Die  hergeführt  Birenos  Vetter  hat. 

Sie  können  durch  die  offnen  Tore  dringen. 
Und  durch  die  Straßen  geht  der  Durchzug  glatt; 
Sie  dürfen  ohne  Schwertstreich  sie  durchlaufen: 
So  bang  vor  Roland  sind  die  Büigerbaufen: 

82.  Die  fragen  nicht  —  sie  fliehen  voller  £ile  — , 
Wer  jene  seien  und  was  ihr  Begehr; 

Doch  merkt  an  Sprache  mancher  mittlerweile 
Und  an  dem  Kleid,  sie  sind  aus  Seeland  her, 
Sagt:  Friede  werde  dieser  Schar  zuteile, 
-  Stellt  auch  sich  zur  Verfügung  wohl  dem  Heer 
Und  wiU  ihm  beistehn  gegen  jene  Friesen, 
Die  seudem  Herzog  grausam  sich  bewiesen. 

83.  Feind  ist  dem  Friesenkonig  und  den  Seinen 
Das  ganze  Volk  geblieben  inmierdar. 

Weil  alle  noch  den  frühem  Heim  beweinen. 
Und  weil  der  Friese  hart  und  ränbrisch  war. 
Rdand  versteht  die  zwd  Partein  zu  einen. 
Zeigt  sich  als  Freund  so  der  wie  jener  Schar. 
Ifan  duldet  keinen  Friesen  mehr  im  Lande: 
Man  tötet  oder  schlägt  sie  all  in  Bande. 


N  E  U  N  T  E  R  G  E  S  A  N  G  igi 


84.  Am  Boden  liegen  die  Geffingnispforteo, 
Zertrümmert,  dnen  Schldssd  braucht  man  nicht. 

Biren  an  Roland  mit  beredten  Worten 
Den  Dank  für  Rettung  vor  dem  Tode  spricht. 
Zusammen  gehn  sie,  wo  im  Schiffe  dorten 
Olympia  harrt  mit  bangem  Angesicht. 
Dies  ist  der  Name,  den  die  Dame  führte. 
Der  jenes  Inselreich  mit  Recht  gebührte» 

85.  Sie,  die  den  Grafen  nach  dem  Eiland  brachte. 
Nur  um  ihr  den  Verlobten  zu  befrein, 

Die  niemals  noch  an  solclie  Lösung  dachte. 
Auf  seine  Rettung  sinnend  ganz  allein. 
Wie  auch  das  Volk  ihr  Anbück  glückhch  machte  — 
Zu  lange  würd'  es  Euch  zu  schildern  sein. 
Und  wie  sich  beide  in  die  Arme  sanken, 
Dann  stets  au&  neue  Roland  heiß  zu  dankwi 

86.  Als  dann  zum  Treueschwur  die  Bürger  gingen. 
Erhielt  die  Fürstin  wiederum  ihr  Land. 

Sie  eilt,  Biren  —  an  den  mit  ew'gen  Schlingen 
Stahlharter  Kette  Liebe  fest  sie  band  — 
Nebst  ihrem  Reich  sich  selber  darsubiingen. 
Und  er,  nun  andern  Sorgen  zugewandt, 
Gibt  seinem  Vetter  alle  Rdch^gewalten 
Und  läßt  der  Burgen  ihn  und  Güter  walten: 

87.  Zurück  nach  Seeland,  sagt  er,  woll'  er  reisen 
(Dort  fuhr*  er  auch  die  treue  Gattin  hin). 
Erproben,  ob  das  Kriegsglück  hold  sich  weisen 
In  Fliesland  werde.  Heg'  in  seinem  Sinn; 

Ein  Pfand  soU'  ihm  dort  seine  Kraft  beweisen. 
Und  dieses  Pfond  halt'  er  in  Händen  drin: 
Des  Königs  Kind,  gefangen  mit  den  vielen. 
Die  bei  der  Beut'  ilun  in  die  Hände  fielen. 


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192  N  F  r  N  T  Ii  R   G  E  S  A  N  G 


88.  Bern  Bruder  möcfat'  er  gerne  sie  vermählen. 
Der  jünger  noch  an  Jahren  war,  za  Haus. 
Den  gleicfaen  Tag  will  Roms  Senator  wählen 
Zmn  Absdued,  da  Kreno  fuhr  hinaus. 

Soviel  man  konnte  Beutestücke  zählen. 
Nahm  er  für  sich  ein  einziges  heraus: 
Das  Marterrohr,  mit  dem,  wie  wir  gesehen, 
Unheil  wie  durch  den  Blitzstrahl  mag  geschehen. 

89.  Der  Waffe  sich  zum  Schutze  zu  bedienen. 

Das  war  es  nicht,  worauf  der  Ritter  sann, 
Denn  immer  war  es  ihm  als  feig  erschienen. 
Wenn  einen  Vorteil  nahm  im  Kampf  ein  Mann. 
Wo  keinem  Menschen  schaden  Mordmaschinen, 
Da  soll  es  nihn  für  alle  Zeit  fortan. 
Auch  Pulver  nahm  er,  Kugeln  und  was  alles 
Dazugehören  mochte  allenialles. 

90.  Drum  als  er  mit  dem  Schiff  nun  weit  vom  Lande 
Ins  tiefe  Meer  hinausgefahren  war 

(Nicht  von  dem  rechten,  nicht  vom  linken  Strande 
Bot  sich  vom  Lande  mehr  ein  Zeichen  dar). 
Nahm  er's  und  sprach :  „Du  seist  nicht  mehr  imstande 
Zu  krönen  schlechten  Mann,  des  Mutes  barl 
Daß  echte  Rittertugend  nicht  verschwinde. 
Bleibe  du  hier,  wo  keiner  mehr  dich  finde. 

91.  Aiges  Gerät,  abscheuhch,  gottverlassen, 
Das  aus  dem  Tartarus  der  Teufel  gab! 

Dich  brachte  Beelzebub  mit  tück'schem  Hassen 
Den  Menschen  zu  Verderben,  Tod  und  Grab, 
Laß  von  der  HäQ*  aufs  neue  dich  eifaase&r' 
Er  sprach's  und  warf  das  Feuerrohr  hinab. 
Zur  Greuel-Insel  trieb  indes  geschwinde 
Das  Schiff  mit  vollen  S^gefai  vor  dem  Wnde. 


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NEUNTER  GESANG 


193 


92.  Den  Grafen  treiben  vorwärts  Sehnsuchtsflammen 
(Er  brennt  zu  hören,  was  man  von  ihr  weiß; 
Sie  Hebt  er  mehr  als  alle  Welt  zusammen; 

Ihr  fem,  lockt  ihn  kein  Glück,  nicht  laut,  nicht  leis). 
Drum  läßt  er  Irland  liegen,  denn  entstammen 
Kann  neuer  Aufenthalt  ja  dieser  Reis*, 
Und  mit  der  Klage  wird  vielleicht  geendet: 
,Ach«  hätt'  ich  doch  die  Schritte  fortgewendet  1' 

93.  In  England  auch  verbot  er  anzulegen 
Und  wo  ein  Ufer  sonst  gesehen  ward. 
Doch  lassen  wir  ilin  ziehen  meinetwegen, 
Wohin  da  führt  des  nackten  Schützen  ArtI 
Ich  möchte  jetzt  nach  Holland  mich  bewegen 
Und  Jad'  auch  Euch  mit  ein  zu  dieser  Fahrt. 
Dean  so  wie  iniGh  würd'  es  wohl  Euch  verdrießen. 
Sollte  die  Festzeit  ohne  uns  verffiefien. 

94.  Schön  ist  die  Hochzeit  wohl,  zu  der  wir  steuern. 
Indes  so  schön  und  glänzend  nicht  jetzund. 
Wie  die  in  Seeland  noch  sich  soll  erneuern. 
Doch  feiern  wir  nicht  mit  den  neuen  Bund; 
Denn  Unheil  will  mit  fnschen  Abenteuern 

Ihn  stdcen.  Alles  sonst  wird  später  kund; 

Im  nächsten  Sange  will  ich  es  erzählen. 

Wenn  mir  zum  nächsten  Sang  nicht  Hdrer  fehlen. 


Arlott  I  13 


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ZEHNTER  GESANG 


Von  allen,  die  getreu  dem  edlen  Triebe 
Und  festen  Herzens  je  die  Welt  erfand; 
Von  allen,  die  als  Muster  hoher  Liebe 
Standhaft  in  Freud*  und  Leiden  man  gekannt  — 
Der  erste  Platz  (eh*r  als  der  zweite)  bliebe 
Olympia:  nimmt  sie  nicht  höher n  Stand» 
So  sag'  ich  dies :  es  braucht  bei  alt  und  neuen 
Nicht  ihre  Liebe  den  Veigleich  zu  scheuen. 

Davon  hat  sie  Biren  Beweis  gegeben 

So  unumstößlich  sicher  und  so  klar: 

Kein  Weib  tat  jemals  mehr  in  ihrem  Leben, 

Bot*  ihre  Brust  sich  auch  geöffnet  dar. 

Wenn  nun  ein  Herz,  so  treu»  so  hingegeben» 

Jemals  der  Gegenliebe  wfirdig  war» 

So  ist  für  den  Biren  es  vorgeschrieben: 

Er  muß  sie  wie  sich  selbst»  nein»  mehr  noch  heben; 

Nicht  nur  sie  niemals  um  ein  Weib  verlassen» 
Und  wär'  es  selber  jene  Helena» 
Anlaß  von  Asiens  und  Europas  Hassen» 
Und  falls  die  Welt  noch  eine  Schönre  sah  — 
Nein»  von  der  Sonne  scheidend»  selbst  erUassen 
Und  alles  opfernd  für  Olympia» 
Atem  und  Ruhm»  und  was  man  sonst  erdenken 
Wohl  könnt*  an  allerköstlichsten  Gesdienken. 


ZEHNTER   C;  E  S  A  N  G 


4.  Ob  ihr  Biren  die  Treue  hat  gehalten 
So  wie  sie  ihm,  ob  er  ihr  zugewandt 

Liebreich  wie  sie,  —  nie  Segel  zu  entfalten 

Gedachte  hin  nach  einem  andern  Land  — 
Oder  ob  ihre  Opfer  nichts  ihm  galten, 
Ob  gegen  Lieb'  und  Treu'  er  grausam  stand, 
Das  sollt  ihr  jetzt  mit  Staunen  selber  schauen, 
Gepreßt  die  Lippen  und  gewölbt  die  Brauen. 

5.  Und  hört  ihr  von  der  Niedertracht  mit  Grauen, 
Die  für  so  vieles  Gute  ihr  geschieht, 

Es  tut  nicht  gut,  bedenkt  es  wohl,  o  Frauen! 
Gläubig  zu  lauschen  des  Verliebten  Lied! 
Denn  der,  bedacht  nur,  sich  am  Ziel  zu  schauen. 
Vergißt,  daß  Gott  doch  alles  hört  und  sieht. 
Und  hat  gar  leicht  zu  Schwüren  sich  vet&tiegen, 
Die  nachher  bald  in  alle  Winde  fliegen. 

6.  Schwur  und  Versprechen  werden  fortgetragen, 
Verweht  und  in  die  Luft  gestreut  vom  Wind, 
Sobald  die  Wünsche,  die  Verliebte  plagen. 
Gestillt,  erloschen  ihre  Gluten  sind. 

Drum  wenn  die  Männer  bitten  oder  klagen. 
Nehmt's  nicht  für  bare  Münxe  zu  geschwind! 
Dies,  werte  Damen,  ist  der  Weisheit  Pfosten: 
Gewitzt  zu  werden  auf  der  andern  Kosten  1 

7.  Seid  auf  der  Hut  vor  Männern  in  der  Blüte 
Der  Jugend,  mit  den  Mienen  schön  und  glatt  1 
Strohfeuer  lodert  ihnen  im  Gemüte, 

Das  kommt  und  stirbt;  bald  wird  die  Flamme  matt. 
Wie  nach  dem  Hasen  erst  der  Jäger  glühte 
Bei  Kitz'  und  Frost  und,  wenn  er  dann  ihn  hat. 
Nun  den  erlegten  nicht  mehr  pflegt  zu  schätzen, 
WeiPs  nur  erfreut,  dem  fiiehnden  nachzusetzen  — 

13» 


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T06  Z  F  H  N  T  F  F    C  F  ^  A  V  C 


8.  So  machen  es  genau  die  jungen  Leate: 
Abstoßend  zeigt  euch,  spröd'  und  kalt  und  hart. 
So  lieben  und  verehren  sie  euch  heute. 

Nach  wohlerzogner,  treuer  Werber  Art. 

Doch  rühmen  sie  sich  erst  der  sichern  Beute, 
Bald  aus  der  Herrin  eine  Sklavin  ward, 
Und  ihre  Lieb'  ist  euch  mit  eins  entzogen  — 
Die  falsche  ist  wo  anders  hingeflogen. 

9.  Nicht  will  ich  euch  die  Liebe  drum  verleiden; 

Das  wär*  verkehrt;  schwurst  du  der  Liebe  ab, 
Mußt  du  von  Lust  dich  wie  die  Rebe  scheiden. 
Die  nicht  zur  Stütz  hat  Pflanzen  oder  Stab. 
Nur  jene  grüne  Jugend  sollt  ihr  meiden, 
Schwankend  und  unbeständig,  stets  im  Trab! 
Pflückt  lieber  Frucht,  die  sauer  nicht  noch  hart  ist. 
Wofern  sie  nur  nicht  überreifer  Art  ist.  — 

10.  Ich  sagt'  euch,  in  der  Beute  wird  gefunden 
Des  Friesenkönigs  schönes  Töchterlein; 

Sie  soll,  man  hört  es  allgemein  bekunden. 

Die  Gattin  von  Birenos  Bruder  sein; 

Doch  —  grad  heraus !  —  ihm  selber  will  sie  munden. 

Zu  lecker  ist  der  Bissen  doch  und  fein! 

Und  Klugheit  würde  jener  Rücksicht  fehlen, 

Die  andern  gibt,  was  sie  für  sich  kann  stehlen. 

11.  Das  Fräulein  hatte  noch  nicht  überschritten 
Die  Vierzehn,  war  ein  schönes,  frisches  Ding, 
Ein  knospend  Röslein,  das  aus  Buschesmitten 
Vorbricht,  sobald  die  Sonne  höher  ging. 
Biren  hat  nicht  nur  Liebesqual  erlitten. 
Nein,  Zunder  nie  derartig  Feuer  fing; 
Kein  Feuer  je  so  bUtzschnell  Nahnmg  iande 

Im  reifen  Kom,  geschürt  durch  neid'scfae  HSnde« 


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ZEHNTER  GESANG 


12.  Wie  er  sicli  von  den  Flammen  ließ  erfassen 
Und  Feuer  drang  bis  tief  ins  Mark  hinein, 
Als  er  beim  Tod  des  Vaters  dort  erblassen 
Und  weinen  sah  das  holde  Mägdelein; 

Und  wie  des  Wassers  Glut  pflegt  nachzulassen, 
Sobald  sich  neues,  frisches  mischt  hinein. 
Die  Liebe  zu  der  Gattin,  ach,  sich  kühlte, 
Als  er  die  neue  Lieb'  im  Heizen  fühlte. 

13.  Gleichgültig  nicht,  sie  ist  ilmi  widerwärtig. 
So  daß  er  jetzt  sie  kaum  noch  sehen  kann. 
Und  für  die  andre  brennt  er  gegenwärtig; 
Wenn  es  noch  lange  währt,  stirbt  er  daran. 
Doch  bis  znm  Tag,  an  dem  er  alles  fertig 
Für  seine  Pläne  hofft,  strengt  er  sich  an: 

In  heifier  Liebe  schehit  er  zu  veigefaen 
Und  nur,  was  ihr  gefiel,  selbst  gern  zu  sehen. 

14.  Liebkost  der  junge  Mann  die  gute  Kleine 
(Und  mehr,  als  grade  nötig,  er  es  tat), 

So  wirft  man  drob  auf  ihn  nicht  etwa  Steine, 
0  nein,  man  nennt  ihn  mitleidsvoll  und  gut; 
Denn  dem  Gefallnen  hilft  man  auf  die  Beine, 
Und  gar  nun  so  betrübtem  jungem  Blut, 
Das  war  nie  tadelnswert,  war  vielfach  rühmlich 
Und  einem  edlen  Herzen  eigentümlich. 

15.  Gott,  wie  verkehrt  ist  oft  der  Menschen  Schalten! 
Wie  oft  ein  Schleier  ihren  Sinn  umwand! 

Für  fromm  und  gut  die  Zärtlichkeiten  galten, 

Und  ruchlos  war  und  böse  doch  die  Hand!  — 
Sieh  da!  Die  Schiffer  schon  die  Ruder  halten. 
Und  vorwärts  geht  es,  fort  vom  sichern  Strand: 
Hin  durch  das  Salzgewässer  fröhlich  fahren 
Der  Herzog  und  die  sonst  noch  mit  ihm  waren. 


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198  Z  E  HNTER  GESANG 


16.  Die  Küsten  Hollands  schwanden  in  die  Weite, 
Und  bald  erkennt  das  Auge  sie  nicht  mehr. 
Friesland  zu  meiden,  nach  der  linken  Seite 
Hielt  man  sich  etwas  mehr  nach  Schottland  her. 
Als  ihnen  starker  Wind  gibt  das  Geleite, 

Der  sie  drei  Tag*  lang  inen  läßt  im  Meer. 

Am  dritten  kommen  sie  —  es  dunkelt  mählich  — 

Zu  einer  Insel  öd  und  wüst,  trübselig. 

17.  Olympia  stieg  ans  Land  (zum  Ankern  hatten 
Sie  eine  Bucht  gewählt),  zufrieden  mit  der  Welt 
Speist  sie  mit  ihrem  ungetreuen  Gatten, 

Und  kein  Verdacht  in  ihre  Freude  fällt. 
Fürs  Lager  kam  ein  hübscher  Ort  zustatten; 
Da  geht  sie  mit  ihm  schlafen  unterm  Zelt. 
Die  andern  wandten  sich  zum  Wasser  wieder 
Und  streckten  sich  auf  ihren  Schiffen  nieder. 

18.  Seekrankheit  und  die  Furcht  im  Schiff,  dem  schwan- 
Hatten  sie  wach  gehalten  manchen  Tag;  [ken. 
Am  sichern  Ufer  alle  Sorgen  sanken. 

Und  das  Gefühl,  daß  sie  geborgen  lag, 
Und  daß  nichts  mehr  von  qualenden  Gedanken, 
Weil  sie  ja  ihn  hat,  sie  bedrängen  mag. 
Versenkt  sie  gleich  in  Schlaf  und  in  so  tiefen, 
DaB  Murmeltier  und  Bär  nie  fester  schliefen. 

19.  Als  sie  der  Falsche  schlummern  sieht  (denn  wachen 
Ließ  ihn  sein  böser,  ränkevoller  Sinn), 

Leis,  leis  schlüpft  er  vom  Bette  (seine  Sachen 
—  Er  zieht  nichts  an  —  hat  er  im  Bihidel  drin); 
Er  läßt  das  Zelt  und  eilt  —  denn  Flügel  machen 
:  Ihm  seine  Wünsche  —  zu  den  Leuten  hin 
Und  wedct  sie:  ohne  einen  Laut  zu  geben. 
Vom  Ufer  weg  ins  offne  Meer  sie  streben. 


ZEHNTER  GESANG 


20.  Die  Arme  bleibt  zurück  —  und  das  Gestade . . . 

Olympia  schläft,  ist  früher  nicht  erwacht. 

Bis  auf  die  Eid'  hinab  vom  goldnen  Rade 

Aurora  streut  des  eis 'gen  Reifes  Pracht 

Und  bis  Alcyone  vom  Meeresbade 

Des  alten  Leids  in  Klagen  hat  gedacht.  [sie 

Halb  wach,  halb  schlafend  jetzt  das  Hündchen  streckt 

Biren  zum  Kuß  —  doch  niemanden  erweckt  sie. 

21.  Niemand!  Sie  hat  die  Hand  zurückgezogen, 
Und  jetzt  aufs  neue  tastet  sie  umher, 

Den  Arm  gestreckt  und  jenen  Arm  gebogen, 
Und  sucht  mit  Fuß  und  Fuße  —  alles  leer! 
Sie  schaut  sich  um;  Schlaf  ist  vor  Furcht  verflogen; 
Niemand  ist  da  —  nun  hält  sie  nimmermehr 
Ihr  leer,  verwitwet  Bett:  gleich  einem  Pfeile 
Fliegt  sie  heraus  und  läBt  das  Zelt  in  Eile. 

22.  Die  Wangen  sich  zerfleischend,  nach  dem  Rande 
Des  Meeres  läuft  sie  —  Unglück  ist  ihr  klar  — , 
BUckt  auf  und  ab  (der  Mond  liegt  auf  dem  Sande) 
Und  schlägt  die  Brust  und  rauft  sich  wild  das  Haar: 
Ob  nichts  dem  Blick  sich  bietet  auBerm  Strande?  — 
Und  außenn  Strande  bietet  nichts  sich  dar. 

Sie  rief  Kren  —  zurück  die  Rufe  kamen 
Aus  mitleidvollen  Höhlen  —  mit  dem  Namen. 

23.  Es  ragt  ein  Fels  am  äußersten  Gestade; 
Die  Wogen  hatten  ihn  durch  Anprall  schwer 
So  ausgehöhlt  wie  einen  Bogen  grade. 

Und  oben  hing  er  über  nach  dem  Meer. 
Sie  klomm  in  Eil'  hinan  auf  steilem  Pfade 
(Es  spornte  Herzensangst  sie  ja  so  sehr). 
Und  vollgeblähte  Segel  sieht  sie  gleiten 
Und  ihren  Falschen  fliehn  in  ferne  Weiten. 


200 


Z  F  H  N  T  K  K    n  F  S  \  X  G 


24.  Sie  sieht  ihn  oder  glaubt  doch,  ihn  zu  sehen» 
Denn  vdUig  hell  war  noch  der  Moigen  nicht: 
Da  stürzt  sie  hin  nnd  will  vor  Schmers  veigehen. 

Blasser  als  kalter  Schnee  im  Angesicht. 
Doch  als  sie  wieder  könnt*  auf  Füßen  stehen, 
Rief  sie,  zur  Bahn  des  Schiffes  hin  gericht't. 
Mit  allen  Kräften,  die  die  Lungen  hatten, 
Mehrmais  den  Namen  ihres  bösen  Gatten 

25«  Und  weint — die  schwache  Stimme  will  nicht  reichen — 

Und  schlägt  die  Händ'  zusammen  immerfort: 
,, Grausamer,  sprich,  wohin  willst  du  entweichen? 
Dein  Schiff  hat  nicht  die  rechte  Last  an  Bord! 
Nicht  schwerer  wird  es  durch  die  Fluten  streichen. 
Führt  es  auch  mich:  die  Seel'  ist  ja  schon  dort!" 
Und  macht  mit  Kleidern  21eichen  und  mit  Händen, 
Daß  doch  das  Schiff  zur  Umkehr  möge  wenden. 

26.  Allein  die  Winde,  die  von  dannen  tragen 
Den  Ungetreuen  und  das  Schifflein  gut, 
Sie  tragen  auch  davon  der  Armen  Klagen 
Und  ihre  Tränen  und  verstörten  Mut. 

Sie  sprang  dreimal,  den  Tod  sich  zu  erjagen. 
Hinab  vom  Strand,  kehrt  gegen  sich  die  Wut; 
Dann  hört  sie  auf,  zu  starren  auf  die  Fluten, 
Und  geht  zurück,  hin,  wo  des  Nachts  sie  ruhten. 

27.  Sie  liegt,  das  Antlitz  abwärts,  auf  dem  Bette; 
In  heißen  Tränen  badet  sie's  und  spricht: 
,,Du  waist  uns  zweien  abends  Ruhestätte; 
Warum  sind  zwei  wir  heut  beim  Aufstehn  nicht? 
O  weh,  Biren!  O  wehe  mir!  Und  hätte 

Mich  nie  gesehen  doch  des  Tages  Licht  1 
Was  soll  ich  ton?  Was  kann  ich  tun  alleine? 
Wer  steht  mir  bei?  Wer  tröstet,  wemi  idi  weine? 


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ZEHNtER  GESANG 


aoi 


^8.  Es  will  kein  Mensch,  kein  Menschen  werk  sich  zeigen. 
Und  nichts  verrät  mir,  daß  hier  Menschen  sei'n. 
Ich  sehe  auch  kein  Schiff,  daraufzusteigen 
Und  mich  aus  dieser  Öde  zu  befrei n. 
Ich  sterb'  in  Angst:  wer  wird  sich  zu  mir  neigen. 
Das  Aug'  zu  schheßen,  wer  Bestattung  weihn? 
Falls  nicht  vielleicht  das  Grab  mir  Wölie  geben 
In  ihrem  Leib»  die  hier  im  Walde  leben. 

29.  Ich  steh'  in  Angst  und  wähne  schon  zu  schauen, 
Wie  Low'  und  Bär  aus  diesem  Dickicht  nahn, 
Tiger  und  andre  Tiere,  die  mit  Klauen 

Natur  bewaffnet  hat  und  scharfem  Zahn. 
Doch  könnte  mir  vor  schlimmrem  Tode  grauen, 
Als  den  du,  wildes  Tier,  mir  angetan? 
Sie  bringen  einmal  mir  den  Tod,  den  herben; 
Da  aber,  weh,  läBt  tausendmal  mich  sterben! 

30.  Doch  falls  ich  wirklich  einen  Schiffer  sehe. 

Der  fort  mich  nimmt  und  Mitleid  fühlt  mit  mir. 
Daß  ich  dem  Leid,  der  Todesqual  entgehe 
Und  Wolf  und  Bär  und  anderem  Getier  — 
Bringt  er  mich  wohl  nach  Holland,  wenn  dort,  wehet 
In  Buig  und  Hafen  deine  Wächter  Stefan? 
Muß  ich  nicht  weiter  dann  die  Heimat  missen. 
Wenn  du  sie  mit  Betrug  mir  hast  entrissen? 

31.  Du  nahmst,  von  Freundschaft  sprechend,  meine  Habe; 
Schütztest  Verwandtschaft  vor,  du  falscher  HortI 
Rasch  deinen  Leuten  botest  du  die  Gabe; 

So  sichertest  du  dir  die  Herrschaft  dort. 
Geh'  ich  nach  Flandern?  Was  mir  blieb,  das  habe 
Ich  doch  verkauft;  das  Wen'ge  ging  ja  fort. 
Dir  beizustehn,  dich  aus  dem  Turm  zu  retten! 
Wohin,  ach,  geh'  ich  arme  Frau  mich  betten? 


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ZEHNTER  GESANG 


32.  Fahl*  ich  nach  Frieslandhin?  Dort  k&mt'kh  schalten 
Als  Königin  —  idi  weigert'  es  um  dich! 

Drum  mußten  Vater,  Brüder  mir  erkalten. 

Und  darum  ließ  ich  Hab  und  Gut  im  Stich! 
Nicht  dir  zu  zeigen,  nicht  dir  vorzuhalten 
Braucht's,  Undankbarer,  was  geschah  durch  mich. 
Denn  w^s  ich  alles  tat.  du  weißt  es  eben. 
Wie  ich  —  und  diesen  Lohn  willst  du  mir  geben! 

33.  Warum,  ach,  faßten,  die  als  Räuber  streifen. 
Mich  nicht  als  Sklavin  für  den  Marktverkauf! 
Wolf,  Bär  und  Löwe  mögen  eh'r  mich  greifen 
Und  Tiger  und  der  andern  Bestien  Häuf, 
Und  mögen  mich  zur  Höhle  blutig  schleifen. 
Zerfleischt  von  Krallen  und  zermalmt  darauf!"  — 
Sie  ruft's  —  und  anf  cum  Hanpt  die  Hände  iaihrea 
Und  zerren  gransam  an  den  goldnen  Haaren. 

34.  Zum  Küstenrande  läuft  sie  hin  aufs  neue 

Und  reckt  den  Hals,  zerzaust  im  Wind  das  Haar; 

Wie  hirnverbrannt,  als  jage  und  bedräue 

Ein  Teufel  sie,  —  nein,  eine  ganze  Schar» 

Wie  Heknba  schien  wütend  wie  ein  Leoe, 

Als  Polydoros  eine  Leiche  war. 

Von  dnem  Felsen  anf  das  Meer  sie  starrte, 

Lehks»  ak  ob  sie  seihst  zum  FcJs  et&laiile. 

35.  Wir  lassen  sie  in  ihres  Kummers  Bande; 
Von  Roger  mm  zu  sprechen  ist  mein  Sinn. 
Der  in  der  höchsten  Mittagsglut  am  Strande, 
Mnd  nnd  erschöpft,  mühselig  trabt  dahin. 
VnE  hegt  die  Sonne  anf  dem  Htgdnmde, 
Von  unten  kocht's  im  feinen  Sande  drin. 

Am  Leib  die  Ru&lung*  dranf  die  Strahlen  s|vuhen. 
Ist  nahezu,  wie  er  sie  trägt,  im  Glühen. 


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ZEHNTER  GESANG 


203 


36.  Derweilen  Durst  und  Müh',  voranzuschreiten 
Einsam  auf  tiefem  Sand  und  ödem  Pfad, 
Ihn  durch  den  offnen  Plan  dahingeleiten 
(Der  sowie  die  ein  schlechter  Kamerad), 
Sieht  er  in  eines  Turmes  Schattenseiten, 

Der  aus  dem  Meer  ragt  unweit  vom  Gestad\ 
Drei  Damen  von  dem  Hofe  der  Alcine, 
Die  er  sofort  erkennt  an  Tracht  und  Miene. 

37.  Auf  Decken  Alexandrias  da  lagen 
Sie,  und  sie  sogen  kühle  Seeluft  ein, 
Genossen  feines  Backwerk  mit  Behagen, 
Und  für  den  Durst  bereit  stand  edler  Wein. 
Vom  Strand,  wo  neckend  sich  die  Wellen  jagen. 
Ein  schmuckes  Boot  winkt,  will  bestiegen  sein. 
Sobald  ein  Hauch  die  Segel  wird  beleben; 
Denn  nicht  ein  einzig  Lüftchen  xegt  sich  eben. 

38.  Als  sie  den  Reiter  sahn  des  Weges  kommen 

Und  mühsam  traben  durch  den  schwanken  Sand» 
Mit  schweißbedecktem  Antlitz,  trüb,  beklommen 
—  Aul  seinen  Lippen  Durst  geschrieben  stand  — , 
Da  riefen  sie  ihm  zu,  er  sd  willkommen. 
Wenn  nicht  auf  seine  Reise  ganz  verrannt; 
Er  mOge  nicht  die  Rast  verschmähn  im  Schatten, 
Erquickung  tauge  seinem  Leib,  dem  matten. 

39.  Die  eine  winkt  ihm,  sich  vom  Pferd  zu  schwingen, 
Und  will  beim  Abstieg  ihm  behilflich  sein; 

Die  zweite  kommt,  kristaUnes  Glas  zu  bringen 
(Wie  wächst  sdn  Durst !)  mit  schaumgekrSntem  Wein, 
Doch  mag  er  nicht  nach  dieser  Pfeife  springen: 
Denn,  laßt  er  nur  auf  kurze  Rast  sich  ein, 
Kann's  leicht  geschehen,  daß  Alcine  da  ist. 
Die  hinterdrein  kommt  und  zur  Zeit  schon  nah  ist. 


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904 


ZEHNTER  GESANG 


40.  So  lodert,  gluterfaßt,  in  jähem  Feuer 

Nicht  reiner  Schwefel  und  Salpeter  auf; 

So  rast  das  Meer  nicht,  wild  und  ungeheuer, 

Wenn  schwarzer  Sturm  mit  Drohen  steigt  herauf» 

Wie  (da  sie  sieht,  daß  Roger  nur  noch  scheuer 

Am  Strande  hinlenkt  in  geradem  Lauf 

Und  daß  er  alle  drei  verschmäht  zusammen) 

Die  dritte  wütend  anfängt  aufzuflammen. 

41.  Laut  kreischend  also  fing  sie  an  zu  schmälen: 
„Du  bist  kein  Ritter  und  kein  Edelmann! 

•    Du  stahlst  die  Waffen,  und  das  Pferd  zai  stehlen. 
Darauf  kam  dir 's  vermutlich  auch  nicht  an, 
So  daß  man  dich  —  und  darauf  magst  du  zählen  — 
Bald  auf  dem  Rabensteine  sehen  kann. 
Gevierteilt  dort,  verbrannt,  gepfählt  zu  werden. 
Du  größter  Lump,  Halunke,  Dieb  auf  Erden  1" 

4a.  Dem  Munde  der  erbosten  Frau  entgleiten 
Schimpf  reden  so  wie  diese  noch  viel  mehr: 
Antwort  gibt  Roger  nicht ;  aus  solchem  Streiten, 
So  niedrigem,  erwüchs'  ihm  wenig  Ehr'. 
Die  drei  gehn  in  das  Boot,  mn  ihm  zu  Seiten 
Am  Ufer  hinzufahren  auf  dem  Meer: 
mt  hurtigen  Ruderscfalägen  geht  es  weiter. 
Die  Augen  stets  gerichtet  auf  den  Reiter. 

43.  Dem  Lästermund  sich  Fluch  auf  Fluch  entwindet. 
Der  Stoff  geht  gar  nicht  aus  —  und  Schmähn  und 
Bis  Roger  sich  an  jenem  Sunde  findet,  [Drohn, 
Wo  da  beginnt  der  guten  Fee  Region. 
Ein  alter  FiUumann  an  dem  Ufer  bindet 
Ein  Fahizeug  drüben  los,  als  ob  er  schon 
Dort  auf  den  Ritter  warte,  demi  die  Kunde, 
Daß  Roger  komme,  machte  schon  die  Runde. 


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 ZEHNTER  GESANG  a05 

44.  Der  l^Umnann  löst,  wie  Roger  naht,  den  Nachen, 

Ihn  froh  zu  führen  in  em  beßres  Land; 

Darf  man  die  Schlüsse  nach  dem  Antlitz  machen. 
So  ist  er  herzensgut  imd  voll  Verstand. 
In  Roger  Dank  an  Gott  und  Freud'  erwachen. 
Als  er  im  Kahn  ist,  und  zum  andern  Strand 
Fährt  er  durch  stille  Fluten  mit  dem  Greise, 
Der  an  Erfahrung  reich  ihm^  scheint  und  weise. 

45.  Der  lobt  ihn,  daß  er  aus  Alcinens  Schlinge 
Sich  habe  recht  zur  Zeit  noch  losgemacht, 
Bevor  sie  jenen  Zauberbecher  bringe, 
Der  allen  andern  sonst  war  zugedacht. 
Wenn  er  zu  Logistüla  weiterdringe, 

So  find'  er  hoher,  ew'ger  Schönheit  Macht 
Und  Huld  unendlich,  Sitten  ohne  Fehle, 
Was  niemals  sättigt,  immer  nährt  die  Seele. 

46.  ,,Wem  ihre  Züge",  sprach  er,  ,,kund  sich  machten. 
Ehrfürchtig  Staunen  in  das  Herz  sie  senkt: 
Such'  immer  eiihger  sie  zu  betrachten. 

Daß  keines  weitem  Guts  dein  Sinn  gedenkt. 
Wenn  andre  stets  nur  Furcht  und  Hoffnung  brachten, 
Viel  Besseres  dir  ihre  Liebe  schenkt: 
Nicht  mehr  Verlangen  will  das  Hm  bewegen, 
Nur  Glück,  sie  anzuschann,  es  mild  erregen. 

47.  Und  beßre  Dinge  läßt  sie  dich  erstreben 
Als  Speisen,  Tanz  und  Spiel  und  süßen  Dttft, 
Daß  die  Gedanken  höher  sich  erheben, 

Ah  sonnenwarts  der  Aar  steigt  durch  die  Luft, 
Und  daß  der  Seligen  Wonne  man  im  Leben 
Schon  hier  genießt  in  dieser  Erdengruft" 
So  sprechend  lenkt  der  Schiffer  zum  Gestade, 
Wiewohl  noch  fem  vom  sichren  Felsenpfade. 


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206 


ZEHNTER  GESANG 


48.  Da  lassen  auf  dem  Meer  sich  Schiffe  sehen 
(Und  alle  sind  dem  Nachen  zugewandt). 

So  viel  Alcine  zu  Gebote  stehen, 

Auch  viele  Mannschaft  hat  sie  ausgesandt 

—  Der  Staat  mag,  und  sie  selber,  untergehen  — , 

Den  Teuem  einzuholen,  der  entschwand. 

Anlaß  von  allem  ist  gewiß  die  Liebe, 

Doch  Kränkung  auch,  Verdruß  und  Rachetriebe. 

49.  Nie  mußte  sie  so  schweren  Ärger  spüren 
Wie  den,  der  ihr  jetzund  am  Herzen  nagt: 
So  eilig  läßt  sie  alle  Ruder  führen, 

Daß  schäumend  auf  das  Deck  die  Woge  jagt. 
Im  großen  Lärme  Meer  und  Strand  sich  rühren. 
Von  allen  Seiten  her  das  Echo  klagt. 
„Laß  auf  dem  Schüd  nicht  mehr  den  Schleier  hangen. 
Sonst  bist  du  tot ;  wenn  nicht,  mit  Schimpf  gefangen  1" 

50.  Also  der  Greis.    Bevor  sein  Wort  geendet. 
Zerreißt  die  Hülle,  die  den  Schild  umfücht, 
Und  rasch  wird  dieser  auf  den  Feind  gewendet. 
Daß  hell  und  frei  hinausstrahlt  all  sein  Licht. 
Der  Zauberglanz,  den  jetzt  der  Schild  entsendet. 
Benimmt  den  Gegnern  deiart  das  Gesicht, 

Daß  sie  vom  Schiffe  vom  und  hinten  fallen: 
Geblendet  sind  die  Augen  ihnen  allen. 

51.  Ein  Späher  hat  vom  Mast  am  Felsenraude 
Alcine  mit  den  Schiffen  auch  erbhckt, 
Und  seine  Glocke  wird  gehört  im  Lande, 

Das  schleunigst  Beistand  an  den  Hafen  schickt: 
Aus  Wurfmaschinen  hagelt's  her  vom  Strande 
Auf  ihn,  der  Roger  was  am  Zeuge  flickt, 
Und  allerseits  die  Helfer  sich  erheben, 
Daß  er  die  Freiheit  rette  und  das  Leben. 


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ZEHNTER  GESANG 


207 


52.  Vier  Damen  kommen  zu  den  Strandtribünen, 
Und  ausgesendet  hat  sie  Logistill: 
Phronesia,  klug  und  hochbegabt,  die  kühne 
Andronika,  die  redliche  DikiU, 

Die  überlegte,  keusche  Sophrosyne, 
Die  mehr  noch  als  die  andren  schaffen  will. 
Das  Heer,  schier  unerreicht  auf  Erdenweiten, 
Verläßt  die  Buig,  am  Meer  sich  auszubreiten. 

53.  In  vieler  großen  Schiffe  stillem  Schöße 
Stand  unterhalb  der  Burg  die  Schar  bereit 

—  Beim  ersten  Laut,  beim  ersten  Hömerstoße  — 
Zum  Kampf  bei  Tag  und  Nacht  in  jeder  Zeit. 
Und  so  begann  das  Ringen  denn,  das  große. 
In  Land  und  Meer  der  fürchterliche  Streit: 
Kopfüber  ging  Aldnens  Reich  in  Stücke, 
Das  sie  der  Schwester  einst  entriß  mit  Tücke. 

54.  O  wie  so  oft  ist  doch  bei  großen  Schlachten 
Der  Ausgang  anders,  als  man  sich  gedacht  1 
Alcine  hat  trotz  allem  heißen  Trachten 
Den  teuren  Buhlen  nicht  zurückgebracht. 
Und  von  den  Schiffen,  die  unsichtbar  machten 
Des  Meeres  Fläche  durch  der  S^el  Pracht, 

Ist  nur  ein  Boot  der  Feuersbrunst  entgangen. 
Auf  dem  sie  kläglich  jetzt  enteilt  voll  Bangen. 

55.  Sie  floh,  und  ihre  Mannschaft  überwunden« 
Ertrunken  und  verbrannt  der  Gegner  sah. 
Sie  hat  Verlust  des  Teuren  mehr  empfunden. 
Als  was  ihr  sonst  noch  SchmerzHcfaes  geschah. 
Seufsend  bei  Tag  und  Nacht  endlose  Stunden, 
Mit  Tränen  in  den  Augen  sitst  sie  da 

Und  möchte  sich  der  bittem  Qual  entziehen 
Und  klagt,  daß  sie  nicht  aus  der  Welt  kann  fliehen. 


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ao8  ZEHNTERGESANG 


56.  Solange  Sonne  sich  und  Sterne  drehen, 

Ist  es  unmöglich,  daß  sie  sterbe  je; 
Sonst  würde  Klotho  selbst  voll  Mitleid  stehen 
Und  kürzen  mild  den  Faden  dieser  Fee; 
Wie  Dido  könnte  sie  dem  Leid  entgehen 
Und,  wie  die  Herrscherin  des  Nils,  vor  Weh 
Sich  retten  tief  hinab  in  Todesschlummer; 
Doch  Feen  sterben  nie  —  das  ist  ihr  Kummer. 

57.  Zurück  zu  ihm,  dem  ruhmeswerten  Degen 
Roger  —  Alcine  klage  weiter  dort! 

Er  also  sieht  sich  kaum  auf  sichren  Wegen 
Dem  Boot  entschlüpft,  da  dankt  er  Gott  sofort. 
Daß,  was  er  plante,  alles  nun  zum  Segen 
Erfüllt  ist,  schreitet  dann  vom  Meere  fort 
Mit  eil'gem  Fuß  zur  Burg  auf  trocknem  Pfade, 
Die  dort  emporsteigt  unweit  vom  Gestade. 

58.  So  festes  Schloß  und  herrlich  anzuschauen 
Kein  Menschenauge  je  auf  Erden  fand: 
Kostbarer  sind  die  Wände,  darf  man  trauen. 
Als  wenn  Pyrop  es  wär'  und  Diamant. 

Nie  nahm  man  solche  Steine  noch  zum  Bauen; 
Wer's  sdien  will,  besuche  dort  das  Land. 
Sonst  niigends,  ob  er  mn  die  Erde  ginge, 
VieUeicht  im  Himmel,  gibt  es  solche  Dinge. 

59.  Daß  weit  zurückstehn  andre  Pracht juwelen, 
Macht  dieses:  Sehn  die  Menschen  hier  hinein. 
So  schann  sie  deutlich  ihre  eignen  Seelen 
Und  was  daxin  mag  gut  und  böse  sein: 
Gleichgültig,  wenn  gefaäfige  Tadler  admifilen. 
Sind  sie  gefeit  nun  gegen  Schmeichelein; 
^e  können  bald  sich  klug  und  weise  nennen. 
Denn  dieser  Spiegel  lehrt  sich  selbst  erkennen. 


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ZEHNTER  GESANG 


209 


60.  Das  heDe  Licht  weicht  nur  dem  Sonnenscheine, 

Und  solche  Klarheit  schickt  es  in  die  Welt, 
Daß  ohne  Phöbus  dir  die  Kraft  der  Steine 
Den  Tag  kann  schaffen,  wenn  es  dir  gefällt. 
Und  wunderbar  ist  nicht  nur  dies  alleine; 
Mit  edlem  Stoffe,  den  der  Bau  entliält, 
Rin^  höchste  Kunst  :  es  wäre  schwer  zu  sagen. 
Was  von  den  beiden  hier  mag  überragen. 

61.  Auf  mächt'gen  Bogen,  die  wie  l^tosten  stehen. 
Geholt  vom  Jenseits,  aus  dem  Himmel  her, 
In  weiten  Gärten  kann  man  sich  ergehen, 
Wie 's  unten  kaum  zu  schaffen  möglich  wir'. 
Und  durch  die  hebten  Zinnen  sind  su  seihen 
Grüner  Gebüsche  viele,  düfteschwer,  . 

Die  stets,  in  Sommer-  und  in  Wintertagen» 
So  Blütenflor  wie  reife  Früchte  tragen« 

62.  Von  solchen  edlen  Bäumen  kann  man  keinen 
Wo  anders  als  in  diesem  Garten  ziehn; 
Auch  solclie  Rosen  niigends  sonst  erscheinen 
Und  Veilchen,  Lilien,  Amarant,  Jasmin. 

Und  sieht  man  sonst  am  selben  Tag,  dem  einen, 
Entstehn  und  leben,  wieder  sinken  hin 
Und  ihren  leeren  Stiel  als  Witwer  lassen 
Die  Blume,  die  verschied ne  Winde  fassen, 

63.  So  pflegte  hier  das  Grünen  nie  2u  enden. 
Der  Blumen  Schönheit  währte  immerdar; 
Nicht  etwa,  daß  Natur  mit  güt'gen  Händen 
I£ier  mild  su  herrschen  stets  beflissen  war; 

Nein,  Logistilla  wüßt'  es  so  zu  wenden 
(Den  andern  schien's  unmöglich  ganz  und  gar), 
Durch  Sorgfalt,  ohne  höhrer  Mächte  Walten, 
Für  ewig  ihren  Frühling  festzuhalten. 

Arlott  1  14 


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210 


ZEHNTER   G  E  S  A  X  C, 


64.  Vernommen  hatte  sie  mit  frohen  Mienen, 
Welch  edlen  Herrn  das  Schicksal  ihr  gebracht. 
Und  gleich  befohlen,  eifrig  ihm  za  dienen. 

Ihn  hoch  zu  ehren,  sei  man  recht  bedacht. 

Astolf  war  lange  schon  vorher  erschienen 
—  O  wie  sein  Anblick  Roger  fröhlich  macht  — , 
Drauf  alle  andern  auch,  die  von  Melissen 
Entzaubert  waren  und  der  Fee  entrissen. 

65.  Als  ein,  zwei  Tage  ruhevoll  vergingen, 
Trieb  es  jung  Roger,  zu  der  Fee  zu  gehn 
Mit  Herzog  Astolf,  der  vor  allen  Dingen 
Den  Westen  gleichfalls  wollte  wiedersehn. 
Melissa  müht  sich,  in  die  Fee  zu  dringen 
Und  sie  mit  rechter  Demut  anzuflehn, 
Den  beiden  Rittern  Hilfe  zu  gewähren, 
Daß  sie  imstande  seien,  heimzukehren. 

66.  „Wohl,"  sprach  die  Fee,  „ich  will  es  überlegen  1 
Und  in  zwei  Tagen  geh'  ich  sie  dir  frei." 

Sie  geht  mit  sich  zu  Rate  Rogers  wegen. 
Dann  auch  um  Astoifs  willen  nebenbei, 
.  Und  sagt,  daß  Aquitanien  entgegen 
Zuerst  der  Flügelhengst  zu  schicken  sei. 
Doch  vorher  müss*  er  ein  Gebiß  erhalten. 
Um  ihn  zu  lenken  und  ihn  auizuhalten. 

67.  Roger  erfährt,  wie  man  es  macht,  wann  steigen 
Das  Tier  soll,  nach  den  Wolken  hingewandt, 
Warm  schnell  sich  regen,  wann  zu  Tal  sich  neigen. 
Wann  wieder  ruhn,  die  Flügel  ausgebrannt. 

In  allen  Künsten,  wie  sie  Reiter  zeigen 
Auf  mut'gen  Rennern  »wohl  in  ebnem  Land, 
Übt  Roger  sich,  daß  er  ein  Meister  weide. 
Durch  Luft  zu  rüten  auf  dem  Flügelpferdc. 


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2  E  H NTER  G  B  S  A  N  G 


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68.  Als  alle  Dinge  für  ihn  fertig  waren, 
Schied  von  der  edlen  Fee  der  Rittersmann 
(Getreue  Liebe  sollt'  er  ihr  bewahren 

Für  immerdar)  und  zog  davon  sodann. 
Zuerst  von  ihm  noch  müßt  Ihr  jetzt  erlalireu. 
Von  Englands  Prinzen  fang'  ich  später  an. 
Wie  langsam  und  in  mühevoller  Weise 
Zurück  zum  großen  Karl  ging  seine  Reise. 

69.  Herr  Roger  nahm  den  Weg  nicht,  den  er  machte, 
Als  widerwillig  durch  die  Luft  er  zog, 

Und  selten  über  Land  der  Greif  ihn  brachte. 
Der  stets  nur  über  Meeresüuten  flog. 
Nun  er  ihn  senken  konnte,  wenn  er  dachte, 
Hierhin  und  dorthin,  wie  er  es  erwog, 
Wählt'  er  —  wie  die  drei  Könige  gerade 
Beim  Rückweg  von  Herod  —  |etzt  andre  Pfade. 

70.  In  Indien  war  er,  um  das  Land  zu  finden 
—  An  Spanien  in  geradem  Strich  vorbei  — , 
Wo  sich  des  Ostmeers  Uierlinien  winden 
Und  sich  in  Haaren  lagen  Fei  und  Fei. 

Jetzt  schaut  er  gerne,  wo  mit  seinen  Winden 
Gott  Aolus  ein  wenig  milder  sei: 
Den  Rundgang  um  die  Erde  möcht'  er  enden 
Und  wie  die  Sonne  seinen  Kreis  voU^den. 

71.  Katai  erschien,  darauf  kam  Maogitanien, 
Und  auch  Quinsai,  die  große  Stadt,  er  sah. 
Flog  über  den  Himavus,  Serikanien 

Zur  Rechten  lassend;  und  von  Skjrthia 

Abbiegend  nach  den  Fluten  von  H3rrieanien, 

Zu  den  Sarmaten  kam  er  dann  und  da, 

Wo  nun  Europa  anfing,  zu  den  Russen. 

Zu  den  Kuthenen,  Pommern  und  den  Prussen. 

14» 


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212 


ZEHNTER  GESANG 


72.  Wohl  wünschte  Roger  seine  Bradamante, 
Die  hehre  Jungfrau,  möghchst  bald  zu  sehn; 
Doch  weil  er  jetzt  die  Lust  zu  schweifen  kannte 
Durch  weite  Welt,  Wieb  er  dabei  mcht  stehn: 
Auch  zu  den  Polen  und  den  Ungarn  wandte 
Den  Flug  er,  zu  den  Deutschen  dann  zu  gehn 
Und  was  im  wilden  Norden  sonst  mag  stecken; 
Zuletzt  kam  &)gland  dran  in  fernsten  Ecken. 

73.  Denkt  nicht,  o  Herr,  daß  er  die  ganze  Weile 
Auf  seinem  Flügeltieie  sich  befand: 

Ein  Gasthaus  ward  ihm  abendlich  zuteile; 
Auf  gute  Auswahl  wurde  Müh'  verwandt. 
Und  Tag'  und  Monde  flohen  hin  in  Eile; 
•So  lieblich  war  es,  schauen  Meer  und  Land. 
Bei  London  eines  Morgens  war  der  Flieger, 
Und  langsam  nach  der  Themse  nieder  stieg  er. 

74.  Auf  Wiesen  bei  der  Stadt  in  schönen  Scharen 
Sah  er,  gereiht  mit  FuBvolk,  Reiterei 
Herziefan  bei  Trommelklang  und  Kriegsfanfaren, 
Voran  der  Ritter  Krone  frank  und  frei, 
Rinald,  der  dort  —  Ihr  habt  es  schon  erfaluen, 
Ich  sagte  ja  darüber  mancherlei  — 

Von  Karl  entsandt,  bemüht  war,  Leut'  und  Waffen 
Zur  Hilfe  seines  Kaisers  zu  beschaffen. 

75.  Herr  Roger  kam  gerade  zu  der  Stunde, 
Um  anzuschaun  die  stolze  Heerschau  hier; 
Noch  mehr  zu  hören,  bat  er  jetzt  um  Kunde 
Den  Ritter,  stieg  zuvor  von  seinem  Tier, 
Und  artig  meldet  jener:  aus  der  Rimde, 
Von  Schottlands,  Irlands,  Engellands  Revier 
Und  von  den  Inseln  seien  hergezogen 

Die  Khegesbanner,  die  so  lustig  flogen:  ; 

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ZEHNTER  GESANG 


3X3 


76.  ,,Und  nach  der  Musterung  wird  dort  am  Strande 
Der  Heeresmacht  V  erteilung  vor  sich  gehn: 

Das  Meer  zu  pflügen  bis  zum  festen  Lande, 
Die  Schiff  im  Hafen  schon  gerüstet  stehn. 
Die  Franken,  liald  nun  ledig  ilirer  Bande, 
Im  Zuzug  hoffnungsvoll  die  Retter  sehn. 
Doch  um  noch  sichrer  jetzt  dich  zu  belehren. 
Will  ich  die  ganze  Streitmacht  dir  erklären, 

77.  Das  große  Banner  muß  ins  Aug'  dir  fallen. 
Das  mit  der  Libe  dort  den  Pardel  führt: 
Der  Feldherr  läßt  es  in  die  Lüfte  wallen, 
Und  alle  folgen,  wie  das  Schiff  sich  rührt, 
's  ist  Leonel,  der  Tapferste  von  allen 

(Der  hohe  Ruhm  ihm  ganz  mit  Recht  gebührt)« 
Ein  Mann,  ob  man  im  Rat,  im  Krieg  ihn  treffe, 
Herzog  von  Lancaster,  des  Kdnigs  Neffe. 

78.  Dabei  das  nächste  (es  beginnt  den  Reigen), 
Das  flatternd  nach  dem  Berg  hin  sich  bewegt 

—  Im  grünen  Feld  drei  Flügel  weiß  sich  zeigen  — , 
Die  Farben  Richards,  Grafen  Warwick,  trägt. 
Dem  Herzog  Gloster  dann  ist  jenes  eigen, 
.  Das  ein  Geweih  mit  halber  Stime  hegt. 
Für  Herzog  Qarenoe  sieh  die  Fackel  brennen! 
Den  HetKJg  York  kannst  du  am  Baimi  erkennen. 

79.  Die  Lanze  schau*,  dreifach  geknickt  vom  Schlage: 
Der  Herzog  Norfolk  ist  damit  gemeint. 

Der  Blitz  ist  Kent,  ein  Held  ohn'  alle  Frage, 
Im  Greif  der  Graf  von  Pmbroke  dir  erscheint; 

Suffolk,  der  Herzog,  führt  im  Feld  die  Wage. 
Zwei  Schlangen  sind,  von  einem  Joch  vereint: 
Der  Herzog  Essex  ist  es  —  die  Girlande 
Im  blauen  Feld  gebührt  Northumberlande. 


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2X4 


ZEHNTER  GESANG 


80.  Graf  Anindel  zeigt  einen  Kahn  auf  Wogen: 
In  Sturmesnot  versinkt  er  auf  dem  Meer. 

Von  Barclay  dann  der  Markgraf  kommt  gezogen, 
Der  Graf  von  March,  Richmond  mit  seinem  Heer: 
Gespaltnen  Berg  führt  Barclay,  weiß;  im  Bogen  [der. 
Schwenkt  March  die  Palm :  ein  schwimmend  Boot  hat 
Und  Graf  von  Dorset,  Graf  von  Hampton  tragen 
Der  eine  Krön'  und  jener  einen  Wagen. 

81.  Der  Falk,  des  Schwingen  auf  das  Nest  sich  neigen« 
Des  Grafen  Raimund  ist  von  Devonshire. 

Derby  imd  Oxford  Hund  und  Bären  zeigen, 

Winchester  bringt  ein  schwarz  und  gelb  Panier. 

KristaUnes  Kreus  ist  dem  Prälaten  eigen 

Von  Bath,  dem  reichen  Herrn,  als  Wappenzier. 

Wo  Ariman  von  Somerset  der  Held  ist, 

Die  Fahn'  dn  Stuhl,  zerstttdkt,  in  grauem  Feld  ist. 

82.  Wohl  »weiundvicrzigtausend  sind  der  Reiter, 
Lanzen  und  Schützen  hier  vereint  zur  Schau. 
Zweimal  so  staric  erbUckst  du  die  Begleiter, 
Das  FuBvolk,  bis  aufs  Hundert  fast  genau. 
Sieh  grau  und  grün  und  gelb  die  Zdcben  wHter; 
Ein  andres  folgt :  gestreift  ist's  schwarz  und  blau. 
Als  Führer  Gottfried,  Heinrich,  Hermann  gdien 
Und  Edward;  jeder  läßt  sein  Fähnlein  wehen. 

83.  Von  Buddngham  den  Herzog  sieh  dort  schalten 
Voraus;  Hmnrich  ist  Graf  von  Salisbuiy. 
Burgh  hat  als  Herren  Hermann  dort,  den  Alten, 
Und  Edward  ist  der  Graf  von  Schrewsbury. 
Die  weiter  gegen  Osten  hin  sich  halten, 
Engländer  sind  es.  Nun  nach  Westen  sieh: 
Wo  dreißigtausend  Mann  dort  stehn  in  Rotten, 
Da  führt  Zerbin,  des  Königs  Sohn,  die  Schotten. 


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ZEHNTER  GESANG 


215 


84.  Den  Löwen  sieh  —  zwei  Einhorn'  an  den  Seiten  — 
Er  hat  das  Schwert  von  Silber  in  den  Klaun: 
Dies  Banner  führt  das  Schotten volk  zum  Streiten; 
Zerbin,  den  Prinzen,  kannst  du  dort  erschann. 
Schön  wie  kein  andrer,  der  ihn  mag  geleiten: 
Ihn  schuf  Natur,  die  Form  dann  za  zttbaxai. 
Herzog  von  Roß  ist  er;  niemand  im  ganzen  Heete 
An  Hnid  und  Kraft  ihm  zu  veigleichen  wäre. 

S$,  Sieh  dort  von  Ottonley  den  Grafen  führen  • 
Den  goldnen  Balken  auf  azurnem  Gründl 
Ein  Pardel  in  der  Falle  will  gebühren 
Vcm  Mar  dem  Herzog:  dieser  k<mmit  jetzund. 
Den  wackem  Alkabrun  schau  hier:  es  rühren 
Sich  Vdgel  auf  dem  Schild  in  Farben  bunt. 
Nicht  Herzog  ist  er  und  nicht  Graf  zu  nennen. 
Doch  als  den  ersten  ihn  die  Seinen  kennen. 

86.  Den  Herzog  Stafford  sieh  den  Vogel  zeigen, 
Der  frei  die  Augen  nach  der  Sonne  hält! 
Lurcan,  dem  Grafen  Angus,  ist  zu  eigen 
Der  Stier«  dem  sich  ein  Doggenpaar  gesellt. 
Von  Albany  der  Herzog  hat  den  Reigen 
Der  Farben  WeiB  und  Blau  in  seinem  Feld. 
Graf  Buchau  läßt  den  grünen  Drachen  tragen, 
Den  Geier  sieht  man  drein  die  Klauen  schlagen. 

87.  Armand,  der  Starke,  pflegt  in  Forbes  zu  schalten; 
Sein  Banner,  weiß  und  sdiwaiz,  ist  dort  zu  sehn. 

Zu  seiner  Rechten  sieh  Graf  Ferrol  halten 

Und  dort  die  Kerz'  in  grünem  Felde  stehn! 
Daneben  will  sich  Irlands  Volk  entfalten, 
Zwei  Scharen:  mit  Kildare,  dem  Grafen,  gehn 
Der  einen  Leute;  Desmond  führt  die  zweite 
Von  rauhen  Beigeshöhn  herab  zum  Streite. 


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2l6  ZEHKTERGESANG 


88.  Desmood  fobrt  weißes  Fdd  mü  rotem  Stfcüeo. 
Und  bei  KÜdaie  stdit  eine  Fkht'  in  Brand. 

Für  Kaiser  Karl  die  Waffen  jetzt  ergreifen 
Nicht  Schotti:irid  bloß,  Irland  und  Engeliand  — 
Norweger,  Schweden  auch  die  Schwerter  schleifen, 
Thüle  und  Island,  der  entfernte  Strand; 
Kurz,  alle  Länder,  denen  stets,  den  Frieden 
Za  hassen,  ist  von  der  Natur  beschieden. 

Ö9.  Wohl  an  die  sechzehntausend,  sollt'  ich  meinen. 
Sind  angekommen  so,  aus  Höhl'  und  Wald: 
Haar  im  Gesicht,  auf  Brust,  Seit',  Arm  und  Beinen 
Und  Rücken,  fast  wie  Tiere  an  Gestalt; 
Es  wächst  ein  Wald  vom  Boden,  will  es  scheinen. 
Aus  Speeren,  der  ums  weiße  Banner  wallt. 
Ihr  Hauptmann  tragt 's;  der  hat  es  sich  erkoren. 
Es  rot  zn  färben  mit  dem  fihit  der  Mohren." 

90.  Derweilen  Roger  mustert  all  die  Streiter, 
Die  da  sich  rüsten,  Frankreich  beizustehn. 
Und  die  verschiednen  Zeichen,  um  dann  weiter 
Der  hrit'scben  Herren  Namen  durchzugehn. 
Kommt  einer  nach  dem  andern,  diesen  Reiter 
Mit  seinem  Wnndertieie  anzosdm: 

Sie  lanfen  starrend  und  mit  offa&em  Mmide, 
Und  bald  geschlossen  ist  un  Sm  die  Runde. 

91.  Zu  schaun  noch  mehr  von  staunender  Gebärde 
—  Und  auch  des  Scheizes  willen  eigentlich  — , 
Schüttelt  der  Held  den  Zaum  dem  Flägelpferde, 
Und  leise  gibt  sein  Sporn  ihm  einen  Stich: 
AuffBegt  es  himmelwärts,  weit  von  der  Erde, 
Und  laßt  betäubt  die  andern  nnter  sich. 
Roger  beschaut  sich  England  nach  Belieben 
Und  hat  den  Greif  dann  Irland  zugetrieben. 


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4 


ZEHNTER  GESANG 


2X7 


92.  Hibemien  sah  er,  jenes  Land  der  Sagen, 
In  dem  des  guten  Heil'gen  Grotte  steht, 
Wo  solche  große  Gnad'  ist  zu  erfragen, 
Daß  schuldbefreit  heraus  der  Sünder  geht. 
Den  \\  cg  zum  Meer  dann  hat  er  eingesclüagen. 
Wo  Kleinbritannien  liegt,  vom  Wind  umweht. 
Und,  abwärts  schauend,  plötzhch  dort  gefunden 
Angelika,  an  nackten  Fels  gebunden! 

93.  An  nackten  Fels  im  Tränenland  alleine  I 
Denn  jene  Insel  hieß  das  Tränenland, 

Wo,  grausam,  wild,  hartherzig  wie  die  Steine, 
Sich  jene  rohe  Völkerschaft  beiand. 
Die  —  ihr  entsinnt  £ach  deren,  wie  ich  meine  — 
Bewaffnet  zog  mnher  von  Strand  zu  Strand, 
Zu  fangen  schdne  Fraun  auf  jede  Weise, 
Dem  Untier  dort  zva  greuelvollen  Speise. 

94.  Gebunden  harrte  sie  an  Meeres  Borden, 
Verschluckt  zu  werden  von  dem  grausen  Tier; 
l%Uch  ja  kam  das  Scheusal,  um  zu  morden 
Und  zu  der  grauenhaften  Atzung  hier. 

Ich  sagt'  Euch,  wie  sie  Beute  war  geworden 
Der  Menschen,  die  sie  schlafend,  und  bd  ihr 
Den  alten  Klausner,  am  Gestade  fanden. 
Der  sie  bezwungen  hielt  in  Zauberbanden. 

95.  Die  unbarmherzig  roh'  und  wilde  Bande 
Die  holde  Jungfrau  nackt  der  Bestie  bot. 
Wie  sie  geschaffen  war;  am  Ufeirande 
Wird  sie  vom  aigen  Ungettbn  bedroht: 

Verhüllt  von  keinem  Schleier  noch  Gewände 
Ist  jener  Lilien  Weiß,  der  Rosen  Rot, 
Die,  ausgestreut,  den  feinen  Leib  umwallen 
Und  nicht  im  JuU  und  Dezember  fallen. 


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I 


2l8  ZEHNTERGESANG 


96.  Ein  Bildwerk  dürft'  es  Roger  fast  erscheiiieii 

Aus  Alabaster  oder  Marmelstein, 

Das  dort  durch  Künstlerfleiß,  so  könnt'  er  meinen. 

Sei  aufgestellt  am  harten  Felsenrain, 

Säh'  er  das  Aug'  nicht  eine  Träne  weinen 

(Sie  glitt  in  Rosen  und  in  Schnee  hinein 

Und  lag  als  Tau  auf  herbem  Apfelpaare, 

Derweil  der  Windhauch  spielt  im  goldnen  Haare). 

97.  Und  als  er  in  die  schönen  Augen  schaute. 
Gedachte  Roger  seiner  Bradamant, 

Und  aus  der  Wimper  fast  die  Zähre  taute. 
Von  Mitleid  und  von  Liebe  übermannt. 
Mit  sanfter  Stimme  grüßte  er  die  Traute 
(Den  Flug  des  Greifen  hemmte  seine  Hand): 
,,0  Jungfrau,  der  die  Kette  nur  gebühret. 
In  deren  Haft  die  Seinen  Amor  führet, 

98.  Unfähig  bist  du.  Böses  zu  vollbringen: 
Wer  ist  der  Wütrich,  dessen  Machtgebot 
Das  Elfenbein  der  Hände  durfte  zwingen 

Der  Schönen  — schnöden  Neids  —  in  solche  Not?** 

Und  heiße  Gluten  in  das  Antlitz  dringen. 

Das  flicht  dem  Elfenbein,  gefärbt  mit  Rot, 

Weil,  ach,  die  Körperteile  unbedeckt  sind. 

Die  sonst,  ob  schön,  in  Sittsamkeit  versteckt  sind. 

99.  Sie  möchte  das  Gesicht  mit  Händen  schUefien  — 
Die  sind  gekettet  an  den  Felsen  an; 

Mit  Tranen  nur  —  die  darf  sie  ja  veigießen  — 
Benetzt  sie's  reich  und  neigt  sidi,  wie  sie  kann. 
Ifit  Schluchzen  endlich  ein  paar  Worte  flieBen, 
In  müdem  Ton  zu  sprechen  sie  begann  — 
Sie  kam  nicht  weit,  und  was  die  Rede  störte. 
War  großer  Lärm,  den  von  der  See  man  hörte. 


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ZEHNTER  GESANG 


219 


100.  Da  kommt  das  Ungetüm!   Halb  in  den  Wogen 
Verborgen  ist  es,  halb  ragt  es  heraus, 

So  wie  ein  Schiff  im  Nordwind  kommt  geflogen 
Und  nach  dem  Hafen  eilt  im  Sturmgebraus: 
So  wird  von  seiner  Mahlzeit  angezogen 
Das  Scheusal  — :  seht,  gleich  speit  das  Meer  es  aus. 
Die  Jungfrau  ist  halbtot  vor  Furcht  und  Schrecken, 
Kein  Trosteswort  kann  ihren  Mut  erwecken. 

101.  Frei  schwingt  der  Held— und  legt  nicht  ein— die  Lanze, 
Über  die  Hand  hin  sticht  er  nach  dem  Tier: 

Ich  weiß  nicht,  nennt  man  wirklich  so  das  Ganze? 
Nur  wtbte  Masse  dreht  und  wälzt  sich  hier; 
Nichts  Tierisches  zeigt  sich  vom  Kopf  zum  Schwänze, 
Dem  Schwein  nur  gleichen  Zähn'  und  Augen  schier. 
Der  Stoß  geht  mitten  hin,  wo  Augen  scheinen. 
Und  prallt  zurfick,  als  wSr's  von  Stahl  und  Steinen. 

102.  Als  es  dem  ersten  Stoß  nicht  will  gelingen. 
Kehrt  Roger  um:  der  zwdte  macht's  wohl  gut. 
Das  Tier  sieht  Schatten  von  den  großen  Schwingen 
So  hin-  und  widerfahren  auf  der  Flut; 

Am  Strand  die  Fleischgerichte  sicher  hingen, 
Drum  folgt  es  diesen  neuen  jetzt  voll  Wut: 
Man  siehts  mit  Drehn  und  Wälzen  ab  sich  hetzen: 
Flink  kommt  der  Held,  ihm  Hiebe  zu  versetzen. 

103.  So  wie  der  Adler  aus  der  Atherweite, 

Wenn  er  die  Schlang'  im  Grase  schleichend  sciiattt 

(Oder  ob  sie  auf  nacktem  Fels  hingleite, 

Drauf  sie  geleckt  hat  ihre  bunte  Haut), 

Den  Angriff  nicht  beginnt  an  jener  Seite. 

Wo  zischt  und  pkift  des  Gifttiers  drohnder  Laut, 

Nein,  dies  von  hinten  packt  und  schlägt  die  Schlugen, 

Daß  es  nicht  drehn  sich  kann  und  Unheil  bringen, 


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220  Z  E  H  N  T  E  R  G  E  S  A  X  G 


104.  So  win  hier  Roger  Speer  und  Schwert  verwenden: 

Nicht,  wo  des  Rftchflps  ^ihn  ifan  treffen  fa*"n^ 

Nein,  in  die  Ohren  gilt's  den  Stoß  zu  senden; 

Im  Rückgrat  und  am  Schwänze  greift  er  an. 
Dreht  sich  das  Tier,  so  muß  auch  er  sich  wenden. 
Steigt  auf  und  ab,  kommt  hier  und  dort  heran  — 
Für  Jaspis  möchte  man  die  Bestie  halten, 
Die  harte  Schuppenhaut  ist  nicht  zu  spalten. 

105.  So  mag  sich  zwi^Lhen  Mück'  und  Hund  erheben 
Der  heiße  Kampf  im  staubigen  August 

(Und  in  den  Nachbarmonden  auch  daneben. 
Dem  reich  an  Ähren,  dem  an  Weineslust): 
Sie  weiß  die  Stiche  Aug'  und  Maul  zu  geben, 
Läßt  ihn  nicht  los  imd  schwirrt  um  Hals  und  Brust. 
Aufs  neu  stets  muß  er  nach  dem  Suzren  schnappen  — 
Doch  ans  ist  alles,  läßt  sie  skh  ertappen. 

106.  Schier  himmelhoch  gepeitscht  die  Wellen  springen. 
So  mächtig  schlägt  die  Bestie  imd  so  schwer, 
Roger  weiß  nicht,  sind  in  der  Luft  die  Schwingen 
Oder  da  unten  schwimmend  auf  dem  Meer. 
Gern  mocht'  er  wohl  sich  jetzt  ins  Trockne  bringen. 
Denn  dauert  dieses  Wasserspiel  noch  mdir 

Und  wild  des  Greifien  FItticli  inuner  niaser  — 
Nicht  Kahn  nocbSchwimmhlas*  hilft  ans  demGewaaser. 

X07.  Er  sinnt  —  und  beßrer  Rat  ist  jetzt  za  Händen, 
Wenn  es  dem  Untier  obzusiegen  gilt: 
Man  mnß  es  mit  dem  Zauberscheine  blenden. 
Der  eulgeschlossen  ist  im  WandeischikL 
Er  eilt  zom  Strand,  nm  Unheil  aheawenden. 
Und  steckt,  der  Jungfrau  nahend  zart  nnd  mild. 
Den  Ring  ihr  an,  den  Zaubeiknnstbezwinser, 
So  daß  sie  fest  ihn  trägt  am  kleinen  Finger. 


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ZBHKTER  GESANG 


22Z 


108.  Ich  meine  jenen  Ring,  den  Bradamante, 
Um  Roger  zu  befrein,  nahm  von  Brunei 
Und  durch  Mehssa  hin  nach  Indien  sandte, 
Um  Rogers  Geist  zu  machen  stark  und  hell, 
Meüssa,  die  zum  Guten  ihn  verwandte, 
Wie  ihr  vernommen  habt  an  frührer  Stell' 
Und  den  der  Jüngling  dann  zu  allen  Tagen» 
Wie  eben  noch,  am  Finger  hat  getragen. 

109.  Er  gibt  ihn  jetzt  Angehka  gerade. 

Weil  sonst  der  Schild  ja  gar  nicht  bhtzen  kann. 
Und  auch,  daß  nichts  den  schönen  Augen  schade 
(Er  zappelt,  ach,  bereits  in  ihrem  Bann). 
Das  lialbe  Meer  bedeckend,  ans  Gestade 
Kommt  nun  der  \ingeheure  Fisch  heran. 
Roger,  bereit,  läßt  rasch  das  Tuch  sich  heben. 
Ein  zweites  Sonnenlicht  der  Welt  zu  geben. 

ixo.  Ins  Auge  traf  des  Zauberlichtes  Helle 
Das  Ungetüm  und  zeigte  seine  Macht: 
So  vde  den  Fluß  hinab  treibt  die  Forelle, 
Den  erst  mit  Kalk  der  Bauer  trüb  gemacht. 
So,  scheußlich  umgekehrt,  am  StrandgefSUe, 
Im  Sdiaum'gen  lag  die  Bestie  ungeschlacht. 
Roger  versucht,  ihr  Wunden  beizubringen. 
Doch  niigends  will  der  Stahl  die  Haut  durchdringen. 

III.  Da  fleht  die  Jungfrau,  doch  ein  End'  zu  machen: 
„O  mtQi'  an  harten  Sdrappen  dich  nicht  mehr. 
Binde  mich  los,  rasch,  eh  es  kann  erwachen  — 
Um  Gottr*  So  rief  sie  weinend  zu  ihm  her. 
„O  laß  mich  nicht  in  garst'gen  Fisches  Rachen; 
Nimm  mich  mit  dir  imd  wirf  mich  dann  ins  Meerl" 
Gerührt  von  ihrer  Angst,  löst  er  die  Bande 
Der  Jimgfrau,  führt  sie  weg  sodann  vom  Strande. 


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222  Z  I'  !T  N*  T  r,  R    G  F  S  .\  N  C 


112.  Er  spornt  den  Hengst,  de  r  spornt  den  Sand  mit  Füßen, 
Worauf  der  Renner  in  die  Lnft  entwich. 

Den  Reiter  auf  dem  Rücken  mit  der  Süßen, 

Der  Roger  gab  ein  Plätzchen  hinter  sich. 

Er  zwang  den  Fisch,  die  Mahlzeit  einzubüßen, 
Für  den  ja  viel  zu  fein  und  wonniglich. 
Er  wendet  sich,  und  unserm  Helden  taugen 
Der  Küsse  viel  auf  junge  Brust  ,  und  Augen. 

113.  Nicht,  wie  er  anfangs  wollte,  rings  um  Spanien 
Nahm  er  auf  seinem  Greifen  jetzt  den  Flug: 
Wo  in  die  See  liinein  ragt  Kleinbrilannien, 
Zum  nächsten  Ufer  ihn  der  Renner  trug. 

Ein  schatt'ger  Hain  von  Eichen  und  Kastanien, 
Wo  allzeit  Philomele  klagend  schlug. 
Barg  manchen  stillen  Hügel  grün  und  helle 
Und  in  der  Mitte  Rasenplatz  mit  Quelle. 

114.  Hier  stieg  der  glühnde  Reiter  aus  dem  Bügel, 
Nach  stürm'schem  Ritt;  zum  Rasen  hin  er  drang; 
Er  ließ  den  Gaul  jetzt  einziehn  seine  Flügel, 

Nur  den  lücht,  der  sie  immer  höher  schwang. 

Er  stieg  vom  Pferd  imd  hielt  sich  kaum  im  Zügel, 

Ein  andres  zu  besteigen;  doch  umschlang 

Die  Rüstung  ihn:  sie  gilt  es  abzulegen. 

Denn  Schranken  setzt  sie  seinem  Wunsch  entgegen. 

115.  Verwirrt  und  eilig  riß  er  von  den  Waffen 
Bald  hier,  bald  wieder  dort  ein  Stück  herab. 
Wie  hat  es  lang  gewährt,  sie  wegzuraffen: 
War  auf  ein  Knoten,  es  zwei  neue  gab.  — 

Doch  schon  zu  lang  macht  Euch  der  Sang  zu  schaffen, 
Herr;  zuzuhdien  müht  vielleicht  Euch  ab. 
Darum  verschieb'  ich  jetzo  die  Geschichte, 
Bis  Euch  genehmer  sei,  daß  ich  berichte. 


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ELFTER  GESANG 

1.  Zwar  hat  ein  schwacher  Zaum  schon,  die  Bewegung 
Des  mut'gen  Pferds  zu  hemmen,  oft  die  Kraft, 
Doch  selten  ist's,  daß  des  Verstandes  Regung 
Zur  Umkehr  bringt  die  tolle  Leidenschaft, 
Sobald  Genuß  im  Spiel;  wie  die  Erregung 

Des  Bären  überm  Honig  nicht  erschlafft. 
Wenn  der  Geruch  ihm  auisteigt  in  die  Nase 
Und  er  ein  Tröpfchen  hat  geschmeckt  am  Glase. 

2.  Was  soll  zurück  den  guten  Roger  halten, 

Nach  Wunsch  des  holden  Mädchens  froh  zu  sein, 

Wo  ihre  Reize  sich  ihm  frei  entfalten 

Hier  im  verschwiegnen  und  bequemen  Hain? 

Die  sonst  in  seinem  Herzen  pflegt  zu  schalten» 

Das  Fraulem  Bradamant,  ÜUlt  ihm  nicht  ein. 

Er  war'  ein  Nair  —  falls  er  an  sie  gedacht  hätt'  — , 

Wenn  er  nicht  jetzt  auch  dieser  Schönen  acht  hätt', 

3.  Bei  der  Xenokrates,  so  starr  und  hieder. 

Ja  selber,  mein'  ich,  kaum  noch  hielte  stand. 
Roger  entwaffnet  ungestüm  die  Glieder, 
Am  Boden  liegen  Speer  und  Schild  sdband  — 
Da  blickt  die  Schöne  schamhaft  vor  sich  nieder 
Und  hat  am  Finger  jenen  Ring  erkannt, 
Den  teuem,  den  sie  lange  mußte  missen, 
Den  in  Albrakka  ihr  Brunei  entrissen; 


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224 


ELFTER    G  E  S      V  * . 


4.  Der  Riqg  ists,  dessen  sie  so  vid  gedadite 
(Das  erstemal  nach  Frankreich  nahm  sie  ihn. 
Als  dorthin  seine  Lanz'  ihr  Bnider  bradite. 

Die  dann  an  Astolf  kam,  den  Paladin), 
Der  jenen  Zaubertrug  zunichte  machte 
Des  Malegis  am  Steine  des  Merlin, 
Mit  dem  sie  Roland  hatt'  an  jenem  Morgen 
Vor  Dragontinas  Sklaverei  geborgen, 

5.  Mit  dem  sie,  un wahrnehmbar  dem  Gesichte, 
Aus  jenem  Turm  des  argen  Alten  schlich  — 
Doch  weiß  ich  nicht,  warum  ich  das  berichte. 
Ihr  wißt  es  alles  ebenso  wie  ich. 

Der  Diebstahl  glückte  drauf  Bnmel  dem  Wichte; 
Der  König  wollte  ja  den  Ring  für  sich. 
Seitdem  ist  ihr  Fortuna  ieind  gebüeben 
Und  hat  sie  gar  aus  ihrem  Reich  vertrieben. 

6.  Als  sie  am  Finger  nun  den  Ring  sieht  hangen, 
Aufglülit  in  freud'gem  Staunen  ihr  Gesicht; 

In  eitlen  Träumen  wälmt  sie  sich  befangen. 
Traut  ihren  Augen  jetzt  und  Händen  nicht. 
Sie  läßt  vom  Finger  leis  den  Ring  gelangen 
Zum  Mund  —  und  plötzhch,  gleich  des  BUtzes  Licht» 
Ist  sie  den  Blicken  Rogers  fortgesdiwimden 
So  wie  die  Sonne  von  Gew6lk  unwunden. 

7.  Er  hat,  verblüfft,  ringsum  den  Blick  entsendet. 
Er  dreht  wie  närrisch  sich  herum  im  Kreis. 
Als  sein  Gedanke  zu  dem  Ring  sich  wendet, 
Steht  er  beschämt,  verwirrt  und  kreideweiß. 
Und  wie  sein  Vorwurf  gegen  sich  nicht  endet. 
Klagt  er  das  Mädchen  an,  das  solcherweis 
Undankbar  für  den  Beistand,  unfein,  ohne 
Rücksicht  auf  ihn,  genoßne  Hilfe  lohne. 


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ELFTER  GESANG 


2a5 


8.  ,,So  willst  du  dies  als  Dank  für  mich  erwählen/' 
Rief  er  verzweifelt,    grausam  Mägdelein? 

Nimmst  du  denn  lieber  jenen  Ring  durch  Stehlen 
Als  zum  (ieschenk?  Er  ist  mit  Freuden  dein, 
Und  Schild  und  Roß  soll  als  dein  eigen  zählen 
Und  ich  dazu,  ich  will  dein  Sklave  sein. 
Nur  daß  du  mir  dein  holdes  Antlitz  zeigest! 
Ich  weiß,  du  hörst  mich.  Böse,  und  du  schweigest!" 

9.  So  spricht  und  ringsum  tastend  wankt  der  Arme, 
Gleichwie  ein  Blinder,  nach  der  Quelle  iün. 

Oft  schließt  er  leere  Luft  in  seine  Arme 
Und  hofft,  er  fasse  seine  Schöne  drin. 
Die  war  schon  fem  auf  ihrer  Flucht  vor  Harme 
Und  immer  weiter  strebt  die  Wandrerin. 
Da  beut  sich  eine  Höhle  ihrem  Blicke. 
Groß  und  mit  Vorrat,  daß  sie  sich  erquicke. 

10.  Ein  alter  Hirt,  der  eine  Herde  Stuten 
Zu  hüten  hatte,  brauchte  sie  als  Hort. 
Die  Fohlen  weideten  bei  frischen  Fluten 
Die  zarten  Gräser  ab  im  Tale  dort 

Und  fanden  mittags  vor  den  heißen  Gluten 
In  StäUen  rechts  und  Unks  geschützten  Ort. 
Angelika  ließ  viele  Zeit  vergehen 
Mit  ihrer  Rast  und  ward  noch  nicht  gesehen. 

11.  So  gegen  Abend  ist  sie  munter  wieder 

—  Wie  Nahrung  stärkte,  Ruhe  wohl  ihr  tat  1  — 

Und  hüllt  in  rohe  Röcke  nun  die  Glieder, 

Unähnlich  freilich  ihrem  Kleiderstaat. 

Sie  hatte  grün',  gelb',  rot'  und  blaue  Mieder, 

Von  jedem  Schnitte,  schön  und  akkurat. 

Doch,  mag  ihr  Kleid  jetzt  niedrig  sein  zu  nennen. 

Als  edles  Fräulein  ist  sie  doch  zu  kennen. 

Ariott  I  15 


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226  ELFTER  GESANG 


12.  Von  AmaiyUb,  Phyllis  und  Neäien 

Und  Galathee  ihr  füglich  schweigen  sollt: 

Sie  all^sammen  nicht  so  reizend  wäxen, 

Ob  Tityrus,  ob  Meliböus  grollt. 

Dann  wählt  sie  eine  von  den  vielen  Mähren, 

Die  ihr  am  besten  dort  gefallen  wollt'. 

Jetzt  kann  sie  dem  Gedanken  nicht  mehr  wehren« 

TnR  Morgenland  aiimähiirh  hpi nry-^ik'^br^n i 

13.  Als  Roger  lange  Zeit,  dahinzustreifen 

Nach  seinem  Fräulein,  hat  mnsonst  verbracht,, 
Muß  er  zuletzt  den  Irrtum  wohl  begreifen 
Und  daß  die  Schöne  sich  davongemacht. 
So  kommt  er  denn  zurück,  sucht  seinen  Greifen 
Und  ist,  ihn  zu  besteigen,  just  bedacht  — 
Da  hat  das  Tier  sich  seinem  Zaum  entzogen 
Und  ist  zur  Freiheit  in  die  Luft  geflogen, 

14.  Den  Flügelhengst  —  nach  Ärger  und  Beschwerden  — • 
Zu  missen,  war  ein  recht  empfindhch  Ding; 

Der  Frauenlist  zur  Beute  so  zu  werden, 
Bedrückt  ihn  auch:  doch  was  darüber  ging 
Und  ihm  erschien  als  Scfapierzhchstes  auf  Erden, 
War  der  Verlust  von  jenem  Zauberring: 
Nicht  ob  der  Kraft  möcht'  er  ihn  gern  erlangen. 
Nein,  weil  er  von  der  Trauten  ihn  empfangen. 

15.  Er  legt  —  verdrießlich,  ach,  im  höchsten  Grade  — 
Die  Rüstung  an  und  hängt  sich  um  den  Schild, 
Sucht  sich  den  Weg  landein  vom  Meeigestade 
Nach  einem  brdten  Tal  durch  Grasgefild, 

Wo  deutlicher  die  Spijr  von' einem  Pfede 
Sich  hinzieht  dmch  die  Waldung  didit  und  wild. 
Er  geht  —  und  wo  Gesträuch  steht  engverschlungen« 
Ist  laut  Getöse  an  sein  Ohr  gedrungen. 


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ELFTER  GESANG 


237 


16.  Getös'  von  Waffen,  die  zusammenschlagen. 

Und  als  er  eilig  durch  die  Zweige  bricht, 
Da  haben  zwei  im  Kampfe  sich  am  Kragen, 
Auf  engem  Platz,  wo  Bäume  stehen  dicht. 
Ohne  nach  Rücksicht  irgendwie  zu  fragen. 
Blutig  zu  rächen  —  was,  das  weiß  man  nicht: 
Ein  Riese,  finster  wie  das  Ungewitter, 
Der  andre  scheint  ein  kühner,  edler  Ritter. 

17.  Er  kämpft  mit  Schwert  und  Scliild,  und  auszubiegen 
Weiß  er,  indem  er  liier-  und  dorthin  springt. 

Um  nicht  der  schweren  Keule  zu  erliegen. 
Die  jener  Riese  mit  zwei  Händen  schwingt. 
Am  Wege  tot  sieht  man  den  Renner  liegen. 
Roger  bleibt  stehn  — ;  was  wohl  der  Ausgang  bringt? 
Er  stellt  im  Geist  sich  auf  des  Ritters  Seite 
Und  wünscht,  er  mfige  Sieger  sein  im  Streite. 

18.  Nicht,  daß  er  ihm  zu  helfen  Anstalt  machte: 
Er  hält  sich  abseits,  sieht  den  Fall  mit  an. 
Da  mit  dem  Knüppel  hieb  der  Ungeschlachte 
Zweihändig  auf  den  Helm  den  kleinem  Mann, . 
Daß  er  ihn  mit  dem  Schlag  zu  Boden  brachte. 
An  den  Betäubten  trat  er  .dann  heran. 

Schnallt  ihm  den  Helm  ab,  ihm  den  Rest  zu  geben  — 
Und  Roger  sah  den  Eisenhut  sich  heben, 

19.  Und  im  enthüllten  Antlitz  da  erkannte 
Er  der  Geliebten  himmlische  Gestalt: 
Die  schdne,  o,  die  süBe  Bradamante 
Will  tdten  jener  Unhold  mißgestaltl 

Auf  ihn  mit  Uofiem  Schwerte  Roger  rannte 
Und  fordert  ihn  zum  Streit  mit  lautem  ,,Halt!" 
Doch  ohn'  auf  neuen  Kampf  sich  einzulassen. 
Eilt  der,  die  Regimgslose  zu  erfassen. 


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228  ELFTERGESANG 


20.  Er  packt  sie  auf;  so  schleppt  hinweg  vom  Stalle 

Der  Wolf  die  Beut'  aus  einer  Lämmerschar; 

So  trägt  die  Taube  fort  mit  seiner  Kralle 

Oder  ein  Vöglein  sonst  —  der  grimme  Aar. 

Eingreifen  tut  jetzt  not  in  jedem  Falle, 

Und  Roger  eilt  herbei,  doch  rasch  fürwahr 

Der  Kerl  davon  mit  seinem  langen  Bein  kommt, 

Daß  kaum  der  Blick  des  Ritteis  hinterdrein  kommt. 

21.  Der  läuft,  und  jener  folgt  mit  raschen  Schritten, 
Bis  sie  zuletzt  auf  immer  breiterm  Pfad 

Durch  Dickicht  und  durch  düstren  Waldes  Mitten 

Sind  einer  großen  offnen  Au  genaht. 

Genug  jetzt.  —  Nun  zu  Roland,  möcht'  ich  bitten, 

Der  des  Cimosco  Feuerblitz  gerad 

Hinausgeschleudert  hat  in  Meeresweiten, 

Daß  er  der  Welt  entschwind'  auf  alle  Zeiten! 

22.  Doch  wenig  half's — ;  der  Feind  der  Menschenkinder, 
Dem  ja  das  Unheilschaffen  zugehört 

(Er  war  recht  eigentlich  des  Strahls  Erfinder, 

Der  wie  der  Blitz  vom  Himmel  her  zerstört), 

Er  ließ,  auf  Weh  und  Leid  bedacht  (nicht  minder. 

Als  da  mit  Trug  einst  Eva  ward  betört). 

Noch  einem  Zaubrer  jenen  Fund  gelingen. 

Als  unsre  Ahnen  hier  auf  Erden  gingen. 

23.  Das  Höllenrohr,  das  auf  dem  Grund  der  Wogen 
Versteckt  gelegen  viele  Jahre  lang, 

Ans  Licht  herauf  durch  Zauberkraft  gesogen. 
Zuerst  hin  zu  dem  Volk  der  Deutschen  drang. 
Die  das  und  dies  versuchten  und  erwogen. 
Bis  ihnen,  ach,  zum  Fluch  für  uns,  gelang, 
Geschärften  Sinns  durch  Satans  Unterstützung 
Neu  aufzufinden  jenes  Rohrs  Benützung. 


ELFTER  GESANG 


229 


24.  Italien,  Frankreich,  all  die  andern  Lande 
Der  Welt  sind  auf  die  grimme  Kunst  erpicht: 
Der  zwingt  das  Erz  in  hohler  Formen  Bande, 
Das  flüssig  aus  des  Ofens  Gluten  bricht ; 

Der  bohrt  das  Eisen,  gibt  die  Form  im  Brande, 
Bald  klein,  bald  groß,  von  dem  und  dem  Gewicht: 
Der  nennt  es  Mörser,  jener  nennt's  Kartaune, 
Kanone  einiach,  doppelt  auch,  nach  Laune. 

25.  Von  Schlangen  hör'  ich,  F\ilken,  Kolubrinen, 
Wie 's  just  ihm  einfällt,  der  das  Ding  beschert. 
Das  Stahl  zerbricht,  aus  Burgen  macht  Ruinen 
Und  dem  auf  Erden  nichts  den  Weg  verwehrt. 
Armer  Soldat,  wozu  noch  sollen  dienen 

Dir  alle  deine  Waffen  bis  aufs  Schwert? 
Nimm  auf  die  Schulter  einen  Donnerkasten  I 
Sonst  ohne  Löhnung,  fürcht'  ich,  mußt  du  fasten. 

26.  Erfindung,  frevelhaft  und  tief  zu  hassen, 
Was  kamst  du  je  in  eines  Menschen  Sinn? 
Durch  dich  muß  aUer  Waffenruhm  erblassen. 
Durch  dich  sinkt  ehrenlos  das  Kriegswerk  hin; 
Durch  dich  steht  Mannheit  jetzt  und  Mut  verlassen. 
Denn  über  Wert  ist  Feigheit  Siegerin: 

Nicht  Heldenschaft,  nicht  Kühnheit,  die  man  lobe. 
Kommt  in  dem  Kriegesfelde  mehr  zur  Probe. 

27.  Gegangen  sind  durch  dich  und  werden  gehen 
Der  Herrn  und  Ritter  viel  in  Todesnacht, 
Eh  wir  das  Ende  jenes  Krieges  sehen. 

Der  für  Italien  so  viel  Leid  gebracht. 

Ich  sagt'  es  —  und  als  wahr  bleibt  es  bestehen: 
So  GreuHches  ward  niemals  noch  erdacht ; 
Es  hat  der  schhmmste  aller  Menschengeister 
Im  Feuerrohrerfinder  seinen  Meister. 


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ELFTER  GESANG 


28.  Und  Gott  —  soglaub'ich — wird  im  tiefstea  Grunde, 
Damit  den  Frevler  dort  die  Stral'  ereilt, 
Einschließen  die  verdammte  Seel'  im  Schlünde 

Der  Hölle,  wo  verflucht  der  Judas  weilt.  — 
Doch  folgen  wir  dem  Ritter,  der  zur  Stimde 
Hin  nach  Ebuda  voller  Sehnsucht  eilt, 
Dem  Eiland,  wo  man  schöne  zarte  Frauen 
Dem  Ungeheuer  vorsetzt  zum  Verdauen. 

29.  Je  mehr  der  Held  strebt  eilig  in  die  Weite, 
Nur  um  so  wen'ger  eilig  hat's  der  Wind: 
Ob  er  von  rechts  bläst,  ob  von  linker  Seite, 
Ob  hinterdrein  —  stets  weht  er  so  gehnd. 

Man  wünscht  nicht  mehr,  als  daß  das  Schifflein  gleite. 
Weil  manchmal  gänzhch  still  die  Lüfte  sind. 
Dann  wieder  bläst  er  stracks  dem  Lauf  entgegen, 
Daß  man  lavierend  war  sich  kann  bewegen. 

30.  Gott  Heß  ihn  früher  nicht  zu  Lande  gehen. 
Als  bis  Hibemias  König  weilte  dort; 

Sonst  konnte  alles  das  nicht  leicht  geschehen. 
Wovon  ihr  bald  erfahrt  am  rechten  Ort. 
Als  sie  vom  Schiff  das  Eiland  nahe  sehen. 
Spricht  Roland  zu  dem  Steurer:  „Bleib  am  Bord; 
Mir  aber  gib  das  Boot,  daß  ich  zum  Rüfe, 
Ohne  Geleite  sonst,  hinübeischiffel 

31.  Auch  Tau  imd  Anker  noch  sollst  du  mir  lassen. 
Die  allergrößten,  die  zu  finden  sei'n: 

Du  wirst  den  Grund,  warum's  geschieht,  erfassen. 
Laß  ich  in  Kampf  mich  mit  dem  Untier  ein." 
Das  Boot  mit  aüem,  das  zum  Plan  kann  passen» 
V/jift  man  dem  Ritter  in  das  Meer  hinein. 
Von  seinen  Waffen  nimmt  er  nnr  den  Degen 
Und  föhrt  allein  dann  jenem  Riff  entgegen. 


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ELFTER  GESANG 


23X 


32.  Er  zieht  die  Ruder  an  die  Brust,  den  Rücken 

Gewendet  nach  dem  Ziel  am  Uferrand; 

Vergleichbar  großem  Krebs  in  allen  Stücken, 

Der  aus  dem  Meer  hinaufkriecht  nach  dem  Strand. 

Die  Stund'  ist's,  wenn  das  goldne  Haar,  das  schmücken 

Aurora  darf,  der  Sonn'  ist  zugewandt: 

Halb  ist's  verdeckt,  halb  darf  es  sich  entfalten. 

Nicht  sonder  Äiger  Titons  wohl,  des  Alten. 

33.  Als  er  so  weit  genaht  dem  Felsenraine, 

Wie  kräft'ge  Hand  den  Kiesel  schleudern  kann, 
Deucht  ihn  —  und  deucht  auch  nicht  — ,  daß  jemand 
So  schwach  und  leise  kam  der  Laut  heran,  [weine« 
Nach  links  gewendet  sucht  er  am  Gesteine, 
Zum  Ufer  blickend,  wo  die  Welle  rann;  — 
Gebunden  war  ein  nacktes  Weib  zu  sehen; 
Die  Füfie,  weiß  und  zart,  im  Wasser  stehen. 

34.  Sie  ist  noch  fem  und  läßt  das  Antlitz  hangen; 
Drum  kann  er  nicht  erkennen,  wer  es  sei. 

Er  regt  die  Ruder  emsig,  voll  Verlangen, 

Von  ihr  noch  zu  erkunden  mancherlei. 

Als  plötzlich  Wald  und  Schluchten  rings  erkhutgen; 

So  mächtig  drShnt  des  Ungetiimes  Schrei, 

Auf  schwillt  die  See,  das  Scheusal  kommt  gezogen 

Und  hält  fast  mit  der  Brust  verdeckt  die  Wogau. 

35.  So  wie  aus  dunklen  Tales  feuchten  Weiten 
Au&teigen  Wolken  stürm-  und  regenschwer. 
Die  sich  ringsum  als  trübe  Nacht  verbreiten. 
Erstickend  —  scheint's  —  des  Tages  Leudite  hehr. 

So  dehnt  die  Bestie  sich  nach  allen  Seiten; 
Sie  schwimmt  und  füllt  dabei  das  ganze  Meer. 
Die  Wogen  beben.  Roland,  kalten  Blutes,  • 
Schaut  auf  das  Untier  festen  BUcks  und  Mutes. 


232 


ELFTER  GESANG 


36.  Ab  einer,  der  sich  klar  mit  seinen  Sachen, 
Durch  raschen  Gii^  dem  Boot  er  Schwang  verleiht: 
Es  gilt,  die  Fraa  zu  schützen  vor  dem  Rachen 
Und  anzugreifen  in  derselben  Zeit. 

Drum  zwischen  beide  lenkt  er  seinen  Nachen, 
Das  Schwert  bleibt  in  der  Scheide  noch  bereit; 
Anker  und  Tau  sind  m  die  Hand  genommen  — 
Nun,  kühn  gefaßt,  läßt  er  das  Scheusal  kommen. 

37.  Sobald  der  Fisch  sieht,  daB  die  WeUen  bringen 
Den  Schiffer  und  den  Kahn,  naht  er  im  Flug, 
Aufsperrt  er  weit  das  Maul,  sie  zu  verschlingen; 
Für  Roß  und  Reiter  wäre  Platz  genug. 

Roland  stößt  vor,  weiß  in  den  Schlund  zu  dringen 
Mit  Anker  und  dem  Boote,  das  ihn  trug 
(Vemehm'  ich  recht),  und  keilt  im  raschen  Schwünge 
Den  Anker  zwischen  Gaumen  ein  und  Zunge, 

38.  So  daß  von  oben  her  sich  nicht  kann  senken. 
Von  unten  nicht  sich  hebt  der  Kiefer  Macht; 
Wie  sie  beim  Eisengraben  Stützen  renken 

Ins  Erdreich,  wenn  man  aushöhlt  emen  Schacht; 
Damit  nicht,  während  sie  an  Arbeit  denken, 
Ob  ihrem  Haupt  der  Bau  zusammenkracht. 
Groß  ist  von  Zahn  zu  Zahn  des  Ankers  Länge, 
Daß  Roland  kaum  im  Sprung  so  hoch  sich  schwänge. 

39.  Als  fest  der  Halt  ist  und  sich  nicht  bewegen 
Noch  schheßen  mehr  des  Untiers  Rachen  kann, 
Zieht  er  das  Schwert,  und  mit  gewalt'gen  Schlägen 
Haut  er  und  sticht  im  Dunklen  drauf  und  dran. 
Wie  eine  Burg  sich  wehrt,  wenn  man  sich  regen 
Den  Feind  drin  hört,  der  schon  den  Hof  gewann. 
So  wehrt  das  Scheusal  aus  dem  Meeresgrunde 
Sich  gegen  diesen  Mann  in  sdnem  Schlünde. 


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ELFTER  GESANG 


233 


40.  Bald  läßt  der  Schmerz  es  in  die  Höhe  schießen 

—  Die  Schulter  kommt,  der  Schuppenkamm  heraus — , 
Bald  möcht'  es  in  die  Tiefe  sich  verschließen. 
Und  Sand  von  unten  wirft  der  Bauch  hinaus. 
Als  \\  assermengen  gar  zu  reichlich  fheßen. 
Flieht  Roland  schwimmend  aus  dem  nassen  Graus: 
Er  läßt  den  Anker  fest  und  nimmt  behende 
Vom  Ankerstricke  jetzt  das  eine  Ende, 

41.  Und  eilig  schwimmt  er  mit  der  Kraft  der  Lungen 
Der  Klippe  zu;  dort  stemmt  er  fest  das  Bein 
Und  zieht  den  Anker,  der  den  Biß  bezwungen, 
Mit  den  zwei  Zacken  in  den  Schlund  hinein. 

Das  Untier  folgt  dem  Seile  notgedrungen: 

Vor  dieser  Kraft  ist  jede  andre  klein. 

Der  Kraft,  durch  die  mit  ei  ne  m  Ruck  geschefan  kann 

Mehr,  als  durch  einen  Kran  geschehn  mit  zehn  kann. 

42.  So  wie  ein  wilder  Stier,  dem  man  die  Schlingen 
Warf  unversehens  um  das  mächt'ge  Horn, 
Hier-,  dortbin  taumelt,  um  sich  loszuiingen. 
Umsonst  sich  wälzt  und  aussteht  voller  Zorn, 
So  folgt  der  Fisch  mit  Zucken  und  mit  Springen 
Der  Kraft,  die  ihn  gewaltig  zieht  nach  vom; 

Er  kommt  vom  Strick  nicht  los  trotz  allem  Rütteln, 
Mag  er  sich  drelm  und  zappeüi,  zerren,  schüttehi. 

43.  Man  könnte,  traun,  vom  roten  Meere  sprechen; 
So  schießt  der  Blutstrom  aus  dem  Schlund  hervor; 
Gepeitscht  vom  Untier,  sich  die  Wogen  brechen, 

Sie  teilen  sich  vom  Meeresgrund  empor, 
So  dicht,  daß  sie  der  Sonne  Strahlen  schwächen. 
Und  spritzen  hoch  hinauf  zum  Himmelstor, 
Und  von  dem  Krachen,  dem  Getös'  und  Dröhnen 
Wälder  und  Höhn  und  femer  Strand  ertönen. 


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234 


ELFTER  GESANG 


44.  Jetzt  auf  den  Finten  läßt  sich  Ptotens  sehen. 
Der  Länn  lockt  ans  der  Grotte  Tiefen  ihn: 
Als  er  nun  Roland  kommen  siebt  nnd  gehen 
In  solchem  Fisch  nnd  den  zum  Lande  ziehn. 
Erschreckt  läßt  er  die  Herde  gehn  nnd  stehen. 
Hinaus  ins  weite  Meer  davon  zu  fliehn. 
Neptun  spannt  die  Delphine  vor  den  Wagen 
Und  läßt  sich  schleunigst  nach  Äthiopien  tragen. 

45.  Ino  hält  Uelioertos  hang  nmschlungen, 
Gelösten  Haars  kommt  der  Neriden  Heer» 

Tritonen  auch,  die  alten  und  die  jungen. 
Voll  Angst,  verzweifelt,  rennen  hin  und  her. 
Roland  ist  mit  dem  Fisch  ans  Land  gedrungen. 
Braucht  sich  mit  ihm  nicht  abzumühen  mehr, 
Denn,  eh  der  Weg  zum  Strand  noch  ist  beendet. 
Liegt,  schon  der  Fisch  vor  Qual  und  Not  verendet. 

46.  Vom  Eiland  waren  viele  hergelaufen. 
Um  anzuschauen  so  besondre  Schlacht, 

Und  was  der  Held  getan,  erschien  dem  Haufen 
In  falschem  Wahn  gottlos  und  unbedacht: 
Sie  meinten,  Proteus  werde  neu  sie  raufen. 
Denn  wachsen  müsse  seines  Zornes  Macht, 
£r  sende  wohl  die  ganze  grause  Herde, 
So  daß  die  Plage  neu  beginnen  werde. 

47.  Das  Beste  sei  —  um  Unheil  abzuwenden  — , 
Sie  flehen  jetzt  den  Gott  um  Gnade  an; 

Es  gilt,  als  Opfer  auch  hinabzusenden 

Zur  Sühne  diesen  allzu  frechen  Mann. 

Wie  eine  Fackel  andre  Feuer  spenden 

Und  einen  ganzen  Ort  entzünden  kann. 

So  zündete  von  einem  Herz  zum  andern 

Der  Schrd  der  Wut:  er  soll  ins  Wasser  wandeml 


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ELFTERGESANG  235 


48.  Der  ging  ein  Schwert,  der  einen  Spieß  erraffen, 
Schleudern  nahm  der,  den  Bogen  der  zur  Hand; 
Sie  dringen  auf  ihn  ein  mit  diesen  Waffen 

Von  hinten,  vorn,  wie  einer  timlich  fand. 

Solch  schnöder  Undank  will  Verwundrung  schaffen 

Dem  Helden  ob  der  Sitten  in  dem  Land: 

Er  findet  Unglimpf  für  die  Tat  gerade, 

Für  die  er  Ruhm  erhofft  und  Huld  und  Gnadel 

49.  Doch  wie  ein  Bär  geht  nihig  durch  die  Gassen, 
Wenn  ihn  ein  Pole  oder  Russe  führt 

(Er  \vird  sich  vom  Gebell  nicht  stören  lassen. 

Das  kleiner  Hunde  läst'ger  Häuf  vollführt 

—  Nicht  einmal  hinzublicken  will  ihm  passen  — ), 

So  wenig  Furcht  vor  jenen  Bauern  spürt 

Der  Paladin;  er  braudite  nur  zu  blasen. 

So  lägen  sie  zersdmiettert  auf  den  Nasen. 

50.  Und  wohl  verstand  ^  auch,  sich  Platz  zu  machen: 
Er  wandte  sich,  nahm  seine  Durendal. 

Es  meinte  jenes  Volk  (dumm  schier  zum  Lachen), 
Das  Spiel  mit  ihm  sei  recht  bequem,  zumal 
Ihm  Harnisch  ganz  und  Eisenschild  gebrachen 
Und  was  die  Glieder  sonst  noch  deckt  an  StahL 
Allein  ihm  deckt  —  was  jenen  unbekannt  ist  ^ 
Hornhaut  den  Leib,  die  hart  wie  Diamant  ist. 

51.  Was  andre  ihm  zu  tun  ohnmächtig  blieben. 
Andern  zu  geben  ist  in  seiner  Hand; 

Tot  liegen  dreißig  von  zehn  Schwerterhieben 

(Vielleicht,  daß  einer  mehr  dabei  sich  fand). 
Der  Strand  ist  leer,  die  Räuber  all  zerstieben, 
Zur  Schönen  wollt'  er  an  der  Felsen  wand, 
Als  neuer  Lärm  und  Schreie  zu  ihm  drangen 
Und  andre  Teile  des  Gestads  erklangen. 


236 


£LFTER  GESANG 


52.  Derweilen  Roland  so  mit  den  Barbaien 
Zu  schaffen  hatte  dort  am  Meeigetos', 

Die  Streiter  Irlands  angekommen  waren, 

Von  allen  Seiten,  nicht  am  Ufer  bloß; 
Ohn'  allen  W  idtrstand  rings  auf  die  Scharen 
Des  Volks  im  ganzen  Lande  haun  sie  los. 
War's  Grausamkeit,  war  es  Gefühl  des  Rechtes, 
Sie  schonten  keines  Alters  noch  Geschlechtes. 

53.  Kaum  widersetzten  sich  die  Inselleute, 
Teils  weil  der  Angriff  gar  zu  rasch  geschah, 
Teils  weil  die  kleine  Mannschaft  sich  zerstreute 
Und  weil  kein  Plan  war  für  die  Leitung  da. 
Die  Habe  fiel  den  Siegern  zu  als  Beute, 

Und  Brand  fuhr  in  die  Häuser  fem  und  nah: 
Wo  früher  Mauern,  war  der  Grund  jetzt  eben. 
Und  keine  Menschenseele  blieb  am  Leben. 

54.  Roland,  als  ob  er  fem  zu  bleiben  meine 
Dem  Lärmen,  der  Zerstörung,  dem  Geschrei, 
Geht  hin  zu  ihr,  die  man  zum  kahlen  Steine 
Als  Speise  schleppte  für  das  Tier  herbei. 

Er  schaut  —  und  sieh ,  ihn  deucht ,  er  kennt  die  Kleine ; 
Je  mehr  er  naht,  deucht  ihn,  daß  sie  es  sei: 
Olympia  —  und  Olympia  ist's  gewißlich, 
Die  für  die  Treue  Lohn  fand  also  mißlich  I 

55.  Die  Ärmste!  Zu  der  Liebe  Mißgeschicken 
Mußt'  ihr  ein  feindlich  Los  voll  Grausamkeit 
Am  gleichen  Tage  die  Korsaren  schicken, 
Die  da  von  hinnen  schleppten  jede  Maidl 
Als  Roland  sich  am  Felsen  läßt  erblicken. 
Erkennt  sie  ihn;  doch  weil  sie  ohne  Kleid, 

Neigt  sie  das  Haupt.  Zu  sprechen  will  nicht  taugen. 
Und  zu  erheben  wagt  sie  nicht  die  Augen. 


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ELFTER  GESANG 


237 


56.  Der  Paladin  fragt,  welche  Schicksalstikke 
Sie  nach  der  Insel  habe  hingebracht; 

Er  ließ  sie  doch  beim  Gatten,  voll  im  Glücke, 
Wie  man  ein  größres  hätte  kaum  gedacht. 
,,Des  Dankes,  daß  man  mich  dem  Tod  entrücke, 
Hab'  ich  vielleicht,"  so  sprach  sie,    minder  acht 
Als  Vorwurfs,  daß  man  mir  den  Tod  nicht  gönnte. 
Der  beut  mein  ganzes  Elend  enden  könnte. 

57.  Euch  danken  kann  ich  nur  für  dieses  eben. 
Daß  Ihr  habt  abgewandt  die  Todesart; 
Daß  icli  dem  Scheusal  wür  e  hingegeben 

Für  seinen  Bauch,  zu  greulich  wär's  und  hart. 
Doch  kann  ich  Euch  nicht  danken  für  das  Leben, 
Weil  nur  der  Tod  das  Elend  mir  erspart: 
Wollt  Ihr  mich  diesem  Retter  überweisen. 
Der  Leiden  endet,  will  ich  gern  euch  pretaen." 

58.  Schluchzend  erzählt  sie,  wie  sie  sclmöd'  betrogen 
Ward  von  dem  Gatten  mit  verruchter  List; 
Wie  er  sie  schlafend  Heß  am  Rand  der  Wogen, 
Und  Räuberschar  sie  nahm  nach  kurzer  Frist. 
Derweil  sie  sprach,  stand  sie  zurückgebogen. 

So  wie  Diana  oft  gemeifielt  ist, 

Wenn  sie  Aktaon  straft,  ihn  mit  den  Wellen 

Bespritzend,  den  fürwitzigen  Gesellen. 

59.  So  viel  sie  kann,  verhüllt  sie  Schoß  und  Büste, 
Nimmt's  mit  den  Lenden  nicht  mehr  so  genau. 
Roland  sein  Schiff  jetzt  gern  im  Hafen  wüBte, 
Kleider  zu  schaffen  für  die  schöne  Frau, 

Die  nun  der  Ketten  frei  — ,  da  auf  der  Küste 
Zeigt  sich  der  Herr  von  Irlands  grüner  Au, 
Der  König  Hubert,  er  erfuhr  gerade, 
Tot  liege  jenes  Untier  am  Gestade, 


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ELFTER  GESANG 


60.  Und  einer  sei  geschwommen  durch  die  Wogen, 

Der  keilte  ihm  den  Anker  in  den  Schlund, 
Und  hab'  es  hinter  sich  zum  Strand  gezogen. 
Wie  man  ein  Boot  zieht  nach  dem  Ufergnind. 
Zu  sehn,  ob  jener  Mann  ihn  nicht  belogen. 
Der  solche  Wundermäre  machte  kund, 
Kam  Hubert  selbst  hierher,  derweil  vom  weiten 
Sein  Heervolk  sengt  und  brennt  auf  allen  Seiten. 

61.  Steht  Roland  gleich  von  Wasser  Übergossen, 
Voll  Schlamm  und  häßlich  rot  gefärbt  von  Blut, 
Vom  Blute  rot,  das  um  ihn  her  geflossen. 

Als  er  vom  Fisch  herausschwamm  durch  die  Flut, 
Sieht  Hubert  gleich  in  ihm  den  Milonsprossen, 
Zumal  er  selbst  sich  sagt,  daß  solchen  Mut 
Und  solche  Kraft  kein  andrer  könne  zeigen; 
So  hoher  Wert  sei  nur  dem  Roland  eigen. 

62.  Als  Edelknab'  hatt'  er  am  Hof  gestanden, 
Frankreich  verlassen  erst  seit  einem  Jahr, 
Krone  zu  tragen  in  den  eignen  Landen, 
Nachdem  sein  Vater  dort  gestorben  war. 
Roland  und  er  sich  viel  gnsammenfanden. 
Oft  sprach  er  ihn  dort  in  der  Ritter  Schar. 
Den  Stahlhelm  hat  er  eilig  abgenommen. 
Begrüßt  den  Herrn  und  heißt  ihn  froh  willkommen. 

63.  Wie  man  den  Kdnig  sah  sich  Rolands  freuen, 
Ist  diesem  die  Begegnung  höchst  genehm; 
Gruß  und  Umarmung  beide  Herrn  erneuen 
Und  wohl  ein  drittes  Mal  noch  außerdem. 
Roland  erzählt  dann,  von  der  Frau,  der  treuen. 
Wie  sie  verlassen  wurde  und  von  wem; 

Dem  Schuft  Biren,  der  doch  in  jedem  Falle 
Dies  wen'ger  durfte  als  die  andern  alle. 


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ELFTER  GESANG 


339 


64.  Er  nennt  die  Ftobe»,  vrie  mit  treaem  lieben 

Sie  zu  dem  Gatten  hielt  in  jeder  Zeit; 

Wie  ihr  nicht  Eltern  mehr  noch  Gut  gebüeben 

Und  sie  dem  Tode  sich  für  ihn  geweiht. 

Aufopfrung  habe  stets  sie  angetrieben; 

Dies  zu  beweisen,  sei  er  selbst  bereit. 

Indes  er  sprach,  der  Dame  Tränen  flössen 

Und  ans  sonst  heitren  Augen  sich  eigossen. 

65.  So  ghch  ihr  Antlitz  einem  schönen  Morgen, 
Wie  ihn  der  junge  Frühling  manchmal  bringt, 
Wenn  Regen  fällt  und  Sonne,  halb  verborgen. 
Den  Nebelschleier  hier  und  da  durchdringt. 
Und  wie  ihr  süßes  Lied  dann  ohne  Soi]gen 
Die  Nachtigall  im  grünen  Busche  singt. 

So  taucht  in  Zähren  Amor  seine  Schwingen, 
Froh,  wenn  vom  Auge  helle  Strahlen  dringen. 

66.  In  dieser  Glut  entzündet  er  behende 

Den  luft'gen  Pfeil  und  löscht  ihn  in  der  Flut, 
Die  jetzt  hinsinkt  auf  rosiges  Gelände; 
Auf  dich,  aigloser  Jüngling,  zielt  er  gut, 
DaB  den  gestählten  er  ins  Hers  dir  sende  — 
Nicht  Schuppenwerk  noch  Eisen  frommt  als  Hut, 
Du  siehst  im  Augenpaar  den  Himmel  offen. 
Und  eh  du  weifit,  wieso?  —  bist  du  getroffenl 

67.  Ihr  aind  ja  Reize  atiserlesen  eigen, 

Die  seltensten,  wert  hellsten  Ruhmesschalls: 
Stirn,  Augen,  Wangen  hohe  Schönheit  zeigen, 
Mund,  Nase,  Haar  und  Schultern  audi  und  Hals; 
Doch  wenn  wir  niederwärts  vom  Busen  steigen. 
So  ist,  was  sonst  verhüllt  wird,  jedenfalls 
So  herrlich,  daß  wohl  keinem  Weib  hienicden 
Ein  solcher  Liebreiz  jemals  war  bescbieden: 


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ELFTER  GESANG 


68.  An  Weiße  gleich  dem  frischen  Schnee,  dem  hellen; 
Nicht  Elfenhein  kost  also  das  Gefühl; 

Die  runden  Brüstchen  gleich  der  Milchflut  quellen, 

So  wie  sie  einfließt  aus  den  Binsen  kühl. 
Dazwischen  einer  Höhlung  holde  Stellen 
Vergleichbar  einem  Tal  an  sanftem  Bühl, 
Anmutig,  wenn  der  Lenz  es  eingehüllt  hat 
Und  wenn,  wie  jetzt,  es  Winters  Schnee  gefüllt  hat. 

69.  Der  Hüfte,  Lenden  Wölbungen  und  Flächen, 

Der  Uchte  Leib  so  glatt  wie  Spiegelwand, 
Die  weißen  Schenkel,  die  ins  Auge  stechen. 
Entstammen,  scheint  es,  eines  Phidias  Hand. 
Soll  ich  jetzt  noch  von  jenen  Teilen  sprechen, 
Die  ihr  Bemühen  nicht  dem  Bück  entwand? 
Ich  sage  kurz :  vom  Kopf  bis  zu  den  Füßen 
VolUcommne  Reize  den  Beschauer  grüßen. 

70.  Falls  sie  dem  Paris  in  des  Ida  Hagen 
Erschienen  wär'  —  ob  Venus  wohl  (wer  weiß!). 
Wenn  auch  die  beiden  andern  ihr  erlagen, 
Errungen  hätte  höchster  Schönheit  Preis? 

Es  wäre  zu  Amyklä  nicht  getragen 
Der  Frevel  in  des  Hauses  heil'gen  Kreis; 
Gesprochen  hätte  so  der  Hirt  vom  Ida: 
„Bleib,  Helena,  zn  Haus,  ich  nehme  die  dal" 

71.  Und  hätt'  in  Kroton  ihrer  wahrgenommen 
Zeuxis,  als  es  das  Bild  zu  malen  galt 
(Das  in  der  Juno  Tempel  sollte  kommen) 
Nach  vielen  Schönen,  herrhch  von  Gestalt, 
Um  eine  darzustellen  ganz  vollkommen, 
Und  er  bald  diese  nahm  und  jene  bald. 
Er  brauchte  keine  andre  hier  zu  wählen. 
Weil  alle  Reize  sich  in  ihr  vermählen. 


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ELFTER  GESANG 


341 


7a.-  Biieno  hatte  niemals  wohl.  Ich  wette. 

Den  schönen  Körper  hüllenlos  gesehn: 

Denn  nicht  so  grausam  dort  vom  Strande  hätte 
Er  ohne  sie  von  dannen  können  gehn. 
Hubert  beweist's:  gebannt  an  jene  Stätte, 
In  hellem  Liebesbrand  sieht  man  ihn  stehn; 
Er  tröstet  sie  und  sucht  sie  aufzuheitern; 
Gut  werden  dürie  alles  noch  des  weitem. 

73.  Er  werde  sich  mit  ihr  nach  Holland  wenden 
Und  ein  sie  setzen  in  ihr  Reich  sodann. 
Damit  Gerechtigkeit  und  Rache  fänden 
Den  ungetreuen,  ehrvergeßnen  Mann, 
Strenge,  die  Sache  möglichst  rasch  zu  enden. 
Sein  Irland  alle  seine  Kräfte  an. 

Und  was  an  Kleidern  war  herbeizuschaffen. 
Das  ließ  er  ans  dem  Ort  zusanmienraifen. 

74.  Man  braucht  fürwahr  nicht  Kleider  zu  verschreiben 
Aus  Orten  ferne  von  dem  Inselland: 

Genug  ja  von  den  Mädchen  übrig  bleiben. 

Die  man  dem  Fisch  zur  Nahrung  bot  am  Strand. 

Hubert  gelang's,  in  kurzem  anzutreiben 

Von  Röcken  und  von  Kleidern  allerhaiid. 

Er  UeB  Olympia  kleiden,  doch  er  groUte, 

Nicht  kleiden  sie  zu  können,  wie  er  wollte. 

75.  Allein  so  edles  Gold,  so  feine  Seide 
Fertigt  am  Arno  selber  keiner  an. 
Und  Stickerei  zu  andrer  Frauen  Neide 

—  Mühten  sich  auch  die  größten  Künstler  dran  — , 
Man  findet's  nicht,  auch  nicht  das  Prachtgeschmeide, 
Und  sei  es  von  Minerva,  von  Vulkan, 
Das  würdig  kdnnte  jene  GHeder  schmücken, 
Die  stets  sich  neu  ihm  ins  Gedächtnis  drücken. 

Ariott  I  16 


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ELFTER  GESANG 


76.  Aus  manchem  Gnmd  ist  Roland  woblzufrieden» 

Und  es  gefällt  ihm  diese  Liebe  sehr: 
Nicht  nur  ist  Strafe  dem  Biren  beschieden 
Für  den  Verrat  und  andre  Falschheit  mehr; 
Es  wird  durch  dieses  Mittel  auch  vermieden 
Für  ihn  ein  Mißstand  unbequem  und  schwer: 
Nicht  um  Olympia,  zu  Schutz  und  Frommen 
Der  eignen  Herrin  ist  er  ja  gekommen! 

77.  Daß  sie  nicht  da  war,  stand  ganz  außer  Frage; 
Nur  ob  sie  dagewesen,  war  nicht  klar: 

Es  gab  hier  keinen  Menschen,  der 's  ihm  sage. 

Weil  keiner  mehr  vom  Land  am  Leben  war. 

Er  stach  in  See  schon  an  dem  nächsten  Tage; 

Von  dannen  zogen  sie  in  einer  Schar. 

Mit  jenen  fuhr  er  Irland  mm  entgegen, 

Demi  auf  dem  Weg  nach  Frankreich  war's  gelegen. 

78.  Aufhalten  ließ  er  sich  auf  keine  Weise, 
Und  einen  Tag  bheb  er  in  Irland  nur; 
Dann  schickt  ihn  Amor  wieder  auf  die  Reise, 
Der  gönnt  nicht  Rast  ihm  auf  der  Liebsten  Spiar. 
Er  geht;  zuvor  mahnt  er  den  König  leise 

Noch  an  Olympia  und  gegebnen  Schwur. 
Unnötig  war  es;  mehr,  als  er  veq>llichtet 
Zu  tun  war,  hat  ja  Hubert  dann  verrichtet. 

79.  Als  bald  darauf  ins  Feld  die  Seinen  gingen 
Tm  Bund  mit  Schottland  und  mit  Engelland, 
Wüßt'  er  dem  Feind  rasch  Holland  zu  entringen 
Und  lieB  ihm  auch  kein  Stückchen  friesisch  Land, 
Um  dann  zum  Aufstand  Seelands  Volk  zu  bringen. 
Nicht  eher  ruht  das  Schwert  in  seiner  Hand, 

Bis  er  Büren  erschlägt;  und  dennoch  stdien 
Die  Strafen  noch  zurOck  vor  dem  Vergehen. 


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ELFTER  GESANG 


243 


80.  Als  Hubert  und  Olympia  sich  vermählen. 
Ward  sie  aus  einer  Gräfin  Königin.  - 
Doch  von  dem  Ritter  gilt  es  zu  erzählen. 

Der  Tag  und  Nacht  fährt  durch  die  Wogen  hin. 
Zuletzt  den  gleichen  Hafenplatz  zu  wählen. 
Von  dem  er  früher  nahm  der  Fahrt  Beginn: 
Auf  Güldenzaum,  den  Hengst,  steigt  er  geschwinde 
Und  läßt  im  Rücken  salz'ge  Flut  und  Winde. 

81.  Wolü  mein'  ich,  daß  von  meldenswerten  Dingen 
Noch  manches  andre  dieser  Wiat^  sah; 

Doch  weil  sie  im  verborgnen  vor  sich  gingen, 
Ist's  meine  Schuld  nicht,  steh'  ich  schweigend  da. 
Geneigter  war  ja  Roland  zu  vollbringen 
Als  zu  erzählen,  was  durch  ihn  geschah. 
Wir  wissen  darum  nichts  von  seinen  Taten, 
Als  was  die  Zeugen  uns  davon  verraten. 

82.  So  ist  der  Winter  ruhig  hingescfaritten; 

Man  weiß  nicht,  was  geschehn  ist  von  Gewicht: 
Doch  als  vom  Tier,  drauf  Phrjrxus  einst  geritten. 
Die  Sonne  sandt'  auf  unsre  Welt  ihr  Licht 
Und  holder  Lenz  in  junger  Blüten  Mitten 
Durch  Zephyr  kam  mit  Mhlichem  Gesicht: 
Da  kamen  auch  von  Rolands  Heldentume 
Beweise  staunenswert  mit  Gras  und  Blume. 

83.  Von  Tal  zu  Beig,  von  Feld  zu  Meereswellen 
Voll  Schmerz  und  Mühsal  ritt  er  kreuz  und  quer  — 
Da  hört  er  einen  langen  Wehruf  gellen 

Beim  Eintritt  ins  Gehölz,  vom  Dickicht  her; 

Gleich  spornt  er  nach  der  Richtung  hin  zu  schnellen 
Sprüngen  das  Roß  und  hält  gezückt  die  Wehr  — 
Was  dann  geschah,  werd'  ich  erzählen  können 
Ein  andermal,  wollt  Ihr  Gehör  mir  gönnen. 

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ZWÖLFTER  GESANG 

1.  Als  Ceres  von  der  Mutter  wiederkehrte 
Vom  Ida,  eilig,  in  das  stille  Tal 

(Wo  Ätnas  Last  den  Enkelad  beschwerte, 
Nachdem  ihn  rächend  traf  der  Himmelsstrahl) 
Und  nicht  die  Tochter  fand,  die  heißbegehrte. 
Die  fem  blieb  jedem  Pfad,  hat  sie  vor  Qual 
Sich  Wang'  und  Brust  zerfleischt,  des  Leids  beflissen» 
Und  Augen  —  dann  zwei  Fichten  ausgerissen. 

2.  Die  ließ  sie  durch  die  Glut  Vulkans  entzünden. 
Und  Dauer  gab  sie  ihnen,  die  nicht  schwand. 
Daß  sie  als  Fackeln  ihr  in  Händen  ständen 
Im  W'agen,  dran  zwei  Drachen  sind  gespannt. 
Und  sucht  in  Wald  und  Feld,  Berg,  Flur  und  Gründen, 
In  Teich  und  Fhifi  und  Strom  und  Sumpfesland 
Und  £rd'  und  Meer  —  und  als  die  Welt  durchzogen, 
Ist  sie  zum  Tartarus  hinabgeflogen. 

3.  Könnt'  an  Vermögen  Roland  sich  vergleichen 
Der  Göttin,  wie  er's  kann  an  Sehnsuchtsglut, 
Er  würde  wahrlich  Beig  und  Tal  durchstreichen, 
Angelika  zu  suchen,  Wald  und  Flut 

Und  Erd'  und  Himmel,  und  den  Ort  erreichen. 
Wo  tief  das  ewige  Vergessen  ruht. 
Doch  weil  er  keinen  Wagen  bat  mit  Drachen, 
Muß  er,  wie's  eben  geht,  die  Sache  machen. 


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ZWÖLFTER  GESANG 


«45 


4.  Er  forscht,  so  plant  er — Frankreich  ist  durchzogen 

Italien  jetzt,  sodann  auch  Deutschland  aus, 

Kastilien  neu  und  alt  und  (durch  die  Wogen 
Des  Spaniermeers)  auch  Libyens  Wüstengraus. 
Grad  als  er  dies  hat  still  bei  sich  erwogen. 
Hört  er  den  Klageruf  vom  Wald  heraus. 
Er  sprengt  hinzu,  und  wen'ge  Schritte  weiter 
Sieht  er  auf  mächt  gern  Renner  einen  Reiter, 

5.  Der  vor  sich  auf  dem  Sattel  hält  in  Armen 
Gewaltsam  ein  verzweifelt  Mägdelein: 

Sie  sträubt  sich,  weint;  der  Klageruf  der  Armen 
Klingt  herzbewegend,  und  mit  lautem  Schrein 
Fleht  sie  den  Herrn  von  Anglant  um  Erbarmen; 
Der  bHckt  sie  an  und  meint,  sie  müss'  es  sein. 
Gerade  sie,  nach  der  bei  Nacht  und  Tage 
Durch  Frankreich  hin  und  drum  herum  er  jage. 

6.  Ich  sage  nicht:  sie  war's  —  nur  daß  er  glaubte. 
Die  Vielgeliebte  sei's,  Angehka. 

Daß  man  ihm  seine  Herrin,  Göttin  raubte 
Und  daß  vor  seinen  Augen  es  geschah  — , 
Darob  vor  Zorn  und  höchster  Wut  er  schnaubte 
Und  schrie  den  Reiter  an:  „Du,  halte  dal" 
Er  schrie  ihn  dräuend  an  mit  graus'ger  Stimme 
Und  spornte  GtUdenzaum  ihm  nach  voll  Grimme. 

7.  Stumm  bleibt  der  Dieb,  ist  nicht  zum  Stehn  zu  bringen. 
Und  nur  für  seine  Beute  hat  er  Sinn: 

Schwer  kam'  der  Wind  ihm  nach  mit  seinen  Schwingen, 

So  pfeilschnell  jagt  er  durch  die  Zweige  hm. 

Der  flieht,  der  folgt  —  die  tiefen  Wälder  klingen 

Vom  Klageruf  der  schönen  Dulderin. 

So  kommen  sie  auf  eine  große  Wiese: 

Ein  Schloß,  gar  reich  und  prächtig,  zieret  diese. 


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ZWÖLFTER  GESANG 


8.  Ans  Marmor  mannigialtig,  stolz  und  bdter 
Das  Haus,  kunstvoll  gebaut,  gen  Himniel  ragt. 
Zur  goldnen  Tur  hinein  ritt  nun  der  Reiter, 
Im  Arme  hielt  er  jene  schdne  Magd. 

Auf  Guldenzanm  erscheint  ein  Weilchen  weiter 
Graf  Roland  trutziglich  und  unverzagt. 
Ringsum  im  Kreis  läßt  der  die  Augen  gehen: 
Jungfrau  und  Krieger  sind  nicht  mehr  zu  sehen. 

9.  Ab  steigt  er  rasch  und  fliegt  nach  allen  Seiten 
Wie  Wetterstrahl  durchs  Haus,  der  Tiefe  nach. 
Wo  hieihin,  dorthin  sich  die  Zimmer  breiten: 
Kehl  Raum  entgeht  ihm,  Kammer  noch  Gemach. 

Zum  Oberstock  ihn  nun  die  Stufen  leiten. 

Weil  jeden  Anhalts  unten  es  gebrach. 

Doch  war's  vergebens  unten,  ist's  auch  oben; 

Umsonst  die  Müh'  —  sie  sind  wie  fortgestoben. 

10.  Wt  Seid*  und  Gold  geschmückt  sieht  er  die  Betten, 

Doch  nichts  von  Mauern,  nichts  von  einer  Wand; 

Sie,  und  wo  Füße  sich  zu  setzen  hätten. 
Der  Boden,  sind  mit  Teppichen  bespannt. 
Treppauf,  treppab  durchsucht  er  alle  Stätten, 
Doch  wird  ihm  nicht  der  Augentrost  gesandt, 
Das  Mädchen  oder  jenen  Dieb  zu  schauen, 
Der  fortgeschleppt  die  schönste  aller  Frauen. 

11.  Wie  er  den  Schritt  so  hierhin,  dorthin  wandte, 
Erfüllt  von  Sorgen,  in  Gedanken  schwer. 

Sah  er  Gradaß,  den  König,  Sakripante 
Und  Brandimarte  mit  noch  andern  mehr. 
Und  jeder  so  wie  er  vergebens  rannte 
Treppauf  und  -nieder  in  dem  Haus  umher. 
Und  alle  aul  den  bösen,  unsichtbaren 
Schloßherm  gar  au%ebracht  und  wütend  waren. 


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7.  W  ö  T  .  F  T  F.  K    a  F  9  \  X  C 


2|7 


12.  Sie  klagen,  also  suchend,  unverhohlen. 
Geraubt  sei  ihnen  dieses  oder  das: 

Dem  ist  sein  Roß  und  dem  sein  Lieb  gestohlen; 

Sie  sind  voll  Wut  —  so  geht's  ohn*  Unterlaß; 

Dem  fehlt  was  andres  — ,  alle  stehn  auf  Kohlen, 
Denn  auch  kein  Ausgang  ist  aus  dem  Gelaß, 
Und  viele  sind,  von  dieser  List  gefangen. 
Schon  Wochen,  Monde  lang  herumgegangen. 

13.  Umsonst  war  Roland  auf  imd  ab  geflogen. 
Vier-,  sechsmal  durch  das  sonderbare  Haus; 

Da  sagt  er  sich:  ,,Hier  werf  ich  —  wohlerwogen  — , 

Wenn  ich  verweile.  Müh'  und  Zeit  hinaus: 

Mit  ihr  inzwischen  ist  schon  abgezogen 

Der  Dieb  aus  andrer  Tür  vom  Haus  heraus." 

So  ging  er  jenem  Wiesengrün  entgegen. 

Das  rings  um  den  Palast  her  war  gelegen. 

14.  Das  stille  Haus  beginnt  er  zu  umschreiten. 
Dabei  zum  Boden  stets  das  Haupt  gebückt, 

Und  späht  nach  rechts,  nach  links,  nach  allen  Seiten, 

Ob  neue  Spuren  nicht  sind  eingedrückt. 

Da  hört  er  seinen  Namen,  nicht  vom  weiten: 

Er  hebt  die  Augen  auf  und  hdrt  beglückt 

Die  Stimme,  sieht  die  Züge  auserlesen. 

Die  teuren,  die  verwandelt  all  sein  Wesen. 

15.  Angelika  mit  flehenden  Gebärden 

Ruft  weinend:  „Komm,  o  hilf  mir,  komm  zu  mirl 
Mein  Magdtum,  mir  das  Teuerste  auf  Erden, 
Mehr  als  das  Leben  selbst,  empfehl'  ich  dir; 
Soll  ich  von  Räubern  denn  bewältigt  werden. 
Vor  Augen  mehies  lieben  Roland  hier: 
Dann  la0  mich  eher  rasch  des  Todes  sterben 
VonTdeiner  Hand,  als  schmählich  so  verderben!" 


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ZWÖLFTER  GESANG 


16.  Er  sncht»  durchsacht  aufs  neu  das  Schloß,  das  schlim- 

Wobei  er  in  ein  jedes  Simner  dringt,  [me. 

Mit  viil  Beschwerd'  und  Müh'  und  voller  Grimme; 

Und  Linderung  allein  die  Hoffnung  bringt. 

Stehn  bleibt  er  manchmal  und  vernimmt  die  Stimme, 

Und  ganz  wie  von  Angelika  sie  klingt, 

Und  ist  er  hier,  so  wird  sie  dort  vernommen, 

Und  dunkel  bleibt,  woher  sie  wohl  mag  kommen. 

17.  Zu  Roger  nun,  den  ich  auf  schatt'gem  Pfade 
Dem  Riesen  und  der  Maid  nachjagen  ließ. 
Und  der  bei  jenes  Räubers  Retirade 

Vom  Wald  heraus  auf  eine  Wiese  stieß  I 
Dieselbe  ist's,  die  Roland  sah  gerade. 
Wenn  mich  mein  Ortsgedächtnis  nicht  verließ. 
Dem  Ungeschlachten,  der  ins  Tor  hinein  eilt. 
Voll  Eifer  folgend  Roger  hinterdrein  eilt. 

18.  Als  auf  der  Schwelle  seine  Füße  stehen, 
Blickt  er  den  Hof  und  Säulengang  entlang: 
Jungfrau  und  Riese  sind  nicht  mehr  zu  sehen. 
Soweit  ringsum  sein  suchend  Auge  drang; 
Und  mocht'  er  auf  und  ab  die  Treppen  gehen. 
Was  er  ersehnte,  niemals  ihm  gelang; 

Es  war  in  keiner  Weis'  herauszufinden. 
Wo  jene  bdden  konnten  hinverschwinden. 

19.  Als  auf  und  ab  durch  Zinuner,  Säle,  Gänge 
Viermal  und  fünfinal  er  gelaufen  war. 
Durchsucht  er  nochmals  jedes  Winkeb  Enge, 
Sucht  unterhalb  der  Treppe  noch  sogar. 
Zuletzt,  daß  nicht  der  Ries'  im  Wald  entspränge. 
Ging  er  hinaus  —  da  hört  er,  um  ein  Haar 

Wie  Roland,  seinen  Namensruf  erschallen, 
Der  ihn  zurücktreibt  in  des  Schlosses  Hallen. 


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ZWÖLFTER  GESANG 


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20.  Dieselbe  Stiinm'  tmd  nämliche  Person  ist's, 
Die  für  Graf  Roland  war  Angelika: 
För  Roger  jetzt  die  Dame  von  Dozdon  ist's, 
Dorch  die  er  sich  sein  Ich  entrissen  sah; 
Fifa-  alle  just  der  Frauen  Preis  und  Krön*  ist's, 
So  viel  der  Ritter  sind  im  Schlosse  da; 
Ein  joder  als  die  Schöne  sie  erachtet, 
Für  die  sein  Herz  gerad  in  Sehnsucht  schmachtet. 

22.  Das  waren  neue  seltne  Zanbeidinge, 

Die  jener  Atlas  von  Karena  bot, 

Daß  Roger  hier  geschützt  die  Zeit  verbringe 

In  Liebesmühen  süßer  Pein  und  Not, 

Damit  der  Einfluß  so  vorüberginge, 

Der  böse  Einfluß,  der  den  Tod  ihm  droht. 

Nichts  half  die  Stalilburg  und  auch  nichts  Alcine: 

Drum  sucht  er,  ob  ihm  dieses  Mittel  diene. 

32.  Die  Helden,  die  empor  am  höchsten  ragen 
Im  Frankenreich  an  Mut  und  Armeskraft, 
Hätt'  er,  damit  sie  Roger  nicht  erschlagen. 
Gern  all  in  dieses  Zaubemetz  geschafft. 
Und  daß  sie  niemals  über  Hunger  klagen. 
Derweil  sie  drin  erdulden  solche  Haft, 
Ins  Schloß  so  viele  gute  Dinge  kamen, 
Daß  sich  behaglich  fühlen  Herrn  nnd  Damen.  — 

23.  Nim  zu  Angehka,  die  dank  dem  Funde, 
Dem  rückerlangten  wunderbaren  Ring, 
Unsichtbar  ward,  wenn  sie  ihn  trug  im  Munde 
Und,  wenn  am  Finger,  Zauberein  entgingt 
Gefunden  hatte  sie  im  Höhlengrunde 

Ein  Kleid,  ein  Pferd  und  Speisen,  manch  ein  Ding, 
Des  sie  bedurft,  und  jetzt  war  all  ihr  Streben, 
Nach  Indien  in  ihr  Heim  sich  za  begeben. 


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250  7  W      T  F  T  E  R  GESANG 


24.  Sie  hätte  Roland  oder  Salcripante 
Nun  gern  auf  ihrer  Reise  zum  GenoB; 

Nicht  da6  ihr  Herz  tkh  mehr  zu  einem  wandte: 
Für  beide  kalt  ihr  Bhit  in  Adern  flofi. 

Doch  führte  ja  der  Weg  nach  der  Levante 

Durch  gar  so  manche  Stadt  und  manches  Schloß, 

Da  wäre  wohl  zu  brauchen  ein  Begleiter; 

Und  zuverlässig  schien  ihr  keiner  weiter.  ] 

25.  Lang  ist  sie  suchend  hin  und  her  gezogen, 
Eh'  sie  von  jenen  eine  Spur  erhält; 

In  Städten,  Dörfern  ist  die  Zeit  verflogen 
Und,  wo  es  sonst  noch  sei,  in  Wald  imd  Feld. 
Da  schickt  das  Glück  sie,  das  ihr  jetzt  gewogen, 
Hin,  wo  mit  Roger  Roland  weilt,  der  Held, 
Und  sich  Gradaß  und  Sakripant  befinden 
Und  andre,  die  in  Atlas'  Netz  sich  winden. 

26.  Sie  tritt  hinein,  vom  Zanbrer  ungesehen. 
Durchsucht,  versteckt  vom  Ring,  das  ganze  Haus 
Und  sieht  da:  Sakripant  und  Roland  gehen, 
Um  sie  zu  finden,  immer  ein  und  aus; 

Sieht  Atlas  an  den  beiden  Trug  begehen 
Mit  ihrem  Bild  von  Fenstern  dieses  Baus, 
Sie  sinnt,  wer  als  Genoß  ihr  nützt  von  beiden 
Am  meisten,  und  sie  kann  sich  nicht  entscheiden. 

27.  Ist  Roland  auszuwählen  wohl  gescheiter? 
Oder  Zirkassiens  König  stolz  und  hehr? 
Roland  mag  freilich  als  der  stärkre  Streiter 
Sie  schirmen  in  Gefahren  wohl  noch  mehr; 
Doch  hat  sie  einen  Herrn,  wenn  er  Begleiter, 
Und  ihn  zu  ducken  wäre  sicher  schwer. 

Was  tun,  wemi  sie  von  ihm  genug  wird  haben, 
Und  wünscht,  er  mflge  heim  nadh  Frankreich  traben  ? 


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ZWÖLFTER  GESANG 


28.  Fortschicken  aber  kann  sie  den  Zirkassen» 
Wann's  ihr  gefiUlt  —  bis  in  des  Himmels  Ann, 
Dnun  als  Begleiter  schont  er  ihr  m  passen. 
Und  Eifer  will  sie  zeigen  und  Vertrann. 

Sie  nimmt  den  Ring*  und  ihre  Züge  lassen 
Vor  Sakripant  sich  ohne  Sdileio*  schaun. 
Allein  zu  sein  glanbt  sie  mit  diesem  Degen, 
Doch  Roland  ist  und  Ferra^  zugegen. 

29.  Zugegen  sind  sie.  Gleichen  Eileis  sprangen 
Treppauf  und  -ab  im  Hanse  diese  zwei. 

Innen  und  außen,  dahin  zu  gelangen, 

Wo  ihre  Schöne,  ihre  Göttin  sei. 

Nachdem  der  Spuk  des  Zaubers  nun  vergangen. 

Hin  zu  der  Dame  stürzen  alle  drei 

(Weil  an  den  Finger  sie  den  Ring  genommen. 

Hat  einen  Kiß  des  Magiers  Plan  bekommen). 

30.  Den  Harnisch  alle,  Helm  nur  zwei  liier  tragen 
Der  Helden,  denen  dieser  Sang  geweiht. 

Sie  legten  ihren  Helm  in  all  den  Tagen, 
Seit  sie  das  Haus  betraten,  nicht  beiseit. 
Sie  brauchen  über  Schwere  nicht  zu  klagen. 
Weil  sie  an  ihn  gewöhnt  sind  lange  Zeit. 
Gewappnet  ist  auch  Ferragu  als  dritter, 
Doch  keinen  Hehn  will  tragen  dieser  Ritter 

31.  Als  jenen,  der  dem  Bruder  ward  entrissen 
Trojans  durch  Roland  einst,  den  Paladin; 
Er  schwur's,  als  er  vergebens  war  beflissen. 
Vom  Strom  den  Zauberhelm  ans  Land  zu  ziehn. 
Daß  Roland  hier  sei,  könnt'  er  noch  nicht  wissen 
Und  legte  drum  noch  keine  Hand  an  ihn; 
Unmöglich  war  es,  im  Palast  beun  Wandern 

Zn  untmcheiden  einen  von  den  andern. 


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252 


ZWÖLFTER  GESANG 


«  32.  So  ganz  verhext  ist  in  dem  Hans  hier  alles: 

Die  andern  zu  erkennen  fehlt  die  Macht. 
Man  trennt  sich  von  dem  Harnisch  keinesfaDes, 
Auch  nicht  von  Schwert  und  Schild  bei  Tag  und  Nacht, 
Und  für  die  Pferde  ist  statt  eines  Stalles 
Ein  Zimmer  dicht  am  Ausgang  angebracht; 
Gesattelt  stehn  sie,  ohne  Zaumcsbanden : 
Und  Stroh  und  Hafer,  die  sind  stets  vorhanden. 

33.  Ohnmächtig,  hindert  Atlas  nicht  durch  Klagen, 
Daß  rasch  zu  Pferde  stieg  die  kleine  Schar, 

Hinter  den  Rosenwangen  drein  zu  jagen, 
Dem  goldnen  Haar  und  schwarzen  Augenpaar 
Der  Jungfrau,  die  von  ihrer  Stute  tragen 
Sich  Heß,  weil  ihr  es  unheb  war. 
Daß  drei  sich  ihr  gesellten  um  die  Wette, 
Die  Mann  für  Mann  sie  wohl  genommen  hätte. 

34.  Als  fem  vom  Schloß  so  viel  des  Wegs  gemacht  ist. 
Daß  weiter  zu  Besorgnis  kaum  ein  Grund 

Und  jeder  sicher  vor  des  Zaubrers  Macht  ist. 
Ersinnt  sie  eine  neue  List  jetzimd:  — 
Den  Ring,  durch  den  ihr  Hilfe  oft  gebracht  ist. 
Verschließt  sie  plötzlich  in  den  Rosenmund 
Und  ist  im  AugenbUck  den  drein  entschwunden. 
Die,  ganz  verwiirt,  schier  Wahnsinn  drob  bekunden. 

35.  Ihr  Plan  war  wohl  gewesen,  fortzugehen 
Mit  Roland  oder  König  Sakripant, 

Bis  sie  die  Heimat  würde  wiedersehen. 

Das  Reich  des  Galafron  im  Moigenland  — 

Doch  alle  beide  jetzt  ihr  widerstehen; 

So  hat  auf  einmal  sich  ihr  Sinn  gewandt: 

Nur  mit  dem  Ring,  um  sich  nidit  sonst  zu  Innden, 

Gedenkt  sie  weiter  ihren  Weg  zu  finden. 


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ZWÖLFTER  GESANG 


253 


36.  Die  drei  Geprellten  drehn,  als  sie  verschwunden, 

Ein  dumm  Gesicht  nach  dem  entwischten  Schatz 
Und  gleichen  ganz,  fürwahr,  verblüfften  Hunden, 
Wenn  Hase,  Fuchs  nach  fast  geglückter  Hätz 
Mit  einemmal  hat  ein  Versteck  gefunden 
In  Höhle,  Graben  oder  Dickichtplatz. 
Angehka  sieht  mit  vergnügten  Sinnen, 
Die  Böse,  unsichtbar,  was  sie  begiimeii. 

37.  Nur  eine  Straße  geht  durch  Waldesmitten: 
Vermeinend,  daß  die  Flüchtige  da  vom 
Vor  ihnen  sei  auf  diesem  Weg  geritten 

(Kein  andrer  sonst  führt  durch  Gebüsch  und  Dom), 
Eilt  Roland;  Ferragu  läßt  sich  nicht  bitten. 
Und  Sakripant  braucht  Gerte  frisch  und  Sporn. 
Angelika  veig&int  sich  größre  Weile 
Und  folgt,  die  Zügel  straff,  in  mindrer  £i]e» 

38.  Gekommen  waren  sie  mit  ihrem  Jagen 

Hin,  wo  im  Wald  der  Pfad  gemach  verschwand. 
Und  gingen  dran,  das  Gras  jetzt  zu  befragen. 
Ob  dort  sich  eine  Spur  von  Pferden  fand. 
Als  Ferragu,  der  hoch  die  Nas'  zu  tragen 
Am  besten  von  den  dreien  wohl  verstand, 
Ifit  bösem  Blick  und  klirrend  mit  den  Waffen, 
Ausrief:  „Ihr  zwei,  was  habt  ihr  hier  zu  sdiaffen? 

39.  Kehrt  schleunigst  um,  mir  diesen        zu  lassen. 
Wollt  ihr  nicht  hier  des  blassen  Todes  seini 
Nicht  will  ich  mit  Gesellsdiaft  mich  befassen. 
Ich  lieb'  und  folge  meiner  Dam'  allein." 

„Was  könnte  der",  sprach  Roland  zum  Zirkassen, 
„Wohl  mehr  noch  sagen,  sah'  er  in  uns  zwein 
Die  kläglichsten  und  feigsten  Schwätzerinnen, 
Die  nur  vom  Rocken  ihre  Wolle  spinnen?" 


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254  ZWÖLFTER  GESAKG 


40.  Darauf  zu  Ferragu:  „Da  GrobgeseDe, 
Hielte  mich  nicht,  daß  du  des  Helmes  bar. 
So  zeij^e  sich 's  gleich  hier  auf  dieser  Stelle, 
Ob,  was  du  sprachest,  gut  gesprochen  war." 
Der  Heide:  ,,\Vas  mir  recht  für  alle  Fälle, 
Wanjm  doch  fändest  du  darin  ein  Haar? 
Gegen  euch  zwei  und  frei  von  UelmesGcbutze 
Veriecht'  ich,  was  ich  sagte,  eocli  zum  Trutze." 

41.  Willst  du  nicht  mir  zulieb  den  Helm  ihm  kibea?" 
Roland  zum  König  von  Zirkassien  sprach: 

„Bis  ihm  die  Schrullen  ausgetrieben  seien. 
Denn  diesen  stehn  wohl  alle  andern  nach." 
,,Dann  war'  ich  selbst  der  größte  Narr  von  dieien'% 
Die  Antwort  ist:  „scheint  dir 's  ein  Ungemadi» 
So  leih  ihm  deinen;  ich  muß  dranf  beluiren: 
Ich  zfichtige  wie  du  wohl  einen  Nauen." 

42.  Doch  Ferragn  fiel  ein:  „Als  ob»  ihr  Toren, 
Zu  tragen  einen  Hehn,  bequem  mir  wär'l 
Ihr  hättet  euren  eignen  sdion  verloren; 

Ich  hätt'  ihn  mir  erlcämpft  mit  meiner  Wehr. 
Alletn,  damit  ihr's  wifit:  ich  habs  geschworen. 
Drum  ohne  Helm  stets  geh'  ich  jetzt  umher 
Und  werde  gehn,  bis  ich  den  Hdm  mir  raubte. 
Den  Roland  trägt,  der  Graf,  auf  seinem  Haupte." 

43.  Der  Graf  spricht  lachehid  —  und  die  Brauen  heben 
Sich  voller  Spott:  „Barhäuptig  denkst  du  da 

Im  Kampfe  Roland  so  den  Rest  zu  geben, 
Wie's  Agolantes  Sohn  durch  ihn  geschah? 
Doch  kam'  er  wirklich,  würdest  du  erbeben. 
Vermein'  ich  schier,  von  Kopf  zu  Füßen  ja. 
Und  keine  Helmsgelüste  weiter  zeigen, 
Nein,  ihm  die  Waffen  geben,  die  dein  eigen." 


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ZWÖLFTER  GESANG 


«55 


44.  Der  span'sche  Prahler  rief:    Schon  oft  bezwungen 
Hab'  ich  den  Roland  hier  mit  dieser  Hand 

Und  hätt'  ihm  leicht  nicht  nur  den  Helm  entrungen. 
Auch,  was  sich  sonst  von  Waffen  an  ihm  fand. 
Und  tat  ich 's  nicht,  ist's  meiner  Laun'  entsprungen. 
Es  wechseln  ja  Gedanken  miteinand: 
Einst  hatt'  ich  nicht,  nun  hab'  ich  das  Verlangen 
Und  denke  leicht  den  Hehn  mir  zu  erlangen  1" 

45.  Jetzt  kam  dem  Grafen  die  Geduld  abhanden: 
„Du  arger  Schuft  und  Lügner,"  rief  er,  , .sprich I 
Zu  welchen  Zeiten  und  in  welchen  Landen 
Besiegtest  du  in  einem  Kampfe  mich? 

Der  Paladin,  der  schlecht  vor  dir  bestanden 
Und  den  du  fem  geglaubt  hast,  der  bin  ichl 
Sieh  zu,  ob  du  den  Hehn  dir  kannst  verschaffen 
Oder  auch  nur  behältst  die  andern  Waffen  I 

46.  Und  keinen  Vorteil  will  ich  hier  un  Streite." 
Damit  löst  er  des  Helmes  Schuppenband, 
Hangt  ihn  an  euien  Buchenzweig  zur  Seite 
Und  mmmt  zugleich  die  Durendal  zur  Hand. 
Henr  Feiraga  sucht  keineswegs  das  Weite: 

Er  zieht  das  Schwert  und  deckt  sich  recht  gewandt, 
DaB  Schild  und  Schwert  gleichwie  ein  Dach  ihm  nützen 
Und  dergestalt  sein  nacktes  Haitpt  beschützen. 

47.  Im  Kreis  sich  hurtig  drehend  auf  den  Rossen, 
A]s  flinke  Reiter  stellten  sie  sich  dar: 

Zu  treffen  galt  es,  wo  zusammenschlössen 
Die  Fugen,  und  das  Eisen  dünner  war. 

Es  fände  schwerlich  würdige  Genossen 
Rings  auf  dem  Erdenrund  dies  Kämpferpaar; 
An  Kraft  und  Mut  einander  beide  gleichen. 
Und  beide  trotzen  allen  Schwertesstreichen. 


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256 


ZWÖLFTER  GESANG 


48.  Kaum  nötig  ist  es,  Herr,  daß  ich  Euch  sage; 
Gefeit  war  Ferragu  gen  Hieb  und  Stoß, 

Nur  da  nicht,  wo  zuerst  in  sichrer  Lage 
Das  Kind  sich  nährt,  das  noch  im  Mutterschoß. 
Drum  trug  er  hier  bis  zu  dem  letzten  Tage, 
Stets,  wenn  ihm  zweifelliaft  erschien  sein  Los, 
Aus  Stahl  gehärtet,  sieben  starke  Platten, 
Weil  Waiien  da  nur  Kraft  zu  schaden  hatten. 

49.  Bis  auf  nur  einen  Punkt  war  gleichermaßen 
Durchaus  gefeit  der  Ritter  von  Anglant: 
Unter  den  Sohlen  bloß  war  er  zu  fassen, 
Doch  diese  schützt'  er  eifrig  und  gewandt. 
Hat  uns  die  Wahrheit  nicht  im  Stich  gelassen. 
War  alles  andre  hart  wie  Diamant. 
Gewappnet  gingen  mehr  des  Schmuckes  wogen 
Als  aus  Bedür^iis  diese  beiden  D^gen. 

50.  Grausamer  geht  der  Kampf  und  wilder  weiter. 
Des  Schreckens  voll  und  grauslich  anzusehn: 

Es  schlägt  und  sticht  drauüos  der  span'sche  Streiter, 
Und  niemals  fehl  die  grimmen  Stöße  gehn: 
Platten  und  Schuppen  bricht  der  fränk'sche  Reiter, 
Bei  jedem  Hieb  muß  eine  Lück'  entstehn. 
Angelika,  allein  noch  gegenwartig. 
Unsichtbar,  wird  mit  Staunen  nimmer  fertig. 

5X.  Der  König  von  Zirkassien  glaubt  indessen 
Angelika  ein  Stückchen  noch  voraus; 
Er  sieht  die  beiden  dort  auf  Kampf  versessen 
Und  will  auf  gleichem  Wege  jetzt  hinaus. 
Den,  wie  er  meint,  das  Fraulein  hat  durchmessen. 
Da  sie  dem  Blick  verschwindend  nahm  ReiBaus. 
So  kann  die  Tochter  Galafrons  das  Hauen 
Und  Stechen  als  allem'ge  Zeugm  schauen. 


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ZWÖLFTER  GESANG 


52.  Wfist  und  entsetzlich  findet  sie  dies  Streiten; 
Ein  Weilchen  schaut  sie  noch  den  Fall  sich  an. 

Der  ihr  gefährlich  dünkt  für  beide  Seiten 

Und  ihre  Seele  nicht  erfreuen  kann. 

Sie  möchte  neuen  Scherz  sich  jetzt  bereiten 

Und  nimmt  den  Helm  fort,  um  zu  sehn,  was  dann 

(Er  soll  nicht  lang  in  ihren  Händen  bleiben), 

Wenn  er  entschwunden  ist,  die  Kämpfer  treiben. 

53.  Wohl  mag  der  Graf  ihn  noch  zurückerlangen, 
Doch  erst,  nachdem  ihr  kleiner  Spaß  vollbracht; 
Sie  läßt  den  Helm  auf  ihrem  Schöße  prangen, 
Schaut  noch  ein  Weilchen  zu  der  Reiterschlacht, 
Und  ohne  Abschieds  wort  ist  sie  gegangen. 

Sie  hat  ein  gut  Stück  Weges  schon  gemacht. 
Eh  einer  noch  des  Falles  wahrgeworden; 
So  sind  sie  voller  Wut  erpicht  axds  Morden. 

54.  Zuerst  bemerkt  Herr  Ferragu  die  Sache; 

Von  Roland  reißt  er  sich  und  ruft:  „Fürwahr! 
Als  dumme  Kerls  behandelt  uns,  und  schwache. 
Der  Ritter,  der  noch  eben  mit  uns  war. 
Was  meinst  du,  welcher  Lohn  dem  Sieger  lache. 
Sind  wir  durch  Diebstahl  jenes  Helmes  bar?" 
Roland  schaut  um,  kann  keinen  Helm  erblicken 
Am  Zweige  dort  —  und  will  vor  Wut  ersticken. 

55.  Er  muß  mit  Ferragu  die  Meinung  teilen 
(Und  lenkt  sein  Pferd  herum  in  Uchtem  Zorn): 
Der  Ritter  nahm  den  Helm,  den  man  verweilen 
Dort  sah,  —  nun  ffUüt  der  Hengst  den  Sporn. 
Sogleich  beginnt  der  Mohr  ihm  nachzueilen, 
Und  wie  die  beiden  dort  am  Wpge  vom 

Zu  jener  neuen  Spur  im  Gras  gekmgen. 
Wo  sie  und  der  ^kassier  sind  gegangen. 


Ariott  I 


17 


258  ZWÖLFTER  GESANG 


56.  Nimmt  links  der  Graf  den  Weg  von  dieser  Stefle 
Talein,  wo  hingeritten  Sakripant, 

Und  Ferragu  hält  sich  ans  Beiggeiälle, 
Den  Pfad  hin,  wo  Angelika  verschwand. 
Die  Jungfrau  kam  indes  an  eine  Quelle 
Hit  schattigem  und  anmutrdchem  Rand, 
Die  Wasser  dort  in  kühlem  Schatten  winken: 
Kein  Wandrer  gehe,  ohne  da  zu  trinken. 

57.  Das  Fraulein  \Mbt  am  klaren  Wasser  stehen 
Und  wähnt  sich  hier  geschützt  vor  aller  Welt; 
Sie  meint,  es  kdnn'  ihr  Übles  nicht  geschehen, 
Weil  sie  der  Zauberring  verborgen  hält. 

Der  grüne  Rand  ist  mit  Gebüsch  versehen: 
Dorthin  hat  sie  sogleich  den  Helm  gestellt 
Und  geht  darauf,  den  kühlsten  Platz  zu  finden 
Und  dort  das  Pferd  zum  Grasen  festzubinden. 

58.  Da  kommt  der  Spanierstreiter  hergeritten. 

Der  ihrer  Spur  gefolgt,  zum  Quell  heran. 
Als  ihn  das  Mädchen  sieht  in  W'aldesmitten, 
Verschwindet  sie  und  treibt  die  Stute  an. 
Der  Helm,  der  auf  das  Gras  herabgeglitten. 
Liegt  fem,  so  daß  sie  ihn  nicht  fassen  kann. 
Kaum  sieht  Angelika  der  Mohrendegen, 
So  sprengt  er  voller  Freude  ihr  entgegen. 

59.  Doch  sie  verschwand,  just  als  er  sie  erkannte. 
Wie  beim  Erwachen  flieht  ein  Traumgebild; 
Er  sah  sie  nicht,  ob  er  die  Augen  wandte. 
Die  leiderfüllten,  weithin  durchs  Gefild; 

Und  jetzt  dem  Makon  und  dem  Trivigante, 
All  seinen  Göttern  flucht  er  laut  und  wild 
Und  kehrt  darauf  zurück  an  jene  Stelle, 
Wo  noch  der  Helm  im  Gras  li^t  bei  der  Quelle. 


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ZWÖLFTER  GESANG  259 


60.  Im  Innern  hat  er  eine  Scbrift  gefunden  — 
Daran  erkannt'  er  ihn  —  am  Helmesrand, 
Besagend,  wen  der  Graf  einst  überwimden 
Und  wann  und  wie  und  wem  er  ihn  entwand. 
Der  Heide  hat  ihn  sich  ums  Haupt  gebunden, 
Wv'i]  ihm  die  Gier  nicht  durch  den  Ärger  schwand. 
Den  Schmerz,  daß  ihm  die  Maid  zerfloß  soeben. 
So  wie  Gespenster  in  der  Nacht  entschweben. 

61.  Als  er  den  schönen  Helm  nun  umgeschlungen. 
Schien  alles  gut  —  es  felilt'  ein  einzig  Ding; 
Sie  aufzufinden  (wär'  ihm  das  gelungen!), 

Die  wie  der  Blitz  des  Himmels  kam  und  ging] 
Tief  in  den  Wald  ist  er  hineingedrungen, 
Und  als  er  sah,  die  Hoffnung  war  gering, 
Daß  jemals  noch  von  ihr  sich  Spuren  fänden. 
Wollt'  er  ins  Lager  nach  Paris  sich  wenden. 

62.  Wenn  jener  Holden  Reize  ihm  entschwanden. 
Und  Stillung  seines  Sehnens  fehl  ihm  schlug. 
War  nur  ein  Trost  für  seinen  Schmerz  vorhanden: 
Daß  er  ja  nun  den  Helm  des  Grafen  trug.  — 

Als  Roland  merkte,  wie  die  Sachen  standen. 
Ging  er  den  Spanier  suchen  lang  genug; 
Doch  nahm  er  ihm  den  Helm  nicht  eh'r  vom  Haupte, 
Bis  er  sein  Leben  bei  zwei  Brücken  raubte. 

63.  Angelika,  unsichtbar  und  verlassen, 
Geht  ihres  Wegs  mit  traurigem  Gesicht: 

Daß  sie  den  Hehn  hat  bei  dem  Quell  gelassen. 
Zu  eilig,  das  beschwert  sie,  und  sie  spricht: 
„Mit  fremden  Dingen  mußt'  ich  mich  befassen 
Und  nahm  ja  Rolands  Hehn;  das  ziemte  nicht  1 
Recht  hübschen  Lohn  hat  er  bei  mir  gefunden. 
Die  ich  so  sehr  zu  Dank  ihm  bin  verbunden! 

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26o 


ZWÖLFTER  GESANG 


64.  Wohlmeinend  ja,  weiß  Gott,  im  Herzen  drinnen 

—  Kam's  anders  auch  und  endet  traurig  nun  — , 
Nahm  ich  den  Helm:  es  war  mein  einzig  Sinnen, 
Daß  doch  der  Kampf  der  beiden  möge  ruhn, 
Und  nimmermehr  wollt'  ich  durch  mein  Beginnen 
Dem  dummen  Spanier  nach  Gefallen  tun/* 
So  ritt  sie  ihres  Wegs  in  bittem  Klagen, 
Daß  sie  den  Helm  des  Grafen  fortgetragen. 

65.  Verstimmt  und  unzufrieden  hin  nach  Morgen 
Schlug  sie  die  Richtung,  die  ihr  gut  schien,  ein, 
Teils  sich  den  Menschen  zeigend,  teils  verborgen. 
So  wie  gerad  die  Leute  mochten  sein. 

Gar  manches  Land  durchstreifte  sie  voll  Sorgen 
Und  kam  zuletzt  in  einen  Wald  hinein; 
Dort  lag  bei  zwei  Erschlagnen  auf  dem  Grunde 
Ein  junger  Knab',  die  Brust  mit  schwerer  Wunde  1 

66.  Doch  von  Angelika  sing'  ich  nicht  weiter, 
Mit  andern  Dingen  mach'  ich  Euch  bekannt; 
Auch  kümmert  uns  nicht  mehr  der  Mohrenreiter 
Für  lange  Zeiten  oder  Sakripant. 

Von  ihnen  holt  mich  fort  ein  andrer  Streiter: 
Ich  künde  von  dem  Ritter  von  Anglant, 
Wie  jene  Sehnsucht  Leid  fand  und  Beschwerden, 
Die  nun  fortan  kein  Enäß  nahm  auf  Erden. 

67.  Er  eilt,  sich  in  dem  ersten  besten  Flecken  — 
Denn  unerkannt  zu  gehn  ist  er  bedacht  — 
Das  Haupt  mit  neuer  Kappe  zu  bedecken; 

Ob  schwach,  ob^gut  gestsüolt,  hat  er  nicht  acht. 

Mag  an  Metallen  drin,  was  wolle,  stecken; 

Er  ist  ja  gegen  Wunden  fest  gemacht. 

So  sucht  er  wdter  fort  auf  seinen  Wegen, 

Sei's  Tag,  sei's  Nacht,  bei  Sonnenschein  und  Regen. 


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ZWÖLFTER  GESANG 


261 


68.  Die  Stunde  war's,  da  Phöbus'  Rosse  steigen 
Mit  Tau  in  Haaren  aus  dem  Meer  empor 
Und  rot  und  gelb  sich  Eos'  Blumen  zeigen. 
Von  ihr  umhergestreut  am  Himmelstor; 
Und  schon  beendet  hatte  seinen  Reigen 
Und  scheidend  sich  verhüllt  der  Sterne  Chor: 
Als  eines  Tages  wahre  Wunderwerke 

Tat  Roland  zu  Paris  mit  seiner  Starke. 

69.  Er  traf  zwei  Feindesscharen:  der  bejahrte 
Herr  von  Norizia  ist's,  der  Sarazen, 

Einst  stolz  und  kühn,  jetzund  im  weißen  Barte 
Durch  Rat  mehr  als  durch  Taten  angesehn; 
Die  andern  mit  der  eigenen  Standarte 
Führt  jener  große  Herr  von  TmnisenLj 
Der  ab  erlesnen  Helden  sich  ervnesen; 
Alzirdo  nannten  seine  Mohren  diesen. 

70.  Sie  lagen  mit  den  andern  Heidenschaien 
Bisher  den  ganzen  Winter  vor  Paris, 
Wo  jene  näher  dran,  die  femer  waren. 
Wie  Dorf  und  Bmg  ein  Obdach  finden  Ueß, 
Weil  König  Agramant,  der  längst  erfahren. 
Daß  da  zu  stürmen  nicht  Erfolg  verhieß. 
Es  mit  Belagrung  jetzt  versuchen  wollte. 
Wenn  noch  die  Stadt  genommen  werden  sollte. 

71.  Dafür  bedtzt  er  ungezählte  Massen: 

Nicht  nur,  was  mit  ihm  selbst  gekommen  war. 
Auch  was  Marsilius'  Heeresreihn  umfassen. 
Von  Spanien  her  die  kriegerische  Schar. 
Aus  Frankreich  hat  er  viele  kommen  lassen. 
Denn  von  Paris  zum  Strand  von  Arles,  sogar 
Mit  Teilen  der  Gascogne  —  und  den  besten  — 
Besiegt  ist  alles  bis  auf  wen'ge  Festen. 


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ZWÖLFTER  GESANG 


72.  Als  rasche  Bäche  nun  in  laue  Wogen 
Mählich  verwandeln  hartes,  kaltes  Eis 

Und  Wiesen  stehn  mit  frischem  Grün  bezogen 
Und  auf  dem  Baume  sproßt  das  junge  Reis, 
Hat  Agramant  das  Heer  herangezogen, 
Das  ihm  gefolgt  in  seines  Glückes  Kreis, 
Um  Heerschau  seiner  Scharen  abzuhalten 
Und  all  das  Seine  besser  zu  gestalten. 

73.  Wie  nun  die  beiden  sich  dahin  bewegen. 
Um  zeitig  anzukommen  auf  dem  Feld, 
Wo  es  bald  Rechenschaft  gilt  abzulegen, 

Ob  gut,  ob  schlecht  es  mit  dem  Heer  bestellt. 
Geschieht's,  daß,  wie  gesagt,  Roland  der  Degen 
Urplötzlich  auf  den  Schwärm  der  Mohren  fällt 
Bei  seiner  Suche,  jene  sn  erlangen, 
Die  mit  des  Amors  Netz  ihn  halt  umfangen. 

74.  Als  diesen  Grafen,  der  nicht  seinesgleichen 
An  Heldenschaft  hat  auf  dem  Erdenrund, 

Dem  selbst  der  Kriegsgott  —  scheint  es  —  müßte  wei- 
Alzird,  der  junge  Herrscher,  sieht  jetzund,  [cfaen. 
Bleibt  er  verbliifft  bei  solcher  GröBe  Zeichen, 
Dem  stolzen  Blick,  dem  grimmen,  trutz'gen  Mund; 
Er  fühlt:  das  ist  ein  Krieger,  hoch  zu  loben. 
Doch  spürt  er  Lust,  es  selber  zu  erproben. 

75.  Alzud  war  jung,  zum  Übermut  verwegen. 
Ob  großer  Kraft  berühmt  im  ganzen  Heer. 

Dem  Fremden  spornt  er  rasch  den  Hengst  entgegen  — 
O  daß  er  in  der  Schar  gebüeben  wär't  — 
Durchs  Herz  gestoßen  liegt  der  kühne  Degen 
Vom  Ritter  von  Anglant  beim  Anprall  schwer. 
V'oll  Schrecken  flicht  der  Hengst  mit  leerem  Bügel: 
Es  lenkt  ihm  ja  kein  Reiter  mehr  die  Zügel. 


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ZWÖLFTER  GESANG 


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76.  Ein  ungeheures  Schreien  hört  man  schallen, 
Das  weithin  rings  durch  alle  Lüfte  klingt, 
Wie  man  da  sieht  den  jungen  König  fallen, 
Und  Blutstrom  aus  so  reicher  Ader  springt. 
Wutvolle  Haufen  sich  um  Roland  ballen; 

Ein  Heer  von  Schwert  und  Lanzen  ihn  umringt, 
Beschwingte  Pfeile,  schwarz  wie  Stünne,  fliegen 
Noch  dichter»  um  dem  Helden  obzusiegen. 

77.  So  wie  mit  Lärm  aus  Bergen  oder  Auen 
Die  borst  ge  Herde  kreischend  stürzt  daher, 
Wenn  sich  ein  Wolf  aus  dunkler  Schlucht  heß  schauen 
Oder  vom  Waldgebirg  herab  ein  Bär 

Mit  einem  zarten  Ferklein  in  den  Klauen, 
Das  mit  Gegrunz  und  Quieken  klagt  gar  sehr, 
So  läimt's  um  Roland  aus  der  Mohren  Reihen, 
Die  alle  wütend  „Auf  ihnl  Auf  ümt"  schreien. 

78.  Der  Harnisch  hat  an  Pfeilen,  Lanzenstücken 
Und  Schwertern  tausend,  ebenso  der  Schild: 
Der  schlägt  ihn  mit  der  Keule  auf  den  Rücken, 
Der  droht  von  vom,  der  von  der  Seite  wild. 
Doch  ihn  zu  schrecken  wollte  niemals  glücken; 
Der  wüste  Heereshauf  nicht  mehr  ihm  gilt. 

Als  einem  Wolfe  gelten  drin  im  Stalle 
In  Finsternis  die  vielen  Schäflein  alle. 

79.  Das  nackte  Flammenschwert  sieht  man  ihn  tragen. 
Das  so  viel  Mohren  schon  hat  Tod  gebracht; 
Drum  wer  hier  Rechnung  führen  will  und  sagen, 
V/ie  viel  es  sind,  hat  sich's  nicht  leicht  gemacht« 
Kaum  foßt  der  Weg  noch  alle,  die  erschlagen ; 
Rot  flieBt  ein  Blutstrom  durch  den  Leichenschacht. 
Sturmhaube  nicht  und  Tartsche  können  nützen, 
Vor  Durendal,  der  grimmigen,  zu  schützen. 


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ZWÖLFTER  GESANG 


80.  Nicht  Baumwollkleid,  nicht  Leinwand»  die  in  Falten 
Sich  tun  das  Mohrenhanpt  schlingt  tansendfach. 

Es  fliegen  Arm'  und  Köpfe  rings,  gespalten, 

Und  Schultern,  nicht  bloß  Seufzer,  Weh  und  Ach; 

In  vielen,  lauter  grausigen  Gestalten 
Zieht  durch  das  Feld  der  Tod  dem  Schwerte  nach 
Und  sagt  sich:  hundertmal  will  dies  Gewaffen 
Mehr  JBeute  mir  als  meine  Sensen  schaffen. 

81.  Fast  eh  ein  Hieb  sitzt,  geht's  an  neues  Morden; 
Bald  fliehn  die  Heiden  all  in  wildem  Graus; 
Ihn  zu  verschlucken  meinten  diese  Horden: 

Er  stellte  ja  sich  ganz  allein  zum  Strauß! 

Ach,  keiner  fragt,  was  aus  dem  Freund  geworden; 

Und  keiner  wartet  auf  Geleit  nach  Haus. 

Zu  Pferd,  zu  Fuß  den  Fliehnden  schlimm  zumut  ist. 

Und  niemand  fragt,  oh  auch  die  Straße  gut  ist. 

82.  Mochte  die  Tugend  mit  dem  Spiegel  gehen. 
Das  jedes  Herzensfältchen  macht  bekannt, 
Ein  einz'ger  Alter  kam,  hineinzusehen, 

Dem  Kraft,  nicht  Hochsinn,  mit  den  Jahren  schwand; 

Statt  sich  zu  retten  und  heschimpft  zu  stehen. 

Reicht  ec  dem  Tode  unvensagt  die  Hand: 

Ich  meine  Manilart,  der  ohne  Wanken 

Den  Speer  hielt  nach  dem  uigewalt'gen  Franken. 

83.  Er  bricht  ihn  vom  am  Schild  des  Feinds  in  Splitter, 
Der  bleibt  im  Sattel,  gänzlich  unbewegt. 

Das  nackte  Schwert  schwingt  jetzt  der  Christenritter, 
Der  im  Vorbeigelm  nach  dem  Kdnig  schlägt 
Dodisitzt  der  Hieb  nicht  scharf ;  durch  Drehung  glitt  er 
Und  wurde  auf  die  Seite  so  gelegt. 
Ifan  kann  nicht  immer  nach  dem  Scfan&chen  hauen; 
Doch  außer  Sattel  ist  der  Mohr  zu  schauen. 


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ZWÖLFTER  GESANG 


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84.  Betäubt  am  Boden  streckt  er  seine  Glieder. 
Es  wendet  Roland  nicht  das  Haupt  um  ihn; 
Er  spaltet,  schneidet,  säbelt,  schmettert  nieder; 
Ein  jeder  meint,  ihn  sucht  der  Paladin, 

Und  flüchtet,  wie  mit  ängsthchem  Gefieder 
Die  Staare  vor  dem  grimmen  Falken  fliehn. 
Vernichtet  ist  der  ganze  Heereshaufen : 
Sie  ducken  sich,  sie  fallen,  und  sie  laufen. 

85.  Des  Schwertes  Wüten  wollte  nimmer  enden. 
Bis  leer  das  Feld  von  allem  Leben  stand. 
Im  Zweifel  ist  der  Graf,  wohin  sich  wenden, 
Ob  auch  das  ganze  Land  ihm  wohlbekannt. 

Mag  er  nach  rechts,  nach  links  die  Blicke  senden. 
So  bleibt  das  Herz  dem  Fortgehn  abgewandt: 
Es  gilt,  Angelika  nicht  zu  verfehlen; 
Er  fürchtet  inuner,  falschen  Weg  zu  wählen. 

86.  Stets  fragend,  Kunde  von  ihr  zu  erlangen, 
Hielt  er  sich  nun  durch  Felder  hin  und  Wald: 
Wie  er  sich  selbst  verloren  war  gegangen. 
Den  Weg  verlor  er  und  gelangte  bald 

Zu  einem  Beig;  —  wie  fltigelschlagend  drangen 
Lichter  heraus  aus  einem  Felsenspalt. 
An  diesen  Felsen  kommt  heran  der  Recke, 
Ob  nicht  Angelika  sich  dort  verstecke. 

87.  Wie  man  Wacholder  in  dem  Waldgehege 
Durchsucht  und  Stoppeln  auch  und  freies  Feld, 
Wenn  in  durchwühlten  Furchen  ohne  Wege 
Man  Jagd  auf  das  erschxockne  Haslein  hält. 
Zu  jedem  Busch  geht,  ob  es  drunter  läge. 
Und  jeden  Domstrauch  auf  die  Probe  stellt  — 
So  voller  Mühe  sucht  der  Graf  und  schrotet 
Allüberall  hin,  wie  die  Hoffnung  leitet. 


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ZWÖLFTER  GESANG 


88.  Eilig  bewegt  er  sich  und  sieht,  das  Blitzen, 
Das  in  den  dunklen  Wald  sich  dort  ergießt. 

Kommt  just  aus  diesem  Berg  durch  schmale  Ritzen, 
Der  eine  weite  Höhle  in  sich  schließt, 
Und  als  ein  Wall  davor,  mit  scharfen  Spitzen, 
Wildes  Gesträuch,  wo  Dom  und  Dickicht  sprießt 
Zum  Schutz  für  jene  in  der  Höhle  drinnen 
Vor  solchen,  die  von  draußen  Schaden  sinnen. 

89.  Am  Tage  hätte  niemand  sie  gefunden, 

Doch  nachts  zog  dieses  Licht  den  Blick  hinein. 
Gern  Weit  res  nukhte  Roland  nun  erkunden. 
Obwohl  vermutend,  was  es  möge  sein. 
Nachdem  er  Güldenzaum  hat  angebunden. 
Tritt  er  ganz  leise  in  die  Höhl'  hinein 
Durch  jene  Öffnung  mit  dem  Domgezweige 
Und  ruft  sich  keinen,  der  den  Weg  ihm  zeige. 

90.  Die  Gruft,  in  der  sich  Lebende  begraben, 
Stieg  viele  Stufen  in  den  Grund  hinab. 
Herausgemeißelt  aus  dem  Felsen,  gaben 
Wölbungen  größre  Weite  diesem  Grab. 
Auch  etwas  Tageslicht  wohl  mocht'  es  haben. 
Wiewohl  der  Eingang  nur  geringes  gab. 
Doch  bot  ein  Fenster  rechts  an  einer  Stelle 
Der  Wand  in  einem  Loch  genügend  Helle. 

91.  Ein  Mädchen  sitzt  in  jener  Höhle  Mitten 
Beim  Feuer;  Huld  und  Reiz  war  ihr  verliehn: 
Und  kaum  die  Fünfzehn  hat  sie  überschritten. 
Meint  auf  den  ersten  Blick  der  Paladin. 

Sie  war  so  schön,  das  AntUtz  fein  geschnitten, 
Daß  dieser  Ort  ein  Paradies  erschien. 
Blinkt  gleich  im  Auge  eine  bittre  ZSÜtuK, 
Als  ob  groß  Leid  ihr  widerfahren  wäre. 


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ZWÖLFTER  GESA  NG 


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92.  £in  altes  Wdb  war  da;  wie  Weiblein  pflegen. 
So  saßen  sie  gerade  streitend  dort. 

Jedoch  zur  Höhle  steigt  herab  der  Degen, 

Und  sieh,  verstummt  ist  plötzlich  Zwdst  und  Wort. 

Er  tritt  den  zwein  mit  feinem  Gruß  entgegen. 

Wie  sich's  zu  Fraun  gebührt  an  jedem  Ort, 

W'orauf  alsbald  die  beiden  sich  erheben, 

Um  freundlich  ihm  den  Gruß  zurückzugeben. 

93.  Anfangs  erbleichten  sie  ja  wohl  vor  Schrecken, 
Als  unversehns  erscholl  die  fremde  Stimm' 
Und  sie  gewappnet  vor  sich  sahn  den  Recken: 
Der  schien  ein  mächt 'ger  Krieger,  stark  und  grimm. 
Er  fragt:  ,,Wer  mag  sich  so  mit  Schmach  bedecken. 
Ein  Wütrich  grausam,  ungerecht  und  schlimm, 
Um  ein  Gesicht,  dran  sich  die  Augen  laben. 

In  dieser  finstem  Höhle  zu  begraben?" 

94.  Mühsam  gab  ihm  Bescheid  darauf  die  Traute, 
Doch  unterbrochen  oft  von  Schluchzen  heiß. 
Das  durch  die  süßen  abgerißnen  Laute 
Aufstieg  aus  Perlen-  und  Korallenkreis. 

Die  Träne,  bis  kein  Aug'  sie  mehr  erschaute. 
Hinab  sie  rann  durch  Ros'  und  Lilien  weiß. 
Vernehmt  im  nächsten  Sang  die  weitem  Sachen: 
Zeit  ist's,  mit  dieser  hier  ein  £nd'  zu  machen. 


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DREIZEHNTER  GESANG 


1.  Wohl  hatten's  gut  die  Ritter  jener  Tage, 
Die  ja  mit  einemmal  im  Felsenschlund, 
In  Höhlen  fanden  oder  finstrem  Hage, 
Im  Bären-,  Löwen-  oder  Drachengrund, 

Was  doch  dem  Kenner  von  dem  rechten  Schlage 
Sich  kaum  noch  beut  in  stolzem  Schloß  jetzund: 
Mägdlein  in  allerfrischsten  Jugendjahren, 
Die  jedes  Schönbeitspreises  würdig  waren. 

2.  Ich  habe  vorher  schon  davon  gesprochen: 
Graf  Roland  langte  bei  dem  Fräulein  an 

Und  fragte:  Welch  ein  Schehn  hat  das  verbrochen? 
Fortfahrend  meld'  ich,  daß  die  Dame  dann. 
Von  mehr  als  einem  Seufzer  unterbrochen. 
Mit  süßer  Stimme  anmutsvoll  begann 
Dem  Grafen  ihren  Kummer  mitzuteilen. 
Dabei  bemüht,  sich  möglichst  zu  beeilen. 

3.  Sie  sprach:  „Ich  weiß,  die  Strafe  wird  nicht  fehlen, 
Sie  bricht,  sobald  ich  sprechen  will,  herein; 
Denn  diese  hier  wird  alles  gleich  erzählen 

Dun,  der  mich  schloß  in  diesen  Kerker  ein. 
Und  doch  will  ich  die  Wahrheit  nicht  dir  hehlen. 
Sollt'  auch  mein  Leben  drum  vernichtet  sdn. 
Denn  als  mem  größtes  Glück  ich  dieses  fasae: 
Daß  er  mich  eines  Tages  sterben  lasse. 


DREIZEHNTER  GESANG 


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4.  Ich  heiße  Isabell  —  in  frühren  Tagen 

Des  Königs  von  Galicien  Kind  ich  war; 

,War*  heißt's  mit  Recht,  denn  jetzt  kann  ich  nur  sagen : 

Das  Kind  von  Schmerz  und  Leid  bin  ich  fürwahr. 

An  allem  hat  nur  Amor  Schuld  getragen 

Und  seine  Niedertracht,  das  seh'  ich  klar: 

Beifällig,  hold  weiß  er  zuerst  zu  bücken, 

Mit  List  und  Trug  uns  heimUch  zu  umstricken. 

5.  Wie  lebt'  ich  einst  so  glücklich:  hochgeboren 
Und  jung  und  schön  dazu  und  brav  und  reich  1 
Arm  bin  ich  nun,  vom  Unheil  auserkoren: 
Gibt  es  ein  schlimmes  Los,  mich  trifft  es  gleich. 
Doch  höre,  was  ich  weiter  noch  verloren 

Und  was  mich  hergeführt  in  Unglücks  Reich  1 
Mag  mir  zu  helfen  dir  auch  nicht  gelingen. 
So  wild  dein  Mitgefühl  mir  Lindrung  bringen. 

6.  Mein  Vater  gab  Bayona  Ritterspiele, 

Es  mögen  nunmehr  wohl  zwölf  Monde  sein. 
Die  Kunde  zog  der  tapfem  Kämpfer  viele 
Von  ferne  her  in  unser  Land  hinein. 
Von  allen  (fügten  solches  Amors  Ziele? 
Leoehtet  Verdienst  schon  durch  sich  selber  ein?) 
Gebührte,  schien  es  mir,  allein  die  Krone 
Zerbin,  des  großen  Schottenkönigs  Sohne. 

7.  Ich  hatte  Taten,  die  erstaimlich  waren, 
Dort  in  den  Schranken  ihn  vollbringen  sehn 
Und  fühlte  Liebe,  ohn'  es  zn  gewahren; 
Als  ich  es  merkte,  war's  um  mich  geschehn. 
Bin  ich  durch  seme  Lieb'  auch  schlimm  gefahren, 
Stets  wird  mir  tröstlich  in  der  Seele  stehn: 

Ich  gab  mein  Herz,  zu  ruhn  auf  lautrem  Grunde, 
Dem  Edelsten  rings  auf  dem  Erdenrunde* 


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D  R  F.  I  Z  E  H  >:  T  E  P  GESANG 


8.  Mir  war,  als  ob  an  Mut  dahmten  bliebe 
Und  Schflnheit  jeder  aus  der  Herren  Schar. 

Er  zeigte  mir  —  und,  glaub'  ich,  fühlte  —  Liebe; 

Daß  er  wie  ich  erglühte,  sah  ich  klar. 

Auch  fehlte  nicht,  wer  Dolmetsch  unsrer  Triebe 

Und  eines  wie  des  andern  Bote  war: 

Wir  waren  noch  getrennt  von  Mund  zu  Monde, 

Vereinigt  nur  in  unsrer  Seelen  Bunde. 

9.  Denn  heimwärts  schied  Zerbm  aus  unsem  Mauern, 
Die  großf  Festlichkeit  war  ja  vollbracht. 

Weiß  ich,  was  Lieb'  ist,  weiß  ich  auch  —  in  Trauern 

Blieb  ich  zurück,  sein  denkend  Tag  und  Nacht  — 

Gewiß,  in  seinem  Herzen  werde  dauern 

Ganz  ebenso  die  Glut,  die  ich  entfacht. 

Sein  Sinnen  ging  nicht  mehr  nach  kühnem  Strdte, 

Nein,  mich  nur,,  nudi  wollt'  er  an  seine  Seite. 

10.  Und  weil  unmöglich  (seines  Glaubens  wegen: 
Weil  er  ja  Christ,  ich  Sarazenin  bin) 
Vom  Vater  mich  erbitten  kann  der  Degen, 
Geht  auf  Entführung  allgemach  sein  Sinn. 
Von  unserm  Schloß  hinaus,  das  hübsch  gelegen 
In  grünen  Auen  nach  dem  Meere  hin. 
Zieht  sich  ein  schöner  Garten  nach  dem  Strande 
Mit  Aussicht  auf  die  See  und  Hügellande. 

XI.  Um  doch,  was  Glaube  wehrte,  zu  gestalten. 
Erschien  ihm  sehr  geeignet  dieser  Ort. 
Er  ließ  mir  seinen  Plan  darauf  entfalten. 
Ein  Leben  freudenreich  zu  führen  dort. 
Verborgen  bei  Sankt  Martha  ließ  er  halten 
Ein  heimlich  Schiff  mit  Kriegesvolk  an  Bord, 
Dem  Odrich  von  Bisca3ra  zugewiesen; 
Zum  Obersten  des  Heeres  macht'  er  diesen. 


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n  K  r  T  /  IC  H  N  T  E  R    C  E  SANG 


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12.  Da,  selbst  zu  kommen,  Möglichkeit  ihm  fehlte 
(Weil  für  die  Hil&schar  nach  dem  Frankenland 
Sein  alter  Vater  ihn  als  Fuhrer  wählte), 
Ward  jener  Odridi  von  ihm  hergesandt, 

Den  er  zu  seinen  treusten  Freunden  zählte 
Und  dem  sein  Herz  zumeist  war  zugewandt. 
Er  hätte  treu  sein  müssen  bis  zum  Sterben, 
Wär's  wahr,  daß  gute  Taten  Freunde  werben. 

13.  Er  sollt'  auf  einem  Kriegsschiff  durch  die  Wogen 

Mich  schaffen  zu  der  festgesetzten  Zeit. 

So  kam  der  kingersehnte  Tag  gezogen, 

Im  Garten  stand  ich  für  die  Flucht  bereit. 

Mit  seiner  Mannschaft,  kampferprobt,  verwogen, 

An  einem  Punkte  von  der  Stadt  nicht  weit, 

Gelang's  dem  Mann,  die  Landung  zu  vollbringen 

Und  leis  zu  meinem  Garten  vorzudringen. 

14.  Bevor  zur  Stadt  die  Kunde  noch  gedrungen. 
War  ich  auf  dem  geteerten  Fahrzeug  schon. 
Vom  waffenlosen  Hansstand,  alt'  und  jungen. 
Fand  mancher  seinen  Tod,  und  andre  flohn; 
Ein  Teil,  gefangen,  ward  aufs  Schiff  gezwungen. 
So  ließ  ich  Heimat,  Haus  und  Nation; 

Wie  gern  —  möcht'  ich  zu  sagen  fast  mich  scheuen. 
Voll  Hoffnung,  bald  Zerhins  mich  sni  erfreuen. 

15.  Wir  waren  über  Mongia  dort  zur  Stelle, 

Da  zieht  ein  Sturm  auf,  von  der  Linken  her; 
Ein  mächt'ger  Windstoß  trübt  die  heitre  Helle 
Und  wirbelt  hoch  zum  Firmament  das  Meer. 
Der  Mistral  tanzt  und  häufet  Well'  auf  Welle: 
Er  wächst  und  steigt,  nimmt  weiter  überhand 
Und  wächst  und  steigt  voll  Wut  und  will  nicht  enden. 
Und  wenig  nützt  das  Drehen  und  das  Wenden. 


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DREIZEHNTER  GESANG 


16.  Veigebens  refft  man  Segel,  kappt  man  oben 
Den  hohen  Mast,  zerbricht  man  das  KasteU  — : 
Wir  treiben  hin,  wo,  hoch  vor  mis  erhoben, 
Die  scharfen  Klippen  dränen  von  Rocfaelle. 
Schickt  jetzt  nicht  gnädig  Hilfe  Der  von  oben, 

So  bringt  uns  grauser  Sturm  zum  Scheitern  schnell. 
Es  jagt  der  schlimme  Wind  in  größrer  Eile 
Als  je  vom  Bogen  fortgescimeilte  Pfeile. 

17.  Der  von  Bkc&yaL  sah  die  Not  und  wandte 
Ein  Mittel  an,  das  oft  mag  trügrisch  sein: 
Er  lief  zum  Boot,  ließ  es  hinab  und  sandte 

An  Tauen  mich  hinunter  mit  noch  zwein. 
Ein  andrer  Haufe  auch  zu  kommen  brannte. 
Doch  Ueßen  sie  die  ersten  nicht  hinein. 
Sie  hielten  mit  den  Schwertern  sie  beiseite, 
Lösten  das  Tau  und  suchten  rasch  das  Weite. 

18.  Wir  sind  ans  Land  geworfen,  doch  gelangen 
Hinauf,  die  in  das  Boot  gestiegen  sind; 

Die  mit  dem  Schiff  sind  all  zugrund  gegangen, 

Manch  Waffcnkleid  ward  Raub  für  Well'  und  Wind. 

Empor  zur  ew'gen  Lieb'  und  Güte  drangen 

Des  Herzens  Dankgebete,  weil,  gi  lind, 

Sie  mich  in  Sturmeswut  nicht  üeß  vergehen. 

Daß  ich  den  Liebsten  dürfe  wiedersehen. 

19.  Im  Schiffe  bleiben  Kleider  und  Juwelen, 
Kostbare  Sachen  und  Kleinodien  mehr; 

Soll  mir  die  Hoffnung  auf  Zcrbin  nicht  fehlen. 
Gönn'  ich  das  andre  alles  gern  dem  Meer. 
Kein  Pfad  ist  von  dem  Ufer  aus  zu  wählen. 
Und  keine  Herberg  zeigt  sich  ringsumher; 
Nur  Fels,  um  dessen  Haupt  die  Winde  gellen; 
Den  Fuß  umtoben  wilde  Meereswellen. 


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D  R  I  -  T  :/  I   H  N  T  E  R  GESANG 


20.  Doch  Amor,  der  Tyrann«  der  bei  Verqnechen 
Sich  ialsch  erweist  und  Treue  ganz  veigiBt 
Und  sich  bemüht,  zu  hindern  und  zu  brechen. 
Wo  ein  vemünft'ger  Plan  entstanden  ist, 
Weiß   sich  für  meine  Freud'  an  mir  zu  rädien. 
Verkehrt  mir  Glück  in  Leid  durch  HinterUst: 
Er,  dem  Zerbin  vertraut  in  jeder  Weise, 
Entbrennt  in  Lust  und  wird  als  Freund  zu  Eise. 

21.  Ob  er  an  Bord  schon  fühlte  die  Gdüste 

Und  sie  zu  äußern  nur  den  Mut  nicht  fand, 

Ob  erst  der  \\  misch  an  der  entlegnen  Küste, 
Wo  volle  Muß'  er  hatte,  jetzt  entstand?  — 
Weil  keiner  wohl  ihn  jetzt  zu  liindern  wüßte. 
Wollt'  er  die  Laune  büßen  unverwandt. 
Nur  säh'  er  gern  den  einen  Mann  verschwinden. 
Von  zweien,  die  sich  noch  im  Boot  befinden. 

22.  Ein  Mann  war's,  der  Zerbin  sich  treu  bewiesen, 
Almonio  hieß  er,  aus  dem  Schottenland, 
Als  wackrer  Krieger  sehr  von  ihm  gepriesen 
Damals,  da  er  zu  Odrich  ward  gesandt. 
Ob  es  nicht  schade  sei,  so  fragt  er  diesen, 
Wenn  ich  zu  Fuße  geh'  am  Klippenrand. 
Und  bat  ihn,  nach  Rochelle  vorauszugehen, 
Nach  einem  Rofi  für  mich  sich  umzusehen. 

23.  Almonio,  ohne  irgendwas  zu  ahnen, 
Geht  augenbhcks,  um  in  den  Wald  hinein, 
Der  uns  die  Stadt  verbirgt,  sich  Weg  zu  bahnen; 
Es  mochten  kaum  zwei  kleine  Stunden  sein. 
Und  Odrich  meint,  jetzt  in  sein  böses  Planen 
Auch  jenen  andern  Schiffsmann  einzuweihn. 
Weil  er  kein  Mittel  weiß/  ihn  fortzubringen. 
Und  ihm  vertrauen  kann  in  allen  Dingen. 

Ariost  I  18 


274 


DREIZEHNTER  GESANG 


24.  Der  eine,  der  geblieben  am  Gestade, 
Corebo  von  Bilbao  war  genannt. 

Mit  Odricfa  aufgewacbsen,  gleiche  Flade 
Ging  er  mit  ihm  und  immer  Hand  in  Hand. 

Sich  zu  enthüllen  diesem  Freund  gerade. 
Für  ungefährlich  der  Verräter  fand: 

Er  hofft,  die  Rücksicht  werde  überwiegen 

Und  mehr  am  Freund  ihm  als  an  Tugend  hegen. 

25.  Doch  als  Coreb  der  Brave  voll  Empöre 
Den  Vmatz  des  Genossen  dranf  vernimmt, 

Verräter  nennt  er  ihn  und  sagt,  ihm  stören 

Werd'  er  den  schnöden  Handel  ganz  bestimmt; 
Und  nackter  Schwerter  Klirren  läßt  sich  hören: 
Sie  schlagen  aufeinander  dort  ergrimmt. 
Erschrocken  eil'  ich,  bei  der  Eisen  Klingen 
Ins  Waldesdickicht  fliehend  zu  entspringen. 

26.  Weil  Odnch  Meister  ward  in  vielen  Kriegen, 
Geschah's,  daß  er  sogleich  in  Vorteil  kam; 
Corebo  bheb  für  tot  am  Boden  liegen. 

Dem  Schuft,  der  die  Verfolgung  unternahm, 
Lieh,  um  mich  einzuholen,  wohl  zum  Fhegen 
Amor  die  eignen  Flügel  wundersam 
Und  lehrt'  ihn  Schmeichelreden  viel  imd  Flehen, 
Um  seine  Wünsche  doch  erfüllt  zu  sehen. 

27.  Vergebens.   Eh'r  hätt'  ich  den  Tod  gelitten  — 
Entschlossen  war  ich  —  als  ihm  willig  sein. 
Da  Drohung  nicht  verfängt  und  alles  Bitten 
So  wenig  Nutzen  bringt  wie  Schmeichelein, 

Ist  er  zur  offenen  Gewalt  geschritten. 

Umsonst  mit  Flehen  dring'  ich  auf  ihn  ein. 

Daß  er  der  Treue  zu  Zerbin  gedenke 

Und  mir,  der  ihm  Vertrauten»  Schonung  schenke. 


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DREIZEHNTER  GESANG 


275 


28.  Als  mein  vergeblich  Bitten  mich  belehrte. 
Daß  keine  Hilfe  sonst  zu  hoffen  mehr 
(Nur  immer  lüsterner  und  schlimmer  kehrte 
Er  sich  zu  mir,  so  gierig  wie  ein  Bär), 

Mit  beiden  Händen  und  mit  Füßen  wehrte 
Ich  mich  und  biß  und  kratzte  um  mich  her, 
Bis  ich  das  Kinn  ihm  und  die  Haut  zerkrallte, 
Und  schrie,  daß  es  empor  zum  Himmel  schallte. 

29.  Ist's  Zufall,  ist  s  mein  Schrein  bei  diesem  Raufen, 
Das  eine  Stunde  weit  gewiß  wohl  gellt, 

Ist's,  daß  auch  Leute  sonst  zum  Strande  laufen, 
Wenn  an  den  Khppen  dort  ein  Schiff  zerschellt  — 
Oben  am  Berg  erscheint  ein  Menschenhaufen, 
Der  auf  das  Meer  und  uns  die  Richtung  hält. 
Als  Odrich  sieht,  daß  sie  zum  Strande  ziehen, 
Läßt  er  von  mir  und  wmdet  sich  zum  Fliehen. 

30.  Vor  dem  Verräter  also  war  der  Haufe 

Mir  wohl  zum  Schutz,  o  Herr;  doch  wie  es  geht: 
Vom  Regen  kam  ich  tüchtig  in  die  Traufe. 
Dies  Sprichwort,  traun,  zu  gutem  Recht  besteht. 
So  schlimm  swar  kam's  nicht  in  der  Dinge  Laufe 
(Nicht  solcher  Bosheit  Opfer  Ihr  mich  seht). 
Daß  sie  Gewalt  an  meinen  Körper  l^en; 
Nicht,  daß  im  Herz  sie  etwa  Tugend  hegten: 

31.  Nein,  weil  sie  so  nur  großem  Vorteil  haben: 
Als  Jungfrau  bring'  ich  ihnen  höham  Preis. 
Acht  Monde,  bald  sind's  neun,  bin  ich  begraben 
Lebendigen  Leibes  hier  in  solcher  Web*. 

Nicht  Hoffoung  auf  Zerbtn  mehr  kann  mich  laben, 
Denn  wie  ich  aus  erlauschten  Reden  weiß. 
Will  mich  ein  Händler  jetzt  von  diesem  Haufen 
Für  einen  Sultan  der  Levante  kaufen." 

18* 


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276        D  REIZEHNTER  GESANG 


32.  So,  züchtig  und  bescheiden,  sprach  die  Traute, 
Und  oft  ein  Schluchzen  oder  Seufzer  schnitt 
Ab  die  Musik  der  engelhaften  Laute: 

Es  hätt'  erbarmt  wohl  Vipern  und  Granit. 
Derweil  sie  ihre  Schmerzen  ihm  vertraute. 
Vielleicht  die  Qualen  lindernd,  die  sie  htt, 
An  zwanzig  Menschen  in  die  Höhle  drangen, 
Veisehn  mit  Waüen  —  Messern,  Spießen,  Stangen. 

33.  Des  ersten  Anthtz,  hart  und  wild  zum  Grauen, 
Hatt'  nur  em  Aug',  das  schielend,  finster  stand; 
Das  andre  ward  durch  einen  Hieb  zerhauen. 
Durch  den  ein  Stück  von  Wang'  und  Nas'  entschwand. 
Als  sie  den  Ritter  in  der  Höhle  schauen, 
Spricht  jener,  zu  der  Schar  zuriickgewandt: 

„Ein  neuer  Vogel  ist  ins  Netz  gegangen 

Von  seibat,  für  den  die  Maschen  gar  nicht  hangen  I" 

34.  Zum  Grafen  sagt  er  drauf:  „Niemals  im  Leben 
Sah  ich  gefälligem,  bequemern  Mann. 

Hast  du's  geglaubt?  Hat  man  dir  Wink  gegeben? 
Zeigte  man  dir's  durch  einen  Boten  an, 
Daß  ich  so  leichtes  braunes  Röcklein  eben 
Und  just  so  scfatee  Waffen  brauchen  kann? 
Da  kommst  zur  rediten  Zdt  in  jedem  Falle, 
Um  SU  erfüllen  meine  Wünsche  aller 

35.  Roland  sprang  auf  und  gab  mit  bittrem  Lachen 
Die  Antwort,  nach  dem  Räuber  hingewandt: 
„In  einer  Mimze  sollst  du  Zahlung  machen. 

Wie  sie  noch  nicht  dem  Handelsmann  bekannt." 
Vom  nahen  Herd,  daraus  die  Flammen  brachen, 
Kifi  er  den  glühnden  rauch*gen  Feueibrand 
Und  traf  durch  Zufall  da  den  Mordgesellen, 
Wo  zu  der  Nase  sich  die  Braun  gesellen. 


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DREIZEHNTER  GESANG 


«77 


36.  Der  Brand  verzehrte  beide  Augenlider, 
Derweil  er  großem  Schaden  Hnks  verhieß; 
Den  unglücksel'gen  Teil  ja  riß  er  nieder. 
Der  Sonnenlicht  herein  vom  Himmel  ließ; 
Nicht  nur  geblendet  hat  den  Räuber  wieder 
Der  grimme  Stoß  —  nein,  zu  den  Geistern  stieß 
Er  ihn,  die  Chiron  dort  mit  seinesgleichen 

Tief  unten  waten  läßt  in  glühnden  Teichen. 

37.  Ein  mächtiger  Tisch  auf  einem  kurzen  Beine, 
Zwei  Spannen  dick,  tief  in  die  Höhle  dringt. 
Dran  mit  der  ganzen  Sippe  im  Vereine 

Der  Diebsgesell  die  Essenszeit  verbringt. 
Und  mit  der  Leichtigkeit,  wie  wohl  der  feine, 
Gewandte  Spanier  dünne  Rohre  schwingt, 
Schkodert  der  Graf  den  Usch  dem  Ort  entgegen. 
Wo  dichtgedrängt  die  Ränber  sich  bewegen, 

38.  Zerschmettert  dem  die  Brust,  dem  Arm  und  Hände, 
Den  Bauch  dem,  jenem  fliegt  das  Hirn  heraus; 
Der  stirbt,  der  bleibt  ein  Krüppel  bis  ans  Ende; 
Der,  weniger  getroffen,  flieht  hinaus. 

So  bricht  ein  starker  Steinwurf  Seit*  und  Lende, 
Zermahnt  die  Knochen,  leert  die  Schädel  aus 
Von  Nattern,  die  nach  Winterfrost  voll  Wonne 
Sich  glätten  und  sich  ringeln  in  der  Sonne. 

39.  Gar  viel  verschiedne  Fälle  da  erscheinen: 
Die  stirbt,  und  ohne  Schwanz  eilt  jene  fort; 
Die  möchte  sich  verkriechen  hinter  Sternen, 
Das  Hinterteil  —  umsonst  —  regt  diese  dort; 

Mit  jener  will's  ihr  Heil'ger  besser  meinen: 
Sie  huscht  ins  Laub  und  schleicht  an  sichern  Ort. 
Erschrecklich  war  der  Wurf  und  ohnegleichen; 
Nicht  wunderbar  bei  Rolands  mächt 'gen  Streichen. 


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DREIZEHNTER  GESANG 


40.  Wer  leklit  verwundet  oder  heil  gebfieben. 

Hat,  sich  zu  retten,  rasch  den  Fuß  gewandt 

(Turpin  erzählt,  es  waren  grade  sieben); 
Jedoch  am  Ausgang,  ach,  der  Ritter  stand: 
Als  sie  zusammen  waren  all  getrieben. 
Mit  einem  Strick  er  ihre  Hände  band; 
Mit  einem  Stricke  wurden  sie  gebunden. 
Den  er  im  Waldbaus  grade  angefunden. 

41.  Er  bringt  die  Angeseilten,  wo  da  breitet, 
Ein'  alte  Esche  knorriges  Geäst; 

Der  Baum  wird  mit  dem  Schwerte  zubereitet. 
Da  schnürt  er  sie  als  Rabenfutter  fest. 
Nicht  Haken  braucht's,  als  er  zum  Werke  schreitet. 
Die  Welt  zu  säubern  rasch  von  solcher  Pest. 
Wo  aus  dem  Baum  hervor  viel  Zacken  sprangen. 
Da  ließ  er  allesamt  am  Halse  hangen. 

42.  Mit  Heulen  floh,  die  Hände  in  den  Haaren, 
Das  alte  Weib,  der  Räuber  Helferin, 
Sobald  sie  sah,  daß  tot  die  andern  waren. 
Durch  Waldesdickicht  und  Gebüsche  hin. 

,  Ab  sie  auf  rauhem  Weg  so  fortgefahren 
flfit  schwerem  Schritt  und  furchterfuUtem  Sinn, 
Traf  sie  am  Flussesrande  einen  Streiter  — 
Doch  wen,  erfahren  wir  ein  wenig  weiter 

43.  Und  scbaun  nach  ihr,  die,  nicht  sie  zu  verlassen. 
Den  Paladin  fleht  gar  beweglich  an: 

Sie  woll'  ihm  folgen;  höflich,  sich  zu  fassen, 
Ermahnt  er  sie  und  tröstet,  wie  er  kann. 
Und  tJs,  geschmückt  mit  hellen  Rosenmassen, 
Im  Purpurkleid  zu  zeigen  sich  begann 
Die  weiße  Eos  und  gewohnten  Weg  ging. 
Sah  sie,  daß  Roland  mit  der  Dame  weg  gmg. 


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DREIZEHNTER  GESANG 


279 


44.  Sie  zogen  fort,  und  viele  Tage  schwanden, 
Da  nichts  geschah,  was  des  Berichtes  wert. 
Bis  unterwegs  sie  einen  Ritter  fanden, 
Der  aus  Gefangenschaft  war  heimgekehrt. 

Wer's  war,  noch  sag'  ich;  jetzt  nimmt  uns  in  Banden, 
Von  der  zu  hören  ihr  gewiß  hegehrt: 
Die  Tochter  Hahnons,  die  wir  ja  in  Schmachten 
Veriiefien  und  in  sehnsuchtsvollem  Trachten. 

45.  Die  ScbSne  harrt  dort  am  Marseiller  Strande 
Umsonst  auf  ihres  Rogers  Wiederkehr; 
Inzwischen  macht  sie  jener  Heidenhande, 
Und  zwar  tagtäglich  fest,  das  Leben  schwer» 
Die  rauhend  auf  und  ab  zog  durch  die  Lande 
Von  Languedoc  und  um  Provence  umher. 

Als  Lenkerin  und  Kriegerin  von  Eisen 
Verstand  sie  sich  aufs  beste  zu  beweisen. 

46.  Veistridien  war  der  Zeitraum  nun  schon  lange. 
Da  er  versprach,  zu  ihr  zurückzugehn. 

Und  als  er  gar  nicht  kam,  da  ward  ihr  bange. 
Denn  tausend  Böses  könnt'  ihm  ja  geschehn*. 
So  stand  sie  auch  einmal  mit  nasser  Wange, 
Einsam  für  sich,  da  ließ  sich  jene  sehn, 
Die  mit  dem  Ring  dem  Herzen  Heilung  brachte. 
Als  es  der  Hexe  Zauber  treulos  machte. 

47.  Wie  sie  nun  ohne  Roger  hat  gesehen  — 
Nach  solcher  Zeit!  —  die  gute  Magierin, 
Erbleicht  sie,  kaim  kaum  auf  den  Füßen  stehen. 
Und  fiele  um  ein  Haar  vor  Schrecken  hin. 
Doch  jene  macht,  daß  Sorgen  bald  vergehen 
(Der  Freundin  Herz  durchschaut  ihr  kluger  Sinn), 
Und  tröstet  sie  mit  freundlich  heitrem  Munde, 
Qeich  emer  Trägerin  von  froher  Kunde. 


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DREIZEHNTER  GESANG 


48.  Nicht  härme  dich  um  Roger,"  sprach  sie,   Kleine I 
Er  ist  gesund  und  frisch  und  liebt  dich  heiß; 
Doch  nicht  in  Freiheit  ist  er,  denn  die  seine 
Nahm,  der  dir  feindlich  ist  bekannterweis. 

Jetzt  aber  steigst  du  wohl  zu  Pferd,  ich  meine. 
Und  folgst,  um  ihn  zu  sehn,  mir  auf  die  Reis'. 
Gehorchst  du  mir,  will  ich  den  Weg  dir  zeigen, 
Drauf  ihm  die  Freilieit  wird  durch  dich  zu  eigen." 

49.  Und  sie  erzählt,  mit  welchen  Zauberstücken 
Der  Magier  ihn  zu  täuschen  dort  verstand 
Und  mit  dem  Bild  der  Jungfrau  zu  berücken. 
Die  sich  in  eines  Riesen  Armen  wand; 

Wie  er  ihn  nach  dem  Schloß  mit  seinen  Tücken 
Fortzog  und  dann  vor  seinem  Blick  entschwand» 
Und  wie  er  sonst  noch  einfing  Herrn  und  Damen 
Auf  gleiche  Art.  wemi  sie  des  Weges  kamen: 

50.  Im  Zaubrer  meint  ein  jeder  den  zu  schauen. 
Den  er  gerad  mit  heißem  Sehnen  sucht: 

Ihr  Lieb  die  Ritter,  ihren  Freund  die  Frauen. 
Wie  Leidenschaft  die  Menschen  grad  versucht. 
So  suchen  sie  im  Schlosse  voll  Vertrauen 
Und  mühn  sich  ab,  doch  ohne  jede  Frucht. 
Und  wird  auch  der  Gesuchte  nie  getroffen, 
^e  gehn  nicht  fort ;  so  stark  bleibt  Wunsch  und  Hoffen. 

51.  „Wenn  deine  Schritte",  sprach  sie,  „hin  sich  lenken 
In  die  Umgebung  beim  verhexten  Haus, 

Gleich  kommt  dann  —  Roger  sei  es,  wirst  du  denken. 
Doch  Atlas  ist  es  selbst  —  zu  dir  heraus 
Und  zeigt,  dafi  ;sr  in  schlimmen  Zauberranken 
Als  Heister  fiber  alle  ragt  hinaus. 
Um  dich  als  Helferin  sich  zu  gewinnen 
Und  festzuhalten  wie  die  andren  drinnen. 


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DREIZEHNTER    GESANG  2S1 


52.  Damit  dich  seine  Lügen  nicht  bestricken, 
Wie  schon  so  viele,  höre  wohl  mich  an: 
Erscheint  er  gleich  als  Roger  deinen  Blicken, 
Der  , Hilfe!*  ruft  und  sich  nicht  retten  kann  — 
Glaub's  nicht  und  eü',  ihn  in  den  Tod  zu  schicken« 
Kommt  er  an  dich  ein  wenig  nah  heran! 

Und  wähne  nicht,  daß  etwa  Roger  sterbe; 
Nein»  er,  der  so  viel  Plage  schafft,  verdeibe! 

53.  Ich  weiß  ja,  töten,  wer  dir  Rogers  Züge 

Zeigt,  scheint  wohl  hart  für  dich  und  grausam  schier; 
Mißtrau'  dem  Auge,  denke  stets,  es  lüge. 
Und  Zauberkunst  verhehle  Wahrheit  dir. 
Nimm  fest  dir  vor,  daß  nicht  dein  Wille  trüge. 
Bevor  du  hmgehst  in  den  Wald  mit  mir; 
Für  ewig  hast  du  Roger  ausgegeben. 
Laßt  deine  Feigheit  jenen  Zaubrer  leben!" 

54.  Dem  falschen  Mann  ein  Ende  zu  bereiten 
Entschlossen,  schickt  die  tapfre  Maid  sich  an. 
Gewappnet  jetzt  Melissa  zn  begleiten; 

Sie  wdß,  wie  sehr  sie  ihr  vertrauen  kann. 
Die  drangt  in  Eil'  durch  Wald  und  Fhuenwdten 
Von  früh  zum  Abend  vorwärts  drauf  und  dran. 
Bemüht  dabei,  durch  freundlich  Unterhalten 
Des  Weges  Mühn  geringer  zu  gestalten 

55.  Und  namentlich  ihr  neu  ans  Herz  zu  legen: 
Sie  und  ihr  Roger  sind  von  Gott  bestellt. 
Ahnen  zu  werden  von  erlesnen  Degen, 
Halbgöttern,  Fürsten,  Zierden  dieser  Welt. 

Denn  was  Verborgnes  ew'ge  Götter  hegen. 

Vor  ihrem  Seherblicke  sich  erhellt, 
Und  alles  weiß  sie  drum  vorherzusagen, 
Was  einst  geschehen  wird  in  fernen  Tagen. 


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a82         DREIZEHNTER  GESANG 


56.  „O  kluge  Führerin,  du  hast  vor  Jahren", 
Sprach  zu  der  guten  Fee  die  edle  Magd, 
,,Gar  vieles  schon  von  hoher  Männer  Scharen 
Meines  Geschlechtes  mir  vorausgesagt, 

So  möcht'  ich  jetzt  von  einer  Frau  erfahren 
Aus  meinem  Stamm,  die  über  andre  ragt 
Und,  schön  und  gut,  erringt  die  höchsten  Preise." 
Und  freundlich  diauf  erwiderte  die  Weise: 

57.  ,,Hervor  aus  deinem  Stamme  sollen  gehen 
Königs-  und  Kaisermütter ;  keusche  Fratm 
Werden  als  Säulen  großer  Reiche  stehen 
Und  neu  erianchte  Häuser  auferbann» 

Im  Frauenkleid  so  würdig  anzusehen. 
Wie  nur  die  hehrsten  Ritter  sind  zu  schaun: 
Hochherzig,  fromm,  an  Klugheit  unerreichbar. 
Voll  Edelsinn  und  Tugend  unveigleichbar. 

58.  Sollt'  ich  von  jeder  Einzefaien  erzählen. 

Die  dem  erlauöhten  Stamm  wohl  Ehre  macht, 
Es  war'  zu  viel;  denn  keine  würde  fehlen. 
Würdig,  daß  ihrer  rühmend  sei  gedacht. 
Ein  paar  nur  unter  tausend  will  ich  wählen; 
Sonst  würde  nie  der  Stoff  zu  End'  gebracht. 
Du  fragtest  in  der  Höhle  nicht  nach  ihnen: 
Sie  wären  dir  im  Bilde  dort  erschienen. 

59.  Dem  hehren  Haus  entsprießt  an  erster  SteUe 
Der  hohen  Werk'  und  Studien  Schützerin 

(Macht  Huld  und  Schönheit  mehr  den  Namen  helle 

Oder  ein  reiner  und  ein  weiser  Sinn?), 
Die  edle,  die  großherz 'ge  Isabelle, 
Die  lichten  Glanz  mit  ihrem  Geiste  hin 
Zum  Land  am  Mcnzo-IHer  weiß  zu  ziehen. 
Dem  Ocnus'  Mutter  Namen  hat  verliehen; 


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DREIZEHNTER  GESANG 


283 


60.  Wo  sich  ihr  edler  Wettstreit  soll  erhebCD 
Mit  ihm,  dem  ehrenreichen  Ehgemahl, 

Wer  mehr  an  hoher  Tugend  glänz'  im  Leben 
Und  feine  Sitte  fördre  allzumaL 
Wenn  er  Italien  hat  am  Tarus  eben 
Befreit  von  wfister  Gallier  Plag'  und  Qual, 
Sagt  sie:  »Weil  kenscfaen  Wandels  stets  beflissen, 
Weicht  nicht  Penelope  an  Ruhm  Ulyssen.' 

61.  Mein  knrzes  Wort  vermag  nur  anzudeuten 
Der  Dame  Wert,  und  ungesagt  bleibt  mehr 

Von  dem,  was  —  als  ich  tetfloh  von  den  Leuten  — 
Merlin  mir  kOndete  vom  Steine  her. 
Duichffihr'  ich  alle  Flut,  sie  auszubeuten, 
Dem  Tiphys,  traun,  ich  überlegen  wär'; 
Und  nun  zum  Schlufi:  was  gut  ist,  wird  auf  Erden 
Durch  Gott  und  auch  durch  eigne  Tugend  weiden. 

62.  Ihr  wird  Beatrix  Schwester  sein,  und  schmücken 
Wird  sie  der  schOne  Name  stets  mit  Recht, 

Ihr  wird  das  hOchste  Gut  in  allen  Stücken, 
Das  nur  vergönnt  dem  irdischen  Geschlecht. 
Sie  soll  von  allen  Fürsten  reich  beglücken 
Den  Gatten,  aber,  ach,  des  Unglücks  Knecht 
Wird  er,  wenn  sie  die  Erdenwelt  verlassen 
Und  des  Geschickes  Arme  ihn  umfassen. 

63.  Solange  sie  zu  atmen  ist  imstande, 
Werden  Viscontis  Schlangen  furchtbar  sein 
Wie  Moro  Sforza,  bis  zum  roten  Strande 
Vom  Nord;  —  vom  Indus  in  dein  Meer  hinein. 
Stirbt  sie,  droht  Knechtschaft  dem  Tnsnbreriande: 
Auf  ganz  Italien  dann  bricht  Not  herein 

Und  Schmach  und  Pein ;  der  höchsten  KlugheitWalten 
Wird  —  ohne  sie  —  für  Zufall  nur  gehalten. 


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284         DREIZEHNTER  GESANG 


64.  Gleichnam'gen  andern  soll  noch  Ruhm  gebühren« 
Die  früher  kommen  um  gar  manches  Jahr: 
Pannoniens  Krone  wird  die  eine  spüren 

Als  Königin  auf  dem  gesalbten  Haar, 

Und  eine  wird  der  Heil 'gen  Namen  führen, 

Wenn  sie  entrückt  ist  in  die  sel'ge  Schar, 

Verehrt  im  Reich  ausonischer  Gefilde 

Mit  Weihrauch  und  gelobtem  fronmiein  Bilde. 

65.  Lang  ist  —  ich  sagt  s — die  Reih' ;  ich  muß  verschweigen 
Die  andern;  Zeit  fehlt,  sie  zu  nennen  all. 

Ob  jede  wert  auch  sei,  daß  heller  Reigen 
Sie  grüß'  und  der  Trompeten  lauter  SchalL 
Ich  kann  nicht  aUe  die  Lucrenen  zeigen, 
Konstanzen,  Blanken,  deren  Rnhmeshal! 
Sie  preisen  wird  durch  ganz  Italias  Gauen 
Als  Herrscherinnen,  Mütter,  edle  Frauen. 

66.  Mehr  als  in  andern  Häusern  sind  die  Deinen 
Begluckt  durch  ihre  Frauen  hehr  und  traut; 
Dein  Haus  soll  hell  nicht  nur  durch  TOchter  scheinen. 
Auch  durch  die  Gattin  und  die  edle  Braut. 

Daß  klar  dir  sei  Meilins  des  Weisen  Meinen, 
Will  ich  von  dem,  was  er  mir  anvertraut. 
Vielleicht,  um  es  dir  weiter  vorzutragen 
—  Und  sehr  verlangt  mich  dies  — ,  noch  etwas  sagen: 

67.  Zuerst  Ricdarda  nenn'  ich,  hoch  zu  preisen 
Ffir  edlen  Sinn  und  standhaft  festen  Mut: 

Jung  Witwe,  sieht  sie  grollend  sich  erweisen 
Das  Glück  —  oft  leiden  muß  der  Mensch,  der  wirklich 
Die  Kinder,  die  des  Throns  beraubten  Waisen,  [gut — ; 
Geht  sie  besuchen,  fem,  in  Feindes  Hut  — 
Die  zarten  Sprossen  in  der  Gegner  Händen? 
Doch  schheßUch  wird  ihr  Leid  in  Glück  sich  wenden. 


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DREIZEHNTER  GESANG 


285 


68.  Vom  Stamm  des  alten  Aragon  verschweigen 
Nicht  darf  ich  die  erlauchte  Königin: 

Die  alten  Bücher  wissen  kaum  zu  zeigen 
Solch  edle  Griechin  oder  Römerin, 
Und  keiner  will  das  Glück  sich  holder  neigen; 
Denn  ihr  entspringt  nach  Gottes  gnäd'gem  Sinn 
Ein  Dreiblatt,  strahlend  in  des  Ruhmes  Helle: 
Alfons  mit  Hippoljrt  und  Isabelle. 

69.  Lenore  wird  in  eurem  Glücksbaum  bauen; 
Die  Hohe  wird  dem  edlen  Stamm  vermählt. 
Darf  ich  genug  zu  feiern  mich  getrauen 
Die  zweite  Schnur  und  Erbin  auserwählt, 
Lucresia  Borgia,  sie»  die  Zier  der  Frauen, 
Der  keine  Schfinheit,  keine  Tugend  fehlt? 
Stets  wächst  ihr  Gl&dc,  wie  eine  junge  Pflanze 
Im  lockern  Erdreich  wächst  beim  Sonnenglanze. 

70.  Was  Zinn  ist  vor  dem  Silber,  Blech  vor  Golde, 
Was  vor  dem  Lorbeer  ist  die  blasse  Weid' 
Und  Ackermohn  vor  voller  Rosendolde, 

Glas  vor  des  edlen  Steines  Herrlichkeit, 
Ist  einst  vor  dir,  noch  ungebome  Holde, 
Jedwede  Schöne,  sei  es  Frau,  sei's  Maid, 
Die  jemals  ward  um  Geist  und  Huld  gepriesen. 
Was  sich  auch  Hohes  hab'  an  ihr  erwiesen. 

71.  Doch  was  man  immer  mag  an  ihr  erheben 
Und  was  die  Lebende,  die  Tote  ehrt. 

Am  höchsten  lobt  man  dies:  sie  weiß  zu  geben 

Den  Kindern  fürstlich  Wesen,  Art  und  Wert 

Und  legt  den  Grund,  daß  glänzend  sich  im  Leben 

Im  Frieden  jeder  wie  im  Krieg  bewährt. 

Mag  ein  Geruch  in  neuem  Krug  sich  finden, 

Gut  oder  schlecht  —  er  wird  nicht  leicht  verschwinden. 


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286  D  R  F  T  7,  E  II  \  '!•  F  R     r,  F  S  A  X  C 


72.  Ich  will  dir  nicht^Renatas  Ruhm  verschlieBoi, 
Die  man  dereinst  als  Schnur  der  vor'gen  kennt: 
Dem  zwölften  Ludwig  wird  das  Kind  entsprießen 
Und  ihr»  die  man  Bretagnens  Glorie  nennt. 
Was  Frauen  ziert,  seitdem  die  Ströme  fließen 
Dem  Meere  zu,  seitdem  das  Feuer  brennt. 
Seitdem  der  Himmel  kreist  —  wird  sich  vereinen. 
Um  als  ein  Schmuck  Renatas  hell  zu  scheinen. 

73.  Gern  spräch'  ich  noch  von  Alda  von  Sansogna 
Und  von  der  Gräfin  von  Celano  hier. 

Von  der  Prinzessin  auch  von  Catalonia 
Und  von  Sizihens  Königstochter  dir, 
Auch  von  der  schönen  Lippa  von  Bologna 
Und  sonst  noch  andern;  doch  das  hieße  schier. 
Wollt'  ich  berichten,  was  zu  sagen  wäre. 
Ich  führe  hin  auf  uferlosem  Meere." 

74.  So  gab  sie  dem  erfreuten  Mädchen  Kunde 
Von  künft'gem  Stamm  und  hehrer  Enkel  Schar 
Und  machte  nochmals  mit  beredtem  Munde 
Die  Lage  Rogers  im  Palaste  klar 

Dann  hlieb  sie  stehn:  die  Landschaft  in  der  Runde 
Schon  vom  Bereich  des  alten  Zaubrers  war, 
Und  weiter  nicht  gedachte  sie  su  gehen; 
Leicht  hätte  ja  sonst  Atlas  sie  gesehen. 

75.  Sie  mahnt,  auf  den  gegebnen  Rat  zu  bauen 
Und  alles,  das  sie  oft  ihr  eingeprägt, 

Dann  geht  sie,  Bradamant  hat  durch  die  Auen 
Und  Wald  zwei  Meilen  kaum  zurückgelegt. 
Da  meint  sie  ihren  Roger  zu  erschauen. 
Und  auf  ihn  ein  mit  grausen  Hieben  schlägt 
Ein  Riesenpaar,  die  mächt'gen  Schwerter  hebend. 
Und  sdum  erscheint  er  ihr  mdir  tot  als  lebend. 


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n  K  F  I  Z  F.  TT  X  T  F  T^     G  F  S   \  N  ^  287 


76.  Die  Dame  sah  gefährdet,  glückverlassen 
Ihn,  der  ihr  Rogers  Antlitz  zugewandt. 
Da  wollte  fester  Glaube  ihr  erblassen; 

Mit  eins  ihr  ganzer  Plan  und  Vorsatz  schwand. 

Melissa,  meint  sie,  müsse  Roger  hassen 
Ob  Kränkung  und  Beleid 'gung  unbekannt 
Und  suclie  nur  in  bösem  Rachetriebe, 
Daß  sie  jetzt  töten  solle,  den  sie  liebe. 

77.  Sie  sprach  bei  sich:  Ist  das  nicht  Roger,  wehe! 
Den  stets  mein  Herz  schaut,  jetzt  die  Augen  schaun? 
Wenn  ich  ihn  jetzt  nicht  kenne,  jetzt  nicht  sehe, 
Wen  zu  erkennen  soll  ich  mehr  vertraun? 

Will  ich,  daß  andrer  Wähnen  höher  stehe? 
Soll  ich  nicht  auf  mein  eigen  Urteil  baun? 
Auch  ohne  Augen,  nur  durch  sich  alleine 
Fühlt  ja  das  Herz,  ob  nah,  ob  fem  der  eine! 

78.  Da  hört  sie  einen  Hilferuf  erkhngen, 

Und  Rogers  Stimme  scheint  es  ihr  zu  sein; 

Sie  sieht  ihn  fortfliebn  auf  des  Windes  Schwingen, 

Verhängten  Zügels,  in  den  Wald  hinein. 

Und  jene  beiden  wilden  Riesen  dringen, 

In  vollem  Lauf  sich  t\immelnd,  hinterdrein. 

Das  Fräulein  reitet  gleichen  Weg  mit  Hast  hin 

Und  kommt  zu  dem  verzauberten  Palast  hin. 

79.  Sobald  sie  eingetreten  in  die  Pforte, 
Bleibt  jene  Sinnverwirrung  auch  nicht  aus: 
Sie  sucht  gradaus  und  krumm,  an  jedem  Orte, 
Oben  und  unten,  in  und  außerm  Haus 

Bei  Tag  und  Nacht;  denn  starke  Zauberworte 
Sprach  Atlas,  und  dabei  lief 's  da  hinaus. 
Daß  beide,  schemt's,  einander  sprechen,  sehen. 
Doch  ohn'  Erkemien  sich  vorübeigehen. 


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i88 


DREIZEHNTER  GESANG 


80.  Wir  JasBen  sie  —  mfig'  Euch  m  kdner  Weise 
Betrüben,  daß  sie  nodi  verbleibt  im  Baun, 

Weil  ich,  weim's  Zeit  ist,  daß  sie  Weiterreise, 
Sie,  und  auch  Roger  dann,  erlösen  kann. 
So  wie  den  Appetit  reizt  neue  Speise, 
So  darf  ich,  will  mir  scheinen,  dann  und  wann 
Abwechslung  der  Erzählung  Euch  bescheren. 
Um  böse  Langeweile  absuwehren. 

81.  Aus  vielen  Fäden  muß  ja  das  Gewebe, 
Das  ich  bereite,  fein  gewoben  sein; 

So  hoff  ich,  daß  man  Einspruch  nicht  erhebe. 
Wenn  ich  zur  Zeit  der  Mohren  Kriegerreihn 
Und  König  Agramant  hier  Zutritt  gebe, 
Der  —  Drohung  ist's  ins  Lilienheer  hinein  — 
Zu  neuer  Heerschau  lädt  die  Kämpfer  alle. 
Der  Zahl  gewiß  zu  sein  in  jedem  Falle: 

82.  Nicht  nur  vom  Fußvolk  viel  und  viele  Reiter 
Des  ganzen  Mohrenlandes  fehlten  ja, 

Auch  Führer,  jene  schlachterprobten  Streiter 
Von  Spanien,  Libyen  und  Athiopia, 
Und  die  Kolonnen  standen  ohne  Leiter, 
Die  Vdlkerscharen  ohne  Fddherm  da. 
Ordnung  und  Leitung  überall  zu  schaffen. 
Rief  er  zur  Heenchau  alles  Volk  in  Waffen, 

83.  Und  wo  er  Lücken  in  dem  Heer  erkannte. 
Von  Schlachten  oder  sonst  von  Waffenstreit, 
Da  wurden  viele  frisch  durch  Abgesandte 
Aus  Afrika  und  Spanien  angereiht; 

Wobei  er  jedem  seine  Truppe  nannte 
Und  ihm  den  Führer  wies  zu  gleicher  Zeit. 
Erlaubt  mir,  Herr,  daß  ich  im  nächsten  Sange 
Zur  Schilderung  der  Heeresschau  gelange. 


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VIERZEHNTER  GESANG 


1.  GelaUen  waren  in  den  Kampfestagen 
Aus  Spanien  viel  und  viel  aus  Afrika; 
Dem  WoM  und  Raben  preisgegeben  lagen 
Und  grimmem  Geier  ihre  Leiber  da. 

Und  waren  die  von  Frankreich  auch  geschlagen 
(Denn  räumen  mußten  sie  das  Schlachtfeld  ja). 
So  trauerten  die  Mohren  schmerzzerrissen. 
Daß  ihnen  manches  Oberhaupt  entrissen. 

2.  Mit  zu  viel  blut'gen  Wunden  war  und  Leichen 
Erkauft  der  Sieg,  um  seiner  sich  zu  freun. 
Und  lassen  alten  Dingen  sich  vergleichen, 
Alfonso,  unbesiegter  Fürst,  die  neun, 
Brauchst  du  mit  deinem  glänz-  und  ehrenreichen 
Triumph  Zusammenstellung  nicht  zu  scheun; 
Triumph,  auf  den  mit  schmerzgesenkten  Brauen, 
Beträntem  Aug'  Ravennas  Bürger  schauen. 

3.  Als  schon  der  Tag  Picarden  und  Morinen, 
Normannt  n,  Aquitanier  weichen  fand 

Und  dort  die  span  sehen  Feinde  Sieger  schienen. 
Drangst  du  zur  Mitte,  wo  das  Banner  stand. 
Dir  nach  die  Heldenjugend;  zu  verdienen 
Galt  es  an  diesem  Tag  mit  tapfrer  Hand 
Die  hohen  Ehrenzeidien  auserkoren: 
Den  goldnen  Degenknauf  und  goldne  gieren. 

Ariott  I  19 


V  !  E  p  Z  E  H  N"  T  E  P    G  E  S  A  N"  G 


4.  Furchtlos  —  man  xähtte  fast  euch  zu  da  Toten  — . 
Zum  letEtcD  End'  getaugt  sduo  nm  cio  Haar, 
Biadit  ihr  den  Fddhermstab,  den  gdb-  und  rotea, 
Ziertrommertet  die  Eicheln  ganz  und  gar. 

Der  Lofheer  des  Triumphs  waid  dir  gdiotcn, 
DaB  mcht  gepflfidrt  imd  wdk  die  Lilie  war. 
Mit  neuem  Zweig  die  Stime  du  dir  schmücktest, 
Aid  du  Fabricius  nach  Rom  entrücktest. 

5.  Des  idm'sdien  Namens  Säule,  groß  tot  aDen, 
Die  du  ergriffen  hast  und  heil  hewahrt, 

Sie  ehrt  ^ch  mehr,  als  war'  dnrch  dich  gefallen 

Die  ZaW  der  stolzen  Kri^er  dichtgeschart. 
Die  auf  Ravennas  Feld  als  Dung  sich  ballen. 
Und  sie,  die  flohn  von  Fahnen  und  Standart' 
Aus  Aragon,  Navarra  und  Kastihen; 
Denn  SpieB  und  Karren  taten  nichts  den  Lilien. 

6.  Ein  Trost  war  dieser  Sieg;  allein  vergehen 
Mußte  der  Jubel,  denn  auf  uns  lag  schwer. 
Der  Freude  gegenüber  tot  zu  sehen 

Den  Feldherrn  Frankreichs,  Herrn  vom  ganzen  Heer; 
Auch  ließ  ein  Sturm  hinab  zur  Tiefe  wehen 
Der  edlen  Fürsten  viel,  erlaucht  und  hehr. 
Die  für  ihr  Land,  ans  femer  Lieben  Mitten« 
Die  kalten  Aipea  hatten  überschritten. 

7.  Wohl  unser  Heil  verdankten  wir  dem  Si^e, 
Begannen  unser  Leben  wie  von  vom: 
Ward  doch  verhindert,  daß  hemiederstiege 
Auf  uns  ergrimmten  Jovis  Rachezom; 

Doch  Freude  ward  nicht  laut  nach  diesem  Kriege: 
Zu  reich  an  Schmerzen  rann  der  TrSnehbom 
Der  Witwen  all:  im  dunklen  Trauerkleide 
Erfüllten  sie  das  Frankenland  mit  Leide. 


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VIERZEHNTER  GESANG 


8.  Zu  schaffen  muß  der  König  Ludwig  schauen 
Von  neuen  Führern  viele  für  sein  Heer, 
Damit  sie  hauen  auf  die  Räuberklauen, 

Die  schnöden,  zu  der  Lilie  Schutz  und  Ehr',  [grauen. 
Die  sich  ar  Nonn'  und  Mönch,  schwarz,  weiß  und 
An  Mutter,  Frau  und  Kind  vergingen  schwer 
Und  Christus  hinzustrecken  nicht  sich  scheuten» 
Um  Sübertabemakel  zu  erbeuten. 

9.  Armes  Ravennal  Still  des  Siegers  Schalten 
Zu  dulden  würde  besser  dir  gedeihn, 

Und  dir  zum  Spiegel  Brescia  vorzuhalten. 
Statt  Riminis,  Faenzas  Spiegel  sein, 
Scbick*,  Ludwig,  uns  Trivulz,  den  guten  Alten  I 
Er  führe  Mäßigung  beim  Kriegsvolk  ein 
Und  zeige,  daß  für  lockern  Sinn  gerade 
Viel  in  Italien  starben  ohne  Gnade  1 

10.  Wie  Frankreichs  König  muß  nach  Feldherm  sehen. 
Daß  es  im  Heere  sei  nach  Wunsch  bestellt, 
Marsil  und  Agramant  zu  Werke  gehen: 

Damit  die  Herde  rechte  Hut  erhält. 
Von  dort,  wo  sie  in  Winterruhe  stehen» 
Zur  Musterung  entbeut  er  all  ins  Fdd, 
Auf  daß,  wo  nur  Bedürfois  sich  entfalte. 
Die  rechte  Zucht,  die  rechte  Führung  walte. 

11.  Erst  schidct  Marsil  und  nach  ihm  Agiamante 
Sein  Kriegervolk  vorüber,  Schar  für  Schar; 
Die  Katalanen  vorne  man  erkannte 

Am  Banner.  Dorifebo  stellt  sie  dar. 

Dann  folgt,  doch  ohne  König  Fulvirante, 
Der  von  Rinaldos  Hand  gefallen  war, 
Navarra;  Isolier,  den  kühnen  Streiter, 
Gab  Spaniens  König  diesem  Trupp  zum  Leiter. 

19* 


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292 


VIERZEHNTER  GESANG 


12.  Grandonio  führt  die  aus  Algarves  Laadea 
Und  Balugant  die  Männer  von  Leon. 
Gewappnet  die  von  Klein-Kastilieii  standen 
Unter  Marsilius'  Bruder  Falsiron. 

Sodann  mit  Madarosso  sich  befanden. 
Die  aus  des  blüh'nden  Cordovas  Region, 
Aus  Malaga,  Sevilla  hetgezogen. 
Vom  Meer  von  Gades  und  des  Bätis  Wegen. 

13.  Seht,  wie  zur  Musterung  die  Scharen  seigoi 
Tessira,  Bavicond  und  Stordilanl 

Lisbon  ist  dem,  Majocca  diesem  eigen, 
Granada  ist  dem  dritten  Untertan. 
Lisbon  muß  jetzt  sich  dem  Tessira  neigen. 
Nachdem  Larbin  verlieB  die  Lebensbahn. 
Galiden  folgt,  der  FtOuwr  Serpentin  ist; 
Statt  Marikolds  ihm  der  Befehl  verhehn  ist. 

14.  Die  von  Toledos,  Calatravas  Püiden 
(Wo  Sinagon  an  ihrer  Spitze  war) 
Mit  allen,  die  sich  im  Guadiana  baden 
Und  trinken  aus  den  Fluten  hell  und  klar« 
Hat  Matalist  zur  Kriegesfehrt  geladen. 
Und  Blanzardin  gebietet  jener  Schar, 

Die  Salamanc,  Astorga  mit  Plagenza, 
Avila  schickt,  Zamorra  und  Palenza. 

15.  Die  Leute  Saragossas  aufmarschieren. 
Vom  Hof  Marsils,  mit  Ferragu  zum  Herrn: 
Die  starken  Krieger  gute  Waffen  zieren; 
Dort  sind  auch  Malgarin  und  Balinvem, 

Morgant  und  Malzaris,  und  allen  vieren 
Beschied  das  Los,  zu  weilen  in  der  Fem': 
Als  Gäste  hatte  sie  Maisil  erkoren, 
Weil  allesamt  ihr  eignes  Reich  verloren. 


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V I E  R  Z  EH  NTER  GESANG 


«93 


16.  Mit  Doricont  ist  dort  auch  der  bekannte 
Bastard  Marsils,  Follicon,  und  Bavart, 
Langiran,  Argalif  und  Archidante, 

Der  Saguntiner  Graf,  und  Analard, 

Der  kühne  Held:  dazu  noch  Lamirante 

Und  Malagur,  dem  große  Schlauheit  ward, 

Und  noch  gar  viele  sonst;  —  kann  es  geschehen, 

LaB  ich  Euch  noch  der  Kämpfer  Proben  sehen. 

17.  Als  Mustnmg  über  diese  hat  gehalten, 
Die  stolzen  Reihen.  König  Agramant, 
Des  Orankönigs  Scharen  sich  entfalten; 
Der  Führer  selbst  war  groß  wie  ein  Gigant. 
Ein  Zug  kam  leidvoll:  seine  Klagen  galten 
Dem  Martasin,  geföUt  von  Bradamant. 

^e  trauern,  daß  ihr  Herr,  der  gute  Degen, 
Der  Gaiamant,  ist  einer  Frau  erlegen. 

18.  Marmondas  Schar  als  dritte  ist  erschienen; 
Sie  lieB  Aigost  in  der  Gascogne  tot. 

Ein  Führer  fehlt  ihr,  dem  sie  känne  dienen; 
Der  zweit'  und  vierten  auch  tut  Leitung  not 
Weil  FtQirer  fehlten,  sann  der  König,  ihnen 
Zu  helfen,  und  an  ihre  Spitz'  entbot 
Er  Burald,  Ormid,  Argan  för  die  Streiter 
Und,  wo  es  nötig  war,  noch  andre  weiter. 

19.  Aigan  erhält  das  Volk  der  Libykanen, 
Das  trauernd  seines  DudrinaB  gedenkt. 
Brunei  gdeitet  seine  Tingitanen, 

Verstört  das  Antlitz  und  den  Kick  gesenkt; 

Denn  seit  er  dort  in  jene  Felsenbahnen 

Beim  Schloß  des  Atlas  hat  den  Schritt  gelenkt 
Und  dann  den  Ring  verlor  an  Bradamante, 
In  Ungnad'  ist  er  bei  Herrn  Agramante. 


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VIERZEHNTER  GESANG 


20.  Sah  ihn  nicht  Isolier  am  Baum  gebunden. 
Der  Bruder  Ferragus  (um  es  darauf 
Auch  vor  dem  König  selber  zu  bekunden). 
So  hängte  man  ihn  längst  am  Galgen  auf. 
Schon  war  der  Strick  um  seinen  Hals  gewunden. 
Da  Heß  der  König  noch  der  Gnade  Lauf, 

Auf  andrer  litten,  doch  beim  ersten  Fehle 
.  —  Schwur  er  —  sei  doch  der  Strick  fttr  seine  Kehl 

21.  So  daß  er  Ursach'  hat,  mit  trüber  Miene 
Und  mit  gebeugtem  Nacken  hier  zu  gehn. 
Folgt  Famrant  mit  Leuten  der  Maurine: 
Fufivolk  und  Reiterei  ist  dort  zu  sehn. 
Danach  die  Heeresmacht  von  Constantine: 
Man  aeht  Liban,  den  neuen  Fürsten,  stehn. 
Das  Recht,  mit  Krön'  und  Zepter  dort  zu  walte 
Hat  er  vom  König  Primador  erhalten. 

22.  Konunt  Dorilon  mit  Settas  Leonen; 
Das  Volk  Hesperiens  bringt  Herr  Soridan; 
Ammonien  Agrikalt;  die  Nasamonen 
Erscheinen  mit  dem  Fürsten  Pulian; 
Und  Malufers  führt  jene,  die  bewohnen 
Das  Land  von  Fez;  mit  Finaduro  nahn 
Die  von  Kanariens  Aun  und  von  Marokko; 
Baiaster  bringt,  was  hinterließ  Tardokko. 

23.  Arzill  und  Mulga  kommen;  mit  dem  alten 
Gebieter  naht  das  Heervolk  von  Arzill; 
Mulga  verlor  den  seinen:  und  erhalten 
Soll's  nun  Corineus,  ist  des  Königs  Will'. 
Er  läßt  den  Kaik,  nach  Tranfirion,  walten 
Über  das  Aufgebot  von  Almansill. 

Das  Volk  Getuliens  gab  er  Rimedonte. 

Mit  Coscas  Scharen  konunt  dann  Balinfronte. 


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I 


VIERZEHNTER  GESANG 


295 


24.  Dit!  nächsten  Truppen  Bolgaleute  waren. 
Des  Mirabald  einst,  jetzo  des  Ciarind. 
Kommt  Baliverz  —  ich  glaub',  in  allen  Scharen 
Man  keine  Schelmen  so  wie  diesen  find't  — . 
Vom  ganzen  Heeresvolke  der  Barbaren 

Die  mit  Sobrin  —  mich  dimkt  —  die  Bestea  sind. 
Kein  sichrer  Banner  sah  man  noch  entfalten; 
An  Weisheit  gleicht  kein  Heidenfürst  dem  Alten. 

25.  Bellamarinas  Volk,  sonst  von  Galschotte 
Geführt»  bringt  jetzt  der  König  von  Algier, 
Von  Sarza  Rodomont,  und  eine  Rotte, 

Zu  Fuß,  zu  Roß,  von  Neuen  zeigt  er  hier; 
Denn  als  die  Sonn'  —  als  feuchte  Wassergrotte 
Im  Schützen  stand  und  im  gehörnten  Tier, 
Zum  fernen  Afrika  man  ihn  entsandte; 
Erst  jüngst  kam  er  zurück  zu  Agramante. 

26.  Nicht  ward  im  Afrikanervolk  geboren 
Ein  stärkrer  und  ein  kühnrer  Sarazen; 
Ihn  scheuen  mehr  die  bei  Lntetias  Toren 

(Und  haben  Grund,  vor  ihm  in  Furcht  zu  Stefan) 
Als  Agramant,  IflarsiUus  und  die  Mohren, 
Die  mit  den  zwein  nach  Frankreich  wollten  gehn. 
Es  war  bei  dieser  Heerschau  kein  so  schlimmer 
Feind  unsres  heiligen  Glaubens  und  so  grimmer. 

27.  Kam  König  Frusio,  der  Alvarache, 
Und  Dardinel,  Zumaras  Fürst,  nachher: 

Weiß  nicht,  ob  ihnen  kund  em  Käuzcfaen  mache 
Und  wer  noch  Bot'  ist  sonst  von  Unheil  tdiwer. 

Krächzend  auf  Zweigen  hier,  dort  auf  dem  Dache, 

Welch  Unglück  dieser  haben  wird  und  der  — 
Daß  andern  Tags  (die  Stunde  kennt  der  Himmel) 
Der  Tod  sie  beide  trifft  im  Kamp^ewimmel. 


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296 


VIERZEHNTER  GESANG 


28.  Man  harrte  noch  im  Felde  auf  die  Scharen 
Von  Tremisen  und  von  Norizia: 

Weder  die  Fähnlein  dieser  Führer  waren 
Nochjeine  Kunde  nur  von  ihnen  da. 
Den  Kopf  «erbricht  sich  über  dies  Gebaren 
I>er  König  — :  arge  Faulheit  wär'  es  jal 
Da  kommt,  vom  TiemisenenfQist  gesendet. 
Ein  Knappe  an,  der  alle  Zweifel  endet. 

29.  Er  meldet:  Manilard,  Alzird,  sie  lagen 
Mit  vielen  andern  Kri^m  tot  im  Fekl: 

„Der  Ritter/'  sagt  er,  „Herr,  der  dort  erschlagen 
Die  Unsern  hat,  erschlüge  schier  die  Welt, 
Wir'  säumiger  das  Heer,  davon  zu  Jagen, 
Als  ich  (ums  Haar  erwischte  mich  der  Held). 
Zu  Fuß  und  Roß  die  Streiter  ihm  erUegen 
Wie  vor  dem  Wolf  die  Schafe  und  die  Ziegen." 

30.  Zum  Lagorfdd  des  Hohienkönigs  wandte 
^ch  erst  vor  koiser  Zeit  ein  KSmpe  gut: 
Niemand  im  Westen  und  in  der  Levante 
Ragt  über  ihn  an  Stärke  und  an  Mut. 
yi^  Ehr*  erwies  ihm  König  Agramante 

.   Als  dnon  Königssohne  aus  dem  Blut 

Des  Agrikan  im  Tatareigefilde  — : 
.  Er  war  geheißen  Mandrikard  der  Wilde. 

31.  Es  war  ihm  manche  Heldentat  gelungen. 
Sein  Ruhm  durch  alle  Lande  sich  ergofi: 
Zum  Hfidisten  aber  hatt'  er  sich  geschwungen. 
Ab  bei  der  Fee  von  Soria  im  Schloß 

Von  ihm  der  hehre  Harnisch  ward  errungen. 
Der  Hektors  Leib  —  's  sind  tausend  Jahr  —  umschlo 
Mit  Zwischenfällen,  seltsam,  ungeheuer: 
Grausig  zu  melden  ist  das  Abenteuer. 


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V  I  £  R  Z  £  H  NTER  G£SANG  297 


32.  Der  also  hört  den  Unglücksboten  sprechen; 
Er  hebt  empor  das  Heldenangesicht 

Und  ist  sogleich  entschlossen  aufzubrechen: 
Meint,  jenes  Kriegers  Spur  entgeh'  ihm  nicht. 
Doch  birgt  er  seinen  Plan,  den  Schlag  zu  rächen. 
Sei's,  daß  er  denkt,  es  habe  kein  Gewicht, 
Sei's,  daß  er  fürchtet,  wenn  es  andre  hören, 
Sie  könnten  rasdier  sein,  den  Plan  ihm  stören. 

33.  Er  Heü  den  Tremisener  Knappen  fragen: 

Wie  sah  das  Waffenkleid  des  Ritters  aus?  [gen. 
Der  sprach:  „Schwarz  hat  er  Kleid  und  Schild  getra- 
Kein  Zierat  schaut  aus  seinem  Helm  heraus/' 
Und,  Herr,  in  Wahrheit  könnt'  er  dieses  sagen. 
Denn  Roland  ließ  sein  Wappen  ja  zu  Hans: 
Er  wollte,  daß  die  Trauer  seiner  Seele 
Auch  nicht  dem  Äußern  seiner  R&tung  fehle. 

34.  Ein  Roß  ward  jenem  von  Maisil  gegeben, 
Kastanienbraun  und  schwarz  an  Mahn'  und  Bein, 
Dem  eine  Friesenstute  gab  das  Leben 

Mit  einem  Spanierhengste  im  Verein. 
Hinau^Bpiingt  der  Tatar  zu  kühnem  Stieben; 
In  feurigem  Galoppe  geht's  landein; 
Er  schwört,  vom  Heer  so  lange  zu  ireischwinden. 
Bis  er  den  schwarzen  Ritter  werde  finden. 

35.  Ihm  kamen  viel  entgegen,  die  mit  Bangen 
Geflohen  waren  vor  des  Grafen  Handi 
Dem  war  der  liebe  Sohn  zugrundgegangen, 
Dem  vor  den  Augen  Tod  der  Brwier  fand. 
Der  feige,  trübe  Sirni  noch  auf  den  Wangen 
Des  bleichen  Angesichts  geschrieben  stand: 
Vom  ausgestandnen  Schrecken  wie  von  Sinnen, 
Gedrückt  und  stumm  und  blaß  gehn  sie  von  hinnen. 


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298 


VIERZEHNTER  GESANG 


36.  Er  ritt  nicht  wdt  und  langt  an  dnem  schlinmieEi 
Unmenschlich  grauenvollen  Schauspiel  an. 

Das  aber  Zeugnis  gab  von  jenen  grinunen 
Schwerthieben,  die  berichtet  hat  der  Mann. 
Er  sieht  die  Leichen  und,  um  zu  bestimmen 
Der  Wunden  Maß,  legt  er  die  Hand  daran 
Und  fühlt,  seltsamen  Neid  muß  er  ihm  tragen, 
Der  alle  jene  Krieger  hat  erschlagen. 

37.  Wie  Pulldogg  oder  Wolf  da,  wo  gelassen 
Die  Bauern  haben  ein  geschlachtet  Rind, 

Bei  Hfimem,  Klauen  nur  und  Knochenmassen, 
Dran  Hund  und  Vogel  schon  gesättigt  sind, 
Vorm  Schädel  steht,  der  nicht  zum  Schmaus  will  passer 
So  starrt  der  grimme  Mohr  hier  in  den  Wind: 
Zu  spät  zur  Mahlzeit  kommt  er,  und  mit  Neide, 
Flucht  er  im  stillen,  toll  vor  Wut  und  Leide. 

38.  Den  Tag  und  noch  ein  Stück  vom  andern  Tage 
Schaut  sich  der  Ritter  nach  dem  Schwarzen  um; 
Da  sieht  er  eine  Wies'  an  schatt'gem  Hage: 

Es  schüngt  ein  tiefer  Fluß  sich  so  darum, 
Daß  nur  ein  Zugang  bleibt  in  freier  Lage; 
Ganz  andrer  Richtung  folgt  die  Linie  krumm. 
Unweit  Otriciili  ein  Platz  sich  findet, 
Den  ähnlich  so  der  Tibeistrom  umwindet. 

39.  Versammelt  auf  dem  Pfad  nach  jener  Wiese 
Hat  er  bewehrter  Reiter  viel  erblickt; 
Weshalb  so  zahheich  sind  erschienen  diese, 
Erführ'  er  gern,  und  wer  sie  hergeschickt: 

Der  Hauptmann  gibt  Bescheid,  ihn  macht  der  Riej 
Befangen:  Haltung,  Kleidung  goldgestickt 
Und  reich  geschmückt  mit  köstlichen  Juwelen 
Vom  hohen  Stande  dieses  Herrn  erzählen: 


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VIERZEHNTER  GESANG 


299 


40.  ,,Es  ist  des  Königs  von  dranada  Wille, 
Daß  wir  der  Tochter  dienen  zum  Geleit; 

Sie  hat  —  die  Kunde  bleibt  noch  in  der  Stille  — 
Den  Königsherrn  von  Sarza  jüngst  gefreit. 
Wenn  heute,  die  man  jetzt  vernimmt,  die  Grille 
Im  Feld  verstummt  so  um  die  Abendzeit, 
Wird  sie  zum  Spanierheer  gebracht  in  Eile, 
Zum  Vater  hin;  sie  schläft  mm  mittlerweile." 

41.  Er,  dem  nach  Laune  alle  Welt  muß  bluten. 
Denkt:  Lassen  wir  die  Probe  die  bestehn, 

Ob  hier  mit  schlechten  Wächtern,  ob  mit  guten 

Die  Königin  von  Sarza  sei  versehn! 

„Schön  ist  sie  wohl",  sprach  er,  „man  kami's  vermuten. 

Doch  mich  gelüstet,  selber  es  zu  sehn. 

Sollst  hin  mich  führen  oder  nach  ihr  senden. 

Denn  ich  mufi  gleich  nach  anderm  Ort  mich  wenden." 

42.  „Du  bist  fürwahr  ein  wackrer  Narr  zu  nennen", 
—  Und  sonst  kein  andres  Wort  —  der  Hauptmann 
Als  der  Tatar  schon  kam  in  vollem  Rennen,  [sprach. 
Den  Speer  gesenkt,  und  ihm  die  Brust  durchstach, 
Ohn'  in  dem  Panzer  Hindernis  zu  kennen. 

So  dafi  der  Spanier  tot  zusammenbrach. 
Der  Ritter  eilt,  dcAi  Speer  zurückzuraffen. 
Sonst  bleiben  ihm  zum  Kämpfen  keine  Waffen. 

43.  Er  führt  nicht  Schwort  noch  Keule,  müßt  Ihr  wissen : 
Als  er  bekam,  was  Hektor  trug  zuvor. 

Sollt'  er  dabei  des  Hektor  Schwert  vermissen 
Und  mußte  schwören  (und  getreu  er  schwor). 

Bis  er  das  Schwert  dem  Roland  hab'  entrissen. 

Zieh'  er  im  Leben  nie  ein  Schwert  hervor; 
Nur  Durendal,  von  Hektor  einst  getragen, 
Dem  Almont  teuer,  mehr  als  man  kann  sagen. 


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yM  VIERZEHKTERGESASG 


44.  Gar  ob  im  Nachteil,  trat  entgegen. 
Erfüllt  von  hohem  Mute,  der  Tatar. 

Er  ruft:  „Wer  will  die  Straße  mir  verlegen?" 
Und  stürzt  sich  mit  der  Lanze  in  die  Schar: 
Der  senkt  den  Speer  und  jener  zieht  d^n  De;gen, 
Umschlossen  ist  er  plötzlich  ganz  und  gai. 
Doch  eine  Menge  hat  er  tot^estocfaen. 
Bevor  ihm  jene  Lause  wud  icibmtliea, 

45.  Jetzt  wüßt'  er  nfx*h  den  großen  Stumpf  zu  ^sseii: 
Hei,  wie  er  den  m  beide  Hände  nahm! 

So  viele  Krieger  hat  er  sterben  lassen, 

Kaum  sah  man  einen  Kampf  so  wundeoam. 

Wie  Simsen  die  Philister  ließ  erblassen. 

Ah  er  den  Backen  in  die  Hand  bekam, 

Zenpeüt  er  Schild  tmd  Hdm;  und  Rofi  und  Reiter 

EnchUigt  mit  einem  Stvekh  der  wilde  Streiter. 

46.  Zum  Tod  die  Armen  mn  die  Wette  streben: 
Wer  fällt,  der  fällt,  von  dannen  keiner  ecfaleicfat; 
Dem  Sterben  hat  noch  Bittetnis  gegeben 

—  Deucht  ihnen  —  wie  der  Mensch  den  Tod  eneicht: 

's  ist  mierträglich,  wenn  das  sfifie  LtSbm 

So  dnrch  eui  Stüde  zerbrochen  Holz  entweidit 

Und  sie  dwvh  Prügel  in  den  Tod  gelangen. 

In  Haufen,  just  wie  Frfiscfae  oder  Schlangen. 

47.  Doch  als  auf  ihre  Kosten  klar  gewoiden, 
Es  sei  vom  Übel,  so  zu  sterben  dort 

(Zwei  Drittd  hat  sdion  hingerafft  das  Molden), 
Begannen  allesamt  zn  füefan  vom  Ort. 
Nun  duldet  nicht  der  Fürst  der  Heidenhoiden 
(Als  trage  man  sein  Eigentum  ihm  fort), 
Daß  irgendwelche  vom  entsetzten  Haufen 
Vor  ihm  von  dannen  mit  dem  Leben  laufen. 


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VIERZEHNTER  GESANG 


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48.  Wie  Stoppeln,  die  aus  dürrem  Boden  stammen, 
Und  Rohr  aus  trocknem  Sumpfe  stand  nicht  hält 
Vor  Feuersglut  mit  Boreas  zusammen 

(Die  klüglich  hat  der  Ackersmann  gesellt  — 
Seht,  durch  die  Furchen  laufen  hin  die  Flammen 
Und  knisternd,  platzend  fahren  sie  durchs  Feld  — ), 
So  hatten  gegen  Mandrikardos  Gluten 
Geringen  Widerstand  die  Schwadigemuten. 

49.  Nun  keine  Wächter  mehr  am  Eingang  stehen. 
Dem  schlecht  bewahrten,  in  das  Innre  dringt 
Er,  eilt,  auf  frischem  Graspfad  hinzugehen, 
Wo  ein  Gejammer  und  ein  Klagen  klingt. 
Um  sich  die  Königstochter  anzusehen. 

Ob  man  mit  Recht  von  ihrer  Schönheit  singt. 
Er  schreitet  auf  den  Leibern  all  der  Toten, 
Wo  Krümimmgen  des  Flusses  Zugang  boten. 

50.  Innütten  grüner  Au,  im  Laubgemache, 
Lehnt  Doralis  —  so  hieß  die  Spanierin  — 

An  einem  Eschenstamm  mit  schatt'gem  Dache 
Und  gießt  in  Klagen  aus  den  trüben  Sinn. 
Die  Traneofiiit  gleich  einem  raschen  Bache 
Rann  perlend  nach  dem  schönen  Busen  hin. 
Es  schien,  als  ob  —  das  zeigten  ihre  Zlige  — 
Sie  Furcht  för  sich  und  Leid  um  andre  trüge. 

51.  Die  Furcht  nimmt  zu,  als  ihrem  Blick  sich  zeigen 
Die  finstren  Brauen,  wild,  befleckt  mit  Blut; 
Zum  Himmel  auf  die  Jammemife  steigen 

Von  ihr  und  ihrer  Schar  ob  seiner  Wut. 
Denn  auch  noch  andre  waren  ihr  zu  eigen 
Aufier  den  Wächtern,  ihr  bestellt  zur  Hut: 
Gereifte  Alte,  lÜdchen  viel  und  Frauen 
Granadas,  und  die  schönsten,  die  zu  schauen. 


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VIERZEHNTER  GESANG 


52.  Als  der  Tatar  die  Reize  dieser  einen. 
Die  nnerreicht  in  Spanien  ist,  erbüdct 

Und  sieht,  wie  sie  in  Amors  Netz  mit  Weinen 
(Wie  war's  mit  Ladien  eist!)  das  Herz  verstrickt» 
Mdcht'  er  sich  schier  im  Paradiese  meinen. 
Wenn  ihn  als  Siegeslohn  nur  der  erquickt: 
Gefangen  sein  in  ihren  lieben  Händen! 
O,  daß  zu  solchem  Ziel  sich  Wege  fänden! 

53.  Nnn,  so  weit  ging  er  doch  nicht  im  Verehren, 
Anf  ansgestandner  Mühe  Lohn  Verzicht 

Zu  leisten,  mag  sie,  als  ein  Weib,  sich  wehren 

Mit  Tränen  und  mit  traurigem  Gesicht. 

Voll  Hoffnung,  Leid  in  eitel  Lust  zu  kehren, 

Ist  er  sie  fortzuführen  ganz  erpicht, 

Hebt  auf  ein  Roß  sie,  einen  weißen  Schütten, 

Und  setzt  ihn  drauf  in  Trab  —  und  einen  flotten. 

54.  Mädchen  und  Fraun  und  andre  Dienstbereite, 
Die  mit  ihr  kamen  aus  der  Heimat  her. 
Entließ  er  gnädig  also  in  die  Weite: 

,,Sie  brauclit  nicht  andere  Gesellschaft  mehr. 
Ich  bin  ihr  Herr,  Verwalter  und  Geleite 
Und  Magd  dazu;  lebt  wohl,  ich  danke  sehr." 
Zu  widerstehn,  das  durften  sie  nicht  wagen. 
So  gingen  sie,  mit  Seufzern  und  mit  Klagen, 

55.  Und  sagten  unter  sich:  „Wie  wird  voll  Schmeraen 
Der  Vater  sein,  wenn  ihm  das  Kind  entwich! 

Wie  fühlt  nun  erst  der  Gatte  Wut  im  Herzen! 
Er  rächt  sich  blutig  wohl  und  fürchterlich! 
O,  käm'  er  doch,  die  Scharte  auszumerzen 
—  Noch  kerne  andre  Not  hier  dieser  glich  — , 
Dafi  frei  das  Kind  des  Kdnigs  Stonülan  sei. 
Bevor  noch  weiter  fort  der  Weg  getan  seit" 


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VIERZEHNTER  GESANG 

*  


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56.  Zufrieden  mit  dem  großeaa  Benteteile, 

Den  ihm  das  Glück  beschied  und  Tapferkeit, 

Hat  der  Tatar  jetzt  nicht  mehr  solche  Eile, 
Den  aufzufinden  mit  dem  schwarzen  Kleid. 
Erst  ging's  im  Flug,  jetzt  hat  es  gute  Weile, 
Er  sinnt,  wo  wohl  ein  Obdach  sei  bereit; 
Bequeme  Stätte  könnt'  er  treffüch  brauchen. 
Sein  mächtig  Liebesfeuer  auszubauchen. 

57.  Inzwischen  tröstet  er  die  schmerzensreiche 
Verhärmte  und  verweinte  Dorahs: 

Schon  lange  hör'  er,  daß  ihr  keine  gleiche. 
So  flunkert  er  und  fabelt  das  und  dies. 
Die  Heimat  bab'  er  (samt  dem  blühnden  Reiche* 
Das  keinem  sonst  der  Größe  Namen  ließ) 
Verlassen,  nicht  um  Frankreich  zu  betrachten. 
Nein,  ihre  schönen  Wangen  anzuschmachten. 

58.  „Wenn  Liebe  sich  durch  Liebe  läßt  erringen, 
Verdien'  ich  es;  denn  längst  schon  hebt'  ich  dich; 
Wenn  durch  den  Stamm,  —  wer  kann  sich  höher 
Der  mächt 'ge  Agrikan  erzeugte  mich,  [schwingen? 
Durch  Macht,  —  wer  kann  mehr  Land  und  Schätze 
Nur  Gott  hat  größeren  Besitz  als  ich.  [bringen? 
Durch  Mut, — so  hab'ich's,  denk'  ich,  heut  bewiesen: 
Geliebt  zu  sein,  verdien'  ich  auch  durch  diesen." 

59.  Die  Worte  und  was  sonst  für  Liebeszeichen, 
Aus  Amors  Mund  geraunt,  der  Ritter  bringt, 
Das  Herz  gar  sänftUch  trösten  und  erweichen. 
Das  immer  noch  mit  leisem  Bangen  ringt. 

Es  flieht  die  Furcht ;  der  Schmerz  beginnt  zu  weichen. 
Der  ihr  zur  Zeit  die  Seele  noch  durchdringt. 
Geduldiger,  scheint  sie  daran  zu  denken, 
Dem  neuen  Werber  ein  Gehör  zu  schenken. 


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304  V  I  E  R  Z  E  H  N  T  E  K   G  E  S  A  N  G 

60.  Auch  gütiger  ihm  Antwort  zu  erteilen 
Beginnt  nun  allgemach  das  schöne  Kind; 
Sie  gönnt  die  hellen  Leuchter  ihm  zuweilen» 
Die  schon  in  Mitleid  fast  entgloöimen  sind. 
So  daß  der  Heide,  neu  von  Amors  Pieilen 
Getroffen,  draus  die  Sicherheit  gewinnt. 
Geschweige  Hoffnung,  daß  nicht  alle  Tage 
Die  Dame  seinen  Wünschen  sich  versage. 

61.  Vergnügt,  mit  der  Gesellschaft  höchst  zufrieden, 
Die  ihm  gar  angenehm  erscheint  und  gut 
(Nun  schon  die  Zeit  naht,  da  im  AbendMeden 
IMe  Kreatur,  zur  Nacht  sich  bettend,  ruht)  — 
Den  Sonnenball  sieht  er  schon  halb  geschieden  — , 
Trabt  er  jetzt  rascher  zu  mit  frischem  Mut, 

Da  klingt  ein  Pfdfen-  und  Schahneienreigen, 
Und  Rauch  aus  Hof  und  Hütte  sieht  er  steigen. 

62.  Der  Hirten  Häuser  sind  es,  recht  bescheiden. 
Doch  schicklich,  mehr  bequem  als  schön  und  fein. 
Er,  der  die  Herde  hütet  auf  den  Weiden, 

Laßt  aUes  sich  so  angelegen  sein: 

Es  scheinen  ganz  zufrieden  diese  beiden: 

Denn  nicht  in  Stadt  und  Burg  und  Schloß  alldn. 

Nein,  nette  Menschen  gibt's  in  vielen  Fällen 

In  Hütten  auch,  in  Böden  und  in  Ställen. 

63.  Was  sonst  im  Dunklen  dort  wohl  noch  geschehen 
Vom  Sohn  des  Agiikan  und  Doralis, 

Kann  ich  mit  rechter  Klarheit  selbst  nicht  sehen; 
Der  Meinung  eines  jeden  lass*  ich  dies. 

Doch  da  sie  früh  vergnügt  von  dannen  gehen, 
Denk"  ich,  ins  gleiche  Horn  das  Pärchen  bües; 
Und  Doralis  bedankte  sich  beim  Hirten 
Für  seine  Freundüchkeit,  sie  zu  bewirten. 


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VIERZEHNTER  GESANG 


64.  Wie  drauf  das  Paar  von  Ort  zu  Orte  reitet, 
Beut  sich  zuletzt  ein  schöner  Fluß  ihm  dar, 
Der  schweigend,  langsam  hin  zum  Meere  gleitet; 
Er  stehe  still,  vermeint  man  um  ein  Haar. 
Wenn  Licht  hineinblickt,  bis  zum  Grund  verbreitet 
Es  sich  hinab,  so  hell  ist  er  und  klar. 

Am  Rand,  mit  schattigem  Gebfisch  bestanden, 
Zwei  Ritter  und  ein  Fräulein  sich  befanden. 

65.  Jetzt  führt  mich  Phantasie,  die  einem  Pfade 
Allein  mich  nicht  will  folgen  lassen,  fort. 
Hin,  wo  der  Mohren  Kriegesheer  gerade 
Frankreich  betäubt  mit  Lärm  und  Schreien  dort. 
Und  wo  der  Sohn  Trojans  sinnt,  daß  er  lade 
Zum  heißen  Kampf  des  heil'gen  Reiches  Hort, 
Und  Rodomont  ihm  prahlend  gibt  zu  hdren. 

Er  werde  Rom  und  auch  P^uris  zerstören. 

66.  Es  kam  zu  Ohren  König  Agramante, 
Daß  die  von  England  gingen  übeis  Meer: 
Drum  holten  den  Algarven  Abgesandte, 
Marsil  auch  und  die  andren  Führer  her. 
Zu  rüsten  galt  es  kräftig;  man  erkannte, 
Paris  zu  überwältigen  sei  schwer. 

Und  starken  Zuzug  brauche  man  vor  allen, 
Sonst  werde  überhaupt  die  Stadt  nicht  fallen. 

67.  Ringsum  läßt  nun  der  König  Leitern  bringen 
(Man  schleppt  davon  unzählige  herbei) 

Und  Bretter,  Balken  mit  Gezweig  verschlingen. 

Denn  nützlich  kann  es  sein  für  mancherlei, 
Für  Schiff  und  Brücken;  und  vor  allen  Dingen 
Will  er,  daß  für  den  Sturm  gerüstet  sei 
Die  erst'  und  zweite  Schar:  in  deren  Mitten 
Komm'  er  dann  selbst  zum  Sturme  mitgeritten. 

Arlott  I  90 


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VIERZEHNTER  GESANG 


68.  Am  Tag,  bevor  das  Schlachten  soll  beginnen. 
Hält  man  bei  Karl  im  eingeschlossnen  Kreis 
Hochamt  und  Messen  für  die  Scharen  drinnen 
Durch  Priester,  Brüder  schwarz  imd  grau  und  weiß. 
Man  hört  die  Beichte  drauf,  durch  sie  entrinDai 

Wir  ja  dem  Feind  im  Höllen  gründe  heiß. 
Und  alle,  absolviert,  kommunizieren. 
Als  galt'  es,  bald  das  Leben  zu  verlieren. 

69.  Er  selbst  mit  Paladinen  und  Baronen 

Und  Fürsten  geht  zum  höchsten  Tempel  hin. 
Um  fromm  der  heil'gen  Handlang  beizuwohnen; 
Sein  Beispiel  lenkt  zn^ch  der  andren  Sinn. 
Den  Blick  gewandt  nach  himmBschen  Rogionen, 
Spricht  er:  „Ich  weiß,  Herr,  daß  ich  Spider  bin; 
Doch  räch'  es  nicht  in  deiner  lieb'  imd  Gnade, 
Daß  nicht  mein  Fehler  deinem  Volke  schade! 

70.  Und  ist's  unmiSgüdi,  daß  dein  Zorn  sich  wende. 
Und  mnß  es  Strafe  dulden  —  ach,  gerecht!  — , 
Dann  werde  nicht  durch  deiner  Feinde  Hände, 
Nein,  später  irgendwie,  die  Schuld  gerächt. 
Demi  wenn  der  Heide  uns  erschlagen  finde, 
Die  deine  Diener  heißen,  im  Gefecht, 

Höhnt  er:  ihm  könne  nichts  durch  dich  geschehen, 
W  eil  du  die  Deinen  lassest  untergehen. 

71.  Und  wo  dir  einer  Feindschaft  hat  getragen. 
Da  werden's  hundert  durch  die  Welt  jetzuid. 

Bis  Babel  deinen  Glauben  wird  verjagen 

Und  falsche  Lehre  richtet  ihn  zugrund. 
Hilf  deinem  Volk  und  laß  es  nicht  verzagen; 
Es  hat  dein  Grab  gesäubert  ja  vom  Hund, 
Dem  schlechten,  und  durch  heil'ge  Stellvertreter 
Schützt  es  die  Kirche  gegen  Missetäter. 


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VIERZEHNTER  GESANG 


307 


72.  Unser  Verdienst  —  ich  weiß  —  kann  nicht  genügen : 
Dem  ,Soll'  genüber  ist  es  viel  zu  klein; 

Wir  können  nicht  mit  Hoffnung  ims  belügen» 
Betrachten  wir  hier  unser  Tun  allein; 
Doch  will  die  Gnade  noch  dazu  sich  fügen. 
Dann  erst  wird  unsre  Rechnung  klar  und  rein. 
Weil  wir  Erinnrung  deiner  Huld  uns  gönnen, 
An  deiner  Hilfe  wir  nicht  zweifeln  können." 

73.  So  sprach  der  fromme  Kaiser  schmerzzerrissen. 
Mit  trübem  Heizen  und  zerknirschtem  Mut. 
Noch  andres  zu  erflehn  war  er  beflissen. 

Der  Not  entsprechend,  für  des  Reiches  Hut. 
Heißes  Gebet  soll  nicht  Erfüllung  missen: 
Sein  bessier  Engel  nimmt's  und  trägt  es  gut 
Als  Schutzgeist  himmelwärts  auf  seinen  Schwingen, 
Es  dem  Erläser  oben  darzubringen. 

74.  Noch  viel'  in  diesem  Augenblick  gelangen 
Durch  solche  Boten  hin  zu  Gottes  Reich; 
Als  sie  ans  Ohr  der  lieben  Sel'gen  klangen. 
Von  lütkid  förbte  sich  ihr  Antlitz  bleich. 
Worauf  ae  in  den  ew'gen  Bräut'gam  drangen 
Und  ihren  Wunsch  ihm  zeigten  alsogleich. 
Daß  doch  dem  Chxistenvolk  dort  auf  der  Erde 
IMe  Bitt*  erfüllt  und  ihm  geholfen  werde. 

75.  Die  ew'ge  Güte,  die  noch  stets  erreichen 
Gebete,  treuen  Herzens  ausgesandt  — 
Mitleid'ge  Augen  hebend,  macht  ein  Zeichen 
Zum  Engel  Michael  hin  mit  der  Hand 

Und  spricht:  „Zum  Chiistenheer  sollst  du  entweichen. 
Vor  Anker  liegt  es  am  Picardenstrand ; 
Zur  Mauer  von  Paris  sollst  du 's  geleiten, 
Von  Feinden  unbemerkt  an  seinen  Seiten. 

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VIERZEHNTER  GESANG 


76.  Geh  liin  zunächst  und  sage  du  dem  Schweigen, 
Zu  jenem  Zuge  soll  es  mit  dir  gehn; 

Denn  es  vermag  am  besten  ja  zu  zeigen, 
Womit  man  sich  am  besten  muß  versehn. 
Wenn  das  geschehn  ist,  sollst  du  niedersteigen 
Und  zu  dem  Aufenthalt  der  Zwietracht  gehn; 
Sie  nehme  Schwamm  und  Stein  sogleich  zusammei 
Im  Mohrenheer  das  Feuer  zu  entflammen 

77.  Und  unter  just  die  Tapfersten  von  allen 
Dort  Zank  zu  streuen,  Zwiste  mancherlei. 
Daß  sie  nicht  fürder  kämpfen,  manche  fallen 
Und  der  verwundet,  der  gefangen  sei 

Und  der  das  Feld  verlass'  in  Zomeswallen; 
Dann  stehe  bloß  ein  Teil  dem  König  bei. 
Der  Engel,  ohne  nur  ein  Wort  zu  qnechen. 
Beeilt  sich,  ^ch  vom  Himmel  aufimbrechen. 

78.  Und  wo  der  Bote  mag  die  Schwingen  breiten. 
Da  fliehn  die  Nebel,  und  der  Himmel  lacht; 
Strahlen  umringen  ihn  von  allen  Seiten, 

So  wie  die  Blitze  leuchten  in  der  Nacht. 

Wo  es  geboten  sei,  hinabzugleiten, 

Das  zu  bedenken  hat  der  Engel  acht. 

Um  sichrer,  nach  des  ersten  Auftrags  Zwecken, 

Den  Feind  gesprochner  Worte  zu  entdecken. 

79.  Wo  wckhnt,  wo  weilt  er?  —  fragen  die  Gedankei 
Und  diesen  Schluß  die  Überlegung  bringt: 

Er  muß  sem  Heim  dem  Priester,  Mdnch  veidankei 
Im  Kloster  ihn  zu  finden  wohl  gelingt: 
Dort  setzt  man  dem  Gespräch  ja  strenge  Scfarankei 
Und  überall,  wo  man  die  Psalter  singt, 
Aucfawo  man  schläft  und  ißt,  steht  „Schweigen"imme 
Und  „Schweigen"  schließhch  noch  in  jedem  Zimme 


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VIERZEHNTER  GESAKG 


309 


80.  Dort  such'  ich,  denkt  der  Engel,  in  den  ZeUen, 

Und  regt  den  Fittich  eiliger  jetzund; 
Auch  Friede,  Ruhe,  Liebe,  sie  gesellen 
Mit  Frömmigkeit  sich  jenem  heil'gen  Bund. 
Doch  kaum  betritt  er  die  geweihten  Schwellen, 
So  sieht  er  sich  enttäuscht,  und  aus  dem  Grund: 
Hier  weilt  das  Schweigen  nicht;  es  ward  vertrieben, 
Wohl  findet  man  es  dort,  doch  nur  —  geschrieben! 

81.  Er  sieht  nicht  Ruhe,  Demut  nicht  noch  Frieden 
Und  sieht  nicht  Liebe,  sieht  nicht  Frömmigkeit. 
Sie  waren  einst,  doch  sind  sie  längst  geschieden: 
VorSchlemmerei,Stolz,GrausamkeitundNeid, 
Vor  Faulheit  und  vor  Zorn  den  Platz  sie  mieden. 
Der  Engel  staunt,  der  W  echsel  schuf  ihm  Leid. 
Er  schaut  die  arge  Schar  mit  trüben  Mienen 
Und  sieht  nun  auch  die  Zwietracht  unter  ihnen, 

82.  Nach  der  er  —  den  Befehl  nicht  zu  vergessen. 
Der  ihm  gegeben  durch  des  Ew'gen  Wort  — 
Den  Weg  hin  zum  Avemus  wollte  messen, 

Im  Wahn,  sie  sei  bei  den  Verdammten  dort: 
Sie  fand  er  hier  bei  heil'gem  Amt  und  Messen 
—  Wer  glaubt  es  nurl  —  an  neuem  Hdllenortl 
Wie  seltsam  schien's,  daB  er  hier  finden  sollte. 
Nach  der  er  weite  Wege  machen  wollte. 

83.  Er  kannte  sie  am  Kleid  aus  Lappenflecken, 
Ungleich  sind  hundertfarbig  assnsdm. 

Die  bald  den  Körper  zeigen,  bald  bedecken 
(Sie  sind  zerfetzt),  im  Winde  und  beim  Gehn. 
Die  Haare,  die  —  man  meint  —  sich  feindlich  necken, 
Goldferben,  silbern,  schwarz  und  graulich  wehn; 
Die  äind  als  Flechten,  die  als  Schopf  gebunden, 
Die  fra  tun  Schultern  und  um  Hals  gewunden. 


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310 


\^  T  F  -R  7  F  TT  N  T  K  T?    G  F  S  A  N  G 


84.  Von  Klageschriften  voll  sind  Brust  imd  Hände; 
Da  gibt  es  Vollmacht,  Ladung,  Kommentar 
Mit  Protokollen,  Bihideln  ohn'  ein  Ende; 

Rechtsglossen,  Rat,  Erklärung  nimmt  man  wahr. 

Daß  kein  Besitztum  sich  gesichert  fände 
Von  armen  Schelmen  in  der  Bürgerschar. 
Und  vor  ihr,  hinten  und  zur  Seite  waren 
Sachwalter,  Advokaten  mit  Notaren. 

85.  Der  Engel  ruft  und  heißt  sie  niedersteigen 
Hin  zu  den  Mächtigsten  im  Mohrenheer: 
Dort  möge  sie  Gelegenheiten  zeigen. 

Wo  Zwist  entbrenne  mannigfach  und  schwer. 
Drauf  fragt  er  noch  die  Zwietracht  nach  dem  Schweigen : 
Vielleicht,  weil  sie  so  weithin  schweif  umher. 
Um  hier  und  dort  die  Feuer  zu  entzünden. 
Vermöge  sie  den  Aufenthalt  zu  künden. 

86.  Vw  Zwietracht  sprach:  ,,Ich  sah's  auf  meinen  Reisen, 
Soweit  ich  mich  besinn',  an  keinem  Ort. 

Wohl  hört'  ich 's  nennen  oft  und  höchlich  preisen 
Als  schlau,  denn  es  vermeidet  jedes  Wort. 
Vielleicht  kann  dir's  der  Unsem  einer  weisen. 
Der  ihm  sich  schon  gesellt  hat  hier  und  dort, 
Der  Trug  — ";  sie  läBt  den  Finger  sich  erheben 
Und  zeigt  auf  emen:  „Diesen  mein*  ich  eben." 

87.  Sein  ehrbar  Antlitz  konnte  schier  bestechen: 
Demüt'ger  Augenaufschlag,  würd'ger  Gang! 
Dazu  so  freundlich  imd  bescheidnes  Sprechen, 
Wie  Gabriels  des  Engels  Grufi  es  klang. 
Sonst  war  er  hä0Uch,  widrig,  voll  Gebtecfaen, 
Doch  barg  er  alles  unterm  Mantel  lang. 
Und  immer  unter  diesem  weiten  Kleide 
Trug  er  den  Dolch  vergiftet  in  der  Scheide. 


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VIERZEHNTER  GESANG  3x1 


88.  Der  Engel  fragt:  „Wie  mag  es  sich  verhalten 
Wohl  mit  dem  Weg  zum  Sitz  des  Schweigens  hin  ?'*  — 
,,Es  pflegte  sonst",  sprach  Trug,  ,,sich  aufzuhalten 
Bei  lauter  Tugenden  im  Kloster  drin. 

Als  noch  Sankt  Benediktus'  Regeln  galten; 

Es  ging  nach  ihm  und  nach  Elias'  Sinn; 

Auch  durch  die  Schulen  sah  man's  früher  schreiten» 

Zu  des  Pythagoras,  Arch}rta  Zeiten  1 

89.  Seit  Heiligkeit  und  Weisheit  ward  vertrieben 
—  Die  hatten  seines  rechten  Weges  acht  — , 
Ist's  bei  der  Ehrbarkeit  nicht  mehr  gebheben, 
Hat  zum  Verbrechen  hin  den  Sprung  gemacht : 
Ging  nachts  mit  Buhlen  und  sodann  mit  Dieben 
Und  übte  schheßUch  jede  Niedertracht; 

So  ist  es  dem  Verrat  vertraut  geworden. 
Und  häufig  sah  ich's  auch  bei  Menschenmorden. 

90.  In  dunklem  Loche  hält  es  sich  verschlossen 
Da,  wo  man  falsches  Geld  zustande  bringt. 
Und  ändert  oftmals  Wohnsitz  und  Genossen; 
Nur  wem  Fortuna  lächelt,  zu  ihm  dringt. 
Doch  wenn,  sobald  die  Mittemacht  verflossen. 
Dir  Eingang  in  das  Haus  des  Schlafs  gelingt. 
In  dem  es  ruht,  so  kann  ich  mich  verbinden. 
Du  wirst  es  dort  ganz  <dme  Zweilei  finden/' 

91.  Wenn  auch  des  Truges  Reden  meistens  lügen. 
Hielt  Michael  fnr  Wahrheit  jetzt  sem  Wort. 
Nun  schien  es  Zeit,  daB  ihn  von  dannen  triSgen 
Die  Schwingen  mählich,  von  dem  Kloster  fort 
Den  Flugschlag  mäßigt  er  zu  langen  Zügen, 
Dann  winkt  das  Ziel  zur  rechten  Stunde  dort. 
Er  kannte  längst  des  Schlafes  stille  Klause, 
Dort,  hört  er,  ist  das  Schweigen  jetzt  zu  Hause. 


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312 


V  T  E  R  Z  "F  TT  X  T  r  R    C  F  S  A  N  G 


92.  Von  Stadt  und  Ddrfem  fem«  in  schöner  Lage 
Ruht  in  Arabien  ein  schönes  Tal 

In  Beigesschatten  nnd  mit  dichtem  Hage 

Von  Taraien,  Buchen  stark  und  alt  zumal. 

Die  Sonne  kommt  umsonst  mit  hellem  Tage: 
Nicht  in  das  Dunkel  dringt  ihr  lichter  Strahl; 
Der  Weg  ist  ihr  versperrt  von  vielen  Zweigen, 
Man  muß  zu  einer  Höhle  niedersteigen 

93.  Und  tief  in  eine  weite  Grotte  dringen, 
Verdeckt  von  dunklem  Wald  am  Felsenhang; 
Schmiegsamen  Efeus  Ranken  kraus  sich  schlingen, 
Er  kriecht  gewundnen  Schritts  die  Vv  and  entlang. 
Der  Schlaf  hegt  hier,  die  Stunden  zu  verbringen. 
Feist  imd  behäbig  sitzt  der  Müßiggang 

Und,  gegenüber,  Faulheit  auf  der  Erde 

—  Sie  kann  nicht  gehn  —  mit  lässiger  Gebärde. 

94.  Gedankenlos  am  Tor  steht  das  Vergessen: 
Keinen  erkennt  es,  keinen  laßt  es  ein; 

Es  kann  nicht  Botschaft  noch  Bericht  ermessen; 

Gleich  ausgeschlossen  muß  ein  jedes  sein. 

Das  Schweigen  spielt  den  Wächter  unterdessen, 

Filzschuhe  sind  und  brauner  Mantel  sein. 

Wen  es  nuf  trifft,  dem  winkt  es  schon  vom  weiten 

Mit  seinen  Händen,  nicht  heranzuschreiten. 

95.  Der  Engel  sagt  ihm  leise  in  die  Ohren: 
„Gott  will,  daß  du  Rinaldos  Heeresmacht, 
Die  seinem  Herrn  zur  Hilf'  er  hat  erkoren, 
Fuhrst  auf  Paris  zu  noch  in  dieser  Nacht, 
Jedoch  so  still,  daß  keinem  von  den  Mcihren 
Ruf  oder  Laut  das  Nahen  kenntlich  macht; 
Fama  zu  holen,  m^  keinem  g^tlcken; 
Dem  Heere  folge  sie  viehnehr  im  Röcken  T 


VIERZEHNTER  GESANG  313 


96.  Als  Antwort  ward  ein  Nicken  ihm  zuteile; 
Das  hieß,  es  sei  zum  Werke  schon  bereit. 
Die  Picardie  zeigt'  sich  nach  einer  Weile; 
Der  Engel  gab  dem  Schweigen  das  Geleit. 
Er  schenkte  dort  den  kühnen  Scharen  Eile: 
Sie  machen  großen  Weg  in  kurzer  Zeit, 
Daß  sie  an  einem  Tag  Paris  erreichen, 
Und  merken  nicht  das  Wunder  ohnegleichen. 

97.  Das  Schweigen  ging  und  ließ  nun  über  allen. 
Den  einzlen  Haufen  imd  der  ganzen  Schar, 
Rings  in  der  Runde  tiefe  Nebel  wallen. 
Derweil  doch  sonst  ein  klarer  Tag  es  war; 
Beim  Nebel  hörte  man  kein  Hömerschallen, 
Kein  Ruf,  kein  Ton  bot  sich  dem  Ohre  dar. 
Dem  Heidenheer  das  Schweigen  andres  brachte. 
Ich  weiß  nicht  was,  das  taub  und  blind  es  machte. 

98.  Indes  Rinald  sich  so  geschwind  bewegte, 
Daß  man  des  Engels  Führung  gleich  ersah. 
So  still,  daß  für  die  Heiden  nichts  sich  regte 
Und  keiner  ahnte,  was  beim  Femd  geschah. 
War  Agramant  nidit  trag;  sein  Fußvolk  l^e 
Er  bei  Paris  dem  Fuß  der  Mauern  nah. 

Bis  an  der  Gräben  Rand  schickt  er  die  Leute, 
Die  KiSfte  anzuspannen  gilt  es  heute. 

99.  Wer  sagen  will,  wieviele  ausgezogen 
Sind  an  dem  Tag  mit  König  Agramant, 
Der  hat  die  Zahl  der  Halme,  die  da  wogen 
Auf  wald'gem  Kamm  des  Apennins,  gekannt 

Und  weiß  zu  melden,  wieviel  Meereswogen 

Des  Atlas  Fuß  bespülen  an  dem  Strand 
Und  wieviel  Augen  wach  am  Himmel  bleiben, 
Zu  schaun,  was  nachts  Verliebte  heimlich  treiben. 


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314  V  T  F  P  Z  F  TT  >T  T  F  R    HKS  A  N  G 


100.  Mit  raschen  Schlägen  laut  die  Glocken  schallen. 
Erschreckend  dröhnt  ihr  Hammer  in  der  Rund'; 
Wo  man  nur  hinblickt,  in  den  Tempeln  allen 

Sieht  man  erhobne  Hand  und  flehnden  Mund. 

Und  könnten  Schätze  Gott  so  Wohlgefallen, 
Wie  Unverstand  es  meint  in  mancher  Stmid*, 
So  fände  sich  ein  beßrer  Tag  mit  nichten. 
Sein  golden  Bildnis  übrall  zu  errichten. 

101.  Man  hört  die  guten  Alten  jammernd  weinen, 
Verschont  zu  sein  von  solcher  schweren  Not; 
Sie  singen  Lob  den  heiligen  Gebeinen, 

Die  in  der  Erde  viele  Jahre  tot, 
Derweil's  die  rüst'gen  Jungen  anders  meinen: 
Die,  nimmer  ahnend,  welch  ein  Unheil  droht, 
Der  Altern  Weisheit  leichten  Sinns  verachten 
Und  eil'gen  Schrittes  nach  den  Mauern  trachten. 

102.  Barone,  Paladine  sind  mit  denen, 

Und  Könige,  Fürsten,  Grafen,  edle  Herrn; 
Einheimische  und  Bürger  dicht  bei  jenen, 
Die  für  Herrn  Christus  kamen  aus  der  Fem*. 
Sie  wünschen  Angriff  auf  die  Sarazenen 
Und  senkten  schon  des  Tores  Brücken  gem. 
Der  Kaiser  irent  sich,  sie  so  kühn  za  sdien. 
Doch  ans  den  Manem  läfit  er  keinen  gehen. 

103.  Die  Wacht  der  nöt'gen  Plätze  gab  er  ihnen. 
Und  keinen  Weg  läßt  er  dem  Feinde  frei. 
Genügend  hier  schon  ein  paar  Leute  schienen. 
Und  dort  bedurft'  es  großer  Kompand. 

Die  schickt  er  zum  Geschütz,  und  die  bedienen 
Maschinen,  wie's  gerade  nützlich  sei. 
Nie  steht  er  still,  er  schaut  nach  allen  Dingen, 
Hier  Schutz  zu  spenden,  Hilfe  dort  zu  bringen. 


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VIERZEHNTER  GESANG 


315 


104.  Paris  ist  einem  ebnen  Plan  entsprossen, 

Den  Frankreichs  Nabel,  auch  sein  Herz  man  nennt. 

Der  Fluß  hat  durch  die  Mauern  sich  ergossen, 

Sie  zu  verlassen  an  dem  andern  End'. 

Ein  Eiland  wird  vorher  von  ihm  umflossen, 

Das  man  als  Stadtteil  —  und  den  besten  —  kennt. 

Zwei  andre  —  ihrer  drei  ja  sind  es  —  haben 

Den  Fluß  als  Grenze  und  sodann  den  Graben. 

105.  Verschiedne  Meilen  streckt  sich  in  die  Weite 
Die  Stadt,  die  manchen  Punkt  zum  Angriff  beut. 
Doch  stürmen  will  der  Mobi  von  einer  Seite, 
Weil  er  nicht  gern  die  Kriegesmadit  zerstreut: 
Drum  geht  er  übern  Fluß  zurück  zum  Streite; 
Von  dort  her,  aus  dem  Westen,  stürmt  er  heut. 
Denn  bis  nach  Spanien  gibt's  nicht  Land  noch  Städte, 
Die  er  als  feindlidi  noch  im  Rücken  hätte. 

106.  Was  nur  die  großen  Mauem  lings  umschUeßen, 
Hat  Karl  mit  starken  Werken  wohl  bedacht: 
Damit  die  Dämme  keine  Lücken  heßen. 

Sind  Gänge  drin  und  Banten  angebracht; 
Wo  Wellen  münden  und  von  dannen  fließen, 
Da  halten  Ketten  allerstärkste  Wacht 
Jedoch  die  größte  Sorgfalt  Heß  er  walten. 
Wo  irgend  Stellen  für  gefährdet  galten. 

107.  Mit  Aigusaugen  Karl  sofort  erkannte. 

Wo  Sturm  und  sonst  ein  Angriff  etwa  dröhn» 

Und  keinen  Plan  ersann  Fürst  Ägramante, 

Dem  nicht  begegnet  wäre  früher  schon. 

Ifit  Ferragu,  Grandon  und  Baligante, 

Mit  Serpentin,  Isolier,  Falsiron 

Und  denen,  die  aus  Spanien  kommen  waren, 

Hielt  Herr  Marsil  zum  Kampf  bereit  die  Scharen. 


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3t6       V  t  e  r  z  e  n  X  t  e  r  g  e  s  a  n  g 


108.  Sobrin  mit  Almont  und  PuHan  indessen 

,  Hält  auf  dem  linken  Strand  der  Seine  sich 
Hit  Orans  König,  den  sechs  EUen  messen 
Von  Kopf  zu  Fuß.  dem  Riesen  fürchterlich. 

Was  bin  ich,  ach,  aufs  Schreiben  nicht  versessen, 
Wie  jene  Leute  sind  auf  Hieb  und  Stich! 
Denn  laut  flucht  Sarzas  Fürst  mit  wilder  Stimme, 
£r  ist  aus  Rand  und  Band  vor  Wut  und  Grimme. 

109.  Wie  auf  den  Rest  von  süßen  Speisestücken 

Hinstürmen  dicht  an  heißem  Sommertag 

Und  auf  des  Hirten  Töpfe  läst'ge  Mücken 

Mit  surmdem  Ton  und  rauhem  Flügelschlag, 

Wie  Stare  auf  den  Weinberg,  um  zu  pflücken. 

Was  sich  an  reifen  Trauben  finden  mag, 

Also  zum  Angriff  wilde  Mohren  schwirren: 

Der  Himmel  dröhnt  von  Schrein  und  Waffenklirren. 

HO.  Die  Christen  oben  auf  der  Mauer  wehren 

Mit  Stein  und  Feuer  sich  und  Lanz'  imd  Schwert. 
Sie  schützen  ihre  gute  Stadt  mit  Ehren, 
Und  keiner  an  der  Feinde  Wut  sich  kehrt; 
Wo  einer  fiel  von  Pfeilen  oder  Speeren, 
Den  Platz  zu  nehmen  keiner  feig  verwehrt: 
Viel  Sarazenen  in  den  Gräben  blieben. 
Hinabgestürzt  von  Stichen  und  von  Hieben. 

III.  Nicht  Eisen  nur,  nein  ganze  Turmeszinnen, 
Mächtige  Klotz'  und  Steine  braucht  man  gut. 
Und  Blöcke,  losgelöst  von  Mauern  drinnen, 
Auch  Mauerkranz  und  Dach  hier  Dienste  tut. 
Siedende  Wasser,  die  hemiederrinnen, 
Schaffen  den  Mohren  qualenvolle  Glut, 
Es  will  kein^  Schutz  vor  sokibiemiRegea  taugen; 
Er  dringt  durch  jeden  Helm  xmi  trübt  die  Augen. 


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VIERZEHNTER  GESANG 


317 


112.  Und  dies  noch  schuf  vielleicht  den  schlimmsten  Scha- 
Was  tun,  wenn  Kalk  sich  senkt  als  Nebelmeer?  [den: 
Was  tun,  wenn  glühnde  Schalen  sich  entladen 
Mit  Ol  und  Pech  und  Uaiz  und  Schwefel  schwer? 
Kianzieifen  rasten  nicht:  in  ganzen  Schwaden 
Von  Feuerflammen  fliegen  sie  daher; 
Hinabgeschleodert  nach  verschiednen  Seiten, 
O,  wie  sie  bösen  Kranz  dem  Feind  bereitenl 

1x3.  Der  Fürst  von  Saxza  unterdessen  reitet 
Hin  zu  der  Mauer  mit  der  zweiten  Schar: 
Von  Burald  wird  er  und  Onnid  begleitet 
(Der  Garamant,  der  aus  Mannonda  war), 
darin  wie  Soridan  zur  Seit'  ihm  streitet. 
Auch  Settas  König  zeigt  sich  kühn  fürwahr: 
Marokkos  Herr  und  der  von  Cosca  zeigen. 
Ein  höher  Mut  ist  ihnen  beiden  eigen. 

1x4.  Das  rote  Banner  sieht  man  sich  bewegen. 
Das  Rodomonts  von  Sarza  Löwen  bringt. 
Der  nicht  verschmäht,  die  Zügel  anzulegen. 
Die  seine  Dam'  ihm  in  den  Rachen  schlingt. 
Mit  diesem  Löwen  meinte  sich  der  Degen. 
Und  mit  der  Dame,  die  ihn  zäumt  und  zwingt. 
Die  schöne  Dorahs  bezeichnen  mocht'  er, 
Des  Königs  von  Granada  holde  Tochter, 

115.  Dieselbe,  die  Fürst  Mandrikard  begehrte  — 

Und  an  sich  nahm,  ich  sagte,  wo  und  wann  — , 
Die  Rodomont  so  feurig  liebt'  und  ehrte: 
Er  gäbe  Krone,  Reich  und  Augen  dran, 
Für  die  er  hohe  Ritterschaft  bewährte  — 
Er  ahnt  nicht,  daß  ein  andrer  sie  gewann. 
Hätt'  er's  gewußt,  so  tat  er  —  wehe,  wehet  — 
Was  ich  an  diesem  Tage  tun  ihn  sehe. 


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3l8         VIERZEHNTER  GESANG 


Il6.  Dort  an  der  Mauer  tausend  Leitern  lehnen, 
Aui  jeder  Staffel  mindestens  zwei  Mann: 
Der  zweite  treibt  den  ersten  Sarazenen» 
Derweil  ihn  selbst  der  dritte  zwingt  voran. 
Den  führt  der  Mut,  und  blasse  Furcht  führt  jenen« 
Und  mit  Gewalt  klimmt  jeder  dort  hinan: 
Wo  einmal  einer  wirklich  zaudern  konnte. 
Da  tötet  ihn  der  grunme  Rodomonte. 

1x7.  So  zwingt  sich  jeder  Mann,  emporzusteigen; 
Durch  Feuer  und  Vernichtung  geht's  hinauf. 
Die  andern  all  sich  mehr  behutsam  zeigen 
Und  schaun:  tut  eine  Lücke  wohl  sich  auf? 
Lust  an  Gefahr  ist  Rodomont  nur  eigen: 
Er  weilt,  wo  das  Verderben  dringt  herauf; 
Wo  andre  betend  Gottes  Hilfe  suchen. 
In  schwerer  Not,  hört  man  ihn  Gott  verfluchen. 

1x8.  Als  staricen,  festen  Panzer  tragt  er  Lagen 
Von  eines  Drachen  schuppenreicher  Haut, 
Die  einst  um  Brust  und  Rücken  hat  getragen 
Der  Ahnherr,  der  da  Babel  hat  gebaut 
Und  Gott  aus  seinem  goldnen  Saal  zu  jagen 
Und  ans  dem  Stenienieich  vermafi  sidi  laut. 
Vollkommen  ließ  zu  diesem  Zweck  der  Wilde  [de. 
Den  Helm  sich  schmieden  samt  dem  Schwert  und  Schil- 

1x9.  Wie  Nimrod  kann  man  Rodomont  hier  sehen 
Unbändig,  wütend,  stolz  und  unverzagt: 
Zum  Kampfe  mit  dem  Himmel  wird  er  gehen. 
Sobald  ihm  einer  nur  die  Straße  sagt. 
Ob  ganz  die  Mauern,  ob  zerstückt  sie  stehen. 
Ob  tief  die  Flut,  wird  nie  von  ihm  gefragt: 
Er  eilt,  nein,  fliegt  zum  Graben;  auf  dem  Grunde 
Im  Schlamme  geht  er,  Wasser  bis  zum  Schlünde. 


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VIERZEHNTER  GESANG 


319 


zao.  Dorchweiclit tmdschmutzig,  drängt ernachden Mauern 

Durch  Feuer  und  Geschoß  von  Pfeil  und  Stein, 
Wie  im  Mallea-Sumpf  zum  Schreck  der  Bauern 
Durchs  Röhricht  kommt  gerast  das  wilde  Schwein, 
Das,  wo  es  geht,  mdt  Rüssel,  Brust  und  Hauern 
In  alles  mächt 'ge  Lücken  reißt  hinein. 
Er  sucht  den  Schild  als  Schutzdach  zu  verwenden, 
Gott  bot'  er  Trotz,  geschweige  Mauerwänden. 

121.  Im  Trocknen  kaum,  schon  auf  der  Mauer  Rücken 
Und  auf  die  Bauten  dann  klomm  er  hinauf, 

Die  für  die  Frankenscharen  dort  als  Brücken 
Am  Wall,  hoch  und  geräumig,  strebten  auf: 
Zerspellt  lag  manche  Stime  hier  in  Stücken, 
Tonsuren  schafft  er  einen  ganzen  Häuf; 
Es  fliegen  Arm'  und  Köpfe  mit  dem  Hut  hin. 
Und  auf  der  Mauer  rinnt  die  rote  Flut  hin. 

122.  Er  läßt  den  Schild  —  das  Schwert  in  beiden  Händen, 
Dringt  er  jetzund  auf  Herzog  Arnulf  ein. 

Der  kam  vom  Land,  wo  in  der  Meerüut  enden. 
Der  salzigen,  die  Wogen  aus  dem  Rhein. 
Er  ist  nicht  stärker,  Unheil  abzuwenden. 
Als  g^gen  Feuer  mag  der  Schwefel  sein. 
Er  stürzt  und  haudit  am  Boden  aus  die  Seele, 
Das  Haupt  durcfasi>alten  tief  herab  zur  Kehle. 

123.  Der  Heide  fällt  darauf  mit  einem  Streiche 
Adrad,  Anselmo,  Spinellotsch  und  Prand, 
Dieweil  sein  Schwert  hier  Beute,  überreiche. 
Durch  engen  Platz  und  Menschenffille  fand. 
Die  eme  Hälfte  kam  vom  Vlamenreiche, 
Die  andre  Hälfte  vom  Normannenstrand. 
Orgett,  der  Mainzer,  ist  sodann  zu  schauen. 

Vom  Kopf  zu  Brust  und  Bauch  hinab  durchhauen. 


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320 


VIERZEHNTER  GESANG 


124.  Moskin  und  Andropon  wirft  von  den  Zinnen 
Er  drauf  hinab:  ein  frommer  Priester  der; 
Der  Wein  nur  ist  des  andern  ganzes  Sinnen, 
Führt  er  den  Krug  zum  Mund,  ist  er  schon  leer, 
Vorm  Wasser  fheht  er  wie  entsetzt  von  hinnen« 
Als  ob  es  giftig  wie  die  Viper  war'. 

Er  stirbt;  und  bittrer  macht  den  Tod  dem  Prasser« 
Daß  er  sich  sterben  fühlt  in  schnödem  Wasser. 

125.  Der  Provenzale  Louis  wird  vom  Riesen 
Zerspalten,  imd  durchbohrt  sinkt  hin  Amald. 
Hubert  von  Tours,  Claud,  Hugo,  Dionysen 
Macht  er  die  Seele  frei,  die  Leiber  kalt. 
Vier  aus  Paris  gesellten  sich  zu  diesen, 
Gautier,  Satallon,  Odo,  Arobald, 

Und  andre  viel  durch  ihn  ums  Leben  kamen. 
Ich  kann  nicht  nemien  aller  Heim  und  Namen. 

ia6.  Auf  Leitern  hinter  Rodomonte  dringen 
Sie  nun  hinauf,  an  mehr  als  einem  Ort. 
Abwehr  kann  hier  den  Christen  nicht  gelingen, 
Drum  von  der  Mauer  weichen  sie  jetzt  fort. 
Der  Feind  muß  drinnen  vieles  noch  vollbringen; 
FQrwahr,  kein  Kinderspiel  harrt  seiner  dort: 
Demi  zwischen  Wall  und  zweitem  Ringe  haben 
Die  Mohren  vor  sich  grausen,  tiefen  Graben  1 

127.  Nicht  nur  von  unten  kämpfen  mittlerweilen 
Die  Unsem  mutig,  naich  der  H5h'  gewandt. 
Auch  neue  Scharen  helfen  jetzt,  sie  eilen 
Hin  nach  des  innem  Abhangs  steilem  Rand 
Und  leisten  brav  mit  Lanzen  und  mit  Pfeilen 
Der  großen  Menge  draußen  Widerstand. 
Ich  glaube  wirkHch,  diese  war'  erlegen 
Ohne  den  Sohn  Uliens,  den  grimmen  Degen: 


VIERZEHNTER  GESANG 


321 


ia8.  Die  Widerwill'gen  macht  er  kampfbereiter 

Und  treibt  durch  Zuspruch  sie  und  Scheltwort  an: 
Sieht  er  zur  Flucht  gewendet  einen  Streiter, 
Kopf  oder  Brust  zerhaut  er  dann  dem  Mann; 
Er  rückt  und  stößt  sie  vor,  zu  fechten  weiter. 
Reißt  fiie  an  Haaren,  Hals  und  Arm  voran 
Und  macht  von  Leichen  solch  ein  dicht  Gedränge: 
Der  Graben  Ist  ffbr  alle  schier  zu  enge. 

129.  Derweil  die  Mohren  hier  hinunterdringen  — 

Nein,  taumeln,  stürzen  auf  den  schlimmen  Grund  — 
Ifit  Leitern  suchen  sie  emporzudringen 
Zum  zweiten  Kreis  hin  über  diesen  Schlund  — , 
Sieht  man  den  Sarzakönig  —  ob  ihm  Schwingen 
-  AllüVrall  wüchsen  —  vom  vom  Rand  jetzund 
Trotz  mächt'gen  Leibes  und  so  schweier  Waffen 
Zum  Sprunge  übern  Graben  auf  sich  raffen. 

130.  Hinüber  sprang  er,  gleich  geschmeidigem  Hunde 
(Es  waren  dieifiig  Fuß  so  ungefähr). 

Und  lauter  klang  sem  Fuß  nicht  auf  dem  Grunde, 

Als  ob  es  dne  Sohl'  aas  Filze  wär'. 

Die  drüben  streckt  er  hin  in  dieser  Stunde, 

Als  sei  von  schwachem  Blech  die  Rüstung  sdiwer 

Oder  aus  Borke  gar  und  nicht  aus  Eisen: 

So  mächtig  Kraft  und  Waffen  sich  erweisen. 

131.  Inzwischen  haben  unsre  Krieger  Fallen 
In  tiefem  Höhlengnmde  aufgespannt. 
Versehn  mit  Reisigbündeln  nach  Gefallen, 

Mit  Pech  geschmiert  und  sonst  noch  allerhand. 
Doch  merkt  man  äußerlicli  nichts  von  dem  allen, 
Obschon  vom  hohlen  Innern  bis  zum  Rand 
Das  Pech  das  Ganze  füllt  die  Quer  und  Länge, 
Und  flacher  Schalen  haben  sie  die  Menge 

Arlott  I  31 


322 


VIERZEHNTER  GESANG 


132.  Mit  öl,  Salpeter,  Schwefel  —  was  es  geben 
An  Stoffen  mag,  zu  schaffen  Feuers  Graus. 
Die  Unsem  sehen  auf  das  tolle  Streben  — 
Daß  es  den  Mohren  schlage  übel  aus 

(Die  suchten  auf  die  Zinne  sich  zu  heben 
Mit  vielea  Leitern  aus  dem  Sumpf  heraus). 
Läßt  man,  da  Zeichen  den  Moment  verkünden, 
Aul  einmal  alle  Feuer  sich  entzünden. 

133.  Die  Einzelfeuer  schheßen  sich  zusammen 
Und  zünden  rings  die  beiden  Ufer  an 

Und  steigen  hoch  empor,  daß  an  den  Flammen 
Der  Mond  den  feuchten  Busen  trocknen  kann*. 
Und  Nebel  schwarz  dem  Glutenmeer  entstammen. 
Der  Strahl  der  Sonne  dringt  umsonst  heran  — 
In  jähem  Knall  dn  gräfilich  Krachen,  Schmettern, 
Wie  Donner  bei  den  fnxchterltcbsten  Wettern! 

134.  Der  Janunerrufe  grauenvollem  Schallen, 
Dem  Heulen  und  dem  Kreischen  schanerlich 
Von  jenen  todgeweihten  Armen  allen. 

Die  ihres  Führeis  Schuld  vom  Lehen  strich, 
VermShlt,  als  stimm'  es  ein  mit  Wohlgefallen, 
Mdrdiischer  Flamme  wildes  Tonen  sich.  — 
Genug,  Herr!  Laßt  2um  Schlüsse  mich  gelangen: 
Bin  heiser  schon  und  trag'  nach  Ruh'  Verlangen. 


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ANMERKUNGEN 


(Die  Amaakunten  folgen  im  wetentUclwP  der  Avtfßbt  im  OrL  Für.,  TMeste,  SedOM 
LattiAit.  dil  Uofd  Awtr.  tS jS,  «ad  4er  immb*  FtnoM  1903     eoowMn  to  dl  P.  Papiai  (P4. 
Vln  äm  ZAtaD  tankha«!  dto  «nü  6m  r  i,  dto  mdli  dto  Stn».) 


ERSTER  GESANG 

St  I.  Agramant.  Trojan: «.  EinL  S.  XXXIII.  Zar  Orieatiemiig 

über  die  Begebenheiten,  die  von  Ariost  als  bekannt  vorausgesetzt 
■werden,  empfiehlt  es  sich,  die  Einleitung  (S.  LXXXVII  bis  XCVI)  vor 
Lektüre  des  Textes  einzusehen.  —  Der  Tod  Trojans  ist  im  ersten  Gesaug 
dm  MVetfiebten  Robnd*«  von  Bc^fttdo  mUitt. 

St  2.  Cosa  mai  detta  in  pnM  nd  in  lima  iRrurde  bald  ein  geflügeltes 
Wort.  Hilten  hat  es  im  Eingang  zu  seinem  „Verlorenen  Paradies" 
litiert.  In  der  hier  verherrUchten  GeUebten  sieht  man  Alcssandra 
Benncci,  Witwe  des  Tito  Strozal.  Da  diese  Liebe  in  den  Juni  15 13  fällt, 
wild  die  StaDM  ipiter  ciageedialtet  ada,  waten  wir  et  nicht  mit 
einer  Unbekannten  zu  ton  haben,  der  dce  Dichten  Hers  etim  1506^ 
bei  Beginn  der  Dichtung,  gehörte. 

St.  3.  Ercoie  I  war  der  Großvater  Ippolitos.  Die  Verherrlichung  des 
Hautet  Ette,  dem  Aiiosts  Gtener,  der  Ktixlinal  Ippolito  (s.  EinL), 
aagdiflrt,  gdit  dmnh  dat  gaaae  Gedicht  hindurch,  iat  todcwen  vom 
Dichter,  so  emphatisch  sie  auch  sich  äußert,  im  Grunde  nicht  besonders 
ernst  genommen,  vielmehr  vielfach  durch  ihre  Übertreibung  mit  feiner 
Ironie  ins  Phantastische  hinübergexogen  w(»rden.  Der  Schmeichelei 
darf  man  A.  nicht  betdraldigen.  Solehe  Huldigungen  an  fBntildia 
Batrone  waren  nach  Sitte  der  Zeit  nncriifliich.  VgLGca»3,St  19:36, 70b 

St.  4.  Der  sagenhafte  Roger  (s.  Einl.  S.  XCI)  galt  als  Stammvater 
des  Hauses  Este.  Bojardo  gedachte  sein  Werk  bis  sum  Tod  dieses 
Helden  fortzusetzen. 

St.  5  n.  6.  Angelika:  t.  EinL  Roland,  Sohn  det  Grafen  Milon 
von  Anglant  und  der  Schwester  Karls  des  Grofien  Bertha,  encheint 
in  den  Rittcrbüchem  als  Graf  von  Brava  (vgl.  Stammbaum  Karls  des 
Großen  und  der  Paladine  S.  CLVIII).  Brava  ist  ein  sagenhaftes  Scliloß. 

St.  8.  Rinald,  ein  Vetter  Rolauds,  Sohn  des  Herzogs  Haimon 
vonDordQgne  (Bmdert  des  Milon)  nod  der  Beatrix,  Tochter  des  Henogi 


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324 


ANMERKUNGEN 


Naims  von  Bayern,  war  Herr  von  Montalban  (Montauban)  in  Languedoc 
Als  eines  der  „vier  Haimonskinder"  ist  Rinald  auch  bei  uns  bekannt  genug. 

St.  II.  Über  die  .\bneigung  Angelikas  gegen  Rinald  s.  Einl, 
S.  LXXXVII  und  Gelang  i,  St.  77 — 78.  —  Ht  4*  Gemeint  ist  ein  vdks- 
tfimUcbes  Wettrennen. 

St  13.  In  der  fttr  Karl  nnglflcMichen  Schlacht  am  VvB  der  Pyre* 
näen  (s.  EinL  S.  XCII)  stoßen  (nach  Bojardo)  Roger  und  Rinald  su- 
sammen :  Letzterer  steigt  ab,  weil  er  sieht,  daß  sein  Gegner  sein  Pferd 
verloren  bat,  und  ficht,  wie  der,  zu  Fuß.  Zuletzt  ist  Rinald  genötigt, 
Mia«m  KiBiaer  auf  dem  Rflckng  an  folgen.  Er  eataduddigt  aich  hfiilieb 
bei  Roger  und  wiD  aeinen  Bajard  (a.  EinL  S.  XCI)  beateigeo.  Der 
aber  rennt  in  den  Wald  (warum,  erfahren  wir  bd  ArioBt);  Rinald  eilt 
ihm  nach.  Vgl.  Verl.  Rol.  III,  IV,  29,  40. 

St.  14.  Auch  der  tapfere  Sarazen  Ferragu,  in  den  Volksliedern 
Feracuto  und  Ferragus  („Spitzeisen",  bei  Boj.  Ferraguto,  vgl.  Einl. 
S.  LXXXVII),  hat  (nach  Boj.),  schon  vor  Roger,  mit  Rhiald  gefiochtea; 
ErBchöpfnng  nnd  Durst  veranlaßten  ihn,  zu  einem  Fluß  sich  zurück- 
zuziehen,  um  zu  trinken.  Dort  fällt  ihm  der  Helm  ins  Wasser.  Bei 
„Turpin"  ist  F.  ein  Riese,  der  den  spanischen  Sarazenen  zu  HUle  kommt, 
bei  Boj.  ein  ritterticher  Jüngling.  Er  befand  sich  am  Hofe  Karla,  als 
Angelika  kam.  Arioat  macht  ihn  an  einem  apanbchen  Prahler.  Doch 
zuweilen  wird  er  auch  sympathisch  dargestellt  (35,  74^79). 

St.  16.  Wie  die  Vettern:  Rinald  und  Roland. 

St.  22.  „O  Trefflichkeit  der  Ritter  alter  Zeiten!"  Die  Stellen, 
wo  Arioat  die  Enihlung  unterbricht,  verdienen  beaendere  Beachtaag. 
Daa  Ziel  nnarea  Dichters  ist  immer  in  erster  Linie  knnstmäfiige  Durch- 
führung, das  Erzielen  der  feinsten  Wirkung.  „Kanm  in  einem  andren 
Gedichte  von  ihm",  sagt  Karl  Voßler  sehr  hübsch  (Italienische 
Literaturgeschichte,  Leipzig  1900,  S.  94),  „dürfte  das  Interesse  so  aus- 
acMeOlich  lormdkr,  daa  heiOt  kfinatleciadMr  Natur  aeia  wie  hier . . 
sogar  die  Idurhaften  und  monliaierenden  Betrachtnagea,  die  er  gern 
in  seinen  „Roland"  einstreut,  sind  nichts  als  künstlerische  Mittel  und 
wollen  den  Hörer  nicht  von  einer  moralischen  oder  philosophischen  Wahr- 
heit überzeugen,  sondern  sie  wollen  ihm  einen  Ruhepunkt  in  der  £r- 
aUJnng  gewähren  und  ihn  von  einer  Stimmung  in  die  andro  hinüber- 
leiten.  Sie  haben  den  Wert  eines  Intermeaaoa  oder  Präladinms."  Das 
gilt  vor  allem  von  den  Reflexionen,  mit  denen  Arioat  gewöhnlich  die 
einzelnen  GcsiinRc  eröffnet. 

St.  26—30.  Über  Argalia.  AngeUkas  Bruder,  8.  EinL  S.  LXXXVII. 
Ferragu  hatte  versprochen,  den  Hdm  nach  vier  Tagen  an  den  andern 
Waffen  in  den  Fluß  au  versenken,  trug  ihn  jedoch  noch  weiter. 

St.  36^  Die  Saraaenen  «erden  in  den  lUttargeatogen  ala  „Heiden" 
angesehen. 

St.  28^  Mambrin,  ein  schrecklicher  Heidenkonig,  den  Rinald 
tbervand«  besaO  einen  Hdm»  der  durch  Cerwntaa*  Don  Quisote 


ANMERKUNGEN 


325 


weltbekannt  geworden  ist.  Über  Almonte  8.  EinL  S.  XCL  Durch 
Alaumt*  Hand  war  Ifilon  von  Anfl^t,  Rolands  Vater,  ge&dkn.  Rinald 
nahm  dem  getöteten  Mambrin  den  berühmten  Hdm. 

St.  30.  Bei  seiner  Mutter  Leben  schwört  Ferragu  nach  spanischer 
Sitte.  Ges.  25,  St.  74  ist  von  Lanfusa,  Feiragus  Mutter,  die  Rede. 
—  Aspramonte,  ein  Berg  in  Kalabrien. 

St.  34.  Das  Gleichnis  nach  Horai,  Od.  I,  23. 

St  4a  Von  der  Gewohnheit  der  volkstümlichen  SSnger  (denen 
auch  Kunstdichter  vielfach  gefolgt  sind),  sich  an  die  Zuhörer  zu  wen- 
den, bewahrt  Ariost  noch  eine  Spur,  indem  er  mit  der  Anrede  „Herr'* 
(Signore)  sich  an  den  Kardinal  IppoUto  wendet  (P.) 

St.  42 — 43.  Diese  Verse  sind  eine  vielbewunderte  Nachahmung 
von  Catnil: 

Ut  floB  in  septiB  secretis  naadtnr  hortis 
Ignotoa  pecori,  nulio  contnsns  aratro. 

Quem  mulccnt  aurae,  firmat  sol,  educat  imber; 
Multi  iUnm  puori,  multac  cupiere  pucllae; 
Sic  virgo  dum  intacta  maact,  dum  cura  suis.  Sed 
Cum  castom  amisit  poüuto  corpore  ilorem, 
Nee  pneris  jncunda  manet,  nec  cara  pndlb. 

St  45.  Sakripant:  s.  EinL  S.  LXXXVIII. 

St  46.  Die  goldenen  I  ili -n  waren  das  Wappen  der  Könige  von 
Frankreich  bis  auf  Louis  VII  (itso — tito).  Früher  werde  die  Qriflammo 
verwendet.  (P.) 

St  55.  OberdenSerikanerkönigGradaßs.  EinLaLXXXIX.  In 
den  Sexikanem  hat  man  eine  indische  Völkeiachaft  erkennen  wollen; 
aber  Katai  Uge  dann  nicht  nach  Westen.  Auch  andere  Verrnntongen 
sind  wenig  einleuchtend. 

St.  57.  Der  Ritter  von  Anglant  ist  Roland. 

St  7a  Bradamant  war  eine  Tochter  des  Herzogs  Haimon,  also 
eine  Schwester  Rinalds.  Bei  Bojardo  befindet  sie  sieh  als  kühne  Strei- 
terin im  Christenheere.  Als  ihr  wihrend  der  unglücklichen  Schlacht 
(Einl.  S.  XCII)  Kunde  von  des  Kaisers  Flucht  wird,  kämpft  sie  gerade 
mit  dem  schrecklichen  Rodomont.  Sie  möchte  abbrechen,  aber  R. 
gestattet  es  nicht  Das  sieht  Roger,  mischt  sidh  ein  und  führt  den 
vermeintlichen  Jüngling  auf  die  StraBe  aar  Hauptstadt  Unterwegs 
sprechen  sie  sich  aus  und  entbrennen  in  Liebe  xneinander.  Sie  werden 
aber  getrennt  und  verlieren  einander  aus  den  Augen.  Vgl.  2,  31. 

St.  75.  Dem  Roß  Bajard  gab  erst  Ariost  den  menschlichen  Ver- 
stand. Bajard  geh&te  ancist  Rinald.  Dieser  gibt  (bei  Boj.)  den  licugst 
vor  einem  Kampf  an  Richardet,  der  im  Fall  von  Rinalds  Tode  Bajard 
an  Karl  geben  soll.  Das  Tier  wird  Karte  Kriegsroß,  dann  bei  Fricdens- 
unterhandlungen  dem  Gradaß  angeboten.  Dem  widersetzt  sich  Astolf 
und  besteigt  Bajard,  um  Roland  und  Rinald  zu  suchen.  Er  verliert 


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326  ANMERKUNGEN 

gagggg  ,   , ,   ,  -■gf^^^— ,  ggsggga^^ga 

dn  Pferd  aa  Agrikan,  dioser  aa  Rölaiid,  dar  Bajwrd  aadi  Albfahka 
Bchkkt,  weil  er  ihn  nicht  biadigMi  kaam.  SchKellidi  kcNnrnt  daa  Tim 

wieder  an  Rinald.  (P.) 

St.  80.  Über  Agrikan  und  die  Belagerung  von  Albrakka  s.  Einl. 
S.  LXXXV'III.  Sakripant  schützte  (bei  Boy)  Augeiikas  SchloU  mit  ge> 
ringer  Mannachaft  bei  einem  nächtlichen  ÜberfalL  (MywoU  varwnadet, 
apcaag  er  ans  dem  Bett  und  Umpfte  im  Hemd  (Verl.  RoL  I,  XI,  36!. 

ZWEITER  GESANG 

St.  I.  Über  die  allgemeiiien  Betrachtungen,  mit  denen  Ariost  die 
Tk>— '  Ges&ige  eiaumleiten  pflegt,  vgL  Gea.  x,  St.  29,  Amn. 

St.  3^  Heiden,  Sarazenen  und  andere  Mohammedaner  weiden  la 

den  alten  Rittergesängen  als  Heiden  bezeichnet. 

St.  10.  Wie  die  Pferde  der  Helden,  haben  ihre  Schwerter  iu  den  Ritter- 
gesängen Namen:  das  Rinalds  heißt  Fusberta  (bei  Pulci  Frusberta), 
daa  Rolaada  Dnrendal  (s.  EinL  S.  LXXXVIII),  daa  Rogers  Balisarde, 

St.  15.  Angclikas  Geschichte  wird  fortgesetzt  Ges.  8,  St.  30.  — In 
Wald,  doch  nicht  in  Kühle  ist  vermutlich  ein  Zitat  (aus  einem 
Volkbhed?), 

St.  21.  Daß  Roger  aus  Höflichkeit  gegen  seinen  Gegner,  der  zu 
PnB  war,  vom  Pferde  stieg,  findet  sich  bei  Bofardo. 

St.  30.  Riaaids  Geschichte  wird  fortgesetzt  Ges.  4,  St.  51. 

St.  31.  In  der  Gestalt  der  Kriegerin  der  Rittergesänge  erkennt 
Pio  Hajna  eine  Erinnerung  an  die  Amaxonen,  mit  der  sich  das  Bild 
Camillas  verband. 

9t.  33.  Über  AgoUnt.  den  Grofivater  Agramanls,  a.  SiaL  8.  XC 
(vgl.  Boj.  I,  27).  —  Ein  Roger:  gemeiBt  ist  Roger  von  Risa  (Reggio), 
der  bei  Bojardo  zu  einem  Nachkommen  HcJrtors  gemacht  ist.  Des 
letzteren  Sohn  Astyanax,  nach  Sizihen  entflohen,  wird  Vater  des  Polydor, 
von  dem  Chlodwig  und  Konstans  abstammen.  Cldodwig  bat  zum  Nach- 
hommen  jenen  Roger  von  Risa,  der  Galadeila,  Tochter  des  Agolaat, 
heiratet  und  Vater  ansres  Roger,  des  von  Boj.  und  A.  geleierten  sagen- 
haften Ahnherrn  des  HawN  Este,  wird.  Weitere  Mttteilangen  *^'»^i^^TT 
bringt  der  36.  Gesang. 

St  33.  AnchFBtrarca(Triomphe  6, 89)  nennt  die  Erde  „die  grofie  alte 
Mutter". 

St  37.  Pinabel  erzählt  die  Geschichte,  um  Bradamant  zu  täuschen. 

St.  41.  Die  Burg  ist  nach  der  Schildemag  vom  Garten  des  Atlaa 
bei  Boj.  dargestellt. 

St.  43.  Vom  Hirten  der  Watfea  durch  Etntanchen  in  die  Fluten 
das  Styx  spricht  Vergil  (Aen.  XII,  91):  Stygia  candentem  Vokaana 
tinxerat  unda. 

St.  47.  Das  Gleichnis  findet  sich  hei  Dante  (Purg.  III,  69):  „Soweit 
ein  guter  Schleuderer  mit  der  Hand  wirit". 


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ANMERKUNGEN 


327 


St.        Der  Zauberschild  erinnert  an  den  Schild  des  Perseus. 

St.  i£.  er  fällt,  wie  tote  Körper  fallen",  Zitat  nach 

Dante,  Göttl.  Komödie:  E  caddi,  come  corpo  roorto  cade  (Inf.  ^  142). 

St.  £6.   Pyropus  hieB  eine  Metallmischung  von  hellem  Glänze. 

St.  58.  Mains  erscheint  in  den  alten  Rittergesängen  als  Heimat 
der  Verräter;  ihr  Haupt  ist  „der  böse  Ganelon"  Uhlands,  Pinabels 
Oheim. 

St.  62_.  Clermont  und  Mainz.  Dem  Hause  Clermont  gehören 
Roland  und  Rinald  an.  Der  alte  Haß  der  beiden  Geschlechter  spielt 
eine  bedeutende  Rcdle,  wie  in  andern  Rittergeschichten,  so  im  R.  R.  - 


DRITTER  GESANG 

St.  Gluten  ganz  besondrer  Sorte :  die  leise  Ironie,  die  in  die  Verherr- 
lichung sich  mischt,  kommt  in  dem  etwas  vulgären  Wort  zum  Ausdruck. 

St.  j.  Der  Gigantenschlachten,  deren  Apoll,  Zeus  verherrlichend, 
gedenkt,  tut  Tibull  Erwähnung  (üb.  II,  el.  £). 

St.  fi-   Forts,  der  Geschichte  Pinabels  Ges.  20^  Str. 

St.  Q.  Merlin  der  Weise,  nach  der  Sage  Zeitgenos.se  des  britischen 
Königs  Artus,  gedachte  für  Vivianc,  „die  Frau  vom  See",  die  ihn  zu 
lieben  vorgab,  m  Wald  ein  Grabmal  zu  bauen.  Viviane  veranlaBte  ihn 
eines  Tags,  sich  hineinzulegen,  um  den  Umfang  festzustellen.  Dann 
hielt  sie  ihn  durch  einen  Zauberspruch,  den  er  sie  selbst  gelehrt  hatte, 
dort  fest.  Merlin  starb,  aber  durch  die  Kraft  des  2^ubers  konnte  sein 
Geist  das  Grab  nicht  verlassen  und  fuhr  fort  zu  reden  und  zu  weissagen. 

St.  i_L  Es  ist  schwer,  hier  mit  Papini  eine  Erinnerung  an  Juvenal 
(Sat.  II,  63J  Dat  veniam  corvis,  vexat  censura  columbas)  zu  sehen.  Auf 
mittelalterlichen  Gemälden,  z.  B.  in  Santa  Maria  Novella  zu  Florenz,  sind 
die  Seelen  der  Abgeschiedenen  als  Raben  und  Tauben  dargestellt. 

St.  LZi  Wenn  R(^er  (nach  Bojardo)  von  Astyanax,  des  Priamus 
Enkel,  abstammt,  so  nahm  man  im  Mittelalter  als  Stammherm  des  fran- 
zösischen Königshauses  einen  fabelhaften  andern  Enkel  des  Priamus, 
namens  Francus,  an,  von  dem  das  Geschlecht  von  Clermont  seinen 
Ursprung  herleitete,  also  auch  Bradamant.  Zwei  Bäche  trojanischen 
Blutes  vereinigen  sich  durch  Rogers  Ehe  mit  ihr  zu  einem  Strom. 

St.  2Q.  Nachahmung  Vergils  (Aen.  IV,  71 3 ff.). 

St.  21^  Das  Pentagon  (Ariost  schreibt  Pentacol),  ein  fünfscitiges 
Stück  Metall  oder  Stein,  wurde  als  Amulett  am  Hals  getragen,  zum 
Schutz  gegen  Krankheiten,  Zauber  usw.;  es  entspricht  dem  „Druden- 
fuß" der  deutschen  Hexen. 

St.  24.ff.  Die  hier  beginnende,  anfangs  fabelhafte,  Genealogie  des 
Hauses  Este  und  die  damit  verbundenen  Anspielungen  auf  historische 
Ereignisse  sind  für  Geschichtskundige  vielfach  von  Interesse.  Eine 
gründliche  Erörterung  darüber  findet  sich  in  der  Ubersetzung  des 


328 


ANMERKUNGEN 


R.  R.  von  Lütkemüller  (Zürich  1797).  —  Des  Hauses  Haupt: 
gemeint  ist  ein  nach  des  Vatcfs  Tod  gcborner  Roger  IV.,  der  den  Vater 
an  den  Mainsern  gerächt  haben  solL  —  In  Ponthieu»  einer  Land- 

Schaft  in  der  Picardio,  soll  Roger,  Bradamante«:  Gatte,  in  einen  SchloB 
von  den  Mainzern  durch  Verrat  getötet  worden  sein. 

St.  25.  Este  und  Calaone,  zwei  Schlösser  im  Paduanischen,  soll 
dieser  Roger  für  Taten  im  Krieg  gegen  den  Langobardenkönig  Desidevios 
zur  Belohnung  erhalten  haben. 

St.  26.  Das  Panier  der  Schlangen,  Mailands  Wappenzeichen, 
wurde  erst  von  den  Visconti  gebraucht.  Ariost  hat  sich  einen  Ana- 
chronismus zuschulden  kommen  lassen.  —  Das  Keich  der  Insubrer 
ist  die  LombardeL 

Von  St.  34^90  sind  viele  Irrtümer  Ariosts  zu  berichtigen,  wie  Lfit  ke- 
mflller  darp;etan  hat.  Besonders  hinsachtlicll  der  in  St.  2f  genannten 
Persönlichkeiten  herrscht  Verwirrung. 

St.  28.  DaO  A.  hier  Namen  verwechselt,  hat  Gildemeister  ge- 
teigt:  „mdit  Foico,  sondern  Weif  der  VUsrte,  Sohn  des  MaAgmfen 
Azzo  von  Este  und  der  Weifin  Kunigunde,  wurde  X055  von  seiner 
deutschen  Großmutter  Irmengard  nach  Bayern  perufen,  um  sich  nach 
Erlöschen  des  Mannsstammes  der  weUischen  Besitzungen  anzuuchinen, 
heiratete  die  Tochter  des  Sachsen  Otto  von  Nord  heim  und  wurde  der 
Stam  nt vater  des  michtigiilwi  deulschen  FflistengescbleclitB,  wdcbes 
das  sächsiscbe  mit  dem  bayrischen  Hersogtom  sn  vereinigen  wuBta. 
Von  diesem  Rste  stammen  das  Bans  Hsnnover  mid  das  Hans  Brann> 
sch  weig-Lün  eb  urg . ' ' 

St.  29.  „Mathilde,  die  weise,  mit  des  Ruhmes  blankem 
Schilde"  scheint  manchem  auf  die  berühmte  Grfifin,  IVeondin  des 
Papstes  Gregor  VIL,  zu  gehen.  Sie  war  aber  snerst  mit  Gottfried  von 
Lothringen,  dann  mit  Weif  V.,  Herzog  von  Bayern,  verheiratet,  nicht  mit 
einem  Albertazzo.  In  Wirldichkcit  wollte  A.  wohl  von  der  Gräfin 
Mathilde,  der  Mutter  Albertazsos  II.,  sprechen. 
/  St  30*.  Ober  die  Person  dieses  Rinald  herrscht  auch  Unklarheit. 

Nicht  Bertholds,  sondern  eines  Azzo  Sohn  soll  der  erste  Rinald  dea 
Hauses  Eiste  gewesen  sein.  Manche  behaupten,  der  erste  Rinald  dieses 
Geschlechtes  sei  125 1  als  Gefangener  in  Apuhen  gestorben;  er  wäre 
dann  mit  dem  in  St.  38  genannten  identisch.  —  Anch  Tassos  Rinald 
wird  hier  erkannt. 

St.  31^.  Gemeint  ist  AzzoVI.,  als  Oberhaupt  der  Weifen  1207 
Herr  von  Verona,  i3o8  dwch  TmiOSHni  III.  mit  des  Marligralscliaft 
Ancona  belehnt. 

St.  32.  Obizzo:  Obizzo  I.  erhielt  1184  die  kaiserUchcn  Lehen, 
die  sein  Grofivater  Albertasso  IL  besafi.  —  Ein  Polco.  Obixaos  Bknder, 
starb  II 78.  —  Zwei  Weifen:  gemeint  sind  Weif  VI.,  Neffe  Kaiser 

Friedrichs  II.,  Herzog  von  Umbricn  und  Markgraf  von  Toscana,  und 
sein  Sohn  Weli  VII.  —  Azzo  der  Fünfte:  gemeint  ist  Azzo  VIL, 


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329 


Heerfflhrw  des  Papstes  Alexander  IV. ;  er  besiegte  1359  Ezzelino  da 
Roio>oo. 

St.  14*  Die  Stadt  ist  Ferrara.  Asso,  der  bier  als  Henr  Ton  Fw- 

rara  gefeiert  wird,  war  Azzo  VI.,  Vater  des  vorigen.  A.  hat  die  Namen 
verwechselt.  —  Der  Fluß,  wo  Phöbus  rief.,.:  in  den  Po  (den 
Eridanus  der  Alten)  soll  Phaethon  bei  seinem  Sturz  aus  dem  Sonnen- 
wagen gelaOen  teiii.  Die  SdiweBtern  Phaethon»  wniden  vondenGOttetii 
aus  Ifitldd  mit  ihrem  Sefamefs  in  bemsteinweinende  Binine^  der  Xttnig 
Cygnus  in  einen  Schwan  verwandelt. 

St.  35.  Aldobra  ndi  n  ist  der  Bruder  des  sechsten  (nicht  des  fünften) 
Azzo.  Aul  Veranlassung  Innozenz  des  Dritten  und  mit  Geldunter- 
stfltnmg  der  Florentiner  besiegte  er  1215  die  zu  Otto  IV.  haltenden 
Grafen  von  Celano  bei  Ancona.  Diese  Stadt  erhielt  nachher  Aldobrandin 
ab  päpstliches  Lehen.  —  Pisenen  sind  die  Bewohner  der  Ifaricgraf- 
schait  Ancona  (Piccnum). 

St.  37.  Pisaurum  ist  Pesaro.  —  Der  Isauro  und  der  Troento 
(Tronto)  sind  Flfisse,  die  sich  ins  Adriatische  Meer  ergießen. 

St  38.  Über  diesen  Rinald  von  Este  s.  St.  30.  Er  starb  an  Gift 

—  Obizzo,  ein  natürlicher  Sohn  Rinalds  (bei  Dante,  Inferno  XII, 
erscheint  er  unter  den  Gewalttätigen  in  der  Hölle),  wurde  vom  Papst 
Innozenz  legitimiert  und  folgte  1264  in  der  Herrschaft  von  Ferrara.  £r 
stand  Karl  von  Anjou  gegen  lianfred  und  Konradin  bei. 

St  39.  Reggio  il  Giocondo.  Diese  Benenaung  der  Stadt  Reggio-Emi- 
lia  ist  ein  geflügeltes  Wort  geworden.  Der  hier  genannte  Azzo  war 
der  achte,  nicht  der  sechste.  Karl  von  Anjou  ernannte  ihn  im  Kreuzzug 
zum  Gonialouiere  und  gab  ihm  seine  Tochter  iieatricc  zur  Frau.  Sie 
bracht»  Asso  die  Herrschaft  Andria  bd  Bari  als  Mitgift 

St  40*-«.  Obizso  (St  38)  hatte  anBer  Asso  Vni.  noch  einen  Sohn 
Aldobrandin  (f  1326).  Von  Azzos  VIII.  Söhnen,  Rinald,  Niccold, 
überlebte  Obizzo  seine  Brüder.  Er  starb  1352.  Einer  seiner  Söhne 
und  sein  Nachfolger  war  Aldobrandin  (|  1361);  ein  auacrcr  Niccold 
wird  als  der  ,»Zoppo'*  (Lahme)  Ariosts  gedentet:  er  erwarb  FaaM  und 
starb  1386b  Alberto,  ein  dritter  Sohn  Anas  und  Herr  von  Ferrara, 
starb  1353. 

St.  41.  Die  Stadt,  die  nach  dem  Rosensegen:  ist  Rovigo  (das 
Rhodigium  der  iVlten,  vom  griechischen  Khodon,  Kose);  die  im  Fische- 
snmpf  gelegen,  ist  Comacchio im  Ferraresischen,  zwischen  den  beiden 
Po-Armen  (,, Hörnern"),  die  Primaro  und  Volano  heißen. 

St.  42.   Niccol6  (der  dritte)  folgte  .seinem  Vater  Alberto  als  Kind. 

—  Tideo,  Graf  von  Cunio,  suchte  vergeblich  einen  Azzo  auf  den  Thron 
zu  setzen. 

St  45.  Oto  Torso  von  Psrma  nahm  Reggio  dem  Hans  Este  weg 
und  drohte  SehUmmeres;  aber  Miceolft,  hersngowachsen,  tfitete  ihn. 

St  45.  Lio  nel  tmd  Borso  waren  Bastarde  Niccolös.  Lionel  herrschte 
bis  1450,  dann  rief  Borso  die  rechtmifiigen  Söhne  Niccolte,  Ercole  und 


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330 


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Sigiaamid»  ans  Neapol  sorOek  und  hialt  rie  wie  eigene  Kinder.  Bmo 
ffthtte  alf  enter  den  Herao^titel;  er  starb  giUebt  nnd  gefeiert  t47K. 
St.  46—47.    Ercole,  rechtmäßiger  Sohn  des    1441  gestorbenen 

Niccol6,  kam  30  Jahre  nach  dem  Tod  seines  Vaters  zur  Regierung, 
1471.  Schon  vorher,  1467,  hatte  er  die  hier  erwähnten  kriegeri&cbea 
Lorbeeren  gepflftekt:  er  beifehligte  im  Kriege  g^eo  FknoM  eine  rme- 
zianiscbe  Abteilung  in  der  Schlacht  bei  Badria  Wiewohl  aai  Fbfie  ver- 
wundet, brachte  er  das  bereits  fliehende  Heer  zum  Stdien  un<^l  rettete 
den  Tag  für  Venedig.  Später,  1471,  standen  ihm  die  Venezianer  als 
Feinde  gegenüber.  Sie  überfielen  ihn  und  verfolgten  ihn  bis  nach  dem 
Scbloase  Barco  bei  Ferrara.  Ober  Ercole  L  Nihere*  in  dem  trfffHrhm 
Werk  von  Edmand  G.  Gardner:  Doka»  and  poela  in  Fenara. 

St.  49.  Der  geflügelte  Löwe  ist  das  Wappen  von  Venedig.  — 
Der  Gallier  Fackeln  geht  auf  den  Krieg^zxig  Karls  VIII.  von  Frank- 
reich (I4SK)'  Hrcole  wußte  durch  diplomatische  Klugheit  seine  Neutra* 
lltit  aa  bewakren  mid  aein  Land  vor  den  Leiden  des  Kdegea  aa  achätaen. 

St.  5a  Alfonao  nnd  Ippolito,  Ariosts  Gtener,  waren  Sfibno  daa 
Eroole:  Allbna  L,  swei  Jabre  jlbiger  als  Ariost,  regierte  von  150$  laa 
1534.  Ippolito,  geb.  1479,  mit  vierzehn  Jahren  Karflinal,  starb  1520. 
—  Vom  Geschlecht  des  Schwans:  Jupiter  besuchte  Leda  in  Ge- 
stalt eines  Schwans;  von  ihren  Söhnen,  Kastor  und  PoUux,  starb  der 
entere,  während  Fallnz  nnsterbück  war.  Um  sich  nicht  ron  Bmder 
ru  trennen,  teilte  Pollux  die  Hälfte  des  Jahres  die  Untertrat  mit  Kaator, 
während  dieser  die  andere  Hälfte  mit  ihm  leben  durfte 

St.  51.  Asträa,  Enkelin  des  Titan,  wohnte  im  goldenen  Zeitalter 
mit  den  Göttern  auf  der  Erde.  Nach  den  Untaten  der  Menschen  kehrte 
sie  in  den  Himmel  mrOck»  Der  Sinn  ist  hier:  darch  AUbna  ist  daa 
goldene  Zeitalter  wieder  fingffkfthrt. 

St.  52.  .Mfons  I.  nahm  1509  an  der  Liga  von  C.inibrai  gegen  Venedig 
teil.  Da  trat  der  Papst  Juhus  II.  plötzlich  von  der  Liga  zurück,  und  Alfons 
hatte  sich  nun  sowohl  g^en  die  Veneciaaer  wie  gegen  die  römische  Kirche 
(„die  Matter,  vie]mebrStiefmtttter")an  wekren.  R«gaia(?KMeden. 

St.  53*.  Die  Romagnolen  zogen,  von  JuUus  II.  anfgereiat,  gegen 
Alfons  I.,  wurden  von  ihm  aber  beim  Kanal  Zanniolo,  swiechen  den 
Flüssen  Po  und  Santemo,  geschlagen. 

St.  54.  Der  spanische  Mietling  geht  auf  die  Söldnerschar  des 
Papstes,  die  dem  Hersog  Alfons  die  sogananats  Bsstia  nahmen  nnd  den 
B^ddsbaber,  der  sich  kriegsgefangen  gegeben  hatte,  töteten.  Alfons 
ward  verwandet ;  seine  Leute  hielten  ihn  für  tot  nnd  hieben  des  Papstes 
Mannschaft  bis  auf  den  letzten  Mann  nieder. 

St.  55.  geht  auf  die  Schlacht  von  Ravanna  (Oitem  1518).  Der 
Tag  sefl  sagnasten  der  F^sosen  dnrcb  die  von  Alfens  befehligte  ferra> 
rcsische  Artillerie  entschieden  worden  sein. 

St.  56'.  An  Ippolitos  Hofe  lebte  ein  wenig  bekannt  gewordener 
Dichter  Andreas  Marone,  dessen  noch  m  der  2.  Satire  Erwähnung  geschi^t. 


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331 


Vielleicht  hat  Arioet  ia  Miaer  Schalkhaftigkeit  mit  Absicht  die  Stelle  hier 
ao  gefaßt,  daB  man  unter  dem  Bfero  (Vergil)  ihn  «elfaetTentdien  kann. 
St.  57*^.  Ia  Serge  zog  Ippcdito  (der  obrigens  als  tapfrer  Kcieger 

auch  von  andern  geschiklc-rt  wird)  pinmal  za  einer  Schlacht  aus,  weil 
er  nur  ein  kleines  Häuflein,  30«  Reiter  und  300  Mann  Fußvolk,  besaß. 
Die  weit  überlegenen  Venezianer  wurden  indeü  bei  Volauo  geschlagen. 
Fast  aBe  ihre  Schüfe  worden  vom  Kardinal  vernichtet. 

S^-  5^1  59-  Z^wei  Sigismunde:  der  eine  war  ein  Bruder  EtcoIm 
des  Ersten,  der  zweite  ein  Bruder  des  Herzogs  Alfons.  —  Der  älteste 
der  fünf  Prinzen,  Ercolc  (dessen  Thronbesteigung  als  Ercole  II.  er- 
lebte Arioet  nicht),  war  vermählt  mit  Renata,  Tochter  Ludwigs  XII. 
Die  andern  hieBen  Ippolito  Ginniore.  Francesco,  Alfoaa  fein 
natürlicher,  später  legitimierter  Sohn),  Alfonsino  (auch  ein  Bastard). 

St.  60.  Die  Traurigen  sind  zwei  Söhne  Ercoles  I.,  Giulio  (ein 
Ba.<tard)  und  Ferra ntc.  Wegen  einer  Verschwörung  gegen  Alfons, 
deren  sie  der  Kardinal  bezichtigte,  wnrden  sie  zum  Tode  verurteilt, 
dann  sa  efwigem  Kerker  begnadigt.  Giulio  starb  1540;  Ferrante»  anf 
IppoUtos  Betreiben  geblendet,  erhielt  später  als  Blinder  die  Rdhflit 
(I  1561).  Unlängst  hat  Konr.  Ferd.  Meyer  die  Erinnerung  an  dieae 
Familientragödie  in  seiner  Novelle  „Angela  Borgia"  aufgefrischt. 

St.  70.  Hiervon  steht  nichts  bei  Bojardo.  A.  denkt  sich,  daß  Agra- 
mant  nach  dem  Verschwinden  Rogers  den  Ring  wieder  an  Branel  gibt, 
snr  Anfipfirong  des  Gesuchten  (P). 


VIERTER  GESANG 

St.  7.  A.  nimmt  an,  da6  AÜas  nach  Rogns  Verschwfaiden  aus  Afrika 
den  Berg  Carena  verlieB  and  sich  ein  Scblofi  In  den  Pyrenien  erbaute, 

um  Roger  näher  zu  sein. 

St.  II.  ...  ob  Camaldoli  ein  Blick:  Die  Höbe  über  CamaldoU 
in  Toscaaa  bietet  Anasidit  anf  „ein  swiefach  Meer",  das  Ifittel- 
Uadische  und  das  Adriatische  (il  mar  Tosco  e  ü  Schiavo,  „Toskaaer^" 

nnd  ,, Slawen-Meer"). 

St.  13.  Die  vier  Wände  de«  Schlosses  sind  eigentlich  ,,nach  dem 
roten  Strich"  gezogen  (a  iil  de  la  sioopia),  den  die  Holzsäger  auis  Hola 
malten. 

St.  18.  In  Nordlandsbergen:  M(mtiRifei  stdit  im  Original.  Das 

Ripäische  Gebirge  dacütcn  sich  die  Alten  als  das  am  meisten  nördlich 
gelegene  Land.  Anfangs  hießen  so  alle  Berge  nördlich  von  Griechen- 
land, dann  rückten  sie  immer  weiter  nach  Norden  ins  Sarmaten-  und 
Skjrthenlaad. 

St.  39.    Töpfe.  Olle  zubenannt:  Der  fremde  Name  gibt  den 

Gefäßen  etwas  Geheimnisvolles.  Viellficht  hat  A.  das  spanische  OlÜ 
potrida  vorgeschwebt,  ein  Gericht,  das  in  Töpfen  aufgetischt  wurde. 


33^ 


St.  40.  Prasild  und  Irold  werden  scbon  von  Bojaido  (I,  la)  ali 
treue,  aufopfernde  Freunde  gepriesen. 

St.  41.  Der  ersten  Begegnung  Rogers  und  Bradamantes,  wie  sie 
Bojardo  darstellt,  wurde  schon  gedacht  —  (i,  70).  Sie  findet  sich  im 
Vcri.  RoL  ni,  4 — 5  enfthlt.  Zn  merken  ist  noch,  dafl  die  Junglcma 
beim  Bitt  mit  Roger  von  einem  heransprengenden  Mohren  aal  ibr 
unbehelmtcs  Haupt  einen  Schwerthieb  erhielt.  Sie  verfolgt^  verwandet 
den  Sarazenen  und  verliert  so  Roger  aus  den  Augen. 

St.  46.  Über  den  Ilaub  des  Pferdes  Frontalatte  durch  Brunei  s.  EmL 
Von  Stöger,  der  ee  in  seinen  Besits  hekommt,  wurde  ee  Frantin  genannt. 

St.  49.  Forle,  der  Geschichte  Bradamantes  Ges.  f,  St.  33. 

St.  50.  .  .  .  wo  Sei  sich  senkt,  nm  seinen  Wagen  fortan  im 
Krebsesbild  zu  drehn:  Die  Sonne  tritt  zur  Zeit  des  Sommersolstitiunis 
in  das  Zeichen  des  Krebses.  Die  Luitreise  geht  nach  Westen,  Indien  zu. 
Forts,  der  Geschichte  Rogers  Ges.  6,  St  17.  —  Der  Kslsdonischa  Wald 
in' Nordscfacyttland  ist  Schauplatz  der  Artusromane. 

St.  52.  Galaß,  Tristan,  Lancelot.  Galvan:  Helden  vom  Orden 
der  Tafelrunde  des  Königs  Artus.  Galaß  war  Sohn  des  Lancelot. 

St.  53.  Berwick,  Stadt  im  südlichen  Schottland. 
fSt  S3«  IM«  «Ite  Tlsielninde  ist  die  von  Utr,  Vater  des  Artus;  die 
nane  die  des  Artus. 


FÜNFTER  GESANG 

St.  5.  Mykene,  Argos  oder  Theben:  aus  Theben  war  Odipos, 

der  seinen  Vater  tötete  und  die  Mutter  liciratete;  femer  die  Brüder 
Etcokles  und  Polyneikes,  die  einander  töteten;  aus  Argos  Thyestcs,  der 
mit  der  Frau  seines  Bruders  Atrcus  Ehebruch  b^ing,  worauf  letzterer 
den  ans  dem  lasest  Iwnrargegangenen  Sohn  sersMckein  and  den  BItem 
als  Speise  vorsetzen  Üefi;  lemer  Klytämnestra  osw.;  aas  Mykene  die 
Danaiden,  die  in  der  Brautnacht  den  Gatten  ermordeten. 

St.  23.   Das  Gleichnis  erinnert  an  Horaz  Od.  VI,  4,  57  (P.). 

St.  49.  Die  Gescliichte  der  schottischen  Ginevra  hat  viele  Nach- 
ahmungen gefunden.  In  Italien  s.  B.  hat  Msssimo  d'Asei^io  die  Bal- 
koasieae  in  sdnem  Roman  „Fierasmosca"  heräbeigenommen  (s.  Vtot 
Zchech,  Frankf.  Zeitung,  Literaturblatt  13,  Febr  1910). 

St  59.  Capobass:  wt-Iches  schottische  Vorgebirge  A.  mit  Caqpobasso 
gemeint  hat,  wurde  uoch  nicht  festgestellt. 

St  7&  Die  Stadt  Sankt  Andres  ist  St.  Andrews  in  Schottland. 

St.  9i.  Sechs  Ritter,  d.  h.  Sekondisnten  eines  jeden  Kimptos»  die 
am  Eingang  des  abgcRtccktrn  Raumes  standen. 

St.  90.  Mitten  im  Sprechen  ...  Stimm'  und  Leben  schon  ge- 
schwunden sind  zeigt  Erinnerung  an  Dantes  „Quivi  perdei  la  vista  e 
la  parola"  (Purgat),  „zugleich  entschwanden  mir  Gesicht  aod  Sprache**. 


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333 


SECHSTER  GESANG 

St.  13.  Auf  schwarxem  Grunde  (Zeichen  der  Trauer)  die  Farben 
des  gefallenen  Laubes,  Grüngelb,  zu  tragen  war  Sitte  der  Ritter,  die 
eine  trübe  Gemütslage  kundgeben  wollten.  Vgl.  Ges.  33,  St.  47:  dort 
trfigt  Bradunante  mm  Zekheo  ctar  Vemreiflung  die  Partie  des  genitalen 
Laubes. 

St.  16.  Dazia  ist  nach  Papini  nicht  Rumänien,  sondern  Däne- 
mark (Dania),  das  auch  Dana  genannt  wird.  —  Forts,  der  Geschichte 
Rinalds  Ges.  8,  St.  22. 

St,  17.  Das  Zeichen  . . das  Herkules  hat  Schiffern  vor- 
geschrieben: die  sog.  S&ulen  des  Herkules»  die  Vorgebirge  Abyla  und 
Calje  an  der  Meerenge  von  Gibraltar  (vgl.  Dante,  Inferno  26,  I07). 

St.  18.   Des  Blitzes  Träger:  Der  .Adkr  Jupiters. 

St.  19.  In  der  Insel  sehen  Foruari  u.  a.  Zipagu  oder  Cipingu,  das 
heutige  Japan.  —  Die  Nymphe  Arethusa,  in  eine  Quelle  verwandelt, 
floh  vor  dem  FluBgott  Alpheus  auf  unterirdischen  P^en,  ohne  je  sich 
mit  dem  Meere  zu  mischen,  nach  Sizilien  (Syrakus). 

St.  20 ff.  Bei  aller  starken  Wirkung  der  laudschaftlichtn  Umgebung 
auf  das  Gemüt  des  Renaissancemenschen  „finden  sich  eigeutlichc 
Beschreibungen  großer  landschaftiicher  AnbUcke  kanm,  weil  Lyrik, 
Epos  und  Novelle  in  dieser  energischen  Zeit  andres  sn  tun  haben.  Bo- 
jardo  und  Aiiosto  zeichnen  ihre  Naturszenerie  sehr  entschieden,  aber 
so  kurz  als  möglich,  ohne  sie  je  durch  Fernen  und  große  Perspektiven 
zur  Stimmung  beitragen  zu  lassen,  denn  diese  Uegt  ausschließlich  in 
den  Gestalten  und  Ereignissen."  So  Bnrckhardt,  der  bei  Ariost  das 
ausgeführte  Bild  dieser  Art  findet.  Hier  der  sechste  Gesang  „besteht 
aus  lauter  Vordergrund"  (Kultur  der  Renaissance  II,  S.  34). 

St.  27  erinnert  an  Dante,  Inferno  XIII,  40 — 45. 

St.  33.  König  Otto  von  England  war  nach  den  Rittergeschichten 
Sohn  Bernhards  von  dairval  und  hatte  su  Brfidem  Haimon  (Vater 
Rinalds),  Bov  von  Aigremont  (Vater  Aldigers,  Malegis'  und  Vivians). 
Dieser  fabelhafte  Otto  gilt  als  Zeitgenosse  Karls  des  Großen. 

St.  35.   Alcina:  eine  Erfindung  Bojardoe. 

St.  38.  Morgana,  Fee:  Schwester  des  Artus.  (Verl.  Rol.  II, 
XII,  04). 

St.  51.  Homer  und  Apulejns  berichteten  von  1  Verwand- 

lungen. 

St.  63.  Nach  Casella  stellt  der  ohne  Zaum  die  zügellosen  Sünder 
dar,  der  langsame  den  Sflader  aus  Schwiche,  der  Springer  den  Gewalt- 
tätigen; die  ftlirigen  sind  die  Fdgen,  Stolsen  (auf  Adlern  und  Kra- 
nichen), Prahler  (mit  dem  Horn),  Sünder  g^^  die  Natur,  Delrftger, 

Diebe,  Räuber. 

St.  66.  Briareus,  ein  hundertarmiger  Gigant  der  griechischen 
Mythologie. 


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334 


\  N'M  F     K  T'  N"  G  F  V 


St  tip.  Du  Einhorn  ist  das  SinnhiM  der  Kemchheit 
St.  73.   Der  ergraute  Gedanke  erinnert  aa  Petrarca  (Rime  2,  179): 
Pensier  canuti  in  giovcnile  etade  (P.)- 

St.  78.  Eriphyle  (Bild  der  Habsuciit?)  soU  vielleicht  an  Eri- 
pbyle,  Gattin  des  Ampbiarans,  erinncm,  der  um  eines  von  Poljneikan 
gesendeten  goldenen  Hsbhaiirles  willen  von  ibr  vemten  ward. 

SIEBENTER  GESANG 

St.  II.  Es  mischt  sich  der  Rosen  Rot  und  desLignstcrs 

Weiß:  man  hat  hierin  eine  Erinnerung  an  Ovids  Candida  purpureis  UÜa 
mixta  rosis  uud  Petrarcas  Canzone  28,  St.  6  gesehen :  Sc  mai  candidc 
rose  con  vermigUc;  auch  an  Poliziano  (Stanze  2,  44):  Dolce  dipinto  di 
ügiistre  e  rose. 

St.  20.  Der  Assyrerkünig  Ninus  wie  seine  Nadiiblger,  namentiSch 
Sardanapal,  waren  der  Schwel^^erei  ergeben.  —  I?o  mas  Rächer  ist  Cäsar. 

St.  23.  Arachne,  eine  stolze  Weberin,  hatte  Minerva  zum  Wett- 
streit herausgefordert,  erlag  und  wurde  in  eine  Spinne  verwandelt. 

St  38.  Das  Pontier  hier  ist  wohl  nicht  das  Ges.  3,  94  erwftbnte 
PoDthieu  der  Mainzer.  Manche  denken  an  die  Grafschaft  Ponthicr  im 
Departement  der  Somme,  andere  an  Pontrieux  (Cöt(s  du  Nord),  wo 
nach  Casella  noch  das  Grab  Merlins  gezeigt  wird.  (F.) 

St.  41.  Petrarca  (TrionL  d.  Fama,  9):  Was  den  Menschen  dem  Grab 
entsieht  nnd  dem  Leben  erhält. 

St.  49.  Forts,  der  Geschichte  Bradanumtes  Ges.  13,  St.  45. 

St  50.  Alchino  und  Fariarello  erscheinen  als  Dämonen  bei 
Dante  (Inferno  ai). 

St.  55.  Valencia  in  Spanien  galt  als  Ort  der  Üppigkeit  und  Schwel- 
gerei (Pomari). 

St.  57.  Atys  wurde  von  Kybele  gelieb^  Adonis  von  Venus. 

St.  60 — 63.  Eine  der  vielen  Anspielungen  auf  das  Haus  Este,  ai» 
dessen  Stammvater  Roger  galt. 

St.  61.  Nach  Plato  waren  die  Seelen  vor  den  Körpern  da  (als  Ideen). 

St  65.  Der  Name  Melissa  besagt  vidleicht  „die  Sorgliche"  (vom 
griech.  idleiy).  Im  R.  R.  ist  die  Aufgabe  Mdissas  recht  eigentiich  die 
Sorge  um  Bradaniant. 

St.  73.  Die  „Sibylle  von  Kumä"  galt  (wie  ja  auch  die  Fresken 
IffichdangdoB  in  der  Siactinisdien  Ibpelle  zeigen)  als  sdir  alt;  ebenso 
Hekuba,  Hektors  Mutter  (vgl  Metam.  XIV,  129—153). 

St  77.  Rabikan.  nrsprfinglich  RoO  des  Argalia,  Bruders  der  An- 
gelika (bei  Bojardo). 

ACHTER  GESANG 

St  31.  Forts,  der  Geschichte  Rogers  Ges.  10,  St.  35. 
St  s8.  Ports,  der  Geschichte  Rinalds  Ges.  16,  St  29. 


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ANMERKUNGEN 


335 


St.  29.  El  gab  auch  Eremiten,  die  Mohammede  Lciire  folgten. 
SL  42.  Wat  nfltst  den  Mftdelien  Gtttes,  hmt  man  ihnen: 

Die  Ausleger  erinnern  an  Petrarcas  (Son.  204)  „Das  Bffidchen,  das  sich 
rauben  läßt  die  Ehre,  das  ist  kein  Weib  mehr,  ist  nicht  mehr  am  Leben." 

St.  45.  WieSan  ktHilarion:  ImOriginalsteht„Paulund  Hilarion"; 
der  erstere  war  ein  Einsiedler  in  Ägypten,  der  zweite  in  Palästina. 

St.  51.  Ebnda  aoU  das  bei  tat  SchiiftsteUem  tidi  findende  Eba- 
darium  Min  nad  wird  für  eine  der  Hebndeninseln  gehalten,  etwa  Mull. 

St.  52.  Der  Meergott  Proteus,  Sohn  des  Okeanos  und  der  Thctis, 
erhielt  von  Poseidon  die  Hütung  der  Seeherde  übertragen  und  hatte 
die  Gabe  der  Weissagung. 

St.  66,  Forts,  der  Gesdiichte  AngeKkas  Ges.  10,  St.  93. 

St.  73.  In  Naims'  Hand:  s.  Einl.  S.  XCIV. 

St.  79.  Die  Stelle  crinnertan  Vergil,  Aen.  VHI,  26:  N<»  erat,  ettocras 
animalia  fessa  per  omnes  ....  sopor  altus  habebat. 

St.  84.  Der  Name  Güldenzaum  (BrigUadoro)  ist  eine  Erfindung 
Bojardos.  In  der  Chanson  de  Roland  heißt  das  Pferd  VdODantif. 

St.  85.  Amostant  wird  als  ein  sarazenischer  Titel  angesehen. 

St.  86.  ...  gön n t  a uch  de  m  Oh m  kei n  Abschiedswor t :  Bertha, 
Karls  Schwester,  war  Rolands  Mutter.  —  Ober  Brandimart  s.  Einl. 

s.  xca 

St.  88.  FlacdeÜB  (bei  Bojaxdo  FSordelisa),  Tochter  des  Königs  Do* 
listone,  wuchs  mit  Brandimart  zusammen  auf  und  verliebte  flach  in  ihn. 

• —  Forts,  der  Geschichte  Brandimarts  Ges.  31,  St.  59. 

St.  90.  Forts,  der  Geschichte  der  Flordelis  Ges.  24,  St.  53. 

NEUNTER  GESANG 

St.  8.   Nun  trennt  ein  Fluß  Bretonen  von  Normannen: 

der  Couesnon;  er  mündet  bei  Beauvais. 

St.  15.  St.  Malo,  Seehafen  in  der  Bretagne.  Der  berühmte  Mout 
Saint  M ichd  erhebt  sich  dort 

St.  16.   Brieuc:  Dorf  am  Meer  im  Dep.  Ule-et-Vilatne.  Land- 

riglier:  Lantrcgnicr,  Dorf  (Cdtes  du  Nord). 
St.  17.    Antwerpens  Strom:  Die  Scheide. 

St.  23.  Seeland:  die  dänische  Insel  ist  gemeint,  wie  aus  Ges.  10, 
St.  16  hervorgeht,  wo  Biren  nnd  die  Seinen  von  Holland  auf  dem  Wey 
nach  Seeland,  „um  nicht  Fiicslsnd  m  berühren",  sich  links  nad>  Schott- 
land halten.  (P.) 

St.  25.   Früher  bewohnten  die  Friesen  auch  das  nördliche  Holland. 
Der  Rhein  war  die  Grenze  zwischen  Friesen  und  Batavern  (P.). 

St  43  erinnert  an  AeneSs  Vj  481 :  Stemitiir  exanimisqae  tremens 
procnmbit  humi  bos.  (F.) 

St.  59.  Durch  mn  neben  tiefen  Teich:  die  vide  Inseln  ent- . 
haltenden  Meeresteüc  bei  Seeland. 


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St.  6s*  Volano  (oder  Volana)  ist  ein  Zweig  des  Po. 

St.  77.  Der  Riese  Anttoft  eriiklt  darck  jede  Berührung  seiner 

Mutter  Erde  neue  Kraft. 

St.  88.  Nach  den  Ritterbüchern  war  Roland  römischer  Senator. 


ZEHNTER  GESANG 

St.  3.    Helena,  die  den  Trojanerkrieg  hervorrief. 
St.  9.  Das  Gleichnis  vom  Rebstock  findet  sich  bei  Ovid,  Metcunor- 
phoaea  14. 

St  is^  lehnt  nUh  an  Ovid  (Metern.  6):  Pro  enperi,  qnaatam  mor- 

taUa  pectora  etc. 

St.  20.  Alcyone:  der  Eisvogel.  Alcyone,  Königin  von  Thrazien, 
klagte  beim  Tod  ihres  Gatten  Ceyx  so,  daß  die  Götter  aus  Mitleid  beide 
in  Eisvögel  verwanddten.  —  Von  hier  bis  eor  Stanze  35  folgt  A.  tut 
Schritt  für  Schritt  Ovid  (Epist.  10),  iro  die  verlaasene  Ariadne  über 
Theseus  kla^t.  (P.) 

St.  34.  Hekuba  wurde  nach  Ermordung  ihres  letzten  Sohnes  Poly- 
doroe  rasend  und  von  den  Göttern  in  eine  wütende  Hündin  verwandelt. 
Vgl.  Inferno  30,  i6iL 

St,  35.  Forts,  der  Geschichte  Olympias  Ges.  n,  St.  54. 

St.  37.  Alexandrien  in  Ägypten  war  durch  seine  Teppiche  berühmt. 

St.  44.   Vgl.  Dante  Purgat.  28,  44. 

St.  52.  Vier  Damen:  es  sind  die  vier  Kardinaltugenden  Tapfer- 
keit ( Andronika),  Klngheit  (Pbronesia),  Gerechtigkeit  (Dikilla),  MaOignng 
(Sophrosyne),  wie  die  Namen  deutlich  seigen.  Dwch  sie  überwindet 

Roger  die  Alcine  (sinnliche  Lust). 

St.  56.  Klotho,  Eine  der  drei  Parzen,  schneidet  eigentlich  nicht 
den  Lebensfaden  ab;  dies  kommt  der  dritten,  Atropos,  zu,  während 
Lacheste  den  von  Klotho  angesponnenen  weiterspinnt  —  Von  vielen 
Dichtem  schon  vor  A.  wird,  wie  Papini  bdegt,  der  Fane  statt  der 
Spindel  (fuso)  ein  Haspd  (aspo)  gegeben. 

St.  56.  Die  Herrscherin  des  Nils.  Klcopatra,  gab  sich  selbst 
den  Tod. 

St.  66b  Aquitanien:  das  spätere  Gnyenne  nnd  Gaacogne.  Roger 
wollte  sam  Schloß  der  Bradamante  an  der  Dordogne  geben.  —  Dem 
Hippogryphen,  d.  h.  der  Phantasie,  wird  ein  Zaum  gegeben:  man  soll 
sie  lenken  können.  (P.) 

St.  69.  Die  drei  Könige  ans  dem  Morgenlande  nahmen  bei  ihrer 
Rückkehr  von  Bethlehem  einen  andren  Weg  als  auf  der  Hinreise. 

St.  71.  Ariosts  Geographie  von  Asien  wird  zumeist  auf  den  Angaben 
des  Venezianers  Marco  Polo  beruhen.  Katai  ist  China,  von  A.  frciUch 
widerspruchsvoll  gekennzeichnet,  oder  der  Norden  dieses  Reiches,  Q  uin  - 
sai  ist  Nanking,  Mangiana  Südchina,  Himavns  oder  Imana  das 


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ANMERKUNGEN 


337 


Himalayagebirgc  cxler  die  Steppe  Pamir,  Serikanie u  die  Mongolei,  die 
Fluten  von  Hyrkanien  das  Kaspische  Meer;  Sarmaten  sind  die 
Bewohner  des  (Setiichen  Rnfiland.  Die  Alten  unterschieden  ein  enro- 
päischw  und  ein  asiatisches  Sarmatenland ;  Grenze  war  der  Tanais  (Don). 

St.  85.   Der  Graf  von  Ottonley  führt  die  Mannschaft  von  Athol. 

St.  92.  Hibernien:  Irland.  —  Des  guten  Heil'gen  Grotte: 
Der  Apostel  von  Irland,  Sankt  Patrick,  soU  dort  in  einer  Höhle  durch  ein 
„Fegefeuer"  MeneRhea  «or  Seligkeit vocbeieitet haben.  DieeeB„F^|eiener 
des  heiligen  Mrick"  spielt  noch  in  den  Liedern  des  Thomas  Moore  eine 
Rolle. 

St.  94.  Gebunden  harrte  sie:  Bei  diesem  Abenteuer  der  Angelika 
wie  bei  dem  nachfolgenden  der  Olympia  ist  das  Vorbild  der  Sage  von 
FiBfeeoB  vnd  Andromedn  nidit  sa  verkennen. 


ELFTER  GESANG 

St.  3.  Xenokrates,  griechischer  Philosoph,  berühmt  durch  seine 
Enthaltsamkeit. 

St.  4.  Am  „Steine  des  Merlin"  (vgl.  Ges.  3,  St.  10)  stand  das 
Zelt  Angclikas  und  ihres  Bruders  Argalia  nach  ihrer  Ankunft  in  Frank- 
reich. Rinalds  Vetter  Malegis,  Sohn  des  Bov  von  Aigrcmoiit,  überfiel 
sie  nachts  und  glaubte  Angelika  durch  Zauber  in  unerwccklichen  Schlaf 
versenkt  zn  haben;  ihr  Ring  machte  den  Zauber  unwirfcBam.  Malegis 
wurde,  von  beiden  gefangen,  nach  Katai  zum  König  Galafron  geschickt. 
—  Dragontina,  eine  Fee  (bei  Bojardo  I,  14)  hielt  Roland  und  andere 
Helden  gefangen,  bis  Angelika  die  Ritter  mit  Hilfe  des  Rings  befreite. 

St.  5.  Der  arge  Alte  war  (bei  Bojardo)  ein  Diener,  der  Angelika  in 
einen  Turm  lockte.  Durch  den  Ring  geteng  die  Rettung. 

St.  12.  Amaryllis  usw.,  Namen  von  Hirtinnen  und  Hirten  ans 
Vergils  Eklogen.  —  Forts,  der  Geschichte  AngeUkas  Ges.  13,  St.  33. 

St.  20.  Das  Gleichnis  erinnert  an  Aeneis  IX,  563. 

St.  31.  Forts,  der  Geschichte  Rogers  Ges.  12,  St  17. 

St.  33.  Anepiehmg  «nl  Bertiiold  Sdiwars.  Papini  meint,  A.  habe 
nur  die  deutsche  Erfindung  der  Hakenbüchsen  im  Auge. 

St.  28.   In  Dantes  Inferno  birgt  die  unterste  Hölle  den  Judas. 

St.  33.  Vgl  Dante,  Purgat.  3,  67:  „so  weit  ein  guter  Schleuderer 
mit  der  Hand  werfen  würde". 

St.  34:  anch  bei  Ovid  (Metern.  IV,  688)  hat  das  Mieemngetfim  die 
ganze  Meeresfläche  unter  sich  (latum  sub  pectore  poeiidet  aeqnor)^ 

St.  35.   Vgl.  Valerius  Flaccus  II,  515  (P.). 

St.  40.   Vgl.  Ovid,  Metam.  IV,  720 — 721. 

St.  44,  8.  VgL  Dias  I,  558;  Odyss.  I,  29  (P.). 

St.  45.  Ino,  vm  d^  Wnt  iluee  Gatten  Atbamas  sn  entgdien,  warf 
eich,  Sven  Söhn  Melicertos  umschlingend,  ins  Meer  (v|^  Dante,  Inferno 


Arlost  I 


33 


AXXERKUKGEN 


i^eide  wwcka  m  JÜeergottbmea  verwuideit.  —  Neridea. ' 


St. 
St. 


la 


JUA^ttd  tpit  in  dem  Ritterfcrö'Zh^rn  als  feint  «cd  uu»g»  dcdbar, 
\  krion  «rr^rdi^  ron  Lnana,  wcü  er  Mc  im  Bade  T^rT*r<*^  in 

7».    Amyktt  m 
wird  hier  dii 

71.   In  Kroton  foder  in  Aif^nj^irnt)  «oü  Zeuxr>  «eine  Jano 
;  viele  ri'rr  "-.hön-it/ n  Frauen  dienten  ihm  ;ils  Mc^  .'.!  : 
t2.   Der  Widder,  der  FhryTLiL->  und  Helie  aoi  lixid  Fluciit 
Thrtca  tfafdi  dis  iJUtt  tnis«  wds  aalcc  dfe 
M  Zekhea  des  „WiddMs"  «ritt  die  Sone  an  2t. 
Mft  «ooitt:  alt  »  FrthlinK  war. 


ZWÖLFTER  C£SA^'G 

St.  I.  Ceres,  von  einem  Besuch  bei  der  Götterrauttcr  Kybele  (die 
auf  dem  B^-rg  Ida  ihr  Heiligtum  hatte)  zurückkehrend,  fand,  daß 
ihre  Tochter  l^oaerptna  (Persephooe)  vom  Tal  Enna  am  Fuß  des  Ätna 
vcrschwuaden  wv.  Pluto  hatte  üe  in  die  Unterwelt  entführt.  Dort 
»Mb  ftieg  icUieBtich  Cent  «ad  ted  die  Todtter.  ~  Bei  dieMr  Stelle 
iMt  A.  Claodian  (De  Roierpi.  I,  isBti.)  vor  Augen;  nur  wählt 

er  etatt  QaodiaTi'i  Zypre-ssen  Fichten,  im  Anschluß  an  Ovid  (Metam. 
y,  44t)*  —  Enkelados,  einer  der  Giganten,  ward  von  Zeus  nieder- 
füfliinfiffirt  ood  lebend  unter  dem  Ätna  in  Haft  gehalten. 

9t.  •  caift  wieder  Eriascrnag  aa  Clandian  (m,  386—190). 

St.  S.  CewiMa  EtiuEelbetten  hier  weisen  auf  die  ScMVhraag  dca 
Garten-'«  fler  Dragontina  bei  Bojardo  (I,  IX,  73). 

St.  II.  Ferragu  war  (Ges.  i,  St.  31)  auf  der  Suche  nach  Roland. 
Wir  wissen  nicht,  wie  er  in  das  Nets  des  Atlas  geraten  ist:  ebensowenig, 
wie  Braodiaiart  daliia  kaai,  der  (S,  SS)  Roiaad  aacben  ging  (P.). 

St.  13.  Vier- bis  sechsmal  dient  aar  BeadcbaangciBernnbestlmni- 
ten  Anzahl  von  I'äik-n  (P. ). 

St.  20.  Die  Dame  von  Dordon:  Bradamant.  Dordona  war  ein 
SchloO  Haimons  an  der  Dordc>gne  in  Guycnne. 

St.  aa.  Porta,  der  Geicliiclita  Roge»  Gea.  aa,  St.  aa 

1SL  31.  Brudar  Trojaaa  war  Almont  (a.  EiaL  S.  LXXXIX  and 
Gea.  I,  St.  28). 

St.  43.  Agolants  Sohn,  Almont,  besaß  den  Helm,  den  darauf 
Roland  trug. 

St.  44.  Perragn  erlteaat  Roiaad  aicht,  weil  dieser  beim  Verlaaaaa 
dr^  Srhimseii  das  Visier  lierabgelaflaen  hat.  Im  ScbloB  verhinderte  der 
Zauber  die  Erkenaong. 


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ANMERKUNGEN  339 


St.  59.  Makon  und  Trivtgant  galten  in  den  KittergescUcilten 
als  Götter  der  Sarazenen. 

St<5.  Forts.  d«r  Geschichte  Angdikat  G«8. 19»  St.  17. 
St  69.  Norisi«.  dn  labdinftai  KBoigreicli  in  Afrika. 

DREIZEHNTER  GESANG 

St.  6.  Bayona:  eine  kleine  Stadt  in  Gaiicien  am  Atlantischen 
Osean  (P.). 

St.  IX.  Sankt  Martha:  ein  Flecken  am  Meer  in  Galicien. 

St.  15.  Mongia:  ein  Ort  in  Galicien,  am  Meere  gelegen,  „zwischen 
Cap  Beiern  und  Cap  Coriana"  (Bolz»).  —  Der  Mistral  tanzt:  Mistral 
ist  der  bekannte  provenzalische  Name  für  den  Nordwestwind ;  in  Italien 
lidOt  er  maestro. 

St.  34.  Bilbao.  Stadt  in  Biscaya. 

St.  36.  Chiron  (so  steht  in  den  von  Ariost  besorgten  Ausgaben 
von  1516  und  1532,  nicht  „Charon",  wie  in  späteren  Drucken)  ist 
in  Dantes  Hulie  (Gesang  12)  der  Führer  der  Kentauren,  denen  die 
Bewachung  der  gewalttätigen  Verdammten  oUi^. 

St.  37.  Wie  wohl  der  feine,  gewandte  SfMknier  dnnne  Rohre 
echvingt:  Das  Rohrwerfen,  ein  ursprünghch  maurisches  Reiterspiel 
(juego  de  canas),  von  spanischen  Gauklern  nach  Italien  gebracht, 
eriorderte  groiie  Geschicklichkeit. 

St.  40.  „Turpin**  wird  gern  van  A.  ak  Gewfthnmann  genannt. 
Gemeint  ist  die  sog.  „Chronik  des  Turpin"  (als  .»Pseudo-Turpin"  den 
Gelehrten  bekannt),  die  mit  dem  Anspruch  auftrat,  eine  Niederschrift 
des  Erzbischofs  von  Reims  Turpin,  eines  der  zwölf  Paladine  zu  sein, 
und  Märchenhaftes  über  Karl  den  Großen  und  seine  Paladine  erzählte. 
Ob  das  Abenteuer,  fOr  das  A.  sich  auf  „Turpin"  besieht,  in  jener  Samm- 
hmg  vorhanden  ist  oder  nicht,  gilt  ihm  gleich. 

St.  44*.  Fort«,  der  Geschichte  Rolands  und  isabeUas,  Gesang  %$, 
St.  53. 

St.  59.  Isabella,  Tochter  Ercoles  I.  und  der  Eleonora  von  Aragon, 
alsoSchmster  des  Heraags  Aliens  von  Fenara  und  des  Kardimüs  Ippo- 
ttto.  Sie  lebte  von  1474  bis  1539,  war  Gattin  des  Markgrafen  Gtan> 
francesco  von  Mantua  am  Fluß  Menzo  (Mincio).  Diese  Stadt  soll  von 
Ocnus,  dem  Sohn  der  Tliel)anerin  Manto,  gegründet  und  nach  ihr 
benannt  sein.  Vom  Ursprung  Mantuas  ist  noch  im  43.  Gesang  die  Rede. 
Isabella  »vrnrd  von  Trissino  mit  einer  Kansone,  wm  Bandsllo  in  der 
74.  Novelle  von  Bemi  im  Inn.  I,  2  gefeiert"  (P.). 

St.  60.  „Am  Tarus"  (Taro)  fand  bei  Fornova  1495  ^^"^  Schlacht 
statt:  Gianfrancesco  war  Feldherr  der  vereinigten  ItaUener  gegen 
Karl  VIII.  und  nötigte  diesen,  sich  nach  Piemont  zurückzuziehen. 

St.  61.  Tiphys,  Steuermann  des  Sditffes  „Argo^\  ffihrte  Jason 
und  die  andern  Argonauten  zur  Eroberung  des  goldnen  Vlieses  nach 

22* 


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AMMERKUMGEK 


Kolchis  and  ist  als  das  Urbild  eines  geschickten  Sctuüeknkezs  töer 

SL  63,  6$.  Beatrix  tod  Brte  Cs47$^i497)>  heiratete  t49f  äam 

Herzog  von  Mailand  Lodovico  Sforza,  gen aimtfl  Maro.  Er  geriet  ' :  5^0), 
von  seinen  Schweizern  verraten,  in  die  Gefangensch?.ft  c-:r  Frir.zosen. 
Damals  war  seine  Gattindret  Jahre  tot.  —  Viscontis  Schlangen,  das 
Wappen  ÜMlandf.  —  Zorn  roten  Stnade:  dem  Rotm  Meer. — In  dctaa 
Meer:  das  Atiaatocbe  Meer.  — Dea  Ineubrerland  kt  die  LombeideL 

St.  64.  Pannoniens  Krone  tmg  eine  andere  Beatrix  von  EMb^ 
Tochter  des  Aldobrandin  (Ges.  3,  St.  3),  dritte  Gemahlin  des  Königs 
Andreas  II.  von  Ungarn  (1234).  —  Der  Heil'gen  Namen  einer 
wird  gebühren:  Beatrix,  Tochte^  Azaoe  VL,  grtodete  bei  FMlna  aaf 
dem  BcTjg  Geroda  ein  Kloeter,  wo  lie  1226  starb. 

St.  67.  Ricciarda:  Gemeint  ist  wohl  nicht  die  VOB  cinigea  Eki> 
klarem  hier  erkannte  Mutter  Ercoles  I.,  Markgräfin  von  Saluzzo  (weil 
das  über  die  Söhne  Gesagte  nicht  zutrifft),  sondern  Ricciarda.  Gemahlin 
Azzos,  Sohnes  Francescos  II.  von  Eäte.  Azzo  wurde  nach  einem  von 
ihm  enegteo  Dfligeiluiege  139$  iwerbaoaL  Die  SAhne  eoOea  aidi  «pilcr 
in  Rovigo  niedergela^en  haben. 

St.  68.  Die  erlauchte  Königin,  Leonore,  Gemahlin  Ercoles  I., 
Tochter  des  Königs  von  Neapel  Ferdinand  I.  ans  dem  Hame  Aragon 
(t  1493)»  <^i^^t  als  Königstochter  den  Titel  Königin. 

St,  69.  Locresia  Borgi«  hatte  ali  vierten  Gatten  AUone  L  iron 
Femia.  Mm  hat  A.  dieee  Vcrherrfiehnag  tdur  vefftbelt,  aber  ala 
Hofmann  konnte  er  sie  nicht  umgehen.  Zudem  erschien  Lucrezia  den 
Zeitgenossen  vielfach  in  anderm  Lichte,  Auch  K.  F.  Meyer  in  „.Angela 
Borgia"  hat  in  Übereinstimmung  mit  neueren  geschichtlichen  Forschun- 
gen dicee  Fficsliii  wesentlich  gfiuetiger  datigeetdlt,  ab  man  täm  aaf- 
mfeiern  gewohnt  ist.  Sie  starb  1519. 

St.  72.  Renata, Tochter  Ludwigs  XIT.  und  der  Anna  von  Bretagne, 
war  Gemahlin  Ercoles  II.,  also  Schwiegertochter  Luciezias.  Sie  war 
eine  Schützerin  Condis  und  der  Protestanten,  als  hochherzig  auch  von 
aaden  ZeitgenoBsen  (x.  B.  Braatfime)  gefeiert. 

St  73.  Alda  Ton  Sansogna  heiratete  Albertano  L  (viß.  Ges.  3, 
St.  26).  Von  den  andern  kurz  erwähnten  Fürstinnen,  die  hier  angeführt 
sind,  um  die  Verbindungen  des  Hauses  Este  glänzen  zu  lassen,  mag 
die  schöne  Lippa  von  Bologna  hervorgehoben  werden.  Sie  war  die 
Schwester  eines  Votfshrea  imsres  Dichten,  des  Bonifuio  Ariosti,  der 
die  Fkmüie  Ariost  nadi  Ferrara  nberffihrte.  Lippa,  ob  ihrer  SchOohelt 
gefeiert,  wurde  die  Geliebte  und  später  Gemahlin  Obizzos  III.,  der  auch 
die  Söhne  von  ihr  legitimierte.  Lippa  starb  1347.  (VgL  Einleitnag 
S.  XXIX). 

St.  80.  Forts,  der  Geschichte  BMdamanti,  Ges.  sa,  St.  31. 
St.  81.   Lilieaheer:  das  Fraakenheer,  nach  dem  icaasBsisehen 
Wappen  (späterer  Zeit)  so  genannt. 


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ANMERKUNGEN  341 
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VIERZEHNTER  GESANG 

St.  I — 9  bezieht  sich  auf  die  (Gesang  3,  St.  55)  erwähnte  Schlacht 
bei  Ravenna  {am  Ostertage  1512}  zwischen  den  Franzosen,  denen 
Alfons  I.  sich  angeschloMon  hatte,  und  den  veniaigten  Truppen  der 
Spaninr  und  des  Pspstes  Jgliitii  II.  Der  Hcnpf  Aüona  griff  «rirkaam 
mit  seiner  Artillerie  ein»  ab  tidi  schon  der  Sieg  avf  der  G«ign«r  Seite  wa 
neigen  schien. 

St.  3.  Morinen  hießen  bei  den  Alten  gewisse  Völkerschaften  der. 
GaOia  Belgica,  die  Cslais  ud  Boulogne  als  Halen  beaaflen. 

St  4.  Gelband  Rot  waren  die  qwniiifthen  Plsrben.-~  Die  Eicheln: 
Wappenieichen  des  Hauses  della  Rovere  (Steineiche),  aus  dem  Julius  II» 
entsprang.  Noch  heute  kann  man  auf  seinem  Grabe  in  St.  Peter  zu 
Rom  die  ,|goldnen  Eicheln"  sehen.  —  Als  du  Fabricius  nach  Rom 
entrficktest:  FstMrisio  Colmna,  Fddhetr  der  päpstlichen  Truppe, 
geriet  in  der  Schladit  In  AUooa'  Gefangenschaft  Der  Hersog  lielerte 
ihn  nicht  den  Franzosen,  wiewohl  diese  es  verlangten,  ans,  sondecn 
schickte  ihn  frei  nach  Rom  znrfick. 

St.  5.  Des  römischen  Namens  Säule:  Colonna  (s.  St.  4}  heißt 
Säule.  —  Spieß'  und  Karren  taten  nichts  den  Lilien:  Die  Spanier 
gebrauchten  in  der  Schlacht  Karren  mit  SpieBen,  fthnUch  den  Sichel- 
wagen der  Alten;  sie  erwiesen  sich  aber  als  nnwirhsam  nnd  fchMigten 
die  Franzosen  (.,die  Lilien")  nicht. 

St.  7.  Freude  ward  nicht  laut:  Der  gefeierte  Feldherr  der  Si^er, 
Gasten  de  Foix,  fiel  bei  Verfolgung  der  fliehenden  Gegner.  —  Der 
Tr&nenborn  der  Witwen:  Der  Verlast  auch  der  siegreichen  Fhm- 
zosen  war  ungeheuer. 

St.  9.  Ravenna,  vor  Abschluß  der  Ubergabe  von  den  Franzosen 
genommen,  wurde  entsetzlich  von  den  Siegern  behandelt.  Brescia. 
das  auch  widerstanden  hatte,  war  geplftndert  wocdeit.  Faensa,  durch 
RavennasSdUcksalciiehreelrt,  crgabdch  fcdwülig.  —  Schick',  Lud- 
wig,  unsTrivuIz  den  guten  Alten:  Der  Dichter  wünscht,  König 
Ludwig  XII.  solle  den  trefflichen  Marschall  von  Frankreich,  da  Trivulzio, 
um  Mannszucht  unter  den  Franzosen  in  Italien  herzustellen,  schicken. 

St.  13.  Bfttia:  alter  Name  des  Gnadalqnivir. 

St  17.  Garamanten:  eine  Völkerschaft  ans  Libyen. 

St.  19.   Den  Ring  verlor  an  Bradamante  (s.  Ges.  4). 

St.  25.  Als  die  Sonn'  im  Schützen  stand  und  im  ge- 
hörnten Tier  (dem  Steinbock):  d.  h.  in  der  Zeit  vom  21.  November 
bis  31.  Januar. 

St.  31.  Mandrikaxd  hatte  die  Waffen  Hektma  ctiangt  (s.  Bojardo, 

Verl.  Roland  III,  iff.). 

St.  40.  „Es  war  kaum  Frühling,  als  Roland  Alzird  und  Mnmlard 
teaf  (13,  72 — 74).  Mandrikard  bricht  gleich  nach  erhaltener  Kunde  auf 


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ANMERKUNGEN 


(14,  34—36)  und  greift  tdum  •m  swdten  Tm      WaclMn  der  Donlis 

an.  Wie  konnte  da  der  Sommer  mit  don  GriUea  knmiMB?  —  Bin 

Versehen  des  Dichters,"  (P.) 

St.  43.  Durendal  als  Waffe  Hektors  ist  eine  Erfindung  Bojardos. 

St.  64.  Fots.  der  Geschichte  von  Mandrikard  und  Flordelis  Ges.  aj, 
St.  7t. 

St.  71.  Dar  Glaube,  daS  Kart  dai  HcOiita  Giab  beirait  Ube^  wmr 

im  Mittelalter  verbreitet. 

St.  83.  Zur  Beschreibung  der  Zwietracht  ziehen  Kommentatoren 
analoge  SchÜdemngen  aus  alten  Schriftstellern  heran.  Vergil,  Aeneis  VI, 
381 ;  Vni,  90;  Mrosins  ArUtar,  Bdhm  dvile. 

St.  87.  Gabriels  des  Engels  GruB:  mAvC"  in  ErimMraac 
DAnte  (Purgat.  XL.):  „Geschworen  hätte  man,  er  sage  ave". 

St.  88.  Nach  Benedikt  und  nach  Elias'  Sinn.  St.  Benedikt 
gründete  aeiaen  Mönchsorden  anf  Monte  Caasina  Vom  Propheten 
EUaa  sott  dar  Kannditerorden  gwtiftot  mvdan  taia.  —  Zu  Pytha- 
goras  des  Weisen  Zeiten  wurde  dem  Schweigen  eine  StiMe  iMreitot 
durch  Verpflichtung  der  Lernenden  rum  Stillschweigen.  Arch3rtas, 
Zeitgenosse  Piatons,  Staatsmann,  pythagor.  Philosoph  (365  v.  Chr), 

St  118.  Dar  Ahnbarr,  dar  da  Balial  hat  gabant:  Arioet  Ufit 
Rodomont  von  Mbnrod  abetaaunaB. 

St.  120.  Der  Mallea- Sumpf  befindet  sich  am  linken  Po-Ufer 
unweit  Volano  und  birgt  sehr  viele  Wildschweine  (man  hat  hier  eine 
Reminiszenz  an  Vergil,  Aeneis  IX,  erkannt). 

St  laaff.  In  KamptecUlderungen  kaan  sieb  Ariost,  wia  aeiaa  Vor* 
giager  Pnid  und  Bo|ardO|  kein  Genüge  ton.  Wihrend  wir  hier  kicht 
Ermüdung  verspüren,  folgte  damals  das  Publikum  solchen  Darstellungen 
mit  atemloser  Spannung.  „Mit  ihren  massenhaften  Kampfbeschrei- 
bimgen,"  sagt  Burckhardt  (Kultur  der  Ren.  S.  44),  „b^e^eten  die 
Dichter  einem  Sachinteresee,  von  dem  vrir  aas  schwer  daa  richtige 
VorttaDnag  machen,  so  wenig  als  von  dar  Hoduehitsoag  des  lebandigaa 
momentanen  Schildems  überhaupt." 

St.  133.  Daß  an  den  Flammen  der  Mond  den  feuchten 
Basen  trocknen  kann:  der  Mond  galt  als  feuchtester  der  Planeten. 


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