Ist E. Haeckel
Materialist?
Raphael Koeber
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1899
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Ist L Haeckel Materialist?
Von
Dr. R. von Koeber.
Hermann Haacke
Verlaga-Buchhandlung
(früher: Fr. Mauke's Verlag)
Leipzig.
Alle Rechte vorbehalten.
1
Ist E. Haeckel Materialist? — zu dieser Frage veranlasst
uns die Schrift von Dr. 0. Zacharias „Über gelöste und
ungelöste Probleme der Naturforschung* 4 (Leipz. 1885). Von
diesen sieben gedankenreichen Aufsätzen fuhren die beiden
ersten eine ziemlich heftige Polemik gegen Haeckel's Natur-
anschauung und bekunden eine Sympathie für die berühmte
und vielbesprochene Ignorabimns-Philosophie von Du Bois-
Reymond. Es ist schwer zu begreifen, wie ein Naturforscher
von Zacharias' Denkungsart sich durch diesen übertriebenen
Skepticismus angezogen fühlen, wie er erwarten konnte, in
ihm eine Stütze und Rechtfertigung seiner eigenen sehr
positiven Ansichten und wissenschaftlichen Tendenzen zu
finden. Denn Zacharias' Schrift ist eine für einen Natur-
forscher unserer Tage kühne Verteidigung alter Wahrheiten,
die der Ignorabimus-Philosoph, wenn auch aus einem anderen
Grunde, ebensowenig als ein Materialist acceptiren darf.
<^ Zacharias ist ein warmer Verehrer Darwins, aber ein Ver-
rv( ehrer, der weit entfernt ist, im Darwinismus schon eine Welt-
anschauung oder gar den Schlüssel zu allen Welträthseln zu
erblicken (S. 162 f.). Es handle sich, sagt er (S. 51), in der
Wissenschaft um etwas weit Wichtigeres, als die blosse
Eruirung der mechanischen Causalität; wäre dies letztere der
q Fall, man könnte die Sache getrost auf sich beruhen lassen,
i da die ausnahmslose Herrschaft der Ursächlichkeit in der Er-
>
l*
PO
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— 4 —
scheinungswelt hinreichend erwiesen ist. Das wissenschaft-
liche Denken verlangt die Erweiterung seines Horizonts, die
ihm werthvoll ist, „auch ohne Rücksicht auf die Gewinnung
eines Zuwachses an empirischen Kenntnissen". Wer dies
nicht einsieht, „dem ist nicht zu helfen: der muss sich dar-
auf beschränken, Skalpell und Knochensäge zu handhaben,
zu mikroskopiren und Spezialuntersuchungen zu treiben —
das ist sein Feld!" (S. 29). Nun kann aber unser Denk-
horizont sich nur dann erweitern, wenn das Denken über das
Sinnliche hinaus geht und sich in das Gebiet des Über-
sinnlichen, Metaphysischen wagt, — ein Entschluss, der selbst-
verständlich die Überzeugung voraussetzt, dass das Meta-
physische keine Fiction, sondern vielmehr die eigentliche
Realität, der Grund alles Daseins ist Die Wissenschaft, die
sich lediglich mit der „mittleren Phase der Dinge" beschäftigt
(S. 12), giebt keine Auskunft über das Übersinnliche, und
gerade dieser Umstand rechtfertigt die Existenz der Philo-
sophie und Religion (S. 30), in denen erst unsere Welt-
anschauung und somit die Wissenschaft ihren Abschluss
findet: „unser höchstes Erkenntnissbestreben wird erst dann
befriedigt, wenn wir die Sinnenwelt (als Ganzes) für den
Ausdruck einer aussersinnlichen Welt, eines metaphysischen
Substrats, ansehen, — auch wenn wir nichts weiter von
letzterem, als eben seine unzweifelhafte Existenz zu erkennen
im Stande sind" (S. 86). In der Anerkennung eines meta-
physischen Weltgrundes, den Zacharias als die einheitliche,
allgegenwärtige, ewig schaffende, immanente göttliche, mithin
vernünftige, zweckmässige Wirksamkeit fasst und als „Idee"
bezeichnet, liegt auch die einzige Möglichkeit, „eins der
wichtigsten Probleme unserer Zeit" zu lösen, nämlich die
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Versöhnung der Naturwissenschaft und Religion (S. 29, 43,
45 i, 63). Diese Anschauung, heisst es (S. 84 f.), widerstreite
nicht dem Darwinismus, und man sollte endlich aufhören,
den letzteren mit dem „Monismus" — ein "Wort, das Zacharias
sehr unpassend, aber wahrscheinlich im Hinblick auf Haeckel
stets für Materialismus gebraucht — zu identificiren, oder
gar diesen (materialistischen Monismus) für eine Consequenz
des Darwinismus zu proclamiren: „aus einer vernünftigen
Theorie, wie der Darwinismus im Princip ist, kann niemals
offenbarer Nonsens als Folge sich ergeben". Das teleologische
Princip sei mit dem mechanischen bis in alle Ewigkeit ver-
bunden, und zwar „in der Weise, dass die Bewegung
(welche nur eine sinnenfallige Erscheinung ist) in ihrem
metaphysischen Grunde mit dem teleologischen Princip un-
aufhörlich associirt ist" (S. 85). Hieraus folgt, dass die
Noth wendigkeit, „die sich nur im Denken erfassen lässt,
und gar nicht objectiv aufgezeigt werden kann, nur ein
anderer Name für Zweckmässigkeit" ist (S. 40 f.), dass,
mit anderen Worten, Causalitat = Finalität ist. Betrachtet
man unter diesem Gesichtspunkt die organischen Natur-
körper, so erscheinen Nothwendigkeit und Zweckmässigkeit
ihres Baues als Eins (S. 41), so ist also auch die mechanische
Erklärungsweise von der vitalistischen und umgekehrt nicht
zu trennen. Natürlich wird der Begriff der Zweckmässigkeit
und des Vitalismus von Zacharias im geläuterten, allein
richtigen Verstände gefasst: bei dem ersteren ist nicht an
das dem Menschen zu gute kommende, sondern an die in
der Natur waltende objective Vernunft, den Logos, zu denken;
und der Vitalismus ist nicht mit der längst überwundenen
Lehre von der Lebenskraft zu verwechseln: das einheitliche
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metaphysische Weltsubstrat, das Ganze, das die Theile be-
stimmt, die Idee ist auch „der zureichende Grund fttr die
Bildung organischer Wesen" (S. 43 ff.)
Die ethisch-religiöse Bedeutung dieser seiner Natur-
betrachtung erklart Zacharias am Schluss des zweiten Auf-
satzes (S. 86 f.) folgendermassen : „Was wir gewinnen, wenn
wir uns losmachen von der widersinnigen und unwissenschaft-
lichen Ansicht des blossen Naturmechanismus . . . was wir
mit einer Verwerfung dieser zu ephemerer Macht gelangten
Irrlehre als Gewinn erzielen, ist: eine ganz andere und höhere
Würdigung unseres eigenen Lebens und Strebens. Denn,
wenn alle Dinge Offenbarungen einer Macht sind, welche
unsere Erkenntniss übersteigt, so sind auch wir Menschen
und jeder Einzelne von uns, Agentien, durch welche die un-
bekannte Ursache wirksam ist, und damit erlangen wir für
uns selbst und für die Welt, von der wir einen Theil aus-
machen, eine Bedeutung, die uns erhebt und adelt, die uns
ausharren lasst in Sieg und Niederlage, • die uns zum Leben
ermuthigt, auch wenn der Tod vorzuziehen wäre, und die
uns ruhig sterben lässt, auch wenn wir nicht wissen, was das
ohne Beziehung auf einen organischen Leib ist, was wir
wahrend des Besitzes eines solchen mit ,Ich' bezeichnen.
Mag es kommen, wie es will — es ist etwas in uns wirksam,
was nicht zu Grunde gehen kann, auch wenn der Erdball
auf die Sonne stürzte und sich dort in eine Wolke von
glühendem Gas verwandelte. Das, was das Werk der teleo-
logischen Ursache an und in uns ist, kann nicht zu Grunde
gehen, auch wenn der Mechanismus der Erscheinungswelt
eine von seiner jetzigen ganz verschiedene Form annehmen
würde. Das ist eine einfache logische, und darum wissen-
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schaftliche Consequenz. Aber mehr zu behaupten als das,
wäre ein Unterfangen, was H. Spencer sehr treffend
„transscendentale Frechheit" genannt hat. Wir müssen uns
• zu rechter Zeit bescheiden".
Man wird uns zugeben, dass die Sprache, die wir eben
vernommen, nicht die eines Ignorabimus-Philosophen ist, und
man muss, wie gesagt, sich wundern, dass ein so Redender
die weite Kluft, die ihn von Du Bois Reymond trennt, nicht
bemerkt hat. Oder können, auch nur in Einem Punkte, sich
zwei Weltanschauungen berühren, von denen die eine nur
unter der Voraussetzung der Ungültigkeit der anderen denkbar
ist? Was hat Zacharias' lebendige, einheitliche, in der gött-
lichen Vernunft begründete und das absolut reale göttliche
Wesen offenbarende Natur gemein mit Du Bois Reynionds ge-
spenstischer, inhaltloser, von allen Seiten vermauerter Welt,
in die kein Lebenshauch, kein Strahl der ewigen Wahrheit
dringt? Was hat auch Zacharias' Scheu vor der „trans-
scendentalen Frechheit" für eine Verwandtschaft mit dem
„Ignorabimus"? Jene ist wahrhaft resignirt, aber dabei be-
sonnen: sie verzichtet nicht auf eine Erkenn tniss, zu der wir
unserer Natur nach wohl fähig sind, auf die Erkenntniss des
Übersinnlichen als solchen; sie enthält sich nur aller posi-
tiven Aussagen über sein Wesen, genau so, wie auch viele
kirchliche Philosophen des Mittelalters eine positive Erkenntniss
Gottes für unmöglich erklärt hatten. Das „Ignorabimus"
dagegen ist nur scheinbar resignirt und dabei philosophisch
sehr unbesonnen: es ist im Grunde nichts anderes als eine
Arroganz der Naturforschung, die ihre eigene Ohnmacht in
Rucksicht aller höheren Erkenntniss dem menschlichen Geiste
als solchem imputirt, den anmassenden Schluss zieht: Ich,
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die Naturforschung, vermag es nicht, also ist es überhaupt
unmöglich, mithin die „transsoendentale" Frechheit in eine
naturwissenschaftliche verwandelt und selbst die leiseste philo-
sophische und religiöse Regung im Menschen erstickt. Denn
Religion ist ja auch Erkenntniss, ja mehr als das: sie ist das
reale Leben in und mit Gott. Wie soll sie zu Stande kommen,
wenn das Ignorabimus jede Verbindung des Menschen mit
der übersinnlichen Welt abschneidet und jeden Versuch, die
Schranken der empirischen Welt zu durchbrechen unter-
sagt?
Wir halten es für überflüssig, uns bei den nicht zu
schlichtenden handgreiflichen Differenzen, die zwischen
Zacharias und Du Bois Reymond stattfinden, länger auf-
zuhalten, und gehen zum eigentlichen Gegenstand unserer
Betrachtung, zu Haeckel's Naturphilosophie, über. — Die Ab-
neigung Zacharias' gegen dieselbe ist ja erklärlich. Wenn
Haeckel wirklich der Denker ist, als welcher er Zacharias
erscheint, so ist er auch dessen ausgesprochenster Gegner,
so ist Haeckels Lehre in der That der Inbegriff aller Ver-
irrungen, der Typus jener Pseudophilosophie, die Zacharias
mit Recht bekämpft. Es fragt sich nur, ob der letztere
Recht hat, Haeckels Monismus ohne weiteres als Materialis-
mus oder Mechanismus zu deuten und beide Ausdrücke pro-
miscue zu brauchen? Und dies glauben wir bestreiten zu
dürfen. Dass Haeckel selbst genügenden Anlass gegeben hat,
ihn für einen Materialisten anzusehen, werden wir natürlich
nicht leugnen wollen; wir meinen nur, man sei gegen diesen
Forscher ungerecht, wenn man den Materialismus für seine
G rundanschauung, für den Herzpunkt seiner Lehre er-
klärt.
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Wir wollen versuchen, aus den verschiedenen, sich wider-
sprechenden Äusserungen Haeckels seine eigentliche Welt-
anschauung herauszulesen, unter den mannigfaltigen Physiog-
nomien, in denen er uns entgegentritt, diejenige heraus-
zufinden, die sein wahres, inneres Wesen ausdrückt. Ob es
sich nicht am Ende herausstellt, dass diese Physiognomie
eine täuschende Ähnlichkeit mit der von Zacharias hat? —
Das unentschlossene, problematische Philosophiren i^t
Haeckels Sache nicht. Er hat von der Philosophie nicht nur
die Zurückführung der Naturerscheinungen auf Gesetze und
ihre Betrachtung unter grossen Gesichtspunkten gelernt,
sondern auch den Muth von ihr geerbt, sich in die Speculation
ä coup perdu hineinzustürzen — eine Eigenschaft, die in den
Augen der meisten Naturforscher freilich ein grosser Fehler
und ein Zeichen wissenschaftlichen Leichtsinns, in den unsrigen
jedoch das erste Merkmal eines Denkers ist, der seinem Geist
vertraut, nichts Halbes duldet und lieber irrt, aber seine
Weltanschauung zum vorläufigen Abschluss bringt. Ein
theoretischer Irrthum schadet nicht, kann sogar nützen, wenn
er von einem bedeutenden Geiste herrührt; und ist er dazu,
wie es bei Haeckel der Fall, rein äusserlicher Natur, ein
blosses Anhängsel an eine im Übrigen tiefe und einheitliche
Weltbetrachtung, so ist er auch leicht zu beseitigen, oder,
noch besser, mit dem Ganzen organisch zu verbinden, in das
Ganze hineinzuarbeiten. Absolute Irrthümer kennen wir
in der Philosophie nicht: jeder philosophischen Lehre kommt
ein Theil der Einen ewigen Wahrheit zu, nach der alle
Forschung ausgeht, und so lässt sich jede Ansicht, so weit
sie Wahrheit ist, in eine auf wahrer Erkenntniss beruhende
Weltanschauung hineinziehen und zwar ohne jeglichen Wider-
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-
sprach, da die absolute Wahrheit sich selbst, mithin einer
ihrer Theile den übrigen nicht widersprechen kann. Wir sind
überhaupt versucht, die These aufzustellen: In der Philosophie
giebt es nichts Falsches ausser dem Halben, d. h; alle sogen,
philosophischen Irrthümer sind nur zur Hälfte ausgesprochene
Wahrheiten, die für die ganze, volle Wahrheit gehalten
werden. Denn wie kann etwas absolut Unwahres, also Nicht-
Seiendes, in das philosophische Denken hineinkommen, da
das letztere gleichsam der Spiegel ist, welcher das wahre
Sein reflektirt? Allerdings ist der Spiegel kleiner als die
Welt, auch kann er heller und trüber sein, — was er also
mit grösserer oder geringerer Klarheit und Deutlichkeit, je
nach seiner Beschaffenheit, wiedergiebt, ist nie das ganze
Sein, sondern immer ein verhältnissmässig kleiner Theil davon;
aber dieser Theil entspricht doch immer einem Urbild, ist
mithin ein Theil der Wahrheit.
Wie etwa ein Paläontolog nach den fragmentarischen
Überresten einer Urform, oder ein Künstler nach dem blossen
Torso sich das nur noch ideell existirende Ganze reconstruirt;
so ergänzt auch der Philosoph das geschaute Seinsfragment
und führt, mit Hülfe des discursiven Denkens, auf Grund der
Intuition sein Weltsystem aus. Je bedeutender und an
Entwicklungsmomenten reicher das Seinsfragment ist, um so
leichter ist seine gedankliche Ergänzung zu vollziehen. Unter
allen philosophischen Standpunkten ist der Monismus in der
Form der Identität von Natur und Geist der einzige, von dem
aus wir in die unendliche Fülle des Seins schauen und die
gesammte Wirklichkeit als Entwicklung begreifen können.
Das Identitatsprincip ist selbst schon Entwicklung, und überall,
wo es sich offenbart, d. h. schlechthin überall, da offenbart
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«
-li-
es sich auch als Entwicklung, mithin ist diese das weit-
constituirende, -erhaltende und -forttreibende Princip, — das
Weltprincip. Dies hat Haeckel erkannt und wie kein anderer
ist er von dieser Erkenntniss durchdrungen, und dies ist, —
neben der Kühnheit seines durch eine geniale Phantasie unter-
stützten und beseelten Forschens, — woran man den Denker
und den direkten Abkömmling der alten Naturphilosophie
Haeckel erkennt.
Seine metaphysische Ansicht hat er mehrmals in un-
zweideutigen Worten ausgesprochen; am klarsten wohl in
seiner „Natürlichen Schöpfungsgeschichte" (4. Aufl. S. 64)
und „Anthropogenie" (S. 707). Über die Definition des
Materialismus und Spiritualismus, die er im letztge-
nannten Werke giebt, lässt sich vielleicht streiten: aber
bewunderungswürdig ist die selbst bei Philosophen von
Fach nicht immer anzutreffende Klarheit und Sicherheit, mit
t der er diese beiden Standpunkte als krypto-dualistische durch-
schaut hat. Es ist offenbar ebenso unstatthaft, von einem
Monismus des bewussten Geistes, als auch von einem mate-
rialistischen Monismus zu sprechen : ein Monismus, der nicht
Alles aus seinem Princip zu erklären vermag und von seinem
Standpunkt aus eine Hälfte der Wirklichkeit gar nicht sieht,
ist kein Monismus, schon dem Sinne des Wortes nach, und
fordert für die ihm unzugänglichen Thatsachen stillschweigend
ein ihm entgegengesetztes Erklärungsprincip, schlägt somit
unwillkürlich und nothwendig in einen Dualismus um, ja i 8 1
schon ein verkappter Dualismus. Haeckel kann „die beliebte
Unterscheidung von Natur und Geist nicht zugeben. Überall
in der Natur ist Geist, und einen Geist ausser der Natur
kennen wir nicht". In dieser (a. a. 0. der Anthropogenie
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ausgesprochenen) Anschauung ist der Dualismus von Natur
und Geist überwunden. Beide, also auch das, was wir Be-
wusstsein und Materie nennen, sind blosse Erscheinungen
Eines identischen (metaphysischen, ihnen zu Grunde liegenden)
Wesens: die gesammten Naturerscheinungen, die äusseren
(materiellen) sowohl als die inneren (geistigen) haben ihren
letzten Grund in einer gemeinsamen Substanz, und diese ist
Gott. In seiner Schöpfungsgeschichte bekennt sich Haeckel
zur Gottesvorstellung von Giordano Bruno, und fuhrt dessen
Worte an: „Ein Geist findet sich in allen Dingen, und es
ist kein Körper so klein, dass er nicht einen Theil der gött-
lichen Substanz in sich enthielte, wodurch er beseelt wird".
Diese Gottesidee, durch die wir zu der „erhabenen Vor-
stellung von der Einheit Gottes und der Natur" ge-
langen, sei allein mit dem Monismus verträglich. Also auch
allein mit dem Darwinismus, in welchem Haeckel die natur-
wissenschaftliche Bestätigung und den vollkommensten natur- >
philosophischen Ausdruck des Monismus erblickt. Durch die
Descendenztheorie, sagt er (Schöpfgsg. S. 20 f.), wird die An-
sicht von der „Einheit der organischen und der an-
organischen Natur fest begründet", durch sie gelangen
wir „zu der äusserst wichtigen Überzeugung, dass alle
Naturkörper, die wir kennen, gleichmässig belebt
sind, dass der Gegensatz, welchen man zwischen lebendiger und
todter Körperwelt aufstellte, in Wahrheit nicht existirt". —
Wenn man zu diesen und ähnlichen Äusserungen, die in den
drei Hauptwerken Haeckels (Gener. Morphol, Nat Schöpfgsg.
und Anthropog.) überall zerstreut sind, noch den Protest
unseres Forschers gegen das „Ignorabimus" und die beredte
Wortführung für die Verbindung der Naturwissenschaft mit
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der Philosophie und die Notwendigkeit einer philosophischen
Bildung der Naturforscher hinzufügt; so hat man ein klares
Bild von dem Denker Haeckel, der in Rücksicht seines
philosophischen Bewusstseins hoch üher den meisten seiner
lebenden Fachgenossen steht. Diese Sätze aber, die uns über
die Beschaffenheit von Haeckels Metaphysik in gar keinem
Zweifel lassen und vollkommen genügten, um einen Natur-
forscher, der sie einmal aufgestellt, aus der Reihe der
Materialisten auszuschliessen, treten durchgängig in Begleitung
solcher auf, die im allerschroffsten Widerspruch zu den
ersteren stehen und sich so ausnehmen, als hätte ein Natur-
forscher ä la Büchner sie ungeschickt in den Text interpolirt,
theils um die Haeckersche Metaphysik, vor der ihm heimlich
graute, einigermassen zu vertuschen, theils um dem Darwinis-
mus, durch Hinzuthun beliebter materialistischer Redensarten,
leichteren Eingang beim grossen Publikum zu verschaffen,
bei dem ein Materialist stets viel eher Gehör, Verständniss
und Glauben findet als ein Philosoph. — Ohne Frage haben
auch zur Verbreitung der Haeckerschen Schriften und nament-
lich der Schöpfungsgeschichte die materialistischen Knalleffekte,
mit denen die letztere besonders reichlich versehen ist, viel
beigetragen; allein es ist nicht anzunehmen dass Haeckel die-
selben als Popularisations- und Propagationsmittel gebraucht,
noch dass er durch sie seine metaphysischen Aussagen habe
mildern und etwaigen der Naturforschung ungelegenen Con-
sequenzen entgehen wollen. Hätte er solche Absichten ge-
habt, er hätte nie auch nur Eine metaphysische Äusserung
fallen lassen, zum mindesten alle metaphysischen Elemente
aus den späteren Auflagen der Schöpfungsgeschichte aus-
gemerzt. Denn da er stets seinen Materialismus mit seiner
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Metaphysik Schritt halten lässt, so nimmt er ja mit einer
Hand das, was er mit der anderen giebt, und zerstört da-
durch die Wirkung nicht seiner Metaphysik, sondern des
Materialismus. Da Haeckel einmal den letzteren für eine un-
vollkommene und dualistische, und den Monismus in der
Bruno-Schelling'schen Fassung für die höchste, allein philo-
sophische und mit der Descendenztheorie allein vereinbare
Weltanschauung erklärt hat, so hat er ja auch damit erklärt,
dass seine eigene Weltanschauung nicht der Materialismus,
sondern sein metaphysischer Monismus ist. Kein billig
urtheilender Leser wird nach alledem an Haeckels Materialismus
glauben: er wird stets Haeckel für einen Metaphysiker an-
sehen, aber freilich für einen, der seine Metaphysik nicht
verwerthet, die Consequenzen seines Princips nicht erwogen
oder zu ziehen gar nicht versucht hat. Hätte er dies gethan,
er mÜ8ste sofort nicht nur die Widerspruche bemerken, die
zwischen seinen Äusserungen herrschen, sondern auch, dass,
neben seiner Metaphysik, der Materialismus die Rolle eines
fünften Rades am Wagen spielt. Haeckel wollte seine
monistische Schöpfungsgeschichte zugleich als eine natür-
liche, mechanische darstellen, und da er das Moment des
Mechanischen in seinem metaphysischen Princip nicht zu
entdecken oder aus demselben abzuleiten vermochte, griff er
zum Materialismus, im guten Glauben, dass dieser nun das
Übrige leisten und seine Metaphysik ergänzen könne.
Haeckel gleicht hierin einem unermesslich Reichen, der von
seinen Schätzen nichts weiss und einige Groschen borgt, ob-
wohl ihm eigene Millionen zu Gebote stehen. —
So seltsam es klingen mag, so ist es dennoch wahr, dass
durch das Mittel, welches Haeckel gewählt, seinen Monismus
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wissenschaftlich zu begründen, nämlich den Materialismus,
er das gerade Gegentheil von seinem Zweck erreicht hat: er
ist in einen Dualismus verfallen, welcher viel schlimmer ist
als der von ihm gerügte der älteren Naturwissenschaft und
Philosophie. Auch er erklärt — freilich ohne es zu be-
merken — die Natur aus zwei Principien: einem vitalistischen
(teleologischen) und einem mechanischen, und wenn er auch,
im Gegensatz zur früheren Naturbetrachtung, für die leben-
digen Formen die gleiche Erklärung fordert, wie für die an-
organischen; so erfüllt er diese Forderung in seinem Sinne
selbst ebensowenig, als sie unter seinen Voraussetzungen über-
haupt erfüllbar ist. Es ist offenbar nicht möglich, die orga-
nischen Formen aus lediglich mechanischen Ursachen
entstehen zu lassen, wenn man neben dem (absolut sein
sollenden) mechanischen Princip ein immanentes Walten des
göttlichen Geistes in alleo, selbst den kleinsten Körpern
annimmt, mithin ein zweites, dem ersteren coordinirtes
Princip der Natur zu Grunde legt und so einen durchgängigen
absoluten Dualismus in der Welt anerkennt. Haeckel wird
uns zugeben, dass — man mag die Gottesidee fassen, wie man
will — die Begriffe: Leben, Aktivität, vernünftiger (wenn
auch unbewusst vernünftiger), also zwecksetzender Wille,
untrennbar mit der Idee Gottes verbunden sind. Gott ist
die lebendige Kraft, der Ursprung des Lebens, also Lebens-
kraft, die Haeckel. selbst mit der causa finalis identificirt.
Der alte Begriff der Lebenskraft, die wunderbarer Weise
nur den organischen Körpern zukommen soll, wird von
ihm verworfen, und man muss sich dieser (übrigens nicht
mehr neuen) Ansicht anschliessen ; wenn aber Haeckel glaubt,
mit der besonderen Lebenskraft den Vitalismus und die
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Teleologie überhaupt beseitigt zu haben, so ist es ein Irrthum,
der auch im Widerspruch zu der metaphysischen Grundlage
seiner eigenen Weltanschauung steht, die eine durchaus pan-
theistische und eo ipso vitalistische und teleologische ist.
Nicht darum ist die alte Lehre von der Lebenskraft falsch,
weil sie teleologisch, sondern vielmehr, weil sie nicht teleo-
logisch genug ist und ausserdem eine philosophisch nicht
annehmbare Teleologie behauptet; weil sie das teleologische
Princip willkürlich beschränkt und nicht, wie es nöthig ist,
wie es die Schelling'sche Naturphilosophie gethan hat und
auch Haeckel selbst thut, über die ganze Schöpfung aus-
dehnt oder kosmologisch fasst. Sie ist im Grunde nichts
anderes, als der Ausdruck eines durch gewisse religiöse An-
schauungen bedingten Bedürfnisses, den lebenden Wesen,
speciell dem Menschen, eine Ausnahmsstellung in der Natur
zu sichern; oder auch der Ausdruck der Verzweiflung an der
Möglichkeit, das Leben aus rein mechanischen Ursachen ab-
zuleiten. Ist ein Naturforscher aufrichtig gegen sich selbst
und sein Publikum, so muss er ja bekennen, dass eine aus-
schliesslich mechanische Erklärung der Naturvorgänge in
Rücksicht der organischen Wesen selbst den Schein der
Plausibilität verliert, die sie in Rücksicht der anorganischen
für Manche noch haben kann, und so sieht er sich genöthigt,
für das Leben eine Ausnahme zu machen und, theils faüte
de mieux, theils par depit, zu der räthselhaften Lebenskraft
zu greifen. Eine Philosophie hingegen, die von vornherein
ein monistisches und teleologisches Princip anerkennt, wird
sich immer gegen diesen Begriff der Lebenskraft erklären,
aber den Vitalismus nicht zu bekämpfen, sondern, im Gegen-
theil, zu retten und überall in der Natur nachzuweisen suchen.
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Und wäre auch der ganze Vitalismus als eine philosophisch
wie empirisch völlig unstichhaltige Anschauung wirklich er-
kannt, so wäre dadurch die Wahrheit der Teleologie als solcher
nicht im mindesten erschüttert: für das eigentliche Leben
des Geistes, in der Religion, in der Geschichte und der Kunst,
wo naturwissenschaftliche Begriffe, wie Vitalismus und Me-
chanismus, keine Anwendung finden, bliebe die teleologische
Betrachtung nach wie vor die allein richtige und allein mög-
liche. Da der Vitalismus doch nur als ein besonderer Fall
der Zweckmässigkeit, oder als ein besonderer Ausdruck des
in der Natur waltenden absoluten Intellekts anzusehen ist,
so decken sich ja beide Begriffe nicht* und die Teleologie
als solche verwerfen, weil sie in diesem oder anderem
\ Falle nicht zu erweisen ist, ist genau so, als wenn man z. B.
die ganze Lehre von der Elektricität leugnen wollte, weil es
sich herausgestellt hat, dass einige Naturerscheinungen, die
früher für elektrische galten, solche nicht sind. —
Wir haben Haeckels Ansicht über den Materialismus
kennen gelernt: es ist für ihn eine unphilosophische, weil
dualistische Weltanschauung. In der „Schöpfungsgeschichte"
(S. 32) wird der Materialismus näher definirt als die Lehre
von der ausnahmslosen und alleinigen Herrschaft des C aus al-
gesetze s. Die Causalität ist aber für Haeckel (Ebd. S. 16,
19, 31, 67, vgl. Anthropog. S. 706) identisch mit Mechanis-
mus; demnach ist Mechanismus = Materialismus = Dualis-
mus. Und aus dem Dualismus soll nun die Einheit der
Natur, der Monismus demonstrirt werden! Aber die Einheit
der Natur kommt nur dann zu Stande, wenn der Gegensatz
zwischen lebendiger und todter Körperwelt, den man früher
annahm, aufgehoben wird: der Monismus ist die Anschauung,
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dass durch die Einheit Gottes und der Natur alle Natur-
körper gleichmässig belebt sind (Ebd. S. 21,64). Man
kann nicht klarer, als es hier geschieht, seine Überzeugung
von der Wahrheit des Vitalismus ausdrücken. Und so muss
Haeckel an sich selbst die gegen ihn sprechende Erfahrung
machen, dass man sehr wohl den Vitalismus anerkennen und
dabei doch den Begriff der Lebenskraft fallen lassen kann. 1 )
*) In der griechischen Philosophie dürfte sich schwerlich ein der
modernen „Lebenskraft' 1 entsprechender Begriff finden ; fast durchgängig
aber begegnen wir bei den Alten — am reinsten in der vorplatonischen
Zeit — einem vitalistischen Monismus und einer immanenten Teleologie.
Auch die platonische Lehre von der Weltseele, von der Beseeltheit und
Vernunft der Ideen und ihrer ontologischen Abhängigkeit von der
höchsten Idee des Seins, oder der Gottheit, der letzten Ursache des
Lebens, ist, wenigstens der Tendenz nach, monistisch und ganz teleologisch
und vitalistisch, und schliesst die Vorstellung von einer besonderen
Lebenskraft aus. — Anklänge an die letztere und den neueren Dualismus
überhaupt könnte man eher bei Aristoteles finden; wenn man jedoch
bedenkt, dass er das Princip des Lebens, die Seele, sich als die Entelechie
des Körpers denkt, diese mit der allem Einzelnen immanenten Form
(dem Zweck, dem Allgemeinen, Bewegenden, Aktuellen) identificirt, und
alles Leben, alle Bewegung zuletzt aus dem absolut Allgemeinen, aus
der reinen Aktualität an sich, dem obersten Zweck, dem Prius aller
Entwickelung oder Gott ableitet; so verliert auch seine Weltanschauung
ihren dualistischen Anstrich, und wird zu einer monistischen, teleologischen
und vitalistischen Entwicklungslehre, in der der Begriff einer Lebens-
kraft keinen Platz mehr hat. — Noch klarer tritt uns der Monismus,
und zwar in der Gestalt, wie sie von Haeckel vertreten wird, bei den
Stoikern entgegen: der von der Gottheit ausgehende Xöyos öJieQitauxoe
ist das weltbildende und der Welt immanente vernünftige Princip, die
allen Wesen zukommende Weltseele. Und was Cicero (de nat.
deor. 11, 9) über die Lehre der Stoiker berichtet, könnte Haeckel eben-
sogut als jenen Satz des G. Bruno zu seinem metaphysischen Glaubens-
bekenntniss machen: „omne quod vivit, sive animal, sive terra editum,
id vivit propter inclusum in eo calorem (nämlich des »r? xezvtxov, der
Weltseele). Ex quo intelligi debet, eam caloris naturam vi m habere
in se vitalem per omnem mundum pertinentem." — In
dieser Verallgemeinerung der Lebenskraft, in der Erweiterung des
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Vitalismus durch den Begriff der „Weltseele", und in der Lehre von
der Immanenz Gottes und des Zwecks liegt der Schwerpunkt der
SchelliDg'schen Naturphilosophie, die darin eine Rückkehr der Wissen-
schaft „zu dem ältesten und heiligsten Naturglauben der Welt" erblickt.
In seinem Gespräch „Bruno" sagt Schölling: „die höchste Macht oder
der wahre Gott ist der, ausser welchem nicht die Natur ist, so wie die
wahre Natur die, ausser der nicht Gott ist 4 '. Vergl. Schöllings Leben in
Briefen, Br. an Obereit, 12. März 1796, worin u. a. Schölling einen ausser
der Welt stehenden Gott „ein Compositum allgemeiner Abstractionen"
nennt. Nichts anderes will auch Haeckel sagen, wenn er (Schöpfgsg. S. 63)
Gott als „gasförmiges Wirbelthier" bezeichnet. — So wie die Vorstellung
von einer äusseren Zweckmässigkeit die Idee der Natur, so zerstört, sagt
Schölling („Ideen z. e. Phil. d. Ntr." 1803, S. 50), die Vorstellung von
einem ausserweltlichen Gott den Begriff der Zweckmässigkeit von Grund
aus. Nur weil das Zweckmässige in der Natur eins ist mit dem Zweck-
mässigen in uns, oder weil die Natur der sichtbare Geist ist, vermögen
wir das Zweckmässige zu erkennen. „Geist als Princip des Lebens ge-
dacht, heisst Seele" (Ebd. 57): die Natur ist also die Sichtbarkeit, die
Darstellung des Lebens, und muss als solche durchweg belebt, beseelt
sein. Der Begriff einer besonderen Lebenskraft sei ein völlig wider-
sprechender und gehe, sobald man die Widersprüche löst, in den Be-
griff des Geistes über, der nun an die Stelle der Lebenskraft tritt und
die Physik sofort in Metaphysik hinüberspielt. Auch Schölling findet,
dass durch die Bezeichnung eines geistigen Princips mit dem Aus-
druck Lebenskraft, immer noch wenigstens die Hoffnung angedeutet
werde, „jenes Princip nach physikalischen Gesetzen wirken zu lassen"
Ebd. S. 55 ff.). — Wir sehen also, dass Schölling die Lebenskraft ver-
warf nicht als Gegner der Ideologie und des Vitalismus, sondern als
deren Vertheidiger und, man muss sagen, eigentliche Begründer und
Erklärer in der deutschen Philosophie. — Dasselbe wiederholt sich bei
Oken. Auch er vertritt einen absoluten Vitalismus und eine immanente
Teleologie, und verneint die Lebenskraft: „Sein und Leben sind un-
zertrennliche Begriffe. Das Leben ist nichts Neues, in die Welt erst
Gekommenes, nachdem sie erschaffen war, sondern ein Ursprüngliches,
eine Idee, ein bewegter Gedanke Gottes. Es giebt keine eigene Lebens-
kraft im Universum. Causa e&istentiae ist das Leben. Es giebt nichts
Todtes in der Welt; nur das ist todt, was nicht ist, nur das Nichts.
In der Welt ist alles lebendig, die Welt selbst ist lebendig. Lebendig
ist das. was im Einzelnen das Ewige und die ganze Mannigfaltigkeit
des Alls darstellt" (Lehrb. d. Naturphil. 1831, §§ 75-79). — Die Ubiquität
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— 20 —
Aber Haeckel vergisst ganz, dass er kurz vorher auch den
Vitalismus eine unwissenschaftliche, teleologische und dua-
des göttlichen Wesens, also des Lebensprincips, wodurch die ganze
Natur zu Einem grossen Organismus wird, in dem keine absolute
Trennung zwischen beseelten und todten Formen stattfindet, ist auch der
Grundgedanke der Fechner'schen Naturbetrachtung. Für die „Tages-
ansicht", sagt Fechner, sei es keine Frage mehr, „wo Beseelung anfängt
und aufhört, sondern nur, wo und wiefern sie sich in entsprechender
Weise aus der allgemeinen Beseelung heraushebt individualisirt." „Mit
allem Gegensätze gegen das organische Reich ist das unorganische selbst
das Bindeglied des organischen zu einem in höherem Sinne organischen
Ganzen. Reisse es aus dem Ganzen heraus und alles Leben purzelt
nicht nur auseinander, sondern zerfällt in sich. Und nur deshalb vermag
das Unorganische nichts Organisches mehr herzugeben, weil überhaupt
keins je das andere hergegeben hat, sondern beide als Entwicklungs-
momente des höheren organischen Ganzen durch dessen Differenzirung
hervorgegangen sind." (Die Tagesansicht gegenüber d. Nachtans.8.29,37). —
Ähnlich verhält sich zur Sache Schopenhauer. Er sagt zwar (Far. u.
Paral. 11, 171. § 96), das heutzutage Mode werdende Polemisiren gegen
die Annahme einer Lebenskraft verdiene nicht sowohl falsch, als geradezu
dumm genannt zu werden, identificirt aber (Ebd. S. 173) die Lebenskraft
mit dem allem Sein zu Grunde liegenden Einen Willen, und sieht in
der Vollkommenheit und Eigenthümlichkeit der Organismen, die sie vor
den unorganischen Formen voraus haben, nichts anderes als nur eine
höhere Objectivationsstufe des Willens oder des universalen Lebens-
princips selbst. Aus der Einheit des sich in immer höheren Formen
darstellenden Willens erklärt sich nach Schopenhauer (Welt a. W. 1,
169 — 71) die Entwicklung der Natur im allgemeinen und die innere Ver-
wandtschaft oder Familienähnlichkeit aller Naturwesen, die empirisch
nachzuweisen die Aufgabe der vergleichenden Anatomie und der
modernen Biologie ist. Und dass die Naturphilosophie der Sohelling-
schen Schule diesem Gedanken nachging, sei ihre löblichste Bestrebung
und ihr Verdienst gewesen. — Schopenhauer's Abschnitt über Teleologie
(Welt a. W. 11, Cap. 26) sollte jeder lesen und beherzigen, der, wie
Haeckel, keinen Unterschied zwischen äusserer und innerer Zweck-
mässigkeit kennt, und mit der Physikotheologie, die in die Wissenschaft
nicht gehört, auch alle Teleologie glaubt wegleugnen zu dürfen. —
Ebenso ist Hartmann's Naturphilosophie eine durchaus teleologische und
vitalistische, ohne jedoch von einer eigenen Lebenskraft Gebrauch zu
machen.
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listische Weltanschauung genannt hat, und stellt ihn nun in
seiner prägnantesten Form als die einzig wahre Definition
des Monismus auf! — Wenn man nun Haeckel glauhen soll,
dass der Vitalismus und die Teleologie nothwendig Dualismus
ist und dieser mit dem Wunderglauhen zusammenfallt
(Schöpfgsg. S. 20), so gestaltet sich Haeckels Weltanschauung
zu einer Ungeheuerlichkeit, die in der Geschichte wohl ver-
gebens ihres Gleichen sucht, — nämlich zu einem drei-
fachen Dualismus, von dem eine einheitliche und
natürliche Erklärung der Welt verlangt und er-
wartet wird! Dualistisch ist der Materialismus, dualistisch
ist der Vitalismus, dualistisch ist aber auch das Natursystem,
welches beide als coordinirte Principien in sich aufnimmt.
Dass unter solchen Voraussetzungen nicht nur keine natür-
liche, sondern überhaupt keine Erklärung der Welt denkbar
ist, braucht wohl nicht noch besonders durchgeführt zu
werden.
Wie finden wir den Ausgang aus diesem Labyrinth von
Widersprüchen? Zum Glück gibt uns Haeckel selbst den
rettenden Faden in die Hand: wir haben uns nur streng an
die Grundsätze zu halten, die ihm sein philosophisches
Bewusstsein dictirt und von denen er bereits nothwendig
durchdrungen sein musste, als er seinen Kampf gegen die
gangbare und für eine durch die Philosophie geläuterte Natur-
betrachtung begann. Diese Grundsätze sind uns bekannt; es
sind ihrer nur zwei: 1) der Materialismus ist, ebenso wie sein
Gegenstück, der Spiritualismus, unfähig, eine befriedigende
Lösung des Welträthsels zu geben; beide sind einseitige, un-
philosophische und im Grunde dualistische Anschauungen;
2) der Monismus, der eine Synthese des Materialismus und
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Spiritualismus ist, insofern beide nicht aus-, sondern ein-
ßchliesst, ist die einzige Weltbetrachtung, die uns befriedigt
und sich sowohl mit der Philosophie als mit der Natur-
wissenschaft vertragt. — Wir wissen, wie Haeckel seinen
Monismus formulirt, und wiederholen: diese seine Aussagen
sind seine wahre, innere Überzeugung, und für das Verständ-
niss und die Würdigung seiner Naturanschauung allein mass-
gebend; sein Materialismus dagegen ist nur als ein Noth-
behelf, gleichsam ein Verlegenheitsausdruck zu betrachten, und
beruht auf einem Missverständniss, das beseitigt werden kann
und muss. Haeckel denkt immer an die alte Lehre von der
Lebenskraft, wenn er vom Vitalismus, und an die trans-
scendente Teleologie, wenn er von Teleologie spricht; da
beide Vorstellungen allerdings dualistisch sind, so musste
seine Polemik gegen den Dualismus zugleich zu einer Polemik
gegen den Vitalismus und die Zweckmässigkeit werden.
G. Brunos Gottesidee hat Haeckel durch ihre Erhabenheit
geblendet und durch ihre monistische Formel bestochen, und
er nahm sie rückhaltlos an, ohne sie einer genaueren Prüfung
auf ihren Inhalt und ihre Tragweite hin unterworfen zu
haben. Da er keine Vermittlung kennt zwischen Finalität
und Causalität, zwischen Vitalismus und Mechanismus, und
diese Begriffe für absolute Gegensätze erklärt, in denen sich
Philosophie und Religion seit ihren Anfängen bewegen
(Schöpfgsg. S. 30); so blieb ihm, bei seiner Verwerfung des
Vitalismus und der Finalität, natürlich nichts anderes übrig,
als die schöne Form seiner Gottesvorstellung dem Materialis-
mus anzupassen, sie dadurch zu verunstalten und seiner
besseren Überzeugung untreu zu werden. So erklären wir
uns das Vorhandensein des Materialismus in Haeckels Ideen-
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kreise. Die vorhin gezeigte Confusion, die er in demselben
verursacht, schwindet, sobald man Haeckels eigener Forderung
gerecht wird und seinen Monismus einzig und allein aus seiner
Gottesidee ableitet.
Gott ist also der ewige Heerd des Lebens, der alle Körper
gleichmässig mit Leben versorgt. Durch diese Vertheilung
des Lebens an alle Wesen, durch seine Ausbreitung über die
ganze Natur, wird Einheit in die mannigfaltige Welt hinein-
gebracht und der Monismus erreicht, — erreicht durch die
Erweiterung und Vertiefung des Begriffs des Lebens, durch
Belebung des für leblos Gehaltenen, nicht umgekehrt, wie es
der Mechanismus haben will, durch Tödtung des Lebendigen.
Wenn nun diese Vorstellung, die auch die leitende der alten
Naturphilosophie war, und deren Vitalismus nicht wegzu-
disputiren ist, von Haeckel als diejenige der Zukunft und mit
einer geläuterten und streng wissenschaftlichen, monistischen
Naturbetrachtung allein vereinbare bezeichnet (Schöpfgsg.
S. 64), und der Materialismus für haltlos erklärt wird ; so be-
währt sich an Haeckel, was G. Bunge in seinem interessanten
Vortrag über „Vitalismus und Mechanismus" (Lpz. 1886,
S. 6, 20) so richtig sagt, nämlich dass die Zukunft der
Naturforschung nicht dem Mechanismus, sondern dem Vitalis-
mus gehört. Es irren sich, heisst es dort, die Anhänger der
mechanischen Erklärung des Lebens, wenn sie glauben, es
müsse schliesslich gelingen, den ganzen Lebensprocess aus
den Kräften der unbelebten Natur zu erklären; die Geschichte
der Physiologie lehre genau das Gegentheil: „je eingehender,
vielseitiger, gründlicher wir die Lebenserscheinungen zu er-
fassen streben, desto mehr kommen wir zur Einsicht, dass
Vorgänge, die wir bereits geglaubt hatten, physikalisch und
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chemisch erklären zu können, weit verwickelterer Natur sind
und vorläufig jeder mechanischen Erklärung spotten". In
diesem gesperrt gedruckten Satz hätte „jeder" fett gedruckt
stehen sollen, da auf diesem Wort, nicht auf „vorläufig" die
Betonung liegt. Bunge will sagen: vorläufig ist an jenen
Vorgängen selbst das, was einer mechanischen Er-
klärung fähig sein dürfte, nicht mechanisch zu erklären,
und nie wird aus Mos mechanischen Ursachen ein Natur-
vorgang ohne Rest erklärt werden können.
Diese Wahrheit hat nun Haeckel durch sein Glaubens-
bekenntniss unterschrieben : nie kann das göttliche Leben er-
löschen, nie kann es aufhören, die Causa existetUiae der Welt
und aller Wesen zu sein, nie kann also die Zeit kommen, in
der die vitalistische Erklärung durch eine mechanische ersetzt
werden durfte. — Wenn Alles in der Welt lebendig und die
Welt selbst lebendig, und das einzelne Lebendige nichts
anderes ist, als die Erscheinung des Ewigen, d. h. Gottes,
demnach der absoluten Vernunft und des absoluten Willens,
so ist die Welt in allen ihren Einzelheiten vernünftig und
zweckmässig, und in ihrem letzten Grunde übersinnlich. Das
Übersinnliche ist nicht ausserhalb der Natur, sondern als das
Reale an sich und das eigentliche Sein der Natur, in dieser
selbst: es ist nicht ein transscendentes, sondern imma-
nentes Princip und zugleich jenseits der Dinge, d. h.
ausserhalb der sinnlichen Wahrnehmung. Da wir Menschen
aus demselben Born wie die übrigen Wesen unser Leben
schöpfen und ebenfalls Erscheinungen Gottes sind, so sind
wir auch ein sinnliches und übersinnliches Wesen in Einem;
jenes „Jenseits" ist uns nichts Fremdes: „Ort für Ort sind
wir im Innern" der Natur, oder, wie Hartmann sagt: „jeder
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— 25 —
Mensch bat als Mensch die Grenze längst überschritten, die
er als Naturforscher unübersteiglich findet, denn er ist ja
mitten drin in jenem Mysterium, dem das Naturerkennen
vergeblich von aussen beizukommen sucht, und es ist ihm
weit bekannter und vertrauter als jenes draussen, das der
Naturforscher für seine Heimath hält" (Stud. u. Aufs. S. 455).
Das Übersinnliche muss also erkennbar sein, und ist es auch,
nur nicht durch die Sinne, sondern durch sich selbst,
d. 1l nur dem Übersinnlichen in uns offenbart sich das
Übersinnliche ausser uns. Dies meint Schelling, wenn er
sagt: „Was in uns erkennt ist dasselbe mit dem, was er-
kannt wird". Nur weil wir „des Gottes eigne Kraft" in uns
haben, vermögen wir das göttliche Walten in der Natur zu
erblicken und das Leben, diesen Ausdruck der göttlichen
Kraft, in uns und überall in der Welt zu erkennen.
Hat sich auf diese Weise der Begriff des Übersinnlichen
für Haeckels VVeltbetrachtung als nothwendig herausgestellt,
so muss die Behauptung (Schöpfgsg. S. 28 f., 636), dass
alle Erkenntniss aus der (ausserlich) sinnlichen Wahrnehmung
stamme, offenbar von selbst fallen, oder vielmehr sich in ihr
Gegentheil verwandeln. — Es ist nicht einmal nöthig, das
Leben gleich auf seine metaphysische Wurzel zurückzuführen,
um sich davon zu überzeugen, dass dieser Begriff nicht aus
der Sinneswahrnehmung geschöpft sein kann. Das Leben
gehört gewiss zu den Welträthseln, und seine Lösung setzt
die Lösung eines nach Du Bois Reymond unlösbaren anderen
Bäthsels voraus, nämlich des vom Ursprung der aktiven Be-
wegung 1 ), deren Begriff wir nur der Selbstbeobachtung, nicht
^DuBoisReymond, Ü.d. Grenzen d. Naturerk. Die 7 "Welträtlisel
(1884) S. 78. 77. — Wir vermögen nioht einzusehen, dass die Frage
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nach der Entstehung des Lebens — unter den Welträthseln das dritte —
weniger Schwierigkeiten darbiete, als die vorhergehende nach dem Ur-
sprung der Bewegung ; oder, um in Du Bois Reymonds Sprache zu reden,
weshalb wir keinen Grund hätten, ihre Schwierigkeit für ebenso „trans-
scendent"', d. h. unlösbar zu halten, als die der beiden ersten Fragen.
"Wenn Du Bois Reymond die Erklärung des Lebens von der Erklärung
der unerklärbaren Bewegung abhängig maoht, so hat er ja schon
dadurch auch die Unerklärbarkeit des Lebens anerkannt. Er sagt: „hat
einmal die Materie angefangen sich zu bewogen, so können Welten
entstehen; untor geeigneten Bedingungen .... kann auch der
eigentümliche Zustand dynamischen Gleichgewichts der Materie,
den wir Leben nennen, geworden sein." Damit ist, meinen wir, rein gar
nichts gesagt. Ist einmal die Bedingung des Lebens da, so kann selbst-
verständlich das Leben entstehen ; das weiss jeder. Es handelt sich aber
dooh nicht um das dass, sondern um das Wie des Könnens, und die
Antwort darauf, die Ursache des Lebens, welche selbst schon Leben ist,
liegt in dem vorhergehenden unlösbaren Problem, wird demnach ewig
auf sich warten lassen. — Das fünfte Welträthsel: das Entstehen der
einfachen Sinnesempfindung, Wahrnehmung und, höher hinauf, des Be-
wusstseins, soll nun wieder transscendent sein (S. 79 f.). Zugegeben ! Was
heisst abor Leben? Indem Du Bois Reymond das Räthsel vom Leben
von dem der Bewegung und der Sinnesempfindung trennt, scheint er das
Leben als solches für einen Zustand anzusehen, der zwar höher ist als
die blosse Bewegung, aber den Zustand der Sinnesempfindung noch nicht
erreicht hat. Was ist es denn? Aus Aeusserungen, wie: das Leben sei
der eigenthümliche Zustand dynamischen Gleichgewichts der Materie, der
unter geeigneten Bedingungen sich bildet, kann man nur das entnehmen,
dass die Naturwissenschaft über das Wesen des Lebens nichts weiss. Ist
denn die einfachste Sinnesempfindung, wie wir sie bei den untersten
Organismen finden, nicht das erste wahrnehmbare Kriterium des Lebens?
Wir denken: leben und empfinden ist Eins. Wenn also das Entstehen
der Sinnesempfindung ein transscendentes Eäthsel ist, so ist auch der
Ursprung des Lebens ein solches; involvirt, dagegen, das letztere keine
transscendente Schwierigkeit, so muss auch das fünfte Welträthsel lösbar
sein! — Zum Schluss (S. 104) fasst Du Bois Reymond die sieben Welt-
räthsel zu Einem einzigen, dem Weltproblem, zusammen, und endigt
seinen Vortrag mit dem Wort: „Dubitemus", welches direct auf das letzte
(transscendente) Räthsel, die Willensfreiheit, indirect auch auf alle übrigen
sich bezieht. Hier entdecken wir nicht den logischen Zusammenhang
des „Dubitemus" mit allem Vorhergehenden. Woran sollen wir zweifeln?
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der äusseren Empirie verdanken. Wir haben keine andere
Vorstellung von der Bewegung ausser uns, als die, welche wir
aus dem Bewusstsein des Bewegenden in uns bilden, und
dieses ist der Wille, für dessen Wahrnehmung wir kein
äusseres Perceptionsorgan besitzen. Sollte demnach auch das
Räthsel des Lebens jemals ohne Hülfe der Metaphysik voll-
ständig erklärt werden, so wird die Erklärung nie eine physio-
logische und mechanische, sondern eine psychologische
sein (vgl. Bunge 1. c S. 12 f.) Man kann zwar die Ent-
stehung und die teleologische Bedeutung des (objectiven und
subjectiven) Bewusstseins in der Welt metaphysisch begreiflich
machen, aber eine Definition desselben, die mehr wäre,
als eine blosse Tautologie, kann man wohl nicht geben. Das
Bewusstsein schlechthin eines Wesens ist das Vermögen, das
Ich vom Nicht-Ich zu unterscheiden, eben das Wissen, dass
ein solcher Unterschied stattfindet; das Selbstbewusstsein ist
das Wissen, dass ich das Subject meiner Thätigkeit, meines
Wollens und Denkens bin, kurz die klare Vorstellung, dass
Nicht daran, dass jene Räthsel in Wahrheit solche sind, — dies
ist Gewissheit. An ihrer Lösbarkeit resp. Unlösbarkeit? Aber in
Rücksicht der transscendenten Räthsel haben wir wieder die Gewiss-
heit, dass sie unlösbar, in Rücksicht der nicht transscendenten die
Gewissheit, dass sio lösbar (wenn auch noch nicht gelöst) sind.
Beziehen wir das Dubitemus nur auf das letzte Problem, und sagen : wir
wissen nicht, ob es eine Wahlfreiheit giebt oder nicht Giebt es keine,
d. h. stellen wir uns auf den Standpunkt des Determinismus, so fällt,
wie auch Du Bois Reymond sagt (S. 103), die Schwierigkeit und mit ihr
das ganze Problem weg, und die Frage ist mit Gewissheit entschieden;
giebt es eine, so ist wieder die Gewissheit der Wahlfreiheit und zu-
gleich die der Unlösbarkeit des Rathseis von der Vereinigung der Frei-
heit und Notwendigkeit da. — So verwandelt sich der Zweifel überall
in die Gewissheit von der Unzulänglichkeit unseres Erkenntniss-
vermögens, das Weltproblem zu lösen; mit Einem Wort: „Dubitemus" =
„Ignorabimus !" —
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28 —
ich lebe. Diese habe ich doch nicht a posteriori erworben.
Will man dies behaupten und den Gedanken, dass alle Vor-
stellungen aposteriorischer Natur sind, consequent durchführen,
so muss man auch die Absurdität behaupten, dass das Be-
wusstsein vom Bewusstsein, oder die Vorstellung ein bewusstes
Wesen zu sein, eine ebenfalls a posteriori erworbene sei! —
Mit den Begriffen, wie Thätigkeit, Wollen, Denken, Leben,
Ich, sind andere Begriffe untrennbar verbunden. Sage ich:
ich bin ein thätiges, wollendes und denkendes Wesen, so
spreche ich damit aus, dass ich auch ein zeitliches, räum-
liches und causales Wesen bin: dies sind analytische Urtheile.
Wenn nun die Vorstellung vom Leben keine aposteriorische
ist, so sind auch die Vorstellungen, die analytisch aus ihr
folgen, uns auch nicht a posteriori, sondern a priori bekannt.
Man bedenke ferner, dass alle naturwissenschaftlichen Haupt-
begriffe (Kraft, Materie, Entwicklung etc.) auf diesem aprio-
rischen Fond unseres Denkens beruhen, oder mit seiner Hülfe
gebildet werden, und man kommt zu der Einsicht, dass das
Denken keine tabula rasa ist, auf welche die sinnliche Er-
fahrung das erste Wort schreibt, sondern dass alle Erkennt-
niss a posteriori nur möglich ist, weil die Grundpfeiler, auf
die sie sich stützt, die Elemente, aus denen sie besteht, be-
reits a priori gegeben sind. Also genau das Gegentheil von
dem, was der Materialist Haeckel lehrt, und ganz im Sinne
des Metaphysikers Haeckel, für den das Apriori sich in letzter
Linie mit dem Übersinnlichen, dem göttlichen Leben in uns
deckt, oder aus der übersinnlichen Herkunft des Lebens in
der Welt erklärt wird, demnach der Grand und die Bedingung
unserer aposteriorischen Erkenntniss ist, und dieser, begrifflich
und wirklich, vorangehen muss.
»
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— 29 —
Haeckels Leugnung des Apriori ist die nothwendige Folge
seines Materialismus, und hat ebenfalls die Bestimmung,
Alles recht natürlich, ohne Ein- und Beimischung von
„Wundern" darzustellen. Man begreift aber nicht, warum
dem Materialisten eine so vielseitig, ja empirisch bis zur
Evidenz bestätigte Annahme einer apriorischen Grundlage
unseres Denkens wunderbarer erscheint, als Principien, wie
die Anpassung und Vererbung, die Haeckel selbst zu den
letzten durch sinnliche Erfahrung nicht erfassbaren
Gründen zählt. Warum soll man den erkenntniss-
theoretischen letzten Grund, wie das Apriori, leugnen und
dennoch letzte Gründe der Wissenschaft und des
Wissens überhaupt anerkennen? — Haeckel täuscht sich,
wenn er glaubt, durch seine Erklärung des Apriori alles
„Wunderbare" aus diesem Problem beseitigt zu haben. Nach
unserem Dafürhalten ist seine Auffassung erstens weit com-
plicirter und enthält, zweitens, des Unerklärlichen und Wunder-
baren viel mehr als die einfache Lehre Kant's vom Apriori.
Er sagt (SchOpfgsg. S. 29): „von unseren uralten thierischen
Voreltern sind alle sogenannten .Erkenntnisse a priori* ur-
sprünglich a posteriori gefasst worden und erst durch Ver-
erbung allmählich zu apriorischen geworden". Nehmen wir
die Undenkbarkeit) die Anschauung z. B. von der Zeit
a posteriori zu gewinnen, als ein „Wunder" einfach hin.
Dadurch wäre das Apriori zwar umgangen, aber nur für den
Anfang der Geschichte; im Laufe derselben erscheint es ja
wieder und räthselhafter als zuvor, da es durch Vererbung
allmählich aus dem Aposteriori sich bildet. Es wird
also nicht eliminirt, sondern nur verschoben. Wenn Haeckel
sich gegen das Apriori erklärt, weil er nichts Angeborenes
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anerkennt und die ganze Beschaffenheit unseres Geistes durch
Vererbung hegreiflich machen will; so müsste er vor allem die
Vererbung selbst leugnen, da diese Fähigkeit oder Kraft (die
Erblichkeit) doch offenbar nicht anders als eine angeborene
gedacht werden kann: zum mindesten in Rücksicht des aller-
ersten Vererbungsfalles in der Naturgeschichte wird man
dies zugeben müssen ! Ist es die der Empirie entgegengesetzte
Natur der apriorischen Erkenntniss, die Haeckel zu seiner
Polemik gegen die letztere veranlasst, so dürfte er nicht die
allmähliche Verwandlung des Aposteriori in Apriori behaupten,
da auch ein blos erworbenes oder „sogenanntes" Apriori
für uns, die wir durch Jahrtausende von unseren dasselbe
erst erwerbenden thierischen Voreltern getrennt sind, ein
wirkliches, echtes Apriori ist, von dessen sinnlicher Herkunft
keine Spur mehr übrig bleibt und das mit uns auf die Welt
kommt Wir haben also trotz allem, nach wie vor, neben
der sinnlichen Erfahrung, noch eine andere Erkenntnissquelle
nicht sinnlicher Natur, mit der die Wissenschaft stets zu
rechnen haben wird.
Haeckels Theorie des Apriori müssen wir nach alledem
für völlig misslungen erklären: an die Stelle Eines „Wunders"
werden zwei andere Wunder gesetzt, und das Hauptwunder,
um dessen Beseitigung es sich handelte, wird nur verschoben,
nicht aufgehoben. —
Wie Haeckels Erkenntnisstheorie sich mit seiner Meta-
physik nicht vereinigen lässt, so widerspricht die Annahme
unerkennbarer letzter Gründe sowohl der Metaphysik
als dem Materialismus, als auch der Polemik gegen das
„Ignorabimus" und dem Bestreben, Philosophie und Natur-
forschung zu versöhnen, welches Bestreben wieder eine ganz
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andere, nicht materialistische Erkenntnisstheorie voraus-
setzt.
Der Materialist und der Metaphysiker stimmen mit ein-
ander darin Oberein, dass beide keine unerkennbaren letzten
Gründe annehmen. Solche kann es nur für den Skeptiker
geben, und Haeckel stellt sich durch ihre Annahme plötzlich
auf den Standpunkt des Skepticismus, wie er von- Du Bois
Reymond vertreten wird, und verliert dadurch jedes Recht,
über das „Ignorabimus" des letzteren loszuziehen. Wenn
alle unsere Wissenschaft nothwendig beschränkt ist und bleibt,
weil die einzige Quelle unserer Erkenntniss die sinnliche Er-
fahrung ist, und wir demnach „niemals vermögen die letzten
Gründe irgend einer Erscheinung zu erfassen" (Schöpfgsg.
S. 29), — so ist dies „Ignorabimus" optima forma. In der
Philosophie handelt es sich aber um die Erkenntniss dieser
letzten Gründe, oder der Principien der sinnlichen Welt, des
allem Einzelnen innewohnenden (sinnlich nicht wahrnehmbaren)
Allgemeinen; und dass die heutige Naturwissenschaft das
Zurückführen ihrer Erklärungen auf die Principien vernach-
lässigt und nur am Einzelnen haftet, sich nur auf die nackte
Empirie beschränkt, — darin erblickt ja Haeckel (ebd. S 70 f.
640 f.) ihren hauptsächlichsten Mangel und den Grund ihrer
Verwilderung. Wie soll aber die Naturforschung bis zum
Allgemeinen vor- oder durchdringen, wenn ihr gesagt wird,
dass alle Erkenntniss sinnlich ist und die letzten Gründe
schlechterdings unerkennbar sind? Es wird von ihr etwas
verlangt, was, unter der Voraussetzung der Gültigkeit der
materialistischen Erkenntnisstheorie und des „Ignorabimus",
die Philosophie selbst nicht leisten kann, einfach weil sie
aufhört, Philosophie, d. h. Metaphysik zu sein. Liegen die
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Principien ausser dem Bereich des Wissbaren, und ist unsere
Erkenntniss nur sinnlich, so giebt es keine Wissenschaft
von den Principien, und die metaphysische Erkenntniss fällt
mit der naturwissenschaftlichen zusammen. Von einer Ver-
bindung und gegenseitigen Ergänzung der Naturforschung
und Philosophie wird man nicht mehr reden können, nach-
dem die Grenzen und der Unterschied beider Wissenschaften
gänzlich verwischt sind. Ein Positivist würde darauf er-
wiedern, Philosophie und Naturforschung unterscheiden sich
nicht von einander in Rücksicht ihres Gebietes, sondern nur
in Bücksicht ihrer Betrachtungsweise; beide seien von der
Metaphysik gleich weit entfernt, beide haben ausschliesslich
mit der Sinnenwelt zu thun, nur dass die Philosophie die
empirischen Thatsachen nicht, wie die Naturforschung, isolirt,
jede einzelne für sich, ohne Zusammenhang mit den übrigen
betrachtet, sondern zu einem Ganzen verknüpft und das un-
abänderliche (aber immer nicht metaphysische) Gesetz,
welchem die Vorgänge der Natur und der menschlichen Ge-
sellschaft gehorchen, zu erforschen sucht. Aber Haeckel
kann diese Ausrede nicht benutzen, da er seiner ganzen
wissenschaftlichen Individualität nach, und in seiner Philo-
sophie im Besonderen, nichts weniger als ein Positivist ist,
sondern, wie wir gesehen, ein Metaphysiker im echten
deutschen Sinne des Wortes. Nur als solcher erklärt er dem
„Ignorabimus" den Krieg: er glaubt an die übersinnliche Grund-
lage der Natur und unserer Erkenntniss, verficht darum den
Glauben an die unbeschränkte Entwicklungsfähigkeit des
menschlichen Geistes, und macht, folgerichtig, das „nü morta-
libus ardui est" zu seinem wissenschaftlichen Wahlspruch. —
Wir glauben nicht, dass man uns den Vorwurf machen
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kann, Haeckel fremde Meinungen untergeschoben zu haben.
Wir haben gesucht, im strengsten Anschluss an seine eigenen
Worte, seine philosophische Weltanschauung in ihrer Reinheit
zu erkennen, und fassen das Ergebniss unserer Betrachtungen
folgendermassen zusammen.
Es handelt sich bei Haeckel zunächst um die blosse Form
des Monismus, um eine einheitliche Naturanschauung, oder
um eine Erklärung der Welt aus Einem Princip. Der Monis-
mas ist sowohl Postulat des reinen Denkens als auch der
(denkenden) Empirie. Das Denken findet den Beweis für die
*
Wahrheit des Monismus in der Thatsache selbst des Denkens,
die unmöglich wäre, wenn das Sein, das Object des Denkens,
dem Denken wesensfremd wäre, wenn es nicht einen stets
offenen Weg zum Intellekt und, vermöge seiner Wesensgleich-
heit mit diesem, einen Platz darin haben, d. h. wirklicher
Inhalt des Denkens sein könnte. Die Erfahrung ihrerseits
geht aus von der Thatsache der Entwicklung in der Natur
im Allgemeinen und Besonderen, und gelangt zur Annahme
eines monistischen Weltprincips durch Induction, oder über-
setzt ihre empirisch gewonnene Erkenntniss einer mono-
phyleti8chen Abstammung der Naturwesen in die Sprache
der Metaphysik.
Haeckel bleibt aber bei der blossen Form des Monismus
nicht stehen, sondern präcisirt diesen in einem durchaus pan-
theistischen, teleologischen und vitalistischen Sinne, indem er
das Eine Weltprincip einen der Welt immanenten Gott
nennt. Dadurch stellt er sich nicht nur auf den Standpunkt
von G. Bruno, zu dem er sich ausdrücklich bekennt, sondern
auch auf den der Naturphilosophie der Schelling'schen Schule
und E. v. Hartmanns, welcher letztere die Übereinstimmung
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der Haeckel'schen Metaphysik mit der seinigen selbst aner-
kennt (Stud. u. Aufs. S. 467). — Eine wahre Naturphilo-
sophie, lehrt Haeckel weiter, könne nur auf Grund dieses
Monismus zu Stande kommen. Diejenige Naturbetrachtung,
deren Vorkämpfer in Deutschland Haeckel geworden, der
Darwinismus, wird von ihm geradezu mit der Naturphilosophie
identificirt. Es folgt daraus, erstlich, dass eine richtige Auf-
fassung des Darwinismus nur auf dem Standpunkt des pan-
theistischen Monismus möglich ist und die Anerkennung der
(immanenten) Teleologie nothwendig fordert; zweitens, dass
die Principien des Darwinismus im engeren Sinne (Vererbung,
Anpassung, natürliche Zuchtwahl) secundärer Natur sind
und keine absolute, sondern nur relative Geltung haben,
dass demnach der Mechanismus überhaupt zwar ein
wichtiges und nothwendiges, aber nur ein untergeordnetes, im
Dienste der Zweckmässigkeit stehendes Erklärungsprincip ist.. —
Wenn die von Haeckel angestrebte Versöhnung der Philosophie
und Naturwissenschaft in der Idee des Darwinismus wirklich
stattfindet, so findet in ihr zugleich auch die Versöhnung der
beiden von dem Materialisten Haeckel für unvereinbar erklärten
Naturbetrachtungen statt: der mechanischen und teleologischen.
Also sind Mechanismus und Teleologie nicht absolute Gegen-
sätze, und eine natürliche (mechanische) Erklärung der
Welt kann und muss, wenn sie eine philosophische
(monistische) sein will, zugleich eine teleologische sein:
Causalität und Finalität gehen Hand in Hand, nur dass
letztere begrifflich früher ist, wie Gott begrifflich früher als
die Natur.
Wenn wir nun, diesen Ergebnissen zu Folge, alle (zum
Theil psychologisch erklärbaren) Äusserungen Haeckels, die
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seinem Monismus schnurstracks entgegen sind, als zu seiner
wahren, inneren Überzeugung nicht gehörend und für seine
Beurtheilung nicht massgebend ansehen, sie, als seinem
Denken ganz fremde Elemente, aus seiner Weltanschauung
einfach ausschliessen, — so sind wir weit entfernt, Haeckel
etwas unterzuschieben ; vielmehr beseitigen wir nur das, was er
sich selbst untergeschoben hat. Und jetzt, nachdem Haeckels
Lehre in ihrer lauteren Gestalt vor uns dasteht, begreifen wir
auch, dass Haeckel die Philosophie in Schutz nehmen musste,
begreifen sein Auftreten gegen das „Ignorabimus" und auch
seine Bekämpfung des ethischen Materialismus (Schöpfgsg.
S. 336). Denn der praktische Idealismus ist stets die Folge
des theoretischen, wenn auch dieses Verhältniss den Vertretern
des ersteren nicht immer bewusst ist; und nie vermag der
Materialismus aus seinen Principien eine rein moralische
Handlung auch nur zu begreifen oder zu rechtfertigen,
geschweige zu postuliren. Die Moralität steht und fällt mit
dem Glauben an die Realität einer übersinnlichen Welt-
ordnung. Auch ist sie einer der Erkenntnissgründe für das
Dasein der letzteren, kann demnach keine Stütze und keine
Erklärung in einer Weltanschauung finden, die, wie der
Materialismus, alles Übersinnliche und alle Ordnung in der
Welt leugnet, — denn die vernunftlose Herrschaft „eherner
Gesetze", der blinden Notwendigkeit, ist noch lange keine
Ordnung. Ebensowenig ist der Skepticismus fähig, eine
Moral und eine Religion zu begründen, da für ihn die
Realität jener höheren Weltordnung in Frage steht, also
nicht Object seines Glaubens sein kann. Dass ein Materialist
und ein Skeptiker auch moralisch sein können, ist kein Beweis
dafür, dass ihre Gesinnung eine Consequenz ihrer Welt-
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anschauung sei, noch dass beide principiell vereinbar seien;
vielmehr ist es ein Beweis, dass der Materialismus, wie der
Skeptici8mus dem (im realen Connex mit dem Über-
sinnlichen stehenden und sich fohlenden) inneren Wesen
des Menschen widersprechen, oder dasselbe gar nicht berühren
und nur erworbene, anerzogene, angelernte Weltanschauungen
sind. Jeder Mensch als solcher, er mag Materialist oder
Skeptiker sich nennen, fühlt die Verpflichtung, sittlich zu
leben, und das böse Gewissen, welches der Verletzung dieser
Pflicht auf dem Fusse folgt, kann weder durch materialistisches
noch skeptisches Räsonnement beschwichtigt werden. Dies
wäre nicht möglich, wenn die alle Moral und Religion auf-
hebenden Anschauungen auch den inneren Menschen um-
strickten. Ist also ein Skeptiker oder Materialist moralisch,
so ist er es trotz dieser seiner (exoterischen) Philosophie und
weil er als Mensch ein geborener Idealist ist. —
In Anbetracht alles dessen, was sich in Bezug auf Haeckel
hier ergeben hat, glauben wir nun das Recht zu haben, unsere
Frage : Ist E. Haeckel Materialist ? verneinend zu beantworten.
Auch hat sich die ins Einzelne gehende Übereinstimmung der
Weltanschauung Haeckels mit der von Zacharias herausgestellt
Bei der Aufzählung seiner Gesinnungsgenossen hätte Zacharias
Haeckel in erster Linie nennen und Du Bois Reymond, als
seinen unversöhnlichsten Widersacher, gar nicht erwähnen
sollen. —
Druck von H. Sioling in Kanmlurf a. S.
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