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Full text of "Ist E. Haeckel Materialist?"

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Ist E. Haeckel 
Materialist? 



Raphael Koeber 



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1899 
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Ist L Haeckel Materialist? 



Von 



Dr. R. von Koeber. 




Hermann Haacke 

Verlaga-Buchhandlung 

(früher: Fr. Mauke's Verlag) 
Leipzig. 



Alle Rechte vorbehalten. 



1 



Ist E. Haeckel Materialist? — zu dieser Frage veranlasst 
uns die Schrift von Dr. 0. Zacharias „Über gelöste und 
ungelöste Probleme der Naturforschung* 4 (Leipz. 1885). Von 
diesen sieben gedankenreichen Aufsätzen fuhren die beiden 
ersten eine ziemlich heftige Polemik gegen Haeckel's Natur- 
anschauung und bekunden eine Sympathie für die berühmte 
und vielbesprochene Ignorabimns-Philosophie von Du Bois- 
Reymond. Es ist schwer zu begreifen, wie ein Naturforscher 
von Zacharias' Denkungsart sich durch diesen übertriebenen 
Skepticismus angezogen fühlen, wie er erwarten konnte, in 
ihm eine Stütze und Rechtfertigung seiner eigenen sehr 
positiven Ansichten und wissenschaftlichen Tendenzen zu 
finden. Denn Zacharias' Schrift ist eine für einen Natur- 
forscher unserer Tage kühne Verteidigung alter Wahrheiten, 
die der Ignorabimus-Philosoph, wenn auch aus einem anderen 
Grunde, ebensowenig als ein Materialist acceptiren darf. 
<^ Zacharias ist ein warmer Verehrer Darwins, aber ein Ver- 
rv( ehrer, der weit entfernt ist, im Darwinismus schon eine Welt- 
anschauung oder gar den Schlüssel zu allen Welträthseln zu 
erblicken (S. 162 f.). Es handle sich, sagt er (S. 51), in der 
Wissenschaft um etwas weit Wichtigeres, als die blosse 
Eruirung der mechanischen Causalität; wäre dies letztere der 
q Fall, man könnte die Sache getrost auf sich beruhen lassen, 

i da die ausnahmslose Herrschaft der Ursächlichkeit in der Er- 

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— 4 — 

scheinungswelt hinreichend erwiesen ist. Das wissenschaft- 
liche Denken verlangt die Erweiterung seines Horizonts, die 
ihm werthvoll ist, „auch ohne Rücksicht auf die Gewinnung 
eines Zuwachses an empirischen Kenntnissen". Wer dies 
nicht einsieht, „dem ist nicht zu helfen: der muss sich dar- 
auf beschränken, Skalpell und Knochensäge zu handhaben, 
zu mikroskopiren und Spezialuntersuchungen zu treiben — 
das ist sein Feld!" (S. 29). Nun kann aber unser Denk- 
horizont sich nur dann erweitern, wenn das Denken über das 
Sinnliche hinaus geht und sich in das Gebiet des Über- 
sinnlichen, Metaphysischen wagt, — ein Entschluss, der selbst- 
verständlich die Überzeugung voraussetzt, dass das Meta- 
physische keine Fiction, sondern vielmehr die eigentliche 
Realität, der Grund alles Daseins ist Die Wissenschaft, die 
sich lediglich mit der „mittleren Phase der Dinge" beschäftigt 
(S. 12), giebt keine Auskunft über das Übersinnliche, und 
gerade dieser Umstand rechtfertigt die Existenz der Philo- 
sophie und Religion (S. 30), in denen erst unsere Welt- 
anschauung und somit die Wissenschaft ihren Abschluss 
findet: „unser höchstes Erkenntnissbestreben wird erst dann 
befriedigt, wenn wir die Sinnenwelt (als Ganzes) für den 
Ausdruck einer aussersinnlichen Welt, eines metaphysischen 
Substrats, ansehen, — auch wenn wir nichts weiter von 
letzterem, als eben seine unzweifelhafte Existenz zu erkennen 
im Stande sind" (S. 86). In der Anerkennung eines meta- 
physischen Weltgrundes, den Zacharias als die einheitliche, 
allgegenwärtige, ewig schaffende, immanente göttliche, mithin 
vernünftige, zweckmässige Wirksamkeit fasst und als „Idee" 
bezeichnet, liegt auch die einzige Möglichkeit, „eins der 
wichtigsten Probleme unserer Zeit" zu lösen, nämlich die 



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— 5 — 



Versöhnung der Naturwissenschaft und Religion (S. 29, 43, 
45 i, 63). Diese Anschauung, heisst es (S. 84 f.), widerstreite 
nicht dem Darwinismus, und man sollte endlich aufhören, 
den letzteren mit dem „Monismus" — ein "Wort, das Zacharias 
sehr unpassend, aber wahrscheinlich im Hinblick auf Haeckel 
stets für Materialismus gebraucht — zu identificiren, oder 
gar diesen (materialistischen Monismus) für eine Consequenz 
des Darwinismus zu proclamiren: „aus einer vernünftigen 
Theorie, wie der Darwinismus im Princip ist, kann niemals 
offenbarer Nonsens als Folge sich ergeben". Das teleologische 
Princip sei mit dem mechanischen bis in alle Ewigkeit ver- 
bunden, und zwar „in der Weise, dass die Bewegung 
(welche nur eine sinnenfallige Erscheinung ist) in ihrem 
metaphysischen Grunde mit dem teleologischen Princip un- 
aufhörlich associirt ist" (S. 85). Hieraus folgt, dass die 
Noth wendigkeit, „die sich nur im Denken erfassen lässt, 
und gar nicht objectiv aufgezeigt werden kann, nur ein 
anderer Name für Zweckmässigkeit" ist (S. 40 f.), dass, 
mit anderen Worten, Causalitat = Finalität ist. Betrachtet 
man unter diesem Gesichtspunkt die organischen Natur- 
körper, so erscheinen Nothwendigkeit und Zweckmässigkeit 
ihres Baues als Eins (S. 41), so ist also auch die mechanische 
Erklärungsweise von der vitalistischen und umgekehrt nicht 
zu trennen. Natürlich wird der Begriff der Zweckmässigkeit 
und des Vitalismus von Zacharias im geläuterten, allein 
richtigen Verstände gefasst: bei dem ersteren ist nicht an 
das dem Menschen zu gute kommende, sondern an die in 
der Natur waltende objective Vernunft, den Logos, zu denken; 
und der Vitalismus ist nicht mit der längst überwundenen 
Lehre von der Lebenskraft zu verwechseln: das einheitliche 



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— 6 — 

metaphysische Weltsubstrat, das Ganze, das die Theile be- 
stimmt, die Idee ist auch „der zureichende Grund fttr die 
Bildung organischer Wesen" (S. 43 ff.) 

Die ethisch-religiöse Bedeutung dieser seiner Natur- 
betrachtung erklart Zacharias am Schluss des zweiten Auf- 
satzes (S. 86 f.) folgendermassen : „Was wir gewinnen, wenn 
wir uns losmachen von der widersinnigen und unwissenschaft- 
lichen Ansicht des blossen Naturmechanismus . . . was wir 
mit einer Verwerfung dieser zu ephemerer Macht gelangten 
Irrlehre als Gewinn erzielen, ist: eine ganz andere und höhere 
Würdigung unseres eigenen Lebens und Strebens. Denn, 
wenn alle Dinge Offenbarungen einer Macht sind, welche 
unsere Erkenntniss übersteigt, so sind auch wir Menschen 
und jeder Einzelne von uns, Agentien, durch welche die un- 
bekannte Ursache wirksam ist, und damit erlangen wir für 
uns selbst und für die Welt, von der wir einen Theil aus- 
machen, eine Bedeutung, die uns erhebt und adelt, die uns 
ausharren lasst in Sieg und Niederlage, • die uns zum Leben 
ermuthigt, auch wenn der Tod vorzuziehen wäre, und die 
uns ruhig sterben lässt, auch wenn wir nicht wissen, was das 
ohne Beziehung auf einen organischen Leib ist, was wir 
wahrend des Besitzes eines solchen mit ,Ich' bezeichnen. 
Mag es kommen, wie es will — es ist etwas in uns wirksam, 
was nicht zu Grunde gehen kann, auch wenn der Erdball 
auf die Sonne stürzte und sich dort in eine Wolke von 
glühendem Gas verwandelte. Das, was das Werk der teleo- 
logischen Ursache an und in uns ist, kann nicht zu Grunde 
gehen, auch wenn der Mechanismus der Erscheinungswelt 
eine von seiner jetzigen ganz verschiedene Form annehmen 
würde. Das ist eine einfache logische, und darum wissen- 



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— 7 - 

schaftliche Consequenz. Aber mehr zu behaupten als das, 
wäre ein Unterfangen, was H. Spencer sehr treffend 
„transscendentale Frechheit" genannt hat. Wir müssen uns 
• zu rechter Zeit bescheiden". 

Man wird uns zugeben, dass die Sprache, die wir eben 
vernommen, nicht die eines Ignorabimus-Philosophen ist, und 
man muss, wie gesagt, sich wundern, dass ein so Redender 
die weite Kluft, die ihn von Du Bois Reymond trennt, nicht 
bemerkt hat. Oder können, auch nur in Einem Punkte, sich 
zwei Weltanschauungen berühren, von denen die eine nur 
unter der Voraussetzung der Ungültigkeit der anderen denkbar 
ist? Was hat Zacharias' lebendige, einheitliche, in der gött- 
lichen Vernunft begründete und das absolut reale göttliche 
Wesen offenbarende Natur gemein mit Du Bois Reynionds ge- 
spenstischer, inhaltloser, von allen Seiten vermauerter Welt, 
in die kein Lebenshauch, kein Strahl der ewigen Wahrheit 
dringt? Was hat auch Zacharias' Scheu vor der „trans- 
scendentalen Frechheit" für eine Verwandtschaft mit dem 
„Ignorabimus"? Jene ist wahrhaft resignirt, aber dabei be- 
sonnen: sie verzichtet nicht auf eine Erkenn tniss, zu der wir 
unserer Natur nach wohl fähig sind, auf die Erkenntniss des 
Übersinnlichen als solchen; sie enthält sich nur aller posi- 
tiven Aussagen über sein Wesen, genau so, wie auch viele 
kirchliche Philosophen des Mittelalters eine positive Erkenntniss 
Gottes für unmöglich erklärt hatten. Das „Ignorabimus" 
dagegen ist nur scheinbar resignirt und dabei philosophisch 
sehr unbesonnen: es ist im Grunde nichts anderes als eine 
Arroganz der Naturforschung, die ihre eigene Ohnmacht in 
Rucksicht aller höheren Erkenntniss dem menschlichen Geiste 
als solchem imputirt, den anmassenden Schluss zieht: Ich, 



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— 8 - 

die Naturforschung, vermag es nicht, also ist es überhaupt 
unmöglich, mithin die „transsoendentale" Frechheit in eine 
naturwissenschaftliche verwandelt und selbst die leiseste philo- 
sophische und religiöse Regung im Menschen erstickt. Denn 
Religion ist ja auch Erkenntniss, ja mehr als das: sie ist das 
reale Leben in und mit Gott. Wie soll sie zu Stande kommen, 
wenn das Ignorabimus jede Verbindung des Menschen mit 
der übersinnlichen Welt abschneidet und jeden Versuch, die 
Schranken der empirischen Welt zu durchbrechen unter- 
sagt? 

Wir halten es für überflüssig, uns bei den nicht zu 
schlichtenden handgreiflichen Differenzen, die zwischen 
Zacharias und Du Bois Reymond stattfinden, länger auf- 
zuhalten, und gehen zum eigentlichen Gegenstand unserer 
Betrachtung, zu Haeckel's Naturphilosophie, über. — Die Ab- 
neigung Zacharias' gegen dieselbe ist ja erklärlich. Wenn 
Haeckel wirklich der Denker ist, als welcher er Zacharias 
erscheint, so ist er auch dessen ausgesprochenster Gegner, 
so ist Haeckels Lehre in der That der Inbegriff aller Ver- 
irrungen, der Typus jener Pseudophilosophie, die Zacharias 
mit Recht bekämpft. Es fragt sich nur, ob der letztere 
Recht hat, Haeckels Monismus ohne weiteres als Materialis- 
mus oder Mechanismus zu deuten und beide Ausdrücke pro- 
miscue zu brauchen? Und dies glauben wir bestreiten zu 
dürfen. Dass Haeckel selbst genügenden Anlass gegeben hat, 
ihn für einen Materialisten anzusehen, werden wir natürlich 
nicht leugnen wollen; wir meinen nur, man sei gegen diesen 
Forscher ungerecht, wenn man den Materialismus für seine 
G rundanschauung, für den Herzpunkt seiner Lehre er- 
klärt. 



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— 9 — 



Wir wollen versuchen, aus den verschiedenen, sich wider- 
sprechenden Äusserungen Haeckels seine eigentliche Welt- 
anschauung herauszulesen, unter den mannigfaltigen Physiog- 
nomien, in denen er uns entgegentritt, diejenige heraus- 
zufinden, die sein wahres, inneres Wesen ausdrückt. Ob es 
sich nicht am Ende herausstellt, dass diese Physiognomie 
eine täuschende Ähnlichkeit mit der von Zacharias hat? — 

Das unentschlossene, problematische Philosophiren i^t 
Haeckels Sache nicht. Er hat von der Philosophie nicht nur 
die Zurückführung der Naturerscheinungen auf Gesetze und 
ihre Betrachtung unter grossen Gesichtspunkten gelernt, 
sondern auch den Muth von ihr geerbt, sich in die Speculation 
ä coup perdu hineinzustürzen — eine Eigenschaft, die in den 
Augen der meisten Naturforscher freilich ein grosser Fehler 
und ein Zeichen wissenschaftlichen Leichtsinns, in den unsrigen 
jedoch das erste Merkmal eines Denkers ist, der seinem Geist 
vertraut, nichts Halbes duldet und lieber irrt, aber seine 
Weltanschauung zum vorläufigen Abschluss bringt. Ein 
theoretischer Irrthum schadet nicht, kann sogar nützen, wenn 
er von einem bedeutenden Geiste herrührt; und ist er dazu, 
wie es bei Haeckel der Fall, rein äusserlicher Natur, ein 
blosses Anhängsel an eine im Übrigen tiefe und einheitliche 
Weltbetrachtung, so ist er auch leicht zu beseitigen, oder, 
noch besser, mit dem Ganzen organisch zu verbinden, in das 
Ganze hineinzuarbeiten. Absolute Irrthümer kennen wir 
in der Philosophie nicht: jeder philosophischen Lehre kommt 
ein Theil der Einen ewigen Wahrheit zu, nach der alle 
Forschung ausgeht, und so lässt sich jede Ansicht, so weit 
sie Wahrheit ist, in eine auf wahrer Erkenntniss beruhende 
Weltanschauung hineinziehen und zwar ohne jeglichen Wider- 



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- 



sprach, da die absolute Wahrheit sich selbst, mithin einer 
ihrer Theile den übrigen nicht widersprechen kann. Wir sind 
überhaupt versucht, die These aufzustellen: In der Philosophie 
giebt es nichts Falsches ausser dem Halben, d. h; alle sogen, 
philosophischen Irrthümer sind nur zur Hälfte ausgesprochene 
Wahrheiten, die für die ganze, volle Wahrheit gehalten 
werden. Denn wie kann etwas absolut Unwahres, also Nicht- 
Seiendes, in das philosophische Denken hineinkommen, da 
das letztere gleichsam der Spiegel ist, welcher das wahre 
Sein reflektirt? Allerdings ist der Spiegel kleiner als die 
Welt, auch kann er heller und trüber sein, — was er also 
mit grösserer oder geringerer Klarheit und Deutlichkeit, je 
nach seiner Beschaffenheit, wiedergiebt, ist nie das ganze 
Sein, sondern immer ein verhältnissmässig kleiner Theil davon; 
aber dieser Theil entspricht doch immer einem Urbild, ist 
mithin ein Theil der Wahrheit. 

Wie etwa ein Paläontolog nach den fragmentarischen 
Überresten einer Urform, oder ein Künstler nach dem blossen 
Torso sich das nur noch ideell existirende Ganze reconstruirt; 
so ergänzt auch der Philosoph das geschaute Seinsfragment 
und führt, mit Hülfe des discursiven Denkens, auf Grund der 
Intuition sein Weltsystem aus. Je bedeutender und an 
Entwicklungsmomenten reicher das Seinsfragment ist, um so 
leichter ist seine gedankliche Ergänzung zu vollziehen. Unter 
allen philosophischen Standpunkten ist der Monismus in der 
Form der Identität von Natur und Geist der einzige, von dem 
aus wir in die unendliche Fülle des Seins schauen und die 
gesammte Wirklichkeit als Entwicklung begreifen können. 
Das Identitatsprincip ist selbst schon Entwicklung, und überall, 
wo es sich offenbart, d. h. schlechthin überall, da offenbart 



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« 



-li- 
es sich auch als Entwicklung, mithin ist diese das weit- 
constituirende, -erhaltende und -forttreibende Princip, — das 
Weltprincip. Dies hat Haeckel erkannt und wie kein anderer 
ist er von dieser Erkenntniss durchdrungen, und dies ist, — 
neben der Kühnheit seines durch eine geniale Phantasie unter- 
stützten und beseelten Forschens, — woran man den Denker 
und den direkten Abkömmling der alten Naturphilosophie 
Haeckel erkennt. 

Seine metaphysische Ansicht hat er mehrmals in un- 
zweideutigen Worten ausgesprochen; am klarsten wohl in 
seiner „Natürlichen Schöpfungsgeschichte" (4. Aufl. S. 64) 
und „Anthropogenie" (S. 707). Über die Definition des 
Materialismus und Spiritualismus, die er im letztge- 
nannten Werke giebt, lässt sich vielleicht streiten: aber 
bewunderungswürdig ist die selbst bei Philosophen von 
Fach nicht immer anzutreffende Klarheit und Sicherheit, mit 
t der er diese beiden Standpunkte als krypto-dualistische durch- 

schaut hat. Es ist offenbar ebenso unstatthaft, von einem 
Monismus des bewussten Geistes, als auch von einem mate- 
rialistischen Monismus zu sprechen : ein Monismus, der nicht 
Alles aus seinem Princip zu erklären vermag und von seinem 
Standpunkt aus eine Hälfte der Wirklichkeit gar nicht sieht, 
ist kein Monismus, schon dem Sinne des Wortes nach, und 
fordert für die ihm unzugänglichen Thatsachen stillschweigend 
ein ihm entgegengesetztes Erklärungsprincip, schlägt somit 
unwillkürlich und nothwendig in einen Dualismus um, ja i 8 1 
schon ein verkappter Dualismus. Haeckel kann „die beliebte 
Unterscheidung von Natur und Geist nicht zugeben. Überall 
in der Natur ist Geist, und einen Geist ausser der Natur 
kennen wir nicht". In dieser (a. a. 0. der Anthropogenie 



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ausgesprochenen) Anschauung ist der Dualismus von Natur 
und Geist überwunden. Beide, also auch das, was wir Be- 
wusstsein und Materie nennen, sind blosse Erscheinungen 
Eines identischen (metaphysischen, ihnen zu Grunde liegenden) 
Wesens: die gesammten Naturerscheinungen, die äusseren 
(materiellen) sowohl als die inneren (geistigen) haben ihren 
letzten Grund in einer gemeinsamen Substanz, und diese ist 
Gott. In seiner Schöpfungsgeschichte bekennt sich Haeckel 
zur Gottesvorstellung von Giordano Bruno, und fuhrt dessen 
Worte an: „Ein Geist findet sich in allen Dingen, und es 
ist kein Körper so klein, dass er nicht einen Theil der gött- 
lichen Substanz in sich enthielte, wodurch er beseelt wird". 
Diese Gottesidee, durch die wir zu der „erhabenen Vor- 
stellung von der Einheit Gottes und der Natur" ge- 
langen, sei allein mit dem Monismus verträglich. Also auch 
allein mit dem Darwinismus, in welchem Haeckel die natur- 
wissenschaftliche Bestätigung und den vollkommensten natur- > 
philosophischen Ausdruck des Monismus erblickt. Durch die 
Descendenztheorie, sagt er (Schöpfgsg. S. 20 f.), wird die An- 
sicht von der „Einheit der organischen und der an- 
organischen Natur fest begründet", durch sie gelangen 
wir „zu der äusserst wichtigen Überzeugung, dass alle 
Naturkörper, die wir kennen, gleichmässig belebt 
sind, dass der Gegensatz, welchen man zwischen lebendiger und 
todter Körperwelt aufstellte, in Wahrheit nicht existirt". — 
Wenn man zu diesen und ähnlichen Äusserungen, die in den 
drei Hauptwerken Haeckels (Gener. Morphol, Nat Schöpfgsg. 
und Anthropog.) überall zerstreut sind, noch den Protest 
unseres Forschers gegen das „Ignorabimus" und die beredte 
Wortführung für die Verbindung der Naturwissenschaft mit 



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der Philosophie und die Notwendigkeit einer philosophischen 
Bildung der Naturforscher hinzufügt; so hat man ein klares 
Bild von dem Denker Haeckel, der in Rücksicht seines 
philosophischen Bewusstseins hoch üher den meisten seiner 
lebenden Fachgenossen steht. Diese Sätze aber, die uns über 
die Beschaffenheit von Haeckels Metaphysik in gar keinem 
Zweifel lassen und vollkommen genügten, um einen Natur- 
forscher, der sie einmal aufgestellt, aus der Reihe der 
Materialisten auszuschliessen, treten durchgängig in Begleitung 
solcher auf, die im allerschroffsten Widerspruch zu den 
ersteren stehen und sich so ausnehmen, als hätte ein Natur- 
forscher ä la Büchner sie ungeschickt in den Text interpolirt, 
theils um die Haeckersche Metaphysik, vor der ihm heimlich 
graute, einigermassen zu vertuschen, theils um dem Darwinis- 
mus, durch Hinzuthun beliebter materialistischer Redensarten, 
leichteren Eingang beim grossen Publikum zu verschaffen, 
bei dem ein Materialist stets viel eher Gehör, Verständniss 
und Glauben findet als ein Philosoph. — Ohne Frage haben 
auch zur Verbreitung der Haeckerschen Schriften und nament- 
lich der Schöpfungsgeschichte die materialistischen Knalleffekte, 
mit denen die letztere besonders reichlich versehen ist, viel 
beigetragen; allein es ist nicht anzunehmen dass Haeckel die- 
selben als Popularisations- und Propagationsmittel gebraucht, 
noch dass er durch sie seine metaphysischen Aussagen habe 
mildern und etwaigen der Naturforschung ungelegenen Con- 
sequenzen entgehen wollen. Hätte er solche Absichten ge- 
habt, er hätte nie auch nur Eine metaphysische Äusserung 
fallen lassen, zum mindesten alle metaphysischen Elemente 
aus den späteren Auflagen der Schöpfungsgeschichte aus- 
gemerzt. Denn da er stets seinen Materialismus mit seiner 



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Metaphysik Schritt halten lässt, so nimmt er ja mit einer 
Hand das, was er mit der anderen giebt, und zerstört da- 
durch die Wirkung nicht seiner Metaphysik, sondern des 
Materialismus. Da Haeckel einmal den letzteren für eine un- 
vollkommene und dualistische, und den Monismus in der 
Bruno-Schelling'schen Fassung für die höchste, allein philo- 
sophische und mit der Descendenztheorie allein vereinbare 
Weltanschauung erklärt hat, so hat er ja auch damit erklärt, 
dass seine eigene Weltanschauung nicht der Materialismus, 
sondern sein metaphysischer Monismus ist. Kein billig 
urtheilender Leser wird nach alledem an Haeckels Materialismus 
glauben: er wird stets Haeckel für einen Metaphysiker an- 
sehen, aber freilich für einen, der seine Metaphysik nicht 
verwerthet, die Consequenzen seines Princips nicht erwogen 
oder zu ziehen gar nicht versucht hat. Hätte er dies gethan, 
er mÜ8ste sofort nicht nur die Widerspruche bemerken, die 
zwischen seinen Äusserungen herrschen, sondern auch, dass, 
neben seiner Metaphysik, der Materialismus die Rolle eines 
fünften Rades am Wagen spielt. Haeckel wollte seine 
monistische Schöpfungsgeschichte zugleich als eine natür- 
liche, mechanische darstellen, und da er das Moment des 
Mechanischen in seinem metaphysischen Princip nicht zu 
entdecken oder aus demselben abzuleiten vermochte, griff er 
zum Materialismus, im guten Glauben, dass dieser nun das 
Übrige leisten und seine Metaphysik ergänzen könne. 
Haeckel gleicht hierin einem unermesslich Reichen, der von 
seinen Schätzen nichts weiss und einige Groschen borgt, ob- 
wohl ihm eigene Millionen zu Gebote stehen. — 

So seltsam es klingen mag, so ist es dennoch wahr, dass 
durch das Mittel, welches Haeckel gewählt, seinen Monismus 



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wissenschaftlich zu begründen, nämlich den Materialismus, 
er das gerade Gegentheil von seinem Zweck erreicht hat: er 
ist in einen Dualismus verfallen, welcher viel schlimmer ist 
als der von ihm gerügte der älteren Naturwissenschaft und 
Philosophie. Auch er erklärt — freilich ohne es zu be- 
merken — die Natur aus zwei Principien: einem vitalistischen 
(teleologischen) und einem mechanischen, und wenn er auch, 
im Gegensatz zur früheren Naturbetrachtung, für die leben- 
digen Formen die gleiche Erklärung fordert, wie für die an- 
organischen; so erfüllt er diese Forderung in seinem Sinne 
selbst ebensowenig, als sie unter seinen Voraussetzungen über- 
haupt erfüllbar ist. Es ist offenbar nicht möglich, die orga- 
nischen Formen aus lediglich mechanischen Ursachen 
entstehen zu lassen, wenn man neben dem (absolut sein 
sollenden) mechanischen Princip ein immanentes Walten des 
göttlichen Geistes in alleo, selbst den kleinsten Körpern 
annimmt, mithin ein zweites, dem ersteren coordinirtes 
Princip der Natur zu Grunde legt und so einen durchgängigen 
absoluten Dualismus in der Welt anerkennt. Haeckel wird 
uns zugeben, dass — man mag die Gottesidee fassen, wie man 
will — die Begriffe: Leben, Aktivität, vernünftiger (wenn 
auch unbewusst vernünftiger), also zwecksetzender Wille, 
untrennbar mit der Idee Gottes verbunden sind. Gott ist 
die lebendige Kraft, der Ursprung des Lebens, also Lebens- 
kraft, die Haeckel. selbst mit der causa finalis identificirt. 
Der alte Begriff der Lebenskraft, die wunderbarer Weise 
nur den organischen Körpern zukommen soll, wird von 
ihm verworfen, und man muss sich dieser (übrigens nicht 
mehr neuen) Ansicht anschliessen ; wenn aber Haeckel glaubt, 
mit der besonderen Lebenskraft den Vitalismus und die 



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Teleologie überhaupt beseitigt zu haben, so ist es ein Irrthum, 
der auch im Widerspruch zu der metaphysischen Grundlage 
seiner eigenen Weltanschauung steht, die eine durchaus pan- 
theistische und eo ipso vitalistische und teleologische ist. 

Nicht darum ist die alte Lehre von der Lebenskraft falsch, 
weil sie teleologisch, sondern vielmehr, weil sie nicht teleo- 
logisch genug ist und ausserdem eine philosophisch nicht 
annehmbare Teleologie behauptet; weil sie das teleologische 
Princip willkürlich beschränkt und nicht, wie es nöthig ist, 
wie es die Schelling'sche Naturphilosophie gethan hat und 
auch Haeckel selbst thut, über die ganze Schöpfung aus- 
dehnt oder kosmologisch fasst. Sie ist im Grunde nichts 
anderes, als der Ausdruck eines durch gewisse religiöse An- 
schauungen bedingten Bedürfnisses, den lebenden Wesen, 
speciell dem Menschen, eine Ausnahmsstellung in der Natur 
zu sichern; oder auch der Ausdruck der Verzweiflung an der 
Möglichkeit, das Leben aus rein mechanischen Ursachen ab- 
zuleiten. Ist ein Naturforscher aufrichtig gegen sich selbst 
und sein Publikum, so muss er ja bekennen, dass eine aus- 
schliesslich mechanische Erklärung der Naturvorgänge in 
Rücksicht der organischen Wesen selbst den Schein der 
Plausibilität verliert, die sie in Rücksicht der anorganischen 
für Manche noch haben kann, und so sieht er sich genöthigt, 
für das Leben eine Ausnahme zu machen und, theils faüte 
de mieux, theils par depit, zu der räthselhaften Lebenskraft 
zu greifen. Eine Philosophie hingegen, die von vornherein 
ein monistisches und teleologisches Princip anerkennt, wird 
sich immer gegen diesen Begriff der Lebenskraft erklären, 
aber den Vitalismus nicht zu bekämpfen, sondern, im Gegen- 
theil, zu retten und überall in der Natur nachzuweisen suchen. 



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Und wäre auch der ganze Vitalismus als eine philosophisch 
wie empirisch völlig unstichhaltige Anschauung wirklich er- 
kannt, so wäre dadurch die Wahrheit der Teleologie als solcher 
nicht im mindesten erschüttert: für das eigentliche Leben 
des Geistes, in der Religion, in der Geschichte und der Kunst, 
wo naturwissenschaftliche Begriffe, wie Vitalismus und Me- 
chanismus, keine Anwendung finden, bliebe die teleologische 
Betrachtung nach wie vor die allein richtige und allein mög- 
liche. Da der Vitalismus doch nur als ein besonderer Fall 
der Zweckmässigkeit, oder als ein besonderer Ausdruck des 
in der Natur waltenden absoluten Intellekts anzusehen ist, 
so decken sich ja beide Begriffe nicht* und die Teleologie 
als solche verwerfen, weil sie in diesem oder anderem 
\ Falle nicht zu erweisen ist, ist genau so, als wenn man z. B. 
die ganze Lehre von der Elektricität leugnen wollte, weil es 
sich herausgestellt hat, dass einige Naturerscheinungen, die 
früher für elektrische galten, solche nicht sind. — 

Wir haben Haeckels Ansicht über den Materialismus 
kennen gelernt: es ist für ihn eine unphilosophische, weil 
dualistische Weltanschauung. In der „Schöpfungsgeschichte" 
(S. 32) wird der Materialismus näher definirt als die Lehre 
von der ausnahmslosen und alleinigen Herrschaft des C aus al- 
gesetze s. Die Causalität ist aber für Haeckel (Ebd. S. 16, 
19, 31, 67, vgl. Anthropog. S. 706) identisch mit Mechanis- 
mus; demnach ist Mechanismus = Materialismus = Dualis- 
mus. Und aus dem Dualismus soll nun die Einheit der 
Natur, der Monismus demonstrirt werden! Aber die Einheit 
der Natur kommt nur dann zu Stande, wenn der Gegensatz 
zwischen lebendiger und todter Körperwelt, den man früher 

annahm, aufgehoben wird: der Monismus ist die Anschauung, 

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— 18 — 



dass durch die Einheit Gottes und der Natur alle Natur- 
körper gleichmässig belebt sind (Ebd. S. 21,64). Man 
kann nicht klarer, als es hier geschieht, seine Überzeugung 
von der Wahrheit des Vitalismus ausdrücken. Und so muss 
Haeckel an sich selbst die gegen ihn sprechende Erfahrung 
machen, dass man sehr wohl den Vitalismus anerkennen und 
dabei doch den Begriff der Lebenskraft fallen lassen kann. 1 ) 

*) In der griechischen Philosophie dürfte sich schwerlich ein der 
modernen „Lebenskraft' 1 entsprechender Begriff finden ; fast durchgängig 
aber begegnen wir bei den Alten — am reinsten in der vorplatonischen 
Zeit — einem vitalistischen Monismus und einer immanenten Teleologie. 
Auch die platonische Lehre von der Weltseele, von der Beseeltheit und 
Vernunft der Ideen und ihrer ontologischen Abhängigkeit von der 
höchsten Idee des Seins, oder der Gottheit, der letzten Ursache des 
Lebens, ist, wenigstens der Tendenz nach, monistisch und ganz teleologisch 
und vitalistisch, und schliesst die Vorstellung von einer besonderen 
Lebenskraft aus. — Anklänge an die letztere und den neueren Dualismus 
überhaupt könnte man eher bei Aristoteles finden; wenn man jedoch 
bedenkt, dass er das Princip des Lebens, die Seele, sich als die Entelechie 
des Körpers denkt, diese mit der allem Einzelnen immanenten Form 
(dem Zweck, dem Allgemeinen, Bewegenden, Aktuellen) identificirt, und 
alles Leben, alle Bewegung zuletzt aus dem absolut Allgemeinen, aus 
der reinen Aktualität an sich, dem obersten Zweck, dem Prius aller 
Entwickelung oder Gott ableitet; so verliert auch seine Weltanschauung 
ihren dualistischen Anstrich, und wird zu einer monistischen, teleologischen 
und vitalistischen Entwicklungslehre, in der der Begriff einer Lebens- 
kraft keinen Platz mehr hat. — Noch klarer tritt uns der Monismus, 
und zwar in der Gestalt, wie sie von Haeckel vertreten wird, bei den 
Stoikern entgegen: der von der Gottheit ausgehende Xöyos öJieQitauxoe 
ist das weltbildende und der Welt immanente vernünftige Princip, die 
allen Wesen zukommende Weltseele. Und was Cicero (de nat. 
deor. 11, 9) über die Lehre der Stoiker berichtet, könnte Haeckel eben- 
sogut als jenen Satz des G. Bruno zu seinem metaphysischen Glaubens- 
bekenntniss machen: „omne quod vivit, sive animal, sive terra editum, 
id vivit propter inclusum in eo calorem (nämlich des »r? xezvtxov, der 
Weltseele). Ex quo intelligi debet, eam caloris naturam vi m habere 
in se vitalem per omnem mundum pertinentem." — In 
dieser Verallgemeinerung der Lebenskraft, in der Erweiterung des 



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— 19 — 



Vitalismus durch den Begriff der „Weltseele", und in der Lehre von 
der Immanenz Gottes und des Zwecks liegt der Schwerpunkt der 
SchelliDg'schen Naturphilosophie, die darin eine Rückkehr der Wissen- 
schaft „zu dem ältesten und heiligsten Naturglauben der Welt" erblickt. 
In seinem Gespräch „Bruno" sagt Schölling: „die höchste Macht oder 
der wahre Gott ist der, ausser welchem nicht die Natur ist, so wie die 
wahre Natur die, ausser der nicht Gott ist 4 '. Vergl. Schöllings Leben in 
Briefen, Br. an Obereit, 12. März 1796, worin u. a. Schölling einen ausser 
der Welt stehenden Gott „ein Compositum allgemeiner Abstractionen" 
nennt. Nichts anderes will auch Haeckel sagen, wenn er (Schöpfgsg. S. 63) 
Gott als „gasförmiges Wirbelthier" bezeichnet. — So wie die Vorstellung 
von einer äusseren Zweckmässigkeit die Idee der Natur, so zerstört, sagt 
Schölling („Ideen z. e. Phil. d. Ntr." 1803, S. 50), die Vorstellung von 
einem ausserweltlichen Gott den Begriff der Zweckmässigkeit von Grund 
aus. Nur weil das Zweckmässige in der Natur eins ist mit dem Zweck- 
mässigen in uns, oder weil die Natur der sichtbare Geist ist, vermögen 
wir das Zweckmässige zu erkennen. „Geist als Princip des Lebens ge- 
dacht, heisst Seele" (Ebd. 57): die Natur ist also die Sichtbarkeit, die 
Darstellung des Lebens, und muss als solche durchweg belebt, beseelt 
sein. Der Begriff einer besonderen Lebenskraft sei ein völlig wider- 
sprechender und gehe, sobald man die Widersprüche löst, in den Be- 
griff des Geistes über, der nun an die Stelle der Lebenskraft tritt und 
die Physik sofort in Metaphysik hinüberspielt. Auch Schölling findet, 
dass durch die Bezeichnung eines geistigen Princips mit dem Aus- 
druck Lebenskraft, immer noch wenigstens die Hoffnung angedeutet 
werde, „jenes Princip nach physikalischen Gesetzen wirken zu lassen" 
Ebd. S. 55 ff.). — Wir sehen also, dass Schölling die Lebenskraft ver- 
warf nicht als Gegner der Ideologie und des Vitalismus, sondern als 
deren Vertheidiger und, man muss sagen, eigentliche Begründer und 
Erklärer in der deutschen Philosophie. — Dasselbe wiederholt sich bei 
Oken. Auch er vertritt einen absoluten Vitalismus und eine immanente 
Teleologie, und verneint die Lebenskraft: „Sein und Leben sind un- 
zertrennliche Begriffe. Das Leben ist nichts Neues, in die Welt erst 
Gekommenes, nachdem sie erschaffen war, sondern ein Ursprüngliches, 
eine Idee, ein bewegter Gedanke Gottes. Es giebt keine eigene Lebens- 
kraft im Universum. Causa e&istentiae ist das Leben. Es giebt nichts 
Todtes in der Welt; nur das ist todt, was nicht ist, nur das Nichts. 
In der Welt ist alles lebendig, die Welt selbst ist lebendig. Lebendig 
ist das. was im Einzelnen das Ewige und die ganze Mannigfaltigkeit 
des Alls darstellt" (Lehrb. d. Naturphil. 1831, §§ 75-79). — Die Ubiquität 

2* 



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— 20 — 



Aber Haeckel vergisst ganz, dass er kurz vorher auch den 
Vitalismus eine unwissenschaftliche, teleologische und dua- 

des göttlichen Wesens, also des Lebensprincips, wodurch die ganze 
Natur zu Einem grossen Organismus wird, in dem keine absolute 
Trennung zwischen beseelten und todten Formen stattfindet, ist auch der 
Grundgedanke der Fechner'schen Naturbetrachtung. Für die „Tages- 
ansicht", sagt Fechner, sei es keine Frage mehr, „wo Beseelung anfängt 
und aufhört, sondern nur, wo und wiefern sie sich in entsprechender 
Weise aus der allgemeinen Beseelung heraushebt individualisirt." „Mit 
allem Gegensätze gegen das organische Reich ist das unorganische selbst 
das Bindeglied des organischen zu einem in höherem Sinne organischen 
Ganzen. Reisse es aus dem Ganzen heraus und alles Leben purzelt 
nicht nur auseinander, sondern zerfällt in sich. Und nur deshalb vermag 
das Unorganische nichts Organisches mehr herzugeben, weil überhaupt 
keins je das andere hergegeben hat, sondern beide als Entwicklungs- 
momente des höheren organischen Ganzen durch dessen Differenzirung 
hervorgegangen sind." (Die Tagesansicht gegenüber d. Nachtans.8.29,37). — 
Ähnlich verhält sich zur Sache Schopenhauer. Er sagt zwar (Far. u. 
Paral. 11, 171. § 96), das heutzutage Mode werdende Polemisiren gegen 
die Annahme einer Lebenskraft verdiene nicht sowohl falsch, als geradezu 
dumm genannt zu werden, identificirt aber (Ebd. S. 173) die Lebenskraft 
mit dem allem Sein zu Grunde liegenden Einen Willen, und sieht in 
der Vollkommenheit und Eigenthümlichkeit der Organismen, die sie vor 
den unorganischen Formen voraus haben, nichts anderes als nur eine 
höhere Objectivationsstufe des Willens oder des universalen Lebens- 
princips selbst. Aus der Einheit des sich in immer höheren Formen 
darstellenden Willens erklärt sich nach Schopenhauer (Welt a. W. 1, 
169 — 71) die Entwicklung der Natur im allgemeinen und die innere Ver- 
wandtschaft oder Familienähnlichkeit aller Naturwesen, die empirisch 
nachzuweisen die Aufgabe der vergleichenden Anatomie und der 
modernen Biologie ist. Und dass die Naturphilosophie der Sohelling- 
schen Schule diesem Gedanken nachging, sei ihre löblichste Bestrebung 
und ihr Verdienst gewesen. — Schopenhauer's Abschnitt über Teleologie 
(Welt a. W. 11, Cap. 26) sollte jeder lesen und beherzigen, der, wie 
Haeckel, keinen Unterschied zwischen äusserer und innerer Zweck- 
mässigkeit kennt, und mit der Physikotheologie, die in die Wissenschaft 
nicht gehört, auch alle Teleologie glaubt wegleugnen zu dürfen. — 
Ebenso ist Hartmann's Naturphilosophie eine durchaus teleologische und 
vitalistische, ohne jedoch von einer eigenen Lebenskraft Gebrauch zu 
machen. 



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— 21 — 



listische Weltanschauung genannt hat, und stellt ihn nun in 
seiner prägnantesten Form als die einzig wahre Definition 
des Monismus auf! — Wenn man nun Haeckel glauhen soll, 
dass der Vitalismus und die Teleologie nothwendig Dualismus 
ist und dieser mit dem Wunderglauhen zusammenfallt 
(Schöpfgsg. S. 20), so gestaltet sich Haeckels Weltanschauung 
zu einer Ungeheuerlichkeit, die in der Geschichte wohl ver- 
gebens ihres Gleichen sucht, — nämlich zu einem drei- 
fachen Dualismus, von dem eine einheitliche und 
natürliche Erklärung der Welt verlangt und er- 
wartet wird! Dualistisch ist der Materialismus, dualistisch 
ist der Vitalismus, dualistisch ist aber auch das Natursystem, 
welches beide als coordinirte Principien in sich aufnimmt. 
Dass unter solchen Voraussetzungen nicht nur keine natür- 
liche, sondern überhaupt keine Erklärung der Welt denkbar 
ist, braucht wohl nicht noch besonders durchgeführt zu 
werden. 

Wie finden wir den Ausgang aus diesem Labyrinth von 
Widersprüchen? Zum Glück gibt uns Haeckel selbst den 
rettenden Faden in die Hand: wir haben uns nur streng an 
die Grundsätze zu halten, die ihm sein philosophisches 
Bewusstsein dictirt und von denen er bereits nothwendig 
durchdrungen sein musste, als er seinen Kampf gegen die 
gangbare und für eine durch die Philosophie geläuterte Natur- 
betrachtung begann. Diese Grundsätze sind uns bekannt; es 
sind ihrer nur zwei: 1) der Materialismus ist, ebenso wie sein 
Gegenstück, der Spiritualismus, unfähig, eine befriedigende 
Lösung des Welträthsels zu geben; beide sind einseitige, un- 
philosophische und im Grunde dualistische Anschauungen; 
2) der Monismus, der eine Synthese des Materialismus und 



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Spiritualismus ist, insofern beide nicht aus-, sondern ein- 
ßchliesst, ist die einzige Weltbetrachtung, die uns befriedigt 
und sich sowohl mit der Philosophie als mit der Natur- 
wissenschaft vertragt. — Wir wissen, wie Haeckel seinen 
Monismus formulirt, und wiederholen: diese seine Aussagen 
sind seine wahre, innere Überzeugung, und für das Verständ- 
niss und die Würdigung seiner Naturanschauung allein mass- 
gebend; sein Materialismus dagegen ist nur als ein Noth- 
behelf, gleichsam ein Verlegenheitsausdruck zu betrachten, und 
beruht auf einem Missverständniss, das beseitigt werden kann 
und muss. Haeckel denkt immer an die alte Lehre von der 
Lebenskraft, wenn er vom Vitalismus, und an die trans- 
scendente Teleologie, wenn er von Teleologie spricht; da 
beide Vorstellungen allerdings dualistisch sind, so musste 
seine Polemik gegen den Dualismus zugleich zu einer Polemik 
gegen den Vitalismus und die Zweckmässigkeit werden. 
G. Brunos Gottesidee hat Haeckel durch ihre Erhabenheit 
geblendet und durch ihre monistische Formel bestochen, und 
er nahm sie rückhaltlos an, ohne sie einer genaueren Prüfung 
auf ihren Inhalt und ihre Tragweite hin unterworfen zu 
haben. Da er keine Vermittlung kennt zwischen Finalität 
und Causalität, zwischen Vitalismus und Mechanismus, und 
diese Begriffe für absolute Gegensätze erklärt, in denen sich 
Philosophie und Religion seit ihren Anfängen bewegen 
(Schöpfgsg. S. 30); so blieb ihm, bei seiner Verwerfung des 
Vitalismus und der Finalität, natürlich nichts anderes übrig, 
als die schöne Form seiner Gottesvorstellung dem Materialis- 
mus anzupassen, sie dadurch zu verunstalten und seiner 
besseren Überzeugung untreu zu werden. So erklären wir 
uns das Vorhandensein des Materialismus in Haeckels Ideen- 



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— 23 — 

kreise. Die vorhin gezeigte Confusion, die er in demselben 
verursacht, schwindet, sobald man Haeckels eigener Forderung 
gerecht wird und seinen Monismus einzig und allein aus seiner 
Gottesidee ableitet. 

Gott ist also der ewige Heerd des Lebens, der alle Körper 
gleichmässig mit Leben versorgt. Durch diese Vertheilung 
des Lebens an alle Wesen, durch seine Ausbreitung über die 
ganze Natur, wird Einheit in die mannigfaltige Welt hinein- 
gebracht und der Monismus erreicht, — erreicht durch die 
Erweiterung und Vertiefung des Begriffs des Lebens, durch 
Belebung des für leblos Gehaltenen, nicht umgekehrt, wie es 
der Mechanismus haben will, durch Tödtung des Lebendigen. 
Wenn nun diese Vorstellung, die auch die leitende der alten 
Naturphilosophie war, und deren Vitalismus nicht wegzu- 
disputiren ist, von Haeckel als diejenige der Zukunft und mit 
einer geläuterten und streng wissenschaftlichen, monistischen 
Naturbetrachtung allein vereinbare bezeichnet (Schöpfgsg. 
S. 64), und der Materialismus für haltlos erklärt wird ; so be- 
währt sich an Haeckel, was G. Bunge in seinem interessanten 
Vortrag über „Vitalismus und Mechanismus" (Lpz. 1886, 
S. 6, 20) so richtig sagt, nämlich dass die Zukunft der 
Naturforschung nicht dem Mechanismus, sondern dem Vitalis- 
mus gehört. Es irren sich, heisst es dort, die Anhänger der 
mechanischen Erklärung des Lebens, wenn sie glauben, es 
müsse schliesslich gelingen, den ganzen Lebensprocess aus 
den Kräften der unbelebten Natur zu erklären; die Geschichte 
der Physiologie lehre genau das Gegentheil: „je eingehender, 
vielseitiger, gründlicher wir die Lebenserscheinungen zu er- 
fassen streben, desto mehr kommen wir zur Einsicht, dass 
Vorgänge, die wir bereits geglaubt hatten, physikalisch und 



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— 24 — 



chemisch erklären zu können, weit verwickelterer Natur sind 
und vorläufig jeder mechanischen Erklärung spotten". In 
diesem gesperrt gedruckten Satz hätte „jeder" fett gedruckt 
stehen sollen, da auf diesem Wort, nicht auf „vorläufig" die 
Betonung liegt. Bunge will sagen: vorläufig ist an jenen 
Vorgängen selbst das, was einer mechanischen Er- 
klärung fähig sein dürfte, nicht mechanisch zu erklären, 
und nie wird aus Mos mechanischen Ursachen ein Natur- 
vorgang ohne Rest erklärt werden können. 

Diese Wahrheit hat nun Haeckel durch sein Glaubens- 
bekenntniss unterschrieben : nie kann das göttliche Leben er- 
löschen, nie kann es aufhören, die Causa existetUiae der Welt 
und aller Wesen zu sein, nie kann also die Zeit kommen, in 
der die vitalistische Erklärung durch eine mechanische ersetzt 
werden durfte. — Wenn Alles in der Welt lebendig und die 
Welt selbst lebendig, und das einzelne Lebendige nichts 
anderes ist, als die Erscheinung des Ewigen, d. h. Gottes, 
demnach der absoluten Vernunft und des absoluten Willens, 
so ist die Welt in allen ihren Einzelheiten vernünftig und 
zweckmässig, und in ihrem letzten Grunde übersinnlich. Das 
Übersinnliche ist nicht ausserhalb der Natur, sondern als das 
Reale an sich und das eigentliche Sein der Natur, in dieser 
selbst: es ist nicht ein transscendentes, sondern imma- 
nentes Princip und zugleich jenseits der Dinge, d. h. 
ausserhalb der sinnlichen Wahrnehmung. Da wir Menschen 
aus demselben Born wie die übrigen Wesen unser Leben 
schöpfen und ebenfalls Erscheinungen Gottes sind, so sind 
wir auch ein sinnliches und übersinnliches Wesen in Einem; 
jenes „Jenseits" ist uns nichts Fremdes: „Ort für Ort sind 
wir im Innern" der Natur, oder, wie Hartmann sagt: „jeder 



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— 25 — 



Mensch bat als Mensch die Grenze längst überschritten, die 
er als Naturforscher unübersteiglich findet, denn er ist ja 
mitten drin in jenem Mysterium, dem das Naturerkennen 
vergeblich von aussen beizukommen sucht, und es ist ihm 
weit bekannter und vertrauter als jenes draussen, das der 
Naturforscher für seine Heimath hält" (Stud. u. Aufs. S. 455). 
Das Übersinnliche muss also erkennbar sein, und ist es auch, 
nur nicht durch die Sinne, sondern durch sich selbst, 
d. 1l nur dem Übersinnlichen in uns offenbart sich das 
Übersinnliche ausser uns. Dies meint Schelling, wenn er 
sagt: „Was in uns erkennt ist dasselbe mit dem, was er- 
kannt wird". Nur weil wir „des Gottes eigne Kraft" in uns 
haben, vermögen wir das göttliche Walten in der Natur zu 
erblicken und das Leben, diesen Ausdruck der göttlichen 
Kraft, in uns und überall in der Welt zu erkennen. 

Hat sich auf diese Weise der Begriff des Übersinnlichen 
für Haeckels VVeltbetrachtung als nothwendig herausgestellt, 
so muss die Behauptung (Schöpfgsg. S. 28 f., 636), dass 
alle Erkenntniss aus der (ausserlich) sinnlichen Wahrnehmung 
stamme, offenbar von selbst fallen, oder vielmehr sich in ihr 
Gegentheil verwandeln. — Es ist nicht einmal nöthig, das 
Leben gleich auf seine metaphysische Wurzel zurückzuführen, 
um sich davon zu überzeugen, dass dieser Begriff nicht aus 
der Sinneswahrnehmung geschöpft sein kann. Das Leben 
gehört gewiss zu den Welträthseln, und seine Lösung setzt 
die Lösung eines nach Du Bois Reymond unlösbaren anderen 
Bäthsels voraus, nämlich des vom Ursprung der aktiven Be- 
wegung 1 ), deren Begriff wir nur der Selbstbeobachtung, nicht 

^DuBoisReymond, Ü.d. Grenzen d. Naturerk. Die 7 "Welträtlisel 
(1884) S. 78. 77. — Wir vermögen nioht einzusehen, dass die Frage 



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— 26 — 



nach der Entstehung des Lebens — unter den Welträthseln das dritte — 
weniger Schwierigkeiten darbiete, als die vorhergehende nach dem Ur- 
sprung der Bewegung ; oder, um in Du Bois Reymonds Sprache zu reden, 
weshalb wir keinen Grund hätten, ihre Schwierigkeit für ebenso „trans- 
scendent"', d. h. unlösbar zu halten, als die der beiden ersten Fragen. 
"Wenn Du Bois Reymond die Erklärung des Lebens von der Erklärung 
der unerklärbaren Bewegung abhängig maoht, so hat er ja schon 
dadurch auch die Unerklärbarkeit des Lebens anerkannt. Er sagt: „hat 
einmal die Materie angefangen sich zu bewogen, so können Welten 
entstehen; untor geeigneten Bedingungen .... kann auch der 
eigentümliche Zustand dynamischen Gleichgewichts der Materie, 
den wir Leben nennen, geworden sein." Damit ist, meinen wir, rein gar 
nichts gesagt. Ist einmal die Bedingung des Lebens da, so kann selbst- 
verständlich das Leben entstehen ; das weiss jeder. Es handelt sich aber 
dooh nicht um das dass, sondern um das Wie des Könnens, und die 
Antwort darauf, die Ursache des Lebens, welche selbst schon Leben ist, 
liegt in dem vorhergehenden unlösbaren Problem, wird demnach ewig 
auf sich warten lassen. — Das fünfte Welträthsel: das Entstehen der 
einfachen Sinnesempfindung, Wahrnehmung und, höher hinauf, des Be- 
wusstseins, soll nun wieder transscendent sein (S. 79 f.). Zugegeben ! Was 
heisst abor Leben? Indem Du Bois Reymond das Räthsel vom Leben 
von dem der Bewegung und der Sinnesempfindung trennt, scheint er das 
Leben als solches für einen Zustand anzusehen, der zwar höher ist als 
die blosse Bewegung, aber den Zustand der Sinnesempfindung noch nicht 
erreicht hat. Was ist es denn? Aus Aeusserungen, wie: das Leben sei 
der eigenthümliche Zustand dynamischen Gleichgewichts der Materie, der 
unter geeigneten Bedingungen sich bildet, kann man nur das entnehmen, 
dass die Naturwissenschaft über das Wesen des Lebens nichts weiss. Ist 
denn die einfachste Sinnesempfindung, wie wir sie bei den untersten 
Organismen finden, nicht das erste wahrnehmbare Kriterium des Lebens? 
Wir denken: leben und empfinden ist Eins. Wenn also das Entstehen 
der Sinnesempfindung ein transscendentes Eäthsel ist, so ist auch der 
Ursprung des Lebens ein solches; involvirt, dagegen, das letztere keine 
transscendente Schwierigkeit, so muss auch das fünfte Welträthsel lösbar 
sein! — Zum Schluss (S. 104) fasst Du Bois Reymond die sieben Welt- 
räthsel zu Einem einzigen, dem Weltproblem, zusammen, und endigt 
seinen Vortrag mit dem Wort: „Dubitemus", welches direct auf das letzte 
(transscendente) Räthsel, die Willensfreiheit, indirect auch auf alle übrigen 
sich bezieht. Hier entdecken wir nicht den logischen Zusammenhang 
des „Dubitemus" mit allem Vorhergehenden. Woran sollen wir zweifeln? 



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— 27 — 

der äusseren Empirie verdanken. Wir haben keine andere 
Vorstellung von der Bewegung ausser uns, als die, welche wir 
aus dem Bewusstsein des Bewegenden in uns bilden, und 
dieses ist der Wille, für dessen Wahrnehmung wir kein 
äusseres Perceptionsorgan besitzen. Sollte demnach auch das 
Räthsel des Lebens jemals ohne Hülfe der Metaphysik voll- 
ständig erklärt werden, so wird die Erklärung nie eine physio- 
logische und mechanische, sondern eine psychologische 
sein (vgl. Bunge 1. c S. 12 f.) Man kann zwar die Ent- 
stehung und die teleologische Bedeutung des (objectiven und 
subjectiven) Bewusstseins in der Welt metaphysisch begreiflich 
machen, aber eine Definition desselben, die mehr wäre, 
als eine blosse Tautologie, kann man wohl nicht geben. Das 
Bewusstsein schlechthin eines Wesens ist das Vermögen, das 
Ich vom Nicht-Ich zu unterscheiden, eben das Wissen, dass 
ein solcher Unterschied stattfindet; das Selbstbewusstsein ist 
das Wissen, dass ich das Subject meiner Thätigkeit, meines 
Wollens und Denkens bin, kurz die klare Vorstellung, dass 

Nicht daran, dass jene Räthsel in Wahrheit solche sind, — dies 
ist Gewissheit. An ihrer Lösbarkeit resp. Unlösbarkeit? Aber in 
Rücksicht der transscendenten Räthsel haben wir wieder die Gewiss- 
heit, dass sie unlösbar, in Rücksicht der nicht transscendenten die 
Gewissheit, dass sio lösbar (wenn auch noch nicht gelöst) sind. 
Beziehen wir das Dubitemus nur auf das letzte Problem, und sagen : wir 
wissen nicht, ob es eine Wahlfreiheit giebt oder nicht Giebt es keine, 
d. h. stellen wir uns auf den Standpunkt des Determinismus, so fällt, 
wie auch Du Bois Reymond sagt (S. 103), die Schwierigkeit und mit ihr 
das ganze Problem weg, und die Frage ist mit Gewissheit entschieden; 
giebt es eine, so ist wieder die Gewissheit der Wahlfreiheit und zu- 
gleich die der Unlösbarkeit des Rathseis von der Vereinigung der Frei- 
heit und Notwendigkeit da. — So verwandelt sich der Zweifel überall 
in die Gewissheit von der Unzulänglichkeit unseres Erkenntniss- 
vermögens, das Weltproblem zu lösen; mit Einem Wort: „Dubitemus" = 
„Ignorabimus !" — 



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28 — 



ich lebe. Diese habe ich doch nicht a posteriori erworben. 
Will man dies behaupten und den Gedanken, dass alle Vor- 
stellungen aposteriorischer Natur sind, consequent durchführen, 
so muss man auch die Absurdität behaupten, dass das Be- 
wusstsein vom Bewusstsein, oder die Vorstellung ein bewusstes 
Wesen zu sein, eine ebenfalls a posteriori erworbene sei! — 
Mit den Begriffen, wie Thätigkeit, Wollen, Denken, Leben, 
Ich, sind andere Begriffe untrennbar verbunden. Sage ich: 
ich bin ein thätiges, wollendes und denkendes Wesen, so 
spreche ich damit aus, dass ich auch ein zeitliches, räum- 
liches und causales Wesen bin: dies sind analytische Urtheile. 
Wenn nun die Vorstellung vom Leben keine aposteriorische 
ist, so sind auch die Vorstellungen, die analytisch aus ihr 
folgen, uns auch nicht a posteriori, sondern a priori bekannt. 
Man bedenke ferner, dass alle naturwissenschaftlichen Haupt- 
begriffe (Kraft, Materie, Entwicklung etc.) auf diesem aprio- 
rischen Fond unseres Denkens beruhen, oder mit seiner Hülfe 
gebildet werden, und man kommt zu der Einsicht, dass das 
Denken keine tabula rasa ist, auf welche die sinnliche Er- 
fahrung das erste Wort schreibt, sondern dass alle Erkennt- 
niss a posteriori nur möglich ist, weil die Grundpfeiler, auf 
die sie sich stützt, die Elemente, aus denen sie besteht, be- 
reits a priori gegeben sind. Also genau das Gegentheil von 
dem, was der Materialist Haeckel lehrt, und ganz im Sinne 
des Metaphysikers Haeckel, für den das Apriori sich in letzter 
Linie mit dem Übersinnlichen, dem göttlichen Leben in uns 
deckt, oder aus der übersinnlichen Herkunft des Lebens in 
der Welt erklärt wird, demnach der Grand und die Bedingung 
unserer aposteriorischen Erkenntniss ist, und dieser, begrifflich 
und wirklich, vorangehen muss. 



» 



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— 29 — 

Haeckels Leugnung des Apriori ist die nothwendige Folge 
seines Materialismus, und hat ebenfalls die Bestimmung, 
Alles recht natürlich, ohne Ein- und Beimischung von 
„Wundern" darzustellen. Man begreift aber nicht, warum 
dem Materialisten eine so vielseitig, ja empirisch bis zur 
Evidenz bestätigte Annahme einer apriorischen Grundlage 
unseres Denkens wunderbarer erscheint, als Principien, wie 
die Anpassung und Vererbung, die Haeckel selbst zu den 
letzten durch sinnliche Erfahrung nicht erfassbaren 
Gründen zählt. Warum soll man den erkenntniss- 
theoretischen letzten Grund, wie das Apriori, leugnen und 
dennoch letzte Gründe der Wissenschaft und des 
Wissens überhaupt anerkennen? — Haeckel täuscht sich, 
wenn er glaubt, durch seine Erklärung des Apriori alles 
„Wunderbare" aus diesem Problem beseitigt zu haben. Nach 
unserem Dafürhalten ist seine Auffassung erstens weit com- 
plicirter und enthält, zweitens, des Unerklärlichen und Wunder- 
baren viel mehr als die einfache Lehre Kant's vom Apriori. 
Er sagt (SchOpfgsg. S. 29): „von unseren uralten thierischen 
Voreltern sind alle sogenannten .Erkenntnisse a priori* ur- 
sprünglich a posteriori gefasst worden und erst durch Ver- 
erbung allmählich zu apriorischen geworden". Nehmen wir 
die Undenkbarkeit) die Anschauung z. B. von der Zeit 
a posteriori zu gewinnen, als ein „Wunder" einfach hin. 
Dadurch wäre das Apriori zwar umgangen, aber nur für den 
Anfang der Geschichte; im Laufe derselben erscheint es ja 
wieder und räthselhafter als zuvor, da es durch Vererbung 
allmählich aus dem Aposteriori sich bildet. Es wird 
also nicht eliminirt, sondern nur verschoben. Wenn Haeckel 
sich gegen das Apriori erklärt, weil er nichts Angeborenes 



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— 30 — 

anerkennt und die ganze Beschaffenheit unseres Geistes durch 
Vererbung hegreiflich machen will; so müsste er vor allem die 
Vererbung selbst leugnen, da diese Fähigkeit oder Kraft (die 
Erblichkeit) doch offenbar nicht anders als eine angeborene 
gedacht werden kann: zum mindesten in Rücksicht des aller- 
ersten Vererbungsfalles in der Naturgeschichte wird man 
dies zugeben müssen ! Ist es die der Empirie entgegengesetzte 
Natur der apriorischen Erkenntniss, die Haeckel zu seiner 
Polemik gegen die letztere veranlasst, so dürfte er nicht die 
allmähliche Verwandlung des Aposteriori in Apriori behaupten, 
da auch ein blos erworbenes oder „sogenanntes" Apriori 
für uns, die wir durch Jahrtausende von unseren dasselbe 
erst erwerbenden thierischen Voreltern getrennt sind, ein 
wirkliches, echtes Apriori ist, von dessen sinnlicher Herkunft 
keine Spur mehr übrig bleibt und das mit uns auf die Welt 
kommt Wir haben also trotz allem, nach wie vor, neben 
der sinnlichen Erfahrung, noch eine andere Erkenntnissquelle 
nicht sinnlicher Natur, mit der die Wissenschaft stets zu 
rechnen haben wird. 

Haeckels Theorie des Apriori müssen wir nach alledem 
für völlig misslungen erklären: an die Stelle Eines „Wunders" 
werden zwei andere Wunder gesetzt, und das Hauptwunder, 
um dessen Beseitigung es sich handelte, wird nur verschoben, 
nicht aufgehoben. — 

Wie Haeckels Erkenntnisstheorie sich mit seiner Meta- 
physik nicht vereinigen lässt, so widerspricht die Annahme 
unerkennbarer letzter Gründe sowohl der Metaphysik 
als dem Materialismus, als auch der Polemik gegen das 
„Ignorabimus" und dem Bestreben, Philosophie und Natur- 
forschung zu versöhnen, welches Bestreben wieder eine ganz 



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— 31 — 



andere, nicht materialistische Erkenntnisstheorie voraus- 
setzt. 

Der Materialist und der Metaphysiker stimmen mit ein- 
ander darin Oberein, dass beide keine unerkennbaren letzten 
Gründe annehmen. Solche kann es nur für den Skeptiker 
geben, und Haeckel stellt sich durch ihre Annahme plötzlich 
auf den Standpunkt des Skepticismus, wie er von- Du Bois 
Reymond vertreten wird, und verliert dadurch jedes Recht, 
über das „Ignorabimus" des letzteren loszuziehen. Wenn 
alle unsere Wissenschaft nothwendig beschränkt ist und bleibt, 
weil die einzige Quelle unserer Erkenntniss die sinnliche Er- 
fahrung ist, und wir demnach „niemals vermögen die letzten 
Gründe irgend einer Erscheinung zu erfassen" (Schöpfgsg. 
S. 29), — so ist dies „Ignorabimus" optima forma. In der 
Philosophie handelt es sich aber um die Erkenntniss dieser 
letzten Gründe, oder der Principien der sinnlichen Welt, des 
allem Einzelnen innewohnenden (sinnlich nicht wahrnehmbaren) 
Allgemeinen; und dass die heutige Naturwissenschaft das 
Zurückführen ihrer Erklärungen auf die Principien vernach- 
lässigt und nur am Einzelnen haftet, sich nur auf die nackte 
Empirie beschränkt, — darin erblickt ja Haeckel (ebd. S 70 f. 
640 f.) ihren hauptsächlichsten Mangel und den Grund ihrer 
Verwilderung. Wie soll aber die Naturforschung bis zum 
Allgemeinen vor- oder durchdringen, wenn ihr gesagt wird, 
dass alle Erkenntniss sinnlich ist und die letzten Gründe 
schlechterdings unerkennbar sind? Es wird von ihr etwas 
verlangt, was, unter der Voraussetzung der Gültigkeit der 
materialistischen Erkenntnisstheorie und des „Ignorabimus", 
die Philosophie selbst nicht leisten kann, einfach weil sie 
aufhört, Philosophie, d. h. Metaphysik zu sein. Liegen die 



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— 32 



Principien ausser dem Bereich des Wissbaren, und ist unsere 
Erkenntniss nur sinnlich, so giebt es keine Wissenschaft 
von den Principien, und die metaphysische Erkenntniss fällt 
mit der naturwissenschaftlichen zusammen. Von einer Ver- 
bindung und gegenseitigen Ergänzung der Naturforschung 
und Philosophie wird man nicht mehr reden können, nach- 
dem die Grenzen und der Unterschied beider Wissenschaften 
gänzlich verwischt sind. Ein Positivist würde darauf er- 
wiedern, Philosophie und Naturforschung unterscheiden sich 
nicht von einander in Rücksicht ihres Gebietes, sondern nur 
in Bücksicht ihrer Betrachtungsweise; beide seien von der 
Metaphysik gleich weit entfernt, beide haben ausschliesslich 
mit der Sinnenwelt zu thun, nur dass die Philosophie die 
empirischen Thatsachen nicht, wie die Naturforschung, isolirt, 
jede einzelne für sich, ohne Zusammenhang mit den übrigen 
betrachtet, sondern zu einem Ganzen verknüpft und das un- 
abänderliche (aber immer nicht metaphysische) Gesetz, 
welchem die Vorgänge der Natur und der menschlichen Ge- 
sellschaft gehorchen, zu erforschen sucht. Aber Haeckel 
kann diese Ausrede nicht benutzen, da er seiner ganzen 
wissenschaftlichen Individualität nach, und in seiner Philo- 
sophie im Besonderen, nichts weniger als ein Positivist ist, 
sondern, wie wir gesehen, ein Metaphysiker im echten 
deutschen Sinne des Wortes. Nur als solcher erklärt er dem 
„Ignorabimus" den Krieg: er glaubt an die übersinnliche Grund- 
lage der Natur und unserer Erkenntniss, verficht darum den 
Glauben an die unbeschränkte Entwicklungsfähigkeit des 
menschlichen Geistes, und macht, folgerichtig, das „nü morta- 
libus ardui est" zu seinem wissenschaftlichen Wahlspruch. — 
Wir glauben nicht, dass man uns den Vorwurf machen 



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kann, Haeckel fremde Meinungen untergeschoben zu haben. 
Wir haben gesucht, im strengsten Anschluss an seine eigenen 
Worte, seine philosophische Weltanschauung in ihrer Reinheit 
zu erkennen, und fassen das Ergebniss unserer Betrachtungen 
folgendermassen zusammen. 

Es handelt sich bei Haeckel zunächst um die blosse Form 
des Monismus, um eine einheitliche Naturanschauung, oder 
um eine Erklärung der Welt aus Einem Princip. Der Monis- 
mas ist sowohl Postulat des reinen Denkens als auch der 
(denkenden) Empirie. Das Denken findet den Beweis für die 

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Wahrheit des Monismus in der Thatsache selbst des Denkens, 
die unmöglich wäre, wenn das Sein, das Object des Denkens, 
dem Denken wesensfremd wäre, wenn es nicht einen stets 
offenen Weg zum Intellekt und, vermöge seiner Wesensgleich- 
heit mit diesem, einen Platz darin haben, d. h. wirklicher 
Inhalt des Denkens sein könnte. Die Erfahrung ihrerseits 
geht aus von der Thatsache der Entwicklung in der Natur 
im Allgemeinen und Besonderen, und gelangt zur Annahme 
eines monistischen Weltprincips durch Induction, oder über- 
setzt ihre empirisch gewonnene Erkenntniss einer mono- 
phyleti8chen Abstammung der Naturwesen in die Sprache 
der Metaphysik. 

Haeckel bleibt aber bei der blossen Form des Monismus 
nicht stehen, sondern präcisirt diesen in einem durchaus pan- 
theistischen, teleologischen und vitalistischen Sinne, indem er 
das Eine Weltprincip einen der Welt immanenten Gott 
nennt. Dadurch stellt er sich nicht nur auf den Standpunkt 
von G. Bruno, zu dem er sich ausdrücklich bekennt, sondern 
auch auf den der Naturphilosophie der Schelling'schen Schule 
und E. v. Hartmanns, welcher letztere die Übereinstimmung 

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der Haeckel'schen Metaphysik mit der seinigen selbst aner- 
kennt (Stud. u. Aufs. S. 467). — Eine wahre Naturphilo- 
sophie, lehrt Haeckel weiter, könne nur auf Grund dieses 
Monismus zu Stande kommen. Diejenige Naturbetrachtung, 
deren Vorkämpfer in Deutschland Haeckel geworden, der 
Darwinismus, wird von ihm geradezu mit der Naturphilosophie 
identificirt. Es folgt daraus, erstlich, dass eine richtige Auf- 
fassung des Darwinismus nur auf dem Standpunkt des pan- 
theistischen Monismus möglich ist und die Anerkennung der 
(immanenten) Teleologie nothwendig fordert; zweitens, dass 
die Principien des Darwinismus im engeren Sinne (Vererbung, 
Anpassung, natürliche Zuchtwahl) secundärer Natur sind 
und keine absolute, sondern nur relative Geltung haben, 
dass demnach der Mechanismus überhaupt zwar ein 
wichtiges und nothwendiges, aber nur ein untergeordnetes, im 
Dienste der Zweckmässigkeit stehendes Erklärungsprincip ist.. — 
Wenn die von Haeckel angestrebte Versöhnung der Philosophie 
und Naturwissenschaft in der Idee des Darwinismus wirklich 
stattfindet, so findet in ihr zugleich auch die Versöhnung der 
beiden von dem Materialisten Haeckel für unvereinbar erklärten 
Naturbetrachtungen statt: der mechanischen und teleologischen. 
Also sind Mechanismus und Teleologie nicht absolute Gegen- 
sätze, und eine natürliche (mechanische) Erklärung der 
Welt kann und muss, wenn sie eine philosophische 
(monistische) sein will, zugleich eine teleologische sein: 
Causalität und Finalität gehen Hand in Hand, nur dass 
letztere begrifflich früher ist, wie Gott begrifflich früher als 
die Natur. 

Wenn wir nun, diesen Ergebnissen zu Folge, alle (zum 
Theil psychologisch erklärbaren) Äusserungen Haeckels, die 



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seinem Monismus schnurstracks entgegen sind, als zu seiner 
wahren, inneren Überzeugung nicht gehörend und für seine 
Beurtheilung nicht massgebend ansehen, sie, als seinem 
Denken ganz fremde Elemente, aus seiner Weltanschauung 
einfach ausschliessen, — so sind wir weit entfernt, Haeckel 
etwas unterzuschieben ; vielmehr beseitigen wir nur das, was er 
sich selbst untergeschoben hat. Und jetzt, nachdem Haeckels 
Lehre in ihrer lauteren Gestalt vor uns dasteht, begreifen wir 
auch, dass Haeckel die Philosophie in Schutz nehmen musste, 
begreifen sein Auftreten gegen das „Ignorabimus" und auch 
seine Bekämpfung des ethischen Materialismus (Schöpfgsg. 
S. 336). Denn der praktische Idealismus ist stets die Folge 
des theoretischen, wenn auch dieses Verhältniss den Vertretern 
des ersteren nicht immer bewusst ist; und nie vermag der 
Materialismus aus seinen Principien eine rein moralische 
Handlung auch nur zu begreifen oder zu rechtfertigen, 
geschweige zu postuliren. Die Moralität steht und fällt mit 
dem Glauben an die Realität einer übersinnlichen Welt- 
ordnung. Auch ist sie einer der Erkenntnissgründe für das 
Dasein der letzteren, kann demnach keine Stütze und keine 
Erklärung in einer Weltanschauung finden, die, wie der 
Materialismus, alles Übersinnliche und alle Ordnung in der 
Welt leugnet, — denn die vernunftlose Herrschaft „eherner 
Gesetze", der blinden Notwendigkeit, ist noch lange keine 
Ordnung. Ebensowenig ist der Skepticismus fähig, eine 
Moral und eine Religion zu begründen, da für ihn die 
Realität jener höheren Weltordnung in Frage steht, also 
nicht Object seines Glaubens sein kann. Dass ein Materialist 
und ein Skeptiker auch moralisch sein können, ist kein Beweis 
dafür, dass ihre Gesinnung eine Consequenz ihrer Welt- 

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anschauung sei, noch dass beide principiell vereinbar seien; 
vielmehr ist es ein Beweis, dass der Materialismus, wie der 
Skeptici8mus dem (im realen Connex mit dem Über- 
sinnlichen stehenden und sich fohlenden) inneren Wesen 
des Menschen widersprechen, oder dasselbe gar nicht berühren 
und nur erworbene, anerzogene, angelernte Weltanschauungen 
sind. Jeder Mensch als solcher, er mag Materialist oder 
Skeptiker sich nennen, fühlt die Verpflichtung, sittlich zu 
leben, und das böse Gewissen, welches der Verletzung dieser 
Pflicht auf dem Fusse folgt, kann weder durch materialistisches 
noch skeptisches Räsonnement beschwichtigt werden. Dies 
wäre nicht möglich, wenn die alle Moral und Religion auf- 
hebenden Anschauungen auch den inneren Menschen um- 
strickten. Ist also ein Skeptiker oder Materialist moralisch, 
so ist er es trotz dieser seiner (exoterischen) Philosophie und 
weil er als Mensch ein geborener Idealist ist. — 

In Anbetracht alles dessen, was sich in Bezug auf Haeckel 
hier ergeben hat, glauben wir nun das Recht zu haben, unsere 
Frage : Ist E. Haeckel Materialist ? verneinend zu beantworten. 
Auch hat sich die ins Einzelne gehende Übereinstimmung der 
Weltanschauung Haeckels mit der von Zacharias herausgestellt 
Bei der Aufzählung seiner Gesinnungsgenossen hätte Zacharias 
Haeckel in erster Linie nennen und Du Bois Reymond, als 
seinen unversöhnlichsten Widersacher, gar nicht erwähnen 
sollen. — 



Druck von H. Sioling in Kanmlurf a. S. 



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